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Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau
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expert verlag Tübingen
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Weiternutzen oder Wiederverwenden? – Kriterien für den Umgang mit altem Ziegelmauerwerk

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2024
Sylvia Stürmer
Claudia Neuwald-Burg
Der Artikel befasst sich mit den Möglichkeiten für die Weiterverwendung und Wiederverwendung von Ziegeln und -mauerwerk aus bestehenden Gebäuden – als ein wertvoller Beitrag zur Nachhaltigkeit und Kreislauffähigkeit. Für die Weiternutzung ist entscheidend, dass die Tragfähigkeit und die Dauerhaftigkeit sichergestellt sind. Die Entscheidung über die Weiternutzung von Mauerwerk, Mauerwerksteilen oder Abbruchziegeln muss immer auf die individuelle Situation des Gebäudes, seine Umgebung, Nutzung und die klimatischen Randbedingungen abgestimmt werden. Die Autorinnen zeigen Beispiele und erläutern, welche technischen Regelwerke für die Bewertung verwendet werden können. Für die Wiederverwendung von Ziegeln werden Prüf- und Bewertungsmethoden vorgestellt.
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2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 213 Generalsanierung der Heini-Klopfer-Skiflugschanze - Herausforderungen und innovative Lösungen 7. Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit Die Schanzenanlage liegt in das bestehende Gelände eingebettet im landschaftlich reizvollen Stillachtal, umgeben von den Allgäuer Bergen. Die gesamte Umbaumaßnahme bewegte sich im alten Baufeld, wodurch keine weiteren Flächen erschlossen werden mussten, und der gesamte Baumbestand erhalten werden konnte. Trotz der geänderten Anforderungen an eine moderne Skifluganlage mit neuen Parametern wurde im Rahmen der Profilplanung die maximale Einbeziehung des Bestandes angestrebt. Durch das Aufsetzen der neuen Anlaufgeometrie auf das bestehende Spannbetonbauwerk und der detaillierten Nachrechnung konnte einerseits eine ressourcenschonende Umsetzung der Baumaßnahme erreicht werden, andererseits aber auch das beeindruckende Spannbetonbauwerk nicht nur erhalten, sondern auch für weitere Jahrzehnte nutzbar gemacht werden. Neben der bei der Umsetzung berücksichtigten Umweltverträglichkeit unterstreicht nicht zuletzt die ganzjährige touristische Nutzung die gesteigerte Nachhaltigkeit. Der Rückbau und Neubau hätten neben einer deutlich längeren Planungs- und Genehmigungszeit um ein Vielfaches höhere Kosten verursacht. Darüber hinaus wären bei der Bauausführung umfassendere Eingriffe in das Areal erforderlich gewesen. Mit Gesamtkosten in Höhe von 13,4 Mio. € brutto steht die erzielte Nachhaltigkeit im Einklang mit Wirtschaftlichkeit und einem ausgewogenen Kosten-Nutzen-Verhältnis. 8. Zusammenfassung und Ausblick Die Heini-Klopfer-Skiflugschanze war und ist eine Pionierleistung in der Geschichte des Skispringens und hat sich im Laufe der Jahrzehnte nicht nur als einzigartige Sportstätte, sondern auch als Symbol für Innovation und Beständigkeit etabliert. Seit ihrem ersten Bau wurde die Schanze kontinuierlich verbessert und modernisiert, um den sich wandelnden Anforderungen des Skifliegens gerecht zu werden. Das bestehende Bauwerk aus dem Jahr 1973 mit seiner imposanten Leichtbetonkonstruktion ist ein ingenieurtechnisches Meisterstück, welches nicht zuletzt