Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau
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Erkennen und Beurteilen typischer Schwachstellen und Schadensbilder von Mauerwerk des 19. und 20. Jahrhunderts
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Claudia Neuwald-Burg
Die Materialeigenschaften von Mauerwerk verändern sich im Laufe der Zeit. Feuchte, Salze und mechanische Beanspruchungen zerstören partiell das Gefüge von Mauersteinen und Mörteln und setzten ihre Festigkeiten herab. Auch Konstruktionsfehler aus der Bauzeit, spätere Umbauten oder Reparaturen mit ungeeigneten Materialien können sich auf Dauer auf die Tragfähigkeit von Bauteilen aus Mauerwerk auswirken. An Beispielen zeigt der Beitrag besonders kritische Punkte auf, die bei der Bewertung verschiedener Mauerwerkarten des 19. und 20. Jahrhunderts besonders berücksichtigt werden müssen.
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2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 151 Erkennen und Beurteilen typischer Schwachstellen und Schadensbilder von Mauerwerk des 19. und 20. Jahrhunderts Dipl.-Ing. Claudia Neuwald-Burg Fraunhofer-Informationszentrum Raum und Bau IRB, Stuttgart Zusammenfassung Die Materialeigenschaften von Mauerwerk verändern sich im Laufe der Zeit. Feuchte, Salze und mechanische Beanspruchungen zerstören partiell das Gefüge von Mauersteinen und Mörteln und setzten ihre Festigkeiten herab. Auch Konstruktionsfehler aus der Bauzeit, spätere Umbauten oder Reparaturen mit ungeeigneten Materialien können sich auf Dauer auf die Tragfähigkeit von Bauteilen aus Mauerwerk auswirken. An Beispielen zeigt der Beitrag besonders kritische Punkte auf, die bei der Bewertung verschiedener Mauerwerkarten des 19. und 20. Jahrhunderts besonders berücksichtigt werden müssen. 1. Erhalten oder Abreißen Das Bauen im und mit dem Bestand ist heute ein wichtiges Aufgabenfeld. Die technologischen Grundlagen für die Erhaltung und Instandsetzung historischer Bausubstanz wurden in großen Forschungsprojekten zwischen 1980 und 2000 erforscht. Der Fokus lag damals auf denkmalgeschützten Bauwerken. Heute gelten Bestandsgebäude generell als erhaltenswert, weil ein nachhaltiger Umgang mit dem Gebäudebestand einen erheblichen Beitrag zur Reduzierung der CO 2 -Emissionen leisten kann. Dennoch spielt das Themenfeld in der Ausbildung von Architekten und Ingenieuren noch keine sehr große Rolle und Fachplaner mit Kenntnissen sind rar. Der einzige Masterstudiengang zur Altbauinstandsetzung in Baden-Württemberg am KIT wurde kürzlich eingestellt. Auch die Forschung konzentriert sich auf neue Themen. Dabei sind auch beim Bauen im Bestand viele neue Fragen zu klären, wenn Gebäude erhalten, umgeplant und weiterentwickelt werden sollen. An einigen Beispielen soll im Folgenden gezeigt werden, dass schon der Baustoff Mauerwerk viele Facetten hat. Fast drei Viertel aller Gebäude und Wohnungen in Deutschland entstanden erst nach 1950, die meisten davon in den 1960er und 1970er-Jahren [1]. Dennoch betreffen Bauaufgaben im Bestand vielfach auch Gebäude aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert, weil deren kultureller Wert in der Öffentlichkeit als besonders hoch eingeschätzt wird [2]. Obwohl gerade Wohngebäude aus der sogenannten Gründerzeit eine Reihe von konstruktiven Schwächen haben, steht ein Abriss selbst bei nicht denkmalgeschützten Gebäuden nicht so schnell zur Debatte wie bei Gebäuden jüngeren Datums mit ähnlichem Erhaltungszustand. (Abb. 1), [2, S. 23]. Abb. 1: Schwachstellen an den Außenwänden von Wohngebäuden aus der Gründerzeit: Sockel, Fassadenschmuck, Balkone. 