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Fremdsprachen Lehren und Lernen
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
1996
251 Gnutzmann Küster Schramm
Fremdsprachen Lehren und Lernen Herausgegeben von Gert 1-Ienrici und Ekkehard Zöf gen Themenschwerpunkt: ative Methoden Innovativ-altern=: .= __ _ ~ ~ Gumer Narr Verlag Tübingen Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL) Zur Theorie und Praxis des Sprachunterrichts an Hochschulen Herausgeber und Schriftleiter: Gert Henrici Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld Postfach 10 01 31 33501 Bielefeld Ekkehard Zöfgen Seminar für Fremdsprachen Abt. f. Französische Sprache u. Literatur Universität Kiel Olshausenstraße 75 24118 Kiel Redaktionsanschrift: siehe 3. Umschlagseite . Beratende Mitarbeit: Rupprecht S. Baur (Essen) · Wolfgang Börner (Hamburg) Dieter Götz (Augsburg) · Franz Josef Hausmann (Erlangen) Wolfgang Herrlitz (Utrec ht) Fremdsprachen Lehren und Lernen erscheint einmal jährlich mit einem Umfang von ca. 240 Seiten . Das Jahresabonnement ko stet DM 78,- (zuzügl. Postgebühren) . Vorzugspreis für private Leser DM 58,- (zuzügl. Postgebühren / Lieferung und Rechnung an Privatadre sse), sofern sie dem Verlag schriftlich mitteilen , daß sie die Zeitsc hrift ausschließlich für den persönlichen Gebrauch beziehen . Erfolgt keine Abbestellung bi s zum 1. Dezember, so verlängert sich das Abonnement automatisch um ein Jahr. © J996 • Gunter Narr Verlag • Tübingen Die in der Zeitsch rift veröffe ntlic hten Beiträge sin d urhe berrechtlich gesc hüt zt. Alle Rec hte, in sbesondere das der Übe rse tzung in fremde Sprachen , vorbeha lten . Kein Teil dieser Zeitschrift darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form durch Fotokopie, Mikrofilm oder andere Verfahren reproduziert ode r in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbe itun gsa nlag en, verwe ndbare Sprache übertrage n werde n. Auch die Rechte der Wiedergabe durch Vortrag, Funk- und Fernsehsendung, im Magnettonverfahren oder auf ähnli chem Wege bleiben vorbe ha lte n. Fotokopien für de n persönlichen und sons ti gen e igenen Gebrauch dürfe n nur vo n einzelnen Beiträge n oder Teilen daraus als Einzelkopien hergestellt we rde n. Jed e im Berei ch eines gewe rblichen Unternehmens hergestellte oder benützte Kopi e dient gewe rbli chen Zwecken gern. § 54 (2) UrhG und ve rpflicht et zur Gebührenzahlung a n die VG WORT, Abteilung Wi ssensc haft, Goethestraße 49 , 8000 München 2, von der die e in ze lne n Za hlun gs mod a litäte n zu erfrage n si nd. Gedruckt mit Unterstützung der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld. Druck: Laupp & Göbel , Nehren Bindung: Nädele , Nehren Printed in Germany ISSN 0932-6936 ISBN 3-8233-4584-2 Gunter Narr Verlag · Postfach 25 67 · D-72015 Tübingen ~~ 25. Jahrgang (1996) Themenschwerpunkt: Innovativ-alternative Methoden koordiniert von Gert Henricl Innovativ-alternative Methoden Gert Henrici Zur Einführung in den Themenschwerpunkt Harris Winitz Tue Comprehension Approach: Methodological considerations Thomas Lovik Total Physical Response: Beschreibung und Beurteilung einer 3 13 innovativen Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Erwin Tschirner Spracherwerb im Unterricht: Der Natural Approach . . . . . . . . . . . . . . . 50 Jean-Pol Martin Das Projekt „Lernen durch Lehren" eine vorläufige Bilanz . . . . . . . . . 70 Gerald Schlemminger Freinet-Pädagogik - (auch) ein Ansatz für den Fremdsprachenunterricht? 87 Rupprecht Baur Die Suggestopädie Michael Hager Tapping our representational systems to learn a foreign language. How aspects of Neurolinguistic Programming can assist in leaming 106 a foreign language . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Bernard Dufeu Aspekte der Sprachpsychodrainaturgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 Hans-Erich Herfurth Tandem ein Verfahren zum Fremdsprachenlernen und Fremdsprachenerwerb in Begegnungssituationen ............................ 160 (Fortsetzung umseitig) Nicht-thematischer Teil Peter Sche,fer Über Vokabelerklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Ingeborg Hofmann Zur Didaktik der Fachsprachen im Bereich Deutsch als Fremdsprache .. 211 Antje Oldenburg Abstracts deutscher und englischer wissenschaftlicher Zeitschriftenaufsätze. Ein inter- und intralingualer Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel Gert FRITZ/ Franz HUNDSNURSCHER (Hrsg.): Handbuch der Dialoganalyse. Tübingen: Niemeyer 1994 (Ulrich Dausendschön-Gay) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Langenscheidts Handwörterbuch Französisch. Völlige Neubearbeitung 1995. Berlin [usw.]: Langenscheidt 1995 (Franz Josef Hausmann) . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Sigbert LATZEL: Lernschwierigkeiten mit deutschen Synonymen. Teil I [...] Teil II [...]. Berlin [usw.]: Groos 1995 (Lutz Köster) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Ausgewählte Neuerscheinungen zur Übersetzungswissenschaft und Übersetzungsdidaktik eine Sammelrezension (Teil II) (Bernd Stefanink) . . . . . . . . . . . . . . . 250 Eingegangene Bücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 Informationen • Nachrichten • Vorschau auf 1997 263 Autoren und Autorinnen der Beiträge 265 FLuL 25 (1996) ...__ ____ 1n_n_o_v_a_t_iv_-_a1_t_er_n_a_t_i_v_e_M_e_t_h_o_d_e_n ____ ~I Gert Henrici Zur Einführung in den Themenschwerpunkt Anlaß für die Herausgabe dieses Themenheftes war die Überlegung, daß es nach mehr als 30 Jahren der Konzipierung, Rezeption und Diskussion sogenannter „innovativ-alternativer Methoden" 1 nützlich sein könnte, im Jahr 1996 eine weitere aktualisierte Zwischenbilanz vorzulegen 2 und auch generell über diesen Typ von Methoden zu unterrichten sowie damit zu einer differenzierteren Wahrnehmung und Beurteilung dieser Methoden bzw. Ansätze ("approaches") beizutragen. Angesichts des vom Verlag vorgegebenen Umfangs des Bandes kann nur eine beschränkte Auswahl von Methoden vorgestellt werden, die mancher als willkürlich und nicht repräsentativ einschätzen mag unter ihnen auch solche Ansätze, die in Fachkreisen nicht so bekannt sind, von denen jedoch auch wichtige Anregungen für die Begründung und Gestaltung von Lehr-Lernprozessen ausgehen (können). Diese Willkürlichkeit hat eine Reihe von Gründen: Abgesehen von dem Kriterium der Repräsentanz, das aufgrund der Vielzahl von sogenannten „innovativalternativen Methoden" nur schwer zu erfüllen ist, war auch die ursprüngliche Absicht leider nicht zu realisieren, möglichst solche Autorinnen und Autoren zu gewinnen, die entweder selbst den jeweiligen Ansatz konzipiert haben oder an der Ausarbeitung und seiner (weiteren) Entwicklung wesentlich beteiligt waren und am besten in der Lage sind, über die jeweiligen Methoden detailgenau und aktuell zu unterrichten, um damit gängige Clichevorstellungen und Halbwahrheiten zu reduzieren. Manche sind mittlerweile verstorben, andere wollten nicht, einige antworteten gar nicht auf die Einladung der Herausgeber. Andere Auswahlkriterien wie z.B. theoretische und praktische Präsenz in Deutschland (Europa) bereiteten ebenfalls In Deutschland werden sie verstärkt ab den 80er Jahren vorwiegend skeptisch-zurückhaltend rezipiert und diskutiert. Polemisch-agressive Ablehnungen wie z.B. die von Reil (1983) bilden die Ausnahme. Besondere Beachtung findet die Suggestopädie, die auf verschiedene Weise weiterentwickelt und auch partiell in schulischen Kontexten angewendet und erprobt wird (z.B. Baur (1980, 1990, 1993), Schiffler (1980, 1989), Bancroft (1982), Schwerdtfeger (1983, 1986), Hinkelmann (1986), Edelmann (1988), Knig (1989), Dietrich (1990), Holtwisch (1990, 1994), Stahl (1993), Graf (1996). 2 Zwischenbilanzen finden sich u.a. bei Stevick (1980), Roberts (1982), Blair (1982), Bleyhl (1982), Königs (1983), Schwerdtfeger (1983/ 1986), Dietrich (1983, 1989, 1993), Knibbeler/ Bernards (1984), Müller (1989), Baur (1993), Rösler (1993), in den Themenheften von Unterrichtswissenschaften 19.1 (1991), Le Franrais dans le Monde 175 (1983). Vgl. auch die reichhaltigen Bibliographien von Jung (1986) und Henrici (1986). FLuL 25 (1996) 4 Zur Einführung in den Themenschwerpunkt . Probleme. Eine weitere Absicht, durch Vorgabe eines Kriterienrasters (vgl. S. 9) eine Vergleichbarkeit der einzelnen Ansätze zu ermöglichen, wurde nur in Teilen und nur von einzelnen Autoren erfüllt ist wohl auch in einem Themenheft wie diesem nicht erfüllbar. Hinsichtlich der Reihenfolge der Darstellung war es ebenfalls schwierig, eindeutige Kriterien für eine stimmige Gruppierung zu finden. Letztlich fiel die sicherlich auch nicht überzeugende Entscheidung für eine Reihenfolge nach den Möglichkeiten bereits erfolgter bzw. potentieller Adaptationen im schulischen/ universitären Kontext verbunden mit Gesichtspunkten, die verwandte Prinzipien erkennen lassen. Andere mögliche Gliederungsgesichtspunkte wie z.B. geschlossene/ offene Konzepte (Dietrich 1989/ 31995), lehrergesteuerte/ lernerzentrierte (Edmondson/ House 1993), globale/ einzelne Fertigkeitsbereiche betreffende (z.B. rezeptive/ produktive), psychologisch, pädagogisch, philosophisch, lerntheoretisch vs. sprachwissenschaftlich, -didaktisch, -erwerblich begründet wurden als explizite Gliederungs-Parameter fallengelassen. Wie viele andere mögliche Kriterien können sie für die Bewertung der einzelnen Ansätze nützlich sein. Terminologie und Begründungen: Die für dieses Themenheft gewählte Bezeichnung „innovativ-alternative Methoden" liegt darin begründet, daß sie in der Fachliteratur weitaus am häufigsten verwendet wird, meistens in getrennter Form. Daneben gibt es eine Vielzahl weiterer Benennungen: unkonventionell (non conventionelle), unorthodox, holistisch, ganzheitlich, neu, parallel (parallele), komplementär, ergänzend, im angelsächsischen Raum finden sich: / ringe, New Age, designer, new, revolutionary, spirited. 3 Mit der Verwendung des „Zauberwortes" alternativ und annexer Begriffe werden Assoziationen zu anderen Bereichen und Disziplinen hergestellt: u.a. alternative/ unkonventionelle Medizin, alternative Bewegung, New Age Epoche, alternative Pädagogik, alternative Schulen. Damit verbunden sind häufig vage, nicht zureichende Abgrenzungen zum Gewohnten, Traditionellen. In der Fremdsprachendidaktik: anders lernen, "den Ablauf von Lernprozessen anders zu gestalten" (Müller 1989: 5)4, Hinwegsetzen über etablierte didaktische Prinzipien wie z.B. Einsprachig- 3 Auf die Vielfältigkeit der Verwendung des Begriffs Methode, z.B. wenn 'Ansätze' ('approaches'), "methodische Einzelteile" oder Prinzipien gemeint sind, wird hier nicht eingegangen (vgl. dazu u.a. Richards/ Rogers 1986; Henrici 1986, 1994; Scarcella/ Oxford 1991, Brown 1994). 4 Müller (1989) weist mit Recht auf die Notwendigkeit der Differenzierung des Konzepts "anders lernen" hin, das global unter dem Sammelbegriff „alternative Methoden" zusammengefaßt wird. Man müsse zwischen methodenbezogenen Veränderungskonzepten "Methodenpaketen") und weniger auf Effizienz abgestellte inhalts-/ lernbezogene pädagogisch orientierte „alternative Verfahren von unten" unterscheiden, wie sie in der Reformpädagogik und etwa bei Freinet entwickelt worden seien (u.a. exemplarisches Lernen in Projekten, kooperatives Handeln von Lehrern und Lernern, Einbeziehung der Lebenswelt in den Unterricht, offene Unterrichtsgestaltung, Eingehen auf persönliche Lernbedürfnisse und -fähigkeiten, Förderung von selbstbestimmtem und gesteuertem Lernen). FLuL 25 (1996) Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 5 keit, Progression, aufbereitete Texte (Dietrich 1983). Häufig gehen damit Verheißungen einher wie: erfolgreicher, mit mehr Spaß, mit höherer Motivation, angenehmer, leichter, "im Schlaf' lernen (vgl. u.a. Baur 1993, Dietrich 1993). Für das Entstehen und als Begründung alternativ-innovativer Methoden werden durchgängig genannt: mangelnde Effektivität des traditionellen, vor allem schulischen Fremdsprachenunterrichts, AusschaltungNernachlässigung der affektiven Komponente gegenüber der Dominanz von kognitiven und kommunikativ-interaktiven Faktoren, Reduzierung der weitverbreiteten z.T. auch richtigen Auffassung - Fremdsprachenerwerb sei ein mühevolles, schweres, anstrengendes und langwieriges Geschäft und diene als Selektionsinstrument in der Schule. Kennzeichnungen: Angesichts der Vielzahl der einzelnen Ansätze und ihrer Varianten fällt es schwer, eine angemessene allgemeine Charakterisierung alternativ-innovativer Ansätze zu geben. In der einschlägigen Literatur finden wir durchgehend als übergreifende Kennzeichnungen: - Ganzheitlichkeit ("whole person"): Integration und Koordination von kognitiven kommunikativ-interaktiven, emotionalen, körperlich-praktischen Lernaspekten und -bedürfnissen (u.a. Müller 1989: 6), humanere Gestaltung des Fremdsprachenerwerbsprozesses durch „Erweiterung der Subjekt-Objekt-Beziehungen um die Dimensionen Subjekt-Subjekt, Subjekt- Umgebung und Subjekt-Lehrer" (Robbins 1982) ein Anspruch, der hergeleitet wird aus humanistischer Philosophie und Psychologie (Rogers 1969, Maslow 1968, Fromm 1990, K. Bühler 1960) sowie aus der integrativen, gestaltpsychologisch orientierten Pädagogik (Perls 1969, Petzold 1977) und vor allem durch Galeyans 'Confluent Education' -Ansatz auf den Fremdsprachenunterricht in konkreter Form (Lehrkonzepte und Materialien) übertragen wird (Galeyan 1976, 1977), sich auch in der suggestopädischen Methode (u.a. Lozanow 1978), im 'Silent Way' (u.a. Gattegno 1976) und im 'Community Language Learning' (CCL)-Ansatz (u.a. Curran 1976) wiederfindet (vgl. u.a. die vergleichende Charakterisierung bei Stevick 1980, Schwerdtfeger 1983/ 1986), mit einer Ausnahme (Natural Approach [NA]: Krashen! ferrell 1983) und mit Einschränkungen (dem Total Physical Response [TPR]-Ansatz: u.a. Asher 1969) werden sprachwissenschaftlich-spracherwerbliche Begründungen nicht berücksichtigt, vernachlässigt (bzw. in naiver Form gegeben) zugunsten weltanschaulicher (Silent Way), esoterischer (Psychodrama), neuro-physiologischer (Suggestopädie), tiefen- und gruppenpsychologisch-dynamischer (Suggestopädie, Psychodrama, CCL) sich jedoch von Psychoanalyse und Behaviorismus abgrenzender - Begründungen. Betont werden u.a.: Die Autonomie der menschlichen Persönlichkeit, seine Entfaltung und Erfüllung; didaktisch: Ein schülerzentrierter Unterricht, nicht festgelegte sprachlich-interaktive Progressionen und Inhalte. Schaffung eines vertrauensvollen Lernklimas, einer positiven, die Kreativität der Lernenden fördernde, entspannte Lernatmosphäre (vgl. Stichworte wie „Lehrer als Helfer", als "facilitator", "counsellor": CCL, Silent Way, Suggestopädie), die FLuL 25 (1996) 6 Zur Einführung in den Themenschwerpunkt Beseitigung von Lernhemmungen, verursacht durch negativ wirkende Affekte (z.B. Angst) oder durch Zwang zum frühen fremdsprachlichen Sprechen (vgl. dazu u.a. die Verstehensmethode, TPR und auch den NA mit starken Bezügen zum Ll-Spracherwerb ). - Einbeziehung non-verbaler und para-verbaler Elemente im Fremdsprachenunterricht: Gestik, Mimik, Suprasegmentalia, Musik, Entspannungsübungen, Räumlichkeit, spezifische Visualisierungen, z.B. in der Suggestopädie, im TPR, NA, Silent Way. Kritische Bewertungen: Die weiterhin anhaltende kritische Rezeption und Diskussion „alternativ-innovativer Methoden" ist nach wie vor geprägt von globalen und an einzelne Ansätze gerichteten Einwänden. Das Spektrum reicht (a) von Nichtzurkenntnisnahme (u.a. in neueren Methodendarstellungen wie z.B. bei Neuner/ Hunfeld 1993) und pauschaler Ablehnung (Maos 1981), die häufig emotional geprägt ist (z.B. Reil 1983) und auf unzureichenden Kenntnissen beruht (Krumm 1983), über (b) verniedlichende oberflächliche Darstellungen (z.B. Bausch 1991/ 1993) bis hin zu (c) kritischer Wahrnehmung (vgl. u.a. Dietrich 1989, 3 1995; Rösler 1994) und teilweiser Akzeptanz von Einzelaspekten und Prinzipien, die bereits im schulischen Kontext realisiert werden bzw. die partiell Anwendung finden, oder auch (d) zu totaler Übernahme bestimmter Methoden. Daß bei entsprechender Berücksichtigung bzw. Akzeptanz auch Konsequenzen in der Aus- und Fortbildung gezogen werden müssen, wird allerdings wenig thematisiert (vgl. etwa Batz/ Bufe 1991, Baur 1993). Folgende kritische Punkte werden immer wieder genannt, die z.T. auch auf bekannte, im schulischen und außerschulischen Kontext etablierte fremdsprachendidaktische Ansätze/ Methoden zutreffen: - Die Begriffe 'alternativ', 'innovativ' sind unscharf und irreführend, weil sie als Abgrenzung zu den bekannten traditionellen Methoden untauglich sind. - Der Begriff 'Methode' ist ungeeignet zur Kennzeichnung von Vorschlägen zur Verbesserung und Effektivierung des gesteuerten Fremdsprachenerwerbs, die nur Einzelelemente und Prinzipien von Unterricht betreffen (vgl. Anm. 3), mangelnde theoretische Begründungen gekoppelt mit unpräziser, teilweise kaum/ nicht nachvollziehbarer „nebulöser" Begrifflichkeit innerhalb von vage formulierten Konzepten, mangelnde empirische Überprüfungen und Evidenzen eine Bewertung, die für einzelne Ansätze im Jahr 1996 nicht mehr gültig ist (z.B. für die Suggestopädie: u.a. Schiffler 1989, Holtwisch 1990; für den Confluent Approach: u.a. Galeyan 1979; für den NA: Koch/ ferrell 1991; für Tandem: u.a. Apfelbaum 1993, Herfurth 1993, Rost-Roth 1995). - Proklamation von Neuheiten, die bereits vor/ um/ nach der Jahrhundertwende intensiv diskutiert wurden, fremdsprachendidaktische Binsenwahrheiten sind und z.T. anders verpackt als brandneue Erkenntnisse angepriesen werden. Stichwort: "Alter Wein in neuen Schläuchen" (vgl. u.a. Schilder 1985: 65) Beispiele: Moti- FLuL 25 (1996) Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 7 vationsförderung, Klassenklimaverbesserung, ausgewogene Relativierung von Können und Wissen, Progressionsprobleme, unterschiedliche-Relevanzsetzungen der Referenzwissenschaften, u.a. linguistische, psychologiscbe, pädagogische, mediale. Viele Vorschläge zu konkreten Vorgehensweisen im Unterricht sind weder innovativ noch alternativ. Sie sind aus der institutionalisierten Fremdsprachendidaktik und -methodik bekannt: rigides Lehrerverhalten (TPR, Suggestopädie, verdeckt im Silent Way), Lehrer als Helfer (CLL, proklamiert im Silent Way), strenge Phasierungen (Suggestopädie, TPR, Humanistic Approach, Silent Way, NA), bekannte traditionelle Übungsformen und Materialien (Suggestopädie, Humanistic Approach, NA), Selbsttätigkeit und Autonomie der Lerner (Tandem, vorgeblich: CLL, Silent Way). - Strenggenommen können allenfalls als innovativ bezeichnet werden: Unterstützung des Lernprozesses durch Musik, Entspannungsübungen und Raumgestaltung (Suggestopädie), helfende Übersetzer (CLL, Psychodrama), spezifische Lernmaterialien (Silent Way), non-verbale Verständnissicherung (TPR), kooperatives/ selbstinitiiertes Lernen (Tandem, Freinet). - Die Reichweiten der Ansätze sind teilweise begrenzt: Beschränkung auf Intensivunterricht, Anfangsunterricht, außerschulische Anwendungen, Kleingruppen, sprach-/ kulturhomogene Lerngruppen. - Hervorhebung und Verabsolutierung von unterrichtsrelevanten Teilaspekten, die die institutionalisierte Fremdsprachendidaktik phasenweise vernachlässigt hat. Mit Verweisen auf Paulo Freire/ Freinet wird Kritik an der Beliebigkeit und Gehaltlosigkeit der Inhalte des Fremdsprachenlernens und der damit häufig einhergehenden Ausblendung gesellschaftlicher Probleme und naiven Vorstellungen von institutioneller Macht geübt. Infantilisierung der Lernenden verstanden als Auslieferung an die Autorität des Lehrers verbunden mit „exotisch-abenteuerlichen Rezeptologien" (Müller 1983: 6) und manipulativ suggestiven Beeinflussungen des Unterbewußtseins der Lernenden (besonders ausgeprägt in der Suggestopädie: "positiv autoritärer Lehrer", TPR, Silent Way), naiv-beliebiger Umgang mit Normen auf den verschiedenen spracherwerbsrelevanten Ebenen. Damit verbunden: Verniedlichungen des Lernens von Fremdsprachen als einem komplexen, langfristigen Arbeitsprozeß durch Schlagworte wie „Lernen im Schlaf', "Lernen leicht gemacht" u.ä., unter Vernachlässigung von Effizienzkriterien. Stichwort: "Schmusepädagogik" [G.H.] Erweckung des falschen Eindrucks, es gäbe die Methode anstelle von seriösen Hinweisen und Begründungep. für die Beachtung von geprüften Prinzipien (vgl. dazu u.a. Brown 1994). Propagierung von Methoden als Wundermittel, die sich gut verkaufen lassen und eine üppige Rendite erbringen (Superleaming als Selbstlernprogramm), Methoden, die z.T. eher Rückfälle hinter didaktisch-methodische Errungenschaften bedeuten. Dieser Propagierung liegt eine „Sündenbock"-Darstellung des herkömmlichen Fremdsprachenunterrichts zugrunde. FLuL 25 (1996) 8 Zur Einführung in den Themenschwerpunkt Widersprüche und Ambivalenzen zwischen der Konzeptionsdarstellung und der Realisierung in der Praxis. Gefahr der Generalisierung von Einzelbeobachtungen anstelle von systematischen, empirisch geprüften Ergebnissen. Gefahr der Überschätzung von Lerneraktivität und -selbsttätigkeit. Vernachlässigung von gründlichen kommunikativ-sprachlichen Analysen z.B. zu Lernproblemen. Bilanzierung: Versucht man vor dem Hintergrund der vielen Einzeldarstellungen und entsprechender kritischer Einwände eine vorsichtige Bilanz zu ziehen, scheint es mittlerweile allgemein akzeptiert zu sein, bestimmte Elemente und Prinzipien, die von den sogenannten „alternativ-innovativen methodischen Ansätzen" propagiert werden, in die gängigen didaktisch-methodischen Konzepte des Fremdsprachenlernens und -lehrens zu integrieren und damit „Zwei-Welten-Theorien" aufzugeben. Dazu bedarf es großer Überzeugungskraft, die allerdings nur auf der Grundlage gründlicher empirischer Fundierungen und Recherchen langfristige Wirkungen haben kann. Nach Pleines/ Scherfer (1983: 63) sollten wir in der didaktischen Arbeit drei wesentlichen Prinzipien folgen: 1. Von einer Analyse auszugehen, die politische, gesellschaftliche und institutionelle Gesichtspunkte des didaktischen Prozesses berücksichtigt, 2. eine gründliche Reflexion über die Bedingungen der sprachlichen Kommunikation und die Natur der unterrichteten Sprache nicht zu vergessen, 3. den Lernenden als menschliches Wesen zu achten, das mit Bewußtheit lernt und in der Lage ist, zu denken und frei zu handeln [Übersetzung aus dem Französischen G.H.] Die für dieses Themenheft ausgewählten neun innovativ-alternativen Methoden/ Ansätze sind: Comprehension Approach (CA): Winitz Total Physical Response (TPR): Lovik Natural Approach (NA): Tschirner Lernen durch Lehren (LdL): Martin Freinet-Pädagogik: Schlemminger Suggestopädie: Baur Neurolinguistic Programrning (NLP): Hager Sprachpsychodramaturgie / Psychodramaturgie linguistique (PDL): Dufeu Tandem: Herfurth Da die Autoren im folgenden ihre jeweiligen Ansätze zusammenfassend und im Detail beschreiben, kann hier auf eine nochmalige Skizzierung der Beiträge verzichtet werden. Für die Abfassung der Beiträge waren folgende Darstellungsparameter vorgegeben worden: FLuL 25 (1996) Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 9 1. Sprach- und lerntheoretische/ lernpsychologische Grundlagen/ Begründungen/ Ursprünge (a) sprachtheoretisch: u.a. Sprachbeschreibungs-/ Spracherwerbsmodell, Grammatikkonzept (funktional, kognitiv, kommunikativ/ interaktiv ...) (b) lerntheoretisch/ lernpsychologisch: u.a. behavioristisch, kognitiv, interaktionistisch (c) pädagogisch: u.a. lehrer-/ lernerzentriert, offen/ geschlossen 2. Didaktisch-methodisches Konzept (a) Lernziele (u.a. mündlich/ schriftlich, kognitiv ...), Fertigkeiten (Hören, Sprechen, Lesen, Schreiben) - Wozu? (b) Lerninhalte: u.a. phonetische, grammatische, lexikalische, pragmatische, landeskundliche, literarische (Auswahl und Gliederung) - Was? (c) Medien: u.a. Lehrmaterialien, Tonband, Sprachlabor, Video ... - Womit? (d) Lehr-/ Lernverfahren/ Lehr-/ Lerntechniken: u.a. audiolingual, audiovisuell, Phasierungen (offen/ streng-geordnet) - Wie? 3. Unterrichtspraktische Vorgehensweisen (a) Einführungs- und Einübungsformen von Inhalten/ Lernaufgaben auf der Basis bestimmter Materialien (b) Lernerfolgskontrollen (Tests) (c) Interaktions- und Organisationsformen: Lehrer-/ Lerneraktivitäten/ Rollen/ Beziehungen, Individual-, Gruppen-, Frontalunterricht 4. Kritische Beurteilung (u.a. auch hinsichtlich der empirischen Überprüfung, der Wirksamkeit der Methode). Bibliographische Angaben APFELBAUM, Birgit (1993): Erzählen im Tandem. Sprachlehraktivitäten und die Konstruktion eines Diskursmusters in der Fremdsprache (Zielsprachen: Französisch und Deutsch). Tübingen: Narr. ASHER, James J. (1969): "The Total Physical Response Approach to Second Language Learning". In: The Modem Language Journal 53.1, 3-17. BANCROFf, Jane W. (1982): "Suggestopedia, Sophrology and the traditional foreign language class". 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Its theoretical basis has been presented elsewhere (Asher 1965; Bleyhl 1982, 1993; McCandless/ Winitz 1986; Swaffar/ Woodruff 1978; Winitz/ Reeds 1975; Winitz 1981a; 1996). Briefly, the comprehension approach is a system of instruction that emphasizes cognitive discovery of the grammatical and lexical systems of language through experience with the foreign language. According to this system of instruction, grammatical principles are implicitly constructed by the student when the audio and visual sequences provide the meaning of sentences. Students are given no direct instruction in grammatical principles. Within this perspective, the task of the instructor is to provide language material that is comprehensible and the task of the student is to use implicitlybased, that is non-conscious, strategies to acquire an understanding of the material. With the development of comprehension-based instructional systems, it is understandable that a number of different formats for teaching meaning have emerged. One prominent system is that constructed by Krashen (1981). Certain aspects of this system of instruction, often referred to as the Monitor Hypothesis, are compatible with the Comprehension Approach. However, some components of this theory are in direct contrast to the premises that underlie the methodological procedures tobe discussed below. Attention will be given to these differences. Tue primary goal of the comprehension approach is the teaching of fluent understanding of a foreign language (FL) through the use of cognitive strategies of instruction. lt contains four primary methodological principles: (1) Tue language input is comprehensible, (2) Language instruction is provided in the second language (L2), (3) Grammatical principles are restricted to prescriptive rules presented after the student has achieved a high degree of L2 understanding, and (4) Speaking is not directly taught. Each of these methodological procedures is described. FLuL 25 (1996) 14 Harris Winitz 1. Comprehensible input Input whose meaning can be decoded by students at each instructional level of learning is referred to as comprehensible input, a term introduced by Krashen (1981). Procedures for providing for comprehensible input accommodate the student's level of learning (Asher 1965, Winitz/ Reeds 1975; Winitz 1981b), which for the purposes of this chapter are defined as the beginning, intermediate, and advanced stages of language learning. Beginning Level. Several different educational programs have been developed for beginning students (Burling 1981, Postovsky 1981, Winitz 1981, Winitz/ Reeds 1975). Students are presented with an audio-visual program in which an audio presentation is combined with a visual presentation as follows: 1. audio presentation: pencil. 2. visual presentation: a picture of a pencil. The student's task is to press a button corresponding to the quadrant in which the correct picture is located. In Figure 1 (see page 25), the first frame of the program is presented. Tue single picture indicates to the student the correct response. Additional pictures are added on each successive frame. By the 25 th frame, as illustrated in Figure 2 (see page 25), the student is presented with a picture in each of the four quadrants and is to select the picture which corresponds to the audio presentation. This procedure is particularly suited to computer presentation, but at the time of its development in the mid 1970's, the mechanical devices were costly to develop and often worked poorly. Later adaptations of this system involved video-taped presentations (Postovsky 1981). Because of the difficulty of these delivery systems, Winitz (in 1978) developed a series of books entitled The Learnables that provided for the presentation of pictures with an accompanying audio cassette. The system of instruction was guided by several psychological principles of cognitive learning. Among these was the principle that text influences pronunciation pattems (Winitz/ Reeds 1975; Winitz 1981a, 1981b). For this reason, text is not initially presented with the pictures. In The Learnables, the student looks at the picture frame and listens to two audio productions of the item. Displayed in Figure 3 (see page 26) are four frames from The Learnables, Book 1 (Winitz 1990a) representing the items airplane, bread, car, and doctor. Each word is preceded by the number of the picture, said in the FL, and each word is said twice. At a later point in this lesson the adjectives big and small are introduced, as illustrated in Figure 4 (see page 27). A grammatical sequence underlies the presentation of the material, but the student is not instructed with regard to the syntactic and semantic categories, and later the pragmatic categories that guide the early stages of the program (Winitz 1981b). For example, basic prepositions are presented early in the first book of The Learnables without explanation of their properties. English and German speakers learning Spanish are faced with the puzzling problem that sobre is equivalent to on, and en to in and on. Students hear the sentence: "La taza esta en la mesa" (The cup is on the table), and often presume that an error has occurred in the book FLuL 25 (1996) The Comprehension Approach: Methodological considerations 15 because they see a cup on the table and not a cup "in" the table. However, this problem is resolved by asking students to accept what they hear as correct, to deterrnine the meaning of the utterance, but not to seek grammatical explanations. To explain the spatial-semantic space of en and sobre would be of no value to the student because the explanation is exceeding complex and does not sufficiently provide a clear and unambiguous answer of appropriate usage. Similary, the verbs esta and es provide an equally puzzling problem for the student. These verbs appear early in the lesssons of The Leamables. The student is given no instruction with regard to their usage. Teachers of the Spanish language often testify that students continue to have difficulty understanding the usage of the various forms of these two verbs even though they have been given the opportunity to memorize the rule that is stated in their textbook and numerous examples of usage have been provided by the teacher. The Leamables provides examples, but these examples are given in the context of the lesson units to enable the students to interpret the meaning of sentences. Here lies a major distinction between traditional practice and the Comprehension Approach in the use of examples. In the traditional practice, students are provided with examples in order to enable them to understand and to verify the "truth value" of a rule. In the Comprehension Approach, students interpret the meaning of the examples of which a putative consequence is the development of an inplicit grammatical system. As Bleyhl (1993) expresses it, problem solving results in Selbstorganization of the linguistic system from input (or intake). He cites psycholinguistic and neurolinguistic investigations which delineate human information processing and categorizing to support the conclusion that im p l i c i t l e a r n in g of the grammatical system of a language requires the receipt of a comprehensible message, of which its meaning elements are decoded, and subsequently organized as a linguistic system. Figure 5 (see page 28) provides an illustration of this process with reference to the structure of the English relative clause. The meaning of the sentences are comprehended by examining the pictures and the social and linguistic contexts in which the sentences appear. Tests to assess the progress of the students also involve the presentation of pictures. Tue task of the student is to select the picture that corresponds to each sentence. The input is verbal, texual, or both. In Figures 6 and 7 (page 29 and 30) are examples of an early test in Basic Structures, the corresponding reader textbook for The Leamables. provided in French (Waggoner/ Winitz 1991) and Hebrew (Winitz, T./ Rosen/ Winitz, H. 1993) respectively. This procedure of testing is called picture completion. Students are presented with picture completion tests early in the program and they quickly accept•this format of testing, recognizing that the focus of instruction is comprehension. Tue evidence is strong that students perform well under these conditions with minimal anxiety, and that the need for grammatical explanations is unnecessary. Furthermore, students are extremely pleased that they are able to understand the language quickly and easily (Asher 1977; Swaffar/ Woodruff 1978) and that their retention is excellent (Postovsky 1981). FLuL 25 (1996) 16 Harris Winitz Built into the lessons are miniature scripts that enable the student to hear words that express concepts that cannot be pictured directly. A script is a sequence of events with which the student is familar and, therefore, particularly useful in enabling students to hypothesize the meaning of the words and expressions which describe the events. For example, the ward embarrassed is illustrated in English (Winitz 1990b) in the miniature script shown in Figure 8 (see page 31). The presentation of scripts enables students to infer the meaning of grammatical units and lexical items, and consequently to organize for themselves the mental lexicon of the FL with as little influence as possible from their native language. The beginning level should provide the student with a background of about 5,000 lexical items and familiarity with the basic grammatical pattems of a language. Additionally, the student should have the capability to understand basic sentence pattems uttered at a normal conversational rate. Of particular importance, the beginning level should provide the student with the confidence that the FL can be decoded (Postovsky 1981) and that sufficient personal success has taken place to encourage reenrollment in foreign language classes (Swaffar/ Woodruff 1978). lntermediate level. The format of instruction at the intermediate level retains the same core function of comprehensible input that defines the beginning level. Students are not required to speak, compose sentences, or translate. At this stage of development, students talk spontaneously, although their sentences contain grammatical errors. When the students talk in dass the instructor responds to them, but does not correct their grammatical errors or state grammatical rules or principles. The instructor may paraphrase their statements, thereby providing models of correct structure and lexical usage. The goal of the intermediate level of instruction is the teaching of lexical understanding with an achievement goal of about 50,000 standard lexical items. Lexical items are taught through the use of a number of instructional strategies, namely through the application of ward fields, scripts, and definitions (Rohrer 1978). Unlike other intermediate programs of instruction, the leaming of lexical items is the primary endeavor. Intermediate language courses which emphasize the reading of literature, the composing of themes, or the development of conversational skills consider lexical leaming to be a byproduct of these respective areas of study. Systematic instruction in lexical items involves an organizational format in which the words of a particular lexical field are identified and a set of scripts are written that illustrate their usage. For example, the time lexical field is very large, but it must be acquired for competent mastery of a FL. Examples of time words and expressions from the lexical time field are: of late, do it when you can, hurry up or you will be late, annual, expiration date, lifetime guarantee, a long time ago, the day before yesterday, on time, in time, about time, around Jour o'clock, delay, any day now, momentarily, good timing, presently, currently, eventually, after a while, recently, forthcoming, in the beginning, early on, week long, not now, in three hours, for three hours, long ago, so long ago, deadline, after hours etc. FLuL 25 (1996) The Comprehension Approach: Methodological considerations 17 An illustration of a script from the business lexical field (Winitz 1986) is given in Figure 9a,b (see page 32 f). Note that the text is provided on one page and the pictures are provided on a second page. Each lexical field contains an anchor word that defines the words and expressions of the field. For example, in the walk lexical field (Winitz 1988), walk is the "anchor word" for run, jog, amble, tiptoe, sleepwalk, walking on stilts, stroll, meander etc. An example of the use of the word meander is given in Figure lOa,b (see page 34 f). As students listen to and read the sentences associated with the teaching of meander they know that waZk is the anchor word and that the pictures and text define meander as a category of waZk. lt may appear that the use of word fields excessively complicates the language learning process. An apparently simple procedure is to tel1 students the meaning of the word in their native language or advise them to use a bilingual dictionary. As explained elsewhere (Verspoor/ Winitz, in press), equating two words from two different languages causes the students to accept the lexical field composition of the native language. This procedure has two primary defects. First, similar meaning words are not distributed the same in the native language and the FL. For example, indicating to students that Treppe is the meaning of step or stair does not define the appropriate use of the words stair or step in English. lt does not, for example, explain that the native speaker of English easily senses the difference between the phrases: He climbed the steps of the Post Office, and He climbed the stairs of the Post Office. In the first instance the person is regarded to be outside the building, and in the second instance the person is regarded to be inside the building, as the word steps is used only to refer to 'stairways' (rather then 'stepways') on the outside of a building. Second, words of similar meaning in the native language and in the FL words are collocated differently. For example, big and Zarge have essentially the same meaning in English, but one can only buy Zarge eggs, not big eggs, and Zarge shirts not big shirts. However, one can be a big shot, but not a Zarge shot. A big shot is a pejorative term for persons who are regarded as important. A Zarge shot refers to a ! arge amount of whiskey, usually poured into a shot glass. Note also that we can only refer to the big bang theory and not to the Zarge bang theory. Many teachers retain the belief that lexical units can be taught primarily through definition and direct explanation. This belief is based, perhaps, on the premise that the lexical field structure of similar meaning words in the native language and the FL are the same. This belief is fostered by the practice of using bilingual dictionaries. Bilingual dictionaries contain only a few of the essential collocations and define poorly the lexical structure of words. Consider, the English student studying German who uses a bilingual dictionary to look up the words touch and finds the words anfassen und berühren. Correct usage of these two German words is incomprehensible from a dictionary definition. Native speakers of German also may find it difficult to define these two words and the circumstances in which they may be used correctly, but nonetheless they use them in conversation appropriately. Simi- FLuL 25 (1996) 18 Harris Winitz larly, the German learner of English may find the use of the ward cup somewhat baffling if told that cup is the English ward for Tasse. The native speaker knows the lexical field for cup, that, for example, a 'cup of soup' means a small bowl with no handles or two handles (a cup with one handle is usually called a 'mug of soup'), that a cup-like container made of paper is a 'paper cup' when it has no handles, and a 'coffee cup' when it has one handle. A small paper cup is often called a 'Dixie cup'. Tue use of lexical fields facilitates the teaching of meaning. Consider again the lexical field that contains the words for 'big' and 'small', denoted the Big and Small Lexical Field. In the Big and Small Lexical Field, some of the big words are Zarge, great, gigantic, jumbo, large-sized, monstrous, astronomical, mushroom, augment, distend, escalate, king-sized, magnify, balloon, huge, humongous, overstate, a lot, boost, raise, increase, overgrown etc. Same of the small words are little, shrink, puny, midget, dwa,f, picayune, iota, speck, reduce, minutia, short-cut, pip-squeak, shrivel, wane, scant, dinky etc. When asking someone to talk louder the big ward phrase is a lot as in: Please talk a Lot louder, but not Please talk a big louder. The corresponding small ward phrase is a little as in Please talk a little louder, but not Please to a small louder. When talking about trading on the stock market, a large amount of trading is expressed by the phrases: Trading was active or Trading was heavy. However, a small amount of trading is expressed as follows: Trading was quiet, or Trading was light, but not Trading was inactive. Similary, heavy trading cannot be expressed as: Trading was noisy. Advanced level. A thorough grounding in the major lexical fields of a language enables the student to understand advanced material, such as newspaper articles, academic textbooks, interviews, conversation, literature, colloquialisms and slang. Each of these areas of study is taught within the framework of the theory of comprehensible input. For example, students are taught to understand dialogues by listening to dialogues. Traditional procedures involve students directly in dialogues, encouraging them to talk and to express themselves. However, providing meaningful input in the form of dialogues, as suggested here, involves listening to a large number of dialogues in order to understand the meaning that is conveyed through the lexical, syntactic, semantic and pragmatic systems without studying the formal properties of these systems. Similarly, students at the beginning stages of the advanced level are not asked to write themes, but to study the meaning of difficult sentences taken from original sources. For example, students studying newspaper articles may be presented with the following paragraph from the Sunday, June 11, 1995 Los Angles Times as an example: Despite claims to shrink govemment, he [Govemor of California Pete Wilson] has boosted the number of political appointees since his predecessor. His aides say the increase is in response to new demands. FLuL 25 (1996) The Comprehension Approach: Methodological considerations 19 Using this text, the instructor prepares a lesson that defines, through the use of ward fields and sentence examples, the difficult words of the passage (see Rohrer 1978, for a füll explanation of these procedures). For example, the instructor would inform the students that shrink is from the Big and Small Lexical Field and that it means to make small or reduce in size. Next the student is given the sentences: She puts the shirt into the washing machine. Later she takes the shirt out of the washing machme and hangs it up to dry. Then she gives the shirt to her husband. He puts on the shirt. lt 1s too small. The shirt shrank. With regard to the ward boost, the student is informed that the ward comes from the Big and Small Lexical Field and that boost, raise and increase have similar meanings. Boost means to increase, the students are told, and shrink means to decrease. The instructor continues to provide the meaning of each difficult expression, using a prepared text containing lexical field explanations and examples of ward usage within the lexical field. These lesson plans are time-consuming to prepare, but they enable the instructor to consider carefully in advance the difficulty the student may have in the comprehension of a paragraph. Word Fields are particularly useful in teaching colloquialisms, metaphors, idioms, and slang. For example, the expressions for death, such as: He kicked the bucket; He bought the ranch; He passed away; He is not with me anymore; He is six feet under; He's gone to that great big blue world beyond; and He's met his Maker are arranged in short dialogues as in the following example for the several slang forms of the ward rich: Speaker A: The Jones live in that house. lt is a mansion. lt has 20 rooms. The are filthy rich. Speaker B: What does the family do? A: They own a restaurant. He is the head waiter. She manages the kitchen. They make a bundle from the restaurant. They are really in the chips. B: I can teil they are loaded. They spend money like it is going out of style. They have money to burn. They own five cars. One is a Rolls Royce. They have jillions of dollars. A: They belong to the jet set. They travel around the world. They just came back from Australia. They rake in the money from the restaurant. B: lt sounds like they are really making it in that restaurant. A: They have a summer home in Canada. They are an easy street. B: I heard they have a winter home in California. They are living the life of Riley. A: lt sounds like they are making out like bandits. B: Where did they get the money to start the restaurant? A: They were rieb to start with. Old money, you know. B: I see. Their family has lots of money. A: Yes. Their family made money years ago. Their great grandfather was a merchant. Students are advised not to use "non-standard" expressions, as they can be easily misused, but to be aware that they are are frequently used by native speakers. The objective of these lessons is teach the understanding of expressions in order to enable the FL learner to understand authentic conversation. Indeed, these expres- FLuL 25 (] 996) 20 Harris Winitz sions are not always appropriately used or understood by the native speaker. One day I entered my barber shop and looked for the barber who bad cut my hair for more than 30 years, I was quickly told by another barber that my barber "ls no langer with us." As that phrase is a neutral expression for someone who has either been released or has left a job voluntarily, I asked whether I could be given the name of my barber's new location. Tue barber stared at me for a moment and said, "He died of a heart attack." 