durch die detaillierte und komplexe Nachrechnung sowie den innovativen Einsatz moderner Messtechnik erhalten werden konnte. Im Rahmen der Generalsanierung wurden dabei zum einen die Sicherheitsstandards erhöht, zum anderen auch die Infrastruktur rund um die Schanze verbessert, um eine langfristige Zukunftsfähigkeit zu gewährleisten. Die Sanierung der Heini-Klopfer-Skiflugschanze erfolgte nicht nur unter dem Aspekt der Funktionalität und Gebrauchstauglichkeit, sondern auch unter Berücksichtigung von Umweltverträglichkeit, Nachhaltigkeit, Wirtschaftlichkeit und Kosten-Nutzen-Verhältnis. Das Ergebnis ist eine Schanze, die einerseits ihre historische Bedeutung bewahrt, andererseits auch den Anforderungen des modernen Skisports gerecht wird. Mit der Austragung der Vor-WM 2017 und der Skiflug-WM 2018 konnte die neue Sprunganlage nicht zuletzt durch die Aufstellung eines neuen Schanzenrekordes deren Funktionalität und Praxistauglichkeit eindrucksvoll unter Beweis stellen. Abbildung 9: Skiflugschanze nach Generalsanierung © Eva Bartussek Literatur [1] „Skiflugschanze Oberstdorf,“ [Online]. Available: https: / / www.skiflugschanze-oberstdorf.de/ geschichte/ . [2] Dipl.-Ing. H. Bomhard und Dipl.-Ing. J. Sperber, „Der felsverankerte Spannleichtbeton-Kragarm der Skiflugschanze Oberstdorf und Betrachtungen zur Anwendbarkeit und Beanspruchbarkeit von Konstruktionsleichtbeton“, Beton- und Stahlbeton, Bd. 5, 1973. [3] Prof. Dr.-Ing. G. Knittel, „2. Bericht über die statische Prüfung der Schanze“, 1972. 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 215 Weiternutzen oder Wiederverwenden? - Kriterien für den Umgang mit altem Ziegelmauerwerk Prof. Dr.-Ing Sylvia Stürmer HTWG Konstanz Dipl.-Ing. Claudia Neuwald-Burg Fraunhofer-Informationszentrum Raum und Bau IRB, Stuttgart Zusammenfassung Der Artikel befasst sich mit den Möglichkeiten für die Weiterverwendung und Wiederverwendung von Ziegeln und -mauerwerk aus bestehenden Gebäuden - als ein wertvoller Beitrag zur Nachhaltigkeit und Kreislauffähigkeit. Für die Weiternutzung ist entscheidend, dass die Tragfähigkeit und die Dauerhaftigkeit sichergestellt sind. Die Entscheidung über die Weiternutzung von Mauerwerk, Mauerwerksteilen oder Abbruchziegeln muss immer auf die individuelle Situation des Gebäudes, seine Umgebung, Nutzung und die klimatischen Randbedingungen abgestimmt werden. Die Autorinnen zeigen Beispiele und erläutern, welche technischen Regelwerke für die Bewertung verwendet werden können. Für die Wiederverwendung von Ziegeln werden Prüf- und Bewertungsmethoden vorgestellt. 1. Einleitung Angesichts des CO 2 -Problems, der Rohstoffknappheit und des auch immer knapper werdenden Deponieraums sind bei Neubauten nachhaltige Entwürfe, Baumaterialien und Bauverfahren gefordert. Aufgrund des großen Gebäudebestands stehen der verantwortungsvolle Umgang mit bestehenden Gebäuden und deren Abbruchmaterialien ebenso im Fokus. Die Weiternutzung oder Umnutzung von bestehenden Gebäuden hat das größte Nachhaltigkeitspotenzial. Es kann jedoch verschiedene Gründe geben, das Mauerwerk mit seinen technischen Leistungsgrenzen und den vorhandenen Bauteilgeometrien nicht erhalten zu können. Dann sollte die Wiederverwendung der Ziegel angestrebt werden. Dies setzt voraus, dass sie unbeschädigt aus dem Mauerwerk entfernt und möglichst rückstandsfrei von anhaftenden Mörtel- und Putzresten gereinigt werden können. Neben dem Aufwand für die