2. Mauerwerk der Gründerzeit Viele heute erhaltene Gebäude aus der Gründerzeit haben einen repräsentativen Charakter. Ihrer Planung, der Bauausführung und der Auswahl der Baustoffe wurde große Aufmerksamkeit gewidmet. Gebäude aus dieser Zeit sind dennoch von altersbedingten Schäden betroffen sein, die durch lange Nutzung und mangelnden Bauunterhalt entstanden sind. Einen Eindruck von den typischen Schwachstellen dieser Gebäude vermittelt ein 2002 verfasster Bericht der Kultusministerkonferenz über die Instandsetzung von zehn gründerzeitlichen Schulgebäuden [3]. Zwischen 1860 und 1920 wurden in ganz Deutschland vielerorts relativ ähnliche Schulgebäudetypen errichtet, regional unterschiedlich auch in Bruchstein, hauptsächlich als massive Ziegelbauten oder als Ziegelbauten mit Außenwänden aus Hohlmauerwerk. Die Wandstärken variierten je nach Ziegelformat (z. B. Reichsformat 25/ 12/ 6,5 cm) und den statischen Vorschriften. Im Erdgeschoss betrugen die Außenmauerwerkstärken etwa 64 bis 51 cm, darüber 51 bis 38 cm. Die tragenden Innenwände hatten eine Stärke von 38 bis 25 cm. Nichttragende Innenwände wurden aus Ziegelmauerwerk mit einer Stär- 152 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 Erkennen und Beurteilen typischer Schwachstellen und Schadensbilder von Mauerwerk des 19. und 20. Jahrhunderts ke von 12 cm oder mehr gebaut, teilweise wurden dafür auch ungebrannte Ziegel verwendet. Auch leichte Wände aus Drahtputz oder Gipsdielen (ca. 7 bis 12-cm) waren üblich. Natursteinmauerwerk wurde in den Fundamenten und für die Bauzier verwendet. Beliebte Schmuckelemente zur Fassadengliederung waren auch Putzflächen, die mit regional unterschiedlichen Techniken ausgeführt wurden. Bei allen Sanierungsbeispielen stellten die Außenwände Schadenschwerpunkte dar. Ihre Instandsetzung bildete mit 27-42 % der Gesamtbaukosten die größte Kostengruppe [2, S. 84]. Die meisten Instandsetzungsmaßnahmen an Mauerwerk betrafen feuchtebedingte Schäden: • In einem Fall hatte Wasserzutritt durch schadhafte Dachanschlüsse zu Feuchteschäden und Schwammbildung im Mauerwerk geführt, was besondere konservatorische Maßnahmen erforderlich machte. • Bei einem der zehn Modellbeispiele waren Maßnahmen zur Trocknung und Salzreduktion notwendig. • In einem Fall musste die Außenabdichtung des Kellermauerwerks komplett erneut und eine Horizontalsperre eingebaut werden. • In allen Fällen waren Fassadensanierungen erforderlich. Dabei sollte das historische Erscheinungsbild erhalten bleiben. Die Maßnahmen umfassten immer auch eine Reinigung. Bei den Fassaden mit Naturstein waren Natursteinersatz, steinkonservatorische Arbeiten, Festigungen und Hydrophobierungen durchzuführen. • Verwitterte Putzflächen mussten instandgesetzt werden. • Zum Feuchteschutz waren Blechabdeckungen nötig. Statische Ertüchtigung bzw. ingenieurtechnische Sicherungen, z. B. durch Vernadeln und Injizieren, waren an den zehn Modellbeispielen nicht notwendig. Die Wandauf bauten sind in der Regel robust. Schäden werden teilweise durch Lastumlagerungen ausgeglichen. Mitunter kommt es dabei zu Rissen. Ein solches Beispiel zeigt das umfassend modernisierte Wohnhaus in Abb. 2. Zur Anpassung an modernen Wohnkomfort wurden Balkone und ein Aufzug installiert. Für die neuen Austritte und zwei Fenster in der ursprünglich fensterlosen Südfassade wurden das Mauerwerk der Außenwände durchbrochen. Der verwendete Sandstein ist nicht sehr witterungsbeständig, ein Außenputz deshalb von