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Fremdsprachen Lehren und Lernen
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
1992
211 Gnutzmann Küster Schramm
FLuL 21. Jahrgang ( 1992) Fremdsprachen Lehren und Lernen Herausgegeben von Gert Henrici und Ekkehard Zöfgen ~ Gunter Narr Verlag Tübingen Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL) Zur Theorie und Praxis des Sprachunterrichts an Hochschulen Herausgeber und Schriftleiter: Gert Henrici und Ekkehard Zöfgen Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld Postfach 10 01 31 · D-4800 Bielefeld 1 Beratende Mitarbeit: Rupprecht S. Baur (Essen)• Wolfgang Bömer (Hamburg) Dieter Götz (Augsburg) · Franz Josef Hausmann (Erlangen) Wolfgang Herrlitz (Utrecht) Fremdsprachen Lehren und Lernen erscheint einmal jährlich mit einem Umfang von ca. 240 Seiten. Das Jahresabonnement kostet DM 78 ,- (zuzügl. Postgebühren). Vorzugspreis für private Leser DM 58,- (zuzügl. Postgebühren / Lieferung und Rechnung an Privatadresse), sofern sie dem Verlag schriftlich mitteilen, daß sie die Zeitschrift ausschließlich für den persönlichen Gebrauch beziehen . Erfolgt keine Abbestellung bis zum 1. Dezember, so verlängert sich das Abonnement automatisch um ein Jahr. © 1992 · Gunter Narr Verlag • Tübingen Die in der Zeitschrift veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen , vorbe halten. Kein Teil dieser Zeitschrift darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form durch Fotokopie, Mikrofilm oder andere Verfahren reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsanlagen, verwendbare Sprache übertragen werden. Auch die Rechte der Wiedergabe durch Vortrag, Funk- und Fernsehsendung , im Magnettonverfahren oder auf ähnlichem Wege bleiben vorbehalten. Fotokopien für den persönlichen und sonstigen eigenen Gebrauch dürfen nur von einzelnen Beiträgen oder Teilen daraus al s Einzelkopien hergestellt werden. Jede im Bereic h eines gewerblichen Unternehmens hergestellte oder benützte Kopie dient gewe rblichen Zwecken ge rn . § 54 (2) UrhG und verpflichtet zur Gebührenzahl ung an die VG WORT, Abteilung Wissenschaft , Goethestraße 49, 8000 München 2, von der die einzelnen Zahlungsmodalitäten zu erfragen sind. Druck: Laupp & Göbel , Nehren Bindung: Nädele, Nehren Printed in Germany ISSN 0932-6936 ISBN 3-8233-4580-X Gunter Narr Verlag · Postfach 2567 · D-7400 Tübingen Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL) Jg. 21 • Inhaltsverzeichnis • 1992 Thematischer Teil: Idiomatik und Phraseologie herausgegeben von Ekkehard Zöfgen Zur Einführung in den Themenschwerpunkt ......................................... · 3 Annelies Häcki Buhofer, Harald Burger Gehören Redewendungen zum heutigen Deutsch? 11 Gertrud Greciano Leitbegriffe und Leitbilder in der .deutschen Phraseologie ............. ........... 33 Anne Lise Kjrer Normbedingte Wortverbindungen in der juristischen Fachsprache (Deutsch als Fremdsprache) ............................................................. 46 Elisabeth Gülich, Ulrich Krafft "Ich mag es besser". Konversationelle Bearbeitung vorgeformter Ausdrücke in Gesprächen zwischen deutschen und französischen Sprechern .......... : . . . . . 65 Rosemarie Gläser Phraseologismen im amerikanischen Englisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 Vilmos Biirdosi Problemes poses par le traitement lexicographique des figes dans les dictionnaires fran~ais .. .. . . . .. . .. .. . . .. . .. .. . .. .. .. .. . .. .. .. .. .. . .. . .. .. .. .. .. . 104 Franz Rudolf Weller Wie ,authentisch' ist ,idiomatisches' Französisch? Anmerkungen zu zwei unklaren Begriffen der Fremdsprachendidaktik .. .. .. . .. .. .. .. . .. .. . . .. .. . .. . 117 Barbara Stein «Avoir les locutions ·sur le bout de la langue» ? Idiome in Lehrwerken des Französischen .. . . .. . . . . . .. . .. . . .. .. . . .. . .. . . . .. .. .. . .. .. .. .. .. . .. . .. . .. .. .. . . . .. . .. . . 140 Regina Hessky Aspekte der Verwendung von Phraseologismen im Unterricht Deutsch als Fremdsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 (Fortsetzung umseitig) Peter Kühn Phraseodidaktik. Entwicklungen, Probleme und Überlegungen für den Muttersprachenunterricht und den Unterricht DaF ................................. 169 Eckhard Roos Lehrmaterialien zur englischen Idiomatik - Eine kritische Analyse . .. .. . . . .. 190 Stefan Ettinger Französische Idiomatiksammlungen - Einige Anmerkungen zu ausgewählten Neuerscheinungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Nicht-thematischer Teil Jens Bahns How to use the words you need. Wortschatzarbeit in der Lehrerausbildung - Kurskonzept und Erfolgskontrolle .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. 219 Gabriele Blell Zur Arbeit mit dem literarischen Text im universitären Fremdsprachenunterricht - Motivationsfördernde Wirkungen durch eine fachübergreifende Übungsgestaltung . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Buchbesprechungen · • Rezensionsartikel Sonja Tirkkonen-Condit (ed.): Empirical Research in Translation and Intercultural Studies. [...]. Tübingen: Narr 1991 (Bernd Stefanink) ..................................... 250 Thesaurus Larousse: Des mots aux idees, des idees aux mots, [...]. Paris: Larousse 1991 (Ekkehard Zöfgen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 Henning Wode: Einführung in die Psycholinguistik. [...]. München: Hueber 1988 (Manfred Raupach) . .. .. .. . . . . . . . . . .. .. . . . .. . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. . .. .. .. . .. .. . .. . . .. 254 Neuerscheinungen • Bucheingänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Informationen • Nachrichten • Vorschau (auf 1993) 257 Autoren/ Autorinnen der Beiträge 259 FLuL 21 (1992) Thematischer Teil: Idiomatik und Phraseologie Ekkehard Zöfgen Zur Einführung in den Themenschwerpunkt Im Kontext der etablierten Forschungsbereiche der synchronen Sprachwissenschaft zählt Idiomatik/ Phraseologie zu den noch jungen linguistischen Teildisziplinen. Dies ist umso erstaunlicher, als die ersten systematischen Untersuchungen zu den sog. "festen Wortverbindungen" auf Charles Bally (1909) zurückgehen, der gelegentlich als Begründer der phraseologischen Forschung genannt wird. Auf ihm aufbauend entwickelte sich so Häusermann (1977: VII) in der sowjetischen Linguistik bereits in den dreißiger Jahren eine „kontinuierliche Forschungsrichtung", die spätestens seit den Arbejten von Vinogradov (1946, 194 7) einen raschen, bis heute anhaltenden Aufschwung zu verzeichnen hatte. Von der euro-amerikanischen Linguistik wurden Ballys Erörterungen zu den «locutions phraseologiques» hingegen kaum zur Kenntnis genommen, und auch die Ergebnisse der osteuropäischen Forschung blieben nicht zuletzt aufgrund des erschwerten Zugangs zu diesen Arbeiten weitgehend unbeachtet. An der lange Zeit vorherrschenden phraseologischen Abstinenz sind allerdings auch frühe strukturalistische Theorien sowie im besonderen bestimmte Grundannahmen transformationeller Prägung nicht ganz schuldlos, stuften sie doch Phänomene von Idiomatizität entweder .als eine marginale Erscheinung von Sprache ein oder degradierten sie zu Anomalien des sprachlichen Systems, die der Regelapparat der sog. Standardtheorie nicht zu erklären vermochte. Überraschenderweise hat selbst die als Gegenpol zur Dominanz des ,Merkmalesischen' und ,Generativistischen' entworfene Text- und Pragmalinguistik der Existenz von phraseologischen Einheiten in der Anfangsphase nur geringe Aufmerksamkeit geschenkt. Diese Situation änderte sich schlagartig, als die umfangreiche sowjetische Literatur zur Phraseologie auch außerhalb der Slawistik rezipiert wurde und als das bereits in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre sich abzeichnende wachsende Interesse an diesem Gegenstandsbereich auch hierzulande in einer entsprechenden Zahl von Publikationen seinen Niederschlag fand. Ohne Übertreibung läßt sich behaupten, daß Idiomatik und Phraseologie nunmehr auch aus westeuropäischer Sicht nicht mehr zu den Randgebieten sprachwissenschaftlicher Forschung gehören und international gesehen auf dem besten Wege sind, im Zuge der „Wiederentdeckung" des Wortschatzes und damit verbunden der verstärkten Hinwendung zu lexikologischen und lexikographischen Fragestellungen ins Zentrum linguistischer Bemühungen zu rücken. Die beeindruckende Zahl· von Kongressen und Tagungen, die dieser Thematik gewidmet sind (vgl. etwa Mannheim 1982, Zürich 1984, Oulu 1986, Lyon FLuL 21 (1992) 4 Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 1992), sowie der im zweijährigen Rhythmus stattfindende, seit 1988 unter dem Begriff Europhras in die Literatur eingegangene Gedankenaustausch zwischen (vornehmlich germanistischen und slawistischen) Phraseologieforschem 1 legen davon Zeugnis ab. Es spricht zudem für den erreichten Forschungsstand, daß bereits seit einem Jahrzehnt ein Handbuch der Phraseologie (Burger/ Buhofer/ Sialm 1982) vorliegt. Schließlich scheint die Tatsache, daß wir inzwischen sogar über ein für den Bereich der anglistischen Hochschullinguistik konzipiertes Arbeitsbuch verfügen (Welte 1990), ein sicheres Anzeichen dafür zu sein, daß dieser Fragenkomplex auch im Kanon der universitären Lehrveranstaltungen kein Schattendasein mehr führt. Zur Abrundung dieser wenigen Anmerkungen zum aktuellen Forschungsstand wäre noch auf drei Themenhefte von Fachzeitschriften hinzuweisen (Weller [Hrsg.] 1979, Stötzel [Hrsg.] 1985, Danlos [et al.] 1988), die sich den in diesem Zusammenhang auftauchenden Problemen von sehr unterschiedlichen Standpunkten und mit divergierender Zielsetzung zu nähern versuchen. Trotz aller Erkenntnisfortschritte im Bereich der linguistischen und sozialpsychologischen Phraseologieforschung sollte nicht unerwähnt bleiben, daß sowohl die Sonderstellung der Phraseologie als linguistischer Teildisziplin wie auch die vieldiskutierte Annahme einer eigenen phraseologischen Ebene bzw. eines eigenen phraseologischen Systems innerhalb der Sprache nach wie vor umstritten und in mancherlei Hinsicht als problematisch zu bezeichnen sind. Dies hängt u.a. damit zusammen, daß das Untersuchungsobjekt der Phraseologie "unter funktionalem Gesichtspunkt zwar eindeutig dem Lexikon [...] der Sprache zugehört" und die Erörterung phraseologischer Fragestellungen folgerichtig in den Zuständigkeitsbereich von Lexikologie und Semantik fiele, daß sich phraseologische Einheiten aber andererseits "durch ihre Strukturiertheit auf der Ausdrucksebene, ihren polylexikalischen Charakter, von Einzelwortlexemen deutlich ab[heben]" (Hessky 1992: 77). Der besondere Stellenwert, der dieser (Teil-)Disziplin gemeinhin zuerkannt wird, ergibt sich deshalb in erster Linie dadurch, daß eine Beschäftigung mit Wortgruppen- und Satzlexemen das Gebiet von Lexikologie und Syntax ebenso berührt wie das von Wortbildung und Stilistik. Unter dieser Prämisse liegt Phraseologie im Grenzbereich bzw. Übergangsfeld der genannten Disziplinen. 2 Als nachteilig hat sich daneben die längst nicht überwundene Unsicherheit bei der Definition und Klassifikation phraseologischer Einheiten erwiesen. Vor 1 Vgl. dazu die in diesem Band mehrfach zitierten Dokumentationen der Europhras-Tagungen in Klingenthal-Strasbourg (1988) und Aske-Uppsala (1990) sowie zuletzt Saarbrücken (1992). 2 Einige Forscher gehen noch einen Schritt weiter, indem sie Phraseologie sogar im Überschneidungsbereich linguistischer und nicht-linguistischer Disziplinen ansiedeln und das Arbeitsfeld damit bewußt auf Nachbarwissenschaften wie etwa Volkskunde, Literaturwissenschaft, Rechts- und Sozialwissenschaft, u.a. ausdehnen (vgl. Pilz 1978: 782 ff). FLuL 21 (1992) Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 5 allem die geradezu chaotisch anmutende terminologische Vielfalt hat immer wieder für Verwirrung gesorgt und eine nicht enden wollende Zahl von Mißverständnissen und Abgrenzungsdebatten provoziert. Wenn trotz weiter bestehender terminologischer Unklarheit und nicht immer eindeutiger Begriffsopposition im Titel des Themenschwerpunktes sowohl Idiomatik als auch Phraseologie erscheinen, so darf dies nicht als Ausdruck terminologischer Verlegenheit oder Beharren auf terminologischer Indifferenz gewertet werden. Gemäß der sprachübergreifenden Orientierung dieser Zeitschrift wird vielmehr zum einen der terminologischen „Tradition" im frankophonen und angelsächsischen Sprachraum Rechnung getragen, wo sich Phraseologismus als Oberbegriff bislang nicht durchsetzen konnte. Zum anderen wird mit der expliziten Verwendung des (vor allem in der Fremdsprachendidaktik eingeführten) Idiomatikbegriffs auf die Beiträge Bezug genommen, die Idiome im Sinne idiomatisch fixierter Wortgruppenlexeme ( = Phraseolexeme)3 als (wichtigste) Teilklasse phraseologischer Einheiten akzentuieren. An den Grundfesten der Phraseologie vermochten die erwähnten Schwierigkeiten allerdings nicht zu rütteln. Die nicht mehr aufzuhaltende Etablierung der Phraseologie als eigenständiger Forschungsdisziplin profitierte dabei zweifellos von der Erkenntnis, daß ein nicht zu unterschätzender Teil unseres sprachlichen Handelns in der Verwendung vorgefertigter Muster besteht 4, und daß das, was Coseriu (1966: 195) den «discours repete» nennt, keine Randerscheinung, sondern ganz im Gegenteil ein Grundbestandteil natürlicher Sprachen ist, den es bei der Vermittlung von (Fremd-)Sprache angemessen zu berücksichtigen gilt. Solche Überlegungen und Einsichten sind nun auch der Fremdsprachendidaktik keineswegs fremd. Es besteht sogar weitgehend Konsens über die Notwendigkeit einer verstärkten Einbeziehung phraseologischer Einheiten und deren gezielter Behandlung im Unterricht. 5 Was allerdings die von Pilz bereits 1981 beklagte „phraseodidaktische Enthaltsamkeit" (124) angeht, so dürfte sie sieht man einmal von der beträchtlichen Zahl lexikographischer Erzeugnisse ab ,... für die meisten · Fremdsprachen nach wie vor Gültigkeit haben. Es scheint in der Tat, "als dämmere die primär- und sekundärsprac; hliche Didaktik weiterhin im phraseologischen Dornröschenschlaf" (Kühn in diesem Band, S. 169). 3 Nach verbreiteter Auffassung werden unter PhraseoJexemen „relativ stabile Verbindungen von Wörtern/ Wortgruppen [verstanden], deren wendungsinterne (Gesarnt-)Bedeutung von der wendungsexternen der Einzelkonstituenten in freier Wortverbindung differiert" (Wotjak 1992: 3). 4 Aurelien Sauvageot hat dieses Phänomen im Zusammenhang mit der Diskussion um die mots-tandem auf die knappe Formel gebracht: «Rien n'est plus fallacieux que de croire que nous nous exprimons librement [...] la part de l'automatisme dans l'expression linguistique est enorme» (in: Vie et Langage 1955: 223 und 226; zitiert nach Hausmann 1979: 195). 5 Auch in Untersuchungen zum gesteuerten und ungesteuerten Zweitsprachenerwerb finden die sog. "lexical phrases" zunehmend Beachtung (vgl. z.B. Nattinger/ DeCarrico 1989). FLuL 21 (1992) 6 Zur Einführung in den Themenschwerpunkt Mit dem vorliegenden Themenheft wird ein bescheidener Vorstoß unternommen, die mehrgliedrigen fixierten Wortverbindungen (phraseologischen Einheiten, Phraseologismen), die seit geraumer Zeit einen festen Platz in der linguistischen Forschung einnehmen, (erneut) in das Blickfeld der Fremdsprachendidaktik zu rücken, um ihnen damit hoffentlich auch in der (universitären) Fremdsprachenlehre jene Geltung zu verschaffen, die ihnen aufgrund ihrer Bedeutung in mündlicher und schriftlicher Kommunikation zukommt. Diesem Anliegen entsprechend sind die hier versammelten Beiträge zu zwei gleichgroßen Gruppen geordnet, von denen die erste die stärker linguistisch argumentierenden Beiträge vereint, während in der zweiten phraseodidaktische Aspekte im Vordergrund stehen. Ganz im Sinne der starken Impulse, die von der germanistischen Phraseologieforschung immer noch ausgehen, ist das Deutsche (als Fremdsprache) im ersten Themenblock mit drei Beiträgen vertreten. Ausgehend von der durch einen kenntnisreichen Forschungsüberblick gestützten These, daß unser Wissen über die Verwendung von Phraseologismen im heutigen Deutsch vornehmlich aus Textsortenuntersuchungen gewonnen wurde, daß sich aber die Frage nach der Verankerung von Phraseologismen bei breiten Bevölkerungskreisen aus methodischen Gründen gerade nicht textsortenbezogen befriedigend beantworten läßt, stellen Annelies Häcki Buhofer (Basel) und Harald Burger (Zürich) Anlage und erste Resultate einer Fragebogenstudie vor, die das Problem des Gebrauchs und des Verstehens von Phraseologismen über deren metakommunikative Einschätzung durch nicht-professionelle Sprecher/ -innen angeht. Unter den auch fremdsprachendidaktisch unmittelbar relevanten Ergebnissen ist vor allem jener Befund hervorzuheben, der auf starke Abweichungen zwischen lexikographischstilistischer Markierung von Phraseologismen und deren Beurteilung durch (schweizerdeutsche) Muttersprachler hindeutet. · Daß die gängigen alphabetisch gliedernden Wörterbücher in Situationen der Textproduktion nur begrenzt Hilfestellung leisten, ist hinlänglich bekannt. Für die phraseologischen Nachschlagewerke folgt daraus, daß sie als aktive Formulierungshilfe nur dann von Nutzen sind, wenn sie den Zugriff auf die phraseologische Einheit über eine thematische Organisation auszudrückender Begriffe gewährleisten. Ein solches Verfahren steckt nun leider voller Tücken. Die größte Hürde ist bei der Suche nach einem adäquaten Schlüsselbegriff zu nehmen, "der den Inhalt der Redensart mit der größtmöglichen Präzision umreißt, ohne gleichzeitig so abstrus und selten zu sein, daß niemand ihn als onomasiologischen Ausgangspunkt wählen wird" (Hausmann 1985: 107). In Kennntis dieses „onomasiologischen Dilemmas" muß Gertrud Grecianos (Straßburg) Versuch gewürdigt werden, Leitbilder und Leitbegriffe aufzuspüren und damit einige (auch phraseodidaktisch verwertbare) Akzente in Richtung auf eine erst in Umrissen sich abzeichnende Phraseosystematik zu setzen. Von ähnlich differenzierten Erkenntnissen ist die fachsprachliche Phraseologie noch ein gutes Stück entfernt. Der Mangel an umfassenden Bestandsaufnah- FLuL 21 (1992) Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 7 men bringt es mit sich, daß geeignete phraseographische Lehrmittel und Referenzwerke fehlen, mit denen dieser Bereich für den ausländischen Lehrer .und Lerner erschlossen wird.· Anne Lise Kj~r (Kopenhagen) nimmt sich vor, diese Forschungslücke zumindest ansatzweise auszufüllen, indem sie das in ihrer Dissertation entwickelte Verfahren zur Analyse von juristischen, zur Terminologisierung und fachsprachlichen Verfestigung tendierenden Wortverbindungen vorstellt und diese Methode an Beispielen aus der deutschen Prozeßsprache veranschaulicht. Verstärkter Anstrengungen bedarf es schließlich auch im Bereich der empirischen Untersuchung der gesprochenen Sprache, so daß die Vorstellungen über das tatsächliche Vorkommen und die Funktion von Phraseologismen in der alltäglichen Kommunikation vorläufig noch einigermaßen verschwommen bleiben. Aufschlußreiche Einblicke verspricht hier das Bielefelder Forschungsprojekt zur kommunikativen Interaktion in Kontaktsituationen zwischen deutschen und französischen Sprechern, aus dem Elisabeth Gülich und Ulrich Krafft ihr Beispielmaterial schöpfen, wobei sie sich gezielt der Frage zuwenden, welche Rolle phraseologische Ausdrücke in exolingualer Kommunikation spielen. Zwei zentrale Aussagen dieser empirischen Studie lassen aufhorchen: (1) "Idiomatische Wendungen" vom Typ 9a mange pas de pain, die ja auch den Kernbestand phraseologischer Sammlungen ausmachen, sind im Bielefelder Korpus äußerst selten belegt. Häufigere Verwendung finden dagegen die sog. "vorgeformten Ausdrücke" (also z.B. feste Syntagmen oder phraseologische Termini), die gerade aufgrund ihrer Formelhaftigkeit dem Nicht-Muttersprachler erhebliche Verstehens- und Formulierungsprobleme bereiten. (2) Erworben werden solche Einheiten offenbar erst unter der Voraussetzung, daß sich ein Bewußtsein von der Vorgeformtheit und Irregularität dieser Einheiten herausbildet. Mit lexikologisch-lexikographischen Fragestellungen beschäftigen sich die beiden letzten Beiträge des ersten Themenblocks. Auf der Grundlage eines Vergleichs zwischen amerikanischen und britischen Nachschlagewerken sichtet Rosemarie Gläser (Leipzig) Phraseologismen im amerikanischen Englisch, und zwar sowohl in ihrer Ausprägung als Phraseolexeme als auch als Phraseotexteme (satzförmige phraseologische Einheiten). Die sorgfältige, um Klassifikation des Materials nach Sachgruppen bzw. Themenfeldern bemühte Analyse kommt zu dem Schluß, daß tendenziell nicht nur im Lexikon, sondern auch im Phrasembestand ein ständiger Austausch zwischen diesen beiden nationalen Varianten des Englischen stattfindet. - Den mannigfaltigen Problemen, die sich bei der lexikographischen Behandlung von Phraseologismen einstellen, wendet sich Vilmos Bardosi (Budapest) zu. Ihren Reiz bezieht die Darstellung u.a. aus der Tatsache, daß Vilmos Bardosi selbst eine weit über die Grenzen Ungarns hinaus bekannt gewordene Sammlung französischer Idiomatismen verfaßt hat, die seit kurzem auch in einer für den deutschsprachigen Benutzer adaptierten Fassung vorliegt (Bardosi/ Ettinger/ Stölting 1992), und daß. der Autor mithin auf einschlägige lexikographische Erfahrungen zurückgreifen kann. FLuL 21 (1992) 8 Zur Einführung in den Themenschwerpunkt Ersichtlich leiten diese Überlegungen gleichzeitig zum zweiten Themenblock über, den Franz Rudolf Weller (Köln) mit einer kritischen Bestandsaufnahme des geradezu inflationären Gebrauchs von „authentisch/ Authentizität" als fremdsprachendidaktischer Kategorie eröffnet. Seine Ausführungen, die vor dem Hintergrund aktueller Bestrebungen um einen stärker lernerzentrierten und interaktiv ausgerichteten Fremdsprachenunterricht zu sehen sind und die auf eine pragmatische Wende in der Idiomatik-Diskussion hinwirken möchten, gipfeln in der These, daß ein wirklich „authentischer" Fremdsprachenunterricht letztlich nicht anders als „idiomatisch" im weitesten Sinn des Wortes sein kann. Aus der Forderung nach unterrichtlicher Berücksichtigung von Phraseologismen und der (ggf.) "aktive[n] Beherrschung eines Grundbestands an idiomatischen Wendungen" (Weller 1979: 551) ergeben sich nun zahlreiche ungelöste Probleme, die einerseits Lernschwierigkeiten betreffen, wie sie sowohl auf der Form- und Inhaltsseite als auch bei der pragmatisch korrekten Verwendung bestehen, und die andererseits mit Stichwörtern wie Selektion, Präsentation und Progression des Sprachmaterials summarisch umschrieben werden können. Was die didaktisch reflektierte Auswahl bzw. die immer wieder reklamierte Erarbeitung eines „phraseologischen Minimums" angeht, so stehen verläßliche Frequenzuntersuchungen, die Anhaltspunkte für die quantitative und qualitative Verteilung phraseologischer Mittel auf verschiedene Textsorten bieten, vorläufig noch aus. Auch im Hinblick auf die (offenbar mangelnde) Berücksichtigung von Phraseologismen in Lehrwerken waren wir bislang auf Vermutungen angewiesen. Mit ihrer frequenzorientierten Analyse französischer Idiome, die auf einem stichprobenartigen Vergleich von authentischen Texten und Lehrwerkmaterial beruht und in der zentrale theoretische Probleme eines solchen Vorgehens angesprochen werden, leistet Barbara Stein (Koblenz) deshalb wahrhaft Pionierarbeit. - Einen etwas anderen Standpunkt bezieht Regina Hessky (Budapest) bei der Frage nach der Notwendigkeit zur Erstellung eines phraseologischen Grundstocks (für Deutsch als Fremdsprache). Anzustreben sei vielmehr ein sog. "phraseologisches Optimum", bei dem sich verschiedene Selektionskriterien (wie kommunikative Funktion, Frequenz und Textsortenspezifik) einander ergänzen und das jeweils unter kontrastiven Vorzeichen sowie nach Maßgabe von Zielsetzung und Lernstufe zu modifizieren ist. Als sicherlich größtes Defizit ist in der aktuellen phraseodidaktischen Diskussion die unzureichende methodisch-didaktische Aufbereitung des Sprachmaterials anzusehen. Mit dieser ebenso schwierigen wie lohnenden The.matik befaßt sich Peter Kühn (Trier). Ein geschlossenes Konzept ist beim gegenwärtig unterentwickelten Forschungsstand zwar nicht zu erwarten. Gleichwohl können die zur Didaktisierung von Phraseologismen für den Mutter- und Fremdsprachenunterricht (Deutsch) unterbreiteten Vorschläge für sich in Anspruch nehmen, nicht nur bedenkenswerte didaktische Alternativen aufzuzeigen, sondern auch Anregungen auf dem Weg zur methodisch angemessenen Präsentation von Phraseologismen zu geben. FLuL 21 (1992) Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 9 Trotz aller Einwände, die in der Vergangenheit gegenüber phraseologischen Spezialwörterbüchern (vor allem des Deutschen) vorgebracht worden sind (vgl. exemplarisch Hausmann 1985), ist der fremdsprachige Benutzer auf diese Hilfsmittel, in denen er idealiter Auskünfte über Bedeutung, Gebrauch und spezifische Verwendungsbedingungen erhält, dringend angewiesen. Eine kritische Analyse der wichtigsten zur Zeit erhältlichen Nachschlagewerke, aus der u.a hervorgeht, inwieweit sie zum genauen Verständnis der Bedeutung von Phraseologismen. beitragen, ob sie sich zur Textproduktion oder gar zum systematischen Durcharbeiten bestimmter Teile eignen bzw. wie sie überhaupt am effektivsten zu nutzen sind, bleibt deshalb weiterhin ein dringendes Desiderat. Eckhard Roos (Paderborn) kommt diesem Bedürfnis für das Englische nach, Stefan Ettinger (Augsburg) bespricht ausgewählte Neuerscheinungen der Jahre 1979-1990 im Hinblick auf ihre Verwendung im. schulischen und universitären Französischunterricht. Bei der Komplexität des Themenschwerpunktes und der Verschiedenartigkeit der theoretischen Ansätze wäre es ein aussichtsloses Unterfangen, das sichtbar gewordene breite Spektrum von Forschungsinteressen und Argumentationslinien auf einen Nenner zu bringen. Immerhin scheinen sich die Beiträger/ -innen aber in einem Punkt einig zu sein, nämlich in der Überzeugung, daß Phraseologismen unsere ungeteilte Aufmerksamkeit verdienen und somit auch ihre Behandlung im (Fremd-)Sprach(en)unterricht nicht dem Zufall überlassen werden sollte. Möge dieses Plädoyer nicht ungehört verhallen! Angesichts der vielen ungeklärten Fragen und einer gerade erst in Gang gekommenen phraseodidaktischen Forschung wird man allerdings Stefan Ettinger (in diesem Band S. 216) kaum widersprechen können, wenn er seinen Beitrag mit der Bemerkung schließt: Nous avons du pain sur Ja planche! [Zitierte] Literatur BALLY, Ch.: Traite de stylistique fran~aise. Tome 1. Heidelberg 1909 [4. Aufl. Geneve 1963]. BÄRDOSI, V./ ETTINGER, S. / STÖLTING, C.: Redewendungen Französisch/ Deutsch. Thematisches Wörter- und Übungsbuch. Tübingen 1992 (UTB; 1703). BURGER, H. / BUHOFER, A. / SIALM, A.: Handbuch der Phraseologie. Berlin/ New York 1982. 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An empirical stylistic investigation must therefore take into account the speaker-relevant aspects of use and criticism of individual 1dioms by different social groups. The article puts forward outline and overall results of an inquiry by question forms undertaken in this field. 0. Wenn Redewendungen (wir verwenden im folgenden den Terminus "Phraseologismen") gebrauchsbezogen untersucht werden, so geschieht dies im allgemeinen im Hinblick auf Textsorten. Dabei sind verschiedene Medien und verschiedene Fächer die häufigsten Kriterien, die als textsortenkonstituierend angenommen werden. Es wird somit ein relativ schmaler, allerdings wichtiger öffentlicher Bereich studiert. Die auf Medien und Fächer ausgerichteten Arbeiten berücksichtigen mehrheitlich professionelle Schreiber/ -innen (allenfalls Sprecher/ -innen), die nur einen kleinen Ausschnitt aus der Breite der Bevölkerung darstellen. Der Frage der Verankerung der Phraseologismen bei breiten Kreisen der Bevölkerung läßt sich mit den üblichen Textsortenuntersuchungen aus methodischen Gründen nicht nachgehen, weil viele soziale Gruppen keine geschriebenen, gruppentypischen Textsorten produzieren. Eine empirische Stilistik hat deshalb sprecherbezogene Gesichtspunkte des Gebrauchs und der Beurteilung durch differenzierte soziale Gruppen zu berücksichtigen. Da das, was an gesichertem Wissen über die Phraseologie-Verwendung im heutigen Deutsch vorliegt, aus Textsortenuntersuchungen gewonnen wurde, soll im ersten Teil dieses Aufsatzes eine knappe Forschungsskizze zu diesem Bereich gegeben werden. Der zweite Teil gilt der Frage, wie verschiedenartige Sprechergruppen des Deutschen Phraseologismen gebrauchen, verstehen und vor allem beurteilen. Wir berichten über die (wenigen) Erkenntnisse, die dazu vorliegen, und sichten die Forschung auf Konzepte hin, die sich für ein systematisches Studium der Frage im Rahmen einer empirischen Stilistik weiterentwickeln lassen. Schließlich stellen wir Anlage und erste globale Resultate einer Fragebogenstudie vor, die wir zu diesem Problembereich durchgeführt haben. Wir halten Fragen dieser Art für besonders interessant im Zusammenhang mit der Fremdsprachendidaktik. Wir haben in Burger/ Buhofer/ Sialm (1982: 309) darauf hingewiesen, daß Ergebnisse der kontrastiven Phraseologieforschung in FLuL 21 (1992) 12 Annelies Häcki Buhofer, Harald Burger Lehrbüchern kaum vertreten sind und ein praktischer Standpunkt die wesentlichen Probleme spürbar werden ließe, zu denen auch die stilistische Beurteilung der Phraseologismen gehört. Daniels (1985) bezieht sich auf eine allgemein anerkannte Auffassung, wonach „gerade das idiomatische Sprechen einer Fremdsprache erstrebenswertes Lernziel" sei, begründet allerdings diese Auffassung mit Thienelt (zit. nach Daniels 1985: 147) durch die Vorteile automatischer Sprachabläufe: "Die Kommunikationstüchtigkeit des Sprechers hängt davon ab, inwieweit er auf automatisierte Sprachabläufe zurückgreifen kann. Je größer dieser Vorrat ist, desto wirkungsvoller ist auch seine sprachliche Tätigkeit. Sie entlasten sein Gedächtnis, so daß seine Aufmerksamkeit verstärkt der inhaltlichen Seite der Äußerung gelten kann. Ohne einen bestimmten Vorrat usuell verfestigten Sprachmaterials ist eine erfolgreiche Kommunikation kaum möglich". Die Argumentation ist zwar nicht falsch, trifft aber, wie man nur immer wiederholen kann, sowohl phraseologisches als auch nichtphraseologisches Sprachmaterial (vgl. Burger/ Buhofer/ Sialm 1982, Kap. 5). So oder so ist der von Daniels formulierten Frage, wie groß der Vorrat an phraseologischem Sprachmaterial sein sollte, ein hoher Stellenwert zuzubilligen. Daniels meint zu Recht, daß sich "mit Fragen dieser Art [...] die Forschung vor der Praxis zu verantworten" (147) habe, und weist darauf hin, daß auch in der (an den Vortrag) anschließenden Diskussion vor allem die Frage eines „phraseologischen Minimums" problematisiert worden sei, "insbesondere in Hinblick auf den Bestand selbst und mögliche Fluktuationserscheinungen" (154). 1.1 Die Resultate verwendungsbezogener Arbeiten sind häufig nicht unmittelbar vergleichbar, da die verwendeten Klassifikationen und Terminologien sich in den seltensten Fällen decken, oft sogar nicht einmal kompatibel sind. Daher ist zunächst eine Bemerkung zur Klassifikation und Terminologie angebracht. Für Vergleiche, die das Typische der Phraseologieverwendung in Textsorten herausstellen sollen, bietet sich am ehesten eine „Mischklassifikation" an, die mit mehreren Kriterien (semantischen, strukturellen, formalen, pragmatischen) zugleich operiert und Mehrfachklassifikation von Einheiten zuläßt (vgl. Burger/ Buhofer/ Sialm 1982; Kunkel 1991: 73; Fleischer 1982: 128). Für bestimmte Fragestellungen kann es allerdings sinnvoll sein, das Material konsequent nach einem Kriterium zu gliedern, z.B. dem semantischen: den Graden der semantischen Transformiertheit, wenn man z.B. am Maß der Bildhaftigkeit von Texten interessiert ist (vgl. Burger 1989). Ein eigentlicher Terminologievergleich ist in diesem Rahmen natürlich nicht möglich. Doch möchten wir für die Zwecke dieses Aufsatzes, aber zugleich als Vorschlag für eine künftige Vereinheitlichung folgende Basisterminologie vorschlagen (wobei durchaus Synonyme zuzulassen sind): Die im Handbuch der Phraseologie (Burger/ Buhofer/ Sialm 1982) verwendete und weitgehend in Anlehnung an die sowjetische Forschung entwickelte Terminologie ist in der FLuL 21 (1992) Gehören Redewendungen zum heutigen Deutsch? 13 weiteren Forschung partiell aufgegriffen worden. Die DDR-Literatur folgt konsequent der Terminologie von Fleischer (1982). Unseres Erachtens sind die beiden Terminologien weitgehend kompatibel, da sie auf vergleichbaren Klassifikationsprinzipien basieren. (1) Oberbegriff ist „Phraseologismus" oder „phraseologische Wortverbindung". Das ist, im Gefolge der extensiven Phraseologie-Forschung in den slavischen Ländern, auch in der deutschsprachigen Literatur (und weit darüber hinaus) inzwischen allgemeiner Sprachgebrauch. (2) Den zentralen Bereich der Phraseologie, der semantisch (und vielfach gleichzeitig auch morphosyntaktisch) definiert ist, bilden die „Idiome" oder "Phraseolexeme". Beide Termini sind gegenwärtig etwa gleich gebräuchlich. "Idiom" schließt an den angelsächsischen Terminologiegebrauch an, hat aber den Nachteil, daß der Terminus keine lexikalische Beziehung zur Bezeichnung des linguistischen Gebietes „Phraseologie" und zum Oberbegriff hat. "Phraseolexem" hat diese Nachteile nicht, präjudiziert aber den "lexikalischen" Status der Phraseologismen. Die an sich nächstliegende Bildung „Phrasem" hat sich nicht durchgesetzt, wohl weil sie impliziert, daß Phraseologismen eine eigene „Ebene" des Sprachsystems bilden, neben „Phonemen", "Morphemen" etc., was aber nicht unumstritten ist. Wenn man „Idiom" wählt, wäre der früher für das ganze Gebiet gängige Terminus „Idiomatik" zu reservieren für den Kernbereich der „Phraseologie". Die Inklusionsbeziehung von „Phraseologismus" und „Idiom" vertritt implizit - Korhonen: Er untersucht in seinem kontrastiven finnisch-deutschen Projekt „Verbidiome", wobei er offenbar mit „Idiom" allgemein solche Phraseologismen meint, "in denen eine metaphorische Bedeutung oder aber eine Gesamtbedeutung vorliegt, die sich nicht aus den Bedeutungen der Glieder rekonstruieren läßt" (1987: 4). Die Idiom-Forschung bildet dann einen Teilbereich der Phraseologie-Forschung. (3) Alle Phraseologismen, die nicht Idiome sind, also keine oder nur. geringfügige semantische/ morphosyntaktische Abweichungen zeigen und die nur oder vorwiegend aufgrund des Kriteriums der „Festigkeit" (Stabilität) zur Phraseologie gerechnet werden, lassen sich als „Phraseologismen im weiteren Sinne" zusammenfassen. Die Gruppe ist sehr groß, umfaßt sehr heterogene Klassen und hat gegen nicht-phraseologische Wortverbindungen offene Grenzen. Das größte Segment dieses Feldes bilden die „Nominationsstereotype" (auch „Benennungsstereotype", Beispiele: gesammelte Werke, öffentliche Meinung), deren definitorisches Merkmal die Funktion des Benennens ist im Gegensatz etwa: zu den „Routineformeln" (vgl. unter (4); vgl. Fleischer 1982). Umstritten ist, inwieweit die „Funktionsverbgefüge" zur Phraseologie zu rechnen sind. (4) Eine große Gruppe von Phraseologismen (die unter strukturellen Aspekten teils zur Phraseologie im weiteren, teils im engeren Sinne gehören) läßt sich unter pragmatisch-funktionalen Aspekten relativ einheitlich definieren. Dafür hat sich weitgehend der Terminus „Routineformel" (C<; mlmas 1981) durchgesetzt. 1 Die Ausdrücke „kommunikative Formel" (Fleischer 1982) oder „pragmatischer Phraseologismus" (Burger/ Buhofer/ Sialm 1982) sind synonym, aber weniger handlich. FLuL 21 (1992) 14 Annelies Häcki Buhofer, Harald Burger (5) Über die aufgrund einer Mischklassifikation gebildeten Subklassen besteht überwiegend klassifikatorische Einigkeit, und die Termini lassen sich ineinander überführen. Ob man bei mit Kind und Kegel von "Paarformel", "Zwillingsformel" oder "phraseologischem Wortpaar" spricht, bei .flink wie ein Wiesel von „komparativem Phraseologismus" oder "phraseologischem Vergleich" spricht, ist belanglos und beeinträchtigt die wechselseitige Verstehbarkeit von Studien nicht. Weitere Klassen sind ad .hoc zu definieren und zu benennen, möglichst im Einklang mit gängigem Sprachgebrauch (z.B. "Sprichwort", "Geflügelte Worte" usw.). (6) In Übereinstimmung mit sonstigem linguistischem Sprachgebrauch sind „ Varianten" des Phraseologismus konventionalisierte alternative Formulierungen (seine Hand/ Hände im Spiel haben). Für nicht konventionalisierte, individuelle Abwandlungen des Phraseologismus hat sich der von Burger/ Buhofer/ Sialm (1982) vorgeschlagene Terminus „Modifikation" bewährt. 2 1.2 Erste korpusbasierte Arbeiten zur Phraseologie stammen von Koller (1977: 119 ff), der das Vorkommen und die Funktionen von Phraseologismen in einigen Bereichen der Zeitungssprache analysiert, und Reger, der sich in verschiedenen Aufsätzen (gesammelt in Reger 1980) mit Metaphorik und Idiomatik in der Presse und in literarischen Texten befaßt. In Burger/ Buhofer/ Sialm (1982: 145 ff) wird erstmals ein größeres Korpus geschriebener und gesprochener Texte verschiedener Textsorten im Hinblick auf das Vorkommen der phraseologischen Klassen quantitativ untersucht. Es wurden neben Zeitungskommentaren vor allem Texte aus dem Bereich mündlicher Kommunikation berücksichtigt, da es dazu im damaligen Zeitpunkt gar keine größeren Arbeiten gab. Überwiegend handelte es sich um Radio- und Fernsehsprache (Nachrichten und Kommentare, Talkshow), daneben aber auch um (schweizerdeutsche) Familienkommunikation. Dabei erwies sich die Phraseologie als klarer Indikator für Texttypendifferenzen. Für jeden Texttyp läßt sich eine Konfiguration dominanter phraseologischer Merkmale erstellen. Krasse Differenzen zeigten sich bei den verbalen Idiomen, den nominalen Nominationsstereotypen und den Routineformeln. Verbale Idiome, insbesondere mit noch transparenter Metaphorik, sind charakteristisch z.B. für kommentierende Texte der Massenmedien (mündlich wie schriftlich). Demgegenüber sind sie in Alltagskommunikation gemessen an verbreiteten Erwartungen unerwartet selten. Verdichtet treten sie in unserem Material nur dann auf, wenn die emotionale Beteiligung der Teilnehmer besonders stark ist. Da die Settings von Alltagskommunikation aber wenig stabil sind und in diesem Bereich keineswegs von konventionalisierten Textsorten gesprochen werden kann, verlangt dieses 2 Fleischers Terminus "phraseologische Varianten" ist unpraktisch, weil er zu nahe bei "Variation" liegt, dem von ihm verwendeten Terminus für konventionelle Varianten. FLuL 21 (1992) Gehören Redewendungen zum heutigen Deutsch? 15 Resultat nach genauerem Studium der Faktoren, die für das Vorkommen von Idiomen förderlich oder hemmend sind. Nominationsstereotype sind am dichtesten vertreten in Nachrichtensendungen, während sie in der Alltagskommunikation kaum auftreten. Routineformeln sind am häufigsten in den dialogischen Texten (sowohl in den Medien als auch im Alltag). Aber auch in monologischen Nachrichtentexten machen formelhafte, für die Textsorte spezifische Ausdrücke wie nach offiziellen Angaben, aus gewöhnlich gut unterrichteter Quelle, die man zu den Routineformeln zählen kann, einen bedeutenden Anteil aus. Eine ergänzende empirische Studie zeigte, daß Konfigurationen von phraseologischen Klassen nicht nur auf der Produktionsseite (für die Textkonstitution) relevant sind, sondern daß auch die Rezipienten ein Bewußtsein/ eine Intuition von den für einen Texttyp charakteristischen Phraseologie-Klassen haben. In den folgenden Jahren wurden diese Resultate durch spezialisiertere Untersuchungen zu einzelnen der genannten Texttypen insbesondere unter funktionalen Aspekten (z.B. Burger 1987, Häusermann 1987, Sandig 1989) differenziert, und es wurden neue Textsorten studiert, so daß heute bereits für weite Bereiche der gegenwartssprachlichen Textvorkommen quantitative und qualitative Resultate zur Phraseologie vorliegen. Gustafsson/ Piirainen (1985) untersuchten ein Korpus von Zeitungstexten (FAZ, NZZ, Salzburger Nachrichten, Berliner Zeitung), wobei die Texte nach den Themenbereichen Politik, Kultur, Wirtschaft, Inland, Sport unterteilt wurden. Herausragende Ergebnisse sind etwa: Zwischen den untersuchten Zeitungen bestehen deutliche Unterschiede in der Dichte und der Verteilung der Phraseologismen. Insbesondere die Berliner Zeitung fällt aus dem Rahmen durch die starke Bevorzugung von Nominationsstereotypen, was sich aus der für politische Kommunikation im sozialistischen Bereich allgemein zu beobachtenden Neigung zu Terminologisierung und Formelhaftigkeit erklärt. Doch sind die Differenzen weniger auffällig als die konstanten Merkmale. So sind die Nominationsstereotype in allen Zeitungen charakteristisch für den Inhaltsbereich Politik. Charakteristisch für Zeitungssprache allgemein das hatte bereits Koller (1977) an kleinerem Material gezeigt ist offenbar der hohe Anteil an modifizierten Phraseologismen. Funktion der Modifikationen ist in erster Linie die Adaptation an und die Integration in den jeweiligen Kontext. Manche Formen der Modifikation, wie die Einfügung eines Adjektivs in die nominale Komponente eines verbalen Idioms, sind in der journalistischen Sprache so gängig, daß sie kaum mehr als Veränderung des Phraseologismus wirken, sondern als eine beinahe reguläre Form der textlinguistischen Integration. Das Resultat, daß fast 50% aller vorkommenden Phraseologismen teilidiomatisch sind, ist schwer interpretierbar, da diese semantisch definierte - Klasse eine Vielzahl heterogener und funktional sehr unterschiedlich einsetzbarer Erscheinungen enthält. 3 Hier zeigt sich deutlich, daß eine nur auf einem Krite- 3 Die Autoren führen Ausdrücke auf wie Maßnahmen ergreifen, Handel und Wandel, die FLuL 21 (1992) 16 Annelies Häcki Buhofer, Harald Burger rium (hier dem semantischen) basierende Klassenbildung für die Texttypen-Charakteristik weniger aufschlußreich ist als eine Mischklassifikation. Mit den textuellen Funktionen der Idiome (in Normalform wie in ihren modifizierten Vorkommen) befaßt sich Greciano in zahlreichen Arbeiten (z.B. 1983 und 1987). Ihr Korpus sind Texte von Musikern, Kriminalromane und Essays zur Verhaltenspsychologie und Ethologie (vgl. 1983: 160 ff). Obwohl sie keine quantitativen Erhebungen anstellt und ein Vergleich der unterschiedlichen Textarten nicht im Zentrum der Fragestellung steht, ergeben sich doch interessante Beobachtungen zu den Differenzen der Phraseologieverwendung. Für den Bereich der Fachkommunikation erschließen die Untersuchungen von Kunkel (1986; 1991) Neuland. Nach Fleischer (1987: 59 ff) 4 untersucht sie einerseits Dissertationsthesen (der Universität Leipzig) und wissenschaftliche Vorträge (Akademievorträge, die von vornherein für den Druck bestimmt sind und kaum Elemente der Mündlichkeit enthalten) aus verschiedenen Fachgebieten, andererseits Gesetzestexte. Ferner bezieht sie eine Textsorte der „ Verteilerkommunikation" ein: populärwissenschaftliche Zeitschriftenaufsätze. Sie gliedert das Material in Idiome, Nominationsstereotype und Funktionsverbgefüge mit fallweise zusätzlichen syntaktischen und semantischen Subklassifikationen. Es sei hier nur auf ein paar herausragende Ergebnisse verwiesen (vgl. auch Fleischer 1987: 60 ff): Die wissenschaftlichen Vorträge sind keine homogene Gruppe. Jedenfalls sticht die Gruppe der literaturwissenschaftlich-geschichtswissenschaftlichen Texte durch ihre spezifische Bevorzugung bestimmter phraseologischer Gruppen ganz klar aus allen anderen heraus: Idiome mit deutlicher Metaphorik (grünes Licht geben, den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen), mit denen der Produzent seine Stellungnahme, Wertung zu Gegenständen oder Sachverhalten formuliert, haben nur hier eine dominante Stellung. Auch Modifikationen "Sie wollten die Kirche durchaus im Dorfe - und in der Stadt lassen; der Kirche geben, was der Kirche ist" [91]) sind charakteristisch für diese Textgruppe. Hinsichtlich der Häufigkeit von metaphorischen Idiomen sind diese Texte unmittelbar den populärwissenschaftlichen Texten an die Seite zu stellen. Gesetzestexte sind die Domäne derjenigen Phraseologismen im weiteren Sinne, die zur Terminologisierung und fachsprachlichen Fixierung tendieren (bewegliche Sachen, einen Vormund bestellen). Ein Teil der Ausdrücke ist auch alltagssprachlich gängig, wird aber im Kontext des Gesetzes terminologisch (d.h. semantisch normiert) verwendet. Stunde des Abschieds schlägt für jmdn., bei denen (mindestens) eine Komponente in wörtlicher Bedeutung verwendet wird. 4 Da uns die Dissertation von 1987 nicht zugänglich war, beziehen wir uns auf den Aufsatz von 1991, in dem Fleischer die Resultate ihrer [ungedruckten] Dissertation referiert. FLuL 21 (1992) Gehören Redewendungen zwn heutigen Deutsch? 17 Andere Sektoren der fachgebundenen Kommunikation untersucht Duhme (1991). Untersuchungskorpus bilden einerseits Fachzeitschriften der deutschen Wirtschaft, andererseits wissenschaftliche Wirtschaftsfachtexte. Den Untersuchungen von Kunkel entspricht das Resultat, daß die Frequenz von Phraseologismen in den untersuchten wissenschaftlichen Texten äußerst gering ist, während die journalistischen Texte eine Fülle· phraseologischen Materials aufweisen. Ferner wird gezeigt, daß es neben der allgemeinsprachlichen Phraseologie auch ein bedeutendes Inventar von wirtschaftsspezifischen fachsprachlichen Phraseologismen gibt. 5 Bezüglich der Verteilung der wirtschaftsspezifischen Phraseologismen auf die phraseologischen Klassen ergibt sich folgendes: · - Eine wichtige Rolle spielen die "phraseologischen Termini". In Burger/ Buhofer/ Sialm (1982: 38) wird diese Klasse als eine Unterklasse der Phraseologismen im weiteren Sinne definiert. Es handelt sich vorwiegend um nominale satzgliedwertige Phraseologismen, deren Bedeutung meist direkt motiviert ist, jedoch mit einer gewissen semantischen Spezialisierung. Sie bezeichnen wie ein Name ein Individuum, z.B. eine singuläre Institution (Das Rote Kreuz, Deutsche Demokratische Republik) oder einen Gegenstand/ Sachverhalt, der innerhalb eines außersprachlich abgegrenzten Systems (z.B. Wissenschaften, technische Systeme, politische Institutionen, Spiele u.ä.) definiert ist. Duhme (1991) schließt sich einerseits dieser Definition an und subsumiert unter den phraseologischen Termini Wendungen wie reales Einkommen, verbrieftes Vorsorgekapital, an einem Geschäft teilhaben, Konkurs anmelden (121). Andererseits definiert er die phraseologischen Termini als "Schnittmenge aus den Bereichen der Phraseologismen und der [wirtschaftsspezifischen] Termini" (64), womit die Klasse bedeutend erweitert wird und entsprechend sowohl idiomatische als auch nicht-idiomatische Verbindungen umfaßt . (65), im Widerspruch zu der obigen Definition. Aufgrund dieser terminologischen Unklarheit ist es schwer zu beurteilen, wie groß die Klasse der phraseologischen Termini in der Wirtschaftssprache tatsächlich ist. Nun bestehen Fachsprachen nicht nur aus "Termini", die wohldefiniert sind, sondern enthalten auch Wortschatzbereiche mit wechselnder semantischer „Schärfe". Duhme (1991) behandelt diesen Aspekt nicht, aber sein unter dem Titel "phraseologische Termini" vorgelegtes Material zeigt klar diese Abstufung: Neben eigentlich terminologischen Ausdrücken finden sich Phraseologismen wie den Aktienkurs beflügeln, das Konjunkturtal durchschreiten, die Anlegerfantasie beflügeln. Sie sind mit Sicherheit keine Termini im Sinne wohldefinierter Begriffe, sondern Verbindungen, die aus einem Terminus dem jeweiligen Substantiv (Aktien, Konjunktur, Anleger) - und einem metaphorischen und nichtterminologisch fixierten Element bestehen. Solche Ausdrücke ermöglichen innerhalb eines fachlich definierten Rahmens gerade ein bewußt unscharfes Sprechen und Schreiben. Echte Termini hingegen sind Ausdrücke wie eine Dividende ausschütten oder in Konkurs gehen, die präzise, im wirtschaftlichen Kontext definierte Vorgänge bezeichnen. Während die Ausdrücke dieses Typs noch eine s Von 2300 erhobenen Phraseologismen sind 400 wirtschaftssprachlich (Duhme 1991: 15). FLuL 21 (1992) 18 Annelies Häcki Buhofer, Harald Burger "umgedeutete" Komponente (ausschütten, gehen) enthalten, also als teil-idiomatisch gelten können, sind Verbindungen wie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung oder Einkünfte aus Kapitalvermögen nicht-idiomatisch, aber in ihrer lexikalischen Besetzung und Anordnung fest. Vollidiomatische Phraseologismen kommen praktisch nicht vor. Das einzige Beispiel, das der Vf. gefunden hat, ist auf dem Parkett im Sinne von 'die unterste Etage des Börsengebäudes betreffend, zu der nur Devisenhändler Zutritt haben'. Es fragt sich allerdings, ob hier nicht einfach eine fachspezifische Sonderbedeutung von Parkett vorliegt, ohne daß der ganze Ausdruck als phraseologisch gewertet werden muß. Sehr stark vertreten ist hingegen die Gruppe der teilidiomatischen Phraseologismen (eine Dividende ausschütten, an die Börse gehen, laufendes Konto), wobei hier noch präzisiert werden kann: Häufigste Strukturtypen sind [(Präp. + Artikel +) Substantiv + Verb] und [(Artikel +) Adjektiv + Substantiv]. Diese enthalten in der Regel als semantischen Kern einen Fachterminus, der nicht umgedeutet ist, sondern seine wörtlich-fachsprachliche Bedeutung innerhalb der Verbindung beibehält, während das jeweilige Verb oder Adjektiv semantisch transformiert ist. Dieses gemischte fachsprachlich-gemeinsprachliche Baumuster bietet sich offenbar für die Bildung fachsprachlicher Phraseologismen in erster Linie an. Im Zusammenhang damit ist auch die Produktivität phraseologischer "Reihen" zu sehen, bei denen der Kern identisch bleibt, aber die Peripherie austauschbar ist: an die Börse bringen, an die Börse gehen, an der Börse notieren oder schwacher/ steigender/ sinkender/ fester Dollar (145). Eine zentrale Erkenntnis der Studie liegt somit darin, daß sich die fachsprachliche Phraseologie "an bestimmten zentralen Begriffen orientiert" (148). Eine interessante Gruppe im untersuchten Material bilden Phraseologismen der Gemeinsprache, die durch fachsprachliche Elemente modifiziert werden: eine Expansionsstrategie verfolgen, sein Discountnetz spinnen, eine neue Einkommensquelle erschließen. Durch diese spezifische Weise der Modifikation werden gemeinsprachliche Phraseologismen leicht in den fachsprachlichen Kontext integrierbar. Da man ähnliche Phänomene im Bereich des politischen Journalismus beobachten kann (s.o.) (Öl ins Feuer des Wahlkampfs gießen), würden wir im Gegensatz zu Duhme diese modifizierten Phraseologismen nicht als Teil der Fachsprache selbst bezeichnen, sondern nur als kontextuelle Adaptionen an das jeweilige Fachgebiet. Es fehlen Routineformeln, was von den untersuchten Textsorten her nicht weiter erstaunlich ist. Es fragt sich allerdings, ob es im mündlichen Bereich der Fachkommunikation (und insbesondere der "Verteilerkommunikation") nicht auch spezifische Routineformeln gäbe. Diese Fragestellung liegt aber außerhalb des vom Verfasser gezogenen Untersuchungsrahmens. FLuL 21 (1992) Gehören Redewendungen zum heutigen Deutsch? 19 Aus den Feststellungen zu den teilidiomatischen Phraseologismen geht schon hervor, daß aus syntaktischer Perspektive substantivische und verbale Phraseologismen am häufigsten in der Wirtschaftssprache auftreten. Demgegenüber fehlen adjektivische und adverbiale Phraseologismen gänzlich. Thematisch gesehen lassen sich die fachspezifischen Phraseologismen vier Bereichen der Wirtschaft zuordnen: Börsenwesen, Geschäft und Handel, .Kapital und Finanzen sowie Wirtschaftspolitik, wobei die Abgrenzung offenbar nicht immer eindeutig ist. Bei der Erstellung dieser thematischen Gliederung (139) sitzt der Vf. einem terminologischen Mißverständnis auf. Er bezieht sich auf das von Fleischer (1982) so genannte Prinzip der Gliederung nach „Sachgruppen". Damit sind aber die Bildbereiche gemeint, aus denen der Phraseologismus sich herleitet (z.B. menschliche Körperteile, Küche und Haushalt usw.), sei er voll-idiomatisch oder metaphorisch-idiomatisch. Bei den Ausdrücken der Wirtschaftssprache aber handelt es sich in der Regel um. teil-idiomatische Verbindungen, deren Kern der wörtliche Fachterminus bildet. Duhme gliedert sein Material nun, wie es naheliegend ist, nach der Semantik des jeweiligen Kerns. Wenn er sich dann darüber wundert, daß „phraseologische Sachgruppen der Allgemeinsprache wesentlich leichter abzugrenzen [seien] als Sachgruppen der Wirtschaft" (140), so hat das mit Phraseologie nichts zu tun, sondern mit den offenbar fließenden Grenzen zwischen den Sach-Bereichen des Fachgebietes. Dies wird offenkundig an dem von ihm gegebenen Beispiel: "ins Wertpapiergeschäft drängen: diese Wendung kann sowohl dem Bereich Geschäft und Handel als auch dem Bereich Börsenwesen zugeordnet werden" (140). Offenbar läßt sich der Bereich der Wertpapiergeschäfte s a c h 1 i c h zwei Wirtschaftsbereichen zuweisen. Was im Vergleich etwa mit der Arbeit von Gustafsson/ Piirainen (1985) interessieren würde, wäre die Frage, wie sich die fachspezifischen Phraseologismen quantitativ auf die genannten vier Sachbereiche verteilen. Über die Funktion der fachspezifischen Phraseologismen findet man in der Arbeit nichts außer der generellen Bemerkung, daß Phraseologismen zur Emotionalisierung und Steigerung der Expressivität beitragen und sich deshalb für journalistische Fachtexte eignen (157). Von Interesse wäre beispielsweise zu wissen, wie sich denn der terminologisch-referentielle und der expressive Aspekt der Verwendung der Phraseologismen im fachlichen Kontext zueinander verhalten. Es sei schließlich noch auf die Resultate einer (ungedruckten) Arbeit zur Phraseologie der Werbung verwiesen: Hemmi (1992) befaßt sich mit (Absatz-) Werbung im Bereich von· Zeitschriften (Werbeanzeigen) und Fernsehen (Werbespots). Das Korpus bilden 188 (verschiedene) Werbespots vom Februar 1991 (TV DRS) und 188 Werbeanzeigen aus der Zeitschrift "Der Schweizerische Beobachter" (Februar bis Mai 1991). 6 Die Resultate bestätigen und differenzieren in quantitativer und qualitativer Hinsicht das Bild, das andernorts (Dittgen 1989, Burger 1991) schon von der Bedeutung der Phraseologie für die Werbung skizziert wurde. 6 Da Werbeanzeigen durchschnittlich 2,7mal mehr Text enthalten als Werbespots, wurde für die Statistiken eine entsprechende Umbasierung des Materials vorgenommen. FLuL 21 (1992) 20 Annelies Häcki Buhofer, Harald Burger 81 % der Anzeigen und 47% der Spots enthalten mindestens einen Phraseologismus. Bei dieser Differenz muß berücksichtigt werden, daß ein Viertel der Spots, die keinen Phraseologismus enthalten, minimale 7 oder überhaupt keine Textanteile aufweist. Hinsichtlich der phraseologischen Klassen besteht der offensichtlichste Unterschied darin, daß Routineformeln in der Fernsehwerbung einen beachtlichen Anteil (etwa ein Viertel) ausmachen, während sie in der Anzeigenwerbung nur eine geringe Rolle spielen. In den Werbespots kommen diese Formeln in dialogischen Partien und vor allem in monologischen, direkt an den Zuschauer gerichteten Sprechertexten vor. Umgekehrt sind es die Funktionsverbgefüge, deren Domäne die Anzeigenwerbung, nicht aber die Fernsehwerbung ist. Das ist aus dem stärker an Schriftlichkeit orientierten Charakter der Anzeigen leicht zu erklären. Bei den Geflügelten Worten, die in beiden Medien etwa gleich häufig sind (knapp 20% ), zeigt sich ein interessanter Unterschied in der Herkunft der Ausdrücke: Beim Fernsehen haben zwei Drittel der Gruppe ihre Quelle in der Werbung selbst, während bei den Anzeigen die Literatur als Quelle dominiert. Dabei geht es einerseits um Slogans, die seit Jahren von der gleichen Firma immer wieder auf neue Produkte übertragen werden und auf diese Weise zu probabilistischen Einheiten werden, andererseits um "gestohlene" und auf ein Produkt einer anderen Firma übertragene Slogans. Film fungiert als Quelle eher im Fernsehen als bei den Anzeigen. Auch zum Vorkommen und zu den Typen von Modifikationen ergeben sich aufschlußreiche Ergebnisse: Im Korpus der Anzeigen sind die Hälfte der Phraseologismen modifiziert, bei den Spots sind ·es etwas weniger. Im Vordergrund stehen dabei die verbalen Phraseologismen und die Geflügelten Worte. In beiden Medien ist das häufigste Modifikationsverfahren die lexikalische Substitution, die meist zur Integration des Phraseologismus in den Kontext genutzt wird, oft mit witzigem Effekt. Daneben finden sich bei den Anzeigen vor allem Modifikationstypen, die zur semantischen "Dichte" (manchmal bis zur Hermetik) des Textes entscheidend beitragen. Etwas Ähnliches ist bei den Spots nicht zu beobachten. Vielfach resultieren die hier vorkommenden Modifikationstypen aus Bezügen zum Bild, wobei die Bezüge meist nur durch die wörtliche Lesart des Phraseologismus motiviert sind, während zur phraseologischen Bedeutung keine Beziehung besteht. Die Effekte sind witzig bis kalauerartig. Insgesamt sind die Modifikationen der Anzeigenwerbung somit komplexer als die der Fernsehspots. Zur Sprache der Politik liegt die Arbeit von Gautschi (1982) vor: Sie untersucht Propagandaschriften verschiedener Parteien zu (schweizerischen) Nationalratswahlen von 1919 bis 1979. Sie klassifiziert die strategischen Funktionen der Phraseologismen in der Propaganda, zeigt historische Veränderungen (z.B. den Zusammenhang von Zeiten politischer Krise und Phraseologismushäufigkeit bzw. 7 Weniger als 15 Wörter, was durchschnittlich der Präsentation des Produktnamens und des Slogans entspricht. FLuL 21 (1992) Gehören Redewendungen zwn heutigen Deutsch? 21 -verwendung) und die Unterschiede im Sprachgebrauch der Parteien. Für linksgerichtete Parteien ist es beispielsweise charakteristisch, daß sie den Problembereich 'Ausbeutung' phraseologisch dichotomisieren. Der Ausbeuter hat Geld in Hülle und Fülle, sitzt in der Wolle und hiilt reiche Ernte. Der Ausgebeutete demgegenüber wird zur Kasse gebeten, steht vor dem Nichts, ihm wird das Geld aus der Tasche gezogen (140). Das wichtigste Ideologem der Rechtsparteien ist zum Wohl des Ganzen. 8 Auch zur Verwendung einzelner Typen von Phraseologismen liegen Untersuchungen vor. Besonders dicht ist die Literatur auf dem traditionellen Feld der Parömiologie (vgl. z.B. Mieder 1983; neuerdings z.B. Arbeiten zum interkulturellen Vergleich in Sabban/ Wirrer 1991). Andere Klassen rücken erst neuerdings in das Blickfeld der Forschung, so etwa aus dem Bereich der somatischen Phraseologismen die "Kinegramme" (die Achseln zucken, vgl. Rüegg 1991). 2. Wie Phraseologismen bei nicht-professionellen Sprechern/ Sprecherinnen in Sprachgebrauch und Spracheinstellung verankert sind, ist nach Ansätzen in Burger/ Buhofer/ Sialm 1982 (im Bereich Alltagskommunikation) erst wieder bei Hünert-Hofmann (1991) untersucht worden. Sie studiert in einer Gemeinde, die sich besonders nach 1945 zu einer industrialisierten Kleinstadt entwickelt hat, den Gebrauch und das Verstehen von Phraseologie an verschiedenen Sprechergruppen. Während in Burger/ Buhofer/ Sialm (1982) das alltagssprachliche Phraseologie-Material durch Beobachtung alltäglicher Situationen gewonnen wurde, verwendet Hünert-Hofmann die Methode eines schwach standardisierten, durchschnittlich zweistündigen Interviews bei dem Phraseologie sozusagen „nebenbei" anfällt - , andererseits die Befragung der Informanten. Insgesamt werden 81 Informanten untersucht. Zu Beginn des Interviews sollen die Informanten eine „freie Schilderung über die Art ihrer Tätigkeit in der Fabrik oder im Büro" (69) geben. Wenn der Interviewerin „ein Arbeitsvorgang unklar blieb, wurde um eine erneute Erklärung gebeten" (ebd.). Das Phraseologie-Material wird nach "Situationen" angeordnet (z.B. "Zwei Jungen zanken sich beim Spiel. Der eine jagt den anderen weg"). Leider wurde die Literatttr--zur Phraseologie nur sehr selektiv zur Kenntnis genommen, und ein Vergleich mit Resultaten anderer Arbeiten der 80er Jahre fehlt. Für unseren Zusammenhang sind die folgenden Resultate interessant: Die von den Vpn. verwendeten Phraseologismen haben „größtenteils überregionale Geltung" und sind „fast alle als Eintrag im ,Deutschen Wörterbuch' vorhanden" (281). 8 Über weitere korpusbezogene (ungedruckte) Arbeiten zur Phraseologie politischer Sprache, die an der Universität Zürich entstanden sind, kann aus Platzgründen hier nicht mehr berichtet werden. FLuL 21 (1992) 22 Annelies Häcki Buhofer, Harald Burger Sprecher, die die verschiedenen beteiligten Systeme (Mundart, Umgangssprache, Standardsprache) relativ getrennt einzusetzen verstehen, sind aktivere Phraseologieverwender als diejenigen, die zu Mischformen tendieren. Jüngere Sprecher/ -innen tendieren vermehrt zur Umgangssprache und verwenden entsprechend auch die Phraseologismen eher in umgangssprachlicher als mundartlicher Variante. Als eines der Hauptresultate formuliert die Verfasserin: "In dem Maße, wie die gesprochene Mundart den Kommunikationsbedürfnissen der umstrukturierten Gesellschaft nicht mehr genügt, werden auch die fest im mundartlichen Sprachkomplex verankerten Idiomformen mit überregionalem Wirkungsradius aus dem aktiven Sprachgebrauch in den passiven Sprachbesitz verschoben" (283). Eine solche „Verschiebung" geht jedoch aus den präsentierten Daten nicht zwingend hervor: Die meisten Phraseologismen gebraucht die Gruppe, die aus männlichen Angestellten einer Firma und des öffentlichen Dienstes besteht (Alter zwischen 28 und 45 Jahren), mit der relativ besten Schulbildung aller Gruppen, dem besten Sozialstatus und der besten Fähigkeit, die Sprachformen gezielt und differenziert einzusetzen. Am wenigsten Phraseologismen gebraucht die Gruppe der Frauen zwischen 30 und 50 Jahren, "die einmal berufstätig waren, aber zur Zeit wegen der zu versorgenden Kinder und auch wegen der aus einer Halbtagsbeschäftigung zu erwartenden geringen Entlöhnung keine Arbeit annehmen" (78). Danach rangieren eine Teilgruppe der Industriearbeiter und eine Gruppe von berufstätigen Frauen zwischen 36 und 46 Jahren. An fünfter Stelle von den acht untersuchten Gruppen stehen Schülerinnen einer Berufsschulklasse. Diese quantitativen Resultate sind mit Ausnahme von Platz 1 so undeutlich, daß man keinen klaren Trend registrieren kann. Bei einer „Verschiebung" müßten ja die Schülerinnen am Ende der Skala stehen, und auch die Position der genannten Frauengruppe ist nicht verständlich. - Am Ende der Arbeit formuliert die Verfasserin eine Gesamtbeurteilung der Sprache der untersuchten Jugendlichen: „Die bewußte Ablehnung der Mundart [bei den Schülerinnen] hat nicht vorteilhaft auf den Umgang mit der Sprache gewirkt. Idiomatische Formen, die fester Bestandteil der Mundart geworden sind, aber auch umgangssprachlich geläufig sind, werden von ihnen ignoriert. Sie empfinden sie als mundartlich und gebrauchen sie nicht, weil sie ihnen ,platt' oder altmodisch vorkommen, sie wollen ganz ,in' sein [...]. Sie wollen nicht sein wie ihre Mütter. [...]" (277). Ob die negative Wertung des Sprachverhaltens und der Spracheinstellung der Schülerinnen gerechtfertigt ist, sei dahingestellt. Daß die Jugendlichen aber bestimmte Ausdrücke als „altmodisch" empfinden und deshalb nicht gebrauchen, das bietet einen Ansatz für weitere Untersuchungen. Wenn von einer „Verschiebung" gesprochen werden kann, dann besteht sie so vermuten wir darin, daß die jüngere Generation partiell andere Phraseologie-Bestände gebraucht als die älteren Generationen und daß sie bestimmten Phraseologie-Bereichen der Gesamtsprache ablehnend gegenübersteht. FLuL 21 (1992) Gehören Redewendungen zum heutigen Deutsch? 23 Genau diese beiden Aspekte finden sich in Arbeiten zur Jugendsprache: Jugendsprache zeichnet sich zunächst dadurch aus, daß sie lexikalische und phraseologische Elemente enthält, die nicht zur Gemeinsprache gehören bzw. die in der Gemeinsprache nicht die gleiche Bedeutung haben, und diese sind in der Forschung besonders hervorgehoben worden (vgl. Hartig 1986: 222). Henne (1986) definiert Jugendsprache als „fortwährendes Ausweich- und Überholmanöver" (208), mit der Standardsprache zugleich abgewandelt und stereotypisiert wird, "ein spielerisches Sekundärgefüge", das u.a. "flotte Redensarten und stereotype Floskeln" favorisiert (209). Henne meint: "Im ,vorgeformten' Sprachgut erkennen sich die jugendlichen Mitglieder der Gruppe; zugleich sind Phraseologismen hilfreich, Einstellungen zu bekunden und entschiedene Urteile zu äußern" (115 t). - Es sind natürlich ganz bestimmte jugendsprachliche Phraseologismen, die da gemeint sind, Phraseologismen wie wir sie 1980 für die deutsche Schweiz gesammelt haben (vgl. Buhofer/ Häusermann/ Humm 1978): „Das macht einen Fix und Foxi" (wenn man kaputt ist), "Ich glaub, mich beißt ein Schwein" (Überraschung), "Irgendwie hast du'n Schatten" (Ausdruck für blöde Leute; wenn man sauer ist). Wie stark die Sprache Jugendlicher durch diesen Sonderwortschatz und diese Sonderphraseologie geprägt ist, ist eine noch offene Frage. Willenberg (1983/ 84: 374) stellt fest, daß bei der von ihr untersuchten Essener Peer-group „in durchschnittlich 2¾ Minuten ein nicht-gemeinsprachlicher bzw. ein von der gemeinsprachlichen Bedeutung abweichend benutzter Ausdruck verwendet wird", was wohl bedeutend weniger ist, als uns Glossenschreiber glauben machen wollen. Auf der anderen Seite beobachtet man, daß Jugendliche bestimmte lexikalische Bereiche der Gemeinsprache zurückweisen. Grund dafür ist die Ablehnung des Konformitätsdruckes (vgl. Hartig 1986: 227): "So werden", schreibt Hartig (1986: 229), "gerade die Formulierungsroutinen besonders heftig attackiert und zurückgewiesen. Beispiele sind solche Formulierungen [...] wie a) 'Man muß das kleinere Übel wählen'. b) 'Man muß auch mal zurückstecken können'. c) 'Du kannst nicht immer das haben, was du willst'. d) 'Jeder hat mal klein angefangen'. e) 'Kannst du nicht auch mal pünktlich sein? ". Während Erwachsene bestimmte Erscheinungen der Lebenswelt „nicht selten" durch Sprichwörter kommentierten "Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht"), wollten Jugendliche Kommentierungen eher in expliziter Form vornehmen (vgl. Hartig 1986: 233). Die bisher offene - Frage ist nun, ob sich gemeinsame Merkmale derjenigen phraseologischen Bereiche ausmachen lassen, die Sprecher/ -innen als zu ihrer Sprache gehörig betrachten (bzw. die sie ablehnen). Einen möglichen Ansatz für eine Antwort bietet ,die lexikographisch orientierte Stilistik der Phraseologie. Sie geht von der Annahme aus, daß Phraseolo- FLuL 21 (1992) 24 Annelies Häcki Buhofer, Harald Burger gismen eine Expressivitätssteigerung bewirken und daß diese Wirkung zu -einem guten Teil auf ihre konnotativen Qualitäten zurückzuführen sei (vgl. Fleischer 1982: 202). Unter Konnotation versteht Fleischer (mit Viehweger) u.a. Elemente, die die Einordnung des betreffenden Zeichens in ein Normensystem der sozialen Verwendungsweise sprachlicher Mittel kennzeichnen, Qualitäten also, die im Wörterbuch durch die Angabe von Stilschichten, die Kennzeichnung einer zeitlichen und räumlichen Zuordnung sowie von Fach- und Sondergebieten markiert werden. Daneben werden als Konnotationen auch Elemente verstanden, die die emotional betonte Einstellung des Zeichenbenutzers zum benannten Gegenstand bzw. mitgeteilten Sachverhalt als „indirekte" Information mitliefern. Sie werden im Wörterbuch der Deutschen Gegenwartssprache [WDG] als Stilfärbung erfaßt, z.B. "abwertend" (vgl. Fleischer 1982: 202). Fleischer (1982: 202 ff) warnt zu Recht vor einer allzu einseitigen Beurteilung der Phraseologismen als „salopp-umgangssprachlich" und greift auf die Markierungen im WDG zurück, um zu zeigen, daß Phraseologismen auch normalsprachliche und gehobene Konnotationen haben können. Er versucht sodann, einen Zusammenhang aufzudecken zwischen der „inneren Form" des Phraseologismus und seiner stilistischen Einordnung. So sieht er einen großen Teil der metaphorischen Konstruktionen als gehobene Phraseologismen an und hält den größten Teil der Nominationsstereotype, sehr viele teilidiomatische Phraseologismen und solche mit unikaler Komponente für normalsprachlich (d.h. ohne Markierung im Wörterbuch der Gegenwartssprache). Stärkeren Verwendungsbeschränkungen unterworfen (insofern sie als "umgangssprachlich" oder „umgangssprachlich-salopp" markiert sind) seien u.a. vollidiomatische Phraseolexeme ohne durchsichtige Metaphorik. In jedem Einzelfall läßt sich aber die stilistische .Zuordnung auch laut Fleischer nicht begründen, und die Konnotationen der einzelnen Komponenten erklären nicht immer die Konnotationen des ganzen Phraseologismus. Als empirische Frage ergibt sich im Anschluß an solche Überlegungen, ob die stilistischen Kennzeichnungen der Wörterbücher sich in den Urteilen der Sprecher/ -innen wiederfinden, ob auch die Sprecher/ -innen in gleicher Weise gekennzeichnete stilistische Gruppen als zusammengehörig empfinden und in gleicher Weise als gebräuchlich, hochgestochen etc. beurteilen. Auch von einer ganz anderen Fragestellung her wird neuerdings ein Zugang zu den Urteilen von Sprechern/ Sprecherinnen gesucht: Psycholinguistische Untersuchungen zum Verstehen von Phraseologismen bei Erwachsenen, die im angelsächsischen Raum gemacht werden, befassen sich mit der Frage, ob die unter „idioms" zusammengefaßten Wortverbindungen in psycholinguistischer Hinsicht eine homogene Gruppe von Einheiten darstellen. Sie gehen von der Tatsache aus, daß Untersuchungen zum Verstehen von Idiomen widersprüchliche Ergebnisse erbracht haben, und den Grund dafür sehen sie darin, daß das Stimulusmaterial nicht einheitlich war (vgl. Schweigert 1986: 44; Schweigert und FLuL 21 (1992) Gehören Redewendungen zum heutigen Deutsch? 25 Moates 1988; Popiel/ Mc Rae 1988: 476). Sie bringen in diesem Zusammenhang die Faktoren der Familiarität (der individuellen Vertrautheit) und der eigenen Gebrauchshäufigkeit in die Diskussion ein. Popiel/ Mc Rae (1988) bitten Studenten/ Studentinnen, zu insgesamt 60 „idioms" eine wörtliche und eine übertragene Paraphrase zu geben und diese Bedeutungsumschreibung in bezug auf Häufigkeit des eigenen Gebrauchs und Vertrautheit auf einer Skala einzuschätzen. Ziel der Untersuchung ist es, ein Korpus von Einheiten zu erstellen, das mit Angaben zur Gebrauchshäufigkeit und Vertrautheit versehen ist, sowie herauszufinden, ob „idioms" eine homogene Gruppe von Elementen darstellen hinsichtlich des Verhältnisses von figurativen und wörtlichen Bedeutungen (vgl. 480). Es zeigt sich, daß die Ratings der wörtlichen Bedeutungen, also die Beurteilung auf der einen Skala, keine Voraussagen erlauben über die Ratings der übertragenen Bedeutung, also die Beurteilung auf der anderen Skala, oder umgekehrt (vgl. 481). Die Autoren schließen daraus, daß die untersuchten Phraseologismen unterteilt werden müssen und schlagen drei Gruppen vor: Eine kleine Gruppe erhielt tiefe Ratings sowohl für die wörtliche als auch für die übertragene Bedeutung. Die Autoren sehen dies als Reflex der diachronischen Seite der Sprache, als Reflex der Tatsache, daß Redewendungen veralten können. Die zweite Gruppe besteht aus Einheiten, die häufig benutzte übertragene und wörtliche Bedeutungen haben. Die dritte Gruppe besteht aus Elementen mit häufig benutzten übertragenen, aber selten benutzten wörtlichen Bedeutungen (481). Methodisch interessant ist, daß die Existenz des nicht-phraseologischen Homonyms nicht von Linguisten/ Linguistinnen als möglich oder nicht möglich beurteilt, sondern von Sprechern/ Sprecherinnen als wahrscheinlich oder nicht-wahrscheinlich eingeschätzt wird. Es ist allerdings wenig wahrscheinlich, daß die verschiedenen Relationen von wörtlicher und phraseologischer Lesart des Phraseologismus (vgl. dazu Burger 1989) ein valables Kriterium für die Divergenzen von Sprecherurteilen abgeben, da diese Relationen weder beim Lernen noch beim Gebrauch von Phraseologismen eine entscheidende Rolle zu spielen scheinen. 9 So weist auch Januschek (1986) zu Recht daraufuin, daß die Rede von der besonderen Kreativität der Jugendsprache, der Neuartigkeit ihrer Metaphern und Sprüche, mißverständlich, wenn nicht gar verfehlt ist. Denn jugendsprachliche Phraseologismen würden „in aller Regel nicht bewußt im metaphorischen oder idiomatischen Sinne verstanden" (93): "Den kreativen Akt der Erfindung eines Phraseologismus, den man anhand der ,Jugend-. sprache' aufspüren zu können meint, gibt es nicht. [...] Was eine Formulierung zum Phraseologismus macht, ist allein die Tatsache, daß sie häufiger in immer der gleichen Form wiederholt wird und daß dies den Sprechenden bewußt wird" (96). Der gemeinte 9 Psycholinguistische Überlegungen gehen schon seit längerer Zeit in diese Richtung: vgl. Buhofer (1980), Schweigert (1986: 34 f), Häcki Buhofer (1989). FLuL 21 (1992) 26 Annelies Häcki Buhofer, Harald Burger Sinn, die phraseologische Lesart, "dominiert völlig die ,wörtliche' Bedeutung, die sich erst dem außenstehenden Beobachter als solche darstellt. [...] Die ,Bildlichkeit' der jugendsprachlichen Wendungen existiert für die je Beteiligten in der Regel nicht" (94). Die wörtliche Bedeutung ist damit als Ausgangspunkt für das aktuelle Verstehen und Produzieren aus dem Spiel: "bei einer erheblichen Anzahl der tatsächlichen Verwendungen von Phraseologismen wird weder bewußt noch unbewußt deren wörtliche Bedeutung auf das konkret Gemeinte übertragen, es findet vielmehr eine bewußte Distanzierung von dieser wörtlichen Bedeutung statt" (96). Aus den bisherigen Überlegungen lassen sich die folgenden methodischen Konsequenzen für weiterführende Untersuchungen, die sich am Verhalten und am Urteil von Sprechern/ Sprecherinnen orientieren, ableiten: Die Frage, welche Phraseologismen welche Sprecher/ -innen gebrauchen, ist einerseits durch Beobachtung real vorkommender Sprache, andererseits über metakommunikative Einschätzung von phraseologischem Material durch Vpn. anzugehen. Da Beobachtung, wenn sie ein hinreichend breites Spektrum von Verwendungssituationen abdecken soll, äußerst aufwendig ist, bieten sich Einschätzungsverfahren eher an. Die Frage, welche Phraseologismen von welchen Sprechern/ Sprecherinnen wie beurteilt werden, ist in systematischer Weise überhaupt nur durch Befragung zu erheben. Die erwähnten angelsächsischen Untersuchungen können daher als guter Ausgangspunkt dienen, zwar nicht in bezug auf die verwendeten Kriterien für die Typologisierung des phraseologischen Materials, wohl aber hinsichtlich der Methodik. Daß im Rahmen dieser Studien ein kleines Korpus von Phraseologismen hier in bezug auf Vertrautheit bewertet wird, ist ein erstrebenswertes Ziel im Hinblick auf das "phraseologische Minimum" für Lehr- und Lernzusammenhänge auch für das Deutsche, auf das hin wir durch unsere Untersuchung einen Anfang machen wollen. Wir gehen, auf dem Hintergrund der skizzierten Forschungssituation, von folgenden Annahmen aus: 1. Alle Sprecher/ -innen kennen mehr Phraseologismen, als sie selber gebrauchen. In bezug auf ein gegebenes Korpus, das aus öffentlicher Sprache entnommen ist, kennen die Älteren mehr Phraseologismen als die Jüngeren, und die Diskrepanz zwischen Kennen und Selber-Gebrauchen ist bei den Älteren geringer als bei den Jüngeren. 2. Phraseologismen, die in der öffentlichen Sprache etabliert sind, werden nicht von allen Sprechern/ Sprecherinnen in gleichem Maß als zu ihrer eigenen Sprache gehörig empfunden. Jüngere Sprecher/ -innen lehnen etablierte Phraseologismen oft ab, gebrauchen aber ihrerseits jugendsprachliche Phraseologismen. Wenn man ihnen Material aus öffentlicher Sprache (Massenmedien) vorlegt, beurteilen sie es partiell ablehnend. 3. Sprecher/ -innen mit höherer Schul- und Ausbildung werden vermutlich ein entspannteres Verhältnis zu den Phraseologismen der öffentlichen Sprache haben als solche anderer Schul- und Ausbildungsstufen. FLuL 21 (1992) Gehören Redewendungen zum heutigen Deutsch? 27 Die durch linguistisch-strukturelle und lexikographische Kriterien gewonnene These, die wir durch Sprecher/ -inneneinschätzung in erster Linie überprüfen wollen, ist die von der stilistischen Schichtung der Phraseologismen. Dabei ist zu fragen, ob die lexikographische Gliederung der Phraseologismen in Kategorien wie gehoben/ unmarkiert/ umgangssprachlich usw. ein Pendant in der Einschätzung durch Sprecher/ -innen hat. Während ältere Sprecherinnen unmarkierte und möglicherweise sogar gehobene Phraseologismen als zu ihrer Sprache gehörig beurteilen würden, wäre zu erwarten, daß zumindest ein Teil der unmarkierten Ausdrücke, und erst recht die als gehoben markierten, von jüngeren Sprechern/ Sprecherinnen abgelehnt und daß vor allem die umgangssprachlichen Verbindungen akzeptiert werden. Ähnliches gilt vermutlich für das Verhältnis von Sprechergruppen mit unterschiedlichem Bildungsstand. 10 Willenberg (1983/ 84) weist darauf hin, daß in ihrem Korpus einer Essener Peer-group Ausdrücke, die lexikographisch als „derb" oder „vulgär" markiert sind, häufiger vorkommen als eigentlich jugendsprachliche Elemente, und dies, obwohl sie nur die Sprache von Jugendlichen mit höherer Schulbildung untersucht. Das ist immerhin ein Hinweis darauf, daß stilistische Markierungen im Wörterbuch ein psychologisches Pendant in der von uns vermuteten Richtung haben. Wir wollten in bezug auf 63 Phraseologismen, die in Zeitungen häufig vorkommen und dort unauffällig wirken, von Sprechern/ Sprecherinnen des Deutschen erfahren, ob sie diese Ausdrücke kennen, ob sie sie selber gebrauchen und wie sie sie stilistisch einordnen. Die Fragebogen sind in Berufsschulen, Gymnasien, Technikumsschulen und bei Wiedereinsteigerinnen verteilt worden. 11 Es handelt sich somit um „Klumpenstichproben", da andere Auswahlverfahren nicht im Rahmen unserer Möglichkeiten lagen. Insgesamt liegen bisher 280 bearbeitete Fragebögen vor. 10 Der Fragebogen gliedert sich in drei Teile, wobei in jedem Teil ein Drittel der 63 Items vorgelegt wird. 12 Im ersten Teil präsentieren wir den Befragten 20 Phraseologismen mit einem minimalen Kontext, die zu zwei großen Teilen in Duden GW als normalsprachlich nicht gekennzeichnet resp. als „umgangssprachlich" (oder „salopp", teilweise mit Zusätzen wie „scherzhaft" oder „abwertend") 10 Ob die Konnotationen mit der Struktur des Phraseologismus zu tun haben, wie es Fleischer postuliert, ist eine weitergehende Frage, der hier nicht nachgegangen werden kann. 11 Wir danken dafür Frau Dr. Theres Gautschi, Frau Daniela Plüss, Frau Anita Schmid Visini und Herrn Dr. Peter Zürrer. Für ihre Mitarbeit bei der Erstellung und Auswertung danken wir Frau Eva Wyss und Herrn Lorenz Hofer. 12 Dabei erschienen beispielsweise die Phraseologismen 1- 21 in Teil I, 21-42 in Teil II und 42 - 63 in Teil III. Damit wir zu allen Phraseologismen alle Arten von Antworten bekamen, mußten wir drei verschiedene Fragebogen herstellen, die wir in jeder Gruppe zu gleichen Teilen ausfüllen ließen. FLuL 21 (1992) 28 Annelies Häcki Buhofer, Harald Burger markiert und zu einem kleinen Teil mit dem Vermerk "gehoben" versehen sind. Die befragten Sprecher/ -innen erhielten folgende Anweisung: Die folgenden Textausschnitte stammen aus Zeitungen, Zeitschriften oder Büchern. Bitte geben Sie zunächst an, ob Sie den jeweils fett gedruckten Ausdruck kennen. Wenn sie ihn nicht kennen, kreuzen Sie in der ersten Zeile „nein" an und gehen Sie zum nächsten Beispiel über. Wenn Sie ihn kennen, kreuzen Sie bitte an, ob Sie ihn (beim Schreiben oder Sprechen) auch selber gebrauchen oder schon gebraucht haben. Wenn Sie ihn zwar kennen, aber nicht selber gebrauchen, schreiben Sie bitte auf, warum nicht (zum Beispiel, weil er Ihnen zu wenig ernsthaft oder allzu ernsthaft ist, zu altmodisch oder zu neumodisch, zu hochgestochen, zu kompliziert ...). Damit wir in der Lage sein würden zu beurteilen, ob die stilistische Einordnung und Einstellung mit der Kenntnis der Bedeutung zusammenhinge, fragten wir in einem zweiten Teil nach den Bedeutungen der Phraseologismen, indem wir drei Paraphrasen zum Ankreuzen vorgaben und eine 4. Linie offenließen, damit eine eigene Paraphrase geliefert werden konnte. Von den Paraphrasen war eine richtig und zwei falsch. Keine der drei Paraphrasen war (aus den oben angegebenen Gründen) eine wörtliche Bedeutung. Weil Multiple-choice-Aufgaben methodische Artefakte erzeugen können, wenn Gewährspersonen, um der Aufgabe Genüge zu tun, einfach ·irgendeine Antwort ankreuzen, die sie in freiem Paraphrasieren nie gegeben hätten, sollte zudem angegeben werden, wie sicher man sich in der Zuordnung fühlte. . Wir geben Ihnen im folgenden eine Liste von Ausdrücken und jeweils drei Vorschläge dafür, was der jeweilige Ausdruck bedeutet. Kreuzen Sie bitte diejenige Bedeutung an, die Ihnen zutreffend erscheint (eventuell auch zwei Bedeutungen). Wenn Sie keine für zutreffend halten, versuchen· Sie bitte, auf der freigelassenen Linie (4.) selber eine bessere Umschreibung zu geben. Bitte geben Sie zusätzlich an, ob Sie bei Ihrer Entscheidung sicher oder eher unsicher waren. In einem dritten Teil fragen wir mit einer Liste einzelner Redensarten (und einer phraseologischen Bedeutungsangabe, wenn stattdessen auch ein wörtliches Verständnis möglich wäre) direkt danach, ob die Redensart als altmodisch resp. heute gebräuchlich eingestuft wird. Wir geben Ihnen noch eine Liste von Ausdrücken zur Beurteilung. Wenn Sie den Ausdruck nicht kennen, setzen Sie bitte ein Fragezeichen neben das Beisplel. Wenn Sie den Ausdruck kennen, kreuzen Sie bitte an, ob Sie ihn für altmodisch und nicht mehr sehr gebräuchlich halten oder ob Sie glauben, daß er heutzutage ganz üblich ist. Die drei Teile des Fragebogens bieten eine wechselseitige Kontrolle der Zuverlässigkeit der Antworten. Die methodischen Risiken, die mit der Selbsteinschätzung von Informanten/ Informantinnen verbunden sind, werden dadurch mindestens partiell entschärft. Wir können hier nicht die detaillierte statistische Auswertung vorlegen, sondern müssen uns mit Angaben zu globalen Resultaten begnügen. Unsere Vermutungen haben sich teilweise bestätigt, teilweise sind aber überraschende Ergebnisse zu verzeichnen. FLuL 21 (1992) Gehören Redewendungen zum heutigen Deutsch? 29 Zunächst hat sich ergeben, daß wie zu vermuten war ältere Informanten mehr Phraseologismen der präsentierten Art kennen als jüngere und daß sie auch mehr gebrauchen als jüngere. Dabei ist, gleichfalls den Erwartungen entsprechend, die Kluft zwischen "Kennen" und "Selber-Gebrauchen" bei den jüngeren Vpn. größer als bei den älteren. 13 Ähnliches ergibt sich bei der Frage nach altmodisch/ gebräuchlich im dritten Teil des Fragebogens. Die Jüngeren halten ca. die Hälfte der Items für heute gebräuchlich, bei den Älteren sind es 65 % der Items. Erstaunlich ist, wie gut generell die Bedeutungszuordnungen ausgefallen sind. Die Über-20-jährigen geben für beinahe 90% der Items die richtige Bedeutung an, und bei den Unter-20-jährigen sind es immerhin noch ca. 80% . 