Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau
fki
expert verlag Tübingen
61
2024
21
Kreislaufgerechtes Parkhaus in Holzbauweise – Neubau Parkhaus Schwanenweg Wendlingen
61
2024
Franz Hägele
Matthias Oppe
Juliane Deubel
In Wendlingen am Neckar entsteht ein neues Parkhaus in Holz-Hybrid-Bauweise. Entworfen von herrmann+bosch Architekten, präsentiert sich das Parkhaus in prominenter Lage als Aushängeschild des Otto-Quartiers in direkter Anbindung von Bahnhof, Autobahn und Hauptverkehrsstraße. Der besondere Grundriss des Parkhauses mit seinen abgerundeten Ecken spart sowohl bebaute Grundfläche als auch Baumaterial und zeichnet das fertige Parkhaus später durch eine größere Nutzerfreundlichkeit aus. Um der Kreislauffähigkeit des Gebäudes Rechnung zu tragen, werden keine Verbundmaterialien verwendet und nahezu alle Verbindungen verschraubt ausgeführt. So werden ein einfacher Rückbau, eine sortenreine Trennung und damit die Wiederverwendbarkeit der Materialien garantiert. Die geringen Eigengewichtslasten des Holzbaus ermöglichen die Wahl eines einfachen Tragwerkskonzepts mit praktikabler Umsetzung.
fki210137
2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 137 Kreislaufgerechtes Parkhaus in Holzbauweise - Neubau Parkhaus Schwanenweg Wendlingen Franz Hägele knippershelbig GmbH, Stuttgart Matthias Oppe, Juliane Deubel knippershelbig GmbH, Stuttgart Zusammenfassung In Wendlingen am Neckar entsteht ein neues Parkhaus in Holz-Hybrid-Bauweise. Entworfen von herrmann+bosch Architekten, präsentiert sich das Parkhaus in prominenter Lage als Aushängeschild des Otto-Quartiers in direkter Anbindung von Bahnhof, Autobahn und Hauptverkehrsstraße. Der besondere Grundriss des Parkhauses mit seinen abgerundeten Ecken spart sowohl bebaute Grundfläche als auch Baumaterial und zeichnet das fertige Parkhaus später durch eine größere Nutzerfreundlichkeit aus. Um der Kreislauffähigkeit des Gebäudes Rechnung zu tragen, werden keine Verbundmaterialien verwendet und nahezu alle Verbindungen verschraubt ausgeführt. So werden ein einfacher Rückbau, eine sortenreine Trennung und damit die Wiederverwendbarkeit der Materialien garantiert. Die geringen Eigengewichtslasten des Holzbaus ermöglichen die Wahl eines einfachen Tragwerkskonzepts mit praktikabler Umsetzung. 1. Einführung Unter einem Parkhaus wird in der Regel ein reiner Zweckbau aus Stahl verstanden. In Wendlingen entsteht ein Parkhaus in Holzbauweise, welches als Blickfang und Auftakt zur Stadt fungiert. Das Ingenieurbüro knippershelbig war für die Tragwerksplanung der Konstruktion verantwortlich. Der folgende Beitrag soll Aufschluss darüber geben, wie sich ein konventioneller Zweckbau gleichermaßen ästhetisch und klimagerecht gestalten lässt. 2. Allgemeine Projektbeschreibung 2.1 Ausgangslage Die Stadt Wendlingen am Neckar hat 2020 einen Architekturwettbewerb für den Neubau eines Parkhauses im Schwanenweg ausgelobt. Als Gewinner des Wettbewerbs ging der Entwurf des Stuttgarter Architekturbüros herrmann+bosch hervor (Abb. 1). Das Parkhaus wurde zudem als Projekt für die IBA 2027 der Stadtregion Stuttgart ausgewählt. In unmittelbarer Nähe zum Bahnhof am Ortseingang der Stadt Wendlingen gelegen fungiert es als Blickfang und Auftakt zur Stadt (Abb. 2). Da der Bahnhof Wendlingen an das Nahverkehrsnetz der Stadt Stuttgart angeschlossen ist, hat das Parkhaus eine wichtige Park-&-Ride-Funktion und fördert somit umweltfreundliche