Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau
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Zirkuläres Bauen als technische Herausforderung und als Metapher
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Jan Grossarth
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2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 219 Weiternutzen oder Wiederverwenden? - Kriterien für den Umgang mit altem Ziegelmauerwerk den Betonbauteile des Neubaus wurde R-Beton eines regionalen TBW geliefert. Somit vereint das Gebäude heute Betone mit recyclierten Gesteinskörnungen aus dem 20.-und 21. Jahrhundert (Bild 6a und 6b). Tabelle 2: Technische Kennwerte der Ziegelsplittbetone des Technischen Rathauses Tübingen aus den 1950er Jahren aus [9] Ziegelsplitt-beton der Stütze Leichtbetonblock mit Ziegelsplitt Rohdichte [g/ cm³] 1,65 Stege 1,75 Lochanteil 37 % Druckfestigkeit [N/ mm²] 11,3 8,7 dyn. Elastizitätsmodul [N/ mm²] 13.000 7.100 bis 16.700 Biegezugfestigkeit [N/ mm²] 1,2 n.e. Wasseraufnahme [M-%] n.e. 15,5 n.e.: nicht erfasst Die Verwendung von RC-Baustoffen hat in den letzten Jahren zugenommen, ist aber im Hochbau immer noch selten. Während R-Betone mit Typ 1-Körnung (überwiegend aus gebrochenem Beton mit max. 10 % Mauerwerksschutt) derzeit häufiger im Bau eingesetzt werden, gibt es für die Verwendung von Körnungen mit mehr Mauerwerksschutt (= Typ 2-Körnung) in Betonen (Bild 6) noch große Hemmnisse, u. a. die höhere Wasseraufnahme bei Sichtbeton-Fassaden, die jedoch z. B. durch farblose Imprägnierungen kompensiert werden kann. Einer der Gründe dafür ist, dass Planer und Bauherren nicht ausreichend über R-Beton mit RC-Körnungen des Typs 2 informiert sind. Weitere Gründe sind mangelndes Wissen über die strengen Qualitätskontrollen bei lokalen Recyclingunternehmen, schwankende Materialeigenschaften, z. B. unterschiedliche Wasseraufnahme durch verschiedene Ziegelqualitäten und unzureichende Erfahrungen mit der Dauerhaftigkeit in den verschiedenen Expositionsklassen der Betonverwendung. Die erforderlichen Qualitätsanforderungen für RC Typ-2 (mit höherem Ziegelanteil) sind in gleicher Weise wie für Typ 1 (mit 90 % Betonbruch) in den Regelwerken festgelegt. Der Einsatz von Ziegelsplitt in Estrichen wird derzeit im Labor- und Praxiseinsatz untersucht [8]. Die Entwicklung neuer Sortierverfahren wird es in Zukunft ermöglichen, Feinkorn bis hin zum Ziegelstaub als Rohstoff für neue Baustoffe zu nutzen. Vielversprechende Forschungen gibt es auch zur Auf bereitung von gipshaltigem Mauerwerk. Auch die Rohstoffe für die Gipsindustrie werden knapper. Welche Form des Recyclings technisch, ökologisch und ökonomisch am sinnvollsten ist, hängt von zahlreichen Faktoren ab, die nicht direkt vergleichbar sind und für die es noch keine einheitlichen Bewertungskriterien gibt. Abbildung 6: (a) Alter R-Beton, verputzt (rechts im Bild) neben neuem R-Beton, (b) fertiger Gebäudekomplex des Technischen Rathauses Tübingen (Foto: ® Ebener), (c) Neue Materialien mit alten Ziegeln: Typ 2-RC-Körnung mit Ziegelsplitt als Gestaltungselement in modernem R-Beton mit gestrahlter Oberfläche. 