2. Instruction in the Second Language Tue theoretical premises underlying this principle, have been discussed in detail elsewhere (McCandless/ Winitz 1986; Winitz 1981a,b; Winitz 1996). The evidence is strong that students are able to comprehend the FL without the need to translate when sufficient comprehensible input is provided (Asher 1965; Asher 1977; McCandless/ Winitz 1986). However, the practice of requiring that teacher and student use only the FL in the classroom, when the meaning of lexical items is provided through bilingual texts presents an interesting dilemma for the student. In order to learn the meaning of words, the procedure of paired associate learning is advanced. Students are given lists of words that are paired with words in their native language to leam for each lesson. Countless numbers of students have related to me that despite considerable effort on their part to memorize words, they understand no more than about 30% of the classroom teacher's utterances. There are several reasons for their low level of comprehension. Only three will be cited. First, input experience with relatively simple structures has been limited and, therefore, students are unable to identify consistently ward boundaries in spoken speech (Vogel/ Winitz 1989). Second, the utterance of the teacher often exceed the buffer storage capacity of working memory (Winitz/ Reeds 1975). Beginning teachers should use sentences that are short, usually about six to seven words in length, and should avoid the use of complex sentences. Third, students who have memorized the meaning of words through the procedure of paired association, intemally translate ward by ward as they process their teacher's FL utterances. This procedure for establishing meaning is slow and inaccurate. lt is well known that simultaneous translation requires considerable experience and training and a fluent understanding of the FL. 3. Grammatical Principles Krashen (1981) has taken the position that the acquiring of grammatical principles has a special role in language learning. He maintains, but without evidence, that conscious knowledge of grammatical principles function only to edit language output. He presumes that students can be taught to use grammatical principles to FLuL 25 (1996) The Comprehension Approach: Methodological considerations 21 edit. that is, repair language utterances that are generated by non-explicit, that is non-conscious, intemally-derived rules. Investigators involved in the Comprehension Approach make no such claim. Instead they take the position that implicitly acquired understanding of grammatical rules is an efficient and natural process in language leaming (Belasco 1981; Bleyhl 1993; Burling 1981; Winitz 1996; Winitz/ Reeds 1975). Grammatical units are regarded as meaning-bearing elements that contribute to the comprehensibility of sentences. In many instances, such as in the case of pronouns, prepositions, and other function words, meaning can be taught through the use of pictures. As illustrated in Figures 11 and 12 (see page ? and 37), Spanish and English pronouns respectively are explained through the use of pictures. At the more advanced levels of instruction, grammatical structures are explained by noting the meaning of a particular sentence. For example, when a truncated relative clause appears in a text, students may be given additional contrasting examples to clarify their meaning, as follows: The man eating is fat. The man is eating fat. Tue instructor explains the meaning of the two sentences citing that in the first sentence, the man, who is eating is fat whereas in the second sentence the man, not necessarily fat, is eating fat. Tue teacher may indicate that the first sentence also can be said as: The man who is eating is fat. As this example indicates, the focus of instruction in the teaching of grammatical units is on the meaning of the sentence and its communicative intent. In the advanced stage of comprehension instruction, when students have achieved near-native listening fluency, it may be helpful on occasion to cite a rule for a particular student, recognizing that the process is common when one studies grammar and composition in one's native language. lt is not uncommon for English teachers to instruct American students in composition classes with regard to grammatical conventions, such as the avoidance of dangling participles, the use of number, such as data are and none is; the preference for the use of certain verbpreposition structures, such as wait for instead of wait on when in attendance for a particular purpose; different from in preference to different than; and the correct choice when using collocations, such as raising animals and rearing children. However, this process is decidedly different from that advocated by Krashen. Implicit in Krashen's theory is that explicit grammatical monitoring of utterances generated by implicitly acquired grammatical rules can be effectively implemented by the student at all stages in the language leaming process, a premise that is without empirical support. lt is well recognized that teaching prescriptive rules of grammar to native speakers is not always effective, especially when the rules require more than an elementary understanding of grammatical structure. Krashen's theory is largely a theory of language correction, a premise abandoned more than 30 years ago by FLuL 25 (1996) 22 Harris Winitz native language theorists and put to rest in Brown's (1973) monumental study of child language andin the writings of Wode (1979). Additionally, Krashen's theory lacks specificity with regard to the citing of specific grammatical rules that are to be used as monitors at each level of instruction (Delay/ Burt/ Krashen 1982). Finally, support is not provided by Krashen that students acquiring a FL have the capacity to know when and precisely for how long to invoke the use of the monitor (Winitz 1996). That is, over what length of discourse should the monitor operate when it is invoked? Should it be for a particular unit or should it extend to the next occurrence of a particular unit? Clearly the use of the monitor is not a strategy that can be taught and most likely it cannot be acquired through experience with the exception of the application of prescriptive rules. 4. Speaking is not directly taught The teaching of comprehensible input does not require that students remain silent or that speaking is prohibited in the classroom. Students are encouraged to talk when they wish to, but the lesson plans focus on input at all levels of instruction. Asking students to express their opinion on a particular theme, such as a political race or a farnily practice, where the students' responses are the primary purpose of the classroom session, has serious limitations. First, in the beginning and intermediate stages of languge instruction, students hear each other's responses and are likely to intemalize these structures and pronunciation pattems. lt is recommended that students receive comprehensible input from audio and video tapes, computer lessons, and the instructor, rather than from students whose language output is incorrect. Second, in the later stages of instruction, "talk-sessions" also are not advocated because there is no support for the prernise that students will leam to talk by talking. Generating sentences requires knowledge of grammatical rules, albeit implicit knowledge, understanding of an extraordinarily large number of words and expressions, a strong sense of the pragmatics of the FL, and knowledge of the culture within which the language is used. Therefore, learning to express oneself should be encouraged after students have completed the advanced stage of language listening instruction. Taking a public speaking course, participating in a sociology class, and learning algebra in the FL are examples of classroom experiences that enable language leamers to acquire near-native use of the spoken and written language. In the Comprehension Approach, comprehensible input is singularly associated with the teaching of listening fluency. Asher's (1965) takes the position that comprehensible input is the primary strategy of instruction to achieve listening fluency, and that massive amounts of comprehensible input are essential for establishing the skill of language output. However, Krashen recommends the use of language output relatively early in the leaming process, suggesting that a monitor can be invoked that corrects intemally-generated language utterances (Dulay/ Burt/ Krashen 1981). FLuL 25 (1996) The Comprehension Approach: Methodological considerations 23 In this regard Krashen's monitor hypothesis is more closely allied with the traditional practice of encouraging output early in the classroom experience rather than encouraging listening to input that is comprehensible as in the Comprehension Approach. In summary, three stages of language teaching have been defined. Each stage has as its primary goal the teaching of meaning. In each stage, students are taught directly in the FL, they are not forced to speak, and bilingual dictionaries are not used. Finally, grammatical explanations are not provided. Instead grammatical units are approached as meaning-bearing elements that contribute to the meaning of sentences. Our anticipation is that comprehension-based methods will increase in popularity as computer software for language teaching enters the market. The possibilities for creative prograrnming are enormous and the general acceptance of computer prograrns will cause the foreign language profession to rethink the role of comprehensible input in the teaching of listening fluency. References ASHER, James J. (1965): "The Strategy of the Total Physical Response: An application to leaming Russian". In: International Review of Applied Linguistics 3, 291-300. ASHER, James J. (1977): "Children Leaming Another Language: A Developmental Hypothesis". In: Child Development 48, 1040-1048. 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FLuL 25 (1996) The Comprehension Approach: Methodological considerations 25 Appendix 80 FIGURES Figure 1: Example of the initial picture frame in the audio-visual lessons (Winitz/ Reeds 1975) 0 Figure 2: Example of the 25 th frame in the audio-visual lessons (Winitz/ Reeds 1975) FLuL 25 (1996) 26 Harris Winitz C / >-- ( 1 2 3 4 Figure 3: Examples of picture items in Lesson 1 of The Leamables (Winitz 1990a) FLuL 25 (1996) The Comprehension Approach: Methodological considerations 27 1 2 A _____ ({ ffl 00 1 II ~ . lt~ 3 4 Figure 4: Example of picture items demonstrating the introduction of big and small in Lesson l of The Leamables (Winitz 1990a) FLuL 25 (1996) 28 Harris Winitz 1 2 3 4 1. "May I see the report." 2. The secretary hands the report to the execut1ve who is bald and has a beard. 3. He reads the report. 4. After he reads the report, he hands 1t to the execut1ve who has curly ha1r and bangs. Figure 5: Illustration of the use of pictures to introduce the English relative clause (Winitz in press) FLuL 25 (1996) The Comprehension Approach: Methodological considerations Exercice 11. Regardez, ecoutez et Iisez. Relisez ! es phrases et inscrivez sur Ja Jigne Je numero exact de l'image. 1. 2. 3. 4. 5. 6. ....-: : : : : : -- ...: --: ~ ~~ 11 '-_ 1 ..ii 'i(',', , 1 , - -,-,: : : . '= c--: : - =-. % - 5 La darne voit I'incendie. «Au feu ! Au feu ! » Un pornpier arrive. Les pornpiers arrivent. Le pilote voit I'incendie. Le chien voit l'incendie. Figure 6: 2 4 6 Example of a picture-completion test for French (Waggoner/ Winitz 1990) FLuL 25 (1996) 29 30 Harris Winitz n~ : : iin; : r1 c~; ; 1 ,; 11 c•~~rl? ~iJ n~ NJi? . N': Ji? 'I : : lWi? iJ , ',.; ; i1J9i'.l • 9 ',•r; it1 . iQ'ltriiJ ',~ il~'IOI; liJ ',r: j li: l~iJ i~9~iJ 2 4 6 ~~~- (& T - CB lT-l - = 1 .~q 'N; , .3 .c•~~ c•~; ; i; : ; .4 . ii~''J~iJ n~ il~ii o; ~iJ . s ___ .il~''J~iJ n~ ill$ii : : i7~iJ .6 Figure 7: Example of a picture-completion test for Hebrew (Winitz, T./ Rosen/ Winitz, H. 1993) FLuL 25 (1996) The Comprehension Approach: Methodological considerations Review 2. Look, listen, and read. 1. "Waiter, another glass of milk, please." 1 3 3. The waiter is bringing another glass of milk. 5 5. He is embarrassed. 2 2. The Iady is buttering the bread. 4. The waiter drops the tray. The milk spills on the floor. 6. Another waiter is serving the dessert. He serves the cake to the lady and serves the ice cream to the man. Figure 8: Illustration of the introduction of the word embarrassed in English (Winitz 1990b) FLuL 25 (1996) 31 32 Harris Winitz ~~MJ - 11 )- 17 1 / 1 2 , ~ ~ b-1 1 .: : t -=i l.. - ..,.''. ,=! ! ==9---_.I i, 4 6 8 9 '1 [/ 10 11 12 Figure 9a FLuL 25 (1996) The Comprehension Approach: Methodological considerations 1. On this street, there are three stores, a butcher store, a bakery, and a shoe shop. A store ts sometimes called a shop. A butcher store can be called a butcher shop, and a bakery can be called a bakery shop. Each store or shop is a business. 2. Tue ward shop is usually used for the ward store when something is made in a store. A bakery can be called a bakery shop because bread and cakes are baked in the bakery. A store in which items or things are repaired is also called a shop. This man works in a shoe shop. He repairs shoes. Tue three pairs of shoes that he has repaired are on the shelf. He is putting a new heel on an old shoe. He is hammering nails into the heel of the shoe. He also makes new shoes. Therefore, he is called a shoemaker. He has made the shoes on the table. 3. A man for whom the shoemaker makes ! arge shoes is walk: ing into the shoe shop. He is wearing ! arge shoes, but he is not a tall man. He is wearing a hat and has a bow tie and a iacket on. He seems to be smiling. He is probably a happy person. A shoe shop is a business. 4. A grocery store is also called a grocery shop. Tue grocer, the man behind the counter, sexves the customers. A grocery store is a business. Hanging from the ceiling is a scale. It is often called a vegetable scale. 5. This man has an appointment at ten-thirty. In is now ten-fifteen or 15 minutes past ten. He is carrying a briefcase. 6. He goes into a restaurant and sits down. He puts his briefcase beside him on the seat. Notice that on the table there is a salt and pepper shaker and a container filled with sugar. 7. Soon another man comes along. They shake each other's hand. 8. They talk and eat. They are businessmen. They are probably talking about business matters. Another word for matters is topics, that is, issues or things to talk about or talk over. Matters that they may be talking about are the construction of a new building or the building of a factory. 9. Tue lady sitting down is a receptionist. Her job is to greet people. A businessman is standing next to her. He says, "I have an appointment with Mrs. Hendriks. My name is Kevin Long." 10. "Just one moment please. Mrs. Hendriks, Mr. Kevin Long is here to see you. Shall I show him in? " She could have said, "Should I show him in? " 11. "Mrs. Hendriks said that she can see you now." 12. A few minutes later another businessman, who also has an appointment with Mrs. Hendriks, is told that he may go into Mrs. Hendriks' office. Figure 9b: [Fig. 9 a and 9b] Illustration of the teaching of business terms (Winitz 1986) FLuL 25 (1996) 33 34 1 ,--=7 l O 8~ -==. -~, 7 i; - - -----· : ; "; kz.~ .. ".. ~ 10 2 8 1 ~1 m.-1 11 Figure 10a Harris Winitz 6 9 12 FLuL 25 (] 996) The Comprehension Approach: Methodological considerations 1. Finally, they found h.im sitting on a log. He was crying. The ch.ild had strayed from the group. 2. Then the group meanders down a windy trail. They are walking slowly. 3. The trail winds around a ! arge rock, and, then, winds around a ! arge tree. 4. After the group had wound around the ! arge rock, they wa! ked around the tree. 5. Up ahead, they see a dog meandering around a ! arge rock. 6. Trailing behind the dog is a little cat. The dog is walking ahead of the cat. Or we can say: The cat is walking beh.ind the dog. We can also say: The cat is following the dog. 7. The family is in a department store. Suddenly, their ch.ildren are gone. The children have disappeared. They have strayed from their parents. 8. They found their daughter in the toy department looking at toy airplanes. She wants to be an airplane pilot when she grows up. 9. Their son bad trailed behind their daughter. He was looking at toy trains. He ! ikes toy trains. He wants to be a train engineer when he grows up. 10. The people are waiting in line to buy theater tickets. 11. The manager comes out. He teils half the people in the line to move to the next window. 12. About half move to the other window. Figure tob: [Fig. 10a and 10b] Illustration of the introduction of the ward meander (Winitz 1988) FLuL 25 (1996) 35 ~ D: j Ejercicio de ampliaci6n 4. Mire, escuche y lea. ff, l l 1 21 1 6 7 1. La estä tocando. 2. La estä tocando. 3. Se estä tocando. 4. Se estä tocando. 5. La estä tocando. 31 1 41 1 8 9 6. La estä tocando. 7. La estän tocando. 8. La estän tocando. 9. Los estän tocando. 10. Se estän tocando. ~ IDI ... Figure 11: Picture presentation of Spanish pronouns (Sagarna/ Winitz 1990) 5 10 v.l °' g: 2- ~ l1 ~ ~ ~ : : 0 ~ Expansion 4. Look, listen, and read. rtS lf~\1J 1 2 ~ßft f--~f41~ E 6 7 1. He is touching him. 2. She is touching him. 3. He is touching himself. 4. She is touching herself. 5. She is touching her. &, ~ , , 1/ , ¼ 3 4 8 9 6. He is touching her. 7. They are touching him. 8. They are touching her. ~ IDI .. 9. They are touching them. 10. They are touching themselves. 5 10 Figure 12: Picture presentation of English pronouns (Winitz 1990b) ~ "' ~ ~ ~ ; : : ,- "' ; : ! <-, g· ~ '15 ~ ~ ~ s- ~ ~ [ ~ ~ i: l 1· vJ -.J Thomas A. Lovik Total Physical Response: Beschreibung und Beurteilung einer innovativen Methode* Abstract. Total Physical Response as a method for teaching foreign languages to beginners has been around in the United States for over 30 years. Developed by James J. Asher (1958) and adopted by proponents of the natural approach (Krashen/ ferrell 1983), its innovation rests not so much on its recent emergence as on its widespread dissemination throughout the foreign language curriculum from elementary schools to university classrooms. Especially promising is the application of TPR for teaching foreign languages to deaf students. Originally proposed as a method for teaching foreign languages, TPR today is essentially utilized as a technique that lowers learner stress, by focusing on comprehension before production, thereby allowing learners to establish a firm foothold in the language before attempting to interact with the language. 1. Einführung Das Interesse an der Fremdsprachendidaktik in den USA schwankt auf der Skala von völlig irrelevant bis hin zur übersteigerten Begeisterung. Verschiedene Methoden sind in den letzten Jahren auf eine sehr unterschiedliche Resonanz gestoßen. Dazu gehört auch die sogenannte Total Physical Response-Methode (TPR), die zwar in der Wissenschaft relativ wenig Beachtung gefunden hat, von der jedoch heutzutage relativ häufig in den öffentlichen Medien berichtet wird, so daß sie nicht länger als innovativ bezeichnet werden kann. Der Grund für das Interesse an TPR liegt vor allem an der starken Verbreitung dieser Methode im Fremdsprachenunterricht in den USA. Überall dort, wo Fremdsprachen (FS) in Anfängerkursen angeboten werden von der Grundschule bis zur Universität 1 hat TPR Anwendung gefunden. Auch das Interesse der Lehrer und deren positive Reaktionen auf TPR zeigen den hohen Stellenwert, den TPR in den letzten 30 Jahren erreicht hat. Durch seinen Verlag Sky Oaks Publications ist Asher selber (1977) hauptsächlich in den USA und Kanada für das Marketing und den Verkauf von TPR-Materialien * Für die Durchsicht des Manuskripts möchte ich Herrn Olaf Böhlke (Michigan State University, Bast Lansing, Michigan) herzlich danken. Die Endredaktion wurde von Frau Karin Niedergesähs (Universität Bielefeld) unter Mitarbeit der Redaktion vorgenommen. Vgl. Terrell/ Andrade/ Egasse/ Munoz (1986), Terrell/ Rogers/ Barnes/ Wolff-Hessini (1988) und Terrell/ Genzmer/ Nikolai/ fschimer (1988), wo die TPR-Methode für den Anfängerunterricht in Spanisch, Französisch und Deutsch in Universitätskursen ausführlich erklärt wird. Lovik/ Guy/ Chavez (1997) dagegen setzen bestimmte Vorkenntnisse von TPR voraus und verzichten auf detaillierte methodische Anmerkungen. FLuL 25 (1996) Total Physical Response: Beschreibung und Beurteilung einer innovativen Methode 39 verantwortlich, bekannt unter dem Produktnamen The Learnables. Lehrer und Schüler erkennen gemeinsam die Vorteile einer Methode, die darauf aufgebaut ist, das Hörvermögen zu fördern und Hemmschwellen abzubauen. Kritiker und Skeptiker fragen sich, wie die Sprachproduktion gefördert werden kann, wenn die Lerner sich mehr auf das Hörverständnis als auf das Sprechen konzentrieren. Trotz der eher unorthodoxen Herangehensweise dieser Methode ist TPR inzwischen zu einem geläufigen Begriff unter den meisten Fremdsprachenlehrern in den USA geworden. Die Anwendung und der Erfolg von TPR in den USA hängen auch unmittelbar mit dem Erfolg des Natural Approach zusammen, einem von Krashen und Terrell (1983) beschriebenen und stark propagierten Ansatz. 2 Besonders wegen seines innovativen Potentials findet TPR ein großes Echo in den Schulen, in denen sich Lehrer gleichzeitig ständig mit dem ennui ihrer Schüler und mit der Forderung nach Ergebnissen von Seiten der Eltern und Direktoren konfrontiert sehen. 2. Die Entstehung der TPR-Methode TPR ist eine Fremdsprachenvermittlungsmethode, die vor mehr als 30 Jahren von dem Psychologen James J. Asher (1964, 1965, 1966) an der San Jose State University in Kalifornien entwickelt wurde. TPR beruht auf einer Reihe von akademischen Lehrdisziplinen, unter anderem Psychologie, Lerntheorie und humanistic psychology. Ein Vorläufer der TPR-Methode war die Arbeit von Harold und Dorothy Palmer (1925). Gemäß dieser Methode kann der Zweitsprachenerwerb durch einen sprach-sensorisch-kinesthetischen Ansatz erleichtert und gefördert werden. Viele Techniken dieser Methode lehnen sich an die Ergebnisse der Erstspracherwerbsforschung an. Die Techniken und Strategien, die in TPR verwendet werden, basieren auf der Beobachtung, daß Kinder die Fähigkeit aufweisen, Sprachen relativ problemlos zu erlernen. TPR beruht eindeutig auf der Überzeugung, daß diese Fähigkeit auch bei Erwachsenen noch vorhanden ist (Krashen/ Scarcella/ Long 1982: 4). TPR teilt mit der humanistic psychology das Interesse an den affektiven Faktoren des Spracherwerbs (vgl. Richards/ Rodgers 1986: 87). Die Konzentration auf die Entwicklung von Hörverstehen vor der Sprachproduktion verbindet TPR mit dem Comprehension Approach von Harris Winitz (1981). 3 TPR läßt sich vereinfacht durch drei Merkmale beschreiben (Asher/ Kusudo/ de la Torre 1974), denen ich noch ein viertes, für den Ansatz von Krashen/ Scarcella/ Long (1982) charakteristisches Merkmal hinzufügen möchte. 1. Das Sprachverstehen findet vor der Sprachproduktion statt. Kinder weisen eine sogenannte silent period auf, ehe sie selber ihre ersten Worte produzieren. Die Länge dieser Periode 2 Vgl. dazu den Beitrag von Erwin Tschimer in diesem Band (S. 50-69). Vgl. dazu den Beitrag von Harris Winitz in diesem Band (S. 13-37). FLuL 25 (1996) 40 Thomas A. Lovik schwankt von Kind zu Kind, aber im Durchschnitt beginnen Kinder zu sprechen, wenn sie em Jahr alt sind. Die Entwicklung der Hörkompetenz bildet die Basis für den späteren Erwerb der gesprochenen Sprache (vgl. Thiele/ Scheibner-Herzig 1983) und der Schriftsprache, d.h. Lesen und Schreiben. Der Spracherwerb kann verhindert werden, wenn die Sprachproduktion zu früh angesetzt wird, wie Asher (1958, 1981) und Asher/ Kusudo/ de la Torre (1974) sowie Postovsky (1974) für Englisch nachweisen. 2. Am besten lernt und behält man eine Sprache, wenn eine linguistische Form mit einer Handlung assoziiert wird. Daher das Wort physical im Namen Total Physical Response. Durch die Verbindung von einer Sprachform und einer Handlung kann Sprache erworben werden. Die Reaktionen der Schüler und deren aktives Mitmachen spielen eine entscheidende Rolle. Befehle im Imperativ sind im TPR-Klassenzimmer von zentraler Bedeutung, weil sie einen logischen Zusammenhang zwischen Sprachform (Imperativ) und Sprachintention (eine Handlung verursachen) bilden. Lehrer(innen) zitieren gerne das chinesische Sprichwort: "Ich lerne 10% von dem, was ich höre, 40% von dem, was ich höre und sehe, und 80% von dem, was ich höre, sehe und tue." 3. Sprachlerner sollen nie zum Sprechen gezwungen werden. Wenn die Zielsprache verinnerlicht wird, entwickelt sich das Sprechen auf eine natürliche Art und Weise (vgl. Krashen/ Terrell 1983). 4. Um den Spracherwerb zu fördern, müssen den Lernern viele verständliche Sprachbeispiele (comprehensible input) angeboten werden (vgl. Krashen 1982). TPR wird durch diesen verständlichen Input charakterisiert. TPR kann man auch deshalb als innovativ bezeichnen, weil dieser Ansatz im Unterschied zu traditionellen Methoden ("focus on form") den Akzent auf die bedeutungstragenden und somit auf Verstehen ausgerichteten Funktionen von Sprache im Unterricht setzt (vgl. LeeNan Patten 1995: 53). Die Unterrichtssprache ist durch konkrete Beispiele, kurze Sätze und vor allem das Vorführen der jeweiligen Handlungen durch den/ die Lehrer(in) gekennzeichnet. Heutzutage werden diese Merkmale nicht mehr kontrovers diskutiert, aber als sie vor über 30 Jahren propagiert wurden, herrschte zumindest in den USA die audiolinguale Methode (Benseler/ Schulz 1980) vor, also eine Methode, die das Sprechen vom ersten Moment an vorangetrieben hat und die die Sprachlerner mit allen möglichen Tricks zur Produktion zu motivieren versuchte. Die Folge war, daß die Angst vorm Sprechen einige Sprachlerner völlig einschüchterte. Die Rolle der Angst beim Zweitspracherwerb wurde erst später von der Forschung weitgehend untersucht (Horwitz/ Young 1991). Im Gegensatz zur audiolingualen Methode geht TPR auf vorhandene Ängste bei Schülern ein, die auch in anderen traditionellen Methoden wenig Beachtung fanden. Gegenwärtig wagen es selbst die größten Skeptiker nicht mehr, ihre Proteste allzu laut zu äußern, da TPR inzwischen im Pantheon der akzeptierten und weit verbreiteten Methoden zu finden ist. Wo andere Methoden kaum noch ein Echo finden, wie zum Beispiel the silent approach mit seinen bunten Stäben (vgl. Gattegno 1976), scheint die TPR-Methode ihre Akzeptanz weiter auszubauen und mehr an Bedeutung zu gewinnen, weil sie eher dem herrschenden kommunikativen Ansatz entspricht und in der Tat deutliche Erfolge aufweist. FLuL 25 (1996) Total Physical Response: Beschreibung und Beurteilung einer innovativen Methode 41 3. In welchen Lernergruppen kann TPR benutzt werden? Trotz der scheinbar anti-intellektuellen Herangehensweise von TPR kann diese Methode mit allen Lernern und in allen Altersgruppen verwendet werden. Kinder, die gern aktiv sind, nehmen TPR besonders gut auf. Schüler im Alter von 12 bis 14 Jahren stehen der Methode am Anfang etwas skeptisch gegenüber, aber sogar diese Altersgruppe genießt die körperlichen Aktivitäten. Schließlich akzeptieren auch Studenten und Erwachsene die Methode schnell, so lange sie deren Vorteile erkennen und Erfolge verbuchen können. Darum ist es wichtig, die TPR-Methode den Lernern vorab zu erläutern und zu erklären. Besonders gut eignet sich dafür die Arbeit mit Video (vgl. Lovik/ McQuaig 1988). Ferner verspricht TPR große Erfolge für den raschen Spracherwerb von tauben Schülern (vgl. Murphy 1979). 4. Wie sieht der TPR-Unterricht aus? 4.1 Der TPR-Unterricht Der TPR-Unterricht unterscheidet sich ganz wesentlich von traditionellen Fremdsprachenkursen. Anstatt daß die Schüler ständig wiederholen, was der Lehrer produziert, reagieren sie zunächst stumm auf das, was der Lehrer sagt. Der erste Eindruck, den man von TPR bekommt, schwankt zwischen Zweifel und Ungläubigkeit. Wenn man diese Methode jedoch näher betrachtet, werden ihre Vorzüge schnell deutlich. Im TPR-Unterricht gibt der/ die Lehrer(in) einen Befehl nach dem anderen, den die Schüler ausführen sollen, z.B. Stehen Sie auf. Gehen Sie. Springen Sie. Tanzen Sie. Setzen Sie sich. Natürlich gibt es eine bestimmte Reihenfolge oder Sequenz der Befehle und deren Ausführung im TPR-Klassenzimmer. Die folgenden Prinzipien müssen im TPR-Unterricht beachtet werden: • Neue Vokabeln werden durch Befehle eingeführt. • Das Hörverständnis wird zuerst gefördert. • Sprachverstehen kontrolliert der/ die Lehrer(in) durch die Reaktionen der Schüler. • Das Sprechen beginnt, wenn die Schüler dazu bereit sind. Die folgenden fünf Schritte erläutern die Methode im Detail. In der Praxis werden nicht immer alle fünf Schritte ausgeführt. Während die Schritte 1 bis 3 unabdingbar sind, können die Schritte 4 und 5 nach Belieben ausgelassen werden, wenn TPR nur als eine Technik eingesetzt wird. ► Schritt 1. Der/ Die Lehrer(in) gibt einen Befehl und führt ihn gleichzeitig selbst aus. Die Schüler schauen nur zu. Der/ Die Lehrer(in) sagt: Stehen Sie auf Setzen Sie sich. FLuL 25 (1996) Was der/ die Lehrer(in) macht: Der/ Die Lehrer(in) steht auf. Der/ Die Lehrer(in) setzt sich. Was die Schüler machen: Zuschauen Zuschauen 42 Thomas A. Lovik Der/ Die Lehrer(in) wiederholt die Befehle und führt sie dreibis viermal vor, bis sie ausreichend demonstriert wurden. ► Schritt 2. Der/ Die Lehrer(in) gibt einen Befehl und demonstriert ihn. Die Schüler machen jetzt mit. Beispiel: Der / Die Lehrer(in) sagt: Stehen Sie auf Gehen Sie. Setzen Sie sich. Was der/ die Lehrer(in) macht: Der/ Die Lehrer(in) steht auf. Der/ Die Lehrer(in) geht. Der/ Die Lehrer(in)setzt sich. Was die Schüler machen: Die Schüler stehen auf. Die Schüler gehen. Die Schüler setzen sich. ► Schritt 3. Der/ Die Lehrer(in) gibt einen Befehl, ohne ihn selbst auszuführen. Die Schüler führen jetzt die Befehle aus. Beispiel: Der / Die Lehrer(in) sagt: Stehen Sie auf Gehen Sie. Stehen Sie still. Setzen Sie sich. Was der/ die Lehrer(in) macht: Der/ Die Lehrer(in) steht auf. Der/ Die Lehrer(in) bleibt stehen. Der/ Die Lehrer(in) bleibt stehen. Der/ Die Lehrer(in) bleibt stehen. Was die Schüler machen: Die Schüler stehen auf. Die Schiller gehen. Die Schüler bleiben stehen. Die Schüler setzen sich. ► Schritt 4. Der/ Die Lehrer(in) gibt einen Befehl, die Lerner wiederholen den Befehl und führen ihn gleichzeitig aus. ► Schritt 5. Ein(e) Schüler(in) übernimmt die Rolle des Lehrers/ der Lehrerin und gibt die Befehle. Die Erfahrung mit TPR hat gezeigt, daß der Übergang vom Hören zum Sprechen (Schritte 4 und 5) nicht bei allen Lernern gleich verläuft. Wenn man TPR als einzige Methode verwendet, ist dieser Schritt aber der entscheidende. Wenn TPR nur als Technik verwendet wird, kann auf diesen Übergang verzichtet werden, da andere Techniken den Übergang zum Sprechen ersetzen. 4.2 Gruppenbildung und neue Kombinationen Obwohl TPR eine auf Erfolg konzipierte Methode ist, besteht wie bei allen rezeptiven Aktivitäten die Gefahr, daß die Lerner der Routine müde werden, daß sie sich langweilen oder daß sie sich nicht immer konzentrieren. Darum ist es bei der Anwendung von TPR wichtig, daß neue und alte Information ständig in verschiedenen Konstellationen gegeben werden. Neue Vokabeln können teilweise in der Gesamtgruppe eingeführt und dann in kleineren Gruppen kontrolliert werden oder auch umgekehrt. Durch die Bildung verschiedener Gruppen wird bewußt versucht, die Routine zu vermeiden und das Interesse der Lerner beizubehalten. Wie im konventionellen PS-Unterricht dienen auch TPR-Gruppen dazu, die Ängste der Lerner abzubauen, indem die Intimität der Kleingruppe dazu beiträgt, Selbstsicherheit zu finden. Insofern spielt die Gruppenbildung eine sehr wichtige methodische Rolle in Bezug auf die affektiven Faktoren beim Spracherwerb, worauf weiter unten im Text näher eingegangen wird. Erfolgreiches Ausführen der Befehle in FLuL 25 (1996) Total Physical Response: Beschreibung und Beurteilung einer innovativen Methode 43 einer Kleingruppe soll immer mit Applaus belohnt werden. Die anderen Schüler sollen auch die Gelegenheit nutzen, zuzuhören und sich selbst zu kontrollieren. 4.3 Tips für den TPR-Unterricht Die Praxis mit TPR an der Universität 4 hat gezeigt, daß TPR bei allen Lernern gut ankommt, sie sogar häufig den Wunsch nach mehr TPR äußern. Der Grund für diese starke Akzeptanz dieser Methode liegt darin, daß alle Lerner gleichzeitig den neuen Stoff lernen und auch beherrschen. Wenn sich ein Schüler z.B. beim Befehl .,Drehen Sie sich nach links" nach rechts dreht, fällt dies dem Lehrer/ der Lehrerin und den Lernern unmittelbar auf, und der Fehler kann augenblicklich korrigiert werden. Die Lerner lernen sofort beim Betrachten der anderen Kursteilnehmer und können sich rasch selbst korrigieren. Das alles passiert ohne Zwang durch den Lehrer/ die Lehrerin und ohne, daß der/ die Einzelne vor der ganzen Klasse aufgerufen wird und dadurch im Mittelpunkt steht, wie es so oft der Fall bei grammatischen Übungen ist. Natürlich hängt der Erfolg von TPR auch unmittelbar damit zusammen, daß es in den Anfangsphasen des TPR-Unterrichts keine Vokabeln zu lernen und keine grammatischen Übungen zu schreiben gibt! Welcher Schüler würde solche Vorzüge nicht zu schätzen wissen? Um einen erfolgreichen TPR-Kurs zu gestalten, sind die folgenden Tips hilfreich, wenn nicht sogar erforderlich. Einige dieser Ratschläge haben dabei sicherlich für alle Fremdsprachenkurse Gültigkeit. Der/ Die Lehrer(in) soll: 1. ausschließlich die Fremdsprache verwenden; 2. aufstehen, wenn die Befehle gegeben werden; 3. die Reihenfolge der Befehle ständig ändern, um Langeweile zu vermeiden; 4. neue Vokabeln in Dreiergruppen einführen; 5. das Tempo des Befehle-gebens ständig lebendig halten; 6. immer darauf achten, daß die Lerner die Befehle verstehen; 7. regelmäßig neue Gruppen bilden; 8. jede Stunde mit einer Wiederholung beginnen; 9. immer Humor zeigen; 10. die Befehle mit Begeisterung vorführen. 4.3.1 Verwendung der Zielsprache Obwohl viele dieser Tips eine gute Portion common sense beinhalten, spiegeln sie einige wesentliche Elemente der Methode wider. Omaggio Hadley (1993: 105) bezeichnet TPR als eine moderne Version der methode directe, in der nur die 4 Seit 1988 wird TPR im Anfängerkurs für Deutsch an der Michigan State University (East Lansing) mit Erfolg angewendet. Eine Umfrage unter Studenten hat gezeigt, daß alle Kursteilnehmer entweder sehr zufrieden oder zufrieden mit TPR waren. FLuL 25 (1996) 44 Thomas A. Lovik Zielsprache gehört und verwendet wird. Das Verwenden der Zielsprache ist auch für TPR entscheidend. Im Anfängerunterricht ist es nicht immer leicht, eine den Anfängern niveaugerechte Sprache zu benutzen. TPR löst dieses Problem, indem nur konkrete, verstehbare Befehle gegeben werden, die von dem/ der Lehret(in) zuerst eingeführt werden. TPR verkörpert ferner ein ganz wichtiges Merkmal neuerer Pädagogik, nämlich daß der Inhalt und nicht die Form betont wird. Im TPR-Unterricht geht es nur um die Bedeutung und nicht um die Sprachform. Lerner, die in der ersten Stunde Äußerungen wie Setzen Sie sich und Drehen Sie sich um hören, machen sich überhaupt keine Sorgen um die Reflexivpronomen (d.h. sich) oder die trennbare Vorsilbe (d.h. um). So entwickeln sich ganz idiosynkratische Verstehensstrategien, die nur dazu dienen, Form mit Inhalt zu verbinden. Wie die Lerner diese Assoziationen organisieren, bleibt ihnen überlassen. 4.3.2 Kontrolle des Verstehens TPR hat einen eingebauten Kontrollmechanismus, mit dem der/ die Lehrer(in) die Lerner simultan kontrollieren kann. Es geht keine Unterrichtszeit verloren, wenn etwas nicht verstanden wird, sondern der/ die Lehrer(in) wiederholt einen Befehl und läßt ihn ein weiteres Mal ausführen, um sicher zu sein, daß alle Lerner ihn verstanden haben. Erst dann wird im Stoff weiter gegangen. Dies geschieht nicht explizit, indem einer Person wie bei einer grammatischen Übung eine Frage gestellt wird, sondern die ganze Gruppe führt den Befehl noch einmal aus, damit individuelle Lerner nicht eingeschüchtert und vor den anderen bloßgestellt werden. 4.3.3 Humor Humor spielt nicht nur eine wesentliche Rolle beim Abbau der Angst, sondern auch bei der Verständniskontrolle. Wenn der/ die Lehrer(in) unmögliche Befehlskombinationen äußert, wie z. B. Setzen Sie sich und springen Sie oder Gehen Sie zum Fenster und springen Sie aus dem Fenster merkt er/ sie an der Reaktion (meistens Lachen) der Lerner, ob diese neue Kombination richtig verstanden worden ist. Das Lachen schafft auch Entspannung im Unterricht und fördert dadurch den Spracherwerb (vgl. dazu im Abschnitt 5 unter Ad 3, S. 47). Einige Lehrer mögen die Methode ablehnen und sagen: "Ich bin einfach nicht der Typ dafür" oder „Ich kann so 'was mit meinen Schülern nicht machen". Obwohl TPR etwas Schauspielerisches in sich hat, verlangt diese Methode nicht viel mehr als das, was der PS-Unterricht in den USA vor allem erfordert: Begeisterung, Engagement und gute Organisation. Es mag etwas herzlos klingen, aber wer nicht in der Lage ist, mit Begeisterung, Engagement und organisatorischem Talent zu unterrichten, gehört wahrscheinlich nicht in einen FS-Kurs. FLuL 25 (1996) Total Physical Response: Beschreibung und Beurteilung einer innovativen Methode 45 5. Kritik an der TPR-Methode Aus heutiger Sicht betrachtet weist TPR eine Reihe von Schwächen auf. Richards und Rodgers (1986) nehmen eine intensive Analyse von TPR als Methode vor. In der TPR-Methode steht das Verb im Mittelpunkt, und Befehle im Imperativ sind von zentraler Bedeutung. Insofern folgt TPR einem grammatikalischen, strukturalistischen Inhaltsplan und keinem funktionalen Plan, was den neuesten Vorschlägen aus der Sprachpädagogik nicht zu entsprechen scheint. Eine zweite Schwäche von TPR hängt mit der Definition von TPR als Methode oder als Technik zusammen. Wenn man sich vollkommen auf TPR als Methode verläßt und sich konsequent daran hält, erreicht die Methode irgendwann einmal die Grenze ihrer Anwendbarkeit. An TPR bemängelt man die starke Bevorzugung der inhaltlichen gegenüber der formalen Seite der Sprache. Kritisiert wird ferner, daß „abstrakte Gegenstände" oder Handlungen nur durch sehr unauthentische Unterrichtsvorschläge eingeführt werden können. Was Asher eigentlich unter „abstrakten Gegenständen" versteht, bleibt unklar. Seiner Meinung nach sind Lerner in der Lage, abstrakte Konzepte der Grammatik ohne abstrakte Darstellungen zu begreifen: "Abstractions should be delayed until students have internalized a detailed cognitive map of the target language. Abstractions are not necessary for people to decode the grammatical structure of a language. Once students have internalized the code, abstractions can be introduced and explained in the target language" (Asher 1977: 11-12). Ashers Vorschläge (1974 in Oller 1983: 63) über abstrakte Konzepte des Wortschatzes im Deutschunterricht klingen heute beinahe banal: "For certain abstractions, however, the German was written on one side of a cardboard card and English on the other. Then such abstractions as honor, justice, and govemment were manipulated as objects. For instance, the instructor said in German, 'Luke, pick up justice and give it Josephine'. 'Abner, throw govemment to me"'. Bei dieser Art von Unterrichtsvorschlägen ist es kein Wunder, daß TPR als Methode nur sehr begrenzt (im Anfängerunterricht) eingesetzt werden kann. Auch landeskundliche Themen können nur mit Mühe und sehr viel Kreativität behandelt werden. Dies gilt auch für die Behandlung textlinguistischer Aspekte der Zielsprache. Sprechakte werden sehr künstlich von dem/ der Lehrer(in) präsentiert, z.B. Bitten: "John, bitte Mary um den Kuli". Entschuldigungen: "Karin, sag Maria, daß es dir leid tut". Interaktive Rollenspiele tauchen erst später auf und sind eigentlich kein Bestandteil der TPR-Methode. So sehr das Verstehen eine zentrale Rolle im TPR spielt, so wenig sind seine Beziehungen zur Produktion und zur Kommunikation ausgearbeitet. Richards und Rodgers (1986: 97) schließen ihre Analyse von TPR mit der Bemerkung ab, daß TPR nur für die Anfangsstadien des Spracherwerbs geeignet ist. Darum wird TPR in den meisten Fällen lediglich als Zusatztechnik verwendet und nicht als einzige Methode. FLuL 25 (1996) 46 Thomas A. Lovik Eine vorgebliche Stärke von TPR, nämlich daß viele Lehrer(innen) schnell und ohne Bedenken die Methode annehmen und verwenden, führt ebenso häufig auch zur Kritik an TPR. Das hängt unmittelbar mit den folgenden drei lerntheoretischen Prinzipien der Methode zusammen: 1. Es existiert ein separates Vermögen für Spracherwerb. 2. Die Hirnforschung identifiziert bestimmte Funktionen, die getrennt in den jeweiligen Gehirnhälften lokalisiert werden können. 3. Der sogenannte Affektive Filter (vgl. Krashen/ ferrell 1983), der u.a. für Streßerscheinungen verantwortlich ist, bestimmt, wie viel Sprache erworben werden kann. Je niedriger der Affektive Filter, desto mehr Sprache wird erworben. ► Ad 1: Ashers Ansatz ist sehr stark angelehnt an Chomskys (1965) Idee eines dem Menschen angeborenen Vermögens, Sprachen zu erwerben, dem sogenannten Language Acquisition Device, der nach wie vor die Diskussion um die Sprachuniversalien bestimmt (vgl. McLaughlin 1978: 24). Parallel zu der Idee vom Language Acquisition Device entwickelte sich das Konzept von der creative construction bzw. den „evolvierenden Systemen" der Interimsprachen (vgl. Ellis 1986: 72). Bei TPR ist es sehr wichtig, wie das neue Material erlernt wird. Dazu finden Rückgriffe auf Erklärungen durch die trace-Lerntheorie statt (vgl. Richards/ Rodgers 1986: 87). Gemäß dieser Theorie werden die Assoziationen im Gedächtnis und die Fähigkeit, sie hervorzurufen, um so stärker, je öfter und intensiver eine Verbindung im Gedächtnis mit Spuren (traces) stimuliert wird (vgl. Brown 1987: 163). Diese Spuren können entweder durch verbale oder motorische Reize hervorgerufen werden. Wenn beide Reize zusammenkommen, wird der Erfolg von Informationserwerb um so größer. Im allgemeinen geht Asher davon aus, daß Sprache in chunks (vgl. Yorio 1980) erworben wird, weitere Ausführungen dazu macht er jedoch nicht. Sprachlehrer(innen) haben diese Verbindung zwischen körperlicher Bewegung und Sprachassoziation bereits seit langem angenommen, aber TPR bietet ihnen eine theoretische Stütze für ihre Vermutungen und Beobachtungen. ► Ad 2: Ein zweiter Grund dafür, daß TPR von Lehrer(innen) so unkritisch aufgenommen wird, hängt mit der Verbreitung von Forschungsergebnissen zur Hirnforschung in den öffentlichen Medien zusammen. Für manche Lehrer in den Schulen repräsentieren die Entdeckungen der Hirnforschung und die Lokalisierung der kognitiven Handlungen im Gehirn die Bestätigung für das, was sie jeden Tag im Unterricht selber beobachten können, nämlich daß nicht alle Lerner gleichmäßig von herkömmlichen Unterrichtsformen profitieren. Weil traditioneller Sprachunterricht ausschließlich die Betonung auf abstrakte, d.h. der linken Gehirnhälfte zuzurechnenden Aktivitäten legte, konnten nicht alle Lerner einheitlich den Stoff aufnehmen. Mit TPR wird genau wie beim Erstspracherwerb auch die rechte Hemisphäre beansprucht. Erst später werden sprachliche Abstraktionen durch die linke Hirnhälfte verarbeitet. Obwohl viele Lehrer das intuitiv verstehen, fällt es FLuL 25 (1996) Total Physical Response: Beschreibung und Beurteilung einer innovativen Methode 47 ihnen in den konkreten Unterrichtssituationen schwer, die vom TPR geforderte Berücksichtigung verschiedener Lernstile praktisch umzusetzen. Für Grundschullehrer ist die Forderung nach Vielfalt von Lernstilen eine Bereicherung. Für einige Lehrer(innen) in den high schools und an den Universitäten und Colleges verlangt die Berücksichtigung sowohl eher affektiv als auch kognitiv ausgerichteter Lernstile eine Neuorientierung hinsichtlich ihrer Unterrichtsvorbereitungen. Einige Lehrer möchten lieber den Lernern den Stoff auf eine non-integrative Art und Weise darbieten, als daß sie selber mit den Lernern das Sprachmaterial bearbeiten und sich damit auseinandersetzen. ► Ad 3: Die Rolle von Streß im Spracherwerb ist sicherlich den meisten Lehrern auch aus ihrer Praxis vertraut. Zu viel Streß verhindert das Lernen. Es wurde immer wieder auf verschiedene Art und Weise versucht, diesen Streß abzubauen. TPR bietet sich als eine Methode an, die vom Konzept her darauf abzielt, die Ängste der Lerner zu reduzieren. Mit TPR erhalten erfahrene Lehrer wieder eine Bestätigung für das, was sie bereits seit langem geahnt haben. Diese Idee vom Abbau des Streßfaktors wird auch intensiv im Natural Approach (vgl. Krashen & Terrell 1983: 37) verfolgt. Beide Ansätze sind sich in der Auffassung einig, daß innerhalb von kommunikativen Methoden die Beachtung affektiver Faktoren entscheidend für den erfolgreichen Spracherwerb in allen Altersgruppen ist. 6. Fazit und Perspektiven Obwohl die Grundidee von TPR schon über 30 Jahre alt ist, hat TPR noch heute in einiger Hinsicht innovative Kraft. Aus rein historischen Gründen gilt TPR nicht mehr als neu. Aber TPR ist immer noch eine Methode, die kommunikative Vorgehensweisen fördert, in denen die Beachtung affektiver Faktoren einen hohen Stellenwert hat. TPR überlebt, wo andere Methoden schon längst vergessen sind, und TPR bleibt unter Fremdsprachenlehrer(innen) in den USA relativ bekannt und verbreitet. An überzeugten Anhängern wird es TPR auch in Zukunft nicht fehlen, denn viele Lehrer(innen) sehen in TPR eine Bestätigung für das, was sie täglich im Klassenzimmer beobachten. In der gegenwärtigen Situation wird TPR zusätzlich durch den Natural Approach gestützt. Vermutlich wird TPR auch dann noch angewendet werden, wenn der letzte Natural Approach-Anhänger längst in Rente gegangen ist. FLuL 25 (1996) 48 Thomas A. Lovik Bibliographische Angaben ASHER, James J. (1958): "The total physical response approach to second language leaming". In: Modem Language Journal 53, 3-17. ASHER, James J. (1964): "Toward a neo-field theory of behavior". In: Journal of Humanistic Psychology 4, 85-94. ASHER, James J. (1965): "The strategy of total physical response: an application to learning Russian". In: International Review of Applied Linguistics 3, 291-300. ASHER James J. (1966): "The learning strategy of total physical response: a review". In: Modem Language Journal 50, 79-84. ASHER, James J. 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The article then describes seven basic design principles of the Natural Approach as it is used in the 1990s: (1) language is taught through language use; (2) the content of instruction is the cultures of the target language and of the native language(s) of the students; (3) pair work and small group work are preferred forms of classroom interactions; (4) instruction moves from comprehension to product10n; (5) instruction facil1tates language acquisition through input enhancement techniques; (6) the affective domain receives careful consideration; and (7) modern media are fully integrated. 1. Einführung Der Natural Approach 1 wurde Mitte der siebziger Jahre von Tracy Terrell als Reaktion auf die damals in Nordamerika herrschenden Fremdsprachenunterrichtsmethoden entwickelt, insbesondere die audiolinguale Methode und die kognitive Methode. Obwohl diese Methoden recht unterschiedlich waren, stand doch in beiden das Erlernen grammatischer Strukturen im Mittelpunkt des Unterrichts, wobei die audiolinguale Methode sich eher auf die mündliche Produktion konzentrierte und die kognitive Methode auf die schriftliche. Darüber hinaus waren beide Methoden von einer überaus strengen Fehlerkorrektur geprägt. In seinem ersten Artikel zum Natural Approach faßte Terrell (1977) die damalige Forschung zum Zweitsprachenerwerb zusammen und leitete daraus fünf Prinzipien ab, die den vorherrschenden Unterrichtspraktiken teilweise diametral entgegengesetzt standen: * Für wertvolle Hinweise und Kommentare bedanke ich mich recht herzlich bei Brigitte Nikolai (University of lowa), Renate Schulz (University of Arizona), Charles James (University ofWisconsin), Dierk Hoffmann (Colgate University) und bei Linnea Wahlstrom, Michael Hardy und Ilonca Müller (alle University of lowa). Terrell nannte seine Methode den Natural Approach, weil er seine Vorschläge zu einer Neugestaltung des Unterrichts in erster Linie aus der Erforschung des natürlichen, d.h. ungesteuerten, Zweitsprachenerwerbs entwickelte. Der Natural Approach steht natürlich in der Tradition der direkten oder natürlichen Methoden, die seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts in Konkurrenz zur Grammatik-Übersetzungsmethode entstanden waren, leitet seine Prinzipien aber ausdrücklich aus der Zweitsprachenerwerbsforschung ab und nicht, wie andere direkte Methoden, aus Beobachtungen, die beim muttersprachlichen Erwerb gemacht wurden. FLuL 25 (1996) Spracherwerb im Unterricht: Der Natural Approach 51 L Das Ziel des Anfängerunterrichts 2 ist kommunikative Kompetenz, nicht grammatische Perfektion; 2. das Erlernen eines möglichst großen Wortschatzes spielt im Anfängerunterricht eine ausschlaggebende Rolle, sowohl im rezeptiven als auch im produktiven Bereich; 3. grammatische Kompetenz entwickelt sich, wenn die Sprache als Kommunikationsmittel benutzt wird; sie läßt sich nicht Regel für Regel erlernen; 4. Lernern muß die Gelegenheit gegeben werden, Sprache erst rezeptiv, d.h. über das Hörverständnis, zu erfahren, bevor sie produktiv mit ihr umgehen können; 5. affektive Faktoren sind beim Spracherwerb wichtiger als kognitive. Terrell schlug aufgrund dieser theoretischen Erkenntnisse vor, den Unterricht fast ausschließlich aus Interaktionsformen bestehen zu lassen, in denen die Fremdsprache als Kommunikationsmittel verwendet wird, sowohl um damit den Spracherwerbsprozeß voranzutreiben als auch um eine affektiv positive Unterrichtsatmosphäre zu schaffen. Wichtig bei diesen Interaktionen ist, daß Inhalte besprochen werden, für die die Lerner sich interessieren. Diese Inhalte kreisen dabei in erster Linie um zwei Fixpunkte: 1. die Welt der Lerner selbst, d.h. ihre eigenen Erlebnisse, Vorlieben, Meinungen, Träume usw., und 2. die fremdsprachige Welt, d.h. Informationen über die fremdsprachigen Länder und Kulturen und Einsichten in das Leben und Denken der dort lebenden Menschen. 3 Nach diesem ersten Artikel lernte Terrell Stephen Krashen kennen, und es begann eine langjährige fruchtbare Zusammenarbeit, die in der von beiden verfaßten Einführung in den Natural Approach (Krashen/ ferrell 1983) gipfelte. 4 Obwohl Terrell Krashens Input-Modell des Zweitsprachenerwerbs zum theoretischen Angelpunkt seines Ansatzes machte, war und blieb er in einigen wichtigen Punkten anderer Meinung als Krashen. Im Gegensatz zu Krashen, der streng zwischen bewußtem 2 Der Natural Approach wurde von Terrell ausdrücklich nur für den Anfängerunterricht konzipiert, d.h. für das erste U.S. Collegejahr mit ca. 120-150 Kontaktstunden. Der Hauptgrund war natürlich, daß Terrell, wie viele andere Fremdsprachenerwerbstheoretiker in den USA, an seiner Universität nur für den Anfängerunterricht zuständig war. 3 Aus diesem Grund wurden das spanische und französische Natural Approach-Lehrwerk Dos Mundas bzw. Deux Mondes genannt. Das deutsche Team entschied sich für Kontakte, um den Austausch zwischen diesen beiden Welten in den Mittelpunkt zu stellen, aber auch weil zu dem Zeitpunkt der Publikation befürchtet wurde, daß der Titel Zwei Welten eher Assoziationen zur damaligen Zweiteilung Deutschlands hervorgerufen hätte. 