Mobilität. Abb. 1: Architektonische Darstellung der Außenansicht (Herrmann+Bosch) Abb. 2: Luftbild des Parkhauses im Vordergrund (knippershelbig) 138 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 Kreislaufgerechtes Parkhaus in Holzbauweise - Neubau Parkhaus Schwanenweg Wendlingen Nordseitig des Gebäudes befindet sich ein historisches Ensemble aus denkmalgeschützten Industriegebäuden, bestehend aus einem Wasserturbinenhaus aus dem Jahre 1886, einer Weberei und einem Kesselhaus. In einem Entwicklungsvorhaben soll hier zukünftig ein urbanes Quartier mit einer Mischbebauung aus Wohnen und Gewerbe entstehen. Für dieses Vorhaben wurde zudem die Forderung gestellt, dass das Parkhaus Schwanenweg als eine 18m hohe Lärmschutzwand agieren soll, sodass die Geräusch- Emissionen von der angrenzenden Bahntrasse und der Straßenbrücke abgeschirmt werden können. 2.2 Architektonischer Entwurf Beim neuen zukunftsweisenden Parkhaus handelt es sich um einen fünfgeschossigen Holzhybridbau mit Treppenhauskernen und einer Gründung aus Stahlbeton. Das Parkhaus mit seinem ovalen Grundriss besteht aus einem Erdgeschoss, vier Obergeschossen sowie einem zentralen Rampensystem (Abb. 3 und Abb. 4). Die ovale Form wurde aufgrund der beengten örtlichen Verhältnisse ausgewählt, und bietet den Vorteil, dass die Grundrissfläche besser ausgenutzt und alle Parkplätze einfach angefahren werden können. Abb. 3: Grundriss EG (Herrmann+Bosch) Bei Außenabmessungen von ca. 57 x 42 m stehen Stellplätze für ca. 350 PKW zur Verfügung. Darüber hinaus befinden sich im Erdgeschoss ein Fahrradparkhaus mit Stellplätzen für ca. 100 Fahrräder, Ladestationen für Elektro-PKW und Elektro-Fahrräder sowie ein Technikraum. Um eine Nachnutzung des Gebäudes zu gewährleisten, wurden die Geschosshöhen mit einer lichten Höhe von 2,35-m, einem konventionellen Parkhaus sind 2,10-m üblich, geplant. Die lichte Geschosshöhe und Stützenfreiheit ermöglichen einen einfachen Umbau des Parkhauses in eine Wohn- oder Gewerbenutzung mit einem natürlich belichteten Innenhof anstelle der mittig angeordneten Fahrrampen. Abb. 4: Gebäudelängsschnitt (Herrmann+Bosch) Das Parkhaus wurde als offene Großgarage in Holzbauweise geplant. Das Dach erhält eine extensive Dachbegründung und eine PV-Anlage, mit der die Elektroladesäulen gespeist werden können. Nordseitig ist das Parkhaus mit einer Schallschutzfassade aus Profilglas geschlossen, um seiner Funktion als Lärmschutzwand gerecht zu werden. Südseitig ist eine Fassadenbegrünung mit Edelstahl-Ranknetzen vorgesehen. Um eine Querlüftung zu gewährleisten, bleiben die Fassadenflächen an der West- und Ostseite geöffnet. Die Geschossdeckenplatten werden mit einem Gefälle von 2-% ausgebildet, um anfallendes Regen- und Spritzwasser nach außen zu leiten. Das Regenwasser wird in einer Zisterne gesammelt und kann zur Bewässerung der begrünten Südfassade genutzt werden. 3. Konstruktion 3.1 Tragwerk Von Beginn der Planung an wurde angestrebt ein Tragsystem zu verwenden, welches sich an ein gängiges Parkhaussystemen aus Stahl anlehnt. Demzufolge wurde eine stützenfreie Konstruktion vorgesehen, um den heutigen Anforderungen an Fahrkomfort, Sicherheit und freie Anordnung der Stellplätze gerecht zu werden. Ausgehend von einer 6- m breiten Fahrbahn mit Stellplätzen von 2,5-x-5 m auf beiden Seiten ergibt sich eine freie Spannweite von 16 m. Die Grundkonstruktion besteht aus Brettschichtholzträgern (BSH), die als Einfeldträger