sortenreine Trennung können die Qualitätskontrolle und die Logistik Hemmnisse bei der Wiederverwendung von ganzen Ziegeln sein. In den meisten Fällen wird das Abbruchmaterial daher zu Splitt verarbeitet. Je besser das Ziegelmaterial von den anderen Mauerwerksbestandteilen, Mörtel und Putz, getrennt werden kann, desto vielfältiger sind die Verwendungsmöglichkeiten. Auch Ziegelsand in hoher Qualität kann verwendet werden, wenn er ausreichend rein ist. 2. Erhalten des Mauerwerks Der nachhaltigste Umgang mit historischem Mauerwerk ist die möglichst lange Weiternutzung des Gebäudes bzw. der vorhandenen Bauteile, soweit es der Erhaltungszustand zulässt. Dazu müssen die vorhandene Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit sowie, je nach Nutzungsart, auch bauphysikalische Eigenschaften durch geeignete Prüfverfahren nachgewiesen werden. Bei der Beurteilung von älterem Mauerwerk sind die aktuellen deutschen Normen (z. B. DIN EN 1996/ NA) oft nicht anwendbar. Sie beziehen sich vor allem auf die Bemessung von Neubauten. Bei historischem Mauerwerk sind jedoch bauliche Besonderheiten zu berücksichtigen. Maßtoleranzen, ungleichmäßige Fugendicken, starke Streuung der Materialeigenschaften, Alterungs- und Verwitterungserscheinungen, Risse und Verformungen, nachträgliche bauliche Veränderungen und ältere Reparaturen müssen bewertet werden. Einzelne technische Eigenschaften des Materials, wie zu große Saugfähigkeit oder zu große Schwankungen technischer Eigenschaften, können die weitere Nutzung einschränken - ebenso wie Unsicherheiten bei der Beurteilung der Qualität oder fehlende Erfahrungen für die Einschätzung der technischen Rest-Lebensdauer. Systematische Untersuchungen helfen, die historische Substanz zu „verstehen“ und eine zuverlässige Bewertungsgrundlage zu entwickeln. Die Ziele der Untersuchung müssen klar definiert und zwischen den Verantwortlichen abgestimmt sein. Die Untersuchungen müssen sich an der angestrebten Nutzung des Gebäudes und den damit verbundenen Sanierungszielen (Instandhaltung, Konservierung, Restaurierung, Verstärkung, energetische Sanierung etc.) orientieren und je nach Bedarf mit einfachen Verfahren auch auf der Baustelle durchzuführen sein. 2.1 Vorüberlegungen Die Weiternutzung von Mauerwerken sollte stets angestrebt werden, wenn eine sinnvolle und substanz- und klimatisch verträgliche Nutzung möglich ist und die zu erwartende Restlebensdauer die vorgesehene Nutzungszeit übersteigt. Um dies zu entscheiden, müssen der Zustand des Gebäudes, der Bauteilabschnitte und seiner Materialien untersucht werden. Dabei ist zu berücksichtigen, ob Instandsetzungs- oder Verstärkungsmaßnahmen notwendig und technisch möglich sind. Stark salzbelastetes 216 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 Weiternutzen oder Wiederverwenden? - Kriterien für den Umgang mit altem Ziegelmauerwerk Mauerwerk kann z. B. erhalten werden, wenn der Salzgehalt im oberflächennahen Bereich reduziert werden und es trocknen kann. Danach sollte es optimalerweise dauerhaft trocken gehalten werden. Andernfalls lassen sich fortschreitende Schadensprozesse kaum verhindern (Abb. 1a). Abbildung 1: (a) Bauschädliche Salze können Mauerwerk zerstören, (b) die Feuchtigkeitseinwirkung sollte gestoppt und der Mörtel ersetzt werden. Es ist zu prüfen, welche technischen Maßnahmen zur Instandsetzung geeignet und wirtschaftlich vertretbar sind. Kriterien für die Entscheidung können