4 Der Natural Approach wird oft zu Unrecht in erster Linie mit Krashen assoziiert. Wie Krashen (1994) in einer Fernsehdiskussion (McGraw-Hill Tele-Conference 1994) bemerkte, ist Terrell der alleinige Begründer des Natural Approach, und selbst das Buch The Natural Approach (Krashen/ ferrell 1983) wurde zum weitaus größeren Teil von Terrell geschrieben. Krashens Meinung nach hätte Terrell als erster Autor erscheinen sollen, aber Terrell bestand darauf, die Autorennamen alphabetisch zu listen. FLuL 25 (1996) 52 Erwin Tschimer Sprachlernen und unterbewußtem Spracherwerb unterscheidet, geht Terrell eher von einem Kontinuum zwischen bewußten und unterbewußten Sprachlernprozessen aus. Grundlegend für Terrell ist die Aufmerksamkeit, mit der ein Sprachlerner sich dem Input widmet, wobei diese Aufmerksamkeit sowohl bewußt als auch unterbewußt sein kann. 5 Wiederum anders als Krashen schreibt Terrell der Sprachproduktion eine gleich wichtige Rolle wie der Perzeption zu. Für Terrell ist die Sprachperzeption zwar ebenfalls der auslösende Faktor für den Spracherwerb, aber darüber hinaus geht er im Rahmen seiner binding/ access-Hypothese (Terrell 1986) davon aus, daß die produktive Verwendung der Sprache zusätzlich zu ihrer perzeptiven Verwendung erworben werden muß, und zwar wiederum im kommunikativen Gebrauch, so daß im Unterricht auch produktive Kommunikationsmöglichkeiten geschaffen werden müssen. Schließlich gesteht Terrell dem bewußten Lernen und Anwenden von Grammatikregeln eine größere Rolle zu als Krashen, insbesondere dadurch, daß er, ähnlich wie Sharwood Smith (1993), der Meinung ist, daß (bewußtes) Grammatikwissen den (unterbewußten) Grammatikerwerb erleichtern und gegebenenfalls beschleunigen kann (Terrell 1991). Vor allem aber steht bei Terrell das lexikalische Lernen im Fremdsprachenerwerb im Vordergrund seiner Überlegungen. Diese Betonung der Rolle der Semantik und des Lexikons beim Spracherwerb verrät damit eine eindeutig funktionale Sprachauffassung 6 Terrells. 2. Theoretische Grundlagen Terrells größter Beitrag zur Entwicklung des Fremdsprachenunterrichts in Nordamerika war, daß er ihn auf Ergebnisse und Theorien der Zweitsprachenerwerbsforschung basieren ließ und dadurch die angewandte Linguistik in den Fremdsprachenabteilungen, die immer noch hauptsächlich von Literaturwissenschaftlern dominiert werden, hoffähig machte (Baltra 1995). Diese theoretischen Grundlagen des Natural Approach sollen deshalb im folgenden relativ ausführlich erörtert werden. 2.1 Sprachtheorie Der Natural Approach sieht die Sprache als ein System, das es Menschen erlaubt, sowohl mündlich als auch schriftlich miteinander zu kommunizieren, wobei der 5 Terrell (1986); zu einer aktuellen Diskussion der Frage von bewußter und unterbewußter Aufmerksamkeit vgl. Tomlin/ Villa (1994). 6 Funktionale Ansätze gehen davon aus, daß sprachliche Phänomene nicht ohne Rückgriff auf ihre Funktion erklärt werden können. Die Art und Weise, wie Sprache als Kommunikationsmittel verwendet wird, beeinflußt die Grammatik einer Sprache ebenso wie die Entwicklung dieser Grammatik im Spracherwerb.- Zu Funktionalismus in der Zweitsprachenerwerbsforschung vgl. Tomlin (1990). FLuL 25 (1996) Spracherwerb im Unterricht: Der Natural Approach 53 reflektive wie auch der schöpferische Gebrauch von Sprache (z.B. Literatur) mit eingeschlossen sind. Ziel des Sprachunterrichts ist die kommunikative Kompetenz, die nach Canale (1981) vier Komponenten enthält: grammatische Kompetenz, Diskurskompetenz, soziolinguistische Kompetenz und strategische Kompetenz. Grammatische Kompetenz ermöglicht ein Verstehen und Produzieren grammatisch richtiger Sätze, Diskurskompetenz die Verknüpfung von Sätzen zu gesprochenen oder geschriebenen Texten monologischer wie dialogischer Art. Soziolinguistische Kompetenz ist Voraussetzung für die soziokulturelle Angemessenheit von Äußerungen und Texten, während strategische Kompetenz maßgeblich für den Erfolg sprachlicher Handlungen ist, sei es zur Überwindung von Kommunikationsschwierigkeiten, sei es, um andere Menschen von etwas zu überzeugen oder zu etwas zu überreden. 2.1.1 Grammatische Kompetenz Der Natural Approach geht von funktionalen und kognitiven Grammatikmodellen aus, sieht aber Sprache nicht als ein einheitliches und eindimensionales Gebilde, sondern postuliert, daß den vier Grundfertigkeiten des Sprechens und Schreibens, des Hörens und Lesens unterschiedliche kognitive Strukturen zugrunde liegen, auch wenn diese Fertigkeiten auf vielfältige Weise miteinander verbunden sind. Chafe und Danielewicz (1987) z.B. beschreiben eine Reihe grammatischer und lexikalischer Unterschiede zwischen mündlichen und schriftlichen Texten, die ihrer Meinung nach vor allem auf zwei Gründen beruhen: (1) Anwesenheit bzw. Abwesenheit einer Adressatengruppe; und (2) Anforderungen eines in realer Zeit bzw. nicht in realer Zeit stattfindenden Sprachproduktionsprozesses. Letzteres beeinflußt z.B. die durchschnittliche Länge von Äußerungen (ca. sechs Wörter in mündlichen Texten, ca. neun Wörter in schriftlichen) sowie die Tatsache, daß mündliche Äußerungen in erster Linie aus einzelnen, parataktisch aneinandergereihten Hauptsätzen bestehen, während schriftliche Sätze auf vielfältige Weise parataktisch und hypotaktisch miteinander verknüpft sind. Besonders beim Sprechen stellt sich dabei die Frage, inwieweit Sätze und Phrasen immer wieder neu generiert werden oder ob nicht sehr oft auf im Ganzen gespeicherte Phrasen und Satzteile zurückgegriffen wird (vgl. Bolinger 1976). Terrell (1986) ist der Meinung, daß in der Regel keine Wortstämme gespeichert werden, die mit Hilfe grammatischer Regeln mit den richtigen Endungen versehen werden (geh+ st), sondern nur Wörter als Ganzes, wie sie real im Sprechen vorkommen (gehst). Pawley und Syder (1983) gehen davon aus, daß der in wirklicher Zeit stattfindende mündliche Sprachproduktionsprozeß extrem großen Beschränkungen unterworfen ist. Der fließende Sprachgebrauch von Muttersprachlern läßt sich daher nur unter der Annahme erklären, daß spontanes Sprechen grundlegend improvisatorisch ist, d.h., daß Sprecher ihre Äußerungen nicht von Beginn an überblicken oder vorausplanen, sondern daß sie mit Hilfe vorgefertigter Satzteile und Teilsätze, die mehr oder weniger lose aneinandergereiht werden, ihre Mitteilungen FLuL 25 (1996) 54 Erwin Tschirner gestalten. Sprecher generieren also im spontanen Sprechen zum größten Teil ihre Sätze nicht neu, sondern greifen auf Satzteile und Teilsätze zurück, die im Laufe von vielen Jahren zu Hunderttausenden als Ganzes gespeichert wurden und die dann mit leichten Variationen neu zusammengestellt werden. Pawley und Syder (1983) gehen daher davon aus, und diese Auffassung wird im Natural Approach geteilt, daß Sprache, so wie sie im Gehirn von Menschen vorhanden ist, nicht aus Wortlisten und Grammatikregeln bestehen kann, sondern eher einem gigantischen Sprachführer ähneln muß, dessen Sätze und Satzteile mit grammatischen Hinweisen angereichert sind. Neueste Untersuchungen zum Hörverständnis (vgl. die Beiträge in Brown/ Malmkjrer/ Pollitt/ Williams 1994) deuten darauf hin, daß beim hörenden Verstehen ebenfalls semantische Kombinationsregeln im Zusammenspiel mit dem kommunikativen Kontext und dem Weltwissen der Hörer, vor allem auch dem Wissen darüber, wie Ereignisse ablaufen (Interpretationsschemata und Scripts), weit mehr beachtet werden als Regeln syntaktisch-morphologischer Art, vor allem auch weil ein in realer Zeit stattfindendes Hörverständnis sich aufgrund der generellen Unschärfe und Lückenhaftigkeit akustischer Stimuli nicht auf rein grammatische Informationen verlassen kann.7 Auch beim Leseverständnis scheint Grammatikwissen eine eher marginale Rolle zu spielen. Viel wichtiger sind nach Westhoff (1987) neben einem Wissen über Satzverläufe und mögliche und wahrscheinliche Wortkombinationen ein Wissen von logischen Strukturen und von Kenntnissen über die Welt, wobei vor allem letzteres überaus stark kulturgebunden ist. Die schriftliche Produktion, besonders das Schreiben von Aufsätzen, scheint dabei noch am meisten von einem bewußten Grammatikwissen profitieren zu können. Im Natural Approach allerdings, der für den Anfängerunterricht konzipiert ist, hat das Schreiben eher die Hilfsfunktion, Lernprozesse zu fördern und zu vertiefen, und ist daher theoretisch von weniger großem Interesse. 8 Insgesamt steht also im Natural Approach, der sich in erster Linie um die Entwicklung des Hör- und Leseverständnisses und der Sprechfertigkeit bemüht, die semantische Kompetenz im Mittelpunkt, wobei davon ausgegangen wird, daß Perzeption und (mündliche) Produktion mehr über lexikalisch-semantische Kombinationsregeln stattfindet als mit Hilfe von traditionell grammatischen Morphologie- und Syntaxregeln. 7 Man denke nur an Assimilationserscheinungen wie die Angleichung des Nasalkonsonanten an seine Umgebung, z.B. [zi: st du: de: m bal], die hier z.B. die Unterscheidung zwischen Dativ und Akkusativ auf morphologischer Grundlage erschwert, wenn nicht gar unmöglich macht. 8 Darüber hinaus wird das Schreiben in erster Linie als Gebrauchsfertigkeit geübt, z.B. um Telefonbotschaften aufzuschreiben, Formulare auszufüllen, Notizen zu verfassen, und motivationsfördemd als kreatives Schreiben, z.B. um Gedichte zu verfassen, und nicht als eine schulische Fertigkeit, z.B. um Aufsätze zu schreiben. FLuL 25 (1996) Spracherwerb im Unterricht: Der Natural Approach 55 2.1.2 Kulturelle Kompetenz Sowohl für die Diskurskompetenz, deren Interpretationsschemata und Scripts häufig kulturgebunden sind, wie auch für die soziolinguistische Kompetenz ist ein im weitesten Sinne kulturelles Wissen unabdingbar. Sprache wird also als ein kulturelles Produkt verstanden. Im Informationszeitalter und der geschrumpften Welt der 90er Jahre ist darüber hinaus dem Fremdsprachenunterricht ein Lernziel zugewachsen, das über eine einfache Fremdsprachenkompetenz hinausgeht, nämlich das Lernziel transnationale Kommunikationsfähigkeit (Picht 1989). Nach Picht (1989) stellen Kommunikationshindernisse durch Mentalitätsunterschiede eines der Haupthindernisse vertiefter europäischer Zusammenarbeit dar. Interkulturelles Verstehen und erfolgreiches internationales Handeln basierten seiner Meinung nach auf drei Qualifikationen, deren Erwerb ein Hauptziel eines modernen Fremdsprachenunterrichts sein sollte: 1. ein angemessenes, historisch fundiertes Wissen über die eigene und die fremde Kultur; 2. die Fähigkeit, gesellschaftliche Strukturen und Funktionen zu analysieren, und das Wissen, daß diese Strukturen und Funktionen in verschiedenen Kulturen unterschiedlich ausgeprägt sind; 3. das Erfahren und Analysieren der psychologischen Mechanismen, die bei der Wahmehmung des Fremden wirksam werden. Der Erwerb einer zweitkulturellen Perspektive scheint damit qualitativ etwas anderes zu sein als der Erwerb der ersten Kultur, denn er verlangt Wissen und Erfahrung und Reflektion über dieses Wissen und diese Erfahrung. Darüber hinaus ist die zweitkulturelle Perspektive wohl mehr kognitiv, mehr an der Oberfläche des Bewußtseins, während die erstkulturelle Perspektive mehr affektiv und mehr unbewußt ist, vor allem, wenn der Fremdsprachenunterricht erst nach der Primärsozialisation in die erste Kultur stattfindet. Diesem Lernziel der transnationalen oder interkulturellen Kommunikationsfähigkeit hat sich auch der Natural Approach verschrieben und daher den Erwerb kulturellen Wissens und das Lernen kultureller Analysemethoden als gleichberechtigtes Lernziel neben dem Spracherwerb in den Unterricht Deutsch als Fremdsprache gestellt (vgl. Terrellffschirner/ Nikolai/ Genzmer 1996). Unklar ist jedoch, inwieweit sich die affektive Dimension des Kulturerwerbs in einem Unterricht, der nicht im Land der Zielsprache stattfindet, realisieren läßt, inwieweit also eine zweite Kultur wirklich im Unterricht erworben werden kann. 2.2 Lerntheorie Das hervorstechende Merkmal des Natural Approach ist zweifellos, daß er sowohl in der Methodik als auch in der Didaktik ausdrücklich auf Theorien und Ergebnissen der Zweitsprachenerwerbsforschung aufbaut. Es ist daher natürlich, daß sich FLuL 25 (1996) 56 Erwin Tschirner in dem Maße, in dem sich die theoretischen Erkenntnisse der Spracherwerbsforschung weiterentwickeln, auch der Natural Approach weiterentwickelt. Krashens Inputmodell des Spracherwerbs lieferte die erste Grundlage des Natural Approach (Krashen 1981). Swains Output-Hypothese (Swain 1985) u.a. veranlaßte Terrell, das Verhältnis von Perzeption und Produktion theoretisch präziser zu fassen und führte zu seiner binding/ access-Hypothese (Terrell 1986). Die theoretischen Arbeiten u.a. von Rutherford und Sharwood Smith (1985) und Van Patten (1990) zu consciousness raising und input processing 9 führten Terrell dazu, seine Gedanken zur Rolle der Grammatik zu präzisieren (Terrell 1991). Die theoretischen Überlegungen von Bolinger (1976), Pawley und Syder (1983) und Keenan und MacWhinney (1987) zu den mentalen Grundlagen gesprochener Sprache schließlich führten zusammen mit den Arbeiten der oben erwähnten Autoren zu vielen unterrichtspraktischen Veränderungen in der zweiten und dritten Auflage von Kontakte (Terrell/ fschirner/ Nikolai/ Genzmer 1992 und 1996). 2.2.1 Die Rolle der Grammatik Der Natural Approach unterscheidet zwischen einem Sprachlernen und einem Grammatiklernen. Sprachlernen kann sowohl bewußt als auch unbewußt ablaufen, ist aber immer ein semantisches Lernen, d.h., es geht um das Verstehen oder Produzieren von Bedeutungen. Grammatiklernen ist ein bewußtes Lernen metasprachlicher grammatischer Regeln. Nach Sharwood Smith (1993) ist linguistische Kompetenz, d.h. die Fähigkeit, grammatisch richtig zu sprechen, unabhängig von metasprachlichem Grammatikwissen, d.h. der Fähigkeit, mit Hilfe sprachwissenschaftlicher Terminologie die Struktur einer Sprache auf unterschiedlichen, abstrakten, sprachwissenschaftlichen Ebenen, z.B. der Phonologie, der Morphologie und der Syntax, analytisch zu beschreiben. Die Fähigkeit, grammatisch richtig zu sprechen, d.h. die psycholinguistische Grammatik im Gehirn eines Menschen, entwickelt sich aufgrund sprachlicher Kontaktsituationen, in denen die Fremdsprache benutzt wird, um Inhalte zu vermitteln. Dabei ist es durchaus denkbar, daß bewußtes Üben von Phrasen und Sätzen ebenso zur Entwicklung der psycholinguistischen Grammatik beiträgt, wahrscheinlich aber nur, wenn sich die Aufmerksamkeit der Lerner dabei auf Inhalt und Form gleichzeitig richtet. Terrell (1986) stellt sich die allmähliche Entwicklung psycholinguistischer Grammatikregeln am Beispiel der Verbkonjugation folgendermaßen vor. Zuerst wird eine Anzahl von Verbformen, z.B. gehe, gehst, trinkst, springe, höre, hörst usw., gespeichert, allerdings nur mit der Bedeutung des Verbs, d.h., sowohl gehe wie auch gehst wird unterschiedslos die Bedeutung 'gehen' zugewiesen, ohne daß 9 Sowohl consciousness raising (Bewußtmachung) als auch input processing (bewußtes Verarbeiten des Inputs) fußen auf der Annahme, daß sich Spracherwerb dadurch beeinflussen läßt, daß die Aufmerksamkeit der Lerner auf grammatische Strukturen, die auf natürliche Art im Input vorkommen, gerichtet wird. FLuL 25 (1996) Spracherwerb im Unterricht: Der Natural Approach 57 die unterschiedliche Person mitgespeichert wird, was dann auch zur Produktion von fehlerhaften Äußerungen wie ich gehst führen kann. Erst nachdem eine Reihe von Verbformen wie z.B. gehst, trinkst, siehst, kaufst usw. zusammen mit der Bedeutung 'du' gespeichert worden sind und gleichzeitig Verbformen wie gehe, trinke, sehe, kaufe usw. mit der Bedeutung 'ich' verbunden werden, ist es möglich, die Endung -st bzw. -e als bedeutungstragende Einheit, als grammatisches Morphem also, wahrzunehmen und damit zu speichern. Neue Verbformen werden zwar weiterhin als Ganzes gespeichert, aber von nun an können Lerner Verben, die sie mit einer bestimmten persönlichen Endung gespeichert haben, auch mit einer anderen Endung produktiv verwenden. Möglicherweise wird die Regel bei jedem neuen Verb allerdings nur einmal angewendet, da bei der ersten Produktion die Verbform natürlich wieder als Ganzes gespeichert wird. Grammatikwissen kann hier also indirekt dadurch von Nutzen sein, daß Lerner bewußt grammatisch richtige Sätze konstruieren können, die, während sie konstruiert, gleichzeitig auch gespeichert werden. 2.2.2 Perzeption und Produktion Im Gegensatz zu Krashen unterscheidet der Natural Approach zwischen einem perzeptiven und einem produktiven Spracherwerb 10, d.h., sprachliche Elemente, die perzeptiv erworben sind, müssen noch einmal produktiv erworben werden, bevor sie produktiv eingesetzt werden können. 11 Keenan und MacWhinney (1987) postulieren, daß Perzeption und Produktion unterschiedliche Prozesse sind, auch wenn sie auf mancherlei Art und Weise miteinander in Verbindung stehen. Sie unterscheiden bei der Perzeption und bei der Produktion jeweils zwischen drei verschiedenen Erwerbsaufgaben, die Lerner zu bewältigen haben, nämlich den Erwerb einer perzeptiven Funktion, einer perzeptiven Form und einer Verknüpfung von perzeptiver Form und perzeptiver Funktion ebenso wie den Erwerb einer produktiven Funktion, einer produktiven Form und einer Verknüpfung von produktiver Form und Funktion. Sowohl der Erwerb der Funktionen als auch der Erwerb der Formen findet zuerst perzeptiv statt. Die Menge der produktiven Funktionen und Formen leitet sich aus der Menge der perzeptiven Formen und Funktionen ab und sind eine Untermenge derselben. Allerdings müssen produktive Formen und Funktionen auch erworben werden. Einfach 10 Krashen ist der Meinung, daß Input allein zum Spracherwerb führt. Seiner Meinung nach tauchen produktive Formen problemlos und automatisch im Gespräch auf, sobald sie über den Input erworben worden sind. Dem gegenüber stellt Swain (1985) ihre Output-Hypothese, in der sie behauptet, daß erst der Kommunikationsdruck Lerner dazu bringt, sprachliche Elemente in ihrer Ganzheit, d.h. inklusive ihrer Ausdrucksseite, zu erfassen und dabei auch morphosyntaktische Elemente wahrzunehmen. 11 In einem Interview mit Young im Jahre 1988 (Young 1995) sprach sich Terrell explizit gegen Krashens Hypothese aus, daß Input allein für den Spracherwerbsprozeß ausreicht. FLuL 25 (1996) 58 Erwin Tschirner zu sehen ist dies bei den Formen; denn die perzeptiven Formen sind natürlich auditiver Art und müssen erst in artikulatorische übersetzt werden, bevor sie produktiv verwendbar sind. Keenan und MacWhinney behaupten, daß diese Übersetzung nicht automatisch stattfindet, sondern daß in jedem einzelnen Fall ein neues artikulatorisches Programm geschrieben werden muß, um eine auditive Form in eine artikulatorische zu übersetzen. Die für die inhaltliche Perzeption und Produktion wichtige Verknüpfung von Formen und Funktionen schließlich ist nicht vom Perzeptiven auf das Produktive übertragbar, sondern muß im Produktiven erneut über die Verknüpfung produktiver Formen mit produktiven Funktionen stattfinden. Perzeption perzeptive Funktion perzeptive Form (auditiv) perzeptive Verknüpfung Produktion produktive Funktion produktive Form (artikulatorisch) produktive Verknüpfung Abb. 1: Unterschiede zwischen perzeptivem und produktivem Erwerb (Keenan/ MacWhinney 1987) 2.2.3 Affektive Faktoren Einer der wichtigsten Aspekte des Natural Approach ist die große Rolle, die er affektiven Faktoren im Fremdsprachenunterricht zuschreibt. Dabei gibt es positive affektive Faktoren, die den Erwerbsprozeß fördern, und negative, die ihn erschweren. Terrell ist sich mit Krashen darin einig, daß der Fremdsprachenunterricht aus verschiedenen Gründen Ängste hervorrufen kann, die den Spracherwerb erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen. Insbesondere die Konzentration auf formale Aspekte der Sprache im Zusammenhang mit einer strengen Fehlerkorrektur erzeugt Terrells Meinung nach Versagensängste, indem nicht der kommunikative Erfolg, sondern der linguistische Erfolg bzw. Mißerfolg immer wieder in den Vordergrund gestellt wird (Terrell 1977). Daraus leitet er zwei der wichtigsten Prinzipien des Natural Approach ab: die Konzentration auf die Mitteilungsseite des sprachlichen Austauschs und die Ablehnung direkter Fehlerkorrektur in Erwerbsaktivitäten. Terrell unterscheidet zwischen Erwerbsaktivitäten, in denen die Inhaltsseite dominiert, und Lernaktivitäten, in denen die Ausdrucksseite thematisiert wird. Er schlägt vor, bei Erwerbsaktivitäten Fehler nur indirekt zu korrigieren, indem das, was gesagt wurde, vom Lehrer bzw. der Lehrerin aufgegriffen und in die Erwiderung mit eingebaut wird. Bei Lernaktivitäten allerdings, wo die Ausdrucksseite der Sprache mit im Vordergrund steht, können und sollen Fehler natürlich direkt korrigiert werden. Terrell (1987) faßt die Forschungslage zur Fehlerkorrektur im Fremdsprachenunterricht zusammen und kommt zu dem Schluß, daß weder die These unterstützt wird, daß Fehlerkorrektur zu korrekterem Sprechen oder Schrei- FLuL 25 (1996) Spracherwerb im Unterricht: Der Natural Approach 59 ben führt, noch gezeigt wird, daß, wenn keine Fehler korrigiert werden, dies die Entwicklung grammatisch richtigen Sprechens und Schreibens verhindert. Im Gegensatz zu Krashen geht Terrell (1987) davon aus, daß affektive Faktoren den Spracherwerb nicht nur negativ beeinflussen können, sondern letztendlich dafür verantwortlich sind, daß (produktiver) Spracherwerb überhaupt stattfindet. Zwei Prinzipien sorgen dafür, daß der Spracherwerbsprozeß nicht steckenbleibt: 1. kommunikative Bedürfnisse; und 2. Identifizierung mit zielsprachlichen Gruppierungen. Kommunikative Bedürfnisse, d.h. die Notwendigkeit, sich sprachlich auszudrükken, lenken oft erst die Aufmerksamkeit von Lernern auf grammatische Morpheme, d.h. nicht mehr nur auf Wortstämme, die im Zusammenhang mit Kontext und Weltwissen in der Regel genügen, um Hörverständnis zu erzeugen. Hier ist Terrell einer Meinung mit Swain (1985), die denselben Sachverhalt in ihrer Output-Hypothese zusammenfaßt. Kommunikative Bedürfnisse sind natürlich nicht nur alltäglich touristisch zu verstehen, im Sinne von nach dem Weg fragen und/ oder Einkäufe tätigen, sondern sie umfassen die ganze Bandbreite menschlicher Kommunikationsintentionen von den regulierenden bis zu den heuristischen und imaginativ-kreativen Funktionen der Sprache, wie sie z.B. von Halliday (1973) beschrieben werden. Kommunikative Bedürfnisse lassen sich Terrells Meinung nach nur relativ schwer im Fremdsprachenunterricht erzeugen. Absolute Voraussetzung dafür ist das Vorherrschen des Inhaltlichen und das Schaffen einer Atmosphäre, in der sich Lehrer und Lerner und die Lerner untereinander füreinander interessieren und aus diesem Grund miteinander kommunizieren wollen. Daraus ergibt sich der erste Fixpunkt, um den die Kommunikation im Unterricht kreist, die Welt der Lerner. Ziel des Natural Approach ist es, über die Wahl der Themen und die Wahl der Kommunikationsanstöße, z.B. vorgegebene Interviewfragen, Interesse für das Gegenüber zu entwickeln, das das Bedürfnis schafft, von seinem Gegenüber auch verstanden zu werden. Hier ist vor allem auch die interaktionale Komponente wichtig 12, indem man z.B. als freundliche, interessante, intelligente Person wahrgenommen werden möchte. Ziel des Sprachunterrichts ist es demnach nicht, Trokkenübungen für einen späteren Austauch mit Muttersprachlern zu veranstalten, sondern den Sprachkurs selbst als Gemeinschaft von Sprechern zu begreifen, die in echten sprachlichen Kontaktsituationen miteinander interagieren. Die zweite affektive Komponente, die Voraussetzung für einen erfolgreich verlaufenden Spracherwerbsprozeß ist, besteht für Terrell aus einer Identifizierung mit zielsprachlichen Gruppierungen (Young 1995). Seiner Meinung nach erwerben Kinder ihre erste und etwaige zweite Sprachen vollständig, weil sie die Sprecher 12 Interaktional ist hier im Gegensatz zu transaktional zu verstehen (Brown/ Yule 1983). Während die transaktionale Gesprächsfunktion sich in erster Linie um die Botschaft dreht, d.h. um den Austauch von Informationen, geht es bei der interaktionalen Funktion in erster Linie um den Zuhörer und das soziale Verhältnis zwischen Sprecher und Hörer. FLuL 25 (1996) 60 Erwin Tschimer dieser Sprache(n), mit denen sie interagieren, als Gruppe empfinden, in der sie gleichberechtigte Mitglieder werden und sich sprachlich nicht von anderen Gruppenmitgliedern unterscheiden wollen. Aus diesem Grund schenken sie den allerkleinsten Nuancen dieser „Gruppensprachen" die allergrößte Aufmerksamkeit, damit ihr Output so klingt wie der Input. Diese positive Identifizierung mit zielsprachlichen Gruppierungen ist im Fremdsprachenunterricht, der nicht im Land der Zielsprache stattfindet, sicherlich mit am schwersten zu erreichen. Der Natural Approach versucht mit Hilfe einer starken landeskundlichen bzw. kulturellen Komponente, als ersten Schritt auf diesem Weg Interesse und Wohlwollen der Kultur und den Menschen des in unserem Falle deutschsprachigen Raums gegenüber zu wecken und zu fördern. Der zweite Fixpunkt, um den sich die Kommunikation im Unterricht bewegt, ist demnach die deutschsprachige Welt, wobei angestrebt wird, daß dieses erste Kennenlernen deutschsprachiger Kulturen positiv besetzt ist. 3. Design Der Natural Approach wird in Nordamerika vor allem im Anfängerunterricht eingesetzt, d.h. im 1. und teilweise auch im 2. Collegejahr, also während der ersten ca. 120-240 Stunden. Im Mittelpunkt des Unterrichts steht der Spracherwerb, d.h. die Entwicklung der vier Grundfertigkeiten für funktionale (kommunikative) Zwecke. Landeskunde bzw. Kultur wird sowohl als Inhalt für die Entwicklung dieser Fertigkeiten benutzt als auch als Teil der angestrebten kommunikativen Kompetenz gesehen. Angestrebte sprachliche Teilkompetenzen sind nach ca. 240 Kontaktstunden (4 Collegesemester mit jeweils 4 Wochenstunden) intermediate mid in den produktiven Fertigkeiten und intermediate high in den rezeptiven Fertigkeiten im Sinne der ACTFL proficiency guidelines (American Council on the Teaching of Foreign Languages 1986; vgl. auch Tschirner 1994). Grundlage des methodisch-didaktischen Designs des Natural Approach bilden die folgenden sieben Prinzipien: 1. Die Fremdsprache wird als Diskurs gelehrt und gelernt; 2. Inhalte des Unterrichtsdiskurses sind die Lerner selbst und die deutschsprachige Welt; 3. bevorzugte Interaktionsformen sind Partnerarbeit und Kleingruppenarbeit; 4. Perzeption kommt vor Produktion, aber beide werden als eigenständige Fertigkeiten betrachtet und eigens geübt; 5. sowohl bei der Perzeption als auch bei der Produktion wird darauf geachtet, daß Wörter und Phrasen sorgfältig gespeichert werden; 6. affektive Faktoren werden besonders beachtet; 7. der Einsatz von Medien nimmt einen breiten Raum ein, sowohl aus affektiven und soziokulturellen Gründen als auch, um Hörverständnis eigens und bevorzugt zu üben. FLuL 25 (1996) Spracherwerb im Unterricht: Der Natural Approach 61 3.1 Sprache als Diskurs Die Fremdsprache wird vom ersten Tag an als Unterrichtssprache benutzt unter fast völligem Ausschluß der Muttersprache der Lerner. 13 Spracherwerb wird als Prozeß gesehen, der stattfindet, wenn Sprache als Kommunikationsmittel verwendet wird. Wenn Sprache im Diskurs erworben wird, ist eine muttersprachliche Kommunikation dem Spracherwerb nur abträglich. Im Gegensatz zur direkten Methode steht der Informationsaustausch im Mittelpunkt aller Interaktionen und nicht die Exemplifizierung des Sprachgebrauchs. Das bedeutet allerdings nicht, daß dem Informationsaustauch z.B. keine Übungsphasen vorgeschaltet werden (s.u.), sondern nur, daß er Kern und Ziel aller Lerneinheiten ist, dabei natürlich auch breiten Raum einnimmt, da Spracherwerb während des Informationsaustauschs stattfindet. Diskurs ist dabei sowohl mündlich als auch schriftlich zu verstehen und sowohl dialogisch wie monologisch, d.h., im Mittelpunkt einer Unterrichtseinheit kann sowohl Hörverständnis und/ oder Leseverständnis stehen als auch schriftliche und mündliche Produktion. Besonders beim Sprechen werden dabei verschiedene Entwicklungsphasen unterschieden. Im beginnenden Anfängerunterricht (die ersten fünf bis zehn Stunden) wird von den Lernern lediglich erwartet, daß sie mit Hilfe einfachster Äußerungen, die oft nur aus einem Wort oder einer Phrase bestehen, Verständnis bezeugen und persönliche Informationen mitteilen. Der größte Teil des 1. Jahres wird damit zugebracht, die Lerner im spontanen mündlichen Gebrauch auf das Satzniveau zu heben, d.h. die Fähigkeit zu erwerben und auszubauen, auf einfache Art dialogisch zu sprechen, Fragen zu stellen, Fragen zu beantworten, einfache Situationen aus dem Alltag sprachlich zu bewältigen. Gegen Ende des 1. Jahres, wenn Lerner in der Lage sind, mehrere Sätze aneinanderzureihen, kann begonnen werden, ihre Fähigkeit zu entwickeln, mündliche Texte zu produzieren, die aus einer Aufeinanderfolge von miteinander verknüpften Sätzen bestehen, z.B. um Geschichten zu erzählen oder um Personen, Orte und Sachverhalte zu beschreiben oder zu erklären (vgl. auch Tschirner 1994). 3.2 Inhaltsorientierter Sprachunterricht Wenn man davon ausgeht, daß Spracherwerb im Informationsaustausch stattfindet, müssen für den Sprachunterricht Inhalte zur Verfügung gestellt werden, die ausgetauscht werden können. Grundsätzlich scheint es dabei unwichtig zu sein, welcher Art diese Inhalte sind. Aus affektiven Gründen (s.o.) scheinen allerdings besonders zwei Themenbereiche hilfreich für den Anfängerunterricht zu sein: die persönlichen Erfahrungen der Lerner selbst und die Kulturen der Länder, deren Sprache man zu lernen versucht. 13 Die Muttersprache der Lerner wird nur einige wenige Male zu Beginn eines Kurses benutzt, um den Ansatz und bestimmte, den Lernern nicht vertraute Interaktionsformen zu erklären. FLuL 25 (1996) 62 Erwin Tschimer Wenn, wie postuliert, affektive Faktoren im Fremdsprachenerwerb wichtiger als kognitive Faktoren sind, ist es unumgänglich, im Fremdsprachenunterricht die Lerner selbst zu thematisieren, ihnen also die Möglichkeit zu geben, über sich und das, was ihnen wichtig ist, zu sprechen. Darüber hinaus führt dieser persönliche Austausch zu einem Gruppengefühl man lernt sich besser kennen -, das Kommunikationsängste abbauen hilft und die Bereitschaft, Kommunikationsrisiken einzugehen, erhöht, d.h. z.B. die Bereitschaft, Fehler zu machen, kindisch oder langweilig zu klingen. Ein letzter und wichtiger Aspekt ist auch, daß Ausländer in Deutschland ja nicht nur über „deutsche" Themen zu sprechen haben, sondern, und vielleicht sogar häufiger, über sich selbst erzählen wollen, über ihre eigenen Gedanken und Erlebnisse und darüber, wie es z.B. bei ihnen „zu Hause" aussieht. Der zweite Themenkomplex, der die Inhalte für den Unterricht liefert, besteht natürlich aus der deutschsprachigen Welt. Wie bereits erwähnt, spielen affektive Faktoren dafür eine Rolle (Terrells Integrations-Hypothese), wie auch die Integration soziokultureller Kompetenz im angestrebten Lernziel kommunikative Kompetenz. Zwei Faktoren spielen sowohl bei der Themenauswahl als auch bei der Entscheidung, unter welchen Aspekten die Themen behandelt werden, eine Rolle: 1. Die Themen sollen affektiv möglichst positiv besetzt sein; und 2. bei der Behandlung der Themen wird von der eigenen Realität ausgegangen, man geht also vom Bekannten zum Fremden. Affektiv positiv besetzt bedeutet hier, daß es sich um interessante Themen handelt, die möglichst auch humorvoll oder spannend aufbereitet sind, und daß dabei die deutschsprachigen Kulturen unter einem eher positiven Blickwinkel gesehen werden, da Kulturkritik und negative Charakterisierungen im Anfängerunterricht eher lernbehindernde Faktoren sind. 14 Ausgegangen wird bei der Behandlung dieser kulturellen Themen von der eigenen Realität der Lerner, z.B. Klima und Wetter im Heimat- oder Studienort, bevor z.B. ein deutscher Wetterbericht oder ein Text zum Klima in Österreich analysiert wird. 3.3 Interaktionsformen Da Sprache als soziales System verstanden wird, dessen Erwerb im Diskurs stattfindet, sind im Unterricht vor allem Interaktionsformen wichtig, die einen Diskurs erlauben. Dies mißt der Kleingruppen- und Partnerarbeit eine besondere Rolle zu. Besonders im Anfängerunterricht ist es allerdings nötig, Gruppenarbeit gut vorzubereiten, damit die Arbeit in der Gruppe zum einen überhaupt erstmal funktioniert und zum anderen die Lerner so engagiert, daß sie nicht auf den Gedanken kommen, in ihre Muttersprache zu verfallen, oder sich anderweitig zu beschäftigen suchen. Sowohl diese vorbereitende Phase einer Interaktion als auch eine an die Interaktion 14 Das andere Extrem, das Charakterisieren deutscher Gegebenheiten als „besser" als die der Lerner, ist natürlich genauso zu vermeiden. Sowohl die Welt der Lerner als auch die deutschsprachige Welt sollen positiv erfahren werden. FLuL 25 (1996) Spracherwerb im Unterricht: Der Natural Approach 63 anschließende Phase, in der die Ergebnisse der Interaktion im Klassengespräch besprochen werden, wird damit vom Lehrer oder der Lehrerin gesteuert. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von medienzentrierten Interaktionsformen, die entweder Anstöße für Klassen- oder Gruppengespräche liefern oder bei denen die Interaktion darin besteht, dem schriftlichen, visuellen oder akustisch dargebotenen Text Informationen zu entnehmen. Neben einer Reihe von Hörverständnisübungen zur Entwicklung der Perzeption besteht eine typische Natural Approach-Unterrichtsstunde also aus einer Reihe von Interaktionen, wie z.B. Sprechspielen, humanistisch-affektiven, problemlösenden oder informationsaustauschenden Interaktionen, bei denen sowohl der perzeptive als auch der produktive Sprachgebrauch weiterentwickelt wird. 15 3.4 Perzeption und Produktion Die Entwicklung der Perzeption, des Hörverständnisses und des Leseverständnisses, ist eine der wichtigsten Aufgaben vor allem des Anfängerunterrichts. Ein großer Teil des Unterrichts wird daher im Natural Approach dazu verwandt, besonders das Hörverständnis zu entwickeln. Dabei spielt der Erwerb von Hörstrategien, wie z.B. das Achten auf besonders betonte Wörter, das Beachten des situativen Kontexts und/ oder das Anwenden von Weltwissen, eine ebenso wichtige Rolle wie der perzeptive Spracherwerb selbst, d.h. das Speichern auditiver Formen und Funktionen und deren Verknüpfung. Zwei Arten von Hörerfahrungen stehen dabei im Vordergrund: 1. ein eher globales inhaltliches Hören (Beispiel: Video), das in erster Linie der Informationsgewinnung und der Entwicklung von Hörstrategien dient, wobei sicherlich auch Sprache erworben wird, aber wohl eher ungezielt und unvollständig; und 2. ein gezieltes Hören zu lernender Wörter, Wortformen und Wortfolgen (Beispiel: Dialog), das ein perzeptives Speichern sprachlicher Formen zusammen mit ihren Funktionen ermöglicht, allerdings wiederum nur im Rahmen eines gleichzeitig inhaltlichen Zugriffs auf das Gehörte. Hier geht es nicht um das Speichern von Formen ohne Inhalte (Funktionen), sondern gerade darum, Formen und Inhalte gleichzeitig zu speichern, um eine Verknüpfung von Form und Funktion zu erreichen. Neue sprachliche Elemente (Wörter, Strukturen, Sprechakte usw.) werden immer zuerst und ausgiebig perzeptiv, d.h. über das Hörverständnis, eingeführt, dann aber auch speziell produktiv über kommunikative Interaktionsformen eingeübt. Grundlage dieser produktiven Interaktionen ist, daß zwar der Informationsaustausch im Zentrum der Aktivität (und auch im Zentrum der Aufmerksamkeit der Lerner) steht, daß aber die sprachliche Produktion selbst vorformuliert ist, meistens nur bei einem Partner, manchmal aber auch bei beiden. Als Beispiel möge die Interaktionsform Autogrammjäger dienen, die aus einer Liste von sprachlich ausformulierten 15 Zu einer Beschreibung typischer Natural Approach-Interaktionen vgl. Tschimer (1992). FLuL 25 (1996) 64 Erwin Tschimer ja/ nein-Fragen besteht. Die Aufgabe der Lerner besteht darin, für jede Frage einen anderen Kommilitonen zu finden, der diese Frage bejahen kann (z.B. Hast du mehr als zwei Geschwister? ), und ihn oder sie um seine bzw. ihre Unterschrift zu bitten (vgl. auch Tschirner 1992). Natürlich bedient sich der Natural Approach auch weniger gesteuerter Interaktionsformen, wie z.B. Rollenspiele, Interviews und Diskussionen, um auch vor allem bei fortgeschritteneren Lernern das freie Sprechen zu üben. Allerdings wird dem kommunikativen Verwenden vorformulierter Äußerungen im Sinne des Erwerbs sprachlicher Routinen und Rituale und im Sinne eines bevorzugt lexikalischen Lernens im Anfängerunterricht eine wichtige Rolle zugewiesen. Darüber hinaus enthalten diese interaktiv-kommunikativen Sprechübungen natürlich eine Hörverständniskomponente (der/ die Angesprochene muß die Frage verstehen, bevor er/ sie sie beantworten kann) und trägt damit auch zum perzeptiven Spracherwerb bei, wahrscheinlich auch beim Sprecher selbst, der seinen eigenen Output natürlich auch wiederum als Input wahrnimmt. Wenn beim Austauch von Informationen (Beispiel: Informationsspiel 16) verlangt wird, daß dieser Austausch nur sprachlich stattfinden kann und daß die gewonnenen Informationen aufgeschrieben werden müssen, spielt zusätzlich das Aushandeln von Bedeutungen eine Rolle, wenn auch auf einfache Weise dadurch, daß zum Beispiel um Wiederholung gebeten wird, um Buchstabieren oder um eine Bedeutungserklärung. 3.5 Die Rolle des Gedächtnisses Sowohl beim perzeptiven als auch beim produktiven Lernen wird darauf geachtet, daß Wörter, Wortformen und Wortfolgen sorgfältig gespeichert werden können, sowohl im Sinne der Klanggestalt der Sprache, d.h. der Aussprache, wie auch im Sinne des Erfassens und Benutzens grammatischer Morpheme. Betont werden soll in diesem Zusammenhang noch einmal, daß der Natural Approach eine Unterscheidung zwischen bewußtem und unbewußtem Lernen nicht für besonders sinnvoll erachtet, sondern im Gegenteil davon ausgeht, daß der Aufmerksamkeit im Sprachunterricht eine tragende Rolle zugewiesen werden muß. Gleichzeitig geht allerdings der Natural Approach davon aus, daß die perzeptive und produktive Speicherung von Wörtern, Phrasen und Satzteilen während des kommunikativen Diskurses stattfinden muß, wenn diese Wörter, Phrasen und Satzteile in einem späteren kommunikativen Diskurs wieder abrufbar sein sollen. 17 Hierzu soll kurz auf 16 Informationsspiele bestehen gewöhnlich aus zwei Tabellen, die jeweils nur zur Hälfte ausgefüllt sind und deren Informationen sich gegenseitig ergänzen. Diese Spiele schaffen also Informationslücken, die von den Lernern sprachlich aufzulösen sind (vgl. Dreke/ Lind 1986.) 17 Vgl. hierzu auch das Prinzip der Enkodierungsspezifität aus der Gedächtnispsychologie, das besagt, daß ein Abruf desto erfolgreicher ist, je mehr die Bedingungen des Abrufs denen der Speicherung ähneln. FLuL 25 (1996) Spracherwerb im Unterricht: Der Natural Approach 65 zwei Elemente des Natural Approach eingegangen werden, die dieses Prinzip verdeutlichen: 1. Lehrersprache (teacher talk); und 2. Nachsprechübungen. Aufgabe der Lehrer ist es, Hörverstehen zu ermöglichen und gleichzeitig den perzeptiven Spracherwerb zu fördern. Neben der reichhaltigen Verwendung visueller Hilfsmittel (Fotos usw.) ist hier besonders die Lehrersprache wichtig, eine besondere Art und Weise des Sprechens, die ähnlich wie die Elternsprache (caretaker speech) den Input einfacher und damit verständlicher und leichter erwerbbar macht (vgl. Henrici 1995: 10-13). Neben der lautlichen Komponente (deutlichere Artikulation, langsameres Sprechen, stärkere Betonung und Dehnung wichtiger Wörter) ist dabei besonders die nach Meisel (1977) elaborierte Simplifizierung des Inputs wichtig, d.h. ein Zuwachs an Oberflächenformen durch Wiederholungen, Paraphrasen und genereller Sichtbarmachung syntaktischer Zusammenhänge. Diese elaborierte Simplifizierung trägt dabei nicht nur zu einer besseren Verständlichkeit des Inputs bei, sondern ermöglicht auch einen genaueren perzeptiven Zugriff auf einzelne Formen und deren Funktionen. Der Rolle der Lehrersprache im perzeptiven Erwerb steht die Rolle des Nachsprechens im produktiven Erwerb gegenüber. Nach Keenan und MacWhinney (1987) muß jede perzeptiv (auditiv) gespeicherte Wortform noch einmal neu gespeichert werden, nämlich artikulatorisch, bevor sie mit einer produktiven Funktion (Sprechintention) verknüpft und damit für einen produktiven Sprachgebrauch eingesetzt werden kann. Das Nachsprechen an sich speichert natürlich nur artikulatorische Formen, selbst wenn der (perzeptive) Sinn des Gesagten verstanden wird. Die Verknüpfung produktiver Formen und Funktionen und damit der eigentliche produktive Erwerb findet erst statt, wenn Lerner eine Sprechintention (produktive Funktion) mit der dazugehörigen produktiven Form zur Äußerung bringen. Allerdings bewirkt das Nachsprechen, vor allem wenn dazu Feedback gegeben wird, daß produktive Formen relativ klar gespeichert werden, was den späteren Abruf erleichtert. 3.6 Affektive Faktoren Wie bereits erwähnt, beeinflussen affektive Faktoren die Auswahl der Unterrichtsinhalte, also wie und worüber im Unterricht gesprochen wird (Welt der Lerner; deutschsprachige Welt [s. Abschnitt 3.2]). Darüber hinaus wird Partner- und Gruppenarbeit betont, da diese Interaktionsformen anscheinend bedeutend weniger Ängste erzeugen als z.B. das freie Sprechen vor der Klasse (Kochfferrell 1991; Young 1991). In erster Linie affektive Kriterien bilden die Grundlage für den vielleicht umstrittensten Vorschlag des Natural Approach, nämlich die Fehlerkorrektur im mündlichen Fremdsprachenunterricht völlig abzuschaffen, weil sie nicht nur nutzlos, sondern möglicherweise sogar schädlich sei, da sie die Aufmerksamkeit der Studenten auf die Form von Äußerungen lenkt, nicht auf deren Inhalt, und weil sie eine affektiv negative Stimmung erzeugen kann. Fehler sollen deshalb nur indirekt kor- FLuL 25 (1996) 66 Erwin Tschirner rigiert werden, indem sie vom Lehrer im Sinne einer wiederholenden Entgegnung kommunikativ berichtigt werden (Terrell 1982). Dieser Vorschlag Terrells bezieht sich allerdings nur auf kommunikative Situationen und nicht auf Lernphasen, in denen eine kommunikative Interaktion vorbereitet oder nachbereitet wird. Wie im vorherigen Abschnitt erwähnt, gibt es Phasen in einem kommunikativen Unterricht, in denen bewußt auf die Ausdrucksseite der Sprache eingegangen wird, z.B. beim Nachsprechen oder auch bei schriftlichen Grammatikübungen. In solchen Phasen ist Feedback im Sinne einer Fehlerkorrektur selbstverständlich angebracht. Trotzdem sollte auch hier nicht vergessen werden, daß Sprechen vor der Klasse von vielen Studenten affektiv negativ besetzt ist. Deshalb sollte vermieden werden, Studenten individuell herauszugreifen und sie ihre Fehler berichtigen zu lassen. Eine Eigenkorrektur sollte, wenn überhaupt, nur in der Gruppe stattfinden. Meistens jedoch genügt ein klares Signal des Lehrers, daß ein Fehler gemacht wurde, zusammen mit einer korrekten Wiedergabe der fehlerhaften Äußerung, ohne daß dies zum Nachsprechen der Studenten selbst führen muß. Besonders im Anfängerunterricht kann jeglicher Art von Sprechzwang zu Ängsten führen und den Erwerbsprozeß beeinträchtigen. Daher schlägt Terrell vor, den Studenten eine stille Phase (silent phase) zu gewähren, in der sie nur sprechen müssen, wenn sie sprechen wollen. Es scheint allerdings auch generell von Vorteil zu sein, wenn Lernern die Möglichkeit, nichts zu sagen, immer offen steht. Deshalb wird im Natural Approach vorgeschlagen, ein eher offenes Klassengespräch zu führen, in dem die gesprochenen Beiträge der Studenten auf freiwilliger Basis gegeben werden und Ausspracheübungen nur in der Gruppe durchgeführt werden. Dabei muß man nicht auf individuelle Antworten verzichten, um z.B. zu gewährleisten, daß alle Lerner an Hörverständnisübungen teilnehmen. So kann man die Lerner z.B. bitten, durch Handheben eine Antwort zu signalisieren, man kann sie die Antworten aufschreiben lassen oder sich mit Hilfe von TPR-Techniken (Total Physical Response) vergewissern, daß ein Hörverständnis tatsächlich stattgefunden hat. 3.7 Unterrichtsmedien Ohne den Einsatz vor allem visueller Medien ist ein Anfängerunterricht, der sich dem Spracherwerb verpflichtet fühlt, wahrscheinlich gar nicht denkbar. In der ersten Auflage von Dos Mundos (Terrell/ Andrade/ Egasse/ Mufioz 1986), dem ersten Natural Approach-Lehrwerk, wurde neben dem stark visuell ausgerichteten Kursbuch vor allem mit einer großen Anzahl von Fotos (picture file) im Unterricht gearbeitet. Zehn Jahre später mit der dritten Neuauflage von Kontakte (Terrell/ Tschirner/ Nikolai/ Genzmer 1996) hat sich die Medienkomponente noch einmal wesentlich erweitert. Zusammen mit dem Kursbuch werden den Lehrern Vokabularschaubilder und Bildgeschichten für den Tageslichtprojektor zur Verfügung gestellt, Fotos im A 4-Format, ein Videoband bzw. eine Bildplatte mit Mitschnitten aus dem deutschen Fernsehen, eine Audiokassette, die die Dialoge, Rollenspiele und literari- FLuL 25 (1996) Spracherwerb im Unterricht: Der Natural Approach 67 sehen Texte des Kursbuchs enthält, und eine CD-Rom mit visuell-gestützten Wortschatz- und Grammatikübungen. Dazu finden sich im Arbeitsbuch, das von den Studenten außerhalb des Unterrichts bearbeitet wird, auf Audiokassetten basierende Aussprache- und Orthographieübungen und eine große Anzahl von Hörverständnisübungen. Diese Ausweitung des Medienangebots ermöglicht es Lehrern und Lehrerinnen, den täglichen Unterricht mit Hilfe visueller und akustischer Medien aufzuwerten. Studentenzentrierte Interaktionen lassen sich z.B. mit Hilfe eines kurzen Videoausschnitts motivieren und thematisch vorbereiten. Wörter, Sätze und Sprechintentionen lassen sich visuell einführen, Hörverständnis läßt sich üben, und Informationen und Eindrücke kultureller Art lassen sich gewinnen. Wer einmal begonnen hat, mit Multimedia zu arbeiten, kann sich schwer vorstellen, wie der ungemein reichhaltige linguistische und kulturelle Input, den moderne Medien in den Unterricht einbringen, ohne diese Medien überhaupt annähernd erreicht werden kann. Das Anbieten von reichhaltigem linguistischen und kulturellen Input allerdings ist das sine qua non eines Ansatzes, der Spracherwerb im Unterricht möglich machen möchte. 4. Schluß In den zehn Jahren seit dem Erscheinen der ersten Natural Approach-Lehrwerke (Terrell/ Andrade/ Egasse/ Mufioz 1986; Terrell/ fschirner/ Nikolai/ Genzmer 1988) hat sich der Natural Approach zur einflußreichsten und mit am weitesten verbreiteten Methode im universitären Fremdsprachenunterricht in Nordamerika etabliert. Besonders für die Fächer Spanisch und Deutsch hat der Natural Approach in Nordamerika die Stelle der kommunikativen Methode in Europa eingenommen. Der größte Verdienst Terrells ist, daß er die „kommunikative Revolution" in die Klassenzimmer der Fremdsprachenabteilungen getragen hat und damit die Lücke im Entwicklungsstand zwischen dem Fremdsprachenunterricht und dem Unterricht Englisch als Zweitsprache (ESL) geschlossen hat. Noch vor zehn Jahren hinkte der Fremdsprachenunterricht dem ESL-Unterricht um ca. zehn Jahre hinterher; mittlerweile befruchten sie sich gegenseitig (Baltra 1995). Während der knapp 20 Jahre seiner Existenz hat sich der Natural Approach weiterentwickelt, in dem Maße, wie sich der Erkenntnisstand der Zweitsprachenerwerbsforschung, auf deren Ergebnissen der Natural Approach aufbaut, erweitert hat. Seine Grundlagen sind allerdings die gleichen geblieben. Nach wie vor stehen im Mittelpunkt des Natural Approach Terrells ursprüngliche Prinzipien: l. Perzeption kommt vor Produktion; 2. Wörter sind wichtiger als Grammatik; 3. affektive Faktoren können wichtiger sein als kognitive; und vor allem 4. Bedeutung ist primär. Nur wenn Sprache benutzt wird, um Gehörtes oder Gelesenes zu verstehen oder um sich mündlich oder schriftlich mitzuteilen, findet Spracherwerb statt. Und Spracherwerb ist schließlich das Ziel des Fremdsprachenunterrichts oder sollte es zumindest sein. FLuL 25 (1996) 68 Erwin Tschirner Bibliographische Angaben American Council on the Teaching of Foreign Languages (1986): ACTFL Proficiency Guidelines. Hastings-on-Hudson, NY: ACTFL. BALTRA, Armando (1995): "On breaking with tradition: The significance of Terrell's Natural Approach". In: HASHEMIP0UR, Peggy/ MALD0NAD0, Ricardo / VAN NAERSSEN, Margaret (Hrsg.): Studies in language learning and Spanish linguistics. In Honor of Tracy D. Terrell. New York: McGraw-Hill, 45-69. B0LINGER, Dwight (1976): "Meaning and memory". In: Forum Linguisticum I, 2-14. 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This contribution outlines the method of „Lernen durch Lehren" (Learning by Teaching) and shows the extent to which this approach meets essential requirements of forein language teaching, requirements which have been demanded for more than a decade. Central aspects of this approach are the following: the increase of oral participation; the authenticity of commumcation; the orientation towards language tasks; the learner's autonomy; a holistic model of Jearning; the orientation towards projects and toward the process of learning; the acquisition of techniques of learning; and meta-cognitive strategies. I will also describe the network of contacts which comprises 500 colleagues from all school types and combinations of subjects and which serves to put the method into practice and to spread it; as far as research methods are concerned, the project of "Lernen durch Lehren" ist indebted to the action-research. 0. Vorbemerkungen Die Methode „Lernen durch Lehren" (LdL) wurde in Fachzeitschriften wiederholt dargestellt1, und sie erfreut sich in der Praxis einer hohen Bekanntheit 2• Von der Didaktik als Wissenschaft dagegen wird sie kaum rezipiert 3• Letzteres erstaunt um so mehr, als seit der Geburt dieser Methode in regelmäßigen Abständen „neue" Begriffe in die Diskussion eingebracht werden, die im wesentlichen dasselbe meinen, nämlich die Handlungsorientierung, die seit 1983 in LdL bereits realisiert ist. Es sind u.a. die „Lernerzentrierung", die „Lernerautonomie", der „ganzheitliche Unterricht", der „offene Unterricht", der „Projektunterricht" und neuerdings die „Prozeßorientierung" (Gienow/ Hellwig 1996) und die „konstruktivistische" oder gar „radikal-konstruktivistische Didaktik" (Wolff 1993; Wendt 1996). In diesem Beitrag soll LdL nicht noch einmal vorgestellt werden, sondern es wird eine Reflexion über die Merkmale geführt, die dessen Erfolg als Methode für den Fremdsprachenunterricht begründen. Es wird auch aufgezeigt, daß es sich bei LdL nicht lediglich um Vgl. Martin (1985, 1986, 1988, 1994), Graef (1990), Leitzgen (1991), Pfeiffer/ Rusam (1992), Skinner (1994), Kelchner (1994, 1995). 