zwischen den Außen- und Innenstützen 16- m stützenfrei spannen. Die aufliegenden Decken aus Brettsperrholz (BSP) können aufgrund des Trägerabstands von 2,5- m auf eine Stärke von 12- cm optimiert werden. Im Radialbereich des Grundrisses werden die Holzträger von innen nach außen aufgefächert (Abb. 5). Um die Spannweite der Decke von 2,5- m nicht zu überschreiten, werden hier zusätzliche Wechselträger benötigt. Die Brettschichtholzträger mit der Höhe von 108-cm und einer Breite von 24-cm verleihen dem Deckensystem ein filigranes Erscheinungsbild. Zudem wirkt sich die Tragwerkshöhe günstig auf das architektonische Konzept aus, da das Parkhaus als Lärmschutzriegel fungieren soll. 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 139 Kreislaufgerechtes Parkhaus in Holzbauweise - Neubau Parkhaus Schwanenweg Wendlingen Abb. 5: Tragenden Holzstruktur im EG (ohne Decke), Treppenhauskerne und Gründung (knippershelbig) Die Rampen im Gebäudezentrum werden als Stahlbetonfertigteile ausgeführt, welche auf den Rampenträgern aus BSH liegen. Die Außen- und Innenstützen, ebenfalls aus BSH, werden mehrgeschossig ausgeführt und sind auf Streifenfundamenten gegründet. Abb. 6: Schematische Darstellung des Trägeranschluss mithilfe eines Steckverbinders (knippershelbig) Der Anschluss der Holzträger an die Stützen erfolgt über Steckverbinder (Abb.-6). Diese Verbindung weist einen hohen Vorfertigungsgrad auf und lässt sich auf der Baustelle schneller montieren. Über einen Anschluss können bis zu 180 kN Bemessungslast übertragen werden. Des Weiteren stellt die ovale Grundrissform eine sowohl statische als auch geometrische Besonderheit dar. In den Radialbereichen laufen die BSH-Träger an den Rampenecken in einem Punkt zusammen. Damit alle Trägeranschlüsse Platz finden, wurde hierfür eine L-Stütze aus blockverleimten BSH entwickelt. Vier von den acht BSH-Trägern schließen direkt über Steckverbinder an die L-Stütze an. Abb. 7: Anschluss der Träger im Radialbereich an L-Stütze (knippershelbig) Die vier Träger im Radialbereich werden an einen Sammelträger angeschlossen, der zwischen den beiden L-Schenkeln spannt. Für den Sammelträger kommt das Furnierschichtholz BauBuche zum Einsatz, da dies eine höhere Festigkeit als BSH aufweist. Die anschließenden Träger werden unterseitig ausgeklinkt und mit einer Querdruckverstärkung auf den Sammelträger aufgelegt (Abb. 7). Ein Sammelträger aus Stahl würde zwar dieselbe Funktion erzielen, erfordert aber zusätzliche Brandschutzbekleidung/ -beschichtung. Die Aussteifung erfolgt über die beiden Treppenhaustürme, welche in die jeweilige lokale Bodenplatte eingespannt sind. Somit entsteht für die Horizontalaussteifung ein klares System ohne weitere Verbände oder sonstige Aussteifungselemente. Horizontalkräfte in den Deckenscheiben werden über die an den Treppenhauskern anschließenden Holzträger eingeleitet. 3.2 Konstruktiver Holzschutz Auf der Oberseite der Holzdecken werden zwei Bitumenbahnlagen verlegt, die Erste vernagelt, die Zweite verschweißt. Anschließend wird als Fahrbahnbelag eine 40-mm dicke Gussasphaltschicht aufgebracht. Die Entstehung von Wasserpfützen wird vermieden, indem die Deckenkonstruktion mit einem Gefälle von 2 % nach außen ausgebildet wird. Durch eine Flüssigabdichtung mit eingelegtem Gewebestreifen wird die Abdichtung der Decke übergangsweise mit den aufgehenden Stützen verbunden. Auf diese Weise sind die Stützen bis zu 25 cm oberhalb des Fertigfußbodens geschützt. Die Stützen werden so gestoßen da- 140 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 Kreislaufgerechtes Parkhaus in Holzbauweise - Neubau Parkhaus Schwanenweg Wendlingen mit das empfindliche Hirnholz der Stützenstöße nicht in der Deckenebene, sondern oberhalb des Spritzwasserbereichs liegt. Die direkt bewitterten Außenstützen werden mit einer hinterlüfteten Verkleidung aus Lärchenholz versehen. Somit sind alle tragenden Holzbauteile nicht direkt bewittert. 