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Fremdsprachen Lehren und Lernen
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
1993
221 Gnutzmann Küster Schramm
FLuL 22. Jahrgang ( I 993) Fremdsprachen Lehren und Lernen Herausgegeben von Gert Henrici und Ekkehard Zöfgen ~ Gunter Narr Verlag Tübingen Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL) Zur Theorie und Praxis des Sprachunterrichts an Hochschulen Herausgeber und SchriftlHter: Gert Henrici und Ekkehard Zöfgen Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld Postfach 100131 · D-33501 Bielefeld Beratende Mitarbeit: Rupprecht S. Baur (Essen)• Wolfgang Bömer (Hamburg) Dieter Götz (Augsburg) · Franz Josef Hausmann (Erlangen) Wolfgang Herrlitz (Utrecht) Fremdsprachen Lehren und Lernen erscheint einmal jährlich mit einem Umfang voh ca. 240 Seiten. Das Jahresabonnement kostet DM 78,- (zuzügl. Postgebühren) . Vorzugspreis für private Leser DM 58,- (zuzügl. Postgebü hren/ Lieferung und Rechnung an Privatadresse), sofern sie dem Verlag schriftlich mitteilen, daß sie die Zeitschrift ausschließlich für den persönlichen Gebrauch beziehen. Erfolgt keine Abbestellung bis zum 1. Dezember, so verlängert sich das Abonnement automatisch um ein Jahr. © 1993 · Gunter Narr Verlag · Tübingen Die in der Zeitschrift veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte , insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieser Zeitschrift darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form durch Fotokopie, Mikrofilm oder andere Verfahren reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsanlagen, verwendbare Sprache übertragen werden. Auch die Rechte der Wiedergabe durch Vortrag, Funk- und Fernsehsendung, im Magnettonverfahren oder auf ähnlichem Wege bleiben vorbeha lten. Fotokopien für den persönlichen und sonstigen eigenen Gebrauch dürfen nur von einzelnen Beiträgen oder Teilen daraus als Einzelkopien hergestellt werden. Jede im Bereich eines gewerblichen Unternehmens hergestellte oder benützte K,opie dient gewerblichen Zwecken gern. § 54 (2) UrhG und verpflichtet zur Gebührenzahlung an die VG WORT, Abteilung Wissenschaft, Goethestraße 49 , 8000 München 2, von der die einzelnen Zahlungsmodalitäten zu erfragen sind. Druck: Laupp & Göbel, Nehren Bindung: Nädele, Nehren Printed in Germany ISSN 0932-6936 ISBN 3-8233-4581-8 Gunter Narr Verlag · Postfach 25 67 • D-72015 Tübingen Fehleranalyse und Fehlerkorrektur Gert Henrici, Ekkehard Zöfgen Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 3 Hagen Kordes Aus Fehlern lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Karlheinz Hecht, Peter S. Green Muttersprachliche Interferenz beim Erwerb der Zielsprache Englisch in Schülerproduktionen aus Deutschland, Frankreich, Italien, Schweden und Ungarn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Willis J. Edmondson Warum haben Lehrerkorrekturen manchmal negative Auswirkungen? 57 Karin Kleppin, Frank G. Königs Grundelemente der mündlichen Fehlerkorrektur - Lemerurteile im (interkulturellen) Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Claus Gnutzmann, Marion Kiffe Mündliche Fehler und Fehlerkorrekturen im Hochschulbereich. Zur Einstellung von Studierenden der Anglistik 9J Dorothea Möhle, Manfred Raupach Ausdrucksschwierigkeiten als Merkmal von Lernersprache. Sprachproduktion fortgeschrittener Lerner des Französischen . . . . . . . . . . . . . . 109 Dieter Cherubim, Georg Schön Zwischen Scylla und Charybdis ? Schwierigkeiten koreanischer Germanistikstudenten beim Formulieren von wissenschaftlichen Texten und Probleme ihrer Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Bernd Kielhöfer ; ,Können Sie mir erklären, was hier falsch ist! ? " Zum Problem von Fehlererklärungen .................................... 149 (Fortsetzung umseitig) Silke Demme Fehleranalyse und Fehlerkorrektur - Die Anwendung fehleranalytischer Erkenntnisse in der didaktischen Ausbildung von Fremdsprachenlehrern (Deutsch als Fremdsprache) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Amei Koll-Stobbe Falsch oder anders? Überlegungen zu Fehlerbewertungen im Fremdsprachenunterricht aus der Sicht der Sprachgebrauchslinguistik . . . . . . . . . . 175 Nlcht-thematlscher Tell Ferdi Einert Zur feldmäßigen Gliederung des verbalen Wortschatzes. Eine Darstellung aus der Perspektive einiger sowjetischer und ostdeutscher Untersuchungen ........................................ 189 Klaus Hartenstein Angewandte Linguistik und Sprachlehrforschung. Plädoyer für ein konstruktives Wechselverhältnis zwischen zwei Disziplinen .......... 201 Gert Henrici Fremdsprachenerwerb durch Interaktion? Zur Diskussion und Überprüfung einer Hypothese aus der Forschung zum gesteuerten Zweitsprachenerwerb ......................................... 215 Buchbesprechungen • Rezenslonsartlk.el Ekkehard EGOS/ Isabelle MORDELLET: Phonetique et Phonologie du franr; ais. Theorie et pratique. Tübingen: Niemeyer 1990 (Bernd Stefanink) ..•......•.. 238 Helga DIELING: Phonetik im Fremdsprachenunterricht Deutsch. Berlin [usw.]: Langenscheidt 1992 (Klaus Vorderwülbecke) ........................ 241 Neuerscheinungen • Bucheingänge 244 Informationen • Nachrichten • Vorschau auf 1994 245 Autoren und Autorinnen der Beiträge 247 FLuL 22 (1993) Gert Henrici, FJkkehard Zöfgen Zur Einführung in den_ Themenschwerpunkt Die Fehleranalyse mit ihren Teilgebieten ist eines der zentralen Tätigkeitsfelder von Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrem, in dem detaillierte Kenntnisse unverzichtbar sind. Nur wenn die Lehrenden kontinuierlich die für diesen Bereich relevanten Forschungsergebnisse der einschlägigen Referenzwissenschaften Linguistik, Fremdsprachenerwerbsforschung und Fremdsprachendidaktik wahrnehmen, können sie in diesem Tätigkeitsfeld eine fachlich kompetente Arbeit leisten. Angesichts der Bedeutung der Fehleranalyse für den Fremdspr~henunterricht ist es erstaunlich, daß in den letzten Jahren relativ wenige Publikationen erschienen sind, die unter theoretischen, empirischen und fa1; : hdidaktischen Gesichtspunkten Untersuchungen zu einzelnen Teilbereichen der Fehleranalyse vorgelegt haben (Lavric 1988; Zawadzka 1988; Demme 1989, 1990; Krumm 1990; Ouanes 1992). 1 E; ine gewisse Ausnahme bilden die Arbeiten zur Korrektur (Gnutzmann 1989; Hecht/ Green 1989; Kleppin 1989; Schaefer 1990; Kleppin/ Königs 1991; Timm 1992). Daneben verdienen die Themenhefte Erwähnung, die von fachdidaktischen Zeitschriften, wie etwa Die Neueren Sprachen (Weller 1991) oder Der fremdsprachliche Unterricht - Englisch (8 (1992)), in den letzten Jahren publiziert wurden, wenngleich sie sich ersichtlich „mehr oder weniger auf dem 'klassischen' Boden der schulischen 'Lapsologie"' (Weller 199J: 583) bewegen. Die Beschäftigung mit Problemen der Fehleranalyse dokumentiert auf eindrucksvolle Weise, welche Funktionen theoretisch und empirisch ausgerichtete Arbeiten ·für den Fremdsprachenunterricht haben können, und wie ein kooperativ-interdisziplinäres Verhältnis zwischen Theorie und Praxis aussehen kann. Noch heute allerdings mit abnehmender Tenderµ; wer~n Fehler sowohl beim Rezipieren als auch beim Produzieren von sprachlichen .Äußerungen als Leistungsversagen eingestuft, gegen das es vorzugehen gilt. Fehler dokumentieren mangelnden Fleiß und entsprechende darauf beruhende Defizite in der Fremdsprachenbeherrschung (Brooks 1960; Rojas 1971; Kielhöfer 1975). Spätestens seit Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre kann diese Einschätzung allerdings nicht mehr gelten (Corder 1967; Selinker 1972; Leisi 1973). Zahlreiche empirische 1 Um den interessierten Lesern und Leserinnen einen möglichst differenzierten Einstieg in die Thematik zu ermöglichen, wird entgegen bisherigen Gepflogenheiten im ersten Teil der Einführung in den Themenschwerpunkt grundsätzlicher argumentiert und die für das Thema relevante Literatur extensiver zitiert. FLuL 22 (1993) 4 Zur Einführung in den Themenschwerpunkt Arbeiten aus der angewandten Linguistik und aus der Fremdsprachenerwerbsforschung haben gezeigt, daß Fehler beim Fremdwie beim Erstsprachenerwerb natürliche Etappen auf dem langen Weg eines Prozesses sind und jeweils als wichtige Indikatoren für den augenblicklichen Erwerbsstand dienen (vgl. u.a. Wode 1978; Fehse 1982; Mayr 1985; Wienold 1985; Krumm 1990). Innerhalb dieser Forschungen ist jedoch nach wie vor strittig, ob für alle Lerner beim Erwerb von Erst- und Fremdsprache(n) gleiche Entwicklungsverläufe und -stufen auf allen sprachlichen Ebenen anzunehmen sind und in welcher Weise und in welchem Umfang individuelle Lernervariablen und andere Faktoren Lernzeitpunkt und Lerntempo bestimmen. Damit verbunden ist auch die Beantwortung der wichtigen und offenen Frage, ob von didaktisch-methodischen Eingriffen beim Spracherwerbsprozeß eine Wirkung ausgeht, und wenn ja, wie groß die Wirkung ist (vgl. exemplarisch Pienemann 1986; Bahns 1989). Während traditionellen Auffassungen über den Umgang mit Fehlern ein statisches Modell von Lernen zugrunde liegt, das auf behavioristischen Lerntheorien beruht und das den Lernprozeß als ein einfaches Input-Output-Modell darstellt (vgl. dazu u.a. Nickel 1971, 1972 und 1973), interpretieren neuere Ansätze aus der Lernersprachenforschung den Spracherwerbsprozeß als einen kreativen und dynamischen sowie reziproken und interaktiven Prozeß, der zwischen Individuen innerhalb und außerhalb von Gruppen stattfindet (vgl. etwa Long 1983; Ellis 1985 und 1990; Henrici 1989). Dabei werden Fehler als nützliche Hinweise auf Lehr-/ Lernprozesse, als Instrument zur Sprachstandsdiagnose, als Indikatoren für Lernfortschritte, Lernstillstände und Lernrückschritte sowie von Umstrukturierungsprozessen und Verarbeitungsformen analysiert (Corder 1967; Selinker 1972; Hatch 1978, Frerch 1979; Raabe 1980). Fehler werden also im wesentlichen „positiv" interpretiert. Neben Hinweisen zu weiteren Lernanstrengungen und -notwendigkeiten werden die bereits erreichten Lernfortschritte gewürdigt. Fehler werden hinsichtlich ihrer unterschiedlichen Funktionen gewichtet. Diese können verschiedene Aspekte betreffen: u.a. positive oder negative Wirkungen auf den Spracherwerb oder Funktionen wie z.B; Grammatikalität (Systemnorm), Akzeptabilität (Gebrauchsnorm), Adäquatheit (pragmatische Norm) oder Verständlichkeit (vgl. Kasper 1975). Im einzelnen können dazu gezählt werden: einfache/ komplexe(re), monotone/ variable(re) Ausdrucksweisen, Verwendung von strukturierenden, differenzierenden Ausdrucksmitteln in der mündlichen und schriftlichen Kommunikation, die auch wichtige Kriterien zur Beurteilung von Sprachdaten darstellen. Hinsichtlich der Phasierung bzw. Gliederung der Fehleranalyse in einzelne Teilgebiete gibt es wenig Dissens. Es werden in der Regel mehr oder weniger differenziert folgende Teilgebiete unterschieden: 1. Fehlerbeschreibung: identifizieren, klassifizieren; 2. Fehleranalyse: typisieren, explizieren (Kuhs 1987). Hinzu kommen: 3. Fehlertherapie: korrigieren, üben zum Vermeiden von Fehlern; 4. Fehlerbewertung: quantifizieren, qualifizieren, benoten (Schmidt 1993). FLuL 22 (1993) Zur Einführung in den Themenschwerpunkt .5 Die Identifizierung von Fehlern ist eine äußerst strittige Angelegenheit, mit der sich Generationen von Linguisten und Fremdsprachendidaktikern auseinandergesetzt haben (vgl. Kasper 1975; Fehse 1982; Königs 1983). Die generelle Frage lautet durchgehend: Welche sprachliche Norm ist zugrunde zu legen, um eine begründete Entscheidung darüber treffen zu können, ob ein Fehler vorliegt oder nicht und welches Gewicht ihm beizumessen ist. An welche Kodifizierungen, an welche Repräsentationen und Repräsentanten habe ich mich zu halten? An welchen Grammatiken, an welchen Wörterbüchern, an welchen Institutionen bzw. an welchen Sprechern/ -innen sollen wir uns orientieren (Rattunde 1977a, 1979)? Für die Praxis des Identifizierens von Fehlern werden häufig das mehrmalige Lesen der Sprachdaten, die Anfertigung eines Mustertextes und.die Befragung der LernendeQ empfohlen, aus der auf die von ihnen angestrebten kommunikativen Ziele geschlossen werden kann bzw. auf die verwendeten Strategien, z.B. ob sie bestimmte sprachliche Realisierungsformen vermieden, reduziert oder paraphrasiert haben (Tran-Thi- Chau 1975; Kleinmann 1977; Cherubim 1980; Kl! hs 1987). Für die Fehlerbeschreibung von schriftlichen Sprachprodukten stehen mittlerweile eine Reihe von mehr. oder weniger differenzierten Klassifikationsvorschlägen zur Verfügung, die jedoch im Hinblick auf terminologische Klarheit und Trennschärfe von unterschiedlicher Qualität sind (Fehse/ Nelles/ Rattunde 1977; Cherubim 1980). Für die Beschreibung von mündlichen Fehlern stehen bisher ausgearbeitete Klassifizierungen aus. Was die Fehleranalyse anbetrifft, so läßt sich darüber streiten, ob nicht auch die Typisierung ähnlich wie die Klassifizierung von Fehlern der Fehlerbeschreibung zuzuordnen ist. In der Mehrzahl der Fälle wird von Fehlerklassifikationen dann gesprochen, wenn die Fehler bestimmten sprachlichen Ebenen zugeordnet w.erden (lexikalisch-semantische, morphologische, syntaktische, phonologisch-phonetische), von Fehlertypisierungen hingegen, wenn von typischen Manifestationen von Fehlern die Rede ist. Dabei handelt es sich meistens um zusammenfassende Darstellun~ gen von Fehlern, die auf den sprachlichen und nicht-sprachlichen Ebenen (z.B. Akzent, Intonation, Rhythmus) festgestellt werden, z.B. Auslassung ("omission"), Doppelmarkierungen ("double marking'.'), Übergeneralisierung (''regularization"), Archiformen ("archiforms"), alternierende Formen ("alternating forms"), Permutationen ("misordering") (vgl. detaillierter Dulay/ Burt/ Krashen 1982). Wie diese beispielhafte Auflistung zeigt, finden sich in ihr bereits Ansätze zur Erklärung von Fehlern, wie sie von der Angewandten Linguistik initiiert (Nickel 1972; Richards 1974; Sehachter 1974; Rein 1983) und von der Fremdsprachenerwerbsforschung unter Einbeziehung des Prozeßcharakters von Spracherwerb und unter Berücksichtigung von außersprachlichen Faktoren vertieft und erweitert worden sind (Raabe 1977; Bausch/ Raabe 1978; Schumann/ Stenson 1978). Dabei spielen auch fremdsprachenunterrichtliche Einflüsse eine wichtige Rolle, wie z.B.: interimsprachliches Lehrverhalten (Lübke 1977), falsche Erklärungen und Regelformulierungen von seiten der Lehrenden (Henrici/ Herlemann 1987) oder in Lehrmaterialien und Übungsbüchern (Radden 1975), das „Aneinandervorbeireden" der Unterrichtsbetei- FLuL 22 (1993) 6 Zur Einführung in den Themenschwerpunkt ligten (Arbeitsgruppe Fremdsprachenerwerb Bielefeld 1989) und überdimensionierte Übungseffekte ("transfers of training") (vgl. dazu etwa Selinker 1972; Edmondson 1986). Nicht unerwähnt bleiben dürfen auch jene "klassischen" Typologisierungsversuche, wie sie in den folgenden Oppositionspaaren und Begrifflichkeiten zum Ausdruck kommen: Kompetenz- und Performanzfehler (Nickel 1971, 1972), System- und Gebrauchsfehler ("errors/ mistakes") (Corder 1973), Flüchtigkeitsfehler (Bierwisch 1970; Sehachter 1974), unsichtbare Fehler (Rieck 1980), lokale und globale Fehler (Burt/ Kiparski 1974), manifeste und latente Fehler (Corder 1974). 2 Mit der Typologisierung von Fehlern nach ausgewählten Kriterien ist häufig eine Hierarchisierung von Fehlern verbunden, die z.B. nach dem Kriterium der Fehlerhäufigkeit erfolgen kann (Legenhausen 1975, 1977; Kuhs 1987). Was die Fehleranalyse angeht, so sind unter dem Einfluß der genannten Disziplinen Fehlererklärungen nach der Kontrastivhypothese (interlinguale / interferenzielle) und der Identitätshypothese (intralinguale) zum festen Bestandteil unseres Erklärungsinventars geworden (vgl. Bausch/ Kasper 1979). Dabei ist weiterhin empirisch nicht eindeutig geklärt, welche Anteile diese beiden Erklärungstypen in unterschiedlichen Situationen mit verschiedenen Lernerkonstellationen und bei einzelnen Lernenden haben. Ausschließlichkeitspositionen für den einen oder anderen Erklärungstyp werden allerdings nicht mehr vertreten. Monokausale sind von multikausalen Erklärungen abgelöst worden. Daß Fehler auch auf bestimmten Strategien beruhen, die in unangemessener Weise eingesetzt"werden (u.a. Vermeidungen, Reduktionen, Übergeneralisierungen), haben die Interlanguage-Hypothese und entsprechende ihr zuzuordnende Untersuchungen belegt (Richards 1971; Kasper 1975; Kleinmann 1977; Bausch 1981). Besondere Aufmerksamkeit haben unter dem Einfluß der kommunikativen Linguistik und der diskursanalytisch und interaktionistisch geprägten Fremdsprachenerwerbsforschung Korrekturhandlungen und Korrekturinteraktionen erfahren (z.B. Edmondson 1983, 1986; Rehbein 1984; Henrici/ Herlemann 1986; Kleppin/ Königs 1991). Über die Ergebnisse dieser Untersuchungen kann sich die Praxis des Fremdsprachenunterrichts nicht einfach hinwegsetzen. Dies betrifft in besonderer Weise die Verfasser von Übungstypologien, die der Vermeidung von Fehlern dienen. Die Fehlertherapie, die von einer Reihe von Autoren der Fehleranalyse zugerechnet wird (Thielicke 1982), liegt unserer Auffassung nach schon relativ weit weg von der Fehleranalyse im engeren Sinn, ohne daß damit deren Bedeutung für die konkrete Praxis des Fremdsprachenunterrichts in Institutionen in Frage gestellt werden soll. 2 Zu einer besonders interessanten, von den bisherigen Differenzierungen abweichenden Typologisierung vgl. Knapp-Potthoff (1987: 215 f): z.B. 1. "Fehler, die man mit Überzeugung gemacht hat"; 2. "Fehler, die man (zum Glück) nicht gemacht hat"; 3. "Fehler, die die anderen nicht sehen (jedenfalls nicht sofort)" [...]; 10. "Fehler, die man jetzt nicht mehr machen sollte". FLuL 22 (1993) Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 7 Die Fehl~rbewertung (bzw. Fehlerbeurteilung) sowie die Benotung von Fehlern sind in der augenblicklichen Situation des FremdsprachenunterriGhts (Zertifikats- und Prüfungsverfahren) unverzichtbar (Timm 1992). Als Referenzwissenschaft leistet hier· die Testtheorie wichtige Hilfsdienste; sie argumentiert jedoch auf einer anderen Basis als die bisher genannten Referenzwissenschaften und wird deshalb hier auch nur der Vollständigkeit halber erwähnt. 3 Das Spektrum der.hier versammelten Beiträge ist nicht umfassend. Dies kann es angesichts des zur Verfügung stehenden Platzes auch nicht sein. Dem Titel des thematischen Schwerpunktes entsprechend dominieren Aspekte, die in den Bereich von Fehleranalyse bzw. Fehlerbeschreibung und Fehlerkorrektur fallen. Hinzu kommt, daß sich eine univoke Zuordnung zu den oben erwähnt~n Teilbereichen in den wenigsten Fällen hätte rechtfertigen lassen. Die vorgenommene Gruppierung zu drei Themenblöcken orientiert sich deshalb einerseits an den besonderen Bedingungen des institutionellen Erwerbskontextes, andererseits an relevanten Unterschieden zwischen mündlichem und schriftlichem Korrekturverhalte.n. Gemäß diesen Präzisierungen steht im Zentrum des ersten Themenblocks der schulische Fremdsprachenunterricht. Im einleitenden Artikel stellt Hagen Kordes (Münster) seine Methode des 'Aus-Fehlern-Lernens' vor, bei der die in den Performanz-Irrtümern und Kompetenz-Fehlern identifizierten Lernerprobleme und Lernerstrategien gezielt für die Ausbildung einer interimsprachlichen Kompetenz genutzt werden. Veranschaulicht wird das methodische Vorgehen an einer „offenen" Interaktionsaufgabe, die darin bestand, in der Fremdsprache auf die Einladung einer französischen Deutsch-Klasse zu antworten. Aus der'Analyse der Interakte und den detailliert beschriebenen Entwicklungsstufen im Regelverhalten von zwei Schülern der Jahrgangsstufe 11 leiten sich interessante Schlußfolgerungen für die Kompetenzbildung in L2 ab, die dieser Studie zufolge in den Klassen 11 bis 13 u.a. durch 'regressiven' Rekurs auf die Muttersprache charakterisiert ist. Mit muttersprachlicher Interferenz in Schülerproduktionen beschäftigen sich auch Karlheinz Hecht (München) und Julien S. Green, die über ein umfangreiches empirisches Projekt zur Erforschung von LI -Transfer beim Erwerb der Zielsprache Englisch berichten. Zu vier Kernfragen liefert die multilingual ausgerichtete Untersuchung eine empirisch abgesicherte Antwort: ( 1) LI-Transfer als negative Übertragung von Sprachstrukturen aus LI auf das Englische ist universal und stc: ; ht damit in keinem nachweisbaren Zusammenhang zur jeweiligen Schulart. (2) LI- Transfer nimmt mit der Zahl der Lernjahre ab. Dies gilt jedoch nur unter der Voraussetzung, daß man eine Korrelation zwischen Unter- und Oberstufe herstellt. (3) Die Aufgabenstellung hat keinen statistisch signifikanten Einfluß auf den LI- Transfer. (4) Mit Ausnahme des Italienischen führt größere Sprachdistanz zwischen 3 An neueren (seit 1985 erschienenen) Arbeiten seien exemplarisch genannt: Klein-Braley/ Raatz (1985), Feldmann/ Grotjahn/ Stemmer (1986), Grotjahn (1987), Bachmann (1990), Klein-Braley (1992). FLuL 22 (1993) 8 Zur Einführung in den Themenschwerpunkt Ll und L2 in aller Regel nicht zu einer deutlichen Abnahme von muttersprachlicher Interferenz. Der Rezeption und lernerseitigen Beurteilung der mündlichen Fehlerkorrektur ist der zweite Themenblock gewidmet. Willis J. Edmondson (Hamburg) wendet sich den psycholinguistischen Auswirkungen zu, die das Korrekturverhalten des Lehrers auf den Fremdsprachenlerner haben kann. Unter den aus der Diskussion verschiedener Aspekte des unterrichtlichen Diskurses gewonnenen Einsichten verdient vor allem die These Aufmerksamkeit, der zufolge sich das „traditionelle" Verlangen nach Wiederholung einer Äußerung bzw. nach Selbstverbesserung innerhalb einer Fehlerbehandlung häufig als „kontraproduktiv" erweist, und zwar in dem Sinne, daß es sowohl den Sprachfluß hemmt, als auch negatives 'feedback' in der affektiven Dimension hervorruft und daß der Lehrer damit zudem eine Verringerung des potentiellen Lernzuwachses riskiert. Ebenfalls aus Lernersicht argumentieren Karin Kleppin und Frank G. Königs (Bochum), die mit Hilfe von durch Beobachtung, Interview und (schriftlicher) Befragung erhobenen Datensätzen den Auffassungen und Einstellungen von Fremdsprachenlernern aus verschiedenen Ländern zu Fehlern und korrigierenden Eingriffen des Lehrers auf die Spur zu kommen suchen. Wenngleich aus forschungsmethodologischer Sicht nur partiell miteinander vergleichbar, sind die Ergebnisse dieser Untersuchung nicht nur deshalb aufschlußreich, weil sich über die kulturellen Grenzen hinweg deutliche Parallelen in der Einschätzung und Beurteilung von Lehrerkorrekturen abzeichnen, sondern auch deshalb, weil sich etliche Befunde mit Erkenntnissen aus einer Befragung decken, die Claus Gnutzmann und Marion Kiffe (Paderborn) mit 133 Studierenden der Anglistik an der Universität Paderborn durchgeführt haben und über die sie in diesem Band eingehend informieren. So hielten nahezu alle Befragten Korrekturen nicht nur für grundsätzlich notwendig, sondern empfanden sie außerdem auch als äußerst sinnvoll. Bei einer Mehrheit - und dazu gehören selbst jene, die sich von Lehrerkorrekturen in ihren Formulierungsbemühungen eher gehemmt fühlen besteht sogar der Wunsch nach systematischer und durchgängiger Korrektur; ein Verlangen übrigens, daß mit der darüber hinaus konstatierten Toleranz sowie differenzierten Bewertung von Fehlern und Korrekturen in eigentümlicher Weise kontrastiert. Die fremdsprachendidaktischen Konsequenzen solcher Aussagen lassen sich schwer abschätzen. Nicht verschwiegen werden sollte aber, daß sich das klare Bekenntnis für Fehlerkorrekturen nicht ohne weiteres mit den sprachdidaktischen Implikationen der lnterlanguage-Forschung und der kommunikativen Didaktik in Einklang bringen läßt. Der dritte Themenblock beschäftigt sich mit der fehlerhaften Sprachproduktion fortgeschrittener Lerner des Französischen und Deutschen sowie mit Konsequenzen, die sich aus komplexen Korrekturhandlungen und unzureichenden Fehlererklärungen nicht zuletzt auch im Hinblick auf die gezielte Förderung der „Korrekturkompetenz" zukünftiger Fremdsprachenlehrer ergeben. Ausgangspunkt der Überlegungen von Dorothea Möhle und Manfred Raupach (Kassel) ist die praktizierenden Fremdsprachenlehrern sicher bekannte Diskrepanz FLuL 22 (1993) Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 9 zwischen Ausdrucksabsicht und Ausdrucksvermögen, die eben nicht wie oftmals fälschlicherweise vermutet - Zeichen für einen quantitativ unterentwickelten Wortschatz ist. Vielmehr sind die Ursachen für diese tiefe Kluft vornehmlich in der fehlenden Kenntnis der vielfältigen Verwendungsweisen schon erworbenen Wortgutes sowie in der mangelnden Vertrautheit mit den gebrauchsbedingten Restriktionen lexikalischer Einheiten zu suchen. Die kaum zu widerlegende Tatsache, daß viele Fehlformulierungen auf muttersprachlichen Einfluß· zurückzuführen sind, nehmen die· Autoren zum Anlaß, dieses üblicherweise unter dem Stichwort „Interferenz" diskutierte Phänomen aus der Perspektive neuerer (kognitiv ausgerichteter) psycholinguistischer Forschung zu beleuchten. Die vorgeschlagenen Maßnahmen, die den Weg weisen, um hier wirksam Abhilfe zu schaffen, legen den Schluß nahe, daß man Ausdrucksschwierigkeiten auf der Formulierungsebene didaktisch anders begegnen muß als solchen auf der Konzeptualisierungsebene. Vergleichbare Beobachtungen gaben den Anstoß für den nächsten Beitrag, in dem sich Dieter Cherubim und Georg Schön (Göttingen) mit Schwierigkeiten koreanischer Germanistikstudenten beim Formulieren wissenschaftlicher Texte und den dabei entstehenden Problemen ihrer Bewertung auseinandersetzen. Dank einer differenzierten Fehleranalyse gelingt ilinen der Nachweis, daß die aufgedeckten Schwächen nur zu einem Teil auf Strukturdifferenzen zwischen Ll und L2 bzw. auf fachspezifischen Gegebenheiten beruhen. Vieles spricht dafür, daß sie vielmehr in einem Bereich anzusiedeln sind, der die pragmatischen Fertigkeiten tm weitesten Sinn des Wortes betrifft und bei dem es um die Rezeption, Strukturierung und sprachliche Umsetzung fachsprachlichen Wissens geht, was vor allem in einem übertrieben b>mprimierten und in einem aus dem Wunsch nach Selbstaufwertung geborenen komplizierten Stil zum Ausdruck kommt. Sprachliche Fehlgriffe dieser Komplexität lassen erahnen, vor welche schier unlösbare Aufgabe der zukünftige Fremdsprachenlehrer manchmal gestellt ist, will er Fehler nicht nur "richtig" korrigieren, sondern sprachliche Normen auch kompetent erklären. Was aber wissen wir eigentlich über Art und Aussehen von Lehrererklärungen sowie darüber, welchen Nutzen der Lerner aus metasprachlichen Diskursen tatsächlich zu ziehen vermag? Zur Klärung dieser Frage möchte Bernd Kielhöfer (Berlin) beitragen, der sich damit zugleich auf weitgehend unerforschtes Terrain begibt. An fünf schwierigen Fehlerfällen, die ausnahmslos mit dem französischen Artikelgebrauch zu tun haben und die von Lehrenden in sehr unterschiedlicher Weise kommentiert werden, wird die Problematik von metasprachlichen Erklärungen aufgezeigt. Die zu jedem einzelnen Fallbeispiel unterbreiteten Erklärungsvorschläge, in denen einiges von dem verwirklicht ist, was eine nach Ansicht des Autors „gute" Spracherklärung ausmacht, unterstreichen, daß es den Probanden nur selten gelungen ist, die zweifellos vorhandene Intuition in eine linguistisch und didaktisch zufriedenstellende Erklärung umzusetzen. Daß selbst ausgebildete Fremdsprachenlehrer weder die zentralen Beschreibungskategorien wie 'Regel' und 'Ausnahme' noch grammatische Kategorien wie 'Attribut', 'Prädikatsnomen', usw. beherrschen, wirft ein bezeichnendes Licht auf die universitäre Ausbildung, die es FLuL 22 (1993) 10 Zur Einführung in den Themenschwerpunkt offensichtlich versäumt, die Fähigkeit, grammatische Strukturen zu interpretieren und kohärente Erklärungen zu komplexen sprachlichen Problemen abzugeben, in dem erforderlichen Maße zu entwickeln. Silke Demme (Jena) greift das sichtbar gewordene Ausbildungsdefizit auf und wendet sich der Frage zu, wie die Korrekturfähigkeiten im Bereich der schriftlichen Sprachproduktion systematisch entwickelt und geübt werden können. Der dabei ausdrücklich thematisierte Aspekt der Fehlertherapie bleibt natürlich auch für die in diesem Zusammenhang entworfene Übungstypologie sowie für das im Anschluß daran vorgestellte Computerprogramm nicht ohne Folgen, das dazu bestimmt ist, authentische Fehler tschechischer Deutschlehrerstudenten zu analysieren und zu korrigieren. Der thematische Teil klingt aus mit grundsätzlichen Überlegungen von Amei Koll-Stobbe (Kiel) zu allgemeinen Aspekten der Fehlerbewertung als Bewertung von Sprachverhalten. Tenor ihres Plädoyers für eine veränderte Einstellung gegenüber (fehlerhaften) Äußerungen von Fremdsprachenlernern ist die Überzeugung, daß die vereinfachende kategoriale Beurteilung nach „falsch-richtig" der Komplexität und Variabilität des tatsächlichen Sprachgebrauchs nicht gerecht wird und daß deshalb bereits Schüler lernen sollten, Sprachen als offene Systeme zu begreifen und mit den Abweichungen in und von der Zielsprache kognitiv und interaktiv umzugehen; Zitierte Literatur ARBEITSGRUPPE FREMDSPRACHENERWERB BIELEFELD (Albrecht, u. [u.a.]: "Aneinandervorbeireden im Fremdsprachenunterricht". In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 18 (1989), 159- 176. BACHMANN, L.: Fundamental considerations in language testing. Oxford [etc.] 1990. BAHNS, J.: "Die Anwendung von Ergebnissen der Zweitsprachenerwerbsforschung auf den Fremdsprachenunterricht". In: B. Kettemann [et al.] (Hrsg.): Englisch als Zweitsprache. Tübingen 1989, 69-86. 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On the example of two students' utterances (' interacts') we identify in (competence-)mistakes and (performance-) ·errors leamer problems and leamer strategies. These are used as orientating help-mark: ers for the reorganisation of the learner language as well as for the shaping of an interlingual competence. Such practical research results in an attempt to establish 'plateaus' in which students try on different levels (of consciousness) and with different means (of mental organisation) to grow out of the 'natural history' of their mother tongue socialization and to 'spin themselves' more and more into the 'cultural history' of their foreign language acquisition. 0. Lerner sind dazu da, Fehler zu machen; Forscher analysieren und Lehrer korrigieren sie. Aber ob aus den Fehlern gelernt wird, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. Offensichtlich steht der schulübliche Umgang mit Fehlern vor einem Dilemma: Einerseits glaubt er, unter allen Umständen an der Institution der Fehler-Bewertung festhalten zu müssenaus Sorge, sonst den 'sprachlichen Boden' unter den 'didaktischen Füßen' zu verlieren; andererseits akzeptiert er es, mit seiner in der Fehlerkorrektur ·impliziten permanenten Bewertung und Abwertung die Entfaltung der Lernersprache zu hemmen und die Kompetenzmotivation der Schüler zu blockieren. 1. Ein methodischer Vorschlag zur 'Verhandlung' zwischen theoretischer Fehleranalyse und praktischer Fehlerkorrektur Ich beschreibe im folgenden skizzenhaft eine Methode des 'Aus-Fehlern-Lernens', die aus 'Verhandlungen' vor allem mit Schülern, aber auch mit Lehrern entstanden ist (Kordes/ Budde 1985; Kordes 1994). Es ist allerdings gleich vorweg zu sagen, daß wir mit dieser Methode nicht einer neuen illusorischen Hoffnung Nahrung geben wollen, die glaubt, ein wissenschaftlicher Ansatz könne die alltägliche Praxis von Lehrern und Lernern grundlegend und dauerhaft umwälzen. Diese Methode ist das Ergebnis einer intensiven, langjährigen und mühseligen Zusammenarbeit. Sie ist stets neu mit neuen Lehrern und Lernern auszuhandeln, und sie wird stets zu neuen Methoden gelangen. Was diese Methode des 'Aus-Fehlern-Lernens' von den anderen Ansätzen des 'Fehlerkorrigierens' und des 'Fehleranalysierens' unterscheidet, läßt sich grob verkürzt wie folgt zusammenfassen: FLuL 22 (1993) 16 Hagen Kordes Tableau 1: Schematische Kontrastierung dreier Methoden des Umgangs mit Fehlern Fehler Korrigieren 'Fehler Korrigieren' kreidet als 'Fehler' alle Abweichungen von den Intuitionen an, die ein idealisierter native speaker von seiner Muttersprache hat. Fehler Analysieren 'Fehler Analysieren' markiert in den 'Fehlern' Irrtümer, die daraus resultieren, daß der Lerner neben der ungenügend bekannten Fremdsprache noch andere Bezugssprachen und damit auch andere teilweise persönliche ('idiosynkratische') Intuitionen von der Grammatikalität der Fremdsprache hat, als der native speaker. Aus Fehlern Lernen 'Aus .Fehlern Lernen' identifiziert in den Kompetenz- Fehlern und Performanz- Irrtümern aktuelle Lernerprobleme und Lernerstrategien und nutzt diese als Orientierungshilfen für die Reorganisation der Lernersprache sowie für die Ausbildung einer interimsprachlichen Kompetenz. Wir wollen unsere Methode an einem kleinen Ausschnitt aus unseren Kommunikationsaufgaben demonstrieren, in denen wir die Schüler vor eine Reihe offener Interaktions-, Kooperations- und Kommunikationsprobleme mit Trägem französischer Sprache und Kultur gestellt haben. Die Offenheit dieser Kommunikation hat den Vorteil, daß sie mithilft, eine freundliche Situation zu schaffen, bei der die Kontaktherstellung und der Informationsaustausch im Vordergrund stehen. Sie hat allerdings auch den Nachteil, daß die Fehler zunehmen, weil die Heranwachsenden in der Regel nun auf anspruchsvolleren Handlungsabsichten beharren und damit fast zwangsläufig auch zu vermehrten 'Übertragungen' "Transferenzen" (Rattunde 1977; 1982) muttersprachlicher Sprachstrukturen in die fremdsprachlichen neigen beziehungsweise ihren gegenseitigen Überlagerungen "Interferenzen") ausgesetzt sind. Aus einer umfassenderen Interaktionsaufgabe greifen wir eine kleine Äußerung heraus, um an ihr unsere Methode zu verdeutlichen. Die Interaktionsaufgabe bestand in diesem Teil darin, auf eine Einladung einer französischen Deutsch-Klasse zu antworten. Die Handlungsaufforderung lautete: »Antworte den französischen Korrespondenten, daß ihre Idee, Euch/ Dich einzuladen, ebenso 'genial' ist, wie die, ihren Brief auf Deutsch abzufassen«. Cora, eine Schülerin aus dem 'unteren Drittel' und Ralf, ein Schüler aus dem 'oberen Drittel' verarbeiteten diese Aufforderung wie folgt: FLuL 22 (1993) Aus Fehlern lernen Tableau 2: Interakte der Schüler Cora und Ralf in der Jahrgangsstufe 11 Cora (Jahrgangsstufe 11) L'idee que tu as eu_ est tres bon et l' idee j_ traverser la lettre est bon aussi. Die Idee, die Du geha~t hast, ist sehr wohl. und die Idee, den Brief : i_ überqueren ist wohl. (eue) (bonne) (de) (traduire) (bonne) (gehabt) ·(gut) (zu) (übersetzen) (gut) Ralf (Jahrgangsstufe 11) Vous avez raison. Vous avez vraiment une idee geniale. Sans aucun doute VOUS etes tres intiJ.igentS (intelligents) bien que votre franr; ais etait · (soit) mieux que la version germanique. Je suis sur que vous etes surpris (serez) d' attendre (entendre/ percevoir) nos facultes de franr; ais. (notre faculte) Ihr habt recht. Ihr habt wirklich eine geniale Idee. Ohne jeden Zweifel seid Ihr sehr intehligent. Obwohl Euer Französisch besser als die germanische Version war. Ich bin sicher, daß Ihr überrascht seid, unsere Französisch-Fakultäten zu erwarten. 17 Auf diese Äußerungen können Lehrer sehr unterschiedlich reagieren. Bei aller Sensibilität für die Schüh; rprobleme ist eine autoritär-direkte Markierung (wie auch in gewisser Weise von uns oben vorgenommen) die Regel. Für ein selbst-organisierendes Lernen aus Fehlern haben wir mit Schülern und Lernern fünf Schritte einer animierenden (belebenden, ermutigenden) Rückmeldung entwickelt, die wir hier unter Verweis auf die schon zitierte Handreichung (Kordes/ Budde 1985) kurz auflisten wollen. Diese Schritte stellen Alternativen zur herkömmlichen Praxis schulischer Fehlerbewertung dar, in der Lehrer ihre halben bis anderthalben Fehler verteilen und nach einem Fehlerquotienten berechnen: : r Fehler x 100 : r Wörter Statt diese Konvention abzuschaffen (was wir nicht können), bieten wir in einer gewissermaßen polaren Ergänzung dazu unsere Methode des 'Aus-Fehlern-Lernens' an. Da Schüler (und Lehrer) unverrückbar auf einer objektiven Rückmeldung ihrer Fehler beharren, informieren wir sie in einem Null-Schritt über ihren Sprachrichtigkeitsquotienten: : r korrekte Wörter - : r Lernerprobleme : r Wörter In diesem Quotienten erscheinen nicht mehr nur die Fehler, sondern auch die richtig gebildeten Zeichen und Strukturen, so daß die Fehler-Fixierung, die die Schüler endlos auf eigene defizitäre Ressourcen zurückwirft, aufgebrochen und die Wendung zur Anerkennung ihrer Fähigkeiten insgesamt vorgenommen wird. Die fünf Schritte, nach denen unsere Methode vorgeht, lauten dann wie folgt: FLuL 22 (1993) 18 Hagen Kordes 1. Schritt: Wir markieren Lernerprobleme statt in den Lerneräußerungen nur Fehler zu fixieren Wir ordnen die Lernerprobleme ihren unterschiedlichen komplexen 'Relationen' zu: Wort-(W), Wort-Wort-(W-W), Wort-Satz-(W-S), Satz-Äußerungs-(S-Ä) Relation. Dabei müssen wir eine qualitative Analyse der individuellen oder kollektiven Problemfelder beziehungsweise Problem- 'Fokusse' und können wir die quantitative Berechnung eines Quotienten vornehmen, der die Gewichte dieser Relationen berücksichtigt: 1 x W + 2 .X W-W + 3 x W-S + 4 x S-Ä I. Lernerprobleme 2. Schritt: Wir unterscheiden Kompetenz- und Performanzprobleme statt nur Leistungsfehler zu erfassen Kompetenzfehler sind jene 'Irrtümer', für die der Lerner nichts kann, weil er die entsprechende fremdsprachliche Regelstruktur noch nicht kannte oder noch nicht konnte; Performanzfehler sind dagegen jene 'Fehler', für die der Lerner kann, weil er über die entsprechenden Regelstrukturen eigentlich schon verfügt und ihnen überwiegend aus Zerstreuung und Konzentrationsschwäche nicht nachkommt. Diese Performanzfehler können wieder in die Sphäre von Kompetenzfehlern geraten, wenn sie zu 'Fossilen', also zu versteinerten Fehlergewohnheiten werden, die sich in der Lernersprache 'abgelagert' haben (um den eigenartigen Hang der Psycholinguisten zu geografischen Bezeichnungen auf die Spitze zu treiben). Auch hier können Kompetenz- und Performanzprobleme quantitativ in einem Quotienten zusammengefaßt werden: Kompetenzprobleme - Performanzprobleme I. Lemerprobleme 3. Schritt: Wir identifizieren die Lernerstrategien statt bloß Abweichungen von der Zielgrammatik zu konstatieren Nicht nur korrekte, auch fehlerhafte Formulierungen enthalten •Leistungen', nämlich strategische oder taktische Lösungen der Lernerprobleme. Die Lernerstrategien stellen gewissermaßen die Organisatoren der Lernersprache dar. Diese Organisatoren können unterschiedliche Reifegrade oder 'Plateaus' erreichen, von pidginlingual verkürzenden über transferenzlingual ausgleichenden und inferenzlingual angleichenden bis zum Ideal der interlingual ausarbeitenden Strategien. Entsprechend läßt sich folgender Quotient für die Gewichtung der Lemerstrategien errechnen: LStr = - 1 x pidgl. + 1 x transfzl. + 2 x infrzl.+ 3 x interl. Strategie Q I. Lemerstrategien Parallel zu diesen lingualen Strategien lassen sich beständig auch personale und interpersonale Strategien untersuchen. 4. Schritt: Wir charakterisieren die Lernersprache statt nur Teilaspekte einer unzureichenden Zielsprache zu erfassen Die Lernersprache stellt das Ensemble der Lernerprobleme und Lernerstrategien dar. Es wird charakterisiert durch das diesem zugrunde liegende linguale Regelsystem und personale Orientierungsmuster. Fehler und Irrtümer sind integrale Bestandteile dieser Sprache. Mit einer quantitati- FLuL 22 (1993) Aus Fehlern lernen 19 ven Analyse der Lernerstrategien läßt sich ein erstes Verständnis ihrer hierarchischen Struktur gewinnen, etwa mit Hilfe dieses Lernerregelquotienten: LR = Zielsprachl. Regeln: 1 x transfzl. + 2 x infrzl. + 3 x interl. eo Interimsprachl. Regeln: 4 x pidgl. + 3 x transfrzl. + 2 x infrzl. + 3 X interl. Entscheidend ist dabei letztlich die qualitative Reanalyse des entscheidenden Organisationsmusters, mit welchem der Lerner seine Interaktion in einen Sprechakt und seinen Sprechakt in Sätze, Modalisierungen und schließlich in Zeichen transformiert. Die 'Lernergrammatik' im engeren Sinne läßt sich dann aus dem Verhältnis zwischen zielsprachlichen (korrekten oder akzeptablen) und interimsprachlichen (zielsprachlich fehlerhaften, nicht-akzeptablen) R! ! geln, die ein Lerner mehr oder weniger zusammenhängend einlöst, bestimmen. 5. Schritt: Wir identifizieren Plateaus lemersprachlicher. Kompetenzbildung statt sprachliche Fertigkeiten nur über eine Fehlerauszählung zu beurteilen Die Bildung einer lernersprachlichen Kompetenz läßt sich nun in Begriffen lernersprachlicher Regeln und lemerstrategischer Plateaus bestimmen. Wir sprechen von Bildung und nicht von Entwicklung, (1) weil wir es nicht mit einfachen progressiven Fortschritten, sondern mit der Dynamik eines Bildungsgangs zu tun haben, aus dem sich zu jeder Zeit auch Rückschritte (back slidings, 'Fossilisierungen') und Fort-Schritte (foreward tasting, 'Mutierungen') ergeben; (2) weil es um die Koordinierung von Teilmomenten geht, die in polarer Spannung zueinander stehen (normative Zeichenkontrolle und formative Bezeichnungskreativität in Satzbauplanung und Modalisierung) und schließlich (3) weil die Entwicklung kein Ende (etwa in der native like speaker-Kompetenz) hat, sondern der Bildung eines Bewußtseins eigener Idiosynkrasie bedarf. Quantitativ kann die Veränderung mit Hilfe eines change-Quotienten gemessen werden, der die Veränderung von einem Zeitpunkt zu einem anderen erfassen hilft: (vom einzelnen Schüler) erreichte Stufe (Wert) x 100 durchschnittlich (in der Schülerpopulation) erwartbare Stufe Von dieser analytischen Methode nimmt auch die didaktische ihren Ausgangspunkt. Weil die Analyse nur fruchtbar sein kann, wenn sie ihre Fortsetzung in der Selbstorganisation des Lerners findet, kann die didaktische Bemühung des Lehrers nicht einem naiven input-output-Modell folgen (so als genügte die Einspeisung des Korrekten sowie zielsprachlicher Regeln, um den Lerner zur Korrektur seiner Fehler und zur Verbesserung seiner Lernersprache zu veranlassen). Die Didaktik besteht im Gegenteil darin, daß der Lehrer (oder der Begleitforscher oder der 'hilfreiche Schüler') das Fehlerhafte mit dem Korrekten und Kreativen zusammen in Orientierungshilfen umformuliert, nämlich in die eben genannten Lernerprobleme, Kompetenz- und Performanzprobleme, Lernerstrategien sowie in Hinweise zur Lernersprache und zu ihrem weiteren Bildungsgang. Diese Umformulierung muß aber in der Sprache des Lerners erfolgen, damit dieser sie überhaupt wahrnimmt und sich angeregt fühlt, diese als Kontextinformation in die zirkuläre Organisationsweise seiner Lernersprache einzuschleusen. Ohne seinen intake (ob nun im Sinne eines mis-take oder eines good-take) und ohne seine Selbstorganisation läuft buchstäblich gar nichts. Die alte pädagogische Idee der (kindlichen, jugendlichen) Unverantwortlichkeit liefert keine Begründung für Fremdsprachenlehre und Fremdsprachenlernen mehr. FLuL 22 (1993) 20 Hagen Kordes Im folgenden wollen wir an den zwei oben zitierten Beispielen veranschaulichen, wie schulische Fremdsprachenlerner (Schüler) ihr Regelverhalten organisieren beziehungsweise reorganisieren und wie wir diese Selbstorganisationsprozesse deuten und anregen. 2. Cora und die Ausbildung ihres Regelverhaltens Auf den eQen zitierten ersten Interakt der Cora angewandt erhalten wir mit unserer Methode des 'Aus-Fehlern-Lernens' folgende Angaben: Tableau 3: Coras erster Interakt (Jahrgangsstufe 11) Originaläußerung Lernerprobleme Ebene Klasse Kompetenz/ Performanz Lernerstrategien Plateau Organisationsmuster L'idee que tu as eu_ (eue) II W-S ÜB (Part.) K est tres bon_ (bonne) II W-S ÜB (Adj.) K et l'idee : : J.. (de) II W-S ÜB (lnf.) K traverser (traduire/ I W W (Verb) K interpreter) la lettre est bon (bonne) II W-S ÜB (Adj.) K aussi Zeichen- und Worterklärung ÜB = Übereinstimmung zwischen zwei Worten (accord, Kongruenz) W = Wortwahl A "Deutsch-Export" ( "Kaputt-Kamerad" ( "Kaputt-Kamerad" A "Deutsch-Export" ( "Kaputt-Kamerad" ( = "Kaputt-Kameraei"): Pidginling1,1ale Strategien des nahezu durchgängigen Gebrauchs eines einzigen Personalpronomens, weniger unmarkierter Adjektive, Vermeidung von Akzenten, Bildung der Verben im Infinitiv und so weiter. A = "Deutsch-" oder "Englisch-Export"): Transferenzlinguale Strategien der umstandslosen Übertragung deutscher Sprachstrukturen in die Fremdsprache. 12 - 5 500 1 + 12 S~ = ~ = 0.4; (FQ = IT = 29.4; ) LPrQ = 5 = 2.6; 5-0 KPQ = -- = 1 5 LStrQ = - 3 + 2 - ---0 2 5 - . Trotz der aus Platzgründen aufgenötigten - Beschränkung auf diesen Interakt, der einer unter vielen und nicht in jeder Hinsicht repräsentativ ist, lassen sich die ersten in der Tabelle eingetragenen Markierungen in einer zusammenhängenden Lerner- FLuL 22 (1993) Aus Fehlern lernen 21 sprachenanalyse fortsetzen. Dabei kommen wir ceteris paribus zu folgenden Deutungen, die wir hier der Einfachheit halber in der Sprache des psycholinguistisch-didaktischen Diskurses formulieren. Wir haben es bei Cora mit einer Französisch-Sprecherin zu tun, die um ihre begrenzten interimsprachlichen Mittel weiß und daher ihre Lernersprache von vornherein auf die vereinfachende Übertragung des Informationshandelns "die Idee ist gut") konzentriert. Diese Information drückt sie in wenigen Worten aus, in denen sich das Subjekt (l'idee), das Prädikat (est) und die adjektivische Charakterisierung (bon _)wiederholen.Die Eigenschaftsbestimmung bon nimmt sie mit dem elementarsten Standardausdruck vor, von dem sie annimmt, daß er für alle Gegebenheiten 'gut' sei und über deren grammatische Variabilität sie implizit wie explizit nichts weiß. Sie wendet dieses Eigenschaftswort en bloc, im Zusammenhang mit l' idee stets ungeformt, wie ein Pidgin-Sprecher an. Dieser pidginlingualen Restringierungstendenz entspricht auch die Nebeneinanderstellung *l'idee ✓ traverser ohne infinitivisches Demonstrativpronomen. Diese Pidginisierungen stellen keineswegs nur ein negatives Phänomen der Lernersprache dar. Cora drückt sich mit ihrer Hilfe verständlich; wenngleich eingeschränkt aus. Gleichzeitig enthält diese Äußerung aber auch relativ wohlgeformte Satzstrukturen: Bis. auf den infinitivischen ~ebensatz sind die beiden Hauptsätze und der zweite (relativische) Nebensatz richtig gebildet und wohlgeformt. Diese Satzbildungen vetleiten Cora aber immer dann zu Fehlern, wenn sie über reine Wort-Wort-Verbindungen hinausgehen muß (l'idee que tu as eu_, l' idee ✓ traverser). Zwei' die·ser drei Fehler resultieren aus transferenzlingualen Strategien: Die fehlende Grundmarkierung des Partizips entstammt der ihr von der Muttersprache nahegelegten Vorstellung, daß das Partizip sich nicht verändere; und die verfehlte Wortwahl 'traverser (statt traduire) entspringt einer mißglückten Wiedererinnerung. Ihre Lernersprache läßt sich also nicht wie ein durchgehendes System beschreiben, sondern als eine dynamisch-transitionale Prozeß- oder be~ser Bildungsgangstruktur, die durch ein notorisches Hin und Her (Ungleichgewicht) zwischen pidginlingualen Simplifizierungstendenzen und inferenzlingualen Assimilationsversuchen gekennzeichnet ist. Wenn wir jedoch nicht nur die interimsprachlichen Regeln, welche für die Fehler verantwortlich sind, sondern auch die zielspra: chlichen Regeln, die für die korrekten Formulierungen stehen, berücksichtigen, dann kommen wir zu neuen Erkenntnissen: Tableau 4: Coras Regelsystem (Jahrgangsstufe 11) Interimsprachliche Regeln A. Pidginlingual Regel 1: Drücke das Eigenschaftswort 'gut' immer und unverändert durch das französische Wortbon aus! Regel 2: Bilde einen infinitivischen Nebensatz dadurch, daß nach dem Bezugswort FLuL 22 (1993) Zielsprachliebe Regeln A. Transferenzlingual Regel l: Der Relativsatz wird durch das Pronomen que = "den" eingeführt, wenn es sich auf das Objekt des Satzes bezieht. B. Inferenz I in g u a l Regel 2: Der Nebensatz behält im Unterschied zum Deutschen die Subjekt-Prädikat- 22 sofort der Infinitiv des Verbs gesetzt wird, und zwar ohne Vermittlung durch ein Demonstrativpronomen (wie de). B. Tran s f er e n z 1i n g u a 1 Regel 3: Das Verb «übersetzen» übersetze ich im Französischen mit traverser. Regel 4: Das Partizip bleibt (wie im Deutschen) bei der Bildung im Perfekt unverändert. Hagen Kordes Objekt-Stellung bei (Beispiel: que tu as eu) und zwar auch bei Verwendung des passe compose. Regel 3: Das Adverb aussi wird im Gegensatz zum Deutschen dem Objekt nachgestellt. Regel 4: Die Verben werden nach einem besonderen Zielsprachensystem konjugiert (je pense, je crois, l' anglais est). In dieser Übersicht müssen wir zur Kenntnis nehmen, daß Cora durchaus über eine Reihe verinnerlichter und automatisierter zielsprachlicher Regeln verfügt, und dies nicht nur da, wo eine strukturelle Homologie zwischen Muttersprache und Fremdsprache besteht (transferenzlingual), sondern auch da, wo sie fremdsprachliche Formulierungen in der Distanzierung von muttersprachlichen Regeln vornehmen muß. Statt Übertragung (Transferenz) aus der Muttersprache herrscht Inferenz vor, also ein halbbewußtes Gefühl für das Funktionieren von Tiefenstrukturen der Zielsprache. - Wenn wir diese Erkenntnisse in ein quantitatives Maß überführen, welches das Verhältnis zwischen interimsprachlichen und zielsprachlichen Regeln widerspiegelt, dann erhalten wir für Cora einen Lernerregelquotienten von 0,3. Natürlich können wir mit diesem Beispiel noch keine begründete Einschätzung dieser Quote vornehmen. Eine weitergehende Interpretation muß zunächst die weitere Ausbildung Coras berücksichtigen. Dennoch wollen wir provisorisch das Plateau des bisherigen Bildungsgangs in Coras Regelverhalten charakterisieren. Ihre (fehlerhaften) interimsprachlichen Regeln verweisen sie auf die Schwelle eines kritischen Übergangs zwischen pidginlingualen und transferenzlingualen Strategien. Berücksichtigen wir die Komplexität ihrer Lernerprobleme, dann sehen wir, daß die meisten Fehler auf 'gewagtere' Versuche zurückgehen, Worte in Sätzen zu verbinden, also sozusagen 'Fehler nach vorne' sind. Wenn wir jedoch ihre zielsprachlichen Regeln dazunehmen, dann sehen wir, daß sie bestimmte von der Muttersprache abweichende Satzstrukturen (wie Haupt- und Relativsatz im Gegensatz zum Infinitivsatz) richtig bildet. Sie hat also bereits ein DitTerenzbewußtsein zwischen Ausgangs- und Zielsprache ausgebildet. Dies reicht jedoch noch nicht aus, um die Transferenzen aus der Muttersprache unter Kontrolle zu halten oder gar um die Interferenzen zwischen Mutter- und Fremdsprache zu erkennen, geschweige denn durchzuarbeiten. Eine praktische sprachdidaktische Arbeit kann nun mit Cora nicht die ganze Beschaffenheit ihrer Lemersprache bearbeiten. Vielmehr gilt es, Brennpunkte ('Fokusse') mit ihr zu identifizieren, also solche Lernerprobleme, (a) deren Revisionsbedürftigkeit sie aufgrund immer wiederkehrender Formulierungen selbst einsieht (also legitim ist); (b) deren Bewältigung in der Zone ihrer nächsten Entwicklung liegt (also erreichbar ist); FLuL 22 (1993) Aus Fehlern lernen 23 (c) deren Lösung zu einer prägnanten Reorganisation und Verbesserung ihrer Lernersprache führt (also progressiv ist). Nach einigen tastenden Such- und Probebewegungen legte sich Cora auf zwei solcher Brennpunkte fest: Auf dte Depidginisierung ihrer bon-Fonnulierungen und auf die Umgehung der infinitivischen Nebensätze, die sie chronisch zu Fehlern verleitel).. Nun können wir einen Schritt weitergehen und die tatsächliche Entwicklung der Cora in den folgenden zwei Jahrgangsstufen 12 und 13 untersuchen: Tableau 5: Jahrgangsstufen 12 und 13 Jahrgangsstufe 12 Je pense que c' est une bonne idee parce que j'ai la meme mais je crois que l' d_nglais des Fran,; ais§_ est _j_ mauvais que la Fran,; ais d' allemands (je suis du meme avis) (l 'anglais) (Franc,aises) (aussi) (le franc,ais) (des Allemands) Hierarchie der Lernerstrategien 1. Transferenzlingual (9) 2. Inferenzlingual (1) Quotienten S~=0.2 LPrQ = 1.6 LStrQ = 1.1 (FQ = 36.66) KPQ = 0.64 LReQ = 1.2 Jahrgangsstufe 13 La raison est que je veux te remerciJt_ pour k_ bon _ idee d'obtenir un Job pour moi. Je sais que mon franglais etait tres bon mais je crois _j_ tu dois venir a l'Allemagne pour apprendre le (remercier) (la bonne idee) (me trouver / bien vouloir me trouver) (que) (en) 'slang' des filles allemandes. Hierarchie der Lernerstrategien 1. Transferenzlingual (5) 2. Pidginlingual (2) Quotienten SR½= 0.65 LPrQ = 2.0 LStrQ = 0.4 (FQ = 17.07) KPQ = 0.7 LReQ = 1.2 Aus Platzgründen müssen wir auf die genauere Ausweisung der Lernerprobleme und Lernerstrategien verzichten. Doch auf eine wichtige Erkenntnis wird jeder aufmerksame Analytiker schnell stoßen. Die weitere Entwicklung in Coras Lernersprache zeigt nämlich ein Paradox, wenn wir nur ihre Fehlererzeugung betrachten. In der Jahrgangsstufe 12 macht sie erheblich mehr Fehler, aber zeigt kaum noch pidginlinguale Selbstbeschränkungstendenzen. In der Jahrgangsstufe 13 verringert sie dagegen ihre Fehlerzahl, fällt aber erneut in einige Pidginisierungsgewohnheiten zurück. Hinzu kommt, daß sie in ihrer Artikelbildung immer wieder das falsche Genus wählt, und zwar gerade auch dann, wenn es von der Muttersprache nahege- FLuL 22 (1993) 24 Hagen Kordes legt wäre. Merken wir ebenfalls an, daß die Schülerin gegen den muttersprachlichen Impuls ständig die falsche Genusmarkierung wählt: * le meme opinion, * lg,_ f_ran,ais, *le bon_ idee. Sie hat für viele dieser Genusmarkierungenjede Orientierung verloren: Diejenige der Zielsprache hat sie noch nicht, derjenigen der Muttersprache mißtraut sie. Heraus kommt dabei ein Prozeß des Quer-Ratens, dessen Resultat sozusagen der Schieleffekt ist: Was im Deutschen männlich ist und im Französischen auch, wird in ihrem Französisch 'anders herum', nämlich weiblich markiert usw. Betrachten wir nun genauer das Verhältnis, welches Cora zwischen lemersprachlichen und zielsprachlichen Regeln faktisch herstellt: Tableau 6: Coras Regelsystem (Jahrgangsstufe 12) Interimsprachliche Regeln A. Transferenzlingual ~ (.,Schielregel"): Markiere das Genus der Subjekte nach dem Differenzierungsprinzip, also nach der Devise: Meist stimmt der vom Deutschen abweichende Artikel (*k meme opinion). Regel 2: Übertrage Ausdrücke und Redensarten aus dem Deutschen ins Französische (*j'ai la meme opinion). Regel 3: Der Komparativ wird ,durch ein Wort (wie im Deutschen) ausgedrückt: mal= .,schlecht", mauvais = .,schlechter". Regel 4: übersetze den Teilungsartikel „von" analog zur Muttersprache mit de. Regel 5: Schreibe die Namen der Nationalitäten ebenso wie diejenigen der Nationen mit großen Anfangsbuchstaben. Zielsprachliebe Regeln A. Transferenzlingual B. I n f e r e n z 1i n g u a 1 Regel 1: Der Nebensatz behält im Unterschied zum Deutschen die Subjekt-Prädikat- Objekt-Stellung bei (*je pense que c'est ...). Regel 2: Die Verben werden nach einem besonderen Zielsprachensystem konjugiert (*je pense, je crois, l'anglais est). Regel 3: In der Adjektivbildung ist zwischen femininum und masculinum im Singular und Plural zu differenzieren (*une bonne idee). Tableau 7: Coras Regelsystem (Jahrgangsstufe 13) Interimsprachliche Regeln A. Pidginlingual Regel 1: Es gibt keinen Unterschied zwischen Partizip und Infinitiv (*je veux remercie; tu dois venir). Regel 2: Drücke das Eigenschaftswort »gut« immer und unverändert durch das französische Wort bon aus. (*le bon idee, *mon franglais etait bon) Zielsprachliebe Regeln A. Transferenzlingual Regel 1: Der deutsche Ausdruck „der Grund ist, daß..." kann analog im Französischen formuliert werden. B. In f e re nzl in g u al Regel 2: Der Nebensatz behält im Unterschied zum Deutschen die Subjekt-Prädikat- Objekt-Stellung bei. FLuL 22 (1993) Aus Fehlern lernen B. Transferenzlingual Regel 3: Wo schon im Deutschen die Konjunktion que (,.ich glaube, du mußt ...") weggelassen wird, so auch im Französischen (* je crois tu dois). Regel 4: Der deutsche Ausdruck „nach Deutschland" kann im Französischen mit *a Allemagne formuliert werden. Regel 5: Dem deutschen Ausdruck „die Idee, einen Job zu bekommen" entspricht linear der analoge französische Ausdruck (* l' idee d' obtenir). 25 Regel 3: Die Verben werden nach einem besonderen Zielsprachensystem konjugiert (*je suis, tu dois). Regel 4: Bei der Adjektivbildung ist zwischen dem femininum und masculinum in Singular und Plural zu unterscheiden. Regel 5: Zur Einführung des infinitivischen Nebensatzes ist im Französischen zwischen mehreren Demonstrativpronomen (* de I pour) zu differenzieren. Regel 6: Bei der Verbindung des Adjektivs mit dem Nomen ist hinsichtlich der hachgängigen Stellung des Adjektivs je ,nach seiner Länge zu differenzieren (*la bonne idee / des filles allemandes). Beim Übergang in die Jahrgangsstufe 12 gibt sie zwar ihre pidginlingualen Lernerregeln auf, aber sie bildet im Vergleich zU111 Vorjahr ihre Lernersprache kaum weiter, geschweige denn arbeitet sie sich neue zielsprachliche Regeln heraus. Das erklärt zum Teil, warum sich hier ihre Fehlerzahl erhöht. Die angestrengte Depidginisierung scheint ihre diffus-intuitive Lernersprache teilweise zu überfordern. Beim Übergang in die Jahrgangsstufe 13 kehren einige pidginlinguale interimsprachliche Regeln zurück, aber gleichzeitig entwickelt sie eine größere Zahl zielsprachlicher Regeln, die nicht mehr ihrem Fehlerverhalten, sondern auch ihrem Regelverhalten insgesamt besser bekommen. Ihre Lernersprache ist gemessen am Unterrichtsziel, geschweige denn am native speaker-Ideal natürlich noch ein Torso; aber gemessen an der Enge und Unbeweglichkeit, die sie noch in der Jahrgangsstufe 11 zeigte, zeichnet nun ihre Sprache eine ungleich größere Dichte und ein persönlich stärker gefärbter (Kon)Takt aus. Das Verhältnis zwischen interimsprachlichen und zielsprachlichen Regeln wird soweit man das hier sagen kann proportionierter. Natürlich bewegen sich diese lernersprachlichen Bemühungen auf einem unteren Plateau, wenn man sie mit der Gesamtpopulation aller begleiteten Schüler vergleicht. Ihr Regelverhalten bleibt auf ein Differenzbewußtsein eingeschränkt, das sich von der Verschiedenheit zwischen Muttersprache und Fremdsprache und von der Kompliziertheit der französischen Sprache chronisch überwältigt und überfordert fühlt. In den parallel zu den Kommunikationsaufgaben von den Schülern abgefaßten 'Lernergeschichten' schreibt Cora am Ende.ihrer Schullaufbahn: Sprachabsicht Qu' est-ce que je doi! , dire. Je ne veu! , pas, je dois apprendre .: : f_Jranr,; aiie. Je veut man bac egalement comment je le preflfi. .: : f_. FLuL 22 (1993) (dois) (veux) (le fran~ais) (veux, n'importe) (prends) Sprachwirkung Was soll! ich sagen. Ich weiß! nicht, ich muß die Französische lernen. Ich will! mein Abi gleich wie ich es nimmt. 26 Mais j' ai beaucoup des difficultes parce quf1.. il y a trop des regles, ✓__ phrases, schfl_matg_ pour apprendre. (de) (qu') (de) (de) (schemas a) Hagen Kordes Aber ich habe vielen Schwierigkeiten, weil es zu vielen Regeln, die Phrasen, die Schemm.a§. .! ill1 zu lernen gibt. 3. Ralf und die Ausbildung seines Regelverhaltens Bevor wir aus diesem scheinbar verwirrenden Bildungsgang in Coras Regelverhalten Schlüsse ziehen, sollten wir uns ebenfalls Ralfs Lernersprache genauer anschauen. Beginnen wir auch hier mit dem analogen Interakt in der Jahrgangsstufe 11 und einer ersten Analyse nach der Methode 'Aus-Fehlern-lernen'. Tableau 8: Ralfs erster Interakt (Jahrgangsstufe 11) Originaläußerung Vous avez raison. Vous avez vraiment une idee geniale. Sans aucun doute vous etes tres int1]_igents (intelligent) bien que votre fran<; ais etait (soit, fut) mieu.x que la version germanique Je suis sur que vous etes surpris (serez) d' attendre (entendre/ percevoir) Lemerprobleme Ebene Klasse W-W RS W-S ÜB (subj.) S-Ä ÜB (Futur) W-W W (Wahl) Kompetenz/ Performanz p K K p nos facultes (notre faculte) w W (Gebrauch) K de franr; ; ais. Zeichen- und Worterklärung (Lernerprobleme - Lernerstrategien) RS = Rechtschreibung Lemerstrategien Plateau Organisationsmuster A ,.Worte drechseln" A ,.Deutsch-Export" A "Deutsch-Export" A "Deutsch-Export" A "Deutsch-Export" ÜB (subj.) = Übereinstimmung (accord) zwischen Konjunktion und subjonctifim Verb. W (Wahl) = Wortwahl .,Worte Drechseln" = Inferenzlinguale Strategien der (Über-)Einpassung in Regelstrukturen der Fremdsprache; gelegentlich auch intralinguale Strategien der Übergeneralisierung genannt. Quotienten 1. sr4i = (35-4) : 39 = 0.79; (FQ = 10.2); 2. LPrQ = 2.75; 3. KPQ = 0; 4. LStrQ = 1. 5. LReQ = (lx2+2x5) : 3x4 = 0. FLuL 22 (1993) Aus Fehlern lernen 27 Wir haben es hier offensichtlich mit einer Lernersprache zu tun, die im Gegensatz zu derjenigen Coras (in der Jahrgangsstufe 11) um eine offensive Nutzung der reichlich vorhandenen fremdsprachlichen Mittel für eine beziehungsreiche Äußerung bemüht ist. Ralf macht nicht nur erheblich weniger Fehler (obwohl für eine Unterrichtsarbeit immer noch zu viele), sondern kennt auch keine Neigung zu pidginlingualen Kurzschlüssen (Restriktionen). Statt dessen zeigen sich in seiner Lust an Sprache umgekehrt deutliche Motive zur Ausarbeitung (Elaborierung) seiner Lernersprache. Während sich Cora noch auf ein einfaches Informationshandeln beschränkte "Das ist eine gute Idee"), zeigt Ralf bereits hier ein kontaktstarkes Interaktionshandeln, das in ironischer und bemüht-selbstironischer Weise an die Impulse und Fragen anknüpft, welche die französischen Schüler in ihrem Brief formuliert hatten. 'Normale' Fehler, et\ya im Sinne von Irrtümern, macht er eigentlich kaum. Fehler betreffen sophistische Sprachgewohnheiten des französischen Muttersprachlers, die noch außerhalb seiner Kompetenz liegen (wie die Benutzung des subjonctif und des 'logischen Futurs') beziehungsweise sophistische Wortbildungsversuche, die ihm mißlingen. Alle Fehler sind transferenzlingual organisiert; dafür zeigt Ralf aber ein angelegentliches und angemessenes Regelverhalten, das sich in vielen fünf verinnerlichten zielsprachlichen Regeln äußert. 1 Die transferenzlingualen Übertragungsfehler 'passieren' ihm also alle auf dem unwegsamen Gelände komplizierter, ihm teilweise noch unbekannter Sprachstrukturen, alles andere macht er mit verinnerlichten lnferenzgewohnheiten in der Zielsprache richtig. Insofern zeigt Ralf auf seinem Kompetenzplateau ein beginnendes Interferenzbewußtsein, mit welchem er seine transferenzlingualen Übertragungen mit Hilfe eines inferenzlingualen Sprachgefühls beziehungsweise Regelwissens zu reorganisieren sucht. Es war daher für die Begleitforscher keine Überraschung zu erkennen, daß Ralf sich weniger an Fehleranalyse und Fehlerkorrektur als eher an Anreicherungs- und Animierungshilfen zur weiteren Elaborierung seiner Lernersprache interessiert zeigte. Genau auf diese Kompetenzmotivation verweisen ja auch die verbleibenden Lernerprobleme: Der Einsatz des subjonctif nach bestimmten Konjunktionen (hier: bien que) und in bestimmten Situationen des Zweifels und der Unsicherheit sowie der für die Verschiedenheit der Zeiten sensible Gebrauch des Futurs zeigen ebenso wie die sophistischen Wortbildungen, daß Ralf keines Blicks zurück, sondern einiger Anregungen nach vorne bedarf. Vergleichen wir nun diese erste Äußerung der Jahrgangsstufe 11 mit den zwei analogen in den Jahrgangsstufen 12 und 13. 1 Darunter befinden sich Regeln zur Komparativbildung und zum Gebrauch infinitivischer Nebensätze, denen Cora zur selben Zeit noch nicht gewachsen ist: Wir ersparen uns aus Platzgründen die Tabellenübersicht über Ralfs Regelsystem. FLuL 22 (1993) 28 Hagen Kordes Tableau 9: Ralfs analoge Interakte in den Jahrgangsstufen 12 und 13 Jahrgangsstufe 12 Mes felicitations g_ votre idee geniale! Ejfectivement ce ·n• est pas seulement l' idee de laquelle je me rejouis. Mais je me rejouis aussi k courage que vous avez montres en osant de se servir de la greve. (pour) (dont) (du) (montre) (vous) Hierarchie der Lernerstrategien 1. Transferenzlingual (4) 2. Inferenzlingual (1) 3. Intrapersonal (1) Quotienten SR~= 0.77 LPrQ = 2.0 LStrQ = 1.3 (FQ = 10.4) KPQ = -0,16 LReQ = 0.5 Jahrgangsstufe 13 Tu es avant tout une copine sur laquelle on peut se relier Comme si souvent tu as eu une idee a me rendre la vie joyeuse. J' ai l' intention severe de m' appliquer a obtenir ce 'job' comme tu m'a _j_ propose. Oui, tu peux _j_ etre fiere! (compter) (J'ai serieusement l 'intention/ serieuse) (me l'as) (en) Hierarchie der Lernerstrategien 1. Transferenzlingual (3) 2. Intrapersonal (1) Quotienten s~ =0.75 LPrQ = 1.75 LStrQ = 1.0 (FQ = 8.3) KPQ = 0.0 LReQ = 2.5 Wenn wir den weiteren Bildungsgang Ralfs nur unter dem Gesichtspunkt der Fehlerquote untersuchen, dann scheint es so, als ob er sich seit der Jahrgangsstufe 11 nur unwesentlich und von der Jahrgangsstufe 12 zur Jahrgangsstufe 13 eher zurückentwickelt hat. Doch schon wenn wir uns unseren Sprachrichtigkeitsquotienten mit seiner stärkeren Berücksichtigung der korrekten Zeichenbildungen ansehen, erkennen wir nicht nur 'Stagnation', sondern Fehlerstillstand auf hohem Niveau (nämlich dem außerordentlich guten Quotienten 0.8). In der Jahrgangsstufe 12 tauchen inferenzlinguale Strategien "Überziehen" / Übergeneralisierung) auf, mit denen die verbleibenden Lernerprobleme (fehlerhaft/ interimsprachlich) gelöst werden. In der Jahrgangsstufe 13 verschwinden dann diese inferenzlingualen Strategien wieder; an ihre Stelle treten erneut transferenzlinguale Neigungen zur Übertragung aus der Muttersprache. In gewisser Analogie zu Coras bemühter Depidginisierung in der Jahrgangsstufe 12 nehmen wir an (und Ralf bestätigte uns dieses), daß diese Phase durch besondere Anstrengungen um eine angemessene 'Zielgrammatik' gerade auch im Anschluß an den 'um grammatische Angleichung' bemühten Unterricht in der Jahrgangsstufe 11 charakterisiert war: Neue Satztransformationen (Relativsätze, Gerundiums- und Partizipialverdichtungen) werden angeeignet, führen aber wegen ihrer Neuheit und Komplexität zu Fehlern. FLuL 22 (1993) Aus Fehlern lernen 29 Die Konstruktion von Relativsätzen wird in der Jahrgangsstufe 13 fortgesetzt und verbessert (une copine sur laquelle on peut se relier), Gerundiums- und Partizipialkonstruktionen werden durch infinitivische (a me rendre' la vie joyeuse) umgangen und so weiter. Diese und weitere qualitative Vergleiche beweisen, daß ausschließliche Quotenvergleiche von Fehler und Sprachrichtigkeit, aber auch von Lemerstrategien keinen zureichenden und gültigen Einblick in den tatsächlichen Bildungsgang des fremdsprachlichen Regelverhaltens geben. Deshalb kann es uns angesichts der sprachlichen Lebendigkeit und Kreativität, die sich in Ralfs Lemersprache äußert, auch nicht einfallen, von einer Stagnation oder gar Regression seines Regelverhaltens zu sprechen. Im Gegenteil, seine inferenzlinguale Einfühlung in Selbstverständnis und Gebrauch der Regeln nimmt zu. Über das gebildete Inferenzbewußtsein hinaus lassen sich erste Spuren eines Idiosynkrasiebewußtseins erkennen, also eines Bewußtseins von der normalen 'Akzentiertheit', 'Markiertheit' und mithin auch der 'Fehleranfälligkejt' der eigenen Lemersprache im Vergleich zu derjenigen der Lernzielsprache und der Fremdsprache als Muttersprache. Für Ralf ist das Bewußtsein eigener Idiosynkrasie aber keineswegs ein Grund zur heiteren Gelassenheit. Im Gegenteil zeigt er sich am Ende seiner Schullaufbahn eher verbittert "sauer"). In den parallel zu den Kommunikationsaufgaben periodisch verfaßten Lerngeschichten schreibt er: Quand meme je souffre d' une sorte _j.frustration: apres 4 ans d' etude _ et de§. nombreux sejours en France, le resultat manque encore. Compare aux efforts fait par moi incesseminent, mon fraflfais est encore assez faible. (de) (etudes) (de) (faits) (sans cesse) Dennoch leide ich unter einer Art von Frustration: nach vier Jahren von Studium und von den zahlreichen Aufenthalten in Frankreich, fehlt noch das Resultat. Verglichen mit den Anstrengungen, die ich unaufhörbar unternahm, ist mein Französisch noch ziemlich schwach. 4. Die Ausbildung des Regelverhaltens Auf der Grundlage dieses Untersuchungs- und Erfahrungshorizonts können wir die Entwicklung des Regelverhaltens nicht allein von der Fehlermarkierung und auch nicht allein von den Lemerstrategien her beschreiben. Daß wir „mit den Tugenden [...] auch Fehler einbauen", beschrieb schon Goethe, und wie der Irrtum zum Motor der Geschichte wird, hat neben vielen anderen schon ~egel begründet. Wir gehen deshalb davon aus, daß zu jeder Zeit und auf jedem Niveau die Lemersprache mit einem besonderen Ungleichgewicht zwischen zielsprachlichen Regeln in der Zone der niedrigeren fremdsprachlichen Entwicklung und interimsprachlichen Regeln in der Zone der höheren muttersprachlichen Entwicklung konfrontiert ist. Und weiter- FLuL 22 (1993) 30 Hagen Kordes hin können wir n i c h t von einer Entwicklung oder gar Entwicklungslogik ausgehen, der das Regelverhalten der Lerner in sukzessiven Stufen und Niveaus folgt, sondern müssen den eigentümlichen dialektischen Charakter des fremdsprachlichen Bildungsgangs zur Kenntnis nehmen: Vordergründig in den permanenten, fast schon fundamentalen Vorwärts- und Rückwärts-, Progressions- und Regressionsbewegungen der Lernersprache, tiefgründiger dann in der dialektischen Regel, welche diese Ausbildung generiert. Im unteren Plateau des interimsprachlichen Regelverhaltens, ist eine dialektische Regel des progressiven Ausgleichens interimsprachlicher Regeln bei gleichzeitig regressiver Pidginisierung und Fossilisierung wirksam. Diese Dialektik können wir in Coras Interimsprache (besonders in der Jahrgangsstufe 11) rec; ht gut beobachten. Für eine Reihe frei flottierender Interakte verfällt sie auf pidginähnliche, restringierte Lösungen, dagegen zeigt sie in begrenzten unterrichts- und lernzielgebundenen Sprechakten transferenzlinguale, lernersprachliche und erste inferenzlinguale zielsprachliche Lösungen. Im Gegensatz zum Pidginsprecher ist sie im Kontext eines unterrichtlich gesteuerten Fremdsprachenlernens einem fortgesetzten Revisions- und Korrekturdruck ausgesetzt. Sie ist also trotz aller Neigung zu Sta-gnation und Fossilisierung zur Entwicklung verurteilt, wie begrenzt diese auch dann erfolgen mag. Auf einem höheren Plateau befindet sich dagegen offensichtlich Ralf. Wo Cora unter Streß auf Pidgin rekurriert, greift er auf 'geformte' transferenzlinguale Strategien zurück. Wo Coraim Anschluß an gelernte 'Reservoires' diese durch interimsprachlich-transferenzlinguale und zielsprachlich-inferenzlinguale Lösungen auszugleichen (kompensieren) sucht, ist Ralf darum bemüht, sein Regelverhalten in zunehmend verdichteter und zielsprachenverständiger Weise auszuarbeiten (elaborieren). Solange er nicht gezwungen ist, auf muttersprachliches Denken und Strukturieren zurückzugreifen, macht er kaum Fehler, produziert er also eine Quasi- Zielsprache; sobald aber seine interimsprachlichen Mittel, insbesondere die lexikalischen, nicht ausreichen, produziert er nach einer dialektischen Regel der progressiven Ausarbeitung zielsprachlicher Regeln bei gleichzeitig 'regressivem' Rekurs auf Muttersprachenstrukturen. Insofern können wir nur die grundlegende Frage formulieren, auf die eine Bildungsgangtheorie des Regelverhaltens Antworten zu geben sucht: Wie gut vermag der Lerner zwischen muttersprachlichen und fremdsprachlichen Impulsen zu differenzieren und 'die Mischung' zwischen lemersprachlichen und zielsprachlichen Regeln in Richtung auf letztere zu verschieben, so daß er sich teilweise von der eigensprachlichen Überdeterminierung freimachen und sich zunehmend in die fremdsprachliche Normen- und Gebrauchsstruktur 'einspinnen' (Humboldt) kann? Zur Beantwortung dieser Frage glauben wir ein empirisches Kontinuum festmachen zu können, an dem sich die Ausbildung des Regelverhaltens und damit die Bewertung des Sprachwandels plausibel darstellen lassen (vergleiche Tableau 10 auf der folgenden Seite). FLuL 22 (1993) Aus Fehlern lernen Tableau 10: Die Ausbildung des Regelverhaltens C. INTERFERENZLINGUALES PLATEAU Das Bewußtsein für sprachliche Interferenzen schlägt um fo eine Sensibilität für die Idiosynkrasie der eigenen Lernersprache. Damit verbunden ist ein besseres Gefühl für die Stärken und Schwächen des eigenen Regelverhaltens. Die Stärken werden genutzt zur Differenzierung der Sprache entsprechend den Erfordernissen der Interaktionssituation. Die Schwächen zeigen sich an der Kehrseite dieser Differenzierung, der Überdifferenzierung (*J' espere que tu vienne ). VI Prägnante Ausbildung auf diesem Plateau SR~ "' 0.9--0.99; SReQ ~ 2.5 V Herantastende Such- und Reflexionsbewegungen SR~ "' o.~.89; SReQ ~ 2.0 8. INFERENZLINGUALES PLATEAU Der Lerner verwandelt sein ursprüngliches Differenzbewußtsein zunehmend in ein Bewußtsein über die Interferenzen zwischen Mutter- und Fremdsprache. Die Komplexität der psycholinguistischen Überlagerungen (nicht nur der muttersprachlichen Übertragungen) sucht der Lerner dadurch zu reduzieren, daß er aus dem Regelsystem der Zielsprache Folgerungen (Inferenzen) für seine lernersprachlichen Konstruktionen zu ziehen sucht. Diese Strategie führt zu fortlaufenden Versuchen der Generalisierung und der Schematisierung, die oft (interimsprachliche) Übergeneralisierungen nach sich ziehen. (*Je viendrai surernent). IV Prägnante Ausbildung auf diesem Plateau SR~"' 0.7-0.79; SR~"' 1.5--1.99 III Herantastende Test- und Prüfbewegungen auf diesem Plateau s~"' 0.6--0.69; SReQ"' 1.0-1.49 A. TRANSFERENZLINGUALES PLATEAU Der Lerner bildet ein Differenzbewußtsein aus. Aber angesichts seiner eingeschränkten interimsprachlichen und beschränkt y_erinnerlichten zielsprachlichen Regeln sieht er sich immer wieder zu Ubertragungen (Transferenzen im tiefenanalyt. Sinn) aus dem 'breiten Kanal' der Muttersprache in den 'schmalen Kanal' der Fremdsprache genötigt. II Prägnante Ausbildung auf diesem Plateau s~ "'0.4-0.59; SReQ"' 0.7-0.99 I Herantastende Rat- und Schätzbewegungen SR~ "' 0.2-0.39; SR~ "" 0.5-0.69 PIDGINLINGUALES PLATEAU Der Lerner entwickelt ein (diffuses) Bewußtsein seiner Markiertheit als Fremder in Sprache und Handlung. Sein Sprachhandeln ist überwiegend organisiert durch Taktiken der Sirnplifizierung. SR~"" 0.0-0.19; SReQ "'0.0-0.49 FLuL 22 (1993) 31 Jahrgangsstufe 11 12 13 32 Hagen Kordes Da die meisten Oberbegriffe bereits erläutert sind, können wir uns die genaue qualitative und quantitative Explikation dieses Tableaus ersparen (vgl. Kordes 1994). Lediglich zwei technische Lesehilfen sind unentbehrlich. Erstens: Auf jedem Plateau unterscheiden wir zwei Stufen, eine obere Stufe (VI, IV, II), in der der Lerner die entsprechenden Fähigkeiten in prägnanter Weise ausbildet "assimiliert"), und eine untere Stufe (V, III, 1), in der der Lerner sich in trials and errors erst an ·das jeweilige Plateau des Regelverhaltens herantastet "akkomodiert"). Zweitens: Der lemersprachliche Ausbildungsgrad eines Schülers ist nie nur von einer Struktur oder Strategie auf einem einzigen Plateau bestimmt. Vielmehr bewegt sich das Regelverhalten des Lerners normalerweise auf allen Ebenen und bemüht er alle Strategien unterhalb der Obergrenze des höchsten von ihm erreichten Plateaus. Die Kompetenz des Regelverhaltens ist gerade dadurch charakterisiert, daß sie von einer Obergrenze aus alle übrigen lernersprachlichen und lernerstrategischen Tendenzen zu reorganisieren sucht. Dies geschieht notwendigerweise immer nur „unvollständig" und „unrein", wie schon Humboldt befand. Den drei Plateaus korrespondiert eine unterschiedliche sprachdidaktische Arbeit. Auf dem unteren transferenzlingualen Plateau fühlen sich viele Schüler von kognitiven Ansätzen des regelbewußten Sprachlernens überfordert. Sie ziehen die Einübung eines sets von patterns, also von Schlüsselformulierungen, vor, in denen sich modellhaft die grundlegende Regelstruktur der (elementaren) Zielsprache spiegelt. Von diesem 'animativen Drill' aus suchen sie dann durch analoge Satzformulierungen ihre Lemersprache und ihr Regelverhalten zu erweitern. Auf dem mittleren inferenzlingualen Plateau sind viele Schüler an der Kontrolle der Interferenzen interessiert. Hier sind in der Regel Einübungen in begrenzte Tätigkeiten der Selbstevaluation eigener interimsprachlicher Regeln und ihre Überführung in zielsprachliche Regeln angebracht. Dabei sollten bevorzugt solche Regeln zurückgemeldet und bewertet werden, die für die weitere Ausbildung der Lernersprache insgesamt förderlich sind. Schüler, die die Schwelle zum oberen interferenzlingualen Plateau überschreiten, bevorzugen schließlich reflexive, sprachpragmatische Einsichten in den Zusammenhang zwischen eigener Lerngeschichte, Interaktionssituation und Sprachregeln. Diese Einsichten schlagen sich meist in differenzierteren Modalphrasen nieder. Quer zu Analyse und Animation steht eine neuartige 'Rückmeldung', welche die alte globale Fehlerbewertung ablösen kann. Die Rückmeldung besteht immer aus zwei Informationen: Aus einer qualitativen Information über die in der letzten Interaktion gegenüber der vorletzten reorganisierten (revidierten, korrigierten, beibehaltenen) Lernerprobleme und aus einer quantitativen Information über den zwischen diesen beiden Zeiten zurückgelegten Bildungsgang. Für Cora und Ralf lassen sich dann verglichen mit der Durchschnittsentwicklung aller Schüler in den einzelnen Jahrgängen folgende Veränderungen zahlenmäßig aufschlüsseln: FLuL 22 (1993) Aus Fehlern lernen 33 Tableau 11: Die Stufenwerte von Cora und Ralf Jahrg.st. 11 Jahrgangsstufe 12 Jahrgangsstufe 13 Lerner individueller individ. Wert durchschnitt! . indiv. Wert durchschn.ittl. Wert (Rate) Wert ('Norm') (Rate) Wert ('Norm') Cora I I II II II Ralf III IV III IV III Aus dem Vergleich der Individual- und Durchschnittswerte läßt sich nun für beide Schüler ein sogenannter change-Quotient errechnen. Dieser ergibt sich aus folgender Formel: C~ = (erreichte Stufe x 100) + (durchschnittlich erwartete Stufe). Für Cöras Ausbildung errechnen wir über die gesamten Jahrgangsstufen einen 'durchschnittlichen Fortschritt': 100 = (2 + 2) x 100, nachdem sie im Vergleich zu Schülern mit derselben Ausgangsposition in der Jahrgangsstufe 12 zunächst zurückgehangen hatte: 50 = (1 + 2) x 100. Ralf dagegen steigert sich gegenüber den Schülern mit ähnlichem Anfangswert gleichbleibend in den beiden folgenden Jahrgangsstufen: 133 = (4 + 3) x 100. 