5. Schlussfolgerung Es gibt verschiedene Möglichkeiten, mit altem Mauerwerk verantwortungsvoll und nachhaltig umzugehen. Die Möglichkeiten reichen von der uneingeschränkten Erhaltung u. a. durch eine angemessene Baupflege, Wartung und Instandhaltung über die Auf bereitung und Verwendung als Baustoff (ganze Ziegel z. B. am Kunstmuseum in Ravensburg) oder die Verwendung als Rohstoff z. B. als Gesteinskörnung (Ziegelsplitt aus Bauwerksschutt) für 220 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 Weiternutzen oder Wiederverwenden? - Kriterien für den Umgang mit altem Ziegelmauerwerk hochwertige Neubau-Baustoffe wie R-Beton bis hin zur Verfüllung von Baugruben. Dies kann verschiedene Vorteile mit sich bringen: • Wirtschaftlich: Die kontinuierliche Nutzung kann Zeit und (neue) Herstellungskosten sparen. • energetisch: unter günstigen Bedingungen kann graue Energie für die Baustoffherstellung und Wärmeenergie im Betrieb des Gebäudes (Kunstmuseum Ravensburg als Passivhaus-Museum) eingespart werden • ökologisch: durch Einsparung von Rohstoffen, Deponieraum und Transportkosten • optisch/ ästhetisch: historische Ziegelmauerwerksoberflächen mit unterschiedlichen Rohstoffen, Formaten, Texturen und Brennfarben können von nachgestellten modernen Mauerwerken mit „historisierend“ nachgebrannten Ziegeln kaum in dieser Heterogenität und Vielfalt nachgestellt werden. • kulturell: Durch die Weiternutzung historischer Gebäude können Zeitzeugnisse erhalten werden. Auch bauliches Wissen über heute nicht mehr gebräuchliche Bauweisen wie preußische Kappen, Ziegelgewölbe etc. bleibt so erhalten. Diese Vorteile lassen sich jedoch nur dann nutzen, wenn die Randbedingungen vorher recherchiert wurden und projektbezogen passen. Soll das Mauerwerk selbst als Bestandteil eines Gebäudes erhalten bleiben, muss gewährleistet sein, dass es über die vorgesehene Nutzungsdauer stabil und gebrauchstauglich ist. Für die Qualitätssicherung bei der Weiterverwendung von Abbruchziegeln kann es ausreichen, anstelle von standardisierten Kennwerten individuell auf die neue Verwendung zugeschnittene Bewertungskriterien zu definieren und zu prüfen. Prüfverfahren, die mit einfachen Mitteln auf der Baustelle angewendet werden können, sparen Kosten und erhöhen die Sicherheit, da sie es ermöglichen, eine wesentlich größere Anzahl von Ziegeln zu prüfen, als dies mit Laborprüfungen möglich wäre. Die technologische Entwicklung im Bereich des Recyclings von Mauerwerksschutt ist noch nicht abgeschlossen. Vielversprechende Forschungsprojekte lassen hoffen, dass die Möglichkeiten des sortenreinen Trennens und damit der Wiederverwendung deutlich zunehmen werden. Ein wichtiger Aspekt für ökonomisch und ökologisch sinnvolle Recyclingverfahren sind kurze Transportwege und geeignete Lagermöglichkeiten. Enge, funktionierende Netzwerke von Abbruchunternehmen, Recyclingunternehmen und Baustoffherstellern müssen aufgebaut werden. Ein Problem sind noch die Stoffströme. Langfristig ist die Diskontinuität möglicherweise das größte Hindernis für den Auf bau einer effizienten Recyclingkette - denn auch bei Neubauten aus Recycling-Baustoffen wird die Abfallvermeidung immer der Wiederverwertung vorzuziehen sein. Literatur [1] WTA-Merkblatt 7-1-18/ D Erhaltung und Instandsetzung von Mauerwerk - Konstruktion und Tragfähigkeit. [2] WTA-Merkblatt 7-4-21/ D Ermittlung der Druckfestigkeit von Bestandsmauerwerken aus künstlichen kleinformatigen Steinen. [3] Rosen, D.: Wiederverwendung und Recycling von Ziegeln. Mauerwerk, 25 (2021), S. 74-81. https: / / doi.org/ 10.1002/ dama.202100002 [4] Freyburg, S., Dissertation. Baukeramisches Gefüge und Dauerhaftigkeit - ein Beitrag zur Erhaltung historischer Ziegelmauerwerke. Prof. Dr.