3.3 Brandschutz Für die brandschutztechnische Beurteilung wurden die Ausführungsverordnung zur Landesverordnung (LBOAVO) und die Garagenverordnung (GaVO) herangezogen [1], [2]. Im Rahmen des Brandschutzkonzeptes, aufgestellt von brandschutz plus, wurde hier eine Abweichung von der GaVO beantragt [3]. In Diskussion mit der Feuerwehr und dem Landratsamt wurde eine Feuerwiderstandsdauer von 60 Minuten (hochfeuerhemmend) festgelegt. Der Brandschutz des Holztragwerks wird rechnerisch über die Abbrandrate sichergestellt, sodass nach dem Brandereignis der verbleibende Restquerschnitt tragfähig bleibt. Für das Parkhaus wird von einer normalen Brandgefahr und von einer normalen Brandbelastung ausgegangen. Zur Verifizierung dieser Annahme wurde eine Brandsimulation durchgeführt, um die zu erwartende Temperatur in Folge eines PKW-Brandes zu bestimmen. Die durchgeführte Simulation des Brandverlaufes im Parkhaus Schwanenweg diente dem Nachweis, dass diese rechnerische Ermittlung der Abbrandtiefe in Holz durch einen simulierten realen Brandverlauf nicht überschritten wird. Die Simulation zeigt, dass nach ca. 21min die Temperatur nicht mehr ansteigt, da ein thermodynamisches Gleichgewicht mit Brand an den Öffnungen/ Aufgang eintritt (Abb.-8). Die Ergebnisse decken sich mit der Einheitstemperaturkurve und bestätigen für die Holzkonstruktion eine Tragfähigkeit für mindestens 60 Minuten. Abb. 8: Temperaturverläufe an einigen ausgewählten Oberflächen im Parkhaus sowie Einheitstemperaturkurve (ETK), Auszug aus [3] 4. Montage Der Spatenstich für den Rohbau hat am 19.01.2023 stattgefunden. Die Gründung setzt sich aus Einzel- und Streifenfundamenten, zwei lokale Bodenplatten unter den Treppenhaustürmen und Tiefergründungen in Teilbereichen zusammen. Die beiden aussteifenden Kerne, welche zwei Treppenhäuser und einen Aufzug beinhalten sind, ebenso in Massivbauweise hergestellt. Die Montage der Holzbaukonstruktion begann Mitte Juli 2023. Das Richtfest konnte nach nur 3,5 Monate Bauzeit Ende Oktober 2023 gefeiert werden. Abb. 9: Aufrichtung der dreigeschossigen L-Stütze mittels zwei Kränen (knippershelbig) Da der Holzbauanschluss mit dem Steckverbinder eine hohe Präzision bei der Herstellung erfordert, wurde vor der Holzmontage ein Aufmaß der Stützenfußpunkte vor Ort durchgeführt, um die erforderliche Genauigkeit zu erreichen. Zunächst wurden die dreigeschossigen L-Stützen in den Rampenecken gestellt (Abb. 9). Im nächsten Montageschritt wurden die zweigeschossigen Außen- und Rampenstützen montiert. Im Montagezustand wurde das Hirnholz der Stützenköpfe und die Sammelträger aus BauBuche aufgrund ihrer Feuchteempfindlichkeit in Folie eingepackt (Abb. 10). Abb. 10: Eingepackte Stützenköpfe im Montagezustand (knippershelbig) Im Anschluss wurden dann die Holzträger geschossweise eingebaut (Abb. 11). Der Einschub des Steckverbinders wird durch das hohe Eigengewicht der 16m langen Holzträger begünstigt. Im Holzparkhaus Schwanenweg 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 141 Kreislaufgerechtes Parkhaus in Holzbauweise - Neubau Parkhaus Schwanenweg Wendlingen kommen insgesamt ca. 850 Steckverbinder zum Einsatz. Abb.