2 Eine bundesweite Umfrage (Martin 1994) hat gezeigt, daß „Lernen durch Lehren" in universitären Didaktikseminaren, in der zweiten Phase der Lehrerausbildung, in Fortbildungsveranstaltungen und in Fachsitzungen ausführlich thematisiert wird. 3 In der 3. Auflage des Handbuch Fremdsprachenunterricht (1995) findet die Methode nur an wenigen Stellen Erwähnung (Christ/ Hüllen S. 3/ 5, Dietrich S. 257, Kerschhofer S. 490/ 492). Einer der wenigen Wissenschaftler, die ausführlich in ihren Schriften auf die LdL-Methode eingehen, ist Michael Legutke (1988, 1991). FLuL 25 (1996) Das Projekt „Lernen durch Lehren" eine vorläufige Bilanz 71 eine Unterrichtstechnik handelt, sondern um ein didaktisches Gesamtkonzept, das einen Beitrag zum Paradigmenwechsel in weiten Bereichen der Praxis liefert. Schließlich werden die Leistungen und die Perspektiven des um LdL entstandenen, seit 1987 bestehenden Kontaktnetzes als Fortbildungs- und Forschungsstruktur beschrieben. 1. "Lernen durch Lehren" als Antwort auf traditionelle Probleme des Fremdsprachenunterrichts Damit der Stellenwert der Methode LdL und des mit ihr verbundenen Projektes in der Didaktikdiskussion besser eingeschätzt werden kann, wird zunächst auf ihre Entstehungsgeschichte eingegangen. Im Anschluß werden die Merkmale der Methode so beschrieben, daß klar hervorgeht, inwiefern LdL Lösungen zu bestehenden Problemen des Fremdsprachenunterrichts anbieten könnte. 1.1 Die Entstehungsgeschichte von „Lernen durch Lehren" „Lernen durch Lehren" bedeutet, daß ein Großteil der Lehrfunktionen in die Hand der Schüler gegeben wird. Die Methode LdL, so wie sie in der Öffentlichkeit bekannt ist, hat sich am Anfang der 80er Jahre aus der Praxis entwickelt. Zu diesem Zeitpunkt war die Methodikdiskussion durch den kommunikativen Ansatz beherrscht, den Piepho (1979) in Deutschland eingeführt hatte. Piephos Ansatz hatte didaktische Positionen abgelöst, die vom Behaviorismus geprägt waren und Lernen über Imitation und Repetition erreichen wollten. Ein Ziel der kommunikativen Didaktik war, die Sprechtätigkeit der Schüler anzuregen und ihren Sprechanteil im Unterricht zu vergrößern. Dazu sollten im Unterricht Themen angeboten werden, die die Lerner zum authentischen Sprechen motivierten. Da man aber die Arbeit an der Sprache nicht zu den Schüler interessierenden Inhalten zählte, stand der Lehrer vor dem Dilemma, entweder Themen anzubieten, die die Schüler zum Sprechen anregten, dafür aber die Arbeit an der Sprache zu vernachlässigen, oder nach wie vor der Spracharbeit viel Zeit zu widmen und den Schülern lediglich begrenzte Phasen zum aktiven, authentischen Sprachgebrauch einzuräumen. Zu diesem Zeitpunkt wurde Schifflers Interaktiver Fremdsprachenunterricht (1980) veröffentlicht. In seiner Schrift knüpfte Schiffler an die Sozialpsychologie an und versuchte, Techniken der Gruppenaktivation für den Fremdsprachenunterricht fruchtbar zu machen. In diesem Zusammenhang erwähnte er Experimente, bei denen Schülern Lehraufgaben übertragen wurden, und zeigte auf, welche positiven Auswirkungen, insbesondere im sozialpsychologischen Bereich, diese Maßnahme nach sich zog. Die Idee zu „Lernen durch Lehren" wurde in diesem Kontext Anfang der achtziger Jahre geboren. In meinem Unterricht wurden die Schüler gebeten, Aufgaben, die traditionell vom Lehrer erfüllt werden, zu übernehmen. Hier standen nicht so FLuL 25 (1996) 72 Jean-Pol Martin sehr wie bei Schiffler sozialpsychologische Überlegungen im Vordergrund, sondern fremdsprachendidaktische. Im Gegensatz zur Annahme der kommunikativen Didaktik, Schüler seien hauptsächlich an Themen aus ihrer Lebenswelt interessiert, ging ich davon aus, daß die Arbeit an Lehrwerktexten, an Grammatik und an Wortschatz ebenso geeignet sei, authentisches Sprechen anzuregen, wenn die damit verbundenen Aktivitäten in die Regie der Schüler übergeben wird. Dadurch seien auch die traditionellen Probleme des Fremdsprachenunterrichts wie das Mißverhältnis zwischen dem Sprechanteil des Lehrers (75%) und dem der Schüler (25%), die rezeptive Haltung der Lerner, der schnell eintretende Motivationsverlust und das Mißverhältnis zwischen Aufwand (Stundenzahl) und Ertrag (geringe Sprachkompetenz der Schüler) zu lösen. 1.2 LdL als Lösung aus sprach- und lerntheoretischer Sicht Zwar lassen sich spracherwerbstheoretische und lerntheoretische Aspekte nicht scharf voneinander trennen, dennoch kann unterschieden werden zwischen Aspekten, die allgemeine Lernprozesse, und solchen, die in besonderem Maße den Spracherwerb betreffen. ► LdL als Lösung aus lemtheoretischer Sicht: Lerntheoretisch wurde die jüngere Geschichte des Fremdsprachenunterrichts geprägt von der scheinbaren Opposition zwischen kognitiven Verfahren, wie sie in der Grammatik-Übersetzungsmethode vertreten waren, und behavioristischen Ansätzen, wie sie in den audiolingualen und audiovisuellen Methoden zur Anwendung kamen. Kognitivierung auf der einen Seite und Habitualisierung auf der anderen schienen sich zumindest methodisch auszuschließen. Verwendete man viel Zeit für die kognitive Erfassung, so blieb wenig Zeit übrig für die Automatisierung und umgekehrt. Die Ende der 70er Jahre einsetzende kommunikative Wende öffnete einen dritten Weg, der ebenfalls nicht vereinbar mit den beiden anderen erschien, weil er sowohl Automatisierung als auch Kognitivierung einzuschränken schien. Die Übertragung von Lehrfunktionen auf Schüler löst das lerntheoretische Problem durch die Integration der drei Stränge: Der Stoff z.B. ein Grammatikkapitel wird von den Schülern zunächst in Einzel- oder Partnerarbeit kognitiv erfaßt, bevor er im Plenum vermittelt wird. Durch die Tatsache, daß die Schüler im Unterricht viel sprechen (75% des gesamten Sprachumsatzes gegenüber 25% im traditionellen Unterricht), wird für Habitualisierung gesorgt. Schließlich entsteht im Unterricht eine echte Kommunikation, denn die Schüler sprechen aus sich selbst und wollen mit ihren Äußerungen echte Sprechintentionen realisieren. ► LdL als Lösung aus spracherwerbstheoretischer Sicht: Spracherwerbstheoretisch standen sich ebenfalls unterschiedliche Positionen gegenüber. Zum einen die kognitivistische, die sich vor allem mit dem intentionellen Lernen auf der Basis einer sehr aktiven und bewußten Beteiligung des Lerners am Aufbau seiner Sprachkompetenz befaßte, zum anderen eine behavioristische Position, die das inzidentelle FLuL 25 (1996) Das Projekt „Lernen durch Lehren" eine vorläufige Bilanz 73 Lernen in den Vordergrund stellte und Lernen als unbewußten, von außen ganz gesteuerten Prozeß ansah. Da sowohl Lehrpläne als auch Lehrwerke den Akzent auf das intentionelle Lernen legten, wurde das inzidentelle Lernen im Fremdsprachenunterricht stark vernachlässigt. Nun erschienen im Bereich der Zweitsprachenerwerbsforschung die Arbeiten von Wode (1981), von Felix (1982) sowie von Krashen (1981) und zeigten, daß beim Lernen fremder Sprachen im Zielland, wie es beispielsweise bei Migrantenkindern der Fall ist, inzidentelles Lernen eine erheblich größere Rolle spielte als bisher vermutet. Im Alltagsgespräch werden kontinuierlich unbewußt Hypothesen über Regelmäßigkeiten der Fremdsprache generiert, die ebenfalls unbewußt geprüft und nach eventueller Verifikation in die Lernergrammatik integriert werden. Wollte man diese wichtige Komponente beim Lernen berücksichtigen, so war es notwendig, im Unterricht einen breiten Raum zu öffnen, in dem der Lerner mit unfiltrierter Sprache konfrontiert wird und selbst die Möglichkeit bekommt, zahlreiche Sprechakte und damit natürlich auch zahlreiche Fehler hervorzubringen, um seine Hypothesen zu prüfen. Durch „Lernen durch Lehren" wurde das spracherwerbstheoretische Dilemma gelöst, denn der Stoff (Texte, Grammatik, Wortschatz) wird intentionell erlernt, und gleichzeitig wird durch die Öffnung des gesamten Unterrichtsdiskurses für die Schüler ein breites Feld für inzidentelles Lernen angeboten. 1.3 Die Bewährung der Methode „Lernen durch Lehren" in der Praxis Das Experiment begann in einer 7. Klasse mit 5 Wochenstunden im Fach Französisch. Die Übertragung von Lehrfunktionen wurde sehr behutsam vorgenommen. Zunächst wurden Aufgaben wie das Aufrufen von Mitschülern zum Vorlesen eines Textes, die Fehlerkorrektur und die Durchführung von Übungen in die Hand der Lerner gegeben. Als sie diese Funktionen routinemäßig beherrschten, wurden sie gebeten, den Wortschatz der neuen Lektion und bald auch den Text vorzustellen. Die Inhalte stehen im Schülerbuch bereit, sie müssen nur arbeitsteilig vorbereitet und im Anschluß nach und nach von den einzelnen Gruppen im Plenum vermittelt werden. Als auch dies problemlos verlief, präsentierten Schüler schließlich auch die neuen Grammatikkapitel. Nach einem Jahr war klar, daß dieses neue Verfahren deutliche Vorteile aufwies: Der Sprechanteil der Schüler war von traditionell 25% auf 75% gestiegen, und ihre mündliche Kompetenz war entsprechend hoch; ihre schriftlichen Leistungen blieben mit dem eines konventionellen Unterrichts vergleichbar. Auffällig war die konstante Motivation und die Konzentration im Unterricht. Da ich das Gefühl hatte, mit diesem Verfahren eine Antwort auf die damals dringlichsten fremdsprachendidaktischen Fragen gefunden zu haben, beschloß ich, das Experiment weiterzuführen, um festzustellen, wie die durch LdL eingeleiteten Veränderungen sich in den weiteren Lernstufen auswirken würden. Darüber hinaus sollten die Ergebnisse wissenschaftlich aufbereitet und einer breiten Fachöffentlichkeit vorgestellt werden. In den Jahren 1983 bis 1994 entstanden eine Filmreihe (FWU 1983, 1984, 1987a, 1987b), FLuL 25 (1996) 74 Jean-Pol Martin zwei Monographien (Martin 1985, 1994) und einige Aufsätze (Martin 1986, 1988, 1989, 1992), in denen nicht nur LdL und der Anfangsunterricht, sondern auch die Weiterführung des didaktischen Modells in der Mittelstufe und in der Oberstufe ausführlich beschrieben wurden. 2. Die Entwicklung von LdL zu einem didaktischen Gesamtkonzept Es wurde dargestellt, daß LdL lern- und spracherwerbstheoretisch untermauert werden konnte. Um allerdings den Anstieg der Motivation und der Konzentration im Unterricht zu begründen, mußten aktivations- und bedürfnistheoretische Erkenntnisse einbezogen werden. Es konnte aufgezeigt werden, daß die Aufgabe, den Lernstoff aufzubereiten und den Mitschülern zu vermitteln, einen Informationsverarbeitungszyklus in Gang setzte, der bedeutsamen menschlichen Bedürfnissen entgegenkam und eine langfristige Motivation sicherte (Martin 1985, 1986). Für die Spracherwerbsphase waren also die Probleme, die in der Fremdsprachendidaktik erörtert wurden und als zentral galten, gelöst. Welches waren aber die Themen, die in der Folge der von Piepho eingeleiteten kommunikativen Wende sonst noch zu diesem Zeitpunkt also in der Mitte der 80er Jahre in der Diskussion standen? Das Gespräch war wie z.T. heute noch von den Forderungen nach „Handlungsorientierung", "Lernerorientierung" und „Lernerautonomie" beherrscht. Daß LdL diesen Forderungen entspricht, liegt auf der Hand. Sollte aber das LdL-Modell für die Mittel- und die Oberstufe weiterentwickelt werden, so mußte die theoretische Basis erweitert werden. Zwar konnten durch LdL die Lernerbedürfnisse in der Spracherwerbsphase befriedigt werden, aber die Erwartungen an den Fremdsprachenunterricht in der Mittel- und der Oberstufe veränderten sich doch. Hatte die in der Fremdsprachendidaktik feststellbare Fokussierung auf den Lerner zu einem operationalisierbaren Lernerbild geführt, auf dessen Grundlage ein Curriculum für die Mittel- und die Oberstufe entwickelt werden konnte? Eine Durchsicht der Fachliteratur zeigte, daß dies nicht der Fall war (Martin 1994). Da zum Aufstellen eines didaktischen Konzeptes, das alle Stufen des Lernprozesses vom Anfangsunterricht bis zur Oberstufe umfaßt, ein operationales „Lernerkonstrukt" unabdingbar war, mußte ein solches entwickelt werden. 2.1 Das Lernerkonstrukt Eine gute Grundlage zum Verständnis des Lerners boten die Bedürfnisforschung, die Kognitionspsychologie und vor allem die Problemlösepsychologie. Gestützt insbesondere auf Maslow (1981), Dörner [et al.] (1983) und Flammer (1990) konnte folgendes Modell aufgestellt werden: Lebewesen, auch Menschen, handeln, um sich selbst am Leben zu erhalten. Dazu gehört auch, daß sie ihre Artgenossen bei ihren eigenen Bemühungen zur Lebenserhaltung unterstützen, denn ohne Artgenossen wäre der einzelne nicht auf FLuL 25 (1996) Das Projekt „Lernen durch Lehren" eine vorläufige Bilanz 75 Dauer lebensfähig. Lebensfähig sein heißt, den Lebensraum unter Kontrolle zu halten. Die Kontrolle ist somit der Zustand, den jedes Lebewesen mit seinem Handeln anstrebt. Unter dem Gesichtspunkt der Kontrolle lassen sich auch die von Maslow beschriebenen Grundbedürfnisse beschreiben. Vereinfacht lassen sich menschliche Bedürfnisse in folgende Kategorien einteilen 4: physiologische Bedürfnisse (Hunger, Durst, Schlafen, Sexualität), Sicherheitsbedürfnisse, soziale Bindungsbedürfnisse, Selbstachtungsbedürfnisse, Selbstverwirklichungsbedürfnisse (auch Bedürfnis nach Verstehen und Einsicht), Bedürfnis nach Transzendenz (Bedürfnis, dem eigenen Handeln Sinn zu verleihen). Aus dieser Aufzählung läßt sich unschwer herauslesen, daß, was mental als „Bedürfnis" dekodiert wird, nur als Signal wirkt für den Grad der Kontrolle des Organismus in der jeweiligen Situation. Das Gefühl einer Befriedigung der physiologischen Bedürfnisse signalisiert Kontrolle über den Organismus selbst; das Sicherheitsgefühl signalisiert, daß von der Umwelt keine Gefahr ausgeht, daß diese also unter Kontrolle steht. Ähnlich verhält es sich mit der sozialen Bindung und der Selbstachtung. Durch Verstehen und Einsicht wird kognitive Kontrolle über Ereignisse der Umwelt und über das eigene Handeln gewonnen. Zur Erhöhung der kognitiven Kontrolle über das eigene Leben ist es günstig, wenn der Mensch sich Klarheit über die Mechanismen verschafft, die ihn selbst steuern. Diese sind einmal die hier beschriebenen Grundbedürfnisse. Zum anderen kann festgestellt werden, daß das Leben sich im Spannungsfeld antinomischer Tendenzen dialektisch fortbewegt. 5 Hier seien die zum Verständnis der eigenen Konstitution wichtigsten Gegensatzpaare aufgezählt: Ordnung/ Chaos - Klarheit/ Unbestimmtheit - Einfachheit/ Komplexität - Integration/ Differenzierung - Individuum/ Gesellschaft - Egoismus/ Altruismus - Konkretion/ Abstraktion - Kognition/ Emotion - Zwang/ Freiheit. Geht man davon aus, daß Menschen stets Kontrolle über sich selbst und die Umwelt anstreben, so ist die Versuchung groß zu meinen, daß sie sich nur in der Ordnung, der Klarheit, der Einfachheit etc. wohl fühlen. Würden sie aber nur in entsprechenden Umgebungen leben, so würden Lebewesen schnell die Fähigkeit 4 Nach Maslow sind diese Grundbedürfnisse hierarchisch angeordnet, so daß die Bedürfnisse der untersten Kategorie befriedigt werden müssen, bevor der Mensch an die Befriedigung der nächsthöheren Ebene geht. Dieses Modell wurde von verschiedenen Autoren_ in Frage gestellt (vgl. Hondrich 1983). Da diese Diskussion für unser Anliegen keine Rolle spielt, wird sie hier nicht weiterverfolgt. 5 Dieses Modell wird in Martin ( 1994) detailliert erläutert. Es läßt sich am besten systemtheoretisch und mit Hilfe homöostatischer Regelungstheorien begründen. FLuL 25 (1996) 76 Jean-Pol Martin verlieren, sich im Chaos, in der Unbestimmtheit, in der Komplexität zu behaupten. Lebewesen sind deshalb so programmiert, daß sie nach einer Ruhephase immer wieder die Unbestimmtheit, die Unordnung, die Komplexität aufsuchen, um diese zu reduzieren. Kennzeichen für das Leben ist also nicht der Endzustand der Klarheit, sondern das Aufsuchen von Unklarheit, um aus ihr Klarheit zu schaffen. Was aus dem Leben einen dynamischen Prozeß macht, ist eben dieses permanente Handeln, um das Lebensfeld kontrollierbar zu machen. Als letzter Baustein zum Verständnis menschlichen Handelns und zum Aufstellen eines Lernerkonstruktes wurden Erkenntnisse aus der Problemlösepsychologie herangezogen. Nach Dörner [et al.] (1983) läßt sich das Profil eines „erfolgreichen Problemlösers" folgendermaßen beschreiben: Erfolgreiche Problemlöser verhalten sich explorativ und begeben sich in Felder, mit denen sie nicht vertraut sind. Jede auf diese Weise gewonnene Erfahrung wird zu einem abstrakten, kognitiven Schema verarbeitet. Je mehr Erfahrungen, desto mehr Schemata, desto breiter die kognitive Landkarte. Eine breite kognitive Landkarte sichert Kontrolle über mehr Bereiche, sie ermöglicht eine schnellere Verarbeitung neuer Eindrücke und schützt vor emotionalen Einbrüchen. Sie sichert, daß neue Situationen erfolgreich bewältigt werden. Das Gefühl der Kontrolle festigt sich, das Selbstbewußtsein wächst und dadurch die Bereitschaft, unbekannte Bereiche anzugehen, also sich erneut explorativ zu verhalten. Durch exploratives Verhalten wird also eine positive, dynamische Spirale in Gang gesetzt, die zu einer größeren Problemlösefähigkeit, Lebenskompetenz und Kontrolle auf seiten des Individuums führt. Die drei Bausteine - Grundbedürfnisse, Raster antinomischer Tendenzen und Profil eines erfolgreichen Problemlösers lassen sich zu einem Lernerkonstrukt integrieren, welches das Streben nach Kontrolle als oberstes Ziel ansetzt. Dies führt zu präskriptiven Aussagen. Wenn Unterricht zum Ziel hat, die Lebenskompetenz des Schülers, also seine Kontrolle zu sichern, so scheint der Aufbau einer explorativen Haltung eine herausragende Bedeutung einzunehmen. Nun ist Exploration auf einen Gegenstand bezogen. Die Frage, die sich also stellt, betrifft die im Fremdsprachenunterricht anzubietenden Explorationsfelder, d.h. die Inhalte. 2.2 Die Unterrichtsinhalte In der gegenwärtigen Diskussion um den Fremdsprachenunterricht werden die bereits erwähnten und im LdL-Modell seit längerer Zeit integrierten Aspekte der Handlungsorientierung, der Lernerautonomie und neuerdings auch der Inhalte thematisiert. Letzteres geschieht beispielsweise im Zusammenhang mit der Diskussion um den Konstruktivismus und der Frage, wie Menschen Wissen aufbauen (vgl. Wolff 1994; Wendt 1996). Nun lassen sich Inhalte, die ein fremdsprachliches Curriculum vom Anfangsunterricht bis zur Oberstufe begründen, erst auf der Basis eines expliziten anthropologischen Modells bestimmen. In dem vorliegenden Modell wird der Paradigmenwechsel, der in den letzten fünfzehn Jahren eine Fokus- FLuL 25 (1996) Das Projekt „Lernen durch Lehren" eine vorläufige Bilanz 77 sierung auf den Lerner bewirkt hat, in aller Konsequenz vollzogen, denn die Aufstellung eines Lernerkonstruktes leitet wiederum eine Rückfokussierung auf die Inhalte ein, die nun neu bestimmt werden müssen. Wenn es stimmt, daß der Unterricht dem Schüler helfen soll, sein Lebensfeld unter Kontrolle zu bekommen, so müssen die zur Reflexion und zur Verinnerlichung angebotenen Inhalte aus diesem Lebensfeld stammen. Nun besteht das Lebensfeld im Unterricht zunächst aus der Person des Schülers selbst, dann aus dem Lehrer und aus den Mitschülern; als nächstes ist das vom Lehrer angebotene Unterrichtsarrangement (Methode, Sozialformen) zu nennen und schließlich das in den Lehrmaterialien verdichtete deklarative Wissen. Zum Lebensfeld gehört also die eigene Person. Es gilt, durch einen Prozeß der Selbstreflexion diesen wichtigen Faktor kognitiv zu erfassen. Dies läßt sich am besten über eine Analyse menschlicher Bedürfnisse und Funktionsweisen erreichen, wie sie im Lernerkonstrukt zusammengefaßt sind. Ergänzend ist hervorzuheben, daß wenn im Zusammenhang mit der Aufstellung des Lernerkonstruktes Gewinnung von Kontrolle als Zielsetzung menschlichen Handelns definiert wurde die Frage sich stellt, auf welche Weise, zu wessen Nutzen und zu wessen Schaden Kontrolle gewonnen wird. Es handelt sich hier um Wertreflexion und es ist Aufgabe des Unterrichts, ein Feld anzubieten, das eine solche Wertreflexion ermöglicht. Je nach Lernstufe nimmt ein Aspekt der angegebenen Tria eine besondere Bedeutung ein. So liegt im Anfangsunterricht der Akzent auf dem Aufbau der Klassenraumkompetenz, insbesondere der Interaktionsfähigkeit, in der Mittelstufe wird das Gewicht im Zusammenhang mit dem Aufbau einer interkulturellen Kompetenz auf die anthropologische Reflexion gelegt, und in der Oberstufe steht schließlich auf dem Hintergrund einer Beschäftigung mit der Geistesgeschichte die Entwicklung von Wertorientierungen im Mittelpunkt. 2.2.1 Die Inhalte in der Spracherwerbsphase Die Inhalte in der Spracherwerbsphase werden im wesentlichen durch die Lehrmaterialien bestimmt. Hier soll nur auf den Aspekt eingegangen werden, der zusätzlich ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt wird und die Originalität des LdL-Modells ausmacht, also der Aufbau einer Klassenraumkompetenz und der Interaktionsfähigkeit im Klassenzimmer. Bei LdL ist die Definitionsmacht, die jeder Schüler über andere gewinnt, wesentlich höher als im lehrerzentrierten Unterricht. Da Lehrhandlungen von den Schülern durchgeführt werden, kommen sie stets in die Lage, offen oder verdeckt Bewertungen ihrer Mitschüler vorzunehmen. Deshalb ist es besonders wichtig, daß sie lernen, freundlich und höflich miteinander umzugehen, und zwar nicht punktuell, sondern durchgängig während der gesamten Unterrichtszeit, also sowohl im Plenum bei der Stoffdarstellung als auch in Kleingruppen- oder Partnerarbeit. Sie müssen sich auch wirklich mit den Lernfortschritten ihrer Mitschüler befassen und sowohl FLuL 25 (1996) 78 Jean-Pol Martin intellektuell als auch emotional Empathie üben. Insofern zählen die hier genannten Eigenschaften zu den bewußt anzusteuernden Lernzielen der Spracherwerbsphase in einem nach LdL geführten Unterricht. Darüber hinaus sind die Fähigkeit, einen Stoff verständlich darzustellen, Techniken zu deren Veranschaulichung anzuwenden, einen selbstbewußten Auftritt zu gestalten, ebenfalls als Lerninhalte zu betrachten. Ferner sollen die Schüler als Teil ihrer didaktischen Kompetenzen spüren lernen, wann ein Wechsel der Darstellungsform oder des Sozialarrangements sich positiv auf die Aufnahmefähigkeit der Mitschüler auswirkt. Schließlich wird im Anfangsunterricht die Fähigkeit angestrebt, Verfahren zur Evaluation des Lernfortschrittes zu entwickeln und anzuwenden (z.B.Testblätter). Diese Lernziele sind insofern wertorientiert, als sie explizit und implizit eine altruistische, sozialorientierte Haltung aufbauen, ohne diese Haltung als verpflichtend vorzuschreiben. Diese Haltung wird nicht aus moralischen Gründen eingefordert; sie ist lediglich Teil eines Bündels von Techniken, mit Hilfe derer das Lernen in der Gruppe erleichtert wird. Das Lernziel ist die Erkenntnis, daß Handeln stets wertorientiert erfolgt. Die Werte selbst werden diskursiv ausgehandelt und als Handlungsempfehlungen festgehalten, die jederzeit neu aushandelbar sind. Da Werte auf der Grundlage von Selbstreflexion entstehen, kann diese bereits in der Spracherwerbsstufe gewagt werden, indem auf die Grundbedürfnisse des Menschen, auf das Spannungsfeld zwischen antinomischen Tendenzen und auf die Vorteile eines explorativen Verhaltens eingegangen wird. 2.2.2 Die Inhalte in der Mittelstufe Auch hier soll nicht auf die Frage der deklarativen Inhalte in der Mittelstufe eingegangen werden, sondern auf die Aspekte, die die Originalität des LdL-Modells für die Mittelstufe ausmachen, also die Förderung einer anthropologischen Reflexion. Schüler der Mittelstufe, altersmäßig etwa 14bis 16jährig, sehen nach Oerter (1987: 279) die persönliche Kontrolle über sich und die Umwelt als das zentrale Ziel des Erwachsenenalters an. Desweiteren heben sie hervor, "daß es wichtig ist, sich so zu akzeptieren, wie man ist" (a.a.0.: 279). Oerter fügt hinzu: "Die gesteigerte Selbstreflexion führt zu dem Ergebnis, daß man selbst nahezu unbegrenzte Möglichkeiten der Selbstverwirklichung in seiner Umgebung erblickt" (a.a.0.). In der Mittelstufe, in der die Schüler beim Aufbau von Wertrnaßstäben einer starken Außensteuerung ausgesetzt werden, ist es besonders angebracht, Hilfen zur Selbsterkenntnis bereitzuhalten. Gerade in einer Phase, in der auch vom Stoff her eine Begegnung mit der Realität des Ziellandes angesteuert wird, ist es günstig, wenn beispielsweise xenophobe Reaktionen, die im Menschen angelegt sind, nicht als individuelles, schuldinduzierendes Verhalten angeprangert werden. Xenophobe Reaktionen sollen auf dem Hintergrund anthropologischer Erkenntnisse als normal beschrieben werden. Die Überwindung solcher Reaktionen ist Aufgabe eines mit FLuL 25 (1996) Das Projekt „Lernen durch Lehren" eine vorläufige Bilanz 79 den Schülern geführten Diskurses. Auf diese Weise wird eine rationale Verarbeitung der damit verbundenen Probleme erleichtert. Ferner steht als Ziel der Mittelstufe im Vordergrund, daß auf der Grundlage eines projektorientierten Unterrichts die Schüler in die Lage versetzt werden, Inhaltsbereiche, die sie besonders interessieren, zu erkennen, projektartig zu erforschen und das Ergebnis ihrer Recherchen didaktisiert vorzustellen (vgl. LdL-Kontaktbrief Nr. 60, 1994). Ein solches Vorgehen fördert die selbstreflexive Auseinandersetzung der Schüler mit ihren schon erkannten oder aber noch nicht erkannten Interessen, führt sie also zu einer Präzisierung ihrer eigenen Identität. Nach Oerter (1987: 279) erfolgt ebenfalls auf dieser Altersstufe eine Reflexion über die Beziehung zwischen Ich und Umwelt. So erkennen die Jugendlichen „ihre Abhängigkeit von der umgebenden Kultur" (279). Die Auseinandersetzung mit dieser Person- Umwelt-Beziehung zielt darauf ab, ein Gleichgewicht bei Aufrechterhaltung von widersprüchlichen Sachverhalten und Umweltbeziehungen herzustellen. Insofern bietet die Thematisierung des anthropologischen Modells im Unterricht die Möglichkeit, auf die prinzipielle Spannung zwischen Ich-Ansprüchen und Umwelt- Ansprüchen hinzuweisen und auch hier auf eine entkulpabilisierte, rationalisierende Haltung hinzuarbeiten. Insbesondere wird im Zusammenhang mit Auslandserkundungen der Akzent auf den Aufbau einer stabilen kognitiven Landkarte gelegt (deklaratives Wissen über die Zielkultur), so daß im Feld emotional Einbrüche besser aufgefangen werden und kognitiv konzeptgesteuerte Informationsverarbeitung ermöglicht wird. Eine solche kognitive Ausstattung ist besonders in Situationen interkulturellen Lernens von großer Bedeutung (Urteile und Vorurteile, Xenophobie, individuelle und kollektive Merkmale usw.) 6 2.2.3 Die Inhalte in der Oberstufe Für die Oberstufe gilt es, das anthropologische Modell nicht nur als Instrument zur Selbstreflexion einzusetzen, sondern auch zum Verständnis der Geistesgeschichte und der Literatur des Ziellandes. Gleichzeitig erfolgt eine intensivierte Wertreflexion, wobei die Möglichkeit genützt wird, die Entwicklung der Werte innerhalb der Zielkultur vom Mittelalter bis zur Gegenwart (Phylogenese) mit der Entwicklung des einzelnen (Ontogenese) zu parallelisieren. 7 2.2.4 Zusammenfassende Bemerkungen zu den Inhalten in den drei Lernstufen Zentral in den drei Lernstufen ist die Frage nach dem Sinn. Eher implizit in der Anfangsstufe, wird im Zusammenhang mit der Einführung des anthropologischen 6 Hier kann sich auch die von Hunfeld (1991) eingebrachte Position der „Normalität des Fremden" als hilfreich erweisen. 7 Ein konkreter und ausführlicher Vorschlag für Inhalte, die in der Oberstufe behandelt werden könnten, ist in Martin (1994) zu finden. FLuL 25 (1996) 80 Jean-Pol Martin Modells die Sinnfrage immer expliziter. Im Anfangsunterricht orientiert sich die Wertebildung um das Lernprojekt im Klassenzimmer. Die Schüler lernen, wie man als Gruppe eine Fremdsprache erwirbt und wie die Kommunikation zwischen den Lernern im Hinblick auf ein solches Projekt zu gestalten ist (bis hin zu einem freundlichen, höflichen Verhalten). In der Mittelstufe werden die Schüler mit den Grundbedürfnissen des Menschen und der eigenen dialektisch angeordneten Struktur vertraut gemacht. Auf diese Weise bauen sie eine projektbezogene Organisationskompetenz auf. Schließlich werden in der Oberstufe Sinnfragen als solche kenntlich gemacht und auf dem Hintergrund eines immer klarer werdenden anthropologischen Modells für die eigene Lebensgestaltung nutzbar gemacht. Durchgängig wird die Kontrolle über das Selbst und über die Umwelt angestrebt, wobei exploratives Verhalten als förderlich für den Ausbau von Kontrollkompetenzen empfohlen wird. 3. Die Rezeption und die Verbreitung Der doppelte Perspektivenwechsel vom Stoff zum Lerner und nach dessen anthropologischer Neubestimmung vom Lerner zum Stoff leitet einen Paradigmenwechsel im Unterricht ein mit grundlegenden Konsequenzen auch für den Lehrer. Die Übernahme der Schülerperspektive und die Neubestimmung des Stoffes zwingt ihn zu einer Revision seiner Rolle. Eine so grundlegende Veränderung verlangt eine längere vielleicht sogar lebenslange - Begleitung und die Kontaktaufnahme mit Lehrern, die einen ähnlichen Wechsel in ihrer Praxis vornehmen wollen. Darauf sind die bestehenden Fortbildungsinstitutionen mit ihren meist kurzfristigen Maßnahmen und ihrem Trichtermodell als didaktischem Konzept nicht vorbereitet. Ferner verlangt ein solcher Paradigmenwechsel nicht nur eine Neuorientierung der Lehrer, sondern eine neue Reflexion über die Inhalte. Die bisherige Bestimmung der Inhalte war in erster Linie Aufgabe der Fachdidaktik als Wissenschaft. Der beschriebene methodische Paradigmenwechsel ist weitgehend aus der Praxis heraus entstanden, mit geringer Unterstützung der traditionellen Wissenschaft. Der Mangel an Unterstützung dürfte an dem Umstand liegen, daß in den Jahren, in denen das Projekt entwickelt und durchgeführt wurde, die Fachdidaktik als Wissenschaft sich vorwiegend mit Theorie befaßte und die tatsächlichen Probleme der Praxis kaum wahrnahm. Die Vorläufer und deren Rezeption in der Praxis: Eine Beschäftigung mit den Wurzeln des LdL-Gedankens deckt auf, daß es in der Geschichte der Pädagogik insgesamt und des Fremdsprachenunterrichts im besonderen immer wieder Versuche gegeben hat, ein solches Konzept umzusetzen. Allen Versuchen ist gemeinsam, daß sie keinen breiten Eingang in die institutionell getragene Praxis gefunden haben. An dieser Stelle sollen lediglich einige Ansätze erwähnt werden, die in jüngerer Zeit das „Leaming through teaching"-Prinzip explizit zum Thema gemacht und wissenschaftlich aufgearbeitet haben. FLuL 25 (1996) Das Projekt „Lernen durch Lehren" eine vorläufige Bilanz 81 Zu nennen ist als erstes das von A. Gartner [et al.] durchgeführte und 1971 abgeschlossene Projekt „Children Teach Children - Leaming by Teaching". Es scheint, daß dieses Projekt trotz vorzeigbarer Erfolge nicht weiterverfolgt wurde. Weitere Anregungen in die Richtung von LdL wurden von Schiffler (1980) geliefert, der über ein LdL-ähnliches Experiment in einer 8. Klasse im Fach Französisch berichtet. Trotz positiver Ergebnisse wurde auch dieser Versuch nicht weiterverfolgt. Dies trifft ebenfalls für Kaufmanns mehrmonatiges Experiment zu, das 1977 durchgeführt wurde. 1985 erschien von Steinig „Schüler machen Fremdsprachenunterricht", der ebenfalls enge Berührungen mit LdL aufweist. In seinem Werk beschreibt Steinig die Effekte eines Fremdsprachenunterrichts in Zweierschaft. Der Unterschied zu dem hier vorgestellten Projekt liegt in dem Umstand, daß es sich bei Steinig nicht um einen durchgängigen Klassenunterricht handelt, sondern um dafür vorgesehene klassenstufenübergreifende Zusatzphasen, in denen ein fortgeschrittenerer Partner einen weniger fortgeschrittenen unterrichtet. 3.1 Die Entstehung des LdL-Kontaktnetzes Nachdem ich das LdL-Verfahren theoretisch untermauert, in einer Langzeitstudie praktisch erprobt und die Ergebnisse ausführlich publizistisch dokumentiert hatte, blieb diese Arbeit fast ohne Echo in der Fachdidaktik als Wissenschaft. Sehr stark war dagegen das Interesse unter den in der Praxis tätigen Kollegen, die auf Fortbildungsveranstaltungen mit dem Konzept bekanntgemacht wurden. Da die Methode den Lehrern zwar auf Anhieb verständlich war, ihre Anwendung aber in der Anfangsphase mit einer Reihe von Problemen verbunden war, entschloß ich mich, den anwendungswilligen Kollegen auf Anfrage didaktische Briefe zu schicken, die eine konkrete Beschreibung der Anfangsschritte enthielten. Da ich ferner die Umsetzung durch die Kollegen auch langfristig verfolgen wollte, wurden regelmäßige Treffen veranstaltet, auf denen Erfahrungen mit LdL ausgetauscht wurden. Darüber hinaus sollten Berichte von den einzelnen Lehrern verfaßt und an die anderen Teilnehmer verschickt werden. Auf diese Weise entwickelte sich allmählich von Eichstätt aus ein Kontaktnetz mit Kontaktbriefen alle zwei Monate, einem jährlichen Bundestreffen und bundesweiten Regionaltreffen. Motor des gesamten LdL-Projektes ist heute noch eine Kerngruppe von 20 besonders aktiven Lehrern, die auf Fortbildungen als Referenten auftreten, selbst Fortbildungen organisieren und Aufsätze in Fachzeitschriften veröffentlichen. 3.2 Das Kontaktnetz als Fortbildungsstruktur Die Anlage der Methode LdL und die Fortbildungsstruktur sind homomorph: So wie die Lerner sich den Stoff gegenseitig beibringen und dadurch den Erwerb zahlreicher überfachlicher Qualifikationen ansteuern, so vermitteln Lehrer, die LdL erfolgreich praktizieren, diese Methode weiteren Kollegen und erwerben dabei eine Reihe von weiteren Schlüsselqualifikationen bis hin zu Forschungsqualifikationen. FLuL 25 (1996) 82 Jean-Pol Martin Besonders günstig ist im Gegensatz zur institutionalisierten Lehrerfortbildung, die in der Regel nur punktuell stattfindet, daß es sich hier um eine langfristig angelegte Struktur mit regelmäßigen Treffen und regem Erfahrungsaustausch handelt. 3.3 Das Kontaktnetz als Unterrichtsforschungsstruktur Im Laufe der Zeit das Kontaktnetz besteht seit 1987 sind die von den Teilnehmern verfaßten Erfahrungsberichte immer präziser, teilweise auch wissenschaftlicher geworden. Darüber hinaus werden auch in zahlreichen Lehrerseminaren Referendararbeiten über LdL verfaßt. Insgesamt lassen sich die im Rahmen des Kontaktnetzes entstehenden Untersuchungen in zwei Kategorien einteilen. Einmal sind es Arbeiten, in denen bewußt versucht wird, wissenschaftliche Kriterien zu erfüllen. In diese Kategorie fallen die Arbeiten, die von Referendaren im Rahmen ihrer Serninarausbildung angefertigt werden. Inhaltlich zeigt sich, daß die Nähe zur Wissenschaft die Untersuchung von fachspezifischen Aspekten induziert. So wird beispielsweise die syntaktische Komplexität der Schüleräußerungen erforscht, aber auch der Sprechanteil der Lerner ermittelt oder der Grad der Authentizität der Mitteilungen. Methodisch wird diskursanalytisch vorgegangen: Es werden Unterrichtssequenzen auf Tonband aufgenommen und analysiert. In diese Kategorie fallen ebenfalls kleine Untersuchungen, die wissenschaftlich qualifizierte Kollegen spontan durchführen, so beispielsweise Vergleiche zwischen „Lernen durch Lehren" und anderen „alternativen" Ansätze wie dem der Suggestopädie. Die zweite Kategorie betrifft Berichte von Praktikern, die spontan und ohne Anspruch auf Wissenschaftlichkeit verfaßt werden. Nun bemühen sich auch diese Lehrer um Systematik: Sie führen schriftliche Befragungen und Interviews durch, sie machen sorgfältige Aufzeichnungen und führen Tagebücher. Implizit benutzen sie also Verfahren, die in der qualitativen Sozialforschung Anwendung finden. Inhaltlich richtet sich ihr Interesse z.T. auch auf fachspezifische Auswirkungen der Methode, wie z.B. die Qualität von Stoffpräsentationen durch Schüler. Vorwiegend stehen aber bei den Lehrern dieser Kategorie, also bei denen, die in ihren Berichten keinen wissenschaftlichen Anspruch erheben, die pädagogischen Effekte der Methode im Vordergrund, wie die Motivation der Schüler, ihre Kommunikationsbereitschaft und ihre Selbständigkeit. Grundsätzlich zeigt sich also, daß unabhängig von der Bewußtheit, mit der ein Bezug zur Wissenschaft gesucht wird, die am Projekt beteiligten Lehrer sich um Systematik bei der Untersuchung ihres Unterrichts bemühen und eine forschungsorientierte Haltung einnehmen. Je bewußter ihr Bezug zur Wissenschaft, desto fachspezifischer die von ihnen herausgesuchten Untersuchungsfragen. FLuL 25 (] 996) Das Projekt „Lernen durch Lehren" eine vorläufige Bilanz 83 3.4 Veröffentlichungen im Rahmen des LdL-Kontaktnetzes zum Einsatz dieser Methode im Fremdsprachenunterricht Über meine eigenen Beiträge hinaus wurden eine Reihe von Aufsätzen von den Mitgliedern des Kontaktnetzes über den Einsatz der Methode im Fremdsprachenunterricht veröffentlicht. So von R. Graef (1990) über die Anfangsschritte beim Einstieg in die Methode im Französischunterricht, von G. Leitzgen (1993) über seine Arbeit in einer 11. Klasse ebenfalls im Fach Französisch, von R. Kelchner (1994) über LdL im Anfangsunterricht Englisch und (1995) über Lyrik im Französischunterricht. Spezifisch über den Einsatz von LdL an der Universität sind zu nennen: Pfeiffer/ Rusam (1992, 1994) über den Einsatz von LdL in Deutschkursen für ausländische Studenten, Skinner (1993, 1994) über LdL in Sprachkursen für Anglisten, Meyer (1994) über Literaturseminare für Anglistikstudenten. 4. Perspektiven und Probleme des LdL-Projektes Es wurde aufgezeigt, wie ausgehend von einer methodischen Innovation, die die neuesten Forderungen der Fremdsprachendidaktik erfüllt in der Praxis tätige Lehrer sich mobilisieren, um die Methode zu testen, zu verbessern und zu propagieren. Durch ihren Einsatz wurde die Methode bekannt. Eine Rezeption der Methode „Lernen durch Lehren" durch die Fremdsprachendidaktik als Wissenschaft steht allerdings noch aus. Innovativ ist nicht nur die Methode, sondern auch das Kontaktnetz, das um sie herum entstanden ist und als Grasroot-Bewegung in Erscheinung tritt. Als stabile, selbstgetragene, lehreraktivierende Fortbildungsstruktur fängt das Kontaktnetz Defizite der institutionellen Fortbildung auf. Als praxisorientierte, von den Lehrern getragene Forschungsstruktur 8 bietet sie eine Alternative zur etablierten, allzuoft praxisfernen fachdidaktischen Forschung. Allerdings lastet auf dem Projekt eine Gefahr: Den Teilnehmern des Kontaktnetzes, die ja alles selbst finanzieren und das Projekt in permanenter Selbstausbeutung betreiben, könnte in Ermangelung jeder offiziellen Unterstützung die Energie ausgehen. Der vorliegende Aufsatz sollte dazu beitragen, daß von seiten der Wissenschaft das Projekt etwas mehr Aufmerksamkeit erfährt. 8 Auf den Forschungsaspekt wurde ein größerer Akzent gelegt, seitdem ich durch Michael Legutke auf die Lehrerforschung nach Altrichter (Altrichter/ Posch 1990) aufmerksam gemacht wurde. FLuL 25 (1996) 84 Jean-Pol Martin Bibliographische Angaben ALTRICHTER, Herbert/ POSCH, Peter (1990): Lehrer erforschen ihren Unterricht. Eine Einführung in die Methoden der Aktionsforschung. Bad Heilbrunn/ Obb.: Julius Klinkhardt. BAUSCH, Karl-Richard/ CHRIST,Herbert / KRUMM,Hans-Jürgen (Hrsg.) (1995): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 3. Auflage. Tübingen und Basel: Francke (UTB). 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In the second section we discuss the characteristics of the principle concepts in use. Today F'REINET methods are marginal or even in opposition to existing paradigms. In a last part we compare them to the dominant paradigm in applied linguistics. 0. Vorbemerkungen In diesem Beitrag möchte ich die Frage untersuchen, ob die Freinet-Pädagogik einen eigenen Ansatz für den Fremdsprachenunterricht entwickelt hat und in wieweit die Freinet-Techniken eine Antwort auf die besonderen Bedingungen des gesteuerten Fremdsprachenerwerbs sein können. Dazu wird es zunächst notwendig sein, die speziellen Arbeitsmittel dieser Pädagogik und ihre methodisch-didaktische Anwendung auf den Fremdsprachenunterricht genauer darzustellen. Es wird darum gehen, sowohl die typischen Lehr- und Lernverfahren als auch die unterrichtspraktischen Vorgehensweisen aufzuzeigen. In einem weiteren Abschnitt wird zu klären sein, auf welchen lerntheoretischen und lernpsychologischen Grundlagen der Freinet-Ansatz beruht. In einem abschließenden Kommentar wird dann zu sehen sein, wie sich die Freinet-Pädagogik in die Diskussion um die Erneuerung des Fremdsprachenunterrichts und um die sog. alternativ-innovativen Methoden einordnen ließe. Ich gehe von folgenden Arbeitshypothesen aus: Die Freinet-Pädagogik ist zunächst einmal ein Ansatz, der den Prozeß des Lernens als ganzheitlichen, alle Fähigkeiten und Fertigkeiten umfassenden Vorgang erfaßt. Das bedeutet u.a., daß die Freinet-Techniken ursprünglich nicht für einen speziellen Lernbereich, wie z.B. den der fremden Sprachen, entwickelt worden sind. In seinen lerntheoretischen und lernpsychologischen Annahmen bezieht sich dieser Ansatz auf Herleitungen, die in der Sprachlehr- und -lernforschung nicht unbedingt gebräuchlich sind, da sie in der Tradition einer erziehungswissenschaftlichen Debatte stehen. Eine direkte Übertragung der Begriffe und Theoriebildungen von einem auf den anderen Bereich gerät daher auch wenn sie offensichtlich erscheint leicht in Gefahr, Konzepte zusammenhanglos aneinanderzureihen und mehr Verwirrung als Klarheit zu schaffen. FLuL 25 (1996) 88 Gerald Schlemminger 1. Freinet-Praxis im Fremdsprachenunterricht Die Freinet-Techniken im Fremdsprachenunterricht gehen in Frankreich auf Mitte der 50er Jahre, in Deutschland auf Anfang der 70er zurück (vgl. dazu Schlemminger 1995a, 1996b). 1 Nach vorsichtiger Schätzung so hat meine Untersuchung zur Freinet-Pädagogik im Fremdsprachenunterricht ergeben (Schlemminger 1996b) sind in diesem Zeitraum in ungefähr 2500-3000 französischen Schulklassen die Freinet-Techniken mehr oder weniger angewandt worden. Das ist natürlich verschwindend wenig, wenn man bedenkt, wieviel Jahrgänge von Schülern in über 40 Jahren durch den schulischen Fremdsprachenunterricht gehen. Hervorzuheben ist aber die bis heute ununterbrochene Praxis, die im öffentlichen Schulunterricht und trotz vielfältiger Paradigmawechsel in der Fremdsprachendidaktik ein sog. Nischendasein geführt hat. Es scheint mir vorerst wichtig, die wichtigsten unterrichtspraktischen Vorgehensweisen vorzustellen, damit der Gegenstand der Diskussion klarer wird. 2 Dazu werde ich mich als Bezugsrahmen auf den klassischen Phasenablauf im Fremdsprachenunterricht beziehen (Einführen der sprachlich neu zu lernenden Elemente - Einüben - Festigen - Anwenden), auch wenn dieser den Freinet-Ansatz in ein Unterrichtskonzept zwängt, das weder seinem Anspruch noch seiner Praxis entspricht. Denn abgesehen von den Konstanten, die die Freinet-Arbeitstechniken ausmachen, hat die Freinet-Pädagogikwie wir noch sehen werden eine recht vielfältige Unterrichtsgestaltung und ist deshalb oft schwer auf einen Nenner zu bringen. Mein etwas mechanistisches Vorgehen hat aber den Vorteil, die Freinet-Praxis mit anderen Ansätzen eher vergleichbar zu machen. 1.1 Entdecken der neuen sprachlichen Elemente Die Freinet-Pädagogik, ganz in der Tradition der Arbeitsschulpädagogik, ist vor allem erst einmal ein produktionsorientierter Ansatz: Im Mittelpunkt des Klassenlebens steht das gemeinsam zu erstellende „Produkt", das aus einem kollektiv gewählten Interessengebiet und aus den Kontakten zur Um- und Außenwelt erwachsen ist. Dieser Produktionsprozeß wird dann, wie zu zeigen sein wird, auch zum Im universitären Bereich des Fremdsprachenerwerbs gibt es in Französisch und Deutsch als Fremdsprache einige Erfahrungen mit den Freinet-Techniken. Vgl. Cabral (1976), Launay/ Ueberschlag (1975), Mabuchi (1976); Brysch (1984), Müller (1982), Schlemminger (1984, 1985a, 1985b, 1988, 1992a, 1992b). Diese Praktiken sind jedoch als marginal anzusehen. 2 Zur Freinet-Pädagogik im allgemeinen verweise ich auf: Dietrich (1995); Clanche/ Testaniere (Hrsg.) (1989), Clanche/ Debarbieux/ Testaniere (Hrsg.) (1994), Bruliard/ Schlemminger (1996). In diesen Veröffentlichungen befinden sich zudem umfangreiche Bibliographien (siehe auch die Bibliographie zur Freinet-Pädagogik von Schlemminger 1996a). Eine chronologische Liste der deutschen Veröffentlichungen zur Freinet-Pädagogik im Fremdsprachenunterricht befindet sich in Schlemminger (1995a). FLuL 25 (1996) Freinet-Pädagogik - (auch) ein Ansatz für den Fremdsprachenunterricht? 89 Lernprozeß. Er stellt jedoch nicht das unmittelbare Ziel dar. Dies besteht vielmehr darin, das erarbeitete Produkt wieder anderen, außerhalb der Klasse, zugänglich zu machen, darüber Erfahrungen auzutauschen, sich darüber mitzuteilen. Konkret für den Fremdsprachenunterricht heißt das: Die Klassenkorrespondenz und die Erkundungen deren Anknüpfungspunkt die Klassen- und Schulbibliothek, ein Ausflug, ein Film, die ausländischen Briefpartner usw. sein kann bilden den Ausgangspunkt für die Produktion einer Klassenzeitung, einer Wandzeitung, einer Ausstellung, einer Diareihe, für das Verfassen der kollektiven oder Einzelbriefe, der Kurzreferate usw. Das im herkömmlichen Fremdsprachenunterricht dominierende Lehrbuch erhält hier, im Rahmen der Klassenbibliothek, die Funktion einer Bezugsquelle, genau wie Zeitschriften, Zeitungen, Bücher, Comics usw. Dieser Vielfalt der Materialien entspricht auch die Vielfalt, ihnen zu begegnen, sie zu be- und verarbeiten, sie zu vermitteln. Natürlich ist dieses Ausgangsmaterial in seiner „Rohform" nur in den seltensten Fällen direkt zur Vermittlung an andere, geschweige denn als Lerngegenstand geeignet. Es muß erst gemeinsam aufgearbeitet werden. Die erste Stufe ist also, das ausgewählte Material grob zu verstehen und zu sichten. Erst dann kann gemeinsam entschieden werden, ob und inwieweit es auch als Lerngegenstand behandelt werden soll. Die Sichtung des Materials kann z.B. heißen: Der/ Die verantwortliche Schüler/ -in der Korrespondenz und/ oder die Lehrperson stellt die eingegangene Post sofern sie sofort verständlich ist in der Fremdsprache vor; bei schwierigeren Texten bzw. im Nullanfängerunterricht machen sie dagegen zunächst eine Zusammenfassung in der Muttersprache. Erfolgt die Vorstellung in der Fremdsprache, kann es auch sein, daß die das Verständnis hemmenden Wörter an die Tafel geschrieben werden. Handelt es sich um kurzes Textmaterial, mag es sein, daß es gleich vervielfältigt wird und jeder Schüler ein Exemplar in die Hand bekommt. Kommt nun eine Kassette an, wird sie wahrscheinlich erst einmal ganz abgehört (und zwar in kleineren Abschnitten), wobei der Austausch über das Verständnis in der Muttersprache abläuft. Manchmal haben die Korrespondenten auch eine Umschrift mitgeschickt. Ein anderes Mal kommt ein Video. Und da nicht unbedingt jede Woche Post eingeht, kommen in der Zwischenzeit dann die Kurzvorträge der Schüler an die Reihe. Je nach Schwierigkeitsbzw. Lernstufe erfolgt eine Kurzvorstellung des Themas in der Mutter- oder in der Fremdsprache. 3 Da es bei drei oder vier Wochenstunden natürlich unmöglich ist, alle von den Schülern erarbeiteten Materialien und jede Post im Detail im Unterricht zu bearbeiten, muß (über Abstimmung) eine Auswahl der für die Klasse interessantesten Themen, die vorgestellt werden sollen, vorgenommen werden. Es muß entschieden 3 Es ist selbstverständlich, daß keine Schülerarbeit „verlorengeht". Aus denjenigen, die nicht im Unterricht behandelt werden, wird ein „Album" erstellt, das über der Klassenbibliothek dann jedem zugänglich ist; oder aber die Arbeit wird an die Korrespondenten geschickt, ausgestellt u.ä.m. FLuL 25 (1996) 90 Gerald Schlemminger werden, welche dabei explizit zum Lerngegenstand werden. Denn nicht notwendigerweise muß jedes Dokument unter diesem Gesichtspunkt behandelt werden; man kann es auch einfach zur Kenntnis nehmen, seine Meinung dazu äußern und dann ad acta legen. Bei der Aufbereitung des Materials (eventuelles Kürzen; gemeinsames Sichten dessen, was für die Kommunikation der Klasse an sprachlichem Material wichtig ist; Unwichtiges wird ggf. in einem Heft festgehalten, auf das man dann später zurückgreifen kann; Vervielfältigung usw.) greift der Lehrer besonders im Anfängerunterricht mit seiner fachlichen Kompetenz helfend ein. Halten wir zunächst fest: Bei dieser Vielfalt des Herangehens an ein neues Dokument sind folgende Elemente hervorzuheben: (a) Zu allererst wird bei allen Schülern das Sinnverständnis des zu behandelnden Materials abgesichert. (b) Es erfolgt dann eine Auswahl dessen, was zum Produktions- und Lerngegenstand der Gruppe wird. (c) Erst anschließend wird der Lernprozeß im engeren Sinne angesteuert. (d) Unter didaktischem Gesichtspunkt heißt das Abkehr von dem Totalitätsanspruch: Erarbeitung aller sprachlichen Elemente, Übung aller Fertigkeiten an einem Dokument, bzw. Wahl eines „leichteren" Dokuments. 4 1.2 Einüben Diese Sequenz ist durch zwei Arbeitsphasen gekennzeichnet: die kollektive und die individuelle. Die erste besteht im Anfängerunterricht aus dem abschnittsweisen Chornachsprechen. Die Schüler sind meist im Besitz des Dokuments, samt Vokabelliste oder Übersetzung. Im fortgeschrittenen Unterricht besteht diese Phase oft in der gemeinsamen Lektüre bzw. dem Hören des Dokuments. Ihr folgt das Klassengespräch, in dem der Inhalt rekonstruiert wird, besondere Strukturen hervorgehoben, Details angesprochen werden usw. In der individuellen Arbeitsphase (Kleingruppen-, Partner-, Einzelarbeit) kann dann jeder in Partnerarbeit (oder auch allein) das Dokument weiter durcharbeiten. Hilfsmittel sind hier die „Partnerbögen", die eine gegenseitige Korrektur ermöglichen; ggf. stehen auch eine Tonaufnahme und Abspielgerät mit Kopfhörer bereit. Fassen wir zusammen: (a) Das Verstehen der zu assimilierenden Elemente ist explizit abgesichert. Der Ablauf hat, zumindest in der ersten Phase, Ähnlichkeit mit dem herkömmlichen Unterricht. 