14 Bei den Frauen ergeben sich in allen Altersgruppen und allen Teilen des Fragebogens leicht höhere Werte als bei. den Männern: sie kennen ein bißchen mehr Phraseologismen, gebrauchen mehr, machen mehr richtige Bedeutungsangaben und halten mehr Items für gebräuchlich. Was die Unterschiede in Schulbildung und Ausbildung betrifft, so ergeben sich zunächst die Differenzen, die zu erwarten waren: Gymnasiasten weisen in allen Teilen des Fragebogens höhere Werte auf als die Schüler anderer Schultypen. Bemerkenswert ist aber, daß der Faktor Alter eine noch wichtigere Rolle zu spielen scheint als die Schulbildung. Die Gruppe der „Wiedereinsteigerinnen" (Frauen mit unterschiedlichem Bildungsstand, von denen die meisten über 40 Jahre alt sind) hat generell die höchsten Werte. Sie kennen über 90% der Items, geben bei über 90% der Items die richtige Bedeutung an und halten ca. 75% für heute gebräuchlich. Gänzlich überraschend ist der Befund, der das Verhältnis von lexikographischer Markierung und Einschätzung durch die Sprecher/ -innen betrifft. Die Informanten/ Informantinnen beurteilen die Phraseologismen offenbar großenteils ganz anders, als es die Lexikographen tun. Durch alle Altersgruppen hindurch sind die in Duden GW als umgangssprachlich (u.ä.) markierten Phraseologismen weniger bekannt, werden weniger gebraucht und werden als weniger gebräuchlich eingeschätzt als die unmarkierten (neutralen). In dieser Hinsicht besteht auch kein wesentlicher Unterschied zwischen Frauen und Männern. Die Differenzen sind nicht überall gleich deutlich, aber bei den meisten Gruppen des Samples signifikant. Nur bei den als gehoben markierten Items entsprechen die Resultate in etwa den Erwartungen. Man könnte dieses Resultat auf den ersten Blick als einen Effekt der deutschschweizerischen Sprachsituation interpretieren. Deutsch- 13 Bei einer Dichotomisierung der Altersgruppen in Bis-20-jährige/ Über-20-jährige ergibt sich: die Jüngeren kennen durchschnittlich ca. 80% und gebrauchen ca. 40% der Items, die Älteren kennen fast 90% und gebrauchen ca. 60%. 14 Die Zahlen decken sich mit den Angaben zum „Kennen", wobei dieser Befund, der Anlage der Studie entsprechend, nicht den einzelnen Phraseologismus, sondern die Resultate über das ganze dargebotene Material hinweg betrifft. FLuL 21 (1992) 30 Annelies Häcki Buhofer, Harald Burger schweizer, die von einem als umgangssprachlich markierten Phraseologismus sagen, daß sie ihn zwar kennen, aber nicht gebrauchen, könnten damit ihre Distanz zur standarddeutschen Umgangssprache zum Ausdruck bringen. Doch wird diese Annahme entkräftet durch die Resultate zum dritten Teil des Fragebogens. Wenn gerade die als umgangssprachlich markierten Phraseologismen eher als „altmodisch" beurteilt werden, so läßt sich dies nicht mehr aus der Sprachsituation der Deutschschweiz erklären. Hinzu kommt, daß eine Gruppe von 20 Vpn., deren Familiensprache hochdeutsch ist, Resultate in der gleichen Richtung aufweist. Es bleibt somit nur die Folgerung, daß die lexikographischen Stil-Markierungen wenig zu tun haben mit dem Sprachbewußtsein heutiger Sprecher/ -innen. Die Befragung wird nun noch auf die Resultate zu jedem einzelnen Phraseologismus hin auszuwerten sein. Möglicherweise lassen sich am einzelnen Item semantische oder pragmatische Eigenschaften ermitteln, die die Einschätzung plausibel machen. Abgesehen von den sonstigen Resultaten der Studie weist die Diskrepanz zwischen den lexikographischen Angaben und den Urteilen der Sprecher/ -innen darauf hin, daß empirische Untersuchungen der hier präsentierten Art der Phraseologie-Forschung und ihrer praktischen Umsetzung beispielsweise im Deutschunterricht für Fremdsprachige neue Impulse geben können. Bibliographische Angaben BUHOFER, A.: Der Spracherwerb von phraseologischen Wortverbindungen. Eine psycholinguistische Untersuchung an schweizerdeutschem Material. Frauenfeld 1980. BUHOFER, A. / HÄUSERMANN, J. / HUMM, M.: "Redensarten in der Schülersprache". In: Sprachspiegel 34.2 (1978), 37 -46. BURGER, H.: "Funktionen von Phraseologismen in den Massenmedien". In: H. Burger / R. Zett (Hrsg.): Aktuelle Probleme der Phraseologie. Bern 1987, 11-28. BURGER, H.: "Bildhaft, übertragen, metaphorisch ... ' zur Konfusion um die semantischen Merkmale von Phraseologismen". In: G. Greciano (ed.): Europhras 88 - Phraseologie contrastive. 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Nach bereits gewonnenen Erkenntnissen zum Ansatz bei der Sprachstruktur (Greciano 1989b), gehen sie hier von der Sprachsemantik über zur Sprecherkultur. Ungewohnt mag dabei der direkte Rückschluß sein vom Wortinhalt auf die Sprechergemeinschaft, abseits von Sprachverwendung. Wenn Gebrauchsmodelle entschieden die geeignetesten Werkzeuge zur Erfassung von Sprecherverhalten angeboten haben, welches unvermeidlich in den Befindlichkeiten und Leistungen der Gemeinschaft begründet ist, so verfolgen die Erkundungen hier dasselbe Ziel auf dem weniger begangenen Weg über das Sprachsystem. 1 Phrasemsystem Phraseme haben sich im Laufe zwanzigjähriger Forschung als komplexe Sprachzeichen ausgewiesen. Ihre empirisch bestätigte und auf keinen Fall arbiträre Gebrauchssensitivität ist im Begriffe, die bis vor kurzem noch allgemein anerkannten Definitionsmerkmale umzubenennen. Nicht mehr Mehrgliedrigkeit, Festgeprägtheit und Motiviertheit gelten als phraseologische Universale, sondern deren komplementärer Widerpart : die morphologische Teilbarkeit, die syntaktische Variabilität sowie die semantische Kompatibilität von De- und Remotiviertheit.1 Die Notwendigkeit von noch zusätzlicher, pragmatisch orientierter Phraseologiearbeit vorausgesetzt, besonders im Bereich von Textsorten und Verhaltensnormen, soll hier abseits von Verwendung in Richtung Phraseosystemik weiter vorgestoßen werden. Die Untersuchungen der zugänglichen Einzelsprachen geben Eine konkrete Auseinandersetzung mit genau dieser Merkmaidifferenzierung sowie der Systembedingtheit des Gebrauchs in Greciano (1992a). FLuL 21 (1992) 34 Gertrud Greciano sehr deutlich die jeweilige Phraseologie als gegliedertes Ganzes zu erkennen. Entscheidend dabei ist die zeichenspezifisch dynamische Natur dieses Systems, denn Phraseme als Makrozeichen, als Sprachzeichen aus Sprachzeichen, gehorchen den Prinzipien der Mengentheorie: die Gesamtheit ist nicht die Summe, sondern eine Funktion der Elemente. Diese Zeichen sekundärer Nomination, deren Daseinsberechtigung Cernyseva (1984: 17)2 besonders treffend formuliert, sind zugleich auch die Zeugen von ausgeprägter Sprachkompetenz. Deutlicher als andere Subsysteme trägt das Phrasemsystem die Spuren kognitiver Impulse. Die Erfassung dieser Sprachzeichen selbst verlangt, ganz abgesehen von ihren Gebrauchsokkurrenzen, nach Subjekts-, Illokutions-, Persönlichkeits-, Bewußtseins- und Handlungstheorien. Die Auseinandersetzung mit dem Phrasemsystem ist notgedrungen Kognitionsforschung u n d Pragmatik. Einen unmittelbaren Zugang zum Phrasemsystem gewährt die Phraseographie. Gerade das Deutsche verfügt über eine frühe und gute einschlägige Lexikographie, wie es Mieders Internationaler Bibliographie (1990) zu entnehmen ist. Beachtenswert dabei sind Interferenzen zwischen erstens Phraseologie und Parömiologie und zweitens Phraseographie und Lexikographie. Alte Sammlungen, etwa Wander (1880), bedienen sich des Sprichwortes als Gattung und horten Phrasemgut der vergangenen Jahrhunderte in Sprichwörterbüchern. Jedoch auch diese Sprachzeichen haben sich anfällig für Sprachentwicklung und Neologie gezeigt. So haben sich, trotz stilästhetischer Vorbehalte im zwanzigsten Jahrhundert, Streckformen stilfunktional behauptet und als frequenter Phrasemtyp durchgesetzt, was folgende Umordnung bewirkte: für die deutsche Gegenwartssprache gilt das Phrasem als abstrakter Oberbegriff, der sich hauptsächlich in den Unterklassen Wortbildungen, Funktionsverbgefüge, Idiome und Sprichwörter verwirklicht. Je nach Spezies gestaltet sich besonders das semantische Merkmal: Wortbildungen und Funktionsverbgefüge sind partiell demotiviert, Idiome sind global demotiviert. Die schwer vermeidbare chronologische Verschiebung zwischen Sprachbestand und Sprachbestandsaufnahme macht sich vor allem in der Phraseographie bemerkbar, wo auch die aktuellsten Enzyklopädien, wie Röhrich (1991), sprichwortorientiert bleiben. Für ein erschöpfendes Inventar des Phrasembestandes der deutschen Gegenwartssprache arbeiten Phraseologen deshalb zusätzlich gerne mit Wörterbüchern der Gemeinsprache. Der Miteintrag und die richtige Behandlung von Phrasemen sind zum Prüfstein der Lexikographie schlechthin geworden (Burger 1983). Dieser Erkenntnis zufolge stützt sich die folgende Untersuchung zum Phrasemsystem auf die bereits bewährten Phrasem- und Universalwörterbücher Friederich (1966), Röhrich (1983), Drosdowski (1983) und Görner (1984) für das Deutsche, sowie Bardosi (1986) und Duneton/ Claval (1990) für das Französische. 2 „Ihre Existenz in natürlichen Sprachen ist eine Folgeerscheinung der Divergenz zwischen der Unendlichkeit der menschlichen Erkenntnis bzw. der gesellschaftlichen Praxis und der beschränkten Zahl der Wurzelmorpheme" (Cernyseva 1984: 17). FLuL 21 (1992) Leitbegriffe und Leitbilder in der deutschen Phraseologie 35 2 Begriff und Bild Zur terminologischen Rechtfertigung von „Begriff" und „Bild" muß das semantische Verhalten von Phrasemen herangezogen werden, besonders jener mit globaler Demotiviertheit. Idiome z.B. repräsentieren Begriffe, indem sie obligatorisch und zugunsten eines abstrakten Sinns die wörtliche Bedeutung der Konstituenten aufheben, Referenzstellen neutralisieren. Semiotisch betrachtet ist es der Symbolwert von Zeichen, von dem alle enzyklopädischen Phrasemdefinitionen zeugen. Greciano (1992b) beleuchtet das Spezifische dieser Definitionen: Sprachbzw. Nominaldefinition und nicht Sachbzw. Realdefinition, deduktiv und induktiv gewonnen; rationale Analysen in Archisemformel-Metasprache mit propositionalen Zerlegungen · für Computerlexikographie, natürlichsprachliche Synthesen und ökonomische Umschreibungen für eine nicht automatische benutzerfreundliche Phraseographie. Für beide Methoden gilt der Begriff ·als das gedankliche Konzept, durch das Gegenstände/ Sachverhalte auf Grund bestimmter Eigenschaften und Beziehungen umschrieben bzw. klassifiziert werden, das intensional definiert und durch Termini formal wiedergegeben wird. In den üblichen Begriffsdefinitionen, etwa von Cassirer (1969) und Lalande (1980), dominieren Allgemeinheit, Abstraktheit, Nicht-Bildhaftigkeit, sowie Regel- und Schemagebundenheit. Die lexikalische Demotiviertheit der Idiome ist abstrakte Nomination und illustriert die der Sinneserfahrung entbundene Verbegrifflichung besonders deutlich. Sie baut auf auf der Fähigkeit des Sprechers zur gedanklichen Globalisierung, zur Distanz von der Realität, zum Auffinden und Weglassen des Zufälligen, zum ,Auf-die-Seite-Stellen-des-sinnlichen-Stoffes'. Zwei Untersuchungen (Greciano 1986, 1988) verfolgen diesen mentalen Prozeß anhand sprachlicher Indikatoren. Zwischen dem Idiom und seinem Begriffsinhalt besteht eine hierarchische Relation, die das Idiom zum Unterbegriff, den Begriffsinhalt zum Oberbegriff macht. Aber gerade diese Abstraktheit, die virtuelle, nicht aktualisierte Begrifflichkeit des Idiominhalts macht ihn besonders anfällig für ergänzende Bedeutungskomponenten aus dem Bereich der Sinnlichkeit. Idiome repräsentieren daher auch Bilder, indem sie zusätzlich und fakultativ, die Begriffsbedeutung auf ihre Weise veranschaulichen. Dies macht die autoreferentielle Funktion von Sprache möglich, die Fähigkeit der Zeichen, auf sich selbst zu verweisen. Es ist die Substanz der Form dieser Makrolexeme, die unter gewissen Voraussetzungen regeneriert. Es handelt sich um eine sprecher- und situationsbedingte Transparentmachung von Formativen, um Reaktualisierung von Referenz, um Remotivierung von Demotiviertem als Vermittlung von illokutiv und diskursiv Mitgemeintem. Die Semiotik erklärt das Phänomen über den Ikonwert von Zeichen, die Denkpsychologie spricht vom Imaginalen, und die Kognitionsforschung argumentiert mit dem Bildbewußtsein. Drei Untersuchungen (Greciano 1988, 1992a, b) zeigen, daß die ikonische Wiederbelebung von Phrasemen oder Phrasemfragmenten nicht Reproduktion der Wörtlichkeit bedeutet, sondern Spiel ist mit ihr, nicht einfach schmückend, FLuL 21 (1992) 36 Gertrud Greciano sondern mit gezielten Kommunikations- und Kooperationsabsichten und -wirkungen. Sehr früh arbeiteten Experimentalpsychologen wie Bühler (1912), Happich (1939) und Baumgarten (1952) über die kreative Funktion der Anschauungsbilder. Laut Nieraad (1977) sind Ikone Zeichen und Handlungen, deren Appell Eidetiker besonders schwer widerstehen. Medizin und Philosophie bieten konkrete Erklärungsansätze für das Bilddenken, deren sich die Linguistik mit Gewinn bedient. Cassirers symbolische Form (1969) ist eine zugleich von Struktur und Sinn geprägte Substanz, entstanden über Synthese und Prägnanz. Die Synthese äußert sich in der Mehrgliedrigkeit, die Prägnanz in der bildlichen Motiviertheit des Phrasems. Diese Sprachzeichen wirken gedankenbildend; ihre lexikalische Substanz dient als Gliederungsprinzip für amorphes Denken. Das im Phrasembild kognitiv und affektiv Mitgemeinte bedarf bestimmter (kon)textueller Bedingungen, die nicht Zufall, sondern im Idiomdenker bzw. seiner Fähigkeit zum Begriffs- und Bilddenken verwurzelt sind. Es zeugt von universalen Gesetzen, wie der Vergeistigung der Materie und der Verdinglichung des Geistes. Laut Kant sind Begriffe ohne Anschauungen leer, und gerade Idiome verdanken ihre heuristische Potenz ihrer Begrifflichkeit sowie ihrer Anschaulichkeit, wie Korpusanalysen der unterschiedlichsten Fachsprachen es belegen. Gehört der Begriffswert zur lexikalischen Dimension des Phrasems und ist er als solcher lexikographisch fixiert, entfaltet sich der Bildwert im Gebrauch und begründet als solcher die Phraseopragmatik. 3 Leitfunktion Das Herausfinden von bevorzugten phraseologischen Begriffen und Bildern verlangt notgedrungen nach einem umfassenden Rahmen, nämlich dem Phrasemsystem. Die Phraseologie der deutschen Gegenwartssprache bildet nämlich, so wie die der meisten natürlichen Sprachen, ein ganzheitliches Gefüge, dessen Struktur und Funktion es aufzudecken heißt. Die Erkenntnis der phraseologischen Leitbegriffe und Leitbilder des Deutschen bedarf des weiteren jener ethnolinguistischen Erklärung, die sich seit kurzem auf wissenschaftlicher Basis (siehe Hessky 1989, bzw. Stedje 1989) und in Ablösung der völkischen Deutungsversuche der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchsetzt. Nur so wird sie den klärenden Rückschluß· auf die Kultur einer Sprechergemeinschaft gestatten. Für phraseologische Vorhaben aufschlußreiche und wertvolle Vorüberlegungen können der allgemeinen Lexikographie entlehnt werden. Wenn aus semantischen und didaktischen Überlegungen im Laufe der Zeit auf alphabetische Gliederungen für den Gesamtwortschatz mehrmals verzichtet worden war, so häufen sich die Gründe für einen solchen Verzicht bei Phrasemen. Diese Polylexeme bieten nämlich eine Mehrzahl von Anfangsbuchstaben zur Wahl. Mit Begriffs- und Bildbedeutung motiviert, sträuben sie sich gegen alphabetische Inventare, vergleichbar abstrakten Termini z.B. der Rechtssprache (Arntz/ Picht 1991: 217). FLuL 21 (1992) Leitbegriffe und Leitbilder in der deutschen Phraseologie 37 Für Standardwörterbücher sind die vor zwei Generationen üblichen onomasiologischen Gliederungen nach Sachgruppen (etwa Dornseiff 1933) vor einer Gene-. ration durch semasiologische Ordnungsschemata nach Begriffssystemen (siehe Hallig/ Wartburg 2 1963) abgelöst worden. Für den Bereich der Phraseologie muß aber ganz entschieden Abstand genommen werden von Hallig/ Wartburgs (21963: 21) auf "phänomenologischer Grundlage beruhenden Gliederungsprinzipien", von ihrer "ideologischen Erhellung des Weltbildes einer Sprache als [...] einer Zwischenwelt geistiger Inhalte zwischen Ich und Außenwelt". Auch ist in unserer Jahrhundertbzw. Jahrtausendwende der Traum von der Welt als geordnetem, zielgesteuertem Etwas ausgeträumt, was Katastrophen- und Chaostheorien bezeugen. Ganz in Übereinstimmung jedoch mit Hallig/ Wartburg (21963: 9) bleibt der Phrasem"begriff" ein sprachlich sprachwissenschaftlich- und nicht wissenschaftlich enzyklopädisch erfaßter Allgemeinbegriff. Und gerade die sprachliche, semasiologische Verankerung des Begriffes, die „Läuterung des Bedeutunghaften zum Begrifflichen" (Hallig/ Wartburg 2 1963: 11) erlaubt im Falle des Phrasems die Ergänzung des Begriffs durch das Bild. Wenn auch „begriffsfähig", entsprechen Phraseme keinen „bedeutungsentbundenen, sondern bedeutungsdurchtränkten" Wörtern (Hallig/ Wartburg 2 1963: 59). Der heutige Wissensstand über das Phrasem verpflichtet, Hallig/ Wartburgs (21963: 74) zu vorbelasteten und unkundigen Ausschluß der Redensarten aus seinem Begriffssystem zu korrigieren. Leitfunktion nun haben jene repräsentativen Begriffe und Bilder, denen eine typisierende Hilfskonstruktion und Modellfunktion im Phrasemsystem zuzuerkennen ist. Sie betrifft Inhalte und Formen und ergibt sich aus der Frequenz der Belege. Die folgenden empirischen Stellungnahmen sind lexikographisch abgestützt. Eine eher ergänzende als ersetzende lnforrnantenbefragung könnte als zusätzliche Bekräftigung dienen. Weniger des materiellen Aufwandes als vielmehr des immer lauter werdenden Zweifels an Phrasernkompetenz wegen ist hier darauf verzichtet worden. 3 Gegenstand der Untersuchung ist eindeutig nicht die in Sprache verarbeitete Welt, sondern das Phrasemgut, das Begriffe und Bilder vermittelt. Für die heikle Schlußfolgerung auf die Sprechergemeinschaft, auf deren Weise, geteilte Erfahrung und gemeinsames Wissen zu verbegrifflichen und zu versinnbildlichen, bietet Negreanu (1983) ein anregendes Konzept, das "Ethnofeld". 4 Leitbegriffe Neben den systematisch aufgestellten Ethnofeldem zur rumänischen Phraseologie dürfen auch die ersten Ansätze zum Deutschen, verglichen mit dem Ungarischen 3 Messungen und Schätzungen zum parömiologischen/ phraseologischen Minimum sind ein mahnender Hinweis auf die Dringlichkeit von Phraseodidaktik (vgl. Grzybek 1984). FLuL 21 (1992) 38 Gertrud Greciano (Hessky 1989), dem Schwedischen (Stedje 1989) und dem Französischen (Greciano 1989, 1992b) Beachtung finden. Unter Leitbegriffen sind jene „redensartenfreundlichen" (Görner 1984: 13) Begriffsbedeutungen zu verstehen, die in den natürlichen Sprachen mit einer Mehrzahl von Phrasemen belegt sind. Erst wenn diese Frequenz im Sprachsystem durch Häufigkeiten im Sprachgebrauch bestätigt würde, könnte zu jenem Weltverarbeitungssystem vorgedrungen werden, zu jenem Weltbild, von dem die phänomenologische Lexikographie träumt. Aber gerade diese Schlußfolgerung scheint aus zwei Gründen hier schwer möglich: einmal wegen der eingangs gerechtfertigten Konzentration der Untersuchung auf das Phrasemsystem, zum anderen wegen der öfters aus Vorstellung als aus Erfahrung und immer über Bewertung gewonnenen Begriffsinhalte. Phrasembegriffe brechen Sachverhalte durch das erlebende Ich, das Bewußtsein, das Denken und die Empfindung des Menschen. Wertvolle Hilfe bei der Aufarbeitung dieses Begriffsmaterials leistet Görner (1984). Dem Handbuch liegt eine zweifache alphabetische Klassifizierung der Phraseme zugrunde, im ersten Teil nach den jeweils ersten Sinnwörtern, nach Phrasemkonstituenten als Leitwörtern/ Kernwörtern, im zweiten nach gemeinsamer Begriffsbedeutung, deren Formulierung den aktuellen lexikographischen Forderungen nach natürlichsprachlichen, nicht zu allgemeinen Definitionen entspricht (Hausmann 1985, Centre d'etudes du lexique 1990). Ein abschließendes Verzeichnis reduziert 867 bedeutungsnahe Leitbegriffe über Querverweise auf 367 Grundbegriffe, unter denen die im ersten Teil definierten, beschriebenen und mit Beispielen ausgewiesenen Wendungen nochmals aufgereiht sind. Ab wann eine Belegzahl phrasemsystemisch relevant ist, kann zur Diskussion gestellt werden; mit mehr als 10 Phrasemen lassen sich 15 Begriffe, mit mehr als 5 Phrasemen 45 Begriffe erkennen : ~ 10 : Ablehnung, Bedriingung, Belästigung, Erschöpfung, Furcht, Information, Prahlerei, Schaden, Trunkenheit, Überraschung Vernichtung, Verrücktheit, Widerwärtigkeit, Zurechtweisung. ~ 5 : Abschluß, Aneignung, Angemessenheit, Anpassung, Aufreizung, Bekämpfung, Beteiligung, Dummheit, Eile, Erfahrung, Erfolglosigkeit, Faulheit, Gefühl, Hinauswurf, Infonniertheit, Krankheit, Liebelei, Mißerfolg, Mühelosigkeit, Nachgeben, Nasführung, Offenheit, Schlaf, Schnelligkeit, Schwierigkeit, Sparsamkeit, Sterben, Streit, Täuschung, Überdruß, Unterbrechung, Unverschämtheit, Verantwortlichkeit, Verärgerung, Verlust, Verstehen, Wegfall, Weggang, Weisungsberechtigung, Wut. Um von diesen Leitbegriffen auf die Kulturspezifik zu schließen, bedarf es zusätzlicher Vergleiche zuerst mit sowjetischen Aussagen zum Deutschen, wo laut Cernyseva (1984: 19), irreführen, betrügen, tadeln und sterben als außer- FLuL 21 (1992) Leitbegriffe und Leitbilder in der deutschen Phraseologie 39 sprachliche Hauptbereiche der phraseologischen Nomination angeführt werden. 4 Stedje (1989) erkennt, daß das "Beherzte Eingreifen", quantitativ und qualitativ ein distinktives positives Merkmal der deutschen Sprechergemeinschaft, in der schwedischen ein "Ungebetenes Sicheinmischen" wird. Unter den fünfzehn am stärksten belegten Begriffsbedeutungen des deutschen Phrasemsystems immer mit Verweis auf Gömer (1984) ergibt sich folgende Reihung: Zurechtweisung (26), Verrücktheit (22), Ablehnung, Trunkenheit (19), Überraschung (16), Infoimation, Prahlerei (13), Bedrängung (12), Belästigung, Erschöpfung, Furcht, Schaden, Vernichtung, Widerwärtigkeit (10). Von zur Zeit laufenden Vergleichen mit dem Französischen erwartet man die Zuerkennung von Typikalität versus Universalität innerhalb dieser Phraseologie. Die noch unveröffentlichten Untersuchungen durchgeführt von Magisterstudenten der Germanistik an der Universität Strasbourg II stützen sich dabei mehr auf das Lehrbuch von Bardosi (1986) als auf die umfassende thematische Phrasemenzyklopädie zum Französischen von Duneton/ Claval (1990). Die Auswertung erweist sich als schwierig wegen des qualitativ und quantitativ unterschiedlichen Materials 5, sowie der nicht aufeinander abgestimmten Leitbegriffe bei Görner (1984), Schlüsselbegriffe bei Bardosi (1986) und Themen bzw. Unterthemen bei Duneton/ Claval (1990). 6 In Bardosi (1986), der i.n Umfang und Ziel Gömer (1984) nahekommt, lassen sich mit fallender Frequenz folgende Begriffsbereiche für das Französische erkennen: "menschliche Beziehungen/ rapports humains (185), menschliches Verhalten/ l'homme dans sa fa~on d'agir et son comportement (170), Seelenleben/ etats d'ame (86), schwierige Lebenslagen/ l'homme confronte aux difficultes de Ja vie (79), der Mensch in seinem Körperll'homme physique (77), der Mensch und die Welt/ l'homme et l'univers (63), der wirtschaftliche Mensch/ l'homme economique (46)". Nach Korrektur der störendsten Differenzen heben sich im Vergleich zwischen Gömer (1984) und Duneton/ Claval (1990) vorläufig folgende Entsprechungen von Leitbegriffen ab: 4 "Sterben" als Leitbegriff für das Deutsche bestätigt in Greciano (1983: 222); für das Französische in Duneton/ Claval (1990: 3). s Phraseme aus vier Jahrhunderten in Duneton/ Claval (1990), Phraseme allein der Gegenwartssprache in Görner (1984) und Bardosi (1986). 6 Information ist unter savoir, Überraschung unter soudainete zu finden; Erschöpfung, Schaden, Vernichtung bleiben ohne entsprechende Unterthemen; Bedrängung, Belästigung sind schwer voneinander und von menacer, agresser abzugrenzen. FLuL 21 (1992) 40 Deutsch 26 22 19 19 13 22 10 10 Zurechtweisunglcritique, proteste, reproches Verrücktheitlfolie, extravagance, perdre Ja raison Ablehnung/ refuser Trunkenheitlivrognerie Prahlerei/ vantardise Bedrängung, Belästigung/ menacer, agresser Furchtlpeur Widerwärtigkeitldegout Gertrud Greciano Französisch 49 31 28 20 14 22 21 13 Eine genaue Entsprechung und Reihung, sowie die Bestätigung der (Über)Einzelsprachlichkeit dieser Leitbegriffe bedarf ~anz entschieden einer gründlichen Absicherung aus der Phraseographie mit Uberprüfung der Phraseme selbst, besonders aus dem Bereich der jeweiligen Begriffsränder. 5 Leitbilder Die formale Teilbarkeit der Phraseme ist nicht nur eine materielle Ordnungshilfe für Phraseographen7, sondern sie wird auch zum Generator der Vorstellungskraft für Phrasemverwender. Die lexikalische Zugänglichkeit der Phrasemkomponenten ist ein Appell an das Imaginale, dem gewisse Sprachhandlungen, Textsorten und Sprecher nur schwer widerstehen. 8 Bei Idiomen und Sprichwörtern ist die Umsetzbarkeit in das mentale Bild der orthographischen Diskontinuität wegen direkt, bei Wortbildungen verläuft sie, der orthographischen Kontinuität wegen, über abgrenzende lexikalische Vorentscheidungen: (Mädchen)(handelsschule) vs (Mädchenhandels)(schule). Funktionsverbgefüge, die getrennte Lexemkomponenten gewährleisten, werfen ein anderes Problem auf. Empirische Untersuchungen der letzten Jahre vgl. den Überblick in Greciano (1991) haben Substantiva als Hauptauslöser phraseologischer Anschaulichkeit bewiesen. Interessanterweise und ganz unabhängig von Phraseologie hat die Forschung in ihnen den semantischen Träger von gebundenen Verbgruppen erkannt und nachvollzogen, wie sich in den verschiedenen Einzelsprachen das Verbum zugunsten der Nominalkomponenten sinnentleert. Laut Polenz (1985: 90) gilt die Nominalgruppe als die "vielseitigst verwendbare Möglichkeit des deutschen Satzbaus", was sich auch im Phrasemsystem bestätigt. Substantive sind Glieder in Verbal-, Präpositional- und Adjektivalphra- 7 Lexikalische Phrasemfragmente sind die Stichwörter bei Friederich (1966) und Röhrich (1983). 8 Anhand von Tests zeigt Häcki-Buhofer (1989) die Assoziationen auslösende Funktion der Phrasemkonstituenten. FLuL 21 (1992) Leitbegriffe und Leitbilder in der deutschen Phraseologie 41 semen; sie sind Basis der Nominalphraseme. Die sowjetische und französische Germanistik berechnet die entsprechenden Quotienten. 9 In Funktionsverbgefügen nun bestimmt die semantische Gewichtung der Nomina die Gesamtkonstruktion. Orthodoxe Definitionen, besonders zum Deutschen, gehen aus von einer Mehrzahl von Abstrakta: (kein) Glück haben; etw. im Sinn haben; in Freuden leben. 10 Überraschenderweise entziehen sich diese für Begrifflichkeit vorherbestimmten Phraseme der Bildhaftigkeit 11 nur im Falle von Hilfsverben: Angst/ Mideid haben. Bei einer Verbindung derselben Abstrakta mit dynamischen Verben hat deren Bildkraft eine animierende Rückwirkung auf die Nominalteile: Wut/ Furcht/ Angst packt/ ergreift jdn.; jdm. lächelt das Glück. Für alle Phrasemklassen konnotieren konkrete Substantiva die demotivierte Begriffsbedeutung mit ihrer Wörtlichkeit. Entscheidend dabei ist, daß sich - und dies als Bestätigung von Häcki-Buhofer (1989: 170) die Bildhaftigkeit der Phraseme nicht auf jene mit konkreten Nominalkonstituenten beschränkt, sondern daß letztere - und das ist eine Ergänzung sehr regelmäßig Bildhaftigkeit auslösen. Tests anhand von Umschreibungen und Zeichnungen 12 lassen erkennen, daß Bilder Kreise ziehen und daß sich ganze Bildfelder abheben. Gewisse Stichwörter beherrschen imaginal auch Phraseme mit deren Wortbildungen und Synekdochen; so Hand für ein lockeres Handgelenk haben; etw. aus dem Handgelenk schütteln, so Feuer für in Rauch und Flammen aufgehen; in. Flammen stehen und Sonne für jds. Sonnenschein sein; ein Sonnenkind sein und auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Ein Großteil der Prädikatsnomen verkörpert einen Vorgang und speichert dessen Ergebnis: ins Spiel kommen / bringen; mit einem Schlag; Schlag auf Schlag; einen großen Sprung / keine großen Sprünge machen; ein Sprung ins Dunkle; in Schuß bringen/ kommen; ein Schuß ins Schwarze. Mentale Repräsentationen entsprechen nicht den sprachlichen Differenzierungen, und moderne graphische Entsprechungen, oft vereinfachte Stilisierungen, sind schließlich die letzte Stufe auf der Skala der Undifferenziertheit. Menschliche Gestalten veranschaulichen dann Mann, Mensch, Junggeselle, Junge zu: der Mann des Tages; etw. für den äußeren Menschen tun; ein eingefleischter Junggeselle. Lichtlosigkeit versinnbildlicht Schatten, Schwärze, Dunkel, Nacht zu: über den eigenen Schatten springen wollen; ein Schuß ins Schwarze; im Dunkeln ist gut munkeln; bei Nacht und Nebel. 9 Rajchstein (1980) in Dobrovols'kij (1988: 126), Hegedus-Lambert (1989) in Greciano (1989, 1991). 10 Romanisten nehmen schon seit Kotschi (1974) und zuletzt bei Schmid (1992) eine gegenteilige Stellung ein und untersuchen das Verhalten der Konkreta. 11 Grundlegende terminologische Richtigstellung zu „bildlich/ bildhaft" in Burger (1989). 12 Überblick über Experimente in Normal- und Pathopsychologie in Greciano (1983: 353-361). Ergänzende lnformantenbefragung, Studenten (Muttersprachler der Germanistik) an den Universitäten Zürich und Klagenfurt. FLuL 21 (1992) 42 Gertrud Greciano Die Bildhaftigkeit entwickelt ein semantisches Potential, das sich, seiner Bezeichnung enthoben, im Hintergrund für vielfältige und zusätzliche Zwecke bereit hält. Von seiner externen Repräsentation verdrängt, flieht es in die interne und mentale. Darstellung suspendiert in visueller Vorstellung. Die positiven Wirkungen des Bildes auf Gedächtnisprozeduren das Behalten auf Denkprozesse das Suchen und Erkennen - und Kommunikation das Mitteilen sind inzwischen Hauptprobleme der Kognitionsforschung. Für komplexe Begriffsbedeutungen - und Phraseme fungieren vorwiegend als solche, weil sich zur rationalen Komponente immer eine emotionale und wertende gesellt ist das Bild eine beliebte Ergänzung. Abstraktes Wissen wird über perzeptuelles aktiviert, im Falle der Phraseme erfolgt dies über die optische Wahrnehmung. Was die Leitbilder der deutschen Phraseologie betrifft, so läßt sich ein erster Überblick nach Friederich (1966) erarbeiten, wo die entsprechenden Wendungen nach den wörtlichen Formativen, also noch nach Sachgebieten gruppiert sind. In ihrer Wörtlichkeit entstammen diese bevorzugten Bilder einer der vergegenständlichenden Sehweise (Hallig/ Wartburg 1963) vertrauten Welt nach folgender Hierarchie: den Phänomenen der Natur, dem Eingreifen des Menschen, sowie der materiellen und geistigen Kultur. Mentale phraseologische Bilder, die in Figuren mittelalterlicher Emblematik, in der graphischen Karrikatur und der (photo)graphischen Werbung Form annehmen, kreisen vorrangig um den Menschen in seiner Befindlichkeit (Körperteile, Charakter, Lebensweise), die Elemente der Natur (Urstoffe, Tier- und Pflanzenwelt), Einrichtungen und Bräuche (Lebensraum und seine Gestaltung), Sitten und Religion. 13 Eine konsequente Aufarbeitung von Friederichs Register (1966: 5) 14 und eine ergänzende Überprüfung anhand von Röhrichs neu aufgelegter Bildersammlung 1991 verspricht einen möglichst vollständigen Überblick über den bereits erfolgten phraseologischen Bildverbrauch. Für Neuschöpfungen aus der Bildkraft der Phraseme zum Zwecke mehr appellativer und affektiver als deskriptiver Bezeichnung leisten die Bildwortregister, mit Phrasemkonstituenten als Stichwörtern, gute Dienste. Friederich (1966) bleibt ein gefundenes „Futter" für Werbeagenturen. 13 Diese Grundlagendiskussion ·stützt sich auf vorausgehende mechanische Zählungen und ordnet allgemein die Tendenzen, die früheren Arbeiten teilweise bekannt waren; cf. Cernyseva (1984: 19): "animalistische Lexik und Somatismen". 14 Leider bietet nur die Erstauflage eine „systematische Anordnung nach dreißig Sachgebieten" an. Es bleibt bei der Schwierigkeit der Abgrenzung zwischen Sachgebieten und Begriffsbedeutungen. Friederich hat in allen weiteren Auflagen auf jede inhaltliche Gruppierung verzichtet und damit auch didaktische Vorteile, wie Verstehens- und Behaltenshilfe verloren. Eine wirksame Phraseographie hat genau an dieser heiklen Stelle neu anzusetzen. FLuL 21 (1992) Leitbegriffe und Leitbilder in der deutschen Phraseologie 43 6 Rückblick und Ausblick Sehr überzeugend brachte Häcki-Buhofer (1989) die psycholinguistische Erkenntnis der dualen Kodierung in die Phraseologiediskussion ein. Sie selbst verwertete sie zur Begründung der Bildkraft der Phraseme. Das Konzept ist aber zusätzlich noch vorbestimmt als grundsätzlicher Erklärungsrahmen für die Konvergenz aber nicht Reduktion von Begrifflichkeit und Bildhaftigkeit. In ihrer Abstraktheit widerstehen Phraseme nur schwer der Gravitation der Vorstellungskraft. Ihre Darstellungsferne macht sie frei für das Imaginale. Phraseme verlangen förmlich nach dem Bild. Begriff und Bild sind die beiden festen Punkte, die den Inhalt des Phrasems bestimmen. Die Forschung hat sowohl die theoretische Erklärungspotenz als auch die praktische Wirkungseffizienz dieser semantischen Brennpunkte erkannt. Beide Konzepte müssen sich nun phraseographisch und phraseodidaktisch weiter behaupten: Begriff und Bild als Ordnungsschemata für den einsprachigen Phrasemerwerb; Begriff und Bild als Richtlinien für den mehrsprachigen Phrasemvergleich. 15 Den aufgespürten Leitbegriffen und Leitbildern wird dabei insofern ihre angestammte Leitfunktion zuzuerkennen sein, als sie die Aufarbeitung und Erlemung des bevorzugten Phrasemmaterials gewährleisten. Die ethnolinguistische Aufdeckung von gemeinsprachlicher bzw. allgemein menschlicher Universalität ist dabei, energisch die gefährlichen Trugschlüsse auf eingefahrene und abgegriffene Vorurteile aus dem Weg zu räumen. Laufende Forschungsprojekte versprechen verheißungsvolle Rückschlüsse auf Kulturspezifik. 16 Bibliographische Angaben ARNTZ, R. / PICHT, R.: Einführung in die Terminologiearbeit. Hildesheim 2 1991. ASSENMACHER, E.: Zum Problem der Begriffsbewegung. Kaldenkirchen 1931. BALLIN, G.: Das Wesen und die exakte Prüfung der Begriffsbildung. 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FLuL 21 (1992) Anne Lise Kjrer Normbedingte Wortverbindungen in der juristischen Fachsprache (Deutsch als Fremdsprache) Abstract. For many years, LSP phraseology (fixed and restricted word combinations in language for specific purposes) has been more or less neglected by phraseologists and LSP researchers. The present paper is an attempt to improve the state of the art as far as legal language is concerned. lt is argued that the stability of word combinations in legal language depends on their non-linguistic context ("situation of use"). For example, Erledigung der Hauptsache is variable in some contexts (Erledigung des Anspruchs, der Sache, des Streitgegenstands, der Klage) but totally stable in others. Other word combinations exhibit a weaker stability; e.g. einfaches Bestreiten is never totally stable in any situation of use. These phenomena are explained in terms of language norms, ranging from norm = "normed" by law or legal practice to norm = "normal". O Vorbemerkung Phraseologische Wortverbindungen einer Fremdsprache bereiten dem ausländischen Lerner im allgemeinen größere Schwierigkeiten als Wortverbindungen, die nach den produktiven morpho-syntaktischen und syntagmatisch-semantischen Regeln der Fremdsprache frei gebildet werden. Dies dürfte eine unbestrittene Feststellung sein, die nicht zuletzt auf idiomatische Wortverbindungen zutrifft, die in der Muttersprache nicht vorkommen oder in der Muttersprache eine abweichende Bedeutung/ Verwendung oder einen abweichenden Wortlaut haben. Ein Sonderfall liegt vor, wenn sich der Lerner, wie z.B. ein Fachübersetzer in der Ausbildung, nicht vorwiegend die Gemeinsprache, sondern eine oder mehrere Fachsprachen der Fremdsprache aneignen will. Der Fachübersetzer soll lernen, sich in Übereinstimmung mit den Gesetzmäßigkeiten und Konventionen der betreffenden Fachsprache auszudrücken, und dies erfordert nicht zuletzt, daß er die Phraseologie der Fachsprache beherrscht. In seinem Fall spielt die sonst besonders schwierige Idiomatik der Fremdsprache eine untergeordnete Rolle, ist sie doch in Fachtexten im großen ganzen abwesend. Dafür stellen Wortverbindungen, die z.T. an der phraseologischen Peripherie angesiedelt werden können, einen besonderen Problembereich dar. Gemeint sind fachspezifische Wortverbindungen, deren Charakteristika vorläufig mit den Klassen „bevorzugte Analysen" (Thun 1978; Burger et al. 1982), „Nomiill! ,tionsstereotype" (Fleischer 1982), "phraseologische Termini" (Burger et al. 1982) und „Routineformeln" (Coulmas 1981) umschrieben werden. Das Besondere - und besonders Schwierige an der Erlemung der Phraseologie einer Fachsprache besteht darin, daß sich der Lerner gleichzeitig ein FLuL 21 (1992) Normbedingte Wortverbindungen in der juristischen Fachsprache 47 gründliches Wissen von dem betreffenden Fach erwerben muß. Eine Voraussetzung für die richtige Verwendung von Fachwörtern und -wendungen ist ein grundlegendes Verständnis für die Gesetzmäßigkeiten des Faches an sich. Diese Abhängigkeit der Sprache vom Fach hat im Bereich der juristischen Fachsprache eine eigene Prägung, weil Juristen mit der Sprache Rechtshandlungen durchführen. Eine Formulierung, die die auf dem jeweiligen Rechtsgebiet normierten Beschränkungen der fachgerechten Ausdrucksweise nicht erfüllt, ist somit u.U. nicht nur sprachlich, sondern auch fachlich ungeschickt und kann in einigen Fällen sogar außersprachliche Wirkungen haben. So kann ein Angeklagter im Strafprozeß nicht unmittelbar wegen „schwerer Körperverletzung" verurteilt werden, wenn in der Anklageschrift grobe Körperverletzung steht. Die Besonderheiten solcher „normbedingten Wortverbindungen" der Rechtssprache sind Gegenstand des vorliegenden Aufsatzes. Die Erlernung fachsprachlicher Phraseologie im allgemeinen wird dadurch erschwert, daß eine umfassende Bestandsaufnahme über Typen, Struktur und Funktion phraseologischer Wortverbindungen verschiedener Fachsprachen und damit auch geeignete „phraseographische" Lehrmittel und Nachschlagewerke bis heute fehlen. Während die gemeinsprachliche Phraseologie des Deutschen allmählich genau durchleuchtet ist (so Greciano 1989), besteht also im Bereich der fachsprachlichen Phraseologie eine von ausländischen Lehrern und Lernern zu bedauernde Forschungslücke. Der vorliegende Aufsatz ist ein Versuch, diese Forschungslücke auch nur ansatzweise im Hinblick auf die juristische Fachsprache auszufüllen. Er baut auf Ergebnissen der in der Dissertation von Kjrer (1990a) durchgeführten Untersuchung auf. Schwerpunkt der Untersuchung ist nicht eine Aufzählung von Typen juristischer Wortverbindungen, die in die herkömmlichen Klassen der Phraseologieforschung passen (vgl. Kunkel 1986), sondern der Entwurf einer Analysemethode, mit der es möglich sein soll, die Stabilität fester Wortverbindungen der Rechtssprache in ihrer Abhängigkeit von durch Gesetz oder Konvention festgelegten fachlichen Verwendungssituationen zu beschreiben. Die ermittelten Wortverbindungstypen passen dabei nur in beschränktem Maße in die bekannten Klassen. In den folgenden Ausführungen wird zunächst die Forschungslücke im Bereich der fachsprachlichen Phraseologie näher umrissen (Abschnitt 1). Danach wird die in Kjrer (1990a) entwickelte Methode zur Analyse juristischer Wortverbindungen vorgelegt (Abschnitt 2) und anhand von Beispielen der deutschen Prozeßsprache veranschaulicht (Abschnitt 3). 1 Fachsprachliche Phraseologie: eine Forschungslücke Wie oben erwähnt ist fachsprachliche Phraseologie ein Bereich des Wortschatzes, der in der bisherigen phraseologischen Forschung weitgehend vernachlässigt FLuL 21 (1992) 48 Anne Lise Kj; er wurde. Zwar enthalten einige Arbeiten der germanistischen und deutschsprachigen Phraseologieforschung der letzten 15 Jahre neben Beispielen gemeinsprachlicher Phraseologie auch Belege aus Fachtexten (insbesondere Kunkel 1986; siehe auch Thun 1978: 222 - 241), und mit der Gruppe der Funktionsverbgefüge wird die Guristische) Fachsprache mit berücksichtigt, z.B. Anklage erheben, ein Geständnis ablegen (Fleischer 1982: 142). Die Fachwendungen werden aber in keiner der Arbeiten eingehender erörtert. Dasselbe gilt für die in einigen Übersichtswerken zur Phraseologie eingeführte Klasse der „phraseologischen Termini", die fachspezifische Benennungseinheiten -.umfaßt (vgl. etwa Burger et al. 1982; Häusermann 1977; Pilz 1981). Die Klasse wird zwar mitgenommen, die genannten Beispiele dagegen nicht näher analysiert. In anderen Arbeiten werden terminologische Wortverbindungen erwähnt und mit Beispielen belegt vgl. spezifisches Gewicht, erweiterte Reproduktion, erweiterte Oberschule, gleichschenkliches Dreieck, spitzer Winkel (Fleischer 1982: 76) - , aber mit der Begründung aus dem Untersuchungsbereich der Phraseologieforschung ausgeklammert, daß sie Gegenstand der Fachsprachenforschung, speziell der Terminologielehre sein sollten (Fleischer 1982: 76-80; vgl. auch Gläser 1986: 64). Syntagmatische Wortverbindungen wurden aber auch nicht in der bisherigen Fachsprachenforschung, auf die verwiesen wird, umfassend untersucht. Mehrworttermini (insbesondere substantivische Wortgruppen der von Fleischer genannten Typen) werden in der terminologischen Forschung als eine neben Fachwörtern bestehende besondere Form der Benennung fachlicher Begriffe verstanden und unter diesem Gesichtspunkt im Hinblick auf ihren Stellenwert in fachlichen Begriffssystemen analysiert. Analysen terminologischer Wortverbindungen aus phraseologischer Sicht gehören dagegen nicht zur terminologischen Arbeitsmethode. Zwar wird die Polylexikalität von Mehrworttermini insoweit berücksichtigt, als Struktur- und Motivationsmodelle wie bei der Analyse terminologischer Komposita aufgestellt werden. Fragen nach dem Grad der Idiomatisierung, Lexikalisierung und Festigkeit von Mehrworttermini wurden aber in der .bisherigen Fachsprachenforschung kaum gestellt und nicht systematisch erforscht (vgl. jedoch Rums 1978 und Mattusch 1977). 1 Im übrigen war auch die Syntagmatik im weiteren Sinne - "freie" Wortverbindungen und Kollokationen, einschl. Wortverbindungen, die den Klassen der bevorzugten Analysen und Nominationsstereotype der phraseologischen Forschung zugeordnet werden können lange kein Thema der Fachsprachenforschung. Ein Ansatz zur systematischen Beschreibung „fachsprachlicher Wendun- 1 Zur terminologischen Arbeitsmethode siehe z.B. die Übersichtswerke zur Terminologielehre und Fachsprachen Hoffmann (1985), Wüster (1985), Arntz/ Picht (1989); Hinweise auf Einzeluntersuchungen von Mehrworttermini ausgewählter Fachgebiete in Kromann/ Mikkelsen (1989: 91-93). FLuL 21 (1992) Normbedingte Wortverbindungen in der juristischen Fachsprache 49 gen" verstanden als die Verbindbarkeit substantivischer Termini wurde zwar 1966 von einem sprachwissenschaftlich nicht ausgebildeten Verfasser, Warner, unternommen. Sonst wurde aber fachsprachliche Syntagmatik nur nebenbei besprochen. In den letzten Jahren scheint sich jedoch eine Wende anzubahnen. So wurden 1989 im terminologischen Zentrum in Wien und 1991 an der Universität in Genf Konferenzen abgehalten, die fachsprachliche Phraseologie als Themenschwerpunkt hatten (Draskau 1990, Martin [im Druck]). Auch im Rahmen des EG-Projekts EUROTRA werden Untersuchungen zu fachspezifischen Wortverbindungen neuerdings durchgeführt (vgl. z.B. Heid et al. 1991). Zu erwähnen sind ferner Picht (1990, 1991) über Kollokationen der technischen Fachsprache und Kjrer (1990a, 1990b, 1991). Diese Hinwendung· zur syntagmatischen Ebene von Fachsprachen findet nicht zufällig in Forschungszentren statt, die neben einer sprachwissenschaftlichen Kompetenz zugleich auch Fachwissen besitzen. Eine solche doppelte Kompetenz ist m.E. für die Analyse fachsprachlicher Wendungen unerläßlich. Im folgenden wird also versucht darzulegen, daß eine Beschreibung juristischer Wortverbindungen die Einbeziehung ihrer fachlichen Verwendungsbedingungen voraussetzt. 2 Die normbedingte Festigkeit von Wortverbindungen der Rechtssprache Wie oben beschrieben werden terminologische Wortverbindungen von einigen Forschern der Phraseologie bewußt vom Phraseologiebegriff ausgeschlossen. Andere Verfasser schließen bei der Aufstellung von Typen phraseologischer Wortverbindungen eine Klasse der phraseologischen Termini ein, ohne sie eingehender zu erörtern. Eine Einbeziehung von Mehrworttermini wie z.B. den festen Substantivgruppen bewegliche Sachen, einstweilige Verfügung, dauernde Einrede, tätige Reue ist m.E. ebenso begründet oder unbegründet wie eine Ausklammerung. Begründet ist sie deshalb, weil die Wortverbindungen trotz ihrer Wortgruppenstruktur lexikalisierte Benennungseinheiten der Rechtssprache sind und somit ähnlich wie Phraseologismen im engeren Sinne einen Sonderfall des Wortschatzes ausmachen. Unbegründet ist eine Einbeziehung aber deshalb, weil es nicht Aufgabe der Phraseologieforschung im engen Sinne sein kann, die Besonderheiten solcher fachsprachlichen Wortverbindungen zu untersuchen. Ähnliches läßt sich von anderen in juristischen Fachtexten vorkommenden Wortverbindungstypen sagen. Sie können durch Typologien der Phraseologieforschung erfaßt werden, z.B. in die schon genannten Klassen Nominationsstereotype, bevorzugte Analysen und Routineformeln eingeordnet werden. Als Beispiele für bevorzugte Analysen können somit viele Kombinationen aus Substantiv und Verb, z.B. die Klage abweisen, die Berufung zurückweisen, die FLuL 21 (1992) 50 Anne Lise Kjrer Hauptsache erledigen betrachtet werden. Als Nominationsstereotype können manche Wortgruppen verschiedener syntaktischer Strukturen gelten, z.B. einfaches Bestreiten, in jeder Lage des Rechtsstreits, vor der Geschäftsstelle zu Pf! )tokoll erklären. Beispiele für Routineformeln könnten schließlich kommunikative Einheiten sein wie Das Rechtsmittel hatte (keinen) Erfolg, Gegen diese Entscheidung findet Beschwerde statt. Eine erschöpfende Bestimmung der Charakteristika der aufgezählten Wortverbindungen ist aber nicht schon mit einer derartigen Einordnung in phraseologische Klassen erzielt. Abgesehen von lexikalisch und morpho-syntaktisch absolut verfestigten Mehrworttermini wie die obigen bewegliche Sachen, einstweilige Verfügung usw. bleibt eine Analyse juristischer Wortverbindungen nämlich m.E. unvollständig, wenn sie nicht den fachlichen Situationszusammenhang, in dem die Wortverbindungen verwendet werden, einbezieht. Bei einer Analyse von Wortverbindungen aus der Rechtssprache ergeben sich also entscheidende Unterschiede je nachdem, ob der Text- und Situationskontext, in dem sie eingebettet sind, berücksichtigt wird oder nicht. So stellt sich z.B. heraus, daß die morpho-syntaktische Struktur und/ oder der lexikalische Bestand vieler juristischer Wortverbindungen, vor allem solcher, die als bevorzugte Analysen, Nominationsstereotype oder Routineformeln verstanden werden können, in einigen fachlichen Kontexten stabil, in anderen dagegen variabel sind. "Erledigung der Hauptsache" heißt eine Handlungsart des deutschen Zivilverfahrens. Sie wird in einigen Textzusammenhängen wiederholt Erledigung der Hauptsache benannt. In anderen ist eine Kommutation von Hauptsache ersichtlich: Erledigung des Rechtsstreits, des Streitgegenstands, der Sache, der Klage, des Anspruchs. Erledigung ist jedoch in allen Kontexten konstant.2 Werden diese Zusammenhänge nicht systematisiert und in die sprachliche Analyse der Wortverbindung einbezogen, bleiben die Grenzen der Stabilität und Variabilität der Wortverbindung unvollständig durchleuchtet. 2.1 Relative Festigkeit Eine vollständige Analyse von Wortverbindungen des Typs Erledigung der Hauptsache setzt einen Begriff der relativen Festigkeit voraus. Gemeint ist dabei nicht eine Relativität der Festigkeit, mit der die Grenzen der lexikalisierten Variation eines Phraseologismus umrissen werden, mit der also in der phraseologischen Forschung Fälle wie die ewige/ letzte Ruhe, frisch/ neu gebacken, seine Hand/ die Hände im Spiel haben berücksichtigt werden. Gemeint ist auch nicht die okkasionelle Variabilität fester Wortverbindungen in der tatsächlichen Sprachverwendung, die z.B. in Werbetexten als Stileffekt ausgenutzt wird. M.a.W. ist der Begriff der Relativität, der zur Analyse fester Wortverbindungen der Rechtssprache eingeführt werden soll, weder auf die Sprache als 2 Eine ausführliche Analyse wird in Abschnitt 3 dargeboten. FLuL 21 (1992) Normbedingte Wortverbindungen in der juristischen Fachsprache 51 langue noch auf die Sprache als parole zu beziehen. Die Festigkeit von Wortverbindungen wie z.B. Erledigung der Hauptsache gilt relativ zu Typen von durch Gesetz oder fachliche Konvention bestimmten Anwendungssituationen. Sie ist somit eher auf die Sprache als "Norm" im Sinne von Coseriu (1971) und (von Polenz 1973) beziehbar. Ein solcher Begriff der "normbedingten" Festigkeit wurde in der bisherigen phraseologischen Forschung ansatzweise entwickelt. In Anlehnung an Thun (1978) und Coseriu definieren Burger et al. (1982: 34) somit bevorzugte Analysen als Kombinationen, die als Norm verfestigt sind. Zur Kennzeichnung seiner Nominationsstereotype spricht Fleischer (1982) mit einem Zitat aus Telija (1975) von „unfreien Einheiten der Rede", und als charakteristisch für Routineformeln hebt schließlich Coulmas (1985: 60) "die relativ zu den Sprachgebrauchskonventionen natürliche Auswahl der Formulierung" hervor. Hinter diesen Formulierungen steckt mehr oder weniger explizit ein Begriff der normbedingten Festigkeit der betreffenden Wortverbindungstypen. Was den Definitionen zur Kennzeichnung juristischer Wortverbindungen fehlt, und dies gilt insbesondere für die beiden ersten Wortverbindungstypen, ist ein Kriterium der Auflösbarkeit der normierten Ausdrucksweise außerhalb der "normierenden" Situationskontexte. Wie oben festgestellt wurde, ist z.B. der Wortlaut von Erledigung der Hauptsache in einigen fachlichen Kontexten unabänderbar. In diesen Kontexten muß die Wortverbindung als stabil betrachtet werden oder anders ausgedrückt: der Wortlaut Erledigung der Hauptsache ist in den betreffenden Zusammenhängen die normierte Ausdrucksweise. In anderen Fachkontexten kann aber Hauptsache durch (fachsprachliche) Synonyme ausgewechselt werden. Die festgestellte Stabilität von Erledigung der Hauptsache gilt also nur relativ zu bestimmten Fachkontexten, und die Wortverbindung ist außerhalb dieser Kontexte auflösbar. Eine derartige Relativität der Festigkeit von Wortverbindungen ist mit den Methoden der Phraseologieforschung nicht beschreibbar. Mit den Transformations- und Kommutationstests, die zur Feststellung der Stabilität phraseologischer Wortverbindungen eingesetzt werden, wird vereinfacht ausgedrückt nur gefragt, ob eine Änderung der Morpho-Syntax und ein Austausch der Konstituenten durch Synonyme möglich sind oder nicht. Die Frage, ob eine Variation der Wortverbindung unter gewissen näher angegebenen Voraussetzungen vorkommen kann, wird dagegen nicht gestellt. 2.2 Deskriptive und präskriptive Norm Neben der Probe der Relativität der Festigkeit einzelner Wortverbindungen muß die Analyse einen Test umfassen, mit dem variierende Normierungsgrade verschiedener Wortverbindungen ·aufgedeckt werden können. Wenn Coulmas (1981) gemeinsprachliche Routineformeln analysiert, kann er von einer relativ zu den Sprachgebrauchskonventionen „natürlichen" Auswahl der Formulierung spre- FLuL 21 (1992) 52 Anne Lise Kjier chen. In juristischen Fachtexten ist die jeweils benutzte Auswahl von Formulierungen zwar in einigen Fällen als "natürlich" zu kennzeichnen. In anderen Fällen handelt es sich. jedoch nicht um eine bloß natürliche, sondern um eine "notwendige" Auswahl der Formulierung. Wie in der Vorbemerkung erwähnt, kann ein Angeklagter im Strafverfahren nur wegen "schwerer Körperverletzung" im Sinne von § 224 StGB angeklagt werden, wenn in der Anklageschrift genau schwere Körperverletzung steht (§ 200 StPO). Ist versehentlich z.B. grobe Körperverletzung angegeben, bleibt es im Ermessen des erkennenden Richters zu bestimmen, wie die Formulierung auszulegen ist: als Bezeichnung der strafbaren Handlung „schwerer Körperverletzung", die mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren bestraft wird, oder z.B. als Bezeichnung der Straftat "gefährlicher Körperverletzung", bei der auf ·Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe zu erkennen ist. In solchen und ähnlich gelagerten Fällen ist ein anderer Wortlaut nicht als eine bloß unnatürliche Auswahl der Formulierung zu bewerten, die gegen eine ungeschriebene Konvention der normalen Ausdrucksweise verstößt. Es handelt sich vielmehr um einen Verstoß gegen eine durch Gesetz (das Strafgesetzbuch) festgelegte Formulierungsnorm, die in dem betreffenden fachlichen Kontext (Anklageerhebung) den Schreibenden stark verpflichtet. Liegt eine solche starke Verpflichtung zur Befolgung einer gegebenen Formulierungsnorm vor, spreche ich in Anlehnung an von Potenz (1973) von einer "präskriptiven Norm". In ganz wenigen Fällen besteht die präskriptive Norm in einer vollständigen Präskription bestimmter Ausdrucksweisen durch den Gesetzgeber, der damit die Gültigkeit einer Rechtshandlung von der Wahl der vorgeschriebenen Formulierung abhängig macht. So muß z.B. eine Prozeßschrift, die gemäß § 211 der deutschen Zivilprozeßordnung zugestellt werden soll, den Vermerk „ Vereinfachte Zustellung" tragen; ein Mangel in dieser Beziehung macht die Zustellung unwirksam (Rosenberg/ Schwab 1981: 426). In den meisten Fällen, die ich zur präskriptiven Norm zähle, wird der Produzent juristischer Texte eher indirekt gezwungen, den vom Rechtssystem für den auszudrückenden Vorgang oder Sachverhalt eingeführten Wortlaut zu wählen, weil eine andere Formulierung Zweifel an der beabsichtigten ·Rechtshandlung entstehen läßt. Die Klage zurücknehmen, auf den Klageanspruch verzichten, den Klageanspruch anerkennen sind Bezeichnungen für mögliche Prozeßhandlungen der Parteien eines Zivilverfahrens. Das Gesetz (die Zivilprozeßordnung) sieht zur Durchführung dieser Handlungen keine bestimmte Wortwahl vor. In Gesetzeskommentaren wird jedoch festgestellt, daß das verwendete Wort zwar nicht entscheidet, daß aber die Erklärung unmißverständlich sein muß (Thomas/ Putzo 1986: 533; Baumbach et al. 1985: 830, 832). Unmißverständlichkeit erzielt dabei der Produzent der zum Vollzug der Prozeßhandlungen erforderlichen Erklärungen am ehesten durch Reproduktion der im Gesetz angegebenen Wortwahl. Der Wortlaut des Gesetzes bindet also trotzdem den Textproduzenten, weil FLuL 21 (1992) Normbedingte Wortverbindungen in der juristischen Fachsprache 53 die Rechtswirkung, auf die er mit seiner Erklärung abzielt, von der korrekten Auslegung dieser Erklärung abhängig ist. Eine weniger starke Verpflichtung liegt vor, wenn die Teilhaber an der juristischen Fachkommunikation bei der Benennung von Rechtsbegriffen und -begriffskombinationen eine Formulierung reproduzieren, die sich in der praktischen Sprachverwendung der Juristen verfestigt hat. Dies geschieht nicht im Hinblick auf den Eintritt einer Rechtsfolge wie in den soeben besprochenen Fällen, sondern bezweckt die Gewährleistung einer fachlichen Eindeutigkeit und fachsprachlichen Kontinuität bei der Benennung juristischer Begriffe und Vorstellungen. Eine solche Tendenz zur Reproduktion schon vorhandener Formulierungen ist z.B. in Urteilsbegründungen und in der Fachliteratur ersichtlich. Man kann die Formulierungswahl der Juristen in diesen Situationen nicht als eine bloß natürliche Auswahl der Ausdrucksweise im Sinne von Coulmas (1981) auslegen, sondern muß in Betracht ziehen, daß der einzelne Jurist einem fachlichen Zwang unterworfen ist, seinen Text in Übereinstimmung mit der Konvention zu formulieren, damit er im Einzelfall richtig verstanden wird und zur Weiterführung der juristischen Begriffsbildung beitragen kann. Ein Beispiel für Wortverbindungen dieses Normierungsgrades einfaches Bestreiten wird im Abschnitt 3 in seiner Abhängigkeit. von dem fachlichen Verwendungskontext analysiert. = In der Rechtssprache kommen schließlich auch Wortverbindungen vor, deren Zustandekommen in Texten auf einer bloß natürlichen Auswahl der Formulierung beruht die also den Routineformeln von Coulmas (1981) insoweit ganz entsprechen. Das sind vor allem „Phraseotexteme" (Greciano 1989), die in . bestimmten Textsorten der Fachsprache positionell fixiert (Thun 1978} sind und somit als Bausteine dieser Textsorten eingesetzt werden. Solche Wortverbindungen sind in meiner auf von Polenz (1973) aufbauenden Terminologie einer „deskriptiven Norm" unterworfen: die betreffende Wortwahl ist zwar normal, für den juristischen Textproduzenten jedoch nur schwach verbindlich. Kennzeichnend für die deskriptiv normierten Wortverbindungen ist nämlich, daß ihre Reproduktion aus Gründen der fachlichen Routine erfolgt, ohne daß eine andere Wortwahl schaden würde. Beispiele für Wortverbindungen dieses schwächsten Normierungsgrades sind Deshalb ist Klage geboten, die als Abschlußformel in Klageschriften eingesetzt wird, und Das Rechtsmittel hatte (keinen) Erfolg, mit der das Ergebnis einer erneuten Verhandlung eines Streitfalls vor einem höheren Gericht in den in Fachzeitschriften abgedruckten Resümees von Gerichtsurteilen wiedergegeben wird. Es lassen sich also grob gesagt Wortverbindungen dreier Normierungsgrade unterscheiden: präskriptiv normierte, deskriptiv normierte und Wortverbindungen, deren Normierung einen Übergangsfall zwischen präskriptiver und deskriptiver Norm ausmacht. Der Normierungsgrad ist bei der Analyse von Wortverbindungen jeweils mit dem Begriff der relativen Festigkeit in Beziehung zu setzen. Dabei gilt als Faustregel folgendes: je schwächer die Normierung der FLuL 21 (1992) 54 Anne Lise Kjier Wortverbindung ist, desto stärker ist die Tendenz zur Auflösbarkeit der Wortverbindung nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb der normierenden Textumgebungen und Situationskontexte. 2.3 Das Kontextmodell Es fehlt nur noch ein Analyseinstrument, mit dem die Textumgebungen und Situationskontexte der Wortverbindungen systematisiert werden können. Zu diesem Zweck wird ein aus den folgenden drei Ebenen bestehendes Modell eingeführt: 1. Eine Bestimmungsebene, zu der Texte der Rechtsfestlegung, also z.B. Gesetzestexte, gehören; 2. eine Handlungsebene, zu der Texte der Rechtspraxis, z.B. Gerichtsurteile und Prozeßschriften, gehören; und 3. eine Beschreibungsebene, zu der Texte der fachinternen Kommunikation der Rechtsgelehrten, z.B. wissenschaftliche Literatur, Lehrbücher und Gesetzeskommentare, gehören. Vereinfacht ausgedrückt läßt sich von Texten dieser drei Ebenen folgendes sagen: Die Wortwahl in Texten der Rechtsfestlegung ist vielfach für die Wortwahl in Texten der beiden anderen Ebenen maßgeblich. Insbesondere werden in Texten der Rechtspraxis Wortverbindungen aus den Gesetzen reproduziert, die das betreffende Rechtsgebiet (z.B. Zivilverfahren oder Strafverfahren) regeln. In einigen Fällen besteht sogar ein im Gesetz angegebener Formulierungszwang (vgl. das obige Beispiel vereinfachte Zustellung), dem der Produzent von Texten der Rechtspraxis unmittelbar unterworfen ist. Für Texte der fachinternen Kommunikation besitzen die Formulierungen der Gesetzgeber dagegen nur mittelbare Gültigkeit. Sie werden befolgt, damit fachliche Eindeutigkeit und fachsprachliche Kontinuität erzielt werden; eine andere Wortwahl würde aber nichts schaden. 3 Analysebeispiele Ausgehend von den im vorigen Abschnitt erläuterten Begriffen werden unten zwei Beispiele für die entwickelte Methode zur Analyse norrnbedingter Wortverbindungen der Rechtssprache dargeboten. Es sind fachspezifische Wortverbindungen, die Texten des Rechtsgebiets „Zivilprozeßrecht" entstammen. 3.1 Analysebeispiel: Erledigung der Hauptsache Die folgende Analyse betrifft die Wortverbindung Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache, deren konventionalisierter Wortlaut die Kurzform Erledigung der Hauptsache ist oder morpho-syntaktische Varianten dieser Kurzform, z.B. FLuL 21 (1992) Normbedingte Wortverbindungen in der juristischen Fachsprache 55 die Hauptsache erledigen, die Hauptsache für erledigt erklären, die Hauptsache ist erledigt, die Hauptsache hat sich erledigt. Basis der Analyse ist die Kurzform der Wortverbindung. § 91a Abs. 1 ZPO [Kosten bei Erledigung der Hauptsache]: Haben die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, so entscheidet das Gericht über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen. Die Entscheidung ergeht durch Beschluß. ► 1. Analysestufe: Kommutationsprobe ohne Einbeziehung der Verwendungskontexte Erledigung der Hauptsache: Erledigung der Hauptsache: Beendigung der ~ , Abschluß der ~ , Klärung der ~ . der Hauptforderung, ~ des Hauptanspruchs, ·~ des Streitgegenstandes, ~ der Klage, ~ des Anspruchs, ~ des Klageanspruchs. Absolute Kommutationsbeschränkungen bestehen nicht. Ein Austausch der Wörter durch Synonyme ist unter Beibehaltung der Gesamtsemantik der Wortverbindung möglich. ► 2. Analysestufe: Kommutationsprobe relativ zu Verwendungskontexten A. Relative Festigkeit: In den unten beschriebenen Situationskontexten der Handlungsstufe des Kontextmodells ist Erledigung der Hauptsache (oder morphosyntaktische Varianten) als die normierte Wortwahl zur Bezeichnung des in § 91a ZPO genannten Rechtsinstituts „Erledigung der Hauptsache" anzusehen. Ein Austausch von Erledigung und Hauptsache kommt in den untersuchten Texten nicht vor. Die Normierung der Wortverbindung ist dabei als eine präskriptive zu bewerten. 3 S 1: Der Kläger in einem Zivilverfahren gibt eine Erklärung des Inhalts „die Hauptsache ist erledigt" ab. S 2: Nachdem der Kläger eine Erklärung des Inhalts „die Hauptsache ist erledigt" abgegeben hat, antwortet der Beklagte mit einer Anschließungserklärung des Inhalts „die Hauptsache ist erledigt". S 3: Nachdem Kläger und Beklagter ihre Erklärungen des Inhalts „die Hauptsache ist erledigt" abgegeben haben, erläßt das Gericht einen Beschluß des Inhalts „die Kosten des Rechtsstreits werden verteilt", wobei es feststellt, daß „Erledigung der Hauptsache" vorliegt. S 4: Nachdem der Kläger eines Zivilverfahrens eine Erklärung des Inhalts 3 Um eine zu unübersichtliche Analyse zu vermeiden, habe ich einige der Situationskontexte, in denen die Wortverbindung Erledigung der Hauptsache einen obligatorischen Teil ausmacht, ausgelassen. Eine vollständigere Analyse wird in Kjrer (1990a) gegeben. FLuL 21 (1992) 56 Anne Lise Kjrer „die Hauptsache ist erledigt" abgegeben hat, antwortet der Beklagte mit einer Erklärung des Inhalts „die Hauptsache ist nicht erledigt". S 5: Nachdem Kläger und Beklagter ihre Erklärungen des Inhalts „die Hauptsache ist erledigt" bzw. "die Hauptsache ist nicht erledigt" abgegeben haben, stellt der Kläger dem Gericht einen Antrag mit der Aufforderung, ein Urteil des Inhalts „die Hauptsache ist erledigt" zu erlassen. S 6: Nachdem der Kläger dem Gericht einen Antrag mit der Aufforderung gestellt hat, ein Urteil des Inhalts „die Hauptsache ist erledigt" zu erlassen, erläßt das Gericht ein Urteil des Inhalts „die Hauptsache ist erledigt" oder „die Klage wird als unbegründet abgewiesen". Im folgenden werden einige Beispiele für die Verwendung der Wortverbindung in Texten der zivilprozeßrechtlichen Praxis, also Texten der Handlungsstufe des Kontextmodells, .angegeben. In den Klammem wird auf die soeben aufgelisteten Situationen verwiesen. Beck-Formular, I.M.8, S. 166 (S 1): "In der Sache ..... . erklärt der Kläger die Hauptsache für erledigt und beantragt, dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. (...)" Beck-Formular, I. M.10, S. 169 (S 5): "In der Sache ...... Nachdem der Beklagte der Erledigungserklärung widersprochen hat und auf seinem Klageabweisungsantrag besteht, beantragt der Kläger 1. festzustellen, daß sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat 2. (...) 3. (... )" Otto-Formular, 93, S. 326 (S 3): .,Im Rechtsstreit ( ... ) hat das Amtsgericht ( ...) beschlossen: Nach Erledigung der Hauptsache werden die Kosten des Rechtsstreits dem Beklagten auferlegt." Otto-Formular, 95, S. 321 ff (S 6): .,In dem Rechtsstreit ( ...) hat das Amtsgericht ( ...) für Recht erkannt: Die Klage wird abgewiesen. ( ...) Tatbestand ( ...) Mit Schriftsatz vom 7. 9. 1981 tragen die Kläger vor, die Hauptsache habe sich in der Zwischenzeit erledigt, da (...) Entscheidungsgründe (...) Die Hauptsache hat sich auch nicht durch den Eigentumswechsel auf der Klägerseite erledigt. (...)" . B. Auflösbarkeit der Wortverbindung: Weder Erledigung noch Hauptsache kann in den unter A. beschriebenen Situationskontexten der Handlungsstufe des Kontextmodells durch Synonyme ausgewechselt werden. Der im Gesetz gewählte Wortlaut ist wie eingangs angegeben Erledigung der Hauptsache, und eben der Wortlaut wird in den Verwendungskontexten Sl bis S6 befolgt. FLuL 21 (1992) Normbedingte Wortverbindungen in der juristischen Fachsprache 57 Bei einer Verwendung der Wortverbindung in Texten der fachinternen Kommunikation der Rechtsgelehrten (Texten der Beschreibungsebene des Kontextmodells) löst sich die lexikalische Festigkeit der Wortverbindung jedoch auf: RIS, S. 789: "Ob der ,alte' Anspruch erledigt ist cxler nicht, ist die Frage, über die die Parteien streiten." R/ S, S. 789-790: "Stellt das Gericht nämlich fest, daß die Sache nicht erledigt sei, wird damit in Wirklichkeit gesagt, daß eben der erhobene Anspruch noch besteht und nicht gegenstandslos geworden ist." Otto-Text, S. 324: „Eine Aufspaltung der Kosten nach Quoten in die Teile, die sich auf den streitigen und den erledigten Streitgegenstand beziehen, findet hierbei nicht statt." Otto-Text, S. 325: "Stellt sich dagegen heraus, daß die Klage bei Einreichung begründet war und später sich erledigt hat, so ist durch Zwischenurteil festzustellen, daß sich die Hauptsache erledigt hat." Schaeffer, S. 138: „Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache. Sie liegt vor, wenn der geltend gemachte Anspruch sich nach der Klageeinreichung (vgl. BGH 21/ 298 und wegen des Falles der Erledigung des Klageanspruchs vor der Klageeinreichung S. 66) durch ein außerhalb des Prozesses liegendes Ereignis erledigt." C. Kommentar: Im Gegensatz zu Hauptsache ist Erledigung jedoch auch außerhalb der in S 1 bis S 6 beschriebenen Kontexte stabil. Erledigung hat in der Wortverbindung eine etwas spezialisierte Bedeutung angenommen, was sich in ihrer semantischen Valenz niederschlägt: *Der Beklagte hat die Hauptsache erledigt, indem er die Kaufsumme gezahlt hat. Die Zahlung der Kaufsumme hat die Hauptsache erledigt. D. Konklusion: Die in S 1, S 2 und S 4 beschriebenen Erklärungen können entweder schriftlich oder mündlich vor dem erkennenden Gericht abgegeben werden. Dasselbe gilt für den Antrag der S 5. Auch eine andere Formulierung als Erledigung der Hauptsache kann die beabsichtigten Rechtswirkungen hervorrufen. Es ist aber erforderlich, daß sie als „Erledigungserklärung" ausgelegt werden kann (Baumbach et al. 1985: 251). Deshalb besteht für die Parteien eines Rechtsstreits bei der Formulierung einer Erledigungserklärung (in der Praxis tun das gewöhnlich ihre Anwälte) ein indirekter Zwang, den in § 91a verwendeten Wortlaut zu reproduzieren: das Gericht könnte eine anders lautende Erklärung als gültige Erledigungserklärung verwerfen. M.a.W. besteht in diesen Verwendungskontexten eine präskriptive Norm für Erledigung der Hauptsache. Der Beschluß der S 3 und das Urteil der S 6 müssen schriftlich abgefasst werden. Wenn das Gericht in S 6 dem Antrag des Klägers stattgibt, stellt es als einen zwingend vorgeschriebenen Teil des Urteilstenors fest, daß „Erledigung FLuL 21 (1992) 58 Anne Lise Kjrer der Hauptsache" vorliegt. Es besteht eine deutlich präskriptive Norm für die Wortwahl Erledigung der Hauptsache, denn eine andere Formulierung könnte Zweifel am Inhalt des Urteilstenors entstehen lassen. Wenn der Tenor auf „Klageabweisung" lautet, hat das Gericht die Hauptsache für nicht erledigt erachtet, was aus dem Tatbestand und den Entscheidungsgründen des Urteils hervorgehen soll. In S 3 soll gleichermaßen aus Tatbestand und Entscheidungsgründen ersichtlich sein, daß Erledigungserklärungen abgegeben wurden. In der Praxis befolgen die Juristen auch in diesen Fällen die präskriptive Norm für Erledigung der Hauptsache. 3.2 Analysebeispiel: einfaches Bestreiten Baumb. et al., S. 428 (zu § 138): "Die Partei darf die gegnerische Behauptung weder ausdrücklich noch durch schlüssige Handlung bestritten haben. Ein einfaches Bestreiten genügt nur, soweit man der Partei keine näheren Angaben zumuten kann (...)." ► 1. Analysestufe: Kommutationsprobe ohne Einbeziehung der Verwendungskontexte einfaches Bestreiten: bloßes/ schlichtes/ allgemeines / ungenaues / unbestimmtes/ unbegründetes / unmotiviertes / unsubstantiiertes - . einfaches Bestreiten: - Leugnen / Abstreiten. einfache Verneinung: - Anfechtung. Absolute Kommutationsbeschränkungen bestehen nicht. Ein Austausch der Wörter durch Synonyme ist unter Beibehaltung der Gesamtsemantik der Wortverbindung möglich. ► 2. Analysestufe: Kommutationsprobe relativ zu Verwendungskontexten A. Relative Festigkeit: Die Wortverbindung einfaches Bestreiten tendiert in folgenden Situationskontexten zur Reproduktion: S 1: Rechtsgelehrte kommentieren in fachintemer Kommunikation § 138 Abs. 3 ZPO über die Prozeßhandlung „Bestreiten". S 2: Richter subsumieren eine Parteienhandlung dem Tatbestand des § 138 Abs. 3 ZPO über die Prozeßhandlung „Bestreiten" einschließlich Auslegungen. S 3: Der Kläger oder Beklagte eines Rechtsstreits beruft sich bei Erwiderung auf ein „Bestreiten" der Gegenseite auf § 138 Abs. 3 ZPO über die Prozeßhandlung „Bestreiten" einschließlich Auslegungen. Die Reproduktionstendenz erstreckt sich auf beide Wörter. FLuL 21 (1992) Normbedingte Wortverbindungen in der juristischen Fachsprache 59 § 138 Abs. 3 lautet wie folgt: "Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden anzusehen, wenn nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht." In Literatur und Rechtsprechung ist erörtert worden, wie das Tatbestandsmerkmal „ausdrücklich bestritten" zu erfüllen ist, ob z.B. ein „einfaches Bestreiten" reicht. Vgl. folgende Belege: Baumb. et al., S. 428 (S 1): "Die Partei darf die gegnerische Behauptung weder ausdrücklich noch durch eine schlüssige Handlung bestritten haben. Ein einfaches Bestreiten genügt nur, soweit man der Partei keine näheren Angaben zumuten kann (...)." Th-Pu, S. 333 (S 1): "Steht sie den Geschehnissen erkennbar fern, so kann die grundsätzlich erforderliche Substantiierung des Bestreitens nicht verlangt werden, es genügt dann einfaches Bestreiten ( ... )." R/ S, S. 677 (S 1): "Jede Partei hat die Last, sich auf die Behauptungen ihres Gegners zu erklären (§ 138 IQ, aber nicht in so allgemeiner Weise, daß sie erklärt, es sei alles bestritten, was nicht zugestanden sei. Insbesondere genügt einfaches Bestreiten nicht, wenn es um Tatsachen geht, deren genaue Kenntnis dem Behauptenden fehlt, während der Gegner sie hat." Furtner, S. 400 (S 1): „In der Regel wird einfaches Bestreiten genügen. In gewissen Fällen ist aber, wenn die Partei verhindern will, daß die Wirkung des § 138 Abs. 3 ZPO eintritt, ein sogenanntes begründetes Bestreiten notwendig, d.h. die Partei muß in diesem Fall den betreffenden Behauptungen des Gegners positive Angaben entgegensetzen." BecksFormular, S. 74 (S 1): „Soweit es also um die Begründung von Einwendungen oder Einreden geht oder auf exakte Darlegungen des Klägers zu erwidern ist, muß dies mit genauer Darstellung der abweichenden Tatsachen nicht nur mit einfachem Bestreiten geschehen." NJW-RR: 1986, S. 60 (S 2): „Steht die Partei den Geschehnissen aber erkennbar fern, so kann von ihr eine nähere Substantiierung ihres Bestreitens nicht verlangt werden, vielmehr genügt dann ein einfaches Bestreiten (...). So liegen die Dinge hier. (... ) Bei dieser Sachlage reichte ein einfaches Bestreiten aus. Als solches einfaches Bestreiten ist der Vortrag der Kl. aber auch zu werten. (...) Ein (einfaches) Bestreiten kommt im übrigen auch in ihrer Erklärung zum Ausdruck, die Berufung sei unbegründet." Beck-Diktat, Nr. 2441 (S 3): "(... ) Es lag ein komplexer Vorgang vor, für den sich verschiedene Variationen des Ablaufes denken lassen. Damit genügt ein einfaches Bestreiten nicht." Ausnahmen vom Grundsatz der Unabänderbarkeit der Wortverbindung in S 1 bis S 3: W/ 2, S. 69 (S 1): „Der Beklagte hat im wesentlichen folgende Möglichkeiten: (...) b) Er bestreitet die Tatsachenbehauptungen des Klägers als unrichtig. Solches einfaches Abstreiten genügt aber FLuL 21 (1992) 60 Anne Lise Kja: r nur dann, wenn die Partei keine eigene Kenntnis von den behaupteten Tatsachen haben kann." Zeiss, S. 141 (S 1): „a) Die Einlassung kann auch im schlichten Bestreiten der Tatsachenbehauptungen des Klägers bestehen." ibid.: "Kann der Beklagte eine Gegendarstellung geben, so darf er sich nicht mit unsubstantiiertem Bestreiten begnügen (§ 138 II), wenn nicht die Geständniswirkung des § 138 III eintreten soll." ibid.: „c) Durch schlichtes und motiviertes Klageleugnen wird der Kläger zum Beweis seiner (beweisbedürftigen) Tatsachenbehauptungen gezwungen." Beck-Diktat, Nr. 2434 (S 3): „Alle sich auf den Sachvortrag des Gegners beziehenden Unterlagen befinden sich in dessen Besitz. Es kann deshalb nicht nachvollzogen werden, welche Einzelheiten zu seiner Sachdarstellung geführt haben, so daß in diesem Falle pauschales Bestreiten genügt." B. Auflösbarkeit der Wortverbindung: In anderen als den in S 1 bis S 3 beschriebenen Situationen gilt der Grundsatz der Unabänderbarkeit der Wortverbindung nicht. In Kontexten, die S 1 bis S 3 nicht zugeordnet werden können, wird einfaches Bestreiten sogar überhaupt nicht verwendet. Wenn z.B. Juristen in fachintemer Kommunikation in anderen Zusammenhängen ohne Hinweis auf § 138 ZPO, die Prozeßhandlung „Bestreiten" kommentieren, werden zur Bezeichnung der Handlung „einfaches Bestreiten" andere Ausdrucksmittel gewählt; insbesondere wird einfach durch bloß ersetzt: Baumb. et al., S. 446 (zu § 146): „Beispiele für selbständige Angriffs- und Verteidigungsmittel: (...) Beispiele des Fehlens der Selbständigkeit: Ein bloßes Bestreiten; (...)" Th-Pu, S. 351 (zu § 146): „a) Angriffs- und Verteidigungsmittel ist jedes sachliche und prozessuale Vorbringen, das der Durchsetzung bzw. Abwehr des geltend gemachten prozessualen Anspruchs ( ...) dient, z.B. Behauptungen, Bestreiten (...). b) Selbständig ist das Mittel, wenn es für sich allein den Tatbestand einer materiellen oder prozessualen Rechtsnorm ausfüllt (...). Dazu gehören z.B. ( ... ); nicht dagegen ( ...) bloßes Bestreiten (...)." Furtner, S. 404 (zu § 313): „In sachlicher Hinsicht kann sich das Verteidigungsvorbringen des Beklagten auf das bloße Bestreiten der klagebegründenden Tatsachen beschränken, was z.B. der Fall ist, wenn der Beklagte bei einer Klage auf Zahlung des Kaufpreises den Abschluß eines Kaufvertrages mit dem Kläger leugnet." Creifelds, S. 319: „II. Im Zivilprozeßrecht werden abweichend hiervon alle Umstände, die nicht nur in einem bloßen Leugnen des Klageanspruchs bestehen (z.B. Bestreiten der Hingabe der Darlehenssumme) als Einreden bezeichnet." C. Kommentar: Einfaches Bestreiten wird vorwiegend in Texten verwendet, die zur Beschreibungsebene des Kontextmodells gehören. Zur Vornahme der Hand- FLuL 21 (1992) Nonnbedingte Wortverbindungen in der juristischen Fachsprache 61 lung "Bestreiten" in Prozeßschriften, also in Texten der Handlungsebene, wird sie nicht gewählt. Ein „einfaches Bestreiten" kommt in der Praxis z.B. wie folgt zum Ausdruck: F 2, s. 11: "Der gesamte Vortrag der Klägerin wird bestritten, soweit er dem vorstehenden Vortrag des Beklagten widerspricht." Wie eingangs festgestellt ist der in der ZPO, also einem Text der Bestimmungsebene, gewählte Wortlaut nicht ausdrücklich bestritten. Einfaches Bestreiten kommt in der ZPO nicht vor. D. Konklusion: Einfaches Bestreiten ist eine Wortverbindung, deren Normierung einen Übergangsfall zwischen präskriptiver und deskriptiver Norm ausmacht: So sagen Juristen gewöhnlich in den in S 1 bis S 3 beschriebenen Verwendungskontexten. Sie können sich auch anders ausdrücken4, denn weder aus sprachlichen noch aus fachlichen Gründen sind sie daran gehindert. Zur Bewahrung und Befestigung einer (sich bildenden) fachsprachlichen Konvention, die einfaches Bestreiten als Bezeichnung für ein „nicht ausdrückliches Bestreiten" im Sinne von § 138 III ZPO unter anderen Möglichkeiten den Vorrang einräumt, wird jedoch einfaches Bestreiten in den meisten Verwendungskontexten des Typs S 1 bis S 3 gewählt. In anderen Verwendungskontexten bestehen die Kommutationsbeschränkungen von einfach und Bestreiten nicht. Die Wortverbindung ist an die Kontexte S 1 bis S 3 gebunden. Die Relativität ihrer Festigkeit sollte damit dargetan sein. 4 Schlußbemerkung Wie in den ersten Abschnitten des Beitrags festgestellt, besteht im Bereich der fachsprachlichen Phraseologie eine Forschungslücke, zu deren Ausfüllung erst in der jüngsten Zeit beigetragen wird. Für ausländische Lehrer und Lerner in Fachübersetzerausbildungen bedeutet diese Forschungslücke einen Mangel an Lehrmitteln und Nachschlagewerken, die die richtige Verwendung fachsprachlicher Wendungen der zu lernenden Fremdsprache veranschaulichen. In diesem Beitrag wurde der Versuch unternommen, die normbedingte Festigkeit juristischer Wortverbindungen darzustellen. Die didaktischen Konsequenzen aus den gewonnenen Erkenntnissen über die Besonderheiten solcher Wortverbindungen, sind demnächst zu ziehen. Es gibt folgende Ansatzpunkte: 1. Es ist davon auszugehen, daß bei der Beschreibung fester Wortverbindungen der Rechtssprache anders zu verfahren ist als bei der Beschreibung von 4 Sie tun dies gelegentlich auch; vgl. dazu die angegebenen Ausnahmen. FLuL 21 (1992) 62 Anne Lise Kjier Wortverbindungen anderer Sprachbereiche (einschl. anderer Fachsprachen), weil die Normierung bestimmter Ausdrucksweisen in der Rechtssprache nicht nur von zufälligen (fachlichen) Konventionen abhängt, sondern z.T. auch gesetzlich vorgegeben ist. 2. Bei der Darstellung normbedingter Wortverbindungen der Rechtssprache ist die Einbeziehung ihrer fachlichen und fachsprachlichen Verwendungskontexte unerläßlich. Zu diesem Zweck ist es u.a. erforderlich, zwischen (Texten) der Rechtsfestlegung, der Rechtspraxis und der rechtswissenschaftlichen Kommunikation zu unterscheiden. 3. Aus der Beschreibung soll ersichtlich sein, daß die normbedingten Wortverbindungen der Rechtssprache nur relative Festigkeit aufweisen und außerhalb bestimmter aufzählbarer Verwendungskontexte potentiell auflösbar sind. 4. Es soll berücksichtigt werden, daß es Wortverbindungen verschiedener Normierungsgrade gibt, die von einer stark verbindlichen präskriptiven Norm bis zu einer wenig verbindlichen deskriptiven Norm reichen. In den obigen Ausführungen wurde implizit davon ausgegangen, daß es bei der Formulierung des fremdsprachlichen juristischen Textes möglich ist, sich in Übereinstimmung mit den Konventionen der Fremdsprache auszudrücken. Dies ist bei der Übersetzung juristischer Texte nicht immer der Fall, denn Äquivalenzlücken kommen nicht nur bei Fachwörtern, sondern auch im Bereich der fachsprachlichen Phraseologie vor. Besonders wenn die Rechtssysteme, die bei der Übersetzung aufeinander zu beziehen sind, stark divergieren, unterscheiden sich auch die Gesetzmäßigkeiten und Konventionen der treffenden Ausdrucksweise. Die Übersetzung normbedingter Wortverbindungen der Rechtssprache wird m.a.W. dadurch erschwert, daß die fachlichen Kontexte, relativ zu denen die Normierung der Wortverbindungen gilt, keine übereinzelsprachliche Gültigkeit besitzen, sondern an das jeweilige Rechtssystem gebunden sind. Die Lösung dieses Problems ist eine Zukunftsaufgabe der kontrastiven Phraseologie der Rechtssprache. Bibliographische Angaben 1. Primärliteratur Baumb. et al. = BAUMBACH, A. [et al.] 1985 (siehe unter 2.). Heck-Diktat = PETER, J. J.: Zivilprozeß und Zwangsvollstreckung. Diktat- und Arbeitsbuch für Rechtsanwälte. München 1987. Creifelds = CREIFELDS, C.: Rechtswörterbuch. München 1983. Heck-Formular = LOCHER, H. / MES, P. (Hrsg.): Beck'sches Prozeßformularbuch. München 1985. F 2: Authentisches Dokument. FLuL 21 (1992) Normbedingte Wortverbindungen in der juristischen Fach! '! prache 63 Furtner = FURTNER, G.: Das Urteil im Zivilprozeß. München 1985. 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In exolingual communication the use of fixed expressions can lead to specific difficulties caused by the fixedness of the expression. lt is possible to give a fairly precise description of such difficulties if one analyses the way in which speakers deal with them in conversation. There are important differences between the difficulties a non-native speaker experiences in the reproduction as opposed to the reception of fixed expressions. The activities involved in the handling of such difficulties can, among other things, be interpreted as part of the acquisition process. 1 Fragestellung und Methode Der Gebrauch phraseologischer Ausdrücke in einer Fremdsprache zieht schon seit langer Zeit die Aufmerksamkeit von Phraseologie-Forschem ebenso wie von Fremdsprachendidaktikern auf sich. Immer wieder ist versucht worden, die wichtigsten phraseologischen Ausdrücke für den Fremdsprachenlerner zusammenzustellen, zu systematisieren, zu erklären und ggf. · mit entsprechenden muttersprachlichen Ausdrücken zu vergleichen. 1 Solche Zusammenstellungen unterscheiden sich zwar im Umfang, in der Auswahl der Phraseologismen, ihrer Anordnung und in den Erklärungsverfahren für die Ausdrücke, aber die in den Vorworten vorgetragenen Gründe für das Erstellen der Sammlung bleiben relativ ähnlich: Es wird immer wieder betont, daß nur die gebräuchlichsten Ausdrücke erfaßt werden sollen,die für die Sprache des Alltags charakteristisch sind, "die der Franzose ständig im Munde führt und die auch für den Nichtfranzosen unentbehrlich sind, der zu einer gewissen Sprechfertigkeit gelangen will" (Klein 1937: 70, Einleitung zur 1. Auflage). Dabei geht es nicht nur um die reine Sprechfertigkeit. Die Beschreibung von Wiznitzer (1972: 5) - «un choix d'expressions courantes employees dans la vie fran~aise d'aujourd'hui, qui donneraient de la Couleur et du relief au fran~ais souvent stereotype et monotone parle par les etrangers» läßt erkennen, daß durch den Gebrauch phraseologischer Ausdrücke das Französisch des Nichtmuttersprachlers über die reine Korrektheit hinaus eine andere Qualität gewinnt. Schließlich besitzt der Sprecher, der solche "Ausdrücke des täglichen Lebens, der vertrauten, ungezwungenen Konversation" Beispiele für solche Sammlungen sind Gottschalk (1930), Klein (1937 und spätere Auflagen), Pradez (1958), Gspann (1971), Wiznitzer (1972), Pignolo/ Heuber (1984). FLuL 21 (1992) 66 Elisabeth Gülich, Ulrich Krafft beherrscht, auch einen Schlüssel zu den „Geheimnissen der französischen Mentalität", der es ihm erlaubt, "in ihr Unterbewußtsein einzudringen" (Pignolo/ Heuber 1984, Vorwort). 