Vorteil. Die rückseitigen Fassaden waren deshalb bereits zur Bauzeit verputzt. Im Zuge des Umbaus wurde der Putz stellenweise erneuert. Bald nach Fertigstellung des Umbaus traten jedoch Risse im Bereich der Balkone auf (Abb. 2). Ein Jahr später entstanden auch an der Südfassade Risse. Diese Risse verliefen unregelmäßig horizontal und diagonal über die Fassade und hatten ihren Ursprung an den Ecken der neuen Fensteröffnungen. Die vertikalen Risse betrafen die gesamte Gebäudehöhe an der südlichen Ecke der Westfassade und lagen in etwa an der Stelle, an der die Giebelwand einbindet. Vertikale Risse an den Ecken einer Giebelwand können ein Hinweis auf eine Gefahrensituation sein und sollten immer abgeklärt werden. Die Aussteifung bzw. der Zustand der Verankerung des Giebels sollte auf jeden Fall überprüft werden. Besteht der Verdacht, dass Verankerungen fehlen oder schadhaft sind, muss dem nachgegangen werden. Abb. 2: Wohnhaus von 1906 mit vertikalen Rissen an der südlichen Gebäudeecke (Risse nachgezeichnet). Hier erfolgte zur Untersuchung der Rissursachen zunächst durch Inaugenscheinnahme des Rissverlaufes, eine einfache Rissbreitenmessung mit einer Rissschablone sowie ein Abklopfen des Putzes auf Hohllagen. Da die vertikalen Risse bereits kurz nach Fertigstellung des Umbaus reklamiert worden waren, lagen bereits Rissbreitenmessungen vor. Im Vergleich zu diesen, ein Jahr zurückliegenden Messungen, hatten sich die Rissbreiten nicht verändert. Im gerissenen Bereich lag der Putz an vielen Stellen hohl. Raumseitig war die Außenwand in allen Geschossen zugänglich. Da sie nicht verputzt, sondern mit einer dünnen Schlämme gestrichen war, konnte der Mauerverband gut untersucht werden und es konnte festgestellt werden, dass West- und Südwand an der Ecke gut verzahnt und rissfrei waren. Es gab keine Anzeichen für eine Ablösung. Das Außenmauerwerk bestand aus Bruchsteinen sehr unterschiedlicher Größe mit dicken, unregelmäßigen Mörtelfugen. Aufgrund ungünstiger Steinformate war das Überbindemaß stellenweise gering und es ergaben sich über mehrere Lagen durchgehende Stoßfugen. 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 153 Erkennen und Beurteilen typischer Schwachstellen und Schadensbilder von Mauerwerk des 19. und 20. Jahrhunderts Wegen der bruchrauen Steinoberflächen und dem unregelmäßigen Fugenschluss war die Wandoberfläche sehr uneben. Am südlichsten Mauerpfeiler befand sich zudem ein Bereich aus Ziegelmauerwerk. Möglicherweise wurde ein Teil der Wand an der Gebäudeecke nach einer Zerstörung in der Vergangenheit mit Ziegelmauerwerk repariert. Ein ungleichmäßiges Mauerwerk bildet einen ungünstigen Putzgrund: Ziegelmauerwerk verformt sich anders als Bruchsteinmauerwerk, fehlendes Überbindemaß oder durchgehende Stoßfugen begünstigen Rissbildung, weil Spannungen nicht gleichmäßig verteilt werden. Auf unebenen Bruchsteinflächen mit unregelmäßigem Fugenschluss treten zudem zwangsläufig sprunghafte Änderungen der Putzdicke auf, an denen Spannungen schlecht abgebaut werden können. An der Außenecke war die Wand im Verband mit der rechtwinklig angrenzenden Wand gemauert und daher in dieser Wandstärke (ca. 50 cm) steifer als im übrigen Bereich. Aufgrund dieser Steifigkeitsverteilung und der ungleichmäßigen Belastung kam es bereits bei der Errichtung des Gebäudes zu Setzungsunterschieden im Mauerwerk. Die Deckenlasten werden über die Wandpfeiler der Westwand abgetragen, während die Südwand im Wesentlichen nur das Eigengewicht trägt. Bei der letzten Sanierung wurde das Brüstungsmauerwerk