u. a. sein: • Welcher Zustand des Bauteils ist für die geplante Nutzung notwendig? • Für welchen Zeitraum soll das Mauerwerk weiterhin genutzt werden? • Sind Sanierungsmaßnahmen erforderlich, um den gewünschten Zustand zu erreichen? • Welche Sanierungsmöglichkeiten stehen zur Verfügung, um das Mauerwerk in den gewünschten Zustand zu versetzen? • Welche Unterhaltskosten sind angemessen, um das Mauerwerk langfristig zu erhalten? Erst nach Beantwortung dieser Fragen kann eine fundierte Entscheidung getroffen werden, ob das Mauerwerk erhalten werden soll oder nicht, basierend auf technischen und wirtschaftlichen Erfordernissen und dem Ziel der Nachhaltigkeit. 2.2 Bewertung der vorhandenen Druckfestigkeit Empfehlungen für geeignete Untersuchungs- und Prüfverfahren zur Beurteilung der Mauerwerksqualität finden sich in den WTA- Merkblättern: 7-1 und 7-4. Mit deren Hilfe können Mauerwerk, Ziegel und Mörtel zuverlässig bewertet werden [1, 2]. Bei Arbeiten an bestehenden Gebäuden sind die Tragfähigkeit und die Nutzungssicherheit von besonderer Bedeutung. Mauerwerke haben i.d.R. gute Festigkeitseigenschaften. Eine grobe Schätzung der Druckfestigkeit ist bei Mauerwerken in gutem Zustand häufig ausreichend. Die Materialfestigkeit kann dann aus Bauunterlagen oder Erfahrungswerten aus Untersuchungen an ähnlichen Mauerwerken ermittelt werden. Wenn eine genauere Überprüfung erforderlich ist, muss die Druckfestigkeit experimentell ermittelt werden. Dies ist in der Regel der Fall, wenn Umbauten geplant sind, die zu erhöhten Belastungen führen, oder wenn das Mauerwerk durch äußere Einflüsse wie Überbelastung oder starke Witterungsbeanspruchung geschwächt ist. In der Regel wird das Bewertungsverfahren auf der Grundlage der geltenden Mauerwerksnormen DIN EN 1996/ NA durchgeführt. Je nach Alter des Gebäudes können auch die zum Zeitpunkt der Errichtung gültigen Normen herangezogen werden. Diese Normen sind jedoch nur innerhalb bestimmter Randbedingungen anwendbar. Für Mauerwerk, das deutlich von Normvorgaben abweicht, müssen andere Methoden angewendet werden. WTA 7-4 [2] schlägt dafür Prüfungen an verschiedenen Probekörperarten zur Beurteilung der Druckfestigkeit vor. Selten werden größere Mauerwerksprüfkörper aus Gebäuden entnommen (Abbildung 2a). In den meisten Fällen wird die Druckfestigkeit indirekt durch die Prüfung von Mauersteinen, Mörtelprüfkörpern oder Bohrkernen (Abbildung 2b) betreffender Mauerwerke bestimmt. Die Vorgehensweise ist bei allen Methoden grundsätzlich gleich. Sie umfasst die Probenahme, Laboruntersuchungen, Umrechnung der Prüfergebnisse auf die genormten Bezugsgrößen, statistische Auswertung und Plausibilitätsprüfung. Besondere Regeln gelten für denkmalgeschützte Gebäude, bei denen die Probenahme zu einem inakzeptablen Substanzverlust führen kann und Anzahl und Größe der Proben eingeschränkt sind. Im WTA-Merkblatt 7-4 werden die Prüfverfahren im Detail beschrieben. In besonderen Fällen können auch Belastungsversuche oder In-situ-Prüfverfahren, wie z. B. Flat-Jack-Tests, eingesetzt werden. Abbildung 2: Festigkeitsprüfung: (a) Mauerwerksteilstück nach dem Druckversuch (b) Versuchsaufbau für die Prüfung der Spaltzugfestigkeit von Fugenbohrkernen. 