2 In linguistisch-didaktisch orientierten Arbeiten werden diese Funktionen zwar problematisiert 3, aber die Vorstellungen über die Rolle phraseologischer Ausdrücke in der Alltagskommunikation bleiben gleichwohl diffus. Welche Rolle solche Ausdrücke tatsächlich in alltäglicher Kommunikation zwischen Muttersprachlern und Nichtmuttersprachlern spielen, ist im deutschfranzösischen Kontext, soweit wir wissen, bisher nicht empirisch untersucht worden. Dazu wollen wir im folgenden einen Beitrag leisten. Den Hintergrund bildet ein Bielefelder Forschungsprojekt zum Thema „Kommunikative Interaktion in Kontaktsituationen zwischen deutschen und französischen Sprechern" 4 , in dessen Rahmen ein Korpus von Gesprächen erhoben worden ist, die zumeist auf Französisch, z.T. aber auch auf Deutsch geführt werden. Es handelt sich also um Gespräche zwischen Partnern, in denen einer in seiner Muttersprache, der andere in der Fremdsprache kommuniziert. Das Interesse der Bielefelder Projektgruppe gilt dieser Gesprächskonstellation als einem exemplarischen Fall von Kommunikation· unter erschwerten Bedingungen. Man kann davon ausgehen, daß allgemeine Verfahren zur Sicherung des Verstehens oder zur Lösung von Formulierungsproblemen in solchen Gesprächen besonders ·deutlich zu erkennen sind oder um eine in diesem Forschungskontext beliebte Metapher zu verwenden daß man sie sozusagen durch ein Vergrößerungsglas sieht. Die Aufmerksamkeit richtet sich einerseits auf die Probleme, die in solchen Gesprächen zwischen Partnern mit unterschiedlicher sprachlicher Kompetenz auftreten, andererseits auf die Verfahren oder: die konversationellen „Methoden", die zu ihrer Bearbeitung bzw. zu ihrer Lösung eingesetzt werden. Wir haben nun in diesen Gesprächen nach Fällen gesucht, in denen Probleme im Zusammenhang mit der Vorgeformtheit eines sprachlichen Ausdrucks auftre- 2 Dieser Ansatz ist vor allem in älteren Sammlungen ausgeprägt, vgl. z.B. Gottschalk (1930), der seinem Buch Die sprichwöitlichen Redensarten der französischen Sprache den Untertitel gibt: Ein Beitrag zur französischen Stilistik, Kultur- und Wesenskunde. 3 Eine differenzierte Sicht und eine Auseinandersetzung mit früheren Arbeiten und auch mit den Richtlinien für den Französischunterricht bietet z.B. der Beitrag von Weller (1979). 4 Einen Überblick über die Arbeit der Projektgruppe gibt der Beitrag von Dausendschön- Gay/ Gülich/ Krafft (1989). Bisher wurden vor allem die folgenden Phänomene untersucht: Korrekturen (Dausendschön-Gay 1988, Höhtker 1990), Worterklärungen (Steinhoff 1986, Sader-Jin 1987, Nowak 1987, Gotsch 1991, Gülich 1991), interaktive Vervollständigungen (Gülich 1986a), Redebewertungen und -kommentierungen (Gülich 1986b), Globalstrukturen und konversationelle Aufgaben (Dausendschön-Gay/ Krafft 1991b), Lehr- und Lernaktivitäten (Dausendschön-Gay 1987), Image-Probleme (Schmale 1988, Dausendschön-Gay/ Krafft 1991a), Kompetenzgefälle (Furchner 1991). FLuL 21 (1992) "Ich mag es besser". Konversationelle Bearbeitung vorgeformter Ausdrücke ... 67 ten. Dabei sind wir nur äußerst selten auf die von den obengenannten Sammlungen bevorzugten bildlichen Ausdrücke des Typs Etes vous a Ja page? (Wiznitzer 1972) oder Ne mache pas tes mots (Pignolo/ Heuber 1984) gestoßen. 5 Die Ausdrücke, die die Muttersprachler und erst recht die Nicht-Muttersprachler benutzen oder benutzen wollen, sind viel unscheinbarer, führen aber gleichwohl zu Schwierigkeiten. · Welcher Art diese Probleme sind und wie sie von den Gesprächspartnern bearbeitet werden, zeigt exemplarisch der folgende Ausschnitt aus einem Gespräch zwischen der französischen Studentin Anne (A) und zwei deutschen Studierenden, Bernd (B) und Christine (C), in dem das deutsche und das französische Universitätssystem miteinander verglichen werden. Nach längeren Erörterungen über die Vor- und Nachteile beider Systeme kommt Anne zu der folgenden abschließenden Bewertung: ► Beispiel (1): Ich mag besser A: Anne, französische Studentin B: Bernd, deutscher Student C: Christine, deutsche Studentin 1 --------------------------~------------------------------------~------------------------------- A: ich glaub=eine mischung • zwischen den beiden (lacht)+ wäre perfekt ABER ich möcht/ B: • mhm' 2 ------------------------------------------------------------------------------------"---------- A: also . ich mag besser wie es hier läuft, als wie es: . bei uns läuft, B: hm C: hm is(t) mit auch ·sympa- 3 ----------------- ----------------------------------------------------------------------------- A: AH (lacht)+ ja mhm B: • du magst es lieber . du findest es besser aber du C: .thi(scher? ) (? .. • verschulter) 4 --------------------------------------------------------------------. -------------------------- A: hier . ja B: magst es lieber, also ich wollte nur mal erklären mag besser das: eh . das gibt ( e)s 5 -------------------------------------------. --------------------------------------------------- A: ACH (lacht) + gut ich mags lie- 8: nich(t) (also) es gibt nur ich finde es besser oder ich mag es lieber, 6 -----------------------------. ----------------------------------------------------------------- A: ber ja' mhm (lacht)+ B: • eha (lacht)+ C: . ach ja du wolltest lehr er werden, ne' Das Problem, das hier auftritt, ist leicht zu erkennen: die Nicht-Muttersprachlerin Anne, die eine relativ hohe Kompetenz in der Fremdsprache hat, macht einen Fehler bei einem vorgeformten Au.sdruck. Dieser wird von dem Muttersprachler Bernd korrigiert. Anne gebraucht am Schluß den korrekten Ausdruck "Ich mag's lieber". s Eins der wenigen Beispiele für das Vorkommen bildlicher Redewendungen, avoir des ot; illeres, wird in anderem Zusammenhang (Gülich 1991: 344-347) analysiert. FLuL 21 (1992) 68 Elisabeth Gülich, Ulrich Krafft Der Grund dafür, daß wir uns mit diesem Fall beschäftigen, liegt nicht in dem Fehler, den Anne macht, sondern in der Korrektur, d.h. der Bearbeitung des Fehlers im Gespräch. In Gesprächen zwischen Muttersprachlern und Nicht- Muttersprachlern kommen sehr häufig Fehler vor, die nicht bearbeitet werden, d.h. mit denen die Gesprächspartner sich nicht weiter beschäftigen. Diese Fälle mögen unter Aspekten des Fremdsprachenerwerbs oder des Fremdsprachenunterrichts interessant sein, uns interessieren sie in diesem Kontext jedoch nicht. Wir folgen hier einem Prinzip der ethnomethodologischen Konversationsanalyse, indem wir versuchen, die Aktivitäten der Gesprächsteilnehmer zu rekonstruieren und - . soweit möglich nicht vorab definierte Kategorien zu benutzen, sondern 1,olche, auf die die Teilnehmer im Gespräch selbst rekurrieren. "Ich mag besser" ist für uns also nicht interessant, weil es falsch ist, sondern weil Bernd, der deutsche Gesprächspartner, den Ausdruck durch seine Behandlung im Gespräch als falsch definiert. Um die Bearbeitungsaktivitäten der Gesprächsteilnehmer zu rekonstruieren, folgen wir Schritt für Schritt dem sequenziellen Ablauf des Ausschnitts: In Zeile 2 gibt Anne eine zusammenfassende Bewertung des Vergleichs zwischen dem deutschen und dem französischen Universitätssystem durch die Bemerkung "Ich mag besser wie es hier läuft als wie es bei uns läuft". Bernd und Christine ratifizieren dies zunächst durch "Hm", Christine schließt sich dann ausdrücklich Annes Bewertung an: .,ist mir auch sympathischer". hn Anschluß daran (Zeile 3/ 4) reformuliert Bernd dreimal Annes Äußerung, benutzt dabei aber die korrekten Formen „du magst es lieber" und „du findest es besser". Dadurch definiert er sie nachträglich als Störungsquelle; zunächst kontrastiert er die beiden korrekten Formen: "du findest es besser, aber du magst es lieber". Anne bestätigt durch „hier" (Zeile 4) auf der inhaltlichen Ebene; behandelt die Reformulierung also nicht als Korrektur. Daraufhin definiert Bernd rückwirkend seine eigene Aktivität durch den metadiskursiven Kommentar "also ich wollte nur mal erklären" als Reparatur und stellt nun ausdrücklich die Fehlerhaftigkeit von Annes Ausdruck fest: "mag besser das gibt es nicht" (Zeile 4/ 5). Gleich anschließend formuliert er dann auch die Norm: "(also) es gibt nur ich finde es besser oder ich mag es lieber" (Zeile 5). Anne reagiert zunächst verbal durch „ach" und dann nonverbal durch Lachen (Zeile 5) und ratifiziert schließlich die Korrektur als solche durch "gut" und die Reformulierung des korrekten Ausdrucks "ich mags lieber" (Zeile 5/ 6). Den Abschluß dieser Sequenz bildet ein Kommentar von Christine, die Bernds Verhalten kritisiert (Zeile 6: "ach ja du wolltest lehrer werden, ne"). Mit ihrem Lachen versuchen Anne und Bernd, die hier eingetretene Störung des "rituellen Gleichgewichts" (Goffman 1971: 24-26) zu minimieren. Der Ausdruck „Ich mag besser" wird also nicht nur auf der inhaltlichen Ebene "ist mir auch sympathischer") behandelt, sondern auch auf der Formulierungsebene bearbeitet. Wenn Anne am Schluß sagt „Ich mags lieber", so ist diese Äußerung das Resultat gemeinsamer Formulierungsarbeit. Dieser interaktive Produktionsprozeß 6 vollzieht sich in einer Nebensequenz: Die Aufmerksamkeit der Gesprächspartner richtet sich auf den Ausdruck, wird also vorübergehend vom Thema (Vergleich der Universitätssysteme) abgelenkt. 6 Die Vorstellung, daß Äußerungen gemeinsam „hervorgebracht" werden ("interactional achievement"), ist zentral für den ethnomethodologischen Ansatz (vgl. Schegloff 1982). FLuL 21 (1992) ,.Ich mag es besser". Konversationelle Bearbeitung vorgeformter Ausdrücke ... 69 Im Zusammenhang mit dem Thema Phraseologie ist vor allem die Tatsache von Interesse, daß das Problem, die "Störung", hier aufgrund der Vorgeformtheit des Ausdrucks entsteht. Syntaktisch ist "ich mag besser" nach dem Modell anderer verbaler Konstruktionen richtig gebildet; semantisch ist der Ausdruck verständlich. Nicht korrekt ist lediglich die Zusammensetzung der Elemente der Fehler entsteht eben dadurch, daß es sich um einen vorgeformten Ausdruck handelt, den die Fremdsprachensprecherin nicht nach allgemeinen Regeln aus den ihr bekannten Elementen zusammensetzen kann. Hervorzuheben ist vor allem, daß der Ausdruck auch von den Interaktanten als vorgeformt behandelt wird: Zum einen wird er als ganzer korrigiert, zum anderen verweisen die Kommentare „das gibt es nicht" und "es gibt nur" deutlich auf eine Norm, d.h. in diesem Fall: auf einen Ausdruck aus einem Repertoire. Darüber hinaus kann man in dem abschließenden Komm: entar "du wolltest Lehrer werden" auch eine Anspielung auf die Lehrbarkeit bzw. Lernbarkeit des Ausdrucks sehen. Die vorangegangene exemplarische Analyse sollte unseren Untersuchungsgegenstand präzisieren und unser methodisches Vorgehen illustrieren: Untersuchungsgegenstand sind ,vorgeformte Ausdrücke' bzw. Beispiele von ,diskursiver Routine' (vgl. Coulmas 1985) also nicht zwangsläufig ,Phraseologismen' im engeren Sinne - , die in Gesprächen zwischen Muttersprachlern und Nicht-Muttersprachlern zu Problemen führen. Unser Interesse richtet sich ausschließlich auf die Fälle, in denen diese Probleme von den lnteraktanten bearbeitet werden. Wenn wir von ,vorgeformten Ausdrücken' sprechen, so beziehen wir uns mit dem Terminus ,Ausdruck' auf die Zusammensetzung aus mehreren Elementen, also auf das bei der Definition von· Phraseologismen häufig herangezogene Kriterium der ,Teilbarkeit'; mit dem Terminus ,vorgeformt' beziehen wir uns auf Kriterien wie ,Stabilität' und ,Reproduzierbarkeit'. Kriterien wie ,Figuriertheit' oder ,Idiomatizität' 7 sind für uns keine Auswahlkriterien. Wir legen also einen relativ weiten Begriff von ,Phraseologismus' zugrunde und benutzen daher um dies deutlich zu machen den Terminus ,Vorgeformtheit' . 8 Den Rahmen für unsere Untersuchungen bildet eine linguistische Konversationsanalyse ethnomethodologischer Prägung (vgl. Gülich 1991), die folgende Gesichtspunkte besonders berücksichtigt: 7 Eine Auseinandersetzung mit diesen Kriterien ist nicht Gegenstand des vorliegenden Beitrags. Wir nehmen hier lediglich Bezug auf übliche Definitionskriterien wie ,ldiomatizität' (Fleischer 1982) oder ,Figuriertheit' (Greciano 1987 u.ö.), ,semantisch-syntaktische Stabilität' (Fleischer 1982) oder ,Fixiertheit' (Greciano 1987, vgl. «expressions figees», Langages 90/ 1988), ,Lexikalisierung und Reproduzierbarkeit' (Fleischer 1982), ,Polylexikalität' (Greciano 1987), ,Teilbarkeit' (Dobrovol'skij 1988; Greciano 1991). 8 Wir verwenden den Terminus in Anlehnung an Moreau (1986, «sequences preformees») und plädieren wie sie für eine relativ offene Definition, die unterschiedliche Grade von Vorgeformtheit zuläßt. FLuL 21 (1992) 70 Elisabeth Gülich, Ulrich Krafft sequenzielle Organisation (der vorgeformte Ausdruck wird sequenziell bearbeitet, d.h. Schritt für Schritt produziert, als ,Störungsquelle' definiert, reformuliert, kommentiert usw.); Interaktivität (die Gesprächspartner arbeiten gemeinsam an der Herstellung einer Formulierung); Teilnehmerkategorien (entscheidend sind die Zuordnungen, die die Teilnehmer selbst treffen, d.h. die Behandlung als ,vorgeformt'). Auf dieser Grundlage sollen im folgenden weitere Gesprächsausschnitte betrachtet werden, in denen Störungen aufgrund ähnlicher Probleme entstehen. Wir. wollen dies unter den folgenden drei Fragestellungen tun: Wer führt den vorgeformten Ausdruck in das Gespräch ein, Muttersprachler oder Nicht-Muttersprachler? An welcher Stelle tritt ein Problem auf bzw. wo und wie wird ein Element als ,Störungsquelle' definiert? Welche Verfahren bzw. ,Methoden' (im ethnomethodologischen Sinne) benutzen die Gesprächsteilnehmer, um die ,Störung' zu beheben? Wir konzentrieren uns dabei auf Probleme auf Seiten der Nicht-Muttersprachler, und zwar auf drei Arten von Problemen: Probleme, die beim Produzieren vorgeformter Ausdrücke entstehen (Abschnitt 2), Probleme beim Verstehen vorgeformter Ausdrücke (Abschnitt 3) und solche, die sich in der Folge Verstehen - Produzieren ergeben (Abschnitt 4). Abschließend werten wir die Analysen unter dem Gesichtspunkt des Spracherwerbs aus (Abschnitt 5). 2 Probleme der Nicht-Muttersprachler beim Produzieren vorgeformter Ausdrücke Wie schon im ersten Beispiel handelt es sich auch in dem folgenden um ein Problem der Nicht-Muttersprachlerin beim Formulieren: ► Beispiel (2): I: Irma, 16jährige deutsche Schülerin mettre des vetements M: Französin, Mutter von Irmas Austauschpartnerin 1 ----------------------------------------------------------------------------------------------- I: des / pynk/ ' ( plus bas) des punks' + euhm M: qu'est-ce qui les diff0rencie des: : des punks oui 2 ----------------------------------------------------------------------------------------------- ! : .. (des) punks ne veut: pas euhm (pause 5s) ne veut/ eh ne veut pas' euhm est: / est. sont' 3 ----------------------------------------------------------------------------------------------- 1: non, est' le meme' . euh . eh que . les autres gens, les: les ge/ les gens (? ont)/ normale- M: hm' 4 ------------------------------------------------------ . ---------------------------------------- 1: ment, ils ils euh , (plus bas) qu'est-ce que c'est' + quand tu. tu prends des • des • vete- 5 ----------------------------------------------------------------------------------------------- 1: ments' comme ~a et (claquement de langue) +. euhm (plus haut) dans le matin, tu . tu prends FLuL 21 (1992) "Ich mag es besser". Konversationelle Bearbeitung vorgeformter Ausdrücke ... 71 6 ----------------------------------------------------------------------------------------------- 1: des (leger r ire) vetements' et fais • comme ,; a' + ah: al al M: •• (en hesitant) les mettre' + 7 ----------------------------------------------------------------------------------------------- ! : euh ••. euh scheiße, • (plus vite) qu'est-ce que tu as dit' + MEtte M: MEttrE des vetements' 8 - - - ------- - -- ------- - ----- - - --------------------------------------- ----------- -- ----------. ---- I: mette des vetements' (bas) (? c'est)/ + & oui' . ouais, . (o)kay euh et/ et, . qui M: & tu mets tes vetements oui' 9 ----------------------------------------------------------------------------------------------- ! : mettent des vetements FOUs, Im Unterschied zu Beispiel (1), in dem eine Äußerung der Nicht-Muttersprachlerin erst durch die Gesprächspartnerin als problematisch definiert wird, kennzeichnet hier die Nicht-Muttersprachlerin von vornherein selbst ihr Problem: sie will eine Äußerung formulieren, beginnt mit einem Personalpronomen (Zeile 4 «ils») und verfügt dann nicht über das passende Verb. Sie markiert diese Lücke durch «qu'est-ce que c'est». Damit ergreift sie selbst die Initiative, um die Muttersprachlerin zur Formulierungshilfe, d.h. hier: zur Suche nach dem passenden Verb, zu veranlassen. Ihre Bemühungen, anzugeben, um was für ein Verb es sich handelt, lassen erkennen, daß sie eine typische Kombination sucht, nämlich ein Verb, welches zu «vetements» paßt. Die von den Interaktionspartnem hier benutzte "Methode" ist die der interaktiven Vervollständigung eines unvollständigen Ausdrucks (vgl. Gülich 1986a). Im einzelnen stellt sich der sequenzielle Ablauf wie folgt dar: Die Nicht-Muttersprachlerin Irma, eine sechzehnjährige deutsche Schülerin, die zum erstenmal bei einer französischen Familie zu Besuch ist, stößt im Gespräch mit M., der Mutter ihrer französischen Partnerin, auf ein Problem beim Formulieren, welches sie in Zeile 4 durch ihr Zögern (Wiederholung des Pronomens, Verzögerungsphänomen „euh") und dann durch die Frage «qu'est-ce que c'est? » anzeigt. Durch den Gebrauch einer vorläufigen Form «tu prends») gibt sie einen Hinweis auf das gesuchte Wort. Dabei nimmt sie offenbar auch Gesten zu Hilfe («comme 911» in Zeile 5). Erst nach einer Reformulierung in etwas expliziterer Form (Zeile 5/ 6) gibt M. zu erkennen, daß sie sie verstanden hat; indem sie zögernd {«en hesitant») einen ersten Formulierµngsvorschlag macht: «! es mettre'» (Zeile 6) wird mit fragender Intonation gesprochen. Dieser Vorschlag wird von I. nicht verarbeitet; sie kommentiert ihre vergeblichen Bemühungen (Zeile 7 „Scheiße") und fragt dann noch einmal nach. Daraufhin reformuliert M. den gesamten Ausdruck «mettre des vetements», was I. zu einem Reformulierungsversuch veranlaßt (Zeile 7/ 8). M. reformuliert dann noch einmal den Ausdruck in konjugierter Form: «tu mets tes vetements oui» Zeile 8). I. ratifiziert mehrfach und benutzt den Ausdruck in der dritten Person Plural in einem Relativsatz (Zeile 8/ 9): «qui mettent des vetements fous»). Indem sie somit den in Zeile 4 abgebrochenen Satz fortführt, kehrt sie in die Hauptsequenz zurück. Die Formulierungshilfe ihrer Gesprächspartnerin hat sie in die Lage versetzt, die inhaltliche Aussage zu machen, die sie geplant hatte. Diese Aussage ist also wiederum das Ergebnis interaktiver Textproduktion. Diese bezieht sich immer auf den gesamten Ausdruck «mettre des vetements». Die Tatsache, daß dieser Ausdruck - und nicht einzelne seiner Bestandteile erfragt und reformuliert wird, macht deutlich, daß die Gesprächsteilnehmer ihn als vorgeformt verstehen und behandeln. FLuL 21 (1992) 72 Elisabeth Gülich, Ulrich Krafft Beispiel (3) entstammt ebenfalls einem Gespräch zwischen einer sechzehnjährigen deutschen Schülerin und einer älteren französischen Bekannten. ► Beispiel (3): rendre visite A: Ariane, 16jährige deutsche Schülerin P: Pauline, Französin, ca. 55 Jahre alt 1 ----------------------------------------------------------------------------------------------- P: qu'est-ce que tu veux faire plus tard' A: • hm •• si j'ai: • fait mon bac je veux: aller: a 2 ----------------------------------------------------------------------------------------------- P: ah oui: ' oui: ' A: jap/ au japon' . p/ p/ pour plusieurs mois' parc(e) que man oncle (? .. ) j'ai deja 3 -------------------------------------. --------------------------------------------------------- P: oui' tu m'as dit oui' je veux: ' lui: A: racont8' (? ••.. ) oui . je veux lui . visiter' et: voir .. rendre une visite' 4 ------------------------------------------------------------------- --------------------------- P: rendrE visite' rendre visite* ah oui c'est chic! A: (rire)+ rendrE visite* • et je veux: voir comment les gens ils 5 ----------------------------------------------------------------------------------------------- P: ah oui A: sont 1a Ähnlich wie in Beispiel (1) benutzt die Nicht-Muttersprachlerin hier einen fehlerhaften vorgeformten Ausdruck, ohne ihn selbst als problematisch zu kennzeichnen: «je veux lui . visiter» (Zeile 3). In diesem Fall führt die Muttersprachlerin jedoch nicht selbst sofort die Korrektur durch, sondern sie versucht, durch eine gedehnte und fragende Reformulierung («je veux: ' lui: ») die Nicht-Muttersprachlerin zu veranlassen, sich selbst zu korrigieren. A. macht daraufhin einen neuen Formulierungsvorschlag «rendre une visite», der aber wiederum von P. verworfen wird, indem sie ihn durch die korrekte Form «rendre visite» ersetzt. A. reformuliert den Ausdruck und setzt dann zu einer Fortsetzung an: «et je veux: ». Durch den Kommentar «ah oui c'est chic» geht P. nun inhaltlich auf A.s. Äußerung ein, und A. führt daraufhin den Satz zu Ende: «voir comment les gens ils sont la». Auch hier wird deutlich, daß das Problem in der Vorgeformtheit des Ausdrucks liegt. Während der erste Formulierungsversuch von A. <~e veux lui visiter» grammatisch falsch ist, weist der zweite Versuch, also ihr erster Korrekturvorschlag «rendre une visite» keinen syntaktischen Verstoß auf. Der Ausdruck ist korrekt gebildet, aber so, als wäre er aus den einzelnen Elementen frei kombinierbar. Der vorgeformte Ausdruck «rendre visite» enthält aber im Unterschied zu einer freien Bildung ein Substantiv ohne Artikel. Er muß von der Nicht-Muttersprachlerin also als vorgeformter Ausdruck erkannt und reproduziert werden. Im Unterschied zum vorangegangenen Beispiel geht es hier um sprachliche Korrektheit, während es dort um Hilfestellung beim Formulieren ging: die Kooperation mit der Muttersprachlerin machte die Produktion der Äußerung überhaupt erst möglich. Entsprechend unterschiedlich sind auch die Verfahren, die die Muttersprachler benutzen: interaktive Vervollständigung in (2), Korrektur in (3). Der Muttersprachler erscheint hier als Vertreter der Norm; sein Verhal- FLuL 21 (1992) "Ich mag es besser". Konversationelle Bearbeitung vorgeformter Ausdrücke ... 73 ten deutet auf einen «contrat didactique», einen Lehr-Lern-Vertrag hin (de Pietro/ Matthey/ Py 1988). Die folgenden drei Beispiele enthalten einen anderen Typ von vorgeformten Ausdrücken, nämlich nach der Terminologie von Burger/ Buhofer/ Sialm (1982: 38-39) - ,phraseologische Termini'. In Beispiel (4) sucht der Nicht-Muttersprachler es handelt sich um einen Ausschnitt aus demselben Gespräch wie Beispiel (1) einen bestimmten Terminus, der mit dem Wort «sciences» zusammengesetzt ist: ► Beispiel ( 4) Sciences humaines A: Anne, französische Studentin B: Bernd, deutscher Student 1 ----------------------------------------------------------------------------------------------- 8: et j(e) crois (? alors) que: que le magister, c'est/ . surtout pour les: . des: les/ les 2 ----------------------------------------------------------------------------------------------- 8: sciences' euh. (fait claquer sa langue) les sciences euh: • qu'est-ce qu'on dit: . pas phy- 3 ----------------------------------------------------------------------------------------------- A: ah oui: oh: : la 8: siques . les autres sciences, .. sciences humaines' pour/ pour les langues' pour 4 ----------------------------------------------------------------------------------------------- A: litterature taut 9a' oui d'accord 8: la/ pour la philo' et taut 9a, Wie in Beispiel (2) wird die lexikalische Lücke durch Verzögerungen angezeigt (Dehnungen, Wiederholungen, gefüllte Pausen in Zeile 1/ 2), und der Muttersprachler wird um Formulierungshilfe gebeten: «Qu'est-ce qu'on dit» (Zeile 2). Auch hier versucht der Nicht-Muttersprachler, einen Hinweis darauf zu geben, was für ein Wort er sucht (Zeile 2/ 3: «pas physiques . les autres sciences»). Offensichtlich hat er ein Bewußtsein von der Existenz eines vorgeformten Ausdrucks. Die Muttersprachlerin A. reagiert jedoch nicht auf B.s Frage, und dieser findet schließlich selbst die Lösung: sciences humaines. In den Beispielen (5) und (6) geht es um den phraseologischen Terminus Je tiers monde. Es handelt sich um dieselben Gesprächspartnerinnen wie in Beispiel (2). In (5) hat Irma Schwierigkeiten bei der Produktion dieses Terminus: ► Beispiel (5): tiers monde I I: Irma, 16jährige deutsche Schülerin M: Französin, Gastmutter 1 ----------------------------------------------------------------------------------------------- 1.: et ils travaillent pour/ pour/ pour . un week-end & avec man pere, . M: c'est une retraitE, (bas) d'accord, + 2 ----------------------------------------------------------------------------------------------- 1: euhm sur . des . pays (pianote Jx sur la table)+ (plus bas) tu as les . mondes euh + M: (rit) J --- . ------------------------------------------------------------------------------------------- 1: (tape lx sur la table) (rit) (bas) scheiße, + (rit) he' M: (rit) (rire) vingt-troisieme' (rit) vingt- 4 ----------------------------------------------------------------------------------------------- 1: non non, le . euh. tiers. tiers monde, HA .. (rit) c'est SUPER, (rire) + M: troisieme' le' (rire) + FLuL 21 (1992) 74 Elisabeth Gülich, Ulrich Krafft Irma macht in Zeile 2 einen Formulierungsversuch, dessen Scheitern sie in Zeile 3 kommentiert. M. gibt ihr darautbin durch eine ohne weiteren Kontext etwas unklare Initiierung («vingt-troisieme» in Zeile 3/ 4) die Möglichkeit, das Problem selbst zu lösen. Offenbar ist dieser Terminus schon einmal im Gespräch zwischen beiden Partnerinnen behandelt worden. lrma findet tatsächlich auf die Aufforderung hin selbst die Lösung tiers monde und kommentiert diese eigene Leistung lachend mit «HA .. (rit) c'est SUPER, (rire)» (Zeile 4). In Beispiel (6), einem Ausschnitt aus einem anderen Gespräch, an dem u.a. auch diese beiden Gesprächspartnerinnen beteiligt sind, kommentiert M. anderen Muttersprachlern gegenüber Irmas Schwierigkeit bei der Produktion des Terminus tiers monde : ► Beispiel (6) tiers monde II I: Irma (s. Beispiel S) M: Französin (s. Beispiel S) A: Französin, Bekannte von M. l ----------------------------------------------------------------------------------------------- 1: ouais: ouais & ouais mais M: . . le tiers et trois: c • est diffici • lE le troisieme monde au le tiers monde lä • 2 ------- --------------- - ------ - ---------------- -- ----- - -------------- .- . ------ ---- --- --------- -- I: je sais, (rire)+ (en riant) tiers monde (rire)+ M: c'est le quoi' (elle) dit man p8re s'occupe du 3 ----------------------------------------------------------------------------------------------- M: troisi8me monde, (rire) + A: (rire) + (pause 6s) Dieses Beispiel ist in unserem Zusammenhang besonders interessant, weil M. hier den frei gebildeten Ausdruck Je troisieme monde dem phraseologischen Terminus Je tiers monde gegenüberstellt. Sie charakterisiert diesen Unterschied ausdrücklich als schwierig und fordert Irma auf («c'est le quoi'») zu zeigen, daß sie den phraseologischen Terminus beherrscht bzw. gelernt hat. Durch ihr Lachen und durch die Wiedergabe einer offenbar von Irma stammenden Äußerung mit dem fehlerhaften, da frei gebildeten Ausdruck troisieme monde anstelle des phraseologischen Terminus, macht sie sich über Irmas mangelnde Kompetenz lustig. Offenbar reizt die Unkenntnis des vorgeformten Ausdrucks zum Lachen, oder, genauer gesagt: ein frei zusammengesetzter Ausdruck anstelle eines vorgeformten wird als komisch dargestellt. Das könnte ein Grund dafür sein, daß nach unseren bisherigen Beobachtungen gerade bei ,phraseologischen Termini' die Muttersprachler besonderen Wert auf Korrektheit legen und daher u.U. durch Korrekturen eingreifen, während sie sich bei anderen objektiv gesehen - Normverstößen eher zurückhalten. FLuL 21 (1992) .,Ich mag es besser". Konversationelle Bearbeitung vorgeformter Ausdrücke ... 75 3 Probleme der Nicht-Muttersprachler beim Verstehen vorgeformter Ausdrücke Als Hörer wird der Nicht~Muttersprachler mit ganz eigenen Problemen konfrontiert, die für den Fortlauf der Kommunikation viel bedrohlicher sein können als die Sprecher-Probleme. Dies gilt um so mehr, wenn es um unspektakuläre, unauffällige Phraseologismen geht, wie im folgenden Beispiel (7), das aus einem längeren Telephongespräch stammt. Der erste „geschäftliche" Teil des Gesprächs schließt mit einer Verabredung (Zeile 1- 3). Dann eröffnet die Muttersprachlerin Emanuelle mit zwei Routineformeln den traditionell persönlichen Nachrichten gewidmeten zweiten Teil: et autrement fa va? ► Beispiel (7) L: Laura, Deutsche et autrement, 9a va? E: Emanuelle, franz. Freundin und Lehrerin von L. 1 ----------------------------------------------------------------------------------------------- L: euh oui, si tu . E: tu . tu veux que j(e) te rappelle' ou qu'hum. quand je rentre de france' 2 ----------------------------------------------------------- ----------------------------------- L: oui: ! mhm' oui: ! mhm' .. oui, (rit 18g8re- E: hein' et puis comme ~a' on se reverra, hein' 3 ----------------------------------------------------------------------------------------------- L: ment)+ , • comment' ah oui, ~• va, (rit)+ mhm' E: et autrement ca va' ca va' euh oui' est-ce 4 ----------------------------------------------------------------------------------------------- [: que tu as hm: , tapisse' ton appartement' Laura reagiert auf E.s Nachfrage mit einem verständnislosen «comment? ». E. wiederholt ihre Frage in gekürzter Form: «~ va? » und bekommt nun angemessene Antwort: «ah oui, ca va». Lauras «comment? » sagt nichts über die Ursache ihrer Verständnisschwierigkeiten. Aber Emanuelle hat dazu offenbar eine Hypothese: In der Wiederholung der Frage tilgt sie das «et autrement», und der Erfolg gibt ihr recht; denn Laura versteht «ca va» und benutzt es selbst. Tatsächlich ist es wahrscheinlich, daß einem Lerner «et autrement» fremd ist, fremder jedenfalls als «ca va»: es wird, im Gegensatz zu «ca va», kaum ausdrücklich gelehrt und geübt; es kommt um so seltener vor, als es mit anderen Formeln wie «et sinon? » oder «et a part ca? » konkurriert; wenn eine Verständigungsstörung auftritt, dann werden alle Segmente getilgt, die nicht unmittelbar zur Bedeutungskonstitution beitragen (Dausendschön- Gay/ Krafft 1988). Dazu gehören neben evaluierenden Elementen auch Segmente mit rein organisatorischer Funktion. Die Folge davon ist, daß eine Formel wie «et autrement» im authentischen Gespräch nicht in den Fokus kommt. Auf Störungen reagiert der Muttersprachler nicht mit einer Erklärung, sondern mit Tilgung. FLuL 21 (1992) 76 Elisabeth Gülich, Ulrich Krafft So kommt es zu der paradoxen Situation, daß eine Routineformel, die einen besonders anfälligen Teil des Gesprächs, nämlich den Übergang von einer Phase zur nächsten, organisieren und so einer Störung vorbeugen soll, selbst zur Störungsquelle wird, und daß die Methoden zur Beseitigung der Störung es verhindern, daß die eigentliche Störungsursache, nämlich die Unkenntnis der Formel, behoben wird. Die Bearbeitung solcher unauffälliger Phraseologismen ist nur in besonderen Situationen zu erwarten, so in Beispiel (8), wo geschrieben wird. Die deutsche Schülerin Irma schreibt unter Mitarbeit der gleichaltrigen Veronique in französischer Sprache eine Karte nach Deutschland. Nach einem Abschnitt über das Wetter schlägt V. als Beginn des nächsten Satzes a part ~a vor. I. kennt den Ausdruck nicht und fragt nach, V. erklärt weitläufig: I: Irma, deutsche Austauschschülerin, 16 Jahre ► Beispiel (8) apart fa V: Veronique, gleichaltrige französische Freundin von I. l ----------------------------------------------------------------------------------------------- V: il y a toujours beaucoup de nuages de nuages, . ehm (pause 4s) hm I: (rit) ouais + (pause 8s) 2 ----------------------------------------------------------------------------------------------- V: • • • a part ~a• eh c'est a part ~• c'est une ex- I: ! ! ! ! ! : a part (? pas) qu'est-ce que c'est ä part X: (bruits) 3 ----------------------------------------------------------------------------------------------- V: pression' • qu(e) tu mets . ehm pour dire ehm •. d'un autre cote' tu sais I: • ouais mais 4 ----------------------------------------------------------------------------------------------- V: ouais c 'est une expression qu(e) tu dis t 'as par le d( e) quelque chose' • puis tu dis eh • mh 5 ----------------------------------------------------------------------------------------------- V: c'est pour pour dire que tu vas parler d'autre chose, ä part ! ; S est eh quell: ah ouais, mhm' 6 ----------------------------------------------------------------------------------------------- V: que chose de pas. tre: s (? important) on: s'entend bien, I: (rit) + ••• on va bien ensemble' (? •.• ) Daß Irma überhaupt nachfragen kann, liegt an der Schreibsituation: «A part ca» funktioniert hier nicht als diskursive Routineformel im Gespräch zwischen Veronique und Irma, sondern ist ein Formulierungsvorschlag, den I. aber nur übetnehmen kann, wenn sie ihn versteht. Die Nachfrage «qu'est-ce que c'est a part» zeigt, daß I. nicht einmal die Segmentgrenzen erkennt. Interessant ist nun, wie V. vorgeht, um den Ausdruck zu erklären: (a) Sie stellt die Form fest: «eh c'est a part ~a c'est». (b) Sie bezeichnet den Ausdruck als «expression» und schreibt ihm damit eine globale und nicht wörtliche Bedeutung zu. (c) Sie gibt ein Äquivalent: «d'un autre cöte» (Zeile 4). Nun ist diese Lösung nicht befriedigend, weil «d'un autre cöte» an dieser Stelle des Briefs nicht zu gebrauchen ist. lrma kündigt Widerspruch an («ouais mais», Zeile5) und Veronique unternimmt einen zweiten Anlauf. (d) V. analysiert die Funktion der Routineformel: Ankündigung eines Themenwechsels (Zeile 6 - 7), wobei das neue Thema nicht sehr wichtig ist (Zeile 7 - 8). 1. akzeptiert die FLuL 21 (1992) "Ich mag es besser". Konversationelle Bearbeitung vorgeformter Ausdrücke ... 77 Erklärung («ah ouais, mhm',., Zeile 7) und bringt einen anschließenden Formulierungsvorschlag ein («on va bien ensemble", Zeile 8). Erklärungsmethoden lassen sich auch bei ,phraseologischen Termini' besonders gut beobachten. Beispiel (9) stammt aus demselben Gespräch wie Beispiel (1) und (4): Anne erklärt Bernd und Christine in deutscher Sprache die universitäre Ausbildung in Frankreich. Dabei gebraucht sie den Terminus u. v. oder unite de valeur. Da sie zu Recht vermutet, daß Christine den Begriff nicht kennt, bietet sie von sich aus eine Erklärung an: ► Beispiel (9a): unite de valeur (1) A: Anne, französische Studentin B: Bernd, deutscher Student C: Christine, deutsche Studentin l ----------------------------------------------------------------------------------------------- A: JA. bei uns' geht es . mit. den (französisch) uv, ••• euh: uv + das heißt. (franzö- 2 ----------------------------------------------------------------------------------------------- A: sisch) unite de valeur, + aber das is(t) eigentlich/ das heißt seminar' also. untere: . hm' J ----------------------------------------------------------------------------------------------- A: richt, Anne geht so vor, wie wir es schon bei Veronique (Beispiel 12) gesehen haben: sie nennt zuerst die vollständige Form: unite de valeur und gibt dann grobe Äquivalente an: "Seminar", "Unterricht". Nun kommt eine lange - 20 Transkriptionszeilen - und an Beispielen vorgehende Erklärung der Sache: Anzahl der u. v. - Leistungskontrolle u. v. und Zwischenprüfung (DEUG) u. v., die Anne selbst in ihrem Germanistikstudium absolvieren mußte. Nach dieser detaillierten Beschreibung stellt Anne fest, daß zur Sache nichts mehr zu sagen ist. Aber damit ist die Erklärung noch nicht abgeschlossen. ► Beispiel (9b): unite de valeur (11) 11 ----------------------------------------------------------------------------------------------- A: und . JA. is(t) schon geSAGT' .• äh. das heißt (französisch) unite d(e) vaLEUR' + •. 12 ----------------------------------------------------------------------------------------------- A: WEIL • du DA: • mit diesem • eh seminar' • das du besuch(st)' • dein diPLOM • bekomm(s)t • 13 ----------------------------------------------------------------------------------------------- A: deswegen heißt es (französisch) valeur, + ja' weil der/ das seminar hat • ein wert, C: hm' ja 14 ------------------------------------------------------ ---------------------------------------- A: für dich, 8: mhm' Der enzyklopädischen Erklärung, die dem phraseologischen Terminus als Ganzem zugeordnet wurde, folgt die sprachliche Analyse des Phraseologismus aus seinen Elementen. Dabei interessiert uns weniger die Qualität dieser Analyse als vielmehr Annes Vorstellung, eine solche Analyse sei möglich und nützlich. Für FLuL 21 (1992) 78 Elisabeth Gülich, Ulrich Krafft Anne ist es offenbar wichtig, die phraseologische Wendung nicht nur global zu verstehen, sondern sie auch in ihrer inneren Struktur zu durchschauen. Die folgenden Beispiele zeigen, daß sie damit vermutlich recht hat. 4 Probleme in der Folge Verstehen - Produzieren Die drei letzten Beispiele sind besonderer Art, weil sie die Nichtmuttersprachler zuerst in der Hörer-, dann in der Sprecherrolle zeigen. Der Nichtmuttersprachler hört einen vorgeformten Ausdruck und soll oder will ihn reproduzieren. Man könnte diese Sequenzen als Abschnitte aus Lernprozessen verstehen. In Beispiel (10) z.B. lernt Christine den Ausdruck oeuf a Ja coq_ue. Sie soll im «Jeu du tribunal» zusammen mit Nathalie für die Zeit eines Einbruchs ein Alibi erfinden, nach dem später beide getrennt von einer Jury befragt werden. Teil dieses Alibis ist ein gemeinsamer Imbiß, dessen Menü gerade verabredet wird. ► Beispiel (10a): oeuf a Ja coque (1) N: Nathalie, französische Studentin C: Christine, deutsche Studentin l ----------------------------------------------------------------------------------------------- N: qu'est-ce qu'on a mange, . bon alors ! fe/ pas an aurait mange: euh: , C: & qu'est-ce qu'on a mange 2 ----------------------------------------------------------------------------------------------- N: , Un reuf , ä la coque' (rit)+ tu sais c(e) que c'est' ehn: C: , un reuf , (rit) ä la coque + . , n: non' J ----------------------------------------------------------------------------------------------- N: c'est un reuf' , / / an laisse la coquille' . an l(e) pese sur un petit machin' . l'reuf C: (? sais pas non) mhm' 4 ----------------------------------------------------------------------------------------------- N: est pose: . comme ca' . mais ici ca fait (? une beule), il est comme ca: ' on casse le dessus' 5 ----------------------------------------------------------------------------------------------- N: et o/ an mange avec une cuillere et des morceaux de pain. an trempe dedans C: , mhm 6 ----------------------------------------------------------------------------------------------- N: tu vois ce que c'est' bon, . an aurait mangB: euh Un ~uf ä la coque' . euhm: , . C: bon, . mhm' 7 ----------------------------------------------------------------------------------------------- N: euh: : de: / de la salade C: (? ...... ) Nathalie führt oeuf a Ja coq_ue ein (Zeile 2), Christine wiederholt. Es folgt eine enzyklopädische Erklärung, die das weiche Ei über die Technik des Essens beschreibt (Zeile 2 - 6). Abschließend wird noch einmal der Terminus genannt (Zeile 6). Nach der Abhandlung der weiteren Speisefolge folgt eine erste Wiederholung: FLuL 21 (1992) "Ich mag es besser". Konversationelle Bearbeitung vorgeformter Ausdrücke ... ► Beispiel (10b): oeuf a Ja coque (II) 79 11 ----------------------------------------------------------------------------------------------- N: un yaourt nature sans sucre, • d'accord (rit)+ .. un muf a la coque' C: bon, . d'accord, mhm' nature, . euh: un 12 ----------------------------------------------------------------------------------------------- N: voilA' C: muf ä la coque' et jamban: de r8gime' Christine findet den Ausdruck nicht, Nathalie gibt ihn noch einmal vor und Christine wiederholt. Die lnteraktantinnen kommen erst ca. zehn Minuten später wieder auf das Essen zurück. Christine versucht, das weiche Ei zu benennen, sagt aber oeuf de lkokl (Zeile 22),_ was bei Nathalie große Heiterkeit auslöst. ► Beispiel (10c): oeuf a Ja coque (3) 21 --------------~-------------------------------------------------------------------------------- N: Explique-moi c(e) qu'on a feit, et demie C: .. an a . EI: huit heures . et demie tu es: .. arriväe' . 22 ----------------------------------------------------------------------------------------------- N: (rit) C: an a: mangä' . jusqu'ä neuf heures' . eh: . ah attends, (rit)+ un: muf de coque' . un coque' 23 ------------------------------------ ---------------------------------------------------------- N: A la coque (rit)+ un muf de coque (rit)+ c'est 9a (rit) C: (rit)+ un muf ä la coque un muf a la coque' (rit) Wenn man diesen Lapsus verstehen will, muß man noch einmal auf die Erklärungssequenz zurückkommen und festzustellen versuchen, was Christine wohl verstanden hat. Verstanden hat sie sicher, daß es um ein Ei geht, daß es eine besondere Zubereitung ist, vielleicht sogar „weiches Ei". Sprachlich verstanden hat sie oeuf + a + Artikel + / kok/ . Nicht verstanden hat sie coque: hier hat sie sich die Lautfolge eingeprägt, vielleicht mit coq assoziiert. Was aber / kok/ bedeutet, weiß sie nicht, kann sie nicht wissen. Diese Unkenntnis scheint die Voraussetzung dafür zu sein, daß sie die innere Struktur des Ausdrucks nicht genau memorisiert; denn ·wenn man nicht weiß, was / kok/ bedeutet, wird die Präposition beliebig. Eine falsche Assoziation mit coq wäre übrigens noch irreführender. Christine behält den Terminus nicht, weil sie ihn zwar versteht, ihn aber nicht durchschaut. Um die Struktur eines Phraseologismus geht es auch im Beispiel (11), wo Irma mit ihrer Gastmutter über Skinheads spricht. M. faßt zusammen: Die Skinheads wären also alle „mehr oder weniger" Nazis (Zeile 1). Irma will ratifizieren, indem sie auf M.s plus ou moins zurückgreift. Aber dies mißlingt und führt zu einem Mißverständnis: FLuL 21 (1992) 80 Elisabeth Gülich, Ulrich Krafft ► Beispiel (11): plus ou moins I: Irma, deutsche Austauschschülerin, 16 Jahre M: Gastmutter l ----------------------------------------------------------------------------------------------- M: et tous les skinheads sont euh li8s' plus ou moins' au parti national socialistE' I: ouais: ' . 2 ----------------------------------------------------------------------------------------------- M: comment' ( etonnee) I: • / mwa mEm/ ' • ouais' ouais' / mwa' . u . ply'/ (vite) je n(e) sais pas' + 3 ----------------------------------------------------------------------------------------------- M: moi" + t'as dit toi' hm moins! I: euhm (leger rire) + m/ / mwf/ , non, . / mwU' au' • au / ply/ , m/ • moins! 4 ----------------------------------------------------------------------------------------------- M: moi' moi' (rire) I: (tape sur la table) + (bas) moins' au plus, non & non (rire) (? .............. ) non non 5 ----------------------------------------------------------------------------------------------- M: (faut) faire attention! , , + m/ m/ moi et moins' c'est pas 1: je suis pas un un . . raciste, + 6 ----------------------------------------------------------------------------------------------- M: (en riant) la meme chose, + (bas, en expirant) oui, + PLUS au I: moins, moins' (plus bas) m/ ou plus, + 7 ----------------------------------------------------------------------------------------- ----- M: moinS, I: (bas) plus ou moins, + Irma hat in M.s Frage das prosodisch ausgegrenzte plus ou moins als einen Ausdruck erkannt, der sich für eine Ratifizierung eignet. Sie bringt aber nur die Lautfolge «/ mwa mem/ » zustande, die sie so ruhig, klar und deutlich artikuliert, daß M. «moi meme» verstehen muß, ein absurdes Mißverständnis, das aber erst nach drei Bearbeitungsschüben geklärt wird: 1. M. fordert mit einem erstaunten «comment? » eine Reparatur an. I. bestätigt ausdrücklich das «/ mwa/ », setzt mit «/ u ply/ » fort und bricht mit einem ·unsicheren «je ne sais pas» die Reparatur ab (Zeile 2). 2. M. bezeichnet die Störquelle: «moi? ? ». Die Intonation indiziert Betroffenheit, was den Druck auf I. steigert. Diese sieht aber offenbar noch nicht die. Ursache der Störung; sie antwortet mit verlegenem Lachen (Zeile 3). 3. M. expliziert den Grund ihrer Nachfrage: «t'as dit toi? » Erst jetzt reagiert I. angemessen. Sie unternimmt einen ersten Korrekturversuch mit einem leicht nasalierten «/ mw-/ », unterbricht sich («non») und gibt im zweiten Versuch ihre Version des Phraseologismus: «/ mwi. u ply/ ». Die beiden Merkmale, Nasalierung und Zusammenhang mit «ou plus», setzen M. auf die Spur; ihr «moins! » zeigt, daß sie endlich verstanden hat. Die endgültige Korrektur zu «plus ou moins» erfolgt erst später (Zeile 8), nach einiger Image- Arbeit (Zeile 4 - 8). Wie der erste Reparaturversuch zeigt, weiß Irma, daß sie einen komplexen Ausdruck gebraucht, dessen globale Bedeutung übrigens an keiner Stelle problematisiert wird. Die Schwierigkeiten folgen ausschließlich aus morphologischen Unsicherheiten: phonetische Form von «moins» und Reihenfolge der Elemente. Dieses letzte Problem ist aber auf dem Hintergrund des Parallelismus zwischen «plus ou moins» und "mehr oder weniger" nur schwer zu verstehen, es FLuL 21 (1992) "Ich mag es besser". Konversationelle Bearbeitung vorgeformter Ausdrücke ... 81 sei denn man nimmt an, daß Irma die Struktur des Ausdrucks nicht oder nur unvollkommen erkennt. Auch hier, wie schon bei oeuf a Ja coque, könnte die morphologische Unsicherheit auf mangelhaftem Begreifen der Struktur beruhen. In unserem letzten Beispiel schreiben zwei deutsche Studentinnen einen französischen Brief. Es gibt also keine Muttersprachlerin; aber Elke ist deutlich kompetenter als Sonja und übernimmt oft die Expertenrolle. Der Brief entsteht Satz für Satz, wobei die gesamte inhaltliche Planung in deutscher Sprache stattfindet und das Französische erst bei der endgültigen Formulierung ins Spiel kommt. Im Augenblick wird ein Bericht über eine Party abgeschlossen. Sonja schlägt den Satz "Am nächsten Tag war uns allen schlecht" vor, den es nun ins Französische zu bringen gilt. Nachdem Je Jendemain gefunden ist, geht die Formulierungsarbeit wie folgt weiter: ► Beispiel (12): gueule de bois S: Sonja, deutsche Studentin E: Elke, deutsche Studentin 1 . -------------------------------------------------------------------~--------------------------- S: le lendemAIN' (pause 5s) E: mmh: , on=a: _, on=avait tous' . une gueule de bois, . oder une' ou 2 ----------------------------------------------------------------------------------------------- 5: on • • a . vai t • • , tous • . lA gueule heißt das, • une gueule' • • E: lA gueule de bois, 3 ----------------------------------------------------------------------------------------------- S: une' • oder la, ja was nehm' wa denn (lachend) jetz, E: (lacht)+ (lachend) ja das weiß ich leider AUch 4 ----------------------------------------------------------------------------------------------- [: nich, • + (? ") (B) du hast so=n schönes buch' • da kucken wa ma einfach wieder rein,+ 5 ------------------------------------------ & ·---------------------------------- .------- • --- S: (lachend) schreibt man gueule so'+ sieht so komisch aus, .E: (blättert) (5s) mmh: , nee, das u 6 --------------------------------------------------------- ------------------------------------- 5: also ein e weniger, ode·r was, .. gueule E: kommt davor, weil sons wär=s ja geule gueule, •• bauche, .• gueule & / ge u 7 -------------- ------------------------------ ----- ----------------------------------------- S: ach so, da is noch=n u mit drin, hier drin, + gueule de E: e u el e/ ferme ta gueule, ta gueule, , • • (? ... ) 8 ----------------------------------------------------------------------------------------------- 5: bois' bois' • und dann' wie schreibt man bois' • . • (lachend) n hOlzkopf + E: .. wie holz, 9 ---------------- . -------------------------------------. --------------------------------------- S: ham wir da alle gehabt' ja, fresse, mmh, (lachend) holzfresse, + . E: gueule is äh: . fresse, (lacht) + 10 ------------------------------------------------------- · ------------------ · -------------------- S: • na klAsse, Elke bringt di.e idiomatische Wendung gueule de bois ein mit einem typischen Sprecher~Probiem avoir «la» oder «une» gueule de bois? (Zeile 1- 2) - , das sie später mit Hilfe des Lexikons löst. Sonja hat ihrerseits typische Hörerprobleme. Sie versteht die globale Bedeutung des Ausdrucks, nicht aber seine Struktur, genauer: Sie kann ihn segmentieren, aber die Elemente nicht identifizieren. Für uns werden ihre Schwierigkeiten nur sichtbar, weil sie mit der Orthographie nicht zurechtkommt. Das Problem «gueule» wird durch Buchstabieren FLuL 21 (1992) 82 Elisabeth Gülich, Ulrich Krafft gelöst (Zeile 6 - 9). Für «bois» wählt Elke ein ökonomischeres Verfahren, wenn sie angibt, «bois» schreibe man wie „Holz", worauf Sonja mit einem lachenden „n holzkopf ham wir da alle gehabt" reagiert (Zeile 10-11}. Diese Sequenz ist in mehrfacher Hinsicht interessant: Sonja kennt das Wort «bois», identifiziert es aber nicht als Bestandteil der Wendung, obwohl sie es mehrfach gehört und auch seföst korrekt nachgesprochen hat. Sie gibt sich nicht mit der Identifizierung zufrieden, sondern versucht sofort, das identifizierte Element auszuwerten, indem sie die Metapher nachvollzieht. Dabei zeigt sich, daß die Identifizierung von «gueule» nicht abgeschlossen war. Immerhin war Sonja mit „Kopf" zu einer ungefähren und für das Funktionieren der Metapher hinreichenden Bedeutung gekommen. Elke korrigiert "gueule is fresse", 11), Sonja übernimmt die Korrektur und setzt sie um in „holzfresse" (Zeile 12). Die positive Evaluierung (Lachen in Zeile 10, Lachen und „na klasse" in Zeile 12) zeigt, daß das Begreifen der Metapher Sonja erfreut, vielleicht, weil sie das Bild. angemessen findet, vielleicht auch, weil hier eine zunächst sehr verwickelte sprachliche Schwierigkeit vollständig geklärt wurde. Sonja kennt nun die globale Bedeutung von gueule de bois, hat .alle Elemente identifiziert und schließlich nachvollzogen, wie „Fresse" und „Holz" mit „Kater" zusammenhängen: Sie hat den Ausdruck verstanden. 5 Erwerbsprobleme In Gesprächen zwischen Muttersprachlern und Nicht-Muttersprachlern zumindest in solchen Alltagsgesprächen, wie sie im Korpus des eingangs erwähnten Bielefelder Forschungsproj~kts repräsentiert sind bereiten vorgeformte Ausdrücke vielfach gerade aufgrund ihrer Vorgeformtheit Formulierungs- und Verstehensprobleme. Die vorgeformten Ausdrücke, um die es sich hier handelt, gehören meist nicht zu den sprichwörtlichen Redensarten oder anderen Phraseologismen, die Kriterien wie Figuriertheit oder Idiomatizität erfüllen würden, sondern es sind im allgemeinen nicht-bildliche Wendungen, feste Syntagmen, Kollokationen oder phraseologische Termini. Wenn man an Problemen des Fremdsprachenerwerbs oder an didaktischen Problemen im Zusammenhang mit Phraseologie interessiert ist, tut man also gut daran, seine Aufmerksamkeit eben diesen Typen vorgeformter Ausdrücke zuzuwenden. Sie gehören zum guten Teil zu dem Bereich, den Coulmas (1985) als diskursive Routine bezeichnet hat. 9 Seinem Plädoyer für die verstärkte Einbe- 9 „Diskursive Routinen" nach Coulmas sind „vorgefertigte Redeteile", die den Sprechern als Ganzes zur Verfügung stehen und für typische Kommunikationsprobleme bewährte Lösungen bieten. Ob diese „strukturierten Fertigteile" grammatisch sind oder nicht, interessiert erst in zweiter Linie; entscheidend ist das Merkmal der Vorgeformtheit, das den FLuL 21 (1992) "Ich mag es besser". Konversationelle Bearbeitung vorgeformter Ausdrücke ... 83 ziehung solcher vorgeformten Ausdrücke in den Fremdsprachenunterricht schließen wir uns an. Für Probleme des Fremdsprachenerwerbs ist das vorgestellte Gesprächskorpus auch insofern interessant, als man die konversationelle Bearbeitung der vorgeformten Ausdrücke als Lehr-Lern-Sequenzen und die Aktivitäten der Interaktanten als Lehr- und Lernaktivitäten auffassen kann (Dausendschön-Gay 1987). Wir wollen versuchen, unsere Beobachtungen unter diesem Gesichtspunkt auszuwerten und dabei die „Methode" (im ethnomethodologischen Sinn) des Lehrens und Lernens vorgeformter Ausdrücke zu skizzieren. In den vorangegangenen Abschnitten haben wir die Beispiele in systematischer Reihenfolge präsentiert und zunächst das Produzieren, dann das Rezipieren vorgeformter Ausdrücke analysiert. Wenn wir die Beispiele anders anordnen, dokumentieren sie zwei typische Momente aus dem Erwerbsprozeß, nämlich zunächst das Kennenlernen eines vorgeformten Ausdrucks (3. Abschnitt, Probleme des Verstehens), eventuell erweitert um eine unmittelbare Reproduktion (4. Abschnitt); dann die Verwendung eines Ausdrucks, den man schon kennt, wenn auch nicht unbedingt beherrscht (2. Abschnitt). Am Anfang des Erwerbsprozesses stehen ein globales Wahrnehmen des Ausdrucks und das Feststellen der globalen Bedeutung. Dabei vverden unter Umständen von den Nichtmuttersprachlern Probleme angezeigt. In unseren Beispielen fragen sie nach der Bedeutung des Ausdrucks (oeuf ä Ja coque, Beispiel 10, ä part ~a, 8), nicht nach seiner Form. Die Behandlung kann in dieser allerersten Phase scheitern, wenn nämlich trotz Störung keine Rückfrage zustandekommt (et autrement, 7) . . Diese Bearbeitungsphase kann erweitert und vertieft werden, wenn der Versuch der unmittelbaren Reproduktion nicht glückt. Hier treten dann morphologische Probleme zutage und werden vom Muttersprachler behandelt (ä part ~a. 8 pl1,1s ou moins, 11). Dabei kann es zu einer Diskussion der einzelnen Elemente kommen, sei es rein morphologisch (plus ou moins, 11) oder morphologisch und inhaltlich (gueule de bois, 12). Im letzteren Fall geht es darum, einen Zusammenhang zwischen den einzelnen Elementen und der globalen Bedeutung des Ausdrucks herzustellen. Wenn diese Diskussion der inneren Struktur eines Ausdrucks fehlt, kann dies zu spezifischen Problemen führen: Die Reproduzierbarkeit des Ausdrucks für den Nichtmuttersprachler ist dann gefährdet ( oeuf ä Ja coque, 10, plus ou moins, 11). Im Beispiel unite de valeur (9) übernimmt die Muttersprachlerin von vornherein die Rolle des Lehrenden und vollzieht, mög- Sprecher von einem Teil der Formulierungsarbeit entlastet. Zu den diskursiven Routinen gehören, neben den idiomatischen, "situationsgebundene Ausdrücke" (z.B. Routineformeln zur Gesprächseröffnung), Höflichkeitsformeln, "Satzstämme und Satzmuster", die „als Ganze abgerufen werden können und nur an Leerstellen zu ergänzen sind", und „Gesprächssteuerungsformeln" (z.B. die Hauptsache ist, es sei denn, zum Beispiel, Sie sagen es, verstehst du? , das ist alles usw.). Vgl. dazu auch Gülich/ Henke 1979/ 80. FLuL 21 (1992) 84 Elisabeth Gülich, Ulrich Krafft liehe Probleme vorwegnehmend, alle Einführungs- und Erklärungsaktivitäten: Feststellung der Form - Explizierung des globalen Inhalts - Erläuterung der Elemente in Bezug auf die globale Bedeutung. Sie nimmt die einzelnen Bearbeitungsmethoden auf und integriert sie modellhaft zu einer didaktischen Sequenz. Eine weitere Bearbeitungsphase setzt ein, wenn ein späterer Versuch der Reproduktion mißlingt. Fehlt dem Nichtmuttersprachler ein Teil des Ausdrucks und kann er das Problem nicht selbst lösen (sciences humaines, 4), dann kommt es zur "interaktiven Vervollständigung" (mettre des vetements, 2). Vollständige, im einzelnen aber nicht normgerechte Reproduktionen können Korrekturen auslösen (ich mag besser, 1, rendre visite, 3, oeuf a Ja coque, 10). 10 In allen diesen Fällen geht es um die Morphologie, während der Inhalt als unproblematisch vorausgesetzt wird. Wenn die Erwerbssequenz erfolgreich durchlaufen ist, dann kann es zu Vorkommen wie den beiden tiers monde-Beispielen (5,6) kommen: Die Nichtmuttersprachlerin hat den Ausdruck gelernt, doch bleibt er ihr noch immer ein wenig ungewöhnlich und fremd. In diesem letzten Beispiel zeigt sich besonders deutlich, daß beide Interaktanten den Ausdruck als vorgeformt und, wie das Lachen ausweist, als formal ungewöhnlich wahrnehmen. Das Bewußtsein der Vorgeformtheit läßt sich aber in allen Beispielen nachweisen; und wo der Nichtmuttersprachler es zunächst nicht hat, stellt der Muttersprachler es sofort her (I: qu'est-ce que c'est apart? V: eh c'est apart fa, c'est une expression): Das Bewußtsein der Vorgeformtheit eines Ausdrucks ist die Bedingung für seine konversationelle Bearbeitung. Dies bestätigt Quasthoffs Annahme (1981: 7), "daß nicht nur syntaktische und lexikalische Kriterien das Spezifische formelhafter Rede ausmachen, sondern daß die Eigenart der Verwendungsweise festgeprägter Formeln gerade auch . darin liegt, daß die Wendungen als formelhafte bekannt sind". Ein Bewußtsein der Vorgeformtheit oder Formelhaftigkeit von Ausdrücken - und das heißt auch: von ihrer Irregularität zu haben, ist nach unseren Beobachtungen eine Voraussetzung für das Lernen solcher Ausdrücke in einer Fremdsprache. Um diese Voraussetzungen zu verbessern, müssen nicht nur die lexikographischen Arbeiten vorangetrieben werden diese Forderung wird häufig erhoben 11 sondern es sind auch empirische Untersuchungen erforderlich, die Einsichten in konversationelle Lernprozesse ermöglichen. 10 Korrekturen zeigen im allgemeinen an, daß zwischen den Sprechern ein «contrat didactique», ein „Lehr-LernsVertrag" gilt (de Pietro, Matthey, Py 1988). Ein solcher „Vertrag", der meist implizit geschlossen wird, ermöglicht sonst stark dispräferierte Tätigkeiten,. so z.B. selbstinitiierte Fremdkorrekturen (Dausendschön-Gay/ Krafft 1991a). 11 Vgl. z.B. die Einleitung zu dem Heft Langages 90 (Juin 1988, 6) und Ettinger (1989). FLuL 21 (1992) "Ich mag es besser". Konversationelle Bearbeitung vorgeformter Ausdrücke ... 85 Transkriptionskonventionen Die Transkription folgt weitgehend der herkömmlichen Orthographie; die beim Schreiben üblichen Interpunktionszeichen werden aber nicht verwendet. Umgangssprachliche Formen werden in Anlehnung an die Aussprache wiedergegeben, z.B. "kannste", "ouais", "ben" usw. Aussprachebesonderheiten werden durch globale Charakterisierung oder durch phonetisch-orthographische Wiedergabe notiert (z.B. "isch", "nischt"). Nicht identifizierbare oder in der geschriebenen Sprache nicht existierende Wörter oder Fragmente werden phonetisch geschrieben. (pause 3 sec) & ' BON oul COmment (en)fin (? mais) (? .. ,.) (lebhaft)+ (rit) + (en souriant) + = * bonjour jean* oui* Wort- oder Konstruktionsabbruch Pause; die Anzahl der Punkte entspricht ihrer relativen Dauer Pause angegebener Länge auffällig schneller Anschluß steigende Intonation fallende Intonation auffällige Betonung eines Worts/ einer Silbe/ eines Lauts Dehnung schwach artikuliert nicht eindeutig identifizierter Wortlaut unverständlich Kommentar des Transkribenten: bleibt gültig bis " + " auffällige Bindung, insbes. Liaison auffällige Nichtrealisierung einer Bindung Überlappung von Äußerungen; "*" = Ende der Überlappung Bibliographische Angaben BURGER,. H. / BUHOFER, A. / SIALM, A,: Handbuch der Phraseologie. Berlin/ New York 1982. COSNIER, J, / GELAS, N. / KERBRAT-ORECCHJONI, _C, (@S.): Behanges sur Ja conversation. Lyon/ Paris 1988. COULMAS, F.: "Diskursive Routine im Fremdsprachenerwerb". In: Sprache und Literatur in Wissenschaft und Unterricht 56 (1985), 47-66. DANLOS, L.: «Presentation». In: Langages 90 (1988), 5-6. DAUSENDSCHÖN-GAY, U.: "Lehren und Lernen in Kontaktsituationen". In: J. Gerighausen / P. C. Seel (Hrsg.): Aspekte einer interkulturellen Didaktik. München 1987, 60-93. DAUSENDSCHÖN-GAY, U. «Particularites des reparations en situation de contact». In: Cosnier/ Gelas/ Kerbrat-Orecchioni (eds.) 1988, 269 - 284. DAUSENDSCHÖN-GAY, U. / GÜLICH, E. / KRAFFT, U.: «Formes d'interaction communicative dans des situations de contact entre interlocuteurs fran1,ais et allemands». In: D. 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The present article, based on American and English idiom dictionaries, sets out to investigate phraseological units of American English with regard to their British English equivalents, and to specific features of an American 'phrasicon'. So far, phraseological units of this national variety of English, in contrast to the pronunciation, intonation, spelling, vocabulary arid syntactic features of American English, have got little attention in linguistic introductions and student textbooks. On the other hand, dictionaries of British and American English idioms have not drawn a hard-and-fast dividing line between idiom usage in the two national varieties. A phraseological unit is defined as a lexicalized and ready-made fixed expression which has syntactic and semantic stability and which may have an idiomatic meaning and expressive and/ or stylistic connotations. The phraseological system includes fixed expressions in a nominative function as designations of phenomena (objects, actions, qualities, relations, etc.) and in the function of propositions which reflect a whole state of affairs in the outside world. Thus, phraseological units may be both word groups (back Bast; to go Dutch) and sentences (All systems are go) or their elliptical reductions (no kidding! ). Sentence-like phraseological units cover proverbial sayings and proverbs, slogans and maxims, stereotyped comparisons, commonplaces, quotations, winged words, and routine formulae. Idioms and phrases with a typically American background may be grouped into thematic fields, such as American fauna and American artefacts; working life; money, etc. Of particular interest are phraseological units which contain a proper name and refer to a public institution (Sam and Dave), to a type of human behaviour (a square John), indisposition (Basra belly), food (McDuck's), or are cryptic names for drugs (Kentucky blue, Califomia comflakes). As a detailed corpus analysis has shown, idioms and phrases with an American colour are prone to have connotations of 'informal', 'folksy', 'colloquial', and 'slang' style. This may also hold for propositions (Let it rip! [slang]; What's the big idea? [informal]). 1 Einleitung: Begriffsklärung Im Vorfeld der folgenden Untersuchung von Phraseologismen im Amerikanischen Englisch als einer stark ausgeprägten nationalen Variante der englischen Gegenwartssprache sollen einige Arbeitsbegriffe definiert werden. 1.1 Phraseologismen (auch: phraseologische Einheiten, Wortgruppenlexeme, Phraseolexeme, Phraseme) sind mehrgliedrige feste Wortverbindungen und lexikalische Einheiten zur Benennung von Erscheinungen, Gegenständen, Handlungen, Vorgängen und Zuständen, Eigenschaften, Umständen und Beziehungen sowie von ganzen Sachverhaltsaussagen in der objektiven Realität. In der gleichen Weise wie nicht-phraseologische lexikalische Einheiten (d.h. einfache und FLuL 21 (1992) Phraseologismen im amerikanischen Englisch 89 komplexe Lexeme) tragen sie dazu bei, Lücken im Benennungssystem einer Sprache zu schließen. Der Gesamtbestand der Phraseologismen, das Phrasikon, ist ähnlich wie das Lexikon einer Sprache ein offenes Teilsystem des linguistischen Gesamtsystems. Es reagiert unmittelbar auf ·gesellschaftliche Veränderungen und reflektiert das Verhalten der Sprachgemeinschaft wie auch der Kommunikationsgemeinschaften. Phraseologismen können in begrenztem Maße ihre Gestalt verändern, veralten und aus dem Sprachgebrauch verschwinden, durch Neubildungen bereichert werden und regionale Varianten herausbilden. 1.2 Ein Phraseologismus ist ein usuelles Wortgruppenlexem, das sich durch syntaktische und semantische Stabilität, durch potentiell mehrere Arten der Bedeutung (d.h. neben der denotativ-wörtlichen Bedeutung durch eine idiomatische Bedeutung) sowie durch expressive und stilistische Konnotationen auszeichnet. Im Text kann der Phraseologismus eine expressive, emphatische oder intensivierende Funktion ausüben, indem er die stilistische Wirkung einer Aussage in mannigfacher Weise unterstützt. 1.3 Die prototypische Ausprägung des Phraseologismus ist das Idiom. Ein Idiom ist ein Phraseologismus, der durch eine denotativ-übertragene (metaphorische oder metonymische) Bedeutung gekennzeichnet ist und nur in dieser usuell verwendet wird. Die Idiomatizität eines Phraseologismus entsteht aus einer spezifischen Auswahl und Kombination von Komponenten (oder Semen) aus den Sememen der ihn bildenden Konstituenten (d.h. Einzelwörtern), wobei zusätzlich neue Komponenten aufgenommen werden und im Extremfall solche Komponenten hinzutreten können, die keinerlei Bezug mehr zum Objektabbild des Phraseologismus haben (vgl. Gläser 1986: 28). Beispiel: AmE a loose cannon 'a loudmouth, a braggart' (Idiom) vs. loose talk 'unconsidered statement; gossip about people or affairs; careless release of privileged information' (nicht-idiomatisierter Phraseologismus); AmE to spill one's guts 'to tell all, to confess'; BritE/ AmE to spill the beans '(informal) give away information, deliberately or unintentionally' (Idiome) vs. to spill the milk/ the ink 'allow to run' (Kollokationen). 1.4 Als linguistische Teildisziplin im Grenzbereich von Lexikologie und Syntax untersucht die Phraseologie sowohl lexikalische Einheiten als Nominationen (d.h. Phraseolexeme) als auch einen beträchtlichen Teil fester Wendungen in der Funktion von Propositionen (d.h. Phraseotexteme) zur Wiedergabe von Sachverhaltsabbildern. Diese Phraseologismen mit dem Charakter von Sätzen bzw. deren elliptische Verkürzungen umfassen sprichwörtliche Redensarten, Paar- und Zwillingsformeln, Sprichwörter, geflügelte Worte, Zitate, Gemeinplätze, Losungen und Maximen und das große Gebiet der Routineformeln (vgl. Gläser 1986). Satzähnliche Phraseologismen dieser Art werden in der deutschen, englischen, finnischen, sowjetischen und ungarischen Phraseologieforschung, Phraseographie FLuL 21 (1992) 90 Rosemarie Gläser und Phraseodidaktik systematisch behandelt (Fleischer 1982, ODCIE 1983, Gläser 1986, Kunin 1986, Földes 1987, Korhonen 1987, DASCE 1989, Földes/ Kühnert 1990, Weite 1990). In der romanistischen Phraseologie-Tradition werden Propositionen jedoch nicht in die Beschreibung fester Wortverbindungen einbezogen (Hundt 1992). Sie sind aber ein fester Bestandteil einsprachiger phraseologischer Wörterbücher und solcher der Allgemeinsprache. 1.5 In der Lexikologie und Lexikographie der angelsächsischen Länder wird der Terminus idiom als Oberbegriff für phraseologische Einheiten, deren semantischer und morphologischer Status sehr unterschiedlich sein kann, verstanden. Dementsprechend gelten als Idiome sowohl nicht-idiomatisierte terminologische und onymische Wortgruppen (brown belt; Russian cat, emperor of Japan als zoologische Namen; Greenland, Newfoundland als Toponyme) als auch idiomatisierte Komposita (flatfoot, highbrow, redskin, spoilsport, tumcoat). In der kontinentalen Phraseologie und Phraseographie hat sich jedoch der Terminus Phraseologismus als Oberbegriff für feste Wortverbindungen unterschiedlicher Art eingebürgert. Idiome werden hier als die wichtigste Unterklasse von Phraseologismen verstanden sowohl hinsichtlich ihres Anteils am Gesamtinventar phraseologischer Einheiten als auch hinsichtlich der Ausprägung von Bildungsmustern und Typen. Eine wesentliche Gemeinsamkeit der beiden phraseologischen Forschungsrichtungen besteht trotz ihres unterschiedlichen Begriffs- und Terminologieapparats darin, daß sie sowohl Nominationen als auch Propositionen in ihren Untersuchungsgegenstand einbeziehen und dieses Material lexikographisch inventarisieren und kodifizieren. 2 Gegenstand und Material der Untersuchung In der angelsächsischen Phraseologieforschung ist die Thematik nationaler Varianten und funktionaler Spezifika phraseologischer Einheiten noch unzureichend untersucht worden. So gibt es noch keine systematische Gesamtdarstellung zu (a) phraseologischen Einheiten, die für national varieties bzw. modified standards wie das Amerikanische, Kanadische und Australische Englisch charakteristisch sind, und (b) phraseologischen Einheiten innerhalb bestimmter Fachwortschätze, aus denen Merkmale einer fachsprachlichen Phraseologie abgeleitet werden könnten. Insofern wurden Fachwendungen bisher zumeist als Randgebiet der Terminologie behandelt (Wüster 1985, Gläser 1989, Sager 1990, Müller 1990, Arntz 1991). Der folgende Beitrag ist phraseologischen Einheiten des Amerikanischen Englisch (AmE) in der Funktion von Nominationen und Propositionen gewidmet und FLuL 21 (1992) Phraseologismen im amerikanischen Englisch 91 stützt sich auf amerikanische allgemeinsprachliche Wörterbücher sowie auf Idiom-Wörterbücher, die mit den entsprechenden britischen Nachschlagewerken der letzten zehn Jahre verglichen werden: Makkai (1984), NTC's American Idiom Dictionary [NAID] (1988), Dictionary of American Slang and Colloquial Expressions [DASCE] (1989), Oxford Dictionary of Current ldiomatic English [ODCIE] (1983), American Heritage Dictionary [AHD] (1985), Longman Dictionary of English Idioms [LDEI] (1979), Collins Dictionary of the English Language [CDEL] (1986). 3 Stand der Forschung Neben der Aussprache und der Intonation gilt die Lexik ~ls ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zwischen dem BritE und dem AmE als zwei gleichberechtigten "national varieties" des Englischen in seiner globalen Verbreitung und regionalen Differenzierung. Kontrastive Wortlisten für einfache und komplexe Lexeme beider Varianten nach dem Muster fall vs. autumn (als Beispiel für ein einfaches Lexem oder Simplex), sidewalk vs. pavement, subway vs. underground (als Beispiel für ein komplexes Lexem bzw. eine Wortbildungskonstruktion im Sinne von Fleischer 1982) sind aus den einschlägigen Einführungswerken in das AmE wie auch aus Sprachlehrbüchern bekannt. Phraseologismen als Wortgruppenlexeme und Phraseotexteme haben dagegen in den bisherigen Darstellungen des amerikanischen Wortschatzes eine völlig untergeordnete Rolle gespielt. In Wortlisten für den Fremdsprachenunterricht begegnen nur beiläufig solche Wortgruppenentsprechungen wie AmE fi.rst floor - BritE ground floor; AmE second floor - BritE flrst floor; AmE fi.rst name/ given name - BritE Christian name; AmE legal holiday - BritE public holiday/ bank holiday. Selbst Standardwerke wie die von Galinsky (1951/ 1952) und die neueren Darstellungen von Spitzbardt/ Gräf (1964, 1987), Viereck (1975) und Strevens (1978) widmen den Phraseologismen kein eigenständiges Kapitel. Eine Ausnahme bildet lediglich die knappe Einführung von Janicki (1977), die für den Englischunterricht an polnischen Oberschulen konzipiert ist und einen relativ ausführlichen Überblick über Phraseologismen des AmE und des BritE gibt. Der Autor arbeitet Unterschiede in der Konstituentenstruktur von Phraseologismen in nominativer und z.T. auch in propositionaler Funktion heraus, ohne aber Stilmerkmale zu berücksichtigen oder die Quellen seiner Wortlisten nachzuweisen. So ist aus dem Material nicht ersichtlich, ob es aus Wörterbüchern oder durch Informantenbefragungen gewonnen wurde. Dennoch bietet das Kapitel "Phraseology" mit ca. 120 Phraseologismen, die Janicki nach unterschiedlichen Gesichtspunkten untersucht, einen geeigneten Ansatz für einen Vergleich zwischen britischen und amerikanischen Phraseologismen im einzelnen und für den Stellenwert des Phrasikons in der Beurteilung der beiden nationalen Varianten der englischen Gegenwartssprache insgesamt. FLuL 21 (1992) 92 Rosemarie Gläser Janicki beschränkt sich auf eine Grobklassifizierung phraseologischer Entsprechungen zwischen dem AmE und dem BritE und unterscheidet drei Gruppen: 1. "Expressions with corresponding phraseological equivalents in the other variety" AmE to hem and haw - BritE to hum and haw 'to be undecided' AmE to get the pink slip - BritE to get one's cards 'to be laid off' AmE to look at sb. through rose-colored glasses - BritE to Jook at sb. through rose-tinted spectacles 'to be optimistic' 2. "Expressions which are not at all, or very rarely, used in AE" (das wären "Briticisms" im eigentlichen Sinne) BritE all his geese and swans 'he exaggerates' BritE Dutch courage 'courage caused by alcohol' (im DASCE jedoch ebenfalls verzeichnet) BritE pigs might fly 'it is absolutely impossible' 3. "Expressions which are not, or very rarely, used in BE" (d.h. Amerikanismen im linguistischen Verständnis) AmE according to Hoyle 'properly, according to the rules' (Die Bezugsperson ist hier Edmund Hoyle (1672-1769), der ein autoritatives Buch über das Bridge-Spiel und andere 'indoor games' verfaßte.) Die BritE-Entsprechung wäre das Idiom according to Cocker, nach dem COD 'correct, exact, Cocker famous teacher of arithmetics, died 1675' AmE to go Dutch 'informal, to share the cost of a meal; have each person pay for himself'. (Doch ist dieses Idiom im LDEI bereits verzeichnet und ergänzt durch den Ausdruck Dutch treat 'not formal, a meal, visit to the theatre or cinema, etc., at which each person pays for himself.') Dagegen ist das Idiom to be in Dutch with someone - 'informal, in trouble with someone, in disfavor' eindeutig auf das AmE beschränkt. Von den in den Idiomwörterbüchern ··von Spears (NAID) ·und Makkai verzeichneten Phraseologismen a Johnny-come-lately ('newcomer; someone new in a place or group') und John(n)y-on-the-spot 'a person who is prompt or present when help is needed') ist nur der erstgenannte im BritE üblich, wobei aber kein Hinweis auf die amerikanische Herkunft zu finden ist. Die Mehrheit der von Janicki aufgelisteten Phraseologismen soll im folgenden mit den o.g. britischen und amerikanischen Wörterbüchern verglichen und aus dieser Erkundung die vorläufige Schlußfolgerung abgeleitet werden, inwieweit das AmE ein eigenständiges Phrasikon entwickelt hat. Zur Erhärtung dieser Annahme werden anhand der gesichteten Wörterbücher weitere Phraseologismen des AmE nach bestimmten Sachgruppen bzw. thematischen Feldern untersucht. FLuL 21 (1992) Phraseologismen im amerikanischen Englisch 93 4 Methode Bei dem Vergleich der phraseologischen Wörterbücher des AmE und BritE fällt auf, daß ihr methodisches Vorgehen und ihr theoretischer Ansatz stark differieren in bezug auf 1. die Auswahl des Phrasenmaterials; 2. die Präsentation eines Phraseologismus durch eine allgemeine Umschreibung bzw. durch zusätzliche authentische Textbelege; 3. die Hinweise auf das morphologische und syntaktische Verhalten des Phraseologismus; 4. das System stilistischer Markierungen (d.h. usage labels im Sinne expressiver und .stilistischer Konnotationen) und 5. die Festlegung des Stichworts (head word) und die Verteilung der Querverweise. Die Wörterbücher gehen aber grundsätzlich in der Bestimmung dessen konform, was als Amerikanismus gelten soll: "a custom, .linguistic usage, or other feature peculiar to or characteristic of the United States, its people, or their culture; usage characteristic of American English" . Das LDEI (1979: X) hat hinsichtlich der Aufnahme von Amerikanismen im Vorwort folgende Festlegung getroffen: "American idioms that are not used in Britain are not included in the dictionary. Many American expressions are in common use in Britain; all these are included. in the dictionary." Als Markierung der amerikanischen Herkunft eines Phraseologismus steht der Hinweis "US; United States, American" bei solchen Ausdrücken, die im BritE zwar bekannt sind, deren amerikanisches Gepräge aber noch erkennbar ist ("The expression is used in Britain but will still sound rather American to most British speakers"). Das gilt für solche Idiome wie small potatoes ('coll. chiefly US, a person, people, or thing(s) of no great importance or worth') and out of sight ('sl., chiefly US, very good, used to express great approval of something ... Often spelt outasight to suggest its pronunciation in speech'). Die style markers bzw. usage labels des LDEI zeichnen sich gegenüber den drei anderen Nachschlagewerken durch eine differenzierte Skala von Konnotationen aus. Die expressiven Konnotationen als Wertungskomponenten umfassen hier die Merkmale pompous, derogatory, old-fashioned, euphemistic, humorous, impolite und taboo. Die Konnotationen im Hinblick auf die Stilebene verteilen sich vom literarischen (literary, rhetorical) und förmlichen (formal) Sprachgebrauch bis zur zwanglosen und saloppen Umgangssprache (not formal, colloquial, slang). Das ODCIE (1983) verwendet nur beiläufig die Markierungen GB (British Usage) und US (American Usage), ohne aber im Vorwort darüber zu reflektieren. Auch werden hier weder die stilistischen noch die expressiven Konnotationen als "emotive attitudional markers" weiter expliziert. Dagegen wird stärkeres FLuL 21 (1992) 94 Rosemarie Gläser Gewicht auf die Herkunft der Idiome aus bestimmten Sachgebieten (registers) gelegt: sport, horse-racing, commerce, industrial relations, legal, military, etc. In den beiden konsultierten amerikanischen Idiomwörterbüchern wird die Frage nach möglichen Britizismen im heutigen amerikanischen Phrasikon überhaupt nicht gestellt. Spears äußert sich im NAID (1988: VII) über den Einzugsbereich des Phrasenmaterials in lapidarer Weise: "This dictionary is a collection of the idiomatic phrases and sentences that occur in American English", wobei die historischen oder regionalen Quellen unberücksichtigt bleiben. Das Wörterbuch veranschaulicht jedoch augenfällig, daß die meisten als typisch amerikanisch einzustufenden Phraseologismen auf den unteren Stilebenen auftreten, wobei ihre Markierungen noch durch die Kategorie folksy erweitert werden. Diese unterscheidet sich von den Stilebenen informal und slang durch regionale oder generationsbezogene Besonderheiten: "Folksy refers to expressions that are rural, old fashioned or quaint. You may want not to use folksy expressions in writing" (1988: VIII). Makkais Handbook of Commonly Used American Idioms (1984: X) verwendet als "restrictive usage labels" die bereits in den anderen Idiomwörterbüchem erwähnten stilistischen Konnotationen Jiterary, informal, slang und vulgar, verzichtet aber auf die Kategorie folksy. Statt dessen trifft er eine Differenzierung zwischen substandard ("[which] labels a form chiefly used by less educated people") und non-standard ("[which] means that a phrase is awkward"). Makkais Verteilung der Stilmarkierungen unterscheidet sich zum Teil erheblich von denen in britischen Idiomwörterbüchern. So stuft er beispielsweise das Idiom eager beaver als slang ein; im ODCIE gilt es dagegen als informal; im LDEI fehlt es gänzlich. 5 Korpusanalyse Eine Klassifikation AmE Phraseologismen nach bestimmten Sachgruppen ist nur in groben Umrissen möglich und kann nicht auf eine systematische Konfrontation mit dem BritE auf allen Stilebenen hinauslaufen. Als eine relativ eigenständige Gruppe von Idiomen mit AIDE-Kolorit können solche angesehen werden, die auf die Flora und Fauna sowie auf landestypische Realien Bezug nehmen. Sie sind zumeist mit der Konnotation 'colloquial'. 'informal' oder 'folksy' gekennzeichnet. Bis auf wenige Ausnahmen fehlen sie in den konsultierten BritE Wörterbüchern. Eine andere Gruppe von Phraseologismen bezieht sich auf die Sphäre der Arbeit, des Geldes und auf das soziale Verhalten der Menschen untereinander. Interessant ist eine weitere, in sich noch stärker differenzierte Untergruppe von Idiomen, die einen Eigennamen enthalten und nahezu ausschließlich die Konnotationen der unteren Stilebenen ('colloquial', 'folksy' und 'slang') tragen. Im BritE haben sie keine Entsprechung. FLuL 21 (1992) Phraseologismen im amerikanischen Englisch 95 5.1 Phraseologismen mit Bezug auf landestypische Realien Beispiele für Begriffe aus der Fauna der USA und dem indianischen Brauchtum sind: in a coon's age - 'folksy, in a very long time. (...) The coon is a raccoon' to play possum - 'folksy, to pretend to be inactive, unobservant, asleep, or dead (...) The possum is an oppossum'. 1 high man on the totem pole - 'informal, the person at the top of the hierarchy; the person in charge of an organization' low man on the totem pole - 'the least important person'. 5.2 Phraseologismen aus der Arbeitswelt Die folgenden Phraseologismen beziehen sich auf Arbeitsvorgänge und die Arbeitsorganisation in der modernen Technik. Im BritE sind sie noch nicht eingebürgert. Merkmalhaft sind ihre stilistische Konnotation und ihre gelegentliche Kennzeichnung als ,Klischee', was als Hinweis auf die Gebrauchshäufigkeit der Wendung gelten kann. Die folgenden Beispiele enthalten Nominationen und einige Propositionen: to gum up the works/ to gum sth. up - 'to make sth. inoperable' (to be) asleep at the switch - 'informal, failing to act promptly as expected; not alert to an opportunity (a cliche)' back to the drawing board - 'time to start over again (a cliche)' back to the salt mines - 'time to return to work, school, or something else which might be unpleasant (a cliche)' the daily grind - 'informal, someone's everyday work routine' Eine Untergruppe dieser Idiome beruht auf einer Metonymie; das Werkzeug oder die Entlassungspapiere stehen hier für den Entlassungsvorgang. Beispiele: to give s.o. the ax - 'slang, to fire s.o. from a job'. to give s.o. the sack - 'slang, to fire or dismiss someone' to give s.o. the walking papers - 'informal, to fire someone' to get the pink slip - 'to be laid off'. In dieser Themengruppe sind einige typische AmE-Propositionen angesiedelt: Last in, first out - 'computers, refers to the order of data put in and retumed from the processor'; All systems go/ AII systems are ·go - 'informal, everything is ready'; Don't call us, we call you - 'seiltence, a formulaic expression given to job applicants who have just interviewed or auditioned for a job'. Der amerikanische Ursprung wird im LDEI mit einem relativ ausführlichen landeskundlichen Kommentar versehen: "not formal, referring to the OPPOSSUM, a North American animal that pretends to be dead when threatened by other animals." FLuL 21 (1992) 96 Rosemarie Gläser 5.3 Phraseologismen aus der Geldsphäre Eine weitere thematische Gruppe typischer AmE-Idiome hat Bezug auf Münzeinheiten der USA und bezeichnet Zustände des persönlichen Befindens, die nur mittelbar von finanziellen Faktoren bestimmt sind. Beispiele dafür sind: dime a dozen - 'a cliche, abundant; cheap and common' dolJar for dollar - 'informal, considering the amount of money involved, considering the cost; often seen in advertising' to feel like two cents - 'to feel very bad'. Dieses von Janicki angeführte Idiom ist jedoch in den herangezogenen amerikanischen Nachschlagewerken nicht verzeichnet. Dagegen nachweisbar ist: to feel like a million dollarslto feel like a million - 'cliche; to feel weil and healthy, both physically and mentally,' wobei das LDEI und das ODCIE beide Idiome zwar als 'colloquial', aber nicht als AmE kennzeichnen. Eingebürgert im BritE ist to bet one's bottom dollar (on sth/ that) - '(gambling) stake all the money one has (on sth/ that); be very certain (about sth., that sth will happen)'. Eingeschränkt auf das AmE ist to bet s.o. dollars to doughnuts - 'to bet something of value against something worth considerably less' . 