unter den Fenstern zur Schaffung der Austritte auf die Balkone entfernt. In der Folge fanden noch einmal Spannungsumlagerungen statt, die zu vertikalen Verformungen im Mauerwerk geführt haben. Mauerwerk kann Verformungen normalerweise gut aufnehmen, wenn es in einem guten Verband ausgeführt wurde. Fehlt hingegen eine gute Verzahnung, kommt es innerhalb der Wand zu ungleichmäßigen Setzungen. Im Putz sind diese Verformungen sofort sichtbar. Abb. 3: Südfassade (Hauptrisse nachgezeichnet). Auch die Risse in der Südfassade wurden untersucht. Hier waren im oberen Fassadenabschnitt (3. OG) keine Risse sichtbar. Im 2. OG verlief ein auffälliger Vertikalriss fast mittig unter der Fensteröffnung. Im Putz waren beidseitig von den Ecken der Maueröffnung ausgehende Putzüberarbeitungen erkennbar (Abb. 3]. Am unteren Fenster gingen von den Ecken der Maueröffnung Kerbspannungsrisse aus, die sich als Fugenrisse horizontal und vertikal fortsetzten. Die größte Rissbreite (0,8 mm) wurde an dem vertikalen Rissfortsatz neben dem unteren Fenster gemessen. Der Putz hat sich im gerissenen Bereich vom Untergrund gelöst. Des Weiteren waren in der Putzfläche zahlreiche Haarrisse zu finden, die meist dem vermuteten Fugenverlauf folgen. Schäden durch Feuchteeintrag waren noch nicht zu erkennen. Die Risse in der Südfassade stehen nicht im Zusammenhang mit den Rissen an der Westwand, sondern sind auf eine Kombination aus thermischen Verformungen und Unregelmäßigkeiten im Putzgrund zurückzuführen. Eine rissfreie ebene Putzoberfläche auf einer größeren Bruchsteinoberfläche nur durch eine sehr aufwendige Untergrundvorbereitung oder durch eine vollständige Entkopplung des Putzes vom Mauerwerk zu erreichen. Günstiger als ebene Putzflächen verhalten sich gleichmäßig dick aufgebrachte Putzschichten oder Schlämmen, die den Verformungen des Untergrundes besser folgen. Zur Herstellung einer ebenen Putzoberfläche müssten die unebenen Steinoberflächen und die unregelmäßigen, oft nicht bündig verfüllten Stoß- und Lagerfugen vorher mit einem passenden Mörtel ausgeglichen werden. Das ist mit dem vorhandenen Putzauf bau nicht gelungen. Der Putz kann Verformungen nicht ausgleichen und reißt an empfindlichen Stellen wie den Maueröffnungen, Änderungen in der Dicke der Putzschicht an nicht ausgefüllten oder dicken Fugen sowie an Hohllagen, an denen die Verformungen nicht kontinuierlich über die Fläche in den Putz eingeleitet werden. Arbeiten an denkmalgeschützten Gebäuden werden idealerweise von Fachleuten begleitet und ausgeführt. Besondere Sorgfalt ist bei der Auswahl der Instandsetzungsmaterialien geboten. Dies gilt nicht nur für stark verzierte Schmuckfassaden, sondern für jedes Mauerwerk. Neue Baustoffe müssen in ihren Materialeigenschaften auf den Bestand abgestimmt sein, sonst sind Reparaturen bestenfalls nicht dauerhaft, schlimmstenfalls schädlich. 3. Siedlungsbauten der 1930er-Jahre Der Wohnungsbau der Zwischenkriegszeit war durch einen Mangel an Baumaterialien gekennzeichnet. Zwar waren die Baustoffe inzwischen genormt, aber es musste verbaut werden, was vorhanden war. Auch Ziegelreste und Abbruchmaterial wurden verwendet. Dennoch sind viele dieser Bauten bis heute erhalten geblieben und werden weiter genutzt. Im Zuge der notwendigen energetischen Sanierung werden sie vielerorts umfassend umgebaut und aufgestockt. Im Idealfall werden die zusätzlichen Lasten bei ausreichender Tragfähigkeit vom bestehenden Mauerwerk aufgenommen. Gegenüber einer additiven Tragkonstruktion können in diesem Fall er- 154 