5. Aus Fehlern lernen als fortwährende Reorganisation des eigenen idiosynkratischen Lernerdialekts Einige Leser könnten den Eindruck gewinnen, daß uns unsere Untersuchungen und Überlegungen weit abgetrieben haben: Von der eher engeren Thematik der Fehleranalyse und Fehlerkorrektur zur eher weitläufigeren Thematik interimsprachlicher und interimaktiver Kompetenz. Also: Thema verfehlt ? Nach unserem Verständnis ist dies nicht der Fall. Denn nach allem, was wir bisher ausgeführt haben, lernt ein Schüler aus seinen Fehlern um so mehr, je mehr er die Übertragungen der Muttersprache kontrolliert, die Überlagerungen zwischen Muttersprache und Fremdsprache evaluiert und die Idiosynkrasie seiner eigenen Lernersprache reflektiert. Und Lehrer sowie Sprachdidaktiker und Sprachforscher lernen aus Fehlern um so mehr, je mehr sie sich aus ihrer manichäistischen Fixiertheit auf Fehler lösen und sich für die ganze Lernersprache der Schüler öffnen. Für die Kompetenzbildung, genauer für die Selbstkontrolle der Übertragungen, für die Selbstevaluation der Überlagerungen und für die Selbstreflexion eigener sprachlicher Idiosynkrasie haben die Schüler aber die Hilfe eines Lehrers, der mehr macht, als „Gereiztes am Rande" (Sonnemann 1970) zu notieren, bitter nötig. Die Lehrer zumal der zweiten und dritten Fremdsprache sollten sich (mit dieser Methode oder einer anderen) viel mehr Zeit für kontinuierliche, konzentriert- FLuL 22 (1993) 34 Hagen Kordes ermutigende Rückmeldungsgespräche mit den einzelnen Schülern (beziehungsweise mit funktionierenden Arbeitsgruppen) nehmen. Im Leistungskurs der Oberstufe finden sie dafür auch zeitlich angemessene Bedingungen vor. Unsere über die Schullaufbahn hinausreichende Begleitforschung hat gezeigt, daß diese feedback- Sitzungen bei vielen Schülern fast das einzige war, das sie Jahre später noch aus ihrer Schulzeit in nachhaltig positiver Erinnerung behielten. Bibliographische Angaben 2 C0RDER, S. P.: «Que signifient les erreurs des apprenants». In: Langage 57 (1980), 9-15. C0RDER, S. P.: Error Analysis and lnterlanguage. London 1981. HYMES, D. (ed.): Pidginization and Creolization of languages. Cambridge 1971. KASPER, G.: Pragmatische Aspekte in der lnterimsprache. Tübingen 1982. K.IELHÖFER, B.: «La reconstruction de l'interlangue pour l'emploi des pronoms relatifs qui et que». In: Die Neueren Sprachen 81.6 (1982), 601-610. KIELHÖFER, B./ BöRNER, W.: Lernersprache Französisch. Tübingen 1979. KORDES, H.: Theorie des Bildungsgangs. Band 2: Die Entwicklungsaufgabe interlingualer Interaktion. [Darin der III. Teil: Lernersprache und interimsprachliche Kompetenzbildung]. [in Vorbereitung: 1994]. 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Hamburg 1970. 2 Da das Manuskript in Teluk Batik (Malaysia) verfaßt wurde, muß ich mich auf die dort vorhandene Literatur beschränken. FLuL 22 (1993) Karlheinz Hecht, Peter S. Green Muttersprachliche Interferenz beim Erwerb der Zielsprache Englisch in Schülerproduktionen aus Deutschland, Frankreich, Italien, Schweden und Ungarn Abstract. The article looks at error cause analysis with particular reference to L1 interference in foreign laI)guage leaming in school, and describes an empirical study involving 999 leamers of English as a foreign language in schools in France, Germany, Hungary, ltaly and Sweden. Other work on error cause and contrastive analysis from Fries (1945) and Lado (1957) onwards is surveyed and seen as a development from first an overvaluing and then an undervaluing of Ll interference to a more balanced view of error cause. The methodological problems of identifying error cause are discussed, in particular the confusion of prodijct with process. The LI interference in the 999 message-centred spoken and written pupil productions is identified and analysed in relation to other variables, such as length of L2 study, cognitive development of leamers, language task and Ll-L2 distance. Finally, the results are discussed in relation to theory and practical implications for the foreign language classroom. 1. Die bisherige Forschung zum muttersprachlichen (Ll) Interferenzproblem im Rahmen der Fehleranalyse 1.1 Negative Übertragungsprozesse aus der Ll in die Zielsprache sind etwas, das jeder praktizierende Fre)Jldsprachenlehrer täglich im Unterricht erlebt. Sie wurden zunächst in den USA Gegenstand einer wissenschaftlichen Theorie: Fries (1945) und be~onders Lado (1957; 1964) gründeten einen "scientific approach" des Fremdsprachenunterrichts, indem sie davon ausgingen, daß der Lernende durch pattern practice jene Elemente der Fremdsprache intensiv üben müßte, "where transfer from the native language creates learning problems" (Lado 1964: 6). Die Einseitigkeit dieser ersten Phase der contrastive analysis (CA) lag u.a. darin begründet, daß man nur die interlinguale Interferenz als vorhersagbaren Störfaktor beim Fremdsprachenunterricht im Auge hatte; man sprach von einem transfer of habits, der immer dort auftauchte, wo LI und Zielsprache (L2) in ihrer linguistischen Struktur verschieden sind. Daß L1 Transfer auch eine lernpsychologische und kognitive Komponente hat, die bewirkt, daß in der Regel trotz verschiedener Strukturen bei konvergenter Lernstruktur (vgl. Hecht/ Green, 1983: 43) kein LI Transfer zu beobachten ist, blieb unerkannt. 1.2 Seit dem Angriff Chomskys auf die behaviouristische Sprachpsychologie geriet ab den 60er Jahren die erste Phase der Fehlerursachenforschung allmählich in Mißkredit, da die Schule Lados eng mit der Skinner'schen Lernpsychologie verbunden FLuL 22 (1993) 36 Karlheinz Hecht, Peter S. Green war. Beim Erwerb einer Sprache entdeckte man jetzt auch den potentiell negativen Einfluß von bereits Gelerntem auf neu zu lernendes Material der Zielsprache (intralinguale Interferenz). Hier kann die Lernstrategie des Generalisierens zu fehlerhaften Sprachformen führen, die man dann als overgeneralization bezeichnet. Die Namen von amerikanischen Sprachforschern wie Dulay, Burt und Krashen (1982) sind für diese zweite Theorie (oft als Creative Construction Paradigm bezeichnet) repräsentativ. Jetzt allerdings machte man den Fehler, daß man das Kind mit dem Bade ausschüttete: Mit der Entdeckung der L2 Interferenz glaubte man feststellen zu können: "There was no evidence of marked first language interference in the leamer's English sentence constructions" (Hanania and Gradman in: Dulay/ Burt/ Krashen 1982: 183). Zwar war man nicht immer der Ansicht, daß L1 Transfer gar nicht zu beobachten sei, aber man hielt dessen Einfluß für gering. So stellen Dulay et al. (1982: 183) fest: "Studies conducted on the speech and writing of adults learning second languages have also found that the majority of non-phonological errors adult language learners make do not reflect their mother tongues. The proportion of Interlingual errors that have been observed, however, is ! arger than that observed for children". Kritik an dem methodischen Vorgehen dieser Forscher folgte, kann aber hier aus Platzgründen nicht dargestellt werden. Eine ausgewogene Darstellung findet sich u.a. bei Ellis (1985). Seit Selinkers Konstrukt der Interlanguage (1972) wurde der Weg frei für eine intensive Forschung, die nicht nur inter- und intralingualen Transfer für die Entwicklung der Lernersprache auswies; Selinker zählte, dazu auch Strategien und Prozesse (Termini, die meist synonym verwendet wurden) wie transfer of training (vgl. Hecht/ GFeen 1983: 42 ff) und strategies of learning and communication. Jede dieser Strategien oder Prozesse kann eine positive wie negative Wirkung auf die L2 haben. Einen guten Einblick in die Fehlerursachenforschung dieser Zeit gibt der Sammelband von Richards (1974), in dem u.a. Beiträge von Burt, Corder, Dulay, Nemser, Richards und Selinker die Forschung dieser Periode reflektieren (vgl. dazu auch Sharwood Smith 1982). Mit dieser jetzt recht differenzierenden Sicht von Fehlerursachen setzte leider auch eine Verwirrung der „Etiketten" ein. Man spricht seitdem z.B. von overgeneralization errors, womit man Produkt und Prozeß vermengte (z.B. Esser 1984), obwohl ein Forschungsbeitrag von Rossipal (1973) schon früh auf diese Fehlentwicklung aufmerksam machte; er stellte sehr richtig fest: "Nun kann [...] ,Fehlerursache' hier verschieden verstanden werden, und zwar als eine Folge davon, daß der Ausdruck ,Fehler' polysem ist. Es trägt vielleicht zur Unklarheit in der Diskussion bei, wenn man diese Polysemie übersieht; es wird dann rein begrifflich schwierig, den Ursachenkomplex zu beschreiben. ,Fehler' als Terminus wird verwendet teils für das Resultat einer sprachlichen Fehlleistung, [...] teils für die diesen erzeugende Fehlleistung oder deutlicher Fehlhandlung" (Rossipal 1973: 64). Wir werden auf Rossipals Ideen noch später rekurrieren. FLuL 22 (1993) Muttersprachliche Interferenz beim Erwerb der Zielsprache Englisch ... 37 1.3 Spätestens seit Mitte der 80er Jahre könnte man von einer dritten Phase der Fehlerursachenforschung sprechen, in der der Ll Transfer im allgemeinenweder übernoch unterbewertet wurde (vgl. dazu z.B. Larsen-Freeman/ Long, 1991: 52- 73). Zwar kam Touber (1983) in einer groß angelegten Untersuchung (300 Probanden) zu dem Schluß, daß L1 Transfer die wesentliche Fehlerursache sei (1983: 290); sein Ergebnis ist allerdings recht angreifbar, weil er als Testitem nur den Gebrauch des Artikels untersuchte. Immerhin erlebt Lados Ansicht von der Vorhersagbarkeit des Ll Transfer aufgrund der CA von zwei Sprachen 1 eine gewisse Renaissance; während man in den 70er Jahren der CA höchstens eine "explanatory rote of CA" einräumte, wird jetzt wieder davon gesprochen, daß CA ein wirksames Mittel sei, die Problemfelder für L1 Transfer zu diagnostizieren (vgl. Sanders 1985). Die Forschung bemühte sich jetzt. u.a. herauszufinden, inwieweit man. von einer Systematizität der einzelnen Störfaktoren sprechen kann (Rutherford 1984) und inwieweit Ll Transfer mit dem Konstrukt der Universal Grammar vereinbar sein könnte (White 1989). Unser Beitrag möchte später dazu eine Antwort liefern. In dieser Phase, in der die Prozeßhaftigkeit der Lernersprache im Vordergrund steht, wird auch zunehmend unterstrichen, wie problematisch es ist, bestimmte Fehler monokausal zu interpretieren. Auch dieses Problem soll in unserem Beitrag angesprochen werden. Viele Forscher sehen nun den Transfer als einen kognitiven Prozeß an, in dem deklaratives wie prozedurales Wissen übertragen wird (vgl. z.B. Frerch/ Kasper 1989). Einige sprechen daher von transfer of knowledge und transfer of practice (vgl. Möhle/ Raupach 1989). Weitere wichtige Impulse findet der interessierte Leser in den Beiträgen von Gass/ Selinker (1983), Fisiak (198§), Kellerman/ Sharwood Smith (1986), Ringbom (1987) und Odlin (1989). Schließlich sei noch eine Untersuchung von Legenhausen ( 1985) erwähnt, da diese sich mit dem schulischen Englischunterricht im Gymnasium beschäftigt und im Bereich der Syntax u.a. auf L2 Transfer eingeht. 2. Resümee und Hinweis auf methodische Probleme bei der Fehlerursachenforschung Der knappe Überblick über die Rolle des L1 Transfer im Lauf der Geschichte der Forschung ergibt ein uneinheitliches Bild. Wie bedeutsam ist er nun wirklich? Nimmt er im Laufe der Jahre ab, wie das z.B. Friedlander (1990) meint? Welche Rolle spielt dagegen die intralinguale Interferenz? Steigt sie im Verlauf des Lernprozesses, wie das Berkoff (1982: 7) vermutet? Gibt es „neutrale Zonen" in der L2, wo kaum L1 Transfer zu beobachten ist (z.B. inflectional morphology nach Jordans 1977)? Wie leicht kann man das Produkt des Transfer (beobachtbar als error), 1 Was in den zwei Sprachen verschieden ist, wird zum Lernproblem, weil es LI Transfer evoziert: statt etwas Andersartiges zu lernen, wird an Bekanntes (LI) angeknüpft. FLuL 22 (1993) 38 Karlheinz Hecht, Peter S. Green das Fehlerverhalten, d.h. the process of transfer (nicht beobachtbar) und die Fehlerquelle, d.h. transfer potential (durch CA diagnostizierbar) auseinanderhalten (vgl. Rossipal 1973)? Wie hilfreich ist die CA für die Vorhersagbarkeit von Fehlern? Wie abhängig ist der Ll Transfer vom Lerner und von der Art der Aufgabenstellung? Ist erhöhter Stress eine Ursache für mehr L1 Transfer (vgl. Sharwood Smith 1982: 32)? Diese Fragen wurden bislang in der Forschung recht unterschiedlich beantwortet, wobei der Fremdsprachenerwerb in der Schule nur selten das Beobachtungsfeld war und die Zahl der Probanden oft Zweifel an der statistischen Aussagekraft der Untersuchung aufkommen ließ. Dieser Beitrag möchte helfen, ein gewisses Maß an Klarheit bei der Beurteilung dieser Probleme zu schaffen. Ehe wir zu unseren Daten vordringen können, müssen wir uns einigen kritischen Fragen zur Methode der L 1 Interferenzforschung stellen. Zunächst wird daran gezweifelt, wie zuverlässig überhaupt die Zuordnung von Fehlern zu bestimmten Fehlerquellen ist. Dazu möchten wir gleich folgendes feststellen: schon bei der Fehleridentifikation beginnen die Probleme! Was eine Abweichung von der sprachlichen Norm ist, liegt oft im Auge des Betrachters. Wir haben in unserem Korpus "Lemersprache" beim ersten Projekt (vgl. Hecht/ Green 1983) die Hälfte aller Fehler eliminieren können, als wir bei fünf native speaker markers davon ausgingen, daß nur das als Fehler zu gelten habe, was von wenigstens drei von ihnen als Fehler identifiziert wurde: fünf native markers hatten 2 095 Fehler angestrichen, wovon aber nur 1 045 Fehler als majority errors übrig blieben (vgl. Green/ Hecht 1985: 81)! Nun zum Problem „Identifizierung von Fehlerverhalten". Hier ein Beispiel für die "Pluralität", das Kohn (1986: 31/ 32) bringt: "a German leamer of English produces the Simple Past variant[...] *While he waited for his girl-friend, he forgot about the time 2 instead of the correct Past Progressive, While he was waiting for his girl-friend, he forgot about the time. This can be attributed to a process of transfer, but also to other processes, such as overgeneralization or simplification [...)". Kohns Beispiel basiert auf einem hypothetischen(! ) Sprecher mit Deutsch als Muttersprache (1986: 24 ). Er wendet sich gegen eine monolithische Sichtweise des Transfers, was sicherlich bis zu einem gewissen Grad berechtigt ist. Nehmen wir aber aus unserem Projekt "reale" Lerner und überlegen uns, was wir aus folgender Tabelle für Schlüsse ziehen können: 2 Das Beispiel beweist übrigens genau das, was wir oben ausführten: die Schwierigkeit beginnt bei der Fehleridentifikation! Für einen native speaker ist die Form Past Progressive im obigen Beispiel keineswegs unbedingt notwendig! FLuL 22 (1993) Muttersprachliche Interferenz beim Erwerb der Zielsprache Englisch ... US MS OS Aspekt+ Aspekt - Aspekt+ Aspekt - Aspekt+ Aspekt - 13% 87% 13% 87% 9% 91% n = 51 n = 52 n = 65 Tabelle 1: Aspektfehler in mündlichen und schriftlichen Berichten (bildgesteuerte Erzählung), aufgeschlüsselt nach fehlendem Aspekt(-) und falsch verwendetem Aspekt (+) bei Schülern der Unterstufe (US), Mittelstufe (MS) und Oberstufe (OS) des Gymnasiums n = Zahl der Probanden (immer mindestens aus zwei verschiedenen Gymnasien) 39 Wie man aufgrund der CA weiß, hat die L1 _keine eigene Form für den Aspekt der L2; deshalb können wir annehmen, daß *he waited eine Form ist, die durch Ll Transfer entstanden ist: das in der Ll internalisierte „er wartete" (transfer potential) wird durch transfer of learning auf die L2 übertragen. Die transferability, wie Kellerman (1983: 117) dieses Phänomen bezeichnete, ist hoch, weil sie um wieder Kellermans Terminologie zu gebrauchen psychologisch unmarkiert ist. Inwieweit kann man mit Kohn hier auch noch von Prozessen wie overgeneralization und simplification sprechen? Processes of simplification, so möchten wir annehmen, sind typisch für Anfänger. Kann man nach 8 bis 9 Jahren Englischunterricht in der OS des Gymnasiums noch immer von simplification sprechen? Immerhin hat die OS den höchsten Anteil von Fehlern in der Kategorie „Aspekt-" ! Uns scheint, daß zumindest ab der MS der vermutete Anteil von simplification processes sehr gering sein dürfte. Wenn für das Beispiel von Kohn der fehlende Aspekt auch dem Prozeß des Übergeneralisierens anzulasten ist, so müssen wir fragen: Was wird hier üb~rgeneralisiert? Doch nur wieder das, was die L1 zur Verfügung stellt: den Nichtgebrauch des Aspekts. Also fallen wir zurück auf das, was wir zuerst schon vermutet haben: Ll Transfer! Hingegen sind alle Fälle, in denen die Lernenden den Aspekt produzieren - und wo diese Form falsch ist eine Übergeneralisierung des für die L2 Gelernten, also intralinguale Interferenz. Die fehlerhaften Formen als interference as a sign of ignorance zu interpretieren, wie das Newmark und Reibel (1968) vorschlagen, und das Nichtwissen durch Lernen abzustellen, erscheint uns in unserem Fall als unmöglich, da Aspekt ab dem ersten Lernjahr im Gymnasium gelehrt wird; aus dem gleichen Grund kann man hier auch nicht von covert transfer sprechen, weil dieser Ausdruck nach Ringhorn (1992 : 105) nur passend ist, wenn der Transfer Wissenslücken kompensiert. Wir möchten Kohns Einwände dahingehend modifizieren, daß wir mit Sharwood Smith (1985: 402) sagen: "Some causes are more equal than others; there must be leading conspirators and hangers-on." FLuL 22 (1993) 40 Karlheinz Hecht, Peter S. Green Wir stufen L 1 Transfer als leading conspirator und Übergeneralisierung und Vereinfachung als hangers-on ein. Ein zweiter Einwand könnte sein, daß man kritisch danach fragt, wie groß das Maß an Übereinstimmung ist, wenn man versucht, leading conspirators zu identifizieren. Ist dieser Teil unseres methodischen Vorgehens einigermaßen reliabel? Wenn zehn Beurteiler eine Schülerproduktion nach LI Interferenz diagnostizieren, so dürfen keine zehn verschiedenen Ergebnisse präsentiert werden; ebenso wenig darf man bei dem spekulativen Potential des Vorgangs erwarten, daß alle zehn Befunde völlig übereinstimmen. Wie hoch kann das Maß an Übereinstimmung sein? Im Rahmen eines Forschungsseminars an der Universität München, das sich der Fehlerursachenforschung annahm, wurden zunächst die Teilnehmer (Staatsexamenskandidaten, Magistranden, Doktoranden) sorgfältig in die Materie eingeführt, besonders in die verschiedenen Kategorien der fehlerverursachenden Prozesse. Nach dieser Phase wurden 4 Seminarsitzungen abgehalten. Durchschnittliche Teilnehmerzahl: 30 Studierende. Sie wurden in 9 Gruppen aufgeteilt. Jeweils 3 Gruppen bearbeiteten eine Schülerproduktion. Die bereits identifizierten Fehler konnten damals einem von 7 ·· Prozessen für die Fehlerentstehung zugeordnet werden, wovon Ll Transfer einer war. Insgesamt wurden 445 Entscheidungen für die Zuweisung in die Kategorien getroffen. Was das Maß an Übereinstimmung zwischen unserer eigenen Kategorisierung und der in den Gruppen anbelangt, so ergab sich für die Diagnose „LI Transfer'' folgendes: Treffen am 30.6.88 Treffen am 7.7.88 Treffen am 14.7.88 Treffen am 21.7.88 64% 68% 87% 81 % Tabelle 2: Maß an Übereinstimmung bei der Diagnose „Ll Transfer" zwischen dem Ergebnis von Hecht/ Green/ Schloter und jeweils ca. 30 Studenten bei der Untersuchung von jeweils ca. 40 Fehlern Das durchschnittliche Maß an Übereinstimmung zwischen uns und den Seminarteilnehmern betrug also 75%. Diese Größe ist für uns ein Hinweis auf eine gute Zuverlässigkeit der Fehlerursachenidentifikation, wenn eine gemeinsame Ausgangsbasis für die Untersuchung besteht. Interessant ist auch die Tatsache der "Leistungsverbesserung" bei den letzten beiden Treffen gegenüber den ersten zwei. Schließlich ist, wie schon früher betont, das methodische Vorgehen bei error cause studies um so gesicherter, je besser nach Rossipal (1973) drei Phasen unterschieden werden. Zunächst: Identifikation des Fehlers und Kategorisierung nach sprachwissenschaftlichen und schulrelevanten Kriterien, z.B. Syntax, Morphologie, Tense. Zweitens: Identifikation des „Fehlerverhaltens": welche(r) Prozeß/ Strategie könnte hauptsächlich zur Entstehung des Fehlers beigetragen haben, z.B. LI Transfer, overgeneralization, simplification strategy, etc. Drittens: Identifikation der „Fehlerquelle"; sie kann in LI und/ oder L2 liegen, z.B. strukturelle Unterschiede; sie FLuL 22 (1993) Muttersprachliche Interferenz beim Erwerb der Zielsprache Englisch ... 41 kann im Schüler selbst liegen, z.B. psychologische Faktoren wie slip of brain, kognitive Defizite wie mangelnde Differenzierung eines Begriffes; oder sie kann schließlich in der Aufgabenstellung (z.B. Gebrauch des Präsens bei bildgesteuerten Berichten), im Lehrplan, beim Lehrer (falsche Progression) oder in nicht sachgerechtem Gebrauch der verwendeten Hilfsmittel (Wörterbuch) 3 liegen. Dieses Verfahren hat sich für unsere Forschung gut bewährt. Im Mittelpunkt dieses Beitrags steht der Prozeß des L1 Tral).sfer als die negative Übertragung von Sprachmustern aus der L1 auf die Fremdsprache Englisch bei kommunikationsorientierten Sprachproduktionen. Die Fehlerquelle kann nach unserer Sicht nicht nur ein struktureller Unterschied zwischen LI und L2 sein, der zum negative transfer of patterns führt; die Übertragung wird auch ausgelöst, wenn die Ll weniger komplex als die L2 ist und somit eine divergente Lernstruktur vorliegt. Hierzu einige Beispiele aus unserem Korpus. Ein Schüler produziert den Satz: * "Then I fetched another and [...]" (Gewünschte Fonn: another orie). Hier sehen wir einen Fall für structural dijference zwischen Ll/ L2. Zwei andere Schüler lieferten folgende Beispiele: * "When a 40 year old man came in he smoked a cigarette." * "During I looked for the radio [...]" In beiden Fällen sehen wir primär den Ll Transfer, den wir im folgenden immer auf die negative Übertragung einschränken, ausgelöst durch die Fehlerquelle divergent learning structure ----► he smoked rauchte ----► he was smoking ----► during während '----► while Ohne Zweifel kann man bei obigen Beispielen zusätzlich auch reductionlsimplification strategies als "less equal causes" vermuten. Wie groß das Ausmaß von awareness beim Übertragungsprozeß ist, ist kaum zu eruieren; man könnte nach Möhle/ Raupach (1989) den Grad des Bewußtseins zwischen den Polentransfer of knowledge (high degree of awareness) und transfer of practice (low degree of awareness) auf einer kontinuierlichen Achse ansiedeln. Damit dem Leser klar wird, nach welchem Raster wir fehlerhafte Produkte analysierten, sei eine error cause chart aus unserem Projekt mit Beispielen von Schüleräußerungen hier vorgestellt: 3 Hierzu zwei Beispiele: "/ climbed on a Leader [...]" (Leiter! ), welches häufig vorkam. Ein besonders kryptisches kam von einem Hauptschüler: "Yes, you can produce me sailing" (produce evidence: beibringen! ). FLuL 22 (1993) 42 Karlheinz Hecht, Peter S. Green School Type: ERROR CAUSE CHART Pupil No.: ERROR SOURCE ERROR BEHAVIOUR Language Pupil L1 1. Structural difference Language transfer 2. Divergent learning structure in L2 3. Offers major clear pat- Over-generalization of rule tem or rule, e.g. -s plural, or pattern/ L2 "mark past tense"/ paraloverextension of grammatilel possibilities cal word (closed class) 4. Lack of contrast between L2 items Ranschburg confusion Ll/ 5. Lack of contrast between L2 Ll-L2 items 6a. Lack of concept refine- Over-extension of lexical ment of lexical word word (open class) within p within L2 L2 u 6b. Awareness of breakdown e.g. Coinage or simplificap in linguistic resources tion strategies I L Language switching 7. Slip of the brain Unmonitored behaviour 8. Task e.g. Unsystematic use of tense 9. lnduced error by teach- "Transfer of training" er/ textbook/ syllabus 10. Ambiguous Erroneous behaviour Task: ERROR l {etched another and [...] During l looked for this [...] Does the price includes breakfast? [...] in the top-shelf [...] that l first didn' t see He put the radio in his map. Pretty music came out of the radio. The radio was standing on the "selling-desk". The radio began to sinJ! . Can you accept a reservation ab tomorrow? l have been 'a radio. l was in my shop and a man comes in. He put a small radio in his satchel. He asked me to show him an elevator. Zum obigen Raster und den Beispielen noch zwei Erklärungen: Das sog. "Ranschburgsche Phänomen", das eine homogene Hemmung aufgrund von Kontrastmangel evoziert, ist ausführlich bei Juhasz (1970: 92 ff) beschrieben. Das Beispiel, das wir in Kategorie 9 (induced error) eingetragen haben, wurde von vielen Schülern der Unter- und Mittelstufe produziert und könnte sicherlich einem damals weitver- FLuL 22 (1993) Muttersprachliche Interferenz beim Erwerb der Zielsprache Englisch ... 43 breiteten Lehrbuch angelastet werden, das außer satchel keine anderen Lexeme für diesen semantischen Bereich in seinen Wortschatzlisten anbot. 3. Beschreibung des Korpus und dessen Analyse Im Jahr 1978 begannen der Lehrstuhl für die Didaktik der englischen Sprache und Literatur an der LMU München und das Language Teaching Centre der University of York ein gemeinsames Forschungsprojekt, das die Analyse und Bewertung der Lemersprache zum Ziel hat. Das Korpus umfaßt heute ca. 6 500 Tests, die entweder sprachliche Teilkompetenzen auf der Ebene des Sprachwissens (Grammatik, Stil, Wortschatz u.a.), oder sprachliches Können (Performanz) in Form von integrativen Tests (message-centred) abprüften. 3.1 Übersicht über die Zahl der Probanden für die Untersuchung (574 deutsche und 425 ausländische Schüler) (a) Gymnasium Unterstufe (US), 7. Klassen, 8. Klassen (Schuljahrsanfang), n = 115 Gymnasium Mittelstufe (MS), 9. und 10. Klassen, n = 132 Gymnasium Oberstufe (OS), 12. und 13. Klassen, Grund- und Leistungskurs, n = 126 Gymnasium zusammen: n = 373 (b) Realschule (RS), 9. und 10. Klassen, n = 102 (c) Hauptschule (HS), 9. Klassen, n = 99 Die Schüler wurden jeweils aus mehreren Gymnasien, Real- und Hauptschulen aus verschiedenen Orten ausgewählt, um eine gute Streuup.g zu erreichen. Alle Schüler hatten Englisch als erste Fremdsprache, mit Ausnahme der OS, wo es keine Differenzierung mehr nach 1. oder 2. Fremdsprache gibt. (d) Französische Schüler: n = 148 63 aus lycee (seconde ca. 16 Jahre) und 85 aus college (troisieme ca. 15 Jahre) (e) Italienische Schüler: n = 94 aus Liceo Linguistico und Liceo Scientifico, (15-16 Jahre alt) (f) Schwedische Schüler: n = 83 aus schwedischen grundskolor (Gesamtschulen, 14-15 Jahre alt) (g) Ungarische Schüler: n = 100 von unterschiedlichen Gymnasien im Alter von ca.16 Jahren, Anzahl der Jahre von Englischunterricht schwankend zwischen 2 und 3 Jahren. Sowohl die Gesamtstichprobenmenge als auch auch die Teilgruppen sind groß genug, um statistisch reliable Daten zu liefem. 4 Alle deutschen und ausländischen 4 Zum Problem der Reliabilität vgl. Hecht/ Green (1993). FLuL 22 (1993) 44 Karlheinz Hecht, Peter S. Green Schüler haben freiwillig an den Tests teilgenommen; sie wußten, daß die Arbeiten nur für Forschungszwecke verwendet würden. Alle Schüler haben jeweils nur einen Test für unser Projekt erledigt. Gesamtzahl aller Probanden: 999. 3.2 Beschreibung der Performanztests Für diese Untersuchung standen uns 4 Typen von integrativen Tests zur Verfügung, soweit es um die deutschen Schüler geht. (a) es wurde anhand einer Bildgeschichte über einen Ladendiebstahl mündlich (Kassettenaufnahme) berichtet: picture story oral (PSO); (b) es wurde ein simuliertes Telephongespräch mit einem youth hostel warden geführt, gesteuert von einer flow-chart und einer Kassette mit dem Part des warden: telephone conversation (TC); (c) es wurde bildgesteuert schriftlich über den Ladendiebstahl berichtet: picture story written (PSW); (d) es wurde ein Brief als Antwort auf einen fetter of elicitation eines englischen Brieffreunds geschrieben: fetter (L). Für die Bearbeitungszeit wurde kein direktes Limit gesetzt; innerhalb der Schulstunde konnte jeder solange arbeiten, bis qie Aufgabe zu Ende gebracht war. Jeder der 4 Tests wurde in der Pilotphase auch von einer Kontrollgruppe in England bearbeitet. Die Auswertung wurde wie folgt vorgenommen: Alle Tests wurden nach Transkription (wo notwendig) und nach Eingabe in den Computer von drei native speakers (immer zwei Engländer und ein Amerikaner) unabhängig voneinander korrigiert. Was mehrheitlich und konsistent als Fehler identifiziert war, wurde in einer sog. error survey / ist eingetragen und von uns kategorisiert. Auch die Konsistenz der Kategorisierungen wurde von uns immer wieder überwacht. Nach mehreren Probeläufen fanden wir folgendes Kategorisierungssystem für brauchbar: Kategorie 1 = grammar (syntax, morphology, tense, preposftion) Kategorie 2 = vocabulary (concept, collocation, non-existent word) Kategorie 3 = style! discourse Kategorie 4 = spelling oder pronunciation Da die technischen und organisatorischen Probleme bei mündlichen Tests sehr groß sind, wurden im Ausland nur die zwei schriftlichen Tests (PSW + L) eingesetzt; deren Bearbeitung erfolgte analog der für die deutschen Teilnehmer. Tabellen 3a und 3b (auf Seite 45) zeigen auf, welche Tests von wie vielen Probanden gemacht wurden. FLuL 22 (1993) Muttersprachliche Interferenz beim Erwerb der Zielsprache Englisch ... 45 US MS OS RS HS LETTER 40 40 40 40 40 PSW 25 40 36 21 20 PSO 26 32 29 20 19 TC 24 20 21 21 20 gesamt 115 132 126 102 99 373 Tabelle 3a: Anzahl der deutschen Schüler bei den einzelnen Tests Franzosen Italiener Schweden Ungarn LETTER 68 47 38 50 PSW 80 47 45 50 gesamt 148 94 83 100 Tabelle 3b: Anzahl der ausländischen Schüler bei den einzelnen Tests 3.3 Methode der Ermittlung der Ll interference errors und deren statistische Auswertung Wenn wir im folgenden von Ll interference errors sprechen, so sind damit jene Fehler gemeint, bei denen gemäß unserer error cause chart ein Prozeß des language transfer stattfand, der seine Quelle entweder in der structural difference oder der divergent learning structure hatte. Das Procedere bei den deutschen Produktionen lief wie folgt: nach der Fehleridentifikation gemäß Mehrheitsvotum von native speakers und Fehlerkategorisierung durch uns, wurde für jeden Fehler mit Ausnahme der Kategorie 4 bei genauer Analyse des Kontexts ein error behaviour und eine error source ermittelt. In Problemfällen wurde ein weiterer Mitarbeiter aus dem deutschen Team konsultiert, der selbst im Rahmen seiner Dissertation mit Fehlerursachenforschung vertraut war (vgl. Schloter 1992). Bei den Produktionen der ausländischen Probanden gingen wir so vor: jeweils ein Muttersprachler (französisch, italienisch, schwedisch) markierte anhand der Produktionen und der Fehlerlisten alle Fehler, die nach seiner Einschätzung als LI interference errors einzustufen sind. Unabhängig von diesem beurteilte ein in dieser Sprache ausgebildeter Lehrer das Material in derselben Weise. Auch hier wurden Fehler der Kategorie 4 nicht bearbeitet. Beide Beurteiler wurden von uns auf diese Aufgabe vorbereitet. In den Fällen, wo sie nicht übereinstimmten, haben FLuL 22 (1993) 46 Karlheinz Hecht, Peter S. Green wir aufgrund unserer Kenntnisse in diesen Sprachen das Urteil des einen oder des anderen unterstützt; dort, wo sie sich einig waren, haben wir ihre Einstufung nach Überprüfung akzeptiert. Bei den ungarischen Produktionen war ein anderes Verfahren notwendig: zwei Muttersprachler bearbeiteten unabhängig voneinander alle Fehler in den Produktionen aus Ungarn; ein dritter Muttersprachler entschied über jene Fälle, wo die zwei ersten keine Einigung erzielt hatten. Natürlich waren auch sie in die Problematik der Fehlerursachenforschung eingewiesen worden. Auch hier wurden spel/ ing errors nicht untersucht. Nach erfolgter Eruierung der Ll interference errors wurde ermittelt, wie viele davon jede Gruppe hatte. Diese Zahl wurde dann als Prozentwert ausgewiesen (100% = alle Fehler der Kategorien 1, 2 und 3), um verschieden große Gruppen vergleichen zu können. Ebenso wurde der Prozentsatz von Ll interference errors pro Aufgabenstellung errechnet. Darüber hinaus wollten wir wissen, wie sich die Ll interference errors auf die einzelnen Bereiche der Sprache (z.B. grammar, vocabulary, etc.) verteilen. Ehe wir nun die Daten unserer statistischen Analysen vorstellen, erscheint es uns sinnvoll, vor dem Hintergrund der bisherigen Forschung eine Reihe von Vermutungen hinsichtlich des Ausgangs unserer Untersuchung anzustellen. 4. Hypothesen über den Ll Transfer Wir gehen von der abhängigen Variable „Ll Transfer" aus und untersuchen die Beziehung zwischen dieser und vier unabhängigen Variablen, und zwar (1) Länge des Sprachlernprozesses, (2) Schulart (3) Art der Testaufgabe, (4) Abstand der Muttersprache von der Zielsprache Englisch. Natürlich könnte man noch weitere Variablen heranziehen (vgl. dazu Ringbom 1987: 63 ff), sie würden aber den vorgegebenen Rahmen dieses Beitrags sprengen. Im Blick auf unsere vier unabhängigen Variablen stellen wir folgende vier Hypothesen auf: Erste Hypothese: Der Einfluß der LI nimmt im Laufe der Lernjahre ab; wir erwarten also in der OS des Gymnasiums weniger Ll inte,ference errors als in der MS oder US. Zweite Hypothese: Der Einfluß der LI ist universal und hat nichts mit der Schulart zu tun: Schüler mit ungefähr gleicher Lernzeit aus dem Gymnasium (MS) unterscheiden sich nicht von denen der Realschule und der Hauptschule. Dritte Hypothese: Der Einfluß der Muttersprache auf die L2 ist um so größer, je mehr die Situation der Sprachproduktion von „Streß" gekennzeichnet ist. Es werden also die deutschen Probanden in den mündlichen Tests mehr Ll Interferenzfehler haben als in den schriftlichen. Ebenso erwarten wir in relativ gesteuerten Aufgaben (PSO, PSW, TC) mehr L1 interference errors als im Brief, wo die Schüler durch Vermeidungsstrategien Sprachproblemen viel öfter ausweichen konnten. FLuL 22 (1993) Muttersprachliche Interferenz beim Erwerb der Zielsprache Englisch ... 47 Vierte Hypothese: L1 Transfer ist abhängig von der Sprachdistanz; je größer sie ist, desto weniger Li interference errors. Da der Abstand zwischen Ungarisch und Englisch am größten ist, erwarten wir bei den ungarischen Schülern die kleinste Zahl von Li interference errors. Wir vermuten, daß Italiener und Franzosen im Mittelfeld liegen. Wir gehen davon aus, daß Deutsch und Schwedisch den geringsten Abstand zur Zielsprache in ihrer alltäglichen Kommunikation haben, deshalb haben die Schüler aus diesen zwei Ländern die größte Zahl von Li interference errors. 5! Ergebnisse 5.1 Erste Hypothese: Ll Transfer nimmt mit der Zahl der Lernjahre ab Die Vermutung über die Reduzierung von "cross-linguistic influence" ist, wie wir im Abschnitt 1 gesehen haben, nichts Neues. Oft wird angenommen, daß dafür die intralinguale Interferenz ansteigt. Für die Überprüfung der ersten Hypothese müssen wir uns auf die ·Probanden aus dem Gymnasium beschränken, da wir n: ur hier über die Schülerjahrgänge 7 bis 13 eine breite Entwicklungsphase als Untersuchungsgrundlage haben. Wie sehen die Daten aus allen vier Tests dazu aus? US MS OS gesamt L1 Transfer 35% 40% 30% 35% L2 Transfer 34% 37% 40% 37% Tabelle 4: Anzahl der Fehler (US/ MS/ OS), die auf inter- oder intralingualen Transfer zurückzuführen sind NB: 100% sind alle mehrheitlich identifizierten Fehler mit Ausnahme der Rechtschreib- und Aussprachefehler. Wie Tabelle 4 zeigt, kann die erste Hypothese als verifiziert angesehen werden, wenn man US mit OS vergleicht. Wäre der Lernzeitraum auf die US und MS beschränkt, so müßte allerdings die erste Hypothese abgelehnt werden. Die reziproke Zunahme des intralingualen Transfer kann für die OS bestätigt werden. 5.2 Zweite Hypothese: Ll Transfer ist unabhängig von der Schulart Wenn LI Transfer ein universaler Prozeß ist, so könnte man im Blick auf den modularen Ansatz der universal grammar (vgl. Schwarz 1992: 106 ff) davon ausgehen, daß alle Schüler, ganz gleich wie es um ihre kognitiven Fähigkeiten steht, zunächst in fast gleicher Weise von LI Interferenz heimgesucht werden. Cook (1989: 174) stellt dazu fest: "Universal grammar theory does not regard language acquisition as depending upon particular circumstances; [...]." Unsere Hypothese basiert auf der Annahme, daß wir direct access to universal grammar ausschließen FLuL 22 (1993) 48 Karlheinz Hecht, Peter S. Green und annehmen, daß universal grammar nur über die Ll zugänglich ist (vgl. Cook 1989: 172). Die Daten aus unserer Untersuchung für alle vier Tests sehen wie folgt aus: MS RS HS LI Transfer 40% 40% 37% Tabelle 5: Anzahl der Fehler in der Sekundarstufe I, die auf L1 Transfer zurückzuführen sind NB: Hier sind 100% alle Fehl.er (außer Kategorie 4), die die Gruppe machte. Danach ist die Hypothese zwei bestätigt, wenn auch die HS 3% weniger L1 Transferfälle hat. 5.3 Dritte Hypothese: Ll Transfer steigt an unter Streß, oder wenn die Aufgaben- . stellung stark gesteuert ist Welche Rolle spielt der "Streß"? Sicherlich ist eine mündliche Sprachproduktion „stressiger" als eine schriftliche; dies bestätigte sogar die englische peer group in ihren Kommentaren zu TC und PSO. Hier die Daten aus unserer Untersuchung: US/ MS/ OS RS HS LI Transfer: 35% 42% 37% schriftliche Produktion LI Transfer: 36% 36% 37% mündliche Produktion Tabelle 6: Anzahl der Fehler bei mündlichen vs. schriftlichen Produktionen, die auf LI Transfer zurückzuführen sind NB: 100% ist die Gesamtzahl der Fehler ohne Kategorie 4. Angesichts dieser Zahlen muß die dritte Hypothese im Blick auf mündlich vs. schriftlich abgelehnt werden. Welches Bild bekommen wir, wenn wir freie Produktionen (L) mit stark gesteuerten Produktionen (PSO/ PSW / fC) vergleichen? Hier sei daran erinnert, daß PSO und PSW durch 6 Bilder, TC durch eine flow-chart stark gesteuert waren. Tabelle 7 (vgl. Seite 49) gibt uns die Antwort. Unsere Annahme, daß die Schüler beim Brief (L) durch Vermeidungsstrategien den L1 Transfer reduzieren würden, war wie Tabelle 7 zeigt falsch. Damit ist auch dieser Teil der dritten Hypothese abzulehnen. FLuL 22 (1993) Muttersprachliche Interferenz beim Erwerb der Zielsprache Englisch ... US/ MS/ OS RS HS L1 Transfer 37% 47% 38% (LETTER) L1 Transfer 35% 35% 37% (PSW/ PSO/ TC) Tabelle 7: Anzahl der Fehler in freien (L) vs. stark gelenkten Produktionen (PSW/ PSO/ TC), die auf L1 Transfer zurückzuführen sind 5.4 Vierte Hypothese: Ll Transfer ist abhängig von der Sprachdistanz 49 Man geht bekanntlich in der angewandten Sprachwissenschaft von der Annahme aus (vgl. Kellennan 1983), daß die transferability 5 abnimmt, wenn das, was übertragbar wäre, dem Sprecher im Blick auf die L2 psychologisch „markiert" erscheint. Psychologically marked trifft dann nach Kellennan (1983: 117) zu, wenn eine sprachliche Erscheinung als unregelmäßig, selten bzw. semantisch oder strukturell „undurchsichtig" empfunden wird. Solche Teile der Sprache werden als language specific eingestuft und „widerstehen" dem Transfer. Dieses Prinzip müßte natürlich auch ganz allgemein für das Verhältnis von der Muttersprache zur Zielsprache anwendbar sein. Je „verwandter" dies erfühlt würde, desto eher würden Teile der L1 als „sprach-neutral" (Kellennan 1983: 117) und als transferierbar auf die L2 angesehen. Wir gingen davon aus, daß die Distanz vom Ungarischen zum Englischen am größten, vom Schwedischen und Deutschen am geringsten ist. Französisch und Italienisch würden im Mittelfeld liegen. Dem entsprechend würden die Zahlen von Fehlern, .die dem L 1 Transfer anzulasten sind, bei diesen Gruppen verschieden sein. Ob sich diese Vermutung bestätigt hat, zeigt uns Tabelle 8. D (Sek 1) s F I u L1 Transfer 39% 41% 33% 53% 19% n= 333 83 148 94 100 Tabelle 8: Prozentuale Anzahl von Fehlern bei Deutschen, Schweden, Franzosen, Italienern und Ungarn in schriftlichen Sprachproduktionen (PSW + L), die dem LI Transfer anzulasten sind NB: 100% = Gesamtfehlerzahl ohne Rechtschreibfehler 5 Diesen Begriff definiert Kellerman (1983: 117) so: "Transferability is to be seen as a theoretical notion which derives from the native speakers' own perception of the structure of their language". FLuL 22 (1993) 50 Karlheinz Hecht, Peter S. Green Hypothese 4 ist für die ungarischen Schüler zu verifizieren; diese haben in der Tat den geringsten Anteil von Ll Transfer. Unsere Vermutung über die Rolle der Schweden (Gesamtschule) und der Deutschen (letztere als Sekundarstufe I hier anzusetzen, damit der Vergleich mit Gesamtschule stimmiger wird) als „nahe Verwandte" zum Englischen hat sich mit 39% bzw. 41 % L1 Transfer auch bestätigt. Ebenso liegen erwartungsgemäß die Franzosen im Mittelfeld. Lediglich die Italiener widerlegen die vierte Hypothese mit 53% Ll Transfer: Wieso diese die language distance so völlig anders einschätzen und ob mit Hilfe einer numerischen Taxonomie nach .Altmann/ Lehfeldt (1973) die Sprachwissenschaft dafür einen Grund finden könnte, kann von uns z. Zt. nicht eruiert werden. 6 6. Ll Transfer bei "sprachspezifischen" und „sprachneutralen" Strukturen In unserem Forschungsprojekt wurde nach erfolgter Identifizierung jeder Fehler in eine von 4 Hauptkategorien eingeteilt, die wir im Abschnitt 3.2 vorstellten. Die vierte Hauptkategorie (Aussprache/ Rechtschreibung) ist bei der Fehlerursachenforschung ausgeklammert worden. Grammatik Wortschatz Stil/ Diskurs Deutsche Schüler 43% 39% 17% (nur Gymnasium) Deutsche Schüler 50% 32% 18% (Sek I: MS/ RS/ HS) Französische Schüler 46% 36% 18% Italienische Schüler 43% 40% 17% Schwedische Schüler 49% 35% 17% Ungarische Schüler 45% 31% 24% Tabelle 9: Die Verteilung aller Fehler nach den drei Hauptkategorien NB: 100% sind Anzahl aller Fehler in den drei Hauptkategorien. 6 Leider gibt es nur einen einzigen Beitrag zur Sprachdistanz aus fachdidaktischer Sicht; dieser (C.V. James 1979) geht allerdings von Englisch als Muttersprache aus und mißt die Fremdsprachen (Französisch, Deutsch, Italienisch, Russisch, Spanisch), die in englischen Schulen gelehrt werden. FLuL 22 (1993) Muttersprachliche Interferenz beim Erwerb der Zielsprache Englisch ... 51 Die Hauptkategorien grammar, vocabulary und style! discourse 1 wurden im Prozeß der Fehlerkategorisierung dann nochmals wie folgt unterteilt: grammar: syntax, morphology8, tense, preposition vocabulary: concept, collocation, non-existent word style! discourse: inappropriacy, discourse organization Natürlich wollten wir auch wissen, wie stark sich Ll Transfer auf die Haupt- und Teilgebiete auswirkt. Gibt es Strukturen in der Sprache, die so language-specific sind, daß kein Transfer auftritt, wie das u.a. Jordans (1977) für inflectional morphology postulierte? Alle hier untersuchten Schüler haben Muttersprachen mit einem z.T. sehr reichhaltigen Anteil an gebundenen Morphemen, hingegen zeichnet sich die Zielsprache Englisch gerade durch ein sehr geringes Vorkommen von bound morphemes aus. Nach den lernpsychologischen Erwartungen bei einer hier vorliegenden konvergenten Lernstruktur (Ll komplexer als L2), dürfte gemäß dem principle of least ejfort kein Transfer auftreten. Dies war in der Tat für alle Gruppen der Fall bis auf einige französische Schüler. Zwar waren die~.nur wenige, aber sie produzierten Fehler wie diese: *strongs cigarettes / *others customers / *yours friends / *yours tips / *theses towns. Damit kann von völlig language-specific parts, die nicht transferierbar sind, nur noch mit Einschränkung gesprochen werden, selbst bei konvergenter Lernstruktur. Wenn wir die 3 Hauptkategorien von Sprache auf ihre "Anfälligkeit" für L1 Transfer untersuchen, um herauszufinden, wie „sprachneutral" die einzelnen sind, so ergibt sich ein uneinheitliches Bild, wie die Abbildungen 1-6 (vgl. S. 52) zeigen. Vergleicht man nun Abbildung 1 mit der ersten Schülergruppe von Tabelle 9, so sehen wir, daß z.B. von den 43% Grammatikfehlern 55% auf den störenden Einfluß der L1 zurückzuführen sind. Insgesamt zeigt sich, daß die Verteilung auf die drei Hauptkategorien bei Tabelle 9 und den Abbildungen 1-6 ziemlich identisch ist, besonders bei den ungarischen Schülern. Die deutschen Schüler des Gymnasiums (Abb. 1) und der Sekundarstufe I (MS, RS, HS: ähnliche Population wie Gesamtschule in Schweden oder college in Frankreich) erliegen mit 55% bzw. 57% (Abb. 2) in hohem Maße bei der Grammatik dem Ll Transfer. 9 Diese Daten basieren auf (Fortsetzung S. 5 3) 7 Die Kategorie style! discourse beinhaltet jene Verstöße, die entweder nach dem Kriterium „sprachliche Angemessenheit" oder nach dem Kriterium cohesion bzw. coherence einzuordnen sind. 8 In unserem Forschungsprojekt definierten wir Morphologie nach Matthews (1974: 3): "[...] that branch of linguistics which is concerned with the form of words in different uses and constructions". Syntax definierten wir sehr eng als Word Order. 9 Die Verteilung der L1 Interferenzfehler ist im Gymnasium in allen 3 Phasen ziemlich konstant: US: 53% grammar, 34% vocabulary. MS: 52% grammar, 35% vocabulary. OS: 53% grammar, 29% vocabulary. FLuL 22 (1993) 52 1. Deutsche Schüler (nur Gymnasium) 3. Französische Schüler (Lycae und College) 5. Schwedische Schüler Karlheinz Hecht, Peter S. Green 2. Deutsche Schüler (Sekundarstufe 1) .... : : : : : : : : ; \~: : : : : ! : ~: ; : : : ; : ; : : : : : : ,_ ·····•···~·~·~~~&! ¼••·•··•· 13% 4. Italienische Schüler 12% 6. Ungarische Schüler 23% Abbildung 1--6: Verteilung der LI Interferenzfehler (= 100%) in den Bereichen Grammatik, Wortschatz und Stil/ Diskurs FLuL 22 (1993) Muttersprachliche Interferenz beim Erwerb der Zielsprache Englisch ... 53 den schriftlichen Tests (PSW + L), damit wir die deutschen Probanden mit denen der anderen Nationen vergleichen können. 10 Es folgen dann die ungarischen Probanden (Abb. 6), die 46% Interferenzfehler bei der Grammatik aufweisen. Französische und italienische Schüler (Abb. 3 und 4) haben rund genauso viele L1 Interferenzfehler beim Vokabular wie bei der Grammatik. Die geringste L1 Transferbelastung bei Grammatik zeigen die Schweden (Abb. 5): nur 36%! Man könnte, wenn man eine besondere „Nähe" von Deutsch und Schwedisch mit der englischen Alltagssprache akzeptiert, zu dem Schluß kommen auch mit Blick auf die ungarischen Schüler -, daß das Distanzverhältnis zwischen L1 und Zielsprache Englisch keine Schlüsse zuläßt, wo der L1 Transfer „einschlägt". Ob die Gründe für die recht unterschiedliche Verteilung im methodischen Bereich liegen, kann von uns nicht schlüssig nachgewiesen werden. Auch die Verteilung der Ll Interferenzfehler innerhalb der Teilkategorien bestätigt dieses Bild: Die Schüler des Gymnasiums (alle Schüler mit allen 4 Tests) haben bei tense mit 21 % den höchsten Anteil der bei Grammatik vorkommenden Ll Interferenzen (53%)ein Ergebnis, das die contrastive analysis sicherlich auch prognostizieren würde; Syntax folgt mit 10%. Analog zu den Schülern des Gymnasiums haben nur die Franzosen bei der Teilkategorie tense den höchsten Anteil von Interferenz innerhalb der Grammatik (15%). Ungarn, Italiener und Schweden (18%; I2%; I3%) haben hier jeweils bei Morphologie den höchsten Anteil von L1 Transfer.Beim Wortschatz hat die Teilkategorie concept erwartungsgemäß den höchsten Anteil: die Schüler des Gymnasiums bringen' es hier auf 22% L1 Interferenz. Bei den Franzosen, Italienern, Schweden und Ungarn ergibt sich beim Wortschatz dasselbe Bild: auch hier zieht die Teilkategorie concept die meisten LI Interferenzen aufsieh (F: 31%; I: 35%; S: 38%; U: 19%). Die Schwächen beim Wortschatz (= concept) sind offensichtiich supra-national; die bei der Grammatik sind national höchst unterschiedlich, wobei die Distanz zwischen Ll und Zielsprache wohl keine Rolle spielt. 7. Schlußfolgerungen Unsere Untersuchungsergebnisse haben auf die meisten der Fragen, die wir im Abschnitt 2 stellten, eine empirisch abgesicherte Antwort gegeben. Das Gesamtresümee zeigt, daß der LI Transfer im Laufe der Lernjahre abnimmt, allerdings nur dann, wenn man die US mit der OS vergleicht (vgl. Tabelle 4 auf S. 47). Würde sich unsere Untersuchung auf sechs Jahre Unterricht beschränken, so könnten wir die Abnahme der interlingualen Interferenz nicht bestätigen. Dieses Resultat könnte 10 Nimmt man beim Gymnasium mündliche und schriftliche Tests zusammen, so ergeben sich recht ähnliche Zahlen: Grammatik 53%, Wortschatz 33%, Stil/ Diskurs 14%. FLuL 22 (1993) 54 Karlheinz Hecht, Peter S. Green wohl gegen eine Lernzeitverkürzung für die erste Fremdsprache im schulischen Bereich sprechen. · Der Anteil des LI Transfer ist weder dramatisch hoch, noch so gering und unbedeutend, wie das Dulay, Burt und Krashen (1982) uns glauben machen wollen.11 Für die Unter- und Mittelstufe ist er ungefähr genauso groß wie der Anteil der intralingualen Interferenz, letztere steigt erst in der Oberstufe an und übertrifft mit 10% Distanz den LI Transfer (vgl. Tabelle 4 auf S. 47). Da LI Transfer bis zur Oberstufe eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt, ist evident, daß die Hypothese von Dulay et al. "L2 Erwerb ist (fast) gleich LI Erwerb" für den schulischen Fremdsprachenunterricht nicht zutrifft. Wie wir ebenfalls nachweisen konnten, ist der LI Transfer bei ungefähr gleicher Lernzeit ziemlich universal und nicht von der Schulart abhängig (vgl. Tabelle 5 auf S. 48). Daß der LI Transfer unter Streß ansteigen würde, konnte unsere Untersuchung nicht nachweisen, auch freiere Sprachproduktionen führen zu keiner Abnahme der interlingualen Interferenz. Größere Sprachdistanz zwischen L 1 und L2 hingegen führt im allgemeinen zu einer Abnahme des LI Transfer (Ausnahme: die italienischen Schüler). Schließlich konnten wir nachweisen, daß LI Transfer beim Wortschatz primär die Bildung des richtigen Begriffes in der L2 verhindert. Dies galt für alle 5 Nationen. Das Wachstum von grammatischen Fähigkeiten wird bei den Schülern des Gymnasiums durch LI Transfer am meisten beim Zeitensystem beeinträchtigt. Hingegen ergibt sich bei den Schülern der Real- und Hauptschulen ein etwas anderes Bild: von den vier Kategorien bei Grammatik „schlägt" bei der RS der LI Transfer am stärksten bei der Kategorie syntax ein (gefolgt von tense); bei der HS werden tense und_ syntax gleich stark vom Ll Transfer beeinträchtigt. Unsere Analyse dürfte somit für den Unterricht klare Zielangaben ermittelt haben: Unterrichtsstrategien gegen Ll Transfer, wie z.B. kontrastives Vergleichen (vgl. u.a. comparing and contrasting und code-switching practice bei Caldwell 1990: 475), lohnen sich, weil damit Fehler durch LI Transfer, die rund ein Drittel des Fehlerpotentials ausmachen, verringert werden können. Bei der grammatikalischen Erhellung sollte besonders das Zeitensystem, bei der Wortschatz-Exploration besonders die Begriffsdifferenzierung beachtet werden. Für die RS und HS müßten im Rahmen der Förderung der grammatischen Fähigkeiten zusätzlich noch die abweichenden Sprachmuster bei der Syntax beachtet werden. 11 Produktionen von deutschen Schülern ohne LI Transfer US MS OS RS HS 4 von 115 1 von 132 9 von 126 1 von 102 3 von 99 FLuL 22 (1993) Muttersprachliche Interferenz beim Erwerb der Zielsprache Englisch ... 55 Bibliographische Angaben ALTMANN, G. / LEHFELDT, W.: Allgemeine Sprachtypologie: Prinzipien und Meßverfahren. München 1973. BERKOFF, N. A.: "Error Analysis Revisited". In: G. Nickel/ D. Nehls (eds.): Error Analysis. Contrastive Linguistics and Second Language Learning. Heidelberg 1982, 5_: 18. CALDWELL, J.: "Analysis of the theoretical and experimental support for Carl Dodson's bilingual method". In: Journal of Multilingual and Multicultural Development 6 (1990), 459-479. COOK, V.: "Universal grammar theory and the classroom". In: System 17.2 (1989), 169-181. DULAY, H./ BURT, M./ KRASHEN, S.: Language two. New York 1982. 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Einführung Lehrerreaktionen auf Fehler im Fremdsprachenunterricht (FU) sind immer als wichtige potentielle Lernmomente verstanden und sehr intensiv erforscht oder zumindest diskutiert worden (vgl. die Bibliographie von Weller 1991). VanPatten (1988: 253) behauptet jedoch, daß keine einzige Studie deutlich bewiesen hat, daß Lehrerkorrekturen einen positiven Lerneffekt mit sich bringen. Dies liegt u.a. daran, daß Lehrerkorrekturen offensichtlich ein sehr komplexes Phänomen darstellen, nicht zuletzt wegen der Vielfalt der Faktoren, die eine allgemeine Bewertung erschweren. Auch wenn in fachdidaktischen Zeitschriften zielsprachliche Lerneräußerungen unter Etiketten wil! "Would you hav_e marked it wrong? " zur Diskussion gestellt und dann nur mit Bezug auf zielsprachliche Normen bewertet werden (vgl. .die entsprechende Rubrik in der Zeitschrift PRAXIS), so spielen doch viele weitere Perspektiven eine Rolle, wenn Lehrende 1 im FU zu entscheiden haben, ob eine bestimmte Lerneräußerung korrigiert werden soll oder nicht. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn keine schriftlichen, sondern mündliche Fehler diskutiert werden sollen, was im folgenden der Fall ist. So schlägt z.B. Hendrickson (1978) in seinem Forschungsbericht über das Korrekturverhalten im FU fünf „fundamentale Fragen" vor, nämlich ob Fehler, wann Fehler, welche Fehler, wie Fehler und von wem Fehler korrigiert werden sollten. Die gleichen fünf Fragen werden u.a. auch von Chaudron (1988: 132-153) als Organisationsprinzip in seiner Forschungsübersicht verwendet. Die „fundamentalen Fragen" setzen voraus, daß in einem konkreten Fall die Zeit des Lehrerein- 1 Eine konsistente und stilistisch adäquate Strategie, bei der die Maskulinformen im generischen Sinne vermieden werden können, ist mir leider nicht bekannt. Daher ist es mir nicht gelungen, Formen wie „Lerner", "der Lehrer" usw. zu vermeiden, wenn sowohl männliche als auch weibliche Personen gemeint sind. FLuL 22 (1993) 58 Willis J. Edmondson griffs falsch sein kann, daß es ferner falsch sein kann, eine bestimmte Art von Fehler zu korrigieren oder eine bestimmte Form von Korrektur durchzuführen usw. Im folgenden möchte ich der Frage nachgehen, was hier „falsch" oder „unangebracht" heißen soll, d.h. warum Lehrerbehandlungen von Fehlern manchmal positive, manchmal negative Auswirkungen haben können. Die Grundhypothese dieses Aufsatzes ist also, daß das Lehrerkorrekturverhalten sowohl positive als auch negative Auswirkungen für das Fremdsprachenlernen haben kann. Mich interessiert die Frage, unter welchen Bedingungen unterschiedliche Auswirkungen von unterschiedlichen Formen von Fehlerbehandlungen vorkommen können. Daher steht nicht das Lehrerverhalten, sondern dessen psycholinguistische Auswirkungen auf den Lerner im Vordergrund. Es wird also eine lerntheoretische Perspektive eingenommen. Es ist auch notwendig, Fehlerbehandlungen als Beiträge zum unterrichtlichen Diskurs, also als kontextualisierte Äußerungen, zu betrachten. Bei dem Versuch, eine Antwort auf die im Titel dieses Aufsatzes gestellte Frage zu geben, werden daher sowohl lerntheoretische als auch diskursanalytische Perspektiven von Fehlerbehandlungen beachtet. So weit ich weiß, liegt bisher keine Theorie zur Rezeption von Lehrerkorrekturen vor (vgl. aber die Diskussion von Vigil/ Oller (1976) in Abschnitt 4 unten). Viele Studien und fremdsprachendidaktische Ansätze zum Thema Fehlerkorrektur sind jedoch hierzu relevant. So müssen z.B. konkrete didaktische Hinweise immer auf einer Fremdsprachenlerntheorie basieren, auch wenn dies allzu häufig nur implizit erfolgt. Ferner bieten mehrere ethnographische Studien interessante Einsichten zur subjektiven Erfassung von Lehrerkorrekturen, insbesondere solche, die sich auf sog. "subjektive Daten" stützen (vgl. z.B. Kleppin/ Königs 1991). Knapp-Potthoff (1987: 215-216) schlägt eine Reihe von Fehlerkategorien aus der Lernerperspektive vor, die in deutlichem Gegensatz zu traditionellen Fehlerklassifizierungen stehen und die sie selbst als „ungewöhnlich" und „nicht ganz ernstzunehmend" beurteilt. Diese Klassifikation versucht zu erfassen, wie Lerner verschiedene Fehler bewußt wahrnehmen (könnten), und insofern ist sie für die Zielsetzung dieser Arbeit relevant. Mein Verfahren ist eher theoretisch als empirisch, nämlich in dem Sinne, daß Aspekte der Korrekturrezeption erwähnt werden sollen, die zwar konsistent mit vorliegenden empirischen Studien und begründeten Hypothesen zum Fremdsprachenlernen sind, die jedoch nicht durch eigene empirische Experimente getestet oder bestätigt worden sind. Das vorgelegte Modell soll Anregungen für weitere Forschungen geben und einen Rahmen für didaktische Entscheidungen darstellen. Zur Struktur des Aufsatzes: nach einer kurzen Erläuterung einiger Grundbegriffe und einiger Differenzierungen hinsichtlich positiver und negativer Lerneffekte werden in Kap. 2 gängige Argumente für bzw. gegen systematische Fehlerbehandlungen im FU diskutiert. Kap. 3 referiert einige diskursanalytische Betrachtungen des FUs, die die Kontextbedingtheit von Fehlern und die verschiedenen didaktischen Rollen ihrer Behandlung nachweisen sollen. In Kap. 4 werden zusammenfassend Aspekte einer Theorie der Rezeption von Fehlerkorrekturen dargestellt. FLuL 22 (1993) Warum haben Lehrerkorrekturen manchmal negative Auswirkungen? 59 1. Begriffliche Voraussetzungen Bevor wir über positive bzw. negative Lerneffekte diskutieren, die sich daraus ergeben, daß Feedback auf Lernerfehler folgt, ist es angebracht, die beiden letzteren Begriffe kurz zu definieren und einige Differenzierungen bzgl. "positiver" und "negativer" Lernkonsequenzen vorzunehmen. 1.1 Fehler und Fehlerbehandlung Edmondson (1986) unterscheidet zwischen fremdsprachlichen "Fehlern" und fremdsprachlichen „Verstößen" und schlägt "Abweichung" als Oberbegriff vor. Nach dieser Unterscheidung sind Fehler Lernerhaltungen, die von Lehrenden als sprachlich „falsch", didaktisch unangebracht oder einfach unerwünscht behandelt werden, d.h. Fehler werden durch ihre Konsequenzen im unterrichtlichen Diskurs definiert. "Verstöße" dagegen sind Sprachprodukte, die von allgemein gültigen zielsprachlichen Normen abweichen. So können im Prinzip auch Lehrende Verstöße, jedoch keine „Fehler" produzieren. In einer konkreten Unterrichtsstunde ist zu erwarten, daß die Menge von Fehlern und die Menge von Verstößen überlappen, jedoch nicht identisch sind. Im folgenden wird über „Fehler" in obigem Sinne gesprochen, unabhängig von der Frage, ob die durch Lehrer-Feedback gekrönten Lemeräußerungen gleichzeitig zielsprachliche Verstöße sind oder nicht. Da der Begriff „Lehrerkorrektur" für meine Zwecke zu eng ist - Lehrer können z.B. u.a. Anregungen zur Selbstkorrektur als Feedback geben -, der Begriff „Feedback" aber zu weit, wird im folgenden über „Fehlerbehandlung" gesprochen, wobei ich unter diesem Begriff nur Handlungen verstehen möchte, durch die Lehrer Korrekturen initiieren, bestätigen oder vollziehen. Daraus ergibt sich eine begriffliche Zirkularität: Fehler werden durch eine darauf folgende Lehrerreaktion definiert, diese Reaktion wird jedoch als „Fehlerbehandlung" bezeichnet. Diese unsaubere Begrifflichkeit wird absichtlich vorgenommen, da die damit erreichte Zirkularität der Realität aus der Lernerperspektive entspricht, d.h., im normalen Fall können Lerner ihre „Fehler" nur dann wahrnehmen, wenn ein entsprechender Lehrerhinweis (oder ein entsprechender Hinweis aus anderen Quellen) gegeben wird (s. z.B. Edmondson 1986). Diese Zirkularität kann jedoch für unsere Diskussion gemildert werden durch zwei Ergänzungen: Fehler und deren Behandlung durch Lehrende kommen in fremdsprachenunterrichtlichen Reparatursequenzen vor, innerhalb derer die Ursache für die Reparatursequenz eine Lerneräußerung ist, Fehlerbehandlung wird so verstanden, daß auf eine direkte oder indirekte Art und Weise Informationen gegeben werden, die eine Korrektur der reparaturbedürftigen Äußerung ermöglichen oder sogar vollziehen. Diese Interpretation der „Fehlerbehandlung" überlappt mit dem Begriff "negatives Feedback" (dieser Begriff ist jedoch in sich evaluativ belastet). Ein Ziel unserer FLuL 22 (1993) 60 Willis J. Edmondson Überlegungen besteht genau darin, positive und negative Effekte von „negativem" Feedback zu differenzieren. 1.2 Die Beurteilung von Lehrerfeedback: Positive/ negative Effekte Wenn wir Lehrerfeedback unter bestimmten Bedingungen als lernfördernd bzw. lernhemmend verstehen wollen, dann ist es nötig, sich so klar wie möglich darüber zu sein, was „lernfördernd" bzw. das Gegenteil heißen soll. Dies verlangt grundsätzlich eine Fremdsprachenlerntheorie. Da es keine empirisch gesicherte und beschreibungsadäquate Lerntheorie gibt, können nur Aspekte des Fremdsprachenlernprozesses bei den folgenden Differenzierungen angedeutet werden. Es ist zum Beispiel zuerst angebracht zu unterscheiden zwischen kognitiven und affektiven Inhalten von Fehlerbehandlungen (vgl. Vigil/ Oller 1976). 1.2.1 „Positive" Konsequenzen bestimmter Formen der Fehlerbehandlung Was „positive" Konsequenzen betrifft, so ist eine weitere Unterscheidung nötig, nämlich zwischen dem Fall, in dem durch Lehrerfeedback neues Wissen (sprachlicher, kulturbezogener oder metasprachlicher Art) zur Verfügung gestellt wird - Wissen, das von einem oder mehreren Lernern wahrgenommen, gespeichert oder „gelernt" werden könnte - und zweitens dem Fall, in dem vorhandenes Wissen beim Lerner durch das Korrekturverhalten des Lehrers (und/ oder durch die darauf folgende Selbstreparatur/ Wiederholung des Lerners) intern umstrukturiert wird. Edmondson/ House (1993: 314-324) postulieren drei Parameter, durch die vorhandenes Wissen „vertieft" werden kann: um effektive Sprachperformanz zu ermöglichen, muß relevantes Wissen analysiert, integriert und automatisiert sein. Der Parameter „analysiert" betrifft den Grad der Vernetzung des relevanten Wissens mit anderem sprachlichen Wissen; je mehr sprachliches Wissen „integriert" ist, desto stärker ist es mit nichtsprachlichem Wissen vernetzt und in verschiedenen Kontexten verfügbar. Die dritte Variable bezieht sich darauf, wie „automatisch" das Wissen abgerufen werden kann. Nach meiner lerntheoretischen Überzeugung kann im Prinzip sowohl explizites als auch implizites Wissen durch Lehrerfeedback auf diesen drei Parametern „neustrukturiert" werden (im Sinne von McLaughlin 1990). Die affektive Dimension von Fehlerbehandlungen scheint eher potentiell negative Konsequenzen zu haben, d.h. ich gehe davon aus, daß zu Korrektur anregendes Lehrerfeedback nur dann positive affektive Auswirkungen haben kann, wenn der Inhalt des Feedbacks lernfördernd wirkt. Mit anderen Worten: wenn dabei nicht gelernt wird, ist es unwahrscheinlich, daß die Fehlerbehandlung positive affektive Effekte bewirkt. 1.2.2 „Negative" Konsequenzen bestimmter Formen der Fehlerbehandlung Bei der einführenden Diskussion oben ist gesagt worden, daß in der Forschungsliteratur und in der Lehrpraxis davon ausgegangen wird, daß bestimmte Korrektu- FLuL 22 (1993) Warum haben Lehrerkorrekturen manchmal negative Auswirkungen? 61 ren oder Formen von Lehrerfeedback zu vermeiden sind. Weshalb? Aus der Lernerperspektive können wir mindestens drei theoretische Gründe postulieren: (a) Auf eine direkte oder indirekte Art führt die Fehlerbehandlung dazu, daß falsches Wissen vermittelt wird es geht zum Beispiel um einen Fehler, der kein Verstoß war - oder daß Lerner die Richtigkeit bestimmter Aspekte der Zielsprache, die vorher beherrscht worden waren, nun anzweifeln. (b) Auch wenn (a) nicht zutrifft, ist die Fehlerkorrektur deshalb nicht zu empfehlen, weil sie keinen positiven Lerneffekt bringt. So ist z.B. die Fehlerkorrektur unverständlich oder kann zu diesem Zeitpunkt von den Lernern nicht wahrgenommen werden. (c) Auch wenn (a) und (b) nicht zutreffen, könnte man behaupten, daß der/ die Lehrende einen größeren/ besseren Lerneffekt ermöglicht hätte, wenn das Korrekturverhalten anders ausgesehen bzw. überhaupt nicht stattgefunden hätte. Die Gründe (a), (b) und (c) sind hierarchisiert, in dem Sinne, daß bei (a) etwas Unangebrachtes gelernt wird, bei (b) nichts gelernt wird, bei (c) das Lernpotential des Fehlers nicht voll ausgeschöpft wird, Fehlerbehandlungen können ferner negative affektive Konsequenzen nach sich ziehen. So hat z.B. Legenhausen (1985) darauf hingewiesen, daß korrektives Feedback gesichtsbedrohend sein kann. Dies bedeutet, daß die Bereitschaft, die Fremdsprache im Unterricht zu benutzen, die Einstellung zu der Fremdsprache allgemein oder die Kooperationsbereitschaft in der Lerngruppe möglicherweise durch Lehrerfeedbackverhalten reduziert werden können. Solche negativen affektiven Auswirkungen können den Lernerfolg im FU sowohl kurzfristig als auch langfristig negativ beeinflussen. 2. Argumente zum Einsatz/ zur Venneidung von Fehlerbehandlungen Wie schon erwähnt, ist die allgemeine Frage, ob Abweichungen behandelt werden sollen wobei nach unserer Begrifflichkeit überhaupt keine Fehler zustande kommen könnten -, naiv und undifferenziert. Die folgende kurze Diskussion über Argumente für und gegen eine systematische Fehlerbehandlung bleibt ebenfalls relativ undifferenziert. Es geht mir aber darum herauszufinden, ob es theoretische Gründe gibt, weshalb Fehlerfeedback aus lerntheoretischer Sicht grundsätzlich positive/ negative Auswirkungen haben soll. 2.1 Theoretische Begründungen für Fehlerbehandlungen Ellis (1990: 193) argumentiert 2, daß ein Gewinn a1; 1 neuem fremdsprachlichen Wissen voraussetzt, daß einem (noch) nicht beherrschten Merkmal der Zielsprache 2 Vgl. dazu auch Johnson (1988) oder für den Erstsprachenerwerb Slobin (1985: 1164). FLuL 22 (1993) 62 Willis J. Edmondson Aufmerksamkeit gewidmet wird. Lerner müssen eine Diskrepanz bemerken zwischen dem, was sie wissen, und dem, was sie hören bzw. lesen. Ellis sieht in diesem Argument eine Begründung für die Behandlung expliziten grammatischen Wissens im Unterricht. In seinem Sprachlernmodell dient grammatisches Wissen dazu, "advance organizers" zu aktivieren, durch die die relevanten Merkmale der Zielsprache in späterem Input wahrgenommen werden können. Wenn wir das Argument im Hinblick auf Lehrerfeedback interpretieren, dann kann Fehlerbehandlung die gleiche "Aufmerksamkeit erregende" Funktion ausüben. Nach den Vorstellungen von Ellis würde Feedback selbst nicht unbedingt einen positiven Lerneffekt ausüben, informatives Feedback kann jedoch die Voraussetzung für effektives Lernen sein. Die "Aufmerksamkeit erregen"-Hypothese gewinnt empirische Unterstützung durch Schmidt/ Frota (1986; vgl. auch Schmidt 1990). Schmidt hat einige Monate lang Portugiesisch in Portugal „gelernt/ erworben" und seine Probleme, Erfahrungen und subjektiven Lernfortschritte sorgfältig protokolliert. Der zweite Autor hat jede Woche ausführliche Gespräche auf Portugiesisch mit Schmidt durchgeführt, aufgenommen und transkribiert. Daher ist ein Vergleich zwischen subjektiven und objektiven Einschätzungen des Lernfortschritts möglich. Was die Grammatik der Zielsprache betrifft, so kommen die Autoren zu dem Schluß, daß Verstehen eine Voraussetzung für das Lernen war, wobei Verstehen sich auf die Systematik der Sprache bezieht und nicht auf den Inhalt des Inputs. Ferner muß das Verstehen nicht unbedingt ein richtiges Erfassen der Grammatik implizieren. Auch wenn ein Merkmal des Portugiesischen häufig im natürlichen Input (oder in den besuchten Unterrichtsstunden in Portugal) vorhanden war, kam es im Output nur dann vor, wenn der Lerner das Phänomen wahrgenommen hatte (Schmidt/ Frota 1986: 281 ). Konsistent mit dieser Position ist die Behauptung, daß indirektes korrektives Feedback z.B. durch Wiederholungen mit steigender Intonation (sog. "Confirmation checks") keinen Lerneffekt hatte, wenn diese Reaktion nicht als Reparatur- Initiierung erkannt wurde. Schmidt/ Frota (1986) formulieren ferner eine „Auto-Input"-Hypothese, die besagt, daß die selbsterzeugten Sprachproduktionen ein wichtiger Input sind (vgl. Sharwood Smith 1981). Wenn Lerner z.B. eine neue syntaktische Struktur oder morphologische Flexion ausprobieren, die akzeptiert und verstanden wird, dann wird die syntaktische Struktur oder morphologische Regel internalisiert und weiter verwendet. Die Auto-Input-Hypothese kann als indirektes Argument für Fehlerbehandlungen im FU interpretiert werden, und zwar in dem Sinne, daß abweichende Lerneräußerungen, die keine Korrektur bekommen, zur Automatisierung der interimsprachlichen Regel führen, die die mangelhafte Äußerung verursacht hat. Das Argument wird in Schmidt/ Frota (1986) nicht erwähnt. Ein ähnliches Argument ist jedoch z.B. in Higgs/ Clifford (1982) zu finden. Das Argument kann als „Fossilisierungs-Hypothese" bezeichnet werden: wenn Lerner regelmäßig positives Feedback für kommunikativ erfolgreiche, jedoch linguistisch abweichende Äußerungen bekommen, dann FLuL 22 (1993) Warum haben Lehrerkorrekturen manchmal negative Auswirkungen? 63 droht die Fossilisierung falscher grammatischer Regeln (vgl. Higgs/ Clifford 1982). Dies ist also ein indirektes Argument für Fehlerbehandlungen. 3 Mehrere Studien zeigen, daß Lerner Fehlerbehandlungen von Lehrern erwarten bzw. verlangen (vgl. z.B. Cathcart/ Olsen 1976). Auch Königs (1992: 173) stellt fest, daß „Schüler umfassende Fehlerkorrekturen wünschen und .diejenigen Lehrer kritisieren, die weniger häufig korrigieren". Inwiefern solche Erwartungen institutionell bedingt sind, ist schwer einzuschätzen. Die "Aufmerksamkeit erregen"-Hypothese ist insofern einleuchtend, als im FU kaum zu erwarten ist, daß sich die Interimsprachen von Lernern von alleine verbessern, wenn Lerner keine Informationen über die Angemessenheit ihrer Sprachproduktion bekommen. Andererseits muß man diejenige theoretische Position nicht akzeptieren, die besagt, daß Fehlerbehandlungen nur dazu dienen, Aufmerksamkeit zu erregen. Die Frage, inwiefern bewußtes Sprachwissen (nicht nur metasprachlicher Art) eine direkte Rolle beim Fremdsprachenlernen spielt, bleibt zur Zeit m.E. offen. 2.2 Theoretische Argumente für die Vermeidung systematischer Fehlerbehandlung Zur Frage der Rolle expliziten Wissens beim Sprachlernen nimmt bekanntlich Krashen deutlich Stellung. In seiner Theorie (z.B. Krashen 1982) spielt die Fehlerbehandlung eine sehr eingeschränkte Rolle; sie dient nämlich der Förderung bewußter Kenntnisse der Zielsprache (Sprachlernen) und nicht der Förderung der Sprachkompetenz (Spracherwerb). Für Krashen ist das Sprachlernen nur durch den sog. Monitor für den Spracherwerb relevant. Durch den Monitor kann zwar die Performanz verbessert werden, die Sprachbeherrschung jedoch nicht. Fehlerkorrektur ist bei Krashen allgemein nicht zu empfehlen. Das Argument bzgl. der Behandlung von Fehlern durch den Lehrer basiert also auf einer allgemeinen Lerntheorie: wenn man die Lerntheorie nicht akzeptiert, dann hat das Argument keine Grundlage. Da in der Zwischenzeit Krashens Theorie so heftig kritisiert worden ist, ist eine Begründung für die Ablehnung dieser Theorie an dieser Stelle überflüssig (vgl. z.B. Gregg 1984, Edmondson 1987). Wir sollten jedoch zur Kenntnis nehmen, daß die Argumentation Krashens lediglich besagt, daß Fehlerbehandlungen den Erwerbsprozeß nicht fördern (außer daß dadurch der Monitor besser funktioniert), d.h. Fall (b) in 1.2.2 oben trifft zu. Die begrenzte Rolle des Lehrerfeedbacks ergibt sich in seiner Theorie aus der begrenzten Rolle, die dem Monitor zugeordnet wird. In der fachdidaktischen Literatur wird jedoch oft argumentiert, daß bei "kommunikativen" Übungen Fehlerbehandlungen zu vermeiden sind, bei eher formbezogenen Übungen dagegen nicht, 3 Vgl. z.B. Fa: rch/ Haarstrup/ Phillipson (1984: 206): "If role-play is not carefully planned and followed up, there is the risk that all the learners do is form hypotheses, test these against other pupils' hypotheses, and increase automization of both correct and incorrect rules." FLuL 22 (1993) 64 Willis J. Edmondson obwohl die Theorie Krashens allgemein nicht akzeptiert wird. So unterscheidet z.B. Butzkamm (1989: 135-137) zwischen inhaltsbezogenen und sprachbezogenen Gesprächen im FU und schlägt vor, daß im ersten Fall nur dann „ausgeholfen" werden soll, wenn die Lerneräußerung mißverständlich wird, daß im zweiten Fall jedoch sorgfältig korrigiert werden soll. Seine didaktischen Empfehlungen begründet Butzkamm allerdings theoretisch nicht; sie gelten eher als pragmatische Hinweise. Dies ist insofern berechtigt, als diese Unterscheidung sich nicht, soweit ich sehen kann, aus Krashens Theorie ableiten läßt. So legt Butzkamm offensichtlich mehr Wert auf „sprachbezogene" Kommunikation im FU als Krashen. Bei der „inhaltsbezogenen" Kommunikation wird z.B. darauf hingewiesen, daß Fehlerbehandlungen nach dem Gespräch vorgenommen werden können. Wenn daher „sprachbezogene" Gespräche sinnvoll sind und Fehlerbehandlungen unbedingt dazugehören, dann verlangt der Vorschlag, daß Fehlerbehandlungen innerhalb inhaltsbezogener Gespräche nicht vorgenommen werden sollten, eine andere Begründung. Butzkamm betont lediglich, daß solche inhaltsbezogene Kommunikation nicht durch Fehlerkorrekturen unterbrochen und gestört werden soll die Annahme ist also, daß inhaltliche Kommunikation wichtig für den Sprachlernprozeß ist, Fehlerkorrektur ebenso, daß aber beide Handlungstypen in Konflikt miteinander stehen können. Ob dies aus psycholinguistischer Sicht auch zutrifft, ist eine Frage, die im folgenden diskutiert wird. 3. Fehlerbehandlungen im unterrichtlichen Diskurs Bei der Betrachtung einiger Aspekte der Fehlerentstehung und Fehlerbehandlung im FU soll gezeigt werden, daß abweichende Lerneräußerungen als Produkte der unterrichtlichen Interaktion zustande kommen können, d.h. ihre Ursachen liegen nicht (nur) in der mangelhaften Sprachkompetenz der Lerner, sondern auch in vom Lehrer gesteuerten didaktischen Handlungen. Einige relevante Lehrstrategien werden offengelegt, und ihre potentiellen positiven bzw. negativen Beiträge zum Lernen werden diskutiert. Ferner wird daran erinnert, daß Fehler und deren Behandlung nicht nur für den Produzenten der abweichenden Äußerung potentielle Lernmomente sind. 3.1 Taktische Fehlererzeugung Bei der Betrachtung von Fehlern und den potentiellen Auswirkungen des darauf folgenden Feedbacks muß, wie in 1.2.1 oben schon angedeutet, aus kognitiver Sicht unterschieden werden zwischen Abweichungen, die deshalb zustande kommen, weil kein relevantes fremdsprachliches Wissen vorhanden ist, und abweichenden Äußerungen, die dadurch zu erklären sind, daß das vorhandene Wissen weiter ergänzt, analysiert, integriert oder automatisiert werden muß, bevor eine angemessene Äußerung in der Zielsprache im Lernkontext produziert werden kann. Diese Unter- FLuL 22 (1993) Warum haben Lehrerkorrekturen manchmal negative Auswirkungen? 65 scheidung wurde u.a. durch die "Ignorance Hypothesis" (Newmark/ Reibel 1968: 160) stimuliert. Sie ist in der Zwischenzeit z.B. durch die Kompetenz/ Kontrolle- Hypothese (Sharwood Smith 1986) und in der für Zweitsprachenerwerbsmodelle verschiedener Prägung weitgehend akzeptierten Unterscheidung zwischen deklarativem und prozeduralem Wissen (vgl. etwa Ellis 1990: 176-179) weiterentwickelt worden. Es erhebt sich die Frage, unter welchen Umständen Lerner fremdsprachliche Äußerungen produzieren, wenn sie selbst wissen, daß diese Äußerungen wahrscheinlich Abweichungen enthalten. Es ist davon auszugehen, daß dies häufiger im FU vorkommt als beim natürlichen Zweitsprachenerwerb. Dies ist insofern einleuchtend, als Sprachenlerner außerhalb des Unterrichts verschiedene kommunikative Strategien einsetzen können, die genau dazu dienen, die Kluft zwischen kommunikativem Anspruch und vorhandenem' Sprachwissen zu überbrücken. Im Unterricht wird jedoch der Einsatz solcher Strategien häufig nicht zugelassen. So sind z.B. für Fragen des Typs „Wie alt sind Sie? " informelle und formelle natürliche Situationen leicht vorstellbar. Man lernt z.B. jemanden auf einer Party kennen oder man will eine Aufenthaltserlaubnis beantragen. Nehmen wir an, der Befragte ist unsicher, wie man sein Alter (siebenunddreißig) ausspricht. In der ersten Situation sind mehrere strategische Alternativen möglich, wie z.B.: Nicht sehr alt! Alt genug auf jeden Fall Wie alt sind Sie? Habe ich vergessen Ist nicht wichtig, usw. Bei der zweiten Situation kann man erstens jemanden mitnehmen, der/ die sowohl die L2 als auch die L1 beherrscht, oder man kann z.B. die Zahl aufschreiben, den Paß zeigen, usw. Wenn dagegen der Lehrer im FU „37" auf die Tafel schreibt, die Frage „Wie alt si.nd Sie, Joachim? " stellt und mit dem Finger auf die Tafel zeigt, dann sind solche verbalen und nichtverbalen Strategien kaum einsetzbar. Joachim wird gezwungen, entweder zu schweigen, eine potentiell lernfördernde Hypothese zu testen oder irgendeine Antwort zu geben, auch wenn er ziemlich sicher ist, daß sie falsch ist (daher wird natürlich häufig eine steigende Intonation bei solchen Antworten benutzt). Der Hauptpunkt dieses informellen Beispiels ist folgender: im FU hat der Lehrer die soziale Autorität, Fehler. zu erzwingen, indem eine Antwort auf eine Frage verlangt wird, die der betroffene Lerner offensichtlich nicht (adäquat) ge~n kann. Folgendes Beispiel ist Königs (1992: 174) entnommen 4: 4 Bei den zitierten Unterrichtsausschnitten gelten folgende Abkürzungen: L = Lehrende; S1, S2, usw. = individuelle identifizierbare Lerner; SX = individuelle nichtidentifizierbare Lerner; Gl, G2 usw. = Gruppen von Lernenden; Kl = gesamte Klasse. FLuL 22 (1993) 66 Willis J. Edmondson L: Tomas se alegra naturalmente len aleman? mm Torsten? S1: ehm el verb .. el verbo L: si Tomiis.. was macht Tomas? S2: wundem L: sich wundem? sich wundem es mas bien extraiiarse. en este case se alegra S3: erstaunen L: no tampoco. er freut sich ne? Ich glaub das schreiben wir auf... Es läßt sich vermuten, daß der Lehrer in diesem Ausschnitt genau deshalb nach einer Übersetzung fragt, weil er weiß, daß alegrarse nicht bekannt ist. Königs zeigt durch solche Beispiele, daß sich Reparaturen im Unterricht und Reparaturen in natürlichen Spracherwerbssituationen unterscheiden, bes,onders bzgl. der Frequenzen von Selbstreparaturen. Dabei fällt natürlich auf, daß in solchen unterrichtlichen Sequenzen eine Aufforderung zur Selbstkorrektur kaum sinnvoll ist, wenn Lerner kein relevantes fremdsprachliches Wissen besitzen. Der Unterschied zu natürlichen Erwerbssituationen liegt nicht so sehr in unterschiedlichen Reparaturkonventionen, sondern eher in der Art der Lehrerfragen im Vergleich zu Fragen im alltäglichen Diskurs. 5 Auf Nichtwissen basierende Äußerungen können daher von Lehrenderf verlangt werden, damitsie selbst die gewünschten Äußerungen bekanntgeben d,i.irfen "Ich glaub das schreiben wir auf ..."). Die Lehrerfrage dient dazu, Aufmerksamkeit auf einen nicht bekannten Aspekt der Zielsprache zu lenken - Fehler werden aus didaktischer Taktik erzeugt (vgl. Edmondson 1986). Aus der Lernperspektive ist daher zu überlegen, ob in solchen Fällen die Frage-Antwort-Feedback-Sequenz als Alternative zu einer direkten Übermittlung der benötigten Information (Tomas se alegra naturalmente alegrarse, sichfreuen) für den Lerner von Vorteil ist. 3.2 Didaktische Performanz statt kommunikativer Kompetenz Ein indirektes Indiz dafür, daß die Analyse taktischer Fehlererzeugung stimmt, ist die Unwahrscheinlichkeit, daß der Lehrer nach der gerade zitierten unterrichtlichen Sequenz eine Wiederholung der "richtigen" Antwort verlangen würde (Pues. Alegrarse. iC6mo se dice en aleman, Torsten? ). 