5.4 Somatische Phraseologismen Diese in der amerikanischen Umgangssprache und im Slang geläufigen Phraseologismen bezeichnen Lebensfunktionen des Menschen, vor allem Zustände des Übelseins infolge eines Infekts oder des Genusses von Drogen. Semantisch gesehen, liegt diesen Idiomen eine Metapher oder eine Metonymie als Motivation zugrunde. Auffällig an dieser thematischen Gruppe ist die Vielzahl von Synonymen für den medizinischen Befund "diarrhea", wobei in einigen Beispielen modifizierende Eigennamen auf das Verbreitungsgebiet des Infekts hinweisen. Insofern ist das onymische Element dieser Idiome ein Relations- oder Herkunftsmerkmal; die determinierte substantivische Konstituente enthält jedoch keine denotative Bedeutung im Sinne der Eigenmerkmale. Da sie in einigen Fällen selbst eine Metapher ist, entsteht ein vollständig idiomatisierter Ausdruck, der außerdem auf den unteren Stilebenen angesiedelt ist. Synonyme für "diarrhea" sind: Aztec two step ('specifically that contracted in Mexico or South America by tourists'); Basra belly ('a case of diarrhea'); Delhi belly ('diarrhea, as suffered by tourists in lndia'); Hong Kong dog ('a case of diarrhea'); Montezuma revenge ('tourist diarrhea'). Auch für den somatischen Vorgang "to empty one's stomach; to vomit' stehen dem AmE auf der unteren Stilebene eine ganze Reihe metaphorisch oder metonymisch motivierter synonymer Idiome zur Verfügung. Drastische Metaphern sind: to blow/ to lose/ one's doughnuts; to dump one's load; to shoot the cat. Metonymisch motiviert sind dagegen die Idiome: to bow to the porcelain FLuL 21 (1992) Phraseologismen im amerikanischen Englisch 97 altar ('the porcelain altar is the toilet bowl') und to pray to the porcelain god ('refers to being on one's knees (praying) in front to the toilet bowl'). Auf einen psychosomatischen Zustand nach einem alkoholischen Exzeß bezieht sich das Idiom to bum with a low blue flame - '1. to be heavily alcohol intoxicated; 2. to be quietly and intensely angry.' 5.5 Phraseologismen mit onymischen Konstituenten Eine quantitativ und semantisch bemerkenswerte Untergruppe AmE Phraseologismen sind solche, die einen Eigennamen als Konstituente enthalten und einen realen oder fiktiven Bezug zu einem Ort, einem Landesteil, einer Person, einer Personengruppe oder einem ganzen Volk herstellen. Die in diesen Idiomen vertretenen Eigennamenklassen sind Anthroponyme und Toponyme. Auch hier überwiegen die· stilistischen Konnotationen 'informal' und 'colloquial' . Als thematische Untergruppen der onymischen Idiome zeichnen sich folgende Lebensbereiche ab: (a) allgemeine Situations- und Ortsangaben (b) Bezeichnungen für Vertreter öffentlicher Institutionen und bestimmter sozialer Verhaltensweisen (c) Decknamen für Drogen (d) Bezeichnungen für Genußmittel und Gaststätten. Die in den folgenden Abschnitten genannten Idiome stammen aus dem NAID und repräsentieren eindeutig die unteren Stilebenen. Sie sind gleichzeitig Ausdruck von Gruppensprache. Die Angehörigen der Kommunikationsgemeinschaft der Drogenabhängigen wollen sich durch Decknamen für Barbiturate von der übrigen Sprachgemeinschaft absondern ähnlich wie andere soziale Randgruppen (Stadtstreicher, Terroristen). Nicht zu entscheiden ist anhand der Wörterbuchbelege, ob einige der Idiome der Drogenszene auch der Jugendsprache zuzuordnen sind. Jedoch sind sie alle charakteristisch für das Funktionieren der isolativen Funktion der Sprache. 5.5.1 Onyme in allgemeinen Situations- und Ortsangaben. In den folgenden Idiomen treten sowohl Toponyme auf als auch Appellativa, die in der Funktion eines Toponyms verwendet werden. Beispiele: as busy as Grand Central Station - 'very busy; crowded with customers or other people (this refers to Grand Central Station in New York City)' to be from Missouri - 'to require proof; to have to be shown (something). A cliche. From the Motto of the State of Missouri, the "Show-Me State". back Bast - 'to or from the eastern United States, often north-eastern or New England States' down south - 'to or at the Southeastern United States' out West - 'in the western part of the United States' coast-to-coast - 'from the Atlantic to the Pacific Ocean (in the USA)' FLuL 21 (1992) 98 Rosemarie Gläser Zu erwähnen sind auch Verben, die mit einer onymisch gebrauchten appellativischen Bezeichnung einer Himmelsrichtung gebildet sind: to go Southlto head South - 'to make an escape; to disappear' to go West - 'to die'. Dagegen bedeutet das mit dem onymischen Adjektiv gebildete Idiom to go Dutch - 'informal; to share the cost of a meal; have each person pay for himself.' 5.5.2 Onyme in Bezeichnungen für Vertreter öffentlicher Institutionen und bestimmter sozialer Verhaltensweisen. Ein Teil der nachfolgenden Idiome besteht aus Appellativa, die den Status von Eigennamen angenommen haben. Beispiele für möglicherweise auch scherzhafte Benennungen von Vertretern öffentlicher Institutionen sind: big John und Sam and Dave für 'the police; police officers' (nach Spears auch im Black English üblich). Dif Personifizierung des Appellativums Mr Whiskers bezeichnet 'a federal agent' . Eine andere Gruppe von Idiomen zeichnet sich durch Anthroponyme, im vorliegenden Fall ausschließlich männliche Vornamen, aus. Diese sind entweder Attribute eines Appellativums oder werden ihrerseits durch einen adjektivischen Zusatz (der auch eine Wortgruppe sein kann) attribuiert. Sie bezeichnen einen Charaktertyp oder eine typische menschliche Verhaltensweise. Semantisch gesehen sind diese Anthroponyme eine Spielart der Antonomasie. Beispiele: Joe Blow/ Joe Doakes - 'a typical or average American citizen' Joe Citizen - 'a general term for a male representative of the public' (vgl. deutsch: Otto Normalverbraucher) Joe College - 'a typical or average college student' Joe Six-pack - 'the average guy who sits around drinking beer by the six-pack'. Der Eigenname kann auch mit Hilfe eines charakterisierenden Epithetons gebraucht werden, um einen bestimmten Temperamentstyp zu bezeichnen: a good Joe - 'a good fellow'; a good-time Charley - 'a man who is always trying to have a good experience'; a Johnny-come-lately (inzwischen auch im BritE eingebürgert) - 'someone new to a situation or status'; a simple Simon - 'someone free from drugs, a square'; a square John - 'someone who obeys the rules'; Alibi Ike - 'a nickname for someone who always has excuses or alibis for failures (also a rude term of address)'; bekannt ist der Name außerdem durch eine humorvolle Kurzgeschichte des amerikanischen Sportreporters Ring Lardner. Sekundäre Onyme sind die durch Personifizierung entstandenen Idiome Mr Big - 'an important man; the boss man'; Mr Nice Guy - 'a friendly, forgiving fellow'; Mr Right - 'the one man who is right for a woman'. 5: 5.3 Onyme in Idiomen als Decknamen für Drogen. Die Idiome dieses Themenbereiches enthalten Eigennamen als Konstituenten einer umgangssprachlichen Fachbezeichnung, die man unschwer als Jargonismus einstufen kann. Die nachfolgenden Bezeichnungen der Umgangssprache und des FLuL 21 (1992) Phraseologismen im amerikanischen Englisch 99 Slang stehen für eine Vielzahl von Barbituraten, deren Herkunft als Anbaugebiet oder illegaler Umschlagplatz in einem geographischen Namen dokumentiert ist. Die onymische Konstituente attribuiert ein Appellativum, das aber meist eine Farbbezeichnung oder eine alltagssprachliche Metapher ist und keinen Aufschluß über das Denotat gibt. Insofern sind alle diese Idiome Decknamen und dienen der Verständigung unter den Angehörigen der Drogenszene, die sich auch sprachlich dem Zugriff der Öffentlichkeit entziehen möchte. Die Bezeichnungen für Drogen haben durch die geographischen Namen als Toponyme nur Relationsmerkmale; die als Konstituente vertretene Farbbezeichnung gibt nur eine vage Vorstellung über die Beschaffenheit des betreffenden Pulvers. Insofern enthält keine der folgenden Fachbezeichnungen Eigenmerkmale. Es sind Idiome aus dem NAID. Die Toponyme können auch als deonymische Derivationen auftreten. African black - 'a variety of marijuana from Africa' Cambodian red - 'a reddish brown marijuana grown in Cambodia (drugs)' Chinese red - 'heroin' Colombian gold - 'a potent marijuana from Colombia' Gainsville green - 'a variety of marijuana from Gainsville/ Florida' Kentucky blue - 'marijuana (Kentucky bluegrass)' Manhattan white/ silver - 'an imaginary, white (from lack of sunlight) marijuana that grows from seeds· flushed down the New York City sewer system (jocular)' Mexican brown - 'a brownish Mexican marijuana'. Bemerkenswert sind metaphorische Appellativa, unter denen sogar die Bezeichnungen für Nahrungsmittel als Tarnwörter für Drogen verwendet werden können. Beispiele für Abstrakta als Metaphern: Frisco speedball - 'an injectionable mixture of heroin, cocaine and LSD (Drugs) from San Francisco' · Hawaiian sunshine - 'marijuana grown in Hawai'. Beispiele für Bezeichnungen von Nahrungsmitteln, die als Decknamen für Drogen dienen: Califomia comflakes - • cocaine' Alice B. Toklas brownies - · 'a small square of chewy chocolate cake with marijuana baked in it. (Alice B. Toklas, the companion of Gertrude Stein, devised the recipe)'. Auch Personenbezeichnungen mit einem Titel (etwa einem Adelsrang) können die Funktion eines Decknamens für Rauschgifte übernehmen, z.Z. Prince Albert - 'Cannabis in general'; Lady Snow - 'cocaine' und Lady H. - 'heroine'. 5.5.4 Onyme in Bezeichnungen für Genußmittel und Gaststätten. Einige der mit Eigennamen gebildeten Idiome des AmE beziehen sich auf Genußmittel oder auf Mahlzeiten in Selbstbedienungsgaststätten, in erster Linie auf das Großunternehmen McDonald's. Auch die folgenden Beispiele sind dem DASCE (1989) entnommen. Bezeichnungen für alkoholische Getränke sind: FLuL 21 (1992) 100 Rosemarie Gläser Kentucky com - 'corn, whiskey; moonshine' Kentucky fried - 'alcohoJ intoxicated. (An eJaboration of fried. Based on the trade name "Kentucky Fried Chicken")' Eine humorvolle Bezeichnung ist: Mexican breakfast - 'a cigarette and a cup of coffee or gJass of water'. Als umgangssprachliche Bezeichnungen für die Selbstbedienungsgaststätte McDonald's als Fast-Food Chairi kursieren im AmE Namen wie Mickey D's und McD's bzw. McDuck's. Die letztgenannte Bezeichnung ist unter Schülern und Studenten üblich und eine Anspielung auf die bekannte Walt Disney Figur Donald Duck. Das Idiom Big Mac attack läßt ebenfalls auf Jugendsprache schließen; es steht für 'a sudden and desparate need for a Big Mac sandwich, a product of the McDonald's restaurant chain', wobei Big Mac ein eingetragenes Warenzeichen ist. 6 Phraseologismen als Propositionen Der Überblick über typische Phraseologismen des AmE wäre einseitig, ohne zumindest in einem kurzen Kommentar auf satzähnliche Phraseologismen einzugehen. Einige Propositionen sind in den konsultierten Wörterbüchern enthalten. Dazu gehören vor allem Routineformeln, geflügelte Worte und Losungen. Über amerikanische Sprichwörter liegen inzwischen Spezialabhandlungen vor (vgl. Mieder 1990). · Unter den Routineformeln gibt es offensichtlich deutliche Unterschiede zwischen dem AmE und dem BritE. Vor allem Ausrufe, Aufforderungs-, Erkundigungs- und Kommentarformeln der unteren Stilebenen haben ihr amerikanisches Gepräge bewahrt und sind nicht in das BritE eingedrungen, während andere Routineformeln auf der neutralen Stilebene durchaus in beiden nationalen Varianten verbreitet sind. Das betrifft z.B. ► Ausrufe And how! - AmE/ BritE 'I agree! ' for crying out loud - AmE/ BritE 'coll./ informal, interj., used as an exclamation to show that one feeJs surprised or cross' Blow it out your ear! - AmE 'Go away! ', 'I don't believe it! ' Break a leg! - AmE 'theatrical sJang, Good Juck! This is said to actors before a performance instead of good Juck! ' (deutsch: Hals- und Beinbruch! ) no kidding! - AmE 'sJang, honestly! ' (someone is not joking or Jying) ► Aufforderungsformeln Hold your horses! - AmE 'be careful and circumspect! ' Let it rip! - AmE 'sJang, pay no attention to what happens! ' Get off it! - AmE 'Don't talk nonsense! ' FLuL 21 (1992) Phraseologismen im amerikanischen Englisch ► Erkundigungsformeln Are you holding? / Are you carrying? - AmE interrog. 'Do you have drugs for sale? ' What's the big idea? - AmE 'what's the purpose; what do you have in mind? ' Are you ready for this? - AmE 'Isn't it exciting? Shall I go on? ' ► Kommentarformeln That's the ticket - AmE 'that's exactly what is needed' That's good box office - AmE 'it's commercially acceptable' 101 You've got another think coming - AmE 'sentence, You have made an error. Think again! ' You bet your sweet life! - AmE excl., 'You are absolutely correct! ' ► Gemeinplätze No sooner said than done - AmE informal, 'done quickly and obediently' Money is no object - 'it does not matt.er how much something costs' Money talks informal, 'money gives one power and influence to help get things done or get one' s own away' Gemeinplätze unterscheiden sich von Sprichwörtern unter anderem darin, daß sie keine Lebensweisheit· oder Erziehungsmaxime ausdrücken, sondern zumeist nur eine banale Feststellung enthalten. Unter den Sprichwörtern hat der Austausch zwischen dem BritE und dem AmE bereits eine lange Tradition. Dennoch haben eine ganze Reihe von Sprichwörtern ihren amerikanischen Charakter bewahrt. Als ursprünglich aus dem AmE kommendes Sprichwort gilt: Curiosity killed the cat informal, 'getting nosy may lead a person into trouble'. Das bekannte Diktum: When the going gets tough, the tough get going ist der Leitspruch der Familie Kennedy und wird Joseph P. Kennedy zugeschrieben, dem 'U.S. politician, businessman, and father of the late President'. Außerdem bestehen im AmE und BritE formale Varianten des gleichen Sprichworts, z.B. BritE Constant dropping wears away a stone - AmE Continual dropping wears away a stone; BritE lt you can 't beat them, join them - AmE If you can't lick them, join them. Auf den Einfluß afrikanischer Überlieferung und bedeutender Politiker sowie auf das Brauchtum der Einwanderer im amerikanischen Sprichwortgut geht die Studie von Mieder (1990) ein. 7 Ausblick Von den von Janicki als für das AmE typisch erachteten Phraseologismen (insgesamt 120 Belege) konnten 40 in den konsultierten BritE Idiomwörterbüchern nachgewiesen werden. Diese empirische Feststellung bestätigt, daß es tendenziell nicht nur im Lexikon, sondern auch im Phrasikon zwischen dem AmE und dem BritE einen ständigen Austausch gibt. Damit wird erneut eine Beobachtung erhärtet, die der bekannte Amerikanist Galinski bereits 1952 machen konnte: FLuL 21 (1992) 102 Rosemarie Gläser "So wird es immer schwieriger, am modernen Wortschatz [zu ergänzen wäre: "Phrasenschatz" - R.G.] des AB und des BE, vor allem dem der jungen Generation, festzustellen, was grundlegender Unterschied, was nur Unterschied in der Gebrauchshäufigkeit oder der Sprachebene, was vorläufig noch nicht eingebürgerter „Amerikanismus" im BE, was ein "Britizismus" im AB ist" (1952: 6). Die Sichtung amerikanischer Idiomwörterbücher hat jedoch verdeutlicht, daß die meisten Phraseologismen, die die nationale Eigenständigkeit im AmE bewahrt haben, auf den unteren Stilebenen zu finden sind. Hier entstehen im Sprachgebrauch von Kommunikationsgemeinschaften, von denen das DASCE stellvertretend für viele nur "prisoners, surfers, junkies, Valley Girls, weight lifters, and just plain country folks" (1989: VI) nennt, immer wieder okkasionelle Phraseologismen und insbesondere expressive Idiome. Sie erfüllen zunächst nur die kommunikativen Bedürfnisse einer begrenzten Sprechergemeinschaft. Sobald sie aber im Phrasikon der Sprachgemeinschaft des AmE lexikalisiert sind, besteht auch die Möglichkeit, daß sie bei einer entsprechenden Popularisierung durch Literatur, insbesondere Romane und Kurzgeschichten, durch Hörspiele und Theaterstücke, Unterhaltungssendungen und Schlagerproduktion und nicht zuletzt durch die Massenmedien Eingang in das BritE finden. Bibliographische Angaben AHD = The American Heritage Dictionary. Second Edition. Boston 1985. ARNTZ, R. / PICHT, H.: Einführung in die Terminologiearbeit. Hildesheim/ Zürich/ New York 2 1991. 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The d.ictionaries ·of phraseology or those parts dealing with phraseology in monolingual d.ictionaries which are on the market at the present time only partly meet the demands of foreign users. The classification of the various id.ioms, the definitions and grammatical sociolinguistic restrictions encountered in their usage, techniciµ and typographical aspects cause just as many problems as in the compilation and use of d.ictionaries. The present study aims at listing and bringing to light the above mentioned problems in view to improve and facilitate the usage of these d.ictionaries. 1 Remarques preliminaires Si complets et si bien faits qu'ils paraissent etre, les dictionnaires unilingues generaux ou speciaux phraseologiques - , tout comme les dictionnaires bilingues ne satisferont jamais tout a fait par la nature des choses les utilisateurs etrangers. Dans ce qui suit, nous allons passer en revue quelques problemes et lacunes qui se posent par le traitement lexicographique du materiel phraseologique du fran~ais et auxquels les apprenants etrangers peuvent etre confrontes lors du processus d'apprentissage du fran~is. Ces pensees ne sont pas, bien siir, toutes originales, mais continuent et systematisent d'une part les preoccupations (meta)linguistiques de certains auteurs tels que Burger (1983), Koller (1987), Burger (1989), Ettinger (1989), Schemann (1989) et s'appuient d'autre part sur nos propres experiences faites lors de l'elaboration de notre dictionnaire phraseologique (Bardosi 1986) et de la tres fructueuse collaboration avec le professeur Stefan Ettinger qui en a fait une excellente adaptation pour le public germanophone. 1 Dans le cadre d'un rapide inventaire de ces problemes, il n'est guere possible, ni necessaire d'ailleurs, de s'etendre longuement sur la problematique de la definition de Jocution/ expression figee ou sur celle de la delimitation de collocation, Jocution figee et Jocution proverbiale. En consequence: (a) nous utiliserons ces termes techniques plutöt comme des termes intuitivement presents dans notre esprit2; A paraitre dans Ja serie UTB (Tübingen: Narr). 2 Pour les definitions et Ja terminologie voir entre autres Bally (1905, 1909); Burger (1973); Thun (1978); Burger/ Buhofer/ Sialm (1982); Hessky (1987). FLuL 21 (1992) Problemes poses par Je traitement lexicographique des figes ... 105 (b) nous ne traiterons par la suite ni des collocations du type diametralement oppose, qui sont d 'une toute autre nature que les figes 3 , ni des locutions proverbiales ayant un contenu de "sagesse" du type A cheval donne on ne regarde pas Ja bouche qui, posant grosso modo les memes problemes que les figes4, r~oivent en general un traitement tres semblable a ceux-ci aussi bien du point du vue de leur description que de leur emplacement dans l'article de dictionnaire; (c) ainsi quand nous dirons figes, nous entendrons par 1a un groupement de mots fige (GMF) de type et de figement varies comme par exemple: les constructions verbales 5 les formules stereotypees 6 les cliches situationnels 7 la terminologie specialisee 8 les constructions paralleles 9 les comparaisons 10 les kinegrammes 11 les locutions idiomatiques traditionnelles 12 2 Recensement des problemes porter secours Je troisieme ilge un ange passe Je petit pont sain et sauf copains comme cochons s'arracher les cheveux arme jusqu 'aux dents une poule mouilJee prendre Ja mouche Dans les pages qui viennent, nous allons dresser une liste aussi complete que possible des problemes generaux et speciaux ayant une incidence plus ou moins importante sur le traitement lexicographique des GMF. 3 A ce sujet voir entre autres Bally (1909); Porzig (1934); Firth (1957); Coseriu (1967); Fönagy (1982). · 4 Pour la delimitation de phraseologie et de paremiologie voir par exemple Rodegem (1972); Hessky (1987). 5 Voir entre autres Rohrer (1967); Gougenheim (1971: 56-64); Björkman (1978); Thun (1981: 325-346). 6 Voir Amossy-Rosen (1982); Perrin-Naffakh (1985). 7 Voir surtout Fönagy (1982). 8 Pour ! es problemes de banalisation de la terminologie specialisee voir Galisson (1978). 9 Voir par exemple Diaz (1986); Buridant (1989); Stein (1991). 10 Voir par exemple Bärdosi (1990). 11 Voir Burger (1976: 311-334); Burger/ Buhofer/ Sialm (1982: 56-60). 12 Voir entre autres Bally (1905, 1909); Guiraud (1961); Nazarian (1976); Pilz (1978, 1981); Thun (1978); Burger/ Buhofer/ Sialm (1982); Gross (1982); Misri (1986/ 87); Hessky (1987). FLuL 21 (1992) 106 Vilmos Biirdosi 2.1 La selection des GMF Le choix du corpus phraseologique d'un dictionnaire unilingue ou bilingue reste a l 'heure actuelle malheureusement plutöt subjectif et intuitif dans la mesure Oll excepte peut-etre les statistiques basees sur la comparaison du materiel phraseologique de quelques dictionnaires (cf. Ettinger 1991) il n'y a pas d'etudes detaillees faites sur la frequence des GMF du fran~ais. Faire appel au cours de la redaction de dictionnaires phraseologiques a la fois a la tradition lexicographique (figes attestes dans des dictionnaires fiables) et aux creations continuelles de l'usage linguistique lexicographiquement souvent encore non ou peu decrites du type prendre Ja tete «rendre fou, exceder, s'enerver», inaugurer les chrysanthemes «se livrer a des activites insignifiantes et purement honorifiques, lorsqu'on est dans une situation Oll l'on detient un pouvoir theorique», etc., toutes les deux soumises a une critique constante et severe, semble etre la solution de necessite pour l'instant. 2.2 Ladelimitation et le classement des GMF dans la tradition lexicographique 2.2.1 Les dictionnaires unilingues qui nous servent de point de depart, ont l'habitude de ne delimiter clairement le plus souvent par l'abreviation Joc. ou loc. fig. que les unites figees appelees traditionnellement idiomatiques. Voir les exemples de l'article cuiller dans le Petit Robert (par la suite: PR): serrer Ja cuiller; faire qc. en deux coups de cuiller il pot; etre il ramasser il Ja petite cuiller; ne pas y aller avec Je dos de Ja cuiller, etc. Dans un nombre de cas non negligeable, les dictionnaires unilingues "cachent" les GMF, sans les identifier en tant que tels, parmi les differents sens figures d'un des elements du fige. C'est le cas par exemple du mot but atteindre, toucher Je but; manquer Je but; aller droit au but dans le PR ou le Lexis. Trancher entre emploi figure d 'un lexeme ou locution figee n 'est pas toujours chose facile. Les tests transformationnels proposes par exemple par Ruwet (transformation passive, thematisation, permutation des elements, etc.) peuvent souvent s'averer dans ces cas un outil d'identification efficace (voir Ruwet 1983). II suffit de comparer par exemple: il cherche midi il quatorze heures vs *il cherche quatorze heures il midi. 2.2.2 C'est ici qu'il faut mentionner egalement le probleme du choix des mots-cles des figes, choix qui a une influence decisive sur leur classement lexicographique. En principe on a trois possibilites de classement: 2.2.2.1 On peut poser que le mot-cle sera toujours automatiquement le premier mot du fige (cf. Cellard 1982). On aura du mal a respecter ce principe mecanique par exemple pour les figes dans lesquels le premier element presente des variantes (casser/ briserlrompre les os il qn; mener/ emmener qn en bateau), ou FLuL 21 (1992) Problemes poses par Je traitement lexicographique des figes ... 107 dans lesquels un des premiers elements est facultatif (aller [droit] au fait; [il] faut Je faire). 2.2.2.2 Le mot-cle du fige pourrait aussi fare l'element dont le figement phraseologique est le plus grand, et dont l'apparition dans des figes est par consequent le plus rare (p. ex. queue dans le fige tirer Je diable par Ja queue). Ceci ferait apparaiti'e le fige dans le dictionnaire sous l'element lexicographiquement le moins charge permettant a l'utilisateur de trouver le plus rapidement possible le fige en question. Mais l'existence d'elements facultatifs et le haut degre de subjectivite remettent en cause la realisation consequente ·de ce principe (pour Ja semaine des quatre jeudis le mot-cle serait-il semaine, quatre ou jeudi ? ). 2.2.2.3 Si ni le principe "mecanique", ni le principe de "frequence negative" ne semblent etre realisables, on devra se contenter d'utiliser le principe qui, sans etre bien entendu parfait, pose encore le moins de problemes dans la pratique la preuve en est qu'il est assez largement utilise dans la pratique lexicographique (cf. par exemple Rey/ Chantreau 1989; Schemann 1989) et qui fait appel aux categories grammaticales traditionnelles. Les regles d'ailleurs assez automatiques de ce principe sont faciles a poser: (a) le ·mot-cle du fige est le premier substantif parmi les elements constants du fige (p. ex. eau dans mettre de l'eau dans son vin); (b) si la position du premier substantif est· prise par des elements altematifs (avaler son actelson bulletin de naissancelsa fourchettelsa cuiller), le premier dans l'alphabet (acte) sera considere comme mot-cle sous lequel appanutra le fige, les autres (bulletin, cuiller, fourchette) ne constituant qu'un element de renvoi; (c) .si le fige ne contient pas de substantif ou un element pouvant fonctionner comme tel, on considerera comme mot-cle l'adjectif ou le pronom ou l'adverbe ou faute de ces derniers le verbe. Le verbe vient en derniere position dans cette liste, meme s'il figure dans l'immense majorite des figes, parce qu'il est souvent lexicographiquement trop charge (prendre, faire, 8tre, rendre, mettre, etc.) pour etre operant. Dans certaines langues allemand, hongrois - , on a en plus le probleme des variantes avec preverbe, sans preverbe ou plusieurs preverbes (vki vkinek a vesejebe lat «connaitre qn comme sa poche» vs vki vkinek belelat a vesejebe; vld elott minden ajt6 megnyilik «toutes les portes s'ouvrent devant qn» vs ldnyilik; vld vmit apr6penzre valt [fel]) qui exclut pratiquement l'electicm du verbe comme mot-cle. (d) Seules les comparaisons echapperont a cette regle. Pour des raisons d'efficacite, il vaut mieux les classer sous l'element c o m p a r e, forcement connus par l'utilisateur l'adjectif (triste comme un bannet de nuit sous triste) ou le verbe (mentir comme un arracheur de dents sous mentir) - , et non pas SOUS l'element C O m p a r a n t de nature moins evidente (bannet de nuit ou arracheur de dents). FLuL 21 (1992) 108 Vilmos Bardosi En conclusion, une nomenclature essentiellement nominale, classee alphabetiquement semble s'imposer, car elle favorise le plus la recherche rapide et efficace par les utilisateurs d'un fige donne. 2.2.3 Le classement onomasiologique 13 des figes. Dans le cas des dictionnaires phraseologiques de production, unilingues ou bilingues, la combinaison de la methode de classement alphabetique et onomasiologique semble etre d 'une utilite certaine. Des ouvrages realises dans cet esprit (cf. par exemple Galisson 1984; Bardosi 1986; Fabian 1987; Schemann 1989; Duneton 1990) ont montre qu'a travers un compromis raisonnable des deux methodes de classement il est possible de tenir compte a la fois (a) de l'aspect fonctionnel qui est celui de l'efficacite et de la rapidite de la recherche d'un fige dans le dictionnaire (par le classement alphabetico-semasiologique des figes selon les principes enonces sous 2.2.2} et (b) de l'aspect (epistemo)logique qui est celui de la recherche d'un fige inconnu non pas a partir d 'un de ses elements particulier classe alphabetiquement et en l'occurrence inconnu pour l'usager etranger ou natif - , mais a partir du concept, de la notion qui est capable de "condenser" en un mot ou concept-cle et eventuellement ses synonymes la signification du fige en question. Ces concepts-cles sont en principe universels, virtuellement donnes chez chaque utilisateur. 11 est donc souvent surtout pour un etranger plus facile, quand il a besoin pour un contexte donne (p. ex. pour exprimer la pauvrete, la misere de quelqu'un) d'un fige particulier (p. ex. manger de Ja vache enragee), de le, retrouver non pas a partir de ses elements constituants eux-memes en principe particuliers et inconnus (manger, vache, enragee), mais a partir de la notion determinee par la realite, la situation de communication concrete et qui peut etre formulee grosso modo universellement de la meme fa~on par des utilisateurs tres differents (dans notre exemple: 'pauvrete' ou 'misere'). Le classement onomasiologique pose, bien entendu, de nombreux problemes. A cause d'une part non negligeable d'arbitraire, le systeme doit etre tres souple et tres ouvert. Les concepts-cles et leurs principaux synonymes possibles doivent etre choisis avec precaution afin de faciliter la recherche par les utilisateurs (tous les utilisateurs ne pensent pas forcement tout de suite au meme conceptcle). La liste des concepts-cles ne doit etre ni trop detaillee ni trop sommaire. Des listes onomasiologiques de concepts-cles ne peuvent evidemment pas etre reprises telles quelles d'ouvrages deja existants (cf. par exemple Schemann 1989) et elles ne peuvent pas etre fabriquees a priori non .plus. Chaque dictionnaire devra elaborer sa propre liste des concepts-cles conformement a son corpus, parallelement au travail de redaction et avec la possibilite de la completer, de la corriger a tout moment du travail. 13 Pour l'historique de la concurrence de la methode semasiologique et onomasiologique dans le travail lexicographique voir entre autres Baldinger (1960, 1964) et Heger (1965). FLuL 21 (1992) Problemes poses par Je traitement lex.icographique des figes ... 109 2.3 Les marques d'usage des GMF On ··appelle marques d'usage l'ensernble des inforrnations cornplernentaires d'ordre sociolinguistique, gramrnatical et gestuel precisant les rnodalites d'ernploi d 'un GMF. Elles sont particulierernent precieuses pour taut utilisateur et pour ainsi dire inevitables pour les etrangers desireux de bien apprendre le rnaniernent des figes d'une langue etrangere. 2.3.1 Les jugements sociolinguistiques ou Jes marques diastratiques. En ce qui conceme les jugements de type sociolinguistique, on peut constater qu'a propos de la qualification diachronique ou diastratique d 'un fige il y a des differences notables entre les dictionnaires disponibles sur le rnarche ce qui parait bizarrernent presque normal et souvent des inconsequences inquietantes a l'interieur d'un rnerne dictionnaire. Voici quelques exernples concrets: piquer un renard est considere par le PR comme »vieilli« seulernent, alors que le Lexis le donne pour »vieux« et le Dictionnaire du fran~ais (Hachette) ne l'enregistre rnerne pas; danser devant Je buffet n'a pas de qualification dans le PR, il est par contre donne »pop.« dans le Lexis; sucrer Jes fraises est tantöt rnarque »pop.« saus fraise ....; . tantöt »farn.« sous sucrer dans le PR. Ces differences et inconsequences proviennent surtout · du fait que les rnarques stylistiques etablies au niveau du systerne de la langue ne sont evidemrnent pas d'une valeur absolue et que par consequent il n'est pas toujours facile de constater si la qualification sociolinguistique se rapporte a un element du fige (haro est bien un rnot »archai"que« dans crier haro, gueule est apparemrnent »farnilier«, peut-etre rnerne »vulgaire« dans avoir une gueule a caler des roues de corbillard) ou au fige lui-rnerne (pourquoi il y a de l'eau dans Je gaz en tant que tel serait-il »farnilier« ou etre blanc comme un pied de lavabo »ironique«? ). Dans ces deux derniers exernples, les qualifications »farnilier«, »ironique« ne se rap~ portent surernent pas a un element du fige, elle ne sont pas non plus une qualification constante et en quelque sorte innee du fige lui-rnerne. Dans ces cas-la, c'est plutöt la place respective des participants de la comrnunication dans une hierarchie sociale qui peut deterrniner la valeur stylistique farniliere du fige ou une caracteristique hurnaine concrete (blancheur du teint) qui peut declencher dans une situation de comrnunication concrete une reaction verbale ironique. Et n'oublions pas, pour clore ce sous-chapitre, que les problernes poses par le choix de la qualification sociolinguistique auront forcernent une influence non negligeable sur les equivalents dans un dictionnaire bilingue (un bon equivalent dans une L2 quelconque supposant aussi forcernent une equivalence stylistique assez nette). II serait egalernent a rernarquer que dans les differentes langues les lexicographes travaillent avec des qualifications stylistiques souvent tres differentes. Les differences ne concement pas seulernent le nornbre des categories utilisees, rnais aussi les valeurs fonctionnelles des categories apparemrnent identiques. La qualification »pop.« des dictionnaires franc; : ais represente par FLuL 21 (1992) 110 Vilmos Bardosi exemple un registre tout a fait different de son equivalent hongrois mot-a-mot »nep.« (populaire), terme extremement ambigu, difficilement maniable, et semble-t-il reserve plutöt pour qualifier ce qui est utilise de fa9on naturelle, directe surtout parmi les gens de la campagne, alors que cette qualification »pop.« parait ne pas avoir d'equivalent du tout en allemand. Pour resoudre ce genre de problemes, il vaut mieux renoncer a une differenciation trop poussee des qualifications stylistiques et utiliser donc moins de termes mais des termes bien choisis et claires (p. ex. la serie arg., lit., fam., iron., vuJg.) pour qualifier uniquement ce qui s'ecarte de fa~on evidente et prononcee d'un usage linguistique neutre au sens large du terme. 2.3.2 Les infonnations grammaticales. Une quantite importante d'emplois incorrects des figes commis surtout mais non exclusivement par les utilisateurs non francophones provient du fait que les dictionnaires fournissent peu d'informations, ou meme aucune, sur les differentes restrictions d'ordre grammatical des figes. Sans pretendre a l'exhaustivite, on mentionnera au passage eing types de problemes: 2.3.2.1 Restrictions sur Je sujet du GMF. Tout d'abord, on ne trouve en general aucune indication dans les dictionnaires sur la nature anime ou non anime, l'äge ou le sexe du sujet des figes, ce qui peut entrainer des emplois fautifs de la part des etrangers. 11 serait donc utile de signaler, chaque fois que c'est necessaire, que par exemple n'avoir ni queue ni tete, etre cousu de fi.J bJanc se construisent obligatoirement avec un sujet nom de chose, que avoir bon pied bon oeiJ est utilise pour qualifier un vieillard, que etre haut comme trois pommes, rire aux anges supposent normalement un sujet enfant excepte bien sur un emploi ironique - , que se creper Je chignon, avoir des doigts de fee ne se dit que de femmes, et qu'il n'y a que des individus de sexe masculin qui se rincent J'oeiJ en voyant une belle femme ou qui sont comme un coq en pate. 2.3.2.2 Restrictions dans Ja forme du verbe. 11 serait egalement d'une utilite certaine si les dictionnaires indiquaient que seule telle ou telle forme verbale et non telle autre est possible dans le fige en question. Quelquefois une forme lexicographique differente de l'infinitif l'indique deja (ceJa fera du bruit dans Landemeau), mais il ne serait pas inutile de reprendre l'information entre crochets et preciser ainsi qu'il faut par exemple obligatoirement dire a l'imperatif occupe-toi de tes oignons, une forme lexicographique infinitive *s'occuper de ses oignons etant inimaginable, que ne pas etre dans son assiette, ne pas se moucher du pied s'emploient presqu'exclusivement au negatif, que c'est du nougat! , ce n'est pas demain Ja veille! s'utilisent uniquement a l'exclamatif, que qu 'alJait-iJ faire dans cette galere? , ou ai je Ja tete? existent seulement sous la forme interrogative, que avoir maille a partir avec qn s'emploie surtout au FLuL 21 (1992) Problemes poses par Je traitement Jexicographique des flges ... 111 passe, que il ne ferait pas mal a une mouche, on entendrait une. mouche voler ne se disent qu'au conditionnel, que dans c'est ici que les Atheniens s'atteignirent le verbe est pratiquement inexistant sous une autre forme, que ne conmu"tre qn ni d'Eve ni d'Adam est dans la plupart des cas utilise a la premiere personne du singulier et comme reponse a une question, etc. 2.3.2.3 Co-reference du possessif. La forme lexicographique traditionnelle des figes est en francais, comme on le sait bien, l'infinitif ou ! es formes possessives apparaissent a la troisieme personne. Ainsi pour les non francophones les figes dire ses quatre verites a qn et etre dans tous ses etats sont identiques alors que du point de vue de leur fonctionnement ils sont loin de l'etre: dans le premier le determinant possessif ses est toujours invariable, dans le second il est variable. Et une fois de plus les dictionnaires ne renseignent pas sur ce point les utilisateurs. 2.3.2.4 Transfonnation pronominale. Comment pourrait-on attendre qu'un etranger puisse individualiser l'utilisation d'un fige en faisant par exemple correctement, dans un contexte donne, la transformation pronominale de de qn du fige apporter de l'eau au moulin de qn si meme les natifs hesitent la-dessus. Est-ce il a apporte de l'eau a mon moulin ou i1 m'a apporte de l'eau au moulin ou les deux, et si les deux formes coexistent, quelle est leur distribution? Le dictionnaire ideal devrait elaborer egalement un systeme d'indications univoque pour regir aussi ce genre d'hesitations. 2.3.3 Un cas special: Jes GMF pouvant etre accompagnees de gestes. Nombre de figes (mon oeil, je touche du bois, mon petit doigt me l'a dit, va te faire cuire un oeuf, en avoir ras Je bol, etc.) peuvent etre accompagnes de gestes (cf. par exemple Calbris/ Montredon 1986). Il est bien evident qu'il est difficile sinon impossible de donner dans un dictionnaire analogique unilingue ou, a plus forte raison, dans un dictionnaire bilingue, une description detaillee ou une illustration du geste en question. 11 serait par contre possible, voire souhaitable d'ajouter une marque conventionnelle < + geste > par exemple, juste pour signaler a l'utilisateur qu'il se trouve en face d'un fige d'un emploi un peu particulier, quitte ensuite a se reporter eventuellement a un dictionnaire specialise. 2.4 La ,paraphrase des GMF 2.4.1 Dans le cadre de cet article il n'est ni possible ni necessaire d'ailleurs de traiter en detail de la problematique tres complexe de la signification phraseologique. Les recherches semantiques des dernieres annees (Burger 1983, 1988; Kromann 1987, 1989; Kühn 1984, 1989; Püschel 1984; Viehweger 1983; Wiegand 1981) ont permis de degager les principaux Jacteurs determinant la description lexicographique ideale de la signification phraseologique. La lecon la plus FLuL 21 (1992) 112 Vilmos Bardosi importante a en tirer est peut-etre qu'on ne peut pas elaborer un systeme de description homogene contenant des points de vue applicables generalement et automatiquement a tous les figes. La description de la signification phraseologique doit donc etre en fonction de la nature du fige en question d 'ordre semantique et/ ou pragmatique. Dans la majorite des cas, il est relativement facile de donner une description ou definition semantique, referentielle plus ou moins exacte (cf. Bemet/ Rezeau 1989: 15) des figes (prendre Ja mouche «se mettre brusquement en colere») meme s'il y a, malheureusement, quelquefois des differences sensibles entre les dictionnaires pour paraphraser tel ou tel fige tres polysemique (cf. par exemple avoir pignon sur rue, tenir Ja dragee haute a qn, etre au bout dulde son rouJeau, etc.). Dans l'interet des utilisateurs, le dictionnaire ideal doit tout faire pour reduire au minimum les ambiguites dans les definitions. Remarquons au passage que la description semantique ne devrait jamais consister a donner comme equivalent un simple lexeme ou encore moins un autre fige qui constituera un obstacle supplementaire a la comprehension du fige de depart (cf. tenir Ja dragee haute a qn «tenir tete a qn» dans le PR). Ainsi, autant que c'est possible, il faut s'efforcer de mettre dans la glose des elements de precision d 'ordre expressif qui peuvent nuancer l'emploi du fige en question en faisant apparaitre le point de vue du locuteur. Ainsi, par exemple dans la paraphrase du fige familier casser du sucre sur Je dos de qn il faut souligner que quelqu 'un dit du mal de quelqu 'un en son absence. 2.4.2 11 faut distinguer ensuite un groupe de figes dont la paraphrase ne peut etre donnee qu'a un niveau qu'on appellera pragmatique ou communicatif. En effet, un fige comme un ange passe ne peut pas etre paraphrase de la meme faeon que prendre Ja mouche et avoir comme definition: *«un silence gene se fait soudain». 11 faudrait plutöt donner des commentaires du type: < remarque du locuteur lorsqu'il se produit dans une conversation un silence gene et prolonge > . Ce genre de paraphrase devrait etre distingue, meme typographiquement par des chevrons par exemple, des paraphrases .dites semantiques. 2.4.3 11 existe encore un troisieme groupe de figes, numeriquement peut etre moins important, dans le cas desquels on a besoin aussi bien d 'une paraphrase semantique que d'un commentaire pragmatique. Le fige en faire voir a qn de toutes Jes couleurs peut avoir a la fois une description semantique - «lui faire supporter toutes sortes de choses desagreables» et une description pragmatique au sens ·de < menace > . 2.5 Aspects technico-formels Les problemes de contenu souleves jusqu'ici sont evidemment inseparables d'un certain nombre de facteurs typographiques, redactionnels (structuration de l'ar- FLuL 21 (1992) Problemes poses par Je traitement lexicographique des figes ... 113 ticle de dictionnaire, choix des polices de caracteres, abreviations et symboles, etc.) qui doivent mettre en evidence les decisions prises au niveau du contenu et qui determinent ainsi dans une mesure non negligeable l'utilisation et la praticabilite du dictionnaire. Les etudes portant sur ces aspects formels (cf. entre autres Kromann 1987, 1989) ont insiste sur le fait que, bien entendu, plus l'article de dictionnaire est typographiquement differencie c'est-a-dire les grandes unites telles que mot-cle, marque socio-stylistique, forme lexicographique du fige, sa paraphrase metalinguistique, exemple ou citation pour l'emploi du fige, conceptcle onomasiologique (eventuellement), equivalent dans une L2, etc. sont distinguees - , plus· il est maniable. Les lexicographes et les editeurs ne devraient jamais negliger cet aspect de la fabrication de dictionnaires. 3 Conclusions Au terme de ce rapide tour d'horizon des problemes theoriques, pratiques et techniques poses par le traitement lexicographique des figes, qu'il nous soit permis de rappeler au moins deux points pertinents: (a) un dictionnaire phraseologique ou un dictionnaire analogique unilingue avec des sections phraseologiques importantes mettant l'accent a la fois sur la quantite et la qualite des informations d'ordre grammatical et sociolinguistique, utilisant des symboles clairs et une typographie transparente, servirait mieux la cause des utilisateurs natifs ou etrangers qu 'un dictionnaire ne visant que la quantite des figes decrits; (b) tous les facteurs dont on vient de traiter n'ont pas seulement une influence decisive sur la forme et le classement lexicographique des figes dans un dictionnaire unilingue, mais ils doivent evidemment etre toujours consideres par les redacteurs de dictionnaires bilingues dans le choix des equivalents en L2. On n'insistera jamais assez sur le fait que, meme dans les cas apparemment les plus simples, un ou plusieurs de ces facteurs peuvent etre la, de fa~on plus ou moins latente, et rendre difficile, le cas echeant meme impossible, de trouver l'equivalent total cas ideal bien entendu d'un fige dans une autre langue. Bibliographie AMOSSY, R. / ROSEN, E.: Le discours du cliche. Paris 1982. BALDINGER, K.: "Alphabetisch oder begrifflich gegliedertes Wörterbuch? ". In: Zeitschrift für Romanische Philologie 76 (1960), 521-536. BALDINGER, K.: «Semasiologie et onomasiologie». In: Revue de linguistique romane 28 (1964), 249-272. BALLY, Ch.: Precis de stylistique. Esquisse d'une methode fondee sur l'etude du franfais moderne. Geneve 1905. FLuL 21 (1992) 114 Vilmos Bardosi BALLY, Ch.: Traite de stylistique franfaise. 2 vol. Paris 1909. BAR.DOS! , V.: De fiJ en aiguille. Kalandozas a francia sz61asok vilagaban. (Recueil thematique et Iivre d'exercices sur / es locutions franfaises). Budapest 1986. 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In view of foreign Janguage teaching becoming more oriented towards the Jearners and Jeading to a more communicative and interactive Janguage teaching, the author proposes a pragmatic turn in the discussion about idiomaticity which wouJd Jead to the conclusion that really "authentic" foreign language teaching wouJd have to be realJy "idiomatic". C'est Ja «parlerie» de Heidegger, Je «on» et, pour tout dire, Je regne de l'inauthenticite. Et, sans doute, bien des auteurs ont effleure, en passant, erafle Je mur de l'inauthenticite, mais je n'en connais pas qui en ait fait, de propos delibere, Je sujet d'un livre: c'est que l'inauthenticite n'est pas romanesque. [...] Nathalie Sarraute nous fait voir le mur de J'inauthentique; eile nous le fait voir partout. Et derriere ce mur? Qu'y a-t-il? Eh bien justement rien. Rien ou presque. Des efforts vagues pour fuir queJque chose qu'on devine dans l'ombre. L'authenticite, vrai rapport avec Jes autres, avec soi-meme, avec Ja mort est partout suggeree mais invisible. (J.-P. Sartre im Vorwort zu Portrait d'un inconnu. Paris: Gallimard 1956: 11) O Vorbemerkungen zum Status fremdsprachendidaktischer Nomenklatur Die Geschichte des Fremdsprachenunterrichts zeigt, daß das Lehren und Lernen fremder Sprachen keineswegs einer kontinuierlichen Verfeinerung, ja Vervollkommnung zustrebt, sondern daß wellenförmig und schubweise verabsolutierte Lehrkonzepte, die sich scheinbar aus neuen Erkenntnissen relevanter Bezugswissenschaften ergeben, didaktisch-methodische Leitfunktion übernehmen. Diese Außenstehende sowie „exakte" Wissenschaftler eher irritierende Entwicklungsgeschichte fremdsprachlicher Bildung und Erziehung hat Hüllen in einem FMF- Beitrag 1980 unter dem Titel „Dauer und Wechsel in 100 Jahren Fremdsprachenunterricht" (Hüllen 1981) beispielhaft dargestellt. Die wissenschaftlichen Grundlagen des Fremdsprachenunterrichts sind kaum mehr als ein pragmatisch, das heißt auch ideologisch gesteuerter Synkretismus, FLuL 21 (1992) 118 Franz Rudolf Weller mit regelmäßigen dogmatischen Rückfällen und angeblich neuen Perspektiven, wobei postulierte und tatsächliche Unterrichtspraxis sich weit voneinander entfernen. Von dem einen Kap der guten Hoffnung geht der Pendelschlag bald zu einem anderen Sesam über, der sich häufig in Form eines dichotomischen Begriffsgegensatzes manifestiert, der nur sehr eingeschränkt etwas mit wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritten zu tun hat. "Direkte Methode", "Einsprachigkeit", "Kommunikative Kompetenz", "alternativ", "kreativ" und „interaktiv", "audiovisuell" und „bilingual" sind solche fachdidaktischen Schlagwörter, deren häufiger Gebrauch Fortschrittlichkeit und Modernität des Fremdsprachenunterrichts suggerieren soll. Die neuesten Fetische heißen „Superlearning" und „Suggestopädie" 1 wieder New Ways to leam a foreign language (vgl. den Titel von Hall 1966). Verdient eine solche „Hokuspokus"-Didaktik, die sich permanent selbst um ihre wissenschaftliche Glaubwürdigkeit bringt, beachtet und anerkannt zu werden? Terminologische Aufklärungsarbeit ist hier vonnöten, damit die Verständigung zwischen den Gesprächspartnern nicht dadurch ständig beeinträchtigt wird, daß der eine den „Prädikator" anders verwendet als der andere. Im folgenden soll zunächst von einer die fremdsprachendidaktische Literatur seit mehr als zwanzig Jahren beherrschenden Zauberformel die Rede sein, Authentizität, «cette nouvelle Amerique de la didactique des langues», wie Besse (1984: 647) in kritischer Distanz formuliert. 1 „Authentisch" als fremdsprachendidaktische Kategorie Seit mehr als zwei Jahrzehnten scheinen einige Fremdsprachendidaktiker und Autoren fremdsprachlicher Lehr-/ Lernmittel das Heil im Prinzip der „Authentizität" zu sehen, mit dem auch Schulbuchverlage gern ihre Produkte anpreisen, z.T. schon im Titel (vgl. Werlich 1986). In den Fachzeitschriften häuften sich geradezu "inflationär" einschlägige Titel-Formulierungen. Die folgende unkommentierte Auflistung hat rein demonstrativen Charakter: ",Authentizität' und ,Akualität' in Texten für den Fremdsprachenunterricht" (Gutschow 1977); "Konfigurationen authentischer Sprachtätigkeit im Englischunterricht" (Piepho 1977); "Authentischer Fremdsprachenunterricht - Einige Anmerkungen" (Henrici 1980); "Authentizität und Lehrbarkeit" (Petersen 1980); "Authentische Texte im Russischunterricht", (Nolda 1982); "How authentic can (and should) 'authentic' texts be? " (Alexander 1983); "Authentische Texte in der Sekundarstufe I" (Düwell/ Rüttgens 1983); "Authentisches im Fremdsprachenunterricht" (Löschmann/ Löschmann 1984); "Authentizität als fremdsprachendidaktischer Begrifr' (Beile 1986); "Fetisch ,authentischer Text'? " (Rück 1986); "Authentische Bildergeschichten im Englischunterricht" (Siekmann/ Hellwig 1987, 1988); "Die Spracherwerbsstufe als Vorbereitung 1 Über einen in unserem Zusammenhang kuriosen Unterrichtsversuch mit Studenten/ Studentinnen berichtet Bollhöfer (1985). FLuL 21 (1992) Wie ,authentisch' ist ,idiomatisches' Französisch? 119 auf die Arbeit mit authentischen Texten in der Aufbaustufe" (Raue 1987); "Wie authentisch sind Dialoge in den Lehrwerken? " (Gross 1989). Der Begriff scheint selbst bei den Altphilologen Fuß gefaßt zu haben. Unter der Kapitelüberschrift „Das Prinzip des Authentischen" heißt es im Handbuch für den Lateinunterricht. Sekundarstufe I: "Sprach- und lempsychologisch begründet ist die Forderung, Latein nicht jahrelang an künstlichen Texten zu erlernen, sondern möglichst früh über bestimmte Adaptionsstufen an Originallatein heranzuführen" (Höhn/ Zink 1987: 21). Das mittelalterliche "authenticus" (eigenhändig, urschriftlich, verbürgt) ist im Französischen ursprünglich in der Rechtssprache beheimatet (un acte/ un testamentlun contrat authentique) im Sinne öffentlicher Beurkundung; in einem weiteren fachsprachlichen Sinne bei Kunst- und Antiquitätengeschäften auch als Originalitätsbzw. Echtheitssiegel belegt (un livre authentique, un Rembrandt authentique). Daran schließen sich in neuerer Zeit weitere mehr oder weniger metonymisierte Bedeutungen an: «dont l'origine et la nature sont bien etablies», «dont l'origine (epoque, fabrication, lieu) ne fait pas de doute», «conforme a certaines regles de fabrication, au modele du genre» (vgl. Tresor de Ja Jangue fran~se. Bd. III, 1974: 970). Beachtung in unserem Zusammenhang verdient die den Artikel AUTHENTIQUE abschließende Bemerkung im Grand Robert (Dictionnaire alphabetique et analogique de Ja Langue fran~se. Bd. I, 1966: 339): «AUTHENTIQUE a recu, a travers les siecles, diverses acceptions qui s'ecartent plus ou moins du sens original». Zu dieser terminologischen Konfusion haben auch zahlreiche deutsche Fremdsprachendidaktiker durch simplifizierende und unbedachte Veröffentlichungen beigetragen. Vor genau 10 Jahren resümierte Besse, ein scharfer Kritiker der naiv-emphatischen Authentizitätsgläubigkeit der siebziger Jahre, die Situation dieser «confusion qui regne dans les. discours didactiques actuels sur la notion d'authenticite», wie folgt: «L'adjectif authentique a connu, depuis dix ans, une vogue didactique que ne justifie pas son efficience pedagogique dans l'apprentissage des langues etrangeres» (Besse 1982: 16). Wann und in welchem fremdsprachentheoretischen Begründungszusammenhang Authentizität in die fachdidaktische Diskussion eingeführt worden ist, darüber hat m. W. bisher nur der ehemalige Chefredakteur der Zeitschrift Le Franfais dans Je monde, A. Reboullet, spekuliert. Im Themenheft Le document sonore authentique dans Ja classe de franfais, langue etrangere» (145/ mai-juin 1979) schreibt er lapidar: «[... ] la mode de l'authentique, dans l'etude du fran- ~ais, langue etrangere est nee en 1968» (15). Das Adjektiv erscheine erstmals 1970 in einem Aufsatz derselben Zeitschrift: «Textes et documents authentiques au Niveau 2» (Coste 1970). Die Eingangsdefinition des „authentischen Textes" hat Schule gemacht: «Vaste ensemble des messages ecrits et oraux produits par des francophones pour des francophones» (Coste 1970: 88). Die dann folgende eigene Einschränkung hat nicht verhindern können, daß die eingangs zitierte dogmatische Kurzformel ein Jahrzehnt lang den Fremdsprachenunterricht bestimmte, der wesentlich ein Unterricht mit Texten ist: «'Authentique' comme 'libre' entre dans la serie de ces adjectifs valorisants, trop connotes pour etre honnetes, et parait opposer la purete native du texte a l'obscure perversion de tout ce qui n'est pas lui» (Coste: a.a.O.). FLuL 21 (1992) 120 Franz Rudolf Weller "Authentizität" suggeriert etwas Echtes, der Begriff ist positiv besetzt und setzt Konnotationen frei, die seiner Verbreitung förderlich und somit als äußerst erstrebenswert erscheinen. Raue (1987: 25) betont die motivierende Bedeutung für die Mittelstufenschüler, die sich mit ,richtigen', d.h. authentischen Texten befassen können. Dabei ist ausdrücklich von Texten die Rede, "die nicht für sprachpädagogische Zwecke verfaßt sind" (25). Düwell/ Rüttgens (1983: 496) kontrastieren in dichotomer Vereinfachung „Texte, die eigens für Unterrichtszwecke konstruiert sind" mit dem Prinzip der Authentizität „als umgreifendes Charakteristikum sowohl der Textrezeption als auch der Textproduktion im Rahmen außerschulischer, alltagssprachlicher Kommunikationsvorgänge und Verwendungszusammenhänge verstanden". Aus mehreren Gründen hätten demzufolge Ionesco (Exercices de conversation et de diction franfai_ses pour etudiants americains) und Robbe-Grillet (Le Rendez-vous/ Djinn) nicht-authentische Texte verfaßt, es sei denn, sie würden im Sinne des folgenden Belegs in einem französischen „Originallehrbuch" abgedruckt: "Unter dem Gesichtspunkt der Authentizität kommen für den englischsprachigen Fachunterricht nur englische bzw. amerikanische Originallehrbücher in Frage" (Eltzschig 1980: 211). Gelegentlich wird authentisches Französisch global mit Sprechfranzösisch (im Gegensatz zum Schriftfranzösisch) gleichgesetzt (so bei Hausmann). Als authentische Texte gelten im Sinne eines stärkeren Realitäts- und Aktualitätsbezugs des Fremdsprachenunterrichts vor allem auditive und visuelle Medientexte (Zeitung, Fernsehen, Radio, Film, Karikatur, Grafitti u.a.), aber natürlich auch literarische Texte, die ein "authentisches" Bild vom Ausland vermitteln und gewährleisten sollen: "Authentische Texte sind die vorrangigen Medien des kulturellen Lernens" (Bludau 1986: 15). Auch die leidige Frage der Kürzungspraxis (nicht nur bei literarischen Texten) wird in diesem Zusammenhang neu ins Spiel gebracht. Bezüglich der Ausgangstexte für textverarbeitende Aufgaben ist es nach Götz/ Mühlmann (1988: 518) "selbstverständlich, daß es sich dabei stets um authentische, d.h. (in sich) ungekürzte sowie nicht auf andere Weise adaptierte Texte handelt. " 2 Dieser monotonen Bedeutungszuweisung des Begriffs entspricht auch der allgemeine Tenor der Erwähnungen von "Authentisch" in den mehr als 30 Artikeln des Handbuchs Fremdsprachenunterricht (Bausch et al. 1989), welche lt. Register den Begriff thematisieren sollen. Bei genauerer Durchsicht erkennt man, daß es keinen speziellen Artikel gibt, in dem „Authentisch" als fremdsprachendidaktischer Terminus (so es denn einer wäre) problematisiert wird. Dort ist von „authentischen Daten", "authentischer Fremdsprache", "authentischer Alltagssprache", "authentischem Sprachverhalten" die Rede, ohne Explizierung des Gemeinten. Zur Funktion von Pressetexten heißt es bei Firges/ Melenk pleonastisch: "Als authentische Texte haben sie den Charakter 2 Ganz anders argumentiert Hill (1987: 8): "But, in spite of the attractions and advantages of the 'real thing', it will be necessary, for reasons pedagogically more urgent than the desire for authenticity, to modify the document we find." FLuL 21 (1992) Wie ,authentisch' ist ,idiomatisches' Französisch? 121 von echten Quellen der Information" (439). "Authentisch" wird im Handbuch Fremdsprachenunterricht nicht nur durch den native speaker als Autor des Textes/ des Dokumentes bestimmt, sondern auch durch den Anlaß und den Kontext der Sprachverwendung: "Realbezug des Erlernten" (Raasch, 92), "außerunterrichtlich" (Edmondson, 144), "nicht didaktisiert" (Nissen, 235), "im Unterrichtsablauf nicht eingeplant" (Schiffler, 415). Der allenthalben feststellbare geradezu „inflationäre" Gebrauch des Adjektivs ist weniger das Ergebnis einer wissenschaftsnahen Sachanalyse als ein erneuter Fall modischer Didaktisierung eines Fremdbegriffs, der keine „echte" Funktion im Fach erfüllt. "Authentizität" des "authentischen" Gebrauchs "authentischer" Texte im Fremdsprachenunterricht: das heißt, konsequent zu Ende gedacht, daß nichts im· Fremdsprachenunterricht authentisch ist, auch wenn diese Grundwahrheit immer wieder bestritten wird. Ich zitiere noch einmal Besse (1981: 29): «II s'agit moins d'un concept rigoureusement defini que d 'une notion dont les caracteres incertains renforcent la seduction». Statt von „authentischen Texten" kann allenfalls von deren "authentischer" Vermittlung die Rede sein, d.h. der Art und Weise, wie der Lehrer mit ihnen umgeht. Petersen warnt vor der Illusion zu glauben, ,.durch Präsentation authentischen Sprachmaterials im Schüler die Fähigkeit zu authentischem Sprachverhalten zu bilden" (1980: 203). Authentisch werden Texte dann, "wenn sie für die Herstellung eines personalen Verhältnisses von Lehrer/ Schüler etwas hergeben und hermeneutischer Bearbeitung zugänglich sind" (203 t). Man kann die reale Position vertreten, die ganze fremdsprachliche Unterrichtssituation habe mit „Authentizität" wenig zu tun; die reale Klassensituation mit X Schülern an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit hat andererseits einen unbestreitbar „authentischen" Charakter. In einer unserem Thema gewidmeten Fortbildungsveranstaltung mit Französischlehrern extemporierte eine französische Kollegin (sinngemäß): «Est authentique tout travail qui poursuit un but reel; tout texte produit dans un but autre que celui d'etre lu et note par le prof». Später fügte sie ergänzend hinzu: «Dans le cadre de la classe toute communication meta-scolaire est authentique». Sie nannte als Beispiele Sätze wie: J'ai oublie mon cahier, j'ai ete malade, ouvrez Ja fenetre. Heute ist es nur noch von historischem Interesse, was Coste/ Galisson (1976: 59) in ihrem Dictionnaire de didactique des langues zu Autbentique formuliert haben. Weiterhin gültig ist von dem Eintrag der 1. Satz der "remarque b": FLuL 21 (1992) Authentique adj. EN DIDACTIQUE DES LANGUES, se dit de tout document, sonore ou ecrit, qui n'a pas ete con~u expressement pour la classe ou pour l'etude de la langue, mais pour repondre a une fonction de communication, d'information, ou d'expression linguistique reelle. Un extrait de conversation enregistree, un article de journal, une page de Balzac, un poeme, un communique de presse, un tract politique, une reclame, un mode d'emploi, un panneau publicitaire, sont 122 Franz Rudolf Weller des documents authentiques. Authentique s'oppose a « fabrique pour Ja classe ~, mais ne signifie pas necessairement nature! ou spontane. L'acces progressif aux textes authentiques est un des objectifs du niveau 2. REMARQUES a/ Comme 1a plupart des documents authentiques sont arraches au support situationnel dans lequel ils fonctionnent normalement, leur emploi dans la classe est forcement lie a une situation fictive ou meme artificielle ; il n'y a .donc d'authentique que le document. bl Ce terme est trop souvent galvaude. Par exemple, certaines prefaces de manuels qualifient abusivement d'authentiques les dialogues d'introduction des unites · didactiques. Or, un dialogue d'auteur de methode ne peut pas etre authentique dans Ja mesure ou il est assujetti a des imperatifs d'ordre pedagogique, linguistique,... dont Je dialogue authentique n'a pas a tenir compte. Le dialogue pedagogique peut tout au plus tendre vers Je nature! , sans espoir de devenir jamais authentique. Man muß sich wundern, daß bisher kaum ein Lehrbuchautor (auch keiner der zahlreichen "frankophonen" Fachkollegen unter ihnen) gegen die Diffamierung protestiert hat. Die angeblich „authentischen" Texte, von denen hier die Rede ist, wurden verfaßt, um in der Sprachgemeinschaft, in der sie hervorgebracht wurden, einen kommunikativen Zweck zu erfüllen. Jeder "authentische" Text, der literarische sowohl als auch ein französischer Zeitungstext (u.ä.) verliert· seine wahre „Authentizität" im Augenblick seines Transfers in ein fremdes didaktisches Milieu: «Si Je professeur ne parvient pas a restituer quelque chose des conditions de reception primitives, le document sera, ou bien reduit a sa dimension purement Iitterale (au sens atteste de chacun de ses mots) et perdra l'essentiel de ce qui fait son interet, ou bien Je Iieu d'interpretations plus ou moins erronees qui n'apprendront rien aux etudiants sur Ja culture etrangere, tout en ! es enfermant un peu plus dans leur propre culture» (Besse 1981: 28 f). Über das Altern angeblich „authentischer" Texte hat offensichtlich noch niemand nachgedacht; auch nicht über so manche gedruckte journalistische Platitüde, die unsere frankreichkundlichen „Dossiers" und „Modelle" füllen. Ähnliches gilt für so manchen drittklassigen „literarischen" Text (seine lebensweltlichen Bezüge, seine Menschenbilder usw.), an dessen kanonisierter „Authentizität" offensichtlich kein Zweifel besteht. Hier muß allerdings eingeräumt werden, daß auch in der Literaturwissenschaft „Authentisch" als objektiv beschreibbare Kategorie der Seinsweise von Literatur umstritten ist. Was macht die Wahrheit der Dichtung aus? Die Überzeugung des Autors? Die ästhetische Einheitlichkeit oder moralische Integrität seines Werkes? Spielt die Nachahmungstheorie eine Rolle? Schon in der Lehrbuchphase, die lange Zeit von den sog. "textes fabriques" beherrscht war, scheinen die Gütekriterien der Echtheit und Wahrhaftigkeit des anderen eine Rolle zu spielen. Im Lehrerbuch des neuen Cours intensif I (Stuttgart: Klett 1990: IV) heißt es zur Rolle der «civilisation quotidienne»: "Dabei FLuL 21 (1992) Wie ,authentisch' ist ,idiomatisches' Französisch? 123 handelt es sich jedoch nicht um neutrale Situationen und formale Alltagsdialoge, die in jedem beliebigen Land spielen könnten. Die Lehrbuchpersonen leben in einer authentischen französischen Umwelt". Den meisten bisher zitierten Autoren scheinen die Widersprüchlichkeit und die Vordergründigkeit ihrer rein textbezogenen Glaubenssätze nicht bewußt zu sein. Der Gedanke an eine etwaige Plausibilitätsprüfung liegt ·so fern, daß das modische Adjektiv "authentisch" auch in Aufsatztiteln erscheint, wenn die Sache selbst realiter überhaupt nicht thematisiert wird (so bei Düwell/ Rüttgens 1983). Im von Roulet (1981) edierten Themenheft L'Analyse des conversations authentiques kommt der Begriff als solcher nur im Hefttitel vor. Ich zitiere wieder Besse (1980: 52), der in einem anderen Argumentationszusammenhang das Unbehagen treffend beschrieben hat: «On fait comme si l'enonciation du mot a elle seule authentifiait la chose». Im Gefolge einer stärkeren Lernerorientierung des Fremdsprachenunterrichts, einer stärkeren Mündlichkeit (oralite) des Fremdsprachenlernens, insgesamt einer stärkeren Hinwendung zu einem kommunikativen, genauer: interaktiven Konzept schulischen Fremdsprachenunterrichts haben einige Didaktiker seit Anfang der achtziger Jahre das Bedeutungsspektrum von „Authentizität" erweitert, damit aber unbeabsichtigt zugleich den Wert des Begriffs und seine fremdsprachendidaktische Brauchbarkeit in Frage gestellt. Beile, der bei aller kritischen Distanz um eine Rettung des Begriffs bemüht ist, gesteht (1986: 149): "Leider droht der immer häufiger anzutreffende Begriff ,authentisch' durch verschiedene Deutungen sowie durch großzügige Auslegungen seine Brauchbarkeit zu verlieren". Henrici (1980: 125) warnt vor illusionären Authentizitätsauffassungen, insbesondere einem „sprachlich-kommunikativen Authentizitätsperfektionismus.". In den achtziger Jahren kündigen schon einige Aufsatztitel die kritische Einstellung zu einer Dogmatisierung an. Alexander (1983: 87) warnt: "We must guard against falling prey to a new dogma of 'authenticity' of texts and their imputed intrinsic virtue". Rück (1986: 165) plädiert für mehr „authentisch wirkende didaktische Texte, die den Lernenden Lese-Erfolgserlebnisse vermitteln und ihnen den Brükkenschlag hin zur Komplexität originär-fremdsprachlicher Interaktion erleichtern" . 3 Auf einem fortgeschrittenen Lernstadium, dem sog. Niveau 2, das die ganze Authentizitätsdiskussion vor gut zwanzig Jahren in Frankreich ausgelöst hat, sind nicht nur die "integralite materielle" des Textes und seine ursprünglichen Produktions- und Rezeptionsbedingungen entscheidend, sondern auch und vor allem mit den Worten von Besse (1981: 17) - «le degre d'authenticite de la täche demandee aux etudiants», «l 'authenticite de la reception par les etudiants». Diese textdidaktischen Überlegungen passen durchaus in das Konzept aktueller Unterrichtsstrategien, die mit unterschiedlichen, in der Sache und 3 Rück schlägt zur Überwindung des Dilemmas vor, von der fingierten Authentizität eines Pseudo-Rollenspiels (schon bei den Lehrbuch-Dialogen) zur ehrlichen Fiktionalität überzugehen. FLuL 21 (1992) 124 Franz Rudolf Weller Zielsetzung aber weitgehend identischen Vokabeln bezeichnet werden: sozialintegrativ, aktiv, rekreativ, interaktiv u.ä. Widdowson (1979: 166) hat diese neue Sicht eines authentischen Fremdsprachenunterrichts in einer griffigen Formulierung zusammengefaßt: "Authenticity [...] is a function of the interaction between the reader/ learner and the text which incorporates the intentions of the writer/ speaker". Etwas später heißt es: "Authenticity [... ] is achieved when the reader realizes the intentions of the writer by reference to a set of shared conventions". Es wäre falsch, aus der kritischen Beschäftigung mit dem Fetisch „Authentisch" die pauschale Forderung abzuleiten, der Fremdsprachenunterricht sollte deshalb die Fiktion der „natürlichen", "authentischen" Kommunikation „in" der Fremdsprache aufgeben (vgl. Meyer im Handbuch Fremdsprachenunterricht, Bausch et al. 1989: 39). Man sollte sich wohl der terminologischen Polysemie des Wortes bewußt sein, das auch dem Bedürfnis nach nebulöser Steigerung entsprungen ist und schon früh vom unterscheidenden Adjektiv zu einem beteuernden Schmuckwort degenerierte. Fassen wir unsere kleine Wortgeschichte von AUTHENTISCH zusammen, das schon früh seinen eindeutigen, univoken Sinn verloren hat, aber erst durch . seine semantische Abnutzung in der Fremdsprachendidaktik mehrdeutig, equivok, schließlich bis zur Unbrauchbarkeit vieldeutig, plurivok geworden ist (vgl. Besse 1981: 19). Die hier kurz skizzierte wortsemantische Geschichte spiegelt gewiß auch ein Stück Entwicklungsgeschichte der Fremdsprachendidaktik: vom „Text" über den „Empfänger" zum „Sender". Zunächst ging es um authentische Texte (ungekürzt, nich adaptiert; frankophone Produktions- und Rezeptionsparameter; Ausschluß didaktischer Intentionen) und authentische Medien (Original- Ton, Sprechsprache des Muttersprachlers, visuelle Dokumente der Zielsprachenkultur). Dieser sprachlich-inhaltlich-instrumentellen Bestimmung von „Authentizität" folgten didaktisch-institutionelle Funktionszuweisungen, die in einer Bedeutungstrias zusammengefaßt werden können: Der Unterricht wird zu einer authentischen Lernsituation, wenn die Schüler die Möglichkeit erhalten, ihre Bedürfnisse, Wünsche und Interessen zu thematisieren und am Unterricht in authentischer Kommunikation zu partizipieren (z.B. in Gestalt eines simulierten fremdländischen Rollenspiels) und sich mit der selbst gewählten Form authentischer Interaktion "Entschulung" des Unterrichtsdiskurses zwischen Lehrenden und Lernenden) identifizieren können. Diese Bedeutungserweiterung ist in der Fachliteratur unterschiedlich bezeichnet worden: "didaktische Authentizität" (Henrici 1980: 125), «l'authenticite pedagogique» (Besse 1980: 54). Das Bedeutungspektrum von Authentizität ist schließlich um Fragestellungen zu erweitern, die den Wahrheitsgehalt, die Echtheit und Glaubwürdigkeit einer Aussage insgesamt betreffen, was Besse bewußt pleonastisch mit «l'authenticite originale du document» (1980: 54) bezeichnet hat. Es ist nicht nur das Verhältnis oder Mißverhältnis zwischen angestrebter und erzielter Wirkung, auch ästhetisch-moralische Werturteile der süße und saure Kitsch ist ein altes Problem des fremdsprachlichen Lektürekanons tangieren die Frage nach dem authentischen FLuL 21 (1992) Wie ,authentisch' ist ,idiomatisches' Französisch? 125 Werk bzw. Autor, die im Zusammenhang zu sehen ist mit dem unterrichtlich leistbaren Nachvollzug authentischer Rezeption eines Textes. Wer sich in der Fremdsprachendidaktik auskennt, braucht über die latente Gefahr einer «existence inauthentique» fremdsprachlicher Lehre nicht aufgeklärt zu werden: «L'homme de l'existence inauthentique vit dans le monde de l'on, ou de l'impersonnel: culte de la banalite moyenne, nivellement du nouveau, de l'exceptionnel, du personnel, du secret ...» (Mounier, zit. nach Grand Robert Bd. III, 1966, s.v. inauthentique). 2 ccle monde truque de la classe" und die Zielsprache des Fremdsprachenunterrichts 4 Es ist ganz offensichtlich, daß zwischen dem im ersten Teil dieses Aufsatzes diskutierten Prinzip der "Authentizität" im Fremdsprachenunterricht und den kontrovers beurteilten Grundannahmen der Zweitsprachenerwerbsforschung bezüglich eines als „natürlich" angenommenen Spracherwerbs Beziehungen bestehen, auf die hier aber nicht näher eingegangen werden kann. Unser Ansatz auch im zweiten Teil verfolgt vielmehr das Ziel, die Spezifik des unterrichtlichen Fremdsprachenlernens im Rahmen gesellschaftspolitischer Entscheidungsprozesse zu unterstreichen. Zu dieser Notwendigkeit einer Entdogmatisierung des Prinzips der „Authentizität" liegen mehrere kritische Arbeiten vor, aus denen hier eingangs zitiert werden soll. In seinen Explorations in Applied Linguistics schreibt Widdowson (1979: 163): "Too exclusive a concern for 'authentic' language behaviour as communication can lead to a disregard of methodological principles upon which the pedagogy of language teaching must depend". In seinem einleitenden Beitrag „Objektivierung und Vergegenwärtigung als Kategorien des Fremdsprachenunterrichts" zum Themenheft Authentizität und Lehrbarkeit weist Petersen aus philosophisch-hermeneutischer Sicht auf die Gefahr einer durch entfremdete Sprache verursachten inauthentischen Seinsweise hin: "Wer seinen Unterricht entsprechend dem Authentizitäts-Paradigma konzipiert, versperrt sich den Zugang zu dem großen Lernpotential, das in der wissenschaftsbestimmten strukturierten Lehre von Fremdsprachen liegt" (1980: 196). Die Realität curricularer Regelungen von Schulpraxis und die Notwendigkeit, den Unterricht in Lernsequenzen zu strukturieren, verbieten auch für Pleines/ Scherfer jede Hypertrophierung des Prinzips „Authentizität": «Defendre Je principe de 'l'authenticite pure', ce serait renoncer voJontairement a toute analyse Jinguistique et soutenir qu'un material linguistique didactise est superflu, voire nuisibJe: l'apprenant devrait etre expose a Ja Jangue teile qu'elle existe dans Ja vie quotidienne entre Jocuteurs 'indigenes', il devrait trouver seuJ et sans intervention exterieure ses propres strategies d 'apprentissage» (1983: 62). 4 Zitat von Besse (1980: 52). FLuL 21 (1992) 126 Franz Rudolf Weller Gewiß: Vielfach sieht die Realität des Fremdsprachenunterrichts so aus, daß ein bestimmter Typ von Lehrersprache vorherrscht: Vereinfachung, Explizitheit, Wohlgeformtheit der Rede in einfachen, aber vollständigen, langsam gesprochenen Sätzen mit unmarkierter Wortstellung und restringiertem Vokabular; Selbst- und Fremdwiederholungen mit anaphorischen und kataphorischen Verweisungen usw. In der Tat eine Unterrichtssituation (wenn auch Sprechtempo, Aussprache und die ganze Prosodie nicht stimmen), "die die künstlichste aller Unterrichts-, vielleicht sogar aller Kommunikationssituationen darstellt denn nur hier verständigen sich Menschen einer Sprachgemeinschft mit Hilfe eines fremden Kommunikationsmediums - und dazu in einer Sprachvarietät, die wegen ihrer Limitierung von Wortschatz und Syntax und der häufigen Fiktivität ihrer dabei zum Ausdruck gebrachten Intentionen und Inhalte die künstlichste aller Sprachvarietäten ausmacht" (Beile 1986: 145). Was hier sehr kritisch als schulübliche Lernersprache beschrieben wird, die zwischen der muttersprachlichen Kompetenz und den intendierten fremdsprachigen Zielsetzungen spezifische eigene Züge aufweist, ist der neuralgische Punkt des sprachlichen Curriculums. Den entsprechenden Beitrag im Handbuch Fremdsprachenunterricht leitet Hüllen (in Bausch et al. 1989: 431) mit den Worten ein: "Die Notwendigkeit, ein Curriculum für den Fremdsprachenunterricht festzulegen und zu begründen, entsteht aus der Tatsache, daß der Vorrat dessen, was von einer Fremdsprache gelernt werden kann, bei weitem die Möglichkeiten überschreitet, die der Unterricht in seiner Bindung an die Schulsituation und an ein bestimmtes Zeitmaß hat". Wie sieht die im Unterricht vermittelte fremdsprachliche Kompetenz aus? Der gefilterte Extrakt an Sprachwirklichkeit aus der Nationalsprache, die von außen als eine Einheit betrachtet wird, soll ein relativ neutrales Register darstellen, möglichst vielseitig verwendbar und da feste linguistische Außengrenzen dieser sprachwissenschaftlich und didaktisch reflektierten Auswahl fehlen ausbaufähig sein. Im üblicherweise vagen und deklarativen Richtlinienstil heißt dieses fachspezifische Lernziel: "Im Unterricht in den modernen Fremdsprachen erwirbt der Schüler praktisch verwendbare Fertigkeiten und Fähigkeiten, Kenntnisse und Einsichten, die es ihm ermöglichen, die jeweilige moderne Fremdsprache hörend und lesend zu verstehen sowie sprechend und schreibend zu gebrauchen" (Gymnasiale Oberstufe. Richtlinien Französisch NRW. 1981: 27). Dieser durch Normvorstellungen und fachcurriculare Zielsetzungen „gesteuerte" Spracherwerbsprozeß wird in Abgrenzung zum globaleren Sinnverständnis von „Fremdsprachenunterricht" allgemein „Zielsprache" genannt: "eine durch die jeweils speziellen Ziele des Unterrichts determinierte Teilmenge der sprachlichen Elemente und ihrer Verwendungsweisen,. d! e in der Gemeinschaft der native speakers der Sprache, aus der die Zielsprache eine Auswahl darstellt, vorkommt" (Knapp-Potthoff/ Knapp 1982: 19). Ob der Begriff zur Bezeichnung des Gemeinten gut geeignet ist, soll hier nicht diskutiert werden. Er stammt ja ursprünglich aus der Übersetzungstheorie und meint dort dasjenige sprachliche System (langue d'arrivee; langue cible), in das ein Text aus der Ausgangsspra- FLuL 21 (1992) Wie ,authentisch' ist ,idiomatisches' Französisch? 127 ehe (Jangue de depart, langue source) übersetzt wird. Leider ist zur Klärung, d.h. auch terminologischen Abgrenzung der konkurrierenden Begriffe "Fremdsprache", "Zweitsprache (im Unterricht)", "Zielsprache" wenig publiziert worden. Anders als die beiden erstgenannten Begriffe, ist ZS "ein durch die Unterrichtsplanung geschaffenes linguistisch-didaktisches Konstrukt" (Abel 1981: 7) .. Dieses Konstrukt aus Reduktionen, Simplifizierungen und Restriktionen zu früher oder überfordernder Komplexitäten beruht im wesentlichen auf Lerninhaltsbestimmungen, die bei der Konstruktion der ZS zu berücksichtigen sind. Ich zitiere noch einmal Abel, der einen der wenigen Aufsätze zum Thema geschrieben hat: "Jenes reduzierte, aber systematisch funktionsfähige und ausbaubare sprachliche Gebilde, das für den Fremdsprachenunterricht durch eine Auswahl von Einheiten und Regeln der fremden Sprache geschaffen wird, bezeichne ich als die Zielsprache des Unterrichts" (1981: 7). Richtlinien„ väter" und Lehrplangestalter haben jeweils neu zu entscheiden, welches die Kriterien sind, die bei der Konstruktion der Zielsprache zu berücksichtigen sind, welches jene von Abel genannten sprachlichen Einheiten und Regeln sind, über welche die Schüler/ innen produktiv verfügen sollen und welche Einheiten und Regeln ausschließlich im Hinblick auf das Verständnis fremdsprachlicher Äußerungen vermittelt werden (vgl. Abel 1981: 11 ff; Hüllen 1989). Daß diese Zielsprache in ihrem Zentrum uneingeschränkt dem heutigen Sprachgebrauch entsprechen müsse, wird niemand mehr bestreiten. Ob auch "stilistische Kohärenz" und „idiomatische Korrektheit" (Abel 1981: 12) zu den Konstruktionsmerkmalen der Zielsprache gehören ist zumindest nach Art und Umfang bis heute kontrovers, nicht zuletzt aus Mangel an überzeugenden .fremdsprachendidaktischen Vorschlägen. Davon soll wenigstens skizzenhaft im letzten Teil des Aufsatzes die Rede sein. 3 Von der ,ldiomatizität' natürlicher Sprachen und der ,Idiomatik' im Fremdsprachenunterricht «Vous ne savez pas, vous, ce que c'est que de rester toute une journee 1a tete entre ses deux mains a pressurer sa malheureuse cervelle pour trouver un mot» (Gustave Flaubert in einem Brief an Georges Sand vom 27. November 1866). Jahrzehntelang ist den Fremdsprachenlehrern in einer weit verbreiteten Methodik des neusprachlichen Unterrichts versichert worden: "Kein Gebiet der Sprachlehre ist für die Weckung des Sprachgefühls wichtiger als die planmäßige Aneignung einer idiomatischen Ausdrucksweise, namentlich in der lebenden Fremdsprache, in der die Idiome eine außerordentlich wichtige Funktion ausüben, weil sie aus der volkstümlichen Sprache übernommen sind, ihr belebendes Element darstellen und am besten die Denkweise des Volkes veranschaulichen" (Bohlen 3 1958: 86). Büchmanns Geflügelte Worte im Fremdsprachenunterricht? Brauchen wir ein neues Musee de Ja conversation (so der Titel einer Sammlung von Ale- FLuL 21 (1992) 128 Franz Rudolf Weller xandre aus dem Jahre 1892)? Die große Zahl publizierter mehr oder weniger populärwissenschaftlicher Florilegien läßt auf eine hohe Wertigkeitsstufe "idiomatischer" Spracheinheiten schließen, die indes unter ganz verschiedenen Bezeichnungen anzutreffen sind: Redensarten - Farons de parler; 1000 idiomatische Redensarten Französisch; Französisch wie es nicht im Wörterbuch steht; Französische Idiomatik nach Sinngruppen; 400 Gallicismes; Dictionnaire des locutions franraises; Etes-vous a Ja page? Aktuelle Redewendungen französischdeutsch usw. Auch neuere französische Publikationen bestätigen die ungebrochene Beliebtheit phraseologischer Sammlungen, die es offensichtlich sogar wert sind, aus den allgemeinen Wörterbüchern aussortiert und in Spezialwörterbüchern gesammelt zu werden. 5 Mit 1380 Seiten und einer ausführlichen Spezialbibliographie ist Duneton (1990) das bisher umfangreichste Opus dieser Art! Diese sozusagen „nationalikonographische" Sammlung französischer Sprach- und Kulturgeschichte erfaßt und betrifft allerdings nur einen populären, "folkloristischen" Teilbereich des komplexen linguistischen Spektrums fixierter Wortgefüge, redensartlicher Strukturen und konventionalisierter Rede. Sind nicht auch so banale Strukturen wie il y a, je bois du vin, je viens d'arriver, je vais etre en retard im etymologischen Sinne Idiotismen, d.h. Gallizismen der französischen Sprache? Entsprechend argumentiert Besse (1973: 70 f): «En affirmant que ! es structures fondamentales sont 'idiomatiques', nous n'enoncerions qu'une tautologie evidente si Je terme d"expression idiomatique' n'etait encore trop frequemment utilise dans Je sens restreint d'expression toute faite ou de forme figee, ce qui tend a faire croire que, dans une langue donnee, l'organisation specifique de Ja communication de l'experience humaine procede suivant une demarche universelle, exception faite d'un nombre limite de structures isolees constituant en quelque sorte des curiosites folkloriques de langage. Le professeur de langues vivantes aura interet a se souvenir que tout ce qui est banal, courant, fondamental est egalement et par definition 'idiomatique'"· Die Vielfalt fester Kollokationen, vom Einzel„ wart" bis zu satzmäßigen „Wendungen", für welche es ganz unterschiedliche linguistische Bezeichnungen gibt, ist ein nicht zu übersehender Teilbereich der Gesamtsprache. Befinden sich die Autoren dieser in einem speziellen „Phrasikon" (zumeist mit Erklärungen) gesammelten „idiomatischen Wendungen" aus fremdsprachenunterrichtlicher Sicht idiomatisch gesprochen nicht doch „auf dem Holzweg"? Was ist das besonders Charakteristische dieser "expressions toutes faites" für das Französische ganz im etymologischen Sinne des Wortes "idiomatique"? Charakteristisch für einen Außenstehenden, einen Fremden? Oder ist die Innenperspektive gemeint? Für einen "insider", der auch wissenschaftlich etwas von der Sache versteht, sind es Anomalien, «des formes de parler particulieres et qui s'ecartent de l'usage normal de la langue» (Guiraud 3 1967: 5). Und etwas später heißt es bekräftigend: «Les locutions naissent et vivent en marge de la langue normale» S Zu entsprechenden bibliographischen Angaben vgl. die eingehende Besprechung der französischen ldiomatiksammlungen von St. Ettinger in diesem Band [E.Z.]. FLuL 21 (1992) Wie ,authentisch' ist ,idiomatisches' Französisch? 