4 Eine sehr plastische Beschreibung dieses Vorgehens in einer 5. Gesamtschulklasse Englisch mit allen ihren auch gruppendynamischen Implikationen befindet sich in Hövel (1990/ 91); für die Arbeit in der Oberstufe siehe Schlemminger (1994b). FLuL 25 (1996) Freinet-Pädagogik- (auch) ein Ansatz für den Fremdsprachenunterricht? 91 (b) Unter didaktischem Gesichtspunkt ist festzuhalten, daß die Einzel- und Partnerarbeit eine frühe Binnendifferenzierung ermöglicht. 5 1.3 Festigen Auch beim Festigen neuer lexikalischer und grammatisch-syntaktischer Strukturen wechseln wieder kollektive mit individuellen Arbeitsformen ab. Die Strukturen werden gemeinsam, meist über die Muttersprache erarbeitet. Das induktive Verfahren herrscht vor: Die Klasse hat schon über einen gewissen Zeitraum zu bestimmten Kategorien oder Wortbereichen Strukturen schriftlich festgehalten. Sie werden nun gegenübergestellt, erweitert, auf Regelmäßigkeiten überprüft, Hypothesen werden aufgebaut, (vorläufige) Regeln aufgestellt (vgl. Hövel 1990/ 91.) In der individuellen Arbeitsphase stehen im allgemeinen für das Trainieren der verschiedenen Fertigkeiten Selbstkorrektur-Arbeitskarteien bereit. Die Schüler können so je nach ihrem individuellen Lernrhythmus und ihren besonderen Schwierigkeiten arbeiten. Während die einen schon an der Umsetzung und Wiederverwendung des Materials in der Klassenkorrespondenz oder bei der Erarbeitung eines kleinen Referats tätig sind, können die anderen (noch) in der Übungsphase sein. Die wichtigsten Punkte sind also: (a) Das lineare, kollektive und zeitgleiche Einüben aller weicht einem individuell abgestimmten Lernprogramm. (b) Das Schwergewicht wird auf selbständiges Lernen (Arbeit mit Selbstkorrektur) gelegt. (c) Die Verlagerung des Einübens von der Frontalphase in Gruppen- und Einzelarbeit ermöglicht es dem Lehrer, dem Schüler eine individuell zugeschnittenere Hilfestellung zu geben. 6 1.4 Anwenden Diese Phase ist in einem Freinet-orientierten Unterricht das wichtigste und zeitlich wohl auch längste Moment. Es ist die eigentliche Produktionsphase. Sie läuft in Gruppen- und Einzelarbeit ab. Hier werden ausgehend von dem vorgestellten Dokument die Briefe für die Korrespondenten verfaßt, in und außerhalb der Klassenbibliothek weiter zum Thema geforscht, neue Kurzreferate ausgearbeit, eine Ausstellung vorbereitet; hier wird auch die Zeitung gedruckt, ein Plakat gemalt u.ä.m. Diese Phase endet mit der Vorstellung der Arbeitsergebnisse vor der Klasse und dem Verbreiten der Materialien außerhalb des Klassenraums: Ausstellen, Post abschicken, Zeitung verteilen oder verkaufen usw. Eine gute Darstellung dieser Phase ist in Bertrand (1969) zu finden. 6 Zur Arbeit mit Selbstlernmaterialien im Fremdsprachenunterricht siehe in Tracer (Sept. 1993, N° 3) und Schlemminger (1995c). FLuL 25 (1996) 92 Gerald Schlemminger Die Vorstellung der Arbeitsprodukte ist damit gleich auch wieder Anknüpfungspunkt für neue Lernprozesse. Die Phasen sehen daher selten so nacheinanderfolgend aus, wie sie hier aufgezählt sind. Halten wir fest: (a) Auch wenn das Individuum die Lernprozesse in den dargestellten Etappen durchläuft, laufen auf der Ebene der Lerngruppe Klasse aufgrund der natürlicherweise unterschiedlichen Lern- und Arbeitsrhythmen meist mehrere Phasen parallel ab. (b) Die Mitteilung der Arbeitsergebnisse in der Klasse und nach außen ruft auch sprachlich eine authentische Kommunikation hervor: Man spricht, um real existierende Arbeitsprozesse zu organisieren, Probleme und Konflikte zu beheben, um anderen die eigenen Ergebnisse mitzuteilen, um sich auszutauschen. 7 Diese schematische Phasen-Darstellung kann leicht den Eindruck einer didaktischpädagogischen Idylle der Freinet-Pädagogik hervorrufen. Daß wie in jedem Unterricht - Konflikte, Disziplinprobleme, Lernhemmungen u.a.m. auftreten, zeigen die Fallbeispiele und Monographien auf. 8 2. Theoretische Grundlagen des Freinet-Ansatzes Die pädagogischen Konzepte liegen ausgearbeitet vor: Es handelt sich zum einen um die unterschiedlichen Arbeitsmittel, zum anderen um die Begriffe des natürlichen Lernens und des entdeckenden Lernens. Die Bezugspunkte zum gesteuerten Spracherwerb beruhen auf Übertragungen pädagogischer Konzepte auf den Sprachunterricht. Sie sind jedoch nicht theoretisch abgeleitet. Ein Sprachbegriff läßt sich daher nur implizit und deduktiv aufdecken. Wie bei den meisten Ansätzen aus der Arbeitsschulpädagogik, die Lernprozesse anhand praktischer Arbeitsprojekte initiieren, so stehen auch bei der Freinet-Pädagogik die Arbeitsorganisation, die Bereitstellung der Arbeitsmittel und ein ganzheitliches Lernkonzept im Vordergrund. 2.1 Arbeitsmittel und Arbeitsorganisation Für einen Freinet-Lehrer ist Fremdsprachenunterricht zunächst einmal kein didaktisch-methodisches Problem. Für ihn stellt sich also nicht zuerst die Frage: Welches sprachliche Material erscheint mir für den Spracherwerb am geeignetsten? Wie 7 Die Literaturlage istwas die Darstellung dieser „Transferphase" bzw. der Arbeitsergebnisse angeht sehr vielfältig (vgl. die Bibliographien in Schlemminger 1995a, 1996a). In bezug auf Darstellung eines ganzen Lernzyklus sei u.a. verwiesen auf Bertrand (1969, 1971), Lemaitre (1974). 8 Vgl. u.a. Armand (1976), Baillet (1978, 1980), Janot (1979), Favier (1982), Schlemminger (1989), Schlemminger [et al.] (1992.) FLuL 25 (1996) Freinet-Pädagogik - (auch) ein Ansatz für den Fremdsprachenunterricht? 93 kann ich es methodisch aufbereiten und vermitteln? Für ihn steht zunächst die gruppenpädagogisch-organisatorische Anforderung im Vordergrund: Wie kann die Schülergruppe an authentisches Material, an authentische Sprecher herankommen? Welche Arbeitsmittel und -techniken muß ich minimal bereitstellen, damit der Gruppe und dem Individuum selbständiges Arbeiten möglich wird? Diese pädagogisch-methodische Vorentscheidung induziert natürlich gleichzeitig einen bestimmten Lern- und Sprachbegriff, wie zu zeigen sein wird. Der Bezug zur Um- und Außenwelt wird durch die Kommunikationsmittel wie Klassenkorrespondenz, Klassenzeitung und Erkundung 9 hergestellt. Ihre sozialisierte Aneignung wird durch Ausdrucks- und Darstellungsmittel wie z.B. den freien Text gewährleistet. Sie verlangen Zugang zu den Reproduktionsmitteln wie Abzugsmaschine, Photokopiergerät usw. 10 Ein weiteres Arbeitsmittel ist die Klassenbibliothek11, die im Klassenraum oder in der Schulbibliothek untergebracht es dem Schüler gestattet, direkt an Material heranzukommen, es zu sichten und je nach seinen Interessensschwerpunkten auszuwählen und ggf. zu bearbeiten. Zu den Lerntechniken zählen vor allem die unterschiedlichen Selbstkorrekturkarteien, die es dem Schüler ermöglichen sollen, sich in den vier Sprachfertigkeiten zu üben. Diese Karteien sind so aufgebaut, daß jeder Schüler ohne Lehrerhilfe damit arbeiten kann.12 9 Es werden aber auch andere Kommunikationsmittel wie das Radio (Schlernminger 1986) oder neuere wie Fax und Internet benutzt (siehe u.a. Lafosse 1994, Valette 1994 und Vidal 1994). 10 Aufgrund der guten Literaturlage verzichte ich hier auf eine ausführlichere Darstellung. Für eine Einführung in diese Kommunikationsmittel siehe u.a.: • Freier Text: « Dossier texte libre ». Tracer 1993, n° 1; Schlemminger (1985), Minuth (1991, 1993). • Klassenkorrespondenz: « Dossier Correspondence ». Tracer 1993, n° 2. 11 Was eine solche Bibliothek enthalten kann, zeigt Hövel (1989). 12 Diese Karteien sind meist in Eigenarbeit des Lehrers erstellt und auf die Bedürfnisse seiner Klasse zugeschnitten. Neben den Karteien zu den Sprachfertigkeiten gibt es natürlich auch Karteien, die nicht zum Sprachtraining mit Selbstkorrektur sondern zu kreativem Handeln anregen. Es sind Poesiekarteien, Karteien nur mit Bildern und Photos als Schreibanlaß usw. Für eine genauere Beschreibung einer Grammatik-Selbstkorrekturkartei und einer Lesekartei für den DaF- Unterricht siehe Schlernminger (1993, 1995c); siehe auch Müller (1982). Es liegen zunehmend mehr Arbeitskarteien auch allgemein zugänglich vor: • Englisch: Freie Texte selber schreiben in Deutsch und Englisch (Hövel 1987), Englisch- Kartei "Verb-Game" (Sehreitmüller 1988a), Adjectives: Opposites (Sehreitmüller 1988b). • Französisch: Fichier d'orthographe. Fichier B. (o.J.), Fichier d'orthographe. Fichier C. (o.J.), Livret autocorrectif ortho D (o.J.); Fichier de lecture. Fichier 01, 02, 03. (o.J.), Fichier de lecture. Fichier Al, A2, A3. (o.J.), Fichier de lecture. Fichier C. (o.J.), Fichier de lecture. Fichier D. (o.J.), Fichier de lecture. Fichier Presse. (o.J.). Es handelt sich hier um Karteien der französischen Freinet-Bewegung, die im muttersprachlichen Grundschulunterricht eingesetzt werden; sie werden aber auch im Fremdsprachenunterricht Französisch angewendet. • Deutsch als Fremdsprache: Freie Texte selber schreiben in Deutsch und Englisch (Hövel FLuL 25 (1996) 94 Gerald Schlemminger Als Hilfsmittel der Arbeitsplanung zählt vornehmlich der Arbeitsplan. Hiermit wird gemeinsam das Arbeitspensum für einen bestimmten Zeitraum festgelegt. Die inhaltliche Ausfüllung obliegt außerdem dem Schüler. 13 In den unteren Klassen werden manchmal große Tafeln verwendet, auf denen die Lernfortschritte der Schüler festgehalten werden. Die Arbeitsorganisation der Klasse ist je nach Tendenz des Freinet-Pädagogen gruppendymamisch mehr oder weniger ausgearbeitet und durch „Mittierinstitutionen" strukturiert. 14 Diese ermöglichen mit präziser Zuweisung von Verantwortung und Aufgaben eine genauere Bestimmung der Rollen und Funktionen der handelnden Personen (verantwortlich für, Leiter von, ... ), der Kleingruppen (Redaktionskomitee, Tischgruppe, ... ), der Arbeitsplätze (Leseecke, Grammatiktisch, ... ). Die Schüler und Lehrer stehen sich nicht dual gegenüber, sondern handeln als Vertreter von bestimmten Klassenaufgaben und -interessen das Arbeitsprogramm, die Konflikte usw. aus. Dies geschieht meist im Rahmen des sogenannten Klassenrats. Der Einsatz dieser Arbeitsmittel und Organisationsformen verfolgt, zusammenfassend gesagt, folgende Ziele: (a) Lernen von selbständigem und selbstverantwortlichem Arbeiten in für den Schüler übersichtlichen und klar abgrenzbaren Sachgebieten; (b) bewußte Delegation von Verantwortung in der Auswahl und der Organisation der Arbeit und damit Befreiung des Lehrers von auf Schüler übertragbaren Aufgaben, damit jener sich intensiver dem einzelnen oder einer Lerngruppe zuwenden kann; (c) weitgehende Übernahme der Verantwortung des Lerners für seinen Lernprozeß; (d) jedem Schüler zu ermöglichen, nach seinen Interessen, Fähigkeiten und seinem Lernrhythmus zu arbeiten. Es seien nur stichwortartig die Bezugspunkte innerhalb der ersten internationalen reformpädagogischen Bewegung in den 20-30er Jahren dieses Jahrhunderts angedeutet, auf die die Freinet-Pädagogik aufbaut, aus denen Celestin Freinet (1896- 1966) seinen Ansatz für die öffentlichen Schulen entwickelt hat. Das Ausgeben von den Interessenschwerpunkten der Schüler (les centres d'interet) beim Lernen bezieht sich mehr oder weniger direkt auf die Arbeiten des Belgiers Decroly und die Projektmethode des amerikanischen Pädagogen Dewey. Die 1987), Lesekartei für den Anfängerunterricht Deutsch als Fremdsprache. Experimentierfassung (Freinet-Gruppe im Goethe-Institut Paris 1995). Bei der Freinet-Gruppe im Goethe- Institut Paris sind weitere Karteien im Aufbau. 13 Abdruck von Arbeitsplänen in Bertrand (1969), Schlemminger (1994b). 14 Diese Elemente sind von der Institutionellen Pädagogik entwickelt worden. Sie ist besonders in den Ballungszentren mit Großstadtschulen entstanden und hat die Freinet-Pädagogik in den 60er Jalrren begrifflich und praktisch vorangebracht (siehe u.a. Vasquez/ Oury 1967.) Zu Institutioneller Pädagogik und Fremdsprachenunterricht vgl. Schlemminger ( 1990). FLuL 25 (1996) Freinet-Pädagogik- (auch) ein Ansatz für den Fremdsprachenunterricht? 95 Arbeit in Gruppen beruht auf der Rezeption u.a. der Psychologen Decroly und Claparede. Vorläufer des Arbeitsplans ist der Jahres- und Wochenplan der amerikanischen Lehrerin Purkhust. Selbstkorrekturmaterialien standen in den 20-30er Jahren groß in der Diskussion. F'REINET setzte sich sowohl ideologisch als auch fachlich-didaktisch besonders mit den Selbstkorrekturheften im Rechenunterricht eines C. Washburne auseinander (vgl. Schlemminger 1994c). 2.2 Natürliche Lernmethoden Der Begriff der „natürlichen Lernmethoden" geht auf die hermeneutische, kindzentrierte Pädagogik der Jahrhundertwende zurück, die in der empiristischen Tradition der Assoziationspsychologie und der sensualistischen Philosophie steht: Alle Vorstellungsinhalte lassen sich durch elementare sinnliche Wahrnehmung aneignen. Über erinnerungsmäßige Verknüpfungen können dann Wissen, Verstehen und abstraktere Erkenntnisse aufgebaut werden. Auf einen Freinet-orientierten Unterricht bezogen, handelt es sich weniger um die Entwicklung und den Einsatz ausgearbeiter Lernverfahren oder Vermittlungsstrategien, als vielmehr um die Herstellung von Rahmenbedingungen, d.h. von Arbeitsmitteln und Organisationsformen, die einen direkten, sinnlichen Kontakt mit dem Unterrichtsgegenstand ermöglichen. Für die Fremdsprache bedeutet dies den bereits beschriebenen Aufbau eines Verbindungsnetzes mit Sprechern der anderen Sprache, die Möglichkeit des freien Ausdrucks und den Einsatz der dafür notwendigen Kommunikationsmittel. Für den gesteuerten Spracherwerb werden damit folgende Axiome gesetzt: (a) Sprache lernt man durch Sprechen/ Schreiben in motivierten, authentischen Kommunikationssitutationen; in einer Freinet-orientierten Klasse werden sie einerseits durch die Notwendigkeit der Organisierung und Regulierung realer Arbeitsprozesse und andererseits durch den Austausch in und außerhalb der Klasse über die Produktionsergebnisse hergestellt. (b) Erst wenn der Schüler für sich eine zufriedenstellende Antwort auf die Frage „Warum spreche ich in der künstlichen Situation 'Schulklasse' in einer fremden Sprache? " gefunden hat, wird ein erfolgversprechender Lernprozeß in Gang gesetzt. Der Begriff des motivierten, persönlichen Mitteilungsbedürfnisses, gerade im Zusammenhang mit dem freien Text, ist hier entwickelt und teilweise theorisiert worden (vgl. Minuth 1993, Schlemminger 1985b, 1996b). (c) Der Spracherwerbsprozeß ist ein kollektiver, interkultureller Sozialisationsprozeß. Er schafft die Rahmenbedingungen für einen sach- und personenbezogenen Sprachaustausch. FLuL 25 (1996) 96 Gerald Schlemminger 2.3 Entdeckendes Lernen (tiitonnement experimental) Der Begriff des experimentierenden, entdeckenden, forschenden Lernens 15 lehnt sich hauptsächlich an die entwicklungspsychologischen Untersuchungen Piagets an. Diese zeigen auf, wie ein Kind Neues zunächst an die vorhandenen eigenen Erkenntnisschemata assimilierend angleicht. Wenn die Anpassung der Objektwelt an diese Schemata nicht mehr funktioniert, dann werden diese Strukturen in Richtung auf die sich den bisherigen Schemata widersetzende Objektwelt verändert. Auf den Fremdsprachenunterricht bezogen, läßt sich das „entdeckende Lernen" wie folgt charakterisieren: Unter günstigen Rahmenbedingungen hat der Lerner die Sicherheit und das Vertrauen, sich selbst in der fremden Sprache zu versuchen. Er benutzt sie so, wie er meint, verstanden zu werden. Er baut Hypothesen über Gebrauch und Regelmäßigkeiten dieser Sprache auf. Er versucht, sich in der Klasse und mit den Korrespondenzpartnern zu verständigen. Er überprüft sein Sprecherverhalten, stößt auf Schwierigkeiten, korrigiert sich. In kooperativer Auseinandersetzung mit den Überlegungen und Sprechäußerungen seiner Mitschüler, des Lehrers, der Korrespondenten, des vorliegenden Materials usw. baut er neue Hypothesen über den Sprachgebrauch auf. Dieses Vorgehen des tastenden Ausprobierens ist durch eine große Aufnahme- und Lernbereitschaft gekennzeichnet, wobei die Gruppe die Rolle des helfenden Feedbacks spielt. Jeder Schüler entwickelt dabei seine eigenen Sprachlernverfahren und -Strategien; er konstruiert sich seine „eigene" fremde Sprache, die sich zunehmend der Zielsprache nähert. Das „entdekkende Lernen" hat im Fremdsprachenunterricht zum Ziel: (a) Entwickeln von persönlichen, erfolgsorientierten Aneignungs- und Spracherwerbsstrategien; (b) Entwickeln eines positiven Selbstbewußtseins im Umgang mit der fremden Sprache; (c) Entwickeln von situationsgerechtem sprachlichem Verstehen und Verhalten; (d) Erfahren, daß nicht nur rein innersprachliche, sondern auch außersprachliche Faktoren, wie interkulturelles Verständnis, Entschlüsseln von sozialen Kodes u.ä.m., zum Spracherwerb beitragen; (e) Entwickeln eines persönlichen, nicht nur sprachgebundenen Zugangs zuranderen Kultur. Der Aufbau seiner „eigenen" Fremdsprache durch „entdeckendes Lernen", der zu Beginn der 70er Jahre von den französischen Freinet-Lehrern entwickelt wurde, deutet auf das Konzept der Interimssprache hin, die zur gleichen Zeit in den USA 15 Die Eindeutschung dieses Begriffes erfolgt unterschiedlich. Baillet (1983) und Dietrich (1995) benutzen z.B. dafür „tastendes Versuchen". In der deutschen Freinetbewegung wird auch „tastendes Lernen" benutzt. Diese Vielfalt spiegelt die noch relativ ungenaue Begrifflichkeit wider. Meines Erachtens spiegelt „entdeckendes Lernen" den psychogenetischen Aspekt dieses Prozesses, wie Piaget ihn entwickelt hat, am besten wider. FLuL 25 (1996) Freinet-Pädagogik - (auch) ein Ansatz für den Fremdsprachenunterricht? 97 um Selinker diskutiert wurde. Es sei jedoch erwähnt, daß diese Debatte in Frankreich erst Ende der 70er Jahre über Galisson (1980) und Besse rezipiert wird. Erste Untersuchungen mit der introspektiven Methode des lauten Nachdenkens haben gezeigt, welche Lernstrategien Schüler in einem Freinet-orientierten Unterricht bei der Textproduktion einsetzen (Minuth 1993). Es wäre sicherlich interessant, sie mit Arbeiten aus der Sprachlehr- und -lernforschung, die Lernerstrategien untersucht haben (z.B. Krings 1986), zu vergleichen. 2.4 Sprachbegriff Der Freinet-Sprachbegriff ist relativ weit gefaßt; die Arbeitsmittel, die Organisation der Sprachvermittlungsphasen, die Begriffe der „natürlichen Methode" und des „entdeckenden Lernens" deuten schon darauf hin. Dieser Sprachbegriff ist bisher von den Freinet-Praktikern wenig theorisiert bzw. zu Sprachtheorien in Bezug gesetzt worden. Ich werde versuchen, kurz die wichtigsten Merkmale zusammenzufassen: (a) Sprache wird weniger unter ihrem kognitiven und systematischen Aspekt in Betracht gezogen als unter ihrem funktional instrumentalen Gesichtspunkt in interaktiven Handlungsabläufen, zu deren Regulation und in der individuellen und Gruppensozialisation. Eine reale Kommunikationssituation kann sich in der künstlichen Klassensituation danach erst dann aufbauen, wenn die entsprechenden Arbeits- und Kommunikationsmittel bereitgestellt sind. (b) Der affektive Charakter der Sprache wird betont: Sprache als Mittel, persönliche Befindlichkeit auszudrücken und mitzuteilen, Reaktion, Betroffenheit auszulösen, um so bei dem Gegenüber ein verbales/ non-verbales persönliches Sich-Einlassen-auf-den-anderen zu fördern. (c) Sprachrichtigkeit ist kommunikationsbedingt und wird nicht aus der innersprachlichen Systematik abgeleitet. Die korrekte Benutzung der sprachlichen Form ist so dem individuellen Sprachbedürfnis untergeordnet, d.h., Vorrang des Inhalts vor der Form. (d) Die Beherrschung des Sinns einer Mitteilung steht eindeutig vor dem Gebrauch und der aktiven Benutzung neuer sprachlicher Formen. Der Bezug auf die Muttersprache erfolgt gerade bei der Verständnisabsicherung. Dieser Sprachbegriff steht dem anderer nicht konventioneller Sprachlernansätze wie der suggestopädischen Methode, dem „Community Language Learning", dem „Humanistic Approach" oder dem „Total Physical Response" nahe: Sie alle heben den situationsgebundenen, affektiven Charakter von Sprache hervor. Der gruppendynamische Aspekt beim Spracherwerbsprozeß wird besonders betont. Der Einbezug der Muttersprache wird, wie z.B. im suggestopädischen Ansatz, als wichtig betrachtet. FLuL 25 (1996) 98 Gerald Schlemminger 2.5 Lernkonzept - Spracherwerbsmodell Wie schon beim „entdeckenden Lernen" angedeutet, überwiegt in der Freinet- Fremdsprachenpädagogik ein konstruktivistischer Ansatz a la Piaget. Er widerspricht dem mentalistischen Ansatz, der Sprachlernen nur als eine Aktualisierung der bereits vorhandenen, angeborenen Sprachkompetenz sieht, wie er teilweise in der Zweitsprachenerwerbsforschung vertreten wird. Wenn auch der Behaviorismus als Lernkonzept sowohl vom ideologischen als auch vom praktisch-pädagogischen Standpunkt aus abgelehnt wird, finden sich behavioristische Elemente in der Freinet-Pädagogik, wie ich nachgewiesen habe (Schlemrninger 1994c). Sie beziehen sich auf die Einzelarbeit mit den Selbstkorrekturkarteien, da zumindest die älteren Fassungen häufig nach diesem Prinzip aufgebaut sind. Die Einbeziehung der Muttersprache, die „natürliche Methode", die Ablehnung einer besonderen Sprachlehr- und -lernmethode legen nahe, der Freinet-Pädagogik einen naturalistischen Ansatz zu unterstellen, der Erst- und Zweitsprachenerwerb strukturell und prozessual auf die gleiche Stufe stellt. Diese In-Beziehung-Setzung hieße jedoch, etwas vorschnell eine Entscheidung in dieser Theoriefrage treffen zu wollen. Zumindest auf der praktischen Unterrichtsebene erkennen die Freinet- Lehrer die besonderen Bedingungen des gesteuerten Zweitsprachenerwerbs an und versuchen, diesen durch den Aufbau bestimmter Rahmenbedingungen positiv zu fördern. Die Lehrer selbst haben sich zu diesem Problem unterschiedlich geäußert (vgl. Schlemminger 1996.) Man kann zusammenfassend sagen, daß institutionelles Zweitsprachen-Lernen als sozial induzierter und gesteuerter Prozeß verstanden wird. Erst sozialisierte Praktiken ermöglichen eine reale Kommunikation, motivieren einen persönlichen Ausdruck. Es wäre zu diskutieren, inwieweit man hier Bezüge zu der Tätigkeitstheorie russischer Psychologen wie A. A. Leontjew und 1. P. Galperin herstellen kann. Es sei erwähnt, daß Schneuwly (1994) versucht, Beziehungenim muttersprachlichen Bereich zwischen dem „entdeckenden Lernen" eines Freinet und den Forschungen zu den Spracherwerbsprozessen eines Wygotski herzustellen. 3. Pädagogisches versus didaktisches Paradigma eine kritische Einschätzung 3.1 Reformpädagogik heute An Kritik der ersten Reformpädagogikbewegung fehlt es nicht. 16 Sie bezieht sich hauptsächlich auf den puerozentristischen Ansatz, den Bezug zum „Natürlichen", zur Natur und auf das hermeneutische Verfahren der Erkenntnisgewinnung. 16 Vgl. Cahiers Pedagogiques 1977, Rang/ Rang-Dudzik (1978), Gleim (1979), Oelkers (1989), Böhm [et al.] (1994). FLuL 25 (1996) Freinet-Pädagogik - (auch) ein Ansatz für den Fremdsprachenunterricht? 99 Ein politisch revolutionäres Selbstverständnis wie bei Freinet verhindert deshalb nicht eine sehr eklektische Rezeption seiner Pädagogik, die bis zu den Jesuiten- Schulen geht (vgl. Bruliard/ Schlemminger 1996). In Deutschland spiegeln Dietrich (1982) und Jörg (1989) die widersprüchlichen Rezeptionsweisen wider. Auch wenn heute noch, hauptsächlich wegen mangelnder Rezeption der neueren Schriften der Freinet-Bewegung und der einseitigen Fokalisierung auf die Gründerfigur Celestin Freinet, das Bild der idyllischen Landschulpädagogik oft vorherrscht, haben Bruliard/ Schlemrninger (1996) versucht, die Entwicklungslinien dieser Pädagogik aufzuzeigen. Sie heben besonders hervor, wie die (französische) Freinet- Pädagogik neuere Entwicklungen in den Erziehungs- und Humanwissenschaften nicht ganz konfliktfrei rezipiert hat, wie sich diese Pädagogik seit den 50er Jahren zunehmend auf das höhere Schulwesen verbreitet hat und wie sie gerade der Entwicklung der Massen- und Großstadtschule mit Theorie- und Praxiserweiterung Rechnung trägt. Es sei noch festgehalten, daß die Freinet-Pädagogik wohl der einzige Ansatz aus der reformpädagogischen Bewegung ist, in dem versucht wird, reformpädagogisches Gedankengut konsequent auf den Fremdsprachenunterricht zu übertragen. 17 3.2 „Pfingstwunderdidaktik" Haueis (1983) und Schneuwly (1995) bezeichnen Ansätze wie der Freinet-Pädagogik, bei denen man eine Fertigkeit scheinbar nur durch praktisches Handeln lernt, ironisch als „Pfingstwunderdidaktiken". Ich würde noch konsequenter argumentieren wollen: Der Freinet-Ansatz hat keine Didaktik, kein didaktisches Konzept im traditionellen Sinne. Damit ist die für gesteuerte Lernprozesse zentrale Frage nach der didaktischen Transposition (vgl. Chevalard 1985, Clanche 1989) aufgeworfen. Eine didaktische Transposition besteht bekanntermaßen aus drei Schritten: (a) Bestimmung des Gegenstandsbereichs und der betroffenen Wissenschaften: Für die Fremdsprachendidaktik sind je nach Definition die Bezugswissenschaften die Linguistik und/ oder die (Lern-)Psychologie und/ oder die Pädagogik usw. In Anlehnung an die Bezugswissenschaften erfolgt dann auch, je nach dorninan- 17 Mir sind in der Literatur nur wenige Aufsätze begegnet, die sich für den Fremdsprachenunterricht explizit auf reformpädagogische Ansätze beziehen: Gaudig (1921); zum Arbeitsschulkonzept: Krüger (1925), Gill (1972); zur Steiner-Pädagogik: Petit (1974). Meiner Kenntnis nach haben die heutigen reformpädagogisch orientierten Schulen, wie z.B. die Waldorf- oder die Peter- Petersen-Schulen, für die Fremdsprachen einen herkömmlichen didaktischen Ansatz, der dem Konzept des offenen Unterrichts nahesteht. Das soll nicht heißen, daß die um die Jahrhundertwende gerade entstehende Fremdsprachendidaktik, besonders in der Entwicklung ihrer „Direkten Methode", nicht wie Puren (1988) aufzeigt auch von der Reformpädagogik dieser Zeit beeinflußt wurde. Dieser Einfluß äußerte sich aber nur in der Übernahme einiger Unterrichtsverfahren (Elemente des Anschauungsunterrichts, direktes Verfahren usw.), jedoch nicht in einem pädagogisch-didaktischen Gesamtansatz. FLuL 25 (1996) 100 Gerald Schlemminger tem Paradigma, die Gegenstandsbestimmung. Es kann sich dabei um die Lexik, das Sprachsystem, die Sprechakte, das Kommunikationssytem u.ä.m. handeln. Es ist der Sprachbegriff des jeweiligen didaktischen Paradigmas. (b) Bearbeitung des wissenschaftlichen Gegenstands in Gegenstände einer gesteuerten Vermittlung: Hier findet die Bestimmung der Beschreibungsmodelle des Gegenstands statt, die Lernzielbestimmung allgemein, aber auch sprachlich und kulturell, so wie man sie in den Lehrprogrammen wiederfindet. Die Inhalte werden hier ausgewählt. (c) Verarbeitung zu Unterrichtsgegenständen: Hier finden wir die verschiedenen Unterrichts- und Lehrbuchmethoden, Unterrichtsverfahren und -techniken wieder. Die Freinet-Pädagogik entzieht sich dieser Transpositionsschritte (vgl. Clanche 1989, Schlemminger 1995b). Die Sprache ist das, was von der Um- und Außenwelt in die Klasse hereinkommt. Sie wird eher intuitiv beschrieben, der Aufbau eines Systems von Regelmäßigkeiten der Sprache wird auf das Individuum und seine ihm besonderen Spracherwerbsstrategien verlagert. Von einer phasengeleiteten Unterrichtsmethode und einer didaktischen Auswahl des Stoffes ist gar nicht zu sprechen. Der Klassenraum ist aber bekannterweise kein natürlicher Sprachraum. Deshalb kann man sagen: Wenn überhaupt Didaktisierung stattfindet, dann nur im Vorraum der Fremdsprachenvermittlung, und zwar durch die Bereitstellung der spezifischen Arbeitsmittel. Daß ein solcher Ansatz nicht unproblematisch ist, zeigen nicht nur die Konflikte mit der Schulaufsicht. Er läuft auch Gefahr, als naiv bezeichnet zu werden, da die Unterrichtenden egal ob aufgrund guter oder schlechter Lehrerausbildung natürlich immer ein, wenn auch nicht jedesmal bewußtes, universitär oder schulisch geprägtes Sprach(vermittlungs)verständnis mitbringen. Eine Auswahl sowohl inhaltlicher als auch sprachlicher Art findet statt wenn auch jetzt nicht vor, sondern im Klassenraum mit den Betroffenen und wenn auch nicht unbedingt nach pädagogischen Kriterien. Diese Art und Weise, Spracherwerb „undidaktisch" zu sehen, stellt natürlich nicht nur an den Lehrer und seine Flexibilität eine Herausforderung dar: Er ist nicht der Ausführende einer Methode, sondern der Berater in einem komplexen, produktionsorientierten Lernprozeß. Dieser radikal arbeitspädagogische Zugang zur Fremdsprache hat wohl auch mit dazu beigetragen, daß er von der allgemeinen Fremdsprachendidaktik lange Zeit nicht beachtet worden ist. 3.3 Freinet-Pädagogik und neuere Tendenzen in der Fremdsprachendidaktik Betrachtet man die Tendenzen der letzten 15 Jahre in der Fremdsprachendidaktik und in der (über Zeitschriften vermittelten) Unterrichtspraxis, so lassen sich Ansätze festmachen, die Freinet-pädagogischen Elementen nicht unähnlich sind. Es handelt sich dabei nur in äußerst seltenen Fällen um eine Rezeption dieser Päd- FLuL 25 (1996) Freinet-Pädagogik - (auch) ein Ansatz für den Fremdsprachenunterricht? 101 agogik als vielmehr um eine gerade in Deutschland zu beobachtende Entwicklung, die pädagogische Überlegungen zunehmend mit in den Fremdsprachenunterricht einbezieht. Auf eher konzeptueller Ebene sei da nur die Sprachlehr- und lernforschung erwähnt. So vertreten die Handlungsanweisungen an den Fremdsprachenlehrer von Krumm (1981, 1982) ein Lehrerkonzept, das dem der Freinet-Pädagogik sehr nahe stehen würde. Die Tandembögen, die Spengler (1991, 1993) zwar nur im Rahmen eines Französisch-Lehrbuchs entworfen hat, sind der Freinet-Pädagogik und ihren Selbstkorrekturkarteien nicht fremd (vgl. auch Heloury 1983, Wessling 1983). Die Übernahme von Leitungsfunktionen von Schülern im wenn auch lehrbuchgesteuerten - Fremdsprachenunterricht bei der Methode „Lernen durch Lehren" (vgl. Martin 1986, 1989; Graef/ Preller 1994), findet man auch im Freinet- Ansatz wieder. Daß ganzheitliches Lernen der Fremdsprachen nicht nur ein Anspruch der Freinet-Pädagogik ist, zeigen die Aufsätze in Timm (1995). Die Beispiele ließen sich noch fortsetzen. Das Besondere an dem Freinet-Ansatz ist jedoch das pädagogisch konsequent durchgedachte Gesamtunterrichtskonzept. Aus Raumgründen konnten in diesem Beitrag die theoretischen und praktischorganisatorischen Fragen nach der Sprach- und Grammatikprogression, nach Evaluation und Benotung, nach der Rückkopplung von individuellen und kollektiven Lernprozessen u.a.m. nicht angeschnitten werden. Es sei aber abschließend bemerkt, daß die Benutzung von Freinet-Techniken im Unterricht für den Lehrer zunächst weniger ein theoretisches Problem ist. Die Hemmschwelle für die Anwendung sog. alternativer Ansätze 18, welcher Richtung sie auch immer sein mögen, liegt m.E. zunächst einmal in der Lehrerausbildung. Es hat sich historisch gezeigt, daß die Sprachengruppe der französischen Freinet- Bewegung in den 70er Jahren u.a. deshalb so stark war, weil im Rahmen der Bildungsreform viele pädagogisch gut ausgebildete (Freinet-)Grundschullehrer in das weiterführende Schulwesen übergetreten sind. Der Sekundarstufenlehrer in Frankreich jedoch erhielt und erhält auch heute noch keine ausreichende praktischpädadogische Qualifikation, die es ihm ermöglicht, mit komplexen Unterrichtssituationen, z.B. in schwierigen Großstadteinzugsgebieten, fertig zu werden; noch immer erhält er nicht das theoretisch-methodische Grundlagenwissen zur Beherrschung der herrschenden Unterrichtsverfahren, um so ggf. eine positiv kritische Distanz dazu aufbauen zu können. Hierbei handelt es sich eindeutig um Defizite bildungspolitischer Entscheidungen. 19 18 Vgl. auch die m.E. sehr gute Kritik von Krumm (1982) an den alternativen Methoden im Fremdsprachenunterricht. 19 Zur Information: Anschrift der deutschen Freinet-Bewegungen: (a) Pädagogik Kooperative e.V., Goebenstr. 8, 28209 BREMEN. Zeitschrift: Fragen und Versuche. (b) Arbeitskreis Schuldruckerei: Eberhardt Dettinger, Rathenaustr. 21, 70191 STUTTGART. Zeitschrift: der schuldrucker. 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Suggestopedia as a method of foreign language learnmg and teaching has been developed by the Bulgarian psychotherapist G. Lozanov in the sixties. In this article we will start out with the presentation of Lozanov's basic ideas. We will describe the different variations, adaptions and changes that this method has undergone in various countries since that time. We will then discuss the empirical research in the field of suggestopedia with special emphasis on the research in Germany. Finally we will focus on some suggestopedic material available in Germany and on teaching sk.ills in a training program for teachers of suggestopedia. Erstes und letztes Ziel unserer Didaktik sollte es sein, die Untemchtsweise aufzuspüren und zu erkunden, bei welcher die Lehrer weniger zu lehren brauchen, die Schüler dennoch mehr lernen, in den Schulen weniger Lärm, Überdruß und unnütze Mühe herrsche, dafür mehr Fre1he1t, Vergnügen und wahrhafter Fortschritt. Johann Arnos Comemus 1650 1. Grundlagen der Suggestopädie 1.1 Die Anfänge Der Begriff „Suggestopädie" verbindet die Wörter Suggestion und Pädagogik und soll durch die Zusammenfügung der beiden Wörter eine neue Form der Pädagogik benennen, die den Wirkungsmechanismen der Suggestion im Lehr- und Lernprozeß Aufmerksamkeit schenkt und diese zur Optimierung von Lernprozessen einsetzt. Die 'Suggestopädie' als Lehr- und Lernmethode geht auf den bulgarischen Arzt und Psychotherapeuten Georgi Lozanov zurück. Dieser war in den sechziger Jahren der Frage nachgegangen, inwieweit die Gedächtnisleistung von Menschen durch die Übermittlung von Informationen erweitert werden kann, die von einem Lerner unbewußt aufgenommen werden. Um die Auswirkung verschiedener suggestiver Verfahren auf das Behalten zu überprüfen, benutzte er zunächst Wortlisten in der Muttersprache und später auch Wörter, Sätze und ganze Texte aus fremden Sprachen. Lozanov stellte fest, daß sich durch den Einsatz verschiedener suggestiver Verfahren erstaunliche Lernresultate erzielen lassen. Durch die Erprobung bestimmter Abfolgen und Kombinationen von Verfahren und Lernschritten bildete sich so allmählich bis Anfang der siebziger Jahre die Form der suggestopädischen Methode der Fremdsprachenvermittlung heraus, die von Lozanov selbst als geschlossene Methode propagiert wurde. Die einzelnen Lehr- und Lernphasen dieser Methode wollen wir vorab beschreiben, damit die im folgenden angesprochenen Grundlagen und Verfahren, aber auch die Kritik und die in späteren Varianten vorgenommenen Veränderungen mit diesen FLuL 25 (1996) Die Suggestopädie 107 ursprünglich von Lozanov entwickelten Lernphasen in Verbindung gesehen werden können. Wie bei anderen Methoden auch, können wir zwischen Sprachaufnahmephasen (Präsentationsphasen) und Sprachanwendungsphasen (Aktivierungsphasen) unterscheiden. Bei der Diskussion der suggestopädischen Methode wird fast nur über die Präsentationsphasen gesprochen, weil sich diese durch die Hereinnahme von Entspannung und Musik von anderen Phasen der Fremdsprachenvermittlung sehr deutlich abheben. Dadurch kann leicht der Eindruck entstehen, daß die Präsentationsphasen den Unterricht auch zeitlich dominieren. Tatsächlich beanspruchen auch in der Suggestopädie die Aktivierungsphasen bis zu drei Viertel des Unterrichts. Die Sprachaufnahme geschieht bei Lozanov in drei Präsentationsphasen, die einen zusammenhängenden Komplex (in der Regel 2 Unterrichtsstunden) bilden: 1. Die erste Präsentation: Die Schüler haben ein zweisprachiges Lehrbuch vor sich. Auf der einen Seite des Lehrbuchs befindet sich der zielsprachliche Text, auf der anderen Seite die Übersetzung in der Muttersprache der Lerner. Der zielsprachliche Text 1 wird vom Lehrer vorgelesen und die dazugehörige Grammatik kommentiert. (Der Lehrer liest vor und erklärt, die Schüler lesen still mit 2 ). 2. Die zweite Präsentation: Das „aktive Konzert", ein emotional-expressives Lesen des Textes. Der Lehrer liest den Text ein zweites Mal vor, wobei er seine Stimme in Lautstärke, Rhythmus und Tonhöhe an eine emotional-expressive Musik anpaßt, die in normaler Lautstärke den Raum erfüllt (Lehrer liest vor, Schüler lesen still mit). 3 3. Die dritte Präsentation: Die musikalische Entspannungsphase, die Lozanov das „passive Konzert" nennt. Hier erfolgt die Lesung des Materials auf dem Hintergrund einer langsamen, gleichmäßigen und entspannenden Musik. Die Lerner sitzen in bequemen Sesseln, schließen die Augen und werden dazu aufgefordert, sich zu entspannen und sich nicht auf den Text zu konzentrieren, der auf dem Hintergrund der Musik vorgetragen wird (Lehrer liest vor, Schüler hören entspannt zu). 4 4. Aktivierungsphasen: Die erste Aktivierung des dargebotenen Lernstoffes folgt auf den Tag nach der Präsentation. Es werden in der Regel Übungen durchgeführt, die teils traditionellen Charakter haben, teils spielerisch angelegt sind und auch Rollenspiele initiieren. Häufig werden sie mit musikalischen Aktivitäten (Singen) durchsetzt. An den folgenden beiden Tagen werden die aktivierenden Übungen fortgesetzt. Die erste Präsentation des Textes kann auch mit dem Vorlesen der Übersetzung verbunden sein. 2 Lozanov nennt diese erste Präsentation „Dechiffrierung". 3 Diese Phase wird auch als „erstes Lernkonzert" bezeichnet. Bis Mitte der siebziger Jahre bestand die zweite Präsentation aus dem sog. "intonatorischen Lesen", das in einigen Varianten auch weiterhin beibehalten wurde (siehe unten). 4 Diese Phase wird von Lozanov als das „pseudopassive Konzert" bezeichnet. In der Literatur findet sich auch der Begriff „zweites Lernkonzert". FLuL 25 (1996) 108 Rupprecht S. Baur Der suggestopädische Unterricht basiert dabei auf einigen Grundprinzipien, die vom Lehrer beachtet werden müssen. Die wichtigsten sind: die Schaffung einer entspannten und heiteren Lernatmosphäre, die Ausnutzung des Zusammenwirkens von bewußten und unbewußten Wahrnehmungen, der Aufbau einer positiven utKl selbstbewußten Lernhaltung beim lernenden Individuum durch suggestive Interaktionsprozesse. Diese Prinzipien lassen sich nur realisieren, wenn der Lehrer in seinem ganzen Verhalten Träger und Übermittler entsprechender Suggestionen ist, d.h., der Lehrer muß selbst positiv gestimmt und entspannt sein, und er muß die Verfahren beherrschen, durch welche die unbewußten Wahrnehmungen unterstützt werden. Wenn dies der Fall ist, setzt ein positiver Übertragungsprozeß ein, der in der psychologischen und pädagogischen Forschung als „Pygmalion-Effekt" (Rosenthal/ Jacobson 1968) bekannt geworden ist und der als ein universeller suggestiv-pädagogischer Grundmechanismus angesehen wird. Die „Suggesto-Pädagogik" Lozanovs basiert damit auf einigen Grundannahmen über das Wesen und die Wirkung der Suggestion, die im folgenden kurz umrissen werden sollen. 1.2 Der Suggestionsbegriff von Lozanov Lozanov hat einen weiten Suggestionsbegriff - Suggestion ist für ihn „ein konstanter kommunikativer Faktor" (Lozanov 1979: 201), der für die Informationsübermittlung positiv genutzt werden kann. Dieser Nutzung stehen nach Lozanov drei antisuggestive Barrieren entgegen: 1. Die kritisch-logische Barriere: Wir sind durch unsere Gesellschaft daran gewöhnt, alle Informationen einer logisch-rationalen Prüfung zu unterziehen. Wenn etwas nicht 'bewiesen' ist, wahren wir eine kritische Distanz. In bezug auf die Suggestopädie selbst bedarf es deshalb einer wissenschaftlichen Fundierung der Methode, um diese Barriere zu überwinden. 2. Die intuitiv-affektive Barriere: Diese Barriere wehrt alles ab, was nicht das Gefühl von Vertrautheit und Sicherheit erweckt, also potentiell alles Neue und Ungewohnte. Sie ist auch verantwortlich für Selbstbeschränkungen bei den Lernern. Um diese Barriere zu überwinden, muß der Lehrer den Lernern Vertrauen und Sicherheit vermitteln. Dies geschieht durch das soziale (verbale und nonverbale) Verhalten des Lehrers, aber auch durch die Entspannungsübungen und die in ihnen übermittelten Bilder, Botschaften und Wünsche. Hierbei geht es vor allem darum, Lernen als etwas Positives zu sehen und die Lerner von negativen Vorstellungen und Versagensängsten zu befreien. 3. Die ethische Barriere: Diese prüft Informationen und Handlungen auf dem Hintergrund der durch das Individuum angeeigneten moralischen und kulturellen Werte und Normen. Diese Barriere kann meiner Meinung nach nicht überwunden werden, sondern sie muß respektiert werden. Die Lehr- und Lernmethode darf nicht in Widerspruch stehen zu den moralischen und kulturellen Werten eines Lerners. FLuL 25 (1996) Die Suggestopädie 109 Durch Berücksichtigung dieser Barrieren kann das lernende Individuum „von der historisch und durch Einzelpersonen geprägten Suggestion von der begrenzten Leistungsfähigkeit des Gedächtnisses" befreit werden (Lozanov 1979: 165) und die Reservekapazitäten des Gedächtnisses nutzen. Lozanov geht also davon aus, daß in nicht-suggestopädischen Unterrichtsformen nur ein Teil der Möglichkeiten des menschlichen Gehirns genutzt wird und daß durch die Suggestopädie die Lernleistungen erheblich verbessert werden können. Die Tatsache, daß in der Suggestopädie mit Verfahren gearbeitet wird, die über unbewußte Wahrnehmung und Speicherung Lerneffekte hervorrufen, und daß der Lerner sich absichtlich in Entspannungszustände versetzt, in denen die rationale Kontrolle der Lernsituation vermieden wird, ruft im Rahmen unserer pädagogischen Traditionen, die das Rationale in den Vordergrund stellen, sofort die kritisch-logische Barriere auf den Plan. Es ist jedoch zu unterscheiden zwischen Suggestionsprozessen, bei welchen der Rezipient, ohne daß er es bemerken soll, zum Dienste fremder Interessen manipuliert wird (wie dies z.B. in der Werbung geschieht), oder ob sich der Lerner freiwillig in einen Lernprozeß begibt. Im übrigen ist eine pädagogische Kommunikation, in der keine suggestiven Prozesse ablaufen, schlechthin undenkbar, wie auch der französische Sprachdidaktiker Galisson (1983) ausdrückt: "[...] ich sehe nicht, wie die Pädagogik (ganz allgemein) ohne Suggestion auskommen könnte, wenn es doch erwiesen ist, daß sie ein grundlegendes Ferment der Interaktion zwischen den Menschen darstellt. Insofern ist sie in der Schule, einem Ort sozialer Gemeinschaft, also einem Ort der Interaktion par exellence, überall vorhanden" (Galisson 1983: 104). Im Zusammenhang mit der Befreiung des Lerners von lernhemmenden Einstellungen spricht Lozanov von einem desuggestiv-suggestiven Vorgang: Desuggestiv ist dieser Vorgang dadurch, daß die durch unsere Erziehung angeeigneten Verhaltensweisen rational-selektiver Informationsverarbeitung, die Zweifel in die eigenen Fähigkeiten und andere negative Vorstellungen abgebaut werden; suggestiv ist dieser Vorgang dadurch, daß an die Stelle dieser lernbehindernden Einstellungen und Normen neue, lernfördernde Einstellungen (Autosuggestionen) treten. Mittel, die die Suggestibilität positiv beeinflussen, sind neben dem Verhalten und den Eigenschaften des Pädagogen v.a. auch die äußere Atmosphäre der Lernsituation (Gestaltung des Raumes), die interpersonale Atmosphäre bei den ersten Begegnungen, die Aufklärung des Lernenden über die Lernmethode, so daß die Wirksamkeit der Methode vom Lernenden nicht. in Frage gestellt wird, und der Glaube des Lehrers selbst an den Erfolg seiner Methode. Für die Anwendung der Suggestopädie ist es deshalb wichtig, diejenigen Komponenten genau zu kennen und zu beherrschen, die den desuggestiv-suggestiven Vorgang bewirken. Lozanov (1977) geht sogar so weit, daß er behauptet, die FLuL 25 (1996) 110 Rupprecht S. Baur Methoden stellten nur einen Placebo-Effekt dar5, was bedeuten würde, daß die Überzeugung des Lerners und des Lehrers von dem Erfolg und der Effektivität des Lernprozesses den Lernerfolg selbst maßgeblich beeinflussen. Um so wichtiger ist deshalb das suggestive Verhalten des Lehrers, der Träger und Übermittler der desuggestiv-suggestiven Prozesse ist. Um diesen suggestopädischen Grundmechanismus auszulösen und in Gang zu halten, muß der Lehrer nach Lozanov (1977) folgende Voraussetzungen erfüllen: 1. Er muß durch sein Verhalten befreiend und aktivierend auf den Lernenden wirken. 2. Er muß schauspielerische und artistische Komponenten in den Unterricht einbringen. 3. Er muß die Fähigkeit zur Schaffung einer emotional harmonischen und prosozialen Atmosphäre besitzen. 4. Er muß nonverbale und sprachbegleitende Elemente der Kommunikation beherrschen und pädagogisch wirksam einsetzen können. Im Rahmen der von ihm entwickelten suggestopädischen Methode der Fremdsprachenvermittlung nützt Lozanov systematisch die suggestiven Wirkungen von Autorität (und Infantilisierung), von begleitender Markierung, von Intonation und Rhythmus, von Musik sowie Ritualisierung. Diese Faktoren wollen wir im folgenden besprechen. 1.3 Autorität und lnfantilisierung Die Grundlagen für die Forderung nach Autorität des Lehrers/ Suggestopäden liegen bei Lozanov in den Erkenntnissen der Wirkung von Autorität in der Arzt-Patient- Kommunikation und v.a. auch in der psychotherapeutischen Kommunikation. "Der Begriff der Autorität, wie er in der Suggestologie gebraucht wird, steht für das nichtdirektive Prestige, das auf indirektem Wege eine Atmosphäre des Vertrauens schafft und den intuitiven Wunsch, dem gegebenen Beispiel zu folgen" (Lozanov 1978: 187). Als wichtigstes Merkmal der Autorität ist die bereits erwähnte berufliche Qualifikation des Suggestopäden anzusehen. Aus ihr leitet sich seine Selbstachtung und sein Selbstbewußtsein ab, die im Zusammenspiel mit seiner eigenen Erfolgserwartung und der Erfolgserwartung der Lerner die suggestive Wirkung der Autorität bedingen. Das Ansehen des Lehrers wird dabei noch potenziert durch die Autorität der „besonderen" Methode, über deren überlegene Resultate die Lerner einführend informiert werden und deren autorisierter Vertreter der Lehrer ist. 5 Der Placebo-Effekt wird bei der ärztlichen Behandlung festgestellt unter Verwendung sog. Leerpräparate, die durch ihre Verpackung und durch Vermittlung des Arztes von echten Medikamenten nicht zu unterscheiden sind. Von einem Placebo-Effekt spricht man dann, wenn das Leerpräparat bei einem Patienten dieselbe oder ähnliche Wirkungen erzielt wie das echte Medikament. FLuL 25 (1996) Die Suggestopädie 111 Zu diesen Merkmalen müssen aber auch die entsprechenden Einstellungen und Verhaltensweisen hinzukommen, wie z.B. Achtung, Hilfsbereitschaft, Wärme und Empathie (Einfühlungsvermögen), die es dem Lerner ermöglichen, Vertrauen zu dem Erzieher aufzubauen und sich von ihm zur Erreichung des gemeinsamen Ziels fördernd beraten und lenken zu lassen sich ihm anzuvertrauen. Die angstfreie Anerkennung der Autorität des Arztes oder Erziehers ruft beim Patienten oder Lerner (oder auch in der Eltern-Kind-Beziehung) Respekt und Vertrauen hervor. Diesen Prozeß nennt Lozanov Infantilisierung. Infantilisierung ist eine universelle Reaktion auf Autorität, die zu Erhöhung der Aufnahmebereitschaft und der Gedächtnisleistung führt, da sie dem Lerner Sicherheit und innere Ruhe gibt und seine Bereitschaft zu spielerischem, kreativem Verhalten weckt. Das Begriffspaar 'Autorität' und 'Infantilisierung', das ja lediglich in der (pädagogischen) Psychologie bekannte Prozesse benennt, hat ebenso wie der Begriff Suggestopädie selbst in den 80er Jahren bei vielen Sprachdidaktikern in der Bundesrepublik Deutschland zu pauschaler Ablehnung der Suggestopädie geführt. Die Ideale eines lernerzentrierten Unterrichts in Verbindung mit der Erziehung zu Emanzipation und zu antiautoritärem Denken schienen mit der Suggestopädie nicht vereinbar zu sein (vgl. z. B. Mans 1981, Krumm 1983, Pricke 1993, Dietrich 1995). Aus heutiger Sicht dürfte die Kritik obsolet sein, da sie sich an dem orientierte, was man an Gefahren zu erkennen meinte, und nicht an der Suggestopädie, wie sie in der Praxis entwickelt wurde. 6 1.4 Begleitende Markierung Das, was wir 'begleitende Markierung' nennen, entspricht bei Lozanov dem Begriff double-planeness, der im Deutschen häufig auch als Lernen auf zwei Ebenen wiedergegeben wird. Gemeint ist damit, daß für die Rezeption eines Wortes nicht nur seine Bedeutung im verbalen Kontext zählt, sondern auch seine Verbindung mit den begleitenden kommunikativen Merkmalen, die vom Kommunikationspartner „gesendet" werden, also den parafinguistischen und nonverbalen Komponenten der Kommunikation (Intonation, Expression, Pausen, Stimme, Gestik, Mimik, Kleidung, Frisur, Blick, Gang, Körperhaltung usw.). Diese unbewußt registrierten Wahrnehmungsobjekte, die die Intensität der Wahrnehmung und Speicherung mitbestimmen, äußern sich besonders deutlich in der Kunst und erklären hier die Wirkung von besonderen Formen, Farben, von Rhythmus, Reimen und Musik. Lozanov empfiehlt deshalb, im größtmöglichen Maße auch Elemente der Kunst in den Unterricht aufzunehmen. Für den Fremdsprachenunterricht ist nach Lozanov die Ausstattung der verbalen Information mit begleitenden Merkmalen besonders wichtig. Denn über die bewußte Anreicherung der verbalen Information mit entsprechenden Begleitmerkmalen kann die Rezeption sprachlichen Materials verstärkt werden. 