5 Zur Frage der "Natürlichkeit" von Fremdkorrekturen gegenüber Selbstreparaturen im FU bieten Day et al. (1984) interessante neue empirische Erkenntnisse. Sie zeigen, daß native speakers in Gesprächen mit Lernern nicht selten explizite "on-record" K,orrekturen .vornehmen. Freilich können solche Korrekturen als Fremdkorrekturen oder Selbstreparaturen durchgeführt werden. Das Hauptinteresse des Aufsatzes liegt aber darin, daß explizite "ori-record" Korrekturen von native speakers vorgenommen werden, wenn sie mit dem Lerner befreundet sind. Eine direkte Übertragung der Interaktionsnormen zwischen native speakers und Lernern außerhalb des Unterrichts auf Lerner-Lerner-Interaktionen im FU ist m.E. kaum berechtigt. Nur wenn unterrichtliche Gespräche eine bestimmte „Natürlichkeit" bzw. "Authentizität" anstreben sollen, sind nach dem Befund von Day et al. explizite Korrekturen (u.a. Fremdreparaturen) beim Vorliegen entsprechender sozialer Verhältnisse zulässig. FLuL 22 (1993) Warum haben Lehrerkorrekturen manchmal negative Auswirkungen? 67 Manchmal wird jedoch eine Wiederholung der korrigierten oder als abweichend bekanntgegebenen Lerneräußerung verlangt: z.B. legen manche Lehrer beim Vorspielen eines Dialogs oder bei der Durchführung einer syntaktischen Übung großen Wert darauf, daß Lerner, die Abweichungen produzieren, ihren Fehler selbst korrigieren "Jetzt sag's noch mal richtig"). Das Phänomen ist vermutlich sehr verbreitet. Innerhalb der audiolingualen Methode (und weiterer methodologischer Ansätze, die sich explizit oder implizit auf behavioristische Lernprinzipien stützen) hatte dieses didaktische Verfahren, das als eine bestimmte Form der Fehlerbehandlung zu verstehen ist, eine theoretische Begründung: Fehler in der Sprachperformanz sind sofort zu überwinden, damit sich keine unangebrachten Gewohnheiten etablieren. Nur ist das Verfahren bekanntlich nicht immer erfolgreich. Chaudron (1988: 149) zitiert Fanselow (1977: 588) als "klassisches Beispiel": L: It's blue SI: lt blue L: It's blue S2: lt's blue L: lt's blue SI: lt blue L: It's blue Sl: lt blue Edmondson (1986) gibt ein strukturell ähnliches Beispiel, in dem das Problem aus der Lernerperspektive jedoch nicht bei der auditiven Wahrnehmung liegt : L: this group (Signs with head movement, also transcribing circle with arm, embracing group of pupils to his Jeft) Gl: it's a packet of crackers L: (Lowers head, crouches, body addressing pupil sitting in front-right position) Claudia Sl: it's a packet of (.8 seconds) / k.ri/ (0.5 seconds) (Utterance is almost whispered) L: crackers it's a S 1: crackers L: it's a packet of crackers Sl: / k.ri/ it's a packet of / k.ru/ (breaks eye contact with T, sucks in breath, lowers head slightly, restrained Jaughter from other pupils) L: concentrate concentrate it's a packet of crackers S1: it' s a packet of / k.ri/ / k.rae/ L: concentrate Claudia (increasing volume) it's a packet of crackers S 1: it' s a packet of / k.r/ / k.r/ (looks up at T) L: no (raises body to semi-crouch, and makes hand-signal) your group your group G2: (loud) it's a packet of crackers Sl: (wipes mouth with back of hand: gazes ahead) L: (crouches lower, and holding arms close to body, points with index fingers at SI) it's a packet of / kw/ ackers (raises body to address dass, hand movement) Kl: it's a packet of crackers. L: (returns eye-gaze and bodily address to SI, holds out the packet of crackers to her) SI: it's a packet of / kri/ / kwi/ / kwi/ ckers L: (has been nodding head in accompaniment to SI utterance) (smiles, raises head, circling hand movement) GI: it's a packet of crackers (suppressed laughter expressed in the word "packet") L: (addresses SI once more) FLuL 22 (1993) 68 Willis J. Edmondson S1: it's a packet of / kI/ crackers L: yes right Claudia (audible sucking in of breath, raises head, hand-signal) all together Kl: it' s a packet of crackers Edmondson argumentiert, daß die Fehler im obigen Fall durch die Fehlerbehandlung zustande kommen, die dadurch aus der Lehrerperspektive ihre Berechtigung erhält. Das Verlangen nach „richtiger" Sprachproduktion verhindert, daß die gewünschte Äußerung produziert wird. Auch bei der Einführung eines strukturierten Dialogs oder eines Rollenspiels legen Lehrer selbstverständlich Wert darauf, daß das Modell „fehlerfrei" produziert wird. In seinem Bemühen, dies zustande zu bringen, handelt der Lehrer als Dirigent eines Orchesters eine Lehrerrolle, die auch mit der audiolingualen Methode verbunden ist (Larsen-Freeman 1986: 43). Die Orchestrierung bei dialogischen Partituren kann aber Probleme mit sich bringen 6: L: Now Fritz says to Giselaask him, ask Peter if he may take his bike. And what does Gisela ask Peter? Oskar? S1: Peter, may I take your bike? L: And what does Peter answer? Oskar S 1: Yes you may or you may not L: Okay. Now first, the first sentence. Dirk Otto S2: If you may use er.. L: Ask, ask him. Ah, let's take three people. (Zeigt mit den Fingern) One, two, three. Ja, Pfeffer number three. (Zeigt noch mal) First, second, third. Na er (zeigt) soll ihn (zeigt) fragen, ja? You tel1 him to ask him, ask him. · S3: If he may .. Sx: Ask him. You must ask him. Ask him ... S3: Ask him if he may use a pen. L: Her pen. Ask him if he may use .. S3: His pen. L: And how do you ask him? S3: Jim .. L: No, not Jim S3: .. do you, do you want .. L: Na. S3: Do you may .. Ein direkt vergleichbarer Unterrichtsausschnitt ist in Edmondson (1981: 140) zu finden. Die Vergleichbarkeit liegt darin, daß der Lehrer erstens ein dialogisches bzw. didaktisches Muster zu etablieren versucht, das als Modell für eine Übung gelten soll, und daß zweitens die entstehenden Verständnisschwierigkeiten darin liegen, daß das vom Lehrer angestrebte Szenario eine andere „Welt" zustande ·bringt und daß Lerner dann Schwierigkeiten haben zu entscheiden, in welcher 6 Die nachfolgenden Daten finden sich bei Zehnder (1981: 268); sie sind auch in Butzkarnm (1989: 132) abgedruckt. FLuL 22 (1993) Warum haben Lehrerkorrekturen manchmal negative Auswirkungen? 69 „Welt" sie operieren sollen (vgl. Edmondson 1985). Ich möchte die Hypothese aufstellen, daß beim Dirigieren solcher Szenarios, die eine „fehlerfreie" Sequenz von Lerneräußerungen zustande bringen sollen, eher eine didaktische Performanz als der Erwerb einer kommunikativen Kompetenz vom Lehrer angestrebt wird. Die benötigten Fehlerbehandlungen dienen nur dazu, die gewünschte Äußerungssequenz zu steuern und nicht unbedingt dazu, die Sprachkompetenz der teilnehmenden Lerner zu fördern. In der psycholinguistischen Fachliteratur zum Fremdsprachenerwerb wird unterschieden zwischen Input zur Förderung des Verständnisses und Input zur Förderung der Sprachkompetenz (vgl. z.B. Frerch/ Kasper 1986; Schmidt 1990: 139-141). Hier haben wir so meine Hypothese - Fehlerbehandlungen zur Förderung einer didaktischen Performanz statt einer kommunikativen Kompetenz. 7 3.3 Direkte lind indirekte Adressaten des Lehrerfeedbacks Wenn Fehler im Unterricht vom Lehrer behandelt werden, dann ist der Lerner, der die korrigierte Äußerung produziert hat, normalerweise der direkte Adressat. Gleichzeitig ist natürlich der Inhalt der Korrektur ein wichtiges Lernmoment für alle anderen Lerner, die als indirekte Adressaten .gelten. So kommt es vor, daß Lehrer bei der Korrektur eines Fehlers Augenkontakt mit den bisher angesprochenen Lernern abbrechen, um wieder einen „frontalen" Unterricht durchführen zu können. Die bisher erwähnten didaktischen Strategien die „taktische Fehlererzeugung", die ,)etzt sag's noch mal richtig"-Strategie und das Anstreben einer"didaktischen Performanz" sind konsistent mü der Hypothese, daß individuelle Lerner als Instrumente zur Vermittlung Ienrrelevanten Inputs für die gesamte Lerngruppe verwendet werden können. Daraus ergibt sich eine potentielle Spannung zwischen dem Lerneffekt für den direkten Adressaten der Fehlerbehandlung und dem Lerneffekt für die indirekten Adressaten: Was den Lerneffekt von Fehlerbehandlungen und die Unterscheidung zwischen direkten und indirekten Adressaten solcher Lehrerinterventionen betrifft, so ist die "Beobachter-Hypothese" (Allwright 1984) relevant. Die Hypothese besagt grundsätzlich, daß manche Lerner eine Fremdsprache im F1J erfolgreich lernen, ohne besonders aktiv amlJnterricht teilzunehmen. Die empirische Grundlage der Hypothese ist zum einen der Befund, daß Lerner zu der Einschätzung gelangt sind, daß sie mehr von den von anderen Lernern gestellten Fragen lernen als von Fragen, die sie selbst stellen, und zum zweiten der Befund aus der Praxis eine vermutlich verbreitete Erfahrung-, daß manche „stillen" Lerner trotzdem (bzw. deshalb) regel- 7 Empirische Versuche, Fehlerbehandlungen mit positiven Lerneffekten zu korrelieren, leiden darunter, daß häufig eine fehlerfreie Selbstkorrektur bzw. Wiederholung der gewünschten Antwort als Lernerfolg interpretiert wird. Chaudron (1988: 175-178) diskutiert einige solcher Studien. Diese Operationalisierung verwechselt, um die unter 2.3 oben eingeführte Formulierung zu benutzen, didaktis.che Performanz und kommunikative Kompetenz. FLuL 22 (1993) 70 Willis J. Edmondson mäßig sehr gute Noten bekommen. 8 Freilich liegen, soweit ich weiß, keine empirischen Befunde zur Unterstützung der Beobachter-Hypothese vor, die an andere Lerner gerichtetes Lehrerfeedback als wichtiges Lernmoment bestätigen. Diese Hypothese ist aber deutlich konsistent mit der Annahme, daß in der Tat Lerner von Fehlern, die sie nicht selbst produziert haben, lernrelevante Erkenntnisse gewinnen. Ob es in der Tat häufig passiert, daß die indirekten Adressaten von Fehlerbehandlungen mehr als die direkten Adressaten von dieser Behandlung profitieren, ist u.a. davon abhängig, inwiefern sich bei einer affektiv belastenden Reparatursequenz im Unterricht die nicht direkt betroffenen Lerner auf den direkten Adressaten konzentrieren statt auf den Inhalt der Korrektur. D.h.: es mag durchaus der Fall sein, daß die Spannung bei einem Individuum die Nützlichkeit der Reparatur für die indirekten Adressaten annulliert. Dies ist jedoch rein spekulativ: relevante empirische Befunde hierzu liegen nicht vor. Weitere Konsequenzen aus der Unterscheidung zwischen direkten und indirekten Adressaten von Fehlerbehandlungen werden daher in dieser Arbeit nicht entwickelt. 4. Ansätze zu einer Theorie der Rezeption von Fehlerkorrekturen Aus der Diskussion einiger Aspekte des unterrichtlichen Diskurses stellen wir folgendes fest: Die Fehlerproduktion (mit darauf folgender Fehlerbehandlung) kann vom Lehrer als didaktische Strategie gesteuert werden. Weitere Fehler können durch Fehlerbehandlung zustande gebracht werden. Das Verlangen nach einer Wiederholung der gewünschten Äußerung innerhalb einer Fehlerbehandlung kann u.U. "kontraproduktiv" sein, in dem Sinne, daß erstens die flüssige Sprachproduktion gehemmt wird, daß sich zweitens negative affektive Konsequenzen daraus ergeben und daß drittens dadurch ein potentieller Gewinn an lernrelevantem Wissen reduziert wird. Fehlerbehandlungen können unterschiedliche Rezeptionen bei unterschiedlichen Lernern erfahren, insbesondere können die indirekten Adressaten potentiell mehr daraus lernen als die direkten Adressaten. Wir können daher innerhalb des Komplexes Fehlerbehandlung drei potentielle Spannungen entdecken: 1. Eine Spannung aus der Lehrerperspektive zwischen der Realisierung eines didaktischen Plans und dadurch verursachter negativer Lerneffekte (insbesondere affektiver Art) für das Individuum, dessen Fehler und deren Behandlung innerhalb dieses Plans vorkommen. 8 So z.B. Allwright (1984), Slimani (1987). Vgl. auch Ellis (1990: 186), der von "silent speakers" spricht. FLuL 22 (1993) Warum haben Lehrerkorrekturen manchmal negative Auswirkungen? 71 2. Eine Spannung zwischen eher negativen Lerneffekten (insbesondere affektiver Art) für das Individuum, das Fehler produziert, und potentiellen positiven Lerneffekten für die anderen Lerner. 3. Eine Spannung zwischen Sprachverstehen und Sprachproduktion, zwischen Fehlerbehandlungen, die zu einer sprachlichen Performanz führen, und solchen, die zu Lerneffekten führen können. Die letztgenannte „Spannung" ist besonders wichtig für eine Einschätzung des Lerneffekts verschiedener Fehlerbehandlungen. Die Hypothese ist konsistent mit Studien zum Thema Ängstlichkeit beim Fremdsprachenlernen. So bestätigen Maclntyre/ Gardner (1991) in einem kritischen Überblick über Studien zu diesem Thema, daß das Sprechen im Unterricht deutlich mehr Angst verursacht als alle anderen Faktoren. Schon 1985 hat Gardner aufgrund zahlreicher sorgfältig analysierter psychometrischer Studien den E~tor „Ängstlichkeit" in sein allgemeines Lernmodell eingebaut. Maclntyre/ Gardner (1989) argumentieren, daß der negative Einfluß von Angst sowohl beim Lernerfolg als auch bei der Sprachproduktion eher ein fremdsprachenunterrichtspezifisches Merkmal ist und nicht eine allgemeine Ängstlichkeit. Ängstlichkeit ist als kontextbedingter negativer Faktor zu verstehen und nicht als inhärentes Merkmal individueller Lerner (auch wenn selbstverständlich Unterschiede zwischen individuellen Lernern in einem konkreten Fall die Entwicklung von Ängstlichkeit mit determinieren). Solche Befunde besagen nicht, daß „Ängstlichkeit''. immer (bis zu einem bestimmten Grad) mit der aktiven mündlichen Sprachproduktion verbunden ist, sondern daß das Sprechen in der Fremdsprache die Wahrscheinli.chkeit vergrößert, daß sich Hemmungen und negative affektive Einstellungen entwickeln können. Was Sprachproduktion in Form einer Selbstreparatur bzw. Wiederholung einer gerade korrigierten Äußerung betrifft, so können wir die Hypothese aufstellen, daß kognitive Überlastung eine Erklärung für Hemmungen und negative Konsequenzen bietet. D.h. Lerner, denen die gesichtsbedrohende, soziale Perspektive ihres Verhaltens in der Fremdsprache bewußt wird und die gerade einen „Fehler" produziert haben, der nach Lehrerbehandlung korrigiert werden soll, haben zuerst eine Dekodierungsaufgabe die Fehlerbehandlung muß sprachlich dekodiert werden -, während sie sich auf eine mündliche Produktion vorbereiten. Wenn die potentielle „Aufmerksamkeit erregende" Funktion von der Fehlerbehandlung (die ferner einen Vergleich zwischen dem Input und der Form bzw. dem Inhalt der abweichenden Äußerung verlangt) realisiert werden soll, dann ist Verarbeitungskapazität nötig, die jedoch voll ausgenutzt ist. Weniger metaphorisch ausgedrückt, die Informationen, die durch die Fehlerbehandlung zur Verfügung gestellt worden sind, bleiben im Kurzzeitgedächtnis, da sie für die Sprachproduktion benötigt werden. Wenn dies vollzogen ist, dann steht die Information nicht mehr zur Verfügung eine interne "Analyse", die zu einer Neustrukturierung von sprachlichem Wissen im Langzeitgedächtnis führen könnte, findet nicht statt Die Hypothese ist konsistent mit Krashens Behauptung, daß Lerner Zeit brauchen, bevor der „Monitor" eingeschaltet FLuL 22 (1993) 72 Willis J. Edrrwndson werden kann, und mit dem empirischen Befund, daß eine Wartezeit nach dem Stellen einer Frage im FU die Wahrscheinlichkeit vergrößert, daß eine Antwort erfolgt (vgl. Chaudron 1988: 128 f). Vigil/ Oller (1976) entwickeln ein „tentatives" Modell, das verschiedene Dimensionen der Fossilisierung von grammatischen Regeln erklären soll. Obwohl sie einen anderen Schwerpunkt als dieser Beitrag setzen, spielt "Feedback" in ihrem Modell eine zentrale Rolle, weshalb das Modell für meine Zwecke adaptiert wird. Die Autoren verstehen "Fossilisierung" als die "Festigung" interimsprachlicher Regeln, unabhängig davon, ob die betroffenen Regeln zielsprachlichen Normen entsprechen oder nicht. Zuerst wird, wie oben erwähnt, betont, daß Feedback sowohl eine informative/ kognitive als auch eine soziale/ affektive Dimension hat. Beide Aspekte können „positive" oder "negative" Werte haben. Ferner wird die Variable „erwartet/ unerwartet" als relevante Feedback-Variable eingeführt. Das von Vigil/ Oller (1976: 292) vorgelegte Modell ist daher relativ kompliziert, nicht zuletzt deshalb, weil die Variable positiv/ negativ für beide Dimensionen des Feedbacks durch einen dritten „neutralen" oder zweideutigen Wert ergänzt wird: daher ergeben sich bereits neun Kombinationsmöglichkeiten für Feedback. Wenn die Variable [erwartet/ unerwartet] sowohl für kognitives als auch affektives Feedback gelten soll, dann haben wir eine Matrix mit sechsunddreißig unterschiedlichen Werten! Einige von den Autoren vorgeschlagene Ergebnisse dieser Kombinationsmöglichkeiten sind mit der bisherigen Diskussion der Fehlerbehandlung im FU durchaus kompatibel. So wird z.B. behauptet, daß unerwartetes negatives, kognitives Feedback in Kombination mit positivem affektiven Feedback zu "Instabilität" führt, wodurch das kognitive System eine Lösung zu dem sich daraus ergebenden Kommunikationsproblem finden muß, während erwartetes positives Feedback auf beiden Dimensionen zu „Fossilisierung" führt. Die Autoren betonen zu Recht, daß die affektive Dimension immer die kognitive überwindet (Watzlawick/ Beavin/ Jackson 1967). Letztendlich kann in ihrem Modell negatives affektives Feedback zur Abbrechung des Gesprächs bzw. zum Aufgeben des Lernens führen. Das Modell von Vigil/ Oller betrifft wie aus ihren informellen Beispielen ersichtlich wird den natürlichen Zweitsprachenerwerb: 'Feedback wird verstanden als die Reaktion eines native speaker auf eine Äußerung. Ferner ist das Modell rein theoretischer Art. Empirische Ergebnisse, die das Modell stützen, werden nicht erwähnt. Insofern ist eine·direkte Übertragung auf Lernerrezeptionen von Fehlerbehandlungen mehr als problematisch. Wir können jedoch auf der Grundlage bisheriger theoretischer und empirischer Überlegungen ein teilweise ähnliches „Modell" vorschlagen: Bei Fehlerbehandlungen kann negatives Feedback auf der affektiven Dimension entstehen. Dadurch werden die Wahrnehmung und die interne Verarbeitung der kognitiven Informationen verhindert. Wenn Sprachproduktion in Form einer Selbstreparatur oder Wiederholung (z.B. bei Ausspracheübungen) durch Korrekturbehandlung verlangt wird, dann kann die flüssige Sprachproduktion auch negativ beeinflußt werden. Durch die zusätzliche Sprachproduktionsaufgabe wird ferner die FLuL 22 (1993) Warum haben Lehrerkorrekturen manchmal negative Auswirkungen? 73 Wahrscheinlichkeit, daß lernrelevante Informationen wahrgenommen und/ oder intern verarbeitet werden, stark reduziert. Auch wenn affektives Feedback nicht besonders lernhemmend wirkt, dann kann die verlangte Sprachproduktion trotzdem gegen die lernrelevante Wahrnehmung bzw. interne Verarbeitung des kognitiven Inhalts der Fehlerbehandlung wirken. Wenn keine Sprachproduktion verlangt wird und kein negativer affektiver Feedbackeffekt vorliegt, dann kann im Prinzip das informative Feedback wahrgenommen und u.U. intern verarbeitet werden. Ob dies ~i individuellen Lernenden geschieht, ist natürlich von weiteren Faktoren abhängig. Einige davon ~ind z.B. individuelle Unterschiede bei der Lerngruppe (Intelligenz, Lernstil, Einstellung, bevorzugte Lernstrategien) Grad der Aufmerksamkeit kognitive Komplexität der Information im Vergleich zur Lernstufe der Adressaten (eine Version der Lehrbarbitshypothese Pienemanns (1989) dürfte für einige Merkmale einer Fremdsprache m.E. zutreffen) warum die Abweichung produziert worden ist; z.B. ob der "Fehler'' unterrichtinduziert war oder nicht, ob die korrigierte Äußerung auf Nicht-Wissen basierte oder ein Merkmal der Interlanguage widerspiegelt; und wenn dies zutrifft, zu welchem Grad das vorhandene Wissen im Lernsystem automatisiert bzw. analysiert bzw. integriert war. Was die unterrichtliche Praxis betrifft, so soll das Modell eher als Orientierung gelten als die Ableitung von Lehrprinzipien "zw. -rezepten ermöglichen. Abschließend kann ein Aspekt der Fehlerbehandlung jedoch betont werden, der sich aus dem Gesagten herauskristallisiert hat: Es scheint zweifelhaft zu sein, die Effektivität einer Korrekturintervention des Lehrers gleichzusetzen mit der Frage, ob der Lerner, der für die Korrekturquelle verantwortlich war, danach in der Lage ist, eine „verbesserte", d.h. fehlerfreie Äußerung zu produzieren. Es gibt nach unseren bisherigen Überlegungen Gründe, daran zu zweifeln, daß das Verlangen einer Wiederholung bzw. Selbstverbesserung psycholinguistisch gesehen sinnvoll ist. Bibliographische Angaben ALLWRIGIIT, R. L.: "The lmportance of Interaction in Classroom Language Learning". In: Applied Linguistics 5.2 (1984), 156--171. BU1ZKAMM, W.: Psycholinguistik des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Francke 1989. CA1HCART, R. L./ OLSEN, J.: "'Teachers' and Students' Preferences for Correction ofOassroom Conversation Errors". In: F. J. Fanselow / R. H. Crymes (eds.): On TESOL '76. 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Königs Grundelemente der mündlichen Fehlerkorrektur - Lernerurtelle im (interkulturellen) Vergleich Abstract. Error correction has not been the object of very much research in recent times compared to errors themselves. The present paper focuses on error correction in various contexts. The authors refer to various kinds of empirical research on oral error correction: detailed analysis of foreign language courses in German secondary schools; observations and questionnaires in a Brazilian foreign language classroom; observations and open questionnaires in a German, a Chinese and a Moroccan university. The aim of the present contribution is to shed some light on the judgements of leamers about error correction and on the possible influences of culture-bound learning traditions on these judgements. The results of the research show that some norms underlying the judgements are valid even in different cultural contexts. The authors come to the conclusion that the learners differ more often in the quantity of their judgements from one context to another, and less often in quality. As far as can be determined on the basis of the results available, the attitude of the leamers to the phenomenon of oral correction is a rather global one, with certain culture-bound differences. 0. Einleitung Lange Zeit stand der Fehler als lernpsychologisch zu interpretierendes Produkt im Zentrum unterrichtlich ausgerichteter Forschung (vgl. z.B. Nickel 1972, Svartvik 1973). Nachdem seine Bedeutung als wichtiges Erklärungsinstrument für unterschiedliche mentale Prozesse beim Lernvorgang erkannt worden war (vgl. z.B. Corder 1967, Selinker 1972), sah man ihn weniger als lästiges Übel, das es zu vermeiden galt, sondern vielmehr als hilfreiches Diagnoseinstrument für den Lehrer. Konkrete Fehleranalysen anhand von Lerneräußerungen sind zahlreich (vgl. dazu z.B. die Bibliographie von Spillner 1991). Forschungsarbeiten zur Fehlerkorrektur (vgl. z.B. Allwright 1975, Chaudron 1977, Fanselow 1977, Hendrickson 1978, Raabe 1983, Rehbein 1984) schließen sich Mitte der siebziger Jahre an. Diese Arbeiten hatten vor allem den wichtigen Effekt, für die Problematik überhaupt zu sensibilisieren und Forschungsrichtungen aufzuzeigen. Konkrete, empirisch abgesicherte Beobachtungen darüber, wie Lehrer dem Fehler im Unterricht tatsächlich begegnen, existieren allerdings kaum. Soweit Empfehlungen zur Fehlerbehandlung gegeben werden, scheinen sie zum großen Teil auf Erfahrungen von Unterrichtspraktikern zu beruhen (vgl. z.B. Bebermeier 1984, Bliesener 1984, Lessig 1984, Schemmerling 1984 ). Auch in Fremdsprachenvermittlungsmethoden lassen sie sich meist eher auf lernpsychologische Gesamtkonzepte zurückführen als auf konkrete Beobachtungen, wie sich ein spezifisches Korrekturverhalten (Zeitpunkt, Art und Weise der Korrektur etc.) im Unterricht tatsächlich auswirkt und FLuL 22 (1993) Grundelemente der mü,ndlichen Fehlerkorrektur 77 wie Lerner darauf reagieren. Einen Ausgangspunkt hierfür bieten die Arbeiten von Chaudron (1988) und Henrici/ Herlemann (1986), die versuchten, (zu beobachtende) Korrekturhandlungen zu klassifizieren. Wir möchten in diesem Beitrag einige Ergebnisse aus verschiedenen von uns durchgeführten Untersuchungen zur mündlichen Fehlerkorrektur vorstellen. Wir beschränken uns dabei auf den Aspekt des Lernerurteils über das mündliche Korrekturverhalten von Fremdsprachenlehrern. Die unterschiedlichen Untersuchungen, die wir dazu heranziehen, sind dies sei einschränkend bereits an dieser Stelle festgestellt in ihrer Untersuchungsmethodik nur sehr bedingt miteinander zu vergleichen. Es handelt sich dabei um ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Projekt an deutschen Gymnasien, in dessen Rahmen mehrere unterschiedliche Datensätze erhoben werden konnten, zwei kleinere Befragungen von Studenten in China, Deutschland und Marokko 1 und einige Beobachtungs- und Interviewdaten aus einer brasilianischen Schule. 2 In diesem Beitrag geht es uns in Ergänzung zu vorangehenden Publikationen darum herauszufinden, wie Lerner aus unterschiedlichen Ländern Korrekturverhalten ihrer Lehrer erleben, welche Auswirkungen dieses Verhalten auf sie in ihrem eigenen UrteiLhat und welches Verhalten sie für wünschenswert halten. Um die Ergebnisse transparenter zu machen, stellen wir im ersten Abschnitt die unterschiedljchen Untersuchungsdesigns und -ziele in der gebotenen Kürze vor. 1. Von wis durchgeführte Untersuchungen zur Fehlerkorrektur: Die Untersuchungsdesigns Wir haben im Rahmen des Bochumer Tertiärsprachenprojekts 3 versucht, den Faktor 'Korrekturverhalten' (Kleppin/ Königs 1991) umfassend zu analysieren. Für diese Analyse standen uns folgende Ausgangsdaten zur Verfügung: 1 Die Auswahl der Länder ist zufällig und kam nur deshalb zustande, weil wir hier auch eigene Lehrerfahrungen einbringen konnten, die es uns ermöglichen, die Lemerreaktionen im Unterricht sowie die Lemerantworten besser einzuschätzen. 2 Diese Daten wurden im Rahmen einer Magisterarbeit von Lisanne Klein Gunnewiek erhoben und sind Teil einer ausführlicheren Unterrichtsanalyse zu Deutsch-als-Fremdsprachenunterricht in Brasilien (vgl. Klein Gunnewiek 1991). 3 „Besonderheiten des Tertiärspradienunterrichts auf der gymnasialen Oberstufe ain Beispiel des Italienischen und Spanischen". Zur Beschreibung des Projekts vgl. Bahr/ Bausch/ Kleppin/ Königs/ Tönshoff [erscheint]. FLuL 22 (1993) 78 Karin Kleppin, Frank G. Königs ein zu Beginn der Untersuchung durchgeführtes Interview mit den an der Untersuchung teilnehmenden Lehrern, das im wesentlichen ihre Lehrerbiographie und die allgemeinen Bedingungen der jeweiligen Schule umfaßte; mittels Video dokumentierter Unterricht (im Umfang von über 180 Schulstunden, die komplett transkribiert wurden); unterrichtskommentierende Daten; dabei wurden den Lehrern die Videoaufzeichnungen ihres Unterrichts mit der Bitte gezeigt, sie mit Blick auf ihre eigenen Beobachtungen zu kommentieren. Über unser Untersuchungsziel waren sie nicht informiert; Schülerfragebögen, in denen die Schüler u.a. zu ihrer Meinung zu Lehrerkorrekturen und deren Auswirkungen auf sie befragt wurden; abschließend fokussierte Interviews mit den Lehrern, in denen sie zu bestimmten Problembereichen gezielt befragt wurden; eines dieser Problembereiche war das Phänomen 'Korrektur'. Folgende Fragen haben uns in dieser Arbeit besonders interessiert: Welche Abfolgen von Korrektursequenzen treten auf? Hierfür haben wir ein Klassifikationsschema entwickelt, das wir an jede auftretende Korrektursequenz angelegt haben. Eine Korrektursequenz kann sehr kurz sein" z.B. nur aus dem Auftreten des Fehlers und der direkten Korrektur des Lehrers bestehen, sie kann allerdings auch eine große Ausdehnung besitzen, indem der Lehrer z.B. nach dem Auftreten eines Fehlers zunächst darauf hinweist, daß in der Aussage ein Fehler vorkommt, er kann andere Lerner bitten, die Korrektur vorzunehmen, er kann weitere verbale oder nonverbale Hilfen geben, der Lerner kann einen Selbstkorrekturversuch vornehmen, der möglicherweise glückt, der Lehrer kann im Anschluß daran die Korrektur noch einmal wiederholen, die gesamte Gruppe zur Wiederholung der richtigen Form auffordern; möglicherweise hat ein Lerner die Korrektur nicht richtig verstanden und bittet um weitergehende Erklärungen, die der Lehrer dann gibt, etc. Welche Ursachen und Anlässe liegen den einzelnen Korrekturmaßnahmen zugrunde? Gibt es bevorzugte 'Korrekturtechniken' bei den Lehrern, oder korrigieren sie z.B. gar nicht? Werden Korrekturtechniken überhaupt variiert? Wenn ja, wie und wann? Zu diesen Fragen haben wir die Transkriptionen der Aufnahmen mit den unterrichtskommentierenden Daten und den abschließenden Lehrerinterviews verglichen und so Zugang zu den subjektiven Theorien der Lehrer gewonnen. Wie reagieren Lerner auf die Korrekturmaßnahmen (von Lehrern oder Mitschülern), und wie beurteilen sie diese? Hierzu haben wir uns vor allem auf die Schülerfragebögen bezogen, die u.a. alle wesentlichen Komponenten beinhalteten, die weiter unten aufgeführt sind. FLuL 22 (1993) Grundelemente der mündlichen Fehlerkorrektur 79 Die ausführlich vorgestellten Ergebnisse (Kleppin/ Königs 1991) beruhen auf einem Vergleich aller uns vorliegenden Datensätze. Dieses Vorgehen hat sich untersuchungsmethodisch bewährt und wird in der forschungsmethodischen Literatur u.a. unter dem Begriff 'Triangulation' diskutiert. Es erlaubt, subjektive Wahrnehmungen der am Unterricht Beteiligten an der Realität zu messen und zu erklären. Drei weitere Lernerbefragungen wurden an der Ruhr-Universität Bochum und der Tongji-Universität Shanghai (b~ide im Jahre 1987) 4 und eine weitere im Jahre 1992 an der Universität Mohamed V Rabat (Marokko) vorgenommen. 5 Zu vergleichen sind also bei unseren Untersuchungen nur - und auch das unter Vorbehalten 6 die Ergebnisse der Befragungen. 7 Der F r a g e b o g e n hatte folgende Komponenten: 1. Es sollte ermittelt werden, wie häufig und ob überhaupt Korrekturen gegeben werden sollten, oder ob nur sogenannte schwere Fehler korrigiert werden sollten. 2. Die Lerner sollten angeben, welche Fehler sie für unbedingt korrekturwürdig hielten. Dabei wurden Fehler einerseits nach linguistischen Kriterien '(in alltagssprachlicher Umschreibung) unterschieden (Phonetik/ Phonologie, Morpho- Syntax, Lexikon/ Semantik), andererseits kommen auch pragmatische Kriterien ins Spiel, Z.B. bei den Antwortmöglichkeiten, die auf den zu vermittelnden Inhalt und die Situationsangemessenheit der Aussage zielen. 3. Wir wollten herausfinden, ob Lerner (unterschiedliche) Vorlieben für den Zeitpunkt einer Fehlerkorrektur haben, d.h. ob sie eine Korrektur sofort nach Auftreten eines Fehlers für sinnvoll halten, ob sie es für wichtig halten, erst ihren Gedanken zu Ende zu führen oder ob sie eine Korrektur in einer anschließenden Korrekturphase vorziehen. 4 Zu einer ausführlichen Darstellung vgl. Kleppin (1989). 5 In Bochum und Shanghai standen jeweils 46 Probanden zur Verfügung, in Rabat 32. 6 Die Befragungen sind zu unterschiedlichen Zeiten und mit unterschiedlichen Reichweiten durchgeführt worden. Von einem vollständigen Vergleich der lernerseitigen Korrektureinschätzungen kann also aus methodischen Gründen nicht gesprochen werden. Wir verstehen unsere Beobachtungen eher als Tendenzen und als Beitrag zur Hypothesenbildung, die es in methodisch abgesicherte(re)n Vergleichsuntersuchungen zu überprüfen gilt. Da wir allerdings wohl davon ausgehen können, daß sich Lehrerverhalten und Lernerurteile relativ langsam verändern; halten wir eine Dokumentation der Ergebnisse gleichwohl für angezeigt. 7 Die 'brasilianischen Daten' wurden im Rahmen einer Unterrichtsdokumentation erhoben, auf deren Grundlage der Deutschunterricht zweier 7. Klassen einer Schule in Säo Paulo ausführlich analysiert wurde. Dabei wurde mit Unterrichtsaufzeichnungen, Lehrerinterviews und Schülerbefragungen gearbeitet. Hauptgegenstand der Analyse war neben den Korrekturen der Bereich der Übungsformen (vgl. Klein Gunnewiek 1991). FLuL 22 (1993) 80 Karin Kleppin, Frank G. Königs 4. Eine weitere Frage zielt auf das 'wie' des gewünschten Korrekturverhaltens, ob man eher direkt und mit klarem Verweis auf den Fehler, indirekt durch eher beiläufige Wiederholung der richtigen Form korrigiert, ob man zur Selbstkorrektur aufgefordert oder durch Kommilitonen korrigiert werden möchte. 5. Mit der Folgefrage 8 sollte ermittelt werden, welche Art der Korrektur für die effektivste gehalten wird. Es lagen die gleichen Antwortmöglichkeiten wie unter der vorhergehenden Frage vor. Hier ist ausdrücklich zu betonen, daß durch diese Frage individuelle Empfindungen abgefragt werden, die nichts mit der 'tatsächlichen' Wirkung zu tun haben müssen. Allerdings sei angefügt, daß auch in der oben kurz beschriebenen Großuntersuchung, in der mit unterschiedlichen Datensätzen operiert werden konnte, tatsächliche Auswirkungen von Korrekturverhalten nur in Einzelfällen beobachtbar waren. Dieser Umstand hängt mit der multikausalen Verknüpfung unterrichtlicher Variablen zusammen, die es vielfach unmöglich macht, eine eindeutige Ursachenzuschreibung vorzunehmen. 6. Mit zwei offenen Fragen sollten persönliche Erfahrungen mit Korrekturen erhoben werden. Hiermit sollte zu einem kleinen Teil das Manko ausgeglichen werden, daß bei den Befragungen in den genannten Universitäten keine Beobachtungsdaten über Korrekturverhalten von Lehrern zur Verfügung stehen. Auch wenn die von den Studenten beschriebenen Situationen sicherlich in einigen Fällen übertrieben anmuten, so werden doch zumindest die subjektiven Auswirkungen von Korrekturverhalten auf die Lerner recht gut erfaßt. 7. Schließlich wollten wir herausfinden, ob es persönliche Erfahrungen gibt, die bei den Lernern einen besonders positiven oder negativen Eindruck hinterlassen haben .. Sie wurden gebeten, die markantest~n Situationen kurz zu beschreiben. 2. Situierung der Untersuchungen Wir nehmen im folgenden eine kurze Situierung des Kontextes vor, in dem die Daten erhoben wurden: sie soll vor allem die Bedeutung unterschiedlicher Unterrichtssituationen, Vermittlungsmethodik und von Lehrer- und Lernerrollen in den unterschiedlichen Erhebungskontexten klarstellen. Gerade letztere legen die Annahme nahe, daß sich die Befragungsergebnisse deutlich voneinander unterscheiden müßten. 2.1 Bei dem oben kurz beschriebenen Design des Tertiärsprachenprojekts handelte es sich um eine Untersuchung zum Italienisch- und Spanischunterricht an verschiedenen Schulen in NRW. Das Projekt wurde in den Klassen 9 bis 13 durchgeführt. 8 Diese und die folgenden Fragen wurden nur bei den an der chinesischen, deutschen und marokkanischen Universität vorgenommenen Befragungen gestellt. FLuL 22 (1993) Grundelemente der mündlichen Fehlerkorrektur 81 Die Lehrer sind mehrheitlich einem 'kommunikativ-liberalen' Ansatz 9 verpflichtet. Ihr Rollenverständnis 10 kann als eher symmetrisch bezeichnet werden. 2.2 Bei der Befragung von Bochuß}-er Studenten handelte es sich um Romanistikstudenten. Auch sie haben ihre Vorerfahrungen an deutschen Schulen mit eher kommunikativ orientiertem Fremdsprachenunterricht gemacht. An dieser Stelle scheint der Hinweis notwendig, daß diese und die folgenden Befragungen ganz allgemein Einstellungen zu Fehlerkorrekturen abfragen und daß sich diese Erfahrungen durchaus auch auf vorhergehenden Fremdsprachenunterricht beziehen können. 2.3 Die befragten chinesischen Studenten waren Germanistikstudenten der Tongji- Universität und der Fremdsprachenhochschule Shanghai. Die dort beobachtbaren und vertretenen Methodenkonzeptionen sind vergleichsweise traditionell (Grammatik-Übersetzungsmethode). Auswendiglernen ist in China ein Verfahren, das von den Studenten selbst gern angewendet wird. Kommunikative Verfahren wurden vom Ausland 'importiert' (vor allem auch von den dort tätigen Lektoren, die selbst in Anbetracht der Größe des Landes doch eine wesentlich größere Zahl ausmachen als in vielen anderen sog. Dritte-Welt-Ländern). Das Rollenverständnis zwischen Lehrer und Lernern ist stärker asymmetrisch. Die Lehrerrolle ist demzufolge mit großer Autorität behaftet. 2.4 Da die obigen Untersuchungsbedingungen schon an anderer Stelle näher beschrieben wurden (Kleppin 1987; Kleppin 1989; Kleppin/ Königs 1991) möchten wir hier und auch bei den unten folgenden Beispielen auf die marokkanische und die brasilianische Unterrichtssituation etwas näher eingehen. Obgleich die Lehrbuchsituation für die neueren Fremdsprachen recht differenzierte Methodenkonzeptionen suggerieren (die Studenten der Germanistik haben z.B. in den Schulen auch Erfahrungen mit Lehrwerken wie Lernziel Deutsch, Deutsch Aktiv und sogar Sprachbrücke gemacht), so wird realiter doch noch ein sehr lehrerzentrierter Unterricht durchgeführt. Die Studenten der Germanistik beschreiben ihren Unterricht als am Vorbild der Koranschulen orientiert. Es wird sehr viel auswendig gelernt, der Lehrer mit dem Buch in der Hand vor der Klasse, der korrekte Antworten wünscht und ein autoritäres Lehrer-Schülerverhältnis sind eher die Regel. 9 Wie sehr die fremdsprachendidaktischen Strömungen aktuellen Entwicklungen unterworfen sind und wie sehr gerade der kommunikative Ansatz in seiner starken Form kritisch hinterfragt werden kann, ist z.B. in Königs (1991) gezeigt worden. 10 Gerade das Rollenverständnis kann auf die Aufnahme der lehrerseitigen Korrektur wichtige Auswirkungen haben. So führt z.B. Angst möglicherweise zu Sprechhemmungen. Ferner können Korrekturen gleichzeitig als (negative) Bewertungen aufgefaßt werden. Von daher scheint uns die Berücksichtigung des Rollenverständnisses von erheblicher Bedeutung. FLuL 22 (1993) 82 Karin Kleppin, Frank G. Königs Zwei Aussagen von marokkanischen Germanistik-Studenten ermittelt in einer offenen, anonymen Befragung mögen dies verdeutlichen: "Bei uns betrachtete man den Lehrer (fast) wie ein Heiliger, eine Sprüche lautet 'der Lehrer ist fast ein Prophet', weil er die Weisheit, die Bildung, hohe Ethik usw. trägt. Auch nach unserer Kulturgeschichte hat der Lehrer eine sehr privilegierte Stelle und großen Einfluß in der Gesellschaft gehabt. Heutzutage ist dieses Bild total verändert, aber ich glaube, es bleiben trotzdem einige Aspekte dieser alten Vorstellung in unserem Unbewußtsein übrig; die wirkt sich bis heute auch auf die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler. [...] ein Lehrer mit aller Macht, allem Privileg und allem Recht, ein Lehrer, der praktisch im Unterrichtsraum alles, was er will, machen kann. Im Gegensatz zum Schüler, der nichts hat und nichts von selbst unternehmen kann, oder anders gesagt, der Lehrer befehlt und der Schüler gehorcht. Die Beziehung vertieft die Kluft zwischen den Lehrer und dem Schüler ( ...]." „Mitunter ist ein marokkanischer Unterricht ohne Drohung undenkbar. Studenten arbeiten ängstlich, denkend an eine schlechte Note, die öfter beim Unterricht erwähnt wird [...]." Aussagen dieses Typs sind die Regel. Wie wir weiter unten noch zeigen werden, haben insbesondere die (z.T. fest etablierten) Rollenverhältnisse und -verständnisse einen großen Einfluß auf die Reaktionen, mit denen seitens der Lerner auf das Korrekturverhalten reagiert wird. 2.5 Die Schüler des Colegio Visconde de Porto Seguro in Säo Paulo besuchen eine Schule, auf der Deutsch traditionell die erste und wichtigste Fremdsprache darstellt; 3 500 von insgesamt 5 000 Schülern lernen Deutsch. Für den Unterricht stehen 35 Deutschlehrer zur Verfügung, die zum größten Teil einheimische Lehrkräfte sind und von daher keine fundierte methodisch-didaktische Ausbildung erhalten haben. Der Deutschunterricht verfolgt das Ziel, die Schüler bis zum kleinen oder sogar großen Deutschen Sprachdiplom zu führen. In den siebten Klassen, die Gegenstand der Untersuchung waren, und auch noch im folgenden Schuljahr wird mit eigenen Unterrichtsmaterialien gearbeitet, nachdem zuvor .die Lehrwerke Komm bitte und Wer? Wie? Was? verwendet wurden; ab der neunten Klasse wird zum Zeitpunkt der Untersuchung mit Themen gearbeitet. Insgesamt gilt auch während freierer Unterrichtsphasen eine relativ starke Ausrichtung auf ein formorientiertes, grammatisches Lernziel. Folglich tritt kommunikativer Unterricht zugunsten traditionellerer Übungsphasen zurück. Dies schließt gleichzeitig einen stärker lehrerorientierten Unterricht ein. 3. Ergebnisse in bezug auf Lernererfahrungen mit und Lernereinstellungen zu Korrekturen Im folgenden werden die Ergebnisse der in den vier Ländern (China, Deutschland, Marokko, Brasilien) durchgeführten Befragungen in ihren Haupttendenzen dargestellt. Es sei noch einmal erwähnt, daß nicht alle Ergebnisse aufgrund der unter- FLuL 22 (1993) Grundelemente der mündlichen Fehlerkorrektur 83 schiedlichen Untersuchungsbedingungen und -designs zu vergleichen sind. Wenn im übrigen von Studenten die Rede ist, so handelt es sich immer um die drei kleinen Befragungen in China, Marokko und an der Ruhr-Universität Bochum; wenn die Aussagen von Schülern erwähnt werden, so geht es um Ergebnisse aus dem Tertiärsprachenprojekt und aus der 'brasilianischen Untersuchung' (vgl. oben Anm. 7). 3.1 Generell spricht s.ich die überwiegende -Mehrheit der Lerner für Korrekturen überhaupt aus. Die meisten Studenten in den drei kleinen Befragungen möchten sogar grundsätzlich immer korrigiert werden, ein kleinerer Teil nur bei 'schweren' Fehlern. Dies scheint uns erstaunlich, wenn man die doch recht schockierenden Erfahrungen mit Korrekturverhalten (vgl. weiter unten) betrachtet. Besonders interessant scheint uns bei den Ergebnissen des Tertiärsprachenprojekts in diesem Zusammenhang zu sein, daß gerade die Schüler der Lehrer, die bewußt sehr wenig korrigieren und dies mit Hinblick auf die vermuteten Wünsche ihrer Schüler begründen, mehr Korrekturen fordern. Bei den 'vielkorrigierenden' Lehrern sind hingegen die Schüler durchweg mit der Anzahl der Korrekturen zufrieden. Die Gründe für solche Schüleraussagen mögen sicherlich vielfältiger Art sein. Auch Vorerfahrungen mit anderen Lehrern sind wohl prägend. Dennoch aber scheint der Wunsch nach Korrekturen durchgängig zu existieren, auch bei Schülern, die ihrer eigenen Aussage nach eher gehemmt auf Korrekturen reagieren. Diese Tendenz wird auch im brasilianischen Datenkorpus eindeutig bestätigt. 3.2 Die Fehlerart, die sowohl in unseren Daten zum Tertiärsprachenunterricht als auch an der brasilianischen Schule am häufigsten vorkommt und, auch relativ am häufigsten korrigiert wird, ist der morpho-syntaktische Fehler. Seine Korrektur, die in der Regel sicherlich auch am schnellsten und leichtesten erfolgen kann, wird hier unabhängig von den einzelnen Phas(! n ausgeführt ein Befund, den wir auch für andere Kontexte annehmen. Bei den Schülern ist ebensowenig wie bei den befragten Studenten eine eindeutig~ Präferenz für die Korrektur einer Fehlerart feststellbar; durchweg erfolgen Mehrfachnennungen. Grammatische und lexQco-semantische Fehler führen bei allen Gruppen die 'Hitliste' an, die chinesischen Studenten scheinen außerdem dem pragmatischen Bereich ('was ein Deutscher nicht sagen würde') große Bedeutung zuzumessen. Wichtig scheint uns zu sein, daß Fehlerkorrekturen in ihrer ganzen Bandbreite im wesentlichen akzeptiert werden. 3.3 Zum Zeitpunkt der Korrektur liegen uns keine eindeutigen Ergebnisse vor. Zwar kann davon ausgegangen werden, daß in der Unterrichtsrealität (für den Schulunterricht war dies z.B. jeweils nachweisbar) nur in sehr wenigen Fällen Korrekturen erst in einer anschließenden Korrekturphase auftreten. Dies dürfte auch damit zusammenhängen, daß der Lehrer sich kaum alle auftretenden Fehler merken kann und das Mitschreiben von Fehlern bei mündlichen Schüleräußerungen durchaus problematisch ist. Sowohl die Schüler als auch die Studenten äußern sehr selten FLuL 22 (1993) 84 Karin Kleppin, Frank G. Königs den Wunsch nach einer anschließenden Korrekturphase. Bei den Schülern sind zudem Vorlieben weniger deutlich erkennbar, wenngleich auch sie ungern durch Korrekturen unterbrochen werden. Studenten stört bei unterbrechenden Fehlerkorrekturen am meisten die Tatsache, daß sie bei der Entwicklung und Formulierung ihrer Gedanken unterbrochen werden. Sie ziehen es in allen drei Befragungen vor, erst zu Ende reden zu können und dann korrigiert zu werden. Angesichts ihres durchweg höheren Sprachniveaus erstaunt dieser Befund nicht, denn dieses höhere Sprachniveau führt zusammen mit der größeren intellektuellen Reife zu dem Wunsch, komplexere und kompliziertere Sachverhalte auszudrücken als die Schüler. 3.4 Was die Korrekturart angeht, so sind die uns vorliegenden Ergebnisse durchaus disparat. Die Vorlieben scheinen sich bei allen Gruppen auf zwei grob zu unterteilende Facetten zu beziehen: die direkte Korrektur, wobei die richtige Form vorgegeben wird die Initiierung zur Selbstkorrektur, die auf die unterschiedlichsten Arten realisiert wird (Anakoluth, Bezeichnung des Fehlers, nonverbale Mißbilligung, etc.) und die außerdem mit unterschiedlichen Hilfen verbaler oder nonverbaler Art versehen werden kann. Selbstverständlich nimmt die Initiierung zur Selbstkorrektur meist weitaus mehr Zeit in Anspruch als direkte Korrekturen. Häufig treten Nachfragen oder erneute Fehler bei den Lernern auf, die sich um eine Selbstkorrektur bemühen. Eine Entscheidung für die eine oder andere Form hat immer auch Auswirkungen auf den gesamten Unterrichtsverlauf. Initiierungen zur Selbstkorrektur können denn auch eher zu kognitiven Reaktionen und zur zumindest momentanen Verarbeitung der Korrektur bei den Lernern führen. Bei direkten Korrekturen ist das 'Ankommen' der Korrektur bei den Fehlerproduzenten nicht gesichert, vor allem dann nicht, wenn der Lerner sich stark auf die Sprachproduktion oder den Inhalt konzentriert. Im Tertiärsprachenprojekt scheint die Entscheidung für eine der oben genannten Korrekturarten bei den Lehrern, die an unserer Untersuchung teilgenommen haben, eher grundsätzlicher Natur zu sein und sich weniger an Einschätzungen der momentanen Unterrichtssituation zu orientieren. Dies mag damit zusammenhängen, daß im Unterrichtsgeschehen Entscheidungen für ein bestimmtes Verhalten meist so schnell und spontan ablaufen müssen, daß ein abwägendes Vorgehen kaum möglich ist. Vorlieben für das eine oder andere Vorgehen werden meist mit der gleichen Begründung versehen, nämlich die Schüler nicht zu hemmen: einerseits wird ihnen die Möglichkeit gegeben, ihre eigenen Fehler 'auszubügeln', andererseits rückt eine schnelle Korrektur den Fehler als Fehlleistung nicht so sehr in den Vordergrund. Die Schüler in unserem Projekt scheinen, was Vorlieben für Initiierungen der Korrektur oder direkte Korrekturen angeht, in diesem Bereich die Vorlieben ihrer Lehrer zu übernehmen und sich in vielerlei Hinsicht auf die Korrekturtechniken ihrer Lehrer einzustellen. Die Mehrheit zieht allerdings bewußtmachende Korrekturverfahren vor, d.h. sie möchten sich möglichst entweder selbst FLuL 22 (1993) Grundelemente der mündlichen Fehlerkorrektur 85 korrigieren oder zusätzliche Erklärungen erhalten. Gegen diese Einschätzung spricht allerdings der Befund, daß lehrerseitige Initiierungen zur Sel.bstkorrektur in großem Umfang von den Schülern (sowohl in der deutschen als auch in der brasilianischen Untersuchung) nicht aufgenommen werde11. Wir interpretieren dies als mangelnde kognitive Verankerung des Phänomens der Selbstkorrektur und als Hinweis dafür, daß von der Lernererfahrung abweichende Unterrichtshandlungen den Schülern bewußt zu machen sind. Wenn wir auch be_i den Studenten obige Verbindungen zwischen Lehrerverhalten und Lernerurteil nicht überprüfen konnten, so lassen sich zumindest auch hier Vorlieben für korrekturinitiierende Verfahren erkennen. Die Aufforderung zur Selbstkorrektur zie.hen deutsche und marokkanische Studenten eindeutig vor, chinesische Studenten scheinen direkte Korrekturen durch den Lehrer für angemessener zu halten. Implizite Korrekturen, bei denen der Lehrer nur noch einmal die Äußerung in ihrer richtigen Form wiederholt, ohne direkt auf den Fehler hinzuweisen, spielen bei allen Gruppen eine untergeordnete Rolle. Sie scheinen für nicht sehr wirksam gehalten zu werden, da der Fehler dadurch .häufig nicht erkannt wird: (eine marokkanische Studentin: ) "[...] was bei einem Professor mich ärgert, ist, daß wenn ich meine Anworte beendet habe, keine Korrektur mir sagt und daß er nur den Inhalt nimmt, um es anders zu bilden. Keine Hinweise, ob ich gut oder schlecht geantwortet habe [... ]" 3.5 Das als wünschenswert artikulierte Korrekturverhalten scheint auch von den Studenten als am effektivsten eingeschätzt zu werden. Hier stehen Selbstkorrekturen interessanterweise an erster Stelle, danach folgen' direkte explizite Korrekturen. Implizite Ko: rrekturen und Korrekturen durch, Mitlerner werden nur äußerst selten genannt, dafür jedoch einige Male explizit ausgeschlossen. Die brasilianischen Schüler wollen Mitschülerkorrekturen nur dann akzep,tieren, wenn si~her ist, daß sie nicht eine die Persönlichkeit herabsetzende Wirkung haben. Die durchgängige Ablehnung von Korrekturen durch Mitlerner in allen Untersuchungsk,ontexten deckt sich mit der weitgehenden Ablehnung von Korrekturen durch Interaktionspartner in außerunterrichtlichen, 'natürlichen' Kommunikationssituationen zwischen Ll- und L2-Sprechern (vgl. dazu ausführlich Königs 1992). 3.6 Auch die beiden folgenden offenen Fragen waren nur an die Studentengruppen gerichtet Bei der Schülergruppe dagegen hatten wir die Frage gestellt, ob Korrekturen sie hemmen, sie nicht stören oder gar beim Sprechen helfen. Außerdem hatten wir dort die Unterrichtssituationen transkribiert vorliegen und konnten somit die einzelnen Korrektursequenzen gründlich analysieren. Dennoch hätte auch hier möglicherweise die Frage nach einer Korrektur, die als besonders negativ empfunden wurde, in der Analyse noch weitergeführt, da man dadurch Aufschluß darüber erhält, welche Korrekturen als besonders hemmend und in affektiver Hinsicht als negativ empfunden werden, und aus welchem Grund dies der Fall ist. Bei der deutschen Schülergruppe können wir aus unseren Daten ersehen, daß FLuL 22 (1993) 86 Karin Kleppin, Frank G. Königs sich ca. drei Viertel aller Schüler durch Korrekturen in keinem Fall behindert fühlen; fast ein Drittel dieser Gruppe meint sogar, Korrekturen würden beim Sprechen helfen. Dennoch fühlt sich immerhin ein Viertel der Gesamtgruppe durch Korrekturen etwas - und ein ganz kleiner Teil sogar stark gestört. Da diese Verteilung nicht speziell bei den Schülern der vielkorrigierenden Lehrer zu beobachten ist, sondern auch bei den Gruppen, deren Lehrer extrem wenig korrigieren, hat diese Tatsache wohl weniger mit der Quantität der Korrekturen zu tun, sondern eher mit deren Qualität. Möglicherweise spielen hier auch solche affektiven Gründe eine Rolle, die in den Beispielen der Studenten immer wieder genannt werden. Es soll allerdings noch einmal hervorgehoben werden, daß wir es bei den zitierten Beispielen immer auch vor allem mit der persönlichen Wahrnehmung der Studenten zu tun haben. Hätte man die beschriebenen Situationen auf Videorecorder aufnehmen und transkribieren können, hätte eine darauf basierende genaue Analyse diese Wahrnehmungen möglicherweise nicht in allen Teilen bestätigt. Formen der selektiven Wahrnehmung von allen Seiten, also auch unsererseits, stellen jedoch ein Grundproblem bei der Analyse jeglicher menschlicher Kommunikation dar. Wichtig scheint uns in diesem Zusammenhang vor allem die Tatsache zu sein, daß sich einzelne, negativ wahrgenommene Korrekturhandlungen allem Anschein nach katastrophal auf den gesamten folgenden Fremdsprachenunterricht mit dem betreffenden Lehrer auswirken können. (ein chinesischer Student: ) "Als ich in der zweiten Klasse war, damals hatte ich nur ein Jahr Deutsch von ABC gelernt, machte ich (wir alle) Fehler beim Unterricht, aber bevor der Lehrer mich korrigierte, schimpfte er: 'Wer hat dir sowas gelehrt! ' dann fühlte ich mich sehr unangenehm, und hatte die Lust verloren, mit ihm beim Unterricht zusammenzuarbeiten. Ich hatte auch den Mut verloren, etwas beim Unterricht auf deutsch zu sprechen." (ein marokkanischer Student: ) "Dieses Geschehen ist meinem Kommilitonen im 1. Studienjahr passiert. Er hat ein Wort falsch gesprochen, anstatt der Verbesserung des Fehlers, hat der Lehrer laut, sehr laut gelacht. Der Student aber kommt nie in die Uni zurück. Er war Opfer eines Lehrers, der keine Pedagogie gelernt hat." Viele Studenten beschreiben ihr Gefühl, in ihrem Gedankengang unterbrochen zu werden, nicht ausreden zu können, vom Lehrer oder den Kommilitonen ausgelacht zu werden, bloßgestellt zu werden: Jeweils ca. die Hälfte der chinesischen und deutschen Studenten weisen diesbezüglich negative Erfahrungen vor. Die marokkanischen Studenten geben sogar alle mindestens eine Situation an, die sie affektiv besonders negativ beeinflußt hat. Da die Aussagen der chinesischen und deutschen Studenten schon ausführlich beschrieben wurden (Kleppin 1989), möchten wir hier als Beispiele einige Aussagen marokkanischer Studenten anführen: (eine marokkanische Studentin: ) "Was meine Äusserung behindert und meine Mut verschwächt, ist dies Gefühl zu haben, daß der Lehrer von meinem Fehler schockiert ist. Überdies, wenn sie/ er ironisch meine Fehler korrigiert mit der Art und Weise mir klar zu FLuL 22 (1993) Grundelemente der mündlichen Fehlerkorrektur machen, daß sie dumme Fehler waren. Und daß ich in dieser Abteilung nicht zu tun habe. Ich find es absolut schlimm, daß einige Lehrer unbewußt oder manchmal mit Absicht das Minderwertigkeitsgefühl bei den Studenten entwickeln lassen." (eine marokkanische Studentin: ) "Ich erinnere mich gut von einer negativen Korrektur, als ich in dem ersten Studienjahr war. Als der Professor mir einen grammatischen Fehler korrigierte, hat er über mich viel gelacht. Meine Kommilitonen haben auch darüber gelacht. In dieser Zeit fühlte ich mich tiefer berührt und wollte ich nicht mehr in der Klasse reden. Ich fühlte mich danach isoliert." 87 3.7 Die gleiche Studentin gibt im übrigen auch ein Beispiel für eine positive Korrektur an, das an dieser Stelle mitaufgeführt werden soll: "Ich erinnere mich noch eine gelungene Korrektur, die mir positiv im Gedächtnis geblieben ist, als ich dummes Fehler gemacht habe. Der Professor hat mir meinen Fehler korrigiert und hatte mir gesagt: das machst nicht. Weil Deutsch immer für Dich eine fremde Sprache bleibt. Du sollst nur viele Bemühungen dieser Fremdsprache geben. 'Fehler machen den Meister'." Affektiv positive Korrekturen scheinen sich bei den chinesischen und marokkanischen Studenten besonders stark ins Gedächtnis eingeprägt zu haben. Sicherlich werden affektiv positive Korrekturen in diesen beiden Ländern, in denen autoritäre Lehrer-Schüler-Verhältnisse existieren, wesentlich stärker wahrgenommen als in einem deutschen universitären Kontext, in dem man affektiv positive Korrekturen tendenziell als das eigentlich Normale empfindet. 11 Hier wird vereinzelt darauf hingewiesen, daß Korrekturen durch native speaker oder Korrekturen, die mit lustigen Gegebenheiten verbunden sind, positiv im Gedächtnis verblieben sind. In der marokkanischen Universität werden außerdem noch differenzierte Einschätzungen mit einem Teillob besonders hervorgehoben: (ein marokkanischer Student: ) "Einmal habe ich eine Frage beantwortet. Der Lehrer wartete, bis ich meine Äußerung beendete, und sagte mir: 'alles, was Du gesagt hast, ist grammatisch gut, aber du hast nicht den Kern getroffen' und hat mir die Korrektur gegeben, ich habe nie diese Korrektur vergessem, das finde ich gut." Unserer Meinung nach haben die beiden letzten Punkte gezeigt, daß die Art und Weise der Korrekturen einen großen Einfluß auf Lerner haben können, daß sie möglicherweise Lernerbiographien vollständig verändern können: dies trifft vor allem dann zu, wenn sie als affektiv negativ und die Persönlichkeit tangierend empfunden werden. Dies ist nicht nur in autoritären Lehrer-Schüler-Beziehungen der Fall, wie die negativen Erfahrungen deutscher Studenten mit dem Korrekturverhalten von Lehrern zeigen (vgl. Anmerkung 11 auf dieser Seite). II Dem widerspricht allerdings eine Befragung unter über 80 Teilnehmern eines Hauptseminars zur Fehlerkorrektur im Wintersemester 1992/ 93 an der Ruhr-Universität Bochum. Die Mehrheit bezeichnete Korrekturen als unangenehm und in affektiver Hinsicht als grundsätzlich negativ besetzt. FLuL 22 (1993) 88 Karin Kleppin, Frank G. Königs Mündliches Korrekturverhalten scheint möglicherweise mehr als andere unterrichtlichen Verhaltensweisen auf besondere Empfindlichkeiten bei Lernern zu treffen. Auch in unserem Tertiärsprachenprojekt hatten wir es ja mit Lernerhemmungen durch Korrekturen zu tun, deren Ursache sich nicht immer genau zurückverfolgen ließ. 4. Schlußbemerkungen Ziel der vorangehenden Ausführungen war es, über kulturelle Grenzen hinweg erste Einsichten in die lernerseitigen Auffassungen über mündliche Korrekturen zu erlangen. Grundlage waren Ergebnisse aus Untersuchungen, die aus untersuchungsmethodischer Sicht nur partiell vergleichbar sind. Dennoch lassen sich unserer Auffassung nach einige wichtige Punkte aus den unterschiedlichen Datensätzen ableiten. Dazu zählt die Einsicht (oder Annahme), daß Korrekturen grundsätzlich notwendig und sinnvoll sind. In etlichen Bereichen sind lernerseitige Einschätzungen und Reaktionen mit Bezug auf Korrekturen über die kulturellen Grenzen hinweg identisch oder doch immerhin sehr angenähert. Soweit sich das aufgrund der Daten mit aller Vorsicht sagen läßt, wirken sich unterschiedliche Lern- und Schultraditionen nicht so sehr dahingehend aus, daß sie grundsätzlich andere Einstellungen zu Korrekturen provozieren würden, sondern eher dahingehend, daß sie bestehende Grundelemente des Korrekturverhaltens in ihrer Ausprägung variieren lassen. Exemplarisch sei diesbezüglich noch einmal auf die Selbstkorrekturen verwiesen, die von den Lernenden gefordert, jedoch selbst bei lehrerseitiger intensiver Initiierung nur in wenigen Fällen durchgeführt werden. Hier scheinen Lerner aus China, Marokko und Brasilien noch größere Schwierigkeiten aufzuweisen als die deutschen Studenten und Schüler. Feststellbare Unterschiede sind hier wie auch in anderen Bereichen eher quantitativer als qualitativer Art. Gleichwohl lassen sich kulturgebundene Lehr- und Lerntraditionen als Ursachen für die jeweilige Ausprägung annehmen. Will man das Korrekturverhalten in Richtung auf mehr Selbstkorrekturen hin ändern, so scheint dies in erster Linie dadurch möglich, daß man beginnt, im Unterricht über Lernen allgemein, über den Umgang mit Korrekturen im besonderen zu sprechen. Teile der wissenschaftlichen Diskussion über autonomes Lernen und Lernerstrategien favorisieren denn auch zunehmend die Integration metaunterrichtlicher Elemente in den Unterricht; exemplarisch sei auf einige Beiträge in Wenden/ Rubin (1987) und in Duda/ Riley (1990) oder die Monographien von Oxford (1990) und Tönshoff (1992) verwiesen. Vor diesem Hintergrund läßt sich aus der Beschäftigung mit Korrekturen ableiten, daß kreativer Umgang mit sprachlichen Fehlleistungen gerade nicht bedeuten kann, unvorbereitet Lehr- und Lerntraditionen zu verlassen (vgl. dazu sowie zu einigen Vorschlägen Königs 1993). Die Grundelemente des Korrekturverhaltens sind offensichtlich nicht einseitig auf bestimmte methodische Entscheidungen allein, sondern auch auf kulturspezifische Einstellungen und Verhaltensweisen der am Unterricht Beteiligten FLuL 22 (1993) Grundelemente der müridlichen Fehlerkorrektur 89 zurückzuführen. Eine Veränderung dieser Einstellungen und Verhaltensweisen setzt Reflexion und Einsicht bei den Beteiligten voraus und muß von daher Thema des Unterrichts werden. Von daher sind abrupte Änderungen unterrichtlicher Interaktionsabläufe nicht zu befürworten, wohl aber die gesteigerte bewußte Auseinandersetzung mit ihnen, die dann zu begründeten Veränderungen führen kann. Die hier vorgestellten Ergebnisse und Tendenzen·verstehen sich als Ansporn, diese Diskussion auch über kulturelle Grenzen hinweg in Angriff zu nehmen. Bibliographische Angaben ALLWRIGHT, R. L.: "Problems in the Study of the T~acher's Treatment of Learner Error". In: M. Burt / H. 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The positive effects of (learner oriented) interlanguage research and of applied pragmatics "Pragmadidaktik") as regards a more lenient attitude towards errors are stressed. On the other hand, it is pointed out that only very seldom were foreign language learners directly asked how they themselves feel about their own errors, those of their fellow students and their teachers. Would they find errors, for instance, natural and inevitable, or harmful and disturbing? And would they find error corrections, for example, helpful or unnecessary and counterproductive? Questions such as the preceding ones were part of a questionnaire consisting of twenty-five questions that was administered to 133 students of English at the University of Paderborn. The results of this survey are reported on in the main section of this paper. 1. Zur Geschichte und Aktualität des Fehlerphänomens Zweifellos gehört der Begriff Fehler zu den Schlüsselwörtern der Fremdsprachendidaktik und des Fremdsprachenunterrichts, können doch mit seinen verschiedenen Interpretationen und Bedeutungsveränderungen die wichtigsten Spracherwerbstheorien und Sprachlehrmethoden in Verbindung gebracht werden. 1 Daß die Fehlerthematik auch heute nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hat, wird durch Spillners (1991) großangelegte Bibliographie zur Fehleranalyse eindrucksvoll vor Augen geführt, in der gerade aus jüngster Zeit zahlreiche Titel verzeichnet sind. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf Freudenstein (1989) und die Themenhefte „Vom Umgang mit Fehlern" und „Fehler im Fremdsprachenunterricht" und die dort erschienene, Veröffentlichungen des Zeitraums 1977-1990 umfassende, Auswahlbibliographie zur Fehlerkunde. 2 Nach einer behavioristisch akzentuierten Periode in der Geschichte des Fehlerphänomens und der Sprachlehrmethodik, die sich durch die Unterdrückung und Vermeidung von Fehlern auszeichnete, schloß sich eine Zeit an, in der das Prinzip message vor accuracy tonangebend war und in der unter dem Einfluß der Pragmadidaktik (Piepho 1974), des aus der Differenzkonzeption abgeleiteten Prinzips der 1 Vgl. hierzu u.a. Heindrichs/ Gester/ Kelz (1980: 103-148), Knapp-Potthoff (1987), Legenhausen (1992), Littlewood (1984) und Richards/ Rodgers (1986), sowie speziell zur Rolle von Fehlerkorrekturen in fremdsprachendidaktischen Vermittlungskonzepten Kleppin/ Königs (1991: 36-49). 2 Vgl. dazu die Hinweise in der „Einführung in den Themenschwerpunkt" (S. 3) mit den entsprechenden Literaturangaben [E.Z.]. FLuL 22 (1993) 92 Claus Gnutzmann, Marion Kiffe kommunikativen Äquivalenz und der Zweitsprachenerwerbsforschung und einer psycholinguistisch ausgerichteten Fehlerforschung (Corder 1967, Selinker 1972) die Rolle der Fehlerkorrektur für den Fremdsprachenerwerb stark heruntergespielt, teilweise sogar negiert wurde. Diese Einschätzung gilt sicherlich in viel stärkerem Maße für die institutionalisierte Fachdidaktik als für die tägliche Praxis des schulischen Fremdsprachenunterrichts, in der die Frage „Verbessern oder nicht verbessern? " (Bleyhl 1984) wohl faktisch nie ihre Bedeutung verloren hat. Wahrscheinlich mitbedingt durch die kognitive Wende der Fremdsprachendidaktik (vgl. hierzu Königs 1991, Piepho 1990), hat sich in letzter Zeit auch hinsichtlich des Fehlerphänomens und seiner Behandlung im Fremdsprachenunterricht ein Wandel vollzogen, der dahingehend charakterisiert werden kann, daß fremdsprachliche Fehler mit anderen Abweichungsphänomenen aus dem LI-Erwerb, mit Versprechern, Wortspielen, aber auch mit pathologischem Sprechen in Verbindung gebracht werden, um so zu einer umfassenderen Sichtweise sprachlicher Abweichungsphänomene zu gelangen, die auch fremdsprachendi<; laktisch umsetzbar sind. 3 Insofern scheint jetzt der Zeitpunkt gekommen zu sein für eine explizite Einbeziehung des Fehlerphänomens in bewußtmachende Phasen des Fremdsprachenunterrichts und für eine gelassenere und differenziertere Einstellung gegenüber sprachlichen Fehlern. In ähnlichem Maße wie sich der Begriff Feh/ er gewandelt hat, hat sich auch die Einschätzung von Korrekturmaßnahmen verändert: Wurden diese traditionell als d a s Mittel der Fehlertherapie propagiert, mit denen jeder Verstoß gegen die Sprachrichtigkeit quittiert werden mußte, 'so werden sie heute aufgrund ihrer in Frage gestellten Wirksamkeit und unerwünschter "Nebenwirkungen" wie Motivationsverlust, Konzentration auf Fehlervermeidung, Gleichsetzung von Korrektur mit Bestrafung oder Zurückweisung auf seiten des Schülers kritisch hinterfragt, wenngleich die Institution Schule aufgrund der obligatorischen Leistungsüberprüfungen einer radikalen Kritik faktisch dann wiederum enge Grenzen setzt. 2. Ausgangsüberlegungen und Konzeption des Fragebogens Die in der Fremdsprachendidaktik lange Zeit populäre Forderung, mitteilungsbezogene (vs. sprachbezogene) Phasen des Fremdsprachenunterrichts 4 nicht durch 3 Vgl. hierzu u.a. Kordes/ Budde (1985) und Gnutzmann (1989), wo dafür plädiert wird, die "verengte fremdsprachliche Fehlerperspektive für andere Abweichungsphänomene zu erweitern" (S. 65), sowie Gnutzmann (1992), in dem das Fehlerphänomen in Zusammenhang mit den verschiedenen Dimensionen von "language awareness", wie etwa der affektiven, der sozialen, der politischen, der kognitiven und der "performance domain" in Verbindung gebracht wird. Zum kreativen und humorvollen Umgang mit „Fehlern" vgl. Köhring (1982, 1987). 4 Vgl. zu dieser begrifflichen Trennung Black/ Butzkamm (1977) und zum "Zusammenspiel" der Begriffe Butzkamm (1992). FLuL 22 (1993) Mündliche Fehler und Fehlerkorrekturen im Hochschulbereich 93 Fehlerkorrekturen einzuschränken, bedarf der Modifikation. Timm (1989: 179) nennt hierzu zwei Ausnahmen: Fehler, die die „Verständlichkeit einer Äußerung gefährden" und „Wendungen, die den Sprecher in den Augen eines native speaker als hochnäsig, anmaßend oder autoritär stigmatisieren", sollten auf jeden Fall korrigiert werden. Man sollte allerdings in bestimmten Kommunikationssituationen das Kriterium der Sprachrichtigkeit und seinen Beitrag zur kommunikativen Angemessenheit einer Situation nicht unterschätzen. So konnte beispielsweise während der Betreuung von Fachpraktika in der Schule wie auch in anglistischen Pro- und Hauptseminaren die Beobachtung gemacht werden - und dieser Eindruck wurde durch anschließende Gespräche mit Studierenden bestätigt -, daß sprachliche Fehler, selbst wenn sie nicht zu Lasten der kommunikativen Intention ihrer Sprecher gingen, nicht selten als irritierendes Moment des Kommunikationsaktes empfunden wurden und daß dann eine Thematisierung der sprachlichen Fehler zur Wiederherstellung der „sprachlichen Ordnung" durchaus nicht unerwünscht war. 5 Hieran zeigt sich, daß sprachliche Korrektheit von vielen Sprachteilhabern auch und vielleicht gerade von Nicht-Muttersprachlern als Zeichen kommunikativer Angemessenheit empfunden werden kann. Insofern sind die Dichotomie von sprach- und riütteilungsbezogener Kommunikation und die daraus abgeleiteten Haltungen zur Fehlerkorrektur nicht unproblematisch. Mit dem vorliegenden Fragebogen 6 sollen die Einstellungen von Studierenden der Anglistik zum Fehler in fremdsprachlichen Äußerungen und zu seiner Korrektur untersucht werden. Studierende. insbesondere die Lehramtskandidaten stehen in der universitären Ausbildung gewissermaßen in einer Phase, die durch eine Zwischenstellung zwischen Lernen und Lehren charakterisiert ist. Die Studierenden erfahren einerseits eine Ausbildung, in der sie ihre Fremdsprachenkenntnisse erweitern also lernen sollen, andererseits geschieht diese Ausbildung immer auch im Hinblick auf ihre zukünftige Tätigkeit als Lehrende. Da: her ist zu erwarten, daß die Studierenden bezüglich der Fehlerthematik sowohl die Perspektiven des Lehrenden als auch die des Lernenden im Blick haben und daher über ein größeres Problembewußtsein verfügen. Für Lehramtswie Magisterstudenten gilt gleichermaßen, daß sie in den obligatorischen Einführungsveranstaltungen zur Linguistik und Fachdidaktik beispielsweise durch die Gegenüberstellung von präskriptiver und deskriptiver Grammatik sowie in einschlägigen Lehrveranstaltungen zur Psycholinguistik und zur Sprachlehrforschung ein Bewußtsein für die Problematik des Fehlerbegriffs entwickelt haben sollten und daher ihre Einstellungen zu Fehlern differenzierter 5 Zur Relevanz von mündlichen Fehlerkorrekturen vgl. Lee ( 1989), Raabe ( 1982, 1983), Zawadzka (1989). 6 Für Durchsicht und Kritik einer früheren Version dieses Fragebogens danken wir Gert Henrici und Frank Königs; Antje Oldenburg hat uns dankenswerterweise bei der Zusammenstellung un.d Auswertung der Ergebnisse unterstützt. FLuL 22 (1993) 94 Claus Gnutzmann, Marion Kiffe ausfallen werden als die von Schülern7, die möglicherweise in Übereinstimmung mit der traditionellen Fremdsprachendidaktik Fehler als Zeichen von Versagen werten bzw. unter dem Eindruck anderer gesellschaftlicher Strömungen Fehlern relativ "cool" gegenüberstehen. Der in diesem Beitrag vorgestellte Fragebogen und die mit seiner Hilfe durchgeführte Erhebung zur Einstellung von Studierenden der Anglistik zu Fehlern und Fehlerkorrekturen in fremdsprachlichen fachwissenschaftlichen Seminaren sind als Vorstudien zu einem Projekt zur Fehlerdidaktik gedacht, das unter Einschluß angewandt-linguistischer, psychologischer und pädagogischer Fragestellungen im nächsten Jahr als Forschungsvorhaben der Paderborner anglistischen Fachdidaktik in Angriff genommen werden soll. Dabei werden lernerorientierte Fragestellungen und Datenerhebungsverfahren, die individuelle Befragungen von Lernern, aber auch Lehrern einschließen, einen Schwerpunkt der Projektarbeit einnehmen. So verdienstvoll zweifellos zahlreiche Untersuchungen zur Rekonstruktion lernersprachlicher Systeme auch sind, indem sie die Systemhaftigkeit, die Kreativität, die Dynamik und somit auch die Variabilität von Lernersprachen herausgearbeitet haben 8, so kann vielleicht doch kritisch angemerkt werden, daß es sich fast immer um eine Rekonstruktion unter Ausschluß der Betroffenen gehandelt hat, da eine direkte Befragung von Lernern in der Regel nicht stattgefunden hat. Die Analyse bezog sich statt dessen auf deren sprachlichen Output. 9 Einige Ergebnisse der Untersuchung, über die in diesem Beitrag berichtet wird, lassen im übrigen den Schluß zu, daß manche sprachdidaktischen Implikationen der Interlanguage-Forschung und der kommunikativen Didaktik zumindest von studentischen Fremdsprachenlernern nicht immer in der prognostizierten Form ~eptiert werden. Das heißt beispielsweise, daß Fehler im Fremdsprachenunterricht zwar für "unvermeidbar" gehalten werden "sie gehören zum Fremdsprachenlernen dazu", Frage 3), daß andererseits aber auch Fehlerkorrekturen von fast allen Befragten in der von uns durchgeführten Erhebung als besonders hilfreich empfunden werden (Frage 17). Der für unsere Untersuchung konzipierte Fragebogen ist mit Bezug auf die schon erwähnten Untersuchungen von Henrici/ Herlemann (1986) und Kleppin/ K.önigs (1991) entwickelt worden. Die in dem Fragebogen anhand von 25 Fragen untersuchten 6 Fragenkomplexe sollen ein Modell der Einstellung von Fehlern· und Fehlerkorrekturen abbilden, wie es auch mutatis mutandis von Kleppin/ K.önigs und 7 Zur Untermauerung dieser These wie auch zur Vervollständigung der hier zur Diskussion stehenden mündlichen Fehlerkorrekturen ließe sich anhand eines ähnlichen Fragebogens eine Befragung von Schülern durchführen. 8 Vgl. hierzu u.a. Bilis (1985), McLaughlin (1987) und speziell zur Lemersprache Vogel (1990). 9 Im Bereich der Fehlerthematik sind als positive Ausnahmen u.a. die Arbeiten von Henrici/ Herlemann (1986) und Kleppin/ Königs (1991) zu nennen. FLuL 22 (1993) Mündliche Fehler und Fehlerkorrekturen im Hochschulbereich 95 schon früher von Hendrickson (1978) verwendet worden ist. 10 Mit Bezug auf die genannten Arbeiten und unsere Vorüberlegungen zu Fehleni und Fehlerkorrekturen allgemein und speziell in der anglistischen Lehre sind im Fragebogen von uns die folgenden Fragenkomplexe behandelt worden: I. Linguistische Fehlerkategorien und ihre Gewichtung II. Einstellung zu Fehlern: Fehlertoleranz vs. negative Einstellung III. Affektive Dimension: Wirkung von Fehlerkorrekturen IV. Zum Korrekturverhalten der Dozenten/ -innen V. Zeitpunkt der Korrektur VI. Art und Weise der Korrektur Dem Fragebogen ist eine Gruppe von Fragen vorangestellt, die Informationen zur Person der Probanden einholen sollen. Bei der Formulierung dieses Teils waren wir uns allerdings darüber im klaren, daß die in dieser Erhebung untersuchte Probandengruppe zahlenmäßig zu klein sein würde, um die verschiedenen Variablen mit den Ergebnissen des II. Teils des Fragebogens zu korrelieren. Allerdings stellte sich heraus, daß es bei einigen Fragen doch interessante Unterschiede in den Reaktionen zwischen Studierenden des .Grund- oder Hauptstudiums (Fragen 24 und 25, s.u.) sowie zwischen Studenten/ -innen mit Sprachbzw. Literaturwissenschaft als Studienschwerpunkt gibt (Fragen 7, 10, 13, 14, 17 und 24, s.u.). Vor allem ging es uns auch um das Austesten von spontanen Reaktionen der Probanden, die im II. Teil unter „Anmerkungen" formuliert werden konnten. 11 Es sollte überprüft werden, inwieweit die erfragten Parameter sich möglicherweise für eine umfangreichere Erhebung eignen würden. Der nachfolgend abgedruckte Fragebogen wurde in verschiedenen anglistischen Lehrveranstaltungen insgesamt 133 Studierenden der Anglistik der Universität-Gesamthochschule-Paderborn vorgelegt. Gemäß Vorspann soll der Fragebogen „Auskunft darüber geben, welche Rolle mündliche Fehler in fremdsprachlichen Pro- und Hauptseminaren (nicht in sprachpraktischen Lehrveranstaltungen) spielen, die in der Fremdsprache Englisch durch-. 10 So spricht Hendrickson (1978: 389) von "five fundamental questions": 1. Should errors be corrected? 2. If so, when should learner errors be corrected? 3. Which learner errors should be corrected? 4. How should learner errors be corrected? 5. Who should correct learner errors? 11 Leider machten nur wenige Studenten/ -innen von dieser Möglichkeit Gebrauch. Als herausragendstes Ergebnis bei der Auswertung ist jedoch das deutliche Votum der Studenten/ -innen für eine häufigere Verwendung des Englischen als Medium von fachwissenschaftlichen Seminaren festzuhalten. Viele Befragte betonten auch die Bedeutung eines Auslandsaufenthaltes als ihrer Ansicht nach einziges Mittel, die Sprachkompetenz zu erhalten oder zu verbessern. Was die Korrektur von Fehlern anbelangt, so wurde häufig eine allgemeine Bewertung der verschiedenen Korrekturmaßnahmen abgelehnt, da grundsätzlich „der Ton die Musik" mache. Bezüglich des Fragebogens wurde kritisch angemerkt, daß die drei zur Wahl gestellten Kategorien eine differenzierte Beantwortung erschwerten und einige Fragen zu allgemein und pauschal formuliert seien. Auch hielten einige Probanden die teilweise Überschneidung der Fragen 2, 4, 5 und 10 für überflüssig. FLuL 22 (1993) 96 Claus Gnutzmann, Marion Kiffe geführt werden". Wegen des besonderen Charakters sprachpraktischer Lehrveranstaltungen, die in erster Linie auf die Verbesserung der aktiven Sprachkompetenz, die kognitive Durchdringung der Fremdsprache und die Erweiterung des Sprachbewußtseins z.B. durch Sprachvergleich abzielen, wurde die Korrekturproblematik dieses Lehrveranstaltungstyps von der Befragung ausgeschlossen. Für die Beantwortung der Fragen standen den Studierenden bis zu 20 Minuten zur Verfügung. Dies geschah u.a. in der Absicht, durch den relativ großzügigen zeitlichen Spielraum die Studierenden zu ausführlicheren Stellungnahmen unter "Anmerkungen" (am Ende des Fragebogens) zu motivieren. Dieser Fragebogen wendet sich an Studierende der Anglistik, deren Muttersprache Deutsch ist. Er soll Auskunft darüber geben, welche Rolle mündliche Fehler in fremdsprachlichen Pro- und Hauptseminaren (nicht in sprachpraktischen Lehrveranstaltungen) spielen, die in der Fremdsprache Englisch durchgeführt werden. I. Angaben zur Person Bitte kreuzen Sie eine der vorgegebenen Antwortmöglichkeiten an bzw. füllen Sie die Lücke aus. Bei manchen Fragen sind Mehrfachnennungen möglich, z.B. wenn zwei Studienabschlüsse angestrebt werden. a. Ich habe Englisch □ schon zu Hause durch meine Eltern / ein Elternteil erworben □ als 1. Fremdsprache in der Schule erlernt □ als 2. Fremdsprache in der Schule erlernt □ auf einem bilingualen Zweig an der Schule auch als Unterrichtssprache gehabt. b. Meine Hochschulreife habe ich erworben □ an Gymnasium, Kollegschule oder Gesamtschule □ auf dem zweiten Bildungsweg. c. Ich hatte Englisch in der Oberstufe □ als Leistungskurs □ als Grundkurs □ gar nicht. d. Ich studiere Anglistik □ als Lehramtsfach (Bitte Frage e beantworten, dann weiter bei h.) □ als Magister-Hauptfach (Bitte Frage f beantworten, dann weiter bei h.) □ als Magister-Nebenfach (Bitte Frage g beantworten, dann weiter bei h.) □ in einem anderen Studiengang, nämlich ....................................................................... (Bitte Frage e beantworten, dann weiter bei h.) e. Mein Interessenschwerpunkt liegt auf □ Linguistik □ Literaturwissenschaft □ weiß nicht. f. Mein Hauptfach ist □ Linguistik □ Literaturwissenschaft. FLuL 22 (1993) Mündliche Fehler und Fehlerkorrekturen im Hochschulbereich g. Mein Nebenfach ist □ Linguistik □ Literaturwissenschaft. h. Ich bin im ............ten Fachsemester. i. Ich bin schon in einem Land gewesen, in dem Englisch Landessprache ist □ Ja, und zwar in .................................. (Bitte Fragen j und k beantworten) □ Nein ( ►► Weiter bei 1). j. Ich war in diesem Land □ im Urlaub □ zum Jobben/ Arbeiten □ als Assistant Teacher □ bei einer Summer School □ zum Studieren □ anderes. k. Mein längster Auslandsaufenthalt dauerte □ wenigei: als einen Monat □ 1 bis 3 Monate □ 3 bis 6 Monate □ 6 bis 12 Monate □ mehr als ein Jahr. l. Meine Sprachkompetenz in Englisch wür: de ich im Vergleich zu Kommilitonen folgendermaßen einschätzen: im Mündlichen: im Schriftlichen: □ sehr gut □ sehr gut □ gut □ gut □ befriedigend □ ausreichend □ befriedigend □ ·ausreichend □ mangelhaft □ mangelhaft II. Einstellungen zu Fehlern und Ihrer Korrektur In fremdsprachlichen Seminaren der Anglistik Bitte kreuzen Sie eine oder mehrere der angegebenen Antwortmöglichkeiten markieren Sie ihre Fragereaktionen auf der Skala von 1 bis 3. 