- 12 zeigt die auf den Sammelträger aufliegenden, ausgeklinkten Träger an der L-Stütze. Abb. 11: Einbau der Holzträger (knippershelbig) Abb. 12: Träger in Radialbereich auf Sammelträger aus BauBuche aufgelegt (knippershelbig) Der Holzträgeranschluss an die Aussteifungskerne wurde über im Rohbau vorgesehene Aussparungen realisiert, die nachträglich kraftschlüssig vergossen wurden (Abb.-13). Sowohl Vertikalals auch Horizontalkräfte aus den BSH- Trägern werden über die Schlitzblechkonstruktion mit Stabdübeln an den Massivbau weitergeleitet. Somit konnte auf aufwendige Baustellenschweißung verzichtet und zugleich ein möglichst großer Toleranzausgleich gewährleistet werden. Abb. 13: Anschluss der Holzträger an den Rohbau (knippershelbig) Insgesamt wurden ca. 100 LKW-Ladungen mit Holzelementen auf die Baustelle geliefert, teilweise wurden zwei LKW-Lieferungen pro Tag verbaut. Ein Kreissegment des Parkhauses wurde montagebedingt freigelassen, um die Anlieferung zur vereinfachen und um mit nur einem Kran die ganze Baustelle erreichen zu können (Abb. 14). Abb. 14: Luftbild des Holzparkhauses während der Montage (knippershelbig) Eine ästhetische Besonderheit eines Holzparkhauses ist, dass die vollständige Holzkonstruktion mit Ausnahme der Deckenoberseite im Endzustand sichtbar bleibt (Abb. 15). Dagegen ist in einem mehrgeschossigen Hoch- 142 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 Kreislaufgerechtes Parkhaus in Holzbauweise - Neubau Parkhaus Schwanenweg Wendlingen bau durch Abhangdecken, Leitungsführungen und Trennwände in der Regel nur ein kleiner Anteil der Konstruktion im Endzustand sichtbar. Abb. 15: Ansicht der Dachdecke im Rampenbereich mit Oberlichtern (knippershelbig) 5. Nachhaltigkeitsbetrachtung 5.1 Ökobilanzierung Der Bausektor ist mit einem Anteil von 40 % der größte Verursacher von Treibhausemissionen weltweit. Diese Emissionen entstehen nicht nur in Nutzung und Betrieb von Bauwerken, sondern bei deren Herstellung und bei der Produktion der Baumaterialen als graue Emissionen. Auf dem Weg zum klimaneutralen Bauen ist Planung von emissionseffizienten Bauwerken essenziell. Bereits in der Vorentwurfsphase wurde die erste Ökobilanzierung durchgeführt und diese einem konventionellen Stahlparkhaus gegenübergestellt. Berücksichtigt wurden die Emissionen aus der Herstellungs- und Entsorgungsphase. Zur Quantifizierung sämtlicher verursachter Treibhausgasemissionen, die innerhalb des gesamten Lebenszyklus des Bauwerks entstehen, wird der Umweltindikator „Treibhauspotenzial“ (Global Warming Potential = GWP) erfasst und in CO 2 -Äquivalenten (CO 2 e) angegeben. Daraus ergibt sich bei der Holzvariante eine Einsparung von ca. 1.350 to CO 2 e gegenüber der Stahlvariante (Abb. 16). Abb. 16: Ökobilanzierungsvergleich zwischen Holz- und Stahlparkhaus in der Vorentwurfsphase (knippershelbig, herrmann+bosch) Nach Fertigstellung des Tragwerks wurde eine präzisere Ökobilanzierung durchgeführt. Berücksichtigt wurden die folgenden Lebenszyklusphasen: Herstellung (A1-A3), Transport (A4), Abfallbewirtschaftung und Deponierung (C3, C4). Eine Zusammenfassung des Ergebnisses kann Tab. 1 und Abb. 17 entnommen werden. Beton und Stahlbewehrung machen knapp 