129 (11). Was kann/ soll der Fremdsprachenlehrer tun, um der allenthalben erhobenen Forderung nach idiomatischer Korrektheit der Zielsprache gerecht zu werden? Es gibt noch große Schwierigkeiten - und viele offene Fragen zu beseitigen, ehe der theoretisch erreichte Kenntnisstand in sprachunterrichtliche Praxis umgesetzt werden kann. Welche lernzielorientierte Rolle spielt der "sprachlich fixierte kollektive Erfahrungsschatz einer Sprachgemeinschaft (oder jedenfalls von Gruppen von Sprachteilnehmern)" (Koller 1985: 32)? Obwohl Idiomatik nach Coulmas (1981a: 3) "ein allgemein anerkannter Terminus" ist, läßt auch hier das Handbuch Fremdsprachenunterricht den ratsuchenden Leser im Stich. In den beiden im Register aufgeführten Artikeln wird „idiomatisch" gerade erwähnt. Eine sprachdidaktische Problematisierung des ganzen Begriffsfeldes fehlt völlig. Hier ist versäumt worden, den Stand der internationalen Phraseologieforschung zur Kenntnis zu nehmen. 6 Es wird hier auf Einzelreferenzen verzichtet, die man in jeder neueren Publikation zum Thema nachlesen kann. Hinzuweisen ist dennoch auf zwei Themenhefte in Fachzeitschriften (Die Neueren Sprachen, 1979; Sprache und Literatur in Wissenschaft und,Unterricht, 1985). Es spricht auch für den erreichten Forschungsstand, daß inzwischen sowohl ein Handbuch der Phraseologie (Burger/ Buhofer/ Sialm 1982) als auch Ein Arbeitsbuch mit umfassender Bibliographie (Weite 1990) vorliegt, jenes für das deutsch-russische Sprachenpaar vor allem, dieses für den anglistischen Hochschulunterricht gedacht. Die Erkenntnisfortschritte der Phraseologieforschung (sowohl der linguistischen wie der sozialpsychologischen, von der gleich noch die Rede sein wird) haben die Entscheidung für mehr oder weniger „Idiomatik" im Fremdsprachenunterricht keinesweg leichter gemacht. Das hängt damit zusammen, daß nach üblichem Wortverständnis „idiomatische Ausdrücke" aus dem den Fremdsprachenunterricht bestimmenden Bereich des Regelhaften, Normalen, Normativen fallen; sie variieren zwar im Grad ihrer „Idiomatik" lexikalisch wie grammatisch - , ohne daß dieser im einzelnen bekannt wäre, sie gelten insgesamt aber als Marginalia der Sprache, als fossile Anomalien, deren semantische, syntaktische und pragmatische Eigenschaften für den Fremdsprachenlerner schwer zu überwindende Verständnis-, Lern- und Anwendungsprobleme verursachen. Zumindest die produktionsorientierte Femdsprachendidaktik sieht eine wesentliche Aufgabe des Fremdsprachenunterrichts in der „Fähigkeit zum Generieren kohärenter kommunikativer Äußerungen", in der "Erzeugung und Verkettung sprachlicher Zeichenfolgen" (Rück 1983: 41). Sie übersieht dabei, in illusionärer Überschätzung der fremdsprachenunterrichtlich erreichbaren Sprachhandlungskompetenz, daß ein großer Teil unseres sprachlichen Handelns (in der Muttersprache mehr als in einer Fremdsprache) in der Verwendung sprachlicher 6 Geforscht wird seit Jahrzehnten mehr im Ausland als in Deutschland; hier mehr in der Germanistik als in den Fremdsprachenphilologien; unter denen hat die slawistische Forschung mehr Gewicht als die anglistische oder gar romanistische, die im wesentlichen noch auf dem Stand der wichtigen Publikation von Thun (1978) ist. FLuL 21 (1992) 130 Franz Rudolf Weller Muster, vorgefertigter Rede besteht. Die wiederholte Rede (im Sinne Coserius) ist ein Grundphänomen menschlicher Rede. Auch wenn das häufige Vorkommen bildhafter, übertragener, metaphorischer, paarformelhafter fixierter Wendungen in der Literatur, in Pressetexten, in der Werbung eine unterrichtliche Berücksichtigung nahelegt, je nach Lehrgangssequenz sogar erfordert, dürfen die sprachdidaktischen "Störfaktoren" nicht blauäugig übersehen werden. Ionescos Theaterstücke, insbesondere seine Exercices de conversation et de diction fran- ~aises pour etudiants americains (vgl. Pricke/ Weller 1984), Queneaus Exercices de style (vgl. Weller 1992), aber auch die Sprachparodien und Nonsens-Dialoge von Prevert und Vian, oder die Sketche z.B. des belgischen Sprachkomikers Devos bieten vielfältige Möglichkeiten, über Form und Funktion "idiomatischer" Sprachmittel nachzudenken, ohne daß die wörtlichen oder parodierten Sprachspiele Teil der aktiven Sprachkompetenz der Schüler werden müssen. Nach derzeitigem ·Forschungsstand sind die nach herkömmlicher, traditioneller Terminologie „idiomatischen" Wendungen durch folgende „idiosynkratischen" Merkmale charakterisiert: Sie sind paradigmatisch und syntagmatisch im Sprachsystem isoliert. Sie sind lexiko-semantisch oft nur mit volksund/ oder kulturkundlichen Kenntnissen verständlich (Arbeitsgebiet der ethnolinguistischen Praseologieforschung). Sie können mit dem Regelsystem der Grammatik nicht erfaßt werden, stellen also syntaktisch anormale Strukturen dar. Sie leiden oft an Bedeutungsverlust und Strukturverlust auf Grund undurchsichtiger diachronischer Markierung. Sie sind nur mit viel linguistischem Vorwissen kontextualisierbar. Sie zeigen transformationelle Defekte (die zum Teil etwas mit Alter, Geschlecht, Sozialstatus zu tun haben). Sie sind semantisch häufig polysem (einerseits nach der wörtlichen oder übertragenen Bedeutung; andererseits im Hinblick auf ihre bildhafte vs. übertragene vs. metaphorische Bedeutung). Sie sind in ihrer stilistischen Qualität nicht eindeutig (Register; Dia-Markierung). Sie stellen die Lexikographen vor große Darstellungsprobleme in den ein- und zweisprachigen Wörterbüchern. Ihre kontrastive Analyse „verheddert" sich immer in unbefriedigenden Äquivalenzlösungen. Ihre Frequenz und Funktion in schriftlichen und mündlichen Texten ist noch weitgehend unerforscht. Hinzu kommen im Hinblick auf unterrichtliche Perspektiven bisher noch ungelöste Probleme der Selektion, Präsentation und Progression zwar unlogischer, aber durch den Gebrauch (und eine nationalpsychologische Ideologie) sanktionierter Sprache, die je nach Forschungsansatz ganz unterschiedlich bezeichnet FLuL 21 (1992) Wie ,authentisch' ist ,idiomatisches' Französisch? 131 worden ist: "Fixierte Wortgefüge"; " Wortgruppenlexeme"; "Phraseologismen"; "Phraseolexeme". Gibt es einen Ausweg aus diesem „idiomatischen" Dilemma des Fremdsprachenunterrichts? Wie im Falle der semantischen „Blähsucht", die das Adjektiv „authentisch" befallen hat, liegt die Lösung offensichtlich auch hier in einem "Alles oder Nichts". So ist man in der einschlägigen Literatur zur Phraseologieforschung schon sehr früh auf die Frage gestoßen, ob nicht „Idiomatizität" eine allgemeine Eigenschaft natürlicher Sprachen sei, so daß es berechtigt erscheine, sie als sprachliche Universalie aufzufassen. 7 Die Frage, ob Idiomatizität eine universelle Eigenschaft der Sprache sei, ist zwar interessant; eine Diskussion über mögliche Folgen für den Sprachunterricht ist aber erst sinnvoll, wenn die Begriffsinhalte von „Idiomatizität" und „Sprachuniversalie" theorieunabhängig geklärt sind. Einstweilen befinden wir uns noch in einer terminologischen Grauzone mit erheblichem Konfusionspotential, in der „idiomatisch", "Idiomatik", "Idiomatisierung", "Idiomatizität", "Idiomatologie" 8 alles Mögliche meinen, auch in wissenschaftlichen Abhandlungen. Im Bedeutungsspektrum von Idiomatik und Fremdsprachenunterricht soll schließlich noch von einem Aspekt die Rede sein, der seit mehr als einem Jahrzehnt zu Forschungsarbeiten angeregt hat und inzwischen ins Zentrum des phraseologischen Erkenntnisinteresses gerückt ist. Bei der Klassifikation der höchst heterogenen sprachlichen Erscheinungen der sog. " wiederholten Rede" (Redewendungen, Sprichwörter, Cliches, Gemeinplätze, Slogans usw.) spielen zunehmend neben dem Aspekt der formalen, sprachlichen Fixiertheit sprachliche Gewohnheiten, "Schematismen des Sprachhandelns" (Daniels), "Routineformeln" (Coulmas) eine Rolle, die also an bestimmte konventionelle Situationen (Begrüßung, Gesprächseröffnung, Danksagung, Beileidsäußerung) oder an bestimmte Textsorten im Alltagsleben (Brief, Einladung, Bewerbung usw.) gebunden sind. Diese pragmatische Dimension der Idiomatik ist zwar nur ein Teilaspekt dessen, was traditionell den sprachlichen Großbereich der Phraseologie ausmacht; ihr Status innerhalb des Sprachsystems ist aber von umso größerer Relevanz für den Fremdsprachenunterricht. Zugrunde liegt die Erfahrung, daß Alltagskommunikation die private wie die öffentliche weitgehend routiniert, ja ritualisiert abläuft. Das Lernziel der Vermittlung „Kommunikativer Kompetenz" 9 muß die Vermittlung von interaktiver Handlungskompetenz einschließen, die letztlich auf eine interkulturelle Sozialkompetenz abzielt, in zwei 7 Vgl. dazu Abschnitt 5 ("Idiomatizität als Universalie") in Coulmas (1981b: 42 ff). 8 Es zeugt von Einsicht, wenn Rohr in der 3., überarb. Aufl. seiner Einführung in das Studium der Romanistik (1980) seine früheren Bemerkungen zur sog. "Idiomatologie" (vgl. noch 2. Aufl. 1968: 91 t) ersatzlos gestrichen hat. 9 „Das Erlernen von rollen- und situationsspezifischen Redehaltungen zur Teilnahme an Kommunikationsprozessen", heißt es beispielsweise in Gymnasiale Oberstufe. Richtlinien Französisch NRW (1981: 29). FLuL 21 (1992) 132 Franz Rudolf Weller Rollen: in der des Senders und der des Empfängers. Jugendliche Fremdsprachenlerner kommen heute häufiger als früher insbesondere außerhalb des Unterrichts in vielfältige direkte Kontakte mit Ausländern durch Schulpartnerschaften, Studienfahrten, Feriensprachkurse, individuelle Begegnungen, studien- und berufsvorbereitende Programme im Ausland, private Bekanntschaften usw., d.h. Situationen des interkulturellen Alltags, für deren verbale (und nonverbale) Bewältigung fixierte, routinisierte Wendungen gebraucht werden. Jeder, der Erfahrungen mit jugendlichen Fremdsprachenlernern hat, weiß, wie schwer es ihnen fällt, einen fremdsprachigen Brief zu schreiben (im Zusammenhang mit einem Austauschprogramm), aus akutem Anlaß ein Telefongespräch mit dem zu erwartenden Partner zu führen, am Zielort die sozial- und situationsbedingten Rituale (Begrüßung, bei Tisch usw.) sprachlich (und z.B. gestisch) zu bewältigen: Qu'il fait chaud! Mais, enleve ta veste! J'ai soif. Viens, on va boire un verre. J'aimerais bien aller au cinema, ce soir. Veux-tu venir avec nous, on y va justement? Treten Partner verschiedener Sprachen und Kulturen in Kontakt, können situationelle Interferenzen entstehen, d.h. Abweichungen von den pragmatischen Konventionen der Situationen, in welchen die kommunikativen Akte stattfinden. Man sagt z.B. etwas an der falschen Stelle; man sagt etwas auf falsche Art; oder man unterläßt es überhaupt, etwas zu sagen. Interaktionelle Kompetenz als Lernziel des Fremdsprachenunterrichts muß auch die Fähigkeit einschließen, in einer Interaktionssituation verbale und nonverbale kommunikative Handlungen zu vollziehen. Jeder macht so seine Erfahrungen mit dem falschen Händedruck, dem unterlassenen Blickkontakt, der voreiligen Umarmung, der „deutschen" Pünktlichkeit. "Routineformeln sind wie Sprichwörter oder auch Gemeinplätze Muster für die Konstituierung von Handlungen, und zwar von solchen Handlungen, die sich in der alltäglichen kommunikativen Praxis jeder Sprachgemeinschaft wiederholen. Sie sind an rekurrente Situationen des sozialen Verkehrs gebunden und sind als Resultat dieser Situationsstandardisierungen zu betrachten. Sie sind in der Sprache verfestigte organisierte Reaktionen auf soziale Situationen; ihr Gebrauch gewährt dem einzelnen Gruppenmitglied ein hohes Maß an Verhaltenssicherheit. Durch Standardisierung werden dem einzelnen Entscheidungen abgenommen. Eben in diesem Sinne sind Routineformeln als institutionell gebunden anzusehen. Ihre wesentliche Funktion ist es, als in der Sprache fixierte Handlungsmuster den einzelnen Mitgliedern desselben sozio-kulturellen Systems adäquates und gruppenkonformes Handeln im sozialen Verkehr zu ermöglichen. Routineformeln sind unter diesem Aspekt typisch für eine Gesellschaft, da sie einen wichtigen Teil ihrer Lebensgewohnheiten repräsentieren" (Coulmas 1981a: 13 f). FLuL 21 (1992) Wie ,authentisch' ist ,idiomatisches' Französisch? 133 Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß interkulturelle Unterschiede, die sich z.B. in unterschiedlichen sprachlichen Routineformeln niederschlagen, zu nationalen Stereotypen und Vorurteilen führen können. Ähnliche Vorbehalte sind auch gegen die unbedachte Verwendung "nationaler", d.h. landeskundlicher Phraseologismen geäußert worden: "In erzieherischer Hinsicht ist zu bedenken, daß derartige sprachlich fixierte Nationaleigentümlichkeiten gewisse Vorstellungen über allgemeine nationale Eigenarten prägen und diese leicht zu Klischees und Vorurteilen führen können" (Stein 1991: 255). Auch die hier diskutierten Formen der kulturspezifisch .institutionalisierten Steuerung sozialen Handelns in bestimmten Situationen der fremden Alltagswelt· stehen natürlich in Gefahr, als nationale Stereotypen klassifiziert bzw. klassenspezifisches routiniertes Repertoire sprachlicher Schablonen abgewertet zu werden. Als umgangssprachliche Floskeln sind diese formelhaften, unanalysierten Strukturen "in aller Munde", als glatte Phrasen werden sie auch auf Zeitungs~ und anderem Papier "gedroschen". Man kennt die gerade in Frankreich sehr verbreiteten "Benimm-Bücher" mit Musterbeispielen zu den verschiedenen Anlässen sozusagen „ritualisierter" Kommunikation und die immer neu aufgelegten Ratgeber für Jedermann (vgl etwa Chaffurin: Le parfait secretaire; Doriac/ Dujarric: Toasts, Allocutions et Discours Modeles pour toute circonstance de Ja vie privee et publique; Sandrieu: Cinq cents Jettres pour tous les jours u.a.), oder die immer noch im Petit Larousse («dictionnaire encyclopedique pour tous»! ) zwischen dem enzyklopädischen und dem sprachlichen Teil eingebundenen berühmten "pages roses". In der einschlägigen Literatur ist der Zusammenhang zwischen Routineformeln und anderen Arten verbaler Stereotype immer gesehen worden (vgl. Gülich/ Henke 1979/ · 1980; Coulmas 1981a). Im Fremdsprachenunterricht kann die gezielte Analyse von unterschiedlichen (ernsten, heiteren, gestörten) Dialogsequenzen (z.B.: Beckett En attendant Godot; Genet: Les Bonnes; Ionesco: La Cantatrice chauve; Tardieu: Theatre de chambre) lehrreich sein. Die Exercices de style Queneaus sind ein Meisterwerk französischer Schreiblehre, ein "anti-manuel d'ecriture", insofern die traditionellen Rituale der situationsspezifischen Textproduktion (recit, Jettre offlcielle, interrogatoire, priere d'inserer u.a.) im Sinne der „Realisierung des Musters in einer konkreten Handlung" (Werlen 1984: 82) parodiert werden: «C'est en ecrivant qu'on devient ecriveron», heißt es wortspielerisch in der Übung Maladroit. Der fremdsprachenunterrichtliche Vorteil vieler "performativer" Routineformeln (zur Gesprächssteuerung, zum Ausdruck der Höflichkeit, zur Einleitung oder Beendigung einer Handlungssequenz usw.) ist ihre Satzwertigkeit, d.h., „daß mit Routineformeln Sprechakte vollzogen werden können, während ein großer Teil der Idiome im traditionellen Sinne nur Bestandteile von Sprechakten sind" (Gülich/ Henke 1979: 527, Anm. 12). Hier eine kleine Liste von typischen Gesprächsformeln: fa alors, ben dis donc, oui, m'enfin, oh he, t'exageres, meme pas 9a; oh mon Dieu! , tu parles; tant mieux/ pis (pour toi); c'est pas vrai! , mais quand meme; vous ne vous etes pas fait mal j'espere. FLuL 21 (1992) 134 Franz Rudolf Weller Es gibt auch Routineformeln, die man in aller Regel nicht selbst spontan produziert, aber doch verstehen muß; z.B. auf dem Markt: Et avec fa? Was wir in den Oberstufenarbeiten des Fremdsprachenunterrichts als "Textkohärenz" erwarten, spielt auch in der Form eines kohärenten Sprachhandelns in Gesprächssituationen eine Rolle. Hier sollte ggf. mehr als eine (vage) und nur die allgemeinste (au revoir ... a tout a ]'heure ... a bientot ...) Formel zur Verfügung stehen. Eine argumentative Sprachhandlung besteht häufig aus Teilsequenzen, die mit typischen Formeln eingeleitet, fortgeführt oder beendet werden: a propos (introduction), tenez, par exemple (explication), c'est fa (accord), vous voyez (evidence), Ja ... (element d'argumentation), voila (conclusion). M.E. ist es unterrichtlich realisierbar, z.B. in einer Unterrichtseinheit zur Gesprächsorganisation Beispiele zu sammeln und zu analysieren, die ein paradigmatisches Formelfeld ergeben. Nehmen wir als Beispiel die "structures exclamatives negatives" in der Du-Anrede: N'y pense/ compte pas! n'insiste pas! absolument pas certainement pas! ah non, surtout (plus) ~! - Pas du tout ah! non alors! - ~ non (alors)! mais non! pas question (de fa)! c'est hors de question! il n'en est (meme) pas question! rien a faire en aucune manierel fafon! il ne peut/ pourrait en etre question! sous aucun pretexte! mon reil! Diese Wörter bzw. Wortkombinationen werden beim Sprechen "als vorgefertigte Ausdrücke reproduziert" (Zuluaga 1977: 319); sie werden auch als solche gelernt bzw. memoriert, keinesfalls analysiert oder segmentiert, da ihr pragmatischer Wert, d.h. der illokutive Akt Vorrang hat vor der eigentlichen sprachlichen Bedeutung. Vom Lerner wird in der gegebenen Situation nicht eine freie, konstruierte Sprachverarbeitungsleistung (als Produkt seines Lexik- und Regelwissens) erwartet, sondern die spontane Reaktion mit regelhaft gebildeten sprachlichen Fertigteilen, eben den situationsangemessenen diskursiven Routineformeln, wofür Coulmas (1985: 56) den Begriff der „sprachlichen Etikette" eingeführt hat. Ihre Beherrschung sei eine Bedingung problemlosen Kommunizierens, " was sie zu einem wichtigen Lehrinhalt fremdsprachlichen Unterrichts macht". Gülich/ Henke (1979: 519 ff) haben nachgewiesen, daß solche Routineformeln häufig schon in den Lehrbuchtexten an Stellen fehlen, wo sie notwendig wären, oder unvollständig sind oder daß Differenzierungen in den Beziehungen zwischen den Kommunikationspartnern ausbleiben. Zwar ist die Abnutzung das kennzeichnende Merkmal dieser Routineformeln, doch kann ihr behavioristisch mechanischer Gebrauch auch bewußt „zerredet" werden, wofür es in literarischen Texten (aber z.B. auch in der Werbesprache) viele Beispiele gibt. "Die Entautomatisierung der Äußerung dient der Entautomatisierung der ganzen Sprechhandlung" (Zuluage 1977: 326). Das letzte der oben zitierten Beispiele für negative Ausrufe («mon reil») soll als Überleitung zu meinem letzten Punkt dienen: «CEil est l'un des termes fondamentaux de la phraseologie fran~aise, et son signifie, l'un des domaines principaux du symbolisme corporel» (Rey/ Chantreau 1990: 646). Mon reil! wird wie folgt erklärt: «Cette expression est certainement comprise comme une refä- FLuL 21 (1992) Wie ,authentisch' ist ,idiomatisches' Französisch? 135 rence a la perception, avec la valeur de 'je ne vois rien de tel; mon reil est temoin que c'est faux'. Les enfants renforcent souvent la locution en disant mon petit reil! et en se touchant une orbite de l'index» (652 t). "Kommunikative Kompetenz" ernst genommen, muß zwei interaktive Komponenten in den Fremdsprachenunterricht einbeziehen, die dort bisher vernachlässigt worden sind: die vokale Kompetenz (Prosodie, Intonation einschließlich intentionsspezifischer Varianten) und die kinesische Kompetenz (Mimik, Gestik, ja der ganze Bereich der „Körpersprache" einschließlich Blickkontakt und Körperhaltung, Kopfhaltung, Arm- und Beinstellung usw.). Diese nonverbalen Kommunikationselemente, die in den einzelnen Sprachen je nach deiktischer Struktur derselben unterschiedlich bedeutsam sind, dürfen im Sinne eines wirklich „authentischen" und wirklich „idiomatischen" Fremdsprachenunterrichts nicht länger außer Acht gelassen werden. "Schon eine von geläufigen Normen abweichende Verwendung prosodischer Elemente wie Tonhöhe und Tonstärke kann im Hörer den Eindruck erwecken, der Sprecher sei unhöflich, grob, oder gerissen, mache ihm einen Vorwurf u. dgl." (Oksaar 1981: 113). Viel, wenig oder gar nicht reden (d.h. "den Mund nicht aufmachen", wie man sagt) gehört noch in den verbalen Interaktionsbereich und seine Interferenzfallen. Viele Schüler wollen unbewußt schweigen, d.h. die erwartete verbale Stereotype nicht aussprechen: "Der Sprachteilnehmer kann anders als erwartet handeln, er kann die Formel pragmatisch ersetzen durch eine Geste wie Lächeln, Kopfnicken, Händedrücken oder er kann die Äußerung ganz und gar auslassen, was auch einen Sinn und auch Konsequenzen hat" (Zuluaga 1977: 324). Einige deutsche Schulbuch-Verlage bieten inzwischen Video-Lehrfilme an, deren „stumme" Vorführung es erlaubt zu überprüfen, ob Mimik, Gestik usw. der handelnden Personen verstanden worden sind "Sehverstehenstest"). Insbesondere die Arbeiten von Calbris (1985) bieten reiches Anschauungsmaterial für ·Formen und Funktionen redebegleitender, -ergänzender bzw. -ersetzender „Körpersprache". Hinzuweisen ist schließlich auf den Überblicksartikel mit konkreten Beispielen von Kleppin (1989). Bibliographische Angaben ABEL, F.: "Die Zielsprache des Fremdsprachenunterrichts". In: Logos Semantikos. Studia linguistica in honorem E. Coseriu. Vol. V. Berlin/ Madrid 1981, 7-18. ALEXANDER, R.: "How authentic can (and should) 'authentic' texts be? " In: W. Kühlwein (Hrsg.): Texte in Sprachwissenschaft, Sprachunterricht und Sprachtherapie. Kongreßberichte der 13. Jahrestagung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik, GAL e.V. Tübingen 1983 (forum Angewandte Linguistik; 4), 87-88. ARNDT, H. / JANNEY, R. W.: "An interactional linguistic model of everyday conversational behavior". In: Die Neueren Sprachell 80 (1981), 435-454. BAUSCH, K.-R. [et al.] (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. Tübingen 1989. 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The importance of idioms in foreign language teaching is such that an examination of their frequency and relationship to the rest. of the vocabulary in different types of texts and communicative situations is warranted. The practical realisation of the frequency analysis carried out on the basis of French magazines and textbooks exposes numerous theoretical questions and problems that are connected in a complex way. Nevertheless an attempt has been made to deduce generalising results for foreign language teaching from this present investigation and to look for practicable forms of frequency determination. 1 Zur Problematik der Frequenzanalyse von Idiomen Die zur Zeit noch bestehende Möglichkeit, ein Lehrwerk recht subjektiv im Hinblick auf den Bestandteil geläufiger Idiome zu beurteilen und dies auch verkaufsstrategisch zu nutzen, beruht auf der Tatsache, daß im Unterschied zu anderen Wortschatzbereichen, z.B. des Fachwortschatzes, des Grund- und Aufbauwortschatzes, noch keine ausreichenden Frequenzuntersuchungen 1 zur Idiomatik vorliegen. Die Ursachen hierfür sind unter anderem in der Problematik der Definition dessen zu suchen, was als idiomatischer Wortschatz anzusehen ist, was als Komponente zum einzelnen Idiom gehört, und nicht zuletzt in der notwendigen Berücksichtigung inhaltlicher und funktionaler Kriterien. Zu den genannten Problemen gibt es die unterschiedlichsten Auffassungen, die sich in den Frequenzergebnissen niederschlagen. Im folgenden sollen ausgehend von Vorkommensanalysen französischer Idiome in Le Nouvel Observateur Fragestellungen zu den theoretischen Prämissen dieser Analysen und zur Integration dieser Ergebnisse in Lehrwerken aufgeworfen werden. Im Hinblick auf die genannte Zielsetzung sind im Vorfeld der Frequenzuntersuchung folgende Fragen zu klären: 1. Was gehört zum idiomatischen Wortschatz? 2. In welcher Weise ist er nach funktionalen Kriterien zu gliedern? 3. In welcher Form sind Kontextabhängigkeit und Kommunikationssituation zu berücksichtigen? Teilergebnisse liegen vor allem zu ihrem Auftreten in Wörterbüchern im Verhältnis zum übrigen Wortschatz vor (vgl. hierzu auch die Ausführungen von Ettinger 1989). Die Frequenzlisten von Cheydleur (1929) enthalten vorrangig Adverbien und Funktionsverbgefüge, Idiome sind wenig zu finden. FLuL 21 (1992) Avoir Jes Jocutions sur Je bout de Ja langue? 141 1.1 Definition der Idiome Zu den ersten beiden Fragen gibt es in der einschlägigen Literatur recht umfassende Diskussionen. Dabei werden in bezug auf die Definition des phraseologischen Kembereich.s meist folgende Merkmale genannt (vgl. Pilz 1977, Fleischer 1982, Gläser 1986): 1. Es handelt sich um Mehrwortverbindungen, die mindestens ein Autosemantikon enthalten und die kleiner als ein Satz sind. 2. Diese Mehrwortverbindungen sind lexikalisiert, als Ganzes im System integriert und werden in der Norm wiederholt gebraucht. 3. Sie besitzen eine in unterschiedlichem Grad ausgeprägte lexikalische, semantische, syntaktische und morphologische Fixiertheit (Stabilität, Festigkeit), die sich auch auf ihre situative und kontextuelle Verwendung beziehen kann. 4. Sie weisen vollständig oder teilweise Idiomatizität auf, die auf einer qualitativ neuen Einheit der Konstituenten des Wortgruppenlexems beruht und die sich von ihrer in anderen Lexemverbindungen (z. T. auch der gleichen) allgemein üblichen Semantik unterscheidet. Für uns sollen die genannten Merkmale zunächst einer groben Einteilung dienen. Wir erfassen demnach idiomatisch fixierte Wortgruppenlexeme (Phraseolexeme, Phraseologismen im engeren Sinne) wie battre Ja chamade, une peau de vache, au coeur de, etre aux anges, dent pour dent usw. und verwenden im folgenden Idiom als Arbeitsterminus. In der praktischen Frequenzanalyse erfordern die in den Definitionen enthaltenen Spielräume hier ausgedrückt durch allgemein üblich, unterschiedlich ausgeprägt, vollständig oder teilweise, qualitativ neu - und Grenzfälle weitere Festlegungen. 1.1.1 Mehrgliedrigkeit Die bereits oft in der Terminologie hervorgehobene Mehrgliedrigkeit von Idiomen, z.B. polylexonic Jexeme (Makkai), unite phraseologique (Bally), Wortgruppenlexem (Wissemann), feste Wortkomplexe (Cemyseva), slovosocetanie (Vinogradov), word-combination (Achmanova), Wortketten (Burger) usw., ist als Voraussetzung dafür anzusehen, daß Idiomatik entstehen kann im Sinne einer Umdeutung mehrerer Zeichen zu einer neuen lexikosemantischen Einheit. Das Zusammenspiel einander widersprechender Merkmale der Mehrgliedrigkeit und der lexemischen Einheit, der als Ganzes ein signifie zugeordnet ist, macht die Besonderheit der Idiome in der sprachlichen Kommunikation aus. Beide Merkmale sind daher immer unbedingt im Zusammenhang zu betrachten, zumal sie beide für sich gesehen schwer zu umreißen sind. Die Mehrgliedrigkeit berührt Fragen der Wortdefinition, die aufgrund der Vielschichtigkeit des Wortes, d.h. der Möglichkeit, es als Einheit der phonemisch-graphemischen, der morphematischen und semantischen Ebene anzusehen, FLuL 21 (1992) 142 Barbara Stein recht problematisch ist, vor allem dann, wenn einzelne Aspekte isoliert gesehen werden (vgl. hierzu ausführlicher Schippan 1984: 64 ff). So ist im Französischen eine phonologische oder intonatorische Abgrenzung des Einwortlexems vom Mehrwortlexem meist nicht möglich aufgrund der chaine parlee und der Prosodie, die die kommunikative Funktion einer Äußerung mitbestimmen. Grammont (1958: 102) hebt diesbezüglich hervor, que [... ] Je plus souvent aucun fait materiel ne marque Ja fin ou Je commencement d'un mot. Auch graphemisch sind Wortgrenzen nicht immer eindeutig festzulegen, vergleicht man z.B. folgende Schreibmöglichkeiten: s'il vous plait s. v.p., morte s1Jison morte-saison, croquenote croque-note, sang-froid cheval a sang froid. Nun beruht die Schreibweise auf einer langen kulturellen Tradition und hat gerade im Französischen eine andere Entwicklung durchlaufen als der mündliche Sprachgebrauch. Somit wäre es nicht einleuchtend, auf der Grundlage der Schreibform zwischen bonjour als nichtphraseologischem und banne joumee als phraseologischem Sprachzeichen zu unterscheiden bzw. tritt bei bonjour oder auch bei tete-a-tete, teleski noch ·die Frage auf, ob eine Kombination lexikalischer Morpheme nicht ebenso eine Gegliedertheit repräsentiert. Trotz der genannten Probleme ist bei Idiomen zu bedenken, daß auch die Form eine besondere Funktion ermöglicht und somit dennoch mehr oder weniger bewußt eine allgemein übliche intuitive und im Schriftbild formal durch Leerstellen eingegrenzte Wortvorstellung der Idiomatizität zugrundeliegt. Dies bedeutet nicht, daß der Zeichenverwender die Idiome analysiert, sie werden in ihrer Gegliedertheit global reproduziert. Dies äußert sich in ihrer Kommutierbarkeit en bloc (Coseriu 1966), in der Möglichkeit, oppositionelle Relationen untereinander herzustellen, wie sie für Systemeinheiten charakteristisch sind (Thun 1978: 253), in ihrer Einsatzfähigkeit für Einzellexeme (z.B. tomber dans les pommes für s 'evanouir) sowie in der Möglichkeit, durch bestimmte Veränderungen am Idiom oder durch den Kontext gleichzeitig eine nichtidiomatische Lesart hervorzurufen, die wir, wie Schweizer (1978: 111) hervorhebt, als „Störung einer gewohnten, festen sprachlichen Form" erleben (vgl. auch Higi-Wydler 1989). Andererseits wird in diesen Sprachspielen oft gerade die Gegliedertheit des Idioms genutzt und einzelne Konstituenten durch ähnlich lautende oder durch ähnlich bedeutende ersetzt, durch Wiederholung im Text isoliert usw., wie beispielsweise: II faut battre sa mere tant qu'elle est chaude. (Ersatz von Je fer durch Ja mere in Vailland 1958: 90). L'hotesse [...] est [...] devant moi en chair et en os: en chair pulpeuse et en os menus (Merle 1976: 9). 1.1.2 Idiomatik Die Funktion der Idiome als neue lexiko-semantische Einheiten auf der Basis der äußeren Form als Wortketten ist ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal nicht FLuL 21 (1992) Avoir Jes locutions sur Je baut de Ja langue? 143 nur gegenüber Einwortlexemen, sondern auch gegenüber anderen fixierten Wortketten wie s'entretenir de, une Jangue etrangere, faire de Ja natation, pas du tout usw. Ebenso wie die Gegliedertheit kann auch die Idiomatizität dem Sprachbenutzer mehr oder weniger bewußt sein. Ist die Idiomatik nur noch sprachgeschichtlich nachvollziehbar und im gegenwärtigen Gebrauch zur allgemein üblichen, "regulären" Semantik geworden, die den betreffenden Konstituenten auch in anderen Syntagmen zugeordnet. wird, so kann man nicht mehr von Idiomen im o.g. Sinne sprechen. Dies trifft z.B. für viele adverbiale Phraseologismen zu wie tout a coup, tout de suite, d'abord, d'un cote. So ist die ursprüngliche Bedeutung von abord, ,maritimer Landungsplatz', in d'abord, au premier abord, des J'abord usw. nicht mehr gegenwärtig. Die Idiomatizität als Möglichkeit einer Lesart ist nicht nur vom synchronen oder diachronen Verständnis abhängig, sondern auch von der Kontextsituation, dem Bildungsstand des Sprechers/ Hörers, seinem soziokulturellen und historischen Hintergrundwissen, seiner individuellen Sach- und Alltagserfahrung, vom Textzugang als Muttersprachler oder Lerner einer Fremdsprache usw. So kann je ne tiens pas sur mes jambes bei der Situation einer Fußverletzung nichtidiomatisch verwendet werden, in bezug auf Müdigkeit und Unwohlsein idiomatisch. Allerdings bieten Idiome unterschiedliche Voraussetzungen für die Möglichkeit einer nichtidiomatischen Verwendung. Sie kann auftreten bei Homonymie mit einem nichtidiomatischen Syntagma, d.h. in den Fällen, wo ein referentieller Gebrauch möglich ist, z.B. un homme de paille, tirer une epine du pied. In tomber dans Je Jacs besteht keine Homographie, so daß im Schriftbild zwischen Jacs und Jac, also zwischen ,Fallstrick' und ,See', unterschieden werden kann, im mündlichen Gebrauch jedoch nicht. In battre sa coupJe, tomber a Ja renverse, l 'echapper belle verhindert eine veraltete oder ungebräuchliche Lexik oder Syntax ein nichtidiomatisches Verstehen, in ne pas etre dans son assiette oder rire jaune der nicht wörtlich zu nehmende Sachbezug. Da wir in unserer Frequenzanalyse Idiomatik als Definitionsmerkmal voraussetzen, ist somit bei nichtidiomatischer homonymer Verwendungsmöglichkeit die jeweilige Kontextsituation zu berücksichtigen. Für Abgrenzungen von nichtidiomatischen fixierten Wortgruppenlexemen geben uns Wörterbuchdefinitionen darüber Auskunft, ob bestimmte Konstituenten gemeinsam mit anderen Elementen der Wortgruppe eine einmalige idiomatische Bedeutung ausdrücken oder nicht. So wird im Wörterbuch Lexis als übliche Semantik von coup unter anderem definiert: bruit soudain...produit par l'usage d'un instrument und acte ou evenement qui atteint vivement queJqu'un. Somit können coup de teJephone und tout a coup nicht als Idiome gelten, da mit o.g. Semantik auch andere Wortgruppen gebildet werden wie un coup de fusiJ/ de marteau/ de sifflet oder un coup de pied/ de soJeiJ, recevoir un coup. In un coup d'epee dans J'eau hingegen drücken weder coup, noch epee, noch eau eine Semantik aus, die sie in anderen Verwendungen haben. FLuL 21 (1992) 144 Barbara Stein 1.1.3 Fixiertheit der Konstituenten Hinsichtlich der Grenzen des einzelnen Idioms ist der fixierte lexikalische Bestandteil von freien Elementen zu trennen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß teilweise ein begrenzter Austausch von Konstituenten, Erweiterungen oder Reduktionen möglich ist, wie z.B. etouffer/ ecraser quelque chose dans l'oeuf, se creuser Ja tete/ Ja cervelle, se faire des cheveux (bJancs), envoyer queJqu'un au diabJelii tous Jes diabJes. Wird mit diesen Varianten die Idiomatik nicht verändert und sind sie auf zwei bis drei Möglichkeiten beschränkt, so können sie als Bestandteil des Idioms angesehen werden. Freie und bewußte Abweichungen vom fixierten Gebrauch müssen bei der Frequenzermittlung gesondert berücksichtigt werden, da ihre kommunikative Wirkung auf der Grundlage der Kenntnis des Idioms erzielt wird. Entscheidungen über die Zugehörigkeit von Hilfsverben zum Idiom sind differenziert zu treffen. Fleischer (1982: 145) weist unter Berufung auf Fix darauf hin, daß es bei dem Hilfsverb sein im Deutschen darauf ankommt, ob seine Leistungen lediglich in der Prädikation zu suchen sind. In diesem Fall ist der „nominale Teil ohne Bedeutungsveränderung in der syntaktischen Rolle eines Substantivs (Subjekt/ Objekt ohne sein) verwendbar". Auch im Französischen liegt in tu es un ane kein Idiom vor, etre wird hier lediglich mit einem bildhaft verwendeten Nomen verbunden, ane kann in gleicher Bedeutung die Rolle eines Subjekts oder Objekts übernehmen: regardez donc cet ane, · voiJii un ane oder durch semi-auxiliaires ersetzt werden: tu restesldevienslas l'air d'un ane. Das gleiche gilt für die Wortgruppen etre une robe de fatigue oder etre en pied, die zwar Idiome sind, in denen etre aber aufgrund gleicher Austauschmöglichkeiten nicht zum Idiom gerechnet werden darf: vendrelporter/ dechirerls'habiller d'une robe de fatigue, prends cette robe de fatigue, un portrait en pied usw. Etre pique des vers, etre tombe sur Ja tete hingegen können nicht ohne etre als Subjekt oder Objekt verwendet werden, etre ist auch nicht austauschbar und gehört somit zum Idiom. Ähnliche Beispiele lassen sich auch mit avoir anführen. Hier kann auch bei einem Ersatz von avoir durch etre die Idiomatik vollkommen verlorengehen und ein Indiz dafür sein, daß das Hilfsverb avoir zum Idiom gehört, z.B. avoir son pied dans Ja fosse son pied est dans Ja fosse. In anderen Beispielen erweist sich avoir als bedeutungsleer und übernimmt die Funktion eines Verknüpfungselements: avoir son pain assure in son pain est assure liegt nur ein nuancierter Bedeutungsunterschied vor. (Zu avoir in Idiomen vgl. Riegel 1989). 1.2 Verfahrensweisen für die Frequenzermittlung von Idiomen 1.2.1 Verhältnis von Idiomen zum übrigen Wortschatz Sieht man davon ab, daß eine Frequenzanalyse des Wortschatzes im Hinblick auf die erwähnte Wortproblematik linguistisch unbefriedigend sein muß, so ergeben FLuL 21 (1992) Avoir les locutions sur Je bout de Ja langue? 145 sich für unterschiedliche Vorgehensweisen noch zusätzliche Probleme. Wir gehen von folgenden Möglichkeiten der Häufigkeitsermittlungen aus: 1. Es werden in einer bestimmten Textmenge nur die Idiome gezählt. Für die Belange des Fremdsprachenunterrichts ist jedoch das Verhältnis der Idiome zum Gesamtwortschatz von Interesse, um sie entsprechend repräsentativ in Lehrwerke aufnehmen zu können. Der Anteil der Idiome am Gesamtwortschatz kann auf verschiedene Weise ermittelt werden. 2. Der idiomatische und nichtidiomatische Wortschatz werden in gleicher Weise nach der jeweiligen Anzahl der "Wörter" erfaßt. Das würde rein quantitativ in bezug auf den im Text eingenommenen Raum zufriedenstellen, ist jedoch aufgrund der ganzheitlichen Bedeutung und ganzheitlichen Reproduziertheit fixierter Wortgruppenlexeme nicht sinnvoll. 3. Man erfaßt alle idiomatischen und nichtidiomatischen fixierten Wortgruppenlexeme jeweils als Worteinheiten. Schwierigkeiten ergeben sich hierbei für die Festlegung von Fixiertheit und aufgrund der fließenden Grenzen zu Kollokationen, d.h. zur häufigen, gewohnheitsmäßigen oder auch logischen und valenzbedingten Verbundenheit der Konstituenten, wie z.B. in une equipe de Football, attacher de l'importance a, demander des explications, Jes pays occidentaux usw., Dieses Vorgehen erscheint linguistisch am besten gerechtfertigt, erweist sich jedoch aufgrund der häufig meist subjektiv ausfallenden Entscheidungen hinsichtlich der inneren und äußeren Grenzen dieser Worteinheiten als nicht realisierbar. 4. Wir haben uns dafür entschieden, jeweils nur Idiome als Worteinheiten zu zählen (analog zu Burger/ Buhofer/ Sialm 1982 und Ettinger 1989). Die Grenzfälle zwischen idiomatischem und nichtidiomatischem Verständnis von Wortgruppen sind nicht sehr häufig, bei diesen Beispielen haben wir auf der Grundlage von Befragungen muttersprachlicher Sprecher Entscheidungen gefällt. Sprachspielerischer Gebrauch von Idiomen wurde gesondert aufgeführt. 1.2.2 Klassifikation der Idiome Für eine Vorkommensanalyse ist neben einer begrenzenden Bestimmung des idiomatischen Wortschatzes eine Gliederung des recht heterogenen Materials notwendig. Klassifikationen der Phraseologismen (vgl. hierzu ausführlich Pilz 1977 und Thun 1978) können nach den verschiedensten Kriterien einzeln oder komplex vorgenommen werden, nach materiell-strukturellen Gesichtspunkten (der kategorialen grammatischen Struktur, Schichtzugehörigkeit, Satzgliedfunktion), nach ihrem transformationellen Verhalten, ihren distributionellen Bezügen zum Kontext, nach ihrem semantischen Bau, dem Grad und der Art der Idiomatizität, der Fixiertheit ·oder Motivation, nach ihrer Zugehörigkeit zum System, zur Norm und/ oder Rede, nach ihrer Rolle .im Kommunikationsakt, nach stilistischen, rhetorischen Gesichtspunkten, nach ihrer sachbezogenen Komponente, ihren zwischensprachlichen Bezügen usw. Eine Frequenzermittlung für Belange des Fremdsprachenunterrichts sollte unserer Auffassung nach funktionale Aspekte von Idiomen berücksichtigen. So betont Martinet (1970: 8): Decrire une langue, c'est preciser ce qui 1a differencie de toutes ! es autres langues. Or, [...] ce qui rend une langue differente de toutes les autres, c'est moins la nature substantielle des unites avec lesquelles eile opere, que la fa9on dont ces unites fonctionnent, c'esta-dire la maniere dont elles contribuent a la communication. FLuL 21 (1992) 146 Barbara Stein Somit sollten nicht, wie es oft getan wird, Idiome an sich als Besonderheiten des Fremdsprachlichen angesehen werden, nicht ihr besonders häufiges Auftreten im Text kann als Gradmesser für die Kenntnis der Fremdsprache angesehen werden, sondern ihre quantitativ und funktional adäquate Verwendung. Die genannten Klassifikationskriterien berücksichtigen verschiedene funktionale Aspekte. Uns interessieren Idiome im folgenden als resümierend hervorhebende, expressive und zum Teil gezielte Kennzeichnungen von Personen, Charakteren, Handlungen und Verhaltensformen, Ereignissen und Zuständen, die als Ausdrucksverstärkung die Rede auf den Punkt bringen und mit denen in gewisser Weise ein Hinausgehen über den „regulären" Sprachgebrauch, eine metasprachliche Sicht verbunden ist, indem sie mit den genannten funktionalen Möglichkeiten genutzt werden. Idiome weisen daher vielfach „textbildende Potenzen" (Fleischer 1980) auf und sind nominativ und kommunikativ bedeutend. Für unsere Einteilung war außerdem das relativ häufige Vorkommen eines phraseologischen Typs in dem untersuchten Corpus ausschlaggebend, d.h. letztlich auch vom Vorrang bestimmter Textsorten abhängig. Vorkommenshäufigkeit, eine grundlegend struktursemantische Mischklassifikation und die genannten funktionalen Kriterien bilden somit die Basis für unsere Grobgliederung der Idiome, um handhabbare Kategorien für ihre Frequenz und Bedeutung in Lehrtexten zu erhalten. Nichtidiomatische Funktionsverbgefüge (prendre conge, mettre en apposition), nichtidiomatische Wortpaare (frere et soeur, jour et nuit), onymische Wortgruppen (Ja Mer du Nord, Ja Republique fran~aise) sowie klischeehafte Schlagworte (Je mode de vie, une experience pilote), deren Konstituenten durch häufiges gemeinsames Auftreten assoziativ zugeordnet werden können und die relativ fest fixiert sind, gehören aufgrund der genannten funktionalen Auswahlkriterien nicht zu unserem Untersuchungsbereich. Die Konstituenten dieser Wortgruppen können in anderen Spracheinheiten mit gleicher Semantik wiederholt werden, während sie in Idiomen gemeinsam mit anderen Konstituenten eine einmalige formale und inhaltliche Einheit bilden. Ähnliches betrifft auch Idiome, deren situative und textpositionelle Fixiertheit im Vordergrund steht, wie „pragmatische" Idiome, Sprichwörter, cliches-repliques (FWG außerhalb der Sprache nach Thun 1978: 252). Sie gehören außerdem als Sätze oder Ellipsen, die eine vollständige Sprechhandlung ausdrücken, zum Randbereich der Phraseologismen. Zu ihnen sind Einwortlexeme wie bonjour, merci, zut genauso zu rechnen wie Wortgruppenlexeme bonne joumee, je vous remercie, zut alors. Diese „pragmatischen" Idiome stehen an bestimmten Stellen des Textes, drücken oft Gemeinplätze aus und sind als vorgeformte Wendungen kaum durch andere Bezeichnungen ersetzbar. Sprichwörter, Zitate und Redensarten unterscheiden sich von Idiomen darin, daß sie als Satzäquivalente zitierte literarische Kleinstformen darstellen und als solche feste Urteile und Überlegungen wiedergeben. FLuL 21 (1992) A voir les locudons sur Je bout de Ja Jangue? 147 Die für uns relevanten Funktionen übernehmen in unterschiedlicher Form folgende Idiome: 1.2.2.1 Verbale Idiome. Sie treten in dem von uns untersuchten Corpus am häufigsten auf. Da die Verbalkonstituenten mit den verschiedensten complements verbunden werden können, sind vielfältige Strukturen möglich, wie pleurer dans Je noirlses fautesltoutes Jes larmes de son corpslii chaudes larmeslmisereld'un oeil et rire de l'autre. Zu unterscheiden sind bezüglich des verbalen Bezugswortes: (a) Verbale Idiome mit Hilfsverben, die zur Beschreibung von Eigenschaften und Zuständen dienen, wie avoir Ja dent dure, etre dans de beaux draps. Diese Gruppe ist abzugrenzen von nominalen Idiomen, die auch mit etre oder avoir verbunden werden können, in denen jedoch die Hilfsverben keine fixierten Konstituenten darstellen (vgl. 1.2.2.2). (b) Verbale Idiome mit Vollverben, die eine Handlung beschreiben. Eine Unterteilung nach idiomatischer Verbkonstituente (tomber des nues, nager entre deux eaux) und nichtidiomatischer Verbkonstituente (geler ii pierre fendre, jouer jusqu'ii sa chemise) erscheint uns aufgrund der fehlenden Berücksichtigung der Idiomatik der complements zu einseitig und bei in den meisten Funktionsverbgefügen auftretenden „beziehungsweiten" Verben (mettre, faire, poser) oder bei Modalverben (vouloir sa part du gateau) nicht immer eindeutig durchführbar, obwohl hier auch Unterschiede im Idiomatizitätsgrad deutlich werden und eine Untergliederung im Rahmen einer allgemeinen Klassifizierung der Idiome berechtigt ist. In diesem Zusammenhang müßte dann auch nach lexikalischen und syntaktischen Besonderheiten, nach referentiellen Bezügen, nach Möglichkeiten einer „freien" homonymen Verwendung unterschieden werden. Da uns dies zu weit führen würde, bleiben wir bei einer Unterteilung der Verben nach den unter (a) und (b) genannten Gruppen. 1.2.2.2 Nominale Idiome. Unter nominalen Idiomen fassen wir mit Substantiven gebildete Idiome zusammen, die nicht an ein verbales oder präpositionales Bezugswort gebunden sind. Sie werden aus nom + epithete (adjectif ou participe) gebildet und kennzeichnen Sachverhalte, Geschehnisse, Personen. Die Idiomatik kann durch das nominale „Kernwort" ausgedrückt werden (un vilain oiseau, Je matin de Ja vie), durch die epithetes oder complements determinatifs (des airs de prince, Je troisieme age, une economie de bouts de chandelle) oder durch die Gesamtheit der Idiomkonstituenten (Jes premiers lits, Je cercle vicieux). Ein großer Teil dieser nominalen Idiome sind Komposita, sie können auch nichtphraseologisch gebraucht werden und wirken stilistisch wie fixierte . (klischeehafte) Metaphern. 1.2.2.3 Adverbiale Idiome. Diese Idiome besitzen eine Vielfalt syntaktischer Strukturen (au sein de, ii ciel ouvert, pour une poignee de cacahouetes) mit FLuL 21 (1992) 148 Barbara Stein meist modaler, lokaler oder temporaler Bedeutung. Die Beurteilung der Idiomatizität bezüglich einer auf synchronem Sprachverständnis beruhenden Remotivierbarkeit ist hier besonders schwierig. Im Hinblick auf Expressivität bewirkende funktionale Aspekte haben wir adverbiale Idiome, die zu Nominationsstereotypen geworden sind, wie en effet, au fait, a tout temps, tout de suite usw. aus unserer Untersuchung ausgegrenzt. Neben weniger häufigen Idiomen, in denen eine Idiomatik im heutigen Sprachgebrauch noch nachvollziehbar ist (sous Je manteau de, en raue libre, avec Jes yeux de), haben wir auch adverbiale Idiome aufgenommen, die durch Besonderheiten der Lexik oder Syntax auffallen (au jour Je jour, a travers champs). 1.2.2.4 Feste Vergleiche. Sie heben sich von anderen Idiomen dadurch ab, daß der Idiomatisierungsprozeß durch Vergleichsbezeichnungen (comme, a) explizit genannt, Nichtidiomatisches und Idiomatisches somit aufeinander bezogen wird und semantisch präsent ist. Dabei sind verschiedene syntaktische Strukturen möglich: travailler comme un cheval, blanc comme neige, bete a manger du foin, fou a lier usw. Bezugswörter sind meist Verben oder Adjektive. Ein Bezugswort kann mehrere Vergleiche haben (puer comme un rat mortlcomme une punaise/ comme Jes chaussettes d'un gendarme) oder ein fester Vergleich mehrere Bezugswörter (etre beau / chanter comme un ange, avoir une patience d'ange). Die Bindung von Vergleich und Bezugswort ist meist fest. Feste Vergleiche können entweder die Semantik des Bezugswortes expressiv verstärken (rouge comme une ecrevisse, tetu comme un mule), sie differenzieren (mourir comme un chien, jeter comme des Kleenex) oder beide Funktionen aufweisen (dormir comme un loir, partir comme une fleche). Die Idiomatik kommt besonders in Vergleichen zum Ausdruck, in denen das tertium comparationis nicht aus der üblichen Semantik der Konstituenten ableitbar ist (sage comme une image, rire comme une baleine) oder in denen der Vergleich auf der antonymen Semantik beruht (s'accorder comme chien et chat, aimable comme une porte de prison, nager comme un fer a repasser). Da die genannten Funktionen teilweise schwer zu differenzieren sind, werden wir Vergleiche für die Frequenzermittlung nicht weiter untergliedern. 1.2.2.5 Phraseologische Paarformeln. Paarformeln, in denen zwei, vereinzelt auch drei Lexeme gleicher Wortart durch Konjunktion oder Präposition irreversibel miteinander verbunden bzw. einfach aneinandergereiht sind, bewirken aufgrund der annähernd gleichwertigen Komponenten einen Doppelungseffekt und eine Intensivierung det Aussage (sain et sauf, sans rime ni raison, bon gre mal gre, prendre ses cliques et ses claques). Aufgrund lautlicher Besonderheiten wie End- oder Stabreim, Lautmalerei, vom Üblichen abweichende liaison usw. haben die Paarformeln eine sprachliche Signalwirkung im Text und stützen eine intensivierende, veranschaulichende, expressive Aussage (vgl. hierzu Stein 1991). FLuL 21 (1992) A voir Jes Jocutions sur Je baut de Ja Jangue? 149 1.2.2.6 Von den Paarformeln sind fixierte syntaktische Konstruktionen zu unterscheiden, deren Idiomatik verblaßt ist (dent pour dent, pas a pas). Einem bestimmten syntaktischen Schema (nom 1 + pour + nom 1 , nom 2 + a + nom 2) liegt eine bestimmte Semantik zugrunde, z.B. ,vollständig, jede Einzelheit umfassend'. Sie gehören aufgrund von Reihenbildungen zum Randbereich der Phraseologie. Ihre Wirkung beruht stark auf der formelhaften äußeren Struktur. Das iterative Moment drückt hier ähnlich wie bei Paarformeln eine Intensivierung aus und läßt diese Wortgruppen im Text hervortreten. 1.2.3 Corpus An dieser Stelle soll nochmals betont werden, daß es uns in erster Linie um theoretische Probleme der Frequenzanalyse von Idiomen als Basis für den Fremdsprachenunterricht geht, weniger um abgeschlossene Ergebnisse in diesem Bereich. Für eine solche Zielsetzung müßten die Textmenge und auch die Zahl und Art der Textsorten erheblich erweitert werden. Die hier als Corpus getroffene Wahl soll nur als stichprobenartige Analyse verstanden werden, aus der sich Fragestellungen, Tendenzen und Aufgaben ableiten lassen können. Für unsere Untersuchung haben wir drei verschiedene Quellen etwa gleichen Umfangs gewählt (je 60 000 bis 65000 Wörter): 1. Texte aus Le Nouvel Observateur, die als authentische Texte eine Vergleichsbasis· darstellen. Aus dieser Zeitschrift wurden sehr viele Auszüge für das Lehrmaterial Archipel genutzt, das uns ebenfalls als Quelle diente. Die Themenbereiche und Textsorten der Zeitschrift und des Lehrwerkes sind annähernd gleich. 2. Das Lehrmaterial Archipel enthält viele Texte aus Zeitschriften, der Literatur, aus Sachbüchern usw., aber auch für Lehrzwecke erstellte Dialoge, Kommentare, Beschreibungen und Hinweise. Mit diesem Lehrwerk soll ein in Frankreich erschienenes Material einem in Deutschland herausgegebenen und vielfach an Realschulen und Gymnasien genutzten Lehrwerk bezüglich der verwendeten Idiome gegenübergestellt werden. Für diese Zielsetzung nutzten -wir: 3. die Lehrbücher Etudes Franfaises - Behanges, .von denen die Bände 1-4 der edition courte und der Band 4 der edition longue zugrundegelegt wurden. Uns interessierten in beiden Lehrwerken nur relativ geschlossene Texte. Grammatikübungen und -kornmentare wurden in die Vorkommensanalyse nicht mit einbezogen. 1.2.4 Charakteristik der Texttypen Die mit der Problematik der Textsorte verbundenen Diskussionen, ihre von verschiedenen Sprechhandlungstypen, inhärenten Texteigenschaften, textexternen Faktoren usw. ausgehenden Typologien können hier nicht aufgeführt werden. Sie sind zudem häufig sehr komplex, eine eindeutige Zuordnung der Texte zu FLuL 21 (1992) 150 Barbara Stein bestimmten Textsorten ist nicht immer möglich. Eine Typologie der Texte wäre jedoch für eine umfassendere Untersuchung eine wichtige Voraussetzung. Im folgenden sollen die untersuchten Texte nur grob unterteilt und nach ihren Besonderheiten in den verschiedenen Quellenmaterialien beschrieben werden. 1.2.4.1 Im Nouvel Observateur unterscheiden sich vor allem bezüglich der Thematik: Berichte, Sachinformationen (dossier). Es sind Informationen vor allem zu Themen der Sozialpolitik, Kultur(geschichte), Technik usw. Die Sachdarstellungen enthalten häufig direkt zitierte umfangreiche Kommentare und Meinungen betroffener und verantwortlicher Personen. Auch die Redakteure geben persönliche Wertungen und Einschätzungen zum Thema ab. Kommentare zu ökonomischen und politischen Themen, über Stand und Entwicklungen in diesem Bereich, die ähnlich wie Sachinformationen abgefaßt sind, in denen aber weniger ausführlich zitiert wird. Kritiken im kulturellen Bereich. Hierzu zählen Theater-, Konzert-, Fernsehkritiken und Buchrezensionen. Auch in diesen Texten werden oft persönliche Meinungen, Stellungnahmen und Kommentare veröffentlicht oder auch umfangreichere Textausschnitte aus Büchern wiedergegeben. Kurzinformationen zu Themen der Politik und Forschung. Diese Texte beginnen häufig mit einer Sachinformation und enden mit einem resümierenden Kommentar. Meinungen werden überwiegend in der indirekten Rede formuliert. Leserbriefe. Die meisten Leserbriefe enthalten ergänzende Sachinformationen oder Richtigstellungen zu Berichten der Zeitschrift, aber auch persönliche Meinungsäußerungen und Stellungnahmen. Interviews. In den Interviews informieren die befragten Personen ausführlich über bestimmte Sachbereiche, so daß sie sich stilistisch nicht sehr von den Berichten unterscheiden. Hier steht jedoch die Meinungsäußerung der befragten Person im Vordergrund, die Meinung des Redakteurs kommt vergleichsweise kurz zum Ausdruck. Die Interviews im Nouvel Observateur sind expositorisch und haben keinen spontanen, lockeren Gesprächscharakter, sie sind daher keinesfalls etwa aufgrund der Dialogform mit Gesprächen in Lehrbuchtexten vergleichbar. Reklame. Wir haben hier Texte zu als Neuheiten vorgestellten und bildlich repräsentierten Gegenständen erfaßt und auch die in den Zeitschriften enthaltene sonstige Reklame. 1.2.4.2 In den Lehrbüchern lassen sich folgende Texte unterteilen: Gespräche, Kurzdialoge zu alltäglichen Themen, besonders im familiären Bereich und Freundeskreis. Wir erfassen hier auch Telefongespräche, Erleb- FLuL 21 (1992) Avoir Jes locutions sur Je bout de Ja langue? 151 nisberichte, Kurzerzählungen mit Dialogen und Interviews, die im Stil der persönlichen Unterhaltung abgefaßt sind. Beschreibungen, Hinweise, Zusammenfassungen und Einführungen zu Texten, Situationsbeschreibungen und Informationen zu Bildern und Fotos, Formulierungen von Aufgabenstellungen. Es sind hier verschiedene Texte zusammengefaßt, in denen sich die Lehrbuchautoren mehr oder weniger direkt an den Lerner wenden. Sachtext, Bericht. Zu diesem Bereich gehören Texte, die sachlich informieren, die wenige persönliche Kommentare enthalten, in denen vereinzelt aber auch persönliche Stellungnahmen abgegeben werden. Briefe. Die Lehrbücher enthalten meist persönliche Briefe, Leserbriefe an eine Zeitschrift, aber auch offizielle Briefe wie Geschäftsbriefe, Bewerbungsschreiben, Briefe an Agenturen usw. Bei den "authentischen" Texten handelt es sich oft um Textauszüge, die für Lehrzwecke aufbereitet sind. Dabei sind zu unterscheiden: Literarische Texte. Gedichte und Lieder, Textauszüge aus verschiedenen Bereichen der Literatur. Sachtexte. Auszüge aus Sachbüchern, Zeitschriften, Nachrichtenmeldungen sowie Annoncen und Reklametexte. Die Kurzcharakteristik der Texte ergibt, daß Lehrbuchtexte und Zeitschriftentexte für sich bereits besondere Texttypen darstellen, die nur sehr bedingt vergleichbar sind. Textsortenbeziehungen könnten hergestellt werden zwischen in den Lehrbüchern enthaltenen authentischen Sachtexten und Berichten, Kommentaren, Kritiken, Kurzinformationen sowie Reklame in den Zeitschriften oder auch zwischen Leserbriefen in den Zeitschriften und den in den Lehrbüchern enthaltenen Leserbriefen. Im folgenden Schema sind diese Beziehungen durch einfache Verbindungslinien dargestellt. Mit der gestrichelten Linie weisen wir auf Texte der Lehrbücher und Zeitschriften hin, die teilweise gleiche textinhärente Elemente enthalten. Zeitschriftentexte Bericht Kommentar Kritiken - - - Kurzinformation Leserbriefe Interview =----------_: ._----- Reklame FLuL 21 (1992) Lehrbuchtexte Gespräch Beschreibung Sachtext Briefe Literarische Texte "Authentische" Sachtexte 152 Barbara Stein 2 Ergebnisse der Frequenzermittlungen 2.1 Tabellarische Übersichten Die Prozentzahlen bei der Gesamtangabe der Idiome beziehen sich auf ihr Verhältnis zum Gesamtwortschatz, die Prozentangaben bei den einzelnen Klassifikationen der Idiome geben ihr Verhältnis zum gesamten Anteil der Idiome wieder. Sprachspielerische Verwendungen haben wir mit + markiert. 2.1.1 Texte aus Le Nouvel Observateur I d i o m e Wortdavon: verbal mit nomiadver- Ver- Paarfixierte Schatz Idiome Hilfs- Vollnal bial gleiche forsyntakt. inges. verb verb meln Konstr. Berichte 15052 248 16 78 82 54 7 2 9 1,6% 6,5% 31,6% 33,1% 21,7% 2,8% 0,8% 3,7% Korn- 6513 163 12 65 41 38 3 2 2 mentare 2,6% 7,4% 39,9% 25,2% 23,3% 1,8% 1,2% 1,2% 105 8 49 24 18 4 2 Kritiken 7341 +1 1,5% 7,6% 46,7% 22,9% 17,1% 3,8% 1,9% Kurzin- 5989 58 3 19 18 14 1 3 format. 1% 5,2% 32,8% 31% 24,1% 1,7% 5,2% Briefe 6218 54 5 18 16 13 2 0,9% 9,3% 33,3% 29,6% 24,1% 3,7% Inter- 7709 89 10 26 27 18 4 1 3 views 1,2% 11,2% 29,2% 30,3% 20,2% 4,5% 1,1% 3,4% 51 3 7 12 10 6 3 3 Reklame 8503 0,6% 5,9% +4 +1 +2 11,8% 5,9% 5,9% 21,6% 25,5% 23,5% Gesamt 57325 768 57 266 221 167 24 11 22 1,3% 7,4% 34,6% 28,8% 21,7% 3,1% 1,4% 2,9% 2.1.2 Texte des Lehrbuches Archipel (Übersicht S. 153) 2.1.3 Texte des Lehrbuches Etudes Franfaises - Echan.ges (Übersicht S. 153) FLuL 21 (1992) A voir les Iocutions sur Je bout de Ja langue? 153 I d i o m e Wortdavon: verbal mit nomiadver- Ver- Paarfixierte schatz Idiome Hilfs- 1 Vollnal bial gleiche forsyntakt. insges. verb verb mein Konstr. Texte aus ARClllPEL Gespräch 13750 84 20 32 21 8 1 2 0,6% 23,8% 38% 25% 9,5% 1,2% 2,4% Beschrei- 16950 92 17 21 41 8 1 2 2 bung 0,5% 18,5% 22,8% 44,5% 8,7% 1,1% 2,2% 2,2% Sach- 7467 78 7 18 28 19 1 3 2 text 1% 8,9% 23,1% 35,9% 24,4% 1,3% 3,8% 2,6% Briefe 612 11 2 5 2 2 1,7% 18,2% 45,4% 18,2% 18,2% Lite- 11567 89 19 30 11 11 6 11 1 ratur 0,8% 21,3% 33,7% 12,4% 12,4% 6,7% 12,4% 1,1% "auth." 13934 118 7 29 42 27 3 1 9 Sachtext 0,8% 5,9% 24,6% 35,6% 22,9% 2,5% 0,8% 7,6% Gesamt 64280 472 72 135 145 75 12 19 14 0,7% 15,3% 28,6% 30,7% 15,9% 2,5% 4% 3% Texte aus ETUDES FRAN<; AISES - Behanges Gespräch 27418 53 14 15 7 6 3 5 3 0,2% 26,4% 28,3% 13,2% 11,3% 5,7% 9,4% 5,7% Beschrei- 51111 7 3 3 1 bung 0,14% 42,9% 42,9% 14,2% Sach- 17233 63 2 23 18 12 8 text 0,4% 3,1% 36,5% 28,5% 19% 12,7% Briefe 5223 5 3 2 0,1% 60% 40% Lite- 6166 37 6 9 6 7 3 6 ratur 0,6% 16,2% 24,3% 16,2% 18,9% 8,1% 16,2% "auth." 3385 16 3 3 5 1 1 1 2 Sachtext 0,5% 18,8% 18,8% 6,3% 6,3% 6,3% 6,3% 12,5% Gesamt 64535 181 28 55 39 27 4 9 19 0,3% 15,5% 30,4% 21,5% 14; 9% 2,2% 4,9% 10,5% FLuL 21 (1992) 154 Barbara Stein 2.2. Zur Verfahrensweise Aufgrund des geringen Anteils von Idiomen am Gesamtwortschatz schlagen sich unterschiedliche Auffassungen in der Wortdefinition kaum in den prozentualen Ergebnissen nieder. Dennoch sollte im Hinblick auf eine Vergleichbarkeit von Frequenzermittlungen eine Einheitlichkeit im Zählverfahren angestrebt werden. Für das Französische wären beispielsweise noch Fragen zu klären hinsichtlich der Berücksichtigung von Zahlen (125, cent vingt-cinq, vingt-cinq), von Abkürzungen (n 05 , 4h30, M.), von Titeln, von analytischen Verbformen, von enklitischen Formen (moi-meme, la-bas, ci-contre), von Eigennamen 2 • Auch Gougenheim et al. (1964) informieren diesbezüglich nicht über alle Einzelheiten. Das Problem des Anteils einzelner Konstituenten am Idiom läßt sich durch Austauschproben relativ gut klären, Grenzfälle sind so selten, daß sie die prozentualen Ergebnisse nicht beeinflussen. Ein Vergleich unterschiedlicher Zählformen, der jeweiligen Idiome als Einheiten oder ihrer einzelnen Konstituenten, wirkt sich aufgrund des geringen Anteils der Idiome am Gesamtwortschatz einer größeren Textmenge nur sehr geringfügig auf die Ergebnisse aus. Es ist jedoch anzunehmen, daß Frequenzerhebungen auf der Basis eines weiter gefaßten Idiombegriffs bei der Praktizierung der beiden verschiedenen Zählweisen größere Unterschiede feststellen werden. Da wir bei der Einteilung der Idiome von unterschiedlichen Kriterien ausgegangen waren, von funktionalen, semantischen und formal-strukturellen, haben sich auch Überschneidungen ergeben, z.B. fonctionner comme une horloge als verbales Idiom und Vergleich, en bonne et due forme als adverbiales Idiom und Paarformel. Je nach Zielsetzung der Vorkommensanalyse muß jedoch einem dieser Einteilungsprinzipien der Vorrang gegeben werden. Für uns waren es funktionale Kriterien, die Expressivität und die vielfältigen Assoziationsmöglichkeiten der Idiome, die in einigen Fällen mehr durch die Semantik, in anderen mehr durch formale Strukturen hervorgehoben werden können. Andererseits ist gerade die subjektiv mögliche Lesart von Idiomen im Hinblick auf die genannten Funktionen eine ihrer Eigenschaften, die sich nicht in Klassifikationsschemata zwängen läßt. Somit können in einem Bereich zusammengefaßte Beispiele wie aller tres loin, marquer un toumant, voir Je jour, appeler un chat un chat, jeter l'eponge, faire machine arriere hinsichtlich ihrer Funktionen unterschiedlich beurteilt werden. Auch eine Befragung hilft da nicht viel weiter. Die Klassifikation der Texte ist bei einer umfangreicheren Frequenzermittlung differenzierter vorzunehmen als es uns hier möglich war. Problematisch bleibt jedoch das Ineinandergreifen verschiedener textspezifischer Besonderheiten in einem Text. In einigen Fällen der Lehrbuchtexte war es möglich, innerhalb eines Textes Unterteilungen vorzunehmen, wenn z.B. Beschreibung und Dialog 2 Wir hatten Personennamen ausgelassen, da sie vor allem in Dialogtexten der Lehrbücher gehäuft auftreten; Namen von Institutionen, Ortsnamen usw. wurden jedoch mit erfaßt. FLuL 21 (1992) A voir Jes locutions sur Je bout de Ja langue? 155 deutlich getrennt waren. Im Zusammenhang mit der Textsortengliederung ist auch die Berücksichtigung und Differenzierung nach Situationstypen notwendig, da je nach Situation und Sprecherintention andere Auswahlkriterien für Idiome möglich sind. Auch auf diesem Gebiet ist noch wichtige theoretische Vorarbeit zu leisten. 2.3 Faut-il donner sa langue au chat? Angesichts der genannten Probleme, der Notwendigkeit, recht komplexe Zusammenhänge zu berücksichtigen, der subjektiven Entscheidungsmöglichkeit bei Grenzfällen und Überschneidungen einerseits und dem verhältnismäßig geringen Anteil von Idiomen am Gesamtwortschatz andererseits (in unserem authentischen Corpus 1,2%), muß man sich die Frage stellen, ob Frequenzermittlungen von Idiomen überhaupt vertretbar und sinnvoll sind. Für den Fremdsprachenunterricht ließe sich auch die Schlußfolgerung ableiten, daß Idiomen aufgrund ihres geringen Vorkommens keine große Bedeutung beigemessen zu werden braucht und ihre Verwendung für eine Beurteilung der Fremdsprachenkenntnisse unbedeutend ist. Tatsächlich enthalten ja auch die von uns untersuchten Lehrwerke um 1 % weniger Idiome als die Texte des Nouvel Observateur. Diesen Feststellungen muß zunächst entgegengehalten werden, daß Idiome mit ihren funktionalen Besonderheiten gerade aufgrund ihres geringen Vorkommens in den Texten besondere Aussagen und Wirksamkeit erzielen. Somit ist es auch relevant zu analysieren, welche Idiome in den verschiedenen Textsorten und Kommunikationssituationen verwendet werden. Eine Frequenzermittlung . kann helfen, diese Fragestellungen zu klären. Jedoch muß sie sehr viel breiter und differenzierter vorgenommen werden als wir es erprobt haben und als es vielleicht für den Grund- und Aufbauwortschatz möglich ist. Aus unserer Analyse sind aufgrund der genannten Einschränkungen nur sehr allgemeine Aussagen ablesbar. So ergibt eine Gegenüberstellung annähernd vergleichbarer Texte, z.B. der Sachtexte in den Lehrbüchern und der Berichte in den Zeitschriften, einen um 1 % geringeren Anteil an Idiomen in den Lehrbüchern. Ebenso ist der Idiom-Anteil in den übernommenen authentischen Texten um 1 % geringer als in den Zeitschriftentexten selbst. Das läßt vermuten, daß bei Aufbereitungen der Texte für den Fremdsprachenunterricht Idiome gerade ausgelassen oder ausdrücklich Textabschnitte mit wenig Idiomen gewählt wurden. Ein Vergleich der Lehrwerke zeigt, daß die von den Lehrbuchautoren erstellten Sachtexte, Beschreibungen, Briefe und Gespräche in Archipel mehr Idiome enthalten als vergleichbare Texte in den Lehrbüchern Behanges. Wir hatten jedoch darauf hingewiesen, daß die Textsorten in Lehrbüchern und Zeitschriften nur sehr bedingt vergleichbar sind. Das gilt besonders für die Lektionen im Anfangsunterricht, die allerdings aufgrund ihrer geringen Textmenge nicht besonders ins Gewicht fallen. Die vordergründig auf Alltagssituationen und -gespräche bezogenen Texte der Lehrbücher bestätigen Hinweise FLuL 21 (1992) 156 Barbara Stein verschiedener Autoren, daß gerade in diesem Bereich wenig Idiome auftreten (z.B. Burger/ Buhofer/ Sialm 1982: 211). Andererseits mußten wir feststellen, daß Idiome gerade in den zitierten mündlichen Äußerungen der verschiedenen Zeitschriftentexte zu finden waren, die sich auf Alltagsthemen bezogen. Das Verhältnis der einzelnen von uns klassifizierten Idiome zueinander wird in den Lehrbuchtexten in gleicher Weise repräsentiert wie in den Zeitschriftentexten. Es überwiegen verbale Idiome mit Vollverben als Konstituenten, nominale und adverbiale Idiome. Paarformeln und Vergleiche sind relativ selten. In bezug auf die einzelnen Texte des Nouvel Observateur fällt auf, daß Kommentare und Berichte mit Formen betonter Meinungsäußerungen die meisten Idiome enthalten. Da jedoch persönliche Stellungnahmen auch in anderen Texten der Zeitschrift auftreten, ist der Unterschied nicht sehr gravierend. Hinsichtlich der Art der verwendeten Idiome sind verbale Idiome wiederum in individuelle Ansichten betonenden Texten besonders häufig. Kritiken, Kommentare, Leserbriefe, Interviews enthalten Idiome wie prendre ses jambes a son cou, enterrer Ja hache de guerre, ecrire une page de l 'histoire usw. Texte mit starkem Sachbezug weisen auch eine große Zahl nominaler Idiome auf. In Berichten oder in Kurzinformationen zu Politik und Forschung sind Schlagworte auffällig (]es pays en developpement, nos freres de l'Est) und themengebundene terminologische Idiome (Ja saison du blanc in bezug auf die Textilindustrie, Je nez pointu in Texten über die Parfümindustrie, Je telephone rouge in politischen Texten). Sie haben nicht in dem Maße wie verbale Idiome expressive, textprägende Funktionen. Diese Tendenz der Verteilung verschiedener Idiomtypen auf die Texte ist zum Teil noch ausgeprägter in den Lehrbüchern zu finden. Der Anteil nominaler Idiome in informativen Sachtexten erhöhte sich hier auch durch eine relativ hohe Zahl wiederholt gebrauchter Idiome mit onymischem Charakter, die Einzelobjekte identifizieren und zum Randbereich der Idiome gehören (Je guide bleu, Ja carte grise). Adverbiale Idiome sind in den Texten relativ gleichmäßig verteilt. Interessant ist der relativ hohe Anteil von fixierten Vergleichen in Reklametexten (frais comme lin, solide comme coton). Offenbar soll hiermit die Anschaulichkeit erhöht und an bekannte Vorstellungen des Adressaten angeknüpft werden. Der erkennbare Textsortenbezug bestimmter Idiomtypen muß auch in Beziehung gesetzt werden zu den Personen, die diese Sprachzeichen verwenden. So konnten wir in einer Dokumentationsreihe des Nouvel Observateur nachprüfen, daß verschiedene Autoren, die sich im Rahmen einer gleichen Textsorte zu einem gleichen Thema (Les enfants du divorce) äußerten, unterschiedlichen Gebrauch von Idiomen machten. Schon bei der relativ kleinen Textmenge von 400- 2 000 Wörtern ergaben sich Unterschiede von 1,5% in der Gesamtzahl der Idiome. Ein Redakteur verwendet einen verhältnismäßig großen Anteil nominaler Idiome und kaum verbale, während bei den übrigen Autoren das Verhältnis umgekehrt ist. In einem Text kommen gar keine nominalen Idiome vor. Diese Tatsache bestätigt, daß der persönliche Stil ein wichtiger Faktor bei der Ver- FLuL 21 (1992) A voir ]es Jocutions sur Je bout de Ja Jangue? 157 wendung von Idiomen sein kann und daß die Aussagefähigkeit von Zahlen unter verschiedenen Gesichtspunkten überprüft werden muß. So ergab ein Vergleich der tatsächlich verwendeten Idiome, ·· daß keine der im NouveJ Observateur verwendeten Vergleiche und Paarformeln in den Lehrbüchern enthalten sind, auch die Zahl übereinstimmender verbaler Idiome ist gering (12 im gesamten Corpus, darunter z.B. apprendrelsavoir qch. par coeur, gagner sa vie, (re)prendre sa pJace, faire Ja queue, Jever Jes yeux, tendre l'oreille). In Lehrwerken fallen viele somatische Idiome auf, sicherlich beruht dies auf dem begründeten Bestreben der Lehrbuchautoren, neben der Gebräuchlichkeit im Französischen auch bereits bekannten Wortschatz bei der Wahl von Idiomen zu berücksichtigen. Für die Rolle von Idiomen in Texten werden komplex ineinandergreifende systeminterne und -externe Bezüge wirksam, deren Vielseitigkeit und gegenseitige Bedingtheit nicht ausreichend bei Frequenzermittlungen berücksichtigt werden können. Somit muß man sich bei der Auswertung von Frequenzen darüber im klaren sein, daß von den Ergebnissen nur sehr allgemeine Aussagen ableitbar sind. Im Hinblick auf die genannten Probleme können in einer Häufigkeitserhebung nur Teilfragen in einem eng gesteckten Rahmen sinnvoll erarbeitet werden, deren Ergebnisse sich dann auch in Lehrwerken. widerspiegeln sollten. Bibliographische Angaben BURGER, H. / BUHOFER, A. / SIALM, A.: Handbuch der Phraseologie. Berlin/ New York 1982. CHEYDLEUR, F. D.: "French Idiom List". In: Publications of the American and Canadian Committees on Modern Language 16 (1929), 1-154. COSERIU, E.: «Structure lexicale et enseignement du vocabulaire». In: Actes du Premier Colloque International de Linguistique Appliquee. Nancy: Faculte des Lettres et des Sciences humaines de l'Universite de Nancy. Annales de l'Est, Memoire 31 (1966), 175-217. COURTILLON, J. / RAILLARD, S.: Archipel. 1-3. Ecole Normale Superieure de Saint- Cloud. CREDIF. Paris 1982-1986. 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The second part deals with these linguistic and didactic aspects of developing materials for practical purposes. 0. Ein Blick auf die phraseologische Literatur der letzten Jahre macht deutlich, daß sich das Spektrum der thematisierten Fragen und Probleme nach und nach erweitert. Einen nicht unwesentlichen Aspekt stellt dabei der Komplex Phraseologie im Fremdsprachenunterricht [FU] in seiner ganzen Vielfalt dar. Zu diesem Komplex gehören auch Fragen der Verwendung, die im vorliegenden Beitrag behandelt werden sollen. Den konkreten Hintergrund bzw. Ausgangspunkt bildet die Phraseologie des Deutschen aus der Sicht eines Nichtmuttersprachlers, mit Beispielen in der Relation Ungarisch - Deutsch. 1. Über die grundsätzliche Frage, ob Phraseologie im PU überhaupt vermittelt werden soll, scheint heute bereits allgemeiner Konsens zu bestehen, unabhängig davon, wie eng oder weit man den Begriff Phraseologie auch fassen mag. Allerdings ist es für die weitere Erörterung der in dem Titel genannten Problematik in jeder Hinsicht von Bedeutung, ob man den Begriff Phraseologie im Sinne der Definition und der (auf Cernyseva zurückgehenden) Klassifikation des Handbuchs der Phraseologie verwendet (Burger/ Buhofer/ Sialm 1982: 1) oder ihn auf irgendeine Art enger faßt und darunter lediglich Idiome versteht. Diese Vorentscheidung beeinflußt in nicht geringem Maße die Antwort auf die verschiedensten "w-Fragen", die sich auf der Basis obigen Konsenses stellen, und die größtenteils noch unbeantwortet oder nicht zufriedenstellend beantwortet sind. Den nachstehenden Überlegungen ist der Phraseologie-Begriff des Handbuchs zugrundegelegt. 1.1 Für den Einsatz von Phraseologismen als Lehr- und Lernstoff sind im Vorfeld sowohl aus der Sicht des Lehrens wie auch des Lernens drei wichtige, ja prinzipielle Fragen zu klären: (1) Nach welchen Kriterien kann die zu vermittelnde Menge an Phraseologismen richtig ausgewählt werden? FLuL 21 (1992) 160 (2) Wie ist das ausgewählte Material sprachlich aufzubereiten? (3) Was ist an didaktischer Aufbereitung zu leisten? Regina Hessky Ein in seinem Umfang begrenzter Beitrag kann sich natürlich nicht das Ziel setzen, auf alle drei Fragen eine erschöpfende und in jeder Hinsicht befriedigende Antwort zu geben. Es soll aber versucht werden, zur Lösung der Fragen mit der Erörterung bestimmter zusammenhänge beizusteuern. 1.2 Die Forderung nach einem „phraseologischen Minimum" für den FU besteht zwar seit langem, doch selbst wenn es ein solches bereits gäbe, könnte es nicht unkritisch und generell als „Kanon" gelten. Allerdings besteht diese Gefahr gegenwärtig erst überhaupt nicht, zumal selbst entsprechende Frequenzuntersuchungen noch ausstehen, die uns eine Häufigkeitshierarchie präsentieren und wenigstens bestimmte Anhaltspunkte hinsichtlich der Verteilung phraseologischer Ausdrucksmittel z.B. auf verschiedene Textsorten oder in Texten verschiedenen Schwierigkeitsgrades bieten würden. Dabei finden sich in der einschlägigen Fachliteratur nicht wenige Hinweise auf die Unerläßlichkeit solcher Untersuchungen: „Sicher ist zu fordern, daß mindestens die frequentierten Redensarten wenigstens passiv beherrscht werden sollten das aber setzt voraus, daß ihr Vorkommen in verschiedenen Textsorten und in der mündlichen Kommunikation untersucht wird" (Koller 1974: 15). Ettinger beklagt sich 15 Jahre später in deutsch französischer Relation über ähnliche Defizite (Ettinger 1989). Zur gleichen Frage gibt Kühn allerdings zu bedenken: „Vielleicht ist es aber auch gar nicht erstrebenswert, eine phraseologische Sammlung nach dem Häufigkeitskriterium zu erstellen", und er schlägt vor, "Kriterien wie Adressatenbezug, Textsortenabhängigkeit, Benutzungsmöglichkeiten usw. in den Vordergrund zu stellen" (Kühn 1987: 69). Diesen .Gedanken aufgreifend soll die Auseinandersetzung mit bestimmten Aspekten der gesamten Problematik zu einer differenzierten Betrachtung und dem Aufstellen eines angemessenen Kriterienkatalogs für die Erstellung eines phraseologischen Grundstocks für den DaF-Unterricht beitragen. 1.3 Die Frage nach der zu vermittelnden Mindestmenge an phraseologischen Einheiten läßt sich nicht pauschal beantworten. Dabei ist es nur einer von verschiedenen Aspekten, daß es dem übrigen Lernwortschatz ganz ähnlich nicht allein eine Frage der Vorkommenshäufigkeit ist, was als „phraseologisches Minimum" im DaF-Unterricht bereits etwa auf der nichtspezialisierten Grund- und Mittelstufe was immer man im einzelnen darunter verstehen mag unter allen Umständen Bestandteil des zu vermittelnden Lernstoffes sein soll. Damit sei jedoch eine nach Häufigkeitskriterien ermittelte Liste als mögliche Ausgangsbasis für die weitere Selektion nicht von vornherein abgelehnt. Wohl FLuL 21 (1992) Aspekte der Verwendung von Phraseologismen im Unterricht Deutsch als Fremdsprache 161 aber soll betont werden, daß eine allein auf Basis der Frequenz erstellte Liste von Phraseologismen für den FU an und für sich keinen Eigenwert besitzt, sondern lediglich die Grundlage für eine Auswahl und Strukturierung nach weiteren Kriterien darstellt. Frequenzuntersuchungen als Grundlage für linguistisch und didaktisch begründete Selektionsverfahren würden sogar in mancherlei Hinsicht nützlich sein. So würden sie wohl ermöglichen, daß man abkommt von dem reflexartig praktizierten Vorgehen, das „bildhafte" Redensarten mitunter völlig unabhängig von ihrem kommunikativen Stellenwert in Lehrmaterialien mehr oder weniger gleichmäßig verteilt wie Rosinen präsentiert, um den „Kuchen Fremdsprache" den Lernenden dadurch schmackhafter zu machen. Häufigkeit einerseits und Adressatenbezug, Textsortenspezifik wie auch noch weitere Kriterien, von denen weiter unten noch die Rede sein wird, sind also nicht als Alternativen, sondern als komplementäre Gesichtspunkte zu betrachten, die in gegenseitiger Interdependenz bestimmen, was vom phraseologischen Material auf welcher Lernstufe wie gelehrt und gelernt werden sollte. 1.4 Geht man zunächst vom kommunikativen Wert, der Verwendbarkeit aus, so kommt bestimmten „Randbereichen" der Phraseologie gerade in den früheren Phasen des FU eine weit wichtigere Bedeutung zu als den „klassischen" Idiomen, bildhaften Ausdrücken, Redensarten. Situative Stereotypien (Routineformeln) wie nicht daß ich wüßte, wem sagst du das; Funktionsverbgefüge. wie zum Ausdruck bringen, Aufmerksamkeit schenken; bestimmte Modellbildungen wie Tag für Tag, Schritt für Schritt; bevorzugte Analysen bis hin zu usuellen Kollokationen wie sich die Nase putzen, jm. unter die Augen kommen/ treten, die Grenze passieren würden mit Sicherheit an Bedeutung gewinnen. Es. sprechen ferner mancherlei Erfahrungen aus der Praxis dafür, ·daß man den Begriff Phraseologie für den FU noch weiter fassen sollte als dies die oben genannte Definition ermöglicht. Bekanntlich ist es nicht selten schwierig, Phraseolexeme von usuellen Kollokationen oder auch von usualisierten Mehrwortmetaphern zu unterscheiden. Für Zwecke des FU sollte bedingt durch die Praxis die Devise gelten, eher mehr als weniger von solchen komplexeren Entitäten zu erfassen, zumindest in Fällen, wo durch intralinguale Spezifika mit keinem muttersprachlichen Transfer gerechnet werden kann. 2. Das Ergebnis einer nach kommunikativer Verwendbarkeit als rein innereinzelsprachlichem Kriterium vorgenommenen Selektion kann, ja muß, teilweise modifiziert werden durch Berücksichtigung des didaktischen und kontrastiven Aspekts. 2.1 Betrachtet man Phraseologismen als Lehr- und Lernstoff im FU, so ist durchgehend, d.h. auf allen Lernstufen, zu unterscheiden zwischen aktivem FLuL 21 (1992) 162 Regina Hessky (produktivem) und passivem (rezeptivem) Bereich des Wortschatzes. Dies scheint auf den ersten Blick plausibel und vielleicht eine rein quantitative Frage zu sein, indem der passive Bereich des Wortschatzes, und folglich der Anteil von Phraseolexemen daran, jeweils größer ist als der produktiv verfügbare. Ohne einen solchen, rein quantitativen Zusammenhang in Frage stellen zu wollen je mehr Entitäten der Lernende passiv beherrscht, proportional desto mehr wird er auch aktiv beherrschen - , kommt es aber gerade darauf an, (a) die zweifellos bescheiden(er)e Menge der produktiv verfügbaren Ausdrucksmittel zielstrebigbewußt auszuwählen und (b) ihren Erwerb durch lernpsychologisch-didaktisch optimale Bereitstellung zu gewährleisten, um dadurch die größtmögliche kommunikative Effizienz zu erzielen. 2.2 Erfolgen Selektierung und didaktische Aufbereitung des phraseologischen Lernmateriafä zusätzlich auch noch unter kontrastivem Gesichtspunkt, so beeinflußt dieser Aspekt nicht nur die Reihenfolge sowie Art und Weise der Präsentierung, sondern auch die Zuordnung zum aktiven bzw. passiven Wortschatzbereich was wiederum nicht ohne Konsequenzen für die Übungsgestaltung bleibt. 2.2.1 Bei fremdsprachlichen Phraseologismen, die als Äquivalente muttersprachlicher Einwortlexeme erscheinen, kann der kontrastive Aspekt die nach dem Gesichtspunkt der intralingualen kommunikativen Verwendbarkeit vorgenommene Auswahl verstärken und bestätigen. Solche Entitäten sind anderen gegenüber, für die es in der Fremdsprache sinnverwandte Einwortlexeme gibt, bereits in einer früheren Lernphase zu vermitteln, natürlich weniger auf Kosten des Minimums an (Einwort)Lexemen, wohl aber gegenüber anderen Phraseolexemen der Fremdsprache. In ungarisch deutscher Relation würde das etwa heißen, daß Phraseolexeme wie dt. unter vier Augen für ung. negyszemközt, dt. blinder Passagier für ung. potyautas, dt. aufs Geratewohl für ung. taliilomra zeitlich vorzuziehen wären gegenüber z.B. die Tapeten wechseln für 'umziehen' oder sich Gedanken machen für 'nachdenken', 'überlegen'. Durch entsprechende Übungsarbeit stehen dann solche Ausdrucksmittel dem Lernenden zur produktiven Verwendung zur Verfügung. Für den aktiven (produktiven) Bereich sind ferner totale interlinguale Äquivalente den partiellen Äquivalenten vorzuziehen, da jene geringere Lernschwierigkeit bereiten und so gut wie überhaupt keine Interferenzgefahr darstellen wie etwa in der Relation Ungarisch - Deutsch: a feje tetejen all etw. steht auf dem Kopf; elveszti a fejet seinen Kopf verlieren; a-t61 z-ig von A bis Z. 2.2.2 Totale zwischensprachliche Äquivalente verursachen überhaupt nur geringfügige Lernschwierigkeiten. Im Bereich des passiven Wortschatzes und in Kontexten lassen sie sich auf Analogiebasis mit Leichtigkeit dekodieren. Daher kann ihre (passive) Verfügbarkeit mit einem Minimum an Lern- und Übungs- FLuL 21 (1992) Aspekte der Verwendung von Phraseologismen im Unterricht Deutsch als Fremdsprache 163 aufwand gewährleistet werden mitunter können sie sogar, ungeachtet ihrer kommunikativen Verwendbarkeit, völlig aus einem phraseologischen Minimum ausgeklammert bleiben. In dem passiven (rezeptiven) Bereich ist hingegen den fremdsprachlichen Einheiten mit Null-Äquivalenz, also ohne lexikalisierte Entsprechung in der Muttersprache der Lernenden größere Aufmerksamkeit zu schenken, da diese im Verstehensprozeß (so auch beim Übersetzen in die Muttersprache) mit keinen lexikalisierten Ausdrucksmitteln der Ll in Beziehung gesetzt werden können; bei Lernenden mit Ungarisch als Muttersprache z.B.: einen Beruf ausüben; an etw./ jm. führt kein Weg vorbei; vom Hundertsten ins Tausendste kommen; jm. ein X für ein U vormachen. Erfahrungen aus der Praxis zeigen, daß im Verstehensbereich, zumal in Kontexten, auch partielle Äquivalente relativ geringe Verständnisschwierigkeiten verursachen: Aufgrund des muttersprachlichen (positiven) Transfers kommt es durch solche Entitäten zu keiner Blockierung des Verstehensprozesses. Folglich müssen solche Phraseologismen nicht unbedingt in ein "Minimum" aufgenommen werden, wohl aber muß man den Lernenden entsprechende Techniken zur richtigen Dekodierung an die Hand geben, wie davon in Abschnitt 4 noch einiges gesagt werden wird. Fühlt sich nämlich der Lernende in die Lage versetzt, sprachlich relativ schwierige Texte in einer relativ frühen Lernphase wenigstens kursorisch zu· lesen, so ist das für ihn ein Erfolgserlebnis von nachhaltiger Wirkung. Schließlich kann man aufgrund der natürlichen Wechselbeziehung zwischen aktivem (produktivem) und passivem (rezeptivem) Bereich auf diesem Wege mit einer allmählichen Bereicherung des aktiven Bereichs rechnen. 3. Ist einmal das phraseologische Lernmaterial nach dem skizzierten Kriterienkomplex festgelegt oder zumindest umrissen, kann die angemessene sprachliche Aufbereitung folgen, die der entsprechenden didaktischen Aufbereitung voranzugehen hat. Von den diesbezüglich auftauchenden Problemen sollen hier zwei herausgegriffen werden, die beim Umgang mit Phraseolexemen besonders dem nichtmuttersprachigen Lehrer schnell bewußt werden und mitunter nicht geringe Schwierigkeiten bereiten: die Festlegung der Stamm-/ Grundform von Phraseolexemen (einschließlich ihrer syntaktischen Umgebung) sowie die Erklärung/ Erläuterung ihrer Bedeutung. 