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 Erkennen und Beurteilen typischer Schwachstellen und Schadensbilder von Mauerwerk des 19. und 20. Jahrhunderts hebliche Kosten eingespart werden. Für den Tragfähigkeitsnachweis müssen die Materialfestigkeiten überprüft werden. Es ist ratsam, sich nicht allein auf eventuell vorhandene Bauakten zu verlassen, sondern die tatsächlichen Materialfestigkeiten und Wandkonstruktionen ausreichend genau zu überprüfen. Abb. 4: Teil einer Wohnanlage aus den 1930er-Jahren. Am Außenmauerwerk der Wohnanlage in Abb. 4 zeigten Bauteilöffnungen eine handwerkliche Ausführung, die nicht der heutigen Norm entsprach. Auffällig waren die sehr dicken Lagerfugen und die Verwendung unterschiedlicher Ziegelarten (Abb. 6). Unklar war zunächst der Verband. Im Erdgeschoss und Keller fanden sich durchgemauerte Querschnitte, aber im 2. OG lag zumindest punktuell ein Hohlmauerwerk vor (Abb. 7). Diese Mauerwerksart wird in [3] beschrieben, ohne weitere, größere Bauteilöffnungen konnte am Bauwerk jedoch nicht festgestellt werden, wie viele Bindersteine die Schalen verbanden und welche Bereiche der Außenwände als Hohlmauer ausgeführt waren. Abb. 5: Bauteilöffnung zur Materialentnahme und Untersuchung des Mauerverbands Abb. 6: Dicke Lagerfugen und verschiedene Ziegelarten Abb. 7: Hohlmauerwerk mit 6 cm Spalt in Teilen der Fassade Um genauer zu verstehen, wie die Außenwände aufgebaut und die Schalen miteinander verbunden waren, entschied man sich, eine flächige Erkundung mittels Georadar durchzuführen [5]. Die Untersuchungen führten das Ingenieurbüro Patitz und die Gesellschaft für Geophysikalische Untersuchungen Karlsruhe aus. Folgende Fragestellungen sollten beantwortet werden: • Kontrolle der Schalenanbindung im Bereich des Hohlmauerwerks, • Anzahl und Lage der Binder und deren Einbindetiefe • Lage/ Geschossebene des Übergangs vom Blockzum Hohlmauerwerk? • konstruktive Unterschiede in den untersuchten Wandbereichen. Zusätzlich bot sich an, auch die Einbindung der Geschossdecken und Treppenpodeste zu untersuchen sowie die Lage und die Ausbildung von Ringbalken. Vom Tragwerksplaner wurden zwei Messfelder vorgegeben. Zusätzlich wurde eine Referenzfläche im EG untersucht, deren Auf bau in aus den Voruntersuchungen bekannt war. Die Untersuchung der Messfelder durch erfolgte vom Gerüst aus mit einer hochauflösenden Anten- 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 155 Erkennen und Beurteilen typischer Schwachstellen und Schadensbilder von Mauerwerk des 19. und 20. Jahrhunderts ne, die händisch an vertikalen und horizontalen Messprofilen über die Wandoberfläche geführt wurde. Insgesamt wurden auf diese Weise 60-m² Außenmauerwerk untersucht. Für die Ermittlung der Bindersteine wurden auf einer Fläche von ca. 2-m² horizontale Messlinien im Abstand von 5-cm aufgenommen. Abb. 8: Handgeführte, hochfrequente Radarantenne Die Radardaten wurden punktuell mit Probebohrungen und Endoskop-Untersuchungen verglichen, sodass sich daraus sehr eindeutige Aussagen ableiten ließen. Die Ergebnisse zeigten eindeutig, dass in den Erdgeschossen regelmäßige, durchgemauerte Ziegelverbände vorlagen. Im 1. OG war bei Voruntersuchungen im Treppenhausbereich Hohlmauerwerk festgestellt worden. Im Bereich der Messfelder konnte Hohlmauerwerk durch die Radaruntersuchung jedoch mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Im 2. OG lag nach den Voruntersuchungen kein durchgehender Mauerwerksverband vor. In den Radardaten war jedoch auch nicht die erwartete Luftschicht zu erkennen. Die Wand bestand