-Ing. habil. Jochen Stark; (12/ 2004). [5] Freyburg, S. (1997): Qualitätsmerkmale historischer Ziegel. In. Ziegelindustrie International 7/ 97, S. 411-426. [6] Müller, A.: Energieeinsparungen durch das Recycling von Bauabfällen? Bautechnik 99, H.612 (2022), S. 916-924. https: / / doi.org/ 10.1002/ bate.202200098 [7] Stürmer, S.; Fritz, W.: Von historischem Ziegelsplitt und modernen R-Betonen. Ein Plädoyer für mehr Akzeptanz von Recyclingbaustoffen. Bausubstanz Jg. 11, Nr. 6, 2020, S. 37-43. [8] Stürmer, S.; Geiger, S.: RC-Körnungen und R-Betone - da geht noch mehr! Urban Mining mit Beton, R-Betone mit 100 % Natursteinersatz und RC- Estriche. Bausubstanz Jg.14, Nr. 2, 2023 S. 30-36. [9] Milkner, V.: Einsatz von Recycling-Beton mit Typ- 2-Körnung bei Hochbauprojekten. Masterthesis an der Hochschule Konstanz Technik, Wirtschaft und Gestaltung, Fakultät Bauingenieurwesen (Betreuung: Prof. Dr. Sylvia Stürmer). Die Autoren: Prof. Dr.-Ing. Sylvia Stürmer - HTWG Konstanz, Fachbereich Bauwesen, Alfred-Wachtel-Straße 8, 78462 Konstanz. E-Mail: stuermer@htwg-konstanz.de Dipl.-Ing. Claudia Neuwald-Burg - Fraunhofer Informationszentrum Raum und Bau. Nobelstr. 12, 70569 Stuttgart. E-Mail: claudia.neuwald-burg@irb.fraunhofer.de 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 221 Zirkuläres Bauen als technische Herausforderung und als Metapher Jan Grossarth 1. Einleitung: Warum zirkuläres Bauen als Metapher? Da sind wir nun im Juni 2024 in Stuttgart zusammen als konstruktive Ingenieure. Und beschäftigen uns mit einer Reihe relevanter Fragen des ressourcenschonenden Bauens. Wie kann und sollte Ziegelmauerwerk für seine Tauglichkeit für eine Weiterverwendung geprüft werden? Wie sieht ein „kreislaufgerechtes Parkhaus“ aus Holz aus? Was ist diesbezüglich vom BIM zu erhoffen? Und vom einfachen Bauen, ob hierzulande oder in „der Savanne“? Vom „schlanken bauen“? Ist Carbonbeton vernünftig trenn- und recyclebar? Wie lässt sich mit Beton weiterbauen, aber mit weniger? Wie soll Nachhaltigkeit an Ingenieurshochschulen gelehrt werden? Beim Blick auf dieses vielfältige Tagungsprogramm wird deutlich, dass es gewiss nicht verkehrt ist, den nachhaltigeren Bau vor allem als technische Herausforderung zu beschreiben. Wobei bei weitem nicht alle Vortragenden Ansätze die „zirkuläre Idee“ verfolgen. Die einen sind eher materialbezogen beim Holz, andere suchen nach Möglichkeiten, digitaltechnisch den „ökologischen Fußabdruck“ des Bauens zu verringern, ebenso wie sie die Metaphern des Einfachen, des Schlanken hinsichtlich ihrer Praxistauglichkeit durchleuchten. Die Zirkularität hat als Ansatz des Charme, dass in diesem Rahmen sogar Verschwendung möglich ist. Intelligente Verschwendung, wie Michael Braungart einmal formulierte. „Verschwendet“ man die Baustoffe einmal „intelligent“, werden sie den künftigen Generationen, die damit weiterbauen können, zum Geschenk. Der Bauschutt, den die heute bauende Generation hinterlassen bekommt, ist eher ein Ärgernis, außen für den Straßenbau, der mit dem Schutt arbeiten kann. Wir hoffen zurecht auf die Entwicklung der Techniken, insbesondere auf diejenigen, die wirklich zirkulären Bau ermöglichen. Von der Technikreife bis zum Markterfolg ist dann noch der zweite Schritt zu gehen. Denn bei ehrlicher Betrachtung sind viele der Ideen, die heute noch zukunftsweisend erscheinend, schon seit vielen Jahren ingenieurwissenschaftlich formuliert: Leichtbau, Gradientenbeton (Werner Sobek), Lehmbau etwa. Dieser Beitrag handelt nicht von den vielen Faktoren, die über Markterfolge entscheiden - „gesellschaftliche Akzeptanz“, Finanzierung, Normierungserfolge, Taxonomie oder CO 2 -Preise. Er handelt von einem ganz einfachen Teilaspekt der Akzeptanz: Von den persönlichen Gründen, die Menschen für so einen zunächst abstrakten Ansatz wie „Zirkularität“ interessieren könnten. Die Annahme ist, dass Metaphern wie „zirkuläres Bauen“ oder „kreislaufgerechtes Bauen“ eben gerade die technische Welt mit der politischen verbunden, das heißt letztlich, attraktiven Zukunftsvorstellungen lebensweltlich betrachtet. Also auch: jenseits technischer und zunächst auch finanzieller, gegenwärtiger Sachzwänge. Im ersten Teil dieses Beitrags geht es überblicksartig um die technische Herausforderung des zirkulären Bauens. Im zweiten folgen Überlegungen, was so eine Metapher im weiteren Sinn zu bieten hat. 2. Die technische Herausforderung des zirkulären Bauens Wie sieht das zirkuläre Bauen der Zukunft aus? Vielleicht so, wie die Projekte des niederländischen Architekturbüros Superuse.Studios. Die Planung folgt dem Konzept der Materialverfügbarkeit in einem definierten Umkreis, etwa 50 Kilometer um die Baustelle. Das ist „Urban Mining“ im strengen Sinne. Ebenfalls: Frühere Flugzeugteile werden zu Geräten für den Kinderspielplatz. Oder die Zukunft aus des Hausbaus sieht so aus wie ein Flugzeug in der Wüste. Der amerikanische Architekt David Randall Hertz hat schon im Jahr 2011 ein derartig kurioses Beispiel kreiert. In Kalifornien ließ er eine ausrangierte Boeing 747 in ihre Einzelteile zerlegen und nutzte viele davon als Bauteile. Besonders eindrucksvoll in Szene ließen sich die Flügel. Sie wurden zu den Dächern des „747 Wing House“ umfunktioniert, einer Villa in den Santa Monica Mountains im Nordwesten der Stadt Malibu. Wie sich das Dach seitdem funktional bewährt hat, ist nicht bekannt. Aber man weiß, dass das Material günstig war. Das ausrangierte Flugzeug kostete insgesamt nur 35.000- Euro, und sogar seine Sitzbänke ließen sich im Bauwerk verwenden. Stahl, Beton und der Regenschutz für ein neu errichtetes Dacht dieser Größe wären teurer gewesen. Doch wo ist der Haken? Dass seitdem nicht reihenweise Dächer aus ausrangierten Flugzeugflügeln entstanden sind, hat erstens ökonomische Gründe. Die Transporte der Flügel waren sehr aufwendig. Dies Kosten dafür überstiegen die Materialkosten bei Weitem. Die Flugzeugteile mussten erste zerkleinert werden, mit Schwertransportern und sogar Helikoptern vom Flugzeugfriedhof zur Baustelle gebracht werden. Dazu kamen die Kosten der Bürokratie. Zahlreiche Anträge bei den Ämtern waren zu stellen: für die Transporte, aber vor allem für die Bauzulassung. Schade eigentlich, denn das Bauen mit Upcycling-Materialien aus der „urbanen Mine“ ist ein Desiderat der Stunde. Die Klimabilanzen können sich besser sehen lassen, als im Fall frisch angemischten Zements. Aber auch das Beispiel des Wing House blieb letztlich eines, welches zwar medial viel beachtet und architektonisch inspirierend war, jedoch den nachhaltigen Bau insgesamt kein bisschen voranbrachte. Damit die Baubranche in Zukunft weniger Materialien verbraucht und weniger Emissionen verursacht, müssen zirkulärwirtschaftliche Innovationen in Alltags-Bau- 222 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 Zirkuläres Bauen als technische Herausforderung und als Metapher projekten Anwendung finden - seien es Straßen, Pflegeheime, Industrieanlagen, Kraftwerke oder Mehrfamilienhäuser. Dabei geht es nicht mehr nur darum, das Recycling zu