3.1 Der Umgang mit verschiedenen phraseologischen Lexika (Sammlungen) läßt erkennen, daß es bei der Fixierung des Umfangs, der. stabilen Konstituenten des Phraseolexems, aber auch überhaupt der Stammform, selbst bei Muttersprachlern (auch bei Lexikographen) größere oder geringere Abweichungen geben kann, etwa: das macht das Kraut nicht fett vs. etw. macht das Kraut nicht fett; nicht in den Kram passen vs. etw. paßt nicht in den Kram; Hand und Fuß haben vs. FLuL 21 (1992) 164 Regina Hessky etw. hat Hand und Fuß; etw. ist ein heißes Eisen vs. ein heißes Eisen; etw. nach Strich und Faden tun vs. nach Strich und Faden; einer Sache ihren Lauf/ freien Lauf lassen (wo für Sache z.B. Zorn, Phantasie, Tränen eingesetzt werden kann} oder auch seinen Gefühlen, wenn nicht seinem Ärger freien Lauf lassen u.a.m. Die Gründe für derartige Schwankungen oder Alternativen liegen zum Teil in der Natur der Phraseologie, zum Teil kann es sich jeweils auch um individuell oder regional bevorzugte Formen handeln. Der Muttersprachler unterscheidet die variablen von den stabilen Konstituenten aufgrund seiner Kompetenz, und auch Fragen der Kompatibilität bzw. der Verwendungsrestriktionen bereiten ihm in der Regel kein Kopfzerbrechen. Manche der Unterschiede dieser Art mögen nun aus der Sicht des Nichtmuttersprachlers weniger relevant sein. Andere wirken sich jedoch auf die Regeln der Verwendung mehr oder minder stark aus. Daher ist solchen entsprechende Aufmerksamkeit entgegenzubringen. Es gilt das didaktische Grundprinzip, daß aus lernpsychologischem Grund jeweils eine Form festzulegen und einzuüben ist. Als Faustregel läßt sich formulieren, daß die umfassendere und demzufolge informativere Form der kürzeren vorzuziehen ist, was nicht selten dazu führt, daß man bei verbalen Phraseolexemen auf den Infinitiv Präsens als Stammform verzichtet: etw.ljd. kann sich sehen lassen gegenüber sich sehen lassen können; etw. hat Hand und Fuß gegenüber Hand und Fuß haben; jd. ist aus echtem Schrot und Kom gegenüber aus echtem Schrot und Kom sein. Solchen interlingualen Aspekten sollte man freilich bereits in bilingualen phraseographischen Arbeiten Rechnung tragen. Als Prinzip wäre sogar davon auszugehen, daß aus didaktischer Überlegung die phraseographischen und allgemeinen lexikographischen Gesichtspunkte und Prinzipien nicht unverändert auf phraseologische Lehr- und Lernmaterialien übertragbar sind, wenn sie z.B. keine Kodifizierung oder Präsentierung ermöglichen, die explizit genug ist, um den Lernprozeß zu fördern, bzw. die vermittelten Informationen für einen Nichtmuttersprachler nicht ausreichen, um das erforderliche Maß an Verwendungssicherheit zu gewährleisten. Die Muttersprache als Bezugspunkt ermöglicht auch in dieser Hinsicht wichtige Rückschlüsse. So wäre es z.B. in deutsch-ungarischer Relation angebracht, etw. aus dem Weg räumen und jn. aus dem Weg räumen getrennt zu lemmatisieren, da die Übersetzungsäquivalente verschieden sind: <akadalyt, nehezseget > megszüntet, elharft bzw. eltesz vkit lab a161. 3.2 Fremdsprachliche Bedeutungserklärungen spielen im FU erst auf einer entsprechenden Lernstufe unmittelbar eine Rolle. Doch für den Autor von Lehrmaterialien und den Lehrer kommt ihnen als Information bereits auf niedrigeren Lernstufen eine entscheidende Bedeutung zu: Nur im Besitz verläßlicher Informationen ist er in der Lage, die richtige zwischensprachliche Äquivalenzre- FLuL 21 (1992) Aspekte der Verwendung von Phraseologismen im Unterricht Deutsch als Fremdsprache 165 lation zu ermitteln und den Lernenden die entsprechenden „Gebrauchsanweisungen" meistens syntaktische und/ oder semantische Restriktionen der Verwendung bereitzustellen. Die einsprachigen Lexika liefern aus verständlichen Gründen auch in diesem Zusammenhang vielfach keine ausreichenden Informationen, oder sie lassen den Nichtmuttersprachler gerade in jenen Punkten in Unsicherheit, die durch muttersprachliche Interferenzgefahr eine potentielle Fehlerquelle darstellen. Die gängige lexikographische Praxis einsprachiger Wörterbücher wurde in einschlägigen Arbeiten mehrfach kritisch dargestellt (vor allem z.B. von Kühn) und eine „differenzierte gebrauchssemantisch orientierte Bedeutungsbeschreibung im Wörterbuch" gefordert (Kühn 1989: 134). Eine diesbezügliche Verbesserung der gegenwärtigen lexikographischen Praxis würden Nichtmuttersprachler sicherlich begrüßen, obgleich dadurch ihre spezifischen Probleme nicht automatisch aus dem Weg geräumt wären. In diesem Zusammenhang ist wohl erst durch entsprechende Zusammenarbeit von Muttersprachlern und Nichtmuttersprachlern hinsichtlich je zweier Sprachenpaare eine qualitative Verbesserung zu erwarten. Für die Entscheidung, welche von den verbesserten lexikographischen Informationen auf welche Weise in der bilingualen Phraseographie bzw. in Lern- und Übungsmaterialien verwertet werden, muß das Ergebnis diesbezüglich relevanter kontrastiver semantischer Analysen berücksichtigt werden, wie auch z.B. Fehleranalysen als Rückmeldungen über interferenzgefährdete, kritische Punkte wichtige Informationen liefern. 4. Sieht man die für den DaF-Unterricht vorhandenen Übungsmaterialien zur Phraseologie durch, so erwecken sie hinsichtlich der Übungsgestaltung den Eindruck einer gewissen Undifferenziertheit und Einseitigkeit. Mit Undifferenziertheit ist gemeint, daß die Zielsetzung der Übungsarbeit lediglich pauschal als „Erwerb" angegeben wird, ohne nach Fertigkeiten bzw. Teilfertigkeiten bewußt und durchgehend zu unterscheiden. Einseitigkeit heißt, daß hinsichtlich der Gestaltung Übungen dominieren, die sich in erster Linie auf den formalen, d.h. morphosyntaktischen Aspekt der Phraseologismen konzentrieren. Dabei stellt die formale, die Ausdrucksseite dieser Entitäten nur eine nicht unbedingt die wichtigste - Lernschwierigkeit dar, ganz zu schweigen von der Notwendigkeit einer bewußten Differenzierung zwischen produktivem und rezeptivem Bereich. 4.1 Übungen zu Phraseolexemen sind zu differenzieren nach Verstehen und Verwenden bzw. nach ihrer Ausdrucksseite und ihrer Inhaltsseite. Wie bereits erwähnt, wirkt es auf den Lernenden höchst motivierend, wenn er sich in einer ) relativ frühen Lernphase in die Lage versetzt fühlt, Phraseologismen in Kontexten zu verstehen. Aus diesem Grund sollten dem Lernenden durch entsprechende Übungen in bereits früher Phase Techniken an die Hand gegeben werden, die ihm das Verstehen erleichtern. Allerdings ist das Erkennen der Phraseolexeme FLuL 21 (1992) 166 Regina Hessky (und auch ihrer Modifikationen) in Texten die Voraussetzung des Verstehens. Die Übungen zum Verstehen haben also sowohl einen analytischen als auch einen synthetischen Aspekt. Als Material für solche Übungen eignen sich in erster Linie phraseologische Einheiten der Fremdsprache, deren Erkennen und richtige Dekodierung in einem entsprechenden Kontext aufgrund des muttersprachlichen Transfers eher geringe Schwierigkeiten bereiten, weil es sich dabei um interlinguale totale oder partielle Äquivalente handelt. Entsprechende authentische Texte als Übungsmaterial lassen sich z.B. in Presse, Trivialliteratur usw. unschwer finden. 4.2 Übungen zur Ausdrucksseite, d.h. zur morphosyntaktischen Struktur und den stabilen lexikalischen Konstituenten, dienen sowohl zur Fundierun~ des Verstehens als auch des Verwendens. Besonders eignen sich aber solche Ubungen zum Einprägen von partiellen Äquivalenten, bei denen die Unterschiede zwischen muttersprachlicher und fremdsprachlicher Form in den lexikalischen Konstituenten und/ oder in der Struktur liegen. So lassen sich Unterschiede z.B. im "Wortlaut" bei gleicher Bedeutung bewußtmachen und automatisieren, etwa (jd. ist) ein alter Hase gegenüber öreg r6ka "alter Fuchs"; jm. unter die Augen kommen/ treten gegenüber vkinek a szeme ele kerül "jm. vor die Augen kommen". In diesen Bereich gehören auch zwischensprachliche partielle Äquivalente, bei denen die unterschiedliche syntaktische Funktion am augenfälligsten ist und die größte lnterferenzgefahr darstellt, z.B.: die Hände in den Schoß legen gegenüber ölbc tett kezzel (adverbial); wie aus der Pistole geschossen gegenüber mintha puskab61 lottek volna ki (NS). Die meisten gängigen Übungstypen zur Phraseologie eignen sich in erster Linie für diesen Zweck und erfüllen ihre Funktion voll und ganz. Man muß sich aber dessen bewußt sein, daß sie nicht die ganze Bandbreite der zu übenden Aspekte abzudecken vermögen. Vielmehr sind sie als Teil-/ Vorbereitungsübungen aufzufassen: Durch Einprägung der Form werden Phraseolexeme leichter erkennbar, durch zusätzliche Einprägung der Bedeutung und der (semantischen) Verwendungsrestriktionen leichter verwendbar. Je nach Übungsintensität können sie den rezeptiven oder auch den produktiven Erwerb vorbereiten bzw. fördern. 4.3 Das Angebot an Übungen zur Bedeutung der Phraseolexeme ist ähnlich vielfältig. Man stellt allerdings nicht selten fest, daß die Verwendung der Phraseolexeme völlig losgelöst vom Kontext "geübt" wird, oder die Übungen machen lediglich synonymische Relationen von Phraseolexemen und Einwortlexemen bewußt. Besonders auf der Fortgeschrittenenstufe sollte darüber hinaus zunehmend Wert gelegt werden auf phraseologische Kollokationen, auf die semantische Differenzierung sinnverwandter Phraseolexeme (etwa bei jn. in den April schicken, jn. hinters Licht führen, jn. an der Nase herumführen, jn. zum Narren halten, die in einschlägigen Lexika vielfach mit dem gleichen Verb irreführen „erklärt" werden, ohne auf Bedeutungsunterschiede wie 'aus Scherz' FLuL 21 (1992) Aspekte der Verwendung von Phraseologismen im Unterricht Deutsch als Fremdsprache 167 oder 'absichtlich', 'um dem anderen Schaden zuzufügen' hinzuweisen). Durch den Vergleich mit der Muttersprache kommen weitere Aspekte für die Übungsgestaltung hinzu: Man muß sich auf Phraseolexeme konzentrieren, die bei formaler Gleichheit bzw. großer Ähnlichkeit in semantischer Hinsicht in hyponymischer oder hyperonymischer Relation stehen oder sogar zu den Faux-amis-Erscheinungen zählen. 4.4 Sowohl Übungen zur Ausdrucksseite wie auch Übungen zur Inhaltsseite haben ihre primäre Funktion in der Vorbereitung und Fundierung komplexerer Übungen zur Anwendung von Phraseologismen in Kontexten. Während bei Übungen zur Bedeutung vorwiegend der inner- und zwischensprachliche semasiologische Aspekt zum Tragen kommt, muß bei komplexen Verwendungsübungen ergänzend der onomasiologische Ansatz hinzutreten: Welche Phraseologismen eignen sich als Ausdruck welcher Inhalte, in welchen Textsorten, mit welcher stilistischen Markierung. In "realen" Verwendungssituationen müssen wir nämlich zumindest als Alternative neben der Übersetzung muttersprachlicher Texte den Fall berücksichtigen, daß der Nichtmuttersprachler eben nicht nach Übertragungsmöglichkeiten für sprachlich ausformulierte muttersprachliche Äußerungen, sondern für Gedanken sucht, sich also unmittelbar in der Fremdsprache sprachlich verständigen möchte. In einer solchen Situation sucht er nach geeigneten sprachlichen Ausdrucksmitteln für bestimmte Inhalte, er sucht "unmittelbar" nach dem sprachlichen Ausdruck, ohne die Muttersprache als Zwischenglied. In diesem Zusammenhang lassen sich dann auch Phraseolexeme üben, die in der Muttersprache der Lernenden eine Nulläquivalenz haben, in deutsch ungarischer Relation etwa die Tapeten wechseln, der blaue Brief/ den blauen Brief erhalten u.a.m. 5. Das Fazit obiger Überlegungen läßt sich wie folgt zusammenfassen: Für den DaF-Unterricht sollte nicht ein phraseologisches Minimum, sondern die Erstellung eines „phraseologischen Optimums" angestrebt werden. Die dominierenden Aspekte dafür ergeben sich aus der kommunikativen Funktion, der Frequenz, der Textsortenspezifik. Die Revidierung (Modifikation) und innere Strukturierung einer so ermittelten Liste wäre in Abhängigkeit von der Muttersprache der Lernenden, auf kontrastiver Basis und unter Berücksichtigung von Zielsetzung, Lernstufe etc. vorzunehmen. Für die Übungsphase ist für eine größere Vielfalt und eine Differenzierung nach Übungsziel (Lernziel) zu plädieren. Davon ausgehend lassen sich neue Möglichkeiten, neue Übungstypen erschließen, wodurch man eine effektivere Arbeit an und mit Phraseolexemen erwarten kann. FLuL 21 (1992) 168 Regina Hessky Bibliographische Angaben BURGER, H. / BUHOFER, A. / SIALM, A.: Handbuch der Phraseologie. Berlin/ New York 1982. ETTINGER, S.: "Einige Probleme der lexikographischen Darstellung idiomatischer Einheiten (Französisch-Deutsch)". In: G. Greciano (ed.): Europhras 88. Phraseologie Contrasdve. Actes du Colloque International Klingenthal, Strasbourg, 12-16 mai 1988. Strasbourg 1989, 95-115. KOLLER, W.: "Intra- und interlinguale Aspekte idiomatischer Redensarten". In: Skandinavisdk 4.1 (1974), 1-24. KÜHN, P.: "Deutsch als Fremdsprache im phraseodidaktischen Dornröschenschlaf. Vorschläge für eine Neukonzeption phraseodidaktischer Hilfsmittel". In: Fremdsprachen lehren und Jemen 16 (1987), 62-79. KÜHN, P.: "Phraseologie und Lexikographie: Zur semantischen Kommentierung phraseologischer Einheiten im Wörterbuch". In: H. E. Wiegand (Hrsg.): Wörterbücher in der Diskussion. Vorträge aus dem Heidelberger Lexikographischen Kolloquium. Tübingen 1989, 133-154. FLuL 21 (1992) Peter Kühn Phraseodidaktik. Entwicklungen, Probleme und Überlegungen für den Muttersprachenunterricht und den Unterricht Daf Abstract. The didactics of phraseology is among the neglected areas of research. Also in language teaching the didactics of phraseology is dealt with either only sporadically and superficially or qot at all. This is true for the teaching of German as a mother tongue as weil as for the teaching of German as a foreign language. In the following article the hitherto existing approaches for the didactics of phraseology will be examined, evaluated and complemented by own suggestions for teaching. 1 Phraseodidaktik: Versuch einer Bestandsaufnahme In seiner einführenden Monographie Phraseologie beklagt Pilz (1981: 124) den mangelhaften Forschungsstand phraseodidaktischer Arbeiten sowohl für den Muttersprachenunterricht als auch für den· Unterricht DaF. An dieser phraseodidaktischen Abstinenz hat sich leider bis heute kaum etwas geändert, obwohl die Phraseologie/ Idiomatik im Bereich der Sprachwissenschaften mittlerweile einen festen Platz einnimmt. Es scheint, als dämmere die primär- und sekundärsprachliche Didaktik weiterhin im phraseologischen Dornröschenschlaf. Eigenartigerweise herrscht dagegen Einigkeit darüber, wie wichtig die Behandlung phraseologischer Einheiten im Unterricht ist: die aktive Beherrschung der vielfältigen und verschiedenartigen phraseologischen Einheiten wird beispielsweise im Unterricht DaF geradezu als Gradmesser einer perfekten und umfassenden Sprachbeherrschung angesehen (vgl. Faulseit 1972: 58). Phraseodidaktische Arbeiten und methodische Aufarbeitungen bleiben aber weiterhin ein Desiderat, der Phraseologie wird als Gegenstand der mutter- und fremdsprachlichen (DaF) Sprachdidaktik kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Dies zeigt sich besonders im Lehrgebiet DaF: In einführenden Monographien zur Phraseologie beschränkt man sich auf sporadische, kurze Hinweise auf die besondere Bedeutung der Phraseologie für den Sprachunterricht (vgl. z.B. Fleischer 1982: 32), in den Einführungen zur Fremdsprachendidaktik und -methodik werden phraseodidaktische und -methodische Fragestellungen erst gar nicht behandelt (vgl. z.B. Ickler 1984), und in einschlägigen Periodika, wie dem Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache, spielen phraseodidaktische Themen ebenfalls bislang keine Rolle. In Sprachlehrbüchern verdanken Phraseologismen ihr Vorkommen nur dem Zufall (vgl. z.B. Sprachkurs Deutsch 1991): Typisch ist beispielsweise der Hinweis in einem Lehrerhandbuch (Deutschmann 1988: 39): "Im Zusammenhang mit FLuL 21 (1992) 170 Peter Kühn 'Haut' sind z.B. zu notieren: 'das geht auf keine Kuhhaut' und 'sich auf die faule Haut legen' jeweils mit Paraphrasierungen und Entsprechungen in der Muttersprache". Phraseologismen werden zudem fast ausschließlich auf einen bestimmten Typus reduziert, nämlich auf Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten (vgl. z.B. Stufen 1986 ff; Wege 1988), thematisch in einem Sonderkapitel "Redensarten" abgetan (vgl. z.B. Lernziel Deutsch 1985: 201 ff), lediglich aufgelistet (z.B. Stufen 1986 ff), in einem Einzeltext übertrieben und gekünstelt angehäuft (z.B. Schumann 1985: 29 f) oder spielen überhaupt keine Rolle (z.B. Sprachbrücke 1987). Eine Lehrwerksanalyse unter dem Aspekt der Phraseologie steht· bislang noch aus, Stichproben zeigen jedoch einerseits die mangelnde Berücksichtigung von Phraseologismen und andererseits eine unzureichende didaktisch-methodische Aufarbeitung: in der Regel werden Struktur oder Bedeutung der Phraseologismen lediglich „abgefragt" (vgl. Schumann 1992: 24 ff). Hervorzuheben ist dagegen in allen Sprachlehrbüchern, die einem kommunikativen Ansatz verpflichtet sind, die Einarbeitung und methodische Umsetzung sogenannter kommunikativer Formeln/ Routineformeln, z.B. Briefformeln, Gesprächsformeln, Diskussionsformeln (vgl. z.B. Wege 1988; Themen 1986 oder Stufen 1986 ff). Für den DaF-Unterricht existieren inzwischen einige spezielle Übungsbücher zur Phraseologie (vgl. Földes 1989: 105 ff; Wotjak/ Richter 1988; Földes/ Kühnert 1990). Die Autoren wollen dem Fremdsprachenschüler „auf kurze, rationelle Weise ermöglichen und ihn in die Lage versetzen, deutsche Phraseologismen situativ richtig zu verstehen und, wenn auch bescheidener, anzuwenden" (Földes/ Kühnert 1990: 6). Ob diese hehren Zielsetzungen mit diesen Übungen erreichbar sind, scheint fragwürdig: die Aufarbeitung und Darstellung der phraseodidaktischen Aufgaben sind sehr eng an den Klassifikationen und Problemen der wissenschaftlichen Phraseologie orientiert; es fehlt also im eigentlichen eine didaktische Umsetzung. Auch handelt es sich bei den vorgestellten Übungen vor allem um reine Kontrollaufgaben. Hervorzuheben sind dagegen Aufgaben, in denen Gesichtspunkte der kontrastiven Phraseologie eingearbeitet sind (vgl. Földes/ Kühnert 1990). In der phraseodidaktischen Diskussion wird schließlich auch auf die wenigen phraseologischen Spezialwörterbücher hingewiesen, in denen die Autoren dem Wörterbuchbenutzer Auskünfte über den Gebrauch von Redensarten geben wollen, " was sie bedeuten, in welche Stilebene sie gehören und wie sie angewendet werden" (Gömer 1979: 5). Eine genaue Analyse dieser Nachschlagewerke deckt eklatante lexikographische Defizite auf (Hausmann 1985; Koller 1987; Pilz 1987; Schemann 1989; vgl. auch Burger 1983, 1989), die deutlich machen, daß die bisherigen Wörterbücher zu Phraseologismen weder als Nachschlagehilfen geeignet sind, noch dem genauen Verständnis von Bedeutungen der Phraseologismen dienen, geschweige denn zur Textproduktion eingesetzt werden können (vgl. Kjrer 1987). Es fehlen also weiterhin ein phraseologisches Lernerwörterbuch sowie Hinweise zur effektiven Nutzung phraseologischer Wörterbücher. FLuL 21 (1992) Phraseodidaktik. Entwicklungen, Probleme und Überlegungen ... 171 Schließlich gibt es noch eine Handvoll verstreuter Aufsätze, die sich mit didaktisch-methodischen Problemen der Phraseologie im Fremdsprachenunterricht beschäftigen: Bernstein (1985) thematisiert Phraseologismen als Verständnisproblem im Leseunterricht, Kühnert (1985) weist auf die Wichtigkeit der Bildidee für das Verständnis und den Gebrauch von Phraseologismen unter kontrastivem Aspekt hin, Ulbricht (1989) diskutiert unzureichende Wörterbuchangaben, mangelnde Durchschaubarkeit der Bilder und Interferenzprobleme als "Stolpersteine" bei der situationsgerechten Anwendung phraseologischer Einheiten, Földes (1990) zeigt Zusammenhänge und Beziehungen zwischen Phraseologie und Landeskunde auf, Coulrnas (1985) plädiert für eine diskursive Routine im Fremdsprachenerwerb (vgl. auch Petischler 1974), Hessky (1984), Földes (1987/ 88) und Daniels (1985a) beschreiben einige grundlegende phraseodidaktische Positionen. Es erscheinen außerdem Arbeiten in fremdsprachendidaktisch orientierten Zeitschriften mit einem sehr allgemeinen Hinweis auf die didaktische und/ oder unterrichtliche Relevanz der behandelten Themen, es handelt sich jedoch meist um Einzelaspekte phraseologischer Grundlagenforschung (vgl. z.B. Gamsaliev 1983; Pankratova 1983; Torzova 1983; Cernyseva 1984; Wotjak 1985; Barz 1986; Wotjak 1986; Sternkopf 1990). Faßt man den derzeitigen Forschungsstand zusammen, so muß man feststellen, daß die phraseodidaktische Diskussion im Bereich DaF erst am Anfang steht. Die einzelnen Hinweise sind sporadisch, thematisch heterogen und stehen ohne Bezug zueinander. Die Phraseodidaktik steckt also immer noch in den Kinderschuhen. Daniels (1979: 302 f) konstatiert auch für die muttersprachliche Phraseodidaktik, daß von einer kontinuierlichen Diskussion noch „keine Rede sein kann". Im folgenden soll der Frage nachgegangen werden, wie man Phraseologismen für den Sprachunterricht didaktisieren und ansatzweise methodisch aufarbeiten könnte und zwar sowohl für den Muttersprachenunterricht als auch für deh Fremdsprachenunterricht. Es versteht sich von selbst, daß nach dem derzeitigen Stand der Forschung kein geschlossenes phraseodidaktisches Konzept vorgelegt werden kann. Es handelt sich lediglich um Überlegungen und Anregungen. 2 Die unterschiedlichen phraseodidaktischen Voraussetzungen und Bedingungen im Fremd- und Muttersprachenunterricht Zu den grundlegenden primärsprachenorientierten Voraussetzungen gehört die Beantwortung der Frage, wann Phraseologismen als Lerngegenstand des Sprachunterrichts einbezogen werden sollten. Von entwicklungspsychologischer Seite wird betont, daß Kinder vor der Stufe des formalen Denkens (etwa mit dem 12. Lebensjahr) kaum in der Lage seien, Redensarten zu verstehen (vgl. Oerter 1971: 316). Diese Ansicht kann jedoch durch die Beobachtung von Lehrern, Grundschuldidaktikern und durch sprachwissenschaftliche Erhebungen als wider- FLuL 21 (1992) 172 Peter Kühn legt angesehen werden. Beobachtet man nämlich den Sprachgebrauch von Grundschülern, so stellt man schnell fest, daß Phraseologismen sehr früh gebraucht werden (vgl. Rosenthal 1976: 20). Diese Beobachtung wird bestätigt durch Untersuchungen zum Gebrauch und Verständnis von Phraseologismen im Kindergarten (vgl. Buhofer 1980) und kontinuierliche Beobachtungen in Grundschulklassen (vgl. Koch 1985). Diese Untersuchungen sind zudem durch eine Materialdokumentation über den aktiven Kinderwortschatz kurz vor der Einschulung abgesichert: Nicht alle Tassen im Schrank haben, einen Punkt machen oder nicht richtig ticken werden teilweise schon im Kindergarten erworben und ab dem 7. Lebensjahr auch gebraucht (vgl. Augst 1985). Im Erwerb des Deutschen als Fremdsprache stellt sich das Problem anders dar: Hier kann davon ausgegangen werden, daß Deutschlernende, die nur wenig Kontakt zu deutschsprachigen Altersgenossen haben, erst ihre „idiomatische Kompetenz" (Daniels 1985b) im Deutschen aufbauen müssen. In Rechnung zu stellen ist dabei, daß die Deutschlerner eine phraseologische Kompetenz in ihrer Muttersprache oder einer Zweitbzw. Drittsprache besitzen, die sie beim Lernen ständig mitreflektieren. Földes (1987/ 88: 43) hat in bezug auf den deutsch-ungarischen Sprachvergleich herausgefunden, daß Lernschwierigkeiten „eher von den muttersprachlichen Strukturen als vom grammatisch-morphologischen Bau der phraseologischen Einheit abhängig sind". Gelegentlich verkomplizieren sich diese Voraussetzungen z.B. dadurch, daß Ausländerkinder im Grundschulalter mit einer „doppelten Halbsprachigkeit" aufwachsen (Daniels 1979: 574). Weit verbreitet ist auch im Bereich der Fremdsprachendidaktik die Auffassung, daß Phraseologismen erst im Unterricht für Fortgeschrittene behandelt werden sollten, da diese sprachlichen Einheiten zu kompliziert und obendrein zur Verständigung nicht unbedingt notwendig seien. Zudem handele es sich ja um einen eng begrenzten Gegenstand, d.h. um Sprichwörter oder sprichwörtliche Redensarten, die eher einen ornamentalen stilistischen Zusatz darstellten. Die Verbannung der Phraseologismen aus dem Anfängerunterricht scheint jedoch aus mehreren Gründen fragwürdig: 1. Phraseologismen sind nicht komplizierter und weniger notwendig als andere sprachliche Einheiten, wie Hessky (1989: 149-154) überzeugend nachgewiesen hat. Auch andere sprachliche Einheiten wie z.B. die Partikel hat man zunächst wegen ihrer angeblichen Kompliziertheit in den Fortgeschrittenenunterricht abgedrängt, heute werden sie jedoch bereits mit Erfolg in den ersten Lektionen des Anfängerunterrichts vermittelt (vgl. z.B. Stufen 1/ 1986). 2. Bei der didaktischen Aufarbeitung und methodischen Umsetzung von Phraseologismen sollte man immer daran denken, daß es verschiedene Typen von Phraseologismen gibt, und daß die Einschränkung auf Sprichwörter oder sprichwörtliche Redensarten viel zu eng ist (vgl. z.B. die Klassifikation in Burger/ Buhofer/ Sialm 1982: 30-60): Routineformeln beispielsweise werden bereits für den Anfängerunterricht in Lehreinheiten integriert (z.B. in Pro-Kontra-Argumentationen) und zusammengestellt, weil sie als feste Versatzstücke situationstypisch verwendbar sind. Unter lernpsychologischen Gesichtspunkten wird herausgestellt, daß nicht alle Typen von Phraseologismen die gleichen Lernschwierigkeiten bereiten: FLuL 21 (1992) Phraseodidaktik. Entwicklungen, Probleme und Überlegungen ... 173 So haben Untersuchungen ergeben, daß z.B. komparative Phraseologismen leicht verständlich sind und gut behalten werden, selbst wenn ein entsprechendes Vergleichsbild in der Muttersprache fehlt (Földes 1987/ 88: 44). In bezug auf den wichtigen Aspekt der Kontrastivität hat Ulbricht (1989: 101) herausgefunden, daß die Fehlerzahlen bei „äquivalentlosen Wendungen" relativ gering sind und die interferenzbedingte Fehlerquote bei „Wendungen mit totaler und teilweiser Bildäquivalenz" steigt. 3. Beobachtet man den aktuellen Sprachgebrauch, so kann man schnell feststellen, daß Phraseologismen sowohl in schriftlichen Texten als auch im mündlichen Gebrauch anzutreffen sind, manche Phraseologismen sind sogar unentbehrlich, da sie als Referenzmittel keine lexikalischen Äquivalente besitzen. Phraseologismen kommen schließlich deshalb kaum im Anfängerunterricht vor, weil hier in der Regel keine authentischen Texte, sondern auf Grammatik, Wortschatz oder Thematik hin funktionalisierte, konstruierte sterile Lehrbuchsprachen-Texte behandelt werden. Es ist jedoch nicht einzusehen, warum in fingierte Dialoge Routineformeln eingebaut werden können, die Berücksichtigung anderer Phraseologismustypen jedoch nicht möglich scheint. 3 Phraseodidaktik im Muttersprachenunterricht: Die Behandlung von Phraseologismen im Dienste von Sprach- und Kulturbildung, Sprachkritik und Kulturkritik, Sprachreflexion und Sprachgebrauch Aufgrund der besonderen Ausgangslage läßt sich die Phraseodidaktik zunächst einmal in eine muttersprachliche und fremdsprachliche differenzieren. Das Muttersprachenkind hat die Phraseologismen ganzheitlich gelernt, es kann sie situationsangemessen gebrauchen und ist in der Lage, die Bedeutung und Verwendung der erlernten Phraseologismen zumindest situationsbezogen in bezug auf die eigene Erfahrungswelt zu paraphrasieren. Die Kinder sind mit dem situationsangemessenen Gebrauch der ihnen bekannten Phraseologismen vertraut. Daraus folgt, daß andere Aspekte wie beispielsweise die historisch-volkskundliche Herleitung von Phraseologismen, deren nichtphraseologische, wörtliche Bedeutungen oder aber die in Phraseologismen mittransportierten Bewertungen, Einstellungen, "Wahrheiten" (vgl. Koller 1985), "Stereotypen" (Daniels 1985a) oder Ideologien als Unterrichtsgegenstand thematisiert werden könnten. Diese verschiedenen phraseodidaktischen Möglichkeiten können den Lernzielbereichen (a) Vermittlung von Sprach- und Kulturbildung, (b) Sprach- und Kultur-/ Gesellschaftskritik und (c) Reflexion über Sprache zugeordnet werden. In der bisherigen Didaktik ist die Phraseodidaktik allerdings weitgehend auf Sprichwörter und sprichwörtliche und bildliche Redensarten beschränkt. Die Vermittlung von Kultur- und Sprachbildung über sprichwörtliche Redensarten und Sprichwörter hat eine lange Tradition und reicht bis in unsere Tage: Seit Hildebrand (1887) hat der Deutschunterricht, besonders in den ersten Klassen, auch die Aufgabe, über die Sprache volkskundliches Wissen und historische Einblicke zu vermitteln. Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten bieten sich hierfür geradezu an. An ihnen erkennt der .Schüler kulturspezifische Eigenarten und Besonderheiten: z.B. aus dem mittelalterlichen Rechtswesen (an den Pranger stellen), aus der Handwerkerwelt (seine Felle davonschwimmen sehen) oder aus der „Welt" bestimmter Gruppen: Soldaten (die Flinte ins Korn werfen), Ritter (mit offenem Visier kämpfen), Bauern (leeres Stroh dreschen) FLuL 21 (1992) 174 Peter Kühn oder Jägern (durch die Lappen gehen). Daneben wurden sprichwörtliche Redensarten und Sprichwörter seit dem 19. Jh. auch zu (sprach-)erzieherischen Zwecken eingesetzt, z.B. als Stimulus für moralisierende Sentenzaufsätze (vgl. David 1889; Metzler 1953; dazu kritisch Herzenstiel 1973; Daniels 1989). Bis heute ist die Behandlung von Phraseologismen im muttersprachlichen Deutschunterricht vor allem kulturhistorisch und volkskundlich bestimmt (vgl. z.B. Hartl 1988; Ottweiler 1978). Dabei will man den Schülern auch zeigen, "daß die Sprache einem ständigen Wandel unterworfen ist und die Lebensverhältnisse einer Gesellschaft wiederspiegelt" (Hartl 1988: 465). Dies hat auch zu Exzessen geführt: Sommerfeldt und Tille (1961) geben Hinweise zur Behandlung von Sprichwort und sprichwörtlichen Redensarten aus dem Leben der Bauern, um die Klassengesellschaft in verschiedenen Epochen darzustellen und den I,? DR-sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat vergangener Tage zu legitimieren. Daher gibt es auch Stimmen, die den Schüler im Unterricht "zum Erlernen einer kritischen Haltung gegenüber den sprichwörtlichen Redensarten" befähigen wollen (Ralla 1980: 64). Es existieren daher auch Unterrichtsvorschläge, in denen die Schüler in bezug auf die Verwendung von sprichwörtlichen Redensarten und Sprichwörtern zu kritischer Distanzierung angeleitet werden sollen (vgl. z.B. Cöster 1978; Daniels 1976; Dehn et al. 1976; Köpf 1978). Es ist Aufgabe des Sprachunterrichts, "an Sprichwörtern ihre Vielfalt, Widersprüchlichkeit, Kraft und Gefährlichkeit zu zeigen" (Wollenweber 1974: 70). Seit den siebziger Jahren unseres Jahrhunderts sollen Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten stärker zu kultur-, sozial- und gesellschaftskritischer Auseinandersetzung herangezogen werden, z.B. auf dem Gebiet der Konsumwerbung und politischen Propaganda (vgl. Siefer 1971; Koller 1975). Seiler lenkt in seiner grundlegenden Arbeit über Die deutsche Sprichwörterkunde (1922) den Blick auf einen weiteren Aspekt: Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten werden in den Dienst von Sprach- und Stilstudien gestellt und bieten eine ausgezeichnete Möglichkeit zum kreativen Schreiben. Auch dieser Ansatz entwickelte sich zu einem Traditionsstrang, der bis in unsere Tage reicht: Reuter (1961: 13) ist der Ansicht, mit dem „Erfahren der Bildhaftigkeit" und dem „Erfassen des Sinngehalts" über das Sprichwort „dem Sprachzerfall" entgegenwirken zu können. Gerade das „bildliche Sprichwort" wird „als Phantasie- und Denkimpuls" angesehen, sowohl für das Verstehen, als auch für eine, der Kinderfahrung angemessene situative Übertragung und Verwendung des Sprichworts (Wolfrum 1976). Faßt man die Phraseodidaktik im Sinne einer Sprichwörterdidaktik zusammen, so zeigt sich, daß bis weit in unsere Zeit die unterrichtliche Behandlung von Sprichwörtern und sprichwörtlichen Redensarten weitgehend im Dienste der ·Sprach- und Kulturbildung steht, die gelegentlich stark erzieherische, sprachpflegerische und ideologische Zielsetzungen aufweist. Erst seit den siebziger Jahren unterbricht ein eher kritischer Ansatz diesen Entwicklungsstrang. In Lehrbüchern für den Unterricht DaF findet man im Zusammenhang mit der unterrichtlichen Behandlung von Sprichwörtern ebenfalls den Ansatz, Sprichwörter als Schreib- oder Redeanlaß zu verwenden (vgl. Schumann 1985; Wege Lehrbuch 1988: 80; Themen 3/ 1986: 81). Interessant ist, daß die Verknüpfung (sprach-)kulturspezifischer Inhalte mit Phraseologismen unter dem Vorzeichen „Landeskunde" ebenfalls im Unterricht Deutsch als Fremdsprache thematisiert wird, denn es gibt eine Vielzahl von· Phraseologismen, "deren Bedeutung diese oder jene nationalspezifischen Sachverhalte der betreffenden Kultur reflektiert [... : ] Alte Traditionen, Sitten und Bräuche, geschichtliche Fakten, Erscheinungen des gesellschaftlichen, politischen Lebens sowie sozioökonomische Verhältnisse und kulturelle Werte finden also regulär ihren Niederschlag in der Phraseologie" (Földes 1990: 11): der Deutsche Michel, Fraktur reden, nach Adam Riese, aber auch Gegenwärtiges: mit den Füßen abstimmen als Bezeichnung der massenhaften Flucht aus der DDR, Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben ist ein Geflügeltes Wort von Gorbatschow geworden. Ein interessanter Materialbereich wären in diesem Zusammenhang sicherlich auch Graffiti-Sammlungen. FLuL 21 (1992) Phraseodidaktik. Entwicklungen, Probleme und Überlegungen ... 175 Die Beschränkung der Phraseologismen auf Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten sowie deren sprach- und kulturbildende Behandlung im Unterricht wird erst in den siebziger Jahren unseres Jahrhunderts aufgebrochen .. Auch Sprachdidaktiker werden sich zunehmend bewußt, daß Phraseologismen wie in den sauren Apfel beißen oder jemandem auf die Finger gucken aus dem täglichen Sprachgebrauch nicht mehr wegzudenken sind und damit zum Unterrichtsgegenstand gemacht werden müssen. Hinzu kommen zwei Entwicklungen, die in den siebziger Jahren zu einer Kursänderung der Phraseodidaktik geführt haben: (1) Ein Unterricht, der kommunikativ ausgerichtet ist und Sprache in ihrer adressatenbezogenen, situativen und soziokulturellen Verwendung analysiert, kommt folglich an der Berücksichtigung von Phraseologismen nicht vorbei. (2) Nach einer vorwiegend formalen Sprachbetrachtung rücken in den siebziger Jahren zunehmend semantische Aspekte in den Vordergrund des Sprachunterrichts. Phraseologismen geraten aufgrund ihrer semantischen Besonderheit ähnlich wie Polysemien, Metonymien, Metaphern oder Personifizierungen daher stärker ins didaktische Blickfeld und werden dem Lernbereich „Reflexion über Sprache" zugeordnet (vgl. Daniels 1979). Die Gegenüberstellung von phraseologischer und nichtphraseologischer Bedeutung von Phraseologismen als Unterrichtsgegenstand (vgl. Rosenthal 1976: 20) wird also didaktisch legitimiert durch die damit verbundene Erweiterung des Sprachbewußtseins. Seit Ende der 70iger Jahre sind Unterrichtsvorschläge zur Behandlung der Phraseologismen im Deutschunterricht stärker auf diese sprachreflexive Zielsetzung funktionalisiert (vgl. z.B. Rosenthal 1976). Unterrichtspraktisch wird dies beispielsweise realisiert. über „Mißverständniswitze" oder „Eulenspiegelgeschichten" (vgl. z.B. Ulshöfer 1974: 92 ff; Der Sprachfuchs 1985: 24), in denen sprachspielerisch phraseologische und nichtphraseologische Bedeutungen miteinander vermischt und zu einem witzigen oder lustigen Text verwoben werden. Neben die sprach- und kulturbildende sowie sprachreflexive Behandlung von Phraseologismen müßte m.E. ein weiteres Unterrichtsziel treten: Die bisherigen Vorschläge machen Phraseologismen sporadisch zu einem besonderen Unterrichtsthema und berücksichtigen noch zu wenig, . daß Phraseologismen eigentlich ständig in Texten vorkommen. Die Behandlung von Phraseologismen muß zu einem durchgängigen Unterrichtsprinzip werden. Es genügt folglich nicht, in einer Einzelstunde Phraseologismen sammeln zu lassen, ihre sprachkulturell-volkskundlichen Inhalte herauszuarbeiten und kritisch einschätzen zu lernen oder aber die Beziehung zwischen idiomatischer und wörtlicher Bedeutung sprachspielerisch zu reflektieren, vielmehr sollte jeder Phraseologismus textsorten- und adressatenbezogen in seiner situationsspezifischen Bedeutung erschlossen und bestimmt werden. Gerade diese textbezogene unterrichtliche Behandlung von Phraseologismen eröffnet neue Möglichkeiten: Weithin geht man in der Phraseodidaktik und den konkreten Unterrichtsmodellen davon aus, daß Phraseologismen durch ein lexematisches Synonym erklärbar seien: etwas auf den Tisch legen bedeute 'etwas einer kleineren oder größeren Öffentlichkeit vorlegen' oder 'einen Vorschlag machen'. Eine solche Gleichsetzung widerspricht einerseits der Erkenntnis, daß Phraseologismen eine besondere Art von Sprachzeichen sind, und sie sich damit von nichtphraseologischen (lexematischen) Entsprechungen unterscheiden müssen, und andererseits gilt das sprachwissenschaftliche Axiom, daß es keine echten/ totalen Synonyme gibt. Etwas auf den Tisch legen bedeutet mehr als 'etwas vorlegen'. Mitbedeutet ist mit diesem Phraseologismus, daß jemand etwas einer kleineren oder größeren Öffentlichkeit vorlegt, wobei man mitausdrückt, daß das, was man vorgelegt oder vorgeschlagen hat, als neues, wichtiges, überlegenswertes, diskussionswürdiges oder nützliches Argument zur Lösung eines Problems beitragen könnte. Derjenige, dem man etwas auf den Tisch legt, ist gehalten, sich mit dem neuen Vorschlag auseinanderzusetzen und ihn in seinen Überlegungen zu berücksichtigen. Phraseologismen bedeuten also immer mehr als ihre nichtphraseologischen Entsprechungen. Man könnte auch sagen, sie besitzen einen „semantischen FLuL 21 (1992) 176 Peter Kühn Mehrwert" (vgl. Kühn 1985; Kühn 1987a). In der bisherigen Deutschdidaktik wird dies oft als „Anschaulichkeit" oder „Bildhaftigkeit" bezeichnet, im Unterricht gilt es in bezug auf die Phraseologismen, einen „Einblick in die Bildkraft und Schönheit unserer Muttersprache" zu gewinnen (Stritzke 1974: 351). Diese Stilisierung eines vorzüglichen, bildkräftigen Sprachgebrauchs kann relativiert und dadurch konkretisiert werden, daß ich mit dem Schüler die Einstellungen, Haltungen oder Gefühle herausarbeite, die mit dem situationsspezifischen Gebrauch von Phraseologismen verbunden sind (vgl. Kühn 1987b: 67 f). Es mag sein, daß man dies zumindest auf einem höheren Abstraktionsniveau erst ab der Sekundarstufe I machen kann, dennoch scheint mir das Herausarbeiten des semantischen Mehrwerts von Phraseologismen auch schon früher möglich, allerdings eingeengt auf individuelle Erfahrungsbereiche der Schüler in Form einzelsituationsbezogener Paraphrasierungen. Der Überblick über die Ansätze und Entwicklungen der primärsprachlichen Phraseodidaktik läßt folgende Schlußfolgerungen zu: Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten lassen sich durchaus zur Vermittlung sprachbildender und volkskundlicher/ kulturhistorischer Inhalte einsetzen. Die gleichzeitige Kopplung an eine sprach-, sozial- und kulturkritische Einschätzung, Beschreibung und Einordnung der mit diesen sprachlichen Einheiten verknüpften Einstellungen, " Wahrheiten", "Stereotypen", „Lebensweisheiten" oder „Ideologien" ist jedoch unerläßlich, wenn die Schüler zu Sprach- und Gesellschaftskritik angeregt und angeleitet werden sollen (vgl. z.B. die Aufgabenstellungen bei Wollenweber 1974: 88 t). Die Beschränkung der Phraseodidaktik auf Sprichwörter, sprichwörtliche und/ oder bildliche Redensarten ist zu einseitig und wird dem gegenwärtigen Sprachgebrauch nicht gerecht. Im Mittelpunkt der primärsprachlichen Phraseodidaktik sollten dabei zwei Lernziele stehen: 1. Die Reflexion über die sprachlichen Besonderheiten der jeweiligen Typen von Phraseologismen, über ihre Beziehung untereinander sowie über ihre Besonderheiten im Vergleich zu anderen sprachlichen Einheiten. Eine solche sprachreflexive Beschäftigung mit Phraseologismen wäre vergleichbar mit der systematischen Wortschatzarbeit. Themen der phraseodidaktischen Reflexion wären z.B.: Motiviertheit von Phraseologismen, semantische Beziehungen zwischen Phraseologismen und zwischen Phraseologismen und lexikalischen Entsprechungen, Modifikationen von Phraseologismen, Klassifizierungen von Phraseologismen usw. 2. Analyse unterschiedlicher Phraseologismustypen in ihrem konkreten adressatenspezifischen und situativen Gebrauch. Die Schüler sollen zum einen analysieren lernen, wer in welchen Texten und Textsorten zu wem welche Phraseologismen gebraucht und zweitens, daß Sprecher und Schreiber mit Phraseologismen werten, resümieren, vereinfachen, verallgemeinern, veranschaulichen, verwischen, verstärken, abschwächen, zuspitzen, manipulieren usw. Gerade dieser Lernbereich wurde aber bislang sträflich vernachlässigt und blieb in der phraseodidaktischen Diskussion ausgeklammert. Notwendig wäre natürlich auch die methodische, schüleradressatenspezifische Aufarbeitung einer solchen textgebundenen kritischen Phraseologismusanalyse. FLuL 21 (1992) Phraseodidaktik. Entwicklungen, Probleme und Überlegungen ... 177 Damit wird die primärsprachliche Phraseodidaktik grundsätzlich in den Dienst von Kultur- und Gesellschaftskritik sowie von Sprachreflexion und Sprachkritik gestellt. ' 4 Phraseodidaktischer Dreischritt im Unterricht Daf: Phraseologismen entdecken, entschlüsseln, verwenden Im Bereich DaF stellen sich die phraseodidaktischen Probleme aufgrund der besonderen Voraussetzungen der Lerngruppe zunächst vollkommen anders dar: Trotzdem werden diese Voraussetzungen in vielen Übungsaufgaben für DaF- Lerner nicht berücksichtigt. Dazu ein typisches Beispiel (Schmitt 1975: 50): "Ich freue mich ja über den Besuch aus Amerika; aber daß er nun gerade während meines Urlaubs kommt, ........... " a) geht auf keine Kuhhaut b) ist auf mich gemünzt c) kommt mir spanisch vor d) paßt mir nicht in den Kram. Die •Aufgabe besteht darin, in ·den Lückentext einen der vorgegebenen Phraseologismen einzusetzen. Ganz allgemein kann man sagen, daß solche Übungen wenig geeignet sind, "die Nuancen in der Bedeutung der einzelnen Redensarten zu erfassen" und "sich das Umfeld zu vergegenwärtigen, in dem die Redensart jeweils verwendet wird" (Schmitt 1975: 3), denn mit Übungen des vorliegenden Typs kann lediglich die Kenntnis der Semantik von Phraseologismen abgefragt werden. Darüber hinaus sind solche Übungen wegen ihrer Beschränkung auf den Satzrahmen und der mangelnden situativen Einbettung problematisch und irreführend, denn es ließen sich beispielsweise zu dem vorgegebenen Lücken"satz" im Prinzip verschiedene Kontexte und Situationen konstruieren, die jede der angegebenen Antwortmöglichkeiten als richtige Lösung möglich machten. Das vorliegende Beispiel ist kein Einzelfall. Übungen zu Phraseologismen sind sowohl in den Lehrwerken DaF als auch in den speziellen Arbeitsbüchern nur Kontrolltests, anhand derer der Lehrer feststellen kann, ob der Schüler die Struktur und Bedeutung der Phraseologismen kennt oder nicht. Struktur und Bedeutung von Phraseologismen über solche Kontrollübungen zu lernen, . ist Vokabeldrill in Quizform und wird den sprachlichen Besonderheiten von Phraseologismen nicht gerecht. Darüber hinaus können die Deutsch Lernenden mit solchen Übungen nicht dazu angeleitet werden, Phraseologismen aktiv adressaten- und situationsangemessen zu gebrauchen; dem stehen sowohl die geringe Kontextualisierung als auch die Form der Übungen im Wege. Wegen der besonderen Voraussetzung muß ein phraseologisches Konzept für den Unterricht DaF anders aussehen und methodisch anders orientiert sein. Zunächst scheint eine Differenzierung grundlegender Lernziele notwendig: Soll der Schüler lernen, FLuL 21 (1992) 178 Peter Kühn (1) Phraseologismen aktiv, d.h. situations- und textsortentypisch sowie adressatenspezifisch zu verwenden, oder (2) Phraseologismen zu erkennen und ihre Bedeutung aus der situationsspezifischen, textsortenabhängigen und adressatenorientierten Verwendung bestimmen zu können? Aufgrund dieser Lernziele läßt sich für eine Phraseodidaktik DaF folgender Dreischritt aufstellen (vgl. auch Glaap 1985): Im Unterricht DaF müssen die Deutsch Lernenden zunächst einmal für die verschiedenen Typen von Phraseologismen sensibilisiert werden. Sie müssen lernen, im Text über Phraseologismen zu „stolpern" und unbekannte Phraseologismen zu entdecken; in diesem Zusammenhang sind mehrere Entdeckungsprozeduren denkbar. Ist ein Deutschlerner über einen Phraseologismus „gestolpert" und hat ihn entdeckt, so kann der nächste Lernschritt nur darin bestehen, Bedeutung und Struktur des Phraseologismus zu ermitteln und zu entschlüsseln. Wesentlich scheint mir dabei, daß das Erschließen und Verstehen phraseologischer Bedeutungen anhand von Texten durchgeführt wird. Auch beim Erlernen des adressatenbezogenen, situationsangemessenen Gebrauchs von Phraseologismen bedarf es der unterrichtlichen Steuerung. Gerade hier ist die Einbindung der Phraseologismen in nachvollziehbare situative Kontexte und Situationen unabdingbar, um die adressaten-, textsorten- und situationsspezifische Angemessenheit zu sichern. Im folgenden soll dieser phraseodidaktische Dreischritt „entdecken entschlüsseln verwenden" kurz erläutert. werden. Selbst wenn man die bislang getroffenen Unterscheidungen in erster Linie als analytisch zu verstehen hat, liegt es auf der Hand, den Deutsch lernenden Ausländer zunächst einmal dafür zu sensibilisieren, ob in einem Text ein Phraseologismus vorkommt oder nicht. Im Unterricht DaF müssen die Schüler zunächst einmal lernen, verschiedene Typen von Phraseologismen zu entdecken. Dabei lassen sich verschiedene Entdeckungsprozeduren unterscheiden: (1) Sensibilisierung über . phraseologismustypische Struktureigenschaften: Bernstein (1985) hat im Zusammenhang mit Verstehensproblemen im Leseunterricht Vorschläge gemacht, wie die Schüler über die Kenntnis phraseologismustypischer Struktureigenschaften für Phraseologismen sensibel gemacht werden könnten: Phraseologismen unterscheiden sich von freien Wendungen z.B. oft durch fehlende Artikel (Schwein haben vs. ein Schwein haben), adverbiale Phraseologismen bestehen· oft aus Präpositionalgruppen (um ein Haar), stehende Vergleiche sind aufgrund ihrer Analogiebildung gut erkennbar (schwarz wie die Nacht, brummen wie ein Bär), Zwillingsformeln haben ebenfalls eine typische Struktur (an Ort und Stelle; vgl. z.B Deutsch aktiv 1986: 69-72; Hessky 1989) usw. Schüler sollten also auf die besondere Struktur verschiedener Phraseologismustypen aufmerksam gemacht werden. (2) Sensibilisierung über semantisch-syntaktische Kompatibilitäten: Wenn ein Schüler einen Text liest und die Bedeutung der Wörter, Syntagmen und Sätze erschließt, dann stellen die freien Wendungen oder Wortverbindungen keine FLuL 21 (1992) Phraseodidaktik. Entwicklungen, Probleme und Überlegungen ... 179 besonderen Verständnisschwierigkeiten dar: Er kann aufgrund grammatischer und syntaktischer Regeln sowie aufgrund der lexikalischen Bedeutungen auf die Gesamtbedeutung der Äußerung zurückschließen. Probleme treten dann auf, wenn die Äußerung einen Phraseologismus enthält, bei dem aufgrund der Idiomatizität die Bedeutung nicht aus der Summe seiner Einzelbedeutungen erschließbar ist. Der Lernende kann daher dafür sensibel gemacht werden, daß kalte Luft anders zu verstehen ist als dicke Luft, unter die Räder kommen etwas anderes bedeutet als unter ein Auto kommen. Neben der Möglichkeit, den Schüler über die besondere Struktur für phraseologische Einheiten zu sensibilisieren, könnte man versuchen, den Schüler über die semantisch-syntaktische Struktur auf Phraseologismen aufmerksam zu machen. Den Satz Peter und Irmgard sitzen auf den Stühlen wird ein Schüler ohne Probleme verstehen: sitzen kann durch eine präpositionale Fügung an eine lokale adverbiale Bestimmung gebunden sein. Der Satz Peter und Irmgard sitzen auf den Ohren stellt den Schüler vor ein Verständnisproblem: die präpositionale Fügung ist zwar vorhanden, die Ortsbestimmung ist jedoch "irgendwie unlogisch". Ähnlich unlogisch sind: treulose Tomate, schlagende Antwort, unbeschriebenes Blatt, die Ohren spitzen usw. (3) Kontextuelle Sensibilisierung: Der Hinweis auf diese semantisch "unlogischen" Verbindungen weist den Weg zur kontextuellen Sensibilisierung, wie dies z.B. im nachfolgenden Witz zum Ausdruck kommt: "Mutti", stürmt Fritzchen in die Wohnung, "wir haben einen komischen Lehrer! " " Wieso denn Fritzchen? " "Der hat zu mir gesagt, wenn ich noch einmal mit schmutzigen Händen zur Schule komme, will er mir gehörig den Kopf waschen! " Mißverständniswitze, Wortspiele, Bilderrätsel bieten sich geradezu als „Stolpersteine" für das Verstehen von Phraseologismen an (vgl. z.B. Wotjak/ Richter 1988: 75 ff und 86 ff). Wichtig erscheint mir dabei, daß diese drei Möglichkeiten der Sensibilisierung nicht gegeneinander ausgespielt werden. Bestimmte Typen ·von Phraseologismen (z.B. komparative Phraseologismen, Zwillingsformeln) lassen sich beispielsweise eher über ihre Struktur, andere dagegen (z.B. Einheiten, die sowohl als Syntagma als auch als Phraseologismus verstanden werden können, Typus: jemandem den Kopf waschen) eher über den Kontext identifizieren. Eine methodische Aufarbeitung dieser verschiedenen Sensibilisierungsmöglichkeiten wäre wünschenswert. Hat der Schüler in einem Text einen Phraseologismus "entdeckt", so geht es im sich daran anschließenden Lernschritt um das Erklären und Verstehen des Phraseologismus. Dazu sind ebenfalls mehrere Möglichkeiten denkbar: (1) Die Entschlüsselung über das Bild erscheint mir in mehrfacher Weise problematisch. Zum einen können beim Deutsch Lernenden im Gegensatz zum Muttersprachenkind - Fehldeutungen aufgrund ähnlicher oder vollkommen anderer Bildentsprechungen durch die Muttersprache des Ausländers hervorgerufen werden (vgl. Kühnert 1985; Ulbricht 1989), zum anderen ist in Rechnung zu stellen, daß viele Phraseologismen (Trübsal blasen, einen 'Stiefel vertragen, FLuL 21 (1992) 180 Peter Kühn über die Stränge schlagen) und bestimmte Phraseologismustypen (z.B. Routineformeln, Gemeinplätze, Zwillingsformeln) "bildlos" sind. (2) Zur Erklärung von Phraseologismen ließen sich auch allgemeinsprachliche Wörterbücher und phraseologische Spezialwörterbücher heranziehen. Im Gegensatz zu anderen Fremdsprachen (vgl. Glaap 1985: 101-103) haben hier die einsprachige Lexikographie des Deutschen wie auch die mehrsprachige Lexikographie mit Deutsch als Ausgangs- oder Zielsprache wenig zu bieten (vgl. Kap. 1 und besonders Schemann 1989). (3) Da sowohl in der unmittelbaren Kommunikationssituation als auch in der Unterrichtspraxis oft kein Wörterbuch zur Verfügung steht, muß der Ausländer lernen, entweder selbständig oder mit Hilfe des Lehrers die Bedeutungen von Phraseologismen aus dem Kontext zu erschließen. Wie eine solche kontextbezogene semantische Extrapolation aussehen könnte, möchte ich in der gebotenen Kürze an einem authentischen Beispiel aus einem Oberstufenkurs ausführen. Im Rahmen des Leseverstehens beschäftigten sich die Schüler mit dem nachfolgenden Zeitungsartikel: "Ach, was geht denn mich das an! " Tatort U-Bahn: In einem vollbesetzten Zug schlagen drei Punker einen 69jährigen Rentner zusammen, nehmen ihm schließlich seine Brieftasche ab. Der Rentner ist so schwer verletzt, daß er ins Krankenhaus eingeliefert werden muß und erst nach vier Wochen wieder 5 entlassen wird. Die Täter bleiben unerkannt und können nicht geschnappt werden. Passiert ist das nicht etwa in New York, sondern in Frankfurt, am hellen Tag. Zeugen: keine .. In Köln fährt auf einer Straßenkreuzung ein Pkw einen Radfahrer an. Ohne sich um sein Opfer zu kümmern, macht sich der Unfallfahrer aus dem Staub. Schwerverletzt liegt der Radfahrer am Straßenrand. Um ihn herum versammeln sich eine Vielzahl neugieriger 10 Menschen. Auf den Autofahrer achtet niemand. Hilfe kommt allerdings erst nach einer guten halben Stunde sie kommt zu spät. Jeder der Passanten, so die Polizei später, habe geglaubt, daß schon ein anderer den Rettungswagen verständigt hätte. Zeugen: keine. (Verändert aus: Trierischer Volksfreund Nr. 23, vom 4./ 5.6.88, S. III) Nach der Lektüre des Textes sollten die Schüler die nachfolgenden Aufgaben bearbeiten: 1. In dem vorliegenden Zeitungsausschnitt wird über zwei Ereignisse berichtet. Die erste kriminelle Handlung ereignet sich in Frankfurt in ..................................... . Die zweite kriminelle Handlung ereignet sich in Köln auf ........................................ . 2. Was geschieht mit dem 69jährigen Rentner? Der Rentner .............................................................................................. . 3. Wie verhalten sich die Punker nach ihrer Tat? 4. Wie würde ein Richter die Tat der Punker wohl bezeichnen. Kreuzen Sie an! □ Diebstahl D bewaffneter Raubüberfall FLuL 21 (1992) Phraseodidaktik. Entwicklungen, Probleme und Überlegungen ... 181 □ Überfall □ Attentat □ brutaler Raubüberfall S. Welche Strafe würden Sie als Richter aussprechen. Begründen Sie Ihr Urteil! 6. Warum konnten die Täter unerkannt entkommen? Was vermuten Sie? Achten Sie auch auf die Überschrift! 7. Was geschieht mit dem Radfahrer in Köln? Der Radfahrer ........................................................................................... . 8. Was macht der Unfallfahrer nach seiner Tat? Drücken Sie seine Handlung mit Ihren eigenen Worten aus! 9. Wie wird die Handlung des Autofahrers nach seiner Tat im Zeitungstext bezeichnet? Er 10. Versuchen Sie mithilfe des Textes die Grundform des Phraseologismus/ Idioms zu bestimmen. 11. Welche Folgen hat der Unfall? 12. Wie würde ein Richter wohl die Tat des Autofahrers bezeichnen? Kreuzen Sie an! D Unfall D Zusammenstoß □ Unfall mit Todesfolge □ Mißgeschick □ Unfall mit Personenschaden 13. Welche Strafe würden Sie als Richter aussprechen? Begründen Sie Ihr Urteil! 14. Wie verhalten sich die Passanten bei diesem Unfall? 15. Warum ist der Autofahrer wohl geflohen? Welche Vermutungen haben Sie? Im Anschluß an die Besprechung dieser Antworten wurden die Teilnehmer mit der Frage konfrontiert, warum der Zeitungsschreiber zur Beschreibung der Tat des Unfallfahrers nicht die Lexeme wegfahren oder verschwinden, sondern den Phraseologismus sich aus dem Staub machen verwendet habe. Als Resultat dieses Schüler-Lehrer-Gesprächs ergab sich folgende Beschreibung der Bedeutung des Phraseologismus: FLuL 21 (1992) 182 Peter Kühn sich aus dem Staub machen bedeutet: "sich rasch und unbemerkt entfernen" (gehen, laufen oder fahren), wobei mitausgedrückt wird, daß derjenige, der sich aus dem Staub macht, etwas Verbotenes oder gar Ungesetzliches getan hat und dafür keine Verantwortung übernehmen will. Er hat sich schuldig gemacht und müßte bestraft werden. Weil er sich aber der Strafe entziehen will, handelt er verantwortungslos, gemein, feige oder sogar unmenschlich. Solche kontextbezogenen Bedeutungsinterpretationen sind sehr zeitaufwendig. Das Ergebnis zeigt jedoch die Überlegenheit einer solchen Interpretation gegenüber einem „Erraten über Bilder" oder dem Nachschlagen in unzulänglichen Wörterbüchern. Im Anschluß an solche kontextbezogenen Interpretationsübungen sollte man in einer Art Festigungsphase versuchen, den Schüler den gleichen Phraseologismus in anderen Texten und Textsorten wieder bearbeiten lassen. Erst danach scheint mir eine systematische Phraseologie-Arbeit und die Kontrolle erworbener Kenntnisse möglich und nutzbringend. Hierher gehören dann möglichst unter Einbezug kontrastiver Aspekte - "Aufgaben zum Semantisieren, zum Vergleichen, zum Einsetzen, zum Ersetzen, zum Ergänzen, zum Korrigieren" usw. (Földes/ Kühnert 1990: 55; vgl. auch Schmitt 1975; Wotjak/ Richter 1988; Köhler/ Herzog/ Kursitza 1989). Als . schwierigster Lernbereich bei der Beschäftigung mit Phraseologismen wird ihre situationsangemessene Verwendung angesehen. Allen Schwierigkeiten zum Trotz sollte der DaF-Unterricht auch in diesem Lernbereich Hilfestellungen anbieten. Gerade in diesem Lernbereich spielt die strikte Kontextualisierung aller Übungen eine herausragende Rolle, denn der Deutsch Lernende ist nur dann in der Lage, einen Phraseologismus adressaten-, textsorten- und situationsangemessen zu verwenden, wenn er mit der jeweiligen Situation vertraut ist. Die Verwendung von Phraseologismen sollte daher unbedingt in für den Lernenden nachvollziehbare Situationen eingebunden sein (vgl. Glaap 1985: 104). Auch hier bieten sich bestimmte Typen von Phraseologismen eher an als andere: Routineformeln beispielsweise beherrscht der Deutsch Lernende relativ schnell, da diese Phraseologismen gerade durch ihre situationsstereotypische Verwendung gekennzeichnet sind. Für Phraseologismen des Typs etwas nach Strich und Faden tun oder sich etwas aus dem Kopf schlagen ist dies schon schwieriger. Die Verwendungsschwierigkeiten werden in diesem Zusammenhang immer an die Schlagworte „Stilwert", "stilistische Markierung" oder „Konnotationen" geknüpft (vgl. Hessky 1984: 152; Földes 1987/ 88: 39). Eines ist dabei allerdings sicher: über verkürzte stilistische Markierungen wie ugs. oder derb lernen die Schüler kaum eine situationsangemessene Verwendung. Darüber hinaus wird diese Markierungspraxis unter lexikographischen Gesichtspunkten stark kritisiert (vgl. Kühn 1984: 204 ff), der überwiegende Teil aller Angaben zur „Stilfärbung" wird als "Mißgriff der Lexikographen" bezeichnet (Wiegand 1981: 179). Ein erfolgversprechender Weg, dem Deutsch Lernenden Hilfestellungen bei der aktiven Beherrschung von Phraseologismen zu geben, besteht darin, ihn mit FLuL 21 (1992) Phraseodidaktik. Entwicklungen, Probleme und Überlegungen ... 183 den Texten und Textsorten, in denen Phraseologismen vorkommen, vertraut zu machen und ihm die adressatenspezifische Kennzeichnung und spezifische situative Einbettung der Texte bzw. Textsorten zu vergegenwärtigen. So wie die Schüler Routineformeln adressatenspezifisch in ihnen vertrauten Situationen (Begrüßungsformeln, Briefformeln, Diskussionsformeln usw.) kennen und in entsprechenden simulierten oder authentischen Situationen produktiv verwenden lernen, so müssen sie auch an den angemessenen Gebrauch der übrigen Phraseologismen herangeführt werden. Methodisch ist dabei folgendes Ablaufverfahren denkbar: (1) Da die Arbeit mit Phraseolqgismen grundsätzlich kontextualisiert erfolgen muß, ist zunächst ein entsprechender Text auszuwählen. Zum Einstieg bieten sich solche Texte und Textsorten an, in denen Phraseologismen typischerweise vorkommen, wie z.B. (Zeitungs-)Kommentare, Horoskope oder Ratgeber. Wichtig ist bei der Auswahl, daß es sich um Textsorten handelt, deren besondere und typische Kennzeichen (z.B. Adressatenspezifik, textsortentypische Handlungsmuster, Thematik, Themenentwicklung, Textaufbau usw.) dem Deutsch Lernenden vertraut sind oder die ihm bei der Textarbeit schnell vermittelt werden können. (2) Im Rahmen der allgemeinen Textarbeit sollen die Schüler auch die im Text vorkommenden Phraseologismen "entdecken" und ihre Bedeutungen kontextbezogen herausinterpretieren (vgl. S. 178). In einer sich anschließenden Festigungsphase könnten Struktur und Bedeutung der Phraseologismen nochmals an neuen Texten oder Textsorten herausgearbeitet und die Phraseologismen in ihren semantischen Beziehungen mit anderen Phraseologismen und/ oder ihren nichtphraseologischen .Entsprechungen verglichen werden. (3) Da den Deutsch Lernenden nach der Textarbeit die textsortentypische, adressatenspezifische und situationsangemessene Verwendung der vorliegenden Phraseologismen vertraut ist, kann nun der Schritt von der Rezeption zur Produktion erfolgen und zwar unter der Bedingung, daß der produktive Einsatz der Phraseologismen durch die Schüler ebenfalls im Rahmen der ihnen vertrauten und nachvollziehbaren textsorten-, adressaten- und situationsspezifischen Verwendungen durchgeführt wird. Ein Transfer auf andere Situationen ist erst viel später möglich. Dazu ein Beispiel: ► Text/ Textsorte: " Verhaltensratgeber": " Wie kann ich den Soldaten finden? " Frage Ich war etwa ein Jahr mit einem US- Soldaten befreundet, der angeblich in Scheidung lebte und mich heiraten wollte. Als. ich eines Tages in der Kaserne anrief, war er weg. Zusammen mit FLuL 21 (1992) Mein Rat Ihr Freund hat Sie nach Strich und Faden belogen und seine Familie offenbar auch. Nicht mal sein Arbeitgeber will ihn mehr, und das müßte Ihnen zu denken geben. Die Armee gibt Ihnen seine Adresse 184 Peter Kühn Frau und Kmdern zurück in die USA geschickt, unehrenhaft aus der Armee entlassen, überhaupt nicht geschieden. Ich versuchte, ihn überall zu finden, aber keiner gab mir seine genaue Adresse. Was kann ich tun? mit Sicherheit nie, und in Amerika werden Sie ihn nicht finden. Schlagen Sie sich die Sache aus dem Kopf und lernen Sie daraus Menschenkenntnis. (Aus: Die Zwei, Nr. 23, v. 4.6.1988, s. 30) Im vorliegenden Ratgeber geht es um folgendes Beziehungsproblem: Eine deutsche Frau hat einen amerikanischen Soldaten kennengelernt und sich in ihn verliebt. Dieser Soldat lebt angeblich in Scheidung und gibt vor, die Frau heiraten zu wollen. Nach einiger Zeit taucht der Soldat jedoch nicht mehr auf, er ist verschwunden. Die Frau erfährt durch einen Anruf in der Kaserne, daß der Amerikaner keineswegs geschieden war. Zudem hört sie, daß ihr Geliebter unehrenhaft aus der Armee entlassen worden und mit der Familie in die USA zurückgekehrt ist. Die Frau scheint aber immer noch in den Soldaten verliebt und versucht, ihn bzw. seine Adresse herauszubekommen. Was soll sie tun? Der Ratgeber bewertet in seiner Antwort zunächst einmal das Verhalten des Soldaten: .,Ihr Freund hat Sie nach Strich und Faden belogen und seine Familie offenbar auch" und versucht damit die Ratsuchende zu überzeugen, daß es sich nicht lohne, dieser Beziehung weiter nachzugehen. Der Soldat habe sie und seine Familie gehörig belogen ohne Rücksicht auf ihre Gefühle und die Folgen für seine Familie. Damit wird der Soldat als jemand charakterisiert, der nur seinen Vorteil im Auge und seinen Mitmenschen gegenüber rücksichtslos gehandelt hat. Dies sollte der Ratsuchenden „zu denken geben". Zudem ist er aus der Armee ausgestoßen worden. Der Ratgeber hält den Plan der Frau, ihren Geliebten zu suchen und diese Beziehung weiter zu verfolgen, für abwegig und falsch. Er gibt ihr . als Fachmann in Lebens- und Beziehungsfragen den Rat, die ganze Sache 'abzuhaken' und daraus „Menschenkenntnis" zu lernen. ► Rezeptive Analyse: Phraseologismen „entdecken" und ihre Bedeutungen aus dem Kontext interpretieren. tet: Für die beiden vorliegenden Phraseologismen wurden folgende Bedeutungen herausgearbeietwas nach Strich und Faden tun: 'etwas gründlich tun'. Diese Redensart ist immer auf negativ bewertete Handlungen bezogen, wie z.B. jemanden nach Strich und Faden belügen, betrügen, verhauen usw. Jemand, der etwas nach Strich und Faden macht, handelt zudem ohne Bedenken, gnadenlos, herzlos, mitleidlos, schonungslos oder rücksichtslos. sich etwas aus dem Kopf schlagen: Diese Redensart wird häufig in imperativischer Form gebraucht: Schlagen Sie sich ... , Schlag dir X aus dem Kopf! In dieser Form bedeutet die Redensart 'einen Plan oder ein Vorhaben, eine Bitte, eine Hoffnung oder eine Idee usw. aufgeben'. Dabei wird mitausgedrückt, daß das angestrebte Ziel (Plan, Vorhaben usw.) als unpassend, unangebracht, illusorisch, unrealistisch usw. angesehen wird. Zudem drückt man aufgrund seines Wissens, seiner Macht und seines Einflusses oder aufgrund von Autorität aus, daß das angestrebte Ziel unrealistisch oder illusorisch ist. Je nach Grad der bewerteten Unangepaßtheit, Unangemessenheit usw. wird die Äußerung als Abfuhr, Zurückweisung, Ablehnung, Absage oder eher als Ratschlag, Empfehlung, Vorschlag oder Lebenshilfe verstanden. ► Produktiver Gebrauch: Phraseologismen in vertrauten textsorten-, adressaten- und situationstypischen Verwendungszusanlffienhängen einsetzen und gebrauchen. Im Anschluß an die eingehende Textanalyse und die rezeptive Analyse der vorkommenden Phraseologismen sollen die Schüler zu vorgegebenen „Anfragen" unter Verwendung der ihnen FLuL 21 (1992) Phraseodidaktik. Entwicklungen, Probleme und Überlegungen ... bekannten und vertrauten Phraseologismen eigene „Ratschläge" formulieren. Konstruierte Anfrage: 185 Ich bin immer so allein. Jetzt habe ·ich einen sehr beeindruckenden Mann kennengelernt, der Mitglied in der Omega-O-Sekte ist. Er hat mir geraten, mein Haus zu verkaufen und meinen Beruf aufzugeben. Obwohl ich immer noch an diesen „weltlichen" Dingen · hänge, fasziniert mich die Idee. Was soll ich tun? (Helga B., 32 Jahre, Oberkirchenlied) Diese Anfrage wurde niederländischen, französischen, englischen und spanischen Deutsch Lernenden mit Grundstufe-3-Niveau (Goethe-Institut) zur Bearbeitung vorgelegt. Hier zwei Original „ratschläge": (1) kh rat Sie, sehr vorsichtig zu sein. Möglich will der Mann Sie nach Strich und Faden ausnutzen. Sie sollen sich über dieser Sekte unterrichten, aber vielleicht ist es besser, sich die Sache aus dem Kopf zu schlagen. (2) Sei nicht verrückt! Ich bin sicher, daß Ihr „Freund" Sie nach Strich und Faden betrügen wird. Schlagen Sie sich den Mann aus dem Kopf und suchen Sie sich einen anderen, um glücklich zu werden. Die abgedruckten Schülerbeiträge zeigen, daß die Schüler sowohl mit der Textsorte, ihrer Adressatenspezifik und der situationstypischen Verwendung vertraut sind: Die Schüler wissen, daß die Ratgebenden in ihren Ratschlägen polarisieren, simplifizieren, dramatisieren, bekräftigen oder generalisieren, und können dies dann selbst auch umsetzen. Erst die Einbindung der Aufgabenstellung in vertraute und nachvollziehbare Situationen sichert beim Deutsch Lernenden den angemessenen Gebrauch von Phraseologismen. Der phraseodidaktische Dreischritt „entdecken entschlüsseln verwenden" ist ein langwieriges, zeitintensives und arbeitsaufwendiges Lernverfahren. Zwischen einer solchen elementaren Beschäftigung bis hin zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Phraseologismen liegt ein weiter Weg. Die gesteckten phraseologischen Ziele können mit „einer Stunde Phraseologie" nicht erreicht werden. Die Arbeit mit Phraseologismen sollte vielmehr im Sinne eines Unterrichtsprinzips und in Textzusammenhängen erfolgen. Ergänzt werden müßte diese Unterrichtsarbeit besonders bei Deutsch Lernenden im Ausland durch eine natürliche Unterrichtssprache des Lehrers, in der selbstverständlich auch Phraseologismen vorkommen. Schüler lernen und beherrschen „schwierige Sachen" wie Partikel, Anspielungen oder auch Phraseologismen besonders schnell und situationssicher durch Nachahmung in vertrauten Kontexten. Bibliographische Angaben AUGST, G.: Kinderwort. Der aktive Kinderwortschatz (kurz vor der Einschulung) nach Sachgebieten geordnet mit einem alphabetischen Register. 2. Aufl. Frankfurt/ Bern/ New York 1985. 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The increasing interest in phraseology which can be observed in linguistics and foreign language teaching has also had some impact on teaching materials. If the more recent books for the teaching of English idioms in tertiary education are compared to older ones and if their characteristics are viewed against the background of the state of the art in linguistics and foreign language pedagogy, the change becomes clear. The term idioms is no longer .used as a catchall for all kinds of linguistic phenomena but refers to a clearly delimited subset of phraseology. Teaching strategies take into account the idiom structure of English idioms and concentrate on the problems of idiom use (syntax, collocations, style etc.). 1 Idiomatik und Fremdsprachenunterricht: Trends und Entwicklungen Lange Zeit hindurch war systematische Wortschatzarbeit nicht gerade ein zentrales Thema der fremdsprachendidaktischen Diskussion. Dem Desinteresse in der Theorie entsprach in der Praxis die untergeordnete Rolle, die die Wortschatzarbeit gegenüber dem Grammatikunterricht bisher einnahm. Was für den Wortschatz als Ganzes gilt, trifft entsprechend für die Phraseologie und Idiomatik zu. Allerdings mehren sich in letzter Zeit die Anzeichen, die auf einen Wandel hindeuten. Die Zunahme der Publikationen zu Themen der Wortschatzarbeit vgl. das Themenheft „Wortschatz(lernen)" von FLuL Jg. 1987 - und der Arbeitsmaterialien für diesen Bereich läßt sich auch bei Phraseologie und Idiomatik beobachten. Es erscheint daher sinnvoll, die in den letzten Jahren erschienenen Arbeitsmaterialien zu diesem Bereich kritisch zu sichten und zu sehen, in welcher Weise die Entwicklung in der Fremdsprachendidaktik und ihren Referenzwissenschaften hier ihren Niederschlag gefunden hat. Nachdem im folgenden zunächst der Bereich der englischen Idiomatik skizziert und die phraseologischen sowie fremdsprachendidaktischen und -psychologischen Aspekte der Behandlung der Idiomatik im Fremdsprachenunterricht des tertiären Bereichs dargestellt wurden, sollen vor diesem Hintergrund eine Reihe von Arbeitsbüchern zur Idiomatik kritisch beleuchtet werden. Dabei soll durch die Gegenüberstellung neuerer und älterer Materialien die Entwicklung in diesem Bereich deutlich werden. 2 Linguistische Aspekte der Idiomatik 2.1 Definitionen Kein Beitrag zur Idiomatik kommt ohne eine Klärung des Idiombegriffs aus. Schließlich geht ein erheblicher Teil der Verwirrung und der Mißverständnisse, die es in diesem Bereich bisher gegeben hat, darauf zurück, daß der Idiombegriff alles andere als eindeutig verwendet wird. Es spricht vieles dafür, auch in der fremdsprachendidaktischen Diskussion den Idiombegriff zugrundezulegen, FLuL 21 (1992) Lehrmaterialien zur englischen Idiomatik 191 der mittlerweile in der Linguistik am weitesten verbreitet ist und als ·allgemein akzeptiert gelten kann. Danach sind Idiome feste Wortgruppen, deren Bedeutung sich nicht (vollständig) aus den Bedeutungen der Wörter ergibt, aus denen sie bestehen. Red tape 'Bürokratismus' wäre demnach ein Idiom, ebenso white night 'schlaflose Nacht' oder fish and chips 'aus gebackenem Fisch und Pommes Frites bestehende warme Mahlzeit'. Neben solchen semantisch definierten Idiomen gibt es pragmatisch definierte wie how do you do (Begrüßungsformel beim formellen Vorstellen), thanks a Jot (Dankesformel), don't mention it (Antwort auf eine Dankesformel) usw., bei denen die semantische Bedeutung zugunsten der pragmatischen Funktion in den Hintergrund getreten ist. Die Idiomatik wäre demnach der Teilbereich der Phraseologie, der alle idiomatischen festen Wortgruppen umfaßt. Ausgeschlossen werden bei einem eng definierten Idiombegriff, wie er im folgenden verwendet wird, alle Lexeme, die nicht als Wortgruppen anzusehen sind (z.B. Komposita wie blackbord oder Einwortformeln wie hi) sowie alle Wortgruppen, die nicht als Lexeme anzusehen sind, wie z.B. Sprichwörter (fish and visitors stink alter three days), oder Zitate (to be or not to be) etc. 2.2 Die Idiomstruktur Wie die Lexik als Ganzes, so ist auch die Idiomatik keine ungeordnete Menge einzelner Lexeme, sondern sie besitzt eine sprachspezifische innere Struktur, die wir als Idiomstruktur bezeichnen. Idiome sind untereinander sowie mit anderen Lexemen aufgrund verschiedener paradigmatischer Beziehungen verbunden und bilden die unterschiedlichsten Gruppierungen. . Unter paradigmatischen Beziehungen verstehen wir solche, die innerhalb der Idiomatik bzw. zwischen Idiomen .und anderen Lexemen bestehen. Auf der Inhaltsseite sind dies Beziehungen wie Synonymie, Antonymie, Hyponymie usw., die auch die Grundlage für Gruppierungen abgeben. So gibt es bei Idiomen z.B. analog zu Wortfeldern Idiomfelder wie feather one's own nest, line one's own packet, make a nest-egg for oneself, Jook after number one, wobei die Bedeutung in diesem Falle entspricht sie der des deutschen Idioms sein Schäfchen ins Trockene bringen als gemeinsamer Nenner dient. Aufgrund von Übereinstimmungen auf der Formseite entstehen Gruppierungen wie play by ear, play cat and mouse, play a part, play into the hands of sb. usw., die wir als Idiomserien bezeichnen. Auch die Unterklassen der semantischen und pragmatischen Idiome werden aufgrund von paradigmatischen Beziehungen gebildet. Die wichtigsten, die hier zu nennen wären, sind bei den semantischen Idiomen die metaphorischen Idiome, die häufig als Prototyp der Idiome angesehen werden (z.B. break the ice 'das Eis brechen', early bird 'Frühaufsteher') die einseitigen Idiome, bei denen scheinbar nur eine Hälfte der Wortgruppe eine idiomatische Bedeutung hat (z.B. white lie 'Notlüge', look daggers 'mit Blicken durchbohren') FLuL 21 (1992) 192 Eckhard Roos Idiome mit Bedeutungsspezialisierung (z.B. french window 'Verandatür', hard shoulder 'Seitenstreifen'), Idiome ohne wörtliche Entsprechung wie by and ]arge 'im großen und ganzen', kith and kin 'Kind und Kegel', die fossile Elemente enthalten, die außerhalb dieser Verbindung in der Sprache nicht mehr vorkommen, sowie die aufgrund der äußeren Form definierte Kategorie der - Zwillings- (bzw. Drillings-)formeln (z.B. touch and go 'riskant', bread and butter 'Broterwerb'). Bei den pragmatischen Idiomen sind die wichtigsten Subkategorien die sozialen Formeln: z.B. see you later (Abschiedsformel), it's all right (Antwort auf eine Dankesformel), diskursstrukturierenden Formeln: z.B. you see (Formel zur Verständnissicherung), it was nice talking to you (Formel zum Beenden eines Dialogs) sowie die expressiven Formeln (vgl. Roos 1989): z.B. my goodness (Formel zum Ausdruck von Freude, aber auch Ärger), damn it all (Formel zum Hervorheben eines Arguments/ Vorwurfs). 2.3 Verwendungsbedingungen englischer Idiome Die systematische Wortschatzarbeit im Bereich der Idiomatik muß nicht nur die Struktur der englischen Idiomatik berücksichtigen, sie muß vor allem auch der Tatsache Rechnung tragen, daß Idiome mehr als jede andere Subklasse von Lexemen bestimmten Verwendungsbedingungen unterliegen. Hier ist zunächst an die Anforderungen zu denken, die Idiome erfüllen müssen, wenn sie mit anderen Lexemen syntagmatische Beziehungen eingehen. Hierzu gehören: (1) ihre grammatische Konstruktionsweise, (2) die semantischen Auswahlkriterien (Selektionsbeschränkungen) sowie (3) die durch den Sprachgebrauch bedingten Verbindungen, die sie bevorzugt eingehen (Kollokationen). Idiome können darüberhinaus in ihrem Geltungsbereich bestimmten Bedingungen unterliegen, indem sie an eine bestimmte Stilebene oder an regionale, funktionale oder soziale Varianten des Englischen gebunden sind. Aufgrund der Besonderheit von Idiomen, zugleich Lexem und Syntagma zu sein, muß bei ihrer Verwendung im Satz einerseits ihre Bedeutung etwa die eines transitiven Verbs - und zugleich die syntaktische Konstruktion ihrer Formseite Berücksichtigung finden. Viele Idiome sind stilistisch markiert. In den Wörterbüchern werden sie in erster Linie den unteren Stilebenen, d.h. der Umgangssprache oder dem Slang, zugeordnet, seltener den oberen Stilschichten. Dies gilt insbesondere für metaphorische Idiome, die häufig eine expressive Qualität besitzen. Stilistisch markierte Idiome weisen häufig pragmatische Eigenschaften auf, die beim Idiomgebrauch zur Geltung kommen. Dies sind insbesondere FLuL 21 (1992) Lehrmaterialien zur englischen Idiomatik 193 die Distanzierung des Sprechers vom Sprechakt (vgl. Strässler 1982: 98) und die Stellungnahme des Sprechers zum Gesagten (vgl. Fleischer 1982: 229). Außerdem ist ihre Verwendung von der sozialen Beziehung zwischen Sprecher und Hörer abhängig. So kann in der Regel nur der sozial höherrangige, zumindest aber gleichrangige Sprecher Idiome verwenden, wobei häufig durch metasprachliche Hinweise wie "if I may use that expression" das Einverständnis des Gesprächspartners eingeholt wird (vgl. Strässler 1982: 97 ff). Für Fremdsprachenlerner sind stilistisch markierte Idiome überhaupt mit Vorsicht zu genießen. Vielleicht sollte man sogar von ihrer aktiven Verwendung generell abraten, weil Muttersprachler sie als ihre eigene Domäne ansehen (vgl. Götz 1976: 70) und die Verwendung durch Außenstehende nicht ohne weiteres akzeptiert wird (vgl. Femando/ Flavell 1981: 48). Man darf aber nicht übersehen, daß es neben den markierten Idiomen nicht wenige Idiome gibt, die stilistisch unmarkiert sind (z.B. blind date 'Verabredung mit einer/ einem Unbekannten', of course 'natürlich'). Diese bereiten im Gegensatz zu den stilistisch markierten den Fremdsprachenlernern kaum Schwierigkeiten. Während Muttersprachler von den hier genannten Verwendungsbedingungen in der Regel kaum abweichen, findet man häufig Verstöße gegen die phraseologische Festigkeit, die oft mit Manipulationen auf der Bedeutungsebene einhergehen. Wortspiele nutzen vielfach das Auseinanderfallen von idiomatischer und wörtlicher Bedeutung, die für einen großen Teil der Idiome charakteristisch ist. Puns dieser Art finden sich besonders häufig in Zeitungsüberschriften und Werbeanzeigen. 3 Fremdsprachendidaktische und -psychologische Überlegungen Warum sollen Idiome überhaupt gelernt werden? In der Fremdsprachendidaktik wird vielfach die Auffassung vertreten, daß eine native-speaker-ähnliche Kompetenz ohne die Beherrschung der Idiomatik nicht möglich ist (vgl. Adkins 1968: 149). Ist man sich grundsätzlich darüber einig, daß Idiomatik gezielt zu vermitteln ist, so stellt sich die Frage, was der Lerner am Schluß eigentlich können soll. Die Bedeutung einiger exotischer Ausdrücke wie it's raining cats and dogs zu kennen, kann ja wohl kaum das Ziel solcher Bemühungen sein. Schließlich geht es darum, den am besten geeigneten Weg zum Erreichen des gesteckten Ziels zu finden. Im Endeffekt heißt das, Arbeitsmaterialien zu entwickeln, die optimal geeignet sind, das zu vermitteln, was wir unter „Beherrschung der englischen Idiomatik" verstehen. Die Beherrschung englischer Idiome im Sinne der oben gegebenen linguistischen Definition und. anderer phraseologischer Einheiten, die in der Fremdsprachendidaktik häufig unter dem Idiombegriff subsumiert werden, ist keineswegs nebensächlich, handelt es sich hier doch nicht um Randerscheinungen, sondern FLuL 21 (1992) 194 Eckhard Roos um für die tägliche Kommunikation wichtige Elemente der Sprache. Im Gegensatz zu dem, was man häufig über Idiome lesen kann, haben sie keinerlei Ausnahmecharakter, sondern sind ein wesentlicher Bestandteil aller natürlicher Sprachen. Die Idiomatik ist ein zentraler Bereich der Phraseologie und damit des Wortschatzes. Sie ist systematisch strukturiert und eröffnet Ausdrucksmöglichkeiten, die vielfältig in der Sprache genutzt werden. Nicht weniger wichtig als die semantischen Idiome sind die pragmatischen: Ohne vorgegebene Denk- und Aussageschemata, die uns Sicherheit geben, wären wir zur Orientierung in der Welt und zur sozialen und kommunikativen Handlung unfähig (Seidel 1980: 39). Natürlich ist es wie überall in der Lexik auch hier notwendig, eine didaktisch begmndete Auswahl zu treffen. Dabei sollte der tatsächliche Sprachgebrauch, wie er von Korpusuntersuchungen her bekannt ist, als Richtschnur dienen. Worin bestehen nun die besonderen Lernschwierigkeiten? Wie bereits oben deutlich wurde, sind Idiome durch die relative Festigkeit ihrer syntaktischen Form und ihre semantische Anomalität d.h. durch das Auseinanderfallen von Idiombedeutung und wörtlicher Lesart (soweit eine solche existiert) gekennzeichnet. Auf der Formseite wie auf der Inhaltsseite sind damit die Probleme vorgegeben: In Hinsicht auf die syntaktische Verwendung muß der Lerner wissen, welche Transformationen eine gegebene idiomatische Wortgruppe durchlaufen kann und welche nicht (vgl. Cowie 1980: 5), sowie welche Selektionsbeschränkungen und welche Kollokationsmöglichkeiten bzw. -präferenzen existieren. Auf der Inhaltsseite besteht das Problem zunächst darin, daß Idiome etwas anderes bedeuten als man auf den ersten Blick vermutet und daß die Kenntnis der wörtlichen Bedeutung der Konstituenten oft nicht viel hilft. Es genügt allerdings nicht, die Idiombedeutung zu kennen: auch die expressiven Qualitäten, die stilistisch markierte Idiome in der Regel aufweisen, müssen dem Lerner bekannt sein. Außerdem muß er wissen, zu welcher Stilebene oder Sprachvariante das betreffende Idiom gehört. Hier begibt sich der Fremdsprachenlerner auf äußerst gefährliches Terrain. Vertut er sich auch nur leicht in der Einschätzung der Stilebene, so kann das, was er sagen will, peinlich oder lächerlich klingen. Wie lernt man am besten Idiome? Von der Fremdsprachenpsychologie und Neurolinguistik wissen wir, daß Idiome ganzheitlich gelernt und in der rechten Hirnhälfte abgespeichert werden. Wir wissen auch, daß es sinnvoller ist, lexikalische Einheiten - und damit auch Idiome nicht isoliert, sondern im Kontext zu lernen (vgl. Seidl 1982: 7) sowie im Zusammenhang der Lexikonstruktur. Zudem hat es sich als effektiv erwiesen, anstelle einzelner Lexeme kleine Grup- FLuL 21 (1992) Lehrmaterialien zur englischen Idiomatik 195 pen chunks zu lernen. Dabei ist es sinnvoll, Idiome aufgrund ihrer semantischen Relationen zusammen einzuführen: Research on vocabulary learning has shown that more advanced students appear to memorize words and phrases on the basis of similarities and contrasts of meaning and that learning can be made easier when these links are established by deliberate teaching (Cowie 1980: S). Es liegt auch nahe, bei der systematischen Erarbeitung der Idiomatik im tertiären Bereich von der linguistischen Klassifikation auszugehen und die Lerner auf die verschiedenen Arten und Typen von Idiomen aufmerksam zu machen (vgl. Alexander 1988: 115). Natürlich ist der Lerner mit dem Phänomen der Idiome bereits von seiner Muttersprache her vertraut. Zwar besteht damit auf der einen Seite die Gefahr muttersprachlicher Interferenz, etwa bei faJse friends wie lead s.o. by the nose 'jdn. am Gängelband führen' und jdn. an der Nase herumführen. Andererseits bietet sich aber auch die Möglichkeit des positiven Transfers, der als Lernerleichterung genutzt werden kann. Es ist daher sinnvoll, die kontrastive Analyse, die sich nach Marton (1977) besonders für die Wortschatzarbeit mit fortgeschrittenen Lernern eignet, als kognitives Verfahren bei der Vermittlung der Idiomatik einzusetzen. Auch Alexander (1988: 117) hält die kontrastive Idiomarbeit für "one of the most effective ways of making (post-, intermediate and advanced) learners aware of the problems posed by idioms". All dies gilt für pragmatische Idiome ebenso wie für semantische. Für einen Fremdsprachenunterricht, der kommunikative Kompetenz als oberstes Lernziel verfolgt, ist die Beherrschung beider Hauptkategorien der Idiomatik schließlich gleichermaßen notwendig. Adkins (1968: 151) empfiehlt Übungen zum Einschleifen der Idiombedeutung sowie zum Unterscheiden von wörtlicher und idiomatischer Bedeutung. Sie weist vor allem auf die Notwendigkeit hin, Idiome in Dialogen einzuüben, da die charakteristische Verwendungsweise vor allem der zahlreichen umgangssprachlichen Idiome hier am ehesten deutlich wird. Dies gilt naturgemäß auch für pragmatische Idiome, die zur Realisierung bestimmter kommunikativer Funktionen dienen. Schließlich wird empfohlen, die neu gelernten Idiome mit Hilfe von Lückentexten einzuüben (Adkins 1968: 151). 