3. Wiederverwendung von Ziegeln In der vorindustriellen Zeit und nach den Zerstörungen der Kriege des 20. Jahrhunderts war es üblich, alte Ziegel von Hand zu reinigen und für Reparaturen und Neubauten zu verwenden. Bei historischem Mauerwerk, dessen Fugen aus reinem Kalkmörtel bestehen, ist der Ausbau und die Wiederverwertung von Ziegeln relativ einfach. Bei Mauerwerk mit einem stärkeren Ziegel-Mörtel-Verbund mit hydraulischen oder puzzolanischen Mörteln kann es möglich sein, ganze Mauerwerksabschnitte in neuen Bauvorhaben wiederzuverwenden. Diese Möglichkeit ist auf Einzelfälle beschränkt. Ehrgeizige moderne Projekte wie die vom dänischen Architekturbüro Lendager entworfenen Resource Rows in Kopenhagen, Wohnungen und Reihenhäuser mit Fassaden aus Betonfertigteilen mit wiederverwendeten Mauerwerksteilen als Verblendung, tragen jedoch dazu bei, alte Baumaterialien erlebbar zu machen und die Akzeptanz für unkonventionelle Verwendungsmöglichkeiten für abgebrochene Materialien zu fördern (Abbildung 3). 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 217 Weiternutzen oder Wiederverwenden? - Kriterien für den Umgang mit altem Ziegelmauerwerk Abbildung 3: Kreativer Umgang mit Abbruchmaterial (a) Resource Rows, Kopenhagen (b) Detail (Fotos: Heinrich Wigger) Um die Wiederverwendung von Ziegeln aus einem bestehenden Gebäude zu verstärken, müssen die ArchitektInnen bei der Planung und Umsetzung anders vorgehen als bei Standard-Neubauprojekten. Geeignete Komponenten müssen vor dem eigentlichen Entwurf „aufgespürt“, bewertet und kartiert werden. Während bei einem Neubau das Material den Entwürfen entsprechend ausgewählt wird, muss der Entwurf beim Recycling an das verfügbare Material angepasst werden. Abbruch und Materialwirtschaft werden zu wesentlichen Bestandteilen des Bauprozesses. Abbruchausschreibungen müssen frühzeitig vorbereitet werden. Leistungen wie Materialkartierung, Rückbau, Reinigung und Aufbereitung von Materialien müssen detailliert beschrieben und überwacht werden. Je nach ihrem Zustand und den technischen Eigenschaften können Ziegel an Fassaden oder im Inneren von Gebäuden wiederverwendet werden. Recycelte Ziegel werden für die Instandsetzung alter Bausubstanz, aber auch in der modernen Architektur benötigt. Die Akzeptanz von wiederverwendeten Ziegeln nimmt zu. Bedeutende Architekten haben dazu beigetragen, wie David Chipperfield (Neues Museum Berlin) oder Arno Lederer, Jórunn Ragnarsdóttir und Marc Oei (Kunstmuseum Ravensburg, siehe Abbildung 4). Die Fassade und die Gewölbe des Kunstmuseums bestehen aus Ziegeln, die aus den abgerissenen Gebäuden eines Klosters in Belgien stammen. Abbildung 4: Alte Ziegel im neuen Gebäude: (a) Kunstmuseum Ravensburg, (b) Mauerwerksdetail, (c) Sicht- und Klangprüfung alter Ziegel, (d) Verwendung der alten Ziegel in der neuen Gewölbedecken-Konstruktion, Ziegel raumseitig sichtbar. (Fotos: Georg Reisch GmbH, Bad Saulgau) Die historischen Ziegel wurden nicht nur aus gestalterischen Gründen im architektonischen Kontext der historischen Altstadt von Ravensburg eingesetzt, sondern waren auch Teil des Nachhaltigkeitskonzepts. Die alten Ziegel sind nicht nur maßgebend in der Fassade (Abb. 4a und-3b), sondern auch im sichtbaren Teil der Deckenkonstruktion (Abb. 4c). Als Recyclingmaterial waren diese Ziegel zwar nicht billiger als neue Ziegel mit „historischem“ Aussehen, weisen aber trotz des langen Transports eine bessere Energie- und Materialbilanz auf, da zu ihrer Herstellung keine neuen Rohstoffe und keine Energie benötigt wurden. Andererseits erforderten die wiederverwendeten Ziegel mehr Aufwand bei der Qualitätsprüfung gegenüber