optimieren. Die Zeit der Bauschuttdeponien ist ohne lange vorbei. Bauschutt wird aber immer noch „downgecyclet“: Aus früheren Häusern wird größtenteils Füllmaterial für den Straßenbau. Angesichts der politischen Klimaziele (knapp 40 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen werden Bau und Wohnen zugerechnet) müssten schon heute Bauwerke so errichtet werden, dass ihre Bestandteile in Jahrzehnten ohne großen Energie- und Transportaufwand demontiert und wiederverwendet werden können. Also ist die Idee naheliegend, auf langlebige und wiederverwendbare technische Bauteile zu setzen. Sie geht auf Arbeiten des deutschen Nachhaltigkeitswissenschaftlers Michael Braungarts aus den frühen 2000er Jahren zurück. Die „Circular Economy“ des Bauens appelliert nicht nur an den Gesetzgeber, sondern stark auch an die Kreativität der Unternehmerinnen und Unternehmer. Deswegen versammelt sich ein großer Anhängerkreis dahinter, der von Grünen über Industrielle, von Konservativen über Liberale bis zu Ökologen reicht. Der Baukonzern Drees & Sommer kaufte das „Cradle-to-Cradle“-Label von Braungarts Agentur Epea. Dutzende Gebäude sind bis heute entsprechend zertifiziert - etwa „The Cradle“ in Düsseldorf. Aber auch das sind Leuchtturmprojekte, die in den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen der Emissionen und Ressourcenverbräuche nicht ins Gewicht fallen. Zumal das zirkuläre Bauen nicht die Emissionen jetzt reduziert - sondern in der nächsten oder übernächsten Generation, die Bauteile wiederverwenden. Warum aber tut sich die klein- und mittelständisch geprägte Bauindustrie so schwer damit, die zirkulären Innovationen umzusetzen? Wer dieser Frage nachgeht, stößt auf ein komplex verwobenes Netz aus Gründen. Sie reichen von „hausgemachten“ Industrienormen, die zahlreiche Anforderungen an Brandschutz, Statik, Feuchteschutz, gleichbleibende Materialqualitäten stellen, über finanzielle, zulassungsrechtliche Faktoren bis zu einem strukturellen Konservatismus der Branche. Die Bauindustrie mit Firmen wie Holcim, Heidelberg Materials oder Hochtief könnte es dabei sogar einfacher haben als andere Branchen, ihren hohen Ressourcenverbrauch und die Emissionen deutlich zu verringern. Man müsste einfach bauen, wie mit Legosteinen. Das ist eigentlich keine so große technische Herausforderung. Das zirkuläre deutsche Start-Up der Stunde im Frühjahr 2024, Triqbriq aus Tübingen, hat ganz einfache holzbasierte Bausteine erfunden und an den Markt gebracht. Im Frühjahr wurde das erste Einfamilienhaus in Frankfurt daraus errichtet. Der Bau von fünf oder mehr Etagen Höhe ist bauaufsichtlich zugelassen. Die Holzsteine in verschiedenen Größen bestehen aus zahlreichen nicht verleimten, verdübelten Längs- und Querstreben, wofür sich auch schadhaftes Holz oder Altholz eignet. Dieser Baustein entspricht allen Desideraten des zirkulären Bauens: Er ist im ganzen immer wieder weiterverwendbar, aber auch sortenrein trennbar, schadstofffrei, im Prinzip als biogenes Material kompostierbar, in vielen Kaskaden zurück bis zum Humus downlcyclebar. Das Unternehmen schlägt auch eine ganze Reihe von trennbaren Wandauf bauten vor, die die Holzsteine mit Klinkerfassaden, Dämmstoffen und Putzen kombinieren. Auf die einfache und sortenreine Trennbarkeit kommt es an, und dafür wurden in den vergangenen Jahren auch immer mehr spezielle Dübel oder Stecksysteme entwickelt. FOTO 1: TRIQUBRIQ FERTIGT „LEGONSTEINE“ FÜR DEN HOLZBAU Foto: Jan Grossarth