1. Welche Fehler sind Ihrer Meinung nach gravierend? an bzw. A. Aussprachefehler sehr gravierend B. Grammatikfehler sehr gravierend C. Wortschatzfehler sehr gravierend D. stilistisch-pragmatische Fehler sehr gravierend □□□ □□□ □□□ □□□ gar nicht gravierend gar nicht gravierend gar nicht gravierend gar nicht gravierend 2. Wessen Fehler stören Sie wie sehr? A. eigene B. Fehler von Dozenten/ -innen C. Fehler von Kommilitonen/ -innen sehr stark □ □ □ gar nicht sehr stark □ □ □ gar nicht sehr stark □ □ □ gar nicht 3. Fehler im Fremdsprachenunterricht sind unvermeidbar, sie gehören zum Fremdsprachenlernen dazu. stimme zu □ □ □ stimme nicht zu FLuL 22 (1993) 97 98 4. Wenn ich selber Fehler mache, ist mir das unangenehm. stimme zu □ □ □ stimme nicht zu 5. Wenn ich selber Fehler mache, läßt mich das kalt. stimme zu □ □ □ stimme nicht zu Claus Gnutzmann, Marion Kiffe 6. Wenn Dozenten/ -innen Fehler machen, die ich als solche erkennen kann, finde ich es schon beschämend für sie, denn sie sollten die Fremdsprache besser beherrschen als Studierende. stimme zu □ □ □ stimme nicht zu 7. Auch Dozenten/ -innen sind meist keine Muttersprachler in der Sprache, die sie lehren; Fehler sind also o.k. stimme zu □ □ □ stimme nicht zu 8. Ich mache mich auch schon mal lustig über besonders dumme Fehler von Dozenten/ -innen! stimme zu □ □ □ stimme nicht zu 9. Auch Fehler von Dozenten/ -innen sollten von Studierenden korrigiert werden können. stimme zu □ □ □ stimme nicht zu 10. Fehler von Kommilitonen/ -innen stören mich nicht weiter. stimme zu □ □ □ stimme nicht zu 11. Wenn Kommilitonen/ -innen Fehler machen, ärgere ich mich oft über ihre Inkompetenz. stimme zu □ □ □ stimme nicht zu 12. Ich mache mich auch schon mal lustig über besonders dumme Fehler von Kommilitonen/ -innen! stimme zu □ □ □ stimme nicht zu 13. Mich stört es, wenn meine eigenen Fehler nicht korrigiert werden. stimme zu □ □ □ stimme nicht zu 14. Mich stört es, wenn Fehler von Kommilitonen/ -innen nicht korrigiert werden. stimme zu □ □ □ stimme nicht zu 15. Wessen Korrektur würde Sie wie stark stören? A. muttersprachlicher Kommilitone sehr stark □ □ □ gar nicht B. muttersprachlicher Dozent sehr stark □ □ □ gar nicht C. nicht-muttersprachlicher Kommilitone sehr stark □ □ □ gar nicht D. nicht-muttersprachlicher Dozent sehr stark □ □ □ gar nicht 16. Ich fühle mich durch Korrekturen im Seminar bloßgestellt. stimme zu □ □ □ stimme nicht zu 17. Ich empfinde Korrekturen als hilfreich. stimme zu □ □ □ stimme nicht zu 18. Korrekturen nehme ich ganz gelassen hin. stimme zu □ □ □ stimme nicht zu 19. Die meisten Dozenten/ -innen korrigieren zu häufig. stimme zu □ □ □ stimme nicht zu FLuL 22 (1993) Mündliche Fehler und Fehlerkorrekturen im Hochschulbereich 99 20. Bei vielen Dozenten/ -innen ist nicht ersichtlich, warum sie manchmal korrigieren und manchmal nicht. · stimme zu □ □ □ stimme nicht zu 2·1. Manche Dozenten/ -innen wollen nur die Studierenden bloßstellen, wenn sie sie korrigieren. stimme zu □ □ □ stimme nicht zu 22. Korrekturen sollten im Seminargespräch immer erst nach Abschluß eines Redebeitrags erfolgen. stimme zu · □ □ □ stimme nicht zu 23. Während eines Referates sollten Fehler überhaupt nicht korrigiert werden. stimme zu □ □ □ stimme nicht zu 24. Der/ die Dozent/ -in sollte. Fehler nicht selbst verbessern, sondern nur auf einen Fehler hinweisen, um dem/ der Studierenden die Gelegenheit zur Selbstkorrektur zu geben. stimme zu □ □ □ stimme ·nicht zu 25. Wenn ein/ e Dozent/ -in einen Fehler korrigiert, sollte er/ sie eine explizite Richtigstellung vermeiden. stimme zu □ □ □ stimme nicht zu. Möchten Sie Anmerkungen zum Fragebogen bzw. zur Fehler- oder Korrekturproblematik machen? · 3. Auswertung der Untersuchungsergebnisse Die nachstehende Tabelle vermittelt eine Übersicht zu den Antworten des II. Teils der 133 ausgewerteten Fragebögen. Den Ziffern 1 bis 3 entsprechen im Fragebogen die jeweils zur Wahl gestellten Antwortkategorien (z.B. "stimme zu" oder „stimme nicht zu"). Wegen der vorliegenden Zahlenverhältnisse wurden bis auf die··Faktoren „Grund- und Hauptstudium" (Teil I, Frage h) und „Studienschwerpunkt Linguistik oder Literaturwissenschaft'' (Teil I, Fragen e, f, g) keine weiteren für die Auswertung berücksichtigt. Aus Platzgründen inuß an dieser Stelle darauf verzichtet werden, auch die Ergebnisse für die oben genannten Untergruppen von Befragten zu dokumentieren. 12 1. A: 1: 48 (36,1%) 2: 65 (48,9%) 3: 15 (11,3%) keine Ang.: 5 (3,8%) B: 1: 84 (63,2%) 2: 47 (35,3%) 3: 2 (1,5%) C: 1: 25 (18,8%) 2: 83 (62,4%) 3: 15 (11,3%) keine Ang.: 10 (7,5%) D: 1: l3 (9,8%) 2: 84 (63,2%) 3: 22 (16,5%) keine Ang.: 14 (10,5%) 12 Das vollständige Ergebnisprotokoll kann bei den Autoren angefordert werden. FLuL 22 (1993) 100 Claus Gnutzmann, Marion Kiffe 2. A: 1: 111 (83,5%) 2: 19 (14,3%) 3: 2 (1,5%) keine Ang.: 1 (0,8%) B: 1: 60 (45,l %) 2: 56 (42,1%) 3: 9 (6,8%) keine Ang.: 8 (6%) C: 1: 5 (3,8%) 2: 57 (42,9%) 3: 60 (45,1 %) keine Ang.: 11 (8,3%) 3. 1: 122 (91,7%) 2: 9 (6,8%) 3: 2 (1,5%) 4. 1: 83 (62,4%) 2: 39 (29,3%) 3: 11 (8,3%) 5. 1: 3 (2,3%) 2: 20 (15%) 3: 110 (82,7%) 6. 1: 47 (35,3%) 2: 64 (48,l %) 3: 22 (16,5%) 7. 1: 39 (29,3%) 2: 65 (48,9%) 3: 29 (21,8%) 8. 1: 46 (34,6%) 2: 38 (28,6%) 3: 49 (36,8%) 9. 1: 93 (69,9%) 2: 30 (22,6%) 3: 10 (7,5%) 10. 1: 51 (38,3%) 2: 63 (47,4%) 3: 19 (14,3%) 11. 1: 4 (3%) 2: 19 (14,3%) 3: 110 (82,7%) 12. 1: 28 (21%) 2: 46 (34,6%) 3: 59 (44,4%) 13. 1: 95 (71,4%) 2: 35 (26,3%) 3: 3 (2,3%) 14. 1: 74 (55,6%) 2: 52 (39,1%) 3: 7 (5,3%) 15. A: 1: 10 (7,5%) 2: 24 (18%) 3: 98 (73,7%) keine Ang.: 1 (0,8%) B: 1: 2 (1,5%) 2: 9 (6,8%) 3: 119 (89,5%) keine Ang.: 3 (2,3%) C: 1: 11 (8,3%) 2: 60 (45,1 %) 3: 61 (45,9%) keine Ang.: 1 (0,8%) D: 1: 2 (1,5%) 2: 35 (26,3%) 3: 93 (69,9%) keine Ang.: 3 (2,3%) 16. 1: 6 (4,5%) 2: 40 (30,1 %) 3: 87 (65,4%) 17. 1: 116 (87,2%) 2: 13 (9,8%) 3: 4 (3%) 18. 1: 39 (29,3%) 2: 70 (52,6%) 3: 24 (18%) 19. 1: 4 (3%) 2: 34 (25,6%) 3: 95 (71,4%) 20. 1: 50 (37,6%) 2: 53 (39,8%) 3: 30 (22,6%) 21. 1: 9 (6,8%) 2: 25 (18,8%) 3: 99 (74,4%) 22. 1: 69 (51,9%) 2: 39 (29,3%) 3: 25 (18,8%) 23. 1: 37 (27,8%) 2: 50 (37,6%) 3: 46 (34,6%) 24. 1: 59 (44,4%) 2: 50 (37,6%) 3: 24 (18%) 25. 1: 21 (15,8%) 2: 60 (45,1%) 3: 52 (39,1%) FLuL 22 (1993) Mündliche Fehler und Fehlerkorrekturen im Hochschulbereich 101 3.1 Linguistische Fehlerkategorien und ihre Gewichtung Frage 1: Der besondere Stellenwert der Grammatik im Fremdsprachenunterricht, wie er beispielsweise durch Zimmermann (1984) in seiner Erhebung für den schulischen Fremdsprachenunterricht festgestellt worden ist, wird durch die Reaktionen auf die 1. Frage bestätigt: Grammatikfehler werden bei weitem als die gravierendste Fehlerkategorie (63,2%) angesehen, von nur 1,5% werden sie als „gar nicht gravierend" bewertet. Hier überrascht sicherlich, daß im Vergleich dazu Verstöße im Wortschatz und im stilistisch-pragmatischen Bereich von nur 18,8% bzw. 9,8% als „sehr gravierend" eingeschätzt werden. Besonders die Angabe zu den Wortschatzfehlern verwundert umso mehr, wenn man bedenkt, welche Flut von Wörterbüchern sich gerade in den vergangenen Jahren über den anglistischen Markt ergossen hat. In der Reaktion auf diese Frage spiegelt sich wahrscheinlich auch die Tradition des schulischen Fremdsprachenunterrichts und seiner zumindest verbal immer wieder geäußerten - Betonung der Grammatik wider. Die Tatsache, daß Grammatik und Syntax in der linguistischen Ausbildung des Anglistikstudiums im allgemeinen eine größere Bedeutung haben als Semantik und Lexikologie, kann darüber hinaus zur Erklärung der ermittelten Priorität der Grammatik beitragen. In einer Zeit interkultureller Verständigung, in der die vorbildhafte Aussprache des native speaker im allgemeinen mehr und mehr an Bedeutung verliert, fällt hier auf, daß phonetische Fehler immerhin von 36, 1 % für „sehr gravierend" gehalten werden. Es läßt sich allerdings vermuten, daß sich gerade die .Studierenden des Lehramts ihrer Vorbildfunktion gegenüber ihren zukünftigen Schülern in dieser sprachlichen Dimension bewußt sind (vgl. hierzu das Plädoyer "Pro-nunciation" von Herbst 1992). 3.2 Einstellung zu Fehlern: Fehlertoleranz vs. negative Einstellung Frage 2: Dieser Fragenkomplex untersucht die Einstellung zu eigenen Fehlern im Vergleich zu denen von Kommilitonen/ -innen und von Dozenten/ -innen. Die selbstkritische Haltung der Probanden gegenüber eigenen Fehlern wii; d daran deutlich, daß 83,5% der Befragten sich an eigenen Fehlern „sehr stark stören". Nicht ohne Erstaunen ist festzustellen, daß die Studierenden den Dozenten/ -innen mehr Gleichmut entgegenbringen als sich selbst: Nur 45,1% der dieser Gruppe zugeordneten Fehler „stören sehr stark". Dagegen fühlen sich 45,1 % von Fehlern der Kommilitonen/ -innen „gar nicht" und nur 3,8% "sehr stark" gestört. Allerdings ist die Zahl der Unentschlossenen, nämlich 42,9%, hinsichtlich der von Kommilitonen/ -innen gemachten Fehler recht groß. Frage 3: Die Tatsache, daß 91,7% Fehler im Fremdsprachenunterricht für „unvermeidbar" halten, läßt darauf schließen, daß ein Lernziel wie "native speaker"- Kompetenz von dieser Gruppe (berechtigterweise) als nicht realistisch eingeschätzt wird. Trotzdem ist auf seiten der Studierenden bei eigenen Fehlern erhebliche FLuL 22 (1993) 102 Claus Gnutzmann, Marion Kiffe persönliche Betroffenheit zu konstatieren, wenn man berücksichtigt, daß 83,5% (Frage 2) diese als sehr störend empfinden. Frage 4: Die besonders hohe Sensibilität gegenüber eigenen Fehlern setzt sich auch in den Reaktionen auf diese Frage fort: Lediglich 8,3% empfinden eigene Fehler nicht als unangenehm. Im Vergleich zu Frage 2 ist der Prozentsatz derjenigen, die eigene Fehler negativ bewerten, geringer: Fehler, die stören, müssen nicht notwendigerweise als unangenehm bewertet werden. Frage 5: Die Reaktionen auf diese als graduelle Variante auf die vorangehende zu verstehende - Frage zeigen, daß eigene Fehler nur 2,3% der Befragten „kalt lassen". Eine überwältigende Mehrheit von 82,7% bekundet Unbehagen gegenüber eigenen Fehlern. Frage 6: Auch wenn 16,5% der Befragten den Dozenten/ -innen das Recht auf Fehler zugestehen, diese nicht als „Alleswisser" ansehen und fast die Hälfte der Befragten (48,1%) unentschieden ist, so erwartet doch ein gutes Drittel eine „vorbildliche" Sprachkompetenz. Frage 7: Indem fast ein Drittel (29,3%) der Befragten Dozenten/ -innen, die keine englischen Muttersprachler sind, in gewisser Weise auch als Lerner der Fremdsprache begreift und infolgedessen bereit ist, ihnen das Recht auf Fehler zuzugestehen, liegt das hier gezeigte Toleranzbewußtsein noch über dem der vorausgehenden Frage. Auffällig ist allerdings der hohe Anteil der Unentschiedenen (48,9%), der wahrscheinlich zum Ausdruck bringen soll, daß für diese Gruppe Dozenten/ -innen sowohl Vorbild und Autorität wie auch Lerner und Partner sind. Zu bemerken ist darüber hinaus, daß Studenten/ -innen mit dem Schwerpunkt Linguistik ein etwas geringeres Maß an Fehlertoleranz vorzuweisen haben: 24,39% gegenüber. 33,33% bei den Literaturwissenschaftlern können Fehler von Dozenten/ -innen akzeptieren, 29,27% (vs. 19,94%) können es dagegen nicht. Fragen 8 und 9: .Während die Prozentsätze derjenigen, die bei Frage 8 zustimmen bzw. widersprechen, ungefähr gleich hoch sind (34,6% bzw. 36,8%), wird in Frage 9 ein klares Votum für die Möglichkeit abgegeben, auch Dozenten/ -innen korrigieren zu dürfen (69,9%); nur 7,5% sind dagegen. Auch wenn 22,6% Unentschiedene und 7,5% Ablehner darauf hindeuten, daß eine solche partnerschaftliche Atmosphäre in Seminaren als nicht ganz problemlos gesehen wird, wird gerade durch den Vergleich mit Frage 8 der Wunsch nach symmetrischer Kommunikation deutlich, wobei in diesem studentischen Wunsch nicht in erster Linie eine Infragestellung, sondern vielleicht eher eine Entlastung der Dozentenrolle gesehen werden sollte. Frage 10: Anscheinend bedingt durch die weniger extreme Formulierung „stören mich nicht weiter" fällt der Anteil derjenigen, die Gelassenheit gegenüber Fehlern von Kommilitonen/ -innen zum Ausdruck bringen, in Frage 10 mit 38,3% geringer aus als in Frage 2, wo es darum geht, "wessen Fehler sehr stören" (45,1%). Aller- FLuL 22 (1993) Mündliche Fehler und Fehlerkorrekturen im Hochschulbereich 103 dings ist auch hier fast die Hälfte der Befragten ähnlich wie bei der Einschätzung der Fehler von Dozenten/ -innen (Fragen 6 und 7) unentschieden in ihrem Urteil. Bei dieser Frage erweisen sich erneut die Linguisten als weniger fehlertolerant als die Literaturwissenschaftler: 42% der Literaturwissenschaftler lassen sich durch Fehler von Kommilitonen/ -innen nicht weiter stören; bei den Linguisten hingegen sind es lediglich 29,27% (vgl. hierzu auch die Bemerkungen zu Fragen 13 und 14). Fragen 11 und 12: Ebenfalls im Einklang mit den Antworten in Frage 2 werden Fehler der Kommilitonen/ -innen von der überwältigenden Mehrheit der Befragten (82,7%) nicht als Zeichen „fremdsprachlicher Inkompetenz" interpretiert, und deshalb äußert in Frage, 12 auch nur eine Minderheit (21 %) ihre Bereitschaft, "sich über besonders dumme Fehler ihrer Kommilitonen/ -innen lustig zu machen". Wie wir bereits gesehen haben, ist die Bereitschaft, sich über Fehler von Dozenten/ -innen lustig zu machen, etwas stärker (Frage 8: 34,6%), allerdings ist sie wohl geringer, als mancher vielleicht erwartet bzw. befürchtet hat. 3.3 Affektive Dimension: Wirkung von Fehlerkorrekturen Fragen 13 und 14: Die Ergebnisse des Fragenkomplex ill, mit dem die affektive Dimension von Fehlerkorrekturen untersucht werden sollte, lassen zweifellos die Schlußfolgerung zu, daß Fehlerkorrekturen von den Befragten insgesamt als positiv empfunden werden. Wie die Ergebnisse der Fragen 13 und 14 zeigen, gilt dies noch mehr für eigene Fehler als die von Kommilitonen/ -innen: Während 71,4% dafür votieren, daß eigene Fehler korrigiert werden sollen, fällt das entsprechende Votum für die Kommilitonen/ -innen mit 55,6% geringer aus. Möglicherweise ist der Unterschied darauf zurückzuführen, daß Korrekturen in diesem Fall weniger als Wiederherstellung von Sprachkorrektheit, sondern vor allem als Lernhilfen zur Verbesserung der eigenen Sprachkompetenz verstanden werden und somit Korrekturen eigener Fehler wichtiger erscheinen. Bei den Studierenden mit Linguistik als Schwerpunkt ist der Korrekturwunsch im Hinblick auf eigene Fehler wie auch auf die von Kommilitonen/ -innen deutlich stärker ausgeprägt als bei den Literaturwissenschaftlern: 85,37% vs. 68,12% sprechen sich bei Frage 13 für eine Korrektur aus; bei Frage 14 sind es 63,41 % vs. 53,62%. Möglicherweise ist die auch schon oben festgestellte stärkere Bevorzugung der Korrektur und geringere Fehlertoleranz bei linguistisch interessierten Studenten/ -innen auf ihre intensivere Beschäftigung mit der Sprache zurückzuführen, die womöglich in einer besonders „protektionistischen" Haltung gegenüber der Sprachrichtigkeit resultiert. Frage 15: Als hervorstechendes Ergebnis kann festgehalten werden, daß der Anteil derjenigen, die sich durch Korrekturen „sehr stark" gestört fühlen, in allen Fällen äußerst niedrig ist und selbst für die nicht-muttersprachlichen Kommilitonen/ -innen nur bei 8,3% liegt. Während von 89,5% die Korrektur durch muttersprachliche Dozenten/ -innen als „gar nicht störend" empfunden wird, reduziert sich dieser Wert FLuL 22 (1993) 104 Claus Gnutzmann, Marion Kiffe für die nicht-muttersprachlichen Kommilitonen/ -innen allerdings auf 45,9%. 13 Die Tatsache, daß die Vergleichswerte für muttersprachliche Kommilitonen/ -innen bei 73,3% und bei nicht-muttersprachlichen Dozenten/ -innen bei 69,9% liegen, verweist auf die hervorgehobene Bedeutung „natürlicher", muttersprachlicher Autorität für den Diskurs in fremdsprachlichen Lehrveranstaltungen, die offenbar größeren Wert hat als die „institutionalisierte" Autorität. / Fragen 16, 17 und 18: Inwieweit Kritik - und es geht in diesem Fall natürlich um sprachliche Kritik durch Fehlerkorrekturen negative Emotionen bei den Betroffenen auslöst, sollte durch die Fragen 16 bis 18 ermittelt werden. Die Formulierungen in diesen Fragen unterscheiden sich darin, daß der persönliche Betroffenheitsaspekt wahrscheinlich in 16 und 18 stärker zum Ausdruck kommt als in 17. Es bleibt auf jeden Fall als herausragendes Ergebnis festzuhalten (Frage 17), daß von der überwältigenden Mehrheit der Befragten, nämlich 87,2%, die positive Wirkung "hilfreich") von Fehlerkorrekturen hervorgehoben wird. Bei Studierenden mit Linguistik als Schwerpunkt liegt der Prozentsatz sogar bei 97,6%. Die besondere Problematik von Fehlerkorrekturen zeigt sich möglicherweise darin, daß sich zwar nur 4,5% durch Korrekturen bloßgestellt fühlen, aber der Anteil der Unentschiedenen mit 30, 1% relativ hoch ist, wenngleich immerhin 65,4% sich durch Korrekturen nicht bloßgestellt fühlen (Frage 16). Der Anteil derjenigen, die Korrekturen „ganz gelassen" ertragen können (Frage 18), beläuft sich auf 29,3%; ihnen stehen allerdings 52,6% gegenüber, die nicht wissen, ob sie Korrekturen wirklich emotionsneutral begegnen· können. Die hohe Zahl der Unentschiedenen läßt jedoch darauf schließen, daß dies wahrscheinlich eher nicht zutrifft. 3.4 Zum Korrekturverhalten von Dozenten/ -innen Frage 19: Der Wunsch nach mehr Korrekturen kommt auch in der Einschätzung des Korrekturverhaltens der Lehrenden zum Ausdruck: Immerhin sind nur 3% der Meinung, daß Dozenten/ -innen zu häufig korrigieren, wohingegen 71,4% die gegenteilige Auffassung vertreten. Unter den Studierenden des Hauptstudiums ist der Prozentsatz derjenigen, die nicht meinen, es werde zu häufig korrigiert, größer als im Grundstudium. Möglicherweise sind Studierende im Hauptstudium schon etwas „abgeklärter" aufgrund ihrer (möglicherweise) insgesamt positiven Erfahrungen mit Fehlerkorrekturen. Vielleicht spielt auch die Perspektive des herannahenden Examens eine Rolle, so daß Fehlerkorrekturen angesichts dieses Umstandes auch als 13 Interessant ist in diesem Zusammenhang das von Kleppin/ Königs (1991: 292) in ihrer Untersuchung schulischen Fremdsprachenunterrichts ermittelte „Komplementärergebnis" und die dazugehörige Interpretation: "Mitschülerkorrekturen werden nur von ca. 2% der Schüler gefordert. Unserer Auffassung nach steht dahinter das Rollenverständnis, das dem Lehrer die Position des Korrigierenden zuweist; Verbesserungen durch Mitlerner und damit durch Inhaber der gleichen Rolle gehören nicht zum erwarteten Bild von Unterricht." FLuL 22 (1993) Mündliche Fehler und Fehlerkorrekturen im Hochschulbereich 105 ökonomische Fonn der Erweiterung und Konsolidierung der Fremdsprachenkompetenz angesehen werden. Frage 20: Angesichts der relativ großen Ausgewogenheit der drei Kategorien ist ein eindeutiger Trend nicht feststellbar, wobei allerdings auffällig ist, daß mehr als ein Drittel der Befragten (37 ,59%) das Korrekturverhalten ihrer Dozenten/ -innen als nicht konsistent einstuft. Inwieweit diese Kritik berechtigt ist, oder ob sie möglicherweise auf Versfändnisprobleme bei der Korrektur auf seiten der Studierenden zurückzuführen ist, kann hier nicht entschieden werden. Frage 21: Die positive Einstellung gegenüber Fehlerkorrekturen durch die Dozenten/ -innen wird auch durch das Ergebnis von Frage 21 gestärkt: 74,4% der Studierenden sind nicht der Meinung, daß Dozenten/ -innen mit ihren Korrekturen Studierende bloßstellen wollen. 3.5 Der Zeitpunkt der Korrektur Fragen 22 und 23: Auch wenn 51,9% der Auffassung sind, daß Korrekturen immer erst nach Abschluß eines Redebeitrags erfolgen sollten und somit im Interesse des Redeflusses und wohl auch aus „atmosphärischen" Gründen für Geduld plädieren, sprechen sich 18,8% für eine Unterbrechung zugunsten von Fehlerkorrekturen aus. Bei gleichzeitiger Berücksichtigung der starken Gruppe der Unentschiedenen (29,3%) ist bei dieser Frage somit ein sehr differenziertes Problembewußtsein auf seiten der Befragten festzustellen. Die Zustimmung, während eines Referates überhaupt nicht zu unterbrechen, ist geringer als in Frage 22, vennutlich deshalb, weil Korrekturaufschübe bis zum Abschluß eines Referates weniger praktikabel erscheinen und die Korrekturen dann vielleicht (unangemessenerweise) auf Kosten der inhaltlichen Würdigung den Akzent auf die· sprachliche Dimension verlagern. Der relativ stark geäußerte Wunsch, auch während eines Referates Fehlerkorrekturen vorzunehmen wobei einmal unterstellt sei, daß die gemachten Fehler nicht zu den von Timm (1989) genannten Ausnahmen gehören unterstreicht die Bedeutung sprachlicher Korrektheit für das Erreichen der kommunikativen Angemessenheit von Äußerungen und Texten. 3.6 Art und Weise der Korrektur Frage 24: Die Rolle der Selbstkorrektur, die in vielen Veröffentlichungen als positives Element der Fehlerkorrektur bezeichnet wird, steht im Zentrum von Frage 24: 44,4% wünschen sich Gelegenheit zur Selbstkorrektur. Bei den eher literaturwissenschaftlich orientierten Studenten/ -innen ist dieser Wunsch weniger stark ausgeprägt als bei den Linguisten: 34,78% im Vergleich zu 56,2% sprechen sich für Selbstkorrektur aus. Genaue Gründe hierfür lassen sich nicht erkennen. FLuL 22 (1993) 106 Claus Gnutzmann, Marion Kiffe Die Tatsache, daß bei Studierenden aus dem Hauptstudium (26%) der Wunsch nach Selbstkorrektur geringer ist als im Grundstudium (55,4%), ist möglicherweise deren vermutlich größerer Selbstsicherheit, die das eventuelle "Face-Saving" durch Selbstkorrektur nicht mehr erforderlich macht, sowie ihrem Wunsch nach möglichst zeitökonomischer Korrektur zuzuschreiben. Entsprechend kann für Studenten/ -innen des Grundstudiums angenommen werden, daß sie wegen der zeitlichen Nähe zur Schule und der u.U. dort als unangenehm empfundenen und sicher auch viel häufiger als im Hochschulbereich stattfindenden Korrektur die Möglichkeit der Selbstkorrektur stärker favorisieren. Frage 25: Der sehr hohe Anteil von Unentschiedenen (45,1 %) hinsichtlich der expliziten Korrektur sprachlicher Fehler kann als Zeichen eines spezifischen Problembewußtseins interpretiert werden, das im Spannungsfeld sprachlicher Reglementierung „von oben" und dem Wunsch nach Lernhilfe verstanden werden kann. Nur 15,8% der Betroffenen wenden sich gegen eine explizite Richtigstellung von Fehlern durch die Dozenten/ -innen. Wahrscheinlich spielt auch hier, wie bei der vorangehenden Frage 24, der Faktor Zeitökonomie eine nicht zu unterschätzende Rolle. Dies gilt wiederum stärker für Studierende des Hauptstudiums, denen die explizite Richtigstellung erheblich sympathischer ist als den Studierenden des Grundstudiums (56% vs. 28,9%). 4. Zusammenfassung Die Ergebnisse der von uns durchgeführten Umfrage lassen einige wichtige Tendenzen hinsichtlich der Einstellungen von Studierenden zu Fehlern in fremdsprachlichen Seminaren und ihrer Korrektur deutlich werden, wenn auch deren statistische Signifikanz aufgrund des geringen Stichprobenumfangs nicht überbewertet werden sollte. Die Probanden der Untersuchung ließen mehrheitlich eine große Toleranz gegenüber den Fehlern von Kommilitonen/ -innen und Lehrenden erkennen und entsprachen somit der in den letzten Jahren gewonnenen Einschätzung, daß die Annäherung der Lernersprache an die Zielsprache ein wohl nie vollständig zu bewältigendes und vermutlich auch nicht wünschenswertes Uriterfangen ist und Fehlern demnach keine übermäßig große Bedeutung beigemessen werden sollte. Diese Gelassenheit gegenüber Fehlern stößt jedoch genau da an ihre Grenzen, wo es um die Fehler der Befragten selbst geht: viele Umfrageteilnehmer brachten ihr Unbehagen angesichts eigener Fehler zum Ausdruck und wünschten sich ein konsequentes Korrekturverhalten als Rückmeldung für ihre Lernbemühungen. Daß diese Tendenz bei linguistisch interessierten Studenten/ -innen stärker ausgeprägt war, ist möglicherweise das Resultat ihrer intensiveren Beschäftigung mit Sprache. Konsequenterweise setzen die Befragten die Korrektur durch einen Muttersprachler über die eines nicht-muttersprachlichen Dozenten, dessen „natürliche" Autorität offenbar als absolut verläßliche Richtschnur verstanden wird. Die in der Erhebung FLuL 22 (1993) Mündliche Fehler und Fehlerkorrekturen im Hochschulbereich 107 gewonnenen Daten lassen also darauf schließen, daß die Studierenden sprachliche Normen in gewissem Maße anerkennen, sich aber durchaus der Begrenztheit ihres Geltungsbereiches insbesondere im Bereich der Fremdsprachenlehre bewußt sind. Eine solche differenzierte Wertung von Fehlern und Korrekturen ist ein sicherlich sehr hoch einzuschätzendes Ergebnis universitärer Ausbildung, das besonders für zukünftige Lehrer/ -innen von Bedeutung ist. Bibliographische Angaben BLACK, C. / BUTZKAMM, W .: .,Sprachbezogene und mitteilungsbezogene Kommunikation im Englischunterricht". In: Praxis des neusprachlichen Unterrichts 24 (1977), 115-124. BLEYHL, W.: "Verbessern oder nicht verbessern? Das ewige Dilemma des Fremdsprachenlehrers". In: Der Fremdsprachliche Unterricht 71 (1984), 171-183. BUTZKAMM, W.: "Über das Zusammenspiel von sprachbezogener und mitteilungsbezogener Kommunikation". In: U. o·. H. 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In this article it is claimed ·that the main source for advanced learners' difficulties in verbalizing their communicative goals is not their l.ack of voc11bulary knowledge, but their inadequate knowledge of how to use and how to combine the acquired lexical items. To illustrate this assumption, empirical data from the Kassel Corpus are presented. The exarnples taken from oral and written text productions of German students of French are analyzed and interpreted in the framework of Levelt's 'Speaking Model' (1989), adapted to bilingual speech production by de Bot (1992). Different types of learners' errors are assigned to different processors within the given model conceptualizer and formulator -, thus inspiring the idea of treating them differently in second language teaching. 1. Einleitung Wenn wir im folgenden Ausdrucksprobleme und -fehler fortgeschrittener Lerner des Französischen untersuchen, so geht es dabei nicht um einen Minimalbereich, um sprachliches „Überlebenstraining". Es geht vielmehr um eine hinreichend differenzierte Ausdrucksfähigkeit in der Fremdsprache, so wie sie z.B. schon erforderlich ist, wenn man in dieser Sprache über politisch-gesellschaftliche Alltagsprobleme und deren Lösungsmöglichkeiten diskutieren möchte und dabei den Wunsch hat, ganz bestimmte Meinungen, Überlegungen und Gedankengänge so zum Ausdruck zu bringen, daß differenzierte Fragestellungen und Meinungsunterschiede wirklich deutlich werden. Ein gewisses Potential an sprachlichen Mitteln zur formalen Bewältigung solcher Situationen, etwa Zustimmung signalisieren, etwas in Frage stellen, Widerspruch einlegen etc., wird heute im Fremdsprachenunterricht selbstverständlich vermittelt. Uns geht es hier jedoch vorrangig um die sprachliche Bewältigung von zur Diskussion stehenden Inhalten. Die Problematik liegt darin, daß man nicht für jeden Inhaltsbereich die erforderlichen Ausdrucksmittel im Unterricht erarbeiten kann. Während die Zahl grammatischer Probleme zwar groß, aber begrenzt und begrenzbar ist, erweist sich die Zahl der sog. Ausdrucksprobleme als so vielfältig wie die Zahl der Inhalte, über die man sprechen, die man zum Ausdruck bringen kann. Gemeint sind vor allem Schwierigkeiten und Fehler, die darauf beruhen, daß die Lernenden sich sprachlicher Fügungen bedienen, die, obwohl grammatisch und z.T. auch semantisch „eigentlich richtig", d.h. nicht regelwidrig, in der Zielsprache aber unüblich, wenn nicht unmöglich sind oder in der verwendeten Form etwas anderes ausdrücken, als der Sprecher meint. Gerade wegen ihrer offenbar unbegrenzten Zahl ist es jedoch um so dringender, diesen Problemen nachzugehen. FLuL 22 (1993) 110 Dorothea Möhle, Marifred Raupach Ein oftmals vorgebrachter Einwand lautet: man versteht doch meistens, was gemeint ist, warum also einen fast muttersprachlichen Kompetenzgrad anstreben? Ganz sicher ist dies nicht unser Ziel. Es geht auch nicht um vereinzelte Ausdrucksfehler; aber deren Häufung in Verbindung mit ohnehin auftretenden Grammatikfehlern kann eine reibungslose Kommunikation auf etwas anspruchsvoller Ebene empfindlich beeinträchtigen. Vor allem aber spürt der Lerner in solchen Situationen selbst sein Unvermögen und fühlt sich gehemmt. Gerade dieses Unbehagen ist es, was ihn dann häufig einfach zum Äußerungsverzicht veranlaßt. Folgende Beispiele 1 sollen die von uns gemeinten Ausdrucksschwierigkeiten illustrieren: (1) *Mais si c'est deja unfait qu'il n'y a pas assez de logements [...]. (m) Korrektur: Mais si, effectivement, il n'y a pas assez de logements [...]. (2) *C'est un probleme qui vient avec le temps et qui n' est pas la taut a coup. (m) Korrektur: qui se dessine progressivement/ peu a peu et qui ne surgit pas d'un seul coup (3) *Mais cette decision n' est pas taut a fait complete parce que [...]. (m) Korrektur: ne regle pas tout Je probleme (4) *[...] pour une duree plus longue c'est pas humain, je trouve, parce qu'il y a certaines idees et certains niveaux d' habiter dans une maison. (m) Korrektur: parce que pour atteindre un certain niveau de vie, il est normal d'habiter dans une maison (5) *Ceux qui sont dans une teile situation doivent protester de fa<; on que aussi l' autre peuple en sait et reflechit sur [...]. (s) Korrektur: afin qu'/ de sorte qu'un public plus ! arge en prenne conscience (6) *Qui a mis les wagons? Si c'est Je prefet [...] <; a me ressemble comme un commerce. (s) Korrektur: ~a ressemble a une solution plutöt commerciale / etre une solution commerciale 1 Bei den von uns gesammelten Daten handelt es sich in allen Fällen um Äußerungen Kasseler Romanistikstudentinnen mittlerer und höherer Semester zu einem Inhalt, mit dem sie unvermittelt konfrontiert wurden, auf dessen Verbalisierung in der Fremdsprache sie also in keiner Weise vorbereitet waren. In den meisten Fällen ging es dabei um teils mündliche, teils schriftliche im folgenden gekennzeichnet mit (m) bzw. (s) - Stellungnahmen zu aktuellen Problemen. Die Äußerungssituation kommt somit zumindest im Falle der mündlichen Produktionen echten Sprechsituationen relativ nahe. Schriftliche Äußerungen beziehen wir mit ein, weil die jeweilige Schwierigkeit für den Lerner besonders deutlich hervortritt, wenn die Formulierung nicht unter Zeitdruck gewählt wird. Bei den Beispielen 1 bis• 6 wie auch bei vielen der folgenden Beispiele handelt es sich um Stellungnahmen zu dem vor einigen Jahren in der Presse gemachten Vorschlag, Studenten bei Wohnungsmangel vorübergehend in Schlafwagen unterzubringen. Für alle Beispiele geben wir Korrekturvorschläge von französischen Sprechern an, um damit anzuzeigen, daß die authentische Formulierung in den seltensten Fällen auf Wortschatz zurückgreift, der den L2-Lemern unbekannt gewesen sein dürfte, daß fehlender Wortschatz also nicht als Hauptursache für die Formulierungsschwierigkeiten anzusehen ist. FLuL 22 (1993) Ausdrucksschwierigkeiten als Merkmal von Lernersprache ... 111 Diese Beispiele zeugen, wie wir meinen, in hohem Maße von der Diskrepanz zwischen Ausdrucksabsicht und Ausdrucksvermögen, und zwar in einem inhaltlichen Bereich, der den Rahmen gehobener Alltagskonversation kaum überschreitet. Die Art der Ausdrucksfehler ist für erfahrene Lehrer gewiß nicht überraschend. Weniger selbstverständlich ist die schon hier deutlich zutage tretende Erkenntnis, daß die Ursache für unzureichende Ausdrucksmöglichkeiten nicht wie meist angenommen in erster Linie in fehlendem Wortschatz zu· sehen ist, sondern in fehlender Vertrautheit mit den Anwendungsmöglichkeiten und-bedingungen bereits erworbener lexikalischer Einheiten, also mit dem Sprachgebrauch und mit gebrauchsbedingten Restriktionen. Daß eine beträchtliche Anzahl der untersuchten Fehlformulierungen sich offensichtlich auf muttersprachlichen Einfluß zurückführen läßt, ist wiederum ein vertrautes Phänomen. Wir sind es gewöhnt, solche Fehler als „Germanismen" zu bezeichnen, sie zu konstatieren, zu korrigieren und die Schüler darauf aufmerksam zu machen. Mehr geschieht jedoch im allgemeinen nicht. In der wissenschaftlichen Diskussion über den Fremdsprachenerwerb ist dieser Teil der Ausdrucksproblematik unter dem Stichwort "Interferenz" einzuordnen und läuft damit Gefahr, als der behavioristischen Lerntheorie zugehörig aus der Diskussion ausgeklammert zu werden. Wir möchten demgegenüber versuchen, den aufgezeigten Sachverhalt vom Standpunkt neuerer kognitiv orientierter psycholinguistischer Forschung her zu beleuchten und mit der Frage nach den Ursachen auch die nach möglichen Gegenmaßnahmen zu stellen. 2. Sprachproduktionsmodelle Im Rahmen der Kognitiven Linguistik, die sich als Teildisziplin der. Kognitiven Wissenschaft begreift, bezieht sich die Erforschung der Sprachfähigkeit sowohl auf die Repräsentation des Sprachsystems im mentalen Gesamtsystem als auch auf die prozeduralen Fähigkeiten zu seiner Aktivierung und Verarbeitung (Schwarz 1992: 38 ff). Von kognitiven Modellen der Sprachproduktion sind somit einerseits Aussagen über die einzelnen Komponenten des Sprachsystems und seine Interaktion mit anderen kognitiven Subsystemen zu erwarten, andererseits aber auch Aufschlüsse über die Prozeduren und Prozesse, die der Verarbeitung der Informationen zugrunde liegen. Charakteristisch für die Modellierung von Sprachproduktion im Rahmen der symbolischen Ansätze ist die Postulierung von mindestens drei Verarbeitungsebenen: die Ebene der Konzeptualisierung, der Formulierung und der Artikulation. Unterschiedliche Auffassungen bestehen jedoch darüber, nach welchen Prozeduren die Informationen innerhalb der einzelnen Ebenen und insbesondere in der möglichen Interaktion zwischen ihnen verarbeitet werden. Hier stehen als Haupttypen serielle Sprachproduktionsmodelle und Netzwerkmodelle einander gegenüber. Ohne strukturierte Einheiten kommen hingegen Modelle im Rahmen der subsymbolischen Ansätze aus; sie orientieren sich an Forschungsergebnissen aus der Neurophysiolo- FLuL 22 (1993) 112 Dorothea Möhle, Manfred Raupach gie und werden unter den Begriffen des Kgnnektionismus (Bechtel/ Abrahamsen 1991) und des Parallel Distributed Processing [PDP] (vgl. Rumelhart/ McClelland 1986) zusammengefaßt. Typisch für diese Modelle ist die Vernetzung von Elementen, vergleichbar derjenigen von Neuronen im Gehirn, und die damit gewährleistete parallel ablaufende Informationsverarbeitung. Wir werden im folgenden das für den einsprachigen Sprecher konzipierte Produktionsmodell von Levelt (1989) als Folie benutzen und Vorschläge für eine mögliche Übertragung auf die Modellierung von fremdsprachlicher Produktion zu unseren Lernerdaten in Beziehung setzen. 2.1 Levelts 'Speaking Model' Die gegenwärtige Diskussion über Sprachproduktion wird weitgehend von den Modellvorstellungen von Levelt (1989) bestimmt. Sie tragen in hohem Maße den bisher in der Psycholinguistik gewonnenen Erkenntnissen Rechnung und stützen sich in vielen Teilen auf empirische Daten. Zudem gelten sie als ein Versuch, nicht nur ausgewählte Bereiche zu behandeln, sondern alle relevanten Aspekte der LI- Sprachproduktion einzubeziehen und dabei serielle und parallel ablaufende Verarbeitungen in ein Gesamtmodell zu integrieren. Levelt (1989) steht in der Tradition der Stufenmodelle, d.h. solcher Vorstellungen, die eine Strukturierung des Sprachproduktionsprozesses in Ebenen oder Komponenten postulieren (vgl. dazu etwa die Übersicht bei Wiese 1983). Er bezeichnet seine als Prozessoren konzipierten Verarbeitungskomponenten als Conceptualizer, der als Subkomponente u.a. einen Monitor enthält, Formulator und Articulator (Levelt 1989: 9); sie werden ergänzt durch das Speech Comprehension System, das in Verbindung mit dem Monitor nicht nur die fertige Produktion des Sprechers (overt speech) - und natürlich auch die der Gesprächspartner analysieren kann, sondern ebenfalls die im Produktionsprozeß befindliche Äußerung vor ihrer abschließenden Artikulation (internal speech) überprüft. Wir beschränken uns im folgenden auf eine Skizze der wichtigsten Verarbeitungsschritte, die von <Jen Komponenten der Konzeptualisierung, Formulierung und Artikulation geleistet werden. 2.1.1 Konzeptualisierung und Wissensspeicher Hier wird die Äußerungsintention konzipiert und die für die Realisierung relevante Information aus dem Wissensspeicher2 ausgewählt und geordnet. Levelt unterscheidet dabei die Makroplanung, mit der die Entscheidung für eine bestimmte kommunikative und illokutive Intention (Art des beabsichtigten Sprechaktes) gefällt wird, 2 Dieser Wissensspeicher umfaßt zum einen das sog. Weltwissen (encyclopedia), zum andern Informationen, die für die gegebene Gesprächssituation relevant sind (situational knowledge, discourse record). FLuL 22 (1993) Ausdrucksschwierigkeiten als Merkmal von Lernersprache ... 113 von der Mikroplanung, die der Vorbereitung einer möglichst adressatenspezifischen Versprachlichung dient und eine vorsprachliche Fassung (preverbal messd.ge) entfaltet, die ihrerseits als Eingabe für den Formulator fungiert und im wesentlichen folgende Informationen über die geplante Äußerung enthält: (a) die thematische Struktur (semantische- Repräsentation mit Angaben über "Rollen" oder Kasus wie Agens, Ziel usw.); (b) die Informationsstruktur (z.B. Thema/ Rhema); (c) Angaben über Modalität, Aspekt und Deixis; (d) sprachenspezifische Anforderungen. Die Notwendigkeit, sprachenspezifische Merkmale in der konzeptuellen Kodierung zu postulieren, leitet Levelt (1989 : 103 ff) aus systematischen Unterschieden zwischen Einzelsprachen ab wie etwa im spatialen Deixissystem zwischen dem Englischen und dem Spanischen (herelthere bzw. this/ that vs. aqu{/ ahflall[) oder zwischen Sprachen mit vs. ohne Tempussystem. 2.1.2 Formulierung und mentales Lexikon Hier werden die in vorsprachlicher Fassung sukzessiv eingehenden konzeptuellen Fragmente in eine linguistische Struktur und letztlich in einen phonetischen Plan umgewandelt. Dies geschieht durch grammatische und phonologische Enkodierung, für die als Wissensbasis die lexikalischen Einheiten des mentalen Lexikons zur Verfügung stehen. Levelt unterscheidet im Aufbau dieser Einheiten zum. einen die Lemmata, die Informationen über die Bedeutung einschließlich pragmatischer und stilistischer Gebrauchsnormen - und über die grammatische Funktion sowie über die Konstruktionsmöglichkeiten enthalten, und zum andern die lexikalische Form, die morpho-phonologische Angaben enthält. Die grammatische Enkodierung produziert eine Art Oberfläc}: leristruktur, indem sie auf die Lemmata zugreift und die BedeutuRg lexikalischer Einheiten mit der semantischen Information der vorsprachlichen Fassung vergleicht; dabei aktiviert sie mit den ausgewählten Einheiten zugleich auch deren syntaktische lnformatio~ nen. Die Formulierungsprozesse werden wesentlich von den lexikalischen Einträgen im mentalen Lexikon bestimmt (lexicon-driven), d.h. das Lexikon ist der entscheidende Mittler zwischen der Konzeptualisierung und der grammatischen/ phonologischen Enkodierung. Die phonologische Enkodierung ordnet der Oberflächenstruktur unter Zugriff auf die morpho-phonologischen Merkmale ein Artikulationsprogramm zu. 2.1.3 Artikulation Hier erfolgt die Ausführung des phonetischen Programms, das aus einer Kette von Silbenprogrammen besteht, und damit die sprachliche Realisierung der geplanten Äußerung (overt speech). Von den weiteren Angaben, die Levelt zur Repräsentation und zur Aktualisierung der mentalen Informationen im Rahmen seines Modells macht, können wir an dieser Stelle nur die wichtigsten wiedergeben: FLuL 22 (1993) 114 Dorothea Möhle, Manfred Raupach Das Wissen in den Kenntnissystemen (Weltwissen usw.; mentales Lexikon) ist als Faktenbzw. Sprachwissen deklarativ "Wissen daß") und vorzugsweise im Langzeitgedächtnis gespeichert; prozedurales Wissen "Wissen wie"), das in der Form der etwa bei Anderson (1983) definierten „Produktionen" als Paare von Bedingung/ Handlung (IF X THEN Y) repräsentiert ist, steuert die Verarbeitung von Sprache und ist immanenter Bestandteil der oben genannten Komponenten. Die Informationsverarbeitung bei der Konzeptualisierung läuft nach Levelt soweit sie die Makroplanung und das Monitoring betrifft meistens in hohem Maße kontrolliert ab (controlled processing), d.h. unter Inanspruchnahme der Aufmerksamkeit des Sprechers. Die bei der Formulierung und Artikulation aktivierten Prozeduren sind demgegenüber weitgehend automatisiert (automatic processing) und ermöglichen eine parallele Verarbeitung im Sinne der sog. inkrementellen Sprachproduktion (Kempen/ Hoenkamp 1987): Teile der Äußerung werden insgesamt zwar serial geplant, d.h. in ihren verschiedenen Planungsstadien von einer der relativ unabhängig voneinander arbeitenden Komponenten zur nächsten weitergeleitet; dort kann die Planung aber bereits beginnen, bevor sie noch von der vorhergehenden Komponente vollständig abgeschlossen worden ist. 2.2 Modellierung von L2-Produktion Ein den Vorschlägen Levelts vergleichbares Modell, das den Gesamtprozeß von L2-Sprachproduktion bei mehrsprachigen Sprechern abzubilden versucht, existiert bislang nicht (vgl. die Übersicht bei Crookes 1991). Es liegt deshalb nahe, Levelts Vorstellungen zur Grundlage solcher Überlegungen zu machen, wie dies bei de Bot (1992) geschieht. Bezüglich der uns interessierenden Komponenten des Produktionsprozesses ergeben sich danach folgende Vorschläge für eine Adaptation des Levelt-Modells: 2.2.1 Konzeptualisierung und Wissensspeicher In der Makroplanung mit der zentralen Funktion der konzeptuellen Planung der Äußerungsintention erfolgt zwar die Entscheidung darüber, in welcher Sprache der Sprecher die anstehende Äußerung formulieren will; diese erste Phase der Konzeptualisierung arbeitet jedoch sprachenunabhängig. Auch die in der allgemeinen Wissensbasis zur Verfügung gehaltenen Informationen sind nicht sprachenspezifisch. Erst für die zweite Phase, die Mikroplanung, wird in Übereinstimmung mit Levelts oben erwähnten Beispielen etwa für die Unterschiede im Deixissystem zwischen dem Englischen und dem Spanischen sprachenspezifische Konzeptualisierung angenommen. 2.2.2 Formulierung und mentales Lexikon Für jede Sprache existiert eine eigene Formulierungskomponente, aber es gibt nur ein mentales Lexikon, in dem die lexikalischen Elemente aller beteiligten Sprachen FLuL 22 (1993) Ausdrucksschwierigkeiten als Merkmal von Lernersprache ... 115 gespeichert sind. Die Organisation dieses Lexikons modelliert de Bot (1992: 11) im Rahmen der Subset-Hypothese, der zufolge in einem für alle lexikalischen Einheiten gemeinsamen Speicher die Beziehungen zwischen bestimmten Einzelelementen durch häufigen Gebrauch verstärkt werden. So bilden sich einerseits innerhalb ein und derselben Sprache enger zusammengehörende Untergruppen heraus, andererseits können sich auch Beziehungen zwischen Elementen aus verschiedenen Sprachen aufbauen, wie dies insbesondere bei Sprechern in Sprachgemeinschaften mit code-switching zu vermuten ist. Diese Hypothese ist eng verknüpft mit dem aus den konnektionistischen Modellen bekannten Konzept der „Aktivierungsausbreitung" im lexikalischen Speicher (spreading activation; vgl. Dell 1986). 3 Die lexikalischen Elemente der beteiligten Sprache sind dabei als Knoten gedacht, die „durch erregende (exzitatorische) oder hemmende (inhibitorische) Relationen miteinander verknüpft" sind (Schwarz 1992: 20). Sie befinden sich in jeweils unterschiedlichen Aktivitätszuständen und können, sobald sie selbst durch Überschreitung der Reizschwelle erregt worden sind, ihre Aktivität auf andere mit ihnen verbundene Knoten übertragen. Den lexikalischen Zugriff modelliert de Bot (1992: 12 f) im Rahmen eines sog. passiven Modells. Während in aktiyen Modellen das Lexikon nach einem geeigneten lexikalischen Element durchforstet wird, .das die von dem gesuchten Wort geforderten Merkmale in sich vereinigt, bieten sich in passiven Modellen von selbst geeignete Kandidaten an, sobald die Anzahl der relevanten Merkmale eine bestimmte Schwelle überschritten hat (vgl. das Logogen-Modell von Morton 1979; Levelt 1989: 201 ff). Je häufiger ein Element benutzt worden ist, desto niedriger ist seine Reizschwelle. Eine weitere Modifizierung von de Bot (1992: 14) verdient Erwähnung. Im Gegensatz zu der Leveltschen Modellvorstellung von relativ unabhängig voneinander arbeitenden Komponenten erscheint es plausibel, für die L2-Produktion eine Interaktion zwischen der Konzeptualisierungs- und der Formulierungskomponente zu postulieren. Die konzipierte vorsprachliche Fassung kann also bei Wortfindungsschwierigkeiten modifiziert werden, oder der Lerner sieht vielleicht bereits auf der Konzeptualisierungsebene Probleme bei der Versprachlichung voraus und paßt seine Konzeptualisierung von vornherein seinen Formulierungsmöglichkeiten an. 2.2.3 Artikulation De Bot (1992: 15 ff) ist geneigt, bei fortgeschrittenen Lernern für die Verarbeitung sowohl von Laut- und Intonationsmustern als auch von Silbenprogrammen jeweils nur eine allen involvierten Sprachen gemeinsame Komponente zu postulieren. Über die genannten Vorschläge für eine Adaptation der Modellvorstellungen Levelts an die Prozesse der L2-Produktion hinaus müssen Erweiterungen des 3 Levelt (1989: 211 ff) meldet für sein Modell Vorbehalte gegenüber dem Konzept der Aktivierungsausbreitung an, soweit es den Zugriff auf das mentale Lexikon betrifft. FLuL 22 (1993) 116 Dorothea Möhle, Manfred Raupach Modells vorgesehen werden, die der besonderen Situation des bilingualen Sprechers Rechnung tragen. Wir beschränken uns an dieser Stelle auf eine für die Interpretation unserer Lernerdaten wichtige Überlegung, die de Bot (1992: 13 f) im Zusammenhang mit der Diskussion um das Phänomen des code-switching von Green (1986) aufgreift. Um den Vorgang des code-switching plausibel erklären zu können, nimmt Green an, daß der Sprecher seine Äußerung nicht nur für die jeweils gewählte Sprache plant, sondern daß parallel dazu die entsprechenden Prozesse auch für die zweite „aktive" Sprache ablaufen. 4 Wir möchten diese parallele Planung als "Mitformulieren" bezeichnen und meinen damit übertragen auf unsere Fremdsprachenlerner -, daß bei der Produktion einer Äußerung in der Fremdsprache zugleich entsprechende Prozeduren und/ oder Elemente der Muttersprache - oder in einigen Fällen auch einer weiteren Fremdsprache aktiviert werden. Anders als bei Sprachproduktion mit code-switching muß bei unseren Fremdsprachenlernern jedoch die Aktivierung der anderen Sprache(n) spätestens auf der Stufe der Artikulation (external suppression), möglichst aber auch schon vorher (internal suppression) unterdrückt werden. Die Intensität und das Spürbarwerden dieses Mitformulierens werden in Abhängigkeit von Faktoren wie der Fremdsprachenkompetenz des Lerners, Häufigkeit des Fremdsprachengebrauchs und der Gesprächssituation variieren. 5 De Bot (1992: 21) räumt selbst ein, daß die empirische Basis für eine Evaluation bilingualer Produktionsmodelle wie das von ihm skizzierte relativ schmal ist, und fordert zu einer entsprechenden Überprüfung auf. Wir möchten diese Anregung mit der Diskussion einiger der von uns beobachteten Ausdrucksschwierigkeiten bei fortgeschrittenen Französischlernern aufgreifen. 3. Lerneräußerungen Woran liegt es nun also, wenn fortgeschrittene Lerner, sobald sie sich nicht mehr im Rahmen schul- oder kursthemengebundener und damit vorbereiteter Kommunikation bewegen, erhebliche Schwierigkeiten haben, ihre Äußerungsbedürfnisse annähernd L2-konform zu realisieren? Woran liegt es, daß sie häufig ganz einfach lexikalisch passend erscheinende Wörter aneinanderreihen und damit zu Verbindun- 4 Green (1986: 215) unterscheidet für bilinguale oder plurilinguale Sprecher drei unterschiedliche Zustandsformen ('states') der ihnen zugänglichen Sprachsysteme: "selected (and hence controlling speech output), active (i.e., playing a role in ongoing processing), and dormant (i.e., residing in long-term memory but exerting no effects on ongoing processing)." 5 Diese Auffassung von der latenten Präsenz der Mutter- oder gegebenenfalls auch einer weiteren Fremdsprache während der gesamten Produktion entspricht bis zu einem gewissen Grad dem von uns an anderer Stelle als transfer of procedural knowledge bezeichneten Phänomen (Möhle/ Raupach 1989). FLuL 22 (1993) Ausdrucksschwierigkeiten als Merkmal von Lernersprache ... 117 gen kommen, die durch den Sprachgebrauch nicht legitimiert sind, Formulierungen erzeugen, die ein französischer Sprecher niemals wählen würde? Die oben referierten Modellvorstellungen messen der Organisation des mentalen Lexikons und den Möglichkeiten der Aktivierung lexikalischer Elemente eine zentrale Bedeutung in der Sprachproduktion bei. Wesentlich ist für uns zunächst einmal die Annahme, daß die Produktion einer sprachlichen Äußerung, insbesondere bei der Wortsuche, im Rahmen eines passiven Modells zu denken ist, dem zufolge sich in weitgehend automatisierten Prozessen, d.h. ohne aktives Suchen des Sprechers, lexikalische Einheiten anbieten, sobald ein hoher Grad an Über,einstimmung zwischen ihren Verwendungsbedingungen und den Anforderungen der Sprecherintention erreicht ist. Nicht selten sind bei Fremdsprache: Qlernern die gerade benötigten Ausdrucksmittel der L2 jedoch noch nicht durch häufigen Gebrauch und durch Kenntnis ihrer ganzen Verwendungsbreite gefestigt, so daß sich kein L2- Element unmittelbar als Kandidat aufdr.ängt. 6 In diesen Fällen wirkt sich das oben postulierte Mitformulieren, d.h. das automatisch erfolgende Mit- oder Vorausdenken der erforderlichen Formulierungen in der Muttersprache aus, und es werden die den Bedingungen .der gegebenen Ausdrucksintention entsprechenden LI-Sprachmittel aktiv, selbst wenn der Sprecher diesen Prozeß nicht ausdrücklich in Gang setzt. Dieses Phänomen manifestiert sich besonders deutlich überall ~. wo dem Lerner zwar. ein oder zwei gängige Bedeutungen eines L2-Wortes geläufig sind, andere jedoch unbekannt .oder weniger vertraut. Die Merkmale einer gegebenen Ausdrucksintention treffen in diesem Fall also nicht auf aktivierbare Auslöser im L2- Bereich. Das statt dessen aktivierte und spontan sich präsentierende lexikalische Element der L1 führt dann zu einem mit diesem Element ohne j.eden Kontext assoziativ verbundenen, in dem betreffenden Zusammenhang jedoch nicht dem Sprachgebrauch entsprechenden Lautkörper der Fremdsprache oder zu einer vergeblichen Su.che nach einem passenden L2-Element. So löst z.B. die Ausdrucksintention, die ein französischer Sprecher mit ce changement se traduit par: verbalisieren würde, bei einem deutschen Lerner, dem diese Form bei der Versprachlichung nicht verfügbar ist, ein muttersprachliches "[...] zeigt sich darin, daß [...]" aus, das dann mit [...] se montre dans [...] wiedergegeben wird. Neben nicht ausreichend entwickelter Kenntnis der vollen Breite aller Verwendungsmöglichkeiten einzelner Wörter sind Ausdrucksschwächen auch fortgeschrittener Lerner häufig bedingt durch fehlende Verfügbarkeit syntagmatischer Verbindungen der Fremdsprache, also solcher Ausdrucksmittel, die einen Komplex von mehreren Wörtern bilden. Hier bietet sich die ob.enerwähnte Subset-Hypothese in Verbindung mit dem Konzept der Aktivierungsausbreitung als Erklärung an. Sie besagt, daß der häufige Gebrauch lexikalischer Elemente in bestimmten Verbindun- 6 Es können sich natürlich auch durch häufigen Gebrauch automatisierte fehlerhafte L2-Formulierungen anbieten, wie z.B. das bei einer unserer Sprecherinnen ständig wiederkehrende *qa ne me ! f1i! .. pas de problemes. FLuL 22 (1993) 118 Dorothea Möhle, Manfred Raupach gen dazu führt, daß innerhalb eines aus Ll- und L2-Elementen bestehenden Gesamtlexikons Untergruppen abgespeichert werden, deren Elemente in stärkerem Maße miteinander als mit den Elementen anderer Untergruppen verknüpft sind. Solche Verbindungen können sowohl intralingualer als auch interlingualer Natur sein. Innerhalb der Muttersprache, also intralingual, verfügen wir über eine Vielzahl von assoziativen Verknüpfungen zweier oder auch mehrerer Wörter, die durch häufigen Gebrauch entstanden sind. Sie werden in bestimmten Situationen konzeptueller Planung als Ganzes aktiviert und reduzieren damit den kognitiven Planungsaufwand erheblich. Beim gesteuerten Erwerb einer Fremdsprache ist die Aufmerksamkeit des Lerners jedoch zunächst darauf gerichtet, die einzelnen mit dem muttersprachlichen Wortschatz verknüpften Konzepte mit Wortformen der Zweitsprache zu verbinden. Dadurch bildet sich das fremdsprachliche Lexikon zunächst einmal aus in der Form eines Subsets, dessen Einzelelemente nicht so sehr untereinander verbunden sind, sondern vor allem mit je einem muttersprachlichen Element. 7 Wenn nun bei Äußerungen in der Fremdsprache ein mit dem entsprechenden Lautkörper noch nicht fest verbundenes Konzept erst auf dem Umweg über die muttersprachliche Wortform zu einem L2-Wort führt, werden automatisch auch die mit dem Ll-Wort verbundenen benachbarten Wörter der Muttersprache aktiviert und rufen, jedes für sich, die ihnen assoziierten L2-Wörter auf den Plan. Das Ergebnis der fremdsprachlichen Äußerung wirkt dann wie eine Übersetzung aus der Muttersprache, obwohl ein aktiver Übersetzungspiozeß nicht stattgefunden hat. Ausdrucksschwierigkeiten von Fremdsprachenlernern resultieren jedoch nicht nur aus den Prozeduren, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Organisation des bilingualen mentalen Lexikons stehen. Häufig gehen sie einher mit Entscheidungen, die bereits auf der Ebene der Konzeptualisierung getroffen werden. Neben den von Levelt (1989) ausdrücklich thematisierten sprachenspezifischen Anforderungen, die sich aus systematischen Unterschieden zwischen Teilsystemen (Deixis, Tempus usw.) der Einzelsprachen ergeben, wirken sich hier unterschiedliche Tendenzen in der Bevorzugung bestimmter Informationsstrukturen (Thema/ Rhema, Perspektive usw.) aus, wie sie Blumenthal (1987) in seinem deutsch-französischen Sprachvergleich herausgestellt hat. Aber auch die Tatsache, daß in den Einzelsprachen bestimmte Inhalte oft aus einer jeweils spezifischen Sichtweise versprachlicht werden, die sich z.B. in der Verwendung eigener Bilder, Metaphern usw. widerspiegelt, stellt die Lerner vor Ausdrucksprobleme. Nimmt man zu den genannten Ursachen für Ausdrucksschwächen unserer Lerner noch die weiter oben angesprochenen Möglichkeiten hinzu, daß Lerner schon bei der Konzeptualisierung zu erwartende Formulierungsschwierigkeiten in Rechnung 7 Das wird sich bei konsequent einsprachigem Unterricht zwar auch kaum vermeiden lassen. Trotzdem dürften die Chancen zur allmählichen Herausbildung interlingualer Verknüpfungen dort erheblich größer sein als in einem Unterricht, der auf zweisprachigem Vokabellemen basiert. FLuL 22 (1993) Ausdrucksschwierigkeiten als Merkmal von Lernersprache ... 119 stellen und daß die weitere Sprachverarbeitung inkrementell erfolgt, wird deutlich, daß sich manche Lemeräußerungen als so komplex erweisen, daß sich die Prozeßabläufe im einzelnen einer plausiblen Darstellung entziehen. Ohne diese Vielschichtigkeit der Sprachplanung zu übersehen, möchten wir versuchen, die aus unserem Fehlercorpus ausgewählten Beispiele nach Gruppierungen zusammenzufassen, die sich vor dem Hintergrund des bisher Gesagten ergeben. Bei der Analyse der Beispiele wollen wir unterscheiden zwischen einer linguistischen Beschreibung des gegebenen Tatbestandes, einer Darstellung des Prozeßablaufes, der zur vorliegenden Äußerung geführt hat, und einer Reflexion über die zu vermutenden Gründe für die prozedurale Fehlsteuerung. 3.1 Planungen auf der Formulierungsebene Entsprechend der großen Bedeutung, die im L2-Produktionsprozeß dem mentalen Lexikon zukommt, möchten wir zunächst an einer Reihe von Ausdrucksfehlern illustrieren, wie sich die Sprachverarbeitung von Fremdsprachenlernern auf der Formulierungsebene, und zwar insbesondere bei der Wortsuche, im Liebte der oben skizzierten Modellvorstellungen gestaltet. Wir beginnen mit solchen Lerneräußerungen, bei denen der Sprecher eine Stelle in der von ihm gewählten durchaus L2-konformen syntaktischen Struktur mit einem falschen lexikalischen Element füllt. Der Verstoß kann darin liegen, daß eine lexikalische Restriktion gegenüber einem semantisch naheliegenden anderen L2- Wort nicht beachtet wird (Beispiel (7): une place vs. un endroit) oder darin, daß gegen eine linguistisch nicht begründbare Gebrauchsnorm verstoßen wird (Beispiel (8): faire des problemes vs. poser des problemes). (7) *[ ...] une place pour se coucher. (s) Korrektur: un endroit ou dormir (8) *<; a ne me fait pas de problemes. (m) Korrektur: pose In beiden Fällen hat das L2-konforme Element die zu seiner mentalen Präsentation erforderliche Aktivierungsschwelle nicht erreicht. Statt dessen. drängt sich dem Sprecher zunächst ein LI-Lexem auf, das ein im Ll/ L2-Subset mit ihm assoziativ fest verbundenes L2-Lexem nach sich zieht, welches dann im Kontext der gewählten Sprache auf artikulatorischer Ebene realisiert wird. Ist die assoziative Verbindung weniger stark gefestigt, erfolgt unter Umständen eine aktive Suche nach einem geeigneten L2-Lexem. Die Ursachen dafür, daß das gebrauchskonforme L2-Wort die Aktivierungsschwelle nicht erreicht, können unterschiedlicher Art sein. Im Falle der semantischen Restriktion in der L2 (Beispiele (7), (9), (10), (11)) kann bereits der begriffliche Hintergrund an der L1 orientiert sein, die z.B. die Wortform Platz mit einem Konzept verbindet, das umfassender ist als die beiden mit den französischen FLuL 22 (1993) 120 Dorothea Möhle, Manfred Raupach Wortformen place / endroit verknüpften Konzepte. In diesem Falle ist die Wahl der französischen Wortform place sicher begünstigt worden durch eine auf der lautlichen Ähnlichkeit beruhende assoziative Verknüpfung mit Platz. Dagegen kann man im Falle von prononcer / exprimer (Beispiel (9)) davon ausgehen, daß der zugrunde liegende konzeptuelle Unterschied in beiden Sprachen besteht. Er wird im Deutschen durch die Verbindung der beiden Konzepte mit einer einzigen Wortform (aussprechen) verdeckt, läßt sich durch eine Paraphrasierung aber voll verdeutlichen. Hier dürfte die prozedurale Fehlsteuerung also erst im Formulierungsbereich liegen und darauf zurückzuführen sein, daß die Assoziation der Wortformen aussprechen / prononcer stärker gefestigt ist als die Assoziation der Wortformen aussprechen/ exprimer. ► Beispiele zum Bereich der semantischen Restriktion: (9) *C'est le fait que ! es enfants n'osent pas prononcer leurs propres sentiments. (s) Korrektur: exprimer (10) *Les problemes des enfants sont seulement regardes par la vue des parents. (s) Korrektur: consideres selon l'optique / la conception des parents (11) *[...] si ! 'Etat est en futur interesse des professeurs. (s) Korrektur: [...] si ! 'Etat veut a l'avenir / plus tard des professeurs bien formes ► Beispiele für Verstöße gegen das im Sprachgebrauch Übliche: (12) *C'est mieux qu'avoir rien pour rester. (m) Korrektur: pour se loger (13) *Le prix est vraiment acceptable. (s) Korrektur: abordable (14) *Les decisions sont trouvees democr; i.tiquement. (s) Korrektur: prises (15) *[...] qui basent sur une ideologie. (s) "Korrektur: reposent Zum letzten Beispiel ist anzumerken, daß die Wahl von baser deutlich auf den Prozeß des Mitformulierens hinweist. Auf der konzeptuellen Mikroebene wählt der Sprecher eine Li-Struktur mit einem aktiven Verb basieren auf (die Passivform etre base sur wäre durchaus akzeptabel). Das hier im Aktiv verwendbare französische Verb reposer wird mental jedoch nicht aktiviert, weil seine volle Anwendungsbreite nicht präsent, wahrscheinlich gar nicht bekannt ist. Die Wortform reposer ist für deutsche Lerner vor allem mit dem konzeptuellen Gehalt des sicher häufigeren Reflexivums se reposer assoziiert: An dieser Stelle sind Z'3/ ei weitere, allerdings anders gelagerte Beispiele für das Mitformulieren in der LI 1 anzuführen: FLuL 22 (1993) Ausdrucksschwierigkeiten als Merkmal von Lernersprache ... 121 (16) *On ne peut pas condamner la voiture totalement hors de la ville. (s) Korrektur: bannir Hier ist die muttersprachliche Planung offensichtllch bis in den phonologischen Bereich hinein vorgedrungen, denn das sinnverfehlencie condamner dürfte auf einer klanglichen Verwechslung der deutschen Verben verdammen und verbannen beruhen, die konzeptuell ähnlich" aber eben nicht bedeutungsgleich sind. Diese Verwechslung ist dadurch begünstigt, daß das französische Verb condamner einein Lerner wohl geläufiger ist als bannir. Scl10n hier zeigt sich also die außerordentliche Komplexität, die sich aus dem Ineinandergreifen von Prozeßabläufen der muttersprachlichen und fremdsprachlichen Planung ergibt. Ähnliches gilt für das zweite ·Beispiel: (17) *Alors il y a le risque qu'on echappe une maladie. (s) Korrektur: attrappe (aus dem Kontext ergibt sich eindeutig, daß nicht echapper a une. maladie gemeint ist) Hier dürfte die lautliche Ähnlichkeit zwischen dem aufgrund der konzeptuellen Planung aktivierten deutschen aufschnappen und dem französischen echapper, das durchaus in einer assoziativen Verbindung zu maladie steht, eine Rolle spielen. In den folgenden Abschnitten geht es um die sehr viel häufigeren Ausdrucksfehler,. die nicht auf die Wahl eines einzigen falschen Elements beschränkt sind, sondern eine syntagmatische Gruppe umfassen, wie z.B.· (18) *Le regard dans l'avenir n'est pas tres optimiste. (s) Korrektur: Les perspectives d'avenir n~ sorit pas tres optimistes. Hier hat offensichtlich die Konzeptualisietung spontan ein fixiertes Wortgefüge, d.h. eine fertige Formulierung der Muttersprache, aktiviert und damit auf der konzeptuellen Mikroebene die thematische und die syntaktische Struktur vorgegeben, in die die mit den aktiyierten deutschen Wörtern assoziativ verbundenen französischen Wörter eingetreten sind. (Es handelt sich· wohl kaum um ein aktives Einsetzen.) Die Assoziationsrichtung verläuft also bei der spontanen Aktivierung der deutschen Wendung horizontal, d.h: syntagmatisch, bei der L2-Produktion dagegen vertikal, also· paradigmatisch: ----► { Der BÜck} il { Le regard} -► { in} il { dans} ----► { die Zukunft} il { l'avenir} Die Ursache für diese Art des Prozeßablaufes liegt in erster Linie im Fehlen einer automatisierten und damit hochgradig aktiven französischen Ausdrucksform für den konzeptuellen Entwurf. Es kommt in diesem Falle hinzu, daß die im Deutschen ebenfalls gängige Formulierung die Zukunftsperspektiven, die ja zu einer L2- FLuL 22 (1993) 122 Dorothea Möhle, Manfred Raupach konformen Ausdrucksweise geführt hätte, im mentalen System der Sprecherin offenbar weniger stark regsam war. Das kann durch die konzeptuelle Komponente [optimistisch] bedingt sein, die auf eine menschliche Sichtweise gerichtet ist, während die Vorstellung einer Perspektive assoziativ eher durch eine Zustandsbeschreibung wie etwa rosig / günstig evoziert wird. Ähnlich gelagert sind in bezug auf den Einfluß spontan sich anbietender muttersprachlicher fixierter Wortgefüge - Beispiele wie: (2) *C'est un probleme qui vient avec le temps et qui n' est pas la tout a coup. (m) Korrektur: qui se dessine progressivement/ peu a peu et qui ne surgit pas d'un seul coup (10) *Les problemes des enfants sont seulement regardes par la vue des parents. (s) Korrektur: [...] selon l'optique / la conception des parents (19) *C' est pour le moment une solution. (m) Korrektur: C'est une solution de courte duree. (20) *[...] si ! es etudiants y habitent d' une base libre ou forcement. (s) Korrektur: volontairement ou s'ils y sont forces [...] (21) *avec ce developpement (s) Korrektur: face a cette / a une teile evolution Eine umfassende Analyse jedes dieser Beispiele würde zeigen, daß die prozedurale Verarbeitung der aktivierten LI-Fügung durchaus unterschiedlich verläuft. 3.2 Planungen auf der Konzeptualisierungsebene Im folgenden möchten wir bei der Beschreibung der Beispiele nicht mehr so sehr die Prozeduren der Wortsuche in den Mittelpunkt stellen, sondern bei den ausgewählten Lerneräußerungen besonderes Augenmerk darauf richten, in welcher Weise die dort zu beobachtenden Ausdrucksschwierigkeiten der Lerner von solchen Prozeduren vorgeprägt sind, die nach den oben skizzierten Modellvorstellungen bereits auf der Ebene der Konzeptualisierung wirksam werden. Eine wichtige Gruppe bilden solche Beispiele, bei denen die vom Lerner aktivierte Informationsstruktur nicht zielsprachengerecht oder zumindest ungewöhnlich ist: (22) *[...] parce que mon impression etait toujours tout de suite que ~a se passe en Espagne. (m) Korrektur: [...] parce que j'ai eu tout de suite l'impression que [...] (23) *c' est une preuve de bonne intention prise par le gouvernement. (s) Korrektur: ces solutions prouvent la bonne intention du gouvernement. (24) *il s' offre la possibilite (s) Korrektur: on aurait / il y a la possibilite (25) *C' est caracteristique pour eu.x qu' ils [...] (m) Korrektur: Leur caracteristique est [...] FLuL 22 (1993) Ausdrucksschwierigkeiten als Merkmal von Lernersprache ... (26) *Je pense que l'idee de / ouer des wagons-couchettes a ete tres bien. (m) Korrektur: [...] c'est une bonne idee d'avoir loue des wagons-couchettes. (1) *Mais si c' est deja un fait que [...] (m) Korrektur: si effectivement la situation est telle que [...] 123 Das gemeinsame Merkmal der Beispiele (1) und (22) bis (26) liegt darin, daß die kommunikative Makroplanung auf der Mikroebene einen im Deutschen häufigen strukturellen Planungsansatz evoziert, der im Französischen zwar nachvollziehbar, aber unüblich ist. In diesem Zusammenhang sei nachdrücklich verwiesen·auf die Untersuchungen von Blumenthal (1987), der in seinem deutsch-französischen Sprachvergleich einige in diesen Sprachen voneinander abweichende Tendenzen der Bevorzugung bestimmter syntaktischer Gestaltungsmuster herausarbeitet, z.B. die unterschiedliche Verteilung von Informationen auf die syntaktische Grundstruktur (Prädikat mit Ergänzungen) bzw. den sie umgebenden Satzrahmen ( z.B. adverbiale Bestimmungen). So entspricht etwa in den Beispielen (22) bis (25) die Formulierung des L2- Sprechers im Vergleich zur Korrektur des Muttersprachlers Blumenthals These (1987: 19), daß der französische Satz tendenziell „einen höheren 'Aktivitätsgrad' ausdrückt als der deutsche", der sich u.a. häufig mit einem rein formalen Subjekt begnügt, ohne den Träger der Handlung zu nennen. Im Rahmen unserer Darstellung der prozeduralen Abläufe heißt dies, daß die konzeptuelle Planung hier zur Aktivierung eines in der LI üblichen und daher dem Lerner geläufigen Strukturprinzips geführt hat, dessen Realisierung die Wortwahl auf lexikalischer Ebene steuert. Zwei Beispiele, die uns bei der Lektüre eines französischen Textes über das Kurssystem an deutschen Gymnasien auffielen, mögen diese Überlegungen stützen: (27) Certains cours risquent meme de ne pas pouvoir etre organises faute de [...]; (28) Les disciplines principales comportent cinq heures par semaine. Wollte ein deutscher Sprecher den hier gegebenen konzeptuellen Gehalt im Gespräch mit einem Franzosen äußern, so würden sich ihm spontan mit großer Wahrscheinlichkeit Satzrahmen aufdrängen, die sich an den hierfür gängigen deutschen Strukturen orientieren, also: (27') Für einige Kurse besteht sogar die Gefahr, daß sie nicht eingerichtet werden können, weil [ ... ]. (28') Die Leistungskurse werden fünfstündig durchgeführt. Aus dieser mentalen Vorgabe resultierte dann die sicher nicht einfache Suche nach einem lexikalischen Äquivalent für bestehen (27 und 27') und durchführen, vor allem aber fünfstündig (28 und 28'). FLuL 22 (1993) 124 Dorothea Möhle, Manfred Raupach Ein Beispiel für den Übergang von eher strukturbedingten konzeptuellen Einflüssen zu solchen, die bedingt sind durch konzeptuell unterschiedliche Sichtweisen der dargestellten Inhalte im Französischen und im Deutschen bietet die Verwendung der Vergangenheitsform von etre bzw. sein zur Angabe einer Ortsbefindlichkeit. Während im Deutschen sein als Vollverb zur Angabe einer Ortsbefindlichkeit unbegrenzt verwendbar ist, ist etre in dieser Funktion nur zulässig, wenn dadurch die Befindlichkeit in Beziehung gesetzt wird zu einem bestimmten Zeitpunkt, einem Ereignis oder einem Zustand, also etwa lundi soir j' etais au cinema, aber nicht *}' etais souvent au cinema. Die Diskrepanz zwischen der deutschen und der französischen Verwendungsweise spiegelt sich in Fehlerbeispielen wie: (29) *J'etais en France pendant 10 mois. (m) Korrektur: Je suis restee... (30) *J'etais en France pendant cet ete pour un temps d'une semaine. (m) Korrektur: Je suis allee en France cet ete pour une semaine. Äußerungen dieser Art, die bei deutschen Sprechern sehr häufig anzutreffen sind, verstoßen gegen systematisierbare Unterscheidungen, sprachbedingt unterschiedliche Verwendungsregeln, die allerdings kaum gelehrt werden. Für den deutschen Sprecher entscheidend ist folglich das inhaltlich bestimmte allgemeine Konzept des [Sich-Befindens] gegenüber dem für den französischen Sprecher entscheidenden Konzept des [Sich-Befunden-Habens, als ...]. Nicht mehr systematisch auf mehr als einen Einzelfall anwendbar sind konzeptuelle Unterschiede zwischen den Sprachen, wie sie sich in den Beispielen (31) und (32) manifestieren: (31) *Elle ne doit pas couper [es droits de la personne. (s) Korrektur: porter atteinte aux droits [...] (32) *[...] pour faire bien ses etudes (m und s) Korrektur: reussir/ mener a bien [...] In diesen Fällen ist schon die Sichtweise und damit die Ausdrucksintention des Sprechers bedingt durch die in seiner Sprache üblichen Ausdrucksmittel. Die Formulierung jemandes Rechte beschneiden beruht auf einer ganz konkreten bildhaften Vorstellung im Gegensatz zu dem abstrakten porter atteinte. Sein Studium gut/ sinnvoll durchführen sagt etwas über den Prozeß des Studierens, während reussir! mener a bien auf den Enderfolg gerichtet ist. Die Art der mentalen Repräsentation einer außersprachlichen Gegebenheit ist also zumindest mitbestimmt durch die dem Sprecher aus seiner Muttersprache vertrauten Ausdrucksmittel. Sie führt zu deren Aktivierung und damit zur Suche nach äquivalenten L2-Einheiten. Nun möchten wir allerdings mit unseren Aussagen über den Ablauf von Prozessen bei der Produktion von Äußerungen in der Fremdsprache keinesfalls den Ein- FLuL 22 (1993) Ausdrucksschwierigkeiten als Merkmal von Lernersprache ... 125 druck erwecken, daß es möglich wäre, die Einflußquellen immer klar zu erkennen und sauber voneinander zu trennen. Ganz im Gegenteil greifen häufig wohl recht unterschiedliche und im Grad ihrer Wirksamkeit kaum einschätzbare Einflüsse ineinander. Folgendes Beispiel mag das verdeutlichen: (33) *Dans mon opinion on ne peut pas faire beau temps la. (s) Korrektur: Ce n'est pas du luxe / ce sera une dure epreuve / on n'y passera certainement pas une periode agreable. Aus derri Kontext läßt sich erschließen, daß die in der Makroebene konzipierte Äußerungsabsicht der vagen vorsprachlichen Idee [(im Schlafwagen wohnen) das wird sicher keine schöne Zeit / kein Ve~gnügen] entspricht. Dieses vorsprachliche Konzeptgeflecht bringt nun eine Reihe unterschiedlicher, sich vermischender Reminiszenzen zum Schwingen um hier. im Bild der Theo,rie von Aktivierungsausbreitung zu bleiben. Da ist vermutlich zum einen die unbestimmte und möglicherweise auf den strukturellen Ansatz beschränkte Erinnerung an zielspracfiliche metaphorische Wendungen für einen dem hier Anvisierten ähnlichen Zustand: faire la noce, etc. Zum anderen drängt sich die init dem Wort Zeit assoziativ verbundene französische Wortform temps auf, die intralingual wiederum assoziativ mit faire beau temps verknüpft ist. Das für die gesuchte Formulierung unbrauchbare faire leitet sich also wahrscheinlich aus zwei unterschiedlichen Quellen zugleich her. Die Crux aller Beschreibungsversuche derartiger Prozesse liegt darin, daß sie uns zu einer Linearisierung zwingi: : n, die die Versc; hlungenheit automatisch anklingender Reminiszenzen im tatsächiichen Prozeßablauf nicht abzubilden vermag. 4. Abschließende Überlegungen Versuchen wir nun, aus dem bisher Gesagten ein Fazit zu ziehen. Unsere erste Feststellung mag zunächst selbstverständlich erscheinen, nämlich: die Kenntnis eines sprachlichen Systems und die gewissenhafte Befolgung der darin sich manifestierenden Regeln sind zwar Grundvoraussetzungen für seine Verwendung, führen aber durchaus nicht ohne weiteres zu richtigem Sprachgebrauch. An sich weiß das jeder, der Sprache lehrt. Trotzdem wird die Tiefe der Kluft zwischen nur systemkonformem und gebrauchsadäquatem Sprechen überraschend deutlich, sobald Lerner spontane Gedanken äußern, ohne dabei an sprachliche Vorbilder anknüpfen zu können, wie das ja beim Gespräch über Texte oder gemeinsam erarbeitete Themen meist der Fall ist. Die Defizite in der Kenntnis von Gebrauchsnormen beziehen sich auf die kontextgerechte Verwendung von Einzelwörtern 8, auf die Verknüpfung von Wörtern zu syntaktischen Gruppen und auf die Anwendung syntaktischer Struktu- 8 Selbstverständlich gehören semantische Restriktionen zum Regelwerk des Systems, nur werden sie häufig nicht als solche wahrgenommen. FLuL 22 (1993) 126 Dorothea Möhle, Manfred Raupach ren. Gerade letzteres ist besonders zu betonen, weil sich die Aufmerksamkeit allgemein zwar auf die Fähigkeit zur Anwendung syntaktischer Regeln richtet, selten aber darauf, in welchen Kontexten die erzeugten Gebilde üblicherweise verwendet werden. Es zeigt sich also, daß der vielzitierten sprachlichen Kreativität weit engere Grenzen gesetzt sind, als man im allgemeinen annimmt. Der zweite wichtige Aspekt liegt in der Erkenntnis, daß reibungslose Sprachproduktion auf unbewußten und durch lange Gewöhnung weitgehend automatisierten Prozeßabläufen beruht, die nur begrenzt steuerbar sind. Sprachliche Kreativität um darauf zurückzukommen beginnt also da, wo der Sprecher über unterschiedliche, aber gleichermaßen kontextadäquate Ablaufmöglichkeiten verfügt. Daß in einer auf Unterrichtsbasis erworbenen Fremdsprache ein sehr viel geringeres Maß an Ablaufstrukturen gesichert ist als in der Muttersprache, erstaunt niemanden. Am deutlichsten tritt das zutage in fehlender Vertrautheit mit den oben erwähnten Formen des Sprachgebrauchs. Sie manifestiert sich in der Aktivierung und Übertragung muttersprachlicher Ausdrucksweisen, die dem Sprecher als solche nicht bewußt werden, da ihm die Gebrauchsformen der Fremdsprache nicht geläufig sind. Transfer ist vor diesem Hintergrund also zu sehen als Aktivierung relevanter Muster derjenigen Sprache, die mental am stärksten regsam ist. Ein so konzipierter Transferbegriff unterscheidet sich erheblich von dem behavioristischen, auf der Basis von Stimulus-Response-Verbindungen beruhenden Konzept. Während der behavioristische Stimulus ein sinnlich wahrgenommenes Phänomen der Außenwelt repräsentiert, ist das sprachauslösende Moment in der von uns vorgetragenen Theorie ein mentales Konzept, das bereits eine Verarbeitung von Außenwelt darstellt. An die Stelle der fertig übernommenen und fest assoziierten Response tritt ein Verarbeitungsergebnis, das durch unterschiedliche Einflüsse bei jedem Sprechakt anders ausfallen kann. Konsequenzen für die Sprachvermittlung sehen wir in folgendem: Da Lerner ihren eigenen prozeduralisierten Sprachgebrauch nicht als solchen erkennen und ihn auch nicht von den in der L2 üblichen abweichenden Gebrauchsformen unterscheiden können, muß ihre Aufmerksamkeit auf solche Unterschiede gelenkt werden. Das setzt vor allem die Abwendung von einem auf das isolierte Einzelwort gerichteten Lernen voraus und die Hinführung zu einer auf die Erfassung des Sprachgebrauchs gerichteten Rezeptionshaltung. Die Forderung nach bewußtem Erfassen steht nicht im Widerspruch zu dem immer wieder betonten Faktum, daß einmal prozeduralisierte Abläufe automatisch erfolgen. Wolff (1992: 195) spricht in diesem Zusammenhang ausdrücklich von „Sprachbewußtheit" und meint damit nicht nur das bewußte Erfassen grammatischer (wir würden hinzufügen: und lexikalischer) Strukturen, sondern auch „Bewußtheit für die Prozesse der Sprachverarbeitung". Zwar wird in der Muttersprache auch der allmähliche Prozeß der Prozeduralisierung unbewußt ablaufen; wenn es aber darum geht, den Geltungsbereich schon eingefahrener Prozesse zu relativieren, muß das Kontrastmodell mit seinen Anwendungsbedingungen zunächst zumindest in Teilbereichen bewußt erfaßt werden, bevor es automatisiert werden kann. Schüler und häufig auch Studenten FLuL 22 (1993) Ausdrucksschwierigkeiten als Merkmal von Lernersprache ... 127 können dies nicht von vornherein alleine leisten. Hier müssen Lehrende langfristig immer wieder zur Hilfestellung bereit sein, bis sich die Fähigkeit zum Erfassen relevanter Unterschiede zwischen den Sprachen entwickelt hat und das Beachten entsprechender Phänomene den Lernenden selbstverständlich geworden ist. Dabei sollten sich sowohl Lehrende als auch Lerner stärker als bisher auf geeignete Hilfsmittel stützen können, die es über die bestehenden Kollokationswörterbücher und vergleichenden Stilistiken hinaus zu entwickeln gilt. 9 Möglicherweise ist es in Anlehnung an die oben vorgetragenen Modellvorstellungen sinnvoll, Ausdrucksschwierigkeiten auf der Formulierungsebene anders zu begegnen als solchen auf der Konzeptualisierungsebene. Für den erstgenannten Bereich müßten entsprechende lexikographische Hilfsmittel Lerneräußerungen wie *enlever l' isolement oder *[...] pour qu' un accident puisse se developper en catastrophe ausschließen, und das vielleicht nicht nur „implizit", d.h. unter Aufzählung gebrauchskonformer lexikalischer Verbindungen, sondern durch explizite Zurückweisung solcher Verknüpfungen, die in der Zielsprache ungebräuchlich sind, aber erfahrungsgemäß selbst noch von fortgeschrittenen Lernern bevorzugt werden. 10 Zur Überwindung von Schwierigkeiten auf der Konzeptualisierungsebene erscheinen uns Ergebnisse der Art, wie sie etwa aus den Untersuchungen von Blumenthal (1987) hervorgehen, für den Französischunterricht von großer Relevanz. Bibliographische Angaben ANDERSON, J. R.: The Architecture of Cognition. Cambridge, MA 1983. BECIITEL, W./ ABRAHAMSEN, A.: Connectionism and the Mind. Cambridge, MA 1991. BLUMENTHAL, P.: Sprachvergleich Deutsch-Französisch. 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(1989). 10 Als interessante Grundlage für eine entsprechende Materialsammlung böte sich ein noch zu erstellendes deutsch-französisches Wörterbuch auf der Basis von Mel'cuk (1984 ff) an. FLuL 22 (1993) 128 Dorothea Möhle, Manfred Raupach KEMPEN, G. / HOENKAMP, E.: "An incremental procedural grammar for sentence formulation". In: Cognitive Science 11 (1987), 201-258. LEVELT, W. J. M.: Speaking: From Intention to Articulation. Cambridge, MA & London 1989. MEL'ClJK, I. A.: Dictionnaire explicatif et combinatoire du fran<; ais contemporain. Recherches lexico-semantiques I, II, Ill. Montreal 1984, 1988, 1992. MöHLE, D. / RAUPACH, M.: "Transfer of procedural knowledge". In: H.-W. Dechert / M. Raupach (eds.): Transfer in Language Production. Norwood, NJ 1989, 195-216. MORTON, J.: "Word recognition". In: J. Morton / J. C. Marshall (eds.): Psycholinguistics series 2. Structures and Processes. London 1979, 107-156. RUMELHART, D. E. / MCCLELLAND, J. L. 