6 Zu Lozanovs' Versuchen zur Überprüfung der Wirkung von 'Autorität' vgl. Baur (1991: 54). FLuL 25 (1996) 112 Rupprecht S. Baur Den paralinguistischen vokalen Elementen, also den Ausdrucksmöglichkeiten der Stimme, hat Lozanov von Anfang· an große Aufmerksamkeit geschenkt. Dies ist einerseits bedingt durch die Bedeutung, die die Stimme in den verschiedenen psychotherapeutischen Verfahren hat, andererseits auch durch die Wirkung des Elements 'Stimme' in der dramatischen Kunst und im Gesang. Variationen der Lautstärke der Stimme (was Lozanov als Intonation bezeichnet) und Rhythmisierung wurden von Lozanov bis Mitte der siebziger Jahre gemeinsam als eigenes methodisches Teilverfahren bei der zweiten Präsentation des Materials eingesetzt: In dieser Phase wurde das Lernmaterial in festen, unnatürlichen Intonationsfolgen und in festen rhythmischen Intervallen vorgetragen (laut flüsternd neutral). Später wurde dieses Verfahren zugunsten eines pathetisch-getragenen Lesens des Textes unter Anpassung der Stimme an eine emotional-expressive Musik (1. Lernkonzert) aufgegeben. Die Annahme Lozanovs über die Wirkung unterschiedlicher Lautstärken auf die Einprägung dürfte aus der Hypnosetherapie übernommen worden sein. 7 Die formelhafte Zerlegung des sprachlichen Materials in die intonatorischen Dreierblöcke, die Tendenz zur Rhythmisierung und prägnanten Kürze ist bekannt aus dem Autogenen Training, wie es von Schultz (1972) entwickelt wurde. Offensichtlich wollte Lozanov die einprägende Kraft formelhafter Vorsatzbildungen der Autosuggestion auch auf fremdsprachliches Material übertragen. Es fällt aber auf, daß bei einem solchen Verfahren nur noch die äußere Struktur der suggestiv-intonatorischen Technik erhalten bleibt und daß die sonst damit verbundenen spezifischen autosuggestiven Inhalte (Vorsatzbildungen) verlorengehen. Die im Autogenen Training und in anderen Entspannungsmethoden angewendeten Techniken der Vorsatzbildung, der Projektion von Wunschbildern und des Gebrauchs von Metaphern als Mittel der Ich-Stärkung gehören deshalb in den westlichen Varianten der Suggestopädie heute zum festen Bestandteil des suggestopädischen Lernzyklus. Wie Baur (1991: 55 ff) zeigt, gibt es de facto keine Versuche, die eine spezifische Wirkung der intonatorischen Komponente nachgewiesen hätten. Es existieren auch keine Untersuchungen, die den Wechsel des Verfahrens des „intonatorischen Lesens" zugunsten des „musikalischen Lesens" begründen würden. 8 Ein banaler „Grund" scheint darin zu liegen, daß Evelina Gateva seit Mitte der siebziger Jahre eine führende Position als Mitarbeiterin von Lozanov einnahm und seitdem auch die Entwicklung der Suggestopädie maßgeblich mitbestimmt hat. Gateva ist ausgebildete Musikologin und Sängerin und hat dementsprechend das musikalische Element in der Suggestopädie stärker akzentuiert, als dies vorher der Fall war. 7 8 Vgl. dazu auch Langen (1969, 1972). Wir werden darauf in den folgenden Kapiteln noch ausführlicher eingehen. FLuL 25 (1996) Die Suggestopädie 113 1.5 Die Musik Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß durch suggestopädisches Lernen die Reservekapazitäten des Gedächtnisses ausgenutzt werden sollen. Lozanov spricht in diesem Zusammenhang auch von dem Zustand der Pseudopassivität und der suggestopädischen Hypermnesie. Er meint damit, daß auch bei äußerlicher Ruhe und im Zustand der psychophysischen Entspannung das Gehirn aktiv ist, indem es innere Eindrücke weiterverarbeitet, aber auch von außen eindringende Wahrnehmungsobjekte speichert. In diesem Zustand könnten manche Informationen direkter eindringen, da die kritisch-logische Barriere nicht wirksam wird. Diese Gedächtniserweiterung wird nach Lozanov maßgeblich durch die Wirkung von Barockmusik und klassischer Musik in der musikalischen Entspannungsphase unterstützt. Sie schaffe die Voraussetzung für eine optimale psychophysische Entspannung und ermögliche ein intensives Lernen, ohne daß sich die Lerner überfordert fühlten. Diese entspannende Funktion der Musik ist auch aus der Musiktherapie und Heilpädagogik bekannt. Man braucht dazu Musik, die in Lautstärke, Metrum oder Rhythmus relativ gleichmäßig ist. Musik wird dann empfunden als ein angenehmes Sich-Fallen-Lassen in einen Klang, einen Rhythmus, einen musikalischen Verlauf bei gleichzeitigem Abzug des Interesses von der Umwelt und von den in der Auseinandersetzung mit ihr erlebten Konflikten (vgl. Geck 1973). Lozanov hatte Barockmusik und klassische Musik für die Entspannungsphase bestimmt, weil er bei seinen Untersuchungen in Bulgarien feststellte, daß fast bei allen Personen eine Empfänglichkeit für den positiv-emotionalen Charakter dieser Musik nachgewiesen werden konnte. 9 Natürlich ist keineswegs gesagt, daß etwa nur Barockmusik und klassische Musik entspannende Wirkung hervorrufen kann. In der Suggestopädie liegen Erfahrungen mit ganz unterschiedlichen musikalischen Stilrichtungen vor, mit denen die gewünschten Entspannungseffekte erzielt werden können. Entscheidend ist, daß die jeweilige Musik ihrem Charakter nach als harmonisch vertraut, spannungsarm und gleichmäßig empfunden wird, so daß eine von starken emotionalen Spannungen freie ästhetische Wahmehmung erfolgt. Welche Musik den gewünschten Effekt bei der jeweiligen Adressatengruppe hervorbringt, sollte jedoch immer durch einen empirischen Zugang herausgefunden werden. Die musikalische Entspannungsphase wurde in den suggestopädischen Kursen in Bulgarien ausschließlich durch die Anweisung herbeigeführt, sich in den Sesseln zu entspannen 10, sich der klassischen Musik, die von einem Tonträger abgespielt 9 Als Begleitmusik zur Entspannung wurden von Lozanov v.a. Symphonien und Konzerte von Bach, Corelli, Händel, Haydn, Mozart und Vivaldi ausgewählt. 10 Die Sessel gehörten in Bulgarien zur suggestopädischen Standardausrüstung. Das hat zu der irrigen Annahme geführt, die Methode sei an die Ausstattung mit Sesseln - und andere Ausstattungsmerkmale gebunden. Eine Folge davon war, daß in den 80er Jahren in der Bundesrepublik Deutschland im Lizenzverfahren suggestopädische 'Lernstudios' eingerichtet wurden, die bestimmte Einrichtungsstandards einzuhalten hatten. FLuL 25 (1996) 114 Rupprecht S. Baur wurde, hinzugeben und nicht auf den fremdsprachlichen Text zu achten, der dabei rezitiert wird. 11 Die Aussagen darüber, welche psychophysiologischen Zustände und welche neutralen Prozesse in der musikalischen Entspannungsphase bei den einzelnen Lernern tatsächlich ablaufen, sind nur schwer zu verallgemeinern. Wenn von der 'Musik' in der Suggestopädie gesprochen wird, muß in jedem Fall ganz deutlich zwischen der Rolle der Musik beim emotional-expressiven Lesen in dem „aktiven Konzert" (1. Lernkonzert) gegenüber dem normal-intonierten Lesen in der musikalischen Entspannungsphase (passives Konzert, 2. Lernkonzert) unterschieden werden: 1. Beim emotional-expressiven Lesen (1. Lernkonzert) sind Musik und Sprache gleichberechtigt. Dadurch konkurrieren rechtshemisphärische Verarbeitungsprozesse für Musik mit linkshemisphärischen analytischen Verarbeitungsprozessen für Sprache. Wie die einzelnen Lerner reagieren und welche Prozesse und Strategien die Oberhand gewinnen, darüber gibt es bisher kaum Untersuchungen. 2. In der musikalischen Entspannungsphase dagegen (2. Lernkonzert) hat die Musik eine klar definierte Funktion: Die Lerner sollen mit Hilfe der ruhigen und gleichmäßigen Musik in einen Ruhezustand versetzt werden, in dem die psychische Aktivität zur Verarbeitung von Reizen, die von außen an die Wahmehmungsorgane herangetragen werden, maximal herabgesetzt ist. Gleichzeitig soll die Wahmehmung zugunsten einer Konzentration auf emotionales inneres Erleben umgeschaltet werden. In welchem Maße, in welcher Intensität dieser Zustand im Einzelfall erreicht wird, ist nicht genau zu sagen. Wir können jedoch davon ausgehen, daß in dieser Phase bei allen Lernern in der Regel eine relative Absenkung des psychophysischen Erregungsniveaus eingeleitet wird, so daß diese Phase vom einzelnen als beruhigend und entspannend empfunden wird. Die Verminderung der Aktionspotentiale des Gehirns dürfte sich dabei stärker auf die linkshemisphärischen (sprachlich-analytischen) Prozesse auswirken, wenn es gelingt, die bewußte Sprachwahrnehmung zu vermeiden. Bei dieser Form der Darbietung des Textes kann das fremdsprachliche Material in die Nähe unterschwellig wahrgenommener Reize rücken. Der ursprünglich logischanalytisch und bewußt wahrgenommene Text wird nun ein weiteres Mal unbewußt verarbeitet. Die Wirkung der Musik soll dabei zusätzlich mentale Prozesse harmonisieren und das psychophysische Wohlbefinden steigern. In den westlichen Varianten der Suggestopädie wurden in der musikalischen Entspannungsphase in der Regel langsame Sätze klassischer Musikstücke aneinandergereiht (Larghi), um die Entspannung durch die physiologische Anpassung der Körperfunktionen an den musikalischen Rhythmus zu erleichtern. In den östlichen Ländern wurden dagegen nicht nur die langsamen Sätze verwendet, sondern das Musikstück wurde als Ganzes, einschließlich der schnellen Sätze, präsentiert. In den neueren Ausformungen der Suggestopädie in westlichen Ländern wird Musik nicht nur in den Lernkonzerten, sondern vor allem auch für Imaginationsübungen (Phantasiereisen) verwendet. Die evozierten Bilder, Vorstellungen und 11 Für weitere Angaben zur Musik in der Suggestopädie vgl. Baur (1991: 58 ff). FLuL 25 (1996) Die Suggestopädie 115 Emotionen können entweder zur mentalen Entspannung, zur Erfolgsmotivierung oder auch zur Sprachproduktion genutzt werden (vgl. Quast 1994a, b). 2. Varianten der Suggestopädie 2.1 SALT und Superlearning Aufgrund von Recherchen der kanadischen Sprachdidaktikerin Jane Bancroft (1975) verbreitete sich in den USA eine Variante der Suggestopädie, die von Schuster/ Benitez-Bordon/ Gritton (1976) adaptiert und später durch das Buch von Ostrander/ Schroeder (1979) unter dem Namen „Superleaming" bekannt wurde. Sie hat die Entwicklung in den USA und auch in Deutschland nachhaltig beeinflußt. Verbreitet wurde die Lozanov-Methode als Accelerative Learning zunächst durch die Society of Accelerative Learning and Teaching (SALT), die ihren Sitz in Des Moines (Iowa) in den USA hat. 1976 wurde hier von Schuster/ Benitez-Bordon/ Gritton ein Handbuch zum "Suggestive Accelerated Leaming and Teaching" sowie das SALT-Journal veröffentlicht, in dem über Unterrichtserfahrungen mit der Suggestopädie und empirische Untersuchungen berichtet wurde. Die SALT-Adaptation der Suggestopädie (1976) besteht aus einer Vorbereitungsphase, zwei Präsentationsphasen und einer Übungsphase. Die Vorbereitungsphase enthält folgende Techniken: 1. Entspannungsübungen mit Vorsatzbildungen; 2. Innere Beruhigung durch Erinnerung an etwas Schönes und Angenehmes; 3. Erinnerung an ein positives Lernerlebnis; 4. Atmen im Takt. Nach dieser Vorbereitung folgt die J. Präsentationsphase. Sie ist gestaltet nach den Prinzipien der Darbietung beim intonatorischen Lesen, also nach dem Schema: laut leise normal. Die 2. Präsentationsphase wird wieder eingeleitet mit Übungen zum rhythmischen Atmen. Dabei wird angestrebt, den Atemrhythmus, den Rhythmus der Musik und den Rhythmus der Präsentation von sprachlichen Einheiten (bei SALT einzelne Vokabeln mit Übersetzung) miteinander zu synchronisieren. Das sollte folgendermaßen geschehen: Man atmet 2 Takte (etwa 2 Sekunden) ein, hält die Luft 4 Takte an und atinet dann 2 Sekunden aus. In die 4 Sekunden Atempause wird die zu lernende Information hineingesprochen in der Regel eine Vokabel und ihre Übersetzung. In der nächsten Sitzung (in der Regel am folgenden Tag) werden Übungen zur Festigung des Lernstoffs durchgeführt (Microdialoge und vorbereitete Rollenspiele). Gestützt auf einige Lernexperimente, die im SALT-Journal veröffentlicht wurden, behaupteten die SALT-Pädagogen, empirische Belege für die Verbesserung der Lernleistung durch SALT erhalten zu haben. Wir stellen diese Untersuchungen nicht dar, da sie offensichtlich Artefakte sind. Eine sehr sorgfältig durchgeführte Untersuchung von Wagner/ Tilney (1983) kam zu dem gegenteiligen Ergebnis, nämlich daß das rhythmische Atmen die Lernleistung beeinträchtigt. Auch Schiffler (1989) zeigt, daß die Technik nicht anwendbar ist. - Nachdem SALT rhythmisches Atmen ursprünglich zum Kernelement der Methode erklärt hatte, ist die Anleitung dazu FLuL 25 (1996) 116 Rupprecht S. Baur allerdings in der Neuauflage des SALT-Handbuchs von Schuster/ Gritton (1986) sang- und klanglos verschwunden. Man sieht also, was wissenschaftlich von dieser Gesellschaft zu erwarten ist. Der Begriff „ Superlearning" ist eine Erfindung der amerikanischen Journalistinnen Sheila Ostrander und Lynn Schroeder, die 1979 mit dem gleichnamigen Buch, das zu einem weltweiten Bestseller wurde, die Suggestopädie vermarkteten. Die Umbenennung der Suggestopädie in dieser Publikation in „Superleaming" und die Übernahme dieses Titels in die erste deutsche Übersetzung (1979) haben dazu geführt, daß auch deutsche Sprachenschulen, Management-Institute und Verlage diese Bezeichnung ihrerseits übernahmen, um sich an den Erfolg des Bestsellers anzuhängen. Da das Buch eine sensationslüsterne Aufbereitung von Fakten und Halbwahrheiten aus den verschiedensten Wissensbereichen ist und sich dabei hauptsächlich auf Lozanovs Forschungen beruft, hat es dem Ansehen der Suggestopädie geschadet und für viele eine ernsthafte Beschäftigung mit der Suggestopädie verhindert. Im „Superleaming" nach Ostrander/ Schroeder (Kapitel 7, S. 95 ff) werden die Lernschritte von SALT für ein Super-Lernprogramm übernommen, aber um die Übungsphase gekürzt und zu einem Selbstlern-Kassettenprogramm gemacht. Jeder sollte sich nach den Anweisungen des Buches sein Super-Lernprogramm selber basteln! Es bleiben also eine Vorbereitungsphase mit Entspannung und Atmung, eine erste Präsentationsphase mit rhythmischem Atmen und stillem Mitlesen und eine zweite Präsentation mit rhythmischem Atmen, Entspannung und Musik. Auf der Grundlage dieser Empfehlungen wurden zahlreiche kommerzielle Superleaming-Kassettenprogamme hergestellt und als lehrerunabhängiges Selbstlernmaterial verkauft. Solches Selbstlernmaterial bildete in Sprachinstituten aber auch häufig die Grundlage für lehrergesteuerten Unterricht. Uns sind Fälle bekannt, wo (verhältnismäßig teure) Superleaming-Kurse als Wochenend-Intensivkurse angeboten wurden, zu denen ein 'Superleaming-Spezialist' kam, dessen Funktion darin bestand, die mitgebrachten Kassetten des Sprachkurses einzulegen und auszutauschen. Neben diesen schnell auf den Markt geworfenen Kassettenkursen, die durch ihre unrealistischen Versprechungen ein breites Publikum zum Kauf verführten, hat die Superlearning-Technik auch zahllose Lerner in die Irre geführt, die sich die Programme selbst herstellen wollten. Sie übten mit einem „Super-Lernsystem", das so, wie es von den amerikanischen Journalistinnen beschrieben und empfohlen wurde, jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehrt und natürlich auch nicht funktionierte. - Erst in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre hat in der Bundesrepublik unter dem Eindruck des Versagens der amerikanischen Superlearning-Techniken eine Hinwendung zu den ursprünglichen suggestopädischen Prinzipien eingesetzt. 2.2 Der ACT-Ansatz und die Psychopädie Lynn Dhority (1984, deutsch 1986) nennt seine Variante "Acquisition through Creative Teaching" (ACT). Im Aufbau der Lehr- und Lernphasen hält er sich an FLuL 25 (1996) Die Suggestopädie 117 die von Lozanov vorgegebene Abfolge; er fügt jedoch aus Kenntnis der aktuellen Entwicklungen in der Pädagogik und Psychologie in den USA Elemente hinzu, die auch die Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland beeinflußt haben. Lozanov folgend sieht er den Lehrer als „aktiven und mächtigen Träger von Suggestion" (1986: 64) und möchte die Suggestion nutzen, um den Schülern dabei zu helfen, "ihre einengenden Selbstkonzepte, Werturteile und Ängste zu überwinden" (1986: 61). Er gibt eine Reihe nützlicher Hinweise zur praktischen Umsetzung von Suggestionstechniken. Wenn in dieser Hinsicht noch Ähnlichkeiten mit SALT bestehen, so unterscheidet sich Dhority jedoch vor allem durch seine Auffassung vom Sprachlernprozeß als einem aktiven Prozeß. Im Gegensatz zu SALT, wo Vokabellernen als Sprachlernen angesehen wurde, legt Dhority großen Wert auf die Übungs- und Aktivierungstechniken, um sicherzustellen, daß durch entsprechende Aktivitäten die Kommunikationsfähigkeit in der Fremdsprache entwickelt wird. Zu diesem Zweck integriert er auch wie bereits Krashenfferell (1983), auf die er sich bei der Definition seiner kommunikativen Ziele beruft (1986: 125) den "Total Physical Response" (TPR) als Vermittlungsverfahren in seinen Unterricht. Dhority überprüfte in seinen Kursen auch, ob Kommunikationsfähigkeit erreicht wurde, indem er Tests zum Hörverständnis, Sprechen und Leseverständnis durchführte (1986: 159 ff). Dhority hat aber vor allem aus einem anderen Grunde die Entwicklung der Suggestopädie in der Bundesrepublik Deutschland beeinflußt: Als erster hat er die Techniken des Neuro-Linguistischen Programmierens (NLP) 12 als Teil der Suggestopädie vorgestellt. Baur (1984) kritisiert, daß der Suggestopädie in den Input-Phasen von Lozanov das aktive Element der Kommunikation fehlt: Kommunikativer Input wird nicht dadurch erreicht, daß man einen Text liest und sich danach entspannt, sondern dadurch, daß man ihn wie in der natürlichen Face-to-Face-Kommunikation mit allen Sinnen wahrnimmt und daß durch die Art des Input ein Interesse des Lerners an dem Sprachlernmaterial erzeugt wird. Angeregt durch die Auseinandersetzung mit der russischen Suggestopädie (vgl. Kitajgorodskaja 1986), schlägt Baur (1991) in seiner psychopädischen Variante der Suggestopädie (Psychopädie) vier Inputphasen vor, wobei die ersten beiden Präsentationsphasen wesentliche Veränderungen gegenüber den Phasen darstellen, wie sie sonst in der Suggestopädie praktiziert werden. Baur plädiert dafür, die erste und zweite Inputphase kommunikativ, handlungsorientiert und bewegungsintensiv zu gestalten, damit die verschiedenen Verarbeitungs- und Kodiersysteme (auditiv, visuell, kinästhetisch, emotional) maximal aktiviert werden (vgl. Baur/ Grzybek 1984a, b). Erst nachdem der Text kommunikativ und interaktiv aufgenommen wurde, soll er analytisch (Hören/ Lesen) und assoziativ (musikalische Phase) wiederholt und gefestigt werden. 12 Vgl. unten Abschnitt 5 (S. 131 ff) sowie den Beitrag von M. Hager in diesem Band [E.Z.]. FLuL 25 (1996) 118 Rupprecht S. Baur Die erste Präsentation des Materials in der Einführungsphase soll das Interesse des Lerners auf den Text und die dargebotenen sprachlichen Situationen lenken und ihm eine globale Vorstellung von den Textinhalten vermitteln. Der Lehrer steht in dieser Phase im Mittelpunkt. Er stellt den neuen Text vor, indem er die Texthandlungen nonverbal in vielfältiger Weise begleitet. Der Text wird dabei in überschaubaren Syntagmen zielsprachig und anschließend mehr beiläufig in der Übersetzung dargeboten. Der Lehrer bezieht die Teilnehmer durch Zuwendung (Bewegungen, Blickkontakt, Körperkontakt) in das Geschehen mit ein, die Teilnehmer bleiben aber in dieser Phase noch rezeptiv, um das Neue und Unbekannte aufnehmen zu können. Kinesik, Gestik und Mimik des Lehrers dienen nicht der Semantisierung des Textes er wird ja zweisprachig dargeboten sondern (a) der Aktivierung des Interesses der Lerner (durch eine lebendige Einführung) und (b) der Ausstattung des Textes mit einer Fülle von situativen Merkmalen, die über verschiedene Wahrnehmungskanäle als sekundäre Assoziationen (Anker) gespeichert werden und so das Behalten und Abrufen des Textes erleichtern. Es geht also um die assoziative, lebendige Ausstattung des Textes mit Elementen, die in der Face-to-Face-Kommunikation wirksam sind, wie das bereits oben angedeutet wurde. Die vom Lehrer gewählte Ausstattung des Textes mit nonverbalen und paraverbalen Elementen dient in der Reproduktionsphase als Modell, das dem Lerner die Wiederholung des Textes erleichtert (Ankerfunktion). Diese Erleichterung beruht dabei auch auf Faktoren, die mit der Funktion von Gestik im Spracherwerb zusammenhängen. Die Einführungsphase intensiviert dabei zunächst die Fremdwahrnehmung. In den empirischen Untersuchungen von Baur/ Grzybek (1984a, b; 1985) zeigte sich, daß bereits diese Art der Textpräsentation einen positiven Effekt auf die Behaltensleistung ausübt. Der Lehrer muß sich auf die Phase der Texteinführung sehr gründlich vorbereiten, um die verschiedenen Wahrnehmungskanäle bewußt anzusprechen und um die verwendeten verbalen und nonverbalen Elemente in der Reproduktionsphase systematisch wieder aufnehmen zu können. In der zweiten Präsentation, der Reproduktionsphase, spielen die Lerner den Text unter Anleitung des Lehrers nach. Dabei bietet der Lehrer in der Regel zunächst das phonetische und artikulatorische Modell dar, das dann in die aus der Einführungsphase bekannten begleitenden parasprachlichen und nonverbalen Elemente „eingekleidet" wird. Diese nonverbalen Elemente sind mit dem Rhythmus und der Melodie der Wörter, Phrasen und Sätze synchronisiert und unterstützen die motorische, aktualgenetische Seite der Sprachproduktion. Gleichzeitig verbessert die körperlich-motorische Aktivität die Bereitschaft zur Imitation, die durch kognitivanalytische Vorgehensweisen gehemmt oder sogar blockiert werden kann. Auch werden ganz gezielt verschiedene Sinne, verschiedene Wahrnehmungskanäle und damit auch verschiedene Lerntypen angesprochen. Die Reproduktionsphase ist für Baur eine für den Verlauf und die Intensität des Unterrichts entscheidende Phase. Die Lerner sollen in der Reproduktionsphase FLuL 25 (1996) Die Suggestopädie 119 mit dem Text so vertraut werden, daß ihnen Textteile, die in späteren Übungsphasen aufgenommen werden, bekannt erscheinen, ihre Sprechangst verlieren und die Erfahrung machen, daß es Spaß macht, in der fremden Sprache bzw. mit diesem Text zu agieren, ihre spielerisch-kreative Phantasie entfalten können, durch die Hereinnahme körperlicher Aktivitäten 13 m den Sprachaneignungsprozeß eine passive Haltung überwinden. 2.3 Grundlegende Prinzipien der Suggestopädie Wir wollen im folgenden kurz zusammenfassen, welche methodische Prinzipien in den auf Entwicklung der Sprechfähigkeit ausgerichteten Varianten der Suggestopädie beachtet werden: 1. Aufbau einer angstfreien Lernatmosphäre Sie soll hergestellt werden durch entsprechendes Lehrerverhalten, durch Entspannung und spielerisches Lernen. Ein wichtiges Verfahren ist dabei auch der sog. 'Identitätswechsel' (Rollenvergabe) zu Beginn eines suggestopädischen Kurses. 2. Einbeziehen emotionaler Potentiale Dies geschieht durch Wahl der Textinhalte, aber auch durch die Art der künstlerischen Präsentation der Texte. Weitere Elemente, die emotionale Potentiale ansprechen, sind die Musik, die Inhalte der Entspannung (Phantasiereisen), aber auch die Übungsformen und die partnerschaftliche Zusammenarbeit in den Lerngruppen. 3. Zusammenwirken bewußter und unbewußter Wahrnehmung Konzentration und Entspannung, aktive und passive Phasen wechseln ab. Dabei sollen möglichst auch der biologische Rhythmus und die psychophysischen Bedürfnisse der Lerner beachtet werden. Das Zusammenwirken entsteht auch durch die bewußte Gestaltung einer zweiten Lernebene über paralinguistische und extraverbale Begleitmerkmale, die in den Präsentationsphasen, in den Übungen, in der Gestaltung des Raumes (Lernposter), aber auch im Lehrerverhalten generell zum Ausdruck kommen. 4. Ritualisierung des Unterrichts Durch eine bestimmte Abfolge und Gestaltung der Phasen, insbesondere der Präsentationsphasen, wird die Erwartung der Lerner erfüllt. Das Ritual ist ein ldentifizierungsmerkmal, das gleichzeitig Vertrauen und Erwartungen hervorruft. Die Durchbrechung des Rituals wird dadurch auch in den Rang einer besonderen Handlung erhoben. 5. Einsatz von Musik und Entspannung Diese Elemente gehören zu den 'Erkennungszeichen' der Suggestopädie. Sie fließen z. T. auch als Teilkomponenten in andere methodische Prinzipien ein. 6. Vergrößerung des Input Der Lernstoff ist umfangreicher als in anderen Methoden, und es werden in der Regel auch mehr lexikalische Einheiten pro Lektion eingeführt als in anderen Methoden. Dieser größere Umfang 13 Körperliche Aktivierung meint die systematische Integration nonverbaler Elemente. Diese Aktivierung verursacht eine Vielfalt von positiven Effekten (vgl. Baur/ Grzybek 1985a). FLuL 25 (1996) 120 Rupprecht S. Baur an Lernmaterial scheint, wie in ungesteuerten (natürlichen) Lernprozessen, den Lernerfolg positiv zu beeinflussen. 7. Lernergerechte Mehrfachkodierung des Lernstoffes Mehrfachkodierung des Lernstoffs war von jeher ein Grundprinzip der Suggestopädie. Die Aufmerksamkeit für verschiedene Darbietungsformen wurde durch das NLP geschärft. 8. Zweisprachigkeit Lernmaterial, Lehrervortrag, Grammatik, Anweisungen usw. werden, wenn es lernfördernd erscheint, zielsprachig und mit Übersetzung dargeboten. Die Suggestopädie befindet sich hier im Einklang mit den Aussagen der 'aufgeklärten Einsprachigkeit' (vgl. Butzkamm 1973). 9. Indirekte Fehlerkorrektur Lerner sollen nie vor der Gruppe bloßgestellt werden, deshalb werden Techniken der indirekten Fehlerkorrektur empfohlen. 10. Beiläufiges Lernen Die Konzentration der Lerner liegt häufig auf zielgerichteten Handlungen oder Spielen, bei denen das Lernmaterial selbst nicht im Vordergrund steht, also beiläufig gelernt wird. Dasselbe Prinzip beiläufigen Lernens wird angewendet, wenn Texte in der Entspannung dargeboten werden oder auch wenn Tafeln und Poster mit grammatischen Informationen im Klassenraum aufgehängt werden, die als periphere Stimuli unwillkürlich aufgenommen werden. 14 3. Empirische Untersuchungen zur Suggestopädie Empirische Untersuchungen zur Suggestopädie, die wissenschaftlicher Prüfung standhalten, sind gemessen an den vielen Publikationen, die es inzwischen zur Suggestopädie gibt selten. Schon die Untersuchungen von Lozanov selbst halten kritischer Prüfung nicht stand (vgl. die Kritik bei Scovel 1988, Schiffler 1989, Baur 1991). Nur einige Untersuchungen, die bis heute Gültigkeit beanspruchen können und die für die Suggestopädie einen wichtigen Erkenntniszuwachs gebracht haben, sollen im folgenden angesprochen werden. 3.1 Russische Untersuchungen Um einen Überblick über Vorteile oder Nachteile der suggestopädischen Methode im Vergleich zu der damals in der Sowjetunion vorherrschenden „bewußt-praktischen Methode" zu bekommen 15, wurde am Moskauer Fremdspracheninstitut 1974 ein sehr sorgfältig vorbereiteter vergleichender Unterrichtsversuch durchgeführt 14 Vgl. auch Schiffler (1989: 69 ff), der die Merkmale der suggestopädischen Methoden noch weiter ausdifferenziert. 15 Zur bewußt-praktischen Methode vgl. Beljaev (1963) sowie Baur et al. (1980) und Baur (1981). FLuL 25 (1996) Die Suggestopädie 121 (Kitajgorodskaja/ Majorova 1977). 16 Ziel des Experimentes, das vom 7. Oktober bis 26. Dezember 1974 in Moskau stattfand, war es, das Aneignungsniveau für folgende Kenntnisse und Fertigkeiten zu überprüfen: (1) die Kenntnis der Lexik (bei einem Stoff von 2000 LE); (2) grammatische Kenntnisse (bezogen auf die Grundgrammatik); (3) das Leseverständnis; (4) das Hörverständnis; (5) die situative Sprechfertigkeit unter Berücksichtigung der Reaktionszeit (auf einen verbalen Stimulus), des Redetempos, des Wortschatzes, des Gebrauchs von Wörtern und Strukturen und der Fehler (prozentual zu den Redeeinheiten). Die traditionellen Kontrollgruppen konnten nur die Hälfte des Lernpensums absolvieren. Die Abschlußtests bezogen sich deshalb nur auf diesen Teil des Stoffes. Die Testergebnisse sprachen trotzdem in allen Bereichen klar für die Überlegenheit der suggestopädischen Methode v.a. im wichtigsten Testteil, der durch einen Stimulus provozierten mündlichen Rede, wurde nicht nur mehr Rede produziert, sondern diese Rede war sogar grammatisch korrekter als bei den Vergleichsgruppen. Dies, obwohl eine erhöhte Fehlerquote auch aufgrund des größeren Umfangs an Lernstoff in den suggestopädischen Gruppen zu erwarten gewesen wäre. Die Überlegenheit der suggestopädischen Gruppen beim Verstehen und bei der Sprachproduktion war ein wichtiger Beleg dafür, daß vergrößerter Input sich auch im gesteuerten Spracherwerb positiv auswirkt (vgl. Krashen 1985). Zu ähnlich positiven Ergebnissen kam man auch bei vergleichenden Unterrichtsversuchen mit regulären Studenten der Philologie am Moskauer Pädagogischen Lenin-Institut, über die Smirnova (1975) berichtet. Von 1972 bis 1975 liefen dort experimentelle suggestopädische Kurse über zwei Monate, wobei die suggestopädischen Experimentalgruppen in dem Vergleichszeitraum sich mehr als das Doppelte an Lernstoff aneigneten. Die Behaltensleistung lag bei zwölf Kursen im Durchschnitt über 90%, die allerdings als Herübersetzung abgetestet wurden. Die Vergleichstests mit den traditionellen Gruppen bezogen sich dagegen auch auf die mündliche Ausdrucksfähigkeit, die trotz des doppelten Umfangs an Lexik und Grammatik bei den suggestopädischen Gruppen bei der Sprechgeschwindigkeit und in der grammatischen Korrektheit der Äußerungen eine deutliche Überlegenheit der suggestopädischen Gruppen zeigte. Hochsignifikant überlegen waren die suggestopädischen Gruppen bei Smirnova auch im Hörverstehen und Leseverstehen, unterlegen waren sie allein in der Ortho- 16 Als Unterrichtsmaterialien wurden für die suggestopädischen Gruppen Kurse zugrunde gelegt, die in Bulgarien entwickelt und von den sowjetischen Versuchsleiterinnen etwas verändert worden waren. Für die nach der bewußt-praktischen Methode unterrichteten Gruppen (die wir im folgenden auch als „traditionelle" bezeichnen werden) wurde für das Englische ein Lehrwerk von LAPIDUS und NESUCHIN, für das Französische ein Lehrbuch von VENIERI verwendet. Es handelt sich dabei um multimediale Kurse, die speziell für die Umsetzung der bewußt-praktischen Methode am Moskauer Pädagogischen Fremdspracheninstitut erstellt wurden. FLuL 25 (1996) 122 Rupprecht S. Baur graphie (Diktat), da sie die Übungsform des Diktats im Unterricht nicht praktiziert hatten. 3.2 Das kanadische Experiment In den Jahren 1973 und 1974 wurde in Kanada suggestopädischer Versuchsunterricht unter kontrollierten Bedingungen durchgeführt, nachdem sich die Organisatoren des Lernexperiments in Sofia über die Suggestopädie informiert hatten. In den experimentellen Kursen wurde die von Lozanov entwickelte Variante der Suggestopädie genau befolgt, und es wurden suggestopädische Kurse für das Französische und das Englische entwickelt, die sich eng an das bulgarische Vorbild (Kursstufe I) anlehnten. Als Resultat eines ersten einmonatigen Intensivunterrichts mit Lernern, die bereits über Vorkenntnisse im Englischen und Französischen verfügten, stellten die kanadischen Versuchsleiter fest: Die Lerner verloren ihre sprachlichen Hemmungen und aktivierten im Laufe des Kurses ihre passiven Vorkenntnisse. Die schwächsten Lerner (Eingangsniveau) machten die relativ größten Lernfortschritte. Die Heterogenität der Lerngruppe wirkte sich auf den Unterrichts- und Lernprozeß nicht hemmend aus. Die Lerner gewannen eine positive Einstellung zu der suggestopädischen Methode und fühlten sich in der Lernsituation wohl und entspannt. Die positiven, aber im Vergleich zu den von Lozanov in Bulgarien erzielten gar nicht spektakulären Ergebnisse ermutigten die Kanadier, einen weiteren Unterrichtsversuch durchzuführen. Diesmal wurde zu einer suggestopädischen Experimentalgruppe (Französisch) eine Kontrollgruppe eingerichtet und die Ergebnisse des einmonatigen Unterrichts mit standardisierten Tests überprüft. Wieder waren die Ergebnisse gemessen an den in Bulgarien erweckten Erwartungen eher bescheiden: 1. Nach einem Test, der das Hörverständnis und die mündliche Ausdrucksfähigkeit im Multiple-choice-Verfahren überprüfte, ergab sich kein Unterschied zwischen der Experimental- und der Kontrollgruppe. 2. In speziellen Untertests, in denen die anwendungsbezogene Kommunikation überprüft wurde, ergaben sich deutliche Vorteile für die suggestopädische Gruppe. 3. Entgegen der Erfahrung, daß ältere Lerner in der Regel weniger gute Lernfortschritte machen als jüngere, stellte man in der suggestopädischen Gruppe keine wesentlichen altersabhängigen Lernunterschiede fest. 4. Die im ersten Lernversuch konstatierten positiven Effekte bezüglich des Lern- und Gruppenklimas konnten wieder bestätigt werden. FLuL 25 (1996) Die Suggestopädie 123 Der Ruf der Suggestopädie als Methode, mit der streßfreies Lernen möglich ist und mit der Sprechhemmungen überwunden werden können, wurde durch die kanadischen Untersuchungen bestätigt. Der Ruf der Suggestopädie als einer Wundermethode, die alle Lerngesetze außer Kraft setzt, wurde durch die kanadischen Ergebnisse eher widerlegt. Erstaunlicherweise wurden die Resultate des kanadischen Experiments, die den Mythos der Suggestopädie ja schon vor geraumer Zeit entschleierten, bei der Rezeption der Suggestopädie in der Bundesrepublik kaum zur Kenntnis genommen.17 Schuld daran ist die Tatsache, daß die Suggestopädie in die Bundesrepublik hauptsächlich über die einerseits unkritische, andererseits simplifizierende amerikanische Variante des SALT und des „Superlearning" importiert wurde, die wir oben schon charakterisiert haben. 3.3 Untersuchungen in der Bundesrepublik Empirische Untersuchungen zur Suggestopädie in der Bundesrepublik, die einen wissenschaftlichen Wert haben, sind bisher selten. Die uns bekannten Untersuchungen und Berichte aus der Praxis sind allerdings durchweg positiv. Baur (1982) untersuchte als erster die Auswirkung von Entspannung und Musik auf die Behaltensleistung für fremdsprachliches Material. Er konnte nachweisen, daß die Behaltensleistung bei der Präsentation mit Musik statistisch signifikant besser war, daß also die Musik eine eigenständige positive Auswirkung auf den Lernprozeß ausübt, die allein durch Entspannung nicht erreicht wird. Dieser Frage ging auch Schiffler nach. In den beiden wichtigsten von insgesamt fünf Untersuchungen überprüfte Schiffler (1989) den Einfluß von Musik auf die Lernleistung von erwachsenen Lernern des Französischen (Studenten). Er bildete zunächst je zwei Gruppen leistungsschwächerer und -stärkerer Schüler, von denen jeweils eine Gruppe mit Unterstützung von Musik in bestimmten Phasen des Unterrichts lernte, während die andere Gruppe (Kontrollgruppe) in diesen Phasen denselben Text audiolingual oder audiovisuell dargeboten bekam. Der Unterricht umfaßte 56 Unterrichtsstunden und wurde als Intensivkurs über 3 Wochen erteilt. In einem zweiten Experiment wurde derselbe Lernstoff in einem Extensivkurs jeweils an zwei Unterrichtstagen zwei Unterrichtsstunden lang über 3 1/ 2 Monate erteilt. Die Gesamtunterrichtsstundenzahl betrug eb~nfalls 56 Stunden. Den Einfluß der Variable „Lehrer" schaltete Schiffler dadurch aus, daß er einen Lehrerwechsel inszenierte, d.h., alle vier Lehrerinnen unterrichteten in jeder Gruppe gleich lang. 17 Eine Ausnahme bildet Schiffler in seinen Publikationen zur Suggestopädie. FLuL 25 (1996) 124 schwache Gruppe 1 starke Gruppe 2 schwache Gruppe 1 mit Musik mit Musik mit Musik Intensivkurs Intensivkurs Extensivkurs Test 1 Wortschatz Test 1 Strukturen Test 2 Wortschatz Test 2 Strukturen s C-Test ss Her-Übersetzung Hin-Übersetzung ss s Münd! . Kommun. ss Tab. 1 (vgl. Schiffler 1989, Tab. 3, 4, 8, 9) ► Legende: s = signifikant auf dem Niveau p < 0,05 ss = sehr signifikant auf dem Niveau p < 0,01 Rupprecht S. Baur starke Gruppe 2 mit Musik Extensivkurs Die vorstehende Tabelle faßt die Ergebnisse aus den beiden Experimenten zusammen. 18 Sie zeigt, in welchen Fertigkeitsbereichen die suggestopädischen Gruppen, die mit Musik unterrichtet wurden, den Kontrollgruppen statistisch signifikant überlegen waren. Es überrascht, daß die Gruppen, die mit Musik unterrichtet wurden, den ohne Musik unterrichteten Gruppen nur in wenigen Fertigkeitsbereichen signifikant überlegen waren. Es erstaunt weiterhin, daß sich die besseren Ergebnisse in den verschiedenen Gruppen auf ganz unterschiedliche Leistungsbereiche beziehen. Nach allem, was aus früheren Untersuchungen über die Effektivität suggestopädischen Unterrichts bekannt war, hätte man bessere Leistungen der suggestopädischen Gruppen in Wortschatz, Strukturen und mündlicher Kommunikation erwarten dürfen. Daß bei Schiffler in diesen Bereichen keine Überlegenheit der suggestopädischen Gruppen in Erscheinung tritt, liegt sicherlich daran, daß die von Schiffler vorgenommene Konkretisierung der Suggestopädie von den Standards eines zeitgemäßen (suggestopädischen) Fremdsprachenunterrichts weit entfernt ist. Anstelle kreativer mündlicher Arbeits- und Interaktionsformen ist sein Unterricht durch monotone Übungsformen geprägt. Die von Schiffler festgelegte Unterrichtsstruktur beginnt mit dem ersten Lernkonzert, bei dem der Lehrer den Text in Anpassung an ein lebhaftes klassisches Musikstück vorträgt. In der zweiten Phase folgen die Erläuterungen zum Text und zur Grammatik. Die dritte Phase ist eine Einprägungs- und Übungsphase mit 18 Unterschiede zwischen den Gruppen auf dem Niveau statistisch nicht signifikanter Tendenzen wurden von uns nicht in die Übersicht aufgenommen. FLuL 25 (1996) Die Suggestopädie 125 Übersetzungs-Partnerübungen. Den Abschluß einer Texteinführung bildet als vierte Phase das zweite, entspannende Lernkonzert. Auf die Textpräsentation folgen an den nächsten Tagen wieder Übersetzungsübungen, schriftliche Kontrollübungen und 'Rollenspiele'. Der Unterricht ist also weitgehend durch Partner-Übersetzungsübungen geprägt. 'Rollenspiele' sind in diesem Unterricht vor allem als partnerweises Rezitieren der auswendig gelernten Dialogstrukturen zu verstehen. Eine weitere Einschränkung der Gültigkeit der Untersuchungen von Schiffler ist durch die Tatsache bedingt, daß er mit Lehrerinnen gearbeitet hat, die keine suggestopädische Ausbildung genossen und keine Erfahrung mit suggestopädischem Unterricht hatten. Sie waren lediglich in Form einer „Intensivausbildung" (Schiffler 1989: 89) von 35 Stunden kurz vor Beginn des Unterrichtsversuchs vorbereitet worden. Wenn man bedenkt, daß eine Grundausbildung in Suggestopädie sonst ca. 150 Stunden umfaßt 19 und daß die Lehrer/ -innen auch nach einer solchen Grundausbildung noch einen erheblichen Trainingsbedarf haben, bevor sie sich in der Anwendung suggestopädischer Unterrichtstechniken sicher fühlen, kann man sich von den suggestopädischen Fähigkeiten der Lehrerinnen in Schifflers Untersuchungen eine Vorstellung machen. Schiffler hat genau genommen in seinen Untersuchungen nicht die Suggestopädie mit einer anderen Methode verglichen, sondern lediglich den Effekt der Variable „Musik" in einem Unterricht überprüft, der ansonsten völlig gleich strukturiert war. So läßt sich aus Schifflers Untersuchung eine andere, ebenso spektakuläre und für die Suggestopädie ebenfalls nicht unwichtige Schlußfolgerung ziehen: Der Einsatz von vorklassischer und klassischer Musik in bestimmten Phasen des fremdsprachlichen Lernprozesses wirkt sich auf keinen Fall negativ auf die Lernleistung und positiv auf die Befindlichkeit der Lerner aus. Die suggestopädischen musikalischen Phasen sind also, lernökonomisch gesehen, durchaus effektiv. Dabei bemerkt Schiffler zusätzlich, daß die Lernleistung insgesamt von ihm nicht als außergewöhnlich angesehen wird und daß es bei den Lernern große individuelle Unterschiede gab. Die anderen drei in dem Buch vorgestellten Untersuchungen Schifflers haben gegenüber den obengenannten eher peripheren Charakter. Schiffler zeigt, daß sich die Stärkung der Lehrer-Schüler-Beziehung durch Vermeidung von Lehrerwechsel positiv auf den Lernerfolg auswirkt (3. Untersuchung), daß die Einhaltung des Atemrhythmus in Kombination mit Barockmusik bei der Darbietung sprachlicher Informationen, wie es vom Superleaming empfohlen wird, keine Leistungssteigerung bewirkt (4. Untersuchung) und daß sich der Einschub suggestopädischer Intensivkursphasen auch im schulischen Kontext bewährt und insbesondere eine Verstärkung der Lernmotivation hervorruft (5. Untersuchung). 19 So etwa eine von uns konzipierte Ausbildung (vgl. Abschn. 6). FLuL 25 (1996) 126 Rupprecht S. Baur Gerade die Ergebnisse der letzten Untersuchung dürften Fremdsprachenlehrer und -methodiker am wenigsten überraschen. Gut vorbereitete Sprachintensivkurse, noch dazu von Lehrerinnen unterrichtet, die eine neue Methode vertreten und darauf achten, daß eine lockere, angstfreie Lernatmosphäre entsteht, werden in solchen Intensivkursphasen immer positive Resultate erzielen wahrscheinlich auch dann, wenn sie ohne die Unterstützung von Musik abgehalten werden. Schiffler hat in aufwendigen Versuchen - und das bleibt sein Verdienst einige Variablen suggestopädischen Unterrichts empirisch überprüft; eine „Weiterentwicklung der Suggestopädie für Schule und Erwachsenenbildung" oder eine Evaluation der Suggestopädie, die er selbst für sich in Anspruch nimmt, hat er dagegen keineswegs geleistet. Mit der Dissertation von Holtwisch (1990) liegt erstmals eine empirische Arbeit vor, die suggestopädischen Fremdsprachenunterricht unter normalen schulischen Bedingungen über einen längeren Zeitraum (9 Monate) im Englischunterricht der Sek. I (Klassenstufe 7/ 8 eines Gymnasiums) überprüft. Der Stoffplan und die Leistungsüberprüfungen (Tests) der suggestopädischen Experimentklasse (n = 28) wurden mit einer herkömmlich unterrichteten Kontrollklasse (n = 24) parallelisiert. Merkmale des suggestopädischen Unterrichts waren: (1) lebendige mündlichsprachliche Einführung in den neuen Lektionstext, (2) Lesen des Textes in Anpassung an eine klassische Musik, (3) mentale Entspannung und Hören des Textes auf dem Hintergrund einer beruhigenden Musik, (4) dramatisierendes Lesen und Spielen des Textes, (5) Aktivierung durch Rollenspiele, Interviews und Sketche. Holtwisch prüft zwei Hypothesen: (a) Lerner, die nach der suggestopädischen Methode in Englisch unterrichtet werden, erreichen eine höhere Sprachkompetenz als Lerner einer Kontrollgruppe, die herkömmlich unterrichtet werden. (b) Mit der suggestopädischen Methode lassen sich die mit dem Lernen verbundenen emotionalen Prozesse sowie selbstbezogene und fachbezogene Einstellungen in positiver Richtung verändern. Als Testinstrument für die leistungsbezogene Überprüfung wurden standardisierte schriftliche Tests verwendet, für die Erhebung der emotionalen Prozesse ein skalierter Fragebogen. Die Ergebnisse sprechen in beiden Bereichen statistisch signifikant für die Bestätigung der Hypothesen, also für eine bessere Leistung der suggestopädischen Gruppen, die mit einer Absenkung des Ängstlichkeitsniveaus im Unterricht, mit der Entwicklung eines positiven Selbstkonzepts der Schüler und mit einer Verstärkung der Lernmotivation einhergeht. Die Anhänger der Suggestopädie haben mit der Arbeit von Holtwisch ernst zu nehmende Argumente dafür gewonnen, daß die Suggestopädie auch in der Schule eingesetzt werden kann. Denn Holtwisch überprüfte die Wirksamkeit suggestopädischen Lernens unter normalen schulischen Bedingungen. 20 Er bewertete die Resultate des Unterrichts auf der Grundlage der üblichen 20 Nicht eingegangen wird auf die in Australien durchgeführte Untersuchung von Felix (1991), da die Lernbedingungen und Lernvoraussetzungen in beiden Ländern zu unterschiedlich sind. FLuL 25 (1996) Die Suggestopädie 127 schriftlichen, grammatikorientierten Leistungstests (Klassenarbeiten), d.h. mündlichsprachliche Fertigkeiten wurden nicht abgeprüft und bewertet. Des weiteren hielt er sich an die Vorgabe eines weitgehend einsprachigen Unterrichts, wie er für den Englischunterricht vorgeschrieben wird. Trotz dieser Erschwernisse für eine suggestopädische Praxis zeigte sich eine deutliche Überlegenheit der suggestopädischen Gruppen. 21 Es ist nur scheinbar ein Paradoxon, daß sich durch eine Verstärkung der kommunikativen Aktivitäten im Klassenraum auch die grammatische Kompetenz der Schüler erhöht, wie sich dies bei Holtwisch gezeigt hat. In Wirklichkeit steht diese Beobachtung im Einklang mit den frühen Ergebnissen der o. g. russischen und kanadischen Studien und mit Beobachtungen aus dem natürlichen Zweitspracherwerb und der Fremdsprachenforschung: Nicht die Konzentration auf das Einüben von Grammatik fördert den Fremdsprachenerwerb am besten, sondern kommunikationsorientierte Rezeption (input) und Produktion (output). Diese führen nicht nur zu kommunikativen Fähigkeiten, sondern gleichzeitig entwickeln sich im kommunikativen Umgang mit der Sprache die grammatische Sensibilität und die grammatische Kompetenz der Lerner. 22 Holtwisch hat damit erneut ein der Suggestopädie zu Unrecht anhaftendes Vorurteil widerlegt, nämlich daß die angstfreie Lernatmosphäre im suggestopädischen Unterricht zwar zu höherer Sprechbereitschaft, aber im Vergleich mit traditionellen Lernformen zu schlechteren grammatischen Fähigkeiten der Lerner führen würde. Man kann also verallgemeinernd festhalten, daß auch die neueren empirischen Untersuchungen zur Suggestopädie in Deutschland belegt haben, daß suggestopädischer Fremdsprachenunterricht zu besseren pragmatischen Fertigkeiten führt, ohne daß die phantastischen Ergebnisse Lozanovs auch nur im entferntesten bestätigt werden konnten. Zusätzlich wurde in neueren Untersuchungen der Effekt der positiven Entwicklung des Selbstkonzepts der Lerner, der Verringerung des Ängstlichkeitsniveaus und einer positiven Einstellung zur Fremdsprache empirisch nachgewiesen. 23 Die Gründe für diese Auswirkungen liegen nach Edelmann (1991: 20) darin, daß in der Suggestopädie erstens der Lehrer die Lernmotivation der Schüler durch besondere Interaktionsformen (nonverbale Kommunikation, positive Zielvorstellungen, entspannte Lernatmosphäre) erhöht und daß zweitens durch Handeln und mehrkanalige Wahrnehmung die Informationsverarbeitung verbessert wird. In ähnliche Richtung weisen auch die Überlegungen von Beitinger und Mandl (1992), die annehmen, daß in der Suggestopädie Lernbedingungen geschaffen werden, die Denk- und Handlungsspielräume eröffnen, die selbstgesteuertes Lernen begünstigen. Als Grundprinzipien solcher Lernumgebungen, die ihrer Meinung nach auch in der 21 Zum Anwendungsfeld Schule vgl. auch Conrady [et al.] (Hrsg.) (1993). 22 Vgl. Snow/ Hoefnagel-Höhle (1979) und Swain (1985). 23 Vgl. Holtwisch (1990), Felix (1991). FLuL 25 (1996) 128 Rupprecht S. Baur Suggestopädie realisiert werden, rechnen sie Authentizität, Situativität und die Verbindung des Lernens mit multiplen Perspektiven und Kontexten. Authentizität bedeutet dabei, daß der Lernkontext von Anfang an einen gewissen Grad an Komplexität enthält. Dem entspräche in der Suggestopädie der vergrößerte und grammatisch „reiche" Input. Situativität meint, daß Lernsituationen offen gestaltet sein müssen, um Handlungsinitiativen, Kreativität und Kooperation der Lerner zu begünstigen. Dies ist ein Charakteristikum suggestopädischer Übungsformen. Multiple Perspektiven und Kontexte kennzeichnen die verschiedenen Präsentationsformen des Lernstoffes in der Suggestopädie. 24 Darüber hinaus stellen Beitinger [et al.] (1993) fest, daß in der Suggestopädie Wissen von hoher Anwendungsqualität vermittelt wird, daß die Motivation zum Weiterlernen aufrecht erhalten bleibt und daß Formen des sozialen Lernens gestärkt werden. Die Realisierung der oben genannten Prinzipien hängt dabei zum großen Teil vom Lehrer ab. Die Beschäftigung mit der Suggestopädie führt zur Aneignung neuer Lehrtechniken, d.h., der Lehrer erweitert sein aktuelles Handlungspotential im Klassenraum in der Regel erheblich. Diese Erweiterung ist häufig auch mit Verfahren aus dem Neurolinguistischen Programmieren (NLP) verbunden, dessen Bedeutung für suggestopädischen Unterricht deshalb in Abschnitt 5 (S. 131) kurz angesprochen werden soll. 4. Suggestopädische Lehr- und Lernmaterialien Die ersten suggestopädischen Kurse wurden in Bulgarien und Rußland als Sprachintensivkurse entwickelt. 25 Aufgrund ihrer kulturspezifischen Merkmale eigneten sie sich nicht für eine Übernahme in den Sprachunterricht in der BRD. Als die suggestopädische Methode in Deutschland bekannt wurde und in die Praxis überführt werden sollte, fehlte es deshalb an geeignetem Lehrmaterial. In den achtziger Jahren entwickelten viele Institutionen, die suggestopädische Intensivkurse anboten, ihr eigenes Unterrichtsmaterial. Dies geschah einerseits, weil die konkurrierenden Institutionen (private Sprachenschulen) damit warben, über besonders geeignete 24 Vgl. die Darstellung der Prizipien selbstgesteuerten Lernens in Beitinger/ Mandl (1992), speziell zur Suggestopädie bei Beitinger [et al.] (1993). 25 DieVeröffentlichung des bulgarischen Lehrerhandbuches in englischer Übersetzung belegte, daß die bulgarischen fremdsprachenmethodischen Vorstellungen sehr rigide und traditionell geblieben sind und eine Übernahme der bulgarischen Vorstellungen in den Sprachunterricht hierzulande nicht möglich wäre (vgl. Lozanov/ Gateva 1988). Im Unterschied dazu sind die russischen suggestopädischen Intensivkurse methodisch ständig weiterentwickelt worden. Die Lektionen bestehen hier aus a) Dialogen, b) lexikalischen und grammatischen Erklärungen, c) einem Übungsteil für selbständiges Arbeiten (Hausarbeit) und d) Lesetexten verschiedener Textsorten. Das Lehrerhandbuch enthält vielfältige Übungsanregungen, wobei auch die Lesetexte und landeskundliche Informationen eingeschlossen werden (vgl. Baur 1980, Kitajgorodskaja 1986a, b). FLuL 25 (1996) Die Suggestopädie 129 Materialien zu verfügen, und kein Interesse daran hatten, der Konkurrenz ihre Ideen zu liefern, auf der anderen Seite scheuten die etablierten Verlage für den Fremdsprachenunterricht aus kommerziellen Gründen vor dem Risiko zurück, Lehr- und Lernmaterialien zu entwickeln, die ggf. nur von einem beschränkten Kreis von 'suggestopädischen' Lehrern eingesetzt würden. 