aus zwei Schalen aus Ziegelmauerwerk im Läuferverband und einer mineralischen Verfüllung (Ziegelstücke und Mörtel). Aufgrund der mineralischen Verfüllung des Spaltes konnten in den Radargrammen keine Bindersteine nachgewiesen werden. Das Ziel der Untersuchung, die Anbindung der Schalen zerstörungsfrei zu verifizieren, konnte nicht erreicht werden, es mussten dazu weitere Probefelder geöffnet werden. Nachgewiesen werden konnte hingegen, dass in den Deckenebenen keine Randbalken vorhanden waren. Beim Umbau von Bestandsbauten dieser Größe können Voruntersuchungen nicht alle Bauteile lückenlos abdecken. Untersucht wurden exemplarische Bauteile, die nach Augenschein repräsentativ für das tragende Mauerwerk waren. Äußerlich gab es an den übrigen Häusern der Siedlung keine Hinweise auf unterschiedliche Bauarten oder Materialien. Allerdings lagen widersprüchliche Aussagen von Zeitzeugen zu Beschädigungen durch Bombenangriffe während des Krieges vor. Es ist zumindest nicht vollständig auszuschließen, dass Reparaturen mit Trümmerziegeln oder minderwertigem Ersatzmaterial erfolgt sind. Auch bauzeitlicher „Pfusch“ oder nachträglich angelegte Leitungsschlitze können die tragenden Querschnitte beeinträchtigen. Um sicherzustellen, dass die Bausubstanz einheitlich ist, wurden im Laufe der weiteren Arbeiten kleine Probefenster oder besser „Gucklöcher“ von 5-cm Durchmesser mithilfe einer Bohrkrone freigelegt (Abb. 9) und die Qualität der Mauersteine durch Messungen mit dem Schmidthammer überprüft. Auf diese Weise konnten sehr schnell viele Stichproben erfolgen. Es wurden ausschließlich Ziegel als Mauersteine vorgefunden. Die Prüfwerte gaben keine Hinweise auf stark unterschiedliche Steinfestigkeiten. Das Verfahren wurde jedoch nur für qualitative Untersuchungen verwendet. Zur Bestimmung der Steindruckfestigkeitsklasse wurden systematisch Ziegel entnommen und im Labor geprüft. Abb. 9: „Putzfenster“ und freigelegte Stoßfuge zur Prüfung des Verbands 4. Kellermauerwerk Ein wesentlicher Problempunkt bei alten Bestandsgebäuden sind die Keller. Sie dienten ursprünglich der Lagerung von Lebensmitteln und waren gut belüftet. Das Mauerwerk war unverputzt oder mit Kalkputz versehen. Feuchte aus fehlender Abdichtung, und Kondenswasser konnte abtrocknen Abb. 10. Heute werden diese Keller bisweilen ohne bauphysikalische Überlegungen für die unterschiedlichsten Aktivitäten genutzt und ausgebaut. Dabei werden oft ungeeignete Putze verwendet, dichte Fenster eingebaut usw. Abb. 11. Vor Aufstockungen muss oft daher unbedingt das Kellermauerwerk untersucht und instandgesetzt werden. Bei der Häuserzeile in Abb. 12 lässt sich von der Straße aus sehen, welche Keller ausgebaut wurden. Über den unverputzten Kellern ist der Außenputz intakt. In den verputzten Wänden wird Feuchte transportiert und führt über dem Sperrputz der Außenwand zur Ablösung von Farb- und Putzschichten. 156 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 Erkennen und Beurteilen typischer Schwachstellen und Schadensbilder von Mauerwerk des 19. und 20. Jahrhunderts Abb. 10: Bei diesem Keller mit unverputzter Außenwand ist das Ziegelmauerwerk in gutem Zustand. Abb. 11: Kellermauerwerk mit Feuchte und Salzschäden unter Kalkzementputz Abb. 12: An den Putzschäden (Pfeile) war ablesbar, wo Kelleraußenwände verputzt und wo unverputzt waren. 