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The difficulties which arise in this area are only partly attributable to structural differences between the languages (e.g. use of articles) or the specific requirements of specialist or technical language (e.g. special terms, collocations). lt is rather the case that the difficulties lie in the "grey area" of pragmatic skills involving the acquisition, structuring and conversion into language of specialist or technical knowledge. Comprehensibility seems to play much less of a role than self-enhancement through an exaggeratedly cömpressed and complicated style. Thus the (ambivalent) impression of a high level arises which is, however, only insufficiently attained and this itself poses a difficult problem for adequate evaluation. This contribution attempts to demonstrate the foregoing by examining selected exemplary texts and by applying a differentiated error analysis. 1. Wer eine Sprache (Erstsprache oder weitere Sprachen) lernt, beherrscht am Ende des Lernprozesses (mehr oder weniger) eine spezifische menschliche Technik der kommunikativen Verständigung. Dabei umfaßt diese primäre Verständigungsleistung von Sprachen zwei zentrale Funktionen: daß wir uns mit Sprache in unserer Umwelt (erfolgreich) orientieren und daß wir im sozialen Zusammenhang mit anderen Menschen (sinnvoll) handeln können. 1 Als Techniken sind Sprachen durch drei wesentliche Eigenschaften zu charakte~ risieren: durch ihre Intentionalität: Sprachen sind immer nur Mittel zu (verschiedenen) Zwecken, haben letztlich ihren Zweck nicht in sich selbst; durch ihre Konventionalität: Sprachen sind immer Produkte von sozialen „Verarbeitungsprozessen" (Erfahrungen, Bewertungen), die zu Regeln oder Normen verfestigt werden; durch ihre Systematizität: Sprachen müssen so effektiv organisiert sein, daß sie ihre verschiedenen Funktionen (relativ) zuverlässig erfüllen und eine geordnete Weiterentwicklung, d.h. Anpassung an neue Ausdrucksbedürfnisse errnöglichen. 2 1 Weitere Funktionen oder Grundleistungen von Sprache(n) werden an verschiedenen Stellen diskutiert, meist im Anschluß an die Vorschläge von K. Bühler und R. Jakobson; vgl. etwa v. Polenz (1974) oder Oesterreicher (1979). 2 „Systematizität" ist hierbei nicht statisch, sondern dynamisch zu verstehen. Vgl. etwa Schweizer (1979). FLuL 22 (1993) 130 Dieter Cherubim, Georg Schön Obwohl jede einzelne Sprache gerade dadurch definiert ist, daß sie als Technik kommunikativer Verständigung unterschiedlich organisiert ist, gibt es doch einige spezielle Funktionen, die jede erfüllen muß, und dementsprechend einige Organisationsprinzipien, deren Wirksamkeit generell zu beobachten ist3: 1. Bei jeder Sprache muß die (lautliche oder graphische) Trägersubstanz so organisiert sein, daß die zu vermittelnden Intentionen zuverlässig übertragen, d.h. ausgedrückt, rezipiert und dekodiert werden können: ► phon(ograph)isches Prinzip. 2. Jede Sprache muß Mittel bereitstellen, mit denen „Welt" (mehr oder weniger eindeutig) identifiziert, charakterisiert und verhandelt werden kann, und zwar in zweifacher Weise an a 1 y t i s c h in Form von Ausschnittsbildung (Konzeptualisierung) und Strukturierung (Rasterung): ► lexikalisches Prinzip; s y n t h e t i s c h in Form von Komplexbildung (Relationierung) und Konstitution elementarer Handlungsschemata (z.B. Referenz, Prädikation, Modifikation, Expression): ► grammatisches Prinzip. 3. Jede Sprache muß Mittel vorsehen, um Handlungsräume und -situationen zu konstituieren sowie Handlungsmuster zu realisieren, die sich im sozialen Zusammenhang als sinnvoll und nützlich bewährt haben bzw. bewähren: ► pragmatisches Prinzip. Die Unterschiedlichkeit der Sprachen im einzelnen beruht also darauf, mit welchen Mitteln diese Prinzipien technisch umgesetzt werden und wie diese Technik durch soziale Regeln (oder Normen) gesteuert wird. 4 Als soziale Erscheinungen enthalten Regeln (und Normen) stets auch die Möglichkeit, sich abweichend davon zu verhalten. Abweichungen von sprachlichen Regeln/ Normen haben verschiedene Ursachen und können unterschiedliche Funktionen erfüllen. 5 In Zusammenhängen sozialer Kontrolle (Spracherwerb, Standardisierung) werden sie meist negativ als Produkte unvollkommener Lern- oder Kontrollprozesse oder als unterschwellige/ bewußte (provokative) "Verstöße" (Fehler o.ä.) gewertet; in anderen Zusammen- 3 Vgl. generell dazu Coseriu (1975); er unterscheidet bekanntlich bei der Organisation von Sprachen die Ebenen des Typs, des Systems und der Norm (1970). Kritik daran übt Baumann (1976). 4 Zur Diskussion des Regelbegriffs in der Linguistik vgl. Heringer (1974), Altmann (1977) und Bartsch (1985). Zur Differenz zwischen "Norm" und „Regel" vgl. Wimmer (1974 [bes. 148ff1) und Bartsch (1985); letztere versteht „Normen" als „soziale Korrelate von Regeln". 5 Vgl. dazu die verschiedenen Beiträge in Cherubim (1980a). FLuL 22 (1993) Zwischen Scylla und Charybdis? Schwierigkeiten koreanischer Germanistikstudenten ... 131 hängen können sie jedoch auch positiv als Indikatoren sprachsystematischer Fähigkeiten (Spracherwerb, Sprachstörungen), als Erscheinungen natürlicher sprachlicher Varianz (Spielräume), als Markierung von Entwicklungspotentialen (beim Sprachwandel), als Mittel der Aufmerksamkeitssteuerung (in Werbung und Poesie) oder als Ausdruck von Sprach- oder Sozialkritik gedeutet werden. Typologien von sprachlichen Abweichungen sind mehrfach vorgeschlagen und diskutiert worden 6; ein Abschluß konnte dabei (aus verschi.edenen Gründen) bisher nicht erreicht werden. So bleibt neben der theoretischen Klärung der Voraussetzungen insbesondere die Aufgabe, die Diskussion in der Fehlerlinguistik durch (weitere) empirische Analysen zu fundieren und voranzutreiben. Dem soll auch der vorliegende Beitrag dienen. 2. Koreanische Germanistikstudenten fallen häufig dadurch auf, daß sie sich im Unterschied zu anderen Ausländergruppen beim Formulieren von wissenschaftlichen Texten, die ihnen abverlangt werden, besonders schwer tun und daß ihre Texte oft nicht leicht verstehbar und dementsprechend auch schwer korrigierbar sind. Auch wenn das bisher, soweit wir wissen, nicht wissenschaftlich belegt ist, so entspricht es doch vielfältigen Erfahrungen bei Germanistikdozenten und Lehrern im Fach „Deutsch als Fremdsprache". Wenn also dieser zunächst intuitive "Befund" nicht zufällig ist, d.h. nicht auf bestimmte Voraussetzungen einzelner Studierender zurückzuführen ist, muß man sich fragen, welc; he generellen Bedingungen in der Lernsituation dieser Gruppe dafür verantwortlich sein könnten. Ein erster Verursachungsfaktor könnte natürlich die Qualität des Deutschunterrichts im Herkunftsland sein. Eigene Erfahrungen und Gespräche während eines kurzen Aufenthalts in Seoul (D. Cherubim).führten zu folgenden Tendenzaussagen: Der Unterricht sei mehr auf rezeptive als .produktive Fähigkeiten ·angelegt. Das Hauptziel bestehe darin, deutsche Texte lesen und verstehen zu können. Auch den Dozenten mangele es an produktiven Fähigkeiten, was u.a. auch dazu führe, daß (außer bei den Lektoren) der Deutschunterricht in Koreanisch absolviert werde. Natürlich gebe es auch interessante Gegenbeispiele (z.B. an den Frauenhocli.sch~~ len). Ein zweiter Verursachungsfaktor könnte die relativ große Sprachdifferenz sein. Koreanisch gehört zu den ural-altaischen Sprachen, die sich von den indoeuropäischen Sprachen in einer Reihe von Eigenschaften deutlich unterscheiden. Das betrifft selbstverständlich nicht nur die phonographische und lexikalische Organisation dieser Sprache, sondern besonders auch die grammatische Organisation (z.B. die Satzkonstruktionstechnik) und die pragmatische Organisation, die u.a. durch ein reich differenziertes Honorativbzw. Soziativsystem ausgezeichnet ist, für das im 6 Vgl. z.B. bei Villinger (1977), Cherubim (1980b), Bartsch (1985) oder Kielhöfer (1976) und Burgschmidt (1979). · FLuL 22 (1993) 132 Dieter Cherubim, Georg Schön Deutschen weder technisch (im Bereich der Verbmorphologie) noch kategoriell äquivalente Mittel zur Verfügung stehen. 7 Ein dritter Verursachungsfaktor könnte mit der zuletzt angesprochenen Problematik eng zusammenhängen. Sprachen bzw. Sprachtechniken sind ja immer Medium und Konsequenz bestimmter kultureller Verhaltensweisen, die mit der Erlernung und dem Gebrauch einer fremden Sprache nicht einfach „ausgeschaltet" werden können. Zwischen Koreanisch und Deutsch sind also nicht nur die oben angedeuteten sprachlichen Differenzen, sondern auch damit verbundene Differenzen in den Verhaltensstandards in Rechnung zu stellen, die sich wiederum in Form von interkulturellen Interferenzen auch sprachlich auswirken können: etwa in der unterschiedlichen Organisation von verbalem und nonverbalem Verhalten (Schweigen, indirektes oder verdecktes Formulieren), in der sozialen und emotionalen Gestaltung von Gesprächen (Höflichkeit, Imagearbeit), in der thematischen Steuerung (Argumentation, Konsistenz) usw. 8 Schließlich könnte man noch an einen vierten Verursachungsfaktor denken, der in der besonderen Lernsituation des Gastlandes begründet ist. Koreanische Studenten könnten nicht oder nicht hinreichend darüber informiert sein, welches (sprachliche) Verhalten von ihnen im Unterricht erwartet wird, wenn es darum geht, wissenschaftliche Texte (mündlich oder schriftlich) zu formulieren. 9 Das betrifft nicht (oder doch weniger) die grammatischen Regeln/ Normen, die-'-zumindest aus der Perspektive des Fremdsprachenunterrichts und im Kernbereich der Sprache eindeutig zu sein scheinen. Ebenso wenig mag es vorrangig um das Gelingen der lexikalischen Adäquatheit gehen, was vielleicht noch mithilfe von guten Wörterbüchern gewährleistet werden kann, auch wenn bekanntermaßen die syntagmatischen Aspekte der Lexik (Kompatibilitäten, Kollokationen, Valenzen) keineswegs leicht zu handhaben sind. Und am wenigsten dürfte hierbei das Problem der phonographischen Repräsentation bedeutsam sein, da dafür ja eine feste, kontrollierbare Norm existiert. Wohl geht es aber um Text(sorten)normen, die die funktionale Angemessenheit der Texte sicherstellen sollen, also um Kriterien wie Verständlichkeit, Sachbezogenheit, Klarheit, Konsistenz, Knappheit, Bedeutsamkeit, die keineswegs 7 Wir haben uns bei den folgenden Beschreibungen lediglich auf die Grammatik von Kuh (1988) und Auskünfte koreanischer Informanten gestützt. Speziell zum Honorativsystem des Koreanischen stießen wir nur auf die Arbeit von Kirn (1983). Leider war uns keine englische oder deutschsprachige Arbeit zugänglich, wie es sie ja für das Japanische z.B. gibt (vgl. Nagatomo 1986). Zum Vergleich wäre es allerdings interessant, für das Deutsche die Literatur zum Komplimentierwesen des 17. und 18. Jahrhunderts oder die entsprechende Briefstellerliteratur heranzuziehen. 8 Einige Beobachtungen dazu finden sich bei Hann (1985a). Leider war uns die größere Darstellung von Hann (1985b) nicht zugänglich. Speziell zum Schweigeverhalten und dessen interkultureller Differenz vgl. Stedtje (1983); einige Überlegungen zu interwie intrakulturellen Differenzen im Emotionsausdruck finden sich bei Cherubim (1991). 9 Vgl. dazu etwa Lieber/ Posset (1988). FLuL 22 (1993) Zwischen Scylla und Charybdis? Schwierigkeiten koreanischer Germanistikstudenten ... 133 in die gleiche Richtung gehen müssen, sondern z.T. sogar in Konkurrenz zueinander stehen. Hier muß nun aber eine wichtige Ergänzung angebracht werden: Selbst deutsche Germanistikstudenten tun sich oft schwer mit der Aufgabe, wissenschaftliche Texte zu produzieren, zumal auch ihnen dafür nicht genügend Hilfe angeboten wird und die Dozenten keineswegs immer gute Vorbilder abgeben. Nicht nur, daß also selbst Examensarbeiten von deutschen Germanistikstudenten vielfache Regelverstöße (~sonders orthographische, lexikalische und grammatische Regelverletzungen) aufweisen10, sondern daß sie darüber hinaus auch Unklarheiten, Inkonsistenzen, ,mangelnde Explizitheit, terminologische Unsicherheiten, funktionalstilistische Unangemessenheiten oder paralogische Argumentationen enthalten, die eine Korrektur für die Dozenten und die Betreffenden selbst erschweren oder mühsam erscheinen lassen. 3. Sehen wir uns nun im folgenden einige Textbeispiele koreanischer Deutschlerner an 11 und prüfen, welche besonderen Schwierigkeiten (Regelbzw. Normverstöße, Verständnisprobleme, Unangemessenheiten) dabei auftreten und wie wir sie eventuell erklären können. Wie sich das im Zusammenhang auswirkt, davon kann zunächst das folgende Textbeispiel (1) einen Eindruck vermitteln. 12 Textbeispiel 1 Dieser Aufsatz ist eigentlich keinen berufenen Sachverständigen über die Sprachwissenschaft zugewiesen. Zwar wollte ich den Zustand der heutigen Sprachwissenschaft darstellen, doch wußte ich, daß sie keine Verständigung über die Sprache haben würden, ohne den der deutschen Sprachwissenschaft vor der strukturellen oder sogenannten generativtransformationellen Gra_mmatik kennenzulernen. Dabei handelt es sich um die Begründer der Sprachwissenschaft durch deutsche Sprache, vor allem W. v. Humboldt, J. Grimm und die Junggrammatiker u.a, überhaupt. Hiermit habe ich ihnen darauf die Aufmerksamkeit gemacht, daß sich damalige Spracherforschung in der analytischen Kleinarbeit der Grammatik und einr gewissen Isolierung der Sprache konzentrierte, daß man durch sie nicht bloß die historische vergleichende Grammatik, sondern auch die Sprache nicht als Ergon, aber als Energeia erforschte. In der Beschreibung, vor allem der Erforschung der Sprache 10 Zu den Fehlern bzw. der Norrnfestigkeit deutscher Schüler und Studenten vgl. etwa Gocht (1978), Kohlmayer (1980), Juhasz (1985), Sitta (1990), Engeland (1992). 11 Die ca. 90 Beispiele, die wir unseren Überlegungen zugrundelegen, stammen aus ersten Entwürfen zu Dissertationen oder Examensarbeiten koreanischer Studenten, z.T. aus Briefen und Vorreden. 12 Das Textbeispiel (1) stellt die deutsche Zusammenfassung eines sprachwissenschaftlichen Artikels aus der Korean. Zeitschrift für Germanistik 19, 1977 (dort S. 207) dar. Zur Problematik der Textzusammenfassung und der dabei entstehenden Unklarheiten vgl. z.B. Kintsch/ van Dijk (1983). FLuL 22 (1993) 134 Dieter Cherubim, Georg Schön konnte man aber bloß mit ihrer Geschichte und ihrer Vergleichung ihren Aspekt nicht erreichen. Ihr Weg ist erst durch ihre Gesamtforschung zu erhellen. Davor mußte man durch Wundtschen physischen Bereich der Vorstellungen und Ausdrucksbewegungen auf die Überwindung der Junggrammatiker warten. Welche Schwierigkeiten stellen sich nun bei der Fehlerbeschreibung? Versucht man die „charakteristischen" Abweichungen oder Fehler in den deutsch geschriebenen Texten koreanischer Studenten/ Wissenschaftler zu ermitteln, erweisen sich die geläufigen, an einer Differenzierung der linguistischen Beschreibungsebenen orientierten Fehlerklassifikationen als. wenig hilfreich. Nicht nur, daß damit selbst für sprachdidaktische Zwecke keine Trennschärfe erreicht werden kann (was etwa zeigt ein Kasusfehler an: eine mangelhafte Beherrschung des einschlägigen nominalen Flexionsparadigmas? Unkenntnis der geforderten speziellen Verbrektion? Übertragung eines Konstruktionsmusters von einem semantisch nahestehenden Verb? ), sondern auch, daß sie für die hier speziell interessierende Lernergruppe wenig aussagen. Auch wenn etwa Flexionsfehler Anzeichen möglicher Interferenzen (die allerdings zu motivieren wären) oder Ausdruck besonderer Lernschwierigkeiten zwischen einer agglutinierenden Ausgangssprache (Koreanisch) und einer noch relativ stark flektierenden Zielsprache (Deutsch) sein könnten, so sind sie doch ebenso bei Lernern anderer Sprachen anzutreffen, etwa einer stark flektierenden Sprache, der eine vergleichsweise ebenso stark flektierende Muttersprache gegenübersteht. Tatsächlich sind nun auch Fehler dieses elementaren Typs (z.B. Rektions- oder Genusfehler) in dem von uns herangezogenen exemplarischen Material mit ca. 90 Abweichungen keineswegs besonders häufig oder gleichmäßig verteilt. Nur etwa 22 Vorkommen lassen sich diesem Typ zuordnen und in einem Teilkorpus (mit 17 Abweichungen) findet sich kein einziger Beleg dafür. Möglicherweise läßt sich dies auf den relativ fortgeschrittenen Stand der Lerner, eine besondere Fokussierung im Fremdsprachenunterricht oder die hohe Selbstkontrolle beim schriftlichen Verfertigen von Texten zurückführen. Aufschlußreicher für unsere Frage nach den besonderen Produktionsschwierigkeiten koreanischer Deutschlerner könnte vielleicht eine Charakterisierung des Fehlermaterials unter kommunikativen, speziell rezeptiven Gesichtspunkten sein. Danach ließen sich grob auch unter Bezug auf die Korrekturpraxis drei Typen von Abweichungen unterscheiden: (a) solche, die mithilfe „einfacher" Korrekturen (z.B. Ersetzung, Löschung, Hinzufügung und einfache Umstellung von Einheiten oder Konstruktionen) reparabel sind (die also nur leichte Verständnisschwierigkeiten produzieren) 13 ; (b) solche, die nur mithilfe "komplizierterer" Operationen (z.B. Rekonstruktion von Zusammenhängen analoger oder wenigstens inferentieller Art) zu reparieren 13 Entsprechend der von Peuser (1978: 40 ff) vorgestellten ESPA-Analyse. FLuL 22 (1993) Zwischen Scylla und Charybdis? Schwierigkeiten koreanischer Germanistikstudenten ... 135 sind (die also größere bis schwere Verständnisschwierigkeiten bzw. Mißverständlichkeiten zur Folge haben); (c) solche, die keiner „heilenden'' Operation zugänglich sind, d.h. in einer bestimmten Situation nicht reparabel erscheinen (deren Folgen also unverständliche Äußerungen sind). Dennoch kann sich ein sprachdidaktisch orientierter Ansatz nicht auf die rezeptive Charakteristik des Fehlermaterials beschränken, sondern muß auch nach den Entstehungsbedingungen fragen, um helfend und/ oder steuernd in den Lernprozeß eingreifen zu können. Auszugehen ist dabei von einer möglichst weitgehenden linguistischen Identifizierung des Abweichungsproblems, d.h. der Rekonstruktion des Regelhintergrundes und/ oder der Korrekturstellen, die als Zielvorgabe der vorliegenden abweichenden Äußerung beim Produzenten unterstellt oder doch vom Korrektor als Vergleichsbasis vorausgesetzt werden kann, jedenfalls soweit das möglich und angemessen erscheint. Denn daß dabei sowohl eine dichotomisierende Bewertung nach grammatisch vs. ungrammatisch als ~uch eine Gradµierung von Grammatikalität oder eine Charakterisierung mithilfe von Variablenregeln an der Sache selbst (z.B. an sog. randgrammatischen Erscheinungen) vorbeigehen kann, hat Reis (1979) gezeigt. 14 Dies gilt nicht nur für die grammatische oder lexikalische Organisation von Sprachen, sondern ganz besonders für die pragmatische Organisation, durch die ja in komplexer Weise Sprachliches mit Außersprachlichem (z.B. in Form von Wirklichkeitskonstruktionen oder sozialer Instrumentalisierung) verknüpft ist. Hier Regeln oder Zielvorgaben zu finden ist, wie schon. mehrfach hervorgehoben wurde, ungleich schwieriger als im Bereich der „harten", d.h. grammatischen Sprachsystematik. 15 Unter dem Aspekt der Ursachen möchten wir daher die Fehler in unserem Material freilich stark vereinfachend in folgende Typen einteilen, die sich u.a. auch bei der Analyse von dialektbedingten sprachlichen Abweichungen bewährt haben16, nämlich: 14 Auch Fries (1987) weist auf diese „randgrammatischen" Erscheinungen besonders hin, die sich u.a. dadurch auszeichnen, daß sie stark zu idiomatischen oder idiosynkratischen Verhältnissen tendieren. Das würde vielleicht auch erklären, daß hier·eine höhere Fehleranfälligkeit nicht nur zu beobachten, sondern auch zu erwarten ist. 15 Vgl. hierzu auch den Beitrag von Keller (1980), der auf die Schwierigkeiten aufmerksam macht, sog. Ausdrucksfehler im Unterricht zu erklären und zu korrigieren. Vgl. auch die ältere Arbeit von Michel (1970) zum Fremdsprachenunterricht. 16 Hier kann u.a. auf die Arbeiten von Löffler (1974 und 1980) verwiesen werden, der seinerseits ein schon bewährtes Instrumentarium benutzt. Auf „tiefenpsychologische" u.a. Fehlererklärungen gehen wir hier ebenfalls nicht ein; reiches Material findet sich dazu (zusammenfassend) bei Kainz (1967). FLuL 22 (1993) 136 Dieter Cherubim, Georg Schön (1) Kompetenzfehler, also Abweichungen, die sich einfach aus der mangelhaften Verfügung über bestimmte Sprachtechniken infolge eines noch nicht weit genug fortgeschrittenen Lernprozesses erklären lassen. 17 (2) Direktanzeigen, die ebenso wie Hyperkorrektheiten zu den interferenzbedingten Fehlern gehören, die sich also nachweisbaren oder plausiblen Einflüssen auf die zielsprachliche Systematik durch ausgangssprachliche Gegebenheiten zurechnen lassen. Unter einer „Direktanzeige" versteht man dabei einen Fehler, der auf einer Anwendung einer in der Zielsprache nicht geltenden Regel und/ oder Formklassenbildung der Muttersprache beruht. Eine „Hyperkorrektheit" beruht hingegen auf einer übertriebenen und falschen Anwendung von (möglichen) Korrespondezregeln zwischen sprachlichen Systemen. (3) Übergeneralisierungen, d.h. Interferenzen innerhalb des fremdsprachlichen Lernprozesses, die entweder durch Abweichungen des ersten Typs motiviert sind (Hilfskonstruktionen) oder (wie beim Erstspracherwerb) die konstruktive Eigendynamik der bereits gelernten zielsprachlichen Systematik anzeigen. (4) Fehlsteuerungen, d.h. Abweichungen relativ zu bestimmten kommunikativen Situationen, den damit verbundenen Textnormen oder Verhaltensstandarden, was sich z.B. in der sprachlichen Gestaltung von Situationsbestimmung (Lokalisierung in Raum-, Zeit-, Text- und sozialem Zusammenhang), Themenbehandlung (logische und subjektive Strukturierung), Intentionszuweisung (illokutive und perlokutive Funktionen) sowie der Selbst- und Fremddarstellung der Beteiligten (symptomatische und appellative Funktionen) zeigen kann. 4. Im folgenden stellen wir nun einige konkrete Abweichungsfälle vor und geben, bzw. versuchen eine linguistische Charakterisierung; zeigen, auch falls nötig ihre Grenzen auf und diskutieren wo möglich - Entstehungsbedingungen und Operationen zu ihrer Reparatur. 4.1 'Einfache' Kompetenzfehler vom Verständnistyp (a), die nicht speziell typisch für koreanische Deutschlerner sind, treten auf als Verwechslung von intransitiven mit transitiven Verben: (1) [ ...] daß man den Eliminierungstest auf Textebene operiert Kasusfehler in der Präpositionsrektion: (2) in der letzten zwei Jahrzehnte Präfigierungsfehler: (3) beändert statt: verändert 17 Zur Problematik der Unterscheidung von Kompetenzfehlern gegenüber Performanzfehlern vgl. Raabe (1979). FLuL 22 (1993) Zwischen ,Scylla und Charybdis? Schwierigkeiten koreanischer Germanistikstudenten ·-- 137 fehlende Trennung des zweiteiligen Verbalkomplexes in der Satzklammer (relativ häufig): (4) Er hat gefordert Kopien des Schriftwechsels Kommentar: Die fehlende Trennung des Verbalkomplexes könnte zwar auch als „Direktanzeige" gewertet werderi, doch spricht die Stellung nach dem Vorfeld gegen eine solche Annahme, da i~ entsprenden koreanischen Satz der Verbalkomplex in Endstellung stehen würde. 'Kreative' Ableitungen, von denen (7) vielleicht schon zu Verständnistyp (b) gerechnet werden müßte.: (5) adjektives Attribut (6) bisjetzige (7) die gruppenkonflikten Aspekte 4.2 Direktanzeigen ► Vom Verständnistyp (a) Falsche Anwendung des Reflexivs und Wortwahl: (8) Die Sektor-Analyse in der Mischnik-Rede läßt sich feststellen, wie er sich bemüht hat[ ...] 'Repariert': Die Sektor-Analyse in der Mischnik-Rede zeigt ... Kommentar: Der Ausdruck läßt sich feststellen ist die laut Aµskunft des Schreibers angestrebte, aber unidiomatische Konstruktion, in der Absicht formuliert 'Allgemeinheit auszudrücken' und erscheint der koreanischen Passivkonstruktion angepaßt: hwak-jong toeotta ('Feststellung Passiv-Konstruktionspartikel'). Hierbei zeigt sich die im Koreanischen vorliegende Homonymie von Reflexiv- und Passiv-Konstruktionen. ► Vom Verständnistyp (b ): Fehlendes Subjekt und Wortwahl: (9) Schließ/ ich im Bereich der Wahrnehmungsebene beschränkt sich ausschließlich auf Deixis 'Repariert' gemäß Auskunft des Schreibers: Schließ/ ich beschränkt man sich im Bereich der Wahrnehmungsebene ausschließlich auf Deixis (-Probleme). Kommentar: Eine annähernde, die entsprechenden Lexeme und Affixe direkt übertragende Übersetzung des koreanischen s'atzes lautet: 'Schließlich Wahrnehmung-Bereich-in- Nominativ ausschließlich Deixis in/ über/ auf Beschränken Passiv-Indikativ'. Auch hier zeigt sich die Wirkung der o. gen. Reflexiv-Passiv-Homonymie. 4.3 Übergeneralisierung und Direktanzeige ► Vom Verständnistyp (b) bis (c) Wortwahl und Attribuierung: (10) Solch eine Untersuchungstendenz in der öffentlichen Sprache hat gute Verbindung mit der politischen Rhetorik und Stilistik. 'Repariert': Solch ein Untersuchungsansatz auf dem Gebiet der öffentlichen Sprache steht in enger Verbindung zur politischen Rhetorik und Stilistik. FLuL 22 (1993) 138 Dieter Cherubim, Georg Schön Kommentar: (a) Ungenauigkeit bei der Selektion eines geeigneten Ausdrucks aus dem Teilfeld 'Modell': Tendenz, Richtung, Ansatz. (b) Unpräzise Generalisierung der Attribuierung mit einer Präpositionalgruppe. Für gewöhnlich zu beobachten ist jedoch eher eine Übergeneralisierung der Genitiv-Attribuierung, etwa auch mit fehlender Differenzierung der semantischen Differenz etwa von: Auskunft der Sprache, wobei nicht klar wird, ob Auskurift über die Sprache oder Auskunft in der Sprache gemeint ist. (c) Fehler in der lexikalischen Selektion in gute Verbindung. Assoziiert wird ein im Deutschen idiomatischer Ausdruck: Gute Verbindungen zu jemand haben. Fehlerhafte Artikellosigkeit, Verstoß gegen Selektionsbeschränkungen und fehlerhafte Anwendung des Reflexivs: (11) einige [...] Untersuchungsmethoden (haben sich) für [...] politische Textanalyse geltend gemacht Kommentar: (a) Artikellose Form für politische Textanalyse attributiv nicht immer möglich, jedenfalls hier so, wie laut Auskunft des Schreibers, intendiert als Präpositionalobjekt nicht akzeptabel. (b) In haben sich geltend gemacht liegt ein Passivisierungsversuch vor (Auskunft des Verfassers: er wolle „größere Allgemeinheit erreichen, indem (er) keinen Urheber spezifiziere"). (c) Verstoß gegen Selektionsbeschränkungen in: Einwände werden geltend gemacht, Vorzüge werden geltend gemacht, aber Methoden machen sich nicht geltend. Auch hier Reflexiv-Passiv-Homonymie des Koreanischen mit dem Stilklischee der 'Unpersönlichk.eit des Textes' wirksam. ► Vom Verständnistyp (c) Kein unmittelbar plausibler Sinn des Satzes selbst bei sinnvoller Ersetzung der Kausalpräposition und einem Versuch, die paralogisch erscheinende Struktur zu verändern: (12) Aufgrund der Monosemierung des Adjektivs einerseits und der Ebene der Langue andererseits wird auf die Valenz des Adjektivs eingegangen. Vorschlag zur Neuformulierung: Unter Berücksichtigung der Monosemierungsfunktion wird auf die Valenz des Adjektivs auf der Ebene der Langue eingegangen. 5. Diese „Fehler" in deutsch geschriebenen Texten koreanischer Studenten stellen in vielen Fällen (wie auch unser exemplarisches Material zeigen soll) größere Korrektur- und Bewertungsprobleme dar als bei anderen Gruppen von Ausländern. Will man hier nicht nur sanktionieren, sondern wirklich helfen, indem man die inkriminierten Stellen erstens zu verstehen (d.h. zu beschreiben und zu erklären) versucht und zweitens Korrekturen anbietet, braucht man erfahrungsgemäß viel Zeit und Geduld. Dies nicht nur deswegen, um sich über mögliche Fehlerquellen struktureller Art (z.B. bei den Artikelfehlern, den Passiv-Reflexiv-Korrespondenzen, FLuL 22 (1993) Zwischen Scylla und Charybdis? Schwierigkeiten koreanischer Germanistikstudenten ... 139 den Korrespondenzen von Relativsätzen im Deutschen und nominalen Attributen im Koreanischen) oder bei Differenzen zwischen angezieltem (lexikalischem, phraseologischem, grammatischem) Ausdruck und tatsächlich erreichter Formulierung klarzuwerden, sondern auch um den speziellen Formulierungsmodus, d.h. die über den fachlichen Anlaß, den Aussagegehalt und die speziellen wissenschaftlichen Intentionen hinausgehenden Informationsanteile zu erfassen und bei den Korrekturvorschlägen (soweit es möglich ist) angemessen zu berücksichtigen. Hier hat man es dann insbesondere mit jenen Erscheinungsformen von Abweichungen zu tun, die wir oben durch den Terminus Fehlsteuerungen kennzeichnen wollten; Abweichungen, die also die pragmatische Organisation von Sprache(n) betreffen und die wesentlich schwerer zu „fassen" und zu korrigieren sind als die bisher hauptsächlich behandelten Abweichungen auf den anderen (abstrakteren) Organisationsebenen. Dabei ist jedoch festzuhalten, daß diese Abweichungsformen nicht einfach voneinander zu trennen sind. Wenn riämlich generell bei einer Textproduktion die Gestaltung der Situationsbestimmung (z.B. als "Lokalisation" in einem speziellen wissenschaftlichen Argumentations- und Textzusammenhang oder in einer konkreten Schreibsituation) geleistet werden muß, so hängt die sprachliche Bewältigung dieser Aufgabe nicht zuletzt von den Mitteln (z.B. den deiktischen, kohärenzstiftenden, konnektiven Ausdrücken) ab, die in den beiden Sprachen bzw. in der jeweiligen Lernsituation zur Verfügung stehen. Das Gleiche gilt für die bereits angesprochenen Aufgaben der Themenbehandlung (logische und subjektive Strukturierung), der Intentionszuweisung und der Selbst- und Fremddarstellung, die Karl Bühler (1934) als Symptom- und Appellaspekte von Sprache beschrieben hat. Gerade wenn nun aber in einer Sprache wie dem Koreanischen besondere Differenzierungsmöglichkeiten für die Gestaltung von kommunikativen Situationen gegeben sind (hier in Form einer stark ausgebildeten Honorativbzw. Soziativmorphologie) 18 , könnten für diejenigen, die von einer solchen Sprache herkommen, bei der Übersetzung in die anders organisierte Sprache Deutsch (die ähnliche Effekte nur über lexikalische Auswahlen, Partikeln, den Modusgebrauch oder intonatorische Variation steuern kann) Schwierigkeiten entstehen, die dann über irreguläre oder „randgrammatische" Formen und Kompensationen (z.B. Hyperkorrekturen)19 gelöst werden. Das um so mehr, als bei der Bewältigung bestimmter kommunikativer Aufgaben, wie der Produktion wissenschaftlicher Texte, Standards oder Erwartungsnormen existieren, die eine bestimmte Form des sprachlichen Verhaltens erzwingen, welche nicht mehr den bisher gelernten und befolgten Verhaltensmustern der eigenen „Sprachwelt" entsprechen. 18 Vgl. dazu Kuh (1988 [bes. 73 ff]). 19 Als solche interpretieren wir die inkorrekte Anwendung von offensichtlich als höherwertig eingeschätzten Genitiv-Attributen anstelle von korrekten Präpositionalkonstruktionen, denen im Koreanischen postpositionale Konstruktionen entsprechen. Vgl. auch unsere Erläuterung zu Fehler-Beispiel (10) (S. 138). FLuL 22 (1993) 140 Dieter Cherubim, Georg Schön Wenn nämlich nach europäischen Maßstäben für die Gestaltung wissenschaftlicher Texte Kriterien wie Sachlichkeit/ Objektivität, Klarheit/ Explizitheit, Bündigkeit/ Konsistenz, Knappheit/ Ökonomie, Korrektheit oder Ernsthaftigkeit geltend gemacht werden 20 und generell von der Fiktion einer primär sach- und leistungsbezogenen, nicht aber personenbezogenen kommunikativen Orientierung in der Wissenschaft ausgegangen wird, so kann sich dadurch für koreanische Studenten eine besondere Motivation ergeben, diejenigen sprachlichen Mittel wissenschaftlicher Texte besonders zu bevorzugen oder zu verstärken, die auch in Texten von Deutschen, wie alle Beteiligten wissen, mehr als nur die Erfüllung der funktionalen Stilkriterien anzeigen. D.h., daß eine gewisse Neigung entstehen kann, (a) ein besonders „hohes" lexikalisches und grammatisches Ausdrucksniveau zu erreichen (z.B. durch eine ausgewählte Lexik, Idiomatisierungen oder Bildlichkeit, Funktionsverbgefüge, Häufung von Nominalattributen, Passivbzw. Reflexivkonstruktionen), (b) durch Formen der Kompaktheit, Komplexität usw. zu signalisieren, daß man einen hohen wissenschaftlichen Rang anstrebt oder bereits einzunehmen glaubt. 21 Weil nun aber dieses hohe Niveau schwieriger zu erreichen (oder anders ausgedrückt: leichter zu verfehlen ist), können dabei Texte entstehen, die gemessen an den Intentionen der Textproduzenten kontraproduktiv sind: Ihre starke „Fehlerhaftigkeit" bis hin zu „paralogischen" und nicht mehr auflösbaren Strukturierungen 22 zeigt den Korrektoren eher einen niedrigeren wissenschaftlichen Rang an, zumal dadurch nicht deutlich wird, inwieweit die Textproduzenten tatsächlich die Materie beherrschen oder kreativ damit umzugehen wissen. Im Bemühen, bei den wissenschaftlichen Betreuern durch anspruchsvolle Formulierungen Anerkennung zu finden, erreichen sie also, indem sie die darstellungsfunktionale Klarheit zugunsten der symptom- und appellfunktionalen Effekte vernachlässigen, eher das Gegenteil von dem, was sie wollen. Was beim spontan formulierten deutschen Alltagstext (z.B. einem Leserbrief [vgl. Textbeispiel 2] 23) eher für ein gewisses Unvermögen in der sprachlichen Formulierung oder kommunikativen Aussteuerung spricht, zeigt bei den koreanischen Studenten vielleicht 20 Vgl. Benes (1981) und andere Beiträge in Bungarten (1981). 21 Vgl. dazu insbesondere v. Polenz (1981) und die Beiträge über die Klarheit, Eleganz und Verständlichkeit (usw.) von Wissenschaftsprosa von W. Killy, H.-M. Gauger und N. Luhmann im Jahrbuch der Dt. Akademie für Sprache und Dichtung (1979). 22 Daß paralogische Argumentation nicht notwendig eine pathologische Erscheinung ist, zeigen Nöth (1976) für die Werbesprache und Hess-Lüttich (1982) für die Unterschichtsprache. Dies gilt erst recht für poetische Sprachformen und Kindersprache. 23 Der Leserbrief stammt aus der Braunschweiger Zeitung vom 8.9.1993 (S. 14). FLuL 22 (1993) Zwischen Scylla und Charybdis? Schwierigkeiten koreanischer Germanistikstudenten ... 141 - (auch) eine "double-bind"-Situation an, die auf ihren spezifischen kulturellen Hintergrund verweist, in dem die Personenorientierung traditionell eine größere Rolle spielt, und sie so im andersgearteten deutschen Kontext zu einer Passage zwischen der Scylla der vermeintlichen Selbstabwertung und der Charybdis der Abwertung durch andere zwingt. 24 Textbeispiel 2 NUR POSTENJÄGEREI Ein sogenannter Nationalpark Harz ist so überflüssig wie ein Kropf Bravo, Herr Keller aus Schulenburg im Harz! Wo haben wir in Deutschland Waldflächen mit dem Prädikat "Nationalpark"? Eine mehrmals abgeholzte Fläche wie der Harz bestimmt nicht. Postenjägerei von „Grünen Genossen" steht scheinheilig hinter dieser Forderung. Man sollte dieses Thema der Forst überlassen, diese steht vor Ort, hat den besten Überblick, und es wird auch noch Geld gespart. Nichts wollen wir von den neuen ßundesländern übernehmen, aber ausgerechnet einen Nationalpark! D. G., Braunschweig Bibliographische Angaben ALTMANN, G.: "Sprachregeln und Erklärung". In: Linguistische Berichte 50 (1977), 31-37. BARTSCH, R.: Sprachnormen. Theorie und Praxis. Tübingen 1985. BAUMANN, H.-H.: "Kritik der Norm. Zur Sprachtheorie von Eugenio Coseriu". In: H. Stimm (Hrsg.): Aufsätze zur Sprachwissenschaft/ . Wiesbaden 1976, 1-52. BENES, E.: "Die formale Struktur der wissenschaftlichen Fachsprache in syntaktischer Hinsicht". In: Bungarten (Hrsg.) 1981, 185-212. BÜHL.ER, K.: Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. 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Korrektur: Die Studien der letzten ... haben zur Erkenntnis geführt, daß ... (3) In diesem Zusammenhang haben sich einige integrierte Untersuchungsmethoden für politische Textanalyse geltend gemacht. Korrektur: s. Erläuterung zu Fehler-Beispiel 11 (S. 138). (4) Solche eine Untersuchungstendenz in der öffentlichen Sprache hat gute Verbindung mit der politischen Rhetorik und der Stilistik. Korrektur: s. Erläuterung zu Fehler-Beispiel 10 (S. 138). (5) Das Ziel dieser Arbeit ist ein integriertes Modell für die politisch-öffentliche Textanalyse zu stellen ... Korrektur: ... ist (es), ein ... zu erstellen. (6) Kap. 1 bemüht sich zuerst eine Forschungsgeschichte in der Linguistik und anderer benachbarten Disziplinen zu überblicken ... Korrektur: ... eine Forschungsgeschichte der Linguistik und anderer benachbarter .... (7) ... W. Mischnik-Rede kurz eingeführt, die er am 1. Okt. 1982 als eine grundlegende Rede für den konstruktiven Mißtrauensvotum gegen Helmut Schmidt vor dem Deutschen Bundestag hielt. Korrektur: ... als eine Grundsatzrede für ein konstruktives Mißtrauensvotum ... (8) Etikettierung heißt eine sprachliche Handlung, die mit den nominale Bezeichnungen ausgeführt wird. Korrektur: ... die mit den nominalen Bezeichnungen ... (9) In bezug auf die Etikettierung, politische Etikette (allgemeiner gesagt: politische Wortschätze) sind weder zur Fachsprache, noch zur Sondersprache gehören: Sie haben vielmehr eine quasi-fachsprachliche Eigenschaft infolge des unaufhörlichen dialektischen Entfaltungsprozeß der Terminologisierung von Alltagssprache und der Desemantisierung von Fachsprache. Korrektur: Was die Etikettierung anbetrifft, so gehört politische Etikette (allgemeiner gesagt der politische Wortschatz) weder ... (? ) (10) Die Sektor-Analyse in der W. Mischnik-Rede läßt sich feststellen, wie er sich dauernd überparteiisch bemüht hat, so daß er den Konflikt zwischen denjenigen Parteien und Fraktionen austeilt und die Notwendigkeit bzw. Legitimität der Reorganisation von Regierung mitteilt. FLuL 22 (1993) Zwischen Scylla und Charybdis? Schwierigkeiten koreanischer Germanistikstudenten ... 145 Korrektur: Es läßt sich mit der Sektor-Analyse in der ... feststellen, wie er sich dauernd überparteilich bemüht, so daß er den Konflikt ... ausgleicht und die ... vermittelt (s. auch Erläuterung zu Fehler-Beispiel 8 [S. 137]). (11) Adjektives Attribut enthält zwei gegenüberstehende Aspekte: Sie hat einerseits eine Rhematisierungsfunktion; andererseits aber auch eine Thematisierungsfunktion zufolge des Umwandlungsprozeß der normalen Attribute in die feste Attribute. Korrektur: Das adjektivische Attribut enthält zwei gegensätzliche Aspekte: ... eine Thematisierungsfunktion infolge ... (12) In bezug auf die sozio-psychologischen Aspekte ist jedes Attribut der Öffentlichkeit entsprechende Akzeptabilität zu sichern. Korrektur: ... jedem Attribut ... (? ). (13) In einer solchen knappen Sprechsituation hat der Redner anstatt der gruppenkonflikten Aspekte bewußt die gezielte gemeinsame Handlungen und gruppenidentische Sprechintention fokussiert. Korrektur: ... statt der Aspekte der Gruppenkonflikte bewußt die gezielten gemeinsamen Handlungen ... fokussiert(? ). (14) Bei der Vorausplanung seiner Sprechaktsequenzen ist der Akteur Festlegungen hinsichtlich der Partnerhypothesen 1. und Partnerhypothesen 2. Grades vorzunehmen. Korrektur: Bei der Vorausplanung ... muß der Akteur Festlegungen hinsichtlich ... vornehmen. (15) Schließlich im Bereich der Wahrnehmungsebene beschränkt sich ausschließlich auf Deixis. Korrektur: s. Erläuterung zu Fehler-Beispiel 9 (S. 137). (16) In den Vordergrund läßt sich die sog. / ch-Jetzt-Hier-Origo stellen, die als einen Ausgangspunkt der Analyse angesehen werden kann. Das meint: man kann die personal-, lokal- und temporaldeiktischen Mittel quantitativ / qualitativ einsehen. Korrektur: ... stellen, die als ein Ausgangspunkt ... (? ). B. Aus dem Brief eines koreanischen Germanistik-Dozenten (17) Ich habe schon einen Brief vom ... geschrieben, darin geschrieben, daß ich unter Ihrer Hilfe in ... einige Zeit studieren will. Korrektur: ... mit Ihrer Hilfe ... (18) Er hat gefordert Kopien des Schriftwechsels ... Korrektur: Er hat Kopien des Schriftwechsels ... gefordert (s. auch Erläuterung zu Fehler- Beispiel 4 [S. 137]). (19) Ich bin jetzt beschäftigt mit dem Thema ... Korrektur: Ich bin jetzt mit dem Thema ... beschäftigt. (20) Ich habe vor, daß ich mit den Werken der koreanischen ... Lyrik und der deutschen Vergleich zusammen mit der Geschichtlichkeit der literarischen Autonomie. Korrektur: ? ? (21) Ich danke Ihnen für die bisjetzige freundliche Hilfe. Korrektur: ...für die bisherige freundliche Hilfe. FLuL 22 (1993) 146 Dieter Cherubim, Georg Schön C. Fehler in einem Dissertations-Manuskript eines koreanischen Studenten (22) ... ohne daß die Bedeutung des Prädikats sich beändert. Korrektur: ...sich verändert. (23) Aufgrund der Monosemierung des Adjektivs einerseits und der Ebene der langue andererseits wird auf die Valenz des Adjektivs eingegangen. Korrektur: Erwähnt als Fehler-Beispiel 12 (S. 138). (24) ... daß man den Eliminierungstest auf Textebene operiert. Korrektur: ... auf Textebene anwendet. (25) In diesem Zusammenhang Flämig formuliert, "wäre die Ausnahme ..." Korrektur: ... formuliert Flämig ... (26) Als ein dem Substitutionstest ähnlicher Ansatz spricht man vom Kriterium der Subklassenspezifik ... Korrektur: In diesem Zusammenhang(? ) .... (27) ... damit bestätigt wird, daß ... Korrektur: ... damit wird bestätigt ... (28) Bei der Eliminierung erlebt der Restsatz die semantische Unvollständigkeit oder Bedürftigkeit. Korrektur: Bei der Eliminierung wird der Restsatz unvollständig oder ergänzungsbedürftig. (29) Als die Bestimmungen, deren Valenzabhängigkeit unterschiedlich zu betrachten ist, sind die Dativbestimmungen .: . Korrektur: Als Bestimmungen ... gelten ... (30) Als eine Art von Ersatzprobe kommt das Kriterium der Erfragbarkeit vor. Korrektur: ? (31) Nach den Ergänzungen kann es mit „wer/ was" gefragt werden. Korrektur: ... kann mit „wer/ was" erfragt werden. (32) Der entsprechende Fragesatz der „Die Pflanze ist ..." Korrektur: ... Fragesatz zu „Die Pflanze ist ..." (33) Dieses Fragekriterium ist durch B. wie folgt semantisch begründet. Korrektur: ... wird durch B. wie folgt semantisch begründet. (34) Diese Konstruktion kann mithilfe der haben-Perspektive zuerkannt werden. Korrektur: ... wird mithilfe der haben-Paraphrase verdeutlicht. (35) In Anlehnung zu XY, wer ... untersucht ... Korrektur: In Anlehnung an X, der ... untersucht ... (36) ... und die Rolle-Kombination untersucht. Korrektur: ... die Rollenverteilung untersucht. (37) ... die die traditionelle Beziehung über das Syntagma A - S ... am besten treffe. Korrektur: ? (38) ... deshalb ist hierzu in diesem Zusammenhang wichtig zu sagen, daß es besser die Quantitätswörter zu nennen ist, als die Zahlwörter ... FLuL 22 (1993) Zwischen Scylla und Charybdis? Schwierigkeiten koreanischer Germanistikstudenten ... 147 Korrektur: ..., daß es besser ist die ... (39) Diesartige Rangadjektive ... Korrektur: Derartige ... (40) ... vier Arbeiten zur Adjektivsyntax, die uns des Allgemeingebrauchs und -verstandes nicht von großer Bedeutung sind, um das genannte System von Valenzstrukturen des Adjektivs darzustellen. Korrektur: ... Arbeiten zur Adjektivsyntax, die unserer Meinung nach für den Allgemeingebrauch nicht von so großer Bedeutung dafür sind, das genannte System ... darzustellen. (41) ... während die zweite Ergänzung gi! 11 das Ziel fil1 auf ... Korrektur: ... während die zweite Ergänzung das Ziel angibt, auf ... (42) Also Bezugssubstantiv bezeichnet einen Produkt, der aus der Größe des referentiellen Elementes .Y.Q! ! 1 Adjektiv besteht. Korrektur: Also bezeichnet das Bezugssubstantiv ein Produkt, das aus· der Größe des referentiellen Elementes (? ) des Adjektivs besteht. (43) Das Bezugssubstantiv stammt aus dem Verb und wird im Gegensatz zu vor seiner Substantivierung als ein Resultat einer Handlung betrachtet. Korrektur: ... ist abgeleitet vom Verb und wird im Gegensatz zum Zustand(? ) vor seiner... (44) Der Bezugssubstantiv steht demnach zu dem Adjektiv in Beziehung als „Anhänger'', der .fill der durch das Adjektiv ausgedrückten Regel oder Ordnung haftet. Korrektur: Das Bezugssubstantiv steht ... als „Anhänger", der sich an der ... orientiert. (45) ... ist das Prädikat bei diesem Adjektiv verbirgt. Korrektur: ... bei diesem Adjektiv verborgen. (46) ... das sein ref. Element ... Korrektur: ... dessen ref. Element ... (47) Die Hausfrau ist im Geldsachen sehr genau. Korrektur: .. .ist in Geldsachen sehr genau. (48) Die Bezugsadjektive drücken keine Eigenschaft aus und deshalb auch nicht steigerungsfähig ist. Korrektur: ... drücken keine Eigenschaft aus und sind deshalb ... (49) ... ein Vertreter, der die Diplomat betrifft ... Korrektur: ... ein Vertreter des diplomatischen Dienstes ... (50) Kausativa sind paraphrasierbar mit seinem relationalen Element. Korrektur: ... mit ihrem relationalen Element. (51) .... als Adjektive von indifferent~ Beschaffenheit ... Korrektur: ... als Adjektive von indifferenter Beschaffenheit ... (52) Das Prädikat ... bezieht die Bestimmung der Ergänzungsklasse ... Korrektur: ... bezieht sich auf die Bestimmung ... (53) ... Einheit, die einer Norm haftet. Korrektur: ... einer Nonn anhängt. FLuL 22 (1993) 148 Dieter Cherubim, Georg Schön (54) Aber das Adjektiv schwer ist von uns als eins von Kausative betrachtet. Korrektur: ... als ein Kausativum betrachtet. (55) ... und die im Determinativpronomen genannte Person wird durch der Adjektiv genannten WirkunJ: ! gerichtet und bezogen. Korrektur: ? (56) ... die Speise hat Vitaminen wenig. Korrektur: ... hat wenig Vitamine. (57) ... mit den allen Adjektivklassen. Korrektur: ... mit allen Adjektivklassen. (58) Diese Arbeitscorpus hat sich zur Untersuchung der Adjektivvalenz als ausschlaggebend erwiesen. Korrektur: Dieses Arbeitscorpus ... für die Untersuchung ... wichtig erwiesen / ist ... ausschlaggebend für die Untersuchung gewesen. FLuL 22 (1993) Bernd Kielhöfer "Können Sie mir bitte erklären, was hier falsch ist ? ! " Zum Problem von Fehlererklärungen Abstract. This article deals with the question of how French teachers go about explaining mistakes to pupils. Explanations of mistakes are linguistically and didactically demanding discourses, which clarify the question of norm and which give the pupils cognitive insights into the system of the language, so that the pupils can leam from their own mistakes. The explanations given by teachers only rarely meet the necessary requirements, although teachers of a foreign language should be able to explain mistakes adequately. Tue article tries to explain why these deficits exist and suggests ways of overcoming them. 1. Fragestellung und Methode Die Thematik dieses Beitrags ist Sprachschülern und ihren Lehrern nur zu gut ver~ traut: Arbeiten werden zurückgegeben, die Fehler sind unterstrichen. Einige Schüler verstehen einige Striche nicht; gerade die besseren, interessierten gehen zum Lehrer und fragen: "Können Sie mir bitte erklären, was hier falsch ist? ! " Manchmal bezieht sich die Frage/ Bitte nur auf die Norm: "Ist das wirklich ein Fehler? " Meist werden jedoch Erklärungen zur Fehlerhaftigkeit gefordert: "Was daran ist falsch, warum ist das falsch? " Wenn der Schüler tatsächlich durch Fehler lernen soll (~o heißt es ja), dann ist die jetzt fällige Erklärung des Lehrers äußerst wichtig: Was wird erklärt? Wie wird erklärt? Ist der Schüler anschließend klüger? Zu dieser Thematik sind uns keine Untersuchungen bekannt. Unzuverlässigkeiten und Unsicherheiten bei der Normsetzung werden zwar häufiger angesprochen (zuletzt wieder Bonheim 1983, Kielhöfer 1988, Legenhausen 1988). Auch die Rolle der Lehrerkorrektur wird zunehmend ein Thema der Sprachlehrforschung und Didaktik (Voss 1986, Kleppin/ Königs 1991, Königs 1992), aber über die Art, wie Lehrer Fehler erklären, wissen wir wenig oder nichts (siehe auch Mundzeck 1991: 601). . Wenn wir uns in diese Tabuzone des Unterrichts wagen, dann, weil wir meinen, daß die zentrale Tätigkeit des Sprachlehrers, nämlich Sprachen zu erklären, nicht schamvoll aus dem Fokus der Sprachlehrforschung und Didaktik ausgeblendet werden darf. Mit diesem Beitrag soll niemand angeklagt oder bloßgestellt werden die Untersuchung ist als Fallstudie auch gar nicht repräsentativ-, sondern es geht um erste Schritte in eine wichtige unbekannte Zone unterrichtlicher Tätigkeit. Es ist für den Außenstehenden schwierig, die quasi privaten Erklärungsgespräche zwischen Schüler und Lehrer zu beobachten. Wir haben darum versucht, die Erklärungssituation zu simulieren: Wir haben eine Liste mit fehlerhaften Sätzen zu- FLuL 22 (1993) 150 Bernd Kielhöfer sammengestellt, der „Fehler" war jeweils rot unterstrichen. Mit dieser Liste haben einige unserer Studenten ihre (ehemaligen) Französischlehrer an Schule und Hochschule aufgesucht und um Mithilfe gebeten. Die Studenten sollten zu den Fehlern der Liste eine Hausarbeit schreiben (Fehleranalyse). Sie baten die Lehrer, ihnen zu erklären, ob die angestrichene Stelle tatsächlich falsch sei (Frage nach .der Norm) und was daran falsch sei (Frage nach dem System). Die Studenten haben diese Lehrererklärungen sofort anschließend aus dem Gedächtnis protokolliert. Diese Simulation entspricht zwar nicht ganz der Realität, aber als erste Annäherung ist das Verfahren hinreichend valid. 1 2. Fehlererklärungen Damit die Thematik nicht zu weit ausufert, will ich im folgenden fünf schwierige Fehlerfälle aus dem Bereich des Artikels besprechen, an denen das Problem der Erklärungsdiskurse gut erkennbar ist. Die Lehrererklärungen fasse ich nach bestimmten Mustern zusammen. Da zwischen Gymnasial- und Hochschullehrern (Lektoren) keine wesentlichen Unterschiede erkennbar waren, werden sie hier nicht unterschieden. Um meine Kritik etwas konstruktiver•zu gestalten, schließe ich jeden Fall mit einem eigenen Erklärungsvorschlag ab. 2.1 Fehlerfall (1): parler fran<; ais, savoir l'anglais Im ersten Fall geht es um die Artikelsetzung nach den Verben parler und savoir. Der Fall besteht aus zwei kritischen Stellen, (a) und (b). Angestrichen war nur (b), aber (a) muß bei der Erklärung zwangsläufig mitberücksichtigt werden. Der Fehlersatz: je parle assez bien (a) franr; ais, mais je sais mieux ___ (b) anglais. Was ist bei (b) falsch? Alle neun Lehrer waren sich über die Norm einig: es muß der Artikel stehen: l' anglais. Bei der Erklärung kommt nun (a) ins Spiel. Zunächst die Norm: Drei Lehrer akzeptieren bei (a) nur den Nullartikel (! 1l-Artikel) parler franr; ais, sechs die Varianten ! 1)- und Je-Artikel, was wohl die tatsächliche Norm ist, wobei die ! 1)- Variante häufiger ist. Die Widersprüche zwischen den Strukturen (a) und (b) müssen erklärt werden, zumal (a) wahrscheinlich als Muster für Fehler (b) dient. Warum muß es savoir l' anglais heißen, wenn parler franr; ais erlaubt ist? 1 An dem Experiment haben neun Lehrer teilgenommen, ihnen danke ich für die Mitwirkung. Meinen Studenten, deren Unterlagen ich hier benutze, danke ich für ihre Unterstützung. FLuL 22 (1993) ,.Können Sie mir bitte erklären, was hier falsch ist? ! " 151 Erklärungsmuster 2 (1) fünfmal: parler franrais ist ein fester Ausdruck, sonst steht immer der Artikel, so auch bei anglais (2) zweimal: (3) zweimal: (4) einmal: der Artikel bestimmt näher, genauer, ohne Artikel ist zu unbestimmt ·der Artikel gehört (bei anglais) zum Nomen nach mieux muß der Artikel stehen. Was kann der Schüler mit diesen Erklärungen anfangen? Erklärung (1) beruht auf dem Muster von Regel und Ausnahme. Der feste Ausdruck parler franrais stellt die Ausnahme dar. Worauf bezieht sich diese Aussage? Nur auf parler franrais? Dann k~ man sofort anführen: sie gilt auch für parler allemand, italien, ...; im Gegensatz dazu gibt es aber auch parler le franrais, l' allemand; zudem muß es heißen: parler une langue und nicht parler Langue. Nach parler kann also sehr wohl der Artikel stehen, manchmal muß er sogar stehen. Warum ist parler franrais gegenüber savoir l' anglais eine Ausnahme? Erklärung (1) enthält zwar richtige Ansätze, ist aber in d~eser Form unbrauchbar. Er.t<Järung (2) greift auf allgemeine Eigenschaften des Artikels zurück. Da sowohl franrais als am; : h anglais hier generisch gebraucht werden, sind sie gleich gut bestimmt, Erklärung (2) geht ins Leere. Erklärung (3) ergibt nur dann einen Sinn, wenn wir den Zusatz machen: nach savoir muß der Artikel. stehen. Erklärung (4) kann man sofort durch die Bildung je parle mieuxfranraislanglais ad absurdum führen. Alles in allem sind die Schüler durch diese Erklärungen wohl nicht klüger geworden. Erklärungsvorschlag Die Erklärung muß .bei den Sprachbezeichnungen franrais, anglais, allemand etc. und bei den Verben parler und savoir ansetzen. Die Sprachbezeichnungen sind sowohl Adjektive als auch Nomen. Wenn sie als Nomen benutzt werden, stehen sie. normalerweise mit dem Artikel, also parler lefranrais und savoir l' anglais. Das Verb parler ist in gewisser Weise.eine Ausnahme gegenüber anderen Verben, die eine Verbindung mit den Sprachbezeichnungen eingehen, also apprendre Je franrais, savoir l' anglais etc., hier ist der Sprachenname complement d' objet direct und steht ganz normal mit Artikel. Die Beziehung zwischen parler + franrais in parler franrais ist auf verschiedene Weise deutbar: (1) franrais ist ein artikelloses complement, das in dieser Form historisch ererbt ·· 1st. Da diese Struktur sehr häufig vorkommt, hat sie zu Analogien geführt, etwa parler politique, parler affaires oder für andere Verben: acheter franrais. 2 Da auch Mehrfacherklärungen vorkommen, kann die Summe größer sein als neun. FLuL 22 (1993) 152 Bernd Kielhöfer (2) franr; ais ist Adverb und funktioniert etwa so wie sentir bon. Weitere Belege für eine solche Struktur sind parler fort, parler haut. Gegen eine solche Interpretation spricht die Beobachtung, daß man den Ausdruck wohl nicht mit "parler franr; aisement" umschreiben kann; in parler bien franr; ais ist zudem der Platz des Adverbs schon besetzt, so daß franr; ais etwas anderes sein muß. (3) franr; ais ist Prädikatsnomen, zu interpretieren wie je suis Franr; ais, je deviens Franf: ais. Allerdings gehört parler nicht zur Kategorie der Verben mit Prädikatsnomen. Die Beziehungen zwischenparler undfranr; ais sind also schwierig zu erklären. Die hier vorgeschlagenen Deutungen ,sind nicht alle gleich befriedigend, zum Teil widersprechen sie sich, z.B. (2) und (3), am plausibelsten ist (1). 2.2 Fehlerfall (2): avec insolence Im zweiten Fall geht es um die Artikelsetzung nach der Präposition avec. Der Fehlersatz: eile vous regardait dans les yeux avec de l' insolence. Hier ist zunächst die Norm problematisch, was auch in den Lehrerurteilen zum Ausdruck kommt: fünfmal wurde hier ein Fehler gesehen, die Norm fordert den fl)- Artikel avec insolence. Viermal wurde kein Fehler gesehen. Ob als Variante dazu der fl)-Artikel akzeptiert wird, bleibt offen. Die Unsicherheiten in der Norm haben wir auch bei französischen native speakers festgestellt: avec insolence wurde als bessere Form bewertet, avec de l' insolence wurde jedoch auch akzeptiert. Die Erklärungen müssen beide Varianten erfassen. E r k 1 ä r u n g s m u s t e r zunächst: wie wird der fl)-Artikel erklärt? (1) fünfmal: (2) zweimal: (3) zweimal: (4) einmal: (5) einmal: (6) zweimal: (7) zweimal: Es ist ein fester Ausdruck, darum steht kein Artikel, ähnlich wie avec plaisir Das Wort wird adjektivisch gebraucht, darum steht kein Artikel Es steht kein Artikel, weil das Nomen abstrakt ist Es steht kein Artikel, weil das Nomen ein Gefühl ausdrückt Bei sans steht ja auch kein Artikel wie wird die Variante avec de l' insolence begründet? avec verlangt den Partitiv, es ist Teil einer Menge nach meinem Sprachgefühl muß es de l' insolence heißen, avec plaisir ist eine Ausnahme. Das wichtigste Erklärungsmuster ist auch hier das der Ausnahme zu einer nicht explizit genannten Regel. Was allerdings der „feste Ausdruck", die Ausnahme also ist, wird von verschiedenen Lehrern verschieden beurteilt. Geradezu diametral sind in dieser Beziehung Erklärung (1) und (7). Diese Erklärungsmuster führen folglich schnell in die Sackgasse. FLuL 22 (1993) "Können Sie mir bitte erklären, was hier falsch ist? ! " 153 In den anderen Erklärungen sind z.T. (natürlich)' Erinnerungen an die gelernte Grammatik erkennbar, so z.B. in (2). Allerdings sind sie ziemlich verblaßt; korrekt sollte es wohl heißen: wenn der Ausdruck einen adverbialen Wert hat, also zu umschreiben ist mit "insolemment" (wie hier.möglich), steht kein Artikel. Ob diese Regel der Schulgrammatik sehr erklärungsmächtig ist, möchte ich indes bezweifeln. Erinnerungen an die Schulgrammatik liegen auch in (3) und (6) vor, jedoch sind die Erklärungen in dieser Form unzureichend. Das gilt in noch stärkerem Maße für (4) und (5). Auch in Fehlerfall (2) wird der Schüler durch die Erklärungen wahrscheinlich nicht klüger werden. Erklärungsvorschlag Es wäre zunächst darauf hinzuweisen, daß die Norm beide Varianten akzeptiert. Sie haben nicht nur einen unterschiedlichen Stilwert, sondern bedingen auch kleine semantische Verschiebungen. Um dies zu verdeutlichen, ist auf die Grundfunktion des Partitiv zu verweisen: er ist ein Mengenartikel, der unbestimmte, nicht-zählbare Teilmengen angibt und als solcher an der Schwelle des Neufranzösischen iin 15./ 16. Jahrhundert vor allem ins Französische eingedrungen ist. Sein eigentlicher Platz ist vor Stoffnamen boire du vin, manger du pain, von da hat er sich auch auf Abstrakta ausgedehnt, z.B. j' ai du courage. Hier ist aber auch noch häufig der ältere fll-Artikel erhalten, z.B. j' ai envie, so daß in ähnlichen Strukturen der ältere Nullartikel und der jüngere Partitiv bei Abstrakta nebeneinander existieren. Das Setzen des Partitiv vor Abstrakta ist eigentlich nicht sehr sinnvoll, da· Abstrakta keine Mengen sind (Mengen bestehen aus konkreten· Stoffen); jedoch kann der Pan1tiv die Abstrakta in gewissem Sinne konkretisieren. Courage z.B. wird zu einem konkreten Stoff, wenn ich sage: j' ai du courage. Das gilt auch für die Strukturen nach avec: hier existieren nebeneinander avec courage und avec t; iu courage, avec patience und avec de la patience etc. Die Aufteilung in Ausnahme und Regel ·ist nicht möglich. Auf unseren Fall angewandt: eile vous regardait dans / es yeux avec · de l' insolence heißt, daß insolence durch den Partitiv gewissermaßen zu einem Stoff wird, in eine 'Menge verwandelt wird, was den Ausdruck sehr stark macht. Normal~rweise ist er sicher nicht so expressiv, ist eher adverbial zu interpretieren als "insolemment", und daher ist der fll-Artikel hier gebräuchlicher. Wir greifen also auf die Regeln der Schulgrammatik zu den Abstrakta und adverbialen Verwendungsweisen zurück, versuchen aber ·das System vom·Wechsel avec courage I avec du courage in einem größeren Zusammenhang zu erklär~n. 2.3 Fehlerfall (3): ü est professeur / c'est un professeur Im dritten Fall geht es um zwei Strukturen mit der Kopula est, die sich in der Artikelsetzung sehr unterschiedlich verhalten. FLuL 22 (1993) 154 Bernd Kielhöfer Der Fehlersatz (3a) il est un professeur de droit ist unbedingt in Beziehung zu setzen zu (3b) c' est un professeur de droit, zumal (3b) wahrscheinlich als Muster für (3a) gedient hat. Bei (3a) kann man sich zwar Kontexte vorstellen, in denen un akzeptabel ist, normalerweise steht hier jedoch kein Artikel. Erklärt werden muß, warum hingegen in (3b) ein Artikel stehen muß. Erklärungsmuster zu Satz (3a) (1) achtmal: (2) zweimal: (3) einmal: Artikel darf nicht stehen, weil es eine Berufsbezeichnung ist Es ist genau wie im Deutschen Weil das Personalpronomen vor der Berufsbezeichnung steht zu Satz (3b) (4) sechsmal: nach c' est muß der Artikel stehen (5) zweimal: ce fordert den Artikel, weil es hervorhebt (6) einmal: un muß stehen, weil ein Attribut folgt Einige Erklärungen enthalten Ansätze einer Begründung: (1), (3), (5). Andere sind rein normative Setzungen, besonders (4). Die entscheidenden Informationen werden jedoch nirgends gegeben, ja (6) ist völlig widersinnig und (2) trivial gefährlich. Erklärungsvorschlag Die entscheidende Rolle spielt die Kopula etre: il est leitet in (3a) ein Prädikatsnomen ein. Beim Prädikatsnomen wird das Subjekt, hier il mit dem Prädikatsnomen gleichgesetzt. (Darauf spielt wohl Erklärung (3) an): il = professeur. Die enge Zusammengehörigkeit wird auch dadurch ausgedrückt, daß der Artikel zwischen beiden fehlt. Die Tatsache, daß Berufsbezeichnungen ohne Artikel stehen, zeigt, daß sie eng zum Subjekt (der Person) gehören, mit ihr gleichgesetzt werden. In (3b) ist c' est hingegen Präsentativ, es funktioniert wie voici, voila als Ganzes. Es leitet kein Prädikatsnomen ein, es gibt keine Gleichsetzung von ce = professeur, darum muß nach dem Präsentativ der Artikel stehen. (Es sei angemerkt, daß in der Grammatik von Klein/ Kleineidam 1983, § 50, hierzu falsche Erklärungen abgegeben werden.) 2.4 Fehlerfall (4): jene veux pas des/ de discours, mais des actes Fehlerfall (4) betrifft den sehr komplexen Bereich der Artikelsetzung nach der Verneinung. Der Fehlersatz (4a) ist in Beziehung zu setzen zu zwei ähnlichen Strukturen, die interferieren: (4a) je ne veux pas des discours, mais des actes (4b) jene veux pas de discours (4c) ce ne sont pas des discours que je veux. FLuL 22 (1993) ., Können Sie mir bitte erklären, was hier falsch ist? ! " 155 Im Satz (4a) stellt sich zunächst das Problem der Norm: Ist des hier wirklich fehlerhaft, sollte es de heißen? Von französischen native speakers wird beides akzeptiert. Handelt es sich dabei um Varianten oder stehen sie in Opposition? Wie verhält sich (4a) zu (4b) und (4c)? Erklärungsmuster (1) siebenmal: Nach pas muß immer de stehen, das ist die normale Verneinung, nur bei etre gilt das nicht (2) zweimal: Es kann auch des stehen, weil das mais der Verneinung einen anderen Sinn gibt (3) dreimal: Kann ich nicht erklären, bin unsicher. Die Normunsicherheit wird hier auch in den Erklärungen ausgesprochen. Als Reaktion darauf wird überwiegend Regel (1) angeführt, die eine einfache Ordnung erlaubt. Erklärung (1) läßt sich jedoch leicht widerlegen, z.B. durch il ne dit pas la verite, je n' aime pas la biere u.a., hier steht nach pas nicht de. Zum anderen ist zu fragen, ob verneintes etre tatsächlich eine Ausnahme ist. Erklärung (2) versucht das Funktionieren der Verneinung semantisch mit einzubeziehen. Hier wirken auch Erinnerungen an die Schulgrammatik: "Wenn der verneinte Satz einen bejahenden Sinn hat (oder ähnliches), dann steht der volle Artikel". Diese Aussage enthält zwar Ansätze einer Erklärung, ist aber in dieser Form nicht plausibel. Erklärungsvorschla~ Das Französische verfügt über zwei Arten der Verneinungsartikel, die in Opposition stehen. Wenn Mengen, Quantitäten verneint werden, steht de. Das de steht nach ~.~~~~~~~~~~~~~~·~~ Nullmenge an, z.B. je n' ai pas d' argent, so funktioniert pas de auch in (4b) jene veux pas de discours. Wenn hingegen Qualitäten verneint werden, steht der volle Artikel. Am deutlichsten geschieht das beim Verb etre, mit dem man ja Aussagen über Qualitäten macht: c' est la verite, ce n' est pas la verite, c' est du vinaigre, ce n' est pas du vin. Etre ist keine Ausnahme, sondern die Prädikatsstruktur mit etre ist der Prototyp der Qualitätsaussage. Verneinung von Qualitäten finden wir aber auch bei anderen Verben, so den oben angeführten Beispielen: il ne dit pas la verite (hier geht es um die Qualität des Gesagten, nicht um die Quantität) oder je n' aime pas la biere (hier geht es um die Qualität des Getränkes. Implizit besteht eine Opposition zu anderen Getränken: mais le vin z.B.). Eine solche Qualitätsverneinung liegt auch in (4a) vor. Es wird nicht eine Nullmenge genannt, sondern es werden T a t e n anstelle von R e d e n gefordert, das mais insbesondere schafft die Opposition zwischen discours und actes, darum sollte des stehen (diese Erklärung findet sich auch im Erklärungsmuster (2) angedeutet). FLuL 22 (1993) 156 Bernd Kielhöfer Die subtile Opposition zwischen Verneinung einer Qualität und Verneinung einer Quantität geht im Französischen langsam verloren. Es besteht die Tendenz, pas de zu generalisieren, das darum auch in (4a) akzeptiert wird. Nur beim Prototyp der Qualitätsverneinung, dem verneinten etre, bleibt sie voll erhalten. 2.5 Fehlerfall (5): prendre du/ le / un the Der Fehlerfall (5) liefert ein gutes Beispiel, die wichtigsten Oppositionen des französischen Artikelsystems zu erklären: (5) oh, deja 4 heures, nous allons prendre du the. Die Frage, ob das du hier falsch ist, berührt das System der französischen Artikel. Erklärt werden müssen die Unterschiede zwischen un / Je/ du the, woraus sich dann eventuell die Zurückweisung des du ergibt. Erklärungsmuster (1) siebenmal: es muß Je the heißen, weil (a) viermal: eine Gewohnheit genannt wird (b) einmal: die Uhrzeit bestimmt ist (c) einmal: le the ein fester Begriff ist (d) einmal: le the eine Einrichtung ist (2) viermal: es kann auch un the heißen, es bedeutet aber, (a) zweimal: daß es ein einmaliges Ereignis ist (b) zweimal: es bedeutet une tasse de the (3) neunmal: der Partitiv du the ist nicht möglich, weil (a) viermal: es keine Teilung ist (b) zweimal: weil es prendre Je the heißt Die Erklärungsmuster zu Fehlerfall (5) sind insgesamt befriedigender als die vorausgehenden, begriffliche Unklarheiten bleiben aber bestehen: "die Uhrzeit" in ( 1b ), der „feste Begriff' in (lc). Hinter anderen Erklärungen kann man nur das Gemeinte erraten (ld). Ob die Fehlerhaftigkeit des du durch die Begründungen (3a) und (3b) einsichtig wird, muß auch bezweifelt werden, denn tatsächlich bleibt the ja eine Teilmenge, wenngleich in diesem Kontext diese Bedeutung nicht dominant ist. Erklärungsvorschlag Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Artikeln müssen verdeutlicht werden: prendre du the heißt: eine unbestimmte nicht~zählbare Menge Tee. prendre un the heißt: eine unbestimmte zählbare Menge Tee, also eine Tasse Tee. Der Plural wäre des thes, was in Erklärung (2b) richtig angeführt wird. FLuL 22 (1993) "Können Sie mir bitte erklären, was hier falsch ist? ! " 157 prendre le the heißt: es wird üblicherweise Tee getrunken; die generische Funktion drückt das Französische mit dem bestimmten Artikel aus, so z.B. auch j' aime le the (ich mag Tee generell). Nach dem Kontext ist hier die generische Funktion die plausibelste. Sie wird im übrigen in allen Erklärungen (la) bis (ld) anvisiert. Die Uhrzeit, das Adverb deja und die Interjektion sprechen dafür, daß es sich um eine allgemeine und feste Einrichtung handelt: darum als beste Lösung le the. Aber auch un the ist in diesem Kontext vorstellbar. Die Bedeutung verlagert sich dann vom Generischen zum Einmaligen, was in Erklärung (2a) richtig angesprochen wird. Der Partitiv du the ist wenig plausibel, aber nicht falsch. Das Konzept der Teilmenge „Tee" bleibt in allen drei Strukturen erhalten, ist aber nicht gleichermaßen dominant. Der Kontext im vorgegebenen Satz aktualisiert so stark die generische Funktion des Artikels, daß demgegenüber die partitive zurücktritt. Das ist wohl auch in Erklärung (3a) gemeint. 3. Zum Problem von Spracherklärungen Nachdem wir anhand von fünf Fallbeispielen exemplarisch die Problematik von metasprachlichen. Erklärungen vorgestellt haben, wollen wir nun versuchen, die wichtigsten Punkte nochmals systematisch zusammenzufassen. 3.1 Was wird von einer Erklärung verlangt? Eine gute Spracherklärung umfaßt zwei Bereiche: sie macht Aussagen zur Norm, die möglichst differenziert ausfallen sollen. Das einfache Muster, richtig oder falsch, wird der Sprachwirklichkeit meist nicht gerecht, obwohl es sowohl bei Schülern als .auch bei Lehrern sehr beliebt ist. Zum anderen werden Erklärungen zum Sprachsystem erwartet. Wir haben in den fünf Fehlerfällen versucht, am eigenen Vorschlag zu illustrieren, wie solche Erklärungen aussehen können. Es handelt sich gleichermaßen um didaktische wie auch um metasprachliche Diskurse, die ureigentliche Domäne des Sprachlehrers also. Er soll komplexe Strukturen so vereinfachen, daß sie durchschaubar werden, ohne sie darum zu verfälschen; es soll Unbekanntes auf Bekanntes zurückführen, isolierte Fälle in den Zusammenhang rücken, Arbiträres, wann immer, motiviert machen. Natürlich ist vieles nicht mit mathematischer Evidenz erklärbar. Sprachen sind ihrem Wesen nach arbiträr, als historische Schöpfungen stecken sie zudem voller Ungereimtheiten und Unregelmäßigkeiten, die nur historisch philologisch erklärt werden können. Diese natürlichen Schranken setzen der Erklärung ihre Grenzen. Es muß dennoch darum gehen, das Funktionieren des Systems begreifbar zu machen: wie funktionieren die Oppositionen zwischen je prends le the / du the / un the? Warum das System im Französischen so aussieht, warum sich in einer Sprache ein FLuL 22 (1993) 158 Bernd Kielhöfer komplexes Artikelsystem entwickelt, eine andere ohne dieses auskommt, dies muß im Sprachunterricht nicht mehr erklärt werden, kann freilich metasprachlich und historisch interessierten Schülern auch noch erklärt werden. 3.2 Die wichtigsten Mängel der Erklärungsmuster Die häufigsten Erklärungsmuster wollen wir hier nochmals auf ihre Defizite hin analysieren: Eine wichtige Erklärung ist die von der Ausnahme zur Regel. "Das ist richtigfalsch, weil es eine Ausnahme ist! ". Das Muster setzt voraus, daß ich die dazugehörende Regel auch benennen kann. In der Tat, wenn ich eine Ausnahme auf eine Regel zurückführen kann, vermag ich sie in das System einzuordnen. Regel und Ausnahme müssen indes Grundfunktionen gemeinsam haben, sonst kann ich sie nicht aufeinander beziehen. Es gibt zum Beispiel die Regel im Fanzösischen, daß nach Mengenadverbien der Artikel de steht (beaucoup de, peu de, pas de), eine Ausnahme dazu ist bien des. Aber schon la plupart des ist keine Ausnahme mehr dazu, weil es sich um ein durch den Artikel bestimmtes Nominalsyntagma und eben kein Adverb handelt. Die syntaktische Grundfunktion ist anders, verhält sich zum Artikel regelmäßig, etwa so wie le plus grand nombre des. So ist das verneinte etre auch keine Ausnahme zur Regel, daß nach pas de steht; avec du courage ist keine Ausnahme zu avec courage (oder umgekehrt? ), sondern hier funktioniert das System anders, die Strukturen stehen in Opposition was zu erklären ist. Die Behauptung, "es ist ein fester Ausdruck, eine Ausnahme" ist Flucht oder Ausweg im Extremfall könnte man auch so erklären: "Das passe simple ist eine Ausnahme zum imparfait" offensichtlich eine absurde Erklärung. Ein anderes häufiger wiederkehrendes Erklärungsmuster ist der Rückgriff auf die Muttersprache. Der Sprachvergleich kann in der Tat hilfreich sein und manches verdeutlichen, aber er ist ohne Wert in der pauschalen Form: "es ist im Deutschen ja auch so" denn es gibt genauso viele Strukturen, die im Deutschen nicht so sind, was soll diese Erklärung erklären? Beunruhigend an den gehörten Erklärungsmustern ist nicht so sehr die Tatsache, daß sie zu ungenau oder zu pauschal sind, sondern eher der Tatbestand, daß sie die Fähigkeit zur linguistischen Abstraktion vermissen lassen. Es gelingt nur selten, das eigene Sprachgefühl (oder die Intuition, die ja durchaus vorhanden ist) in eine metasprachliche Erklärung umzusetzen. Zentral metasprachliche Beschreibungskategorien wie Regel, Ausnahme,Jester Ausdruck, aber auch grammatische Kategorien wie Attribut, Prädikatsnomen, Kopula etc. werden nicht richtig beherrscht kurz, das Handwerkszeug ist nicht verfügbar. Dazu fehlt auch die Fähigkeit, grammatische Strukturen zu interpretieren. Bei einer Erklärung müssen diese nämlich interpretiert werden ähnlich wie ein Gedicht; und dafür gibt es bestimmte Methoden und Verfahren, die offensichtlich weitgehend unbekannt sind. Die Ergebnisse solcher Interpretationen müssen nicht immer gleich· überzeugend sein, FLuL 22 (1993) "Können Sie mir bitte erklären, was hier falsch ist? ! " 159 so z.B. meine verschiedenen Deutungen von parler francais im Fehlerfall (1), aber sie müssen in sich kohärent sein. Die gehörten Erklärungsmuster lassen hier große Defizite erkennen. 3.3 Warum sind die Erklärungen so mangelhaft? Wenn man nach den Ursachen für die Defizite fragt, kann man diverse'Gründe zur Entlastung anführen. Zuerst muß man sagen, daß die Fehlererklärungen nicht immer so unbefriedigend sind, wie die in diesem Beitrag dokumentierten. Erklärungen zu lexikalischen Problemen fallen z.B. besser aus. Es ist offensichtlich leichter, über Wörter als über grammatische Probleme zu reden. Aber auch in der Grammatik gibt es Gebiete z.B. die Tempora -, die vertrauter sind und die darum besser erklärt werden. Generell gilt aber auch hier: die Qualität grammatischer Erklärungen ist schlecht, die ·fünf dokumentierten Beispiele sind durchaus typisch. Als zweites muß erwähnt werden, daß es sich bei den fünf Fehlerfällen um sehr komplexe und schwierige Strukturen handelt, die häufig auch in den gängigen Schulgrammatiken gar nicht, schlecht oder falsch erklärt werden. Des weiteren muß der Zeitfaktor zur Entlastung angeführt werden. Es ist in der Tat schwierig, ad hoc, unter Zeitdruck kohärente Erklärungen zu solch komplexen Problemen abzugeben, wie wir sie vorgelegt haben. Der Zeitdruck ist in den Erklärungsmustern auch erkennbar. Mein eigener Etklärungsvorschlag ist dagegen ein nach Reflexion entstandener elaborierter Diskurs. · Ich möchte darum deµ Sprachlehrern empfehlen, schwierige Fehlererklärungen nicht sofort und spontan abzugeben. ·Es ist durchaus sinnvoll, Zeit einzufordern: „Das kann ich im Moment nicht begründen, ich muß mich informieren und darüber nachdenken die Antwort bekommst du morgen! '' Auch die didaktische Schwierigkeit sei zur Entlastung angeführt. Schüler haben meist von Grammatik "keine Ahnung", beherrschen deren Terminologie nicht. Der Entwurf metasprachlicher Erklärungen ist eine didaktisch äußerst schwierige Aufgabe: linguistisch korrekt und gleichzeitig didaktisch ei: nfach soll er sein hier muß der Sprachlehrer schwierige Kompromisse eingehen. Aber: wie will er diese Aufgabe bewältigen, wenn er selbst Probleme hat, seine Intuition in Worte zu fassen? Als letzter Punkt sei schließlich die Ausbildungssituation angeführt. Der zukünftige Sprachlehrer lernt an der Universität nicht oder nur sehr indirekt, Sprache zu erklären. Die angebotenen Linguistikveranstaltungen sind meist so „abgehoben", daß sie für die zentrale Tätigkeit des Sprachlehrers nichts einbringen. So ist dieser eher ein Literaturlehrer, manchmal,· auch ein Landeskunde- und Linguistiklehrer, selten ein Sprachlehrer. FLuL 22 (1993) 160 Bernd Kielhöfer 4. Konsequenzen Je nach Einschätzung des Defizits zeichnen sich verschiedene Konsequenzen ab: Ist man der Meinung, daß ein Sprachlehrer im Unterricht Sprache auch erklären muß, so muß man danach trachten, die Mängel zu beheben. Das heißt unter anderem, das Linguistikstudium so zu reformieren, daß der zukünftige Sprachlehrer erlernt, Sprache kompetent zu erklären. Ist man der Meinung, daß der Schüler im wesentlichen auf Grund seiner Intuition lernt (also alleine), dann braucht er keine Erklärungen. Wenn Erklärungen (zumal schlechte und falsche) eher hinderlich als förderlich sind (so z.B. Wode 1974), sollte der Lehrer ganz darauf verzichten. Die Korrektur würde nur darin bestehen, die Norm festzustellen. Es 'muß hier, nicht angeführt werden, was eine solche Konsequenz für den Sprachunterricht und den Berufsstand des Sprachlehrers bedeuten würde. Bibliographische Angaben BONHEIM, H.: "Schrittweise zur Validität". In: T. Finkenstaedt/ F.-R. Weller (Hrsg.): Der Schülerwettbewerb Fremdsprachen im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft (Symposium Wildsteig). Augsburg 1983 (1. & I. Schriften), 123-160. FINKENSTAEDT, T. / WELLER, F.-R. (Hrsg.): Schrittweise zur Validität. Der Schülerwettbewerb im Stifterverband für die deutsche Wissenschaft 1974-1984. Augsburg 1988 (1. & I. Schriften 41). KIELHÖFER, B.: "Woran scheitern die Kandidaten in den Klausuren des Schülerwettbewerbs Fremdsprachen? Einige Beobachtungen zu einer Stichprobe von Französischklausuren". In: Finkenstaedt / Weller (Hrsg.) 1988, 253-272. KLEPPIN, K. / KÖNIGS, F. G.: Der Korrektur auf der Spur. Untersuchungen zum mündlichen Korrekturverhalten von Fremdsprachenlehrern. Bochum 1991. KÖNIGS, F. G.: "'Lernen' oder 'Erwerben' Revisited. Zur Relevanz der Zweitsprachenerwerbsforschung für die Sprachlehrforschung". In: Die Neueren Sprachen 91 (1992), 166-179. LEGENHAUSEN, L.: "Fehler-Fuzziness und Bewertungsvarianz". In: Finkenstaedt / Weller (Hrsg.) 1988, 211-234. MUNDZECK, F.: "Schüler machen Fehler: Überlegungen aus pädagogischer und fremdsprachendidaktischer Sicht". In: Die Neueren Sprachen 90 (1991), 586--606. Voss, B. (Hrsg.): Unterrichtssprache im Fremdsprachenunterricht. Beiträge zur Theorie und Praxis einer berufsbezogenen Fachsprache des Fremdsprachenlehrers. Bochum: AKS 1986. WODE, H.: "Natürliche Zweisprachigkeit. Probleme, Aufgaben, Perspektiven". In: Linguistische Berichte 32 (1974), 15-36. FLuL 22 (1993) Silke Demme Fehleranalyse und Fehlerkorrektur - Die Anwendung fehleranalytischer Erkenntnisse in der didaktischen Ausbildung von Fremdsprachenlehrern (Deutsch a1s FrQDdsprache) Abstract. Analysing and correcting errors or those of one's own plays an important role in the process of teaching and leaining foreign languages. With regard to the training of foreignlanguage teachers and the designing of respective curricula, this fact should be taken into account to a much higher degree than before. In the present'contribution suggestions are made, in which ways the teaching in the field of error analysis / error correction could be further improved: Starting from a theoretical introduction into the study of learner-languages lµld error analysis, skills and abilities of corrections are to be developed systematically. To this effect practical exercises are proposed and a computer assisted training program is presented. 