neuen, genormten Ziegeln. Aber nicht zuletzt war die Optik überzeugend. Je nach Verwendungszweck müssen die gebrauchten Ziegel unterschiedliche Qualitätsmerkmale erfüllen, die inzwischen in der EAD 170005-00-0305 definiert sind. Im Falle des Kunstmuseums Ravensburg wurden die Ziegel einer firmeninternen Qualitätskontrolle unterzogen, um eine ausreichende Dauerhaftigkeit erzielen zu können. Für die Bewertung historischer Ziegel haben sich die, in Tabelle 1 dargestellten, auf Grundlage ausführlicher Forschungsarbeiten unter Leitung von Frau Dr. Freyburg ermittelten Werte (beschrieben u. a. in [5, 6]) als geeignet erwiesen. Als baustellengeeignet, vor allem für die Verwendung von Recyclingziegeln in Ziegelsichtfassaden, hat sich ein Test bezüglich der Ausblühneigung bewährt (Abbildung-5), um mit wenig Aufwand vor Ort, z. B. im Baucontainer, den ausblühfähigen Eigensalzgehalt auch einer großen Anzahl von Ziegeln, insbesondere bei unterschiedlicher Herkunft, prüfen zu können. Tabelle 1: Empfohlene Werte für die Bewertung der Dauerhaftigkeit von wiederverwendeten Ziegeln nach [4, 5] Materialeigenschaften Empfohlener Grenzwert Scherbenrohdichte [g/ cm³] > 1,86 Wasseraufnahme [M-%] ≤ 16 Druckfestigkeit ≥10 N/ mm² Abbildung 5: Einfach anzuwendender Ausblühungstest (nicht normativ geregelt) 218 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 Weiternutzen oder Wiederverwenden? - Kriterien für den Umgang mit altem Ziegelmauerwerk 4. Recyceln Abgebrochenes Mauerwerk, aus dem keine brauchbaren Ziegel gewonnen werden können, wird zerkleinert und sortiert, bevor es für andere Zwecke verwendet wird. Im Vergleich zu anderen Mauerwerkstypen lassen sich die Bestandteile von Ziegelmauerwerk sehr gut zerkleinern und in fast reine Körnungen trennen. Dennoch wird der Großteil des Mauerwerksschutts derzeit noch als Füllmaterial verwendet. Dies kann ökologisch sinnvoll sein, wenn es in unmittelbarer Nähe des Abbruchortes geschieht, um Transportwege zu vermeiden und natürliche Gesteinskörnungen zu schonen [6]. Ein erheblicher Teil des Ziegelbruches wird für die Herstellung von gebundenen oder ungebundenen Oberbauschichten im Straßenbau verwendet [3]. Hochwertiger Ziegelsplitt wird auch als Vegetationssubstrat und für Sportplätze verwendet. Voraussetzung dafür ist, dass keine schädlichen Rückstände enthalten sind, was vorab geprüft wird. Auch wenn der Anteil von Ziegelmauerwerk an der Gesamtmenge der Bauabfälle im Vergleich relativ gering ist, gibt es verschiedene Möglichkeiten das gebrochene Material einzusetzen [3]: a. Hochwertiger Ziegelsplitt und Ziegelmehl können als Rohmaterial für die Herstellung neuer Ziegel verwendet werden. Neben der Einsparung von Primärrohstoffen kann dieses Verfahren auch Energie sparen [6]. b. Mauerwerksschutt mit einem hohen Anteil an Ziegeln (> 50 %) kann zu leichten Gesteinskörnungen verarbeitet werden. c. Zerkleinertes Mauerwerk kann als Gesteinskörnung für die Herstellung von R-Beton verwendet werden. Die letztgenannte Verwendung hat eine lange Geschichte. Ziegelmehl und -splitt wurden bereits in der Römerzeit verwendet, wie zahlreiche erhaltene Bauwerke und Bauteile belegen. Das bekannteste Material aus dieser Zeit ist wohl das opus caementicium, bei dem die Römer Ziegelsplitt und andere keramische und natürliche puzzolanische Materialien mit Kalk als Bindemittel in festen Mörteln und „Betonen“ verwendeten. Auch in Estrichmörteln (als opus