26 In diese Bresche sprang Mitte der achtziger Jahre der PLS-Verlag (Psychologische Lernsysteme, Bremen) und entwickelte einfache Einführungskurse für die Sprachen Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch und Russisch, die alle dieselbe Struktur aufwiesen: Auf der Basis eines Vokabulars von ca. 300 lexikalischen Einheiten und einer Grundgrammatik wurden auf drei Lektionstexte verteilt touristische Grundsituationen, wie Orientierung in der Stadt, Einkaufen, Restaurantbesuch und biographischer small talk gestaltet. Die einzelnen Lektionen enthielten: (a) ausführliche, z. T. geradezu lyrische Einführungen in die jeweilige Handlungs- und Sprechsituationen in deutscher Sprache, (b) zweisprachige Dialoge zu den Situationen und (c) einen äußerst knappen Übungsteil mit Lückentexten. Neben dem Lehrbuch wurden Kassetten mitgeliefert, auf denen die Texte mit klassischer Musik unterlegt waren und ein Vokabeltraining, das durch eine Entspannungsübung eingeleitet wurde und zu dem langsame Barockmusik ertönte. Auch das wirkungslose und unsinnige rhythmische Atmen "Yoga-Atmung") wurde in die methodischen Empfehlungen aufgenommen. In der Einleitung zu den Kursbüchern dieser Generation zeigt sich deutlich, daß hier noch bewußt an die vollmundigen und unrealistischen Versprechungen des amerikanischen 'Superlearning' angeknüpft wird, um Leichtgläubige zum Kauf zu verführen: „Die Superlearning-Methode verfolgt das Ziel, unseren geistigen Möglichkeiten und der Arbeitsweise unseres Gehirns in möglichst optimaler Weise gerecht zu werden. Das Lernen soll leichter, angenehmer und zugleich effektiver sein. Erreicht wird dies durch ein System von psychologischen Techniken, zu denen geistige Tiefenentspannung, klassische Musik, Yoga-Atmung und besonders gestaltete Lehrtexte gehören" (Kelly/ Hinkelmann o. J., S.5). Zwar wurden diese Kurse in erster Linie als Selbstlernkurse angeboten, darüber hinaus aber auch in eigens eingerichteten Lernstudios des PLS-Verlages in lehrergeleiteten Kursen eingesetzt. Um fehlende Teile des Materials für einen Gruppenunterricht zu ergänzen, mußten interaktive Lernhandlungen und Übungen hinzugefügt werden. In einem Leitfaden für den Unterricht (Hinkelmann/ Hinkelmann/ Ferrebreuf 1988) wurden entsprechende Anregungen für den suggestopädischen Unterricht beschrieben. 26 Einen Überblick über die Lage auf dem Markt des 'Superlearning' in den achtziger Jahren kann man sich mit Hilfe eines Berichtes der Stiftung Warentest (Test Superlearning 1988) verschaffen. In dem Bericht werden auf dem Markt angebotene Kassettenkurse und in verschiedenen Institutionen durchgeführte Sprachkurse besprochen. Ende 1987 registrierte der Bericht 37 Institutionen, die lehrergeleitete Superlearning-Sprachkurse anboten. Die meisten dieser Institute sind inzwischen als Anbieter verschwunden. FLuL 25 (1996) 130 Rupprecht S. Baur Aufgrund der Verkaufserfolge mit den Einführungskursen entwickelte der PLS- Verlag in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre eine Reihe von sogenannten Basis- und Aufbaukursen in den Sprachen Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch, die wiederum als Selbstlernkurse konzipiert waren, aber auch als Basis für lehrergestützte Kurse dienen sollten. Diese Lehrwerke entsprachen durchaus den Standards anderer Selbstlernkurse dieser Zeit und versuchten zusätzlich, neben den suggestopädischen auch Elemente der kommunikativen Didaktik zu integrieren. Als Grundlage für lehrergestützten Fremdsprachenunterricht konnten sich diese Kurse jedoch gegenüber den herkömmlichen Kursen nicht durchsetzen. 27 Anfang der neunziger Jahre entschloß sich der Klett-Verlag, suggestopädische Adaptationen der bereits eingeführten Lehrwerke A bientot und Eso si auf den Markt zu bringen, um an dem Erfolg der Methode zu partizipieren: "Für alle, die nach suggestopädischen Grundsätzen Französisch lernen möchten, aber auf ein bewährtes Lehrwerk nicht verzichten wollen, bieten wir das Zusatzprogramm A bientot - Superlearning an" (Begleitbuch: Vorwort, S. 4). Bei diesen Adaptationen werden die Lektionstexte auf dem Hintergrund von klassischer Musik aufgesprochen (1. Lernkonzert) und dann wie schon in den PLS-Kursen die neuen Vokabeln des Lektionstextes mit der Übersetzung auf dem Hintergrund von ruhiger Barockmusik dargeboten (2. Lernkonzert). In einem Begleitbuch finden sich Vorschläge für spielerische Übungen in Ergänzung zum Übungsbuch des nicht-suggestopädischen Basiskurses von A bientot. Die Lehrwerke des Klett-Verlags haben keine große Verbreitung gefunden und sind 1996 aus dem Verlagsprogramm herausgenommen worden. Der Grund für den Mißerfolg ist wahrscheinlich darin zu sehen, daß die Sprachaufnahmen relativ langweilig wirken, daß die Übungsanregungen für die einzelnen Lektionen sehr mager ausfallen und daß der Preis für einen Superlearning-Kurs mit 198,- DM deutlich über dem normaler Lehrbücher lag. Darüber hinaus war es für Lehrer/ -innen und Lerner auch verwirrend, nun ständig zwei Lehrwerke, das suggestopädische und das nicht-suggestopädische, aufeinander beziehen zu müssen. Als Hauptgrund für das Scheitern muß aber vor allem der Glaube verantwortlich gemacht werden, daß die Suggestopädie als lebendige und kreative Unterrichtgestaltung, die vom Lehrer vertreten und 'vorgelebt' werden muß, durch Tonkonserven ersetzt werden könnte. Die Idee, daß dasselbe Superlearning' -Material einmal als lehrerunabhängige, mechanistisch umsetzbare Form des entspannten Lernens, das andere Mal als Grundlage für einen aktiven und kreativen Unterrichtsprozeß fungieren soll, vermag in Theorie und Praxis nicht zu überzeugen. Ein Lehrwerk für die Erwachsenenbildung, das nicht versucht, einen faulen Kompromiß zwischen lehrerunabhängigem und lehrergestütztem Lernen zu machen, 27 Der PLS-Verlag vertreibt seit 1996 keine Sprachkurse mehr; die Superleaming-Materialien für Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch sind in das Angebot des Langenscheidt- Verlages übernommen worden. FLuL 25 (1996) Die Suggestopädie 131 und das nicht dem Irrtum verfällt, die suggestopä<lischen Aktivitäten in erster Linie den Medien zu überantworten, sondern wirklich in den Unterricht hereinzuholen, ist das suggestopädische Englischlehrwerk A dream come true (Heidenhain 1994). Das Lehrwerk präsentiert und erarbeitet das Material im Rahmen eines suggestopädischen Kreislaufes, der als eine Fortentwicklung der Phasenabfolge von Lozanov zu verstehen ist. Dieser Kreislauf enthält folgende Phasen: 1. das Centering eine Konzentrationsübung, welche die Lerner auf den Unterricht einstellt; 2. den Rollenwechsel die Teilnehmer schlüpfen in angenommene Identitäten; 3. die Neugier erweckende Präsentation des neuen Lernstoffes; 4. das erste Lernkonzert; 5. das Nachspielen/ Erleben des Textes durch Handeln und Imaginationsübungen; 6. das zweite Lernkonzert; 7, Pause - Erholung - Wiederholung; 8. Übungsphasen, die im ersten Teil mehr reproduktiv sind und im zweiten Teil produktiven und kreativen Charakter haben. In den Übungsphasen wechseln interaktive und rezeptiv-konzentrative Phasen, die von Musik begleitet werden, miteinander ab; 9. die Integration, eine zusammenfassende Schlußphase, in welcher der gesamte Inhalt eines Lektiontextes und seiner Realisierung noch einmal ins Bewußtsein gerufen werden. Der Kurs besteht aus: (a) einem Schülerbuch, (b) zwei Textkassetten, die mit Barockmusik unterlegt sind, (c) einem Schülerheft, (d) einem Lehrerhandbuch und (e) Bildern und Bildkarten. Mit diesem Kurs können wahrscheinlich nur Lehrer/ -innen arbeiten, die eine suggestopädische Ausbildung erhalten haben. Welche Verbreitung der Kurs findet, bleibt deshalb abzuwarten. 5. N eurolinguistisches Programmieren (NLP) und Suggestopädie Abgeleitet aus dem Anwendungsbereich der Psychotherapie, werden Verfahren des NLP heute auch in pädagogische Lehr- und Lernprozesse integriert (vgl. Bachmann 1991, Grinder 1991). Am stärksten sind die Anregungen des NLP in der Suggestopädie aufgenommen worden, so daß Techniken des NLP heute z.T. als Techniken der Suggestopädie angesehen werden. Wichtige Grundsätze des NLP sind dabei folgende: 1. Das Herstellen einer vertrauensvollen Beziehung (Rapport) zwischen Lehrer und Schüler ist Bedingung jedes guten Unterrichts. Der Lehrer muß bewußt daran arbeiten, Rapport herzustellen und aufrechtzuerhalten. Rapport wird als Grundlage angesehen, um einen Lerner motivieren zu können. Zur Aufnahme von Rapport dienen Techniken der nonverbalen und paraverbalen Anpassung (Pacen). 2. Auf der Grundlage einer positiven Lehrer-Schüler-Beziehung können Selbstbeschränkungen der Lerner aufgehoben werden. Es wird angestrebt, das Selbstvertrauen der Lerner zu stärken und eine positive Einstellung zum Unterricht und zum Lerngegenstand aufzubauen. Um diese Ziele zu erreichen, wird insbesondere mit Metaphern, Bildern und Symbolen gearbeitet, die in Entspannungsübungen, Phantasiereisen und Erzählungen integriert werden und tiefere Schichten des Lernens auf einer emotional-bildhaften Ebene ansprechen sollen. FLuL 25 (1996) 132 Rupprecht S. Baur 3. Um sich auf einen Lerner und seine Bedürfnisse einstellen zu können, muß ein Lehrer erkennen, welche Repräsentationssysteme vom Lerner bevorzugt werden und welchem Lerntyp er zuzurechnen ist. Als Lerntypen werden vom NLP aufgrund der dominierenden Beteiligung des jeweiligen Repräsentationssystems der visuelle, der auditive und der kinästhetische Lerntyp angesehen. 4. Informationen müssen so dargeboten werden, daß sie die verschiedenen Lerntypen erreichen. Aufgabe des Lehrers ist es, sich darüber Rechenschaft abzulegen, welche Kanäle er selbst bevorzugt, und seine Fähigkeiten zur Informationsdarbietung zu erweitern, - Lerntypen zu erkennen und Lernstoffpräsentation und Übungen an die Bedürfnisse der verschiedenen Lerntypen anzupassen, mangelnde innere bildliche Vorstellungsfähigkeit (Visualisierung) der Schüler zu erkennen und ihnen Hilfen zur Entwicklung der Visualisierung anzubieten. Da die Suggestopädie diese aus dem NLP abzuleitenden Anregungen aus anderen Begründungszusammenhängen z. T. bereits vorher in ihrer Methode angelegt hatte, ist die Affinität zwischen Suggestopädie und NLP nicht überraschend. Eine Erweiterung der Suggestopädie durch das NLP hat bisher vor allem in drei Bereichen stattgefunden. Erstens dadurch, daß mit Hilfe positiver Suggestionen und Metaphern „erfolgsorientierte Vorstellungsbilder" (Edelmann) in den Unterricht integriert werden. Zweitens hat das NLP die Sensibilität für den Umgang mit der Sprache im Unterricht aufgrund der Annahme geschärft, daß die verschiedenen Repräsentationssysteme bei Lernern nicht nur handlungsmäßig, sondern auch verbal angesprochen werden können. Eine pädagogische Umsetzung dieses sprachpsychologischen Ansatzes des NLP würde ein intensives Sprachtraining für Pädagogen sinnvoll erscheinen lassen. Sie müßten nicht nur lernen, andere Personen an typischen Sprachmustern zu erkennen, sondern auch, sich von ihren eigenen bevorzugten Sprachmustern zu trennen, um die Aufmerksamkeit verschiedener Lerntypen zu gewinnen. Drittens zwingt das NLP dazu, Lernprozesse multisensorisch zu gestalten und darüber nachzudenken, wie die drei Repräsentationssysteme, die ja in der natürlichen Kommunikation immer beteiligt sind, noch systematischer in den Unterricht integriert werden können. 6. Elemente einer suggestopädischen Ausbildung Obwohl immer noch unbegründete Vorurteile gegenüber die Suggestopädie vorgebracht werden (vgl. z.B. Fricke 1992), haben erstaunlich viele Pädagogen, die mit der Suggestopädie in Berührung kommen, den Wunsch, sich intensiver mit dieser Methode auseinanderzusetzen, d.h. die suggestopädischen Lehr- und Lernverfahren zu erlernen und/ oder mehr über die Grundlagen der Suggestopädie zu erfahren. Dieser Wunsch basiert darauf: daß die Suggestopädie (immer noch) im Ruf steht, besonders effektive Lehr- und Lernverfahren zu kombinieren, FLuL 25 (1996) Die Suggestopädie 133 daß es der Suggestopädie in jüngerer Zeit zunehmend gelungen ist, den Nimbus des Esoterischen abzustreifen, daß die Suggestopädie begonnen hat, sich auch mit den Bedingungen des normalen Fremdsprachenunterrichts auseinanderzusetzen und ihre Verfahren dort zu erproben und daß die Suggestopädie für neue Entwicklungen und Erkenntnisse offen geblieben ist, so daß sie heute als ein Sammelbecken kreativer Ideen zur Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen angesehen werden kann. Eine suggestopädische Grundausbildung kann in folgende Blöcke unterteilt werden 28 : 1. Das Einführungsseminar In diesem Seminar werden die Grundlagen der Suggestopädie und des Superlearning erläutert und diskutiert. Dabei werden auch die methodischen Verfahren praktisch vorgeführt, die dem heutigen Entwicklungsstand der Methode entsprechen. 2. Suggestopädisches Lernen in der Selbsterfahrung Untersuchungen zur Fremdsprachenlehrerausbildung haben gezeigt, daß die Selbsterfahrung als Lerner beim Erlernen einer neuen Sprache und die Reflexion dieser Erfahrung einen wesentlichen Beitrag zu einer guten Ausbildung leisten. Die Lernerperspektive verschafft den zukünftigen suggestopädischen Lehrern einen unmittelbaren Zugang zu suggestopädischen Lehr- und Lernformen und sensibilisiert sie für den Umgang mit Gestik, Musik, Entspannung und kreativen Übungsformen. 3. Die Funktion der nonverbalen Kommunikation im suggestopädischen Unterricht In der Weiterentwicklung der modernen Suggestopädie spielt die Einbeziehung von Gestik, Mimik und körperlichen Handlungen eine wichtige Rolle. In diesem Seminar wird trainiert, wie solche Lernhandlungen im Unterricht angewendet werden können. Darüber hinaus wird auch gezeigt, wie nonverbales Verhalten und Techniken des NLP zur Gestaltung einer positiven Lernatmosphäre beitragen können. 4. Die Funktion von Musik und Entspannung im suggestopädischen Unterricht Die Präsentation des Lernstoffs in den von Musik und Entspannungstechniken begleiteten suggestopädischen Phasen sowie weitere-Einsatzmöglichkeiten von Musik, Entspannung und Phantasiereisen werden in diesem Ausbildungsteil erarbeitet und trainiert. Auch hierbei werden Techniken des NLP (z.B. Metaphern) im Hinblick auf Einsatzmöglichkeiten im Unterricht geübt. 28 Eine solche Aufteilung in 6 Wochenendblöcke, die ca. 120 Unterrichtsstunden umfassen, hat sich in der Praxis bewährt. Die Ausbildung wurde vom Autor in Zusammenarbeit mit Susanne Sirringhaus am Zentrum für Wissenschaftliche Weiterbildung der Universität GH Essen entwikkelt. - Die Inhalte stimmen weitgehend mit den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Suggestopädisches Lehren und Lernen gern. e.V. (DGSL) überein. Die von der DGSL empfohlene Ausbildung geht über die von uns dargestellte Grundausbildung hinaus. Vorgesehen sind hier zusätzlich eine Aufbaustufe und eine Trainerausbildung mit einer DGSL-Trainerlizenz. Die Kosten pro Kurs liegen zwischen 2500,- und 3000,- DM. Adresse der DGSL: Blumenstr. 25, 85630 Harthausen. FLuL 25 (1996) 134 Rupprecht S. Baur 5. Lerneraktivierende Übungsformen im suggestopädischen Unterricht Ein Charakteristikum suggestopädischen Unterrichts ist unter anderem ein häufig variierender komplementärer Einsatz sehr unterschiedlicher Aktivitäten und Übungsformen. Hierbei spielt die Schaffung und Aufrechterhaltung einer aktiven, aber gleichzeitig entspannten Lernatmosphäre eine wichtige Rolle. Die zur Initiierung und Durchführung verschiedener Übungsformen benötigten Kenntnisse und Fähigkeiten werden in diesem Seminar vermittelt. 6. Suggestopädischer Unterricht als ganzheitlicher Prozeß Nachdem in den vorhergehenden Seminaren die wichtigsten Teilaspekte suggestopädischen Unterrichts betrachtet und trainiert wurden, sollen die Seminarteilnehmer/ -innen im abschließenden Ausbildungsteil die suggestopädischen Verfahren individuell auf ihre konkrete Unterrichtspraxis hin reflektieren und gesamthaft in einer Unterrichtssimulation mit der Lerngruppe anwenden. 7. Ausblick In der didaktischen Diskussion taucht immer wieder die Frage auf, wodurch sich eigentlich die Suggestopädie von anderen Fremdsprachenvermittlungsmethoden und Lernformen unterscheidet. In dem Maße, wie vielfältige kommunikative, interaktive, spielerische, musische und kreative Aktivitäten in den kommunikativen Fremdsprachenunterricht integriert werden, scheint die Spezifik der Suggestopädie verlorenzugehen. Eine solche Tendenz zur Angleichung der Methoden muß als eine normale Erscheinung gewertet werden. Methoden werden vielleicht als "reine Lehre" vertreten, sie unterliegen aber in der Praxis vielfältigen Veränderungen und Umformungen. Einzelne Elemente von Methoden werden eklektisch in andere Unterrichtsformen übernommen, so daß diese Elemente allmählich bekannt werden und die Methode insgesamt ihre spektakuläre Neuheit verliert. Das Schicksal der audiovisuellen Methode mag hier als Beispiel dienen: Ursprünglich unterlag sie einer strengen Abfolge von Phasen und Lernschritten, deren technische Handhabung die Lehrer sich aneignen mußten; heute sind davon der globale und situative Zugang und die bildliche Unterstützung als selbstverständliche Elemente in Sprachlehr- und -lernprozessen übriggeblieben. Musik, Entspannung, Phantasiereisen, körperliches Handeln, Anwendung von NLP-Techniken u.a.m. sind heute bereits aus dem Ghetto der Suggestopädie ausgebrochen und finden auch im 'normalen Unterricht' Anwendung. 29 Die 'reine suggestopädische Lehre', die Lozanov einmal verkündet hat, war eine geschlossene Methode, die sich nicht nach den Bedingungen der Praxis richtete, sondern die Praxis an ihre Bedürfnisse anpassen wollte. Diese Position ist in der Fremdsprachenforschung der Bundesrepublik Deutschland nie vertreten worden. Hier wurde und wird untersucht, inwieweit Lehr- und Lernprozesse durch Erfahrungen aus der Suggestopädie bereichert werden können. Die Ergebnisse zeigen, daß hier Chancen liegen. Sie sollten weiterhin genutzt werden! 29 Vgl. z.B. die 'Gespräche mit Luna' im Deutschkurs Stufen (Klett-Verlag). FLuL 25 (1996) Die Suggestopädie 135 Bibliographische Angaben BACHMANN, Winfried (1991): Das neue Lernen. Eine systematische Einführung in das Konzept des NLP. 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However, more often than not we don't use all of them or we don't use them effectively. In this article I will discuss how the language teacher can more effectively use the senses. This effective use is based on principles of Neuro-Linguistic Programming, and I will explain in which way. Information is all around us. Our resources for gathering information is unlimited, even in learning a foreign language. However, we as teachers and even as learners tend to not take advantage of all this information. How is this possible, and what can we do to better utilize this incoming information? 1. Our Representational Systems Through our five senses we perceive and take in all the information around us. This input is registered, processed, and stored by our brain through our senses. The structures in our brain that operate our senses, visual (seeing), auditory (hearing), kinesthetic ((e)motion), gustatory (tasting), and olfactory (smelling), are our representational systems. These are what are used to register, process and store the incoming information. Once this input has been absorbed, it is no langer a true representation of the real input. All of this goes through a complex filtering system before it is stored (Hager 1996). Because of this our thoughts are only a representation of the extemal world; in NLP terms a model of the world but not the world itself. So what do we really do? In early childhood we seem to perceive the world through one "big" sense. This means that all of our senses are so intertwined that they tend to function as one. Around the age of five or six, we start to make real distinctions between our senses. Until this time we seem to react to the fine details (characteristics) of this sensory input. In NLP terms, we react to the submodalities of the input. These can be, for example, intensity of color, sound, or tauch. Aristotle referred to these as "pairs of contraries"; hot/ cold, bright/ dull, loud/ soft. According to Aristotle, our sense-perceptions have common universals. He referred to these as common sensibles. These universals are not particular to any one sense but common to all. Tue common sensibles are movement, rest, number, FLuL 25 (1996) Tapping our representational systems to learn a foreign language 139 figure, magnitude, and unity. They seem, however, tobe on a different level than the submodalities mentioned above. These common sensibles identify relationships between the perceptions we make and our impressions of them. As mentioned above, intensity is something that can be registered in any sense. In my opinion this would be a collllllon sensible to Aristotle. Despite this, each individual will interpret this collllllonality in his own way. This individual intrepretation probably starts with and develops through our education. Through it we are forced to become more and more aware of the individual senses. This way the individual focuses his attention more and more on objects and things and more unconsciously on the sense through which the individual best preceives the objects, things, or experience. At which time the individual is not so aware of the detailed characteristics (submodalities pairs of contraries). Through our experience with the fine details (characteristics) of input as children, we find that one of the senses provides us with more information than the others. This is probably the reason why we tend to prefer one sense over the others. Robert Dilts (1994: 69) refers to this as the person's most highly valued system. This is the one we use to evaluate the meaning of experience and make decisions. He believes as well that we have a highly developed system and a most conscious system. The most highly devloped system is the one that we can make the greatest number of distinctions in. The most conscious system is the one that we have the most intentional ability to change and utilize. lt is possible that all three above-mentioned systems are the same representational system. An individual rnight prefer the visual system for all three. But it is also possible that each system can be a different representational system. This is very individual-dependent. Even though, we have these three "preferred" systems, it is essential to keep in rnind that all representational systems are present all the time. The difference is that we are not focusing our attention on them at that particular moment. At school, it is never considered which system could be our most highly developed, our most highly valued, Qr our most conscious. The learner is simply forced to focus his attention on the visual and auditory representational systems. Whatever we do in school it primarily revolves around these two modes of representation, while the other three modes of representation are totally ignored and even sometimes deemphasized. Through inappropriate use of the representational systems, we can hinder leaming. In learning vocabulary I have found (Hager 1994: 20-21; Hager 1996) that not using one of the three representational systems, visual, auditory and kinesthetic (in some cases even gustatory and olfactory) will hinder the learning of vocabulary or at least make it more difficult. In recent research on the brain, it has been found that the use of all our senses is necessary for the effective use of memory. As I have already suggested elsewhere (Hager 1994: 32-33; Hager 1996), we need to effectively use all five modes of representation in teaching and learning. FLuL 25 (1996) 140 Michael Hager Because of limited research on the use of the gustatory and olfactory modes in teaching, I will leave them out. One word though to them, in commercial areas research shows that fragrances can effect customers' buying habits. Perhaps in the future someone will find out how to use fragrances to influence the effective learning of grammar, for example. 1.1 The Visual Representational System "Seeing is believing! " This is an old English saying that applies to life in general. But in learning it has its place of importance, too. Not only seeing what is going on around us is important but also perceiving what is happening in our mind's eye. In NLP this is referred to as intemal and extemal visual. In the language classroom the use of extemal visual can be of assistance in setting up the classroom. If posters and pictures are used in the classroom, how these are utilized can make a difference in their effectiveness. Using the same location in the classroom for one particular kind of poster, for example, for grammar, will anchor this location in the student's realm of awareness as the "grammar" location in the room. Hanging up a grammar poster several days before covering the grammar point in dass, will provide the student with time to unconsciously absorb the information. However, the use of visual stimuli should not be overdone because this overuse can cause visual overload in truly visually oriented students. 1 Intemal visual can be implemented in the language classroom through the use of imagery. I don't mean visualization because visualization is really only limited to the visual mode of learning. In the following exercise we will find out that it is not only limited to the visual mode. Tue auditory and kinesthetic ones are also involved. To review material at the end of the lesson, the following exercise taken from Hager (1996) will demonstrate this. This exercise is for beginners of English (for that matter for any language). During the just completed lesson the Present Continuous was covered. Have your students sit in their chairs and relax. Once they have relaxed they are to imagine what you, the teacher, say. Inform your students, however, that there are people who do not see images for the presented sentences. This is no problem. Those students who do not have visual images should listen or feel for the presented sentences. The students should not force themselves to visually imagine because this has a detrimental effect on their relaxation. See Hager ( 1996) for information about how to set up the classroom with reference to the representational systems. FLuL 25 (1996) Tapping our representational systems to leam a foreign language ► Example sentences for presentation are: You are sitting on your chair. You are standing behind your chair. You are eating a sandwich. You are drinking a coke. You are reading a book. You are writing your name. 141 By doing this exercise you are enabling your students to mentally see pictures for the sentences. This provides the students the chance to visually store images for the vocabulary used. But more essential is that the students have the opportunity to visually store images representing the grammatical point, Present Continuous. 1.2 The Auditory Representational System Listening to your favorite Mozart piece can be so very relaxing, can't it? Even in the language classroom listening to music can have its benefits. Playing relaxing music at the beginning of a lesson can put the learner in a very receptive state. However, overusing music can also have the opposite effect. If a learner is very auditory in nature, music can be very disruptive at inappropriate moments. This can especially be the case if the music interferes with the auditory learner's internal discussions. Have you listened to the little voice in your head recently? What? You didn't realize that you had one? Listen! Just as with the visual mode, the auditory one can also be extemal or internal. Anything that we perceive outside of us will provide us with external auditory input. But inside? Research has found that we have both an inner ear and an inner voice. In NLP terms these are auditory recall or construct, or auditory digital. (Recall and construct can also apply to the visual mode.) Auditory recall is when you remember a sound that you already know, perhaps the sound of your favorite song. Auditory construct is when you think of a sound that you have never heard before. And auditory digital is when you carry on a discussion in your mind. Research has also found that if a student doesn't use his intemal auditory mode when learning vocabulary, he won't be able to learn the words and retain them. 2 In the above mentioned exercise for visual imagery, your articulating the different sentences will stimulate your learners' inner ear. If you leave enough time between sentences, you not only provide your students with enough time for visual images but also auditory ones. The auditory learner will take advantage of this time to produce an auditory image of what you have just presented. 2 See Hager (1996) and Service (1992) for more information. FLuL 25 (1996) 142 Michael Hager 1.3 The Kinesthetic Representational System "I need to get a grip on that" will ring a bell to anyone who is kinesthetic in nature. Kinesthetic can be divided into two parts; emotion and motion. Both of these are important for the set-up of the classroom. A warm, comfortable atmosphere will provide the kinesthetic leamer with the right ambiente for leaming. The correct set-up will also provide for movement, like dancing. 3 Goleman (1995: 96) believes that emotions are seldom put into words. They are expressed far more often through other cues. He points out that intuiting another's feelings comes through the ability to read nonverbal channels like gestures, facial expressions, tone of voice and so on. This capacity for empathy the ability to know how another feels is the basis for rapport. And rapport is the basis for this warm, comfortable classroom atmosphere. We, the teacher, are responsible for building rapport within the classroom with our students. This can be done by various exercises that sharpen the leamer's awareness of his partner's body language. Tue degree of rapport between two individuals is mirrored by how tightly attuned their physical movements are. In NLP terms you can't be effective if you do not have rapport with your partner. In the classroom it is hard to try to build up rapport with each student. But if you already know who the "leader" in the class is, unobtrusively build up rapport with him. Tue rest of the class will follow once you have rapport with this leader. Goleman (1995: 116) states, "the synchrony between teachers and students indicates how much rapport they feel; studies in classrooms show that the closer the movement coordination between teacher and student, the more they felt friendly, happy, enthused, interested, and easygoing while reacting." In the above mentioned imagery, rapport will play an important role in how well your students will be able to relax. Not only this part of the kinesthetic mode will be involved in this exercise but also that of motion. For those leamers who are unable to imagine pictures, the motion of the action will be of importance. In this exercise the kinesthetic leamer will probably not be able to visually imagine himself. He is too caught up in his own feelings to be able to do so. In NLP terms he is associated and sees the whole exercise in his mind's eye through his own eyes. Because he is associated, he is able to really feel what he is imagining. Syer and Connolly (1987) point out that studies done with atheletes showed that while these atheletes were imagining their sport, there was muscle movement involved similar to that when they really physically did the same sport. So "[...] writing your name" will really involve the correct muscle movement even if it is only imagined. See Hager (1996) for information about dancing in teaching a foreign language. FLuL 25 (1996) Tapping our representational systems to learn a foreign language 143 As we have been able to see, it is essential that we as teachers provide our students with a full array of leaming with the representational systems. lt is possible that one or the other leamer won't need all of the different modes to be effective. But all of our senses are working all the time. So why not use them. We as teachers can never know which modes are or are not necessary for our students' effective leaming. References DILTS, Robert (1994): Stategies of Genius. Capitola, CA: Meta Publications. G0LEMAN, Daniel (1995): Emotional Intelligence. New York, Bantam Books. HAGER, Michael (1994): Target Fluency. Portland, OR: Metamorphous Press, Inc. HAGER, Michael (1996): Multidimensionales Lernen und Lehren. Bonn: Heinrich Kelz. SERVICE, Elisabet (1992): "Phonology, working memory, and foreign-language learning". In: The Quarterly Journal of Experimental Psychology 45A (1), 21-50. SYER, John/ C0NN0LLY, Christopher (1987): Sporting Body Sporting Mind. Englewood Cliffs, N.J.: Prentice Hall. FLuL 25 (1996) Bemard Dufeu Aspekte der Sprachpsychodramaturgie Abstract. Linguistic Psychodramaturgy (LPD) is based on a view of man which influences its ways of teaching a foreign language. Since the foreign language acquisition and learning process is part of the general development of the person, LPD has two sorts of objectives, on the one hand behavioural and attitudinal objectives (deep ones) and on the other hand linguistic and cultural objectives (surface ones). The last part of the article deals with the applications of this concept of teaching in the foreign language class. Die Psychodramaturgie Linguistique (PDL) wird seit 1977 von Bemard Dufeu in Zusammenarbeit mit Marie Dufeu entwickelt. 1 Da wir an anderen Stellen die Grundlagen und die Praxis der PDL bereits ausführlicher beschrieben haben 2, werden wir uns in diesem Beitrag auf drei wesentliche Aspekte der PDL konzentrieren: auf das ihr zugrunde liegende Menschenbild, auf ihre Ziele und auf ihren Zugang zur Fremdsprache. 3 1. Die Konzeption des Menschen Jede Sprachmethode beruht auf einer Konzeption des Menschen (vgl. Dufeu 1995a) und auf einer damit verbundenen Konzeption des Lehr-/ Lembzw. Erwerbsprozesses.4 Diese Konzeption spiegelt sich ebenfalls in der Haltung der Lehrer gegenüber den Teilnehmern wider und zeigt sich in ihrem Umgang mit diesen. Bernard und Marie Dufeu gingen von einem zweiwöchigen Experiment mit der Expression Spontanee an der Mainzer Universität unter der Leitung von W. Urbain (1977) aus, um die PDL zu entwickeln. Der Name Psychodramaturgie verweist auf die zwei Hauptquellen der PDL: das Psychodrama und die Dramaturgie, aus denen Grundlagen und Techniken übernommen wurden, um den Spracherwerb zu fördern (vgl. Dufeu 1991, 1993 und insbesondere 1992a und 1996a, b). Sie wird aus praktischen Gründen öfter als PDL bezeichnet. 2 Vgl. insbesondere Dufeu (1992a und 1996a, b). Weitere kürzere deutschsprachige Beiträge in Dufeu (1991, 1992b, 1993a, b; 1995a, b). 3 Das Schema im Anhang (S. 159) gibt eine Übersicht über die in diesem Aufsatz angesprochenen Aspekte der PDL. 4 Die PDL fördert durch ihren Ansatz eher einen Erwerbsprozeß, was jedoch Lernprozesse nicht ausschließt. Wir teilen in diesem Bereich nicht die eher manichäische Auffassung Krashens (vgl. Krashen 1982). FLuL 25 (1996) Aspekte der Sprachpsychodramaturgie 145 1.1 Die Einzigartigkeit jedes Teilnehmers und die Individualität des Erwerbsprozesses Jeder geht seinen Weg: Der Teilnehmer wird als einzigartiges Wesen betrachtet; dies bedeutet beim Spracherwerb, daß jeder seinem Weg bei der Erkundung der Fremdsprache folgt. Jeder Erwerbsprozeß ist an erster Stelle ein individueller Prozeß in einer Gruppe. Diese Individualität wird in der POL durch den Einsatz offener Verfahren (Settings und Rahmenaktivitäten, vgl. unten 3.) gefördert, die dem unterschiedlichen Kenntnisstand und dem persönlichen Lernrhythmus jedes Teilnehmers Raum geben. 5 Statt vorauszusetzen, daß man in einer bestimmten Reihenfolge besser lernen kann, beruht die POL auf der Hypothese, daß die Teilnehmer die Fremdsprache besser erwerben, wenn sie die Inhalte selbst bestimmen (Prinzip der persönlichen Resonanz). Jeder folgt seinem eigenen Rhythmus: Es wird vorausgesetzt, daß jeder die Fremdsprache dadurch am besten erwirbt, daß er seinem persönlichen Rhythmus folgt, statt zu versuchen, so schnell wie möglich ein bestimmtes Ziel in einer festgelegten Zeit zu erreichen. Es wird keine Einheitlichkeit der Lernschritte angestrebt 6, sondern es wird versucht, die Bedingungen zu schaffen, die den Erwerb der Fremdsprache bei jedem einzelnen am besten ermöglichen. Diese Einstellung zur Individualität des Erwerbsbzw. Lernprozesses wird durch Anweisungen der Trainer ebenso wie durch Gedichte, die diese Thematik ansprechen, oder durch entsprechende Metaphern gefördert. Jeder ist woanders: Individualität bedeutet auch, daß jeder seine eigene Referenz ist. In einer Gesellschaft, die sich vorwiegend nach dem „Besten" richtet, besteht eine starke Neigung, diese Einstellung auf den Sprachunterricht zu übertragen; da der Spracherwerb sich nicht linear entwickelt und viele Reifungsprozesse nicht kontinuierlich direkt wahrnehmbar sind, sondern in „Sprüngen" spürbar werden, verstärkt sich diese Haltung manchmal in Sprachkursen. Bei der POL hingegen werden die Teilnehmer ermutigt, den Entwicklungsprozeß reifen zu lassen, anstatt zu hohe Ansprüche an sich zu stellen bzw. die anderen als Maßstab zu nehmen. 5 Die PDL verzichtet auf die illusionäre pädagogische Erwartung, daß alle zugleich das Gleiche im gleichen Moment und im gleichen Rhythmus lernen, d.h., sie verzichtet auf die Uniformierungstendenzen eines inhaltlich „programmierten" bzw. programmbestimmten Unterrichts. Auch wenn die Didaktik den Unterschied zwischen Input und Intake hervorhebt, pflegen viele Lehrer weiter die Illusion der pädagogischen Macht, indem sie eine Einheit erwarten zwischen dem, was sie lehren, und dem, was gelernt werden soll. Diese Illusion wird durch immer ausgeklügeltere Progressionen und immer genauere Inhaltsbestimmungen verstärkt, obwohl jeder Lehrer weiß, daß selbst Nullanfänger schon nach einer Stunde nicht den gleichen Kenntnisstand besitzen. 6 Eine Einheitlichkeit des Lernprozesses anzustreben ist sowieso illusionär. Es sei denn, die Ziele werden auf den kleinsten gemeinsamen Nenner ausgerichtet. Dies würde jedoch zu einer Unterforderung der meisten Teilnehmer führen. FLuL 25 (1996) 146 Bernard Dufeu Die PDL kann als eine Pädagogik des Weges betrachtet werden, denn sie versucht, dem Teilnehmer dort zu begegnen, wo er sich gerade befindet, sowohl sprachlich (auf seinem jetzigen Kenntnisstand, statt ihn auf fremdbestimmte Ziele unter Leistungsdruck und Anspannung zu setzen) als auch psychologisch (mit seinen Erwartungen und Ängsten, Wünschen und Zweifeln, statt zu versuchen, ihn aufgrund eines fremdbestimmten Programms zu einem vorbestimmten Ziel zu bringen). Damit unterscheidet sich die PDL von einer Pädagogik des Zieles. 1.2 Der FU als Beitrag zur Selbstentwicklung Der Erwerb einer Fremdsprache ist grundsätzlich ein persönlichkeitsbildender Prozeß, der zur Entwicklung der Teilnehmer, ihrem Individuationsprozeß beiträgt (vgl. M.-L. von Franz in Jung 1968: 160-229). 7 Leben und Pädagogik bilden eine Einheit: Lernen ist ein Lebensakt, Leben ein fortwährender Lernprozeß. Die Pädagogik bereitet im Unterricht nicht nur auf das Leben außerhalb des Kurses vor, sondern sie ist Teil des Lebens. Dieses Leben drückt sich auf realer und imaginärer Ebene, in direkter oder symbolischer Weise in der anwesenden Gruppe aus. Da die PDL sich als Beitrag zur Entwicklung der Person betrachtet und den Teilnehmer als Person, als „Parletre" (siehe Lacan), anspricht, sprechen wir von einer Pädagogik des Seins. Sie unterscheidet sich damit von einer Pädagogik des Habens, die sich vorwiegend, wenn nicht ausschließlich, auf die Vermittlung von Inhalten konzentriert (vgl. Dufeu 1982, 1983b, 1992a, 1995c, 1996). 1.3 Der Teilnehmer trägt Polaritäten in sich „Without Contraries is no progression. Attraction and Repulsion, Reason and Energy, Love and Hate are necessary to human existence. " William Blake Das Individuum lebt mit Polaritäten: mit seinen Wünschen und Ängsten, Stärken und Schwächen, Hoffnungen und Zweifeln, Akzeptanz und Verweigerung, mit seinen „Ja" und „Nein". Beide Seiten sind unentbehrliche Bestandteile auf dem Weg zur Selbstentfaltung und zur Differenzierung der Persönlichkeit. Die Anerkennung und die Integration dieser antagonistischen Kräfte führt zur individuellen Ganzheit. Der Antagonismus dieser Kräfte fördert die Dynamik des Lebens der Teilnehmer und der Gruppe. Die PDL berücksichtigt das Zusammenwirken dieser Kräfte bei dem Aufbau ihrer Übungen und bei der Auswahl der Texte. Dies bedeutet auch, daß die Trainer die Inhalte der Kommunikation in der Gruppe nicht nur auf rein positive Aspekte beschränken. 7 Jeder Unterricht, auch der traditionellste, hat einen Einfluß auf die Entwicklung der Persönlichkeit, er kann zur Erweiterung oder zur Versteifung, zur Autonomie oder zur Abhängigkeit führen. Der traditionelle Fremdsprachenunterricht kann durch seine Kommunikationsformen pathogene Tendenzen wie Konfluenz, Deflektion, Introjektion, ... fördern (vgl. B. Dufeu 1995: 12). Wir lehren immer mehr als nur die Sprache. FLuL 25 (1996) Aspekte der Sprachpsychodramaturgie 147 1.4 Der Teilnehmer wird als. Beziehungswesen betrachtet Die POL richtet sich an den Teilnehmer als Gesamtpersönlichkeit (d.h. auf der physischen, affektiven und intellektuellen Ebene), die ihre sozialen und geistigen Erfahrungen und Kontexte in den Unterricht miteinbringt. Sie betrachtet den Teilnehmer als ein in Beziehungen stehendes Wesen, und zwar zu sich selbst, dem anderen, den anderen in der Gruppe, der Umwelt. Diese Reihenfolge weist auf eines der Progressionskriterien der POL hin. Die Begegnung (vgl. Moreno 1914) 8 steht also im Mittelpunkt des pädagogischen Prozesses. Die Sprache wird als Mittel zur Beziehung und zur Interaktion unter den Teilnehmern eingesetzt, statt vorwiegend oder ausschließlich Objekt bzw. Ziel des Unterrichts zu sein. Viele Übungen tragen zum gegenseitigen Zuhören, zur Anerkennung des anderen mit seiner besonderen Persönlichkeit und seiner daraus resultierenden Unterschiedlichkeit sowie zur gegenseitigen Unterstützung bei. Die POL beinhaltet eine starke soziale Komponente. Aus diesen Gründen betrachten wir die POL als eine Pädagogik der Begegnung und der Beziehung. In der POL sprechen wir von „Teilnehmern", denn sie werden als Mitglieder einer Gruppe betrachtet (soziometrischer Aspekt), die an einem Erwerbsprozeß teilnehmen, und nicht von Lernern, wodurch sie aus funktionellen Gründen auf ein fremdbestimmtes Ziel festgelegt werden, nämlich den geplanten Stoff mehr oder weniger programmgemäß zu lernen. Statt von Lernerzentriertheit geht die POL von einer Teilnehmerorientierung aus. 2. Die Ziele der PDL Die POL betrachtet den Erwerb einer Fremdsprache als einen zweischichtigen Prozeß (vgl. Schema im Anhang S. 159). Auf der tiefen Ebene findet die Entwicklung der Einstellungen, Haltungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten statt, die notwendig sind, um eine Fremdsprache zu erwerben bzw. zu lernen. Zwei Grundfähigkeiten werden dsfür insbesondere in Betracht gezogen: die Rezeptivität und die Fähigkeit, sich auszudrücken. 9 Eine besondere Aufmerksamkeit gilt also der Entwicklung dieser „Tiefenziele" auf der Verhaltensebene, denn sie fördern den Spracherwerbs- 8 Moreno ist nicht nur der Begründer des Psychodramas sondern auch der Soziometrie, einer Wissenschaft, die das Beziehungsgeflecht zwischen den Teilnehmern einer Gruppe analysiert (vgl. Moreno 1954). 9 Unter Rezeptivität verstehen wir u.a. die Entwicklung der Fähigkeit des Zuhörens, der Aufnahmebereitschaft (Disponibilität), der Präsenz zu sich und zu den anderen. Zur genaueren Aufzählung der diesen zwei Grundfähigkeiten untergeordneten Fähigkeiten und Fertigkeiten vgl. Dufeu (1992: 92-94, 1995a: 36) bzw. Dufeu (1996: Kap. 2). Diese Ziele werden als „richtungsweisend" betrachtet, was einer Pädagogik des Weges entspricht, und nicht als zwingend zu erreichen angesehen. FLuL 25 (1996) 148 Bemard Dufeu prozeß grundlegend (vgl. Tabelle im Anhang S. 159). Dafür werden spezifische Aktivitäten verwendet. Da diese Übungen in der Fremdsprache stattfinden, nehmen die Teilnehmer zugleich die Fremdsprache in sich auf. 10 Die lexikalischen, strukturellen, funktionellen und interkulturellen Komponenten, die die Oberflächenziele des Fremdsprachenunterrichts bilden, werden u.a. durch den Einsatz von Übungen erreicht, die den Ausdrucks- und Kommunikationswunsch der Teilnehmer stimulieren. Dies sei exemplarisch dargestellt. Zunächst werden wir anhand einer Übung des ersten Tages eines POL-Kurses ein Beispiel für die Entwicklung einer Einstellung zeigen, und zwar die Präsenz im Hier und Jetzt. Dann wird die Entwicklung einer Fähigkeit, nämlich der Sensibilisierung für das Zuhören (ecoute) durch eine Übung illustriert, die am zweiten Tag eines Intensivkurses stattfindet. 11 Die Oberflächenziele werden wir im dritten Teil dieses Beitrages behandeln. Die Entwicklung einer Haltung: die Präsenz im Hier und Jetzt 12 Der traditionelle Unterricht und insbesondere der pragmatische Unterricht ist stark zukunftsorientiert und zielgerichtet: er soll die Teilnehmer auf eine hypothetische Zukunft vorbereiten (Heterochronie); damit wird die gegenwärtige Unterrichtssituation von der Zukunftgerichtetheit der Programmautoren abhängig. Statt direkt zu „sein", werden die Teilnehmer kontinuierlich auf ein zukünftiges Sein vorbereitet (prepares a etre). Diese Orientierung auf eine fiktive Zukunft verstärkt die Trennung zwischen Unterrichtsraum und Außenwelt (Heterotopie), die Welt innen wird der Welt draußen untergeordnet. Die POL hingegen konzentriert sich auf der Stufe I des Sprachtrainings vorrangig auf das Hier und Jetzt. 13 Sie geht von den Teilnehmern und von der anwesenden Gruppe aus. Die Sprache entsteht spontan im Hier und Jetzt der Übung. Bei- IO Die wichtigste pädagogische Frage, die sich in diesem Kontext stellt, ist, welche Fähigkeiten, Fertigkeiten und Einstellungen notwendig sind, um eine Fremdsprache zu erwerben. Welche Strukturen, lexikalischen Einheiten oder Sprechakte benötigt werden, um sich in einer bestimmten Situation sprachlich durchsetzen zu können, bestimmen in der Stufe I hauptsächlich die Teilnehmer selbst durch ihre Ausdruckswünsche. 11 Wir werden hier Momente der PDL in ihrer Standardanwendung beschreiben, d.h. bei Intensivkursen (3-6 Std. pro Tag) in der Form von Intensivwochenenden bzw. Intensivwochen. 12 Der Begriff Hier und Jetzt ist breitgefaßt. Er beinhaltet, daß die Teilnehmer einerseits als Träger einer immer gegenwärtigen Vergangenheit (passe-present) mit ihren Erinnerungen, positiven Erfahrungen, Enttäuschungen, Problemen und mit einer ebenso gegenwärtigen Zukunftsdimension (jutur-present) mit ihren Wünschen und Ängsten, Erwartungen, Hoffnungen und Zweifeln, Interessen und Vorhaben als Wunschwesen (etre-de-desir) anwesend sind. Die Gegenwart ist also mehrdimensional zu betrachten. 13 Auf der Stufe 11 z.B. beim Erwerb von Fachsprachen gehen die Trainer von Situationen aus, die die Teilnehmer beherrschen möchten. Sprechakte, Sprechintentionen sowie die erforderliche Lexik und Syntax entstehen aus diesen Situationen. FLuL 25 (1996) Aspekte der Sprachpsychodramaturgie 149 spielsweise in der Doppelübung (vgl. unten 3.1) am ersten Tag eines Intensivkurses läßt die Trainerin die Sprache kommen, die ihr spontan einfällt, indem sie sich in den Protagonisten 14 hineinversetzt. Bei der Variante zur Spiegelübung am Ende des zweiten Tages eines Intensivkurses fängt der Protagonist von sich aus an, seine erste Ausdruckssequenz zu entwickeln. Dabei beginnt er mit der Konzentration auf seinen Atemrhythmus und begleitet zuerst rein gestisch den inneren Monolog, der ihm gerade einfällt; in einer weiteren Phase versucht er, von der Gestik getragen, diese Ausdruckssequenz mit Lauten, Wörtern oder Sätzen zu verbalisieren. Die Trainerin bietet ihm in der folgenden Phase eine sprachlich ausgebaute Verbalisierung dieser Sequenz an. Die Sprache entsteht so aus dem Augenblick heraus. Schon in dieser Phase lernen die Teilnehmer, sich spontan auszudrücken, auch wenn sie noch nicht selbst über einen Großteil der dazu notwendigen sprachlichen Mittel verfügen. Die fehlenden Sprachmittel werden ihnen von den Trainern angeboten. Die Teilnehmer lernen in zahlreichen Aufwärm- und Hauptübungen, sich auf den Augenblick zu konzentrieren und spontan zu reagieren. Sie lernen, präsent bei dem zu sein, was gerade ist (etre present a ce qui est), und den Augenblick in seiner Intensität zu erleben. Der Einsatz von neutralen Masken in den ersten drei Tagen fördert ebenfalls die Konzentration auf das Geschehen. Einfache Atemübungen verstärken diesen Prozeß. Let it be (The Beatles): Präsenzfähigkeit beinhaltet eine Haltung der Disponibilität, eine Offenheit für das, was in dem Augenblick geschieht, eine Haltung des Loslassen-Könnens, also die Fähigkeit, geschehen zu lassen und kommen zu lassen, was gerade kommen will (gelassen sein), statt unbedingt etwas erreichen zu wollen. 15 Diese Präsenzfähigkeit wird auch durch die Entspannungsübung am Anfang jedes Unterrichtstages und durch andere Wahrnehmungs- und Konzentrationsübungen gefördert. Die Entwicklung einer Fähigkeit: das Zuhören (l'ecoute) Das aufmerksame Zuhören fängt beim Teilnehmer selbst während der Entspannungsübung an, die am Anfang j~des Kurstages stattfindet. Dieses Zuhören konzentriert sich zuerst auf physische Wahrnehmungen: auf den Kontakt des Körpers mit dem Boden, auf die Wahrnehmung des Schweregefühls, auf den Atemrhythmus, auf die Atembewegung ... 