1. Problemstellung Aus der Praxis des fremdsprachlichen Deutschunterrichts an Hochschulen und Universitäten, aus Weiterbildungskursen für ausländische·Germanisten und Deutsch'lehrer sowie aus empirischen Untersuchungen ist bekannt, daß das Analysieren und Korrigieren eigener und fremder Fehler sowohl in der schriftlichen als auch in der mündlichen Sprachproduktion erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Die Ursachen hierfür sind vielschichtiger Natur. Ein ,wesentlicher Grund ist jedoch nach meiner Auffassung auch darin zu sehen, daß dem Analysieren und Korrigieren von Fehlern in der sprachpraktischen und didaktischen Ausbildung von Fremdsprachenlehrern zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird. Obwohl die Rolle des Fehlers beim Lehren und Lernen, von Fremdsprachen seit langem im Zentrum linguistischer, psycholinguistischer und fremdsprachendidaktischer Forschung steht, haben Ergebnisse solcher Forschungen m.E. noch zu wenig Einfluß auf die inhaltliche Gestaltung von Studiengängen. Forschungsbereiche wie Fehleranalyse/ Fehlerdidaktik, Lernersprachenanalyse, Fremdsprachendidaktik, Psycholinguistik, Zweitsprachenerwerbsforschung sowieSprachlehr- und -lernforschung sollten daher noch mehr als bisher Einfluß auf die Studieninhalte nehmen. In diesem Sinne ist auch Weller (1991: 583) zu verstehen, der als Herausgeber des Themenhefts "Fehler im Fremdsprachenunterricht" mit Recht ein Defizit im Wissensaustausch zwischen Forschung und Lehre, Theorie und Praxis beklagt. Im vorliegenden Beitrag sollen Möglichkeiten aufgezeigt werden, die dazu beitragen können, dieses Defizit zu mindern. FLuL 22 (1993) 162 Silke Demme 2. Fehleranalyse und Fehlerkorrektur in der universitären Ausbildung Die folgenden Ausführungen beziehen sich in erster Linie auf die Ausbildung ausländischer Studenten, haben aber auch den Magisterstudiengang Auslandsgennanistik/ DaF für Muttersprachler im Blick, wobei die Unterschiede und spezifischen Probleme, die sich für Mutter- und Fremdsprachler bei der Arbeit am sprachlichen Fehler ergeben, nicht übersehen werden sollen. Sie spielen um nur einen Aspekt zu nennen eine erhebliche Rolle bei der Fehleridentifikation, der Fehlerinterpretation und der Fehlerexplikation. Während Fremdsprachler hier oft den native speaker als Bezugsgröße wählen und zu Rate ziehen, haben deutsche Studenten, die ihre eigene Muttersprache als Fremdsprache sehen müssen, häufig Probleme bei der Fehlerexplikation, brauchen also umgekehrt den Rat des Fremdsprachlers, und zwar immer dann, wenn Fehler kontrastiv zu erklären sind und man sich in der entsprechenden Grundsprache sowie im soziokulturellen Bereich des Lerners nicht genügend auskennt. Ich kann aus meiner eigenen Lehrtätigkeit sagen, daß Seminare zur Fehleranalyse/ Fehlerdidaktik in gemischten Gruppen auch aus diesem Grund besonders produktiv sind. Befragt man Studenten unterschiedlicher Herkunftsländer oder auch deutsche Studenten nach ihren persönlichen Erfahrungen im Umgang mit dem 'Fehler im Fremdsprachenunterricht, nach Lehrer- und Lernerreaktionen auf Fehler, so ergibt sich ein breit gefächertes Bild, von der traditionell negativen bis hin zu einer toleranten Einstellung zum Fehler. Obwohl spätestens seit Corders (1967: 161) richtungsweisendem Aufsatz in der Forschung Einigkeit darüber besteht, daß Fehler natürliche Begleiterscheinungen des fremdsprachlichen Lernprozesses darstellen und als solche auch zu : behandeln sind, hat sich diese Erkenntnis durchaus noch nicht überall und auch noch nicht mit der erforderlichen Konsequenz in der Unterrichtspraxis durchgesetzt. Eine Tatsache, die wie auch aus den Materialien zur Lehrerfortbildung .von Bausch (1991) deutlich wird auf das genannte Defizit in der Fremdsprachenlehrerausbildung zurückzuführen ist. 2.1 Fehleranalyse / Fehlerdidaktik und Lernersprachenanalyse als Ausbildungsgegenstand Die Rolle des Fehlers beim Lehren und Lernen von Fremdsprachen ist ein Gegenstandsbereich, der für jeden, der eine Fremdsprache studiert, von Interesse ist. Ein dem gegenwärtigen Forschungsstand entsprechend angemessener Umgang mit diesem setzt voraus, die Studenten in dieses Forschungsgebiet einzuführen, die wichtigsten theoretischen Grundlagen zu vermitteln, Forschungstendenzen und offene Forschungsfelder zu markieren sowie Interesse für eigene wissenschaftliche Untersuchungen zu wecken. Lehrveranstaltungen zur Einführung in das genannte Forschungsgebiet sollten folgende Themenbereiche umfassen: FLuL 22 (1993) Fehleranalyse und Fehlerkorrektur - Die Anwendung fehleranalytischer Erkenntnisse... 163 - Norm und Fehler - Fehlerdefinitionen - Forschungszugänge zum Fehler - Fremdsprachenerwerbstheorien und Theorieab~gigkeit der Fehleranalyse - Positionen der Sprachlehrunci -lernforschung und der Zweitsprachenerwerbsforschung zum Fehler - Fehlerbeschreibung, Fehlerbewertung und Fehlertherapie als die klassischen Zweige der Fehleranalyse kontrastive Analyse und Fehleranalyse - Fehleranalyse und ihre Weiterentwicklung zur Lerner~prachenanalyse - Lemersprachenanalyse als Theorie des unterrichtlich gesteuerten Fremdsprachenlernens. Die Seminare sollten so angelegt sein, daß der enge Zusammenhang von Theorie und Praxis bei der Erforschung von Fremdsprachenunterricht deutlich wird. Die Studenten sollen befähigt werden, theoretische Kenntnisse zum Fehler im Fremdsprachenunterricht z.B. bei Unterrichtsbeobachtungen, Analyse von Unterrichtsmitschnitten oder eigenen kleinen Forschungsaufgaben gezielt einsetzen zu können. Mit. Blick auf die künftig1; : Lehrtätigkeit liegt der Schwerpunkt der Lehrveranstaltungen darauf, den Schritt von der Fehleranalyse zur Fehlerdidaktik zu vollziehen. Dabei sind die wesentlichen Unterschiede zwischen der traditionellen Fehleranalyse und der in den Kontext des unterrichtlich gesteuerten Fremdsprachenlernens- und -lehrens eingebetteten Fehlerdidaktik herauszuarbeiten sowie entsprechende unterrichtsmethodische Konsequenzen zu formulieren (vgl. Kordes/ Budde 1985 und Bausch 1991). Bei allen Überlegungen ist vom. Konzept der, Lernersprache auszugehen, der Fremdsprachenlerner als sogenannter Hypothesentester zu betrachten, der selbständig, kreativ, kognitiv seine Lernersprache aufbaut. Jegliche Fehlerbeh~dlungs- und Korrekturverfahren müssen demzufolge so ausgerichtet sein, daß sie diesem B~ürfnis des Lerners g~echt werden und diesen .auch zur Selbstkom~ktµr befähigen. Ich betrachte die Erar~itung solcher Erkenntnisse als wichtiges Teilziel in der Ausbildung der Studenten, als eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Tätigkeit in der Berufspraxis. 2.2 Fehlerkorrektur Eine umfangreiche Erkundungsuntersuchung des Herder-Instituts Leipzig (vgl. Kühn 1988: 44) sowie verschiedene Beiträge in Weller (1991) bestätigen, was aus der Praxis des Fremdsprachenunterrichts seit langem bekannt ist: Fremdsprachenlehrer stehen oft ratlos vor der schwierigen Aufgabe der Fehlerkorrektur, und dies gilt für erfahrene Lehrkräfte in gleicher Weise wie für junge Absolventen. Die Frage, warum dies so ist, ist nicht so leicht zu beantworteµ, denn der Prozeß der Fehlerkorrektur ist sowohl im mündlichen als auch im schriftlichen Bereich so kompliziert und vielschichtig, daß nur eine eingehende, differenzierte Beschäftigung mit dieser Problematik zu einer Beantwortung dieser Frage führen kann. FLuL 22 (1993) 164 Silke Demme Ein wesentlicher Grund für die bestehenden Korrekturprobleme ist in einem gewissen Forschungsdefizit und damit auch einem Ausbildungsdefizit im Bereich Fehlerkorrektur zu sehen. Korrekturen wurden zu lange als ein der Beschäftigung mit dem Fehlerphänomen nachgeordnetes, zweitrangiges Problem betrachtet. Zu oft wurde hohe Sprachkompetenz mit gut entwickelten Korrekturfähigkeiten gleichgesetzt. Dies ist zwar eine wesentliche, aber eben nur e i n e der notwendigen Voraussetzungen für die Fehlerkorrektur. Der in den Kontext des unterrichtlich gesteuerten Lehrens und Lernens von Fremdsprachen eingebettete Korrekturprozeß erfordert nicht nur Wahrnehmungs-, Konzentrations-; Speicherungs- und Urteilsvermögen, sondern setzt auch Kenntnisse über (a) die Strukturierung des Korrekturvorgangs, (b) Ursachen und Anlässe von Korrekturen, (c) Zeitpunkt und Ziele von Korrekturen, (d) Wirkung von Korrekturen auf alle am Korrekturprozeß Beteiligten sowie (e) den Nutzen/ Effekt voh Korrekturen im Gesamtrahmen der fremdsprachenunterrichtlichen Interaktion voraus. Wissenschaftsdisziplinen wie Fehleranalyse/ Fehlerdidaktik, Fremdsprachendidaktik sowie Sprachlehr- und -lernforschung sind besonders gefordert, den Korrekturprozeß in seiner Differenziertheit weiter zu erforschen und neu gewonnene Erkenntnisse in die Ausbildung der Studenten zu integrieren. Dabei kann von bereits vorliegenden Arbeiten (vgl. Bahns 1989: 497; Bliesener 1982; Chaudron 1977; Hendrickson 1978; Henrici/ Herlemann 1986; Kleppin/ Königs 1991; Königs 1992: 166), die gleichzeitig wertvolle Anregungen für weiterführende· Untersuchungen liefern, ausgegangen werden. Da ich im Rahmen meiner Lehrtätigkeit häufig mit den schon genannten Schwierigkeiten bei der Bearbeitung von Fehlertexten konfrontiert wurde, möchte ich im folgenden der Frage nachgehen, wie Korrekturfähigkeiten im Bereich der schriftlichen Sprachproduktion schrittweise, systematisch entwickelt und geübt werden könnten. Eine Übungstypologie, die auf die systematische Entwicklung solcher Fähigkeiten und Fertigkeiten zielt, sollte sich m.E. an den verschiedenen Komponenten einer komplexen Korrekturhandlung, also an den einzelnen, im Korrekturprozeß zu absolvierenden Schritten orientieren. Danach ergeben sich folgende Ü b u n g s typen: ( 1) Aufgaben und Übungen zur Fehleridentifikation (2) Aufgaben und Übungen zur plausiblen Interpretation des Fehlers (3) Aufgaben und Übungen zur linguistischen Beschreibung und Klassifikation des Fehlers (4) Aufgaben und Übungen zur Fehlermarkierung unter besonderer Beachtung der Positivkorrektur (5) Aufgaben und Übungen zur Fehlerexplikation (6) Aufgaben und Übungen zur Arbeit mit Lexika und Regelwerken (7) Aufgaben und Übungen zur komplexen Analyse und Korrektur fehlerhafter Texte. ' FLuL 22 (1993) Fehleranalyse und Fehlerkorrektur - Die Anwendung fehleranalytischer Erkenntnisse ... 165 Ich verstehe die Übungstypen (1) bis (6) als Übungen zu Komponenten einer komplexen Korrekturhandlung. Übungstyp (7) entspricht einer komplexen Korrekturhandlung und ist mit der Korrekturleistung identisch, die ein Lehrender beim Korrigieren schriftlicher Lernertexte erbringen muß. Nachfolgend sollen die einzelnen Übungstypen kurz charakterisiert werden. (1) Aufgaben und Übungen zur Fehleridentifikation Um eine sprachliche Äußerung als fehlerhaft identifizieren zu können, ist ein Vergleichskriterium erforderlich. Dies wird in der Regel eine didaktische, an Lehr- und Lernzielen orientierte Norm sein. Da Praxiserfahrungen immer wieder zeigen, daß das Identifizieren von Fehlern bereits mit großen Schwierigkeiten verbunden ist jeder kennt die Erscheinung, daß Richtiges für falsch befunden wird und umgekehrt, daß Fehler in den Text zusätzlich hineingebracht und die eigentlichen Fehler nicht erkannt werden -, erscheint es mir wichtig, das Identifizieren von Fehlern in kleineren Schritten zu üben. Es empfehlen sich Kurzkontexte, in denen zunächst nur bestimmte Fehlerty.pen (z.B. nur Kasusfehler) zu identifizieren sind. Mit steigendem Schwierigkeitsgrad sollten andere Fehlertypen hinzukommen. Die Reihenfolge sollte sich aus dem Grad der Invarianz der sprachlichen Ebenen ergeben: Fehler in der Orthographie und Interpunktion + grammatische Fehler + lexikalische Fehler + stilistische Fehler. Zu Beginn sollte der Lehrende durch gezielte kognitive Hilfen die Identifikation der Fehler erleichtern, sich im weiteren Übungsprozeß aber dann zurücknehmen, um die Lerner zur selbständigen Identifikation der Fehler zu befähigen. (2) Aufgaben und Übungen zur plausiblen Interpretation von Fehlern Bei diesem Übungstyp geht es darum, daß die Lerner sich darin üben, die beabsichtigte Äußerung des Schreibers aus Form und Kontext zu rekonstruieren. Dabei soll das Augenmerk besonders darauf gerichtet werden, daß es für einen Fehler oft mehrere Korrektive gibt, daß man sich nicht vorschnell mit der erstbesten Korrekturvariante zufriedengeben darf und besonders bei Texten von sehr fortgeschrittenen Lernern genau zu überlegen ist, ob das formulierte Korrektiv der tatsächlichen Äußerungsintention des Schreibers entspricht. Unter Berücksichtigung des steigenden Schwierigkeitsgrades sollte man mit Fehlern beginnen, die nur ein Korrektiv zulassen und dann schrittweise zu Fehlern übergehen, bei denen zwei oder mehrere Korrektive möglich sind. (3) Aufgaben und Übungen zur linguistischen Beschreibung und Klassifikation des Fehlers Traditionell dient die linguistische Beschreibung und Klassifikation von Fehlern dem Erstellen von Fehlertypologien und Fehlerhierarchien. Im Rahmen einer in den Kontext des FU eingebetteten Fehlerdidaktik ist ein wichtiges Anliegen dieser Übungen in der metasprachlichen Reflexion über die linguistische Seite des Fehlers zu sehen. Mit der Bewußtmachung von Regeln, FLuL 22 (1993) 166 Silke Demme ihren Wirkungsmechanismen, Gültigkeitsaber auch Restriktionsbereichen werden kognitive Strategien entwickelt, die für den Aufbau der fremdsprachlichen Kompetenz von Bedeutung sind. Dabei wird deutlich, daß die Entwicklung sprachlichen und didaktischen Könnens eine Einheit bilden müssen. (4) Aufgaben und Übungen zur Fehlermarkierung und Positivkorrektur Im Rahmen dieser Übungen werden die Studenten mit den zu verwendenden Korrekturzeichen vertraut gemacht. In der Regel sollten diese bereits aus dem eigenen Sprachunterricht bekannt sein. Es ist auf Einheitlichkeit der verwendeten Korrekturzeichen und Verfahrensweisen bei der Fehlermarkierung zu achten. Wenn Korrekturzeichen und Korrekturen insgesamt den Zweck erfüllen sollen, dem Lerner eine Hilfestellung für das Berichtigen von Fehlern zu geben, muß die Bedeutung der gebrauchten Zeichen für die Lerner klar definiert sein. Dies mag sehr selbstverständlich scheinen, ist es jedoch längst nicht überall, wie Praxisberichte zeigen. Es wird mitunter kritisch vermerkt, daß den traditionellen Korrekturzeichen ein zu ausgeprägt grammatisierender Sprachbegriff zugrunde liegt, der dem Fehler im Fremdsprachenunterricht als komplexem Phänomen zu wenig gerecht wird. Ich sehe darin weniger ein Problem der Korrekturzeichen als vielmehr eine Frage der Fehlererklärung, die Gegenstand der folgenden Übung ist. Sehr wesentlich erscheint mir jedoch im Zusammenhang mit der Fehlermarkierung die Positivkorrektur. Um der sprachlichen Leistung des Lerners wirklich gerecht werden zu können, ist es unbedingt erforderlich, nicht nur die Fehler zu markieren, sondern auch besonders gelungene Formulierungen (treffende Wortwahl, komplizierte grammatische Strukturen u.ä.) durch eine Markierung (z.B. "gut") am Rand der Arbeit deutlich zu machen. Diese Positivmarkierungen sind beim abschließenden Gesamturteil gegen die Fehler aufzurechnen. Man erreicht damit nicht nur eine gerechtere Beurteilung der sprachlichen Leistung, sondern ermutigt die Lerner auch zum kreativen Sprachgebrauch (offensiver Sprachanwender, Hypothesentester). (5) Aufgaben und Übungen zur Fehlerexplikation Beim Ermitteln möglicher Fehlerursachen ist die Aufmerksamkeit der Studenten besonders darauf zu lenken, daß der Fehler beim unterrichtlich gesteuerten Fremdsprachenlernen als multikausales Phänomen aufzufassen ist. Neben den inter- und intralingualen Erklärungshypothesen sollte im Rahmen der methodologischen Möglichkeiten unbedingt der große Komplex außersprachlicher Ursachen abgefragt werden, z.B.: intrapersonelle Einflußfaktoren (Fremdsprachenlerndisposition, Motivation, Streß, Müdigkeit, Prüfungsangst) durch Unterricht und unterrichtliche Interaktion bedingte Einflußfaktoren (Lehr- und Lernstrategien, lehrmaterialbedingte Fehler, soziale Beziehungen in der Lemergruppe) soziokulturell und interkulturell bedingte Fehler. FLuL 22 (1993) Fehleranalyse und Fehlerkorrektur - Die Anwendung fehleranalytischer Erkenntnisse ... 167 Die Diskussion und die Bewußtmachung möglicher Fehlerursachen gemeinsam mit den Lernern zielen auf eine schrittweise Befähigung zur Fremd- und Selbstkorrektur und künftige Fehlervermeidung. In diesem Sinne sind solche Übungen mit den Studenten für diese sowohl aus der Lerner- und Mitlernerals auch aus der künftigen Lehrperspektive von Bedeutung. (6) Aufgaben und Übungen mit Lexika und Regelwerken Obgleich die Arbeit mit Lexika und Regelwerken integrativer Bestandteil in verschiedenen Übungstypen ist, haben Praxiserfahrungen gezeigt, daß es erforderlich ist, den Studenten die neuesten Nachschlagewerke vorzustellen, Hinweise für deren sinnvolle Nutzung zu geben und gezielte Übungen zu deren Gebrauch durchzuführen. Bei sehr weit fortgeschrittenen Lernern geht es dabei vor allem auch um Nörmvarianten, Zweifelsfälle und Entwicklungstendenzen im Sprachgebrauch. (7) Aufgaben und Übungen zur komplexen Analyse + Korrektur fehlerhafter Texte Übungen dieser Art entsprechen der höchsten Anforderungsstufe, sie sind nahezu identisch mit der Korrekturleistung, die ein Fremdsprachenlehrer in der Berufspraxis erbringen muß. Die bereits beschriebenen Übungen (1) bis (6) sind diesem Übungstyp inhärent. Für die Korrekturübungen sollten vorzugsweise authentische Lernertexte benutzt werden. Sofern es organisatorisch möglich und absehbar ist, empfehlen sich Lernertexte von denjenigen Sprachgruppen, in denen die Studenten künftig unterrichten werden. Hinsichtlich der d i d a k t i s c h e n G e s t a l t u n g des Übungsprozesses sollten folgende Gesichtspunkte beachtet werden: (a) Schwierigkeitsprogression . Der Übungsprozeß führt von Komponenten einer Korrekturhandlung zur komplexen Korrekturhandlung; von Fehlern, die nur eine Korrekturvariante zulassen, zu Fehlern, die mehrere Korrektive zulassen; von Fehlern auf nur einer sprachlichen Ebene zu Fehlern auf verschiedenen Ebenen, einschließlich Verstößen gegen die Normen der Sprachverwendung. (b) Kommunikativ-kognitive Orientierung Übungen zur Fehlerkorrektur sollten inhaltlich so gestaltet sein, daß sie realen Kommunikationssituationen im schriftlichen Bereich nahekommen. Bei gemeinsamen Fehlerkorrekturen im Kontaktunterricht sollte bei der Fehlerdiskussion geklärt werden, warum es sich um einen Fehler handelt, gegen welche Regeln verstoßen wird und wie dieser Fehler eventuell zustande gekommen sein könnte. Solche, auf Bewußtmachung zielende Lehr- und Lernverfahren dienen der Entwicklung kognitiver Strategien, die nicht nur bei der Fremd-, sondern auch bei der anzustrebenden Befähigung zur Selbstkorrektur zum Tragen kommen (vgl. Hecht/ Green 1991: 607). FLuL 22 (1993) 168 Silke Demme Hinsichtlich der Kognitivierungsmodi kommen hier vorrangig verbal-metasprachliche und visualisierende Verfahren zum Einsatz (vgl. Tönshoff 1990: 77). Grundsätzlich sollte man mit authentischen Fehlern arbeiten und bei kognitiven Erklärungen auf den bereits vorhandenen Sprachbesitz der Lerner zurückgreifen (Muttersprache, bereits erworbene Fremdsprachen). (c) Lehrer-Lerner-Interaktion In diesem Zusammenhang sollte Wert darauf gelegt werden, daß die Studenten nicht nur die Lern-, sondern auch die künftige Lehrperspektive im Blick haben. Es sollte auf beiden Seiten Klarheit darüber bestehen, daß Fehler als natürliche Begleiterscheinungen des fremdsprachlichen Lernprozesses im Unterricht zu thematisieren sind, daß sie eine bestimmte Funktion in diesem Lernprozeß erfüllen, daß man aus Fehlern lernen kann, daß Lerner als kreative Sprachanwender/ Hypothesentester zu betrachten sind (kreativ, kognitiv, selbständig-probierend) und Korrekturen in diesem Prozeß eine wichtige Rückkopplungsfunktion erfüllen. Vor allem Lehrende sind für entsprechende Verfahren der Fehlerbehandlung und angemessenes Korrekturverhalten zu sensibilisieren, und zwar mit dem Ziel, eine von Fehlerangst freie Lernsituation zu schaffen. In diesem Zusammenhang sind bei der didaktischen Planung und Realisierung von Fehlerbehandlungsverfahren die Wirkung von Korrekturen auf Lerner sowie die Erwartungen, die Lerner an Korrekturen haben, zu berücksichtigen. 2.3 Fehleranalyse und Fehlerkorrektur mittels Computer 2.3.1 Vorzüge des computerunterstützten Arbeitens Auf der Suche nach Möglichkeiten der Effektivierung des fremdsprachlichen Lehr- und Lernprozesses spielt die Frage nach den Potenzen moderner Unterrichtstechnologien eine große Rolle. Bei der Diskussion um Möglichkeiten und Grenzen des Computereinsatzes besteht weitgehend Einigkeit darüber, daß der entscheidende Vorteil des Computers darin besteht, daß er wie kaum ein anderes Unterrichtsmittel Möglichkeiten der Individualisierung des Lernprozesses bietet (vgl. Neuner 1985; Rüschoff 1986 und 1989; Schulz 1989; Thume 1988; Wazel 1990). Bei der Arbeit am sprachlichen Fehler sind sowohl im Bereich der Fehlertherapie als auch der Fehlerkorrektur Formen des autonomen Lernens effektiv. Der Einsatz des Computers bei der Analyse und Korrektur von Fehlertexten hat den Vorteil, daß eine besonders zeitaufwendige Übungsform aus dem Kontaktunterricht in das Selbststudium verlagert werden kann. Hier kann der Lerner Inhalt, Zeit und Umfang der Korrekturarbeit selbst bestimmen. Durch die Fähigkeit des Computers, den Lerner durch angemessene Hilfen zur richtigen Lösung zu führen, werden Erfolgserlebnis und Übungsmotivation erhöht. Auf einen konkreten Fehlertext zugeschnittene Minigrammatiken sowie ein- und zweisprachige Wörterverzeichnisse ersparen in Zweifelsfällen langes Suchen in entsprechenden Nachschlagewerken. Bei adressatenspezifischen, kontrastiv gestalteten Programmen, die sich FLuL 22 (1993) Fehleranalyse und Fehlerkorrektur - Die Anwendung fehleranalytischer Erkenntnisse ... 169 an Lerner einer konkreten Grundsprache wenden, können kontrastive Sprachvergleiche antizipiert werden. Durch die Möglichkeit der Interaktion zwischen Lerner und Computer, die Nutzung der visuellen und perzeptorischen Möglichkeiten der Bildschirmarbeit und die damit erreichbare Dynamik des Korrekturprozesses wird für den Lerner die Veränderung zum Positiven sofort sichtbar, was aus lernpsychologischer Sicht von großer Bedeutung ist. Im Vergleich zum Kontaktunterricht und dort stattfindenden Korrekturen von Fehlertexten ergibt sich der Vorteil, daß jeder einzelhe Lerner einen Text bearbeitet. Damit wird ausgeschlossen, daß sich ein großer Prozentsatz von Lernern aus dem Korrekturprozeß zurückzieht, die Interaktion also nur zwischen Lehrer und einzelnen Lernern stattfindet, diese Gefahr besteht besonders in Lernergruppen mit großen Niveauunterschieden. Andererseits geht der positive Effekt, den Korrekturen auch für Mitlerner haben· können, der Erkenntnisgewinn, der aus gemeinsamen Fehlerdiskussionen hervorgehen kann, verloren. Dies verdeutlicht einmal mehr, daß sehr genau abgewogen werden muß, an welchen Stellen im Lern- und Übungsprozeß der Computer wirklich sinnvoll eingesetzt wird. Nach meinen bisherigen Erfahrungen hat es sich als günstig erwiesen, im Bereich Fehleranalyse/ Fehlerkorrektur ausgehend von einem angemessenen theoretischen Fundament mit Übungen im Kontaktunterricht (vgl. die unter· 2.2 beschriebene Übungstypologie) zu beginnen, entsprechende Korrekturstrategien zu entwickeln und anschließend in der Phase. der Festigung und Vertiefung in den Bereich des individuellen Lernens mittels Computer zu gehen. Gute Erfahrungen gibt es hier im Bereich der Gruppenarbeit, wobei nicht mehr als drei Studenten an einem Fehlertext arbeiten sollten. Im folgenden möchte ich Inhalt und Struktur eines solchen Computerübungsprogrammes zur Analyse und Korrektur eines Fehlertextes vorstellen. 2.3.2 ANACOR - Inhalt und Struktur eines Computerübungsprogrammes zur Analyse und Korrektur eines Fehleftextes ANACOR (analysis and correction) verfolgt das Ziel, einen Fehlertext, der authentische Fehler tschechischer Deutschlehrerstudenten enthält, zu analysieren und zu korrigieren. Es orientiert sich am Könnensstand tschechischer Deutschlehrerstudenten des dritten Studienjahres und basiert auf einer umfangreichen ·empirischen Fehleranalyse (Demme 1990). Das Programm ist kontrastiv aufgebaut und für Selbststudium sowie Gruppenarbeit konzipiert. Das Programm will sprachliches Wissen und Können reaktivieren und festigen sowie Korrekturfähigkeiten im Bereich der schriftlichen Sprachproduktion entwickeln, wobei davon ausgegangen wird, daß die Entwicklung sprachlicher und didaktischer Fähigkeiten und Fertigkeiten eine Einheit bilden. ANACOR ist ein menügesteuertes Programm, das einen Einführungstext, den zu bearbeitenden Fehlertext, ein internes Wörterbuch (einsprachig deutsch und FLuL 22 (1993) 170 Silke Demme deutsch-tschechisch), ein Regelverzeichnis, die Satzanalyse, eine Auswertung der Übungsergebnisse und Bedienungshinweise enthält. Einführungstext, Bedienungshinweise und Regelverzeichnis können auch in der Muttersprache der Lerner präsentiert werden. Über das Menü kann der Lerner im gesamten Programmablauf das Arbeitstempo, die Reihenfolge der zu analysierenden Sätze und die Zahl der Wiederholungen der Satzanalyse selbst bestimmen. Zunächst bietet das Menü einen Einführungstext an, der verschiedene didaktische Funktionen zu erfüllen hat: Er enthält Arbeitsanweisungen, benennt das Übungsziel und dient durch Hinweise auf die Zielgruppenrelevanz und die Berufsorientierung der Übungsmotivation. Danach wird der zu untersuchende Text dargeboten. Es handelt sich dabei um einen Brief, in dem eine tschechische Studentin ihre ersten Eindrücke von Jena schildert. Damit ordnet sich das Programm in den im Sprachunterricht behandelten Themenkomplex ein und trägt der berechtigten Forderung Rechnung, daß computerunterstützte Übungen mit anderen, dem Lerner bekannten Lehrmaterialien abgestimmt werden sollten. Der Fehlertext hat einen Umfang von 32 Sätzen und enthält Verstöße gegen die Normen des Sprachsystems auf allen Ebenen sowie Verstöße gegen die Normen der Sprachverwendung. Bei der Erstrezeption des Textes erhält der Student die Anweisung, unbekannte Lexik mit Hilfe des internen Wörterbuches zu semantisieren und die auf den ersten Blick bereits auffallenden Fehler zu notieren. Dabei kann das interne Regelverzeichnis benutzt, der Computer also als Rechercheinstrument eingesetzt werden. Nach der Erstrezeption kann mit der Analyse der einzelnen Sätze begonnen werden. Dabei besteht die Möglichkeit, auf den eingangs präsentierten Gesamttext über das Menü zurückzugreifen. Dies ist erforderlich, da zur Identifikation bestimmter Fehler (z.B. Tempora) der Kontext benötigt wird. Die Analyse der Sätze erfolgt nach einem Algorithmus, der für alle Sätze gleich ist. Damit soll erreicht werden, daß sich die Studenten die im Korrekturprozeß zu absolvierenden Schritte systematisch aneignen, Korrekturstrategien entwickeln. Im ersten Schritt der Satzanalyse muß der Student entscheiden, ob der Satz richtig oder fehlerhaft ist, anschließend wird er aufgefordert, die Fehlerstelle zu markieren. Kann der Student die Fehlerstelle nicht identifizieren, so gibt der Computer zwei kognitive Hilfen zur Fehlerfindung. Der Lerner hat drei Versuche, den Fehler zu identifizieren. Gelingt dies, so signalisiert der Computer, daß der Fehler erkannt wurde. Kann der Lerner trotz Hilfen den Fehler nicht identifizieren, markiert der Computer nach drei Versuchen automatisch die Fehlerstelle. Dem Könnensstand des dritten Studienjahres entsprechend, wurden die Hilfen so gestaltet, daß auch leistungsschwächeren Studenten die Identifikation des Fehlers möglich sein sollte. Im nächsten Arbeitsschritt wird der Student aufgefordert, den Fehler zu korrigieren. Für die Mehrzahl der Fehler kommt nur eine Korrekturvariante in Frage. Bei Fehlern, die verschiedene Korrekturmöglichkeiten zulassen, wurden die verschiedenen Varianten antizipiert, so daß der Computer jede der eingegebenen Korrekturva- FLuL 22 (1993) Fehleranalyse und Fehlerkorrektur - Die Anwendung fehleranalytischer Erkenntnisse ... 171 rianten als richtig akzeptiert. Die für die Fehleridentifikation beschriebenen Hilfen können auch bei diesem Arbeitsschritt in Anspruch genommen werden, da sie durch ihre inhaltliche·Gestaltung das Formulieren des Korrektivs erleichtern. Der Lerner hat wiederum drei Versuche. Wurde das richtige Korrektiv gefunden, so wird der fehlerhafte Satz auf dem Bildschirm korrigiert. Der Computer signalisiert, ob das eingegebene Korrektiv richtig ist oder ob evtl. noch Tippfehler enthalten sind. Im folgenden Arbeitsschritt ist der Fehler zu klassifizieren. Neben der bewußten Einordnung des Fehlers in die entsprechende Ebene des Sprachsystems geht es hier auch darum, die Fehlermarkierung zu üben. Voraussetzung für ein erfolgreiches Absolvieren dieses Arbeitsschrittes ist ein entsprechender Klassifizierungsraster, der den Studenten bekannt sein muß. Für Fehler in Lexik, Grammatik, Orthographie und Stil stehen die Symbole L, G, 0 und S zur Verfügung, die vom Lerner einzugeben sind. Wird falsch klassifiziert, so wird dies durch den Computer signalisiert, und dieser nimmt dann automatisch die richtige Klassifikation vor, denn an dieser Stelle ist der Gefahr des Ratens vorzubeugen. Im letzten Schritt der Satzanalyse muß die Korrektur mit der entsprechenden Regel begründet werden. Neben dem Reaktivieren und Bewußtmachen von Regelkenntnissen dient dieser Arbeitsschritt dazu, linguistisch zu erklären, warum es sich um einen Fehler handelt, gegen welche Regeln verstoßen wurde ähnlich den Erklärungen, die der Lehrer seinen Schülern bei der Rückgabe korrigierter Arbeiten geben muß. Je nach Fehlerart werden zwei bis vier Regeln als Antwortmöglichkeiten vorgegeben. Der Student wählt die seiner Meinung nach zutreffende Regel, indem er die entsprechende Regelnummer eingibt. Hat der Student die zutreffende Regel gewählt, werden die nicht geltenden Regeln gelöscht, so daß abschließend nur die zutreffende Regel auf dem Bildschirm präsentiert wird. Wurde eine falsche Regel gewählt, so gibt der Computer in der Mehrzahl der Sätze Begründungen und zeigt an Beispielen, warum die gewählte Regel falsch ist. Diese Form der Antwortverarbeitung ist aus didaktischer Sicht wichtig, da es für Lerner dieser Könnensstufe nachweislich wichtig ist zu erfahren, warum die gewählte Antwort falsch war. Auf diese Weise hilft der Computer dem Lerner, aufgrund von Kenntnissen und Einsichten in das Regelsystem Denkfehler zu erkennen, solche künftig zu vermeiden, zur richtigen Lösung zu finden bzw. sich selbst zu korrigieren. Mit diesem Arbeitsschritt ist die Satzanalyse beendet, der Lerner kann zur Analyse des nächsten Satzes oder zur Analyse und Korrektur eines evtl. weiteren Fehlers im Satz übergehen. Bei Sätzen, die auf muttersprachlicher Interferenz beruhende Fehler enthalten, wird in den einzelnen Arbeitsschritten kontrastiv vorgegangen. Außerdem wird am Ende der Satzanalyse durch einen kontrastiven Vergleich die interferierende Wirkung der Muttersprache bewußtgemacht und als mögliche Fehlerursache beim Gebrauch des Deutschen erklärt. Während des gesamten Programmablaufs werden die einzelnen Arbeitsschritte des Lerners dokumentiert und stehen nach Abschluß der Programmarbeit dem Lerner und Lehrer zur Auswertung zur Verfügung. Diese Dokumentation ist außerdem FLuL 22 (1993) 172 Silke Demme auch für die Programmautoren in der Phase der Validierung und Optimierung des Programms von Bedeutung. Das Programm wurde in der Forschungsgruppe des Instituts für Auslandsgermanistik/ DaF der Friedrich-Schiller-Universität Jena in Zusammenarbeit von Fremdsprachendidaktikern und einem Informatiker entwickelt. Es wurde so konzipiert, daß es auch Lernern, die im Umgang mit Computern keine Erfahrung haben, nach wenigen Minuten möglich ist, mit diesem Programm zu arbeiten. Das Programm ist auf jedem IBM-kompatiblen PC mit dem Betriebssystem MS-DOS lauffähig. Alle Texte (Sätze, Hilfen, Wörterbuch etc.) sind in externen Textfiles abgespeichert, können also relativ leicht verändert werden. Damit ist es prinzipiell möglich, andere Fehlertexte in das gleiche Programmschema zu übernehmen. Bei größerem Bedarf an Programmen vom Typ ANAC0R wäre die Erstellung eines Autorenprogramms sinnvoll. Das Programm wurde mit ausländischen und deutschen Studenten im Rahmen der Lehrveranstaltungen zur Fehleranalyse/ Fehlerdidaktik sowie in Weiterbildungskursen mit ausländischen Deutschlehrern getestet. Dabei wurde zunächst eine unterschiedliche Herangehensweise bei deutschen und ausländischen Studenten sichtbar, wobei deutsche Studenten in stärkerem Maße multivalente Eingabemöglichkeiten (stilistische Varianten) wünschten. Das prinzipielle Interesse an der Bearbeitung des Programms war bei ausländischen Studenten erwartungsgemäß höher. Die Erfolgserlebnisse nach der Bearbeitung einzelner Schritte wirkten bei Fremdsprachlern stark motivierend für weitere Satzanalysen. Hinsichtlich der Beurteilung des Nutzens für die Entwicklung von Korrekturfähigkeiten zeigte sich, daß die Einschätzung dessen stark davon abhängt, welche individuellen Erfahrungen mit Problemen der Fehlerkorrektur bei Befragten vorhanden waren. Während ausländische Deutschlehrer solche Korrekturübungen für sehr wichtig und nützlich hielten, fühlten sich Studenten nur zum Teil zu Aussage in der Lage, z.B. wenn Erfahrungen aus Unterrichtspraktika / Tätigkeit als assistent teacher im Ausland vorlagen. 3. Zusammenfassung Abschließend soll darauf verwiesen werden, daß eine theoretische Einführung in die Fehler- und Lernersprachenforschung und theoriegeleitete, unterrichtspraktisch orientierte Übungen zur Fehlerkorrektur eine Einheit bilden müssen. Die hier vorgeschlagenen Übungen zur Entwicklung von Korrekturfähigkeiten im Bereich der schriftlichen Sprachproduktion sind nur als ein erster Schritt zur Lösung von Problemen der Fehlerkorrektur zu betrachten. Die Tatsache, daß solche Übungen einen stark systemlinguistischen Aspekt tragen, sollte nicht mißverstanden werden: Ich sehe die Entwicklung und Beherrschung der dargestellten Korrekturstrategien als eine wesentliche Voraussetzung dafür, den nächsten Schritt nämlich eine in den Gesamtkontext des Fremdsprachenunterrichts eingebettete, angemessene Fehlerbehandlung und Fehlerkorrektur zu vollziehen. FLuL 22 (1993) Fehleranalyse und Fehlerkorrektur - Die Anwendung fehleranalytischer Erkenntnisse ... 173 Bibliographische Angaben BAHNS, J.: .,Kollokationen als Korrekturproblem im Englischunterricht". In: Die Neueren Sprachen 88 (1989), 497-514. · BAUSCH, K.-R.: .,Ohne Fehler geht's nicht". Materialien zur Lehrerfortbildung. Goethe-Institut Schwäbisch Hall 1991. · BLIESENER, U.: Klausuren und Abiturarbeiten in Englisch: Unterrichtliche Vorbereitung, Korrektur und Bewertung. München 1982. CHAUDRON, C.: "A Descriptive Model of Discourse in the Corrective Treatment of Leamers' Errors". 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Taking the level of vocabulary as exemplum, it is argued that variability in actual language use can open teacher' s and pupil' s awareness of the continuum of acceptability in language use, and function as a prerequisite for communicative and interactive competence. 1. Falsch oder anders? Anförderµngen an den Fremdsprachenunterricht in multikulturellen Iqassenzimmern Die folgenden Überlegungen sollen dazu beitragen, die fast ausschließliche Beurteilung von Lernfortschritten unserer Fremdsprachenschüler über den Weg der Fehlerbewertung zu überdenken. Dabei geht es nicht um spezifische Fehlerbewertungen und Fragen der deskriptiven Fehlerlinguistik. Vielmehr möchte ich das Augenmerk auf Aspekte der Fehlerbewertung als Bewertung von Sprachverhalten bei der Vermittlung einer Fremdsprache lenken und dabei Problembereiche aufzeigen, die entstehen, wenn Schüleroutput auf ein "richtiges" vs. "falsches" Sprachverhalten eingeschränkt wird. Zum einen erfolgt dieser Anstoß aus der Sicht des Hochschullehrers: Studenten, die sich für das Studienfach Anglistik mit angestrebtem Hochschulabschluß Staatsexamen oder Magister an einer deutschen Universität einschreiben, sind nach einer langjährigen fremdsprachlichen Ausbildung an den Schulen nicht selbstverständlich als für diese Fremdsprache studierfähig einzuordnen. Der konventionelle Fremdsprachenunterricht im Alltag der deutschen Gymnasien scheint nur bedingt einen Fremdsprachenabiturienten hervorzubringen, der das Handwerkszeug der englischen Sprache beherrscht und außerhalb des Schonraums von schulischen Textbüchern und dem Kontext eines ideal vorgegebenen Gebrauchszusammenhangs und fester Interaktionsrahmen (Kommunikation im Klassenzimmer) anwenden kann. Die Fähigkeit, das in der Fremdsprache erworbene Wissen selbständig anzuwenden, scheint im langjährigen Fremdsprachenunterricht in der Schule nicht genügend entwickelt zu werden. Die meisten Erstsemester der Anglistik sind zwar fähig, bei einfachen grammatischen und lexikafü; chen Fragestellungen zwischen richtigen und falschen Lösungen zu entscheiden, aber ihre Fähigkeit, bei FLuL 22 (1993) 176 Amei Koll-Stobbe Problemstellen sprachliche Lösungsstrategien zu entwickeln oder eigenständig Grammatiken und Wörterbücher zu konsultieren, wurde im schulischen Alltag nur unzureichend gefördert. Der Fremdsprachenalltag scheint immer noch, wie wir an Beispielen weiter unten deutlich machen werden, an einem Konzept von Sprache als einem homogenen System orientiert zu sein, das man sich im Rahmen des Fremdsprachenunterrichts aneignen kann und das angelehnt ist an bestimmte literarische Traditionen und einen tradierten Kanon schriftlicher Texte, das aber den tatsächlichen Sprachgebrauch und die Variabilität der Fremdsprache Englisch ignoriert. 2. Spracherwerb und Sprachbenutzung: Grundwissen (Pflicht) und Können (Kür) Lebende Sprachen sind keine starren und geschlossenen, sondern offene, variable Systeme, die sich ständig verändern. Warum sie sich verändern, ist leicht zu beantworten: Sprachen existieren nicht per se, sondern als funktionale Kommunikationskodes für Benutzer, als dual kodierte Laut- und Schriftsymbolkodes, die aufgrund von gelernten Übereinkünften innerhalb der Sprachgemeinschaft als Anweisungen bzw. Bedeutungsauslöser für die Kommunikationsteilnehmer angesehen werden können. Sprachen werden nicht auswendig gelernt und als geschlossene Kommunikationssysteme von der Elterngeneration an die Kindergeneration übergeben oder von der Lehrergeneration an die Schülergeneration vermittelt. Sprachen werden vielmehr über einen längeren Zeitraum hinweg erworben bzw. gelernt im interaktiven Austausch von Lehrenden und Lernenden und im Rahmen eines bestimmten soziokulturellen Kontextes. 1 Spracherwerb heißt zunächst einmal, sich das sprachliche Handwerkszeug (Grundwissen) anzueignen, um in der Sprachgemeinschaft Kontakt aufnehmen und sich kognitiv und emotional austauschen zu können. Die Bausteine dafür bilden die Wörter einer .Sprache, lexikalische Einheiten, die referentielle und konzeptuelle Bedeutungen tragen. 2 Die kognitiven und konnotativen Bedeutungen werden 1 Hier kann keine Einführung in psycholinguistische Aspekte des Spracherwerbs gegeben werden. Ich verweise auf die Literatur: Ingram (1989) zum Erstspracherwerb; Klein (1984), Wode (1988) und Butzkamm (1989) zum Zweitspracherwerb. Siehe dort auch zur Terminologie: Erwerb vs. Lernen, natürlicher vs. vermittelter (institutioneller) Spracherwerb, Altersfaktor ("critical age") und Spracherwerbsdauer, die einzelne Autoren (und einzelne Schulen) unterschiedlich handhaben. 2 Hier kann keine Einführung in die Lexikologie bzw. die kognitive Semantiktheorie gegeben werden. Zur Modellierung des mentalen Lexikons vgl. Aitchison (1987). Eine gute Einführung in die moderne Lexikologie ist Lipka (1990). FLuL 22 (1993) Falsch oder anders? Überlegungen zu Fehlerbewertungen im Fremdsprachenunterricht ... 177 tradiert und können jederzeit verändert (etwa erweitert; eingeschränkt oder verschoben) werden, wenn sich die spezifischen Kommunikationsbedürfnisse und. -ziele einer Schülergeneration ändern. Transportiert werden die bedeutungstragenden Lexeme mit Hilfe eines regelgeleiteten grammatischen Systems. Neben .der grammatischen Kompetenz der Handhabung von Vokabular und Wortbzw. Satzgrammatik einer Sprache müssen die Kinder ,und Schüler auch lernen, in ihrer Sprachgemeinschaft interaktiv kompetent zu werden, d.h. sie müssen lernen; .die grammatischen Regeln und die Wörter einer Sprache relativ 'zu bestimmten Kontexten einzusetzen. Um sozial-interaktiv kompetent werden zu können, müssen fortgeschrittene Sprachenschuler lernen, ihr sprachliches Grundwissen in konkreten Sprachgebrauchssituationen anzuwenden und gegebenenfalls situativ zu variieren. 3 Jeder Sprachbenutzer sollte gelernt haben, daß es im Normalfall mehrere Möglichkeiten gibt, einen Sachverhalt oder einen Gedanken sprachlich auszudrücken und daß man aus den Möglichkeiten, die das Sprachsystem, der Handwerkszeugkasten "Englisch", bereit hält, eine Realisierung auswählen kann: , die der sprachlichen Situation am besten angemessen scheint. Sprachgebrauch auf "richtig" oder "falsch" eingrenzen zu wollen, heißt, die Chancen von sprachlichen Darstellungs- und Differenzierungsmöglichkeiten in der Wortwahl und dem Satzbau.zu verkennen und die Flexibilität und Variabilität von Sprachgebrauch nicht anzuerkennen. Natürlich sollte in der Sprachvermittlung Wert darauf gelegt werden, daß das Handwerkszeug (oder Grundwissen) sitzt: Ziel des elementaren Fremdsprachenunterrichts muß es sein, daß Sprachregeln . un: el Vokabular beim Sprachenlerner automatisch abgerufen werden können. Erst im fortgeschrittenen Unterricht mit dem Ziel der Heranbildung von kompetenten Sprechern in der unterrichteten Sprache, sollten Vokabeln und grammatische Regeln nicht nur automatisch eingesetzt, sondern auch bewußt ausgewählt werden können unter Zuhilfenahme von Wörterbüchern und Grammatiken als Entscheidungsgrundlage für die Angemessenheit von Wortwahl und grammatischen Mustern im konkreten Sprachgebrauch. Darüber hinaus ist .die Fähigkeit gefordert, mit Hilfe bestimmter kognitiver Strategien, die bereits den Erstspracherwerb begleiten und die im Uriterticht verstärkt gefördert werden könnten, das Sprachsystem, wie es im Handwerkszeugkasten der Grammatiken und Wörterbücher festgehalten ist, zu erweitern. 4 Erst mit Hilfe solcher Strategien' kann ein kompetenter Sprachbenutzer bestimmte Sprachspiele und situative metaphorische Extensionen vom konventionellen Sprachge- 3 Dies ist mit einfachen Worten ausgedrückt eine Forderung, die im Rahmen der kognitiven Wissenschaften unter dem Stichwort deklaratives vs. prozedurales Wissen modelliert wird. Für eine Übersicht aus der Perspektive des Fremdsprachenlernens vgl. Raabe (1991). 4 Ich gehe hier von einem Konzept von Kommunikationsstrategien aus, das Bialystok (1990) umfassend dargestellt hat. Vgl. dazu auch Wong-Fillmore (1979), die soziale und kognitive Strategien zusammenstellt. Eine (schülerzentrierte) Darstellung vom Umgang mit lexikalischen Problemstellen durch Lerner der Fremdsprache Englisch findet sich bei Haastrup (1991). FLuL 22 (1993) 178 Amei Koll-Stobbe brauch entschlüssseln. Die bewußte Anwendung von Strategien erfolgt im lehrerzentrierten Fremdsprachenunterricht viel zu wenig: Die Fremdsprache Englisch wird als ein fixiertes, standardisiertes System angesehen, das herausgelöst ist aus sprachkulturellen und soziokulturellen Entwicklungen und eingeschränkt auf zu produzierende und reproduzierende Struktur- und Vokabelbereiche, die an bestimmten Texttypen eingeübt werden. Daß dieses eingeübte Wissen von den Schülern in konkreten Situationen kontrolliert angewendet und erweitert werden kann, ist als Lernziel nicht ausdrücklich vorgesehen und kann innerhalb eines lehrerzentrierten Fremdsprachenunterrichts auch nicht erreicht werden. Werfen wir dazu einen kurzen Blick auf die Orthographie-Standardisierung des Englischen, die als Grundlage für die schulische Fehlerbewertung von englischer Orthographie dient, ohne daß die derzeit zunehmende Ausdifferenzierung orthographischer Pluralität insbesondere unter dem Einfluß der Computerkultur und der Divergenz von britischen vs. amerikanischen Graphien hier thematisiert werden könnte. Gerade die Aufweichung des orthographischen Standards ist aber ein Teil der Sprachkultur, den die Sprachenlerner in ihrem medialen Umfeld der Computer- Spiele, der Comics, insgesamt unter dem Einfluß der Pop-Kultur, täglich erfahren. Ein wesentlicher Teil ihrer täglichen Spracherfahrung ist die situativ mögliche Variabilität von Normen. 3. Fixierung und Kodifizierung von Sprachen: Grammatiken Die sichtbarsten Beweise für das Bemühen, Sprachen als ein System von Regeln und ihren Anwendungsmöglichkeiten zu fixieren, sind Grammatiken oder Sprachlehren. In diesen Grammatiken kann man naFhschauen, ob man eine bestimmte sprachliche Struktur "richtig" anwendet. Eine gute Grammatik ist im allgemeinen Sprachgebrauch eine, die uns eine Auflistung von Regeln gibt, mit deren Hilfe wir die Sätze (als die üblichen Transporteinheiten) der von der Grammatik modellierten Sprache bilden können. In allen heute auf dem Markt erscheinenden Sprachgrammatiken werden Regeln anhand einiger ausgewählter Beispiele eingeführt und illustriert. Die Struktur der Grammatiken wird von vielen Schülern als wenig benutzerfreundlich eingestuft: Grammatiken erscheinen dem Sprachenlerner weniger als eine Hilfe zur Organisierung und Festigung der grammatischen Kompetenz, denn als Konglomerat von eher desorientierenden, auf die jeweiligen Textbücher oder Schulbuchreihen abgestimmten grammatischen Fallstudien. 5 Grammatiken 5 Siehe dazu Rampillon (1991: 225), deren Kritik, daß Grammatiken lehrerorientiert statt lemerorientiert aufgebaut sind, auch von meinen Studenten an der Universität Kiel geteilt wird. Da es mir hier nicht darum geht, bestimmte Schulbuchverlage zu kritisieren, verzichte ich auf eine kritische Auflistung gängiger Grammatiken, möchte aber anmerken, daß ein verstärktes Augenmerk auf ein „benutzerfreundlicheres Lay-Out", farbige Graphiken und eine vermehrte Einfügung von Bildteilen noch nicht eine „bessere" (im Sinne von: für das Zielpublikum besser geeignete) FLuL 22 (1993) Falsch oder anders? Überlegungen zu Fehlerbewertungen im Fremdsprachenunterricht ... 179 werden in einem abstrakten Raum sprachlicher Gesetzmäßigkeiten erstellt" eine: pi verdichteten Schonraum des idealen Sprachgebrauchs der Klassenzimmer. Authentisches Material des tatsächlichen Sprachgebrauchs, das sich dem vereinfachenden Schema "regelgeleitet/ unregelmäßig") entzieht,. wird dabei : Qur in Ausnahmefällen einbezogen und zur Illustration eingefügt. Dieses gilt für alle Ebenen grammatikalisch erfaßten Sprachgebrauchs, sei es: idie Wortgrammatik, die Satzgrammatik oder die gramma,~ikalisch und lexikographisch fixierte Orthographie. Grammatiken (auch Schulgrammatiken) basieren,auf standardisiertem Sprachgebrauch. Der Prozeß der Standardisierung des Schrift-Englischen vollzog sich über viele Jahrhunderte und unterschied sich dabei recht deutlich von der Koclifizierung des Französischen. Während sich nämlich in Frankreich bereits im .17. Jahrhundert eine präskriptive institutionelle Handhabung der Orthographie durchgesetzt hatte, wurde in England trotz heftiger Kontroversen nie eine Akademie der Sprache eingerichtet und damit kein externes Instrument der -Sprachkontrolle wirksam. Dennoch wird der Sprachgebrauch normiert durch eine ausgeprägte soziale Kontrolle, die ausgerichtet ist auf einen brü1sc_hen (Received Pronunciation) und einen amerikanischen Standard (General American). Der Standard ist als eine Idee anzusehen, als eine Ideologie von Sprachgebrauch im komplexen Gefüge von sozialen, politischen und wirtschaftlichen Bedürfnissen6, die kodifiziert werden in den Grammatiken. Standards sind Abstraktionen von Sprachgebrauchsmöglichkeiten einer Sprache auf dem Hintergrund systematisierter, konstitutiver Regelmäßigkeiten und als solche lernbar und als Werkzeugkasten für den Fremdsprachenlehrer und -lerner der ersten Jahre der Fremdsprache unerläßlich. Inwieweit Standards aber den tatsächlichen Sprachgebrauch widerspiegeln, bleibt eine offene Frage. Wenn wir Abweichungen vom systematischen englischen Sprachgebrauch als Problemstellen ansehen wollen, so müssen wir zugeben, daß diese Problemstellen in den Textwelten der Zeitschriften, zeitgenössischen Romane und Gedichte relativ häufig anzutreffen sind. Um abweichende Wortbildungen, unbekannte metaphorische Extensionen etc. entschlüsseln zu können, müssen Sprachbenutzer zum einen mit den zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln umgehen lernen, zum anderen aber auch kommunikative Strategien der Problemlösung einsetzen und ihr Sprachwissen anwenden können, um z.B. über erkannte Teile und daraus entwickelten Hypothesen zu einer möglichen Antwort und Lösung der Problemstelle zu kommen. 7 Grammatik gewährleisten. Ein Versuch, grammatische Problembereiche neu zu organisieren und einfach ~zustellen, ist Crystal t 1988). 6 Vgl. dazu Milroy/ Milroy (1985: 22), die aber auch betonen, daß sich lediglich schriftlicher Sprachgebrauch voll standardisieren läßt im Sinne von Intoleranz gegenüber Variabilität. Derzeit erheben insbesondere der Feminismus und die Bewegung des "politically correct speaking" einen Anspruch auf soziale Kontrolle des Sprachgebrauchs. Unter ihrem Einfluß wurde z.B. die Wahlmöglichkeit von· generischen Pronomina im Deutschen' desautomatisiert. 7 Ein bekanntes Beispiel wären mögliche Entschlüsselungen über wortgrammatisches Wissen der FLuL 22 (1993) 180 Amei Koll-Stobbe 4. Lexikon: Schnittstelle von grammatischer Kompetenz und interaktiver Kompetenz Der Bereich des Lexikons einer Sprache, der sowohl das Vokabular der Sprache als auch das mentale Lexikon umfaßt, scheint so etwas wie die Schnittstelle zu sein, in der die Sprachteilkompetenzen zusammenfließen können. Das Lexikon beinhaltet eine Teilkompetenz für Satzmuster (syntaktische Kategorien, Subkategorien, Selektionsfeatures), eine Teilkompetenz für phonologische Kodierung und Dekodierung (phonologische Prozesse und Strategien) und eine Teilkompetenz für tatsächliche Gebrauchsanweisungen, die von Lexemen ausgehen. Darüber hinaus ist das Lexikon die Schnittstelle, über die der Sprachbenutzer das System situativ erweitern kann, indem er etwa ein Lexem metaphorisch erweitert, ironisch verdreht oder kreativ einsetzt. Ein Standard, so haben wir gesehen, ist die Norm einer Sprache, die sich vortrefflich dazu eignet, als Werkzeugkasten für eigentliche Gebrauchsmöglichkeiten dieser Sprache im wirklichen Leben zu dienen. Die Arbeit auf der Ebene des Lexikons einer Sprache soll die Lerner der Sprache in die Lage versetzen, zuerst mit Hilfe eines Grundwortschatzes und Basisregeln der Wortgrammatik in die sprachlichen Abbildungsmöglichkeiten von Bedeutungen hineinzuwachsen und dann aus lexikalischem Material Bedeutungen innerhalb und außerhalb des Klassenzimmers selbständig abzuleiten, aktiv zu produzieren und zu verstehen. 8 Dies sei nachfolgend an einigen Aspekten aus dem Bereich der Lexikologie veranschaulicht. Die Wortschatzarbeit legt dem Schüler nahe, daß ein bestimmtes Lexem eine bestimmte Bedeutung hat, die der Schüler als Vokabel lernen kann und soll. Ein bestimmtes Inventar von Vokabeln sollte der Schüler in seinem mentalen Lexikon gespeichert haben, um sich in der Fremdsprache verständlich machen zu können. Einen Grundwortschatz nennt man das meistens. Als Norm wird vermittelt, daß einem Lexem eine bestimmte Bedeutung zugewiesen ist. Dementsprechend können dann Vokabeln als richtig oder falsch abgerufen werden. Neologismen in Carroll's berühmten "Jabberwocky", das mit den Zeilen beginnt: "T'was brillig, and the slithy toves did gyre and gimble in the wabe" (Through the Looking Glass, Kap. 1 sowie die semantisierenden Erklärungen der Figur des Humpty Dumpty in dem gleichnamigen Kapitel). Auslegungen der Portmanteau-Bildungen in M. Gardner: The Annotated Alice. Harmondsworth 1970, 191-197. 8 Daß dies ein im Fremdsprachenunterricht noch sehr vernachlässigtes Gebiet ist, stellen Henrici/ Köster (1987) am Beispiel von Semantisierungsprozessen dar. Zur Problematik von Grundwortschätzen und zur Strukturierung von Wortschatzvermittlung vgl. Carter (1987: Kap.' 2 und 7). Eine Studie zum Umgang von Schülern mit unbekanntem lexikalischen Material anhand von "thinking-aloud protocols'' ist Haastrup (1989). Eine praktische Übungseinheit für schülerzentriertes Worterkennen ist Koll-Stobbe (1991). Koll-Stobbe (1992) stellt produktive und konstruktive Wortbildungsprozesse des Englischen anhand von authentischem Material vor. Ein lexikogtaphisches Hilfsmittel für innovativen Sprachgebrauch ist Algeo (1991). FLuL 22 (1993) Falsch oder anders? Überlegungen zu Fehlerbewertungen im Fremdsprachenunterricht ... 181 Wenn wir aber über einen einfachen Grundwortschatz hinausgehen, merken wir sehr bald, daß für das Englische das normierte Prinzip ein Lexem = eine Bedeutung eher die Ausnahme ist. Lexeme,. so stellen wir bald fest, sind im Normalfall polysem, d.h. sie können mehrere Bedeutungen tragen, die entweder als Homonyil)e erkennbar werden (auch hier in der Semantik wie in der Orthographie die Orientierung an der Etymologie) oder als bedeutungsverwandte Wörter aufgeführt werden. Verdeutlichen will ich das am Lexikon-Eintrag des Adjektivs cool. Wenn wir deutsche Sprecher bitten, uns die primäre Bedeutung von cool zu umschreiben (sie also bitten, in ihrem mentalen Lexikon nachzuschlagen), ohne daß wir einen Kontext ang~ben, so geben die meisten der Eltern- und Lehrergeneration das Adjektiv cool in der primären Bedeutung mit dem in allen großen Wörterbüchern zum Englischen ersten Eintrag wieder: "neither warm nor very cold, pleasantly cold". Für die Schülergeneration hingegen ist die primäre Bedeutung von cool eine andere: "great, excellent, phantastic": 9 Darin mag zum einen ein Rück~ Transfer des im Deutschen lexikalisierten cool mit der Bedeutung von „toll..." zum Ausdruck kommen, zum anderen aber auch ein genereller Einfluß der amerikanischen Jugendkultur, in der das Konzept "cool" einen wich~igen Stellenwe~ im Sozialverhalten abbildet. 10 Ein Lexem kann mehrere Bedeutungen tragen und keine davon ist richtiger als die andere: Die im mentalen Lexikon der Sprachbenutzer vorrangige Bedeutung kanq durchaus divergieren. Welll} Schüler den Bereich des Grundwortschatzes sicher beherrschen, sollten sie Vokabeln nicht mehr isoliert lernen, sondern angeleitet werden, diese in verschiedenen Koniexten durchzuspielen, um Variabilität und situative Adäquatheit von Lexemen und ihren möglichen Bedeutungen einzuüben. Interessant ist die Variabilität der Lexikoneinträge zu cool in Wörterbüchern: Im Third Webster's und im Random House Dictionary (also den aktuellen großen amerikanischen Wörterbüchern) wird cool in der Bedeutung "great, excellent" mit slang markiert und aufgeführt. Im altehrwürdigen New English Dii: tionary (1888), dem Vorgänger des Oxford English Dictionary, findet sich unter cool 4 der folgende Bibelbeleg (Prov. XVII): A man of vunderstanding is of an excellent (marg: coole) spirit (1611). Darf ein repräsentatives Lernerlexikon deshalb cool in diesem Gebrau_chszusauimenhang als "old-fash(ioned) sl(ang)" bezeichnen, wie das Longman Dictionary of Contemporary English [1991), s.v. cool adj 6? Sprachgebrauch und Wortbedeutungen, so sehen wir an diesem einfa~hen Beispiel aus dem tatsächlichen Verständnis und Gebrauch eines Lexems, verändern sich. Während die Elterngeneration eine primäre Bedeutung von cool in ihrem mentalen Lexikon gespeichert hat, variiert die Bedeutung von cool, die die Schülergeneration abrufen kann in Abhängigkeit vom Kontext. Eine einfache Kategorisierung dieses Phänomens als "richtigere" Bedeutung von cool würde diesen Aspekt von Sprachbewußtsein verwischen. 9 Diese Vermutung wurde in einer Umfrage, die meine Studenten im WS 92/ 93 durchführten, tendenziell bestätigt: n=15 (jünger als 30) und n=12 (älter als 30). 10 In diesem Zusammenhang sei auf die Teenager Kult-Fernseh-Serie "Beverly Hills 90210" hingewiesen, bei der in einer Folge.vom Jan. 1993 cool mit der Bedeutung.von „toll, super gut, ..." gleich 16mal verwendet wurde. FLuL 22 (1993) 182 Amei Koll-Stobbe 5. Sprachbewußtsein: Die Norm und die Vielfalt Wenn wir uns die englische Sprache, wie sie heute in der Welt verbreitet ist, anschauen, so finden wir eine Fülle von unterschiedlichen Subsystemen des englischen Kodes, die wir als Varietäten bezeichnen. Es gibt Standards, wie das Britische Englisch (RP), und regionale Dialekte wie z.B. das Liverpudlian oder Scouse. Funktionale Varietäten (wie Fachsprachen und Englisch als internationale Verkehrssprache) nehmen insbesondere in der Fremdsprachenausbildung aufFachhochschul- und Hochschulniveau einen breiten Raum ein, und die Beherrschung einer oder mehrerer funktionaler Varietäten ist für den beruflichen Alltag einer zusammengewachsenen Welt mit einer dominierenden Weltsprache Englisch unerläßlich geworden. Dennoch trägt die sprachliche Ausbildung in den Leistungskursen an den Gymnasien dem zu wenig Rechnung. Oft werden stilistische Varietäten, wie der poetische Sprachgebrauch, als einziger Bereich des funktionalen Varietätenkomplexes aufgegriffen. 11 Der Komplex von Varietäten, der meistens einfach "Englisch" genannt wird, ist ein heterogener Schmelztiegel von Wortschätzen und Grammatiken, die dem Sprachbenutzer als Reservoir dienen können, wenn er Englisch sprechen oder schreiben möchte. Wissen davon und darüber eröffnet dem Sprachbenutzer und fortgeschrittenen Sprachenlerner eine Vielzahl von Wahlmöglichkeiten, wenn er bestimmte Sachverhalte auf Englisch versprachlichen will. Eine warme Abendmahlzeit etwa kann als brai, als dinner, als tea oder als supper angekündigt werden, die mehr oder weniger angemessen bezüglich ihrer konzeptuellen und situativen Adäquatheit sein können, wie wir gleich sehen werden. Gemeinhin als synonym verwandt vorgestellte Wörter sind fast nie echte Synonyme, sondern bestenfalls deskriptive Synonyme, wie bei den obigen Beispielen supper, tea und dinner. Umgekehrt kann grundsätzlich jedes Lexem auch mehrere Bedeutungen tragen (Polysemie), wie das obige Lexem tea, dessen Bedeutungen mit der wichtigen Stellung des Getränkes „Tee" innerhalb der britischen Eßkultur zusammenhängen. Wissen um die Vielfalt und die Variabilität des Wortschatzes einer Sprache ermöglicht es fortgeschrittenen Sprachenlemem, die Dimension der situativen Adäquatheit, die die Wortwahl des tatsächlichen Sprachgebrauchs bestimmt, spielerisch zu ertasten. Dem durch die Muttersprache vorgegebenen Begriff „Abendessen", unter dem sich verschiedene Konzepte je nach Region und Familientradition verbergen können, werden im Englischen gleich drei im oben eingeführten Sinne synonym verwendbare Begriffe gegenübergestellt: dinner, supper und tea. Im schulischen Kontext wäre denkbar, daß der Lehrer nur ein Lexem der oben aufgeführten Wörter im Rahmen seines Unterrichts als "richtig" akzeptiert und die Wahl eines der anderen Beispiele mit „falsch" ahndet, weil er eine Auseinandersetzung mit lexikalischer Variabilität scheut oder weil nur e i n Zielwort in seiner spezifischen Lehreinheit festgelegt ist. Im Rahmen eines Anfängerunterrichts wäre dagegen nichts einzuwenden, im Rahmen eines Fortgeschrittenen-Unterrichts in der Oberstufe dagegen müßten Lexeme als sprachliche Repräsen- 11 Als Handbuch für den Lehrer ist zu empfehlen: Gramley/ Pätzold (1992). Ein aus der Sicht der Sprachgebrauchslinguistik auch im Kontext der gymnasialen Oberstufe einsetzbares Textbuch wäre: M. O'Donnell / L. Todd: Variety in Contemporary English. London 1991. FLuL 22 (1993) Falsch oder anders? Überlegungen zu Fehlerbewertungen im Fremdsprachenunterricht ... 183 tationen von kulturellen Konzepten, die relational in einem lexikalischen Feld angelegt sind, verstanden werden als Einübung in Sprach- und Kulturbewußtsein. Eine sprachgebrauchsorientierte Anwendung von lexikalischen Konzepten zu Abendessen könnte dann etwa so aussehen (« ....... » = denotative Bedeutung; kursiv = konnotative Bedeutung): DINNER «Principal meal of the day», formal meal wÜh distinct courses Ifamily eating around a table / marked regional and sodal dijferences in style and type of food involved barbecue [funktionale Variante] «open-air party at which meat is roasted», informal gathering and meal most popular in the summer • formal variant B.B.O. T.V. dinner [funktionale Variante] «pre-prepared evening meal, typically heated in microwave», junkjood consumed while engaging in some other activity at the same time brai [regional-funktionale Variante] "open air party at which meat is grilled", regionally restricted to South African English SUPPER «a meal taken at the end of the ·day», light meal served late in the evening as the last snack of the day I evening meal when dinner is taken at midday I maybe socially and regionally marked dijferences in type and style of f ood TEA <~solid evening meal» or «light afternoon meal», regionally and! or socially marked as "high tea" / with or without accompanying hot drink Das oben vorgestellte kleine lexikalische Feld stellt Aspekte der denotativen und konnotativen Abgrenzung von Lexemen vor (z.B. barbecue ist denotativ von dinner abgrenzbar, tea ist (zumindest in einer denotativ mit dinner überlappenden Bedeutung) konnotativ von dinner abgrenzbar) und Aspekte der Abgrenzung über sozial oder regional eingeschränkte Gebrauchsmöglichkeiten (z.B. brai vs. barbecue), des weiteren funktionale und formale Auswahlmöglichkeiten (T.V. dinner und B.B.Q.). Wortschatzarbeit mit dem Ziel des Erreichens einer interaktiven Kompetenz muß deskriptive Adäquatheit in der Wortauswahl auffächern in Richtung auf eine konzeptuelle und sprachliche Genauigkeit bezüglich eines bestimmten, durch die Sprachgebrauchssituation vorgegebenen Kontextes. Während der Schüler der ersten Jahre „richtig" reagiert, wenn er die Abendmahlzeit allgemein mit dinner'wiedergibt, so muß von einem Abiturienten, der Englisch im Leistungskurs belegt hatte, erwartet werden können, daß er das allgemeine Konzept relativ zu der gegebenen Situation sprachlich genau abbilden und die regionalen und funktionalen Umstände in seiner Wortwahl berücksichtigen kann. 6. Sprachbewußtsein im Klassenzimmer: Reproduktion vs. Verstehen Eine an starren Normen orientierte Sprachvermittlung, die Sprache als ein starres Bauwerk und nicht als lebendigen Organismus versteht, hat für die Vielfalt der Sprachrealität keinen Platz und kann das weite Feld der kulturell-funktionalen Ausdifferenzierungsmöglichkeiten nicht adäquat miteinbeziehen. Abweichungen werden nur festgestellt und als fehlerhaft bewertet, aber nicht als prinzipielle Möglichkeit des sprachlichen Verhaltens ertastet und als Möglichkeit der schüler- FLuL 22 (1993) 184 Amei Koll-Stobbe zentrierten Verlagerung der Aufmerksamkeit. 12 Die Verlagerung der Aufmerksamkeit oder kognitive Reorganisation von Wissen in konkreten Anwendungen wird auf der Ebene der Wortschatzarbeit nicht erst im fortgeschrittenen Fremdsprachenunterricht wichtig, wenn es darum geht, einfache „richtige" Lexeme durch situativ adäqµatere, genauere Lexeme zu ergänzen und damit die Ausdrucks- und Verstehensfähigkeiten der Sprachenlerner zu vervollkon,imnen. Ausdifferenziertere und komplexere Wortschätze. entziehen sich in sehr viel stärkerem Maße einer einfachen, im Schonraum des Klassenzimmers möglichen „richtig"falsch" Kategorisierung, wie wir oben gesehen haben. Die Fähigkeit, situativ adäquat Lexeme anzuwenden, ist eine grundlegende Fähigkeit, um interaktiv kompetent in der Fremdsprache auftreten zu können, die wenn auch unbewußt bereits in den elementaren Grundwortschätzen des Fremdsprachenunterrichts angelegt wird. Dabei scheint den Schulbuchautoren oft nicht bewußt zu sein, daß sie über Sprachvermittlung auch soziales Verhalten einüben lassen. Dieser das Sprachverhalten beeinflussende Begleitaspekt einfacher Wortschatzübungen sei nachfolgend beispielhaft an einem Schulbuchtext (English G, C2. Berlin 1981) erläutert. Im Rahmen einer Texteinheit zu London werden vor allem zwei Stadtteile von London in der Wortschatzarbeit zueinander in Bezug gesetzt über Konzepte, die sich in den Wortarten Nomina und Adjektive wie folgt abbilden (English G, Unit SA, S. 61 t): Einfache situative und strukturelle Wortschatzarbeit: Beispiel London WEST END Nomina tourists, sights, shops, department stores, attractions, restaurants, theatres, cinemas, night clubs, traffic jam Aqjektive famous, big EAST END Nomina immigrants, West lndies, blocks of flats, ghetto Adjektive rather poor, old, ugly Die einfache Strukturierung Londons in einen gutbekannten Stadtteil ("part of London that most tourists know best"), visuell durch mehrere Farbfotos unterstützt (S. 60-62), und einen anderen Stadtteil, der durch die Antonymisierung des gutbekannten Stadtteils eingeführt wird ("there aren't many big department stores, theatres or even cinemas"), bildlich untermauert durch ein Schwarzweißfoto (S. 63), wird sprachlich untermauert durch Nomina und Adjektive, die das "West-End" mit positiven sozialen und kulturellen Inhalten belegen, wie aus der obigen Übersicht 12 Butzkamm (1989: 131 f) kritisiert in einem ähnlichen Zusammenhang den ständigen Produktionszwang im Klassenzimmer, der einen bewußten und kontrollierten Verarbeitungsprozeß von Sprache eher verhjndert. FLuL 22 (1993) Falsch oder anders? Überlegungen zu Fehlerbewertungen im Fremdsprachenunterricht ... 185 zu ersehen ist, während das "Bast-End" durch Nomina und Adjektive repräsentiert wird, bei denen negative Bedeutungen mitschwingen. In dieser Übungseinheit werden neue Wörter der Fremdsprache gelernt, deren Auswahl einem sozialen Klassifikationsschema unterliegt, das weder der Komplexität von sozialen Strukturen noch der möglichen Abbildung dieser auf sprachliche Strukturen gerecht wird. Ein Versuch, schülerzentriertes Mitdenken und Verstehen der über die eingeführten Vokabeln angerissenen Konzepte zu erreichen, unterbleibt. Fremdsprachenunterricht als Fremdverstehensunterricht, wie er in der letzten Zeit gefordert wird (vgl. Hunfeld ·1992), ist mit solchen Übungseinheiten nicht machbar. Einführung in andere Kulturräume über.den Fremdsprachenunterricht unterliegt einer besonderen Verantwortung: Das Andere, das' Fremde, .das Abweichende abweichend von unserer, als Standard angesehenen sprachlichen und gesellschaftlichen -(homogenen und monolingualen) Kultur muß kognitiv und sozial begreifbar gemacht werden durch. eine sprachliche Ausbildung, die ein Verstehen der Kultur ermöglicht.· Das Initiieren von regionalem Wortschatz als einfache Reproduktionsleistung von Vokabular alleine ermöglicht -dieses Verständnis noch nicht. 13 Erst in einer schülerzentrierten Erarbeitung von Variabilität in der Wortwahl können Schüler Abweichungen verstehen als kulturell und situativ angemessene Alternativen und Möglichkeiten der Differenzierung. In der Wortwahl entscheidet der Sprachbenutzer sich nicht nur für eine deskriptive Bedeutung, sondern auch fiir eine kodierteinteraktiv-soziale Bedeutung. Erst, wenn dies im Sprachunterricht begriffen wurde, können lexikalische Abweichungen helfen, die sprachlich soziale Kompetenz und damit letztendlich das den nicht nur grammatisch, sondern auch interaktiv und sozial .kompetenten Sprachbenutzer. auszeichnende Vermögen zu schulen, zwischen dem zu diskriminieren, was einer sagt, und dem, was er meint. 7. Regeln wid,Rege~eichwig: Sozial-in~ Kompetenz Wenn wir davon ausgehen, daß Sprachen KommunJkationssysteme sind, die auf Regelbefolgung fußen, dann ergibt sich auch die Frage,. was bei Regelabweichung passiert. Was sind sprachliche Regel,i? lnl Grunde nichts anderes als -spezifische Konventionen oder Tendenzen sprachlichen Handelns, die im Sinne der oben angestellten Überlegungen jederzeit änderbar sind. Dementsprechend läßt uns sprachlk; hes Handeln Spielräume, die wir auszugestalten lernen können. 13 So ist es zwar löblich, daß Schulbücher derzeit vermehrt Witze, regionale Lieder etc. in ihre Übungsteile integrieren, die Aufbereitung ist aber lehrerzentriert, d.h. dem Schüler werden im Buch selbst keine Orientierungshilfen gegeben, die über eine rein deskriptive Beschreibung des Vokabulars hinausgehen. Ein Beispiel dazu aus English G (BS). Berlin 1989 (Unit 5) zu Australien (Lied: "Waltzing Matilda"): Mit der Einführung der Vokabel swagman als "Landstreicher, Tramp" bleibt die konzeptuelle Bedeutung vage, da die Aufbereitung der kulturellen Idee durch die referentielle Bedeutung allein nicht verstehbar werden kann. FLuL 22 (1993) 186 Amei Koll-Stobbe Abweichungen von der Norm stellen eine prinzipielle Möglichkeit sprachlichen Verhaltens dar (vgl. Cherubim (Hrsg.) 1980: VIII), und das Bewußtsein dafür sollte eingeübt werden. Das impliziert, daß es wichtig ist, im Sinne von Corder (1973: 259) zwischen zufälligen oder „fehlerhaften" Abweichungen, lernbedingten und intendierten Abweichungen zu unterscheiden (vgl. dazu auch Cherubim 1980: 137). Abweichungen vom Sprachsystem werden im besseren Sinne benutzt, um Lernfort- oder -fehlschritte von Lernern zu diagnostizieren und zu therapieren (und sind somit auch als Feedback für den Lehrenden von Wert); im schlechteren Sinne aber fungieren sie lediglich als methodisch einfacher Bewertungsmaßstab für Korrekturen und Notengebungen. Butzkamm (1989: 131 f) stellt heraus, daß in der Institution Schule sprachliche Abweichungen selten im komplexen Zusammenhang von strukturellem und situativem Sprachverstehen evaluiert werden und als unterrichtsspezifische Fehler auftauchen können bei unter ständigem Produktionszwang stehenden Sprachenlernern. 14 Soll man Sprachenlerner vorzeitig in ein Korsett von falschen vs. richtigen sprachlichen Reaktionsweisen einzwängen, oder soll man in ihnen das Bewußtsein dafür wecken, daß Sprache ein bewegliches, offenes, regelgeleitetes, aber mit kreativen Spielräumen versehenes Kommunikationssystem ist und Abweichungen bewußt in den Sprachlernprozeß integrieren, um die Strategie des Aufmerksamkeitswechsels einzuüben? Sprachenlernen ist ein Risiko, das die Schüler eingehen. 15 Was kommt dabei heraus, wenn der Unterricht nur lehrerzentriert ist im Schonraum der Grammatiken und Grundwortschätze, wenn der Lehrer kein Risiko eingehen muß? Im Rahmen einer nur an der Norm orientierten Sprachvermittlung werden die virtuellen Muster eingeübt und verfestigt über eine kategoriale Beurteilung von falschem vs. richtigem Beherrschen dieser Muster. 16 Die Gefahr dieser Art von Fremdsprachenunterricht liegt darin, daß durch die vereinfachende Grobkategorisierung, die der Komplexität tatsächlichen Sprachgebrauchs in keiner Weise gerecht wird, Sozialverhalten eingeübt wird. In multikulturellen und multilingualen Klassenzimmern und einer vom Englischen als funktionaler Weltsprache der Wirtschaft und Unterhaltungskultur durchdrungenen Spracherfahrung hat sich das Sprachbewußtsein der Schülergeneration verändert: Sie erfahren täglich in den Medien, daß Sprachen offene Systeme sind und müßten im Sprachunterricht lernen, damit kognitiv und 14 Kritisch mit der Fehlerbewertung setzt sich Ellis (1990: Kap. 4) auseinander und betont, daß die Fehlerquelle beim Schüler, aber auch beim Lehrer liegen kann (vgl. ebenso Bahns 1985). Klein (1984: 121 f) diskutiert die Variabilität von Grammatikalität und situativem Kontext, den er „Beiwissen" nennt, am Beispiel von Ich Brot. Vgl. dazu kritisch auch Knapp-Potthoff/ Knapp (1982: 34ft) und Wode (1981). 15 Ein beträchtliches Risiko ist dabei die vom Schüler nicht wählbare Vermittlungsinstanz von Fremdsprache, nämlich der Lehrer und seine Fähigkeiten (vgl. dazu Timm 1992: 5). 16 Zu einer Übersicht zur Entwicklung und Problematik der Fehlerbewertung im Englischunterricht vgl. Timm (1992). FLuL 22 (1993) Falsch oder anders? Überlegungen zu Fehlerbewertungen im Fremdsprachenunterricht ... 187 interaktiv bewußt umzugehen. Die Einbeziehung von Variabilität des tatsächlichen Sprachgebrauchs (und damit auch Abweichungen in und von der Zielsprache) würde die sozial-interaktive Strategie der "richtig-falsch" Beurteilung von Sprachverhalten aufbrechen und das den tatsächlichen Sprachgebrauch steuernde regulative Prinzip der „Angemessenheit" von Wortwahl und grammatischen Mustern für den Sprachenschüler einübbar machen. Das Vorstellungsvermögen von Alternativen (als ein wichtiger Bereich interaktiver Kompetenz) wird trainiert, wenn Sprachbenutzer nicht nur passiv-reaktiv geschult werden, sondern auch kognitiv-aktiv mit Problemlösungen (etwa bei Abweichungsphänomenen) und Strategien ihrer Handhabung umgehen lernen. Es ist erwiesen, daß Sprachbenutzer mit differenzierterem Wortschatz genauer, detaillierter und flexibler mit Sprache umgehen können. 17 Der Fremdsprachenlerner hat ein Recht auf Fehler, ein Recht auf Abweichungen und ein Recht darauf, darüber informiert zu werden, was dahinter steckt. 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FLuL 22 (1993) Ferdi Einert Zwfeldmäßigen Gliederung des verbalen Wortschatzes Eine Darstellwig aus der Perspektive einiger sowjetischer und ostdeutscher Untersuchungen Al>stract. The initial points of this contribution are the classical field and onomasiological theories in connection with the modern functional-semantic conception of fields. In Soviet linguistics the treatrnent of verbal phrases is demonstrated by a lexico-semantic method, establishing so~called lexico-semantic groups of verbs (LSG). Some Soviet investigations and results of some East-German thesis are presented anJi discussed. This concems phenomena of standard language and, in particular, language for special purposes. The presentation and classification of verb groups have communicative relevance. Methods and models of predicative operators and other differenciated linguistic realizations are demonstrated. Possibilities of subject realizations are presented. 1. Einleitende Bemerkungen Ende der sechziger Jahre lenkte das Verb als Zentrum der prädikativen Aussage die Aufmerksamkeit auf sich. Tesnieres Valenzgedanke (1959) wurde wiederaufgegriffen, indem man vor allem versuchte, ihn für Unterrichtszwecke nutzbar zu machen (Helbig 1965). Zunächst wurde dies am Beispiel des Deutschen demonstriert; es folgten Untersuchungen zu den im Osten Deutschlands am meisten unterrichteten Fremdsprachen wie Russisch und. Englisch, einige Zeit später auch zum Französischen. Diese Applikationen blieben in der Regel dem Helbigschen Dreistufenmodell verhaftet. Schon bald stellte sich heraus, daß dieses syntaktisch ausgerichtete Modell einer semantischen Präzisierung bedurfte. Die Notwendigkeit der näheren semantischen Beschreibung wurde von Helbig nie bestritten, sie wurde aber für zu kompliziert gehalten. Die Vertreter einer primär semantischen Valenzauffassung wie Bondzio (1969) und Mühlner (1972) um nur zwei zu nennen ließen sich von solchen Argumenten nicht beeindrucken. Wenn sich auch beide Richtungen im primären Herangehen an die Valenzdarstellung unterscheiden, so war dennoch zu erkennen, daß ihnen die Beachtung syntaktischer u n d semantischer Relationen als wesentlich erschien. So betonten Mühlner/ Radtke (1973) zu Zeiten umfangreicher einzelverbaler Valenzbeschreibungen Anfang der siebziger Jahre, daß valenzbedingte Satzkonfigura- FLuL 22 (1993) 190 Ferdi Einert tionen mit der gleichen Allgemeinbedeutung Klassen von Sätzen bilden, die einen semantischen Satztyp konstituieren. Unter Bezugnahme auf die funktionale Sprachbetrachtung in der sowjetischen Linguistik (Bondarko 1971) erfolgte sowohl in der damaligen DDR als auch in der Sowjetunion eine semantisch ausgerichtete Sprachbetrachtung unter funktionalkommunikativem Aspekt. Das Ziel dieser Betrachtungsweise bestand darin, Sprachmittelkomplexe zu entsprechenden Sachverhaltsklassen aufzustellen und sie unter Nutzung des Feldgedankens zu ordnen. Die Beschreibung von Einzelverben (Belkina 1972) machte auf Feldbeziehungen aufmerksam; mehr und mehr stellten auch Begriffsfelder wie „Furcht" (Rastocinskaja 1975), "Ziel" (Zubova 1975), "Mitteilen" (Kroll' 1969) u.a. den Ausgangspunkt für die Darstellung der entsprechenden Lexik dar. Im prädikativen Bereich kristallisierten sich sogenannte lexikalischsemantische Gruppen (LSG) heraus. Bei ihrer Darstellung fanden lexikalischsemantische und grammatisch-syntaktische Aspekte gleichermaßen Beachtung. Aus unterrichtspraktischen Bedürfnissen heraus entstand die Notwendigkeit, die prädikativen Ausdrucksmittel für den Fremdsprachenunterricht zu beschreiben. Die Untersuchungen waren zumeist konfrontativ angelegt. Neben LSG zur Gemeinsprache existieren auch Darstellungen zu Kommunikationsbereichen der Fachsprache. Dahinter stand das Bemühen, den verbalen Wortschatz bestimmter Kommunikationsbereiche in seiner Gesamtheit darzustellen. Nach diesen einleitenden Bemerkungen sollen im folgenden einige Arbeiten zu dem skizzierten Problemkreis ein wenig näher vorgestellt werden. 