5. Verblendmauerwerk der 1960er-Jahre Ein Beispiel für Schäden an Verblendmauerwerk der 1960er Jahre haben Burkert und Sieb in [7] ausführlich vorgestellt. Eher durch Zufall kam bei der energetischen Instandsetzung eines Geschosswohnungsbaus ein Mischmauerwerk mit schweren handwerklichen Ausführungsmängeln zutage (Abb. 13 und Abb. 14). Solche Fälle sind eher die Ausnahme, aber offensichtlich nicht auszuschließen. Nichts in den bauzeitlichen Bauunterlagen hatte auf einen solchen Befund hingedeutet, er kam erst bei der Ausführung zutage. Die Sanierungsmaßnahme musste abgebrochen und völlig neu geplant werden. Hier musste die Verblendschale vollständig abgenommen werden und zuerst ein Teilaustausch der Hintermauerung erfolgen, bevor ein Wärmedämmsystem aufgebracht werden konnte. Das Beispiel zeigt deutlich, dass eine Beurteilung der Bauwerksqualität allein aus den Bauakten auch bei neueren Bestandsbauten nicht möglich ist. Jedes Bauwerk ist individuell zu untersuchen, vor Ort und nicht nur vom Schreibtisch aus. Die Untersuchungen sollten frühzeitig erfolgen. Übereilt geplante Maßnahmen verstellen den Blick auf die Bauwerksituation. Abb. 13: Wohnhochhaus aus den 1960er-Jahren mit hinterlüfteter Klinkerfassade [6] Abb. 14 [6]: Nach den Bauunterlagen sollte hier nur Kalksandstein vermauert sein. Das Beispiel verdeutlicht die Bedeutung sorgfältiger Voruntersuchungen für effiziente Bauabläufe. Beim Bauen im Bestand lassen sich Kosten sparen: Transport- und Materialkosten sowie die Kosten für Abbruch und Entsorgung entfallen, wenn Altbauten erhalten und umge- 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 157 Erkennen und Beurteilen typischer Schwachstellen und Schadensbilder von Mauerwerk des 19. und 20. Jahrhunderts baut werden. Diesen Kostenvorteilen stehen allerdings höhere Aufwendungen für die Planung einschließlich der Voruntersuchungen gegenüber, die aufgewendet werden müssen, um vermeintlich unvorhersehbare Risiken zu minimieren. Dafür ist nicht nur bei Bauherren ein Umdenken nötig. In einer Kommunalumfrage und Umfrage bei den planenden Berufen zum Baukulturbericht gaben nur 17 % der Kommunen Risiken durch Unvorhergesehenes als möglichen Grund für Abriss an, aber 41 % der Planer. Mehr Umbau wäre zu wünschen, denn Studien legen nahe, dass sich allein durch Aufstockung von Wohngebäuden aus den 1950er bis 1980 Ger Jahren in Deutschland mehr als eine Millionen Wohneinheiten schaffen ließen [2, S. 69]. Literatur [1] Statistische Ämter des Bundes und der Länder (Hg): Zensus 2011. Gebäude- und Wohnungsbestand in Deutschland. Endgültige Ergebnisse. URL: https: / / ergebnisse2011.zensus2022.de/ (abgerufen am 20.04.2024). [2] Bundesstiftung Baukultur (Hg.): Baukultur Bericht 2022/ 23. Neue Umbaukultur (2022). 1. Auflage. Berlin: (Baukulturbericht, 2022/ 23). PDF Download von www.bundesstiftung-baukultur.de am 24.04.2024. [3] Sekretariat der Kultusministerkonferenz; Zentralstelle für Normungsfragen und Wirtschaftlichkeit im Bildungswesen: Modernisierung von Schulbauten der Baujahre 1860-1920. Beispiele und Planungshinweise. Berlin, 2002. [4] Ahnert,- R.; Krause,- K.- H.: Typische Baukonstruktionen von 1860 bis 1960. Zur Beurteilung der vorhandenen Bausubstanz. Berlin: Verl. Bauwesen; Huss; Beuth, 2000. [5] Patitz,- G.: Altes Mauerwerk zerstörungsarm mit Radar und Ultraschall erkunden und bewerten. Bauphysik-Kalender 2012, Verlag Ernst & Sohn Berlin. [6] Burkert, T.; Ziep, S.: Bewertung und Instandsetzung von Verblendmauerwerk an einem Wohnhochhaus der 1960er-Jahre. In: Wigger, H. (Hg.) (2024): Mauerwerk aus künstlichen Steinen. Tragfähigkeit im Bestand bewerten. Wissenschaftlich-Technische Arbeitsgemeinschaft für Bauwerkserhaltung und Denkmalpflege; (BAUSUBSTANZ Thema, 3), S.-80-95.