Triqbriq sind Bausteine nach Lego-Art. Die gibt es in mehreren Größen. Aber mit ihnen kann man ein Haus auch als Geldanlage in langledige, wertvolle Baustoffe betrachten. Denn die Steine können die Erben des Hauses sogar noch hochpreisig weiterverkaufen - so jedenfalls die Erwartung an die Möglichkeiten der Zukunft. Das erste Einfamilienhaus in Frankfurt wurde nach Herstellerangaben auch zu etwa gleichen Kosten eines aus Mauerwerk, Mörtel und Polystyrol errichteten „Standardhauses“ bewerkstelligt. Ähnliche mustergültig zirkuläre „Lego-Steine“ bieten Start-Ups und Wissenschaftsprojekte aus Beton an, aus Hanfkalk oder sogar aus Plastikhülsen, die mit Wüstensand gefüllt werden. Wüstensand ist eine global schier endlos verfügbaren Ressource, die sich wegen ihrer geringen Kantigkeit nicht direkt als Zementzutat verwenden lässt. Andere technisch machbare, wissenschaftlich über Jahre begleitete und geprüfte Innovationen ersticken im Keim. ReMoMab, ein Projekt der TU Dresden, machte es schon in den 2010er Jahren möglich, Kalksandstein oder zementösen Mörtel zirkulär zu verbauen. Statt sie zementreich untrennbar zu machen, wurden die Steine mit gespanntem dünnem Stahl verbunden. Auch so ein Haus lässt sich irgendwann wieder schadstoff-frei in seine Einzelteile zerlegen. Diese Bauweise war eine gute Idee, aber kein Markterfolg. Immer wieder scheitern junge Gründer daran, Finanziers aus der Bauwirtschaft zu finden. Welches Interesse sollte die Kalksandstein- oder Ziegelindustrie haben, sich selbst auf diese Weise des Geschäftes der Zukunft zu berauben? 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau - Juni 2024 223 Zirkuläres Bauen als technische Herausforderung und als Metapher Womöglich müssten sich die Geschäftsbeziehungen grundsätzlich verändern. Der gedankliche Vater des Cradle-to-Cradle Michael Braungart schlägt vor, dass Dienstleistungen wie „Wohnfläche“, Außendämmung oder Fensterfläche vermietet werden, statt dass die Menschen Eigentümer eines Hauses werden. Denn sein Haus, auch ein sinnstiftendes Lebensprojekt, baut man oft in der Illusion, es sei für die Ewigkeit - und schon die übernächste Generation reißt es ab, weil es dem Geschmack oder der kleineren Familiengröße nicht mehr entspricht. Würden Wände oder Fensterflächen vermietet, hätte der Anbieter ein finanzielles Interesse daran, hochwertige und schadfrei trennbare Baustoffe einzusetzen. Einen ähnlichen Weg geht jetzt tatsächlich auch Triqbriq, das Start-Up aus Tübingen. Es will ein Anbieter für Wohnungen aus einer Hand werden, der die eigenen Bausteine verwendet, und so de facto verleiht. Aber nicht nur architektonische Ansätze des „design by availability“ nach dem Vorbild der niederländischen Spielplatz-Architektur oder ganz neue Legostein-Bauten zählen zum Hoffnungsrepertoire. Zirkuläre Ansätze trennbarer, verdübelter Holzbauten und entsprechender Wärmedämmung gehören ebenso dazu, und vieles mehr. Wie auch die Abfalltrennung und ihre veränderten technischen Möglichkeiten, die auch uns auf diesen Ingenieurskongress weitgehend unbekannt sein dürften. Altglas wird zu „Misapor“: Schaumglas als Schüttungen oder Fundamentplatten, die isolieren und vor Feuchte schützen. Ein kreislauffähiges Material. Es wird geforscht an textilbewehrten Betonen, oder an Deckensystemen aus Holz und Lehm. Der Lehm gilt als ein perfekt kreislauffähiger Baustoff. Die Abfall- und Trennwirtschaft am Ende der Entsorgungskette ist ebenso wichtig, wie die