signinum) wurde Ziegelbruchmaterial verwendet. Großer Mengen an Mauerwerk wurden nach dem Zweiten Weltkrieg recycliert, als die Trümmer des Krieges beseitigt werden mussten und Baumaterialien knapp waren. Nach 1960 wurde diese Praxis aufgegeben. Leider wurden die Rezepturen und Erfahrungen aus dieser Zeit nicht dokumentiert. Informationen über die Dauerhaftigkeit der Bauteile und der daraus hergestellten Konstruktionen wurden im Rahmen verschiedener, DBU-geförderter Forschungsprogramme gewonnen, in dem die wichtigsten Parameter des Festbetons an Bauwerken aus dieser Zeit bewertet und mit den Anforderungen an heutige Betone verglichen wurden [7]. Ein im Rahmen eines DBU-geförderten Projekts der GH Kassel untersuchtes Objekt ist die Fatima-Kirche in Kassel des, für seine monumentalen Bauwerke bekannten Architekten Gottfried Böhm (+). Nach ca. 60-jähriger Bewitterung war die Sichtoberfläche des nahezu unbewehrten und fugenlosen Trümmerschutt-Betons überwiegend in gutem Zustand und es bedurfte nur lokaler Reparaturen mit nachgestellten Beton-Rezepturen. Im Zusammenhang mit dem geplanten Neubau des Technischen Rathauses in Tübingen erwies sich der Entwurf des Architekturbüros Ackermann+Raff als am besten geeignet, den zu klein gewordenen Bestandsbau aus den 50er Jahren zu erhalten und in den Entwurf des Gebäudekomplexes zu integrieren. Im Rahmen eines Objekttermins des bauleitenden Architekts mit Vertretern der Fakultät Bauingenieurwesen der HTWG Konstanz wurden die Baumaterialien aus den 1950er Jahren visuell begutachtet. Erst dabei wurde festgestellt, dass sowohl die Stahlbeton-Stützen als auch die Mauersteine der Flurwände bereits aus Recycling-Baustoffen (Ziegelsplitt-Beton) erstellt wurden. Im Rahmen einer Masterthesis an der HTWG Konstanz [9] wurden Proben von den Leichtmauersteinen (im Format 385 × 255 × 220 mm, Abbildung 5a) und von einer Stütze aus Ziegelsplitt-Beton (Abbildung 5b) entnommen und bezüglich technischer Kennwerte, Gefüge etc. untersucht und bewertet. Ein weiteres Beispiel für die Dauerhaftigkeit von Recycling-Baustoffen ist ein beliebtes Studenten-Wohnheim der Nachkriegszeit, das Max-Kade-Haus in Stuttgart, ein 15-stöckiges Hochhaus - ebenfalls aus Trümmerschutt- Beton, bemessen von Fritz Leonhardt (+). Die tragende Bausubstanz und die Außenputze sind noch im Original- Zustand. Eine Betonsanierung war bisher nicht erforderlich. Bohrkerne des im Untergeschoss beprobten Stahlbetons weisen deutlich mehr Ziegelbruch auf als heutige R-Betone mit Typ 2-RC-Splitt. Abbildung 5: Recyclingmaterial aus den 1950er Jahren (a) Leichtbetonmauersteine mit Ziegelsplitt (b) Ziegelsplittbeton, der eine feste und intakte Struktur aufweist Beide Bestandsmaterialien mit recyclierten Körnungen weisen ein festes und intaktes Gefüge und keine Fremdsalzbelastung auf. Die Gesteinskörnung enthält neben Splitt von verschiedenen Ziegeln unterschiedlicher Farbe und Dichte auch gebrochene Mörtelfragmente (Abbildung 5 b). Der Verbund zwischen Zementstein und RC-Körnungen ist sehr gut, was durch das Eindringen eines Teils des Zementleims in die poröse Struktur der Körnungen begünstigt wurde. An der Phasengrenze zwischen Zementstein und Gesteinskörnung gibt es keine Risse oder Ablösungen. Trotz des porösen Gefüges und des Betonalters von rund 70 Jahren sind noch ausreichend hohe Festigkeiten vorhanden, so dass einer Weiternutzung nichts im Wege steht. Für die wesentlichen tragen-