2. Lexikalisch-semantische Gruppen Die Hinwendung zu relevanten lexikalisch-semantischen Gruppen (LSG) der verbalen Phrase ist in der Sowjetunion seit Anfang der siebziger Jahre zu beobachten. Es sind Arbeiten zu verschiedenen Sprachen vorgelegt worden. Novoselova (1972) wandte sich den Verben des 'Schaffens/ Kreierens' im Russischen zu. Sie wollte den inneren Aufbau einer homogenen Gruppe untersuchen, um allgemeingültige Gesetzmäßigkeiten zu ermitteln. Ausgebend von der allgemeinen syntagmatischen Strukturformel SN + V + SA + izSG unterscheidet sie: 1. Verben mit der Hauptbedeutung des 'Schaffens': nähen, weben, flechten, schmieren, prägen, zwirnen, modellieren, zuschneiden, u.a. 2. Verben mit abgeleiteter Bedeutung des 'Schaffens': drehen, schleifen, schneiden, hobeln, meißeln, legen, rollen, fällen, u.a. 3. Verben mit verallgemeinerten Bedeutungen des Typs: machen, erzeugen, errichten, produzieren, schaffen, erfüllen, bereiten, u.a. Bei der Beschreibung von lexikalisch-semantischen Gruppen (LSG) ergibt sich folgende Hierarchisierung: FLuL 22 (1993) Zur feldmäßigen Gliederung des verbalen Wortschatzes 191 (a) ein Zentrum mit kategorietypischer Lexik (b) eine Spezialisierung um das Zentrum mit erhöhtem Semantisierungsgrad (c) eine Peripherie mit Bedeutungsverdünnung und funktionalen Mitteln (vgl. Abramov 1980, Klepikova 1980). Das ermittelte Sprachmaterial ordnet sich um eine Invariante. Bystrova/ Kapatruk/ Levickij (1980: 75) sprechen vom Gruppen- oder Identifikationswort als demjenigen, das den „Begriff, die Idee in allgemeiner, abstrakter und neutraler Form" ausdrückt. Nefedova ( 1983) bezeichnet die semantische Invariante als „Stützelement" ("oporny element"), das kein Lexem, sondern die allgemeine Bedeutung ist, um die sich andere artverwandte Bedeutungen gruppieren. Stütztind Erweiterungsmerkmale ("dopolnitel'nye") befinden sich in kombinierten mehrstufigen Abhängigkeiten der semantischen Merkmale zueinander. Unsere Vorstellungen über den Aufbau und das Funktionieren der Sprache werden dadurch bereichert; neue Aspekte treten zutage; was auch die Forschungsmethodologie beeinflußt (vgl. Klepikova 1980: 83). In jüngeren Arbeiten zur lexikalischen Semantik unternehmen sowjetische Forscher den Versuch, den gesamten verbalen Wortschatz bestimmter Kommunikationsbereiche zu klassifizieren und zu beschreiben (Kil'dibekova 1986, Gridneva 1987, Verebenko 1987). Im verbalen Bereich unterscheidet Astrameckaja (1984: 11) "nichtfachwortspezifische und terminologische Verben", wobei sie letztere in engspezialisierte "fachwortschatzspezifische") und in fachbezogen verwendete Verben unterteilt. Bei den Verben von „Umwandlungsprozessen" nimmt sie folgende Aufteilung vor (vgl. Astrameckaja 1984: 19): aussteuern= modulieren (de-, auf-, vor-, über-, zeit-, geschwindigkeits-, kollektor-, rechteck-, helligkeits-, amplituden-, puls-, pulsphasen-, dichte-, stromdichtemodulieren) frequenzumsetzen = frequenzmodulieren (hochfrequenz-, niederfrequenzmodulieren) verschlüsseln = kodieren (impulsverschlüsseln, impulszahl-, impulsphasen-) entschlüsseln = dekodieren umspannen = transformieren (hinauf-, herauf-, hoch-, hinabtransformieren) quantisieren (amplitudenquantisieren) gleichrichten (invertieren, rückkomplementieren) detektieren generieren. Bei den Untersuchungen zur Fachsprache des Nachrichtenwesens Französisch traten die soeben vorgestellten Verben auch in Erscheinung. Die Verben des „Umwandelns" wiesen eine Untergliederung nach qualitativen und quantitativen Merkmalen der Zunahme, Abnahme, Nivellierung und Zielerreichung aus. Je nach der Sichtweise sind die obigen Verben auch anderen Gruppen zuordnungsfähig: detektieren ➔ Empfangen, generieren ➔ Schaffen, Erzeugen (vgl. Einert 1987). Bei Grecko (1986: 16) war die Betrachtung „ornativer Beziehungen" in der Gemein- und Fachsprache interessant. In der Gemeinsprache ermittelte er eine "zeit- FLuL 22 (1993) 192 Ferdi Einert weilige Lagebeziehung": Das Glas ist mit Wasser gefüllt. In der Wissenschaftssprache werden die ornativen Beziehungen zum Wesensmerkmal der Ganzheit abgewandelt, wobei eine Hierarchie der „wechselseitigen Anordnung der Elemente technischer Vorrichtungen" erschließbar ist. Das neu entstandene technische Objekt wird auch als „Resultativ" bezeichnet: Das Betriebssystem ist modular aufgebaut. Alle Geräte sind mit einer frei programmierbaren Steuerung ausgerüstet. Der Verfasser.widmet sich dem Mikrofeld der Zweckbestimmung, wozu er entsprechendes lexikalisches Material auflistet: dienen zu, geeignet sein für, anwenden, haben, bestehen in. Diese LSG hat in technischen Fachsprachen eine große Vorkommenshäufigkeit, so daß sie Beachtung verdient (vgl. Einert 1987: 7-77). Den Beschreibungsverfahren ist bislang die ausführliche Darstellung von einfachen und komplexen Feldern eigen. Die Versuche, den Wortschatz einer Wortart zu einem bestimmten Kommunikationsausschnitt zu systematisieren, sind belegt. Allerdings wurde die entsprechende Aufbereitung für Unterrichtszwecke immer wi~der bemängelt. Erste Ergebnisse legte zum Franzqsischen hierzu Forner (1990) vor. Dem gleichen Anliegen war das von ihm veranstaltete Fachsprachen-Kolloquium zur „Internation~len Projektierung" an der Universität und Gesamthochschule Siegen 1991 gewidmet. Forner stellte dabei Funktionsverbgefüge, Relationsverben geometrischer Texte und Redemittel zu negociation und quantification vor. Ein Übungsapparat in Gestalt von Transformations- und Formulierungsübungen wurde vorgestellt, um die demonstrierten Valenzbeziehungen unterrichtsbezogen (sprachpraktisch) aufzubereiten. Der Nutzen einer Beschreibung verbaler Gruppen läßt sich dahingehend zusammenfassen, daß Systembeziehungen des Lexikons aufgezeigt werden, die durch entsprechendes Wortgut zentral und peripher ausgewiesen werden. Damit bekommt der Sprachnutzer eine Orientierungshilfe an die Hand, zu der er entsprechend seinem kommunikativen Bedürfnis Ergänzungen vornehmen kann, da es sich um ein offenes und „umfunktionierbares" System handelt. Die sichere und in ökonomisch vertretbarer Zeit zu realisierende Illokution soll dadurch .unterstützt werden. Sowohl die Gestaltung des Fremdsprachenunterrichts als auch Dolmetscherleistungen dürften davon profitieren. Derartige Muster für den Fremdsprachenerwerb wirken sich auch positiv für die Kommunikation in der Muttersprache aus. Das Sprachmaterial wird bewußter und in einer größeren Ausdrucksvarianz eingesetzt. Die Angst vor Vokabellücken zur Bewältigung der Prädikation geht zurück, weil durch kognitive Bewußtmachung die Verfügbarkeit lexikalischer Mittel gefördert wird. 3. Ostdeutsche Untersuchungsergebnisse Im Rahmen dieses Beitrages kann nur auf einige interessante Arbeiten verwiesen werden, die sich in die Bemühungen um eine Systematisierung des verbalen Wort- FLuL 22 (1993) Zur feldmäßigen Gliederung des verbalen Wortschatzes 193 schatzes bestimmter Kommunikationsbereiche einreihen. Hierzu zählen insbesondere Erörterungen zu den Kommunikationsverfahren (KV). Jaekel (1988) stellt die KV Definieren, Charakterisieren, Vergleichen und Klassifizieren in der englischen Fachkommunikation des Maschinenbaus, der Textiltechnik, der Werkstoffkunde, der Elektrotechnik und der Mathematik vor. Ein KV wird nicht als isolierte Erscheinung aufgefaßt, die KV kooperieren untereinander und können als Dominanz- oder Servoverfahren (untergeordnetes) in Erscheinung treten. So erwies sich Charakterisieren als dominant, wenn es mit Feststellen, Beurteilen, Begründen, Schlußfolgern, Benennen, Explizieren, Verallgemeinern kooperiert, es ist ein Servoverfahren bei Begründen, Schlußfolgern, Verallgemeinern (Jaekel 1988: 107). Das KV Definieren kooperiert mit dem KV Klassifizieren: A machine tool is a power-driven machine used to fashion objects out of metals. Durch die Zuordnung des zu definierenden Gegenstandes zu einer Klasse und unter Angabe des spezifischen Unterschiedes erfolgt die Definition des Objektes (Jaekel 1988: 26). Definieren kann auch durch Vergleichen, Klassifizieren realisiert sein. Diese Verfahren stehen in Funktion einer Definition, denn Definitionen bestehen zumeist aus nur einem. Satz (Jaekel 1988: 29). Mit Hilfe funktional-kommunikativer Merkmale (FKM) sollen die Merkmale eines Objektes wiedergegeben werden. Für Definieren sind als wichtigste FKM herausgearbeitet worden: Eigenschaften des Objektes, Verwendung/ Zweck des Objektes. Als weitere werden angeführt: Bestandteile/ Zusammensetzung des Objektes, Verbindung/ Beziehung des Objektes zu anderen Objekten, Arbeitsweise des Objektes, Form/ Aufbau des Objektes, Auswirkungen/ Folgeerscheinungen, Inhalt des Objektes, Gewinnung/ Herstellung des Objektes, Prinzip/ Grundlagen des Objektes, Entstehung/ Entwicklung des Objektes (Jaekel 1988: 51). Zu den zwei Hauptmerkmalen werden sprachliche Realisierungen angeführt: A 'islinay be defined as/ is calledlis referred to as, u.a. oder A is used to denoteldefine/ describe, u.a. (Jaekel 1988: 36). Aus der Vielfalt der auftretenden Vernetzungen erkennt die Verfasserin die Notwendigkeit, ein Nachschlagewerk wichtiger syntaktischer Strukturen für die Realisierung fachbezogener KV aufzustellen (Jaekel 1988: 114 ). Die Ermittlung eines Typenverbs für ein KV entspricht dem Gruppen- oder Identifikationswort der LSG; FKM als "marker" unterstreichen die Bestimmung inhaltlicher Gebrauchsbedingungen für illokutive Absichten. Die Herausarbeitung der alternierenden Verwendung sprachlicher Mittel infolge veränderter Fokussierung der KV ist das Novum der Arbeit, wodurch auf die Paßfähigkeit des Wortschatzes hingewiesen wird. Köhler (1988) analysiert die in Texten der Chemie, Physik, Ökonomie, des Maschinenbaus, des Ingenieurwesens und technischer Handbücher auftretenden semantischen Satzmodelle. Anliegen ist es, anhand der vergegenwärtigten logischsemantischen Satzstrukturierung entsprechende lexikalisch-syntaktische Versprachlichungen zu ermitteln. Bei der Aufstellung der Satzmodelle geht Köhler vom begrifflichen Konzept aus, das er in seiner logisch-semantischen Strukturierung FLuL 22 (1993) 194 Ferdi Einert darzustellen versucht. Solch einem Modell ordnet er ein Leitverb zu, das ein lexikalisch-semantisches Feld repräsentiert. Es wird eine enge Verbindung zwischen lexikalischem und grammatischem Wissen für die Gestaltung der Prädikation angestrebt (Köhler 1988: 158). Nachfolgend einige Beispiele für die semantischen Satzmodelle von Köhler (1988: 151 und 155): Existence Process Motion Contact Action Action Existing Source II Leitverb: give oft The "drive" arises from the pressure. Certain liquids, such as milk, would develop sourness if allowed to stand. Performer Patient II Leitverb: rub The head of the match is rubbed against the striking surface. Agent Performer Patient II Leitverb: hit ff a sound wave hits a hard obstacle it is reflected. Agent Agent II Leitverb: operate The thermostat operates a switch. Es werden Satzmodelle zu den folgenden Sachverhalten aufgestellt: Entstehen und Vergehen, Erzeugen und Vernichten, Bilden, Abtrennen oder Herauslösen, Vernichten, Identität, Ähnlichkeit, Ungleichheit, Maß, Klasse-Element, Nichtvorhandensein, Hinzufügen, Verbinden, stabiler Kontakt, Abhängigkeit, Notwendigkeit, Dauer, Veränderung von Eigenschaften und Zuständen, Bewegung und Fortbewegung, Überwinden von Hindernissen und nichtstabilen Kontakten (Köhler 1988: 73,76 et passim). Unberücksichtigt ließ der Autor die Sachverhaltsklassen Besitz und Besitzerwechsel, mentale Prozesse und Kommunikation, da das Belegmaterial unzureichend war (Köhler 1988: 142). Das Ziel des Verfassers, semantische Satzmuster für die Aneignung der „wichtigsten sprachlichen Mittel zur Darstellung der wichtigsten Sachverhalte" aufzustellen, wurde erreicht (Köhler 1988: 168). Davon können auch andere als die genannten fachsprachlichen Kommunikationsbereiche profitieren, da sich diese Sachverhaltsklassen, die natürlich weitere Modifizierungen aufweisen können, als universal erweisen. So treten in der vorgelegten Arbeit Transportverben weniger repräsentativ auf (transport, convey, transfer, transit, load, carry), obwohl Bewegungsprozesse in der Te"hnik Transport- oder Beförderungsverben reichhaltig aufweisen (Köhler 1988: 129-136). Textcorpora zum Transport- und Nachrichtenwesen weisen eine größere Zahl an Transportverben auf und bedingen eine entsprechende Unterteilung. 1 Hinzu kommt, daß die meisten Verben des Transportwesens auch im Nachrichtenwesen vertreten 1 Vgl. Textcorpus Russisch, Englisch zum Transport- und Nachrichtenwesen am Institut für Fremdsprachen der Hochschule für Verkehrswesen „Friedrich List" Dresden. FLuL 22 (1993) Zur feldmäßigen Gliederung des verbalen Wortschatzes 195 sind. Der Nachrichtentechniker unterscheidet überdies zwischen einer Transport- und einer Übermittlungsleistung. Bei den Beförderungsverben transporter, diriger, deplacer, vehiculer zeichnet sich die Unterscheidung in Transport- und Nachrichtenprozesse in folgender Weise ab (Einert 1987: 95 und 103): die eigentliche Bewegung ist nicht mehr sichtbar, wohl aber visualisierbar; die Geschwindigkeit der Bewegung nimmt zu; das Transportmittel wird durch ein Trägermedium ersetzt, das vom Ausmaß her kleiner ist; die Bewegung kann schnell, optimal in Hin- und Herrichtung erfolgen; die Entfernung kann kurz bis unendlich sein. Bei Übertragungsprozessen muß die zu übermittelnde Nachricht kodiert werden. Als Agentien fungieren in der Übertragungstechnik Energieträger, Streckenführungen der Energieträger, Parameter, Aggregate, Einrichtungen; in Transporttexten stehen dafür Hum, Hum + Aggregat, Aggregat, Transportbehältnisse. La bande transporteuse horizontale transporte jusqu' a la position de tri [es colis amenes par le glissoir. D' abord ce reseau transporte entre abonnh l' iriformation parlee: c' est la transmission. Beobachtungen haben gezeigt, daß eine kog11itive Darstellung der Lexik die Speicherfähigkeit und die Differenzierbarkeit des abzurufenden Lexikmaterials erhöhen. Die Übersicht zu Köhlers semantischen Satzmodellen weist 28 Typen aus, zählt man die Untertypen hinzu, so kommt man auf insgesamt 50 Modellierungen. Das ergibt sich aus der Tatsache, daß Köhler (1988: 168) an einer „Einsichtigkeit der semantischen Rollen" für den Nutzer gelegen ist und somit die Rollenbeziehungen stärker differenziert. Seine semantischen Satzmodelle regen zu folgenden LSG an, in denen sie zusammengefaßt repräsentiert sind: - Verbindungs- oder Kontaktverben (vgl. Verben des 'Versehens mit' bei Einert 1987), - Trenn- oder Annihilierverben, - Qualitative und quantitative Verben der Änderung (vgl. Verben des Umwandelns bei Einert 1987), - Bewegungs- oder Transportverben, - Adverbial gebundene Verben der Modalität, Temporalität, Lokalität, Relationsverben. Die von Köhler vorgestellte Feingliederung soll dadurch nicht in Frage gestellt werden, vielmehr soll auf die Beziehung zu existierenden Gruppenbeschreibungen verwiesen werden. Derartige Bezugspunkte könnten helfen, zu einem standardisierbaren Erfassungskatalog zu gelangen, um jeweiligen Verzweigungen besser folgen zu können, was für eine gesamtsystematische Darstellung des Lexikons von Vorteil wäre. Köhler (1988: 169) empfiehlt als Übungsformen zur Anwendung der beschriebenen Lexik die Beschreibung von Gegenständen, die Beschreibung von technologischen Abläufen und Klassifikationsmerkmalen sowie die Suche nach Synonymen und Antonymen. Der Einbeziehung von Bildspendern mißt er große Bedeutung bei (Bilder, Filme, Realia, u.ä). Leutzsch (1985) widmet sich den lokal-relationalen Verben der räumlichen Komposition im Französischen. Er weist nach, daß zunächst lokal-relationale Beziehungen vom Menschen wahrgenommen werden und danach die Erkenntnis FLuL 22 (1993) 196 Ferdi Einert der Bewegung der realen Umwelt über die Verbalisierung erfolgt, also ein lokaler Bezugsrahmen, in dem Bewegungsprozesse ablaufen können (Leutzsch 1985: 33). Somit verwundert nicht, daß die meisten Verben für die Wiedergabe stataler und dynamischer Verhältnisse Verwendung finden; bevorzugtes Feld verbaler Lexeme ist dasjenige der Kennzeichnung eines Standortes. Damit wird das Wesen dieses fachbezogenen Kommunikationsbereiches charakterisiert: die Wiedergabe räumlicher Lagebeziehungen zwischen den Baukörpern bzw. Anlagen (Leutzsch 1985: 46). Als Besonderheit dieses Fachbereichs ist festzuhalten, daß erwartete Lokalangaben gar nicht so frequent sind, der Lokativ ist als Beziehungsgefüge zwischen Agens und Patiens oder oberflächensyntaktisch ausgedrückt zwischen Subjekt und direktem Objekt realisiert: Deux couronnes d' immeubles collectifs entourent le parc (Leutzsch 1985: 46). Die Semantizität der Verben impliziert modale Anordnungsweisen. Modale Seme sind in der Verbsemantik abgebunden (vgl. Leutzsch 1985: 103): s' entrecroiser se croiser croiser sich in zwei Ebenen kreuzen, sich in einer Ebene kreuzen, kreuzen. Der Bewegungscharakter ist virtuell, es wird nur eine "räumliche Situation" denotiert, in der sich der Mensch bewegen kann (Leutzsch 1985: 47). In der Subjektposition steht demnach ein Zustandstr~ger. Der Verfasser unterscheidet das lexikalisch-semantische Feld des Standortes und der Standortgebung. Dasjenige der Standortgebung unterstreicht konzeptionelle Tätigkeit zur Herstellung städtebaulichräumlicher Situationen (Leutzsch 1985: 82). Der Hum-Charakter dieses Feldes ist unverkennbar: Nous pouvons ... regrouper les differentes composantes du mobilier urbain (Leutzsch 1985: 96). Au bout de l' allee ... nous avons juxtapose en plan deux cercles (Leutzsch 1985: 112). Als Funktoren werden herausgearbeitet (Leutzsch 1985: 85 f.): Aktion/ Bewegung/ Handlung/ Ort (Standortgebung); Zustand/ Beziehung/ Ort (Standort). Der Zustandsträger tritt als das Neue in Erscheinung, das in Beziehung zu Existierendem steht, d.h. ein Detail wird einem Komplex zugeordnet. Der Zustandsträger ist Resultat eines vorangegangenen Prozesses bzw. einer Handlung, deren Bewegungsmaterie als Bauwerk manifest ist, das heißt erstarrt abgebunden ist = statal. Die Relation zwischen beiden lexikalisch-semantischen Feldern ist einsichtig, für den Fachmann erkennbar und abgrenzbar. Der Übergang von statal zu dynamisch ist bei desservir belegt: etages desservis par un escalier commun; La rue traditionnelle dessert des logements, quelques commerces, des ecoles (Leutzsch 1985: 60 und 68). Aus dem statalen Relationsbzw. Verbindungsgefüge kann ein durch Animisierung gekennzeichnetes Verkehrsgefüge werden, bei dem der Verkehrsablauf dominiert. FLuL 22 (1993) Zur feldmäßigen Gliederung des verbalen Wortschatzes 197 Verbreihungen sind auffindbar, der Autor arbeitete sie nicht heraus. Das Gleiche betrifft lokale Einordnungen von mikrolokalen in makrolokale Strukturen, wobei die Mikrolokalität valenzgebunden ist, die Makrolokalität eine Einordnung in größerem Rahmen (assoziativ, adversativ) wiedergibt. Die Hauptkriterien der beiden Feldaufteilungen sind: Aufnahme auf ein Terrain, Größe, Ausdehnung auf einem Terrain, Verlauf als Ausgangspunkt, Zielpunkt und Streckenführung; Nachbarschaft als Begrenzung, Zwischenstrukturelement (Verbindung, Trennung), Einordnung, Kontrast; Senkrechte als Höhe und Tiefe. Die Untergruppe Verlauf ist reich an modalen Sichtweisen. Die doppelte Einordnung von tourner - (a) zu: Begrenzung als Öffnung (b) zu: ineinander unterstreicht die Paßfähigkeit verbaler Lexeme: / es loggias toitrnees vers le parc; une organisation radio-concentrique tournee vers / es equipements preexistants (Leutzsch 1985: 126). Für den Fremdsprachenunterricht dürfte eine feldmäßige Aufarbeitung der Lexik unter Herausstellung gegebener multilateraler Gebrauchsbedingungen nicht unwesentlich sein, zumal der Lernende einen Eindruck von der Flexibilität des Wortschatzes vermittelt bekommt. 4. Subjektstellen Bei den Betrachtungen zur verbalen Phrase verdienyn die Realisierungen der Subjektpositionen aus semantischer und syntaktischer Sicht unsere besondere Aufmerksamkeit. Wie im Nachrichtenwesen (Einert 1987), in derTextiltechnik (Pässler 1984) und in der Architektur (Leutzsch 1985) treten bei aktionalem Geschehen Agentia als kausativierende Humangrößen dominant und als energetische Größen (Performer) in Erscheinung. Köhler (1988: 130) arbeitet zusätzlich ein Permitter-Agentive heraus, das zwar am gemeinsprachlichen Beispiel demonstriert wird, aber in adäquater Weise im technischen Bereich präsent ist: John dropped himself into the pool. (Permitter-Agentive) = Agent = Performer John dropped the stone into the pool. (Permitter-Agentive) = Agent * Performer. Das letzte Beispiel schafft den Übergang zum Agens als Kausator. Dem Agens kann aber auch die Rolle eines Preventers zukommen, d.h., es hat einen Kontakt zum Schutze einer Größe zu verhindern. Der handelnde Mensch kann einen Wirkstoff oder ein anderes Mittel instrumental für den Schutz einsetzen. Der Autor beschränkt das nur auf das statische Muster Agent = Instrument, die potentielle Rolle des Instruments macht er von der „Bewertung der außersprachlichen Realität FLuL 22 (1993) 198 Ferdi Einert abhängig": A river divides the southern and the northern part. A thin film of oxide protects the meta/ from attack. (Köhler 1988: 106). Nach Köhler erfolgt die Angabe eines Instrumentes an der Oberfläche durch die Präposition with, wodurch hervorgehoben ist, daß das Instrument unter der Kontrolle eines Agens steht (hammer, chisel). In passiven Strukturen ohne Agens kann by verwendet werden. Außerdem kann es in passiven Formen besonders für / Method/ Verwendung finden: The destillation products can be treated by further refining process (Köhler 1988: 91 und 97). Meßsysteme können A-Leerstellen im Aktiv besetzen, folglich auch im Passiv. Auf ihren aktionalen Charakter deutet by neben with im Aktiv hin: We measure the intensity of the ... with lusingl by a cyanometer (Köhler 1988: 96). Köhler betont auch, daß im Passiv by-Realisierungen einen "komplexeren Instrument-Begriff, vor allem Maschinen und Methoden", indizieren, wovon er explizit "einfache Werkzeuge und Materialien" abhebt. Den Instrumenten behält er die Realisierung durch bestimmte Wendungen vor: with the help of, by means of, using (Köhler 1988: 147). Transportmittel bedürfen nach seiner Auffassung einer gesonderten Behandlung im Fremdsprachenunterricht: Oil is most satisfactorily transported by pipeline/ by road tanker (Köhler: a.a.O.). Diese Feststellung entspricht den Gegebenheiten bei der Arbeit mit Texten zum Verkehrswesen; gleichzeitig regt die ausführliche Behandlung der Besetzung von Agensstellen in der Oberflächen- und Tiefenstruktur zu Reflexionen in anderen Sprachen und Fachgebieten an (vgl. Einert 1982, 1990). Es sei noch angemerkt, daß mikrolinguistische Darstellungen verbale Beschreibungen unter dem Aspekt satzbildender Funktionen einschließen. Makrolinguistische Betrachtungen zum Text bzw. Fachtext verweisen ebenfalls auf den entscheidenden Anteil der verbalen Phrase. Die lexikalisch-semantischen sowie grammatisch-syntaktischen Merkmale bestimmter Verben bzw. Verbgruppen können eine aufschlußreiche Rolle bei der Abgrenzung von Fachtextsorten spielen. So konstatieren Krämer (1987: 76) und Robaschik/ Burvikova (1987: 91) die Dominanz von Verben bestimmter LSG in den Textsorten 'Rezension' und 'Wissenschaftlerbiographien'. Hoffmann (1987: 49) weist in seiner Matrix zur Strukturiertheit des Fachtextes ebenfalls Prädikatsphrasen aus. Baumann (1987: 18) faßt die KV als Konstituenten eines Textes auf und verspricht sich vom Auffinden typischer KV-Kombinationen weitere Aufschlüsse über die Differenzierung von Fachtextsorten. Bleibt zu hoffen, daß der Beitrag einen Einblick in Untersuchungen der verbalen Phrase in der Sowjetunion und im Osten Deutschlands gibt bzw. daß er zum Studium dieser oder jener Literaturquelle anregt.2 2 Zu sowjetischen Arbeiten ist eine Auswahlbibliographie erstellt worden, die den Zeitraum von 1981-1987 umfaßt (vgl. Einert 1985). FLuL 22 (1993) Zur feldmäßigen Gliederung des verbalen Wortschatzes 199 Bibliographische Angaben ABRAMOV, V. P.: Strukturno-semanticeskoe opisanie glagolov peredaci v russkom jazyke. Diss. Moskva 1980. ASTRAMECKAJA, T. P.: Osobennosti semantiki nemeckich glagolov v naucno-techniceskoj literature pod-jazyka radioelektroniki. Avtoreferat. Minsk 1984. BAUMANN, K.-D.: "Ein Versuch der ganzheitlichen Betrachtung von Fachtexten". In: HOFFMANN (Hrsg.) 1987, 10-22. BELKINA, Z. V.: Semanticeskij analiz glagol'noj leksemy "davat'" v sopostavlenii s nemeckim i francuzskim ekvivalentami. Avtoreferat. Vorones 1972. BONDARKO, A. 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FLuL 22 (1993) Klaus Hartenstein Angewandte Linguistik und Sprachlehrforschung Plädoyer für ein konstruktives Wechselverhältnis zwischen zwei Disziplinen Abstract. The article discusses the different approaches offüred by Applied Linguistics and Language Teaching Research (Sprachlehrforschung) to the scientific study of foreign language teaching and leaming. The disciplines are compared both on a theoretical level and with regard to the contributions they can make to practical leaming and teaching issues. As case studies the teaching of Russian to German students and the teaching of German to Polish students will be handled. lt is argued in conclusion that the two disciplines are complementary and should not be viewed as mutually exclusive alternatives. · 1. Vorbemerkung Meine Themenstellung macht es erforderlich, daß ich zunächst umreiße, was man unter Angewandter Linguistik und Sprachlehrforschung im allgemeinen versteht, indem ich das jeweilige Selbstverständnis beider Disziplinen, ihre globale Zielsetzung, ihren Gegenstandsbereich und ihre wichtigsten Forschungsschwerpunkte anspreche. Danach will ich aufzeigen, welche Kooperationsmöglichkeiten zwischen beiden Disziplinen bestehen bzw. im Sinne einer konstruktiven Wechselbeziehung m.E. bestehen sollte: 11. Was meine Vorgehensweise angeht; so werde ich meine Überlegungen nicht ausschließlich auf einer theoretischen Ebene anstellen, indem ich nur konzeptorientiert und forschungsmethodisch argumentiere. Ich will vielmehr anhand von russischen, polnischen und deutschen Sprachdaten als fremdsprachliches Illustrationsmaterial vorführen, welche Konsequenzen bestimmte theoretische Positionen der beiden genannten Disziplinen für das konkrete Handeln im Umgang mit Fremdsprachenunterricht haben können. Im Zusammenhang damit will ich auch meine eigene Auffassung zu dem einen oder anderen Problem einbringen und begründen, um meine Sicht des Verhältnisses von Angewandter Linguistik und Sprachlehrforschung herauszustellen. Die Perspektive, aus der ich mein Thema betrachte, ist wie wohl bei allen, die sich wissenschaftlich mit einem derart komplexen Feld wie dem Fremdsprachenunterricht befassen durch m e i n e individuelle Sozialisation beeinflußt. Ich komme aus der slavistischen Linguistik, habe jedoch immer praxisbezogenen 9der angewandten Fragestellungen, z.B. aus dem Bereich der Lexikographie, der Grammatikographie und des Sprachvergleichs, in meinen wissenschaftlichen Interessen einen hohen Stellen\3/ ert eingeräumt und mich stets bemüht, über den slavistisch-linguistischen „Gartenzaun" zu schauen. Dabei gehörte neben der Angewandten Linguistik, insbesondere in den Bereichen des Russischen und partiell des Französischen, ebenfalls die Sprachlehrforschung zu meinen hnpulsgebem, wenn auch die explosionsartige Forschungsentwicklung und Publikationszunahme in letztgenannter FLuL 22 (1993) 202 Klaus Hartenstein Disziplin vor allem ab den achtizger Jahren mich zu einer eher eklektischen Rezeption gezwungen haben. 2. Angewandte Llnguistik und Sprachlehrforschung Was hat man sich unter Angewandter Linguistik und Sprachlehrforschung vorzustellen? Welche Wissenschaftsbereiche und Tätigkeitsfelder umfassen die beiden Begriffe, die sich hinter diesen Etiketten verbergen? Sieht man einmal von der trivialen Feststellung ab, daß es beiden Disziplinen um das globale Objekt 'Sprache' geht und sich beide primär als eine empirische Wissenschaft begreifen, so fallen zwei Gemeinsamkeiten auf, die sie programmatisch teilen: Angewandte Linguistik und Sprachlehrforschung reklamieren für sich, interdisziplinäre Wissenschaften zu sein; Angewandte Linguistik und Sprachlehrforschung erheben den Anspruch, Probleme lösen zu helfen, die sich beim „praxisbezogenen" (im weitesten Sinne) Umgang mit Sprache ergeben. Innerhalb der im deutschen Forschungskontext vorherrschenden Auffassung von Sprachlehrforschung hat die sog. Faktorenkomplexion, die den Fremdsprachenunterricht ausmacht und ihn als Gegenstand auf eine besondere Weise charakterisiert, dazu geführt, Bemühungen um ein (ausschließlich) interdisziplinäres Vorgehen aufzugeben und den Entwurf eines sog. interdisziplinärintegrativen Ansatzes anzustreben. Dieser begreift sich als interdisziplinär in dem Sinn, daß er auf einer fachübergreifenden Kooperation beruht, und als integrativ in dem Sinn, daß es ihm darum geht"[...] Forschungsmethoden und Begriffssprachen zu entwickeln, die qualitativ eigenständig sind und disziplinspezifische Reduktionen konstruktiv überwinden" (Sprach/ ehr- und Sprachlernforschung 1983: 43). Die weitere Entwicklung in der Sprachlehrforschung wird zeigen müssen, ob es realistisch ist, an eine Wissenschaft, die kraft eigenem Selbstverständnis u.a. die Beiträge von spezielleren Disziplinen koordinieren und synthetisieren muß, die Erwartung zu richten, darüber hinaus noch einen derart umfassenden theoretischen Anspruch zu befriedigen. Angesichts der genannten. Gemeinsamkeiten müssen die besonderen Konturen beider Disziplinen, die sie voneinander unterscheiden, daher woanders gesucht werden, und zwar auf einer Ebene, die der allgemeinen Zielsetzung beider Zugriffe nachgeordnet ist. Dies scheint mir im Hinblick auf unterschiedliche Schwerpunkte der Fall zu sein, die Angewandte Linguistik und Sprachlehrforschung in ihrer Forschungstätigkeit setzen. Die Unterschiede werden darin offenbar, daß beide es mit verschiedenen Objektbereichen bzw. -umfängen zu tun haben, die allerdings den Fremdsprachenunterricht, um den es hier ausschließlich gehen soll, als Schnittstelle oder gemeinsamen Zuständigkeitsbereich haben; beide unterschiedliche forschungsmethodische und -praktische Akzente in ihrem Bemühen um den Fremdsprachenunterricht setzen, indem sie glauben, die erhofften Problemlösungen, die auf eine wissenschaftliche Fundierung und Effektivierung des Fremdsprachenunterrichts abzielen, dadurch herbeiführen zu können, FLuL 22 (1993) Angewandte Linguistik und Sprachlehrforschung 203 daß sie einerseits den Gegenstand 'Sprache' als die Fremdsprache X in den Mittelpunkt ihrer Untersuchungen stellen und andererseits die Sprachträger als Fremdsprachenlehrende, vor allem aber -lernende, wobei diejenigen Aspekte, die diesen Schwerpunkten jeweils nachgeordnet sind, wenn auch nicht ignoriert, so doch in s e h r unterschiedlichem Ausmaß berücksichtigt werden. Was hat man nun im einzelnen unter der Angewandten Linguistik und der Sprachlehrforschung zu verstehen? Die Angewandte Linguistik definiert sich ex negativo betrachtet als eine Disziplin, die keinesfalls linguistische Modelle und Beschreibungsverfahren in dem Sinne „anwenden" will, daß sie diese kurzschlüssig in den Fremdsprachenunterricht übernimmt, wenngleich es im Laufe ihrer Geschichte auch Phasen gegeben hat, wo sie sich diesen Vorwurf gefallen lassen muß. Dies war z.B. der Fall in ihrer Ausformung als Kontrastive Linguistik a la Lado (1957; 1964), d.h. in ihrer starken Version, die gemäß dem auf ej.nem L 1 -Li-Vergleich basierenden Prinzip linguistic difference = learning dijficulty Lernschwierigkeiten und Fehler pauschal vorhersagen wollte, oder in ihrer Euphorie, linguistische Modelle vor allem des frühen Generativismus, z.B. die Transformationsgrammatik in der Fassung der Syntactic Structures von Chomsky (1957), "unadaptiert" in den Fremdsprachenunterricht zu übernehmen, wie es u.a. Peuser (1973) für den Französischunterricht getan hat. Positiv charakterisiert begreift sich die Angewandte Linguistik als eine Disziplin, die mehrdimensional oder integrativ ist, indem sie einerseits zwischen Theoretischer Linguistik und bestimmten Anwendungsbereichen vermittelt, die die konkrete, kommunikativ ausgerichtete Sprachverwendung vorgibt. Andererseits vermittelt sie aus ihrer bereits erwähnten Interdisziplinarität heraus zwischen Linguistik und nicht-linguistischen Disziplinen, z.B. der Sprach- und Lernpsychologie, der Fremdsprachendidaktik, d.h. sie folgt der Erkenntnis, daß die von ihr abverlangten Problemlösungen nie mit linguistischem Zugriff a 11 e i n und o h n e Beanspruchung weiterer Bezugswissenschaften geleistet werden können. Wie durch das Stichwort „konkrete Sprachverwendung" angedeutet, ist der Objektbereich der Angewandten Linguistik groß und heterogen zugleich. Auf den unterschiedlichen, parole-bezogenen Praxisfeldern fallen ganz verschiedene Probleme an, die es zu lösen gilt, z.B. um sie nur der Vollständigkeit halber zu nennen - Sprachplanung, Verschriftung von Sprachen mit mündlicher Tradition, Sprachstörungstherapie, linguistische Datenverarbeitung u.a., aber auch Probleme des Fremdsprachenunterrichts, die bereits seit gut zwanzig Jahren einen zentralen Arbeitsbereich der Angewandten Linguistik ausmachen. Die Zuständigkeit, die die Angewandte Linguistik für den Fremdsprachenunterricht beansprucht, erstreckt sich auf viele Teilgebiete dieses komplexen Feldes. Sie hat zu einigen Errungenschaften geführt, die heute selbstverständlich auf die eine oder andere Weise beim Lehren und Lernen von Fremdsprachen eingesetzt werden, da sie Fragen des unterrichtsgesteuerten Fremdsprachenerwerbs betreffen, vor allem solche für die Konstruktion von Lehrmaterialien wichtigen Faktoren wie Auswahl, Progression und Darbietung der sprachlichen Daten. Ich denke hier z.B. an Wörterbücher und Grammatiken, FLuL 22 (1993) 204 Klaus Hartenstein Sprachtests, phonetische Beschreibungen usw. Weiterhin fällt mir auf, daß es im Rahmen der Angewandten Linguistik Zugriffe auf den Fremdsprachenunterricht gibt, die sich als Angewandte Psycholinguistik (im weiten Sinne) begreifen, z.B. Teile der Zweitsprachenerwerbsforschung, vor allem die sog. "Interlanguage" - Forschung (Corder 1976). Diese sind zugleich auch für die Sprachlehrforschung von Bedeutung (s.u.), da sie in Auseinandersetzung mit diesen Herangehensweisen an die Abläufe fremdsprachigen Lernens eigene Forschungsideen und -postulate entwickelt hat. Ich möchte anhand e i n e r Zugriffsmöglichkeit, die die Angewandte Linguistik auf den Fremdsprachenunterricht zur Verfügung stellt, der Fehleranalyse mit Hilfe des konfrontativen Sprachvergleichs vorführen, welchen Beitrag diese Disziplin für eine Verbesserung des Fremdsprachenlehrens und -lernens zu leisten vermag. Diese Wahl habe ich übrigens bewußt getroffen, denn ich glaube, daß diese Variante der Angewandten Linguistik in den letzten Jahren von der Diskussion um die Erforschung des Fremdsprachenunterrichts zu Unrecht in einer Weise vernachlässigt worden ist, die sie einfach nicht verdient hat. In der Angewandten Linguistik geht man davon aus, daß es im Hinblick auf didaktisch-methodische Entscheidungen in der Fremdsprachenvermittlung sinnvoll ist, um Interferenzen der Mutterauf die Fremdsprache zu vermeiden bzw. Transfer zu induzieren, nicht nur Strukturdifferenzen zwischen der Grund- und der Fremdsprache zu beschreiben, sondern auch deren strukturelle Gemeinsamkeiten (= konfrontatives, nicht kontrastives Vorgehen) (vgl. auch Hartenstein 1991). Dabei ist man sich natürlich der Tatsache bewußt, daß nicht alle tatsächlich auftretenden Fehlleistungen in der Fremdsprache durch Differenzen zwischen der Grund- und der Fremdsprache bedingt sein können und daß es auch andere interferenzstiftende Kontraste gibt als die zwischen den jeweiligen Bezugssprachen. Allerdings gehören nun einmal a u c h interlingual bedingte Fehler zu den immer wieder konstatierten Fehlleistungen; sie dürfen daher nicht aus dem wissenschaftlichen Zugriff auf den Fremdsprachenunterricht ausgeschlossen werden. Ich möchte mich nun im Liebte dieser Vorannahmen des konfrontativen Sprachvergleichs den folgenden beiden Typen von Fehlleistungen zuwenden. Um die Breite der Anwendungsmöglichkeiten der Fehleranalyse qua konfrontativen Sprachvergleich zu verdeutlichen, habe ich sie aus meinen Beobachtungen des Russischunterrichts an deutschsprachigen Muttersprachlern und des Deutschunterrichts an polnischsprachigen Lernenden gewählt. Die erste Gruppe verwendet häufig das russische indefinite Pronomen kto-to / cto-to / kakoj-to (= 'irgendwer/ irgendetwas/ irgendwelcher') in Kontexten wie z.B. (1) *Esli kto-to (anstelle von: kto-nibud') pozvonit, skazite, cto ... dt.: Wenn jemand anruft, sagen Sie, daß ... * Ja ne uveren, mogu li ja tebe cem-to (anstelle von: cem-nibud') pomoc'. dt.: Ich bin nicht sicher, ob ich dir irgendwie helfen kann. (Teper' ja vsju pravdu znaju) *Jas kem-to (anstelle von: koe s kem) govoril o vas. dt.: (Jetzt kenne ich die ganze Wahrheit) Ich habe mit jemandem über euch gesprochen. FLuL 22 (1993) Angewandte Linguistik und Sprachlehrforschung 205 Fragt man sich, wie es zu diesem sich hartnäckig haltenden Fehlertyp kommt, kann man beim konfrontativen Sprachvergleich fündig werden. Die Bezugssprachen sind inhaltlich in dem Sinne kongruent, daß sie über eine funktional als Pronomen charakterisierte Wortklasse mit der kategorialen Bedeutung 'Indefinitheit' verfügen, sie unterscheiden sich jedoch in ihren jeweiligen lexematischen Aufgliederungen dieser Klasse und den damit verbundenen funktionalen Auslastungen ihrer Angehörigen, und zwar in einer Weise, die als Entropieverhältnis beschrieben werden kann: Dem dt. irgendwer usw. stehen im Russischen drei Wörter bzw. Formreihen gegenüber. Deren Gebrauchsbzw. Abwahlbedingungen werden durch Faktoren gesteuert, die nur begrenzt zu fakultativen Varianten führen; in der Regel existiert nur eine_ Ausdrucksmöglichkeit als die jeweils obligatorische morphosyntaktische Norm. Lingufatisch kann sie als modaler Rahmen (im Sinne von Wierzbicka 1969) oder als pragmatische Präsupposition (im Sinne von Reis 1977) zunächst einmal b e g r i ff 1i c h g e f a ß t_ und dann für die Adressaten des Fremdsprachenunterrichts beschrieben werden 1: (2) kto-to / cto-to I kakoj-to wird verwendet, wenn der Sprecher zwar um die Existenz, nicht aber um die Identität des von ihm Gemeinten weiß (zu wissen glaubt), z.B. Kto-to stucit v dver'; dt.: Es klopft (wörtl.: Jemand klopft an die Tür). Weiß er um beides, muß er koe-kto / koe-tto / ... gebrauchen, z.B. Ja tebe koe-tto kupil (typische Äußerung z.B. beim Überreichen eines Geschenks) dt.: Ich habe dir etwas mitgebracht (wörtl.: gekauft). Kto-nibud' / tto-nibud' / ... (auch: kto-libo / tto-libo) wird verwendet, wenn der Sprecher sich beider Merkmale des Gemeinten unsicher ist, z.B. U Vas najdutsja kakie-nibud' adresa nemeckich kolleg? dt.: Haben Sie (irgendwelche) Adressen von deutschen Kollegen? Aufschlußreich für die aktuelle·Forschungslage in der unterrichtsbezogenen Angewandten Linguistik ist, daß diese Verhältnisse, deren Kenntnis zumindest in fortgeschrittenen Stadien des Russischunterrichts bei produktiven Sprachfertigkeiten als angestrebtem Lernziel für Lehrende und Lernende erforderlich ist, wollen sie "kultiviert", d.h. unter Berücksichtigung der morphosyntaktischen Norm - und nicht nur irgendwie "kommunikativ" die Fremdsprache gebrauchen, in Lehrmaterialien, den sie begleitenden Grammatiken sowie auch in Referenzgramrhatiken nicht oder nur unzureichend berücksichtigt werden. Ich kann mir das nur so erklären, daß der Konfrontative Sprachvergleich Deutsch-Russisch für fremdsprachenunterrichtliche Zwecke bislang noch nicht vollumfänglich durchgeführt worden ist, so daß dessen Ergebnisse noch nicht in alle Lehr- und Nachschlagewerke Eingang gefunden haben. Die Fehleranalyse, deswegen zur Unkenntnis dieser Strukturunterschiede verdammt, kann daher Gefahr laufen, andere Ursachen, aber u.U. nicht die richtigen, für die hier vorgeführten Fehlerhäufungen geltend zu machen. 1 Die in (2) angeführten Regeln stammen von mir und sollen als Vorschlag für eine Generalisierung in einer progressionsabhängigen Grammatik dienen. FLuL 22 (1993) 206 Klaus Hartenstein Der zweite Fehlertyp bezieht sich auf die Beobachtung, daß polnischsprachige Lernende hartnäckig das deutsche Präteritum in Kontexten verwenden, die das deutsche Perfekt erfordern, vgl. z.B. (3) Wo ist denn Eugen? (Ich weiß nicht) - *Er fuhr zur Uni. On pojechal perf.Prät. na uniwersytet. Die Fehleranalyse qua konfrontativen Sprachvergleich kann auch hier, so glaube ich, mögliche bzw. naheliegende Ursachen der Abweichung benennen. Sie liegen darin, daß inhaltsseitige (funktionale) und ausdrucksseitige Eigenschaften zweier Grammeme der beteiligten Sprachen, des perfektiven Aspekts im Polnischen und des Präteritums im Deutschen, auf unzulässige Weise identifiziert werden: Dem synthetisch gebildeten Präteritum im Polnischen steht zum Ausdruck der resultativen Teilfunktion das im Deutschen analytisch gebildeten Perfekt gegenüber, während das synthetisch gebildete Präteritum im Deutschen (bei Vollverben) in aktionaler Teilbedeutung verwendet wird, d.h. in nicht-deiktischer Funktion zur Bezeichnung eines Sachverhalts, der vor dem Sprechzeitpunkt liegt und dessen Folgen zum Sprechzeitpunkt irrelevant sind. In (3) hat man es daher mit der nicht intendierten Antwort auf die o.g. Frage zu tun, Er fuhr zur Uni, d.h. er kam nie wieder zurück, anstelle der grammatisch-pragmatisch wohlgeformten Antwort: Er ist zur Uni gefahren, d.h. er ist jetzt nicht zu Hause (s. hierzu näher Hartenstein 1991: 111 f). Ich hoffe, mit diesen an zwei konkreten Fallstudien vorgeführten Zugriffsmöglichkeiten, die uns die Angewandte Linguistik in ihrer Spielart als Fehleranalyse qua konfrontativen Sprachvergleich an die Hand gibt, deutlich gemacht zu haben, daß sie in der Lage ist, ihrer Zielstellung zu genügen. Sie kann Lehr- und Erwerbsschwierigkeiten im Fremdsprachenunterricht zumindest partiell erklären, so daß unter Berücksichtigung und Gewichtung der übrigen Faktoren, z.B. der methodischdidaktischen Erfordernisse, die die jeweilige Unterrichtssituation charakterisieren, die notwendigen Entscheidungen getroffen werden können. Daß der oben skizzierte Sachverhalt eine vollumfängliche Erklärung für a 11 e Erwerbsvorgänge sei, wird niemand ernsthaft behaupten wollen. Voraussetzung dafür, daß die Angewandte Linguistik ihren Beitrag zum Fremdsprachenunterricht leisten kann, ist allerdings, daß man die Einsichten, die sie für das fremdsprachige Lehren und Lernen beibringen kann, auch wirklich unvoreingenommen zur Kenntnis nimmt. Ich möchte mich nun der Sprachlehrforschung zuwenden, die präziser formuliert eigentlich Sprach/ ehr- und -lernforschung heißen müßte. Wie die Angewandte Linguistik verfolgt sie das globale Ziel, den Fremdsprachenunterricht wissenschaftlich begründet zu optimieren, jedoch mit einer anderen Schwerpunktsetzung beim Zugriff auf die Probleme des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen. Ich habe diese eingangs als eine primäre Konzentration auf die Sprachträger bezeichnet. Bedingt durch dieses Erkenntnisinteresse nimmt zum einen die intensive Beschäftigung mit den diversen Typen des Spracherwerbs schlechthin in der Sprachlehrfor- FLuL 22 (1993) Angewandte Linguistik und Sprachlehrforschung 207 schung einen breiten Raum ein, vor allem unter der übergeordneten Fragestellung, inwieweit der Erstspracherwerb und der Zweitspracherwerb kongruent sind, und zwar insbesondere mit Blick auf die Fremdsprachenvermittlung, also den institutionellen, unterrichtsgesteuerten Zweitspracherwerb. Zum anderen versucht man, unter dem Leitmotiv der Lernerzentriertheit den gesteuerten Fremdsprachenerwerb dort anzugehen, wo ier sich real abspielt, indem man durch die Erhebung lernerbezogener Daten Aufschluß über mentale Verarbeitungsprozesse gewinnen will. Motiviert sind die beiden hier umrissenen Diskussionslinien,·die für die Sprachlehrforschung und ihre Konzeption eines Zugriffs auf den Spracherwerb bzw. die Sprachvermittlung besonders m a r k a n t sind, durch einige, von ihr sehr de.zidiert verfochtene Grundannahmen, die, zusammengefaßt in den folgenden Postulaten, ihr Selbstverständnis als Wissenschaft umreißen: die Wirklichkeit des Fremdsprachenunterrichts muß ganzheitlich erfaßt werden, indem a 11 e Faktoren des Lehr- und Lernprozesses berücksichtigt werden (sog. Faktorenkomplexion des Fremdsprachenunterrichts); die Reduzierung des Spracherwerbs im Fremdsprachenunterricht auf den Faktor "Sprache" ist angesichts der Komplexität des Fremdsprachenunterrichts unzulässig; der Fremdsprachenunterricht darf kein nachgeordnetes Applikationsfeld für Beschreibungsergebnisse sein, die in anderen Disziplinen mit deren Methoden und Erkenntnisinteressen erzielt worden sind (Kritik am sog. basiswissenschaftlichen Standpunkt); · das Wesen des gesteuerten Fremdsprachenerwerbs kann nur mit Hilfe einer eigenständigen Spracherwerbstheorie erklärt werden, die vom Lerner ausgeht (sog. Lernerzentriertheit). Führt man sich die programmatischen Aussagen vor Augen, die diese Postulate enthalten, werden die Konturen deutlich1,durch die sich die Sprachlehrforschung als eine eigenständige und zugleich als eine den umfassendsten Zugriff auf den Fremdsprachenuriterricht beanspruchende Disziplin gegenüber konkurrierenden Wissenschaften, hier der Angewandten Linguistik und auch der Fremdsprachendidaktik, profilieren möchte. Die Angewandte Linguistik ist für sie eine zu reduktionistische Herangehensweise an das Lehren und Lernen von Fremdsprachen, da sie verkürzt gesagt als genuin sprachwissenschaftlicher Zugriff Probleme des Fremdsprachenunterrichts einfach „miterledigen" wolle. Die Fremdsprachendidaktik setzt für die Sprachlehrforschung besonders deswegen am falschen Punkt an, weil sie den Fremdsprachenunterricht auf verschiedene Lehrmethoden im Sinne einer Planungstheorie für lehrerinduzierte Unterrichtsabläufe einenge, wenngleich ihr auch zugestanden wird, nicht nur die Sprache sowohl als Medium des Fremdsprachenunterrichts wie auch als dessen Inhalt, sondern darüber hinaus noch Lehr- und Lernaspekte, die interkulturelle Dimension des Fremdsprachenunterrichts u.ä. zu berücksichtigen. So gesehen nimmt die Fremdsprachendidaktik auf dem von der Sprachlehrforschung behaupteten „Idealisierungskontinuum" für Faktoren des Fremd- FLuL 22 (1993) 208 Klaus Hartenstein sprachenunterrichts also eine mittlere Lage ein zwischen der „äußerst reduktionistischen" Angewandten Linguistik und der „breit angelegten", die gesamte Faktorenkomplexion berücksichtigenden Sprachlehrforschung. Ich habe mir für meine Erörterungen, ohne diese Auffassung inhaltlich völlig zu teilen, bewußt diese Position zueigen gemacht, um meine Überlegungen zu strukturieren, indem ich die beiden äußeren Pole dieses behaupteten Kontinuums, die Angewandte Linguistik und die Sprachlehrforschung, einander gegenüberstelle. Dabei gehe ich davon aus, daß die Fremdsprachendidaktik sowohl durch die Angewandte Linguistik wie auch durch die Sprachlehrforschung überlappt wird, wenn auch nicht symmetrisch. Mit anderen Worten, eine Grenzziehung zwischen den drei genannten Bereichen bzw. Disziplinen kann und will ich hier nicht vornehmen, da jedes Bemühen um den Fremdsprachenunterricht interdisziplinär und integrativ sein muß. Wie löst nun die Sprachlehrforschung die von ihr vertretenen Postulate in ihren Forschungsaktivitäten ein? Es versteht sich von selbst, daß sie angesichts ihrer programmatischen Festlegung gegen ein Primat der Linguistik jegliches Bemühen strikt ablehnen muß, das den Verdacht erwecken könnte, dem „basiswissenschaftlichen" Prinzip zu folgen. So mußten sich Bestrebungen, die vor allem in den siebziger Jahren aktuell waren, sog. wissenschaftliche (= linguistische) Grammatiken (Grammatikmodelle) mit Hilfe eines didaktischen Filters, der die Faktorenkomplexion widerspiegeln sollte, in sog. pädagogische Grammatiken zu überführen (BörnerNogel 1976), den Vorwurf gefallen lassen, untaugliche, weil nicht lernerbezogen entwickelte „Applikationsmodelle" zu sein. Die Bemühungen der Sprachlehrforschung sind konsequenterweise darauf abgestellt, den Spracherwerb „lernerzentriert" aufzuklären, was sich vor allem in besonders intensiven Untersuchungen und Konzeptdiskussionen niederschlägt, deren Ziel es ist, eine empirisch abgesicherte Theorie des Zweit- oder Fremdsprachenerwerbs auszuarbeiten. In ihrem Bemühen gesteht die Sprachlehrforschung dabei der sprachpsychologischen bzw. psycholinguistischen Spracherwerbsforschung durchaus eine Zulieferfunktion für die eigene Theoriebildung zu, indem sie deren Konzepte aufgreift (was mich im übrigen an die „einseitig gerichteten" Inspirationsbeziehungen erinnert, die zwischen Linguistik und Sprachpsychologie in den sechziger und frühen siebzigerer Jahren bestanden haben). Festgelegt durch ihre Grundannahmen lehnt die Sprachlehrforschung jedoch die „großen" Hypothesen der Spracherwerbsforschung für ihre Zwecke ab, gesteht ihnen aber für das angestrebte Theoriegebäude zu, daß die einen oder anderen Faktoren, mit denen diese Hypothesen operieren, auch für das gesuchte Modell des (unterrichtlichen) Fremdsprachenerwerbs relevant sind (Bausch/ Kasper 1979). So spricht sie sich gegen die Kontrastivhypothese der Angewandten Linguistik ebenfalls in ihrer „schwachen" Version aus, die ich hier als Fehleranalyse qua konfrontativen Sprachvergleich vorgeführt habe. Die Sprachlehrforschung gibt u.a. zu bedenken, daß Lernschwierigkeiten sich nicht nur in Fehlern, sondern auch in Vermeidungsverhalten äußern können, daß neben dem Sprachbesitz (grund- und fremdsprachlichen) auch personale Parameter der Lernenden (Motivation, Alter usw.) und solche der Lernumgebung (Lernziel, Methode usw.) beachtet werden FLuL 22 (1993) Angewandte Linguistik und Sprachlehrforschung 209 müssen, daß die Kontrastivhypothese im behavioristischen Spracherwerbsverständnis verankert sei und, worauf es mir besonders ankommt, daß Spracherwerb ein P r o z e ß sei, dessen Dynamik sich darin zeige, daß eine Regel nicht ein für allemal erworben werde, sondern durch immer neue Hypothesenbildungen seitens der Lernenden verändert werden könne (wogegen u.a. der statische Charakter des Sprachvergleichs spreche). Kurzum, für die Sprachlehrforschung ist es wegen ihrer programmatischen Grundannahmen unmöglich zu akzeptieren, daß eine Spracherwerbshypothese letztlich k e i n anderes Konzept bereitstellt als sprachliche Transferprozesse. Die Sprachlehrforschung hat sich auch mit der in einer kognitiven (und nativistischen) Spracherwerbskonzeption verankerten Identitätshypothese auseinandergesetzt. Diese postuliert, daß der Erwerb.einer Zweitsprache prinzipiell isomorph zu dem der Grundsprache ablaufe, indemangeborene mentale Spracherwerbsmechanismen (re)aktiviert würden, die als universelle Verarbeitungsprozesse oder „eingebaute Lehrpläne" bewirkten, daß zielsprachliche Elemente und Regeln in gleicher Abfolge erworben würden wie grundsprachliche (Wode 1974). Mit Blick auf den Fremdsprachenerwerb hat man versucht, diese Auffassung dadurch zu korikretisieren, daß man den Lernenden aufgrund ihrer gesamten sprachlich-kommunikativen Vorerfahrung ein kreativ-konstruktives Beteiligtsein zugesteht. Man geht davon aus, daß sie Hypothesen über das zweisprachige Regelsystem bilden und auf diese Weise im Sinne einer stetiger Annäherung an die zielsprachliche Norm eine Übergangskompetenz erlangten. Auch hier hat die Sprachlehrforschung ihre Bedenken angemeldet. Sie hat u.a. gefragt, ob denn die füentitätshypothese überhaupt haltbar sei, wenn grundsprachlicher Transfer anerkannt werde bzw. in welchem Ausmaß er anerkannt werden dürfe, um die Hypothese nicht zu Fall zu bringen. Außerdem hat sie auf ein wichtiges Faktum hingewiesen, und zwar den Unterschied, der zwischen ungesteuertem Zweitspracherwerb (language acquisition) und unterrichtlich gesteuertem Zweitspracherwerb (language learning) bestehe (Krashen 1981). Gerade letzterer sei ja dadurch charakterisiert, daß er zur Herausbildung einer reproduktiven oder rekonstruierenden Kompetenz führe, die die Lernenden durch die geistige Verarbeitung ihres gesammelten Regelwissens aktivierten, das somit als eine Informations- und Kontrollinstanz zugleich fungiere. Die Sprachlehrforschung fordert daher, um eben diesen durch die Identitätshypothese nicht abgedeckten Aspekt zu erfassen, eine Erwerbstheorie von besonderem Zuschnitt. Als ausbaufähige Hypothese des unterrichtsgesteuerten Zweitspracherwerbs hat in der Sprachlehrforschung m.E. die Interlanguage-Hypothese (Selinker 1972) oder nach Bausch/ Raabe (1978) die Interimssprachenhypothese die größte Akzeptanz erlangt, und zwar auch deshalb, weil sie mit der Kritik an der Identitätshypothese vereinbar ist. Nach der Interlangue-Hypothese bilden Lernende ein spezifisches Sprachsystem, die sog. Interlanguage, das Merkmale der Grund- und der Zielsprache sowie eigenständige, von beiden unabhängige Züge aufweise. Dieses Konstrukt sei dadurch, daß es der permanenten Hypothesenbildung seitens der Lernenden über zielsprachige Strukturen unterliege, von einer speziellen Dynamik FLuL 22 (1993) 210 Klaus Hartenstein geprägt, da es durch Revision bei negativer Rückkopplung und durch Festigung bei positiver Rückkopplung, beides ausgelöst durch entsprechend sanktionierte Kommunikationsstrategien im Unterricht, immer wieder neu umrissen werde (Börner/ Vogel 1979; Kielhöfer/ Börner 1979; Vogel 1990). Man beruft sich in diesem Zusammenhang auf empirische Untersuchungen, um über die dort beobachteten typischen Verhaltensformen der Lernenden auf psychische Vorgänge zu schließen, die in ihnen während des Spracherwerbs mutmaßlich ablaufen. So hat man sich u.a. mit den Bedingungen befaßt, die das Auftreten von Transfer aus der Grund- oder einer weiteren Fremdsprache in die Zielsprache hemmen bzw. begünstigen können. Darüber hinaus sind Lernstrategien in bezug auf Regelbildungsprozesse untersucht worden sowie Kommunikationsstrategien, die die Lernenden in der Zielsprache dann wählen, wenn sie noch keine geeignete Regel gebildet haben. In diesem Zusammenhang hat man herausgefunden, daß Lernende neben Reduktionen ihrer Äußerungen, Themenvermeidung und Bedeutungsveränderung auch weitlich kreative, auf der Dialektik von Lernen und Kommunikation beruhende Strategien verwenden, um ihre Ausdrucksdefizite in der Interlanguage zu beheben, z.B. diverse Adaptionsverfahren (inter-, intralingualer Transfer, Übergeneralisierung von Regeln, Wortbildungsmustern u.ä.). Die Interlanguage-Hypothese hat die Sprachlehrforschung besonders nachhaltig inspiriert als der wohl aussichtsreichste Weg, der unter Berücksichtigung fachspezifischer Fragestellungen begangen werden sollte, um die angestrebte Theorie des unterrichtsgesteuerten Zweitspracherwerbs zu entwickeln. Nicht umsonst geht sie forschungsmethodisch so vor, daß sie ihre Daten lernerbezogen erhebt, z.B. über Äußerungen der Lernenden, wenn sie einen bestimmten Inhalt in der Fremdsprache ausdrücken wollen (Fehleranalyse unter Einbezug der gesamten Faktorenkomplexion), über Bewußtseinsprotokolle, die die Lernenden bei der Sprachproduktion, z.B. beim schriftlichen Übersetzen, verfassen (Krings 1986) oder über metasprachliche Lernerfragen, die unter dem Blickwinkel „Lernende als Linguisten" betrachtet über die jeweiligen Übergangskompetenzen Aufschluß geben sollen und als kognitive Prozesse verstanden werden, die vermitteln zwischen den beiden Wissenstypen deklaratives Wissen (= formalsprachliches, pragmatisches, diskursives Wissen) und prozedurales Wissen (= die unterschiedlichen Tätigkeiten der Lernenden beim Umgang mit der Fremdsprache steuerndes Wissen) (Raabe 1991; 1992); im übrigen liegt m.E. gerade in der letztgenannten Herangehensweise eine interessante Parallelentwicklung zu einigen neueren Spielarten der kognitiv ausgerichteten Allgemeinen Linguistik vor, die im Gegensatz zum strukturalistischen Konzept Prozesse als primär und Strukturen als sekundär auffassen. In ihrem praxisorientierten Handeln, das die Sprachlehrforschung ja bei allem Bemühen um Grundlagenforschung nicht vergessen darf, will sie mit ihrem Anspruch ernstgenommen werden, den Fremdsprachenunterricht zu verbessern, hat die lernerzentrierte Forschungsperspektive sie zu der Behauptung veranlaßt, daß jeglichem Versuch, das Fremdsprachenlernen durch Lehren als aprioristische Konstruktion von Unterrichtsabläufen bzw. als lehrerinduzierte Unterrichtsplanung FLuL 22 (1993) Angewandte Linguistik und Sprachlehrforschung 211 vorzustrukturieren und zu steuern, mit äußerster Skepsis zu begegnen sei. Diese Position untermauert sie mit dem Argument, daß der Fremdsprachenunterricht n u r unter begründeten Anknüpfungen an die Erwerbsstrategien der Lernenden optimiert werden könne, z.B. durch einen lernerfragegeleiteten Grammatikunterricht (Raabe 1989) oder durch entsprechend differenzierte Fehlerkorrekturen (Kleppin/ K.önigs 1991). Ausschließlich lehrerinduzierte Eingriffe sieht die Sprachlehrforschung als wenig sinnvoll, u.U. sogar als gegenläufig zu und damit kontraproduktiv für die Lerneraktivitäten an. Welche konkreten Herangehensweisen an die Fehlleistungen (1) und (3) stellt uns nun die Sprachlehrforschung zur Verfügung? Inwieweit können sie als Erklärungen für das Auftreten dieser Fehlertypen und als Vorschläge für·ihre Korrektur die bereits vorgestellten Befunde der Angewandten Linguistik genauer: der Fehleranalyse qua konfrontativen Sprachvergleich widerlegen, präzisieren oder ergänzen? Ein Verdienst der Sprachlehrforschung ist es m.E., sämtliche für den unterrichtsgesteuerten Zweitsprachenerwerb relevanten Faktoren benannt und zumindest deduktiv in ihren Wechselbeziehungen diskutiert zu haben. Mit Blick auf (1) und (3) lassen sich aufgrund des umfassenden Zugriffs, den die Sprachlehrforschung auf den Fremdsprachenunterricht beansprucht, z.B. die folgenden konkreten, datenbezogenen Fragen stellen: Kann es sein, daß der Fehlertyp (1) nur bei solchen Lernenden häufig anzutreffen ist, bei denen sprachliche Vorerfahrung mit einer weiteren Fremdsprache nicht bzw. nicht ausreichend vorhanden sind, z.B. mit dem Englischen, das ja ebenfalls mit der some- und any-Reihe dtfferenziert (zumindest stärker als das Deutsche, wenn auch weniger als das Russische)? Kann es sein, was direkt daraus folgt, daß andere Lernende des Russischen eine Ähnlichkeit zum Englischen wahrnehmen und diese Fehler deshalb weniger machen? Kann es sein, daß es bei (3) durch eine Überpräsentation des deutschen Präteritums bzw. durch eine falsche Analogiebeziehung, die Lehrende und/ oder Lehrmaterialien zwischen diesem und dem polnischen Verbalaspekt vermitteln, also durch ei.ne Unzulänglichkeit des Lehrverfahrens bzw. der Lehrmittel, dazu gekommen ist, daß eine Gebrauchsregularität der Zielsprache übergeneralisiert wird? Kann es mit Blick auf (3) sein, daß die Lernenden eigene Hypothesen über die Zielsprache testen, hier die Frage, ob eine Verkürzung der deutschen Tempusform ohne Beeinträchtigung ihrer Funktion möglich ist? Diese Simplifizierung einer mutmaßlichen Regel könnte z.B. bestärkt durch die sprachlich-kommunikative Vorerfahrung nahegelegt werden, daß im Deutschen kommunikativ analoge Äußerungen des Typs (4) normgerecht sind: (4) Wo ist denn der Hausmeister? - (Ich weiß nicht) Er war im Heizungskeller. (*Er ist im Heizungskeller gewesen). FLuL 22 (1993) 212 Klaus Hartenstein In einer kürzlich erschienenen vergleichenden Studie über den polnischen Verbalaspekt und seine deutschen Äquivalente (Cockiewicz 1992) wird der o.g. Gesichtspunkt der Unzulänglichkeit des Lehrverfahrens ebenfalls erörtert. Der Verfasser bemerkt, daß die aus kontrastiver Sicht geäußerte Auffassung, es handele sich bei Tempusfehlern im Deutschen um Interferenzfehler (Czochralski 1972: 24 ff), zumindest relativiert werden müsse, wenn man sich die Lehrpraxis vor allem von polnischen Ober- und Hochschullehrbüchern des Deutschen, z.B. Dewitzowa (1965), Dewitzowa/ Placzkowska (1974), vor Augen führe. Obwohl vom interlingualen Befund aus betrachtet falsch, da deutschen regulär gebildeten Perfektformen (z.B.1ch habe es nicht gewußt) im Polnischen mitunter keine perfektive Aspektform gegenübersteht, vgl. Nie wiedzialem o tym (= imperfektives Verb wiedzief: ), behaupten diese Lehrmittel eine grammatische Äquivalenz zwischen dem deutschen Perfekt und dem polnischen vollendeten Aspekt. Es liegt daher nahe zu vermuten, daß bestimmte Fehlleistungen auch bzw. u.U. sogar primär dadurch bedingt sein können, daß ihnen eine übermäßige und zu stark vereinfachende Präsentation der grammatischfunktionalen Sachverhalte in den beiden Bezugssprachen zugrunde liegt, sie also unerwünschte (Neben-)Resultate des Lehrverfahrens bzw. -mittels sind (Cockiewicz 1992: 135 f). 3. Schlußfolgerung und Ausblick Es ist an dieser Stelle von zweitrangiger Bedeutung, wie diese Fragen in bezug auf die individuellen Lernenden, die die abweichenden Äußerungen (1) und (3) hervorbringen, im einzelnen zu beantworten sind. Wichtig ist, daß sie die grundsätzlichen Zugriffsmöglichkeiten der Sprachlehrforschung auf den unterrichtsgesteuerten Fremdsprachenerwerb herauskehren: Sie gehen weit über die Möglichkeiten der Angewandten Linguistik hinaus und können den Blick schärfen für sehr komplexe Zusammenhänge des Fremdsprachenlehrens und -lemens, die die Angewandte Linguistik n i c h t erfaßt. So gesehen bildet die Angewandte Linguistik lediglich einen kleinen Baustein in dem ganzheitlichen Zugriff, den die Sprachlehrforschung auf den Fremdsprachenunterricht beansprucht. Allerdings darf nian bei dieser Art von Wechselbeziehung, die zwischen beiden Disziplinen besteht, zwei Dinge nicht vergessen. Sie sind, wie ich meine, in der z.T. sehr geharnischt geführten Debatte der letzten Jahre um das Verhältnis von Linguistik (und Grammatik) und Sprachlehrforschung mitunter aus den Augen verloren worden: (1) Die Sprachleh,forschung kommt ohne die (Angewandte) Linguistik nicht aus, wie auch umgekehrt, wenn es um Belange des Fremdsprachenunterrichts geht. Ich bin mir dessen bewußt, daß diese Auffassung im Gegensatz zur Position bestimmter Vertreter der Sprachlehrforschung steht, die zu meinen scheinen, ein Verzicht auf die Linguistik sei möglich, ja sogar wünschenswert. 2 In dieser Extremposition offenbart sich m.E. eine gewisse Parallele zur Magie des Zauberworts "kommunikative Kompetenz" in der Fremdsprachendidaktik der siebziger und frühen achtziger Jahre. Sie hat dazu geführt, daß der Beitrag der Systemlinguistik(= Grammatik im engeren Sinn) für den Fremdsprachenunterricht lange unterbewertet, der der 2 Vgl. zu einem Überblick der verschiedenen Standpunkte Kleineidam (1986: 3 f). FLuL 22 (1993) Angewandte Linguistik und Sprachlehrforschung 213 Pragmalinguistik hingegen weit überschätzt wurde. Immerhin ist die Sprache das Objekt par excellence des Fremdsprachenunterrichts, und wer sollte ihren Aufbau und ihre Funktion denn beschreiben, wenn nicht die Linguistik. Kurzum, ich halte das wissenschaftliche Bemühen um den Fremdsprachenunterricht ohne eine von der Linguistik (vorab) geleistete Beschreibung der gelehrten Sprache für unvorstellbar. (2) Die Sprachlehrforschung kann der Angewandten Linguistik zu Recht Reduktionismus auf den Faktor „Sprache", wie letztere ihn verstehen will, vorhalten, nur sollte sie dabei bedenken, ob in dieser Festlegung nicht auch eine weise Selbstbeschränkung auf das momentan Mach- oder Erreichbare liegt, zumal ja die gesellschaftlichen Erwartungen hinsichtlich einer effektiven und zügigen Verbesserung des Fremdsprachenunterrichts weiterhin bestehen bleiben. Ich glaube, daß gerade in der Besinnung oder Rückbesinnung auf dieses Motiv, das dafür verantwortlich ist, daß die Zuständigkeitsbereiche von Angewandter Linguistik und Sprachlehrforschung sich in ihrem Umfang derart unterscheiden, die Chance liegt, eine konstruktive, weil aufgeklärt komplementäre Wechselbeziehung zwischen. beiden Disziplinen zu stiften. Angesichts des gigantischen Komplexes von Grundlagenforschung und Empirie, den die Sprachlehrforschung kraft ihres programmatischen Anspruchs bearbeiten muß, .sollte sie für das von ihr angestrebte Theoriegebäude auf die Angewandte Linguistik o h n e B e r ü h r u n g s ä n g s t e zurückgreifen. Diese ist zwar nur ein Mosaikstein(chen), der/ das u.U. auch nur deskriptive Adäquatheit für einige Zusammenhänge des Fremdsprachenunterrichts beanspruchen kann, aber sie ist immerhin e i n Element, das bereits vorliegt und auf das man aufbauen kann. Bibliographische Angaben BAUSCH, K.-R. 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Koordinierungsgremium im DFG-Schwerpunkt "Sprachlehrforschung". Tübingen l 983 (Tübinger Beiträge zur Linguistik; 221). VOGEL, K.: Lernersprache. Linguistische und psycholinguistische Grundfragen zu ihrer Erforschung. Tübingen 1990. WIERZBICKA, A.: Dociekania semantyczne. Wroclaw 1969. WODE, H.: "Natürliche Zweisprachigkeit: Probleme, Aufgaben, Perspektiven". In: Linguistische Berichte 32/ 1974, 15-36. FLuL 22 (1993) Gert Henrici Fremdsprachenerwerb durch Interaktion? Zur Diskussion und Überprüfung einer Hypothese aus der Forschung zum gesteuerten Zweitsprachenerwerb Abstract. In the history of second language acquisition research the question has been raised repeatedly of what role interaction plays in the acquisition of foreign languages. Behind this lies tlie clarification of the fundamental question which examines the relationship between interaction and cognition. The range of answers is very broad. lt is quite rightly pointed out that we still know too little about the relationship between interaction and learning (cognition) and that more tenable appraisals will not be possible until we have sufficient empirical evidence at our disposal. In a large-scale investigation it is planned to collect such evidence' by way of example and to point out the limitations of interaction in foreign language acquisition. In this article a detailed report on relevant research is given; projects are presented and discussed which have attempted to give an answer, theoretically and/ or empirically, to the question posed. 0. Ziele der Untersuchung Immer wieder ist in der Geschichte der Zweitsprachenerwerbsforschung von prominenten Vertretern der Disziplin 1 die Frage aufgeworfen worden, welche Rolle Interaktionen für den Erwerb von fremden Sprachen spielen. Dahinter steht die Klärung der grundlegenden Frage nach dem Verhältnis von Interaktion und Kognition, auf das vor allem Piaget (1937), Wygotzki (1978) und Bruner (1983, 1985) aufmerksam gemacht haben. Die Palette der Antworten ist breit gefächert. Während die Vertreter der klassischen orthodoxen Zweitsprachenerwerbsforschung in der Tradition Chomskys die Bedeutung von Interaktionen als eher marginal betrachten (u.a. Felix 1981, Zobl 1983, Rutherford 1987, White 1987), fallen die Urteile der Vertreter der sog. "L2 classroom research" (vgl. Henrici 1990) wesentlich positiver aus. 2 Auch Forscher/ innen, die nur schwer bestimmten "Lagern" zuzuordnen sind (vgl. Hatch 1978, Schumann 1986, Pica 1988, Ellis 1990), schätzen in bestimmten Forschungsphasen die Bedeutung von Interaktionerrsowohl im natürlichen Erwerb als auch im Zusammenspiel von Lerner- und Lehrerhandlungen als „grundlegend", „entscheidend" ein. Sie seien gewichtiger als andere interne und externe Faktoren beim Fremdsprachenerwerb. Mit Recht wird darauf hingewiesen, daß wir noch zu 1 So u.a. von Hatch (1978), Knapp-Potthoff/ Knapp (1982), Allwright (1984), Edmondson (1985, 1989), Ellis (1985, 1990), Schumann (1986), Nunan (1989), Edmondson/ House (1990). 2 Vgl. exemplarisch Frerch/ Kasper (1980), Long (1985), Henrici (1989), Nunan (1989), Kleppin/ Königs (1991), Larsen-Freeman/ Long (1991). FLuL 22 (1993) 216 Gert Henrici wenig über die Beziehungen zwischen Interaktion und Lernen (Kognition) wüßten und daß begründetere Einschätzungen erst dann möglich seien, wenn wir über ausreichende empirische Belege verfügten (z.B. Ellis 1990). Ich plane, in einer größeren Untersuchung solche Belege beispielhaft zu erbringen bzw. die Begrenzungen von Interaktion für den Fremdsprachenerwerb aufzuzeigen (Henrici 1993 ). An dieser Stelle liefere ich einen ausführlichen Forschungsbericht, in dem die Arbeiten vorgestellt und diskutiert werden, die auf die gestellte Frage theoretisch und/ oder empirisch eine Antwort versucht haben. Dabei werde ich besonders darauf achten, welche Formen des Spracherwerbs jeweils gemeint sind: Handelt es sich um den Erwerb von sog. kommunikativen Fähigkeiten (Verständigung als gegenseitige Vermittlung von Intentionen und Inhalten) oder sprachlichen Fähigkeiten (Beherrschung von fremdsprachlichen Regeln und Strukturen)? Welche Rolle spielen innerhalb von Interaktionen Verstehens- und Produktionsfähigkeiten und -tätigkeiten? Welche Wirkung wird ihnen zum Erwerb welcher Fähigkeiten zugeschrieben? Daß es jeweils um Fähigkeiten der mündlichen Kompetenz geht, scheint eindeutig zu sein (Kap. 2). In der geplanten Untersuchung werde ich zeigen, welche Untersuchungsmethoden mir als geeignet erscheinen, um die Beantwortung der Frage empirisch zu ermöglichen. Dabei soll verdeutlicht werden, wieweit die Potenzen von Untersuchungsmethoden aus der kommunikativen Linguistik "Gesprächs-", "Konversations-", "Diskursanalyse" u.ä.), die Adäquatheit zur Untersuchung des Gegenstandes Interaktionen beanspruchen, ausreichen, um auch Aussagen über Resultate des Spracherwerbs als einem kognitiven Prozeß zu machen (Kap. 3). Der Untersuchung liegt folgendes Credo zugrunde: Weil der Gebrauch von Fremdsprachen in Interaktionen stattfindet, können Sprachlernprozesse nur angemessen analysiert werden, wenn Grundlage und Ausgangspunkt der empirischen Untersuchungen real ablaufende Interaktionen sind. Schließlich werde ich etwas über die Bedeutung solcher Untersuchungen für die Praxis des Fremdsprachenlernens sagen. Nicht nur die Forschung, sondern auch die Praxis will wissen, ob Interaktionen im Unterricht zu erhöhtem Spracherwerb führen (Kap. 4). Abschließend werde ich eine Einschätzung hinsichtlich weiterer Forschungsaktivitäten abgeben (Kap. 5). 1. Interaktion in der Fremdsprachendidaktik Seit Mitte der 70er Jahre hat der Begriff „Interaktion" vs. "interaktive Kompetenz" zusammen mit Begriffen wie „Kommunikation", "Kommunikationsfähigkeit" in der Fremdsprachendidaktik Hochkonjunktur (vgl. u.a. Piepho 1974, Schiffler 1980, Brumfit 1984). Abgeleitet aus linguistischen Konzepten (z.B. Hymes 1972) und pädagogisch-philosophischen Neuorientierungen (z.B. Habermas 1971, Mollenhauer 1972) wird er häufig schlecht definiert zur Kennzeichnung unterschiedlicher Sachverhalte benutzt, z.B. um Zielsetzungen des Unterrichts zu formulieren oder die Art und Weise zu beschreiben, wie bestimmte Zielsetzungen erreicht werden FLuL 22 (1993) Fremdsprachenerwerb durch Interaktion? 217 können. Eine gewisse Einigkeit scheint darin zu bestehen, daß mit "kommunikativer Orientierung des Unterrichts" der Erwerb von Fertigkeiten wie Hören und Sprechen, also Mündlichkeit und das sprachliche Handeln miteinander zum Zwecke der Bewältigung alltäglicher Lebenssituationen betont werden soll. Begründungen mit Hinweisen auf Erstsprachen- und natürliche Zweitsprachenerwerbsprozesse sind relativ selten. Nach Jahren der Euphorie und des Glaubens an erfolgreiches Fremdsprachenlernen mit Hilfe der "kommunikativen Methode" und einer entsprechenden Umorientierung auf dem Lehrmittelmarkt "kommunikative Lehrwerke") gibt es Anfang der 90er Jahre zunehmend skeptische Stimmen, das revidierte Konzept heißt "kommunikativ-kognitive Methode". Daneben werden "kommunikativ-interkulturelle", "innovativ-alternative" u.v.a. Varianten diskutiert. Wie bei allen zurückliegenden Kontroversen um die "richtige" Methode beim Fremdsprachenunterricht zeigt sich auch beim Pro und Contra um die kommunikative Methode ein hohes Maß an Irrationalität und damit fehlende Beweiskraft. Glaubensbekenntnisse werden ausgetauscht, ohne daß ausreichende Versuche unternommen werden die großen Methodenvergleichsuntersuchungen sind gescheitert -, mit Hilfe gezielter Forschungen Schwachpunkte und Stärken methodischen Vorgehens zu ermitteln, also die hier interessierende Frage zu untersuchen, ob Kommunikation/ Interaktion den Spracherwerb in welcher Hinsicht fördert oder behindert, und dabei auf bereits ermittelte Ergebnisse der Zweitsprachenerwerbsforschung auf die Frage: wie wird eine Zweitsprache gelernt? zurückzugreifen. 2. Interaktion in der Erforschung des gesteuerten Zweitsprachenerwerbs die Fo~chungslage 2.1 Interaktion als externer Faktor des Zweitsprachenerwerbs Sehr lange war innerhalb der Erforschung des gesteuerten Zweitsprachenerwerbs das Interesse auf die getrennte Untersuchung von Lehrer- und Lernersprache gerichtet. Die Lehrersprachenuntersuchungen waren eher pädagogisch motiviert. Vor allem für Ausbildungszwecke wollte rµan möglichst präzise und ,detaillierte Informationen über die Lehrersprache haben, um daraus Normen für ein optimales sprachliches Lehrerverhalten ableiten zu kö1; men. Dabei wurden wesentlich die klassischen Sprachebenen Phonetik, Syntax beschrieben. Erst relativ spät wurden Sprachhandlungen manche sprechen auch in diesem Zusammenhang von Strategien (vgl. u.a. Gaies 1977) wie z.B. Fragen, Umschreibungen, Ersetzungen, Wiederholungen, Vergleiche, Erklärungen, Erweiterungen, Kontrastierungen (vgl. Mitchell 1988) in Anlehnung an Ergebnisse aus der motherese-Forschung auf ihre Wirkung auf den Zweitsprachenerwerb untersucht (Gaies 1977) und dabei auf die Gefahr hingewiesen, die mit der sukzessiven und gehäuften Benutzung sowie der sprachlichen Simplifizierung solcher Sprechhandlungen verbunden sind: Verst.ehenserschwerung statt -erleichterung (Chaudron 1983). Auch die sogenannten "linguistischen" und "konversationellen Anpassungen" auf Lehrerseite (vgl. Larsen- FLuL 22 (1993) 218 Gert Henrici Freeman/ Long 1991: 125 f) können in diesem Zusammenhang genannt werden, denen eine positive Wirkung auf den Spracherwerb zugeschrieben wird. Es sind dies z.B. auf phonologisch/ phonetischer Ebene: z.B. "slower rate of delivery, more use of stress and pauses, more careful articulation", auf morphologisch-syntaktischer Ebene: z.B. "more well formed utterances, shorter utterances, less complex utterances, more regularity" ("use of canonical word order, more overt marking of grammatical relations"), auf inhaltlicher Ebene: z.B. "more predictable/ narrower range of topics, more here-and-now orientation, briefer treatment of topics"). In Kap. 2.3 komme ich auf diejenigen Anpassungen zurück, die die Interaktionsstruktur betreffen: z.B. "more abrupt topic shifts, more use of questions for topic-imitationmoves, more repetition, more comprehension checks, more confirmation checks, more clarification requests, more expansions". Dort wird auch die Relation zwischen "Anpassungen" und „Strategien" zu erörtern sein. Die Lernersprachenuntersuchungen waren im engeren Sinn zweitsprachenerwerblich motiviert. Sie verfolgten vor allem das Ziel, über die Identifizierung, Beschreibung und erklärende Analyse von Lernerdaten Fehler bzw. Abweichungen ausfindig zu machen, die Rückschlüsse auf Entwicklungsprozesse beim Erwerb ermöglichen sollten. Die so ermittelten Erwerbsfolgen könnten Hinweise für veränderte Progressionen im Fremdsprachenunterricht liefern (Bahns 1989). Lernersprachenuntersuchungen sind in der Geschichte der Zweitsprachenerwerbsforschung als Grundlage für die Formulierung recht unterschiedlicher Erklärungshypothesen verwendet worden, z.B. die Interferenzhypothese (Richards 1971, 1974), Identitätshypothese (Dulay/ Burt 1974a,b), Erwerbshypothese (Wode 1974, 1976) und Interlanguage- Hypothese (Corder 1971, Selinker 1972, Raabe 1974). Innerhalb aller genannten Hypothesen spielt/ spielen bei der Untersuchung der Lemersprache der Kontext bzw. die Genese und das Umfeld der Produktion der Lernersprache keine oder eine geringe Rolle. Der Schwerpunkt lag/ liegt auf der Beschreibung mit dem bekannten klassischen linguistischen Instrumentarium, teilweise ergänzt durch sog. interne psycholinguistische Erklärungen. Dies gilt auch für Untersuchungen, in denen der Einfluß von Instruktionen auf den Spracherwerb im Rahmen von "form focused" und "meaning focused" Unterricht z.B. hinsichtlich der Relation von implizitem und explizitem Wissen analysiert wurde/ wird (vgl. u.a. Lightbown 1983: 239; Ellis 1990: 193-195). Exemplarisch sei auf die Arbeiten Pienemanns (1984, 1986) im Zusammenhang mit der "Teachability-Hypothese" hingewiesen. Die von ihm propagierte These, daß Instruktionen nur dann dem Spracherwerb förderlich seien, wenn sie an Stellen erfolgten, an denen der Lerner entsprechend seinem sprachlichen Entwicklungsstand für ihre Aufnahme bereit sei, hat nur dann Erklärungskraft, wenn genau beschrieben wird, welcher Art diese Instruktionen sind, in welchem Kontext, d.h. u.a. in welchen interaktiven Abläufen, sie stattgefunden haben. Dies erfolgt nicht, deshalb bleiben seine Ergebnisse unüberprüfte, nicht nachvollziehbare Hypothesen. Die Beschränkung auf interne Erklärungen bleibt so erhalten trotz Einbeziehung des Faktors Instruktionen. Der von Pienemann angestrebte Nachweis der unter bestimmten Bedingungen relativen Bedeutungslosigkeit externer Faktoren FLuL 22 (1993) Fremdsprachenerwerb durch Interaktion? 219 (hier: Instruktionen) kann nicht erbracht werden. Auch bei Pienemann wird wie bei anderen Forschem und Forscherinnen der Faktor Instruktion isoliert betrachtet, ohne Beachtung des interaktiven Zusammenhangs, in dem er verwendet wird. Dies verweist auch auf das bekannte generelle Problem, daß in der Zweitsprachenerwerbsforschung häufig Daten und Untersuchungsverfahren verwendet werden bzw. nicht verwendet oder verschwiegen werden, die für den zu untersuchenden Gegenstand nicht angemessen sind und damit keine Beweiskraft haben. Da ich in der geplanten Untersuchung auf dieses Problem näher eingehe, sei hier nur allgemein auf die Unmenge von künstlichen, in experimentellen Situationen erhobenen Daten verwiesen, aus denen unangemessen weitreichende Schlüsse gezogen werden, deren Übertragbarkeit auf natürliche Sprachlernsituationen äußerst skeptisch zu beurteilen bzw. abzulehnen ist. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die These von Vertretern der „Universalismus-Hypothese", daß Instruktionen dann besonders wirksam seien, wenn sie Sprachstrukturen betreffen, die „mehrere Schritte jenseits des aktuellen Sprachstands des Lerners lägen" (Ellis 1990: 161). Das gegenüber der Teachability-Hypothese gebrauchte Argument der Nicht-Nachprüfbarkeit aufgrund fehlender Kontextinformationen gilt auch für diese These und die i+ 1-These Krashens (1982), die zwischen der Teachability- und der Universalismus-These anzusiedeln ist, auch wenn sie nur Verstehensprozesse betrifft. Unabhängig von meinem kontextuellen Einwand bestehen große Unsicherheiten hinsichtlich der Wirksamkeit von Instruktionen unter denjenigen Forschem, die diese mit experimentell erhobenen Daten untersucht haben. Das vorsichtig formulierte Resultat von Ellis (1990: 170) belegt dies: "There are grounds for believing that form-focused instruction does help the acquisition of linguistic competence. Instruction can work directly; that is, it can have an immediate effect on the learner's ability to perform the target structures in natural communication. However, not all structures are teachable. Also teachable structures have to be taught at the right time. lt is likely, therefore, that instruction works indirectly in the main; that is, it has a delayed effect. According to this interpretation, instruction contributes to declarative rather than procedural knowledge. Declarative knowledge serves as a facilitator of ultimate procedural knowledge by helping to make forms salient that would otherwise be ignored by the Jearner". Ähnlich wie Schumann (1986), der dies im Rahmen seiner erweiterten Akkulturationshypothese für den natürlichen Erwerb postuliert, messe ich den sog. externen Faktoren auch zur Erklärung von erfolgreichem/ nicht-erfolgreichem gesteuerten Spracherwerb eine hohe Bedeutung zu. Innerhalb dieser externen Faktoren bin ich wie er für den natürlichen Erwerb der Auffassung, daß dem Faktor „Interaktion" auch im gesteuerten Erwerb ein besonders hoher Stellenwert gebührt, da die meisten externen Faktoren wie z.B. die Akkulturation als "remote cause" sprachlich-interaktiv als "immediate cause" verarbeitet, vermittelt und realisiert werden: Wo z.B. Schüchternheit, Ängste, Begegnungshemmungen bei den Lernenden bestehen, findet keine/ wenig Interaktion statt, bzw. es wird nur in einer Richtung geredet; wo z.B. Selbstbewußtsein, Extrovertiertheit, Kontaktbereitschaft bei FLuL 22 (1993) 220 Gert Henrici einzelnen Lernenden zu beobachten sind, wird viel miteinander gesprochen. Letzteres scheint zumindest eine gute·Voraussetzung für den Spracherwerb zu sein, was allerdings genau zu belegen wäre. Z.Zt. sind die Forschungsergebnisse dazu noch heterogen. Die Strategienforschung (Lern- und Kommunikationsstrategien) ist dominant auf den Lerner gerichtet, die kaum untersuchten Lehrstrategien (nach: Mitchell 1988: Wiederholungen, Substitutionen, Erklärungen, Kontrastierungen, Exemplifizierungen ...) sind einseitig auf den Lehrer konzentriert, ohne Berücksichtigung der Lernerreaktionen .. Kommunikationsstrategien werden in der Regel kommunikativ oder psycholinguistisch -·aus der Sicht der Lernenden (NM-Sprecher) definiert, z.B.: "a systematic technique employed by a speaker to express bis meaning when faced with some difficulty" (Corder 1977, [zit. nach Bialystok 1990: 3]), "techniques of coping with difficulties in communicating in an imperfectly known second language" (Stern 1983, [zit nach Bialystok 1990: 3]), "potentially conscious plans for solving what to an individual presents itself as a problem in reaching a particular communicative goal" (Frerch/ Kasper 1983 [zit. nach Bialystok 1990: 3]). Definitionen aus interaktiver Perspektive, d.h. aus der Sicht von Lehrenden und Lernenden sind die Ausnahme, z.B.: "a mutual attempt of two interlocutors to agree on a meaning in situations where requisite meaning structures are not shared" (Tarone 1980 [zit. nach Bialystok 1990: 3]). Gleiches gilt für die Definitionen von Lernstrategien (vgl. u.a. Oxford 1986, Rubin 1987), bei denen die Perspektive/ die Reaktionen der Lehrenden unberücksichtigt bleiben. Daß eine isolierte Betrachtung entweder aus der Lehrer- oder Lernerperspektive nicht sinnvoll ist, wird schon daran deutlich, daß sich bei den zahlreichen Definitionsversuchen Abgrenzungsprobleme zwischen beiden Perspektiven ergeben: Umschreibungen, Rückfragen u.a. werden sowohl unter Lehrals auch unter Lernerstrategien rubriziert. Darüber hinaus gibt es Abgrenzungsprobleme zwischen Lern- und Kommunikationsstrategien. Als Beispiel mag an dieser Stelle die bei O'Malley [et al.] 1985 unter „kognitiven Lernstrategien" aufgeführte Strategie 'Wiederholungen' genannt werden, die bei anderen Autoren als "kommunikative Strategie von Lehrern" erscheint (Mitchell 1988,). Ähnliches läßt sich für andere Strategien sagen, z.B. Übersetzungen/ Kode-Wechsel/ Transfer (Tarone 1977), die sowohl unter Lernals auch unter Kommunikationsstrategien genannt werden. Die von Knapp-Potthoff/ Knapp (1982) getroffene Unterscheidung nach dem Kriterium langfristig auf kognitives Lernen bezogen/ kurzfristig auf Bewältigung von kommunikativen Notsituationen bezogen, scheint wenig Beachtung gefunden zu haben (vgl. zum neueren Diskussionsstand Bialystok 1990). FLuL 22 (1993) Fremdsprachenerwerb durch Interaktion? 