4 Lehrmaterialien zur Idiomatik 4.1 Die behandelten Phänomene Was die meisten der untersuchten Arbeitsmaterialien gemeinsam haben, ist das Wort Idioms in ihrem Titel: English Idioms, Practice with Idioms, English Idioms for Foreign Students, Idiom Drills, Idioms in Practice, Idioms in Action. FLuL 21 (1992) 196 Eckhard Roos Sie unterscheiden sich allerdings hinsichtlich der Erscheinungen, die sie behandeln. Die meisten der untersuchten Arbeitsbücher verstehen unter Idiomatik nichts anderes als Phraseologie und zwar im weitesten Sinne, wobei sie nicht nur phrasallprepositional verbs (Feare 1980, McPartland 1981, Howard 1987), sondern auch Kollokationen (Seidl/ McMordie 1978, McPartland 1981) einschließen. Dementsprechend findet man außer Idiomen im engeren Sinne auch die verschiedensten Arten phraseologischer Einheiten, so etwa stehende Vergleiche (Worrall/ Sawer 1975, Heaton/ Noble 1987), Sprichwörter (Seidl 1982) oder Kollokationen (Heaton/ Noble 1987). Manchmal werden auch Komposita (Feare 1980, Seidl 1982) und sogar einfache Einwortlexeme (Cule 1967, Seidl 1982, Howard 1987) behandelt. Soweit sie nicht im Mittelpunkt stehen wie bei Rothermel/ Fenn (1981) oder Keller/ Warner (1988), werden pragmatische Idiome nur am Rande berücksichtigt und ohne ihnen eine eigenständige Kategorie zuzubilligen (z.B. bei Howard 1987, Heaton/ Noble 1987). Die einzelnen Arbeitsbücher setzen auch unterschiedliche Schwerpunkte. So liegt das Hauptgewicht bei Feare (1980) und McPartland (1981) auf den phrasal / prepositional verbs, bei Hieke/ Lattey (1983) auf den toumure idioms, einer Subklasse von Idiomen im Sinne der linguistischen Idiomdefinition. Rothermel/ Fenn (1981) und Keller/ Warner (1988) dagegen behandeln ausschließlich pragmatische Idiome und gambits. Die Entwicklung, die sich in den letzten Jahren vollzogen hat, wird vor allem deutlich, wenn man älteres Lehrmaterial mit neuerem vergleicht. So deckt etwa das ältere Lehrbuch von Seidl/ McMordie (1978) einen äußerst heterogenen Bereich ab. Es enthält nicht nur ein Kapitel mit überwiegend grammatischer Information (Hilfszeitwörter, Pronomina, Pseudopassiv-Konstruktionen etc.), sondern auch stehende Vergleiche, metaphorische Idiome, Kollokationen, Zwillingsformeln und phrasal verbs. Im Gegensatz dazu behandeln Hieke/ Lattey (1983) und Keller/ Warner (1988), die den Stand der phraseologischen Forschung reflektieren, relativ klar begrenzte phraseologische Subklassen, auf die der linguistische Idiombegriff zutrifft. 4.2 Die Einteilung in Kategorien Die untersuchten Arbeitsbücher unterscheiden sich darüber hinaus in der Einteilung der behandelten Phänomene. In einigen von ihnen werden Subklassen vor allem auf der Grundlage der Form gebildet. Wenn wie bei Seidl/ McMordie (1978) - Wortgruppen aufgrund eines gemeinsamen Lexems in einer Kategorie zusammengefaßt werden, so entstehen äußerst heterogene Gruppierungen. Worrall/ Sawer (1975) teilen metaphorische Idiome aufgrund des Bereichs ein, aus dem die Metapher ursprünglich entlehnt wurde (z.B. Körperteile), bei Cule (1967) werden sie nach diesem Prinzip sogar in Texten zusammengefaßt. Dadurch wird die historische wörtliche Bedeutung über Gebühr in den Vordergrund gerückt. FLuL 21 (1992) Lehnnaterialien zur englischen Idiomatik 197 Daneben gibt es aber auch schon bei Seidl/ McMordie (1978: 206) die Einteilung nach Sachfeldern wie "health, illness, death", wie man sie auch bei Seidl (1982) findet. Bei Heaton/ Noble (1987) findet man eine Klassifikation "along functional/ notional lines" und Hieke/ Lattey (1983) schließlich gruppieren Idiome aufgrund der Idiombedeutung, z.B. "interaction of individuals (negative)" mit den Idiomen put a spoke in sb. 's wheel, walk into so. 's trap, draw a bead on so. etc. Das Kriterium der Form erscheint dann sinnvoll, wenn nicht nur Idiome, sondern phraseologische Einheiten behandelt werden. Die Klassifikation in: (1) irreversible binomials, (2) V + it constructions, (3) empty-verb constructions, etc. führt nämlich dann zu klaren homogenen Kategorien. Innerhalb solcher formal bestimmten Kategorien bietet sich die Einteilung nach semantischen und funktionalen Gesichtspunkten oder Themenbereichen an (vgl. Heaton/ Noble 1987 und Hieke/ Lattey 1983). 4.3 Darbietungs- und Übungsformen Bei Feare (1980) werden Idiome in einer Reihe von gestaffelten Übungen behandelt. Zunächst wird das Erschließen unbekannter Idiome aus dem Kontext geübt. In einem weiteren Schritt werden die neuen Lexeme definiert und ihre Verwendungsbedingungen erklärt. In einer Art Lückentextübung müssen die neu gelernten Idiome mit Hilfe der angegebenen Definitionen eingesetzt werden. Im Anschluß daran werden die Verwendungsbedingungen der betreffenden Einheiten erklärt. Die habituellen Kollokationen werden aufgelistet, anhand von Beispielen wird die charakteristische Verwendungsweise demonstriert. Die syntaktisc),len Möglichkeiten werden in einem eigenen Kapitel behandelt. Schließlich werden die neu gelernten Einheiten mit Hilfe von Lückentexten eingeübt. Auch Worrall/ Sawer (1975) arbeiten mit einem System von Auswahl-, Einsetz- und Ersetzungsübungen, wie man sie auch bei McCallum (1970, 1978) findet. Eine sinnvolle Übung ist die Verständnisübung bei Feare (1980), wo der Lerner aufgrund des Kontexts die Idiombedeutung erschließen soll. Die Fähigkeit des intelligent guessing, die auf diese Weise trainiert wird, ist mit die wichtigste, die der Lerner im Umgang mit Idiomen benötigt. Problematisch ist allerdings die Verwendung bewußt falscher Beispielsätze, die man in richtige umformen soll. Die Gefahr ist zu groß, daß sich das falsche Beispiel einprägt. Ein gut durchdachtes System von Übungen, das auf lexikologischen und phraseologischen Prinzipien basiert, findet sich bei Hieke/ Lattey (1983). Die Idiome jeder Einheit werden nicht nur aufgrund kommunikativer Funktionen zusammengefaßt und in charakteristischen situativen Kontexten eingebettet, die Übungen berücksichtigen auch die Ergebnisse kontrastiver Analysen: Von den bekannten muttersprachlichen Formen ausgehend werden die Lerner zu den englischen Äquivalenten hingeführt. Das Arbeitsbuch Using Idioms beginnt mit FLuL 21 (1992) 198 Eckhard Roos einem Test, bei dem die Lerner zunächst feststellen können, welche der behandelten phraseologischen Einheiten sie bereits kennen und führt zu einer begrenzten Gruppe von Idiomen (6- 7 pro Einheit), die mit der muttersprachlichen Entsprechung aufgelistet werden. Dabei werden auch durch Querverweise auf andere Idiome die Beziehungen der Lexikonstruktur berücksichtigt; Anmerkungen weisen auf die Verwendungsbedingungen hin. Mit Hilfe verschiedener Übungen wie recognition, story completion und situation fit lernt man mit den neuen Idiomen umzugehen. Wenn man das Buch durchgearbeitet hat, kann man mit Hilfe eines final check (mit Schlüssel) überprüfen, wieviel man behalten hat. 5 Zusammenfassung Die Phraseologie und Idiomatik spielen beim systematischen Aufbau des fremdsprachlichen Wortschatzes eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die betreffenden Teilsysteme und komplexen Lexeme können im fortgeschrittenen Fremdsprachenunterricht des tertiären Bereichs systematisch erfaßt und gelernt werden. Ein solcher kognitiver Lernprozeß, wie er erwachsenen Lernern am ehesten angemessen ist, setzt voraus, daß das betreffende Arbeitsbuch die zu lernenden Einheiten klassifiziert, die möglichen Lernschwierigkeiten berücksichtigt und den Lernprozeß durch eine sinnvolle Präsentation und geeignete Übungen erleichtert. Die Problematik der untersuchten Arbeitsmaterialien zeigt sich bereits bei der systematischen Auswahl und Darstellung der behandelten Einheiten. Indem sie idiomatisch im Sinne von 'sprachspezifisch' auffassen - oder mit mehreren Bedeutungen des mehrdeutigen Idiombegriffs gleichzeitig operieren behandeln die älteren Arbeitsbücher eine erstaunliche Vielfalt von Phänomenen. Neuere Publikationen dagegen gehen systematischer vor und beschränken sich entweder auf phrasal/ prepositional verbs die im Grenzbereich zwischen Phraseologie und Wortbildung angesiedelt sind - oder sie bedienen sich des in der Linguistik mittlerweile etablierten Idiombegriffs, nach dem Idiome feste Wortgruppen mit nicht ableitbarer Bedeutung sind. Dies gilt insbesondere für das Arbeitsbuch von Hieke und Lattey, das den Anforderungen, die man an ein zeitgemäßes Arbeitsbuch zur Idiomatik stellen muß, am ehesten gerecht wird. Allerdings wird von den linguistisch definierten Idiomen auch nur eine Unterkategorie behandelt, die mehr als zweigliedrigen "tournure idioms" (Hieke/ Lattey 1983: VII). Problematisch ist auch die Klassifikation. Indem sie Idiome nach den idiombildenden Lexemen gruppieren, verwenden einige der älteren Arbeitsbücher ein Kriterium, das zwar formal definierte Klassen ergibt, für das Erlernen von Idiomen unter dem Gesichtspunkt der kommunikativen Kompetenz aber nicht sehr sinnvoll ist: Anstelle eines etymologisch interessanten, in synchroner Hinsicht aber sekundären Gesichtspunktes wäre es richtiger, die Idiombedeutung in den Vordergrund zu rücken. Wie der Untertitel Situationsbezogene Redensarten bereits erkennen läßt, klassifizieren Hieke und Lattey (1983) ähnlich wie FLuL 21 (1992) Lehrmaterialien zur englischen Idiomatik . 199 McPartland (1981) die phrasal verbs Idiome aufgrund der Verwendungssituation und damit der aktuellen Bedeutung. Um Idiome im tatsächlichen Sprachgebrauch zu verstehen und ggf. selbst verwenden zu lernen, scheint dies der bestmögliche Ansatz zu sein. Die syntagmatischen Verwendungsbedingungen werden bei den meisten Arbeitsbüchern nicht explizit behandelt, sondern durch die Einführung und Einübung im Kontext implizit berücksichtigt. Angaben zu den Verwendungsbedingungen findet man bei Howard (1987), McPartland (1981) und besonders ausführlich bei Feare (1980): dort gibt es Angaben zur grammatischen Konstruktion, den Transformationsmöglichkeiten und den Kollokationen, die das Idiom eingeht. Angaben dieser Art findet man gelegentlich, wenn auch nicht durchgehend, auch bei Hieke/ Lattey (1983). Dafür sind dort die paradigmatischen Strukturen der idiom structure besser berücksichtigt: (Teil-)Synonyme mit Angabe der Bedeutungsunterschiede - und Antonyme sind dort ebenso zu finden wie Hinweise auf false friends und Querverweise zu anderen im Lehrbuch behandelten Idiomen. Anders als beim sonstigen Vokabular, wo man Vokabelgleichungen eher vermeidet, erscheint es bei Idiomen eher angebracht, zu den fremdsprachlichen Idiomen das muttersprachliche Äquivalent zu nennen. Von dieser Möglichkeit machen nur Hieke/ Lattey (1983) Gebrauch, allerdings auf Kosten von. Definitionen, wie man sie bei Feare (1980), Heaton/ Noble (1987) findet. Hinweise zur Stilebene, wie sie McPartland (1981) gibt, hätte man sich auch in anderen Arbeitsbüchern gewünscht. Bei den neueren Arbeitsbüchern findet man systematisch aufgebaute Übungen, die von comprehension exercises über Einsetzübungen (mit und ohne vorgegebene Idiome) bis zur freien Verwendung von Idiomen in Sätzen führen. Vor dem Hintergrund der eingangs skizzierten linguistischen und fremdsprachendidaktischen Ansprüche, denen ein Arbeitsbuch zur Idiomatik für Lerner im tertiären Bereich gerecht werden sollte, zeigt sich, daß für Idiome im engeren Sinne das Arbeitsbuch von Hieke/ Lattey (1983) uneingeschränkt zu empfehlen ist. Will man die dort nicht berücksichtigten phrasallprepositional verbs gründlich behandeln, so kann man bedenkenlos zu McPartland (1981) oder Howard (1987) greifen. Für pragmatische Idiome und gambits dagegen bietet sich Keller/ Warner (1988) an. Mit der besseren wissenschaftlichen Fundierung nimmt offenbar die Spezialisierung zu, so daß es bei den neueren Arbeitsbüchern. keines mehr gibt, das idioms gleich in welcher Definition des Begriffs umfassend behandelt. FLuL 21 (1992) 200 Bibliographische Angaben 1. Arbeitsbücher zur Idiomatik CULE, C. P.: English Idioms as they Are Used. Dortmund 1967. FEARE, R.: Practice with Idioms. New York/ Oxford 1980. Eckluud Roos HEATON, J. 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A number of questions, however, concerning the teaching of idioms (e.g. the frequency of occurrence of idioms) still remain to be answered. 1 Einleitung Seit der informativen Sammelrezension von Weller (1979: 597 -602) erschienen zahlreiche Sammlungen zur französischen Idiomatik, von denen ein knappes Dutzend speziell für den Sprachunterricht konzipiert wurden. In dem folgenden Beitrag werden einige ausgewählte Neuerscheinungen der Jahre 1979 -1990 besprochen und zwar im Hinblick auf ihre Verwendung im schulischen bzw. universitären Sprachunterricht. Zur besseren Orientierung des Lesers gehen wir nicht einzeln auf die jeweiligen Werke ein, sondern fassen sie in größere Gruppen zusammen. Einen sehr guten bibliographischen Überblick zur französischen Phraseologie finden Interessenten bei Bardosi (1990). Die Vielzahl der Veröffentlichungen geht mit einer terminologischen Vielfalt einher. Französische Autoren nehmen gerne eine Redewendung als Obertitel und verwenden erst im Untertitel zur Präzisierung des eigentlichen Inhalts ihrer Sammlung einen mehr linguistischen Fachterminus. Als schulemachendes Beispiel sei La puce a l'oreille (Duneton 1979 bzw. 1990a) mit dem Untertitel Anthologie des expressions populaires avec leur origine erwähnt. Neben expressions populaires finden sich noch Termini, wie z.B. fa~ons de parler (Vigner 1981), expressions familieres (Cellard 1982), Jocutions figuratives (Galisson 1983), expressions imagees (Galisson 1984a), Jocutions (Bardosi 1986), expressions toutes faites (Germa 1986/ 1987), expressions et Jocutions (Rey/ Chantreau 1988) und locutions idiomatiques (Coulon-Mrosowski 1989). In Deutschland bevorzugen Autoren den Terminus Redewendungen (Kösters/ Roth 1990) oder sprechen von idiomatischen Redewendungen (Coulon 1983) bzw. bildlichen Redensarten (Wiznitzer 1972/ 1979). Erst allmählich tauchen auch in Arbeiten zum Französischen Termini, wie z.B. phraseologisme, phraseme auf, die in ähnlicher Form (Phraseologismus, phraseologische Einheit, phraseologische Verbindung) bei den germanistischen und slawistischen Untersuchungen schon seit geraumer FLuL 21 (1992) Französische ldiomatiksammlungen 203 Zeit verwendet werden (Greciano 1989). Bei der vorliegenden Sammelbesprechung soll terminologische Toleranz praktiziert werden, indem in der Regel die Terminologie des jeweiligen Werkes beibehalten wird. 2 Etymologisch-kulturgeschichtlich ausgerichtete Sammlungen Die Vielzahl der Veröffentlichungen allein der letzten Jahre belegt wieder einmal das sympathische und liebevolle Interesse der Franzosen an ihrer Sprache. Die teilweise recht umfangreichen Werke sind flüssig geschrieben sie wenden sich schließlich an ein größeres Publikum - und sie geben gut lesbare etymologische Erklärungen, die für ernste Sprachwissenschaftler wahrscheinlich nicht immer ganz hieb- und stichfest sein dürften. Illustrationen mannigfaltiger Art ergänzen diese Sammlungen (Germa 1986/ 1987), und häufig werden die erwähnten Redewendungen in längere literarische Kontexte eingebettet. Diese Idiomatiksammlungen befriedigen nicht nur die etymologische Neugier eines Französisch lernenden Ausländers, sondern sie sind teilweise geradezu unentbehrlich. Unentbehrlich vor allem, wenn es sich um die. komplizierte Etymologie eines polysemen Phraseologismus handelt. Eine rein synchrone Umschreibung einer Redewendung reicht oftmals nicht aus. Man vergleiche hierzu die gängigen Wörterbuchdefinitionen zu den französischen Redewendungen faire des gorges chaudes (de qn), tenir Ja dragee haute (a qn) oder etre au bout du rouleau mit den entsprechenden Angaben bei Duneton (1990a: 204/ 205, 217/ 218 oder 339-343). Die folgende alphabetische Zusammenstellung zeigt die Schwerpunkte dieser Veröffentlichungen: Antoinette Brenet: Le costume d'Eve ou comment suivre a Ja lettre ! es mots de notre langue venus de Ja Bible. Paris 1989. Philippe Brenot: Les mots du corps. Dictionnaire des clins d'oeil populaires. Paris 1987. Jean-Paul Colin: Le dico du cul. Paris 1990. Claude Duneton: La pure a J'oreille. Anthologie des expressions populaires avec leur origine. Paris 1979/ 1990a. Roland Eluerd: Le dico du coeur. Paris 1989. Catherine Eugene: La fleche du Parthe ou comment suivre a Ja lettre ! es mots grecs et latins de notre langue, Paris 1988. Pierre Germa: «Minute papillon! » Dictionnaire des expressions toutes faites, des formules consacrees et de leurs createurs, Paris: Herme 1986. Pierre Germa: Dictionnaire des expressions toutes faites, leurs origines, leurs createurs, leurs usages. Montreal: Libre Expression 1987 [Inhaltlich identisch mit der vorhergehenden Ausgabe]. Gerard Greverand: Nom d'un chien! Les animaux dans les expressions du langage courant. Paris-Gembloux 1988. Gerard et Jean-Louis Greverand: Les portugaises ensablees. Dictionnaire de l'argot du corps et des expressions courantes s'y rapportant. Paris-Gembloux 1987. Jacques Jouet: Les mots du corps dans les expressions de Ja langue fran9aise. Paris 1990. Mathias Lair: A Ja Fortune du pot. Anthologie des expressions populaires d'origine culi- FLuL 21 (1992) 204 Stefan Ettinger naire relevee de nombreuses remarques sur leurs provenances et sur l'histoire de la cuisine. Paris 1990. Mathias Lair: Les bras m 'en tombent! Anthologie des expressions populaires relatives au corps. Paris 1989. Michele Lenoble-Pinson: Poil et plume. ·Termes de chasse et langue courante venerie, fauconnerie, chasse a tir. Paris-Gembloux 1989. Yves D. Papin: Les expressions bibliques et mythologiques. Paris 1989. Sylvie Weil / Louise Rarneau: Tresors des expressions fran~aises. Paris 1981. Besondere Erwähnung innerhalb dieser Gruppe verdient das monumentale Werk von Duneton (1990b) Le Bouquet des expressions imagees. Encyclopedie thematique des locutions figurees de la langue fran~aise. Auf 1379 Seiten werden französische Redewendungen zunächst thematisch, d.h. onomasiologisch gegliedert und dann innerhalb eines solchen Kapitels chronologisch. Der Leser findet z.B. zu den Kapiteln AMOUR, HAINE, CONFIANCE, COURAGE, PEUR, INQUIETUDE usw. Phraseologismen, die bis auf das Wörterbuch von Nicot (1606), Oudin (1640) oder Furetiere (1690) zurückgehen und die teilweise noch heute verwendet werden. Ein alphabetischer Index ermöglicht das rasche Auffinden einer gesuchten Redewendung. Diskussionswürdig, wenn auch nicht ganz diskutabel, dürfte sein Vorgehen sein, auf sämtliche Registermarkierungen auch für Redewendungen des 19. und 20. Jahrhunderts gänzlich zu verzichten (Duneton 1990b: 5). 3 Einsprachige Nachschlagewerke Im Jahre 1979 erschienen zwei solide gestaltete umfangreiche ldiomatiksammlungen des Französischen, die sich primär an frankophone Benutzer wenden, mit Gewinn aber auch von deutschen Französischlemem als Nachschlagewerke konsultiert werden können: Rey/ Chantreau (1979/ 1988) und Lafleur (1979). Rey/ Chantreau dürfte gegenwärtig von der Zahl der Lemmata her wohl die umfangreichste Sammlung von expressions und locutions sein. Die Autoren selbst verzichten auf Zahlenangaben. Eine approximative Kalkulation (au pifometre! ) ergibt ungefähr 9 500 Beispiele, die par commodite alphabetisch geordnet und mit Querverweisen untereinander verbunden sind. Seit der Neuauflage von 1982 erleichtert zusätzlich ein Index das rasche Auffinden einer gesuchten Redewendung. Einen bedeutenden Platz nehmen die etymologischen Erklärungen ein, manchmal sogar auf Kosten der Beschreibung der heutigen Bedeutung. Da offensichtlich die gesamte französische Literatur seit dem 17. Jahrhundert ausgewertet wurde es finden sich gelegentlich sogar noch frühere Belege (Fr. Villon) - , ist es nicht weiter verwunderlich, daß bei den diasystematischen Markierungen vx ( = vieux) bei weitem überwiegt. Bedenkt man, daß vieux von den Autoren wie folgt definiert wird «emploi non seulement archa"ique et anormal en fran~ais contemporain ce qui correspond a vieilli mais aussi FLuL 21 (1992) Französische ldiomatiksammlungen 205 peu ou mal compris de nos jours», dann dürfte die vorliegende Sammlung wohl eher für rezeptive Zwecke geeignet sein. Die Auswertung des beeindruckenden Literaturverzeichnisses erlaubt es allerdings den Autoren, einzelne Redewendungen manchmal sogar mit mehreren Zitaten belegen zu können. Beim intensiven Arbeiten mit dieser Sammlung stellt man bisweilen mit Überraschung fest, daß nicht wenige Angaben zur Registermarkierung, zur Orthographie oder zur Morphosyntax von dem in demselben Verlag ebenfalls von Alain Rey mitherausgegebenen Petit Robert abweichen. Trotz dieser etwas kritischen Bemerkungen halten wir Rey/ Chantreau für das Standardnachschlagewerk zur französischen Idiomatik. Die laufenden Neuauflagen zur Zeit ist die nouvelle edition revue et augmentee von 1988 im Verkauf sprechen für sich. Zur Illustration sei das Beispiel avaler des couleuvres zitiert (Rey/ Chantreau 1988: 263): ► [l] Avaler des couleuvres, (◄ supporter des affronts, des avanies, sans pouvoir se plaindre 1>. << l.e goiit qu'il a pris pour eile)), ecrit Mme de SCvigne en 1676, <i Jui fait ovaler toutes sortes de couleuvres )>. Le sens est alors plutöt « croire des choses mensongCres, Ctre berne 1>. Or couleur a prCcisCment; du xve au xv1ie s. le sens extrCmement courant de << raison spCcieuse, fausse apparence qu'on donne ä. qqch. 1> (il nou~ en reste sous couleur de). L'expression croise sans doute les sens mCtaphoriques de avaler (avaler un mensonge, puis un a.[fronr) et une expression comme bailler la couleur 1< tromper par de fausses apparences )). En outre, couleuvre est au xvie s. le symbole de ce qui est tortueux. sinueux, et ce sCmantisme prCdisposait Je mot (comme tous les noms·de serpents) ä. exprimer l'hypocrisie mensongere. A l'appui de l'hypothese couleur > cou/ euvre. on rapprochera/ ain' avaler lautes sorJes de (des... ) cou/ euvres de en· faire voir de lautes / es couleurs (qui n'est attestC qu'au x1xc s.). · Cependant, dt': s le XVIJC s.. l'expression est comprise comme une mCtaphore de 1( avaler des Serpents>)~ d'oll ! es variantes: nourrir des couleuvres il qqn (Saint-Simon). faire ava/ er angui/ les et couleuwes (J.-8. Rousseau) et Je vers de Boileau (Satire X) 1c Resous-toi, pauvre epoux. il vhn, de <"ouleuvres >). Dans cette nouvelle interprCtation, eile est ä rapprocher de l'expression anglaise contemporaine toad-eater (- CR,\PAUO). l.ucien eut le courage des parvenus: il vint 18. cinq jours sur sep1 de la semainc. il avala gracieusement les coulcuvres de l'envie. il soutim ]es regards impertinents {.. .). (BALZAC. Splendeun er Misires des murrimne.1, ed. de 1845. ! '" partie, eh. ! 9.l Et po 1 1rquoi? parce que son Adolf etait ne hors frontil? rcs. Conire r; a. il n·y avait rien ä faire: fä! ! ait avaler cettc couleuvre; en tout cas. 1'e1ait patriotc son Adolf. et i! croyait dans la victoire: y avait des pretendus han(_: ais dont on n'aurai1 pas pu en dire autant. (R. QU.! \l: Al, {/ 11 rude hiver, p. 92.) Die Einordnung von Lafleur in diese Gruppe der Nachschlagewerke mag vielleicht willkürlich erscheinen, möchte der Autor doch gerade didaktische Ziele mit seiner Sammlung verfolgen. Der Umfang und die Informationsfülle seines Werkes heben ihn aber deutlich von den üblichen Lernsammlungen ab. Lafleur ordnet seine 2 000 Einheiten alphabetisch an und gibt zu jeder Einheit eine knappe aber aussagekräftige Umschreibung. Außerdem bildet er zu jedem Phraseologismus ein Beispiel und liefert zusätzlich noch ein literarisches Zitat. Im Gegensatz zu Rey/ Chantreau beschränkt er sich bewußt auf das 20. Jahrhundert, wobei von den ungefähr 300 ausgewerteten Werken zwei Drittel, d.h. ca. 200, erst nach 1966 erschienen sind. Aktualität kann man seiner Sammlung wahrhaftig nicht absprechen. Ein alphabetischer Index des mots-cles erleichtert zusätzlich die Benutzung. Zur Illustration sei wiederum das Beispiel avaler des couleuvres zitiert (Lafleur 1979: 157): FLuL 21 (1992) 206 ► [2] Avaler des couleuvres. - Endurer des humiliations, des.affronts, sans protester, sans reagir. - Jls om avate des c·oul"1l'res a.tse: : / ongtl'mps. Maintenant qu'i/ s ont un s_vndical, ils n'acceptent plus d'itre humiliis, bqfoues. Pour survivre ä la jungle des dirigea.nts, aux luttes pour Je pouvoir, aux imbroglios des relations du P.C.F. avec Moscou et aux miasmes des mal"Ccages parlementaires. Jacques DucJos avait ~Q avaler plus d'une couleuvrc. Mais son estomac gCnereux lcs digCrait -aussi gaicment qu'un bon cassoulet. La tragCdie semblait n·avoir eu aucune prise sur lui. Claude Roy: Somm~ taute. p. 98. Stefan Ettinger Die Adressatengruppe, an die sich Lafleur mit seiner Sammlung wendet, scheint uns allerdings etwas heterogen zu sein (Lafleur 1979: V): «Comme ce dictionnaire ne s'adresse pas aux specialistes des differentes disciplines linguistiques, rnais au grand public, aux etudiants, et de fa~on generale a ceux qui desirent apprendre ou mieux connaitre le fran~ais, soit comme langue rnaternelle soit comme langue seconde, il importe d'en expliquer d'abord le titre.» Etwas später jedoch beschränkt er sich stärker auf die Bedürfnisse des Unterrichts (Lafleur 1979: XIX- XXI). Diesen mehr schulischen Zwecken dient vermutlich auch die sehr nützliche Zusammenstellung der Redewendungen in Sachgruppen, wie z.B. La religion; L 'armee, Ja guerre, les arts militaires; La chasse, Ja venerie usw., die Lafleur seiner Sammlung vorausschickt (Lafleur 1979: XXV - XL). Verglichen mit anderen phraseologischen Lernsammlungen geht Lafleur jedoch weit über die Bedürfnisse des schulischen und sicherlich auch des universitären Fremdsprachenunterrichts hinaus. Als Nachschlagewerk für die moderne französische Idiomatik ist es jedoch unerläßlich. 4 Selektive ldiomatiksammlungen Zwei bescheiden wirkenden Veröffentlichungen der achtziger Jahre verdanken wir lexikographische Neuerungen, die hoffentlich in den folgenden Jahren bald Nachahmer finden werden. Jacques Cellard (1982), Mitherausgeber des bekannten Dictionnaire du fran9ais non-conventionnel, hat in seinem Buch ('a mange pas de pain! 400 bislang nicht veröffentlichte Redewendungen des Französischen zusammengestellt, die er ähnlich wie in seinem Dictionnaire jeweils mit literarischen Zitaten belegt. Treffend bemerkt er zur Funktion der Zitate: «c'est la fleur vivante a cöte des fleurs d'album que sont les definitions» (1982: 8). Die Redec wendungen sind in einer etwas eigenwilJigen alphabetischen Reihenfolge angeordnet: «Apres quoi, j'ai tout dispose en ordre tres alphabetique, en partant de la premiere lettre du premier mot de la phrase, sans me soucier de distinguer entre les noms, les verbes et les adverbes» (Cellard 1982: 8). Zwei Indices (Index alphabetique und Index thematique) versuchen die dadurch bedingten Unzulänglichkeiten auszugleichen. Zur Begründung seiner selektiven Sammlung äußerst sich Cellard (1982: 8) recht lakonisch: «Vous en trouverez ici quatre FLuL 21 (1992) Französische Idiomatiksammlungen 207 centaines. Selon votre appetit, ce sera peu ou beaucoup.» Beeindruckend sind die ausführlichen Umschreibungen der Redewendungen, die über den rein linguistischen Rahmen hinausgehen und auch präzise Gebrauchsbedingungen miteinschließen. Man vergleiche hierzu die Angaben von [3] Cellard (1982: 11) und [4] Rey/ Chantreau (1988: 7) zur Redewendung Accrochez les wagons! ► [3] ► [4] Accrochez les wagons ! C'est le type des « phrases-excuses » qui prolongent un bruit inconvenant (en l'espece, celui d'une eructation intempestive) par une exclamation inattendue, dont le bruit en question peut, avec beaucoup d'indulgence, passer pour avoir ete la premiere syllabe. En fait, la complicite de l'auditoire est acquise, et la phrase-excuse manifeste surtout le plaisir d'une convivialite sans contrainte. -- On dit toujours: « Accrochez les wagons » quand an rote. Ma.is « Achetez-moi des bala.is » c'est bien plus marrant. J'oublie a cha,que ooup, c'est con, je dis toujours les wagons. J.-L. BOST. le Dernier des metiers, p. 106. Accrochez les wagons ! Exclamation qui salue une Cructation particuliCrement sonore (par allusion a l'ordre donne aprCS Je choc bruyant des tampons d'un wagon). La forme exclamative se retrouve dans ! es loc. de structure comparable (faites chauffer Ja colle* .'. etc.). Die historischen, d.h. etymologischen Erläuterungen sind von den Umschreibungen graphisch durch ein kleines Viereck abgesetzt. Redewendungen, die nur in Quebec vorkommen, sind durch ein eingekasteltes Q gekennzeichnet. Cellard dürfte damit eine der wenigen französischen Idiomatiksammlungen sein, die bewußt auf diatopische Unterschiede eingehen. Für deutsche Lernende eignet sich seine Sammlung, trotz ihrer großen Selektivität, sehr gut als Ergänzung der bekannten Lernsammlungen. Die ausgiebigen Umschreibungen können sogar Auskünfte von frankophonen Sprechern ersetzen. Durch ihre sensibilisierende Wirkung leisten sie auch gute Dienste für den Aufbau einer eigenen Idiomatiksammlung. Man hätte sich als Französischdozent gewünscht, daß Cellard 400 geläufige und für Ausländer verwendbare Redewendungen nach diesem Schema zusammengestellt hätte, Noch selektiver gehen Charles Bernet und Pierre Rezeau in ihrem Dictionnaire du franfais parle vor. Beide Autoren sind als Forscher am CNRS beschäftigt und arbeiten in Nancy mit an der Herausgabe des Tresor de Ja langue franfaise. Sie konzentrieren sich ausschließlich allerdings im weitesten Sinne auf die Phraseologie der gesprochenen Sprache und können, dank ihrer beruflichen Tätigkeit, auf ein beeindruckendes Korpus von ungefähr 500 zumeist zeit- FLuL 21 (1992) 208 Stefan Ettinger genössischen Titeln zurückgreifen. Ihr Augenmerk richtet sich hierbei auf Redewendungen, die weder in den großen Wörterbüchern noch in den einschlägigen Idiomatiksammlungen des Französischen vorkommen. Dadurch reduziert sich leider die Verwendbarkeit ihrer Sammlung für den Französisch lernenden Ausländer. Wenn wir ihr Werk dennoch Studierenden der Romanistik wärmstens empfehlen, dann aus zwei Gründen: 1. Die Autoren haben als erfahrene Lexikographen jede Redewendung entweder durch eine Definition in lexikographischem Sinne, d.h. durch eine Paraphrase bzw. durch Synonyme, umschrieben oder durch einen Kommentar erklärt. Die lexikographische Definition wird gewählt, wenn sie im sprachlichen Kontext ohne Schwierigkeit mit der Redewendung austauschbar ist. Graphisch wird die Definition durch Anführungszeichen hervorgehoben. Wir erhalten somit Beispiele wie s. 48: toucher sa bille = «Etre competent, habile; etre actif (dans tel ou tel domaine )» s. 171: s. 295: (c'est) Ja gerbe! = «C'est ecoeurant! » avoir un metrolun train de retard = «Etre a 1a trame», die in ähnlicher Form in den meisten beschreibenden Idiomatiksammlungen vorkommen. Interessanter sind jedoch die sogenannten commentaires, d.h. Gebrauchsanweisungen, um eine noch unbekannte Redewendung korrekt verwenden zu können. Einige Beispiele ([5] S. 177, [6] S. 228 und [7] S. 265) mögen dies verdeutlichen: ► [5] GARDER Avoir garde les vaches (les cochons) ensemble. S'emploie, dans un contexte negatif ou interrogatif, pour signifier a un interlocuteur trop familier qu'on ne tient pas a se commettre avec lui. 1. Cette fois, il me reconnut et me salua d'un grand bonjour bien sonore, d'un grand sounre et d'un grand geste du bras. Pauvre im beeile! Avions~nous garde les vaches ensemble? Non. Je lui repondis d'un tres vague hochement de tete. (R. Belletto, L 'Enfer, p. 348.) 2. ~ Prenez place, je vous en prie, prorJose Je sirupeux chasseur de tetes, dont le visage appelle le cousinage de ~ichel Simon plus que d'Apollon ... - Merci. Rester sobre dans les reponses. Ni<( ouais ,> trop mous, ni courbettes inconsidfrees. Apres raut, ils n'ont pas garde ! es cochons ensemble. (F. Rieu, La Cavale du chömeur, p. 97.) ► [6] MESSE Pas de messe(s) basses(s) (sans eure). lnvitation familiere que l'on adresse a des personnes qui s'entretiennent a voix basse en aparte, pour les inviter a se taire ou a parler a voix haute. L'expression a vieilli. 1. L'inspecteur regarda Mademoiselle droit dans les yeux puis ils chuchoterent ave~ Je directeur et l'assistante sociale. - Pas de messe basse sans eure, dis-je pour leur rappeler la politesse. L'inspecteur sourit. - Quel lascar ! (G. Mordillat, Vii,e Ja sociale.', p. 65.) 2. Au moindre mouvemenr suspect de son fils ou de sa bru, le vieux rnena~ait de tirer (... ]. - Je t'en supplie, mon cheri, supplia Blanche, suspendue au cou de son mari et lui parlant dans Je tuyau de l'oreille. Apporte-lui sa saloperie que je puisse sortir d'ici [... ] . - Pas de messes basses! cria le com1e. (P. Siniac, Si jamals 1u m'entubes... , p. 160-161.) FLuL 21 (1992) Französische Idiomadksammlungen ► [7] PERDRE Avolr perdu u langue. Pour manifester de l'etonnement devant le silence de quelqu'un. S'emploie frequemment, surtout en interrogation, a l'adresse d'un enfant. 1. Elle me regardait d'une manieI'e intense [...]. - Tu as perdu ta langue? Elle semblait chercher quelque l'l,ose en moi, ä m'atteindre au fin fond de l"äme. (P. Djian, Maudit Manege, p. 276.) 209 Derartige praz1se Angaben hätte man sich gern für die bekannten Idiomatiksammlungen des Französischen gewünscht. Für das Eigenstudium bzw. für das Erstellen einer eigenen Sammlung können diese commentaires sehr hilfreich sein. 2. Nützlich scheint uns der Dictionnaire du fran~s parle noch aus einem weiteren Grund zu sein. Der weitgefaßte Phraseologiebegriff enthält auch zahlreiche Routineformen, die ebenso wie die zumeist nur in gesprochener Sprache gebrauchten Redewendungen äußerst unzureichend in den allgemeinen Wörterbüchern erfaßt und beschrieben werden. Er kann daher als Nachschlagewerk mit Gewinn konsultiert werden, und der Gewinn ist um so größer, als zu allen Redewendungen Zitate geliefert werden. 5 zweisprachige Sammlungen Relativ wenige zweisprachige Idiomatiksammlungen erschienen seit 1979 für das Sprachenpaar Französisch-Deutsch. 1983 veröffentlichte Bettina Coulon in Leipzig ein kleines, handliches Büchlein mit dem Titel Deutsche und französische idiomatische Redewendungen. Es enthält trotz seiner bescheidenen Aufmachung (Taschenbuchformat, 152 Seiten) ungefähr 2 500 deutsche Redewendungen, die laut Vorworttopos wiederum die häufigsten sein sollen. Die deutschen Redewendungen (S. 9 -120) sind alphabetisch angeordnet ebenso wie das französischdeutsche Register, das die 1 300 äquivalenten französischen Redewendungen enthält. Die Sammlung bringt weder Beispielsätze noch Zitate, und es fehlen auch jegliche etymologische Angaben. Mit Hilfe von verschiedenen Klammern, (Schräg-)Strichen und Abkürzungen versucht die Autorin, möglichst viele Angaben zur Mikrostruktur zu vermitteln. Kein leichtes Unterfangen bei der (zu) großen Zahl der Redewendungen und dem begrenzten Umfang des Büchleins! Erwähnenswert ist der Ratschlag der Autorin im Vorwort (Coulon 1983: 5): "Dem Benutzer sei empfohlen, im aktiven Gebrauch idiomatischer Wendungen zurückhaltend zu sein und auf derbe und vulgäre Wendungen ganz zu verzichten". Sechs Jahre später bringt dieselbe Autorin in Frankreich eine auf 3 500 Beispiele erweiterte Sammlung deutscher Redewendungen heraus. Im Gegensatz zur ersten Version wurde aber nicht nur die Zahl der Beispiele vergrößert - FLuL 21 (1992) 210 Stefan Ettinger die übliche, nicht auszurottende, lexikographische Krankheit - , sondern auch die knappen Angaben zur Mikrostruktur wurden verbessert, wie aus den folgenden Beispielen ersichtlich wird: S. 55: ein Haar in der Suppe finden = trouver a critiquer; a redire/ (bewußte Mäkelei und kleinliche Fehlersuche) chercher Ja perlte bete S. 55: Haare auf den Zähnen haben (se dit surtout en parlant d'une femme, iron. et pej.) S. 83: Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts (plais. pour souligner l'ignorance feinte ou reelle d'un fait ou Ja non implication dans un fait) Manche deutsche Redewendungen sind dem Rezensenten nicht geläufig und fehlen auch im Duden. Deutsches Universalwörterbuch 1989. Vgl. etwa: s. 12: s. 17: s. 28: s. 80: s. 101: einen/ den Affen tanz,en Jassen = faire Ja java/ la bringue/ Ja foire das arme Tier haben (reg.) = avoir Je cafard Das geht wie das Brezelbacken! = <; a va comme des roulettes! Die Messen/ alle Messen sind gesungen = Jes carottes sont cuites Schlag haben bei jm. (en parJant de qn) = avoir la cote/ etre dans les petits papiers de qn Empfehlenswert wäre, bei einer Neubearbeitung der Sammlung die Registerangaben genauer zu überprüfen, da hier noch manche Unstimmigkeiten herrschen. Fehlende Beispielsätze und literarische Zitate, ebenso wie die nicht ausreichende Mikrostruktur erlauben eigentlich mit dieser Sammlung nur ein Arbeiten im Unterricht und dies wahrscheinlich auch nur bei fortgeschrittenen Lernenden. Mit gewissen Einschränkungen kann man zur Gruppe der zweisprachigen Idiomatiksammlungen auch das 43 Redewendungen enthaltende Büchlein Les Idiomatics franfais allemand rechnen, das in amüsanter Form semantisch entsprechende bildhafte Redewendungen einander gegenüberstellt (Blum/ Salas 1989). Illustriert wird die konkrete bzw. wortwörtliche Bedeutung der Redewendung. So werden z.B. bei mettre Ja charrue avant les boeufs Pflug und Ochsen gezeigt. Zur Auflockerung und zur Ergänzung des Idiomatikunterrichtes haben derartige Sammlungen sicher ihre Berechtigung, zumal der Lernende vielen Redewendungen in ähnlicher Form in der Werbung und in der politischen Karikatur begegnen wird (Werner 1982; Werner 1986: 138-140; Hupka 1989). Lediglich der Vollständigkeit halber seien noch zwei in Deutschland erschienene Sammlungen erwähnt. Das Lexikon der französischen Redewendungen (1990) von Ursula Kösters-Roth enthält auf 510 Seiten ungefähr 20 000 Einträge von Redewendungen, wobei durch häufige Mehrfachnennungen die wirkliche Zahl bedeutend niedriger liegen dürfte. Das Lexikon enthält weder Vorwort noch Benutzerhinweise. Es fehlt sogar ein Abkürzungsverzeichnis, obwohl die Redewendungen mit vielfältigen Abkürzungen gekennzeichnet sind (fam.; bes. mil.; fig.; jur. usw.). Da die Autorin völlig unkritisch französische Redewendungen aus zweisprachigen Wörterbüchern und französisch-deutschen Idioma- FLuL 21 (1992) Französische Idiomatiksammlungen 211 tiksammlungen in den Computer eingespeichert hat, um sie dann problemlos in alphabetischer Anordnung unter jedem mot-cle (Verb, Adjektiv, Substantiv) nochmals auszudrucken, erhalten wir zwar ein voluminöses Werk, aber fehlerhafte Redewendungen werden nach dem Schneeballprinzip vervielfacht. Noch bescheidener präsentiert sich Ne mache pas tes niots (1982) von Marie- Therese Pignolo und Hans Georg Heuber, das als preiswertes rororo-Taschenbuch immerhin bis jetzt eine Auflage von 66-74000 (1987) erlebt hat. Thematisch in 10 Kapitel gegliedert, enthält es französische Redewendungen, teilweise auch nur Verben (s'atteler) oder Substantive (un dragueur), die zunächst wörtlich und dann idiomatisch übersetzt werden. Die Vermischung verschiedener Stilebenen bei gleichzeitig fehlender diastratischer Markierung dürfte bei manchen der hier erwähnten Redewendungen nicht allein nur Heiterkeitsausbrüche hervorrufen. Von der Seriosität des Werkes kann sich der Leser gleich im Vorwort ein Bild machen. Die Autoren erklären dort, daß sie alle französischen Redewendungen mit einer wörtlichen Entsprechung im Deutschen ausgelassen haben und zitieren als Beispiel ausgerechnet den sattsam bekannten faux ami mettre Ja puce a l'oreille = einen Floh ins Ohr setzen. 6 Lernsammlungen In den achtziger Jahren erscheinen gleich mehrere empfehlenswerte idiomatische Lernsammlungen. Unter Lernsammlung verstehen wir didaktisch sinnvoll ausgewählte und zahlenmäßig recht begrenzte Zusammenstellungen von Redewendungen, die in der Regel auch Übungen zur Festigung des Gelernten enthalten. Recht originell präsentiert Gerard Vigner (1981) rund 500 Redewendungen in seinem kleinen Büchlein Fa~ons de parler. Alle Lemmata sind thematisch angeordnet, wie z.B. ARGENT, PAROLE, OBEISSANCE, CONTRAINTE, ECHEC usw. und bilden kleine Kapitel, von ihm ensembles thematiques genannt. Nicht zu erkennen sind jedoch logische Bezüge der Kapitel untereinander. Ein alphabetischer Index gewährleistet ein rasches Auffinden der Redewendungen. Die Umschreibung der Redewendung erfolgt in Form einer Vokabelgleichung, so daß sie auch ähnlich wie Vokabeln durch Abdecken einer Seitenhälfte gelernt werden können. Die Beispiele unter den Schlüsselbzw. Leitbegriffen / MEFIANCE, SOUP<; ONS/ mögen dies verdeutlichen (Vigner 1981: 35): ► [8] FLuL 21 (1992) 2 M6fiance, soup9ons Soulever un probl8me de fa<; : on inattendue, ä la surprise des gens, c'est Eveiller les soup9ons de quelqu'un, c'est lui Quand il y a quelque chose que l'on cache, on soupi; : onne quelque chose, an pense qu' Ouand an se mE! tie, an surveille lever un lievre. mettre la puce a I' oreille. il y a anguille saus roche. on est sur ses gardes / sur le qui-vive, on veille au grain / fam./ 212 Stefan Ettinger Kleinere Auszüge aus Zeitungen oder literarischen Werken ebenso wie Karikaturen oder Werbeanzeigen lassen den tatsächlichen Gebrauch der Redewendungen in der Sprache erkennen. Den Abschluß des jeweiligen Kapitels bilden dann einfache Einsetzübungen. Mit diesen authentischen Belegen dürfte Vigner wohl das einzige Übungsbuch im Bereich der französischen Idiomatik sein, das bewußt das Lernen isolierter Redewendungen mit ihrem tatsächlichen Vorkommen in der Sprache verbindet. Eine thematische Gliederung findet sich auch in Guide to French Idioms/ Guide des locutions fran~ses von P. Lupson und M. L. Pelissier (1987). Für die thematisch gegliederten Kapitel, von den Autoren subject areas genannt, wird eine alphabetische Anordnung gewählt. Ein französischer und ein englischer Index der Redewendungen erleichtern das Arbeiten. Jede Redewendung wird mit einem französischen Beispiel und seiner Übersetzung ins Englische illustriert. In Kapitel 12 Bluntness, directness z.B. finden sich die Redewendungen dans Je blanc des yeux, de but en blanc, appeler un chat un chat, ne pas y aller par quatre chemins, avoir son franc parler, ne pas macher ses mots und dire a qn ses quatre verites. Allerdings enthält die Sammlung keine Übungen. Die thematische Anordnung der Redensarten wird von Galisson und Bardosi in ihren jeweiligen Idiomatiksammlungen im Laufe der achtziger Jahre weiterentwickelt und zu einem gewissen Abschluß gebracht (vgl. hierzu auch Schemann 1989a). Fortschritte zeigen sich aber auch im Bereich der Terminologie. Während Vigner (1981) seine 20 ensembles thematiques noch völlig willkürlich anordnet, übernehmen Lupson/ Pelissier (1987) für ihre 78 Kapitel bzw. subject areas eine alphabetische Gliederung. Galisson (1983) verdanken wir nun eine terminologische Präzisierung. Zur Kennzeichnung des semantischen Inhalts einer Redewendung verwendet er den Terminus etiquette semantique und setzt den jeweiligen Ausdruck in Schrägstriche. Das markante Stichwort einer Redewendung hingegen heißt bei ihm· etiquette formelle und wird für die alphabetische Anordnung verwendet. Daneben gebraucht er auch die traditionellen Termini der Semantik, wie z.B. Semasiologie und Onomasiologie. Ein Jahr später erweitert Galisson seine kleine Beispielsammlung von 1983 auf knapp 500 Redewendungen. Dieser Dictionnaire de comprehension et de production des expressions imagees (1984a) enthält zwei sich ergänzende Teile. Der comprehension-Teil versteht sich als eine Art passives Wörterbuch zum Dekodieren, d.h. zum Verstehen einer Redewendung. Der production-Teil dagegen, eine Art aktives Wörterbuch, enthält die etiquettes semantiques, d.h. er geht vom semantischen Inhalt einer Redewendung aus und ermöglicht es somit dem Benutzer, entsprechende Redewendungen zu finden. Beide Wörterbuchteile sind alphabetisch angeordnet. Im Bereich der semantischen bzw. onomasiologischen Gliederung läßt die im Grunde überflüssige alphabetische Anordnung keinerlei Zusammenhänge erkennen, da es keine a priori festgelegten etiquettes semantiques gibt. Galisson bildet deshalb sieben größere, logisch zusammenhängende Gruppen und listet dann nochmals alle etiquettes semantiques einer Gruppe alphabetisch auf (1984a: 76): FLuL 21 (1992) Französische Idiomatiksammlungen ► [9] SI LE CONSULTANT DllSIRE S'EXPRIMER SUR : + LES PERSONNES + LES CHOSES { OU LEUR INFLUENCE SUR LES PERSONNES -leurs relations avec autrui CD: : bonnes a) mauvaises b) · leurs actes (ou les rCsultats de ceux-ci) @ leur physique (aspect) G) leur faGon d •etre, de se comporter © 1 ,1 1 tj'vd'esprit (psychique) a) -eur e a \: c/ --cte sante (physiologiq ue) b) description @) situation (D 213 QU'll SE REPORTE AUX VEDETTES CLASS! lES EN CD •l b) Q) ® © - G) a) h) ® (j) Unter (3) auf S. 78 finden sich dann: attrait, calvitie, croissance, embonpoint, enroaement, faiblesse, longueur, maigreur, petitesse, surdite, vieillesse, vue, zezaiement. Allerdings scheint uns große Skepsis angebracht zu sein, ob es dem Benutzer mit diesem Produktionswörterbuch wirklich gelingt, französische Redewendungen zu bilden. Der notwendige Dreierschritt (semantische Großgruppe, Verweis auf die entsprechende Liste und alphabetisches Produktionswörterbuch) dürfte ein zügiges Arbeiten kaum erleichtern {vgl. Ettinger 1992). Wesentlich konsequenter hat Biirdosi seit Beginn der achtziger Jahre die onomasiologische Gliederung französischer Redewendungen ausgebaut. Von der Kritik an den gängigen Sammlungen ausgehend (Biirdosi 1983, 1982/ 1985), skizzierte er den Plan eines onomasiologischen Idiomatikwörterbuchs, das er 1986 veröffentlichte. In dieser Idiomatiksammlung De fi1 en aiguille gl'.llppiert er ungefähr 1 000 Redewendungen des Französischen in größere onomasiologische Felder, vergleichbar den durch ein Archilexem umfaßten Wortfeldern der strukturellen Semantik. Wir erhalten somit Gruppen wie L 'homme au travail et apres Je travail, Les paroles oder L 'homme et Jes deplacements. Um aus didaktischen Gründen ungefähr gleich große Gruppen zu erhalten, hat Biirdosi einige onomasiologische Felder auf mehrere Kapitel aufgeteilt. Es ergeben sich somit 25 Kapitel, die vom Menschen ausgehend eine gewisse inhaltliche Evolution erkennen lassen und sich dadurch auch für ein Auswendiglernen eignen. Der Mensch als Individuum bildet den Ausgangspunkt (Körper, Kleidung, Gesundheit und Krankheit, Ernährung, Arbeit und Freizeit). Es folgen dann Kapitel, die sein individuelles Handeln und Betragen zusammenfassen, seine Stellung zur Welt und seine ·Beziehungen den Mitmenschen gegenüber. Weitere Kapitel befassen sich mit seinen sprachlichen Äußerungen, seinen intellektuellen Fähigkeiten, seinen Gefühlen und Stimmungen, seiner räumlichen Mobilität und seiner ökonomischen Lage. Die letzten drei Kapitel schließlich behandeln den Menschen in seiner Beziehung zum Universum. Innerhalb der einzelnen onomasiologischen FLuL 21 (1992) 214 Stefan Ettinger Felder bzw. Kapitel sind die Redewendungen jeweils unter einem concept-cle, d.h. Schlüssel- oder Leitbegriff gruppiert. Im Kapitel Les paroles z.B. werden 43 Redewendungen auf vier concepts-cles aufgeteilt: / SILENCE/ , / CONVERSA- TION/ , / GROSSIERETE/ und / CR! / . Aufgrund eigener Unterrichtserfahrungen halten wir diese onomasiologische Gliederung für ein didaktisch praktikables Verfahren zum (Auswendig-)Lernen und zum aktiven Gebrauch von Redewendungen (vgl. hierzu Urban 1991 und Ettinger 1992). Eine beachtliche Weiterentwicklung erfuhr in den achtziger Jahren die Phraseodidaktik, wie aus dem umfangreichen und vielfältigen Übungsmaterial der beiden Autoren ersichtlich wird. Begnügten sich noch Sammlungen der siebziger Jahre wenn sie überhaupt Übungen enthielten zumeist mit einfachen Einsetz-, Umform- und Übersetzungsübungen (Kelly 1974) oder brachten darüber hinaus noch exercices a choix multiple (Huber/ Houillon/ Wagner 1978), so entwickeln Bardosi und Galisson ein breitgefächertes Übungsangebot, das bei begabten Lernenden wahrscheinlich overlearning-Ängste hervorrufen kann. Zu den bisher schon verwendeten Übungen kam als neuer Übungstyp die Verbindung zwischen (a) concept-cle, (b) mot-cle und (c) locution, d.h. Redewendung dazu. Bezieht man noch Zeichnungen (dessins evocateurs) und Paraphrasierungen bzw. Umschreibungen der Redewendungen mit ein, so kann man sich unschwer ein Bild von dem reichhaltigen Übungsangebot machen. Bardosi bringt 1983 ein Übungsbuch zur Idiomatik heraus (Les Jocutions franfaises en 150 exercices), das 1987 nochmals aufgelegt wird. Teilweise wurden diese Übungen in die Sammlung De fi1 en aiguille (Bardosi 1986) übernommen, wo der umfangreiche Übungsteil mit den entsprechenden Lösungen fast 100 Seiten umfaßt. Galisson hat 1983 zehn verschiedene Übungstypen skizziert und außerdem für synonyme Redewendungen die Methode der Semanalyse vorgestellt. Diese anspruchsvolle Übungsform, die sich wahrscheinlich nur im Unterricht mit frankophonen Dozenten realisieren läßt, wurde später leider nicht weiterentwickelt. Ein Jahr später veröffentlicht Galisson als Ergänzung seines Wörterbuches (Galisson 1984a) ein eigenes Übungsheft (Galisson 1984b) mit zwölf verschiedenen Übungsformen: Thematisation, classiflcation, completion, substitution, recomposition, deduction, traduction, modification, comparaison, mise en situation, mobilisation und pragmatisation. Besonders erwähnenswert ist die Pragmatisationsübung, da hier Sprecher und Kontext berücksichtigt werden und Hinweise zum selbständigen Arbeiten mit Redewendungen vermittelt werden. Trotz aller verständlichen Begeisterung für Übungen zur Idiomatik sollte ein Einwand nicht unberücksichtigt bleiben. Mit Hilfe dieser Übungen wird zunächst das Auswendiglemen der Redewendungen gefördert und vertieft, wobei formale Aspekte (genauer Artikelgebrauch, Verwendung des Substantivs im Singular oder Plural usw.) im Vordergrund stehen. Später lenken die Übungen den Lernenden jedoch mehr zur aktiven Verwendung der Redewendungen. Ob dieses Lernziel für den Fremdsprachenunterricht realistisch ist, mag nicht zu Unrecht FLuL 21 (1992) Französische Idiomatiksammlungen 215 angezweifelt werden. Übungen zur passiven Beherrschung von Redewendungen, wie sie in bescheidener Form Vigner (1981) verwendet hat, fanden bislang keine Nachahmung, obwohl gerade mit ihnen ein realistischeres Lernziel erreicht werden könnte. 7 Ausblick Die knappe Besprechung einiger Neuerscheinungen, die für den schulischen und vor allem universitären Französischunterricht von Bedeutung sein können, hat Gravamina und Desiderata sichtbar gemacht, die seit Jahren schon von Metalexikographen aufgezeigt werden (Hausmann 1985; Koller 1987; Burger 1989; Ettinger 1989; Schemann 1989b). Für die Erstellung von Lernsammlungen für den Französischunterricht müßten vorab noch einige unbeantwortete Fragen geklärt werden. 1. Ist es überhaupt erstrebenswert, solche bildhaften Redewendungen im Französischunterricht zu lehren, angesichts der bekannten rationalite franraise? Sollte es wirklich unser Ehrgeiz sein, epigonale Cottards auszubilden? Die Vorworte von Rey/ Chantreau (1979: XII/ XIII) und Duneton (1990b: 11/ 12) geben einige Hinweise dazu, wie Franzosen die Verwendung von Redewendungen auch etwas kritischer beurteilen. 2. Eng damit zusammen hängt die wichtige Frage nach der Zahl der aktiv und passiv zu beherrschenden Redewendungen und ihre Gewinnung durch sprachwissenschaftlich zuverlässige Frequenzuntersuchungen. Gibt es überhaupt ein phraseologisches Minimum? Trotz ständiger Vorwortbeteuerungen, nur die geläufigsten Redewendungen ausgewählt zu haben, ist uns im Bereich des Französischen, aber ebenso auch im Englischen und im Deutschen keine einzige Frequenzuntersuchung bekannt (vgl. hierzu unsere bescheidenen Voruntersuchungen Ettinger 1991). Dadurch sind alle Zahlenangaben zur aktiven und passiven Verwendung von Redewendungen wenig aussagekräftig. Auch die Art der Übungen und ihre Zielrichtung hängen eng mit dieser nicht gelösten Frage zusammen. 3. Schließlich wäre noch die Frage zu klären, wie man die Beschreibungspräzision der Redewendungen verbessern könnte. Denkbar wäre eine systematische Weiterentwicklung der von Bernet/ Rezeau (1989) angewandten Unterscheidung von definition und commentaire (d.h. Angaben zu den Gebrauchsbedingungen, wie sie auch schon von Kühn 1983, 1985, 1987 und 1989 vorgeschlagen wurden). Ein Ausbau der mikrostrukturellen Angaben eines Lemmas dürfte generell anzustreben sein. Ein besseres Verstehen einer Redewendung könnte aber auch erreicht werden durch ein zitierendes Wörterbuch (Hausmann 1985). Ansätze in diese Richtung sind recht erfolgversprechend (Heinz 1987). All diese FLuL 21 (1992) 216 Stefan Ettinger Fragen machen deutlich, daß didaktisch interessierte Sprachwissenschaftler auch im Hinblick auf die neunziger Jahre noch sagen können: Nous avons du pain sur Ja planche. Bibliographische Angaben BARDOSI, V.: «Les limites de l'utilisation des dictionnaires de locutions». 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In addition to traditional translation or essay writing classes, it is necessary to develop a variety of new conceptions for various areas such as grammar, vocabulary, or oral skills. The article presents the outline of a vocabulary course for prospective teachers of English. At the same time, it reports on an empirical study in connection with the course in question. The students' lexical competence was tested twice (before and after the course), to find out whether their knowledge had improved on how to use the lexical items dealt with during the classes. The results obtained lead the author to warn against overestimating the value of quantitative empirical research for assessing the quality of new conceptions for practical language classes. 1 Einleitung Dieser Beitrag beschäftigt sich mit einem Aspekt der sprachpraktischen Ausbildung von künftigen Englischlehrkräften 1 und gehört somit in den Kontext der gegenwärtigen Diskussion um die . Fremdsprachenausbildung an Hochschulen. 2 In dieser Diskussion geht es zum einen um den universitären Fremdsprachenunterricht für Studierende nicht-philologischer Fächer (Fuckerieder/ Götz 1989) und zum anderen um die sprachpraktische Ausbildung von Studierenden der Neuphilologien.3 Insbesondere der zuletzt genannte Bereich ist von jeher umstritten gewesen (Vogel 1985). Seit es hier verstärkte Reformbemühungen gibt, hat sich * Der Titel des Beitrags ist eine Zusammensetzung aus Pollmann-Laverentz/ Pollmann: How to use your words (1982) und Rudzka et al.: The words you need (1981). Für Kritik, Anregungen und Hilfestellung danke ich Ocke Bohn, Lesley Drewing und Thomas Vogel. Um Doppelformen wie Lehrer/ Lehrerinnen zu vermeiden, wird wo möglich für beiderlei Geschlecht die Bezeichnung Lehrkraft verwendet (vgl. auch Bahns 1987, 1989). 2 Zu diesem Problemkomplex finden sich regelmäßig Beiträge in den Zeitschriften Fremdsprachen und Hochschule (FuH) und Fremdsprachen lehren und Jemen (FLuL). Außerdem sind die Sammelbände von Addison/ Vogel (1985, 1987) diesem Thema gewidmet. 3 Obwohl es sich hier nicht nur um zukünftige Lehrkräfte für Englisch und Französisch handelt, beschränken sich die nachfolgenden Erörterungen auf diesen Personenkreis. FLuL 21 (1992) 220 Jens Bahns die Diskussion zu diesem Thema ausgeweitet. Strittig ist dabei nicht nur der Anteil der sprachpraktischen Ausbildung am Gesamtstudium, sondern ebenso die Form sprachpraktischer Kurse und ihre Inhalte. Weitgehender Konsens scheint allerdings bei allen mit der sprachpraktischen Ausbildung der Studierenden unmittelbar Befaßten in folgenden Punkten zu bestehen: (a) Der Anteil der Sprachpraxis am Gesamtstudienprogramm der neuphilologischen Studiengänge sollte trotz der Verbesserungen, die im letzten Jahrzehnt hier und da stattgefunden haben mögen weiter erhöht werden. (b) Neben den traditionellen Veranstaltungsformen wie Übersetzen und Essay-Writingl Redaction sollte eine Vielfalt von weiteren Veranstaltungstypen entwickelt werden, in denen zum einen spezielle Defizite (etwa in der Grammatik oder im Wortschatz) aufgearbeitet sowie zum anderen spezielle Fertigkeiten, vor allem auch mündlicher Art, trainiert werden. (c) Neue Veranstaltungsformen und -inhalte sollten nicht nur entwickelt und erprobt werden, sondern es sollte auch nach Möglichkeit der Versuch gemacht werden, den Lernerfolg von Veranstaltungen älteren und neueren Typs durch begleitende Forschung zu überprüfen (Gorbahn 1987). (d) Zusätzlich zu den sprachpraktischen Übungen sollten soviele fachwissenschaftliche Lehrveranstaltungen (Seminare/ Vorlesungen) wie irgend möglich in der Fremdsprache gehalten werden. (e) Die Studierenden sollten in die Lage versetzt werden, ihre Lernvorgänge selbständig zu organisieren (Möhle 1985: 634, Zöfgen 1989: 187). Dazu bedarf es einer Einführung in bestimmte Lerntechniken und in Verfahren zur Erarbeitung von fremdsprachlichen Texten. Autonomes Lernen scheint für den Bereich fremdsprachlicher Lexik noch wichtiger zu sein als für den Bereich der Grammatik, da hier der Umfang des zu erlernenden Stoffes potentiell größer (bzw. unendlich) ist, verglichen mit einem relativ festen und begrenzten Kanon von grammatischen Regeln. Ganz im Sinne von Punkt (c) verfolgt der vorliegende Beitrag ein zweifaches Ziel: Einerseits wird das Konzept einer sprachpraktischen Veranstaltung vorgestellt (Abschnitt 3); andererseits wird über eine empirische Studie berichtet, mit der der Lernzuwachs bei den Veranstaltungsteilnehmern festgestellt werden sollte (Abschnitt 4). Zuvor (Abschnitt 2) wird noch kurz begründet, warum insbesondere Veranstaltungen zur Verbesserung der Wortschatzkenntnisse der Studierenden notwendig sind. In Abschnitt 5 wird schließlich diskutiert, ob die Qualität von sprachpraktischen Veranstaltungen auf der Basis von Ergebnissen aus Lernerfolgsstudien der hier durchgeführten Art beurteilt werden kann bzw. sollte. 2 Wortschatzkenntnisse von Studienanfängern Die bedeutende Rolle von angemessenen Wortschatzkenntnissen für die Beherrschung einer Fremdsprache ist im vergangenen Jahrzehnt „ wiederentdeckt" worden, nachdem fast zwei Jahrzehnte lang (1960 i 980) die Grammatik im Vordergrund sowohl des linguistischen als auch des fremdsprachendidaktischen 4 4 Hier sei an die Diskussion zum Konzept der Didaktischen Grammatik erinnert. FLuL 21 (1992) How to use the words you need 221 Interesses stand. Diese Wiederentdeckung zeigt sich in einer Fülle von Publikationen5 zum Wortschatzlernen in den 80er Jahren und läßt sich mit dem Schlagwort von der "Wortschatzwende" 6 treffend charakterisieren. Defizite in der Lexik zeigen sich insbesondere bei vergleichsweise fortgeschrittenen Lernern wie z.B. bei Schülern der gymnasialen Oberstufe bzw. Sekundarstufe II. So spricht Matz (1989: 34) von "Kenntnislücken" auf dem „Vokabelsektor", die „die Textarbeit auf der gymnasialen Oberstufe besonders belasten"; in ähnlichem Sinne äußern sich auch Schröder (1984: 309) und Hohmann (1987: 19), der im Zusammenhang mit Überlegungen zur lexikalischen Lernarbeit den „Englischunterricht auf der gymnasialen Oberstufe weithin durch sprachliche Stagnation gekennzeichnet" sieht. Daß sich defizitäre Wortschatzkenntnisse nicht automatisch verbessern, sobald ein Studium aufgenommen wird mit dem Ziel, Lehrkraft für Englisch oder Französisch zu werden, wird nicht überraschen. Wie es um dje Wortschatzkenntnisse von Studienanfängern bestellt ist, mögen die Ergebnisse eines einfachen Wortschatztests illustrieren, der mit den Teilnehmern eines sprachdidaktischen Proseminars durchgeführt worden ist. 7 Der Test bestand aus 32 englischen Wörtern, die der im Anhang von Doye (1971) abgedruckten Wortliste des Minimum Adequate Vocabulary (M.A.V.) entnommen waren. Die Studierenden sollten die (bzw. eine ihnen bekannte) deutsche(n) Bedeutung(en) dieser Wörter angeben. Kriterium bei der Auswahl der Wörter war die Vermutung, daß diese Wörter einem nicht unbeträchtlichen Teil der Studierenden nicht bekannt sind. Wie aus Tab. 1 (Seite 222) hervorgeht, bestätigte sich diese Vermutung noch über das erwartete Maß hinaus. Das M.A.V. besteht aus ca. 1200 Wörtern. Ein gewisser Prozentsatz davon ist offenbar einer größeren Zahl von Studienanfängern nicht geläufig. Insofern kann das Ergebnis dieses informellen Tests als Bestätigung der Zahlen 8 von 5 Einen Eindruck von der Zahl der Publikationen in den 80er Jahren geben die Bibliographien von Meara (1983, 1987). 6 Hausmann (1987) bezieht sein Schlagwort von der "Wortschatzwende" speziell auf neuere Lehrbücher des Französischen. Seine Beobachtung, "daß die Zeit des Übergewichts der Grammatik über den Wortschatz vorbei ist und daß nun wieder wie in alten Zeiten und wie es anders nicht sein kann, der Wortschatz für wichtiger erachtet wird als die Grammatik" (429), dürfte aber für den Fremdsprachenunterricht generell gelten. 7 Diese Überprüfung war nicht Selbstzweck; hinter dem Test stand der Gedanke, daß das Minimum Adequate Vocabulary, dem die Testwörter entnommen waren, möglicherweise einer Revision bedarf, falls es eine Reihe von Wörtern enthält, die künftigen Englischlehrkräften weitgehend unbekannt sind. 8 Zöfgen bezieht sich hier auf Französischstudenten. Wie hoffnungslos überzogen manche Zielvorgaben zum Wortschatzumfang von Fremdsprachenlernern sind, mögen zwei Zahlen deutlich machen: Haase (1979: 9) nennt in seiner Einführung zum „ Wertigkeits-Wörterbuch" folgendes Ziel: "Für den Schüler der Oberklassen des Gymnasiums und anderer höherer Anstalten wäre die aktive Beherrschung etwa der ersten 5 Stufen das erstrebenswerte Hochziel". Nach den Erläuterungen der 6 Wertigkeitsstufen (S. 10) wären das rund FLuL 21 (1992) 222 Jens Bahns Anzahl der rich- Lexeme, für die richtige Lösungen tigen Lösungen gegeben wurden 16 15 brick 14 13 frame 12 screw 11 firm 10 dull edge mist 9 8 rope silk 7 carriage seed 6 drawer flour goat wire 5 heel waist 4 cart railing steep string 3 copper gaseous glue host 2 1 ditch harter nought 0 idle jug peck thread Tab. 1: Anzahl der korrekten deutschen Bedeutungsangaben/ Übersetzungen für 32 ausgewählte Lexeme aus der M.A.V.-Liste bei 16 Probanden Zöfgen (1989: 182) angesehen werden: "Nach vorsichtiger Schätzung schwankt der Bestand an bekannten signifiants bei Anfangssemestern zwischen 1 200 und 3 500 - Zahlen, die das quantitative Defizit schlagartig beleuchten". Dabei dürfte für einen nicht unbeträchtlichen Teil der Anfangssemester eher die als untere Grenze genannte Zahl zutreffen. Wortschatzarbeit an der Hochschule tut also not. Allerdings darf es dabei nicht ausschließlich um eine quantitative Erweiterung der Wortschatzkenntnisse gehen mindestens ebenso wichtig ist es, daß die Studierenden den ihnen bereits bekannten sowie den neuen Wortschatz in zielgerechter Weise verwenden können. Es genügt nicht, von einem Wort lediglich die Bedeutung zu kennen; 6 000 (! ) Wörter. Im Lehrplan "Englisch - Klassenstufen 5-9" (1986: 13) für die Hauptschule in Schleswig-Holstein findet sich ein direkter Hinweis auf das M.A. V.: "Bei durchgehend drei Wochenstunden Englischunterricht in den Klassenstufen 7, 8, 9 kann als Anhaltspunkt gelten, daß der Schüler am Ende der Klassenstufe 9 mindestens die etwa 1200 Wörter des 'Minimum Adequate Vocabulary' aktiv beherrschen sollte, [...]". Weit davon entfernt, das "Hochziel" von Haase auch nur annähernd zu erreichen, scheinen die Absolventen deutscher Gymnasien derzeit hinsichtlich ihrer englischen Wortschatzkenntnisse kaum wesentlich über das in Hauptschullehrplänen anvisierte Zielniveau hinauszugelangen. FLuL 21 (1992) How to use the words you need 223 darüber hinaus muß der Lerner wissen, in welchem paradigmatischen und syntagmatischen Beziehungsgeflecht das Wort steht: "There are two things, besides basic sense, which a student needs to know about every new word he wants to make part of his active competence: a) How does it relate to other words with similar meaning? b) Which other words can it be used with, and in which contexts? " (Rudzka et al. 1981b: 3). Die hier vorgestellte Veranstaltung sollte daher sowohl zu einer quantitativen als auch zu einer qualitativen Verbesserung der· Wortschatzkenntnisse der Studierenden beitragen. 3 Die Veranstaltung 3.1 Teilnehmer Die Veranstaltung unter dem Titel "How to use your words" wurde gemeinschaftlich von der Lektorin Lesley Drewing (L.D.) und J.B. vorbereitet und durchgeführt. Teilnehmer waren Studierende des Seminars für Englische Sprache und Literatur und ihre Didaktik der Pädagogischen Hochschule Kiel aus den Studiengängen Grund- und Hauptschullehrer sowie Realschullehrer. Die große Mehrzahl der Teilnehmer befand sich im 2. bzw. 4. Fachsemester. Da es sich nicht um eine Pflichtveranstaltung handelte, fluktuierte die Teilnehmerzahl erwartungsgemäß. Im Verlauf der Veranstaltung pendelte sie sich bei ca. 20 ( ± S) ein. Es wurden weder Anwesenheitslisten geführt noch waren Leistungsnachweise in Form von Klausuren o.ä. zu erbringen. 3.2 Material Das Material, das in der Veranstaltung benutzt wurde, stammt aus den beiden Übungsbüchern von Rudzka et al. (1981a, 1985). 9 Die Bücher wenden sich an "post-intermediate and advanced students of English either as a foreign or as a second language" (Rudzka et al. 1981b: 1). Die Autoren erläutern diese Adressatenangabe, indem sie einige spezifischere Adressatengruppen aufzählen (u.a. "trainee teachers of English at all levels"). Ihre sprachwissenschaftliche Basis haben die Übungsbücher. in der Wortfeldtheorie, in der Komponentenanalyse sowie in der Kollokationstheorie. Die syntagmatischen und paradigmatischen Beziehungen der Lexeme werden hauptsächlich in Form der Komponentenmatrix sowie des Kollokationsrasters gegeben. Die Komponentenmatrix ist die formalisierte Darstellung einer Wortfeldanalyse. Die Glieder der Wortfelder, die zueinander in der Relation der Partiellen Synonymie 10 stehen, werden auf gemein- 9 Zu weiteren Material-Quellen vgl. 3.3. 10 Eine auch nur oberflächliche Diskussion der Begriffe Kollokation, Wortfeld, Partielle Synonymie und Komponentenanalyse muß hier aus Platzgründen unterbleiben. In welchem FLuL 21 (1992) 224 Jens Bahns same sowie unterscheidende Merkmale untersucht; das Ergebnis wird in Matrixform dargestellt (vgl. Tab. 2). Das Kollokationsraster gibt an, mit welchen Lexemen die fraglichen Wortfeldglieder kombinierbar sind. Aus Tab. 3 ließe sich beispielsweise entnehmen, daß grimy windows oder grubby hands mögliche und übliche Zusammenstellungen sind, während man normalerweise nicht von *grimy streets oder *grubby house sprechen würde. ü +-> (1) ~ -0 : : : l .r. E +-> .... ~: : : : 0 -0 IJ) (1) t.. (! ).._; > IJ) 0: : : , u -0 dirty + f i lthy + grimy + grubby + 01 C .... +-> IJ) : : : l -~ -0 + 01 .5 L (1) > 0 (1) u u CO +-> .,_ L L .... : : : , -0 IJ) + + L 0 0 +-> C 0 -0 (1) (1) u .D CO .D t : : : , : : : l t.. IJ) r .s : a .s + C CO E : : : , .r. .,_ 0 +-> +-> u ,..... CO : : : , +-> IJ) C (1) 0 L (J + Tab. 2: Komponentenmatrix zum Wortfeld 'Being dirty' (Rudzka et al. 1981a: 9) (1) IJ) IJ) IJ) l~ 01 IJ) >, 3: (1) +-> CO (1) ...... (1) 0 .r. IJ) (1) t.. : : : , : ,L C .... IJ) -0 +-> -0 (1) (1) (1) 01 (1) -0 (J .... C E Ol : : : , C 0 C (J t.. +-> C : ,L C .... IJ) CO CO 0 0 .... ..... CO CO +-> CO CO 0 .... L : : : , E .,_ -0 .r. 3: (J .r. .,_ IJ) 3: ...... . ..., E +-> .D dirty + + + + + + + + + + + + + + + f il thy + + + + + + + + + grimy ( +) + + + ( +) + grubby + + + Tab. 3: Kollokationsraster zum Wortfeld 'Being dirty' (Rudzka et al 1981a: 10) Sinne die Begriffe semantic field, semantic Feature und collocation bei Rudzka et al. verwendet werden, sollte aus den Beispielen sowie aus Tab. 2 (Komponentenmatrix/ componentia/ grid) und Tab. 3 (Kollokationsraster/ collocationa/ grid) hervorgehen. FLuL 21 (1992) How to use the words you need 225 Die von den Übungsbüchern in der Form von Komponentenmatrix und Kollokationsraster gegebenen Informationen über die Verwendungsbedingungen und Verwendungsweisen der Lexeme wurden jedoch nicht in dieser formalisierten Form in den Kurs eingebracht, obwohl dies zumindest für die Komponentenanalyse zunächst so geplant war. Aufgrund der Erfahrungen 11 aus einer der ersten Sitzungen wurde von dieser Planung Abstand genommen. 3.3 Verlauf Aus dem überaus umfangreichen Material der beiden Übungsbücher wählte L.D. vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen aus Übersetzungsübungen insgesamt 10 Wortfelder zur Behandlung im Kurs aus (vgl. Tab. 4 auf Seite 226). Kriterium der (subjektiven) Auswahl waren aus solchen Veranstaltungen erinnerliche Defizite in den studentischen Wortschatzkenntnissen. Aus der Tabelle geht auch der terminliche Ablauf der Veranstaltungen hervor. 11 Auf dem Arbeitsblatt, das die Lückensätze (Schritt 5, s.u.) zum Wortfeld DAMAGING (vgl. Tab, 4) enthielt, waren die Komponenten, die Rudzka et al. (1981a: 24) geben, mitaufgeführt. Es zeigte sich jedoch, daß die Studierenden durch diese 'Kognitivierung' der Bedeutungsunterschiede sich von der spontanen Ausfüllung der Lücken eher abhalten ließen. Außerdem kam es durch diese 'Schwarz-auf-weiß-Definitionen' bei der an.schließenden Besprechung der Lösungen zu zeitraubenden und unfruchtbaren Diskussionen. Die Teilnehmer versuchten nämlich, falsche Lösungen zu verteidigen, indem sie sich auf die aufgelisteten Bedeutungsangaben bezogen. Für das Verb bann z.B. wird als Bedeutungskomponente "have a bad effect on" gegeben. Einer der Lückensätze lautete: My aunt's presence was the only thing that .. . the enjoyment of my stay with the family. Akzeptable Lösungen wären hier die Verben spoil und mar gewesen. Die von einzelnen Teilnehmern angebotene Lösung bann mußte von L.D. abgelehnt werden; man versuchte jedoch, sie mit dem Hinweis zu verteidigen, daß bann angesichts der gegebenen Bedeutung ("have a bad effect on") eigentlich doch auch 'passen' müßte. An diesem Beispiel läßt sich darüber hinaus eine Schwäche des Kollokationsrasters illustrieren. Es vermag zwar als grobe Orientierung über Kombinationsmöglichkeiten gute Dienste zu leisten, sollte jedoch nicht in jeder Einzelheit 'wörtlich' genommen werden. So wird im Raster des Feldes DAMAG- ING (S. 25) die Kollokation impair sb's enjoyment als üblich gekennzeichnet; von L.D. jedoch wurde dies als mögliche Lösung des oben angeführten Lückensatzes rundheraus abgelehnt. - Diese Beobachtung soll in keiner Weise den Wert der Kollokationsraster schmälern; inwiefern die hier gemachte Einschränkung in der Sache selbst (d.h. im Charakter des Kollokationsbegriffs) begründet liegt, machen die Autoren mit folgender Feststellung deutlich: "Language in use is very flexible, and the collocational possibilities of any word do not form a fixed set. That is to say, while English speakers agree on more typical collocations, there are many other collocations which some people would use, and others not, [...]. A set of collocations is not therefore a list of all the ways in which a word can be used, but rather a set of examples of how a word is usually used" (Rudzka et al. 1981b: 6). FLuL 21 (1992) 226 Jens Bahns ~Nr. der Wortfeldüberschrift itzung) Datum Quelle** Lexeme (1) Damaging damage impair 25.4. I U2 A2 24/ 25 harm mar hurt spoil injure (2) Making visible show expose 2.5. I US A2 145/ 46 display flaunt exhibit (3) Things we throw away rubbish TEST 1 9.5. or reject refuse (Beginn 3. II .lJlO Al 207 waste Sitzung) (4) Recurring, continuing continual perpetual 16.5. or never-ending continuous incessant II U3 A7 53/ 54 constant eternal (5) Changing purpose or dissuade 23.5. route deter II US AS 168/ 69 discourage divert (6) Rate at which things pace 30.5 happen speed II U3 Al 47/ 48 tempo (7) Being weil known famous distinguished 13.6 II U4 A7 73/ 74 renowned eminent celebrated (8) Losing strength or fade shrivel 20.6 freshness wilt languish II Ul0 A6 210/ 11 wither droop (9) Destroying destroy pull down 27.6 II Ul0 A4 209 demolish tear down raze (10) Having an effect on affect TEST 2 4.7 I US Al 145 influence (Ende 10. impress Sitzung) sway Tab. 4: Terminlicher Verlauf und behandelte Wortfelder ** Die Angaben beziehen sich auf Rudzka et al. (1981a) (I) bzw. (1985) (II); es folgen die Angaben der Unit (U) sowie das Semantic Field (A) innerhalb der Unit; die letzte Ziffer nennt die Seitenzahl. FLuL 21 (1992) How to use the words you need 227 Die einzelnen Sitzungen verliefen prinzipiell stets nach dem gleichen, aus sechs Schritten 12 bestehenden Schema: 1. Wortfeldglieder; 2. Deutsche Äquivalente; 3. Studentische Beispielsätze; 4. Mustersätze (Übersetzungen englisch/ deutsch); 5. Lückensätze; 6. Übersetzung deutsch/ englisch. ► 1. Wortfeldglieder: Nachdem die aus Rudzka et al. übernommene Überschrift des zu behandelnden Wortfeldes (z.B. DAMAGING) an die Tafel geschrieben worden ist, werden die Teilnehmer aufgefordert, Wörter zu nennen, die zu diesem Wortfeld gehören könnten. Die Teilnehmer nennen naturgemäß sowohl solche Wörter, die zur Behandlung vorgesehen sind (z.B. injure, damage, hurt), als auch solche, die zwar zum (weiteren) Wortfeld gehören würden, aber eben nicht in den Kreis der von Rudzka et al. hier ausgewählten Wörter gehören (z.B. ruin, destroy). Alle genannten Wörter werden an der Tafel festgehalten; die nicht zu behandelnden jedoch nur im wörtlichen Sinne unter dem Strich. 1' ► 2. Deutsche Äquivalente: Den Studierenden werden die deutschen Äquivalente 14 der zu behandelnden Wörter gegeben, insbesondere von denjenigen, die ihnen bisher offensichtlich nicht bekannt sind. 15 ► 3. Studentische Beispielsätze: Die Teilnehmer werden aufgefordert, diese teilweise bekannten, teilweise neuen Wörter selbständig in Satzbeispielen zu verwenden. Nach 5-10 Minuten Stillarbeit werden von den Studierenden ca. 8 -10 Beispielsätze genannt und zunächst kommentarlos an die Tafel geschrieben. Anschließend wird beurteilt, ob die fraglichen Wörter in den studentischen Beispielsätzen zielgerecht verwendet worden sind. Die Sätze an der Tafel werden entsprechend korrigiert. ► 4. Mustersätze (Übersetzung engl./ dt.): Den Teilnehmern werden Mustersätze ausgehändigt Ge nach Wortfeldgröße zwischen 12 und 20), die aus den drei großen Lernerwörterbüchern (ALD, COBUILD, LDOCE) zusammengestellt worden sind. Diese Sätze werden von ·den Teilnehmern mündlich ins Deutsche übersetzt. 16 12 Die Durchführung der einzelnen Sitzungen geschah arbeitsteilig: Für Schritte 1-4 war J.B. zuständig, wobei L.D. die Beurteilung der studentischen Beispielsätze übernahm; Schritte S und 6 lagen in der Regie von L.D., wobei die deutschen Sätze für die Übersetzung ins Englische von J.B. zusammengestellt wurden. 13 Für spontan nicht genannte, aber zu behandelnde Wörter wird versucht, eine Hilfestellung zu geben (z.B. für spoil: "'damage' a child's character by giving him everything he wants or asks for"); führt auch dies nicht zum erwünschten Ergebnis, werden die noch fehlenden Wörter schließlich gegeben und an der Tafel festgehalten. 14 Dies geschah auf der Basis der entsprechenden Einträge in Willmann/ Messinger (1985). 15 Anfangs geschah dies schriftlich an der Tafel; später jedoch nur mündlich, da einige Teilnehmer sich bei Schritt 6 (Übersetzung dt./ engl.) an den an der Tafel festgehaltenen Entsprechungen (engl./ dt.) orientierten und diese auch in der anderen Richtung (dt./ engl.) interpretierten. Dies kann jedoch zu unangemessenen Übersetzungen führen: An der Tafel könnte beispielsweise (nach Willmann/ Messinger 1985) für harm stehen: j-n verletzen (a.fig.), j-m, j-s Ruf etc. schaden. Die erste Bedeutung würde der Beispielsatz I stood ve.,y still, hoping they wouldn't harm my sister and me (COBUILD, s.v. harm) illustrieren. Wenn jetzt jedoch für die Übersetzung z.B. des Satzes Mit dieser Bemerkung hast du ihn verletzt das Verb harm vorgeschlagen werden würde, so müßte es vom native speaker wohl zurückgewiesen werden; angemessen wäre hier die Verwendung von hurt. 16 Die Materialien für die Schritte 4- 6 finden sich für das Beispiel DAMAGING im Anhang A-C. FLuL 21 (1992) 228 Jens Bahns ► 5. Lückensätze: An die Teilnehmer wird ein Lückentest mit Einzelsätzen ausgeteilt (je nach Wortfeldgröße zwischen 15 und 20). Bei diesen Sätzen handelt es sich überwiegend um die in Rudzka et al. in den entsprechenden Abschnitten angebotenen Beispielsätze, teilweise durch eigene Beispielsätze ergänzt. Die Teilnehmer setzen die Wörter in Stillarbeit ein; anschließend werden ihre Lösungsvorschläge verglichen und diskutiert. Dabei werden weitere Hinweise zu Bedeutungsumfang und Bedeutungsabgrenzung der einzelnen Wortfeldglieder gegeben. ► 6. Übersetzung dt./ engl.: Abschließend werden deutsche Sätze (je nach Wortfeldgröße zwischen 8 und 15), in deren englischen Entsprechungen die fraglichen Wörter Verwendung finden würden, schriftlich ins Englische übersetzt; danach werden die Lösungsvorschläge der Studierenden verglichen und kommentiert." Hinter diesem Vorgehen stehen folgende didaktisch-methodische Überlegungen: Fernziel der Veranstaltung ist eine Verbesserung der Übersetzungskompetenz der Studierenden, da die schriftliche ; dt./ engl. Übersetzung einen wichtigen Teil der Überprüfung der sprachpraktischen Fertigkeiten im Examen darstellt. Die Schritte 1 - 5 sollen in diesem Sinne als Hinführung auf Schritt 6 dienen. Die Schritte 1 und 2 sollen die Aufmerksamkeit der Studierenden auf das Thema der Sitzung lenken und ihnen erste Hinweise auf unterschiedliche Bedeutungskomponenten der Wörter geben. Durch Schritt 3 sollen den Studierenden Probleme bei der eigenständigen Verwendung der Wörter bewußt werden. In Schritt 4 werden 'mustergültige' Verwendungsweisen demonstriert; gleichzeitig wird durch die Übersetzung die Vielfalt der (idiomatisch möglichst treffenden) Wiedergabemöglichkeiten im Deutschen illustriert. Schritt 5 soll dem Training der zielgerechten Verwendung dienen. 4 Erfolgskontrolle 4.1 Die Tests 4.1.1 Konstruktion. Um festzustellen, ob die Veranstaltung bei den Teilnehmern zu einem Lernzuwachs geführt hat, wurden zwei Tests (Tl und T2)1 8 durchgeführt. Beide Tests bestanden aus je 110 englischen Einzelsätzen. Alle Sätze waren in morphosyntaktischer Hinsicht einwandfrei und zielgerecht, manche enthielten jedoch Wortschatzfehler. Die Teilnehmer sollten beurteilen, bei welchen dieser Sätze es sich um korrekte englische Sätze handelte. Die Kon- 17 Gelegentlich konnte die Übersetzung dt./ engl. in der entsprechenden Sitzung aus Zeitgründen nur angefangen werden; die restlichen Sätze wurden dann in Hausarbeit übersetzt und zu Beginn der darauffolgenden Sitzung verglichen. 18 Vgl. Anhang D. Aus Platzgründen ist es allerdings nicht möglich, hier beide Tests vollständig wiederzugeben. Anhang D enthält zur Illustration 20 Sätze aus Tl. Bei denjenigen Sätzen, die einen lexikalischen Fehler enthalten, sind hier die akzeptablen Synonyme der kursiv gesetzten Lexeme in Klammern hinzugefügt. Von den Probanden war jedoch nur die Kennzeichnung der korrekten Sätze verlangt, nicht die 'Verbesserung' der nichtakzeptablen. FLuL 21 (1992) How to use the words you need 229 struktion der fehlerhaften Sätze geschah durch einfaches Auswechseln der fraglichen Wortfeldglieder durch andere Elemente des betreffenden Wortfeldes. 19 Die in den Tests verwendeten Sätze enthielten sowohl solche Lexeme, die im Kurs behandelt worden waren'° als auch solche, die nicht behandelt worden waren. Bei den "Sätzen mit behandelten Lexemen" handelte es sich um eine Auswahl aus den Materialien der jeweiligen Schritte 5 und 6 (s.o.); die "Sätze mit nicht-behandelten Lexemen" wurden aus den bei Rudzka et al. angebotenen Beispielsätzen verschiedener nicht-behandelter Wortfelder ausgewählt. Ursprünglich war geplant, daß jeweils 65 der 110 Sätze in beiden Tests behandelte Lexeme enthalten sollten, während die restlichen 45 Sätze nicht-behandelte Lexeme enthalten sollten. Diese Planung ließ sich jedoch nicht realisieren, da aus Zeitgründen eines der zur Behandlung vorgesehenen (und in Tl repräsentierten) Wortfelder nicht mehr behandelt werden konnte. Dadurch reduzierte sich die Zahl der "Sätze mit behandelten Lexemen" in Tl auf 57, während sich diejenige der "Sätze mit nicht-behandelten Lexemen" auf 53 erhöhte. Da auch zum Zeitpunkt der Konstruktion von T2 nicht mit letzter Sicherheit voraussehbar war, welches Material bis zur letzten Sitzung behandelt werden würde, wurde auch in T2 von der 65: 45- Planung abgewichen. Durch die Einbeziehung von in den ersten drei Sitzungen behandeltem Material" erhöhte sich die Zahl der „Sätze mit behandelten Lexemen" hier auf 74, während T2 lediglich 36 "Sätze mit nicht-behandelten Lexemen" enthielt. Von den jeweils 110 Sätzen sind 70 Sätze in Tl und T2 identisch, während jeweils 40 Sätze nur in Tl oder nur in T2 enthalten sind. Von den 70 Sätzen, die in beiden Tests enthalten sind, sind 44 "Sätze mit behandelten Lexemen", und 26 „Sätze mit nicht-behandelten Lexemen". Bei der Auswertung (4.1.3) und der Präsentation der Ergebnisse (4.2) werden neben den Gesamtergebnissen die 44 "Sätze mit behandelten Lexemen", die in beiden Tests enthalten sind, im Vordergrund stehen. Die Ergebnisse bezüglich dieser Teilmenge der Testsätze, für die unten die Kurzform "Basis 44" 22 benutzt wird, sind insbesondere geeignet, Aussagen über eventuelle Lernzuwächse aufgrund der Teilnahme an der Veranstaltung zuzulassen. 4.1.2 Durchführung. Da sich die Idee zu einer Überprüfung des Lernzuwachses erst zu Beginn der Veranstaltung einstellte, konnte Tl nicht in der ersten, sondern erst in der dritten Sitzung durchgeführt werden. T2 wurde in der zehnten Sitzung durchgeführt. Beide Tests wurden gemeinsam in der Abschlußsitzung zurückgegeben und kommentiert. An Tl nahmen 29 Studierende teil, an T2 17 Studierende; 14 Studierende nahmen an beiden Tests teil. Den Teilnehmern 19 Diese Substitution rp.uß nicht automatisch zu fehlerhaften Sätzen führen; vgl. unten 4.1.3. 20 Bezogen auf Tl, der als 'Eingangstest' angesehen werden kann, müßte präziser von „im Laufe des Kurses zu behandelnden Lexemen" gesprochen werden. Eine solche differenzierende Ausdrucksweise würde die Erläuterung der Testkonstruktion jedoch unnötig komplizieren. Deshalb ist auch bezüglich Tl von "behandelten Lexemen" die Rede; gemeint sind jedoch „zur Behandlung vorgesehene Lexeme". 21 Um den 'Eingangstest-Charakter' von Tl nicht zu gefährden, konnte dieses Material dort nicht berücksichtigt werden. 22 Außerdem wird dort von der 'Basis 110' die Rede sein; damit sind die Ergebnisse zur Gesamtmenge der Testsätze (110) gemeint. FLuL 21 (1992) 230 Jens Bahns wurde der Zweck der Tests mitgeteilt. Wie bereits kurz erwähnt, bestand die Aufgabe für die Probanden darin, jeweils diejenigen der 110 Sätze zu kennzeichnen, die sie für korrekte und akzeptable englische Sätze hielten. Angaben über die Anzahl der korrekten Sätze wurden nicht gemacht. Die Probanden wurden aufgefordert, ihre Akzeptabilitätsurteile möglichst spontan zu fällen und nicht über einzelne Sätze zu lange nachzudenken. Für die Durchführung der Tests standen jeweils 20 Minuten zur Verfügung. Da in Tl genau genommen die Kenntnis der korrekten Verwendungsweisen von "im Laufe des Kurses zu behandelnden Lexemen" (vgl. Anm. 20) überprüft wurde, mußte hier dafür Sorge getragen werden, daß die verlangte Identifizierung der korrekten Sätze nicht (zu häufig) durch die Unkenntnis von in den Sätzen vorkommenden Lexemen unmöglich gemacht wurde. Deshalb wurden bei Tl ,Vokabelhilfen' gegeben." Darin konnten zwar einige voraussehbare Vokabellücken einer Mehrzahl von Teilnehmern berücksichtigt werden, nicht jedoch individuelle Defizite. Die Teilnehmer wurden daher gebeten, in den Fällen, in denen trotz der Vokabelhilfen die Beurteilung eines Satzes aufgrund von Verständnisschwierigkeiten nicht möglich war, das fragliche Wort in dem betreffenden Satz einzukreisen." 