Baustoffinnovationen. Ein Beispiel: Seit wenigen Jahren ermöglichen es optische Trennungstechniken, den Ziegelschutt aus dem allgemeinen Bauschutt herauszutrennen. Das Ziegelmehl kann dann wieder Bestandteil von neu gebrannten Ziegeln werden. Das Umweltbundesamt sagt seit vielen Jahren, das Problem der Gipsbestandteile im Bauschutt ist ein großes Hindernis für die sortenreine Trennung und Wiederverwertung der Baustofffraktionen. Er erhöht die Sulfatanteile der Bauschuttfraktionen über die technisch wünschenswerten oder erlaubten Maße. Hier müsste man technische Lösungen für das zirkuläre Bauen also trennungstechnisch denken - etwa an Maschinen oder Roboter, die Gipskarton-Platten vor dem großen Abriss händisch demontieren, wenn dafür die Arbeitskraft eben einfach fehlt oder im Bauprozess zu teuer ist. 3. Die Metapher des zirkulären Bauens Diese Stelle des Aufsatzes markiert einen gedanklichen Bruch. Jetzt geht es nicht mehr um technische Möglichkeiten, Hindernisse, Lösungen. Es geht um die Frage, warum sich Menschen, die nicht zu „unseren“ technischen Fachkreisen zählen, eigentlich für das zirkuläre Bauen interessieren sollten. Und das kann ja wichtig sein, dass sie sich interessieren - erstens, weil sie die Häuser der Zukunft in Auftrag geben und finanzieren müssen, zweitens, weil sie eine Nachhaltigkeitspolitik, die Vorgaben macht und Rahmen setzt, akzeptieren und verstehen, zumindest respektieren, müssen. Zunächst kann angenommen werden, dass sich ein Teil der Menschen für derlei langfristig orientiertes Denken entlang der Ideen und Fachtermini der Nachhaltigkeit interessiert, ein anderer aber eben nicht. Ein dritter, wachsender Teil der Gesellschaft, opponiert dagegen sogar ausdrücklich, das ist der politische Rechtspopulismus in allen Ländern der westlichen Welt, der Nachhaltigkeit als übergriffiges Elitenthema zum Zerrbild seiner selbst karikiert. Somit ist es Gegenstand nicht nur wissenschaftlicher Empfehlungen über optimale transformative Pfade - CO 2 -Preis, Flugsteuern, Bauvorgaben -, sondern eben auch der politischen Aushandlung, wie Ambitionen auch des zirkulären Bauens wirklich werden. Auf Konsens ist vielleicht zu hoffen, aber ist er realistisch? Wenn nicht, gibt es in Demokratien wenigstens Kompromisse. Politische Diskurse verlaufen nach anderen Mustern, als wissenschaftliche. Im gesellschaftlichen Bereich der Politik sind die Maximierung von Mehrheitsfähigkeit und öffentlicher Aufmerksamkeit zentrale Antriebsfelder, in der nach unserem Verständnis maßgeblichen Wissenschaft ist es die Orientierung an einer Wahrheit, die empirisch überprüf bar ist, und damit objektivierbar. Politik kommuniziert auf andere Weise im Raum des Emotionalen, und auf der Zeitachse von Traditionen, Milieubindungen, ideologischen Pfadabhängigkeiten oder zukunftsgerichteten Utopien. Metaphern haben hier eine zweischneidige Funktion. Sie verengen den Blick, die Komplexität der Wirklichkeit. Das „kreislaufgerechte Bauen“ ist gleich eine dreifache Metapher: Kreislauf, gerecht, Bauen. Metaphern sind Verbindungen zweier abstrakter Kategorienbegriffe. In jedem davon stecken kulturell, aber auch biographisch individuell geprägte bildliche Vorstellungen. Welche Bilder, welche Erfahrungen berührt das Bild vom Kreislauf? Von der Gerechtigkeit? Vom Bauen, das ja schon etymologisch ja untrennbar mit dem Bleiben, dem Wohnen also verbunden ist? FOTO 2: ÜBERLICHER ABRISS VOR NEUBAU. WARUM WURDE DAS HAUS NICHT ERHALTEN? Foto: Jan Grossarth