221 2.2 Vorläufer der Interaktionshypothese: die Input-Hypothese Ich habe im vorigen Kapitel die Unterscheidung zwischen inhalts- und formbezogenem Unterricht ("meaning-" vs "form-focused") genannt. Diese Unterscheidung ist wichtig für die Beschäftigung mit der input-Hypothese, der in der ZweitspracbenerwerQsforschung eine "kritische Bedeutung" zugemessen wird (z.B. Swain 1985: 236)~ Im inhaltsbezogenen Unterricht geht es nach Ellis (1990: 187) für den Lerner darum, Informationen zu verarbeiten und auszutauschen, ohne daß er sich bewu~t um grammatische Korrektheit bemühte. Im formbezogenen Unterricht führt der Lerner Tätigkeiten aus, die speziell dem Erwerb von grammatischen Formen dienen sollen. In beiden Fällen findet "input" statt. Nach Bahns (1986: 1) dient qer Begriff Input „als Sammelbezeichnung für alle sprachlichel) Äußerungen, die direkt an den Lerner gerichtet sind. Zum anderen kann der Input·im weiteren Sinne auch Sprachmaterial umfassen, das der Lerner in seiner Umgebung zwar hört, das jedoch nicht speziell an ihn gerichtet ist". Di,e mich interessierende Frage ist, ob der im ip, haltsbezogenen Unterricht erfolgende Input Auswirkungen auf den formbezogerien Spracherwerb hat, und welcl: ler Art ein solcher Input ist/ sein sollte. · In der Geschichte der Zweitsprachenerwerbsforschung gibt es eine Vielzahl von Arbeiten, die sich mit unterschiedlichen Akzentuierungen der Frage nach den Wirkungen von sprachlichem Input gewidmet haben. Die Untersuchungen basieren auf Vergleichen zwischen Input und Output sowie auf Vergleichen· zwischeQ unterschiedlichen "Inputs". Diese Arbeiten sind bekannt geworden unter dem Namen "caretaker speech", "motherese" für den LI-Erwerb (z.B. Landes 1975, Snow/ Ferguson 1977), "foreigner-talk", Ausländerregister für den natürlichen L2-Erwerb (z.B. Wagner-Gougl: l/ Hatch 1975, Long 1981) und "teacher-talk" für den gesteuerten L2-Erwerb (z.B. Henzl 1973, 1979, Gaies 1977, 1983). Die Annahme lautet, daß, Veränderungen des Input die Art und Weise des Spracherwerbs verändern: daß zielsprachliche Veränderungen Wahrnehmung und Verstehen erhöhen können (u.a. Allwright 1975, Ferguson 1975, Long 1977, Chaudron 1982), daß zielsprachliche Veränderungen korrekten und bedeutungsvollen Fremdsprachengebrauch fördern können (u.a. Long [et al.] 1976, Chaudron 1977, Gaies 1977, Long 1980, 1981), daß Lerner sprachliche Strukturen entsprechend ihrer Häufigkeit im Input erwerben (u.a. Hatch 1974, Larsen-Freeman 1976, Snow/ Hoefnagel-Höhle 1978, Harnayan/ fucker 1980, Long 1981). Mit "zielsprachlichen Veränderungen" sind vorwiegend Simplifizierungen auf den verschiedenen sprachlichen Ebenen gemeint gewesen (z.B. phonetisch: deutlichere Artikulation, weniger Kontraktionen, reduziertes Sprechtempo ... , morphologischsyntaktisch: weniger Pronominalisierungen, kürzere Sätze, Parataxe ..., lexikalischsemantisch: frequentes Vokabular, weniger Idiomatik ... (vgl. u.a. Hatch 1983: 183 f). Es wurde angenommen, daß solche Simplifizierungen des Input positive Wirkungen auf den Spracherwerb haben, was in einigen experimentellen Untersuchungen nachgewiesen werden konnte. Dem stehen Ergebnisse aus anderen Untersuchungen entgegen (Hinnenkamp 1982, Klein 1984), die sowohl positive als auch FLuL 22 (1993) 222 Gert Henrici negative Wirkungen von Simplifizierungen annehmen. So konnte z.B. empirisch gezeigt werden, daß die Wirkungen bei Kindern und Erwachsenen unterschiedlich sind (Huang 1970, Hatch 1976, Huang/ Hatch 1978) und daß positiven Wirkungen auf der phonetischen negative bzw. heterogene auf der syntaktischen Ebene gegenüberstehen (z.B. Kelch 1985). Sehr wichtig in diesem Zusammenhang ist auch der Hinweis von Meisel (1977), daß Simplifizierungen auf unterschiedliche Weise realisiert werden: als restriktive Simplifizierungen (= Reduktion/ Regulierung von sprachlichen Oberflächenformen, die Komplizierungen im kognitiven Bereich zur Folge haben können) und als elaborierte Simplifizierungen ( = Zuwachs von Oberflächenformen zum Zwecke der Verdeutlichung von Sachverhalten, z.B. durch Wiederholungen, Paraphrasen). Obwohl in einigen Untersuchungen (u.a. von Hatch und Mitarbeitern) Korrelationen zwischen der Häufigkeit des Auftretens von morphologischen urid syntaktischen Strukturen in Input und Output gefunden wurden (z.B. Larsen-Freeman 1976, Lightbown 1980, Long 1981), läßt sich die Frequenz-Hypothese nicht mehr aufrechterhalten (vgl. Gegenbeispiele bei Hamayan/ fucker 1980, Long/ Sato 1983 und ausführlich dazu Allwright 1984, Larsen-Freeman/ Long 1991: 131 t). In der Erforschung des gesteuerten Zweitsprachenerwerbs gibt es eine Anzahl von Arbeiten, die verschiedene Inputs in ihrer Wirkung untersucht haben, fast ausschließlich in einem experimentellen Design (vgl. z.B. Long 1982, Chaudron 1985). Diese Untersuchungen sind auf sprachliche Inputs auf bestimmten Ebenen beschränkt, sie lassen die interaktive Perspektive außer acht (z.B. Hamayan/ fucker 1980, Baur 1986). Krashen (1977, 1982, 1985) ist derjenige Forscher, der die Input-Hypothese am stärksten bekannt gemacht hat. Er sieht sie selbst als "single most important concept in second language acquisition today" (1980: 168). Sie hat auch deshalb besondere Beachtung gefunden, weil mit ihr der Anspruch formuliert wurde, ein didaktisches Konzept, den Natural Approach (Krashen/ ferrell 1983), mit einer Zweitsprachenerwerbshypothese zu begründen. Innerhalb seines Monitor-Modells, in dem weitere Hypothesen (natural order-Hypothese, affective filter-Hypothese) formuliert werden (vgl. u.a. Krashen 1981), mißt er der Input-Hypothese eine besondere Bedeutung für den Spracherwerb ("acquisition") zu. Sie soll erklären, wie Spracherwerb stattfindet. Notwendige Bedingung dafür ist, daß ein Erwerber/ Lerner einen Unterschied ("gap") zwischen seinem augenblicklichen Sprachstand "i" und der neuen Struktur feststellt, die durch den Input in Verbindung mit dem ständig arbeitenden "creative construction system" zur Verfügung gestellt wird. Wenn der Vergleich einen Unterschied erbringt, wird i+ 1 zum „Erwerbskandidaten". Ob er es endgültig wird, hängt davon ab, ob i+ 1 noch einmal im Input erscheint (vgl. Figure 3 in Chaudron 1985: 7). Wenn er noch einmal auftaucht, findet die ursprüngliche Input-Hypothese ihre Bestätigung, der Input wird erworben. Wenn nicht, dann ist er eine „Übergangsform" und wird möglicherweise ausgeschlossen. Bevor dies geschieht, kann die Übergangsform sinnvollerweise als "i" dienen. Die von Krashen (1985) formulierten Bedingungen für die Wirkung des Inputs gelten nur dann, wenn auch die FLuL 22 (1993) Fremdsprachenerwerb durch Interaktion? 223 affektiven Bedingungen stimmen. Dies ist nicht der Fall, wenn Lerner zum frühen Sprechen gezwungen werden oder eine ständige Fehlerkorrektur stattfindet (vgl. dazu u.a. VigiVOller 1976, Dulay/ Burt 1977, Krashen 1982). Die Annahme ist, daß die bloße Konfrontation mit sprachlichen Daten für den Erwerb nicht ausreicht, die Bedeutung von sprachlichen Äußerungen muß verstanden werden ("input must be comprehensible"). Die Verständlichkeit wird durch den Kontext (pragmatische, inferentielle Verfahren, die sich auf Welt- und Situationswissen stützen) gefördert. Es ist nicht nötig, daß der Input besonders fein aufbereitet/ abgestimmt sein muß ("finely tuned"), es reicht eine grobe Abstimmung ("roughly tuned"). Wenn der Input verständlich ist und häufig genug stattfindet, werden sprachliche Formen und Strukturen automatisch erworben und gelernt. Dies sei besonders deutlich bei der Konfrontation des Lerners mit „fertigen Ausdrücken" ("lexical phrases"), wo die Beziehung zwischen Input ("what is available for göing in") und Intake ("what goes in") besonders eng zu sein scheint (zu den Begriffen vgl. Corder 1967). Krashens Hypothesen, auch die hier interessierende Input-Hypothese, sind heftig diskutiert und-kritisiert worden (u.a. Gregg 1984, McLaughlin 1987, Barasch 1992). Ich greife einige Einwände heraus, die mir im Rahmen meines Erkenntnisinteresses von Bedeutung erscheinen: - Es wird bezweifelt, daß Erwerb allein durch Verstehen stattfindet und Sprechen nur ein Ergebnis des Erwerbs, nicht seine Ursache ist (u.a. Bloom/ Lahey 1978, Bever 1981). - Krashen sagt nichts über die Funktionsweise der Wahrnehmung und die Prozesse des Verstehens bis zum Intake aus, die Voraussetzung zur Feststellung des Unterschieds von i und i+l sind (Chaudron 1985). - ,Krashen hat einen statischen Verstehensprozeß. Die den Verstehensprozeß beeinflussenden außerlinguistischen Faktoren werden nicht berücksichtigt, gerade diese unterliegen Veränderungen während des Erwerbsprozesses (Strohner/ Nelson 1974). - Input-Hypothese und Natural Order-Hypothese widersprechen sich, wenn der Input sich nicht an den natürlichen Erwerbsfolgen orientiert. Unter dieser Bedingung wird Spracherwerb eher behindert als gefördert (Pienemann 1984). - Wesentliche Prüfinstanzen für erfolgreichen Erwerb wie Lernerproduktionen und dieses innerhalb von interaktiven Abläufen werden theoretisch und empirisch nicht beachtet (Sehachter 1983, 1986, Swain 1985). - Experimentelle Studien haben versucht zu zeigen, wie spezifischer Input das Verstehen fördern kann (vgl. dazu die Übersicht in Parker/ Chaudron 1987). Sie konnten aber nicht nachweisen, daß Verstehen den Erwerb fördert (Ellis 1990: 203). - Es ist schwierig, den Input so zu gestalten, um herauszufinden, wie spezifische sprachliche Merkmale den Spracherwerb beeinflussen, ohne daß die Lerner bewußt auf diese Merkmale aufmerksam gemacht werden, z.B. dadurch, daß der Lerner ermutigt wird, die Fremdsprache als Form zu gebrauchen und nicht zum Austausch von Informationen (Ellis 1990: 203). - Es ist nicht klar, wie wir Erwerb messen sollen, der aus inhaltsbezogenem Input hervorgeht (Ellis 1990: 203). - Es ist nicht auszuschließen, daß auch unverständlicher Input von Wert für den Lerner ist, da es für ihn über den Erwerb von sprachlichen Formen und Bedeutungen hinaus noch anderes zu lernen gibt, z.B. Intonation, Akzentuierungen (Allwright/ Bailey 1991: 121). FLuL 22 (1993) 224 Gert Henrici 2.3 Die Interaktions-Hypothese Es ist die Gruppe um Long (u.a. Chaudron, Doherty, Pica, Young), die in den 80er Jahren die Input-Hypothese zur Interaktions-Hypothese weiterentwickelt hat. Nach Long (1983b) gibt es drei Möglichkeiten, den Input verständlich zu machen: "l. by means of input simplifications; 2. througb the use of linguistic and extralinguistic context; and 3. through modification of the interactional structure of conversation" (zit. nach Ellis 1990: 107). Der dritte Punkt kennzeichnet die Weiterentwicklung. Es ist der Umgang mit dem Input, der entscheidend für Verständigung und Verstehen und damit für den Erwerb ist. Die allgemeine Annahme lautet: je umfassender die interaktionellen Aktivitäten von Lehrenden und Lernenden sind, desto schneller erfolgt erfolgreicher Erwerb. Damit verbunden ist die Auffassung, daß zweiseitige Kommunikationen(= Interaktionen) dem Erwerb mehr nützen als einseitige. In Interaktionen findet ein gegenseitiger Austausch von Informationen statt, die Möglichkeit zum Aushandeln von Bedeutungen ("negotiation of meaning") zum Zwecke der gegenseitigen Verständigung und des Verstehens ist gegeben. Die Gesprächspartner können jederzeit interaktive Mittel wie z.B. klärende Nachfragen, Bestätigungen, Bitten um Wiederholungen, Korrekturen, Präzisierungen, Paraphrasen einsetzen, um Verständigung zu gewährleisten und Verstehen und damit Erwerb zu sichern. Besonders die Korrekturen als bewußtmachendes Mittel hält Edmondson (1985) für bedeutsam für den Spracherwerb. Die Frage ist allerdings, ob Bewußtmachung mit Erwerb gleichgesetzt werden kann. Die genannten Mittel können auf Seiten der MS-Sprecher bzw. der Lehrenden durch Modifikationen der Aussprache, der syntaktischen Struktur und des Vokabulars begleitet sein. Long mißt den interaktiven Mitteln größere Bedeutung für den Spracherwerb zu als Veränderungen, die allein auf Vereinfachungen in Aussprache, Syntax und Lexikon beruhen, so wie es im Rahmen der Input-Hypothese formuliert ist. Mit den Annahmen von Long korreliert die Erkenntnis von Seliger (1983: 257) "leamers who initiate interaction are better able to turn input into intake", die er aus seinen Pilotstudien (1977) zu den interaktiven Verhaltensweisen von sog. "high input generators" (HIG) und "low input generators" (LIG) gewonnen hat. Wie bei Long bleibt allerdings die Frage offen, ob das höhere Können der HIGs ihre höheren interaktiven Fähigkeiten bedingt oder umgekehrt. Die generelle Frage ist auch hier zu stellen, welche Aussagekraft Untersuchungen haben, die mit sehr kleinen und spezifischen Probanden-Populationen (z.B. sprachhömogene-heterogene) durchgeführt werden, deren Übertragungsfähigkeit auf andere Gruppenkonstellationen schwach ist. Die von Day (1984) und Slimani (1987) durchgeführten Replikationsstudien zu den Studien von Seliger belegen dies, es konnten keine Korrelationen zwischen Interaktionstätigkeiten und Lernerfolg ermittelt werden. Erwähnenswert scheint mir an dieser Stelle der Hinweis auf Untersuchungen zu sein, die den Umgang mit „unvollkommenen" (deviant) Inputs in unterschiedlichen FLuL 22 (1993) Fremdsprachenerwerb durch Interaktion? 225 NS-NNS- und NNS-NNS-Situationen (Erwachsenengespräche, Gespräche in Gruppen, Interaktionen zwischen Kindern) analysiert haben (z.B. Porter 1983, Varonis/ Gass 1985), die als interessantes Ergebnis erbrachten, daß die aufgrund von unvollkommenem Input häufig zu beobachtenden „Kommunikationszusammenbrüche" ("breakdowns") zu immer wieder neuen, den Spracherwerbsprozeß animierenden Bedeutungsaushandlungsprozeduren führten. Auch ist an dieser Stelle auf Sehachters (1986) Überlegungen zur Bedeutung von metasprachlichem Input für Ei: wachsene/ Erwachsenenunterricht hinzuweisen, der zumindest darauf aufmerksam mache, daß vorausgehende Lerneräußerungen unzureichend sind und neue sprachliche Aktivitäten hervorruft. Besonders Ellis (1990: 109, 115 et passim) hat die Interaktions-Hypöthese kritisch kommentiert: - Wie die Input-Hypothese versucht die Interaktions-Hypothese, Spracherwerb über Verstehen zu erklären. Verstehen ist nicht Spracherwerb, allenfalls Voraussetzung oder ein Teil des Spracherwerbs. - Die Rolle des Output für den Spracherwerb wird nicht berücksichtigt (vgl. auch, Sehachter 1983, Swain 1985). - Es gibt keine relevanten empiri~hen Arbeiten zur Stützung der Interaktions-Hypothese, die wie die Input-Hypothese wenig über das Verhältnis von Verstehen und Erwerb sagt. - Es besteht die generelle Schwierigkeit, die Interaktions-Hypothese innerhalb eines qualitativen Ansatzes zu testen, d.h. u.a. kausale Zusammenhänge zwischen interaktivem Input und sprachlichem Erwerb zu ermitteln. - Es bestehen erhebliche Zweifel daran, ob interaktive Aushanölungen zur Entwicklung von sprachlicher Kompetenz beitragen. Eher sei davon auszugehen, daß eine strategische Kompetenz entwickelt werde, mit deren Hilfe der Lerner besser auf bereits vorhandenes sprachliches Wissen zurückgreifen könne. - Es ist fraglich, ob das Aushandeln von Bedeutungen ("negotiation of ll)eaning") das behauptete zentrale Gewicht für den Erwerb hat und ob es nicht eher die Funktion erfüllt, Interaktionen aufrechtzuerhalten (Aston 1986, Dausendschön-Gay/ Krafft 1992). - Es wird angezweifelt, ob angemessene/ richtige Antworten immer ein Beweis für Verstehen sind (Hawkins 1985). - Bei den wenigen empirischen Arbeiten zur Illustration und Überprüfung der Interaktions- Hypothese kommen nach meiner Auffassung Textebene und Kontextebene bei der Beschreibung und Erklärung von interaktiven Vorgängen zu kurz. Ich werde in Kap. 3 innerhalb der Darstellung meines eigenen Ansatzes diese Kritikpunkte wieder aufnehmen. 2.4 Mit- und Nachläufer 2.4.1 Die Output~Hypothese Die Output-Hypothese, die auf Swain (1985) zurückgeht, ist eine weitere die Input- und Interaktions-Hypothese ergänzende Hypothese. Ihr liegt die Annahmezugrunde, daß zwar ein verständlicher Input für Erwerb und Lernen eine wichtige Voraussetzung sein mag, daß er aber nicht gewährleisten könne, daß sprachliche Korrekt- FLuL 22 (1993) 226 Gert Henrici heit erreicht werde. Ohne den aktiven Gebrauch von Sprache (Output) sei dies nicht möglich. Nach Swain hat der Output drei wesentliche Funktionen: 1. Die Notwendigkeit für den Lerner, während der Übermittlung seiner Intentionen/ Informationen sprachlich verständlich zu sein, bringt ihn dazu, seine sprachlichen Ressourcen möglichst gut · einzusetzen. Swäin nennt dies „erzwungenen Sprachgebrauch" ("pushed language use"). 2. Der Einsatz der Sprache (Output) zwingt den Lerner dazu, vorhandene sprachliche Hypothesen zu überprüfen und gegebenenfalls neu zu formulieren, wieder zu überprüfen usw. 3. Der Gebrauch von Sprache im Unterschied zum Verstehen von Sprache zwingt den Lerner dazu, nicht nur auf inhaltliche Aspekte zu achten, sondern Sprache auch formal zu verarbeiten. Es ist möglich, Sprache ohne formale (syntaktisch-morphologische) Anaiyse zu verstehen. Der Sprachgebrauch zwingt den Lerner zur Beachtung der sprachlichen Ausdrucksmittel. Swains Untersuchungen haben u.a. ergeben, daß der mangelhafte Sprachgebrauch nicht auf einen unzureichenden, unverständlichen Input zurückzuführen ist, sondern auf fehlende Möglichkeiten, Sprache aktiv und verständlich einzusetzen (als "comprehensible output"), was besonders im frontalen Fremdsprachenunterricht zu beobachten ist (Swain [et al.] 1989) .. Besonders wichtig innerhalb der Output-Hypothese ist die Funktion 1: Der Lerner muß dazu gebracht/ gezwungen werden ("be pushed"), die Fremdsprache angemessen zu benutzen. Die Schaffung von Möglichkeiten dazu reicht allein nicht aus. Festgestellt wurde in entsprechenden Untersuchungen, daß bei Nutzung dieser Möglichkeiten zwar interaktive Fähigkeiten ("sociolinguistic" und "discourse competence") zur Übermittlung von Inhalten zunahmen, nicht aber formal-sprachliche (grammatische) Kompetenzen (vgl. Schmidt 1983). Zentral ist also der Zwang/ Druck ("push") zum korrekten Output. Verbesserungen des sprachlich-formalen Output ergaben sich besonders in den Fällen, in denen Lerner durch Bitten um Bestätigung ("confirmation requests") aufgefordert wurden, Verstehensprobleme sprachlich zu präzisieren (Pica 1988, Pica [et al.] 1989, 1991). Auch gegenüber der Output-Hypothese sind Einwände formuliert worden: Die vorliegenden empirischen Studien können nicht nachweisen, daß trotz eines verbesserten grammatischen Gebrauchs der Fremdsprache aufgrund des Zwangs zur Präzisierung Erwerb stattfindet. Der Zwang zu einem verbesserten Output ermöglicht dem Lerner allenfalls, verschiedene Varianten seines Sprachwissens und -könnens zu erproben (Ellis 1990: 118 t). 2.4.2 Die Diskurs-Hypothese Nach Ellis (1990: 119 ff) geht die Diskurs-Hypothese auf Untersuchungen zurück, die die Veränderlichkeit des Sprachgebrauchs im allgemeinen und in der Entwicklung der Interlanguage untersuchen. Giv6n (1979: 49), der in der Literatur neben Hatch ("from conversation to syntax" z.B. 1978: 403 t) als Urheber dieser Hypothese genannt wird, ist der Auffassung, "that syntax emanate[s] from properties of human discourse". Er nimmt an, daß syntaktischer Wandel vorrangig durch psycholinguistische und pragmatische Prinzipien bedingt ist, die zu Perzeptions- und Produktionsprozessen in der Interaktion in Beziehung stehen. Er unterscheidet zwei FLuL 22 (1993) Fremdsprachenerwerb durch Interaktion? 227 Typen von Strukturen: lose, parataktische pragmatische Diskursstrukturen und feste ,grammatikalisierte syntaktische Strukturen. Diese Unterscheidung wird auch deutlich in der Differenzierung nach informellen/ ungeplanten und formellen/ geplanten Diskursen. Zwischen beiden Typen finden Übergänge statt, die sich auch in unterschiedlichen Entwicklungen der Interlanguage zeigen. Der Lerner wendet entsprechend dem jeweils gegebenen Diskurstyp Regeln variabel an. Die Sprachbenutzer und ihre sprachlichen Fähigkeiten entwickeln sich von einer diskursorientierten pragmatischen Art der Kommunikation ("pragmatic mode") hin zu einer syntaktischen Art des Sprechens ("syntactic mode"). Dieser Syntaktisierungsprozeß wird an einer Reihe von Merkmalen verdeutlicht (aus Larsen-"Freeman/ Long 1991: 268): Pragmatic Mode Features (a) topic-comment utterances (b) relationships among propositions shown by simple juxtaposition or by linking with conjunctions (c) slow speech (d) single intonatioil contours govem short utterances (e) higher ratio of verbs to nouns, more use of simple verbs (f) grammatical morphology absent Syntactic Mode Features Subject-predicate utterances relationsliips among propositions shown by grammatical devices, e.g. use adverbial clauses, complementation, relativization rapid speech single intonation contours govem long utterances lower ratio of verbs to nouns, more use of complex verbs grammatical morphology. present TABLE 7.2 Givon's Notation of Syntacticization (based on Givon 1985) Die Diskurs-Hypotp.ese nimmt an, daß Lerner zunächst jeweils die Strukturen erwerben, die sie entweder beim informellen oder formellen Sprachgebrauch einsetzen. Ellis (1984a) äußert die vorsichtige Erwartung, daß die jeweiligen Sprachgebräuche sich befruchten und jeweils dem Erwerb des anderen nützlich sind. Als eine wichtige Bedingung der Diskurs-Hypothese wird formuliert dies gilt in gleicher Weise für den ungesteuerten und gesteuerten Erwerb-, daß zur vollständigen Entwicklung der sprachlichen Kompetenz der Lerner mit formellem/ geplantem Sprachgebrauch vertraut sein müsse. Lerner, die nur mit informellem/ ungeplantem Sprachgebrauch konfrontiert worden seien und ihn auch praktiziert hätten, könnten diese vollständige Entwicklung der sprachlichen Kompetenz nicht erreichen (vgl. dazu die Untersuchungen von Chaudron (1985) zur positiven Wirkung des "structural style"). Die sich daraus ergebende pädagogische Forderung nach Stärkung eines auf den Erwerb formaler Strukturen gerichteten Fremdsprachenunterrichts unterscheidet sich erheblich von denen der Input- und Interaktions-Hypothese (vgl. u.a. Krashen/ Terrell 1983). FLuL 22 (1993) 228 Gert Henrici Wie auch bei den vorausgehenden Hypothesen wird die fehlende empirische Basis beklagt. Die Ergebnisse der wenigen Untersuchungen sind heterogen. Empirische Belege für die Thesen Giv6ns hinsichtlich der Entwicklung einzelner Parameter von 'pragmatic' zu 'syntactic modes' liegen nicht vor (vgl. z.B. Kelley 1983; Stauble 1984; Sato 1986, 1988). Ellis nennt die Hypothese "an interesting idea", die weiterer Ausarbeitung bedürfe. Ergänzend nennt er die "Collaborative Discourse Hypothesis". Wichtig bei der Verwendung neuer grammatischer Strukturen seien Dialoge zwischen Lehrenden (MS-Sprechern) und Lernenden (NMS-Sprechem). Untersuchungen hätten gezeigt, daß Lernende die von den Lehrenden gebrauchten Strukturen aufnähmen und in ihren Antworten anwendeten (z.B. Wagner-Gough 1975, Ellis 1985). Daraus wird die These abgeleitet, daß Gespräche/ Dialoge entscheidend für den Spracherwerb seien (Long/ Sato 1984). Zweifel an dieser These werden z.B. von Frerch/ Kasper (1986) angemeldet. Sie sind der Auffassung, daß Gespräche eher die Kommunikation erleichterten als den Erwerb. Die über Gespräche kurzfristig erworbenen sprachlichen Strukturen würden langfristig nicht gespeichert. Für langfristigen Erwerb sei es notwendig, sprachliche Strukturen systematisch zu lernen und anzuwenden. In Gesprächen lerne der Lerner allenfalls situationsorientiert zu handeln, aber nicht, grammatische Formen korrekt anzuwenden. Eine weitere Variante der Diskurs-Hypothese stammt von Edmondson (1987): die Discourse Integration Hypothesis: "Knowledge about the target language can lead to improved competence in its use if and only if a rudimentary but functionally competence target language discourse system exists in the leamer's cognitive structures" (Edmondson 1987: 1071 ). Diese produktionsorientierte Hypothese argumentiert entgegen Krashen (1982) dafür, daß "Lernen" einen Beitrag zum "Erwerb" leistet und spezifiziert, unter welchen Bedingungen dieser Transfer von explizitem Wissen (unter Einschluß pragmatischen Wissens) zu diskursiven Fähigkeiten stattfinden kann. 2.4.3 Die Topikalisierungs-Hypothese Eine Reihe von Forscherinnen und Forschem haben Wahl und Kontrolle von Themen und Themenabwicklung durch den Lerner als spracherwerbsfördemd sowohl für den Llals auch für den L2-Erwerb hervorgehoben (u.a. Hatch 1978, Long 1983a, Ellis 1984a, Wells 1985). Entsprechend lautet die Topikalisierungs- Hypothese, der im gesteuerten Zweitsprachenerwerb besonders Slimani (1987) nachgegangen ist. Dabei fand sie heraus, daß nicht so sehr die Lerner, die ein Thema initiieren, von der Initiative profitieren, sondern die Mitlerner. Die Lehrerinitiative als häufigste Interaktionsform im inhaltsbezogenen gesteuerten Zweitsprachenerwerb sei von geringer Bedeutung für den Spracherwerb. Von allen hier dargestellten Hypothesen ist die Topikalisierungs-Hypothese am wenigsten empirisch untersucht worden. Das mag auch daran liegen, daß sie als selbstverständlich erachtet wurde und innerhalb der anderen Hypothesen zwar mitgedacht worden ist, aber nicht als Teil-These bzw. eigenständige These thematisiert wurde. FLuL 22 (1993) Fremdsprachenerwerb durch Interaktion? 229 3. Zusammenfassung der Forschungslage Hinsichtlich meiner generellen Fragestellung nach der Wirkung von Interaktionen auf den Zweitsprachenerwerb im Fremdsprachenunterricht ergibt sich nach dem vorausgehenden Forschungsbericht folgende Bilanz: - Die für den gesteuerten und besonders für den natürlichen Erwerb durchgeführten Untersuchungen sind sowohl quantitativ als auch qualitativ immer noch unzureichend, um die gestellte Frage eindeutig beantworten zu können. Ausschließlich experimentelle und quasi-experimentelle Designs mit künstlichen Daten versprechen keine zuverlässigen Antworten auf die gestellte Frage. Die Etablierung einer Forschung, die dem Forschungsgegenstand angemessen ist, ist schwierig, wenn mit Forschungsgegenstand der Erwerb sprachlicher Fähigkeiten durch Interaktionen gemeint ist, und nicht der Erwerb einer Kompetenz, die sich auf das vage Verstehen und die Übermittlung rudimentärer Botschaften beschränkt. Am ehesten scheint es möglich zu sein, empirische Belege für erfolgreiche/ nicht-erfolgreiche Verständigungs- und Verstehensprozesse auch beim gesteuerten Erwerb zu erbringen. Verständigung und Verstehen sind aber nicht gleichzusetzen mit kurz-, mittel- und langfristigem Erwerb von formalsprachlichen Fähigkeiten. Bei der Untersuchung von Verständigungs- und Verstehensprozessen sind einfache Korrelationsstudien vop Input und Output sowie andere experimentelle und quasi-experimentelle . Arbeiten wenig hilfreich; vielversprechender sind Untersuchungen, die den Aushandlungsprozeß zwischen den .am Erwerbsprozeß Beteiligten mitanalysieren. Eine Untersuchung des Aqshandlungsprozesses schließt eine Beschränkung auf die Verstehenskomponente aus. Die produktive Verarbeitung der jeweiligen Inputs besonders durch den Lerner (die sog. Outputs bez. Sprachlerneraktivitäten) als wichtige Komponente des Spracherwerbs ist mit in die Analyse einzubeziehen. Es ist zu überlegen, in welcher Hinsicht sog. "Sekundärdaten" (mit Hilfe von Introbzw. Retrospektionen erhoben) die interaktionistische und spracherwerbliche „Primärdatenanalyse" unterstützen können. Gleichfalls ist zu fragen, ob und in welcher Weise longitudinal erhobene Daten dem Analyseprozeß nützlich sind. - Erst eine Analyse, die Aushandlungsprozeduren aus der wechselseitigen Perspektive der Beteiligten durchführt, kann zeigen, ob die Annahme gerechtfertigt ist, daß Interaktionen in irihaltsbezogenen Diskursen keine nachweisbare Wirkung auf den Spracherwerb haben. Desgleichen kann erst eine Analyse dieser Art zeigen, ob die eingeschränkte Annahme aufrechterhalten werden kann, daß Interaktionen "interaktive Anpassungen") gute Bedingungen für den Spracherwerb schaffen und förderlich für das Verstehen sind. Trotz der in der Literatur geäußerten Bedenken hinsichtlich des Beitrags von Interaktionen für den Spracherwerb scheinen mir empirische Untersuchungen lohnenswert zu sein, die sich eines dem Gegenstand angemessenen Untersuchungsverfahrens bedienen, die die Komplexität von Aushandlungsprozessen aus der Perspektive der Beteiligten unter Berücksichtigung kontextueller Bedingungen subtiler rekonstruieren als die bisher aus der Perspektive der Analysierenden mit „Grobkategorien" durchgeführten Minimal-Analysen. Eine solche Analyse setzt eine gründliche und differenzierte Datenerhebung und -aufbereitung voraus. Erst Analysen dieser Qualität können zeigen, ob die geäußerten Bedenken angebracht sind. - Analysen dieser Art können auch die Bedeutung von metasprachlich durchgeführten „erklärenden Nebensequenzen" für Verstehen und Spracherwerb aufzeigen (vgl. Sehachter 1986). FLuL 22 (1993) 230 Gert Henrici - Mit Hilfe solcher Analysen kann auch gezeigt werden, ob die extreme Annahme (vgl. White 1987) gerechtfertigt ist, daß Interaktionen Lernprozesse eher behindern als fördern und unter welchen Bedingungen Lernen auch ohne „interaktive Unterstützung" möglich ist. Die kritische Zusammenfassung der Forschungslage macht deutlich, daß wir noch weit davon entfernt sind, einigermaßen sichere Aussagen über die Beziehungen von Interaktionen und Lernen/ Erwerb (Kognition) zu machen. Die empirischen Belege sind dafür zu dürftig. Notwendig erscheint mir, daß Untersuchungsergebnisse auf der Basis von Daten vorgelegt werden, die Rückschlüsse auf real ablaufende Unterrichtsprozesse ermöglichen. Hinsichtlich der beiden zentralen Komponenten 'Interaktion' und 'Kognition' sind dem Gegenstand angemessene methodologische Vorgehensweisen und adäquate methodische Untersuchungsverfahren zu wählen. Das heißt für mich: für die Teilkomponente 'Interaktion' erscheinen mir nur solche Verfahren als angemessen, die den Prozeßcharakter von Interaktionen, den wechselseitigen Verstehens- und Produktionsprozeß der an der Interaktion Beteiligten sensibel rekonstruieren. Dazu sind nur differenzierte diskursanalytische Verfahren geeignet, die .bisher in der Erforschung des gesteuerten Zweitsprachenerwerbs nur wenig eingesetzt und erprobt worden sind (vgl. Henrici 1989). Es ist zu prüfen, ob - und bis zu welcher Grenze diese diskursanalytischen Verfahren in der Lage sind, auch empirische Aussagen über die Teilkomponente 'Kognition' zu machen. Eigene Untersuchungen innerhalb der Arbeitsgruppe Fremdsprachenerwerb Bielefeld zu unterschiedlichen Interaktionskonstellationen, -formen und -prozessen 3 deuten an, daß das Instrumentarium der Diskursanalyse an Grenzen stößt. Aussagen über kurzfristiges anfängliches Verstehen scheinen möglich zu sein, Aussagen über kurzfristiges Lernen scheinen mit Hilfe von diskursanalytischen Verfahren nur über Longitudinalstudien ermittelbar zu sein. In welchem Umfang ist z.Zt. ungewiß. All dem sollte eine präzise Vorstellung darüber vorausgehen, was unter Spracherwerb zu verstehen ist: Sind z.B. Ratifizierungen, Adaptionen, Annäherungen, Reproduktionen bereits Spracherwerb .oder nur Indikatoren für Spracherwerb? Genau zu prüfen ist dabei, welche Hilfsfunktionen sogenannte Sekundärdaten (z.B. Intro- und Retrospektionen) erfüllen können. Bibliographische Angaben ALATIS, J. (ed.): Current issues in bilingual education. Washington D.C. 1980. ALLWRIGHT, D. / BAILEY, K. M.: Focus on the language classroom. An introduction to classroom research for language teachers. Cambridge 1991. ALLWRIGHT, R. L.: "Problems in the study of the language teacher's treatment of learner error". In: Burt/ Dulay (eds.) 1975, 96--109. 3 Vgl. u.a. Dausendschön-Gay [et al.] (1986), Henrici/ Herlemann (1986, 1987), Henrici/ Köster (1987), Arbeitsgruppe Fremdsprachenerwerb Bielefeld (1989), Henrici (1989, 1990). FLuL 22 (1993) Fremdsprachenerwerb durch Interaktion? 231 ALLWRIGHT, R. L.: "The importance of interaction in classroom language learning". In: Applied Linguistics 5 (1984), 156-171. ANDERSEN, R. (ed.): Second languages: a cross-linguistic perspective. Rowley, Mass. 1984. ARBEITSGRUPPE FREMDSPRACHENERWERB BIELEFELD [Albrecht, u. et al.]: "Aneinandervorbeireden im Fremdsprachenunterricht". In: Fremdsprachen lehren und lernen 18 (1989), 159- 176. ASTON, G.: "Trouble shooting in interaction with learners. The more the merrier? " In: Applied Linguistics 7 (1986), 128-143. BAHNS, J.: "Der Input im Fremdsprachenunterricht". In: Bielefelder Beiträge zur Sprachlehrforschung 15 (1986), 131-145. BAHNS, J.: "Die Anwendung von Ergebnissen der Zweitsprachenerwerbsforschung auf den Fremdsprachenunterricht". 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Als solches habe ich es zwei Semester in meiner in französischer Sprache abgehaltenen Veranstaltung erprobt. Daß es auf Französisch geschrieben war und in einer für den universitären Französischunterricht so empfehlenswerten Reihe erschien, ließ es mich „blindlings" als Basislektüre empfehlen, da ich mir davon eine kontrastiv angelegte Berücksichtigung der deutschen Adressaten versprach, auf welche die bisher empfohlene Einführung von F. Carton (/ ntroduction a la phonetique du franr; ais, Paris 1974) verständlicherweise nicht eingehen konnte. Die Verfasser wollen sich zwischen einer wissenschaftlichen Darstellung als Selbstzweck und einer kasuistischen Aussprachekorrektur ohne systematischen Hintergrund angesiedelt wissen. Ob dies geglückt ist, mag zum Teil von den Adressaten selbst abhängen. Meine'Studenten begannen jedenfalls erst aufzuatmen, als wir bei der Gesamtdarstellung des Konsonantensystems, gefolgt von der des Vokalsystems, angelangt waren. Die Autoren widmen diesem Thema Kapitel 4 und 5, um den traumatisierenden Schock einer zu abstrakten systematischen Darstellung gleich auf den ersten Seiten zu vermeiden. Statt dessen wird der Studierende auf dem sanften Weg über Erklärungen zum unterschiedlichen Rhythmus im Französischen und Deutschen an die Problematik herangeführt. Dies jedoch mit Schockerlebnissen anderer Art, die den Lehrenden immer wieder zu lang ausholenden Erklärungen oder frustrierenden Vertröstungen auf später zwingen. So wird z.B. mit Begriffen wie «groupe rythmique» (7) oder «phoneme» (9) operiert, ohne daß diese definiert sind. Auf meine mit den Darstellungsmustern generativer Linguistik wenig vertrauten Kursteilnehmer/ -innen wirkten auch die Formalisierungen der Nasalierungsregeln abschreckend (16). 1 Verwirrend wirkt auch die Benutzung von Symbolen und Termini mit einem anderen Sinn als dem unter Fachleuten etablierten. So heißt es auf S. 9: «le phoneme se trouve [...] a la fin d'un mot [...]», als Beispiel werden angegeben: un boN garr; on; il dorT toujours, wobei N_ das betreffende wortauslautende Phonem darstellen soll. Dies als Beispiel fiir «types de position» zu geben, ist nun wirklich irreführend: das letzte Phonem in den Beispielwörtern ist "nasalisiertes o" bzw.rund nicht n und t, die hier nur im Schriftbild, als «lettres», auftauchen. Davon abgesehen wird die Majuskel herkömmlicherweise zur Darstellung eines Archiphonems im Falle einer Neutralisierung benutzt. Ähnlich verhält es sich mit den Schrägstrichen, mit denen herkömmlicherweise in Fachbüchern zur Phonologie eine phonologische Transkription angezeigt wird. Die Verfasser benutzen sie unbekümmert zur Kennzeichnung eines Schriftzeichens: «Le 100 se comporte comme 80 s'il est suivi d'un autre chiffre (il ne porte donc pas de / s/ de pluriel) ... Cependant s'il n'est pas suivi d'un autre chiffre et qu'il soit un multiple de 100, cent prend un / sl. On a donc deux cents Allemands, ou cinq cents auditeurs» (11). Hier wird der Leser auch sofort den "Doppelfehler" bemerkt haben, der zur Verwirrung des Phonetiklerners zusätzlich 1 Demgegenüber versicherte mir Frau Mordellet bei einer entsprechenden Rückfrage, daß sich ihre Studenten mit diesen Schemata sehr schnell anfreunden konnten. FLuL 22 (1993) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 239 beiträgt: (1) ist ls/ ein rein orthographisches Zeichen, sollte es nicht zwischen Schrägstrichen stehen (und dies ist hier der Fall). (2) Signalisieren die Schrägstriche aber Laute (was ab Kapitel 6 PHONETIQUE ET PHONOLOGIE der Fall ist), so müßte hier ein stimmhaftes / z/ stehen, das die Liaison anzeigt. Daß die Verfasser in diesem einleitenden Kapitel, in dem es u.a. um das Phänomen der Liaison am Beispiel der Zahlen geht, gerade ausdrücklich die Zahl quatre von ihrer Behandlung ausschließen, mit der Begründung «puisqu'il ne se termine pas par une consonne» (11) wobei wiederum die Vermischung von Schriftbild und Aussprache zum Ausdruck kommt -, ist bedauerlich, bietet doch gerade diese Zahl ein schwieriges Beispiel aus der Alltagssprache, mit dem sich die Studierenden irgendwann auseinandersetzen müssen. Bekanntlich wird entre quatre yeux mit einem [z] «de liaison» analogischen Ursprungs zur Markierung des Plurals ausgesprochen, obwohl dieses nie im Schriftbild auftaucht ein Beispiel, das auch der in der Bibliographie von den Verfassern angeführte G. Gougenheim anführt.2 Desgleichen ist «valeur» bei de Saussure (Cours de linguistique genirale, 1972, 152 ff) ein terminus technicus. Diejenigen, die gerade parallel eine Einführung in die allgemeine Linguistik besuchen, müssen einigermaßen verwirrt sein, wenn sie lesen «T. a donc plusieurs valeurs phonetiques» (23), wenn es darum geht zu zeigen, daß «la lettre t peut representer differents sons» (so wäre meine Formulierung) in den Wörtern; initier und metier (23). Gestolpert sind meine Kursteilnehmer/ -innen auch über das Wort «glide» zur Bezeichnung von «semi-voyelle», das sie zunächst nach französischem Muster als [glid] gelesen haben. 3 Häufig haben sich Fehler eingeschlichen, die wohl auf Unachtsamkeit zurückzuführen sind, jedoch den Lerner verunsichern können. So werden z.B. auf S. 89 arbre pourri und table pourrie als [arbpuri] und [tabpuri] phonetisch transkribiert, was nur unter Verlust der Sonorität des stimmhaften [b] im Kontakt mit dem stimmlosen [p] geschehen kann, eine Stimmlosigkeit, die mit dem üblichen Kennzeichen eines kleinen Kreises unter dem [b] gekennzeichnet werden sollte. Sonst widerspricht diese Transkription dem, was in Kapitel 8 zur „Assimilation" gesagt wird. Nicht auf mangelnder Sorgfalt, sondern auf mangelnder Kenntnis der französischen Lautgeschichte beruhen allerdings Anmerkungen zu den französischen Nasallauten, die die Gemination in immense, immeuble oder immoral als Überreste einer ehemaligen Gemination verstanden wissen wollen, «qui se perd de plus en plus» (l 7). Hier haben wir es im Gegenteil mit einer «gemination expressive» bzw. mit einem Einfluß des Schriftbildes auf die Aussprache zu tun, die pathischer Art ist und eher an Boden gewinnt, obwohl sie nicht chronologisch, sondern in Abhängigkeit von Sprechern und Sprechsituationen beurteilt werden sollte. Ein Blick in H. Walter (1976, S. 438)4 hätte die nötige Klärung gebracht. Ein weiterer Blick in A. Martinets Aufsatz aus dem Jahre 1969, der auch bei den eingefleischtesten Philologen in Frankreich volle Anerkennung genießt, hätte die Vermutungen über eine von den Autoren angenommene Gemination der Nasale im Altfranzösischen nicht aufkommen lassen und das Verhältnis zwischen Phonologisierung der Nasalvokale und Wegfall des amuet geklärt, womit die Entwicklung, so wie sie auf S. 18 dargestellt wird - [ b 5 n a J zu [ b : > n a J-, ein chronologischer Widerspruch ist. Demnach ist auch das Wortspiel, das auf der Homophonie von grand-mere und grammaire 2 Allerdings in dem nicht aufgeführten Buch Systeme grammatical de la langue franr; aise. D' Artrey/ Paris 1969. 3 Aus meiner langjährigen Unterrichtstätigkeit an einer Pariser Universität ist mir der Fachterminus «glide» im Französischen ebenfalls nicht bekannt. Selbst Carton benutzt das Wort «glide» nicht im Text, sondern weist lediglich im Glossar (S. 240) darauf hin, daß «semi-consonne [...] en anglais: "glide" (glissante)» heißt. 4 Vgl. dazu die genauen Literaturangaben am Ende der Besprechung. FLuL 22 (1993) 240 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel beruht und als Beweis für die späte Entnasalisierung der ursprünglich auch vor intervokalischem Nasal nasalisierten Vokale herangezogen wird, lediglich als auf der archaischen Aussprache einer ungebildeten Person beruhend zu werten, über die sich Moliere lustig macht und mit der er den Zuschauer zum Lachen bringen will. Eine Bibliographie, die sich einerseits auf längst überholte Titel stützt, wie z.B. die Phonetique Franr; aise von Bourciez (S. 22 fälschlicherweise als Bourcier orthographiert), die zwar in der Auflage 1967 angeführt ist, deren Darstellung und Interpretationen historischer Vorgänge jedoch auf die Jahrhundertwende zurückgehen bekanntlich wurde 1967 nur der Titel geändert -, und die andererseits Calvet: Linguistique et Colonialisme (dessen unmittelbarer Bezug zum Thema nur schwer nachzuvollziehen ist) auf die Liste der References Bibliographiques setzt, darf wichtige Titel, wie die oben genannten, nicht ignorieren. Ebensowenig darf in einem Kapitel, das sich mit dem Verhältnis von Schriftbild und Lautung befaßt, die einschlägige Arbeit von Blanche-Benveniste/ Chervel (1969) fehlen. Der Übungsteil ist als solcher zu begrüßen, könnte aber in vielen Punkten noch zielgerichteter auf eine Bedarfsanalyse hin abgestimmt werden. So vermißt man z.B. Übungen zur Abgrenzung der Nasalvokale voneinander, ein Problem, mit dem Teilnehmer/ -innen meiner Phonetikveranstaltungen immer zu kämpfen haben. Verzichten sollte man hingegen auf etymologische Abenteuer wie clamser, das kaum ein Studierender kennt und das mir in diesem Kontext pädagogisch fragwürdig erscheint. 5 Erforderlich wären darüber hinaus genauere Anweisungen bei den Übungen (Studierende in Bielefeld konnten z.B. mit den Übungen auf S. 14 nichts. anfangen). Ein "Schlüssel" zu den Übungen wäre zumindest eine nützliche Kompensierung für manche ungenügend präzise formulierte Aufgabenstellung. Auch eine Übersicht der benutzten Zeichen und Symbole sowie ein Verzeichnis der Schlüsselwörter könnten zum besseren Verständnis beitragen. Fazit: Ein Lehrbuch, das, wie von den Verfassern beabsichtigt, eine Brücke von der Theorie zur Praxis schlägt, ist ein dringendes Desiderat. Die hier besprochene Einführung könnte diesem Anspruch in einer sorgfältig überarbeiteten 2. Auflage gerecht werden. Voraussetzung dafür wäre, daß sich die Autoren mit folgenden Werken eingehend auseinandersetzen, die sie nicht zu kennen scheinen: (1) Zum historischen Teil: (a) Fran9ois de la Chaussee: Initiation a la phonetique historique de l' ancien franr; ais. Klincksiek, 1974 (pädagogisch mindestens so gut wie Bourciez, inhaltlich jedoch die neue Sichtweise eines G. Straka oder eines P. Fouche integrierend, an denen man heute nicht mehr vorbeikommt); (b) A. Martinet: Le franr; ais sans fard. (Paris: P.U.F. 1969), insbesondere das Kapitel über die «Voyelles nasales du fran9ais», 144-154. (2) Was die Beziehungen zwischen Schriftbild und Lautung angeht, so stellt wohl C. Blanche- Benveniste / A. Chervel: L'orthographe (Maspero/ Paris 1969) diese Problematik am pädagogischsten dar, während Rene Thimonnier: Code orthographique et grammatical (Paris 1970) in seiner Systematik am erschöpfendsten ist. (3) Was schließlich die Beschreibung des heutigen Französisch angeht, so ist sie wohl am interessantesten und verständlichsten bei H. Walter: La dynamique des phonemes dans le lexique franr; ais contemporain (Paris: France Expansion 1976) dargestellt. Als Gegenpol zu Martinets Aussprachewörterbuch, das den de-facto-Zustand der französischen Aussprachegewohnheiten 5 Diese etymologische Hypothese ist zudem nicht abgesichert; cf. J.-P. Colin / J.-P. Mevel / C. Leclere: Dictionnaire de l'argot. Paris: Larousse 1990 (S. 147), die sich bei den etymologischen Angaben auf den Tresor de la Langue Franr; aise beziehen. Vgl. des weiteren 0. Bloch/ W.von Wartburg: Dictionnaire etymologique de la Langue franr; aise. 5e ed. revue et augmentee. Paris 1968. FLuL 22 (1993) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 241 widerzuspiegeln versucht, sollte noch auf das normative Aussprachewörterbuch von L. Wamant: Dictionnaire de la prononciation fran,aise dans sa norme actuelle. Duculot, Paris ·1987, verwiesen werden. Bielefeld Bernd Stefanink Helga Dieling: Phonetik im Fremdsprachenunterricht Deutsch. Berlin [usw.]: Langenscheidt 1992 (Fremdsprachenunterricht in Theorie und Praxis), 134 Seiten [DM 26,80]. . Mit diesem Buch profitiert der DaF-Bereich von. langjährigen Forschungsarbeiten am Herder- Institut der Universität Leipzig. Gerade im Bereich Phonetik, der das Epithet „Stiefkind des DaF- Unterrichts" schon seit vielen Jahren mit sich führt,. werden die forschungspolitisc; hen und organisatorischen Versäumnisse des Westens deutlich. Und es ist erschreckend, wie das Zusammenwachsen sich auch hier in einem Auseinanderreißen und Zusammenschrumpfen von bewährten Arbeitsgruppen niederschlägt. Ich möchte kurz skizzieren, was das Buch auf 134 Seiten bietet. Die sechs Kapitel des Buches fasse ich in drei Teile zusammen. Der erste Teil beschäftigt sich mit allgemeinen Überlegungen zur Phonetik im DaF-Unterricht. Den zweiten Teil könnte man mit "Lehr- und Lernfaktoren" überschreiben. Er umfaßt die Kapitel "Der Lehrer" (3 S.), "Der Lernende" (4 S.), "Der Unterricht" (31 S.) sowie "Lehr- und Lernmittel" (8 S.). Der dritte Großteil beinhaltet die Beschreibung der phonetischen Interferenzen von dreißig Sprachen und dem Deutschen als Basiskontrastsprache (55 S.). Dazu kommt noch neben dem ausführlichen Literaturverzeichnis im Anhang ein kurzes Glossar mit Fachtermini und elf literarischen Texten als möglichem Übungsmaterial. Der Umfang der einzelnen Teile gibt schon die Schwerpunkte an: Die Kapitel Unterricht und Phonetische Interferenzen machen fast drei Viertel des Textteils aus. Ich will das Wichtigste aus den einzelnen Kapiteln zusammenfassen. Im einleitenden allgemeinen Text sagt die Autorin etwas zu den Zielen des Pho,netikunterrichts. Sie problematisiert u.a. die Toleranzgrenzen für phonetische Fehler und die unterschiedliche phonetische Verstehensfähigkeit von DaF-Lehrern und den Leuten auf der Straße. Sie spricht sich für eine Mischung von imitativen und kognitiven Verfahren aus, wobei letz.tere erst einsetzen sollen, wenn das Imitieren nicht zum Ziel führt. Dazu gehört nach Meinung der Autorin auch die passive Beherrschung der API-Umschrift. Bei der Frage nach dem zu lehrenden Standard spricht sie sich für eine Abfolge von den oberen Formstufen (nach Meinhold) für die Anfänger zu den 'niederen' Formstufen mit stärkeren Lautabschwächungen und Prestoformen für die Fortgeschrittenen aus. Hier gei: ät Dieling sicher in Konflikt mit dem kommunikativen Ansatz, der von Anfang an durch einen hohen Grad an Authentizität den Zugang zur Sprache des Alltags eröffnen will. Sie hebt die Bedeutung der Bewußtmachung der Laut-Schrift-Relation hervor und plädiert für stärkeren Einsatz von Diktaten. Im Kapitel Der Lehrer wird die phonetische Vorbildfunktion des Lehrenden herausgestellt. Dieling meint, daß er in allem, was er sagt, immer auch Phonetiker sei. Ich denke, daß diese Vorbildrolle für die Inlandssituation zurückgenommen werden muß. Die Vielzahl der außerunterrichtlichen Kontakte auch mit den Medien Rundfunk, Film, Fernsehen erweitert die Zahl der phonetischen Vorbilder gewaltig. In diesem Kapitel hätte vielleicht auch noch etwas über Lehreraus- und besonders Lehrerfortbildung im Bereich Phonetik gesagt werden können. FLuL 22 (1993) 242 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel Im Abschnitt „Der Lernende" wird das Problem der phonetischen Verständlichkeit diskutiert. Wie an vielen anderen Stellen des Buches wird auch hier die Entscheidung über die Akzeptabilität der Lerneräußerungen den Lehrenden überlassen. Das ist allerdings nicht unproblematisch, wenn verschiedene Personen mit unterschiedlichen Toleranzfestlegungen in einer Klasse bzw. in aufeinanderfolgenden Kursstufen unterrichten. Hier hätte das Orthophon-Konzept von Kelz diskutiert werden können. Im Kapitel Der Unterricht plädiert Dieling gegen den sogenannten Globaleinstieg für einen phonetischen Vorkurs. Dieser sollte allerdings vielseitigere Arbeitsformen als das bloße Hören und Nachsprechen von Nonsens-Wörtern beinhalten. Ich halte diese Forderung von einer erfahrenen Fachfrau für bedenkenswert, gerade weil sie soweit ich sehe im Inlandsunterricht nicht eingelöst wird. Bei der Entwicklung der phonetischen Fertigkeiten legt Dieling mit dem leitmotivischen Herder-Wort „Das Ohr ist die erste Lehrmeisterin der Sprache" besonderen Wert auf das Hören. Sie unterscheidet verschiedene Formen bzw. Stufen des Hörens (verstehendes, intonematisches, intonatorisches, phonetisches, funktionelles und (selbst)kritisches). Diesen Teil halte ich trotz seiner Kürze für den ertragreichsten des Buches. Aber auch die anderen Fertigkeiten - Sprechen, Intonation und Artikulation, Lesen und Schreiben kommen in ihrer Bedeutung für die Entwicklung der phonetischen Fertigkeiten zu Wort. Schließlich wird noch eine kurze Charakterisierung der einzelnen Lernstufen gegeben. Die Aussagen dazu sind sehr allgemein. Sie sind auch nicht klar zuzuordnen, da die erwähnten Stufen (Anfänger, Mittelstufe, Fortgeschrittene) nicht genauer definiert werden, z.B. durch die Zahl der absolvierten Unterrichtsstunden. So würde ich, um nur ein Beispiel zu nennen, das laute Vorlesen schon am Ende der Grundstufe, also nach etwa 300 Unterrichtsstunden, einführen und nicht erst in der Mittelstufe. Wichtiger ist allerdings, daß dies überhaupt als nützliche Arbeitsform anerkannt wird. Bei den Lehr- und Lernmitteln geht es nicht, wie man hätte e~arten können, um Lehrwerkkritik. Es werden vielmehr sehr übersichtlich einige grundsätzliche Angaben gemacht zu Lernmitteln (und den dazu benötigten Geräten) mit ihrer Zuordnung zu verschiedenen Lernkariälen (taktil, visuell, auditiv, audio-visuell) - Gegenständen als Hilfsmitteln (z.B. Spiegel, Feuerzeug) Möglichkeiten der Darstellung von Intonation und Lauten. Das umfangreichste Kapitel beschäftigt sich mit den phonetischen Interferenzen. Die Beschreibung der einunddreißig Sprachen umfaßt jeweils ca. zwei Seiten und ist nach folgendem Muster aufgebaut: Sprachfamilienzugehörigkeit und Verbreitung Intonation Wortakzent Vokalinventar Konsonanteninventar Schrift mit Schriftprobe und Laut-Schrift-Korrelation. Der Wert dieser Übersicht, die sich auf verschiedene Vorarbeiten stützt, liegt darin, daß phonetisch interessierte Lehrende auf knappem Raum grundlegende Informationen über viele Ausgangssprachen ihrer Lerner erhalten, die ihnen sicher manches häufig auftretende Problem erklärlich machen. 6 6 Wer sich detaillierter mit diesen Sprachen auseinandersetzen will, sei auf das Ende 1993 erscheinende Buch von H. P. Kelz / U. Müller (Hrsg.): Deutsch im Kontrast: Phonetik verwiesen. FLuL 22 (1993) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 243 Die Auswahl der vorgestellten Sprachen ist z.T. sicher aus der studentischen Ausländer- Klientel der DDR zu erklären. Es handelt sich z.T. um Sprachen, denen manche DaF-Lehrende im Westen vielleicht noch nicht oder nicht bewußt begegnet sind, wie z.B. Dari und Paschtu, die in Afghanistan und z.T. in Pakistan gesprochen werden. Dafür fehlen aber Indonesisch, Serbokroatisch, Türkisch und das amerikanische Englisch, das brasilianische Portugiesisch und das lateinamerikanische Spanisch, also Sprachen, die im Inlandsunterricht der alten Bundesländer stark vertreten sind. (Vielleicht ist das eine Anregung zur Ergänzung für eine kommende Auflage.) Aber ansonsten sind alle 'großen' und 'mittelgroßen' Sprachen vertreten, so daß das Informationsbedürfnis der Lehrenden auch in sehr heterogenen Klassen befriedigt werden kann. Der Vorschlag, auch das Vortragen literarischer Texte zu üben, bringt den Phonetikunterricht schon in den Bereich der Sprecherziehung hinein. Für die Ausbildung von DaF-Lehrenden ist das sicher sinnvoll. Für den normalen Kursteilnehmer scheint mir das keine anzustrebende Fertigkeit zu sein. Dazu kommt, daß die Metrik, der Reim und der Zeilenfall oft Abweichungen in der Akzentstruktur nach sich ziehen, ganz zu schweigen von den dichterischen Freiheiten bei der Satzgliedstellung. Der vom Verlag zugestandene Umfang war sicher sehr begrenzt. Man erkennt das an dem fast randlosen Seitenspiegel (nicht nur für Rezensenten ein Ärgernis! ) undder allgemeinen Tendenz bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen folgend der kleinen Schriftgröße. Deshalb hätten vielleicht zahlreiche Wiederholungen oder auch Selbstverständlichkeiten vermieden werden können, z.B. daß man bei bestimmten Schwierigkeiten „fleißig üben" müsse, daß der Computer noch nicht allgemein verfügbar ist, "Lehrbuchautoren sind bestrebt, [...] immer neues und besseres Lehrmaterial vorzulegen" (18), "Lob fördert Leistung" (24), "Gute Dienste leisten Videorecorder und -kameras sowie Computer" (62). Der Wert des Buches als Einführung für phonetisch interessierte DaF-Lehrende ist für mich unbestritten. Es ist ein notwendiges und gut leserliches Buch, das die Ergebnisse der Forschung mit einbezieht, ohne sich in ermüdenden Auseinandersetzungen zu ergehen. Die an verschiedenen Stellen angeführten praktischen Übungsbeispiele geben einen hilfreichen Einblick in das, was im Phonetikunterricht üblich war und noch ist. Insofern entspricht das Buch in ausgewogener Weise dem Reihentitel dieser Veröffentlichung „Fremdsprachenunterricht in Theorie und Praxis". Schwetzingen Klaus Vorderwülbecke FLuL 22 (1993) 244 Neuerscheinungen • Eingegangene Bücher Neuerscheinungen - Eingegangene Bücher · DIELING, Helga: Phonetik im Fremdsprachenunterricht Deutsch. Berlin [usw.]: Langenscheidt 1992 (Fremdsprachenunterricht in Theorie und Praxis), 134 Seiten.* Eoos, Ekkehard / MORDELLET, Isabelle: Phonetique et Phonologie du Jram; ais. Theorie et pratique. Tübingen: Niemeyer 1990 (Romanistische Arbeitshefte 34), 135 Seiten.* FöLDES, Csaba (Hrsg.): Deutsche Phraseologie in Sprachsystem und Sprachverwendung. Wien: Edition Praesens 1992, 232 Seiten... KRÜGER-THIELEMANN, Karin: Wissensbasierte Sprachlernsysteme. Neue Möglichkeiten für den computergestützten Sprachunterricht. Tübingen: Narr 1992 (Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik), 270 Seiten. LANGENSCHEIDTS Wörterbuch der Umgangssprache Französisch. Wörterbuch des unkonventionellen Französisch. Von Franz-Josef Meißner. In Zusammenarbeit mit Jean-Paul Legrand, Roger Lenoir, Claude Meißner. Berlin [usw.]: Langenscheidt 1992, 245 Seiten. REINFRIED, Marcus: Das Bild im Fremdsprachenunterricht. Eine Geschichte der visuellen Medien am Beispiel des Französischunterrichts. Tübingen: Narr 1992, 359 Seiten. STÖRIG, Hans Joachim (in Zusammenarbeit mit Langenscheidt): Abenteuer Sprache. Ein Streifzug durch die Sprachen der Erde. München: Humboldt Taschenbuchverlag 1992 (Originalausgabe Berlin/ München: Langenscheidt 1987, 1991), 401 Seiten. • Das Sternchen hinter einem Buch verweist auf den Rezensionsteil in diesem Jahrgang. •• Trotz mehrfacher schriftlicher Erinnerung lag bei Redaktionsschluß weder die Besprechung dieses Buches noch das vom Rezensenten (Harald Thun, Mainz) bereits für den Jg. 21 (1992) fest zugesagte Manuskript für die Besprechung von A. Sabban / J. Wirrer (Hrsg.): Sprichwörter und Redensarten im interkulturellen Vergleich (Opladen: Westdeutscher Verlag 1991) vor. FLuL 22 (1993) 18. Arbeitstagung des Arbeitskreises d.er Sprachenzentren, Sprachlehrinstitute und Fremdspracheninstitute (AKS) Zeit: 24. bis 26. Februar 1994 Thema: Tagungsort: Auskunft bei: Interkulturelle Dimensionen der Fremdsprachenkompetenz Berlin Clearingstelle des AKS, Ruhr-Universität Bochum, Postfach 10 21 48, 44780 Bochum.·· 13. Europäische Bildungsmesse "Interschul" Zeit: 21. bis 25. März 1994 Ort: Dortmund Auskunft bei: Verband der Schulbuchverlage, Zeppelinallee 33, 60325 Frankfurt. 18. Weltkongreß der Federation Internationale des Professeurs de Langues Vivantes (FIPLV) [in Zusammenarbeit mit dem Fachverband Modeme Fremdsprachen (FMF)] Zeit: 28. bis 30. März 1994 Thema: Tagungsort: Auskunft bei: Lust auf Sprachen - Schlüssel zu Europa, Tor zur Welt Hamburg Prof. Dr. Konrad Schröder, Universität Augsburg, Lehrstuhl für Didaktik der englischen Spra~he, Universitätsstr. 10, 86159 Augsburg. Internationaler Sprach- und Fortbildungskurs für europäische Englischlehrerinnen und Englischlehrer aller Schulformen Zeit: 28. März bis 8. April 1994 Thema: Erlebte Landeskunde Tagungsort: Marburg Auskunft bei: Informationszentrum für Fremdsprachenforschung (IFS) der Philipps-Universität Marburg, Hans-Meerwein-Str. (Lahnberge), 35032 Marburg. Jahrestagung Deutsch als Fremdsprache des Fachverbandes Deutsch als Fremdsprache Zeit: 26. bis 28. Mai 1994 Themen: Tagungsort: Auskunft bei: 1. Fach- und sprachunterrichtl. Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Kooperationsmöglichkeiten; 2. Fach- und Berufssprachen • Angebot und Nachfrage; 3. Traditionelle Lehrmethoden neue Möglichkeiten; 4. Theorie und Praxis: Kooperation von Studiengängen, Lehrgebieten und Studienkollegs RWTH Aachen Dr. Armin Wolff, Universität Regensburg - Deutsch als Fremdsprache-, Universitätsstraße 31, 93053 Regensburg. 8. Kongreß des internationalen Russischlehrerverbandes (MAPRJAL) Zeit: 11. bis 18. August 1994 Tagungsort: Regensburg Auskunft bei: Prof. Dr. E. Wedel, Universität Regensburg, Institut für Slawistik, Universitätsstr. 31, 93053 Regensburg. FLuL 22 (1993) 246 Informationen • Nachrichten • Vorschau Vorschau auf den Jahrgang 23 (1994) von FLuL Der beispiellose Aufschwung, den die Wörterbuchproduktion seit Mitte der siebziger Jahre weltweit zu verzeichnen hat, hält unvermindert an. Dies gilt in besonderem Maß für die sog. "learner's dictionaries", die mit der „Wiederentdeckung" des Wortschatzes zunehmend in den Blickpunkt des (Fremd-)Sprach(en)unterrichts gerückt sind und die nunmehr auch von fremdsprachendidaktischer Seite eine bislang nie gekannte Aufmerksamkeit erfahren. Wichtige Impulse gingen in diesem Zusammenhang von der Metalexikographie aus - und hier vor allem von jener Forschungsrichtung, die den fremdsprachigen Benutzer in den Mittelpunkt stellt und die sich gezielt mit Fragen der Konzeption von L2-Wörterbüchem beschäftigt. Das anhaltende (fremdsprachen)didaktische Interesse am Wörterbuch hat die Herausgeber bewogen, für den Jahrgang 1994 wiederum einen lexikographischen Schwerpunkt zu wählen, und zwar „Wörterbücher und ihre Benutzer". Mit der Wahl des Themas entspricht die Redaktion allerdings nicht dem wiederholt geäußerten Wunsch nach einer aktualisierten Neuauflage des im Jahre 1985 erschienenen Themenbandes „Wörterbücher und ihre Didaktik", der ein überraschend großes Echo gefunden hat und der schon nach kurzer Zeit vergriffen war. Vielmehr soll neben praktischen Empfehlungen und wörterbuchdidaktischen Fragestellungen nunmehr der Bereich der empirischen Benutzungsforschung stärkere Berücksichtigung finden [E.Z.]. Bei Redaktionsschluß lagen Zusagen für folgende Beiträge vor: Heinz Antor (Würzburg): Strategien der Benutzerfreundlichkeit im modernen EFL-Wörterbuch. Jens Bahns (Kiel): Die Berücksichtigung von Kollokationen in den drei großen Lemerwörterbüchern des Englischen. Paul Bogaards (Leiden): Tuning the dictionary to the needs and skills of intermediate learners. Ulrich Busse (Paderborn): Das Anglizismen-Wörterbuch und seine Benutzer. Reinhard R.K. Hartmann (Exeter): [Thema stand bei Redaktionsschluß noch nicht fest]. Käthe Henke-Brown, Kurt Michael Pätzold (Bielefeld): Englische Wörterbücher und Nachschlagewerke ein Überblick [Arbeitstitel]. Michaela Heinz (Nancy): Was ist neu am 'neuen' Petit Robert? Thomas Herbst, David Heath (Erlangen): Enzyklopädische Lernerwörterbücher des Englischen ein neuer Wörterbuchtyp. Lutz Köster, Fritz Neubauer (Bielefeld): 'Langenscheidts Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache' auf dem Prüfstand [Arbeitstitel]. Peter Kühn (Trier): Der Einsatz des Wörterbuchs bei der Textproduktion im Bereich Deutsch als Fremdsprache. Herbert Ernst Wiegand (Heidelberg): Zur Psycholinguistik des Wörterbuchbenutzers. Ekkehard Zöfgen (Bielefeld): 'Glanz' und 'Elend' der empirischen Wörterbuchbenutzungsforschung [Arbeitstitel]. Für den Nicht-thematischen Teil sind vorgesehen: Bernd Stefanink (Bielefeld): Die Erforschung des Übersetzungsprozesses: Lautes Denken oder Ethnotranslatologie? Geplanter Themenschwerpunkt für Jahrgang 24 (1995): Kontrastiv Lernen FLuL 22 (1993) Dieter Cherubim, Dr. phil., Univ.-Prof., Seminar für Deutsche Philologie der Georg-August- Universität Göttingen, Humboldtallee 13, 37073 GörnNGEN. Arbeitsbereiche: Historische Sprachwissenschaft, Pragmatik, Fehlerlinguistik. Silke Demme, Dr. phil., Friedrich-Schiller-Universität Jena, Institut für Auslandsgermanistik/ DaF, Leutragraben 1, 07743 JENA. Arbeitsbereiche: Sprachpraxis, Fehleranalyse/ Fehlerdidaktik, Didaktik der Grammatik DaF. Willis J, Edmondson, Dr. phil., Univ.-Prof., Zentrales Fremdspracheninstitut der Universität Hamburg, Von-Melle-Park 5, 20146 HAMBURG. Arbeitsbereiche: Sprachlehrforschung. Ferdi Einert, Dr. sc. phil., Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden, Friedrich-List-Platz l, 01069 DRESDEN. . Arbeitsbereiche: Valenz, Semantik des Verbs, Französische Fachsprache des Nachrichtenwesens. Claus Gnutzmann, Dr. phil., Univ.-Prof., Universität-Gesamthochschule Paderborn, Fachbereich 3: Englische Sprachwissenschaft und Didaktik der englischen Sprache, Warburger Straße 100, 33098 PADERBORN. Arbeitsbereiche: Fachsprachen, Englische Grammatik, Kontrastive Linguistik. Julien S. Green, Senior Lecturer (retired), früherer Direktor des Language Teaching Centre der University of YORK. Arbeitsbereiche: Fremdsprachenlehrerausbildung, Testing, Erforschung der Lernersprache. Klaus Hartenstein, Dr. phil., Univ.-Prof., Zentrales Fremdspracheninstitut der Universität Hamburg, von-Melle-Park 5, 20146 HAMBURG. Arbeitsbereiche: Lexikalische Semantik, Phraseologie, Konfrontative Grammatik. Karlheinz Hecht, Dr. phil., Univ.-Prof., Universität München, Lehrstuhl für die Didaktik der Englischen Sprache und Literatur, Schellingstr. 3, 80799 MÜNCHEN. Arbeitsbereiche: Fachdidaktik Englisch, Fehleranalyse und Testing, Entwicklung und Analyse der Lernersprache unter schulischen Bedingungen. Gert Henrici, Dr. phil, Univ.-Prof., Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld, Universitätsstraße 25, 33615 BIELEFELD. Arbeitsbereiche: Zweitsprachenerwerbsforschung, Empirische Fremdsprachendidaktik, Deutsch als Fremdsprache. Bernd Kielhöfer, Dr. phil., Univ.-Prof., Institut für Romanische Philologie der FU Berlin, Habelschwerdter Allee 45, 14195 BERLIN. Arbeitsbereiche: Spracherwerb L 1 +½,Zwei- und Mehrsprachigkeit, Grammatikschreibung des Französischen und Italienischen. Marion Kiffe, Universität-Gesamthochschule Paderborn, Fachbereich 3: Englische Sprachwissenschaft und Didaktik der englischen Sprache, Warburger Straße 100, 33098 PADERBORN. Arbeitsbereiche: Angewandte Sprachwissenschaft. Karin Kleppin, Dr. phil., Studienrätin im Hochschuldienst, Ruhr-Universität Bochum, Seminar für Sprachlehrforschung, Universitätsstraße 150, Postfach 10 21 48, 44801 BOCHUM. Arbeitsbereiche: Interaktion im Fremdsprachenunterricht, Fehlerkorrektur, Methodik der Fremdsprachenvermittlung. FLuL 22 (1993) 248 Autoren und Autorinnen der Beiträge Frank G. Königs, Dr. phil. habil. Privatdozent, Ruhr-Universität Bochum, Seminar für Sprachlehrforschung, Universitätsstraße 150, Postfach 10 21 48, 44801 BOCHUM. Arbeitsbereiche: Psycholinguistik und Zweitsprachenerwerb, Fehlerkorrektur, Übersetzungswissenschaft und Übersetzungsdidaktik, Li-Schreibforschung. Amei Koll-Stobbe, Dr. phil., Akad. Rätin, Englisches Seminar der Christian-Albrechts-Universität, Olshausenstr. 40, 24118 KIEL. Arbeitsbereiche: Psycholinguistik (kognitive Lexikologie), Varietäten des Englischen. Hagen Kordes, Dr. phil., Univ.-Prof., Fachbereich Erziehungswissenschaften, Institut II: Abteilung Didaktik/ Bildungsforschung, Georgskommende 25, 48143 MÜNSTER. Arbeitsbereiche: Interlinguales, Internationales und Interkulturelles Lernen. Dorothea Möhle, Dr. phil., Univ.-Prof., Gesamthochschule Kassel, Fachbereich 8: Anglistik/ Romanistik, Georg-Forster-Straße 3, 34127 KASSEL. Arbeitsbereiche: Romanistik, Fremdsprachendidaktik, Psycholinguistik. Manfred Raupach, Dr. phil., Univ.-Prof., Gesamthochschule Kassel, Fachbereich 8: Anglistik/ Romanistik, Georg-Forster-Straße 3, 34127 KASSEL. Arbeitsbereiche: Romanistik/ Linguistik, Psycholinguistik. Georg Schön, Akad. Oberrat, Seminar für Deutsche Philologie der Georg-August-Universität Göttingen, Humboldtallee 13, 37073 GÖTTINGEN. Arbeitsbereiche: Psycholinguistik, Patholinguistik, Grammatik. Arnsdorf, Dieter/ Eisenberg, Ulrich Deutsch sprechen - Deutsch verstehen. Ein Lernprogramm für Fortgeschrittene. 5. Auflage 1993. 128 Seiten. Broschiert. ISBN 3-87276-691-0 DM/ SFr. 28,-/ ö.S. 219,- 5 Compact-Cassetten, beidseitig bespielt. Gesamtlaufzeit ca. 300 Min. Bestell-Nr. 472 DM/ SFr. 240,-/ ö. S. 1872,- Das Programm, da1p bereits an Hochschulel'l sowie Goethe-Instituten des In- und Auslandes erprobt wurde, wendet sich an Lerner mit guten Grundkenntnissen des Deutschen (etwa an Inhaber des Zertifikats „Deutsch als Fremdsprache"). Es liegt nun in überarbeiteter Fassung und zum ersten Mal auf Tonkassetten vor. DEUTSCH SPRECHEN - DEUTSCH VERSTEHEN ist sowohl für den Einsatz im Klassenunterricht (Sprachlabor) als auch füt das Selbststudium bestimmt. Der Kurs besteht aus zehn Unterrichtseinheiten, die jeweils einem Thema gewidmet sind. Die Reihenfolge der Einheiten ist an keine Progression gebunden. Der Lernzuwachs wird durch die Verbesserung der Sprechfertigkeit und des Hörverständnisses erreicht, in Bereichen also, in denen der Einsatz von Tonträgern besonders förderlich ist. Da: bei lernen die Adressaten, die in der Grundstufe erworbenen und oft nur an isolierten Beispielsätzen geübten Strukturen situativ anzuwenden. Ausgangspunkt eines „Themas" ist jeweils ein Basistext, auf dem die Übungen zu Hörverständnis, Phonetik und Intonation, Grammatik, Sprechfertigkeit und Lernkontrolle aufbauen. In ihrer sprachlichen Qualität suchen die Texte aufgrund ihrer vorwiegend audiolingualen Verwendung die Nähe zur Sprache der Massenmedien. Die in den einzelnen Einheiten angesprochenen Themen sind an keine Tagesaktualität gebunden und bieten die Möglichkeit, landeskundliche Informationen in das Programm einzubauen . • JULIUS GROOS VERLAG Postfach 10 24 23 • 69014 Heidelberg Bernstein, Wolf Z., Pseudopartizipien i117: . deutschen Sprachgebrauch. Ein Nachschlage- und Ubungsbuch. 1992. 11/ 126 Seiten mit 6 Abb. Brosch. ISBN 3-87276-663-5 DM 44,-- In dieser Arbeit wird versucht, den Pseudopartizipien einer nicht .sehr zahlreichen, jedoch im deutschen Sprachgebrauch eine wichtige Rolle spielenden Wörtergruppe den ihnen zukommenden Platz einzuräumen und somit einen Bestandteil der deutschen Lexik zu behandeln, dem bisher noch keine genügende Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Aus der Praxis entstanden und für die Praxis bestimmt, wendet sich das Buch in erster Linie an Lernende und Lehrende im Fach Deutsch (als Fremd- und Muttersprache), im Germanistikstudium und in der Lehreraus- und -fortbildung. Es wendet sich an alle, die sich für Wortschatzprobleme interessieren und danach streben, Einsicht in ein wichtiges Teilgebiet der deutschen Sprache zu gewinnen; es _ _soll als Bewußtmachungs-, Nachschlage- und Ubungsbuch Lehr- und Wörterbücher ergänzen und dazu beitragen, daß sich der Benutzer in den Anwendungsmöglichkeiten der Pseudopartizipien besser zurechtfindet. Vom gleichen Autor ist erschienen: Leseverständnis als Unterrichtsziel. Sprachliches und methodisches Grundwissen für den Lehrer im Fach Deutsch als Fremdsprache. 1990. VIII/ 268 Seiten. Brosch. ISBN 3-87276-631-7 DM 32 -- ' JULIUS GROOS VERLAG Postfach 10 24 23 · 69014 Heidelberg Je svis afüm ""~, ma; , o.vss; un pe.v. (roiYI\CliS ~ Bernd Kielhöfer / Sylvie Jonekeit Zweisprachige Kindererziehung 8. Aufl., 1993, 100 Seiten DM 16,80/ ÖS 131,-/ SFr 16,80 ISBN 3-923721-05-6 "Ein Ratgeber( ... ), ein auch für den sprachwissenschaftlichenLaien hervorragend lesbares und von Anlage und Preis her erfreuliches Buch (... ), das vor allem Eltern sehr. empfohlen werden kann." Informationen Deutsch als Fremdsprache "Das Buch schildert anschaulich, wie in einer deutsch/ französischen Mischehe Kinder zweisprach1g heranwachsen. Das Besondere dieses Falles wird stets mit allgemeinen Erkenntnissen aus der Zweisprachigkeitsforschung verbunden, so daß das Buch auch als praktischer Ratgeber geeignet ist. Besonders interessant für Sprach- und Beratungslehrer, aber auch für Schulpsychologen." Das gute Buch in der Schule Stauffenburg verlag Postfach 2567 • D-72015 Tübingen Jacques de Bruyne Spanische Grammati~ Übers·etzt von DIRKo-J. GüTsCH0.W 1993. XXJIJ, 635 Seiten. Geb. DM78.- .. ISBN 3-484-50325.~4. Mit der Überset: tung der »Spaanse Spraakkunst« von Jacques de .Bruyne wird erstmals eine spanische Grammatik .. in deütscher Sprache vorgelegt, die in 15 Kapiteln ei~err um: f~ssenden Überblick über das moder&Spanisch gibt. '.Diebereits in 3. Auflage erscpienene flämische Orlginalausga\: ie ein unverzichtbares Standardwerk für a11e Spanischlehrenderi urid -lernenden im flämisch/ niederländischen Sprachraum wurde für die deutsche Übersetzung gründlich überarbeitet und erweitert. Ein detailliertes Inhaltsverzeichnis und ein ausführliches Sachregister ermöglichen dem Benutzer einen raschen Zugriff zu einzelnen grammatischen Problemen. Aus dem Inhalt: 1. Allgemeine Einleitung. - II. Der Artikel. - III. Das Substantiv. - IV. Das Adjektiv. - V. Die Zahlwörter. - VI. Die Pronomen. - VII. Das Adverb. - VIII. Die Präpositionen. - IX: Die Konjunktionen. - X. Das Verb. - XI. Gebrauch der Tempora und Modi des Verbs. - XII. Die unpersönlichen Formen des Verbs. - XIII. Besondere Probleme im Zusammerihang mit dem Verb. - XIV. Wortbildung mit Hilfe von Suffixen. - XV. Die Wortstellung im Satz. ~ Max Niemeyer Verlag GmbH&Co.KG Postfach 2140 D-72011 Tübingen Bernd-Dietrich Müller (Hg.) Interkulturelle Wirtschaftskommunikation 2. überarbeitete und erweiterte Auflage München 1993 ISBN 3-89129-109-4 570 S., geb. DM 116,- J eder Wirtschaftszweig und fast jedes Unternehmen steht heute in interhationalen Wirtschaftsbeziehungen, die ganz wesentlich auf direkter Kommunikation in mündlicher und/ oder schriftlicher Form in einer zumindest für einen der Partner fremden Sprache beruhen. »Interkulturelle Wirtschaftskommunikation« bezeichnet ein neues Forschungsfeld, das sich mit sprachlich und kulturell bedingten Kommunikationsproblemen in internationalen Wirtschaftsbeziehungen beschäftigt. Seine Aufgabe ist, systematisch und interdisziplinär zu analysieren, welche Faktoren die grenzüberschreitende Kommunikation in Handlungsfeldern der Wirtschaft negativ (Stichwort: criücal incidents) oder positiv (Stichwort: Synergie) beeinflussen. E ine Reihe dieser Faktoren wird hier diskutiert. Leitend ist dabei die Frage, wie man Weiterbildungsveranstaltungen für Personen gestalten kann, die in der Fremdsprache Deutsch aus beruflichen Gründen miteinander ver-handeln. Sicher scheint dabei, daß sich diese Personen neben den fremdsprachlichen auch interpersonale Fähigkeiten (interpersonal skills) und vor allem interkulturelle Kompetenzen aneignen müssen. Entsprechend ist die Fragestellung jeder Erforschung der »interkulturellen Wirtschaftskommunikation« über die fremdsprachenphilologische hinaus um eine im weiteren Sinne »kulturwissenschaftliche« zu erweitern. Die hier versammelten Beiträge mögen als Anstöße dazu dienen aus der Praxis für die Praxis. iudicium verlag Postfach 70 10 67 • D-81310 München• Tel. 089 / 71 87 47 • Fax 089 / 714 20 39 Hinweise zu Beiträgen für FLuL Die Herausgeber bitten um sorgfältige Beachtung der folgenden Hinweise bei der Erstellung der Manuskripte: FLuL begrüßt Beiträge zu Forschung und Unterricht aus allen für den Fremdsprachenunterricht an der Hochschule relevanten Bereichen sowie zum Fremdsprachenlehren/ -lemen im Ausland . Grundlage für jeden Beitrag sollte eine ausreichende wissenschaftliche Fundierung mit unmittelbarer oder mittelbarer Relevanz des Gegenstandes für die fremdsprachenunterrichtliche Tätigkeit an der Hochschule sein. Beiträge, die den schulischen Fremdsprachenunterricht zusätzlich zur Reflexionsgröße erheben, sind gleichermaßen willkommen. Umfang/ Sprache: Die Beiträge können auf Deutsch, Englisch, Französisch oder Spanisch abgefaßt sein; sie sollten 15 Druckseiten ( = 49 000 Anschläge) nicht überschreiten [dies entspricht etwa 20 Schreibmaschinenseiten mit 38 Zeilen a 65 Anschlägen] . Gliederung: Dem Beitrag ist eine Zusammenfassung auf Englisch (bei Englisch geschriebenen Beiträgen auf Deutsch) von ca. 10 Zeilen voranzustellen . Der Text sollte möglichst in Kapitel mit Kapitelüberschriften unterteilt sein. Unabhängig davon erfolgt die Numerierung der Kapitel grundsätzlich nach dem lateinischen Dezimalsystem (1, 1.1, 1.1.1, usw .) . Anmerkungen/ Literaturverzeichnis: Inhaltliche Anmerkungen und Literaturverzeichnis sind zu trennen. Die Anmerkungen sind durchzunumerieren und dem Beitrag auf einem getrennten Blatt beizulegen . Ein alphabetisches Literaturverzeichnis wird am Ende des Beitrages nach folgendem Muster zusammengestellt: HELBIG, G .: "Grammatik und kommunikativer Fremdsprachenunterricht". In: Fremdsprachen lehren und Jemen 20 (1991), 7 - 24 . HÜLLEN, W. : "Universalsprachen ein fruchtbarer Irrtum des 17 . Jahrhunderts" . In : E . Leupold / Y. Petter (Hrsg .): Interdisziplinäre Sprachforschung und Sprachlehre. Festschrift für Albert Raasch zum 60 . Geburtstag . Tübingen 1990, 85-96 . KNAPP-POTIHOFF, A . / KNAPP, K .: Fremdsprachenlernen und -lehren . Eine Einführung in die Didaktik der Fremdsprachen vom Standpunkt der Zweitsprachenerwerbsforschung. Stuttgart [usw .] 1982. Bibliographische Angaben im Text sollen den Namen des Autors, das Erscheinungsjahr der Publikation und ggf. die Seitenzahl(en) enthalten, z .B.: Hüllen (1987: 57) weist darauf hin, daß .. .. oder dieses Thema wird in der Literatur häufig behandelt (vgl. Knapp-Potthoff/ Knapp 1982, Klein 1984: 3-12). Illustrationen/ Reproduktionen: Illustrationen sind in kopiergerechter, endgültiger (d.h. auf A 4 vergrößerter) Form auf einem gesonderten Blatt beizufügen . Auszeichnungen: Kursivdruck ist durch einfaches Unterstreichen im Manuskript kenntlich zu machen. Unterstreichungen sind im Manuskript mit g r ü n zu markieren. Textstellen, die halbfett gedruckt werden sollen, sind r o t zu unterstreichen . Textpassagen, die «petit» gesetzt werden sollen, sind durch senkrechten schwarzen Strich am Rand zu markieren. Angaben zur Person umfassen : Vor- und Zuname , Akad . Grad, Institution und Dienstanschrift (ggf. Privatanschrift), Arbeitsbereich . Korrektur: Die Korrektur der Druckfahnen obliegt dem Autor; sie soll nach den Korrekturvorschriften des Rechtschreib-Duden erfolgen . Für unverlangt eingesandte Manuskripte kann keine Gewähr übernommen werden. Manuskripte werden erbeten an: Redaktion FLuL Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld Universitätsstraße, Postfach 100 131 • 4800 Bielefeld 1 Vilmos Bardosi / Stefan Ettinger / Cecile Stölting Redewendungen Französisch/ Deutsch Thematisches Wörter- und Übungsbuch UTB 1703, 1992, XXVIII, 259 Seiten, zahlr. Abb., DM 29,80 UTB-ISBN 3-8252-1703-5 Wer eine fremde Sprache lernt, stößt sehr rasch auf idiomatische Wendungen, deren Sinn sich mitunter nur schwer entschlüsseln läßt, da sie oft in der Muttersprache keine direkten Entsprechungen haben. Die Autoren haben hier ungefähr 1000 Redewendungen des Französischen ausgewählt, die jeweils französisch und deutsch umschrieben und zu denen falls möglich entsprechende deutsche Redewendungen angegeben sind . Hinweise zu grammatikalisch und semantisch bedingten Restriktionen beim Gebrauch einer Redewendung, Angaben zur Aussprache, z; ur Pragmatik sowie lexikalische und etymologische Erläuterungen vervollständigen die Informationen zur Mikrostruktur der Redewendungen. Abweichend von den bisherigen Sammlungen zur Idiomatik bzw. Phraseologie sind in diesem Band die Redewendungen thematisch, d.h. nach Schlüsselbegriffen gegliedert. Diese lernerorientierte Anordnung ermöglicht es dem Benutzer, Schlüsselwörter wie z.B. avarice, gaspillage , courage, peur , colere , sprachlich auszudrücken. Ein umfangreicher illustrierter Ubungsteil mit Schlüssel trägt zum Erlernen und Vertiefen der Redewendungen bei und erlaubt cj.ie Verwendung dieses Lernwörterbuches in sprachpraktischen Kursen und ·iin Eigelj).studium. Der französische und deutsche Index sowie ein Verzeichnis der französischen Schlüsselbegriffe runden das Arbeitsbuch ab. Francke Verlag ·Postfach 25 60 ·D-7400 Tübingen ·Fax: 0 70 71 / 7 52 88 UTB RJRWISSEN SCHAFf ISSN 0932-6936 ISBN 3-8233-4580-X - Francke