4.1.3 Auswertung. Nachdem die beiden Tests in der in 4.1.1 beschriebenen Weise von J.B. konstruiert worden waren, wurden sie L.D. zur Bewertung hinsichtlich ihrer Akzeptabilität vorgelegt. Wie oben angedeutet, lag der Konstruktion der fehlerhaften Sätze die (bewußt naive) Annahme zugrunde, daß durch den Austausch eines Lexems durch ein partiell synonymes Lexem des gleichen Wortfeldes ein Satz mit einem lexikalischen Fehler entstehen würde. In der großen Mehrzahl der Fälle wurde diese Erwartung durch die native-speaker-Bewertung bestätigt. In solchen Fällen, in denen die Bewertung durch L.D. nicht mit der „erwarteten" Bewertung übereinstimmte," wurden weitere native-speaker-Urteile eingeholt, da es für die Auswertung der Tests erforderlich war, daß in jedem Fall eine eindeutige Entscheidung über die Akzeptabilität der Sätze getroffen wurde. In einigen Fällen war es nötig, sich nach Mehrheitsentscheidungen der bt: fragten native speakers zu richten. Tl sollte ursprünglich SS korrekte und SS fehlerhafte Sätze enthalten. Aufgrund der eben angedeuteten geringfügigen 23 Durch einen Probedurchlauf mit einem Studierenden mit vergleichbaren sprachlichen Voraussetzungen, der nicht Kursteilnehmer war, war es möglich, eine Liste von 17 Lexemen zusammenzustellen, bei denen Verständnisprobleme zu erwarten waren. Dabei handelte es sich sowohl um solche Lexeme, die aus später zu behandelnden Wortfeldern stammten (deter, dissuade, droop, incessant, shrivel, sway, wilt, wither) als auch um solche, die nicht zu dem zu behandelnden Kursmaterial gehörten (acquit, ancestor, astound, evidence, exonerate, hazard, libel, trudge, viva voce). Als 'Vokabelhilfen' wurden die jeweiligen Einträge aus Messinger/ Rüdenberg ( 5 1967) gegeben. 24 Das 'Einkreisen' war auch in T2 möglich. Zu den Konsequenzen dieser Verfahrensweise für die Auswertung vgl. 4.1.3. 25 Zum Wortfeld DAMAGING findet sich z.B. für die Verwendung von spoil der Beispielsatz This year's apple crop was spoiled by long periods of drought (Rudzka et al. 1981a: 25). Der durch die Substitution von spoil durch damage entstandene vermeintlich fehlerhafte Satz This year's apple crop was damaged by long periods of drought wurde jedoch von L.D. als akzeptabel bewertet. FLuL 21 (1992) How to use the words you need 231 Diskrepanzen zwischen der Erwartung bei der Konstruktion und der native-speaker-Bewertung ergab sich eine Verteilung von 62 korrekten zu 48 fehlerhaften Sätzen für Tl. T2 enthielt dagegen wie geplant - 55 korrekte und 55 fehlerhafte Sätze. Beide Tests wurden in folgender Weise ausgewertet (vgl. Tab. 5 auf Seite 232)2°: Zunächst wurde festgestellt, bei wievielen Sätzen die Probanden jeweils ein "Vokabelproblem" angezeigt haben (durch Einkreisen des fraglichen Lexems, s.o.). Diese Sätze wurden bei der Auswertung nicht berücksichtigt. Die Spalten 2 und 5 geben an, wieviele Sätze jeweils in die Auswertung einbezogen worden sind. 27 Dann wurde für die einzelnen Probanden ausgezählt, bei wievielen der in die Auswertung einbezogenen Sätze das Akzeptabilitätsurteil zutreffend war (Spalten 3 und 6). Anschließend wurde der prozentuale Anteil der Sätze mit zutreffendem Akzeptabilitätsurteil an der Gesamtzahl der in die Auswertung einbezogenen Sätze errechnet (Spalten 4 und 7). Schließlich wurde die Differenz bezüglich der zutreffenden Akzeptabilitätsurteile zwischen Tl und T2 in Prozentpunkten errechnet (Spalte 8). Tab. 5 basiert auf der Auswertung der Gesamtheit aller Testsätze (,Basis 110'). In analoger Weise wurde Tab. 6 erstellt, die auf der Auswertung der 44 „Sätze mit behandelten Lexemen" (,Basis 44') beruht. Tabb. 5 und 6 bilden die wesentliche Grundlage für die Darstellung der Ergebnisse. ►► Erläuterungen zu den Tabellen 5 und 6 (auf Seite 232). Die Spalten geben an: (1) (2)+(5) (3)+(6) (4)+(7) (8) Nr. des Probanden Anzahl der in die Auswertung einbezogenen Sätze Anzahl der „korrekten Lösungen" Anteil der „korrekten Lösungen" in % Differenz zwischen (4) und (7) in Prozentpunkten 26 Tab. 5 bezieht lediglich die 14 Probanden ein, die an beiden Tests teilgenommen haben. Eine entsprechende Aufstellung der Ergebnisse für alle Probanden ist im Anhang E gegeben. Die Spalte 1 von Anhang E enthält eine fortlaufende Numerierung der Probanden beider Tests; die Nummern der 14 Probanden, die beide Tests gemacht haben, sind in die jeweiligen Spalten 1 der Tabb. 5 und 6 übernommen worden. Im folgenden wird auf einzelne Probanden durch „P" in Verbindung mit der entsprechenden Nummer (Pl, P2, P3, etc.) referiert. 27 In Spalte 2 von Tab. 5 fällt der niedrige Wert (88) von Pll auf; dieser Wert erklärt sich dadurch, daß Pll den ersten Test (aus unbekannten Gründen) nicht vollständig bearbeitet hat. FLuL 21 (1992) 232 Jens Bahns Test 1 Test 2 (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) 1 100 55 55,00 110 56 50,90 - 4.10 2 108 67 62,04 110 69 62,72 + 0.68 3 104 51 49,04 110 68 61,81 + 12.77 11 88 49 55,68 110 65 59,09 + 3.41 14 110 63 57,27 108 66 61,11 + 3.84 17 107 62 57,94 110 68 61,81 + 3.87 18 110 62 56,36 107 66 61,68 + 5.32 20 110 43 39,10 110 74 67,27 + 28.17 21 106 55 51,89 110 65 59,09 + 7.20 22 109 63 57,80 110 72 65,45 + 7.65 23 105 64 60,95 110 67 60,90 - 0.05 25 108 59 54,63 109 72 66,05 + 11.42 27 109 83 76,15 110 73 66,36 - 9.79 29 104 57 54,81 110 65 59,09 + 4.28 x = 56,33 x = 61,67 + 5.34 Tab. 5: Ergebnisse von 14 Probanden für Tl und T2 (,Basis 110') Test 1 Test 2 (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) 1 38 19 50,00 44 21 47,72 - 2.28 2 42 26 61,90 44 27 61,36 - 0.54 3 42 21 50,00 44 31 70,45 + 20.45 11 44 25 56,81 44 23 52,27 - 4.54 14 44 26 59,09 42 28 66,66 + 7.57 17 44 23 52,27 44 26 59,09 + 5.82 18 44 26 59,09 43 25 58,13 - 0.96 20 44 17 38,63 44 29 65,90 + 27.27 21 43 22 51,16 44 22 50,00 - 1.16 22 43 27 62,79 44 32 72,72 + 9.93 23 42 20 47,61 44 27 61,36 + 13.75 25 44 25 56,81 44 30 68,18 + 11.37 27 44 33 75,00 44 24 54,54 - 20.46 29 42 22 52,38 44 30 68,18 + 15.80 x = 61,11 X= 55,33 + 5.84 Tab. 6: Ergebnisse von 14 Probanden für Tl und T2 (,Basis 44') ** Erläuterungen zu den Tabellen auf der vorhergehenden Seite FLuL 21 (1992) How to use the words you need 233 4.2 Ergebnisse Um einen eventuellen Lernzuwachs der Studierenden hinsichtlich ihrer Wortverwendungskompetenz zwischen Tl und T2 feststellen zu können, müssen die Ergebnisse der beiden Tests miteinander verglichen werden. Ein solcher Vergleich der Ergebnisse derjenigen 14 Probanden, die sich beiden Tests unterzogen haben, ist in den Tabb. 5 und 6 enthalten. Betrachten wir zun~hst Tab. 5 etwas genauer: In Tl erreichen die Probanden einen durchschnittlichen Anteil (X) von 56,33 % richtiger Lösungen ( = korrekte Akzeptabilitätsurteile). Die Extremwerte liegen bei 39,10% (P20) einerseits und bei 76,15% (P27) andererseits; dies ergibt eine Spannweite von 37.05 Prozentpunkten (Standardabweichung = 7.99). Für T2 ist X = 61,67%; die Extremwerte liegen bei 50,90% (Pl) und 67,27% (P20). Die Spannweite beträgt hier demnach 17 .27 Prozentpunkte (Standardabweichung = 4.16). Auf der Basis von Tab. 6 ergeben sich die folgenden analogen Beobachtungen: In Tl erzielen die Probanden einen durchschnittlichen Anteil (X) von 55,33% richtiger Lösungen. Die Extremwerte liegen bei 38,63% (P20) einerseits und bei 75,00% (P27) andererseits; dies ergibt eine Spannweite von 36.37 Prozentpunkten (Standardabweichung = 8.55). Für T2 ist X = 61,17%; die Extremwerte liegen bei 47,72% (Pl) und bei 72,72% (P22). Die Spannweite beträgt hier demnach 25.00 Prozentpunkte (Standardabweichung = 7.92). Bevor wir die Ergebnisse einzelner Probanden näher betrachten, seien folgende allgemeine Beobachtungen festgehalten: Die Steigerung in Prozentpunkten bezüglich der Durchschnittswerte in Tl und T2 fällt relativ gering aus, und zwar sowohl auf der 'Basis 110' als auch auf der 'Basis 44': Es handelt sich lediglich um Steigerungen von 5.34 bzw. 5.84 Prozentpunkten. Statistisch betrachtet (p < .OS) ist der Lernzuwachs allerdings nicht signifikant; für 'Basis 44' ist p = .0886. Auffällig sind dagegen die Unterschiede in den Spannweiten der Testergebnisse: In Tl zeigen sich hier Werte von 37.05 (Basis 110) bzw. 36.37 (Basis 44) Prozentpunkten, während die Werte für T2 deutlich geringer ausfallen: 17.27 (Basis 110) bzw. 25.00 (Basis 44) Prozentpunkte. Dies läßt darauf schließen, daß durch die Veranstaltung die anfangs relativ großen Leistungsunterschiede offenbar in gewissem Maße ausgeglichen worden sind (vgl. auch die jeweils geringeren Standardabweichungen für T2). Anders als für die Probanden als Gruppe läßt sich für einzelne Probanden ein durchaus beachtenswerter Lernzuwachs von Tl zu T2 erkennen. Tab. 7 auf der folgenden Seite zeigt die jeweils höchsten Lernzuwachsraten in Prozentpunkten. Die Tabelle läßt insbesondere für P20, P3 und P25 deutliche Lernzuwachsraten sowohl auf 'Basis 110' als auch auf 'Basis 44' erkennen. Bei P20 und P25 liegt der Zuwachs auf breiter Ebene; die Zuwachsraten sind fast identisch bezüglich 'Basis 110' und 'Basis 44' (P20: 28.17 vs. 27.27; P25: 11.42 vs. 11.37). Bei P3 dagegen sind speziell Fortschritte bezüglich der "Sätze mit behandelten Lexemen" festzustellen; die Zuwachsrate für 'Basis 44' (20.45) liegt deutlich höher als diejenige für 'Basis 110' (12.77). Ähnliches gilt auch für P23 und P29: Während die Ergebnisse von P23 bezogen auf die vollständigen Tests ('Basis 110') sich von Tl zu T2 sogar geringfügig verschlechterten (- 0.05), liegt die Zuwachsrate für 'Basis 44' mit 13.75 deutlich über dem Durchschnitt. Auch bei P29 ist ein deutlicher Unterschied in der Höhe der jeweiligen Zuwachsraten zu erkennen: bei 'Basis 110' lediglich 4.28 Prozentpunkte, bei 'Basis 44' jedoch 15.80 Prozentpunkte. FLuL 21 (1992) 234 Jens Bahns 'Basis 110' 'Basis 44' Prozentpunkte Proband Prozentpunkte Proband + 28.17 P20 + 27.27 P20 + 12.77 P3 + 20.45 P3 + 11.42 P25 + 15.80 P29 + 7.65 P22 + 13.75 P23 + 7.20 P21 + 11.37 P25 (+ 4.28 P29) (+ 9.93 P22) (- 0.05 P23) (- 1.16 P21) Tab. 7: Die jeweils fünf höchsten Zuwachsraten auf 'Basis 110' sowie 'Basis 44'. ** Der untere Teil der Tab. gibt zu Vergleichszwecken die Werte derjenigen Probanden, die nur in einer der Aufstellungen vertreten sind, für die jeweils andere Basis. Zusammengefaßt würden diese Einzelergebnisse folgendes besagen: Einige Teilnehmer der Veranstaltung haben offenbar mehr gelernt als andere. Besondere Fortschritte hinsichtlich des im Kurs behandelten Materials lassen sich bei P3, P23 und P29 belegen; insgesamt deutlich verbessert haben sich die in den Tests geforderten Leistungen bei P25 und insbesondere bei P20. Die übrigen Teilnehmer haben wenig oder nichts dazugelernt. 5 Ausblick Wer eine zumindest an seiner/ ihrer Hochschule neuartige sprachpraktische Veranstaltung konzipiert und durchführt, möchte am Ende des Semesters gerne wissen, (1) ob es eine gute oder erfolgreiche Veranstaltung war; (2) ob die Studierenden etwas dazugelernt haben; (3) ob die Veranstaltung geeignet ist, ins regelmäßig wiederkehrende Lehrangebot des Studiengangs aufgenommen zu werden. Wie kann man Antwort auf solche Fragen erhalten? Hier scheint es mindestens zwei Wege zu geben: (a) Die empirische Überprüfung des Lernerfolgs wenn die Teilnehmer nachweisbar etwas dazugelernt haben, war die Veranstaltung erfolgreich; also kann sie in den Veranstaltungskanon aufgenommen werden; (b) Die Befragung der Teilnehmer wenn die Teilnehmer die Veranstaltung 'gut' fanden und zudem meinen, sie hätten etwas dazugelernt, dann war die FLuL 21 (1992) How to use the words you need 235 Veranstaltung 'gut'; also kann sie in den Veranstaltungskanon aufgenommen werden. Zu (a): Die empirische Überprüfung des Lemerfolgs ist im vorliegenden Fall versucht worden. Hat sie zu Antworten auf die obigen Fragen geführt? Die Frage (2) kann (mit Einschränkungen, s.o.) bejaht werden. Aber eine sinnvolle Antwort auf die Frage (1) würde voraussetzen, daß zuvor definiert wird, wann eine Veranstaltung als 'gut' oder 'erfolgreich' gelten kann: Ist dies der Fall bei einer durchschnittlichen Steigerung von 10, 20 oder 30 Prozentpunkten? Hier wird eines der vielen Probleme deutlich, auf die man bei der empirischen Überprüfung des Lernerfolgs stets stoßen wird. Weitere Probleme seien in Frageform nur angedeutet: Wie hätte ein Untersuchungsdesign auszusehen, mit dem man verläßliche und aussagekräftige Ergebnisse erhält? Genügt es, am Beginn und am Ende eines Kurses einen Test zu machen oder müßten nicht auch längerfristige Lerneffekte miteinbezogen werden? Schon die hier durchgeführte simple Lernerfolgskontrolle war relativ aufwendig. Die Konstruktion der Tests, die anschließende Überprüfung durch Befragung diverser native speakers sowie die Auswertung haben insgesamt fast so viel Zeit in Anspruch genommen wie die (anteilige) Vorbereitung der Veranstaltung selbst. Ist solcher Aufwand zu rechtfertigen? Wäre der ungleich größere Aufwand zu rechtfertigen, der bei einer Untersuchung zu treiben wäre, die „die Mindestanforderungen sozialwissenschaftlicher Forschung erfüllt [...] (eindeutige Problemstellung, exakte Begrifflichkeit, Kontrollgruppen, etc.)" (Zöfgen 1986: 174)? Zu (b): Eine Befragung der Teilnehmer ließe sich mit weitaus weniger Aufwand durchführen als eine empirische Überprüfung des Lernerfolgs. Es könnte ein einfacher Fragebogen entwickelt werden, in dem verschiedene Aspekte der Veranstaltung gezielt angesprochen werden (z.B. methodisches Vorgehen, Auswahl der Wortfelder). Die Studierenden könnten danach gefragt werden, ob sie sich außerhalb der Sitzungen mit dem Stoff beschäftigt haben und wenn ja wie sie dabei vorgegangen sind und welche 'Lerntechniken' sie ggf. angewendet haben. So ließen sich eventuell Erklärungen für die individuellen Unterschiede in den Lernzuwächsen (vgl. 4.2) finden. Schließlich könnten die Studierenden auch gebeten werden, die Veranstaltung zu bewerten. Auf diese Weise ließen sich zwar auch keine schlüssigen Antworten auf die Fragen (1) und (2) erhalten, aber man würde vermutlich zumindest Hinweise bekommen, die helfen könnten, die Veranstaltung wenn schon nicht 'gut' so doch besser zu machen, um sie dann erneut guten Gewissens ins Lehrangebot aufnehmen zu können. Ein solcher Fragebogen ist für diese Veranstaltung nicht entwickelt worden. Daher kann hier auch nicht abschließend die Überlegenheit einer solchen Vorge- FLuL 21 (1992) 236 Jens Bahns hensweise behauptet werden. Als Fazit bliebe somit nur die Einsicht (des Verfassers, aber vielleicht auch des Lesers), daß Skepsis angebracht ist gegenüber Versuchen, auf der Basis einer Überprüfung des Lernerfolgs zu verläßlichen Aussagen über die Qualität von sprachpraktischen Lehrveranstaltungen zu gelangen. Bibliographische Angaben ADDISON, A. / VOGEL, K. 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Mustersätze (Beispiel: DAMAGING) 1 The building was severely damaged by the explosion. 2 Unofficial strikes were damaging the British economy. 3 The incident was damaging to his career and reputation. 4 I stood very still, hoping they wouldn't harm my sister and me. Jens Bahns 5 If a father is away for long periods, this can harm a child's psychological development. 6 Getting up early won't harm you. 7 She hurt her leg when she fell. 8 Where does it hurt, Mr. Jones? 9 l'm sorry if I hurt your feelings. 10 lt wouldn't hurt most politicians if they tried using their brains. 11 He's going to injure himself if he isn't careful. 12 She was badly injured in the accident. 13 His reputation will be badly injured by these vicious rumours. 14 His digestion has been impaired by his recent illness. 15 He didn't want to have his face marred by a broken nose. 16 The new power station mars the beauty of the countryside. 17 You've spoilt everything by your rudeness. 18 'Oh you are spoiling me, aren't you', Clarissa said. 'First chocolates and now flowers! ' 19 The cook had spoilt the soup by putting too much salt in it. 20 The food will spoil if you don't keep it cool. B. Lückensätze (Beispiel: DAMAGING) 1 The storm .... many of the houses along the coast. 2 This year's apple crop was .... by long periods of drought. 3 She was .... by her friends critical remarks. 4 His jealousy .... their relationship. 5 My sense of time has been much .... by working at night. 6 The horse's legs were .... when it jumped over the fence. 7 My aunt's presence was the only thing that .... the enjoyment of my stay with the family. 8 Constant quarrelling is .... the happy family relationship. 9 Vandals seriously .... the priceless painting by slashing it with a knife. 10 Grandparents have a tendency to .... their grandchildren. 11 One's hearing can be .. ,. by loud disco music. 12 The outcome of the libel case badly .... his reputation as a man of honour and responsibility. 13 When his wife ran away with another man, John's pride was greatly ..... 14 The beauty of the summer afternoon was only .... by one shower. 15 Government warning: Smoking can .... your health! 16 You've .... the whole concert for me by coughing all the way through it. 17 Unofficial strikes were .... the British economy. 18 His digestion had been .... by his recent illness. 19 Another sherry won't .... you! 20 The children are playing with sharp toys: I'm afraid they might .... themselves. FLuL 21 (1992) How to use the words you need C. Übersetzung deutsch/ englisch (Beispiel: DAMAGING) 1 Diese Handlungsweise hat sein Ansehen schwer geschädigt. 2 Er war im Krieg schwer verwundet worden. 3 Mit dieser Bemerkung hast du ihn verletzt. 4 Es schmerzt mich, daß er mir nicht vertraut. 5 Das schlechte Wetter hatte die Veranstaltung stark beeinträchtigt. 6 Du wirst dir bei der schlechten Beleuchtung die Augen verderben. 7 Der Anbau hat das Schloß verunstaltet. 8 Bei dem Regen hat sie sich ihre Schuhe völlig ruiniert. 9 Er hatte das Buch etwas billiger bekommen, da es leicht beschädigt war. 10 Das viele Lesen schadet deinen Augen. 11 An dem rostigen Draht kann man sich leicht verletzen. 12 Der Verlust ihres Hundes schmerzte sie sehr. 13 Das Obst verdirbt, wenn es nicht bald gegessen wird. 14 Du hast dir damit selbst am meisten geschadet. 15 Sein gekränkter Stolz läßt diesen Schritt nicht zu. D. Auswahl von 20 Sätzen aus Test 1 1 I can forgive you your ignorance, but there is never any excuse for bad manners. 2 At least we have dissuaded her from inviting all our 45 cousins to the wedding. 3 Coloured cotton tends to wither if exposed to bright sunlight (fade); 4 I did my best to discourage him from this crazy project, but he is determined. 5 You can walk much further if you maintain a steady speed (pace). 239 6 We intended to walk along the coast to the next town but were diverted by the stormy weather (deterred). 7 The student has been greatly affected by the ideas of bis teacher (influenced). 8 Continual interruptions make it difficult to concentrate. 9 The shoulders of the exhausted man drooped as he trudged off to meet bis fate. 10 We've razed the wall between the two small bedrooms in order to put in a bathroom (pulled down). 11 The king pardoned all the rebels and let them go free. 12 The headmaster bimself coached my brother because his Latin was so bad. 13 A continual six-lane motorway, some 350 kilometers long, connects Penzance with London (continuous). 14 On bis travels he has gathered many rare plants (collected). 15 Her etemal complaining is really getting on my nerves. 16 The most critical part of the macbine has been broken (essential). 17 My sister instructed English in Africa for 3 years (taught). 18 Her sight has been permanently affected by her illness. 19 The music is marked by its many changes in tempo in just a few bars. 20 She polished the old table until it sparkled (shone). FLuL 21 (1992) 240 Jens Bahns E. Ergebnisse aller Probanden für T1 und T2 ('Basis 110') Test 1 Test 2 (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) 1 100 55 55,00 110 56 50,90 - 4.10 2 108 67 62,04 110 69 62,72 + 0.68 3 104 51 49,04 110 68 61,81 + 12.77 4 92 so 54,35 s 104 64 61,54 6 102 62 60,78 7 105 62 59,05 8 108 so 46,30 9 106 72 67,92 10 106 62 58,49 11 88 49 55,68 110 65 59,09 + 3.41 12 100 57 57,00 13 109 66 60,55 14 110 63 57,27 108 66 61,11 + 3.84 15 101 56 55,45 16 109 56 51,38 17 107 62 57,94 110 68 61,81 + 3.87 18 110 62 56,36 107 66 61,68 + 5.32 19 102 57 55,88 20 110 43 39,10 110 74 67,27 + 28.17 21 106 55 51,89 110 65 59,09 + 7.20 22 109 63 57,80 110 72 65,45 + 7.65 23 105 64 60,95 110 67 60,90 - 0.05 24 105 62 59,05 25 108 59 54,63 109 72 66,05 + 11.42 26 106 62 58,49 27 109 83 76,15 110 73 66,36 - 9.79 28 101 57 56,44 29 104 57 54,81 110 65 59,09 + 4.28 30 103 65 63,10 31 110 67 60,90 32 110 66 60,00 ** Zum Inhalt der Spalten (1)-(8) vgl. die Erläuterungen auf Seite 231. FLuL 21 (1992) Gabriele Blell Zur Arbeit mit dem literarischen Text im universitären Fremdsprachenunterricht - Motivationsfördernde Wirkungen durch eine fachübergreifende Übungsgestaltung Abstract. This article attempts to explain, through a short analysis of literary texts, the following hypothesis: Interactive linguistic and literary tasks and exercices, based on the inner structure of literary texts, cause a particular motivational effect on working with literature in practical English course_s. A lyrical text will serve to illustrate. 1 Arbeit am literarischen Text zur Steigerung kommunikativer Kompetenz Nachdem der literarische Text verhältnismäßig lange Zeit aus dem Blick des Fremdsprachenunterrichts [FU] geraten war (vgl. Spack 1985: 703; Hill 1989: 7; Appel 1990: 57; Rück 1990: 7), hat er im Konzept des kommunikativ orientierten FUs seit ca. Mitte der 70er Jahre seinen gebührenden Platz wiedergefunden (vgl. Müller 1989: 148; Spack 1985: 703; Appel 1990: 57). Trotzdem gilt sein sprachpraktischer Einsatz auch heute noch teilweise als umstritten (Brusch 1986: 50} oder aber er wird gänzlich überbetont (Carter 1987: 3). Die fremdsprachendidaktische Diskussion zu Problemen der Spezifik des literarischen Textes im FU wird dabei in den letzten Jahren unter verschiedenen sprachwissenschaftlichen, literaturwissenschaftlichen, ästhetischen Aspekten auch interdisziplinär zusätzlich belebt. Aus diesem Grunde bestimmen gegenwärtig recht unterschiedliche Meinungen die internationale methodische Diskussion über die Rolle des literarischen Textes im FU. Zahlreiche Veröffentlichungen weisen in diesem Kontext darauf hin, daß durch den Einsatz literarischer Texte im FU die Motivation zum Erlernen der fremden Sprache, in unserem Fall Englisch, gesteigert werden kann (Hill 1989: 7; Maley 1987: 95; Karbe 1990: 14). Im Rahmen dieser motivationalen Fragestellungen werden verschiedenartige Faktoren diskutiert und empirisch untersucht, wie z.B.: (a) Textauswahl/ Auswahlkriterien für den Einsatz literarischer Texte, (b) kontrastives methodisches Herangehen im Vergleich zu den übrigen Texten oder auch (c) das fremdsprachige Gespräch (Interpretationsgespräch) zum literarischen Text. FLuL 21 (1992) 242 Gabriele Blell Wenig Berücksichtigung fanden bis jetzt unter motivationalem Aspekt Überlegungen, die die Besonderheiten der Struktur des literarischen Textes mit in die Diskussion bringen. Die Struktur des jeweiligen literarischen Textes gibt den rezeptiven Prozessen (Erstrezeption, vertiefende Rezeption, postrezeptive Phase), damit auch der Motivierung bestimmte Leitlinien vor (Völkerling 1982: 38; Meinhardt 1990: 96). Daraus leiten wir die These ab, daß über eine aus der inneren Konsistenz des poetischen Textes abgeleitete interagierende linguistisch-literaturwissenschaftliche Aufgaben- und Übungsgestaltung eine besondere motivationsfördernde Wirkung für den Umgang mit Literatur, für die Entwicklung fremdsprachigen Könnens erzielt werden kann. Damit wollen wir gleichzeitig eine Möglichkeit fachübergreifender Textpraxis diskutieren und die Verbindung von sprachlich-literarischem (ästhetischem) Lernen zur fremdsprachigen Bildung nutzen. Um diese These beweisen zu können, wird eine auf wesentlichen linguistischen und literaturwissenschaftlichen Elementen basierende und diese verquikkende Beschreibung des literarischen Textes erforderlich. 2 Zur Typologisierung literarischer Texte textlinguistische und literaturwissenschaftliche Aspekte Prinzipiell begreifen wir literarische Texte im FU als authentische Texte spezifischer Art in vorwiegend schriftlicher oder auch mündlicher Manifestation, die ihre eigenen künstlerischen Wirklichkeiten schaffen und dabei den Artefakt mit dem Realen vermitteln. Linguistisch gesehen verstehen wir den Text, damit auch den literarischen Text; als eine "kommunikative und handlungsbezogene Einheit", "die durch hierarchische und sequentielle Struktur bestimmt ist" (Thielscher 1981: 7). Dieses Verständnis wird relativ gut in der von Handlungstypen ausgehenden texttypologischen Beschreibung von Egon Werlich (1975; 1986) widergespiegelt. Obwohl die Frage der Anwendbarkeit seines Typologisierungsversuchs auf einzelne Texte (auch literarische Texte) noch weiterer Klärung bedarf, scheint sein Herangehen jedoch praktikabel für unser Anliegen in der Englischen Sprachausbildung der Universität Potsdam, den Erwerb der kommunikativen Befähigung durch einen kombinierten thematisch/ textlichen Ansatz, d.h. durch ein Konzept der Textgenerierung aus elementaren Sprachhandlungen voranzutreiben. Damit ist sein wissenschaftliches Modell i".w.S. auch für unsere spezifischen Überlegungen relevant. Nach Werlich gehören alle poetischen Texte zur Textgruppe der fiktionalen Texte, d.h. sie sind zuallererst durch das Merkmal Fiktionalität gekennzeichnet (Werlich 1975: 20). Die Mehrheit literarischer Texte enthält spezifische Signale bzw. ist durch bestimmte Formen gekennzeichnet (Anfang, Konflikt, Ende, Perspektive etc.), die eine autonome „fiktive" Situation schaffen. Dahinein läßt der Autor Sachverhalte oder Gegenstände seiner Umwelt, persönliche Erfah- FLuL 21 (1992) Zur Arbeit mit dem literarischen Text im universitären Fremdsprachenunterricht 243 rungen von Raum, Zeit, Personen etc. fließen, die das gesamte Sprachmaterial subjektiv repräsentieren (subjektive Textform) (Werlich 1975: 48, 79). ,Fiktionalität' bzw. ,Fiktion' als literaturwissenschaftliche Kategorie erfährt eine ähnliche Bestimmung. Auf der Grundlage bzw. unter Zuhilfenahme des mehr oder weniger objektiv oder subjektiv Authentischen schafft der Autor eine fiktive, erfundene Wirklichkeit, die auf ästhetische Wirkung und Bedeutsamkeit beim Leser orientiert (vgl. Wilpert 1989: 298; Bredella 1980: 96 ff; auch Schlenstedt 1981: 160 f). Den literarischen Text aus literaturwissenschaftlicher Sicht als fiktiv zu bezeichnen, bedeutet vor allen Dingen, "daß der Leser die dargestellte Wirkliclikeit nicht auf ihre jeweiligen Entsprechungen in der außerästhetischen Realität überprüft, sondern sich ihrem Sinn zuwendet" (Bredella 1980: 97). Künstlerisch gestaltete Texte sind aus linguistischer Perspektive größtenteils texttypisch gemischte Texte, d.h. sie sind ähnlich wie nichtliterarische '.Texte textgrammatisch stets durch die Realisierung eines dominierenden Texttyps: Deskription, Narration, Argumentation, Instruktion (texttypische Konstituenten) oder mehrerer Texttypen (durch Texttypenwechsel) sowie durch textformspezifische Konstituenten strukturiert (vgl. Hill 1989: 11). Auch aus literaturwissenschaftlicher Sicht wird konstatiert, daß literarische Produktion nicht prinzipiell von anderen Methoden sprachlicher Produktion verschieden ist. " [I]n der meist geltenden Spannung zwischen modellierenden und berichtenden, reflektierenden, rhetorischen Funktionen des Textes wird dies auch strukturell", d.h. von der Form her greifbar (Schlenstedt 1975: 42). Erzählungen, Geschichten (Textformen/ Textsorten) in der Textformvariante einer Kurzgeschichte, Novelle, Anekdote oder eines Romans sind so z.B. durch bestimmte invariable Textformmerkmale wie z.B. Akteur, Veränderung, Raum und Zeit vorwiegend auf die Realisation des Texttyps Narration festgelegt (Werlich 1986: 158). Demgegenüber sind Gedichte ,offen' für eine dominante Realisierung nicht nur von Narration (etwa in Balladen), sondern auch der Deskription, Exposition, Argumentation und selbst der Instruktion und deren Mischung (Werlich 1986: 158). Zu berücksichtigen sind Ausnahmen; wie z.B. die postmoderne Literatur mit ihrem Infragestellen des Projekts der Modeme, bei der eine weitgehende Verfügbarkeit aller Genres und Formen und deren Vermischung festzustellen ist. 3 Sprachlich-semantische und poetische Dekodierung Die bis hierhin vorangetriebene Typologisierung stellt ohne Frage eine notwendige Hilfestellung für die Behandlung im FU dar. Wir vertreten dennoch die Meinung, daß die methodische Arbeit (Analyse, Deutung, Übungsgestaltung) am poetischen Text generell auf der Ebene der Einzeltexte anzusetzen ist (vgl. Thielscher 1981: 95). Ausschlaggebend für jedes literarische Werk, gleich wel- FLuL 21 (1992) 244 Gabriele Blell eben Texttyps, gleich welcher Textformvariante ist die Autorintention, die maßgeblich die innere Struktur des Werkes bestimmt. Genau an dieser Stelle treten Prioritäten der benachbarten Literaturwissenschaft hinzu, für die der "Text primärer Bezugs- und Ausgangspunkt für unterschiedliche Interpretationen [ist], die kulturelle Momente einschließen" (Graustein/ Thiele 1986: 125). Was die sprachliche Anlage betrifft, ist der literarische Text im Prinzip aus dem gleichen Zeicheninventar und nach den gleichen Verknüpfungsregularitäten wie nichtkünstlerische Texte aufgebaut bzw. sprachlich kodiert. Die Nutzung der in den sprachlichen Zeichen angelegten Möglichkeiten zum Ausdruck von Bedeutung ist im literarischen Text breiter als im nichtliterarischen (Polyfunktionalität) (Werlich 1986: 155; auch Purzeladse/ Kezba 1988: 246). Der Literaturwissenschaftler sieht hingegen das gleiche Merkmal ,funktionelle Vielschichtigkeit des Textes' immer vordergründig in der Gerichtetheit auf die Aktivierung des Lesers. Die Aneignungsweise von Literatur gestattet es, dem Leser über ästhetisches Vergnügen Muster von Werten oder Überzeugungen zu vermitteln, ihm Anregungen für das Denken und Impulse für das Handeln zu übertragen oder auch seinen Bildungshorizont zu erweitern. Der literarische Text kann aber auch einfach nur unterhalten und dabei zur Ausbildung der Genußfähigkeit beim Rezipienten beitragen (vgl. Bredella 1980: 104 f; Kasper/ Wuckel 1982: 29). c Trotz der Tatsache, daß der poetische Text so durchaus mit herkömmlichen linguistischen Mitteln beschrieben werden kann, ist damit nicht die im Text realisierte poetische Bedeutung (poetische Kodierung) rezipierbar. Der Grund dafür liegt darin, daß die poetischen Wirkungsqualitäten keine Eigenschaften der Sprachzeichen sind, "sondern nur Funktionen von deren Verwendung in einem ästhetisch-kommunikativen Prozeß" (Lerchner 1978: 13). Das Hinzutreten der ästhetisch-poetischen Kodierung im literarischen Text verlangt so nicht nur eine sprachlich-semantische Dekodierung, sondern auch eine poetische, d.h. insgesamt eine „doppelte Dekodierung" (Müller 1989: 149; auch Bykowa 1985: 370). Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang jedoch außerdem, daß auf gleiche Weise rezipierte Textbedeutungen unterschiedliche Sichtweisen, somit im Rahmen einer gewissen ,Rezeptionsamplitude' unterschiedliche Sinnerschließungen zulassen. Die Aussage ist in zweifacher Hinsicht bedeutsam: erstens, weil der literarische Text selbst so ,offen' ist, daß er diese Spannbreite zuläßt und zweitens - und das muß auch in den sprachpraktischen Übungen Beachtung finden weil die ,literarische Kompetenz' der Rezipienten durchaus unterschiedlich sein kann. Die spezifische Verschmelzung der kommunikativen mit der ästhetischen Funktion im literarischen Text verlangt folglich für die Behandlung in sprachpraktischen Lehrveranstaltungen methodische Formen, die der eigentümlichen Struktur literarischer Texte Rechnung tragen und damit auch - und das ist für uns wichtig motivationsfördemde Wirkungen implizieren. Mögliche methodische Formen se)len wir so z.B. in einer speziell auf den literarischen Einzeltext FLuL 21 (1992) Zur Arbeit mit dem literarischen Text im universitären Fremdsprachenunterricht 245 zugeschnittenen interagierenden linguistisch-literaturwissenschaftlichen Aufgaben- und Übungsgestaltung, die vor allem die emotionale Seite berücksichtigt. Damit sind Übungen und Aufgabenstellungen gemeint, die sprachliches und literarisches (ästhetisches) Lernen verbinden. Bei Mißachtung einer der beiden Seiten können z.B. hinsichtlich gelernter sprachlicher Einheiten gegenläufige Prozesse auftreten. Wir unternehmen mit unserem Aufgaben- und Übungsangebot den Versuch, die traditionelle Dichotomie Literaturwissenschaft vs. Sprachunterricht in einem übergreifenden Ansatz aufzuheben. 4 Sprachlich•literaturwissenschaftliche Übungsgestaltung Exemplifizierung an einem lyrischen Text Im folgenden wollen wir kurz auf Möglichkeiten der sprachpraktischen Realisierung eingehen und die von uns für die Übungsgestaltung geforderte sprachliche und literarische Kopplung in Umrissen an einem lyrischen Text exemplifizieren. Dem nachfolgenden Übungsangebot sollte eine möglichst kurze Analyse/ Interpretation vorangehen. Eine ausgedehnte kritische und stilistische Analysetätigkeit wäre bezüglich unserer angestrebten sprachpraktischen Zielsetzung wenig dienlich. Vielmehr sollten erst in und durch die unmittelbare Übungsgestaltung formale bzw. strukturelle Aspekte (mit-)analysiert werden, so daß die Studierenden deren Bedeutsamkeit für die literarisch-ästhetische Aussage in ihrer eigenen Tätigkeit erfahren und sie ihnen so einleuchtender erscheint. Amy Lowell Night Clouds The white mares of the moon rush along the sky Beating their golden hoofs upon the glass heavens; The white mares of the moon are all standing on their hind legs. Pawing at the green porcelain doors of the remote heavens. Fly mares! Strain your utmost, Scatter the milky dust of stars, Or the tiger sun will leap upon you and destroy you With one lick of his vermillion tongue. (entnommen Malkoc 1988: 43) Bevor wir uns einzelnen Übungsmöglichkeiten zuwenden (1.-6.), sei folgende Vorbemerkung gestattet. FLuL 21 (1992) 246 Gabriele Blell Was sich dem ersten Blick des Lesers zunächst als Prosainhalt zeigt, wird vom Autor sehr bald als wunderschönes sprachliches Bild heraufbeschworen: Nachtwolken, in Gestalt schimmelweißer Pferde, schlagen, auf ihren Hinterbeinen stehend, gegen die Himmelstür. Sie müssen den lichtgrauen Staub der Sterne zerjagen, um der Sonne zu entfliehen, die wie ein gewaltiger Tiger durch nur einen glühendroten Zungenschlag die Wolkenpferde zum Sterben bringen kann. Um die eigentümliche Dramatik Nachtwolken - Sonne noch zu erhöhen, leitet der Autor seine 2. Strophe kompositorisch durch den Ausruf "Fly mares ! " (Imperativ) ein. Aufgrund des relativen Übergewichts empfindungslyrischer Darstellungsweisen, die ihren Niederschlag in entsprechenden, vorwiegend deskriptiven und narrativen textlichen Realisationen finden, könnte bezüglich zu entwickelnder sprachlicher Tätigkeiten die Verbindung Lesen - Schreiben, das Herausfinden einzelner deskriptiver/ narrativer Gestaltungselemente in ihrer ästhetischen Vermittlung und deren schriftliche Anwendung im Vordergrund des Übungsgeschehens stehen. ► 1. Bei dem Gedicht handelt es sich um eine texttypisch gemischte Form, die textgrammatisch sowohl durch die Realisierung texttypischer Konstituenten der Narration, Deskription und Instruktion als auch deren Mischung bestimmt wird. Da dennoch deskriptive Elemente (Adjektive, Substantive) überwiegen, könnte als eine erste Übungsform im Rahmen einer pre-reading activity beispielsweise eine Assoziationsaufgabe gestellt werden. Es wäre denkbar, nur den Titel des Gedichts zu nennen oder ihn an die Tafel zu schreiben mit der Aufgabenstellung für den Studierenden, die bei ihm durch Vorstellungsverbindungen mit dem Gedichttitel bewirkten Adjektive (besonders Farben) oder Substantive zusammentragen zu lassen, die im Gedicht eine Rolle spielen könnten. (Think of nouns and adjectives (colours) which are likely to find in the poem.) Dabei wäre es nötig, z.B. bei Farbnennungen bereits auf mögliche Doppeldeutigkeiten in ihrer metaphorischen Bedeutung zu verweisen. ► 2. Die erste Begegnung mit dem Gedicht sollte genrespezifisch durch stilles Lesen oder durch lautes klanggestaltendes Vorlesen durch die Lehrkraft oder einen guten Studierenden erfolgen, um den oben beschriebenen Inhalt empfinden, die intendierten Assoziationen des Autors erleben zu können. Die durch affektiv-emotionale Dimensionen des Gedichts hervorgerufenen Bilder und Vorstellungen könnten hier vom Lernenden zeichnerisch, bei genügend Zeit in farblicher Gestaltung, umgesetzt werden als Brücke für nachfolgende, mehr kognitive Aufgabenstellungen. Derartige, starke emotionale Züge aufweisende Aufgaben, halten wir im Umgang mit literarischen Texten besonders in motivationaler Hinsicht für wichtig, um den ästhetischen Potenzen von Literatur Rechnung zu tragen. FLuL 21 (1992) Zur Arbeit mit dem literarischen Text im universitären Fremdsprachenunterricht 247 ► 3. Nach dem ersten Erfassen des Inhalts wäre es denkbar, den Ansatz zur Entwicklung deskriptiver/ narrativer schriftlicher Leistungen weiterzuführen und alle wichtigen Substantive und Adjektive in Schlüsselfunktion schriftlich herausziehen zu lassen und ihre metaphorische Funktion (insbesondere Farbassoziationen, intendierter Farbübergang als Realisierung des Übergangs Nacht - Tag) in der Gruppe zu diskutieren. kalt/ klar clouds { mares hoofs hind legs white golden sun J tiger L tongue green porcelain heaven glass heaven milky stars vermillion verschwommen heiß ► 4. Auf der Grundlage von 3. würden wir als eine nächste, jedoch relativ anspruchsvolle Übungsvariante vorschlagen, vom Studenten die miteinander verknüpften narrativen, deskriptiven und instruktiven Textteile sowie texttypische grammatische Konstituenten markieren und ihre Funktion zur poetischen Aussage in Relation stellen zu lassen. Genauso ließen sich an diesem Gedichtbeispiel einzelne prototypische Konstituenten narrativer oder deskriptiver Gestaltung induktiv erarbeiten (textlich/ thematischer Ansatz). narrativer Teil: deskriptiver Teil: instruktiver Teil: tense present aspect plain/ expanded participle clause progressive meaning (Verdeutlichung des galoppierenden Ritts) noun modifier prepositions rush along, beating upon, standing on, pawing at (Durch Präpositionen wird spezifisch lokale Textstruktur laut, die galoppierenden Ritt der Pferde widerspiegelt.) clause type imperative modals ► 5. Als eine anschließende Übung (postreading activity), nach Bewußtmachung relevanter narrativer Gestaltungselemente, wäre es möglich, das Gedicht schriftlich in eine ausschließlich narrative Textform zu bringen (3. Person). Eine Erhöhung des Schwierigkeitsgrades könnte durch die Verwendung eigener Worte erzielt werden (entlehnt Malkoc 1988: 43). ► 6. Um den fiktionalen Wirklichkeitsausschnitt im Gedicht mit der gegenwärtigen lebensweltlichen Erfahrung der Rezipienten zu verknüpfen, schlagen wir FLuL 21 (1992) 248 Gabriele Blell als abschließende relativ kreative Übung (after-reading activity) vor, eigene Erfahrungen der Studierenden zum Thema 'moon'/ ,'clouds' aufarbeiten und unter Verwendung erarbeiteter narrativer/ deskriptiver Gestaltungselemente miteinander schriftlich verflechten zu lassen, entweder in Gedicht- oder in Paragraphenform: Make a list of your own expressions to describe the moon and clouds at night. Can you arrange these into a poem form? (Malkoc 1988: 43). Eine solche Übung setzt jedoch die Kenntnis grundlegender textlicher Verflechtungsregularitäten voraus. Möglich und dabei vergnüglich wären an dieser Stelle auch kreativ verfremdende Aufi.abenstellungen, die den Studierenden über relativ ,unpassende', ,abwegige' Ubungen zusätzliche Einsichten in den literarischen Text vermitteln (vgl. Heuer/ Steinmann 1989: 35) und außerdem verschiedene Textsartenvarianten trainieren helfen: z.B. Rewrite the poem as an imaginary conversation between the sun and the night clouds. Rewrite the poem as part of a weather forecast (report). Write a precis of the poem. Diese Übungsformen würden den Studierenden deutlich machen, daß eigentlich nur die ursprüngliche Gedichtform die Aussage in voller Breite möglich macht. Mit der letzten Aufgabenstellung werden vor allem Elemente eines ausgesprochen kreativen, "interaktiven Umgangs mit Dichtung" (Rück 1990: 14) tangiert, d.h. i.w.S. das Verfassen von Texten, die einer in den Lehrveranstaltungen gelesenen Literaturgattung entsprechen. Mögliche Übungen dazu wären z.B. Dialogisierung eines narrativen Textes, Narrativierung eines Dialogs, Perspektivenänderungen, Fortsetzung einer Handlung, verschiedene Abstraktionsverfahren - Märchenmodernisierungen, Parodieren, Travestieren etc. (vgl. Becker 1989: 176 ff; auch Rück 1990: 14). Diese Form der Sprachproduktion ist in unserer studentischen Ausbildung bisher selten praktiziert worden, da sie bestimmte Vorarbeiten notwendig macht und eine relativ sichere Gattungskenntnis voraussetzt. Texttypologische Ambitionen sollten hier nicht übermäßig strapaziert werden. In dieser Art der Übungsgestaltung sehen wir jedoch besonders große Potenzen für den motivationalen Bereich (vgl. auch Mundzeck 1990: 44). Bibliographische Angaben APPEL, J.: "A survey of recent publications on the teaching of literature". In: ELT-Joumal 44.1 (1990), 66- 74. BECKER, N.: "Behandlung narrativer literarischer Texte und Sprachproduktion". In: Praxis des neusprachlichen Unterrichts 37.2 (1989), 175-185. BREDELLA, L.: Das Verstehen literarischer Texte. Stuttgart/ Berlin/ Köln 1980. BRUSCH, W.: Text und Gespräch in der fremdsprachlichen Erziehung. Hamburg 1986. BYKOWA, 0.: "Methodische Grundlagen der linguo-stilistischen Interpretation eines belletristischen Textes". 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Die bescheidenen Worte, mit denen die Herausgeberin diesen Band einleitet: "This volume, varied as it is in its content, may weil reflect the state of today's empirical research. lt shows efforts are being made in many areas [...]. But it also shows that much is yet to be done [.. .]" (S. 3) scheinen mir den auffallendsten Aspekt dieser Auswahl von 15 Vorträgen aus dem TRANSIF- Seminar, Savonlinna 1988, nicht angemessen hervorzuheben. Für mich las sich dieser Band wie eine konkrete Antwort auf die von den Theoretikern in letzter Zeit so oft geäußerte Forderung nach Wirkungsgleichheit beim Übersetzen. Die Mehrzahl dieser Artikel beschäftigt sich nämlich mit kontrastiven Analysen, die sich nicht wie zur Zeit des naiven Glaubens an einfach strukturierte Übersetzungsmaschinen mit der Gegenüberstellung von syntaktischen oder lexikalischen Strukturen zufriedengeben, sondern vielmehr die Makroebene von Text und kulturellem Hintergrund kontrastiv untersuchen, um dem Übersetzer Anhaltspunkte zu geben, mit denen er einen der Erwartungshaltung des Rezipienten Rechnung tragenden zielsprachlichen Text produzieren kann. So stellt z.B. Marianne Gretz ("The Concessive Textual Connector si in Medical Publications. A Comparative Study of French and German Texts" [131-145)) anhand einer kontrastiven Frequenzanalyse fest, daß es im fachsprachlichen Gebrauch deutscher und französischer medizinischer Zeitschriften unterschiedliche Präferenzen in der sprachlichen Aktualisierung der Konzessivrelation gibt; für das französische si, das in einem Satz wie «Si le taux d'echec initial n'est que de 5%, Je pourcentage brut de rechute est de 20%» laut Grammatik und Wörterbuch mit "Wenn auch [...] so doch" wiedergegeben werden müßte, erweist sich das pragmatische Äquivalent "jedoch und/ oder allerdings" als der Erwartungshaltung des deutschen Adressaten angemessener. Ähnlich geht Inkeri Vehmas-Letho vor ("Cohesion Flaws in Translations" [171-182)), und zwar mit der Begründung: "[ ...] translations need to be not only equivalent, but also acceptable and natural" (S. 171), wobei der Begriff "equivalent" sicher einer näheren Erläuterung bedürfte, da er "acceptable" und "natural" wohl einschließt. Mit Hilfe statistischer Untersuchungen an russischen und finnischen Wirtschaftstexten stellt Vehmas-Letho fest, daß finnische Texte dreimal soviel Konnektoren wie russische aufweisen und daß somit die Lesbarkeit des übersetzten Textes aufgrund mangelnder Kohäsion leidet, wenn man nicht eine den stilistischen Erwartungen finnischer Leser entsprechende Kompensierung vornimmt. Zu einer ähnlichen, ebenfalls statistisch abgesicherten Schlußfolgerung gelangt Kinga Klaudy ("Topic, Comment and Translation" [165- 169)), wenn sie u.a. darauf hinweist, daß der russische Nominalsatz in ungarischen sozialwissenschaftlichen Texten nicht einfach als Nominalsatz erscheinen kann, sondern je nach Informationsgehalt und Verbindungsfunktion des thematischen Satzteils vom ungarischen Adressaten bald als Nominalsatz, bald als Relativsatz interpretiert wird. Auf lexikalischer Ebene plädieren Arto Lehmuskallio, Viktor Podbereznyj und Hannu Tommola ("Towards a Finnish-Russian Dictionary of Finnish Culture-Bound Words" [157- 164)) für Wörterbücher kulturgebundener Wörter, in denen nicht nur die eventuellen Entsprechungen in der Zielsprache kommentiert, sondern in denen letztere auch mit zielsprachlichen FLuL 21 (1992) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 251 Definitionen versehen werden. Als Beispiel stellen sie ihr Projekt eines finnisch-russischen Wörterbuches finnischer kulturgebundener Wörter vor. Nils Erik Enkvist ("Discourse Type, Text Type and Cross-Culture Rhetoric" [5-16]) geht es über die Berücksichtigung nationaler textsortenspezifischer Eigentümlichkeiten hinaus um die Untersuchung kultureller Unterschiede, die sich in der Rhetorik und Textkonzeption niederschlagen und die bei der Übersetzung berücksichtigt werden sollten. Ähnlich wie der Soziologe Hans Galtung unterscheidet er verschiedene national bedingte Wissenschaftsstile, die den Übersetzer zwingen, die gesamte Textstruktur neu zu gestalten: "Thus Michael Clyne has argued that German scholarly writers tend to emphasize knowledge and theory, even at the expense of the reader, whereas English ones are more concemed with making their text readable". "Similarly, translators ought to be aware of such differences and ask themselves to what extent their responsibilities involve repatterning the entire argument to conform to the rhetorical traditions of the target language" (p. 12). Es handelt sich dabei um eine Überlegung, die K. Reiß und H. Vermeer bereits 1984 in ihrer Grundlegung einer allgemeinen Translationstheorie angestellt haben, die jedoch die Frage nach den Grenzen zwischen Übersetzung und "Nachdichtung" aufwirft. Ebenfalls eine Berücksichtigung kultureller Unterschiede fordert Christiane Nord bei der Übersetzung von Titeln ("Der Buchtitel in der interkulturellen Kommunikation: Ein Paradigma funktionaler Translation" [121-130]), während Ghelly v. Chemow ("Cognitive and Pragmatic Inferencing and the Intercultural Component in Translation" [27-34]) auf die Bedeutung des pragmatischen Inferenzierens beim Verständnis des Ausgangstextes aufmerksam macht und auf die Notwendigkeit einer Berücksichtigung der interkulturellen Komponente beim Übersetzen hinweist. Dieses Bewußtsein, der Erwartungshaltung des Rezipienten und somit den kulturellen Unterschieden Rechnung tragen zu müssen, bringt den Gerichtsdolmetscher, der unter Eid versprochen hat "gut und treu" zu übersetzen, in Konflikte: Treue gegenüber dem Wortlaut der bei der "courtroom interpretation" sicher eine größere Rolle als bei der "community interpretation" spielt - oder Treue gegenüber der Intention des ausgangssprachlichen Sprechers, die in ihrem Wortlaut, in ihrer Rhetorik und in ihrem kulturellen Inhalt der Erwartungshaltung des zielsprachlichen Rezipienten angepaßt werden muß, wenn die Wirkungsgleichheit bewahrt werden soll. Miriam Shlesinger ("Interpreter Latitude vs. Due Process. Simultaneous and Consecutive Interpretation in Multilingual Trials" [147-155]) lädt uns anhand einiger eindrucksvoller Beispiele zum Nachdenken über diese Frage ein. Zwei Beiträge befassen sich mit der Art von Ergebnissen, die man anhand von sog. Lautes-Denken-Protokollen (LPD) erzielen kann, sowie mit deren Validität für die Analyse des Übersetzungsprozesses. Zunächst räumt Wolfgang Lörscher ("Thinking-Aloud as a Method for Collecting Data on Translation Process" [67-77]), hauptsächlich unter Berufung auf Ericsson & Simon, sämtliche Zweifel an der Validität der Methode aus dem Weg, ohne allerdings eigene empirische Daten vorzulegen. Es handelt sich eher um eine Ankündigung seiner inzwischen erschienenen Habilitationsschrift: Translation, Performance, Translation Process, and Translation Strategies (Tübingen 1991). Hinzu kommt, daß der Autor es versäumt hat, seinen Beitrag als wörtliche Übernahme des Kapitels 4.4.1 (48-55) aus dieser Arbeit kenntlich zu machen. - Aufmerksamkeit verdienen die Überlegungen von Riitta Jääskeläinen und Sonja Tirkkonen-Condit ("Automatised Processes in Professional vs. Non-Professional Translation: A Think-Aloud Protocol Study" [89-109]), die mit Hilfe von LDP nachweisen, daß mit wachsender Professionalisierung des Übersetzers auch eine wachsende Automatisierung der Übersetzungsprozesse stattfindet, die wiederum mit einer größeren Sensibilisierung für neue Aspekte seiner übersetzerischen Aufgabe Hand in Hand geht. Damit soll Königs' Unterteilung der FLuL 21 (1992) 252 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel übersetzerischen Prozesse in einen „Ad-hoc-Block" und in einen „Rest-Block" in Frage gestellt werden (Sollte Königs wirklich diese beiden Kategorien als feste Größen mit unverrückbaren Grenzen verstanden haben? ). Eine eher skeptische Haltung gegenüber dem Ertrag der introspektiven Verfahren nimmt Kitty M. van Leuven-Zwart ein ("Translation and Translation Studies: Discord or Unity? " [35-44]), indem er vor zu starker Betonung der prozeßorientierten Forschung warnt und zur Rückkehr zu produktorientierten Studien aufruft. Mehr theoretischer Natur sind die Beiträge von Albrecht Neubert ("Models of Translation" [17 -26]) und Gideon Toury ("Experimentation in Translation Studies: Achievements, Prospects and Some Pitfalls" [45-66]), die beide den Versuch unternehmen, den aktuellen Stand der Forschung darzulegen und die verschiedenen übersetzungstheoretischen Richtungen zu kategorisieren. Eher irreführend ist dabei der Titel des Beitrags von A. Neubert, da in höchstem Maße fraglich ist, ob die undifferenzierte Nebeneinanderstellung von einem "computer model" und einem "psycholinguistic model" tatsächlich zum besseren Verständnis der übersetzungstheoretischen Diskussion beiträgt und ob hier nicht richtiger von "approaches" die Rede sein müßte, die hierarchisch zueinander in Beziehung zu setzen sind. Voller glänzender, richtungweisender Denkanstöße ist dagegen G. Tourys kritische Bilanz der neueren Ansätze in der übersetzungstheoretischen Forschung. Fazit: Trotz des manchmal etwas pidginhaften Wissenschaftsenglisch ein interessantes, mit vielen Beispielen und empirischen Forschungsergebnissen angereichertes Buch, das zu gefallen vermag und dessen Lektüre trotz des einen oder anderen Einwandes lohnend erscheint. Bielefeld Bemd Stefanink Thesaurus Larousse, des mots aux idees, des idees aux mots, ~ous la direction de Daniel Pechoin. Paris: Larousse 1991, XXI + 1146 S. [in der Bundesrepublik vertrieben durch Cornelsen Verlagsgesellschaft Bielefeld; DM 117, - ]. Das große Vorbild für alle Begriffswörterbücher ist immer noch Peter Mark Rogets berühmtes und zugleich bahnbrechendes Werk (Thesaurus of English Words and Phrases), das seit 1987 in einer neuen (sechsten), von Betty Kirkpatrick grundlegend überarbeiteten Fassung vorliegt. Der (neue) Thesaurus aus dem Hause Larousse ist sich dieser Tradition durchaus bewußt und möchte die im Französischen trotz der analogischen Wörterbücher von Boissiere (1862) und Maquet (1936) bestehende lexikographische Lücke nunmehr mit einem «strict equivalent» (Vorwort, VI) zu Roget schließen. Diese Intention darf allerdings nicht zu wörtlich genommen werden. Sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht nimmt der ThL eine (makrostrukturelle) Einteilung vor, die sich von derjenigen «que son devancier avait utilise pour l'anglais dans l'univers des significations» (VII) grundlegend unterscheidet. Die 873 „Artikel" des ThL sind um insgesamt 53 Oberbegriffe gruppiert, denen wiederum 14 Sachgebiete (wie z.B. La volonte et l'action oder La communication) übergeordnet sind, die sich ihrerseits auf drei Kategorien (A. Le monde; B. L'homme; C. La societe') verteilen. Grund für diese Entscheidung ist die zutreffende Feststellung, daß sich die Begriffsstruktur einer Sprache nicht direkt auf eine andere abbilden lasse und daß somit auch keine «comcidence parfaite entre les significations des mots de deux langues» (VI) bestehe; eine Einsicht, die dem von Hallig/ Wartburg (1952/ 1963) erarbeiteten übereinzelsprachlichen Ordnungsschema eine klare Absage erteilt. Beibehalten wurde dagegen die von Roget vertraute formalinhaltliche Anordnung der Artikel. FLuL 21 (1992) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 253 Der mikrostrukturellen Präsentation des Wortmaterials liegt ein einheitlicher Aufbau für alle Artikel zugrunde. Zwar weist die gewählte Strukturierung gewisse Parallelen zu Roget auf (Grobklassifizierung nach Wortarten); gleichwohl läuft der ThL seinem englischen ,Artgenossen' zumindest in diesem Punkt klar den Rang ab und besticht nicht zuletzt durch die auch (typo)graphisch unterstützte sehr übersichtliche Gesamtgestaltung. Über den Gebrauchswert dieses Wörterbuchs ist damit allerdings noch nichts ausgesagt. Gerade die in der jüngsten Vergangenheit intensiv geführte Diskussion um Benutzerinteressen und Benutzungszwecke, denen Wörterbücher dienen (können), hat zu der Einsicht geführt, daß sich Wörterbuchkritik vorrangig mit der Frage zu beschäftigen hat, für welche Adressatengruppen und für welche Zwecke ein Wörterbuch wichtig, nützlich oder brauchbar ist. Dies gilt in besonderem Maße für die sog. begrifflich gegliederten Sprach- und Wortschätze, deren Existenz sich nicht aus einem praktischen Benutzerbedürfnis heraus erklären läßt, sondern vielmehr aus Motiven, die erst im Kontext historischer Konstellationen verständlich werden. Erfreulicherweise bezieht das Vorwort in beiden Punkten klar Stellung, indem es sich (1) ausdrücklich an ein «public francophone» (VII) wendet, über deren Informationsbedürfnisse und Benutzungsgewohnheiten wir nicht weiter spekulieren wollen, und indem es (2) den ThL als einen «auxiliaire de l'expression [ecrite]» bezeichnet, zu dem der Benutzer unter zwei Bedingungen greift: «lorsqu'on ne connatt pas, ou lorsqu'on a oublie, le mot ou l'expression qui conviendrait Je mieux a l'idee que l'on veut exprimer» «lorsque Je mot ou l'expression qui vient a l'idee paratt inadequat et que l'on souhaite en trouver un mieux adapte a 1a nuance de sens que l'on souhaite rendre» (V). Hat diese Funktionsbestimmung nun auch für den (germanophonen) Fremdsprachenlehrer und -lerner Gültigkeit, der vom deutschen Lizenznehmer ausdrücklich zum potentiellen Adressatenkreis gerechnet wird und dem dieses Wörterbuch die Möglichkeit bieten soll, "das jeweils richtige Wort oder den treffenden Ausdruck für einen bestimmten Kontext" zu finden (so die Pressemitteilung des Cornelsen-Verlages)? Wir haben die Probe aufs Exempel gemacht und einige reale Benutzungsanlässe, wie sie uns aus langjähriger Erfahrung im universitären Fremdsprachenunterricht vertraut sind, nicht nur simuliert, sondern mit Studierenden „durchgespielt".' Das Ergebnis dieses wenn auch nicht repräsentativen so doch mit „realen" Wörterbuchbenutzern durchgeführten Tests legt zwei Schlußfolgerungen nahe: (1) Die überwiegende Zahl der Funktionen, die dieses Wörterbuch bei Übersetzungsarbeiten oder in Korrektursituac tion übernehmen soll, werden von den bekannten paradigmatischen und syntagmatischen Spezialwörterbüchern für den L2-Sprecher zuverlässiger erfüllt. (2) Mit seinen zahlreichen überblicksartigen Zusammenstellungen von z.T. hochspezialisiertem Fachvokabular erweist sich der ThL jedoch als eine willkommene Ergänzung zu den analogischen Wörterbüchern, ohne diese allerdings in jedem Fall ersetzen zu können. Insofern dürfte sich der Nutzen dieses Wörterbuchs nicht zuletzt aufgrund der hohen sprachlichen Anforderungen,· die es an' den nicht-frankophonen Benutzer stellt, (auch) für den (fortgeschrittenen) Fremdsprachenlerner und -lehrer in engen Grenzen halten. Eine ausführliche Analyse dieses Wörterbuchs, die den Versuch einer historisch-typologischen Einordnung umfaßt und bei der die einzelnen Benutzungssituationen eingehend dargestellt werden, erscheint unter dem Titel: " Trouver le mot qui convient le mieux ä l'idee .... Thesaurus Larousse ein neues Begriffswörterbuch für Französisch" in: Die Neueren Sprachen 91.6 (1992). FLuL 21 (1992) 254 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel Von solchen aus der L2-Perspektive vorgetragenen Einwänden bleibt das Verdienst des Herausgebers/ der Bearbeiter und ihr Bemühen um die begrifflich-abstrakte lexikographische Erschließung des französischen Wortschatzes unberührt. Bielefeld Ekkehard Zöfgen Henning Wode: Einführung in die Psycholinguistik. Theorien, Methoden, Ergebnisse. Ismaning: Hueber 1988, 399 Seiten [DM 38, - ]. Selbst wenn man berücksichtigt, daß Darstellungen, die in wissenschaftliche Disziplinen einführen, nur selten einen ausgewogenen Überblick über alle Teilbereiche der betreffenden Disziplin liefern können, muß zur vorliegenden Einführung als erstes angemerkt werden, daß verglichen mit anderen deutschsprachigen Einführungen in die Psycholinguistik wie z.B. Hörmann (1981), Engelkamp (1974), List (1973) konstitutive Teilbereiche der Psycholinguistik ganz ausgeblendet bleiben. Das zentrale Thema dieses Buches ist der Spracherwerb, den Henning Wode einer seiner Grundpositionen entsprechend integrativ untersucht, d.h. unter Einbeziehung aller möglichen Spracherwerbstypen. So werden im zentralen Kapitel B .(Lernerverhalten) die Forschungsergebnisse zum Erwerb der verschiedenen Strukturbereiche zunächst für den Ll-Erwerb referiert, wobei der mehrsprachige Ll-Erwerb (Bilingualismus) eine gesonderte Behandlung erfährt, sodann für den natürlichen L2-Erwerb und schließlich für den vermittelten Spracherwerb, d.h. den Fremdsprachenunterricht. Aus diesem integrativen Ansatz ergibt sich zwangsläufig die Frage nach den Gemeinsamkeiten und Unterschieden, die zwischen dem Spracherwerb im schulischen Kontext einerseits und in außerschulischen Erwerbssituationen andererseits bestehen, und damit letztlich auch die Kernfrage nach den Möglichkeiten einer Beeinflussung des Spracherwerbs; Wodes Einschätzung hierzu ist aus der vor einigen Jahren geführten Diskussion um die Abgrenzung zwischen Sprachlehrforschung und Zweitsprachenerwerbsforschung hinlänglich bekannt; sie erfährt hier nun gegenüber den früheren, gelegentlich etwas überzogenen Positionen eine wohltuende Differenzierung: Wode trägt einerseits zwar der spezifischen Art der Interaktion und weiteren Besonderheiten im Fremdsprachenunterricht Rechnung, möchte daraus andererseits jedoch nicht auf völlige Andersartigkeit der Lernfähigkeit schließen (S. 31). Insbesondere das Kapitel C (Steuerung und Steuerbarkeit) bietet ihm Gelegenheit, die wichtigsten sprachlichen und außersprachlichen Faktoren zu diskutieren, die den Spracherwerbsprozeß beeinflussen. Der derzeitige Wissensstand zu externen Steuerungsmöglichkeiten erscheint Wode dabei gerade mit Blick auf den Fremdsprachenunterricht jedoch „eher enttäuschend" (S. 344), und es bedarf seiner Ansicht nach dringend weiterer umfangreicher Studien, in denen der Fremdsprachenunterricht aus spracherwerblicher Sicht untersucht wird. Interessanterweise gewinnt in der Tat neuerdings die Analyse von Daten aus dem Fremdsprachenunterricht im Rahmen der Diskussion um die Prinzipien der Universal Grammar erneut an Bedeutung. Im einführenden Kapitel A, das in gut lesbarer Form die Voraussetzungen für das Verständnis der sich anschließenden Diskussionen schafft und u.a. auf die biologischen Grundlagen der menschlichen Sprach(lern)fähigkeit sowie auf unterschiedliche Erklärungsparadigmen für den Spracherwerb eingeht, entwickelt Wode auch seine eigenen Vorstellungen: er postuliert für die Verarbeitung von Sprache die Existenz linguo-kognitiver Fähigkeiten, die von anderer Art FLuL 21 (1992) Neuerscheinungen • Eingegangene Bücher 255 als die kognitiv-intellektuellen Fähigkeiten sind (S. 51), zugleich aber in die übrigen kognitiven Systeme des Gehirns integriert sind und mit ihnen interagieren (S. 57). Leider erlaubt der gegenwärtige Forschungsstand keine Präzisierungen bezüglich des Status dieses lingno-kognitiven Systems bzw. seiner Teilsysteme; für die Annahme, daß diese in ihrer Funktionsweise beeinflußbar wären, findet Wode in den von ihm referierten Forschungen nach eigenen Angaben jedoch keinerlei Anhaltspunkte (S. 292 f). Dieses Zwischenergebnis mag insbesondere für den mit der Sprachvermittlung betrauten Leser wenig ermutigend sein, es spiegelt aber wohl den derzeitigen Stand der Spracherwerbsforschung angemessen wider, der insgesamt durch die Vorläufigkeit der bisher erzielten Ergebnisse charakterisiert zu sein scheint. So gründen sich nach den Darstellungen Wodes einzelne Thesen und verallgemeinernde Aussagen nicht selten auf einige wenige Fallstudien, deren Generalisierbarkeit nicht immer unmittelbar einleuchtet. Dies gilt bis zu einem gewissen Grad auch für die zahlreichen Beispiele, die Wode sowohl bei den Beschreibungen zum einsprachigen Ll-Erwerb als auch insbesondere zum natürlichen L2-Erwerb aus dem sogenannten Kieler Korpus zum Ll-Deutsch/ L2-Englisch seiner vier Kinder anführt. Manche Passagen im Buch lassen vermuten, daß zur Zweitsprachenerwerbssituation dieser Kinder ein gehöriger Anteil metasprachlicher Kommentare gehört (z.B. S. 168) und daß Ergebnisse dieser Form des Zweitsprachenerwerbs nicht ohne weiteres auf andere "natürlichere" Erwerbssituationen übertragbar sind. Insgesamt bietet das Buch eine Fülle von Anregungen und ist mit seinem didaktisch klugen Aufbau (Zusammenfassungen, Thesen, Lektürevorschläge am Ende eines jeden Kapitels) und seinem gut lesbaren Stil auch für nicht linguistisch ausgebildete Interessierte verständlich. Bei der Vorliebe Wodes für die extensive Nutzung des Kieler Korpus mit Daten seiner inzwischen längst erwachsenen Kinder darf man sich im übrigen wohl auf nächste Arbeiten zur Fossilisierung freuen ... Kassel Manfred Raupach Neuerscheinungen - Eingegangene Bücher* BARDOSI, Vilmos: De fi1 en aiguille. Les Jocutions fran~aises: recueil thematique et Jivre d'exercices. Kalandozas a francia sz6läsok vilägäban. Budapest: Tankönnyvkiad6 1986, 222 Seiten. BARRERA-VIDAL, Albert / RAUPACH, Manfred/ ZÖFGEN, Ekkehard (Hrsg.): Grammatica vivat. Konzepte, Bescm·eibungen und Analysen zum Thema ,Fremdsprachengrammatik'. In memoriam Hartmut Kleineidam. Tübingen: Narr 1992 (Tübinger 'Beiträge zur Linguistik; 365), 287 Seiten. CAMALICH, Barbara / TEMPERINI, Maria Cristina: Übersetzung Deutsch-Italienisch. Ein Arbeitsbuch mit kommentierten Übersetzungen. lsmaning: Hueber 1992, 204 Seiten. [PONSJ COBUILD English Learner's Dictionary. [Editor in chief: John Sinclair]. London/ Glasgow: Collins & Stuttgart: Klett 1989, xii + 1204 Seiten. * Das Sternchen hinter einem Buch verweist auf den Rezensionsteil in diesem Jahrgang. FLuL 21 (1992) 256 Neuerscheinungen • Eingegangene Bücher HELLINGER, Marlis: Kontrastive Feministische Linguistik. Mechanismen sprachlicher Diskriminierung im Englischen und Deutschen. Ismaning: Hueber 1990 (Forum Sprache), 176 Seiten. HERBST, Thomas/ STOLL, Rita / WESTERMAYR, Rudolf: Terminologie der Sprachbeschreibung. Ein Lernwörterbuch für das Anglistikstudium. Ismaning: Hueber 1991 (Forum Sprache), 300 Seiten. [PONS] Micro Robert en Poche. Dictionnaire d'apprentissage de la langue francaise. Deuxieme edition par Alain Rey [et al.]. Paris: Le Robert 1988 & Stuttgart: Klett 1989, XXI + 1371 + LXVII Seiten. SABBAN, Annette/ WIRRER, Jan (Hrsg.): Sprichwörter und Redensarten im interkulturellen Vergleich. Opladen: Westdeutscher Verlag 1991, 226 Seiten. Thesaurus Larousse. Des mots aux idees, des idees aux mots, sous la direction de Daniel PECHOIN. Paris: Larousse, XXI + 1146 Seiten 1991 [Vertrieb in der Bundesrepublik: Cornelsen Verlagsgesellschaft, Bielefeld].* TIRKKONEN-CONDIT, Sonja (ed.): Empirical Research in Translation and Intercultural Studies. Selected Papers of the TRANSIF-Seminar, Savonlinna 1988, Tübingen: Narr 1991 (Language in Performance; S), 184 Seiten.* FLuL 21 (1992) Informationen • Nachrichten • Vorschau 5. Göttinger Fachtagung zur universitären Fremdsprachenausbildung Zeit: 25. bis 27. Februar 1993 Thema: Ort: Auskunft bei: Wortschatz und Fremdsprachenerwerb Sprachlehrzentrum der Universität Göttingen Dr. Klaus Vogel, Sprachlehrzentrum der Universität Göttingen, Weender Landstr. 2 (oder: Prof. Dr. Wolfgang Börner, ZFI der Universität Hamburg, von-Melle-Park 5, 2000 Hamburg 13) 21. Jahrestagung Deutsch als Fremdsprache Zeit: Thema: Tagungsort: Auskunft bei: 5. bis 7. Juni 1993 stand bei Redaktionsschluß noch nicht fest Universität Erlangen-Nürnberg Universität Erlangen-Nürnberg, Deutsch als Fremdsprache, Postfach, 8500 Nürnberg 1. X. Internationale Deutschlehrertagung des IDV Zeit: 2. bis 7. Juli 1993 Thema: Deutsch in einer sich wandelnden Welt Tagungsort: Auskunft bei: Universität Leipzig Universität Leipzig, Herder-Institut, Lumumbastraße 4, 0 - 7022 Leipzig. 10. Kongreß der Association international.e de linguistique appliqure (AILA) Zeit: 8. bis 15. August 1993 Thema: u.a. Erwachsene lernen Fremdsprachen Tagungsort: Universität Amsterdam Auskunft bei: Prof. Dr. A. Raasch, Romanistisches Institut der Universität des Saarlandes, 6600 Saarbrücken. 24. Jahrestagung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik (GAL) Zeit: September 1993 Rahmenthema: stand bei Redaktionsschluß noch nicht fest Tagungsort: Auskunft bei: Universität Leipzig GAL-Geschäftsstelle, Universität Duisburg, Postfach 101503, 4100 Duisburg 1. 15. Kongreß für Fremdsprachendidaktik. veranstaltet von der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung (DGFF) Zeit: 3. bis 6. Oktober 1993 Rahmenthema: Tagungsort: Auskunft bei: FLuL 21 (1992) Verstehen und Verständigung durch Sprachenlernen? Fremdsprachenunterricht in einem zukünftigen Europa Universität Gießen Prof. Dr. L. Bredella, Institut für Didaktik der engl. Sprache u. Literatur, Universität Gießen, Otto-Behagel-Str. 10, 6300 Gießen. 258 Informationen Nachrichten Vorschau Vorschau auf den Jahrgang 22 (1993) von FLuL In allen institutionellen Kontexten besteht ein nicht unwesentlicher Teil der Tätigkeit von Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrern darin, sprachliche Fehler zu identifizieren, zu beschreiben und zu klassifizieren, zu korrigieren und zu bewerten sowie ggf. zu therapieren. Von besonderem Interesse ist dieser Gegenstand vor allem deshalb, weil sich an seiner Behandlung gut aufzeigen läßt, welche Bedeutung theoretische Erklärungen für praktisches Handeln haben können und weil daran deutlich wird, wie eng Theorie und Praxis miteinander verzahnt und aufeinander angewiesen sind. Entsprechend diesen Vorgaben heißt der Themenschwerpunkt für den Jahrgang 22 (1993) "Fehleranalyse und Fehlerkorrektur". Bei Redaktionsschluß lagen Zusagen für folgende Beiträge vor: Dieter Cherubim (Göttingen): Zwischen Scylla und Charybdis: Schwierigkeiten beim Formulieren und bei der Bewertung von wissenschaftlichen Texten koreanischer Germanistikstudenten. Silke Demme (Jena): Fehleranalyse und Fehlerkorrektur - Die Anwendung fehleranalytischer Erkenntisse in der didaktischen Ausbildung von Fremdsprachenlehrern (DaF). WiJJis J. Edmondson (Hamburg): Warum haben Lehrerkorrekturen manchmal negative Auswirkungen? Claus Gnutzmann (Paderborn): Aus Fehlern lernen. Zur Theorie und Praxis der mündlichen Fehlerkorrektur im Englischunterricht. Karlheinz Hecht (München): Muttersprachliche Interferenz beim Erwerb der Zielsprache Englisch in Schülerproduktionen aus Deutschland, Frankreich, Italien, Schweden und Ungarn. Bernd Kielhöfer (Berlin): "Können Sie mir erklären, was hier falsch ist? " Das Problem von Fehlererklärungen als linguistische und didaktische Diskurse. Karin Kleppin / Frank G. Königs (Bochum): Grundelemente der mündlichen Fehlerkorrektur. Amei Koll-Stobbe (Kiel): Zur Auffächerung des Konzepts der Sprach- und Sprechflüssigkeit im Rahmen von bilingualen Unterrichtsmethoden. Hagen Kordes (Münster): Aus Fehlern lernen [Arbeitstitel]. Wrich Krafft / Ekkehard Zöfgen (Bielefeld): Fehleranalyse und Fehlerkorrektur als Übungsform [Arbeitstitel]. Dorothea Möhle / Manfred Raupach (Kassel): Ausdrucksschwierigkeiten als Merkmal von Lernersprache. Sprachproduktion fortgeschrittener Lerner des Französischen. Henning Wade (Kiel): Thema stand bei Redaktionsschluß noch nicht fest. In der Rubrik „ Vermischte Beiträge" sind vorgesehen: Ferdi Einert (Potsdam): Zur feldmäßigen Gliederung des verbalen Wortschatzes. Eine Darstellung aus der Perspektive sowjetischer und ostdeutscher Untersuchungen. Geplanter Themenschwerpunkt für Jahrgang 23 (1994): Wörterbücher und ihre Benutzer FLuL 21 (1992) Autoren/ Autorinnen der Beiträge Jens Bahns, Dr. phil., Akad. Oberrat, Pädagogische Hochschule Kiel, Sprachlabor & Audiothek, Olshausenstraße 75, 2300 Kiel. Arbeitsbereich: Zweitsprachenerwerb, Wortschatzarbeit. Vilmos Bardosi, Dr. phil., Dozent, Eötvös Lorand Universität Budapest, Lehrstuhl für Französische Sprache und Literatur, H-1145 Budapest, Amerikai ut 96. Arbeitsbereich: Französische Phraseologie und Lexikographie. Gabriele Blell, Dr. phil., Universität Potsdam, Fachbereich Anglistik/ Amerikanistik, Englische Sprachausbildung, Postfach 710/ 711, 0-1580 Potsdam. Arbeitsbereich: Sprachpraxis Englisch, Anglistik. Harald Burger, Dr. phil. Univ.-Prof., Universität Zürich, Deutsches Seminar - Linguistische Abteilung, Rämistraße 74/ 76, CH-,--8001 Zürich. Arbeitsbereich: Phraseologie, Mediensprache, Spracherwerb. Stefan Ettinger, Dr. phil., Akademischer Direktor, Leiter der Abteilung Romanische Sprachen I (Französisch, Portugiesisch), Sprachenzentrum der Universität Augsburg, Universitätsstr. 2, 8900 Augsburg. Arbeitsbereich: Lusitanistik, Übersetzungswissenschaft, deskriptive Linguistik (Französisch). Rosemarie Gläser, Dr. phil., Univ.-Prof., Universität Leipzig, Sektion Fremdsprachen/ Fachsprachenzentrum, Wissenschaftsbereich Englisch, Augustusplatz 9, 0- 7050 Leipzig. Arbeitsbereich: Angewandte Sprachwissenschaft/ Anglistik. Elisabeth Gülich, Dr. phil., Univ.-Prof., Universität Bielefeld, Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft, Postfach 100131, 4800 Bielefeld 1. Arbeitsbereich: Romanistik/ Linguistik. Annelies Häcki Buhofer, Dr. phil., Univ.-Prof., Universität Basel, Deutsches Seminar, Engelhof, Hadelberg 4, CH-4054 Basel. Arbeitsbereich: Spracherwerb, Phraseologie, Fachsprachen. Gertrud Greciano, Dr. phil., Univ.-PrÖf., Universite de Strasbourg II, 22, rue Descartes, F-67084 Strasbourg-Cedex. Arbeitsbereich: Deutsche Sprachwissenschaft. Regina Hessky, Dr. phil., Dozentin, Eötvös Lorand Universität Budapest, Germanistisches Institut, Bereich Sprachwissenschaft, H-1145 Budapest, Ajt6si Dürer sor 19- 21. Arbeitsbereich: Deutsche Phraseologie und Lexikographie. Anne Lise Kjier, Dr. phil., Wirtschaftsuniversität Kopenhagen, Institut für Deutsch, Dalgas Have 15, DK-2000 Frederiksberg/ Kopenhagen. Arbeitsbereich: Fachsprachenforschung. Ulrich Krafft, Dr. phil., Akad. Oberrat, Universität Bielefeld, Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft, Postfach 100 131, 4800 Bielefeld 1. Arbeitsbereich: Französisch. Peter Kühn, Dr. phil., Akad. Rat, Universität Trier, Fachbereich II: Lehrgebiet Deutsch als Fremdsprache, Postfach 3835, Im Treff 11, 5500 Trier. Arbeitsbereich: Germanistische Linguistik, Deutsch als Fremd- und als Muttersprache. Eckhard Roos, Dr. phil., Akad. Oberrat, Universität-GHS Paderborn, FB 3: Sprach- und Literaturwissenschaft (Anglistik/ Amerikanistik), Warburger Straße 100, 4790 Paderborn. Arbeitsbereich: Anglistik/ Linguistik, Didaktik der englischen Sprache. FLuL 21 (1992) 260 Autoren/ Autorinnen der Beiträge Barbara Stein, Dr. phil., Wiss. Angestellte, Romanisches Seminar der Universität Koblenz- Landau, Rheinau 3-4, 5400 Koblenz. Arbeitsbereich: Französische und spanische Sprachwissenschaft. Franz Rudolf Weller, Dr. phil., Studiendirektor, Elisabeth-von-Thüringen Gymnasium Köln, Nikolausstraße 51-53, 5000 Köln 41. Arbeitsbereich: Mitherausgeber der Zeitschrift Die Neueren Sprachen, Fremdsprachendidaktik (insbes. Literaturdidaktik), Edition französischer Schullektüren. Grundlagen für den Fremdsprachenunterricht Günter Nold (Hrsg.) Lernbedingungen und Lernstrategien Welche Rolle spielen kognitive Verstehensstrukturen? Tübinger Beiträge zur Linguistik 366 1992, 190 Seiten, DM 42,- . ISBN 3-8233-4221-5 Dieter Mindt Zeitbezug im Englischen Eine didaktische Grammatik des englischen Futurs Tüblnger Beiträge zur Linguistik 372 1992, 328 Seiten, zahlr. Tab., DM 76,- ISBN 3-8233-4227-4 Oddleif Leirbukt/ Beate Lindemann (Hrsg.) Psycholinguistische und didaktische Aspekte des Fremdsprachenlernens / Psycholinguistic and pedagogical aspects of foreign language learning Tübinger Beiträ9e zur Linguistik 377 1992, VI, 198 Seiten, DM 68,- ISBN 3-8233-5042-0 Batia Laufer-Dvorkin Similar Lexical Forms in lnterlanguage Language in Performance 8 1991, 247 Seiten, DM 124,- ISBN 3-8233-4077-8 George Dunbar The Cognitive Lexicon Language In Performance 7 1991, VI, 152 Seiten, DM 76,- ISBN 3-8233-4072-7 Heiner van Bömmel/ Herbert Christ/ Michael Wendt (Hrsg.) Lernen und Lehren fremder Sprachen 25 Jahre Institut für Didaktik der französischen Sprache und Literatur an der Justus- Liebig-Universität Gießen Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik 1992, 232 Seiten, DM 38,- ISBN 3-8233-4358-0 Karin Krüger-Thielmann Wissensbasierte Sprachlernsysteme Neue Möglichkeiten für den computergestützten Sprachunterricht Glessener Beiträse zur Fremdsprachendidaktik 1992, 270 Seiten, DM 39,80 ISBN 3-8233-4359-9 Maike Hansen/ Michael Wendt Sprachlernspiele Grundlagen und annotierte Auswahlbibliographie unter besonderer Berücksichtigung des Französischunterrichts Giessener Beiträse zur Fremdsprachendidaktik 1990, 86 Seiten, DM 22,80 ISBN 3-8233-4353-X ~ Gunter Narr Verlag Tübingen Grammatica vivat Konzepte, Beschreibungen und Analysen zum Thema 'Fremdsprachengrammatik' In memoriam Hartmut Kleineidam Herausgegeben von Albert Barrera-Vidal, Manfred Raupach und Ekkehard Zöfgen Tübinger Beiträge zur Linguistik 365 1992, 287 Seiten, DM 58,- ISBN 3-8233-4220-7 I. Konzepte und Positionen: W. Hüllen, Kognitive Linguistik eine Möglichkeit für den Grammatikunterricht. Ein neuer Vorschlag zur Lösung eines alten Problems - U. Ammon, Standarddeutsche Grammatik für Sprecher regionaler Varietäten. Aspekte eines in Vergessenheit geratenden sprachdidaktischen Konzepts - A. Raasch, Linguistische Kompetenz, lebendige Grammatik und sprachliche Praxis. An den Voraussetzungen kann es (eigentlich) nicht liegen... - J.-M. Zemb, Durer dans l'etre ou etre dans la duree. II. Fremdsprachengrammatik zwischen Linguistik und Didaktik: A. Barrera-Vidal, EI resultativo en espafiol actual- Interrelaciones entre tiempo, aspecto y modo de acci6n - J. de Bruyne, Nota acerca de elativos (sinteticos) de adjetivos que expresan une idea "cabal y absoluta" - Un ejemplo extremo - Chr. Schwarze, Hier oben, schräg gegenüber - Komplexe Ortsadverbiale im Deutschen und Französischen - F.J. Hausmann, "C'est joli comme idee" - Comme introducteur de classifieur thematique en frarn; ais parle - P. Blumenthal, Fehlerhafter Präpositionengebrauch in der französischen Fremdsprache - E. Zöfgen, Angabe oder Ergänzung fakultativ oder obligatorisch? (V erb-)Valenztheoretische Fragestellungen aus fremdsprachengrammatischer Sicht. III. Fremdsprachengrammatikographie im kritischen Vergleich: B. Spillner, Die älteste Duisburger Französisch-Grammatik - M. Gehnen, Discours indirect libre und erlebte Rede im grammatikographischen Vergleich - Th. Tinnefeld, Das Passiv als terminologisches Problem.· Analysen und Vorschläge unter besonderer Berücksichtigung der französischen Grammatikagraphie - K. Hartenstein, Sprachliche Realität und russische Grammatikagraphie. Eine kritische Bestandsaufnahme am Beispiel der Sammelzahlwortkonstruktionen. IV. Analysen aus der Sicht des Fremdsprachenlerners: H. Düwell, Grammatik lehren und lernen und die affektive Dimension - R. Dirven, Pedagogical grammar seen from the learners' point of view - H. Raabe, Analysen zum prozeduralen Wissen beim Fremdsprachenlernen - M. Raupach, Relativpronomina im Französischen - Zur Verfügbarkeit lernersprachlichen Wissens - M. Baur/ R.S. Baur, Elemente der Lernersprache: Der Einfluß des Lehrwerkes. Gunter Narr Verlag Tübingen Hinweise zu Beiträgen für FLuL Die Herausgeber bitten um sorgfältige Beachtung der folgenden Hinweise bei der Erstellung der Manuskripte: FluL begrüßt Beiträge zu Forschung und Unterricht aus allen für den Fremdsprachenunterricht an der Hochschule relevanten Bereichen sowie zum Fremdsprachenlehren/ -lemen im Ausland. Grundlage für jeden Beitrag sollte eine ausreichende wissenschaftliche Fundierung mit unmittelbarer oder mittelbarer Relevanz des Gegenstandes für die fremdsprachenunterrichtliche Tätigkeit an der Hochschule sein. Beiträge, die den schulischen Fremdsprachenunterricht zusätzlich zur Reflexionsgröße erheben, sind gleichennaßen willkommen. Umfang/ Sprache : Die Beiträge können auf Deutsch, Englisch, Französisch oder Spanisch abgefaßt sein; sie sollten 15 Druckseiten (= 49 000 Anschläge) nicht überschreiten. Dies entspricht etwa 20 Schreibmaschinenseiten mit 38 Zeilen a 65 Anschlägen . Gliederung: Dem Beitrag ist eine Zusammenfassung auf Englisch von 10 bis 15 Zeilen voranzustellen. Der Text sollte möglichst in Kapitel mit Kapitelüberschriften unterteilt sein. Unabhängig davon erfolgt die Numerierung der Kapitel grundsätzlich nach dem lateinischen Dezimalsystem (1, 1.1, 1.1.1, usw . ). Anmerkungen/ Literaturverzeichnis: Inhaltliche Anmerkungen und Literaturverzeichnis sind zu trennen. Die Anmerkungen sind durchzunumerieren und dem Beitrag auf einem getrennten Blatt beizulegen. Ein alphabetisches Literaturverzeichnis wird am Ende des Beitrages nach folgendem Muster zusammengestellt: HELBIG, Gerd (1991): "Grammatik und kommunikativer Fremdsprachenunterricht". In: Fremdsprachen lehren und lernen 20, 7-24. HÜLLEN, Werner (1990): "Universalsprachen ein fruchtbarer Irrtum des 17 . Jahrhunderts". In: LEUPOLD, Eynar / PEITER , Yvonne (Hrsg.): Interdisziplinäre Sprachforschung und Sprachlehre . Festschrift für Albert Raasch zum 60. Geburtstag. Tübingen: Narr, 85-96. KNAPP-POTIHOFF, Annelie / KNAPP, Karlfried (1982): Fremdsprachenlernen und -lehren. Eine Einführung in die Didaktik der Fremdsprachen vom Standpunkt der Zweitsprachenerwerbsforschung. Stuttgart [usw.]: Kohlhammer. Bibliographische Angaben im Text sollen den Namen des Autors, das Erscheinungsjahr der Publikation und ggf. die Seitenzahl(en) enthalten, z.B.: Hüllen (1990: 87) weist darauf hin, daß .... oder dieses Thema wird in der Literatur häufig behandelt (vgl. Knapp-Potthoff/ Knapp 1982; Klein 1984: 3-12). Illustrationen / Reproduktionen: Illustrationen sind in kopiergerechter, endgültiger (d.h . auf A 4 vergrößerter) Fonn auf einem gesonderten Blatt beizufügen. Auszeichnungen (gilt nur für maschinengeschriebene Manuskripte): - Kursivdruckist durch einfaches Unterstreichen im Manuskript kenntlich zu machen . - Unterstreichungen sind im Manuskript mit grün zu markieren. - Textstellen, die halbfett gedruckt werden sollen, sind rot zu unterstreichen. - Textpassagen, die «petit» (= im Schriftgrad des Anmerkungsapparates) gesetzt werden sollen, sind durch senkrechten schwarzen Strich am Rand zu markieren. Angaben zur Person umfassen: Vor- und Zuname, Akad. Grad, Institution und Dienstanschrift (ggf. Privatanschrift), Arbeitsbereiche (max. drei Stichwörter). Korrektur: Die Korrektur der Druckfahnen obliegt den Autoren/ Autorinnen; sie soll nach den Korrekturvorschriften des Rechtschreib-Duden erfolgen. Manuskripte werden erbeten an : Redaktion FluL, Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld, Postfach 10 01 31 • 33501 Bielefeld. Günther Sigott Zur Lernbarkeit von Englisch und Französisch für deutsche Muttersprachler Eine exploratorische Pilotstudie AAA- Buchreihe zur Zeitschrift 'Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik ' 6, 1993 , 210 Seiten, DM 48,-/ ÖS 375,-/ SFr 49,- ISBN 3-8233-4651-2 "Was ist schwieriger: Englisch oder Französisch? " In dieser interdisziplinären Untersuchung wird erstmals der Versuch unternommen, der Frage der "Schwierigkeit" der beiden im deutschen Sprachraum am häufigsten gelehrten Fremdsprachen unter Anwendung empirisch-wissenschaftlicher Prinzipien nachzugehen. Nach einem Überblick über Ansätze zur globalen Beschreibung von Sprachkompetenz folgt eine Analyse der Probleme, die bei der Konstruktion von solchen Sprachkompetenztests auftreten, deren Ergebnisse über Sprachen hinweg vergleichbar sein sollen. Die Ergebnisse einer empirischen Untersuchung, an der über 1000 österreichische Schülerinnen und Schüler an 15 Allgemeinbildenden Höheren Schulen teilnahmen, geben eine erste Antwort auf die Frage der Lembarkeit der beiden Sprachen und führen zu einer Skizze für vor allem sprachtesttheoretische Forschungsprojekte. Werner Delanoy / Johann Köberl / Heinz Tschachler (eds.) Experiencing a Foreign Culture Papers in English, American and Australian Studies Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik, 1993, 313 Seiten, DM 48 ,-/ ÖS 375,-/ SFr 49,- ISBN 3-8233-4364-5 Anne Gellert-Novak Europäische Sprachenpolitik und Euroregionen Ergebnisse einer Befragung zur Stellung der englischen und deutschen Sprache in Grenzgebieten Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik, 1993, 203 Seiten, DM 29,80/ ÖS 233 ,-/ SFr 30,80 ISBN 3-8233-4365-3 Birgit Apfelbaum Erzählen im Tandem Sprachlernaktivitäten und die Konstruktion eines Diskursmusters in der Fremdsprache. (Zielsprachen: Französisch und Deutsch) Tübinger Beiträge zur Linguistik 387, 1993, X, 239 Seiten, DM 78,- / ÖS 609 ,-/ SFr 80,- ISBN 3-8233-5052-8 gn\: 7 Gunter Narr Verlag • Postfach 25 67 · D-72015 Tübingen ISSN 0932-6936 ISBN 3-8233-4581-8