40 % des gesamten GWP aus. Zusätzlich ist zu erkennen, dass die Verbindungsmittel ebenfalls einen hohen Einfluss auf das GWP ausüben können, in diesem Fall fast 15 % des gesamten Tragwerks. Tab. 1: Treibhauspotenzial in den Lebenszyklusphasen A1-A4 und C3-C4, sortiert nach Material, in to. CO 2 e Material Phase Summe A1-A3 A4 C3, C4 Holz -1617 26 1969 379 Beton 224 7 22 253 Bewehrung 60 3 0 63 Verbindung 115 - - 115 Summe -1218 36 1991 809 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 143 Kreislaufgerechtes Parkhaus in Holzbauweise - Neubau Parkhaus Schwanenweg Wendlingen Abb. 17: Anteile der Materialien am gesamten GWP in den Phasen A1-A4, C3, C4 (knippershelbig) Basierend auf dem SCORS-Bewertungssystem (Structural Carbon Rating Scheme) kann das Holzparkhaus Wendlingen mit einer flächenbezogenen GWP von 84-kgCO 2 / m² als A+. eingestuft werden [4]. 5.2 Parkhaus als Materiallager der Zukunft Cradle-to-Cradle ist ein Konzept, auf das in der Kreislaufwirtschaft häufig Bezug genommen wird. Dabei wird die Abfallphase (C3, C4) im Lebenszyklus des Gebäudes durch den Wiederverwendungsprozess (D) ersetzt. Einzelbauteile, aus denen ein Gebäude entsteht, werden für ein anderes Produkt wiederverwendet, und kehren somit in einen neuen Lebenszyklus zurück. Um als Materiallager der Zukunft zu fungieren, muss jedes Bauteil leicht und rückstandsfrei demontierbar und hinsichtlich der mechanischen und konstruktiven Eigenschaften eindeutig identifizierbar sein. Während der Projektentwicklung wurde angestrebt, das Tragwerk möglichst leicht montierbar und zerstörungsfrei demontierbar zu konstruieren. Somit wurde das Parkhaus als sortenreine Konstruktion ohne die Verwendung von Verbundmaterialien entworfen (Abb. 18). Darüber hinaus wurden die meisten Verbindungen entweder gesteckt oder geschraubt ausgeführt. Nach der Erstnutzung am Erstellungsort könnte das Tragwerk an einem anderen Ort ggf. in variierter Konfiguration wieder errichtet werden. Gegenwärtig befindet sich der Markt und die Technologien zur Wiederverwendung von Bauteilen noch in der jungen Entwicklungsphase. Hier sind jedoch Fortschritte zu erwarten, um das Potential in Zukunft vollständig ausschöpfen zu können. Abb. 18: Sortentrennung der tragenden Bauteile (knippershelbig) 6. Fazit Parkhäuser sind häufig Zweckbauten ohne Anspruch auf Ästhetik. Hier in Wendlingen ist es gelungen, ein Parkhaus mit einem hohen Anspruch an Gestaltung, Nutzerfreundlichkeit und Nachhaltigkeit umzusetzen. Als Teil der Quartiersentwicklung bildet das Holzparkhaus Wendlingen mit seiner attraktiven und nachhaltigen Konstruktion eine identitätsstiftende, städtebauliche Marke. 7. Projektbeteiligte Bauherr Stadt Wendlingen am Neckar Architekt herrmann+bosch, Stuttgart Tragwerksplanung knippershelbig, Stuttgart Brandschutz brandschutz plus, Berlin HLS-Planung H+H Planung, Uhingen Beratung Holzbau Design-to-Production, Zürich Rohbau Brodbeck, Metzingen Holzbau Pletschacher, Dasing Holzbau Montage dieholzbox, Gyhum-Hesedorf 8. Verweise [1] Allgemeine Ausführungsverordnung des Wirtschaftsministeriums zur Landesbauordnung, 2010. [2] Verordnung des Wirtschaftsministeriums über Garagen und Stellplätze (Garagenverordnung), 2020. [3] „Brandschutznachweis Parkhaus Schwanenweg Gutachten Nr. 412200,“ brandschutzplus GmbH, 2022. [4] „Setting carbon targets: an introduction to the proposed SCORS rating scheme,“ The Structural Engineer, Bd. 98, Nr. 10, 2020.