14 Als Protagonisten bezeichnen wir Teilnehmer, die direkt in einer Übung einbezogen sind. 15 Der Wille, unbedingt etwas erreichen zu wollen, kann den Erwerbsprozeß behindern oder blockieren. Ein banales Beispiel im Alltagsleben zeigt uns der „Schluckaufeffekt": Wenn eine Person einen unaufhörlichen Schluckauf hat und ihr eine bestimmte Summe versprochen wird, falls sie den Schluckauf dreimal im Laufe der nächsten zwei Minuten hat, dann stoppt der Wille den Prozeß. Ebenso wenn jemand Schwierigkeiten hat einzuschlafen, hindert das Schlafenwollen den Prozeß des Einschlafens. Im Sprachbereich unbedingt alles verstehen zu wollen, kann den Verstehensprozeß stören oder verhindern. FLuL 25 (1996) 150 Bernard Dufeu Der Händespiegel, der als Gruppenaufwärmung auf die Hauptübung 16 des zweiten Tages (Spiegelübung) vorbereitet, zeigt unter anderem, wie das Zuhören mit einem Partner geübt wird. Die Teilnehmer bilden Zweiergruppen und stehen einander gegenüber, A fängt mit langsamen Händebewegungen an, B versucht, diese Handbewegungen zu „spiegeln" und sich damit in den Rhythmus von A hineinzuversetzen. Dieses physische Zuhören bereitet auf das verbale Zuhören vor und sensibilisiert dafür, sich auf einen fremden Rhythmus einzustellen (eine Fremdsprache wird in erster Linie durch den ihr eigenen Rhythmus charakterisiert). In der anschließenden Hauptübung, der Spiegelübung, stellt sich ein Teilnehmer auf die Trainerin ein, die ihm gegenübersitzt. Er versucht, ihre Haltung soweit wie möglich zu übernehmen. Nachdem er eine halbe Maske aufgesetzt hat, mit der er nicht sehen kann, konzentriert er sich auf die Sprechsequenz, die sie entwickelt. Er versucht dann, die fremde Sprache als Echo zu übernehmen. In einer weiteren Phase dieser Übung wechselt er mit der Trainerin den Platz; dieses Mal trägt er eine offene Maske, mit der er sehen kann. Während die Trainerin ihre Sequenz wiederholt, versucht er, nicht nur Echo ihrer Stimme zu sein, sondern auch ihre Gestik zu übernehmen. Auf diese Weise ist es ihm möglich, noch tiefer in ihre Sequenz hineinzukommen und sich in sie hineinzuversetzen; dadurch kann er die Sprache besser von innen heraus erfassen. In dieser Übung wird er dafür sensibilisiert, den anderen durch „inneres" Zuhören genauer wahrzunehmen. Diese Fähigkeit bildet eine wichtige Basis für die zwischenmenschliche unq damit für die interkulturelle Kommunikation. 17 Durch die Gruppengröße von maximal vierzehn Personen auf der Stufe I kann sich jeder der anderen Teilnehmer mit dem/ den Protagonisten identifizieren und selbst die Übung innerlich nachvollziehen und damit die Fähigkeit des Zuhörens weiterentwickeln. Ab dem vierten Tag eines POL-Intensivkurses werden die Teilnehmer sehr oft zu „Dopplern" der Protagonisten und versuchen, sie in ihrem sprachlichen Ausdruck zu unterstützen. Dadurch üben sie sich fortwährend im aufmerksamen Zuhören. Die Tatsache, daß die Inhalte der Kommunikation nicht vorgegeben sind, und der persönliche Charakter der Aussagen fördern die Bereitschaft zum Zuhören. Es handelt sich nicht nur darum, einfach Wörter in der Fremdsprache zu hören, sondern jemandem zuzuhören, der sich persönlich ausdrückt. 18 16 Jede Hauptübung wird durch eine Aufwärmübung vorbereitet. Zwischenübungen erlauben eine Alternanz zwischen individuellen und Gruppenaktivitäten; sie helfen zugleich, bestimmte für den Spracherwerb nützliche Fähigkeiten und Fertigkeiten zu entwickeln. 17 Diese Fähigkeit, dem anderen auf „verfeinerte" Art zuzuhören, trägt zugleich zu einer nuancierteren Wahrnehmung der phonetischen Besonderheiten der Fremdsprache bei. 18 Die Themen entsprechen i.a. Inhalten, die man mit Bekannten ansprechen könnte. Der Begriff „persönlich" bedeutet nicht, daß in die engere Privatsphäre eingedrungen wird, sondern daß die Teilnehmer ihre „persönliche" Antwort zu der gegebenen Situation artikulieren. FLuL 25 (1996) Aspekte der Sprachpsychodramaturgie 151 3. Der Zugang zur Fremdsprache Die meisten Sprachlernmethoden stellen die Benutzung eines Lehrwerks in den Mittelpunkt der Fremdsprachenvermittlung. Das Lehrwerk bestimmt zum größten Teil die Inhalte der Kommunikation unter den Lernenden, auch wenn die sogenannte Transferphase die Möglichkeit eines freieren Gebrauchs des Gelernten gewähren soll. Die Form der Kommunikation ist meistens hierarchisch geprägt und verläuft häufig nach dem Frage-Antwort-Prinzip. 19 Der Verlauf des Unterrichts ist im allgemeinen an die Abfolge bestimmter Unterrichtsphasen gebunden: Einführung des unbekannten Wortschatzes, Übungsphase zur Aneignung der sprachlichen Inhalte, Transferphase. Dies entspricht einem „Zweitaktverfahren": Die Lerner sollen zuerst die Sprache lernen, um anschließend kommunizieren zu können. Statt den Lernern zuerst die Sprache beizubringen, die sie anschließend in Kommunikationssituationen anwenden sollen, bietet die POL Übungen, die den Wunsch der Teilnehmer stimulieren, sich direkt auszudrücken und zu kommunizieren. Die sprachlichen Mittel werden ihnen nach Bedarf gegeben; damit sind beide Prozesse, Erwerb und Kommunikation, vereint. 20 3.1 Zugang zur Fremdsprache über ihren Rhythmus und ihre Melodie Am Anfang war das Ohr: Der Einstieg in die Fremdsprache erfolgt mit dem individuellen Kontakt jedes Teilnehmers mit dieser Sprache. Die Trainerin setzt sich hinter den Protagonisten in einer Dopplerposition, d.h. sie versucht, die gleiche Körperhaltung wie er einzunehmen und stellt sich auf seinen Atemrhythmus ein. Sie versucht, sich so weit wie möglich in den Protagonisten hineinzuversetzen. Dann läßt sie eine Sprechsequenz entstehen, die der Protagonist möglicherweise in dieser Situation ausdrücken könnte, wenn er die sprachlichen Mittel dazu zur Verfügung hätte. In einer zweiten Phase nimmt sie diese Sequenz sinngemäß wieder auf und schlägt dem Protagonisten vor, sich nun mit dem Rhythmus und der 19 Der Lehrer stellt Fragen, deren Antworten er kennt; weicht der Lerner von der erwarteten Antwort ab, ertönt oft das berühmte „Ja, aber ...". Es scheint uns adäquater, auf Nachfrage zu antworten, statt künstliche Antworten zu erfragen. Die „kommunikativen Methoden" insbesondere in Deutschland und in Frankreichhaben zwar inhaltliche Veränderungen angebahnt, indem sie untersucht haben, welche sprachlichen Mittel in bestimmten Kommunikationssituationen notwendig sind (z.B. Aufstellung der relevanten Kommunikationssituationen, Erkundung der nützlichen Sprechakte, Redemittel, ...), sie sind aber damit vorwiegend auf der linguistischen Ebene geblieben. Der Unterrichtsprozeß ist meistens nicht wirklich kommunikativer geworden. 20 Die Tatsache, daß die Teilnehmer in der Fremdsprache nicht die Wörter zur Verfügung haben, um sich auszudrücken, berechtigt nicht dazu, ihnen das Recht auf eigenen Ausdruck zu entziehen. Sich an den Teilnehmern zu orientieren, setzt voraus, daß man nicht vorher festlegt, welche sprachlichen Inhalte sie lernen und anwenden sollen. Es schließt ein vorgefertigtes sprachliches Programm aus. FLuL 25 (1996) 152 Bernard Dufeu Melodie der Fremdsprache vertraut zu machen, indem er versucht, die Wörter und Sätze dieser ersten Sprechsequenz zu übernehmen und sich vom Rhythmus der Fremdsprache tragen zu lassen. Die Trainerin moduliert diese Sequenz, je nachdem wie der Protagonist ihren Sprachvorschlag übernimmt (Unterlassungen, andere Intonation ... ). In diesen Sequenzen spielt sie oft mit den Rhythmen und Lauten der Fremdsprache, manchmal entstehen Alliterationen, die den rhythmischen Charakter der Sprache hervorheben (z.B.: "J'avance progressivement pas a pas, peu a peu, dans cette langue inconnue"). Die Teilnehmer kommen dadurch unmittelbar in Kontakt mit der Poesie dieser Sprache und entwickeln zugleich eine Sensibilität für die suprasegmentalen Aspekte der Fremdsprache und für die Wahrnehmung der konnotativen Werte der Botschaft. Die Sprache wird so nicht als eine Summe von sich aneinanderreihenden lexikalischen Elementen präsentiert, sondern in ihrer melodischen Gesamtheit erfaßt. Sie verliert damit einen Teil ihres Fremdheitscharakters und gewinnt so an Vertrautheit. Diese Arbeit wird durch die Einführung von Gedichten vertieft, die von Körperbewegungen begleitet werden, um die rhythmischen, melodischen und segmentalen Eigenarten der Fremdsprache deutlich erfahrbar zu machen. 21 3.2 Die Fremdsprache von innen und von sich ausgehend erleben Von den bekannten Inseln zu neuen Ufern: Die Teilnehmer bilden (jeder für sich) während der ersten zwei Tage einen „Sprachkern" 22 in der Fremdsprache; von diesem Sprachkern ausgehend, bahnen sie sich ihren Weg in der Fremdsprache. Ihre Ausdrucks- und Kommunikationswünsche werden durch gezielte Verfahren geweckt, d.h. durch „Settings" bzw. Rahrnenaktivitäten. 23 Die Teilnehmer drücken 21 Wir verdanken in diesem Bereich viel der Arbeit von Marcel Jousse (1974, 1975), die uns von Gabrielle Baron (1981) vermittelt wurde, und der Arbeit von Marie-Louise Aucher (1977). Wir berücksichtigen dabei die Grundsätze der verbotonalen Methode, die uns von Petar Guberina (1965, 1972) und Genevieve Calbris nahegebracht wurden (Calbris 1975, 1981). Vgl. dazu Dufeu (1976). 22 Dieser „Ausdruckskern" besteht aus den in den vorherigen Phasen erworbenen Sprachkenntnissen, die bewußt über die Erklärungen zu dem methodischen Vorgehen, über die Anweisungen zu den Übungen oder über die Entspannungsübungen, die am Anfang bilingual stattfinden, oder auch durch die intuitiv erfaßte Bedeutung von Sequenzteilen bei sich und anderen aufgenommen wurden. Dazu kommen auch eventuell vorhandene Vorkenntnisse der Teilnehmer bzw. "Intemationalismen" sowie para- und nonverbale Kommunikationsmittel. 23 Eine Rahmenaktivität bietet einen offenen Rahmen, der die Ausdruckswünsche der Teilnehmer stimuliert. Die Teilnehmer bestimmen selbst die Inhalte. Die Kommunikationswünsche der Teilnehmer bestimmen die angewendete Sprache. Statt im voraus und in Abwesenheit der Betroffenen zu bestimmen, was für sie gut ist, halten wir es für besser, ihnen die Verantwortung für ihre Sprache zu lassen. FLuL 25 (1996) Aspekte der Sprachpsychodramaturgie 153 sich zuerst mehr oder weniger bruchstückhaft aus. Die Trainer stellen sich sprachlich auf sie ein und geben ihnen die fehlenden sprachlichen Mittel, um ihre Ausdruckssequenz genauer zu artikulieren und zu erweitern. Sie folgen ihnen in ihren Ausdruckswünschen, statt ihnen mit einem festgelegten Programm vorauszugehen. Die Sprache entspringt aus den Kommunikationswünschen und -bedürfnissen der Teilnehmer, sie wird sozusagen maßgeschneidert. Jeder eignet sich seine persönliche Ausdrucksweise und seine eigenen Ausdrucksmöglichkeiten in der Fremdsprache an. Jeder wird zum Architekten seiner Sprache. Jeder ist aktives Subjekt seines Erwerbsprozesses, statt passives Objekt eines fremdbestimmten Programms zu sein. Bei den verwendeten Übungen wird die Fremdsprache direkt in Aktion und Interaktion erfahren und erworben, sie wird erlebt, statt nur gelernt. Trotz der Verschiedenheit der angesprochenen Themen bildet sich in jeder Gruppe eine gemeinsame Sprache, die man als relationelle Sprache bezeichnen kann. 24 Die Fremdsprache wird zum Mittel des eigenen Ausdrucks und der lebendigen Kommunikation unter den Teilnehmern, statt Ziel des Unterrichts zu sein. Dadurch entsteht eine Kenntnis der Sprache; auf dieser Grundlage kann je nach Bedürfnis ein Wissen aufgebaut werden. 25 Da die Teilnehmer selbst Urheber ihres Ausdrucks sind, besteht eine enge Beziehung und Kongruenz zwischen Sprecher und Sprache ebenso wie zwischen Ausdruck und Ausdruckswunsch, zwischen dem Gesagten und dem Ausgedrückten, zwischen Ausdruck und realer bzw. imaginärer Situation. 26 Die sprachlichen Inhalte haben damit für die Teilnehmer eine Bedeutung. 27 Die Teilnehmer tun mehr, als 24 Diese relationelle Sprache drückt unter anderem aus: Wünsche, Bedürfnisse, Empfindungen, Befindlichkeit, Interesse, persönliche Vorliebe, die Situierung in Raum und Zeit, den Wunsch bzw. die Schwierigkeit oder die Angst, sich in der Fremdsprache auszudrücken, die Eindrücke über die angewandte Methode, Ereignisse vor dem Kurs oder während des Kurses .. . Diese Sprache bildet sozusagen die Grundsprache der Kommunikation mit sich selbst und mit anderen. 25 Ein Beispiel aus einem anderen Bereich kann den Unterschied zwischen Kenntnis und Wissen verdeutlichen: Wenn wir ein Buch über ein Land lesen, besitzen wir ein Wissen über dieses Land, wenn wir es besuchen, erwerben wir eine Kenntnis dieses Landes durch direkte Erfahrung. 26 Diese Kongruenz erleichtert den Semantisierungsprozeß des neuen sprachlichen Materials und sein Behalten. Damit wird die doppelte Verfremdung vermieden, die wir im traditionellen Unterricht antreffen (die Lerner benutzen nicht ihre Wörter, da es nicht ihre Muttersprache ist, sie benutzen aber auch nicht ihre Worte, da man ihnen meistens fremde Inhalte auferlegt, zu denen sie keinen inneren Bezug haben). Diese doppelte Verfremdung erschwert den Erwerb bzw. das Lernen der Fremdsprache. 27 Wir machen den Unterschied zwischen dem Sinn (Denotat) und der Bedeutung einer Aussage: "Es ist sechs Uhr" hat den denotativen Sinn einer Zeitangabe, die Bedeutung beinhaltet persönliche und soziale Konnotationen: "Schon", "Endlich", "Ich muß weg", ... Sehr oft begreifen die Teilnehmer in der PDL den unbekannten Sinn eines fremdsprachlichen Ausdrucks über die intuitive Erfassung der Bedeutung der Aussage, die durch Situation, Kontext, Beziehung zwischen den Sprechern, paraverbale und non-verbale Elemente getragen wird. FLuL 25 (1996) 154 Bemard Dufeu nur sprechen: sie drücken sich aus. Da die Fremdsprache in ihnen eine persönliche Resonanz hervorruft, kann dies den Integrationsprozeß erleichtern. Um eine lineare Progression im Ausdruck zu vermeiden, werden die Sprechsequenzen der Teilnehmer meistens unter Veränderung eines ihrer Parameter (z.B. neuer Gesprächspartner für die gleiche Sequenz, Veränderung einer Komponente der Situation, einer Charakteristik beim Gesprächspartner) mehrmals aufgerollt; dies fördert eine spiralförmige Erweiterung der Sprache. Die neuen Ausdrucksmittel können auf diese Weise wieder aufgegriffen, erweitert und so leichter behalten werden. Dieses Verfahren gibt außerdem dem Ausdruck der Teilnehmer eine gewisse Dynamik, denn es regt den Kreislauf der schöpferischen Spontaneität an (vgl. Moreno 1954: 11-18). Vom Ich zum „Anderen": Die Progression basiert vorwiegend auf relationellen Kriterien. Die ersten drei Phasen eines Intensivkurses beinhalten eine individuelle Einführung jedes Teilnehmers in die Fremdsprache durch drei Grundübungen: Doppeln, Spiegeln und Triadische Begegnung. In diesen ersten Phasen dominiert die „Ich-Sprache", eine egozentrische Sprache (vgl. Piaget 1956). Ab der 4. Phase (Verzögerte Begegnung am vierten Tag) begegnen sich Teilnehmer zuerst in Zweiergruppen, bevor sie später mit mehreren Teilnehmern ins Gespräch kommen; damit ergibt sich eine „sozialisierte" Sprache. Es entsteht sozusagen eine Progression vom Ich zum Du und Ihr, eine Bewegung von innen (Rückkehr zu sich) nach außen (Kontakt mit den anderen). Die angewandten Verfahren werden in ihrer Auswahl und Reihenfolge so aufeinander abgestimmt und entsprechend der PDL- Konzeption des Spracherwerbs ausgesucht, daß eine kohärente Progression gewährleistet ist. In der Stufe I der PDL findet die Sprache ihren Ursprung im realen und imaginären Leben der anwesenden Gruppe. Wenn in der Stufe II Texte eingesetzt werden (z. B. literarische Texte, landeskundliche Texte oder Fachtexte), dienen diese nicht nur der Erweiterung der Sprache, sondern sie haben meistens eine Auslöserfunktion: Sie tragen vor allem dazu bei, die Ausdruckswünsche der Teilnehmer zu stimulieren. Situationen aus dem realen oder imaginären Leben der Gruppe geben ebenfalls Anlaß zu schriftlichen Aktivitäten (Bericht, Anzeige, Interview, ...). 28 Sprache entdecken und sich aneignen, statt fremde Erkenntnisse wiederzukäuen: Wenn sprachliche Probleme auftauchen, die eine bewußte kognitive Erklärung for- 28 In den ersten zwei Wochen eines Intensivkurses findet der Zugang zur Sprache hauptsächlich über die gesprochene Sprache statt. Der Kontakt mit dem schriftlichen Code geht ab dem dritten Kurstag zuerst von Schreibwünschen der Teilnehmer aus. Die Teilnehmer erhalten am Ende des ersten Wochenendes bzw. der ersten Woche die Texte der Gedichte und der Entspannungsübungen, so daß sie die Orthographie mit ihren eigenen Transkriptionsvorstellungen vergleichen können. Später werden Texte eingesetzt, die zum Teil nach dramaturgischen Kriterien ausgesucht werden (vgl. Dufeu 1995: 117-136 und 1996: Kap. VII). Die PDL geht von den persönlichen Schreibwünschen aus (Prinzip der persönlichen Resonanz), bevor die Schrift als Regelsystem in ihrer Gesamtheit vorgestellt wird. FLuL 25 (1996) Aspekte der Sprachpsychodrarnaturgie 155 dem, dann wird diese soweit möglich von der Gruppe selbst gesucht. 29 Bei der Entdeckung des Regelsystems der Fremdsprache geht man wieder von den Teilnehmern aus, statt sie mit vorgefertigten Modellen zu konfrontieren. Die Grammatik wird also in der PDL nicht vorprogrammiert, sie steht in einer Outputposition (von den Problemen ausgehend) und nicht in einer Inputposition. Damit wird das Antizipieren bzw. das Entstehen von Problemen vermieden. Die Reflexion über grammatische Fragen ergibt sich aus der direkten Begegnung mit der Sprache, so daß die Grammatik nicht von der Anwendung der Sprache getrennt betrachtet wird. Der andere, der mir so fremd erscheint: Der Kontakt mit den interkulturellen Aspekten der Sprache geschieht ebenfalls auf zwei Ebenen: auf der Ebene des Verhaltens und auf der Ebene des Wissens. Auf der Verhaltensebene werden Fähigkeiten entwickelt, die im Kontakt mit Fremden und fremden Kulturen wichtig sind: die Bereitschaft, dem anderen zuzuhören und sich in ihn hineinzuversetzen; die Schärfung der Selbst- und Fremdwahrnehmung, die Akzeptanz der Andersartigkeit, ohne sie sofort mit Werturteilen zu belegen, sowie das Sich-Abgrenzen- Können. Neugierde für das Fremde wird geweckt 30, und zudem wird die Flexibilität erhöht. Alle diese Aspekte werden in der PDL besonders durch den regen Gebrauch von Imaginationsübungen gefördert. Die zweite Ebene betrifft das Wissen über das fremde Land und die Kenntnis dieses Landes. Um dies zu erreichen, werden unter anderem Texte dramaturgisch umgesetzt, die den Teilnehmern ein Erleben bestimmter Situationen von innen heraus ermöglichen. 31 4. Die PDL als Herausforderung Die Durchführung eines POL-Kurses in seiner „orthodoxen" Form kann mit einigen organisatorischen und institutionellen Schwierigkeiten verbunden sein. Denn dafür sind die Anwesenheit zweier Trainer 32 während der ersten zwei Wochen, eine 29 In diesem Zusammenhang wird u.a. die „Konzeptualisationstechnik" von Besse (1974) eingesetzt. 30 Das Fremde kann mit Neugier, aber auch mit Bedrohung verbunden sein. 31 Diesen Bereich haben wir bisher aus zeitlichen und entwicklungstechnischen Gründen wenig erforscht. Daniel Feldhendler, mit dem wir die relationelle Dramaturgie entwickeln, hat sich inbesondere mit der dramaturgischen Vermittlung interkultureller Aspekte befaßt und dabei Arbeitsformen entwickelt, die auf den methodologischen Grundlagen der Psychodramaturgie beruhen (Feldhendler 1983, 1989, 1990, 1991, 1992). 32 Die Durchführung mit einem Trainer während der ersten zwei Wochen setzt eine große Erfahrung voraus. Ein solcher Kurs ist für einen Trainer physisch sehr anstrengend und kann seine erforderliche Disponibilität und Konzentration beeinträchtigen. Die symbolische Kraft einiger Übungen wird reduziert oder geht verloren. Außerdem ist die Veränderung einiger Übungen FLuL 25 (1996) 156 Bemard Dufeu kleine Gruppe (maximal 14 Teilnehmer) und ein Intensivkurs Voraussetzung (Wochenenden bzw. Intensivwochen mit mindestens drei StuI).den pro Tag zumindest beim Einstieg in die Fremdsprache). Aus diesem Grunde wird die POL bisher vorwiegend in der Erwachsenenbildung eingesetzt. Die POL erfordert eine methodologische, technische und relationelle Ausbildung der Trainer. Die POL erfordert nicht nur Übung, um die Techniken zu beherrschen, sondern ein tiefes Umdenken. Da die Arbeit mit echten Anfängern schwieriger ist, wird den Trainern empfohlen, zuerst einige Erfahrungen mit Anfängern mit Vorkenntnissen bzw. mit Fortgeschrittenen zu sammeln. Die Grundausbildung besteht aus sechs Wochenenden, die über sechs Monate verteilt sind, so daß die Trainer in der Zwischenzeit mit Schülern oder Bekannten üben können. Aufbauseminare ergänzen diese Grundausbildung. Die POL weicht von gewissen Lehr- und Lerngewohnheiten und der traditionellen Konzeption des Fremdsprachenunterrichts ab. Ihre Umsetzung fordert von den Trainern, daß sie für die Teilnehmer die richtigen Worte, Bilder, Metaphern oder Erklärungen finden, um bei ihnen andere Einstellungen und Haltungen zum Erwerbsprozeß in die Wege zu leiten und das Besondere dieses Ansatzes verständlich zu machen. Die Trainer brauchen auch Geschick, Sensibilität und Erfahrung, um das Verhaltensspektrum der Teilnehmer zu erweitern, die Angst vor Fehlern haben bzw. befürchten, sich vor den anderen zu blamieren, oder die dazu tendieren, sich nach dem „Besten" richten. Die POL ist nicht nur eine mögliche Alternative zu anderen Sprachmethoden, sondern sie erweist sich auch wegen der methodologischen Fragen, die sie in den Raum stellt, und der ihr zugrunde liegenden Konzeption des Spracherwerbs als eine pädagogische Herausforderung. Ouvertüre als Abschluß Die POL hat eine fast zwanzigjährige Entwicklung hinter sich und bietet ein weites Entwicklungsfeld. Auch wenn sie seit etwa zehn Jahren ein kohärentes Gesamtbild aufweist, eröffnen sich fortwährend neue Erweiterungs- und Vertiefungsmöglichkeiten. Bisher ist die POL vorwiegend in der Erwachsenenbildung, ihrem ursprünglichen Entwicklungsfeld, eingesetzt worden. Einige vielversprechende Versuche sind mit Jugendlieben in Form von Intensivkursen und Arbeitsgemeinschaften gemacht worden. Immer mehr Kollegen setzen POL-Verfahren im schulischen Bereich ein. Auch hier führt die POL die trainierten Sprachlehrer zu anderen Haltungen gegenüber ihren Teilnehmern, zu einem anderen Rollenverständnis in ihrer Lehrerfunktion, zu anderen Einstellungen zum Spracherwerb. Gerade im schuerforderlich, was mit einem Verlust an Effektivität verbunden ist. Die Arbeit zu zweit erlaubt außerdem eine differenziertere Wahrnehmung der Gruppenprozesse und führt zu einer gegenseitigen beruflichen Bereicherung. Es ist die Frage, ob der durch Verzicht auf den zweiten Trainer erzielte wirtschaftliche Gewinn oder die organisatorische Erleichterung wirklich von Vorteil sind. FLuL 25 (1996) Aspekte der Sprachpsychodramaturgie 157 lischen Bereich ist noch viel zu tun, um von einer Pädagogik des Habens zu einer Pädagogik des Seins überzugehen. Eine Anwendung der Prinzipien der PDL auf Fremdsprachenunterricht für Kleinkinder, eine Anpassung einiger ihrer Verfahren an diese Altersstufe und die Erstellung entsprechend neuer Verfahren sind in Planung. Der Sprachunterricht kann zur Strukturierung und Erweiterung der Persönlichkeit des Kleinkindes beitragen und zugleich den Fremdsprachenerwerb fördern. Auch hier eröffnet sich noch ein weiteres Arbeitsfeld. Bibliographische Angaben AUCHER, Marie-Luise (1977): L'homme sonore. Paris: Epi. AUCHER, Marie-Luise (1977): Les plans d'expression. Paris: Epi. BARON, Gabrielle (1981): Memoire vivante. Paris: Le Centurion. BESSE, Henri (1974): "Les exercices de conceptualisation ou la reflexion grammaticale au niveau 2" In: Voix et Images du CREDIF 2, 38-44. CALBRIS, Genevieve / M0NTREDON, Jacques (1975): Approche rythmique, intonative et expressive du franr; ; ais langue etrangere. Paris: Cle International. CALBRIS, Genevieve/ M0NTREDON, Jacques (1981): Oh la la. 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Beruhend auf einer KONZEPTION DES MENSCHEN als einzigartiges Wesen in Entwicklung begriffen von Polaritäten getragen in Beziehung zu anderen AUFWARM-/ HAUPfUBUNGEN zum zur AUSDRUCK/ KOMMUNIKATION Entwicklung von EINSTELLUNGEN und HALTUNGEN zum ERWERBSPROZEß jedem seinen Weg jedem seinen Rhythmus jeder sich selbst als Referenz - Präsenz im Hier und Jetzt - Vertrauen lnterkulturalität SENSIBILISIERUNGS- UBUNGEN Entspannungs-, Atem-, Vokalisierung-, Rhythmusübungen, Gedichte Entwicklung von EINSTELLUNGEN/ HALTUNGEN FAffiGKEITENIFERTIGKEITEN, die den Spracherwerb fördern - Präsenz - Kontakt - Konzentration - Flexibilität - Zuhören - Spontaneität - Intuition - Kreativität -usw. -usw. Die Inhaltsebene umfaßt: Linguistische und interkulturelle Aspekte. FLuL 25 (1996) Hans-Erich Herfurth Tandem ein Verfahren zum Fremdsprachenlernen und Fremdsprachenerwerb in Sprachbegegnungen Abstract. The article clarifies the terms „Tandem" and „language exchange program" in their relationship to each other and assigning a value to the Tandem technique within foreign didactic considerations. Two individuals or two groups from different countries encounter each other with the mutual intention of learning the language and experiencing the culture of the partner(s) in a mutual process. In this sense, Tandem can be understood as the ideal technique of language learning in the framework of language exchange programs. The article presents a brief history of the Tandem technique in language exchange programs in Europe. Then attention turns to several examples of language exchange programs on university level. The starting points for didactic intervention are tobe found in the institutional framework of the programs (i.e. learners' conditions, aims of the programs, subjects) as well as in the communication between the two Tandempartners. The partners structure the teaching-learning context through an implicit or explicit „didactic agreement" in which decisions are reached regarding such areas as mutual corrections, semantic clarification of unknown words and the choice of the language. The agreement helps to achieve an optimal situation for language acquisition and learning. The text finally discusses the advantages of language exchange programs and the Tandem technique in the context of students' mobility in Europe. 1. Was ist „Tandem"? 1.1 Das Tandemprinzip Tandem, jedem geläufig als „Fahrrad für zwei Personen", wird seit einigen Jahren als Metapher auf Sprachkurse übertragen: Zwei unterschiedlichsprachige Personen(gruppen) erfahren gemeinsam eine Wegstrecke in der jeweils anderen Sprache und Kultur, kommen durch Addition ihrer Kräfte vorwärts, helfen sich weiter und treiben sich so beim Sprachenlernen gegenseitig voran. Tandem bezeichnet sowohl das Sprachenlernen in der Konstellation Muttersprachler - Nichtmuttersprachler (Individualtandem) als auch das Sprachenlernen in binationalen Gruppen (Sprachbegegnungen). Beim Individualtandem werden zwei·Personen (meistens unabhängig von einem Sprachkurs) von einer Tandemvermittlung zusammengebracht und entscheiden autonom über ihre Lernziele, Lerninhalte und Lernwege beim gegenseitigen Sprachenlernen 1• Sprachbegegnungen, auch „binationale Kurse" (vor allem im deutsch-französischen Bereich) oder einfach „Tandemkurse" genannt, sind eine Lern- und Erwerbsprozesse im Individualtandem beschreiben: Rost-Roth (1995) und Gick/ Müller (1992). FLuL 25 (1996) Tandem ein Verfahren zum Fremdsprachenlernen und Fremdsprachenerwerb... 161 zweite Form. Sie soll in diesem Aufsatz im Mittelpunkt stehen. Der Begriff „Tandem" bedarf in diesem Zusammenhang weiterer Präzisierung. Wichtigstes Merkmal binationaler Kurse ist die Begegnung von Personen mit der Absicht, die Sprache des/ der anderen mit dem/ den anderen in einem gemeinsamen Prozeß zu erfahren und zu erlernen. Sprechen und gemeinsames Handeln der Teilnehmer an einer Sprachbegegnung geht über die sprachliche Verständigung hinaus und zielt auf gegenseitiges (kulturelles) Verstehen. Miteinander handeln und lernen heißt, den/ die anderen als Lernpartner zu sehen und mit ihm/ ihnen sowohl Lernwege als auch Sinn und Bedeutung von Äußerungen immer wieder neu auszuhandeln. Dabei übernehmen die Partner in einem ständigen Wechsel „Lehrer- und Lernerrolle". Der „binationale" und damit auch „bikulturelle" Kontext (vor allem im deutsch-französischen Bereich) von Sprachbegegnungen ist ein weiteres entscheidendes Merkmal. Lernprozesse, Wahrnehmung, Handlungsnormen und Verhalten hängen ab von den im eigenen nationalen und soziokulturellen Kontext erfahrenen Sozialisationseinflüssen. Sie nehmen vielfach gebrochen für das Individuum Orientierungscharakter an und wirken ein auf das Verhältnis zu Ausländern und zum Ausland. In Tandemkursen nehmen deshalb die Bewußtmachung von und die aktive Auseinandersetzung mit nationalkulturellen Ausprägungen breiten Raum ein und bedeuten damit interkulturelles Lernen. Linguistisch gesehen können Sprachbegegnungen als eine Phase „organisierten Spracherwerbs" verstanden werden. Zielsprache der Lerner ist grundsätzlich die Muttersprache des Partners. Sprachbegegnungen stehen im Gegensatz zu unorganisierten und spontanen Phasen des sprachlichen Kontakts von Muttersprachlern und Nichtmuttersprachlern, die nicht zum Zweck des gegenseitigen Spracherwerbs unterhalten werden (z.B. Kontakt: Einheimischer - Tourist). Andererseits grenzen Sprachbegegnungen sich auch gegenüber unterrichtlich organisierten Sprachlernsituationen ab. Tandemkurse bewegen sich zwischen den Polen (Sprache) lernen und (Sprache) erwerben. "Lernen" meint hier einen stukturierten, gesteuerten, bewußten, unterrichtlich organisierten und didaktisierten Prozeß, "Erwerben" hingegen einen authentischen, natürlichen, unbewußten, spontanen und autonomen Prozeß. In Sprachbegegnungen sind Mutter- und Fremdsprache aus der Perspektive des jeweiligen Sprechers sowohl (Unterrichts-)Medium als auch (Unterrichts-)Gegenstand. Im Unterschied zu anderen Spracherwerbs- und -lernkontexten bieten sich in einem Tandemkurs beide Sprachen Ge nach Phase) sowohl als sprachliche Einheiten (spracherläuternde oder sprachübende Funktion) als auch als inhaltliche Einheiten (Lerner vermitteln einander authentische Informationen und Inhalte) dar. Eine Sprachbegegnung ist damit immer ein „realer und authentischer Kommunikations- und Interaktionsraum". "Tandem" kann nun als methodisches Verfahren oder Prinzip aufgefaßt werden, daß den Kommunikations- und Handlungsraum „Sprachbegegnung" idealerweise methodisch-didaktisch ausgestaltet. Im Zentrum der Überlegungen geht es um die Frage, wie durch das Tandemverfahren am wirkungsvollsten Spracherwerb FLuL 25 (1996) 162 Hans-Erich Herfurth und -lernen in einem binationalen Kontext organisiert werden können. Eindeutige didaktisch-methodische Vorgaben kann es nicht geben. Je nach Zielvorstellungen der einen Tandemkurs organisierenden Institutionen, sprachlichen und sonstigen Teilnehmervoraussetzungen, Gruppendynamik, Ort und Dauer von Begegnungen etc. sind einzelne Komponenten des Tandemverfahrens unterschiedlich zu gewichten. Doch können die breiten Erfahrungen in Sprachbegegnungen inzwischen zu Leitlinien zusammengefaßt werden, die Orientierungen für Planung, Aufbau und Durchführung von Begegnungssituationen geben. 2 1.2 Kleine Tandem-Geschichte Verschiedene Formen des organisierten Partnerlernens zum Zweck des Spracherwerbs, wie etwa Tutorien oder Zweierschaftslernen (im Sinne gegenseitiger Schülerhilfe), lassen sich als Vorläufer des Individualtandems in der pädagogischen Literatur bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Die Anwendung des Tandemverfahrens in Sprachbegegnungen ist jedoch erst ein Phänomen der letzten drei Jahrzehnte. ► Deutsch-französische Tandemkurse Die Verbindung der Begriffe „Tandem" und "Begegnung" in bezug auf Sprachenlernen/ Spracherwerb tauchte Ende der sechziger Jahre in Zusammenhang mit damals schon so genannten „binationalen Kursen" im Rahmen deutsch-französischer Jugendbegegnungen auf. Zielgruppen dieser „Sprachförderung" Anfang der siebziger Jahre waren in diesen vom Deutsch-Französischen Jugendwerk (DFJW) unterstützten und vorangetriebenen „Ferienbegegnungsprogrammen" Schüler, junge Berufstätige und Studenten. Das Tandemprinzip (damals noch stark angelehnt an audiolingualen und audiovisuellen Ansätzen) wurde zum ersten Mal Teil eines methodisch-didaktischen Konzeptes in Form von Sprachunterricht in binationaler Form, Partnerarbeit im Tandem und gemeinsamen Freizeit- und Sportaktivitäten3. Neuere Entwicklungen des Tandem-Lernens wären ohne diese Urheberschaft des DFJW nicht denkbar. Es folgten mehrere didaktisch-methodische Überarbeitungen dieser Kurse, die dem Zweierschaftslernen in der Tandem-Formation und freieren Sprachvermittlungsformen zunehmend Platz einräumten. Tandemaktivitäten sind inzwischen für alle Phasen des Sprachenlernens vorgesehen. In fast allen vom DFJW geförderten Kursen auf Grundstufenniveau findet sich die Abfolge von mononationalen (= "nationale" Lerngruppen sind getrennt) und binationalen (= beide Lerngruppen gemeinsam) Phasen (häufig im 90-Minuten-Wechsel), jedoch immer mit der inhaltlichen (und in der Regel auch zeitlichen) Dominanz der binationalen Phasen. Ebenso charakteristisch ist in den letzten Jahren für die meisten deutsch-französischen Tandemkurse die teilweise Angliederung des Freizeitprogramms (z.B. Workshops, sportliche Aktivitäten und Exkursionen in binationalen Gruppen) an das 2 Solche methodisch-didaktischen Überlegungen zu binationalen Kursen werden momentan für den deutsch-französischen Bereich im Auftrag des Deutsch-Französischen Jugendwerks in einem Handbuch zusammengetragen. 3 Zur Entwicklung der Tandemkurse im deutsch-französischen Bereich seit Ende der sechziger Jahre vgl. ausführlicher: Cauneau (1990) und Zamzow (1991). FLuL 25 (1996) Tandem ein Verfahren zum Fremdsprachenlernen und Fremdsprachenerwerb... 163 Unterrichtsprogramm. Animation und Sprachförderung werden im deutsch-französischen Bereich ausdrücklich als Ganzes verstanden. 4 ► Deutsch-türkische Tandemkurse In den siebziger Jahren begegneten sich in München, ab 1983 auch in Frankfurt, türkische Migranten und deutsche Arbeiter in Tandemkursen. Diese wurden jedoch nach einigen Jahren wieder eingestellt, vor allem aufgrund der geringen Resonanz bei deutschen Interessenten, der unterschiedlichen sozialen Herkunft mit entsprechend unterschiedlichen Lernbiographien und der relativ entfernten Sprachsysteme des Deutschen und des Türkischen. Erfolgreicher liefen ab 1987 dreiwöchige deutsch-türkische Tandemkurse unter dem Titel „Birlikte ögrenelim gemeinsam lernen", die einmal im Jahr unter der Ägide der Pädagogischen Arbeitsstelle des Deutschen Volkshochschulverbandes in der Nähe von Istanbul stattfanden und interkulturelles Lernen in den Vordergrund stellten 5• ► Deutsch-spanische Tandemkurse Parallel zu den genannten Entwicklungen entstand in Madrid aus einer 1979 initiierten Tandempartner-Einzelvermittlung ab 1982 ein Tandemkursprogramm. Zunächst wurden parallel laufende Deutsch- und Spanischkurse phasenweise für gemeinsame Übungen zusammengebracht. Die Tandem-Versuche am Madrider „Instituto Aleman" (Goethe-Institut) setzten sich ab 1984 fort im Programm des neugegründeten „Centro Cultural Hispano-Aleman Tandem". Vom Madrider Vorbild ausgehend entwickelten sich in den achtziger Jahren zunächst in Barcelona, San Sebastian und mehreren deutschen Städten, später auch in Frankreich und Italien, sogenannte „Tandem- Initiativen". Die sich als „alternativ" verstehenden Sprachschulen haben sich locker zum sogenannten „Tandernnetz" zusammengeschlossen, in dem u.a. Kursprogramme und Austauschaktivitäten koordiniert werden. Alle Tandem-Schulen vermitteln Individualtandems, einige haben auch Tandemphasen in ihr sonstiges Sprachkursprogramm aufgenommen, entweder als Intensiv- (meistens zu Ferienzeiten) oder Extensivkurse (z.B. zweimal die Woche). Es ist dieser deutschspanischen Tradition und vor allem Jürgen Wolff vom Centro Intercultural Tandem in San Sebastian mit seiner regen Veröffentlichungstätigkeit zu verdanken, daß ab der zweiten Hälfte der achtziger Jahre der Tandem-Gedanke in Westeuropa weite Verbreitung fand und schließlich mit den „Internationalen TANDEM-Tagen" ein Forum entstand, daß viele der hier genannten Institutionen zu einem regen Gedankenaustausch zum Sprachenlernen nach dem Tandemprinzip zusammenbrachte. Inzwischen entstand in San Sebastian die „TANDEM-Fundazioa", die u.a. Impulse für eine intensivierte Forschung und für die Erstellung von Materialien zu „Tandem" geben möchte. 6 ► Das wissenschaftliche Interesse am Tandemverfahren Auch im universitären Bereich wurden binationale Sprachkurse in den achtziger Jahren initiiert, im deutsch-spanischen (seit 1986 Kooperation zwischen den Universitäten Bochum und Oviedo) wie im deutsch-französischen Kontext (z.B. Fachsprache Jura Universitäten Mainz-Dijon). An der Universität Fribourg/ Schweiz entstand 1982/ 83 eine Individualtandem-Vermittlung und in deren 4 Ähnliches gilt für die von der deutsch-französischen Doppelorganisation GeFüZ/ B.I.L.D. angebotenen Tandem-Feriensprachkurse für Jugendliche (mehr als 700 Teilnehmer pro Jahr! ). 5 Zur Durchführung und theoretischen Grundlegung dieser Kurse vgl. Nakipoglu-Schimang u.a. (1987). 6 Zur Entwicklung deutsch-spanischer Tandemkurse und zu den umfangreichen Aktivitäten von Tandem San Sebastian vgl. Wolff (1994). FLuL 25 (1996) 164 Hans-Erich Herfurth Umfeld später Tandemkurse und eine intensive Begleitforschung. Seit 1989 ist das dortige „Institut für deutsche Sprache" Ansprechstelle für das „Tandem-Netz-Schweiz". Auch an anderen Universitäten (als eine der ersten: Universität Bielefeld) fanden sich seit 1986 eine Reihe von Tandemaktivitäten von Einzelvermittlung, Tandemserninaren und Begleitforschung 7• In der Fachliteratur wurde über Tandem als Sprachlernmethode seit Anfang der achtziger Jahre vereinzelt, ab 1983/ 84 verstärkt berichtet, vor allem im deutsch-spanischen Bereich. Dabei handelte es sich zunächst um Erfahrungsberichte zu Individualtandem und Tandemkursen, Ratschlägen zur Organisation von Tandems und didaktisierte Materialien. Ab Ende der achtziger Jahre setzte die wissenschaftliche Aufarbeitung einzelner Aspekte von Individualtandem und Tandemkursen ein. Eine Vielzahl von Publikationen sind bisher erschienen. Neben einer großen Zahl von Aufsätzen handelt es sich um einzelne Diplom- und Magisterarbeiten. In Buchform erschienen bisher zwei linguistische Studien zum Diskursverhalten im Individualtandem: Apfelbaum (1993) [dt.-frz.] und methodisch daran angelehnt Rost-Roth (1995) [dt.-ital.] sowie eine didaktisch-methodische Abhandlung zu binationalen Sprachkursen: Herfurth (1993) [dt.-span., dt.-frz.]. Seit 1989 werden die internationalen „TANDEM-Tage" veranstaltet, die als jährlich bzw. alle zwei Jahre stattfindender Kongreß den Austausch von Ideen des Tandernnetzes mit anderen Tandemkursanbietern, Kontakte zu wissenschaftlicher Begleitforschung und die Verbreitung der Lernform Tandem in bestimmten Regionen (z.B. Schweiz (1989), Südtirol (1991), Baskenland (1992), Grenzregion Oberrhein (1994)) zum Schwerpunkt haben. ► Tandemkurse in neuen Sprachkombinationen und auf allen Ebenen Seit der zweiten Hälfte der achtziger Jahre verbreitet sich die Tandernidee rapide. Immer neue Formen von Sprachbegegnungen entstehen und haben längst den deutsch-französischen und deutsch-spanischen Bereich verlassen, z.B.: griechisch-deutscher Feriensprachkurs auf der Insel Skopelos, binationale Kurse im Grenzbereich Österreich-Ungarn und binationale Kurse in zwei- oder mehrsprachigen Regionen wie Südtirol oder der Schweiz 8• Die nun schon fast dreißigjährige Geschichte der Tandernidee hat zahlreiche und vielfältige Umsetzungen vor allem im deutschfranzösischen Bereich erfahren. Heute existieren eine Vielzahl von Kursformen auf allen Ebenen des Bildungswesens 9: Sprachbegegnungen im Grundschulbereich 10 und im Sekundarschulbe- 7 Zu den Tandemkursen Bochum-Oviedo existieren inzwischen eine Reihe von wissenschaftlichen Aufsätzen (Brammerts u.a. 1986) und didaktischen Begleitmaterialien (Bahr u.a. 1991). Inzwischen finden sich von der Universität Bochum ausgehend auch Tandemaktivitäten im Internet: e-Mail: brammerh@slf.ruhr-uni-bochum.de. Zu Tandem in der Schweiz und speziell in Fribourg vgl. u.a. Gick/ Müller (1992), zur Universität Bielefeld: Informationen in Ehnert (1987). 8 Zu den „Skopelos-Kursen" des Goethe-Instituts Athen: Papadopoulou (1991); zu grenzüberschreitenden Kursen Deutsch-Ungarisch: Kaufmann (1995); zu Tandem in Südtirol: Rosanelli (1992) und Baur (1995); zu Tandem in der Schweiz: Gick/ Müller (1992) und mehrere Aufsätze in Sprachen Lernen (1990). 9 Einen Überblick über die Breite von Tandemkursen und eine Vielzahl von Hinweisen gibt Herfurth (1994). 10 Seit 1989 werden deutsche und französische Grundschulkinder im oberrheinischen Grenzgebiet zu meist eintägigen Begegnungen am Wohnort einer Partnergruppe zusammengeführt. Das vor allem auf interkulturelles Lernen zielende Kontaktprogramm „Lerne die Sprache des Nachbarn" wird wissenschaftlich durch Forschungen der Universität Freiburg/ Breisgau begleitet (vgl. Sammelbände Pelz 1989 und 1995). FLuL 25 (1996) Tandem ein Ve,fahren zum Fremdsprachenlernen und Fremdsprachenerwerb... 165 reich 11 , Ferienbegegnungsprogramme, Sprachbegegnungen im Erwachsenenbereich (z.B. im Rahmen von Städtepartnerschaften, grenzüberschreitende, extensive Kurse von Volkshochschulen), Tandemkurse im Hochschulbereich 12 , binationale Kurse im beruflichen Bereich 13 und Tandemkurse in der Lehrerfortbildung. 1.3 Tandem im Rahmen neuerer fremdsprachendidaktischer Überlegungen Gegenüber traditionellen Sprachkursen stellt in Sprachbegegnungen der Kontakt mit den fremdsprachlichen Partnern gleichzeitig schon „Realkontakt" mit Zielsprachensprechern und einen direkten Kontakt zur Zielkultur dar. Die damit verbundene Erfahrung der direkten Verwendbarkeit der Fremdsprache stößt Prozesse entdeckenden und interkulturellen Lernens an. Traditionelle Sprachkurse sprechen vorzugsweise den kognitiven Lerntyp an, während Tandemkurse durch die Rücknahme des traditionellen Lehrers und von kognitiv ausgerichtetem Unterrichtsmaterial einem ganzheitlichen Lernen mehr Platz bieten. Gleichzeitig wird die emotionale Seite des Lernens betont. Damit gewinnen in der Tandemarbeit konstruktivistische gegenüber instruktivistischen Lernprinzipien an Platz. Stichwörter hierfür sind das Prinzip der Komplexität der Lerninhalte, die Abkehr von vorgegebener Progression, authentische Lerninhalte, das Prinzip des Bezugs zur realen Lebenswirklichkeit, der Prozeßcharakter des unterrichtlichen Geschehens und kooperatives und partnerschaftliches Lernen (u.a. Gruppenarbeit, projektorientierte Formen). Diese Aspekte zeigen, wie gerade Tandem den Prämissen der neueren Fremdsprachendidaktik folgt und den Lerner als Subjekt in den Mittelpunkt des Lernprozesses stellt. Mit der Selbstorganisation des Lernprozesses, der Erkennung von Zielen und der Bewußtrnachung von Lernstrategien werden persönlichkeitsbildende Faktoren betont. Das Tandemverfahren berücksichtigt stark eine individuell differenzierte Sprachkompetenz und unterschiedliche Lernleistungen und Erwerbsmodi des einzelnen Lerners. Schließlich erfüllen nach dem Tandemverfahren organisierte Begegnungen die Forderungen eines Fremdsprachenlernens mit der Zielperspektive der gegenseitigen Verständigung in Europa (Förderung von Kontakten, Reziprozität der Kommunikation: "Lerne die Sprache des anderen"). II Zu innovativen Konzepten im Schulbereich vgl. Alix (1990). 12 Zu Beispielen aus diesem Bereich vgl. Kapitel 2.1. 13 Diese sowohl allgemeinals auch fachsprachlichen vierwöchigen Tandemkurse bereiten deutsche und französische Auszubildende oder junge Berufstätige (vornehmlich aus den Bereichen Sozialarbeit, Tourismus, Buchhandel und Landwirtschaft) auf ein Praktikum im Partnerland vor. Kursberichte in DFJW 1992. FLuL 25 (1996) 166 Hans-Erich Herfurth 2. Methodisch-didaktische Leitlinien des Tandemverfahrens 2.1 Beispiele zu Sprachbegegnungen im Hochschulbereich Es existieren inzwischen eine Vielzahl von Sprachbegegnungen. Sie unterscheiden sich wesentlich hinsichtlich Zielvorstellungen, Dauer, der Zeitverteilung zwischen „mono-" und „binationalen" Phasen, der Sprachenwahl und Sprachenverteilung in einzelnen Phasen und dem Grad der Lemerselbstbestimmung. Weiche breiten Einsatzmöglichkeiten das Tandemprinzip in Sprachbegegnungen im Hochschulbereich bietet, illustrieren die folgenden Beispiele. (a) Extensiver Tandemkurs an der Universite de Montpellier Seit mehreren Jahren werden an der Deutschabteilung der Universität Montpellier III extensive Tandemk: urse durchgeführt. Zielgruppen dieses Jahreskurses (l½ Stunden pro Woche) sind in Montpellier für ein Studienjahr oder länger weilende Deutsche (meistens Philologiestudenten) und französische Studenten im 2. Studienjahr L.E.A. (Angewandte Fremdsprachen). Für französische Studenten ist dieses Seminar Wahlpflichtfach und ins Studienprogramm integriert. Im Vordergrund stehen interkulturelles Lernen und deutsch-französische Beziehungen. Im Wechsel von binationalem Plenum und Partnerarbeit im Tandem (oder seltener in binationalen Kleingruppen) wird jede Woche ein neues Thema bearbeitet. Als Diskussionsanlaß für kontrastive Fragestellungen dient jeweils ein fiktionaler Text oder Sachtext, eine Karikatur oder ein Lied. Kontrastive Grammatikübungen und die Erstellung kontrastiver Sprechintentionenlisten können hinzukommen. Die Aufgabenstellung ist jeweils mit einer Sprachvorgabe für Phasen unterschiedlicher Länge versehen (z.B. eine Leitfrage auf deutsch, eine auf französisch). Für die Plenumsphasen werden die Studenten gebeten, bei Diskussionsbeiträgen möglichst die Zielsprache zu benutzen. Teilweise erstellen die Teilnehmer mit ihrem Tandempartner Referate zu kontrastiven deutsch-französischen Fragestellungen, was für die französischen Teilnehmer als obligatorischer Leistungsnachweis gilt. (b) Intensivkurs Fachhochschule Landshut - Universite d'Orleans Seit zwei Jahren besteht ein vierwöchiger, vom DFJW teilfinanzierter binationaler Sprachkurs zwischen der Fachhochschule Landshut (vor allem Studenten der Betriebswirtschaft) und der Universite d'Orleans (vor allem Studenten des Studiengangs L.E.A.). Der teils allgemein-, teils fachsprachlich orientierte Kurs für Studenten mit (mindestens) Grundstufenkenntnissen in der Zielsprache dient einigen als Vorbereitung auf einen Studienaufenthalt an der Partneruniversität. Wie fast alle vom DFJW geförderten Programme findet auch dieser Tandemk: urs zwei Wochen in Frankreich und zwei Wochen in Deutschland statt. Die Studenten wohnen jeweils zusammen in einer Begegnungsstätte. Pro Woche sind im Durchschnitt drei 90minütige mononationale Phasen vorgesehen. Die Arbeitsformen wechseln häufig und richten sich nach Inhalt und Thema. Betriebs- und andere Besichtigungen sind ins Programm integriert und werden sprachlich intensiv vorbereitet. Die Sprachenwahl hängt im wesentlichen von den jeweiligen Inhalten ab und wird von den Kursleitern (2 Franzosen, 2 Deutsche) gezielt vorgegeben. (c) Intensivkurs Technische Universität Berlin - Ecole des Mines de Saint-Etienne Studentengruppen der Ecole des Mines de Saint-Etienne und der ZEMS der Technischen Universität Berlin treffen sich seit 1987 zunächst für eine Woche in Berlin und erarbeiten ein entweder allgemein kulturelles oder fachorientiertes Projekt (meistens im Bereich Verfahrenstechnik). In einer zweiten Phase wird dieses Projekt in Saint-Etienne während einer weiteren Woche unter modifizierter bzw. erweiterten Fragestellungen fortgesetzt. In der Regel wird die ganze Zeit über in Tandemformation oder in binationalen Kleingruppen gearbeitet. Am Ende einer Arbeitswoche FLuL 25 (1996) Tandem ein Verfahren zum Fremdsprachenlernen und Fremdsprachenerwerb... 167 steht eine Präsentationsphase des Erarbeiteten, zu der ein breiteres Publikum geladen ist. Damit ist die Dynamik der Tandemarbeit auf ein vorstellbares und vorzeigbares Endprodukt, wie z.B. eine Videodokumentation, eine Diaschau oder eine Ausstellung orientiert. Nach Orientierungsrallyes zum Wochenanfang ist den einzelnen Tandempaaren recht freier Raum für die Organisation ihrer Arbeit gegeben. Interviews mit der Bevölkerung und/ oder Experten und Informationsbesuche sind eine typische Arbeitsform. In Berlin wird generell Deutsch, in Saint-Etienne generell Französisch gesprochen. Der deutsche und der französische Kursleiter haben vor allem eine beratende und organisierende Funktion. Mononationale Phasen kommen in den beiden Begegnungswochen nicht vor. Allerdings hat diese Sprachbegegnung an den Partnerhochschulen einen konkreten Vorlauf durch einen extensiven Sprachkurs, der u.a. in die Tandemarbeit einführt und die Studenten bereits vorher in Kontakt mit ihren zukünftigen Partnern bringt. Dieser Tandernkurs steht im Rahmen einer engen Kooperation zwischen dem Fachbereich Verfahrenstechnik der TU Berlin und der Ecole Nationale Superieure des Mines und bedeutet für einige Studenten eine Vorbereitung auf ein Praktikum oder einen längeren Studienaufenthalt an der Partnerhochschule (vgl. Zamzow 1991). (d) Intensivkurs Universität Bochum - Universidad de Astorias, Oviedo Der seit mehr als 10 Jahren existierende Tandernkurs zwischen der Universidad de Asturias in Oviedo und der Ruhr-Universität Bochum (Seminar für Sprachlehrforschung) wird meistens im Sommer als vierwöchiger Intensivsprachkurs durchgeführt. Charakteristisch ist die tägliche Abfolge von einer zweistündigen mono- und einer anschließenden ebensolangen binationalen Phase. Das Sprachniveau der Studenten ist im Durchschnitt geringer als das der bisher erwähnten Kurse. Daher ist diese Sprachbegegnung kleinschrittiger angelegt. Am Ende vieler Arbeitsphasen steht ein kurzes schriftliches Produkt (z.B. ein Brief, eine Beschreibung, eine Annonce), die der deutsche Student auf spanisch und der spanische Student auf deutsch zu verfassen hat. Während dieser bilingualen Arbeitsphasen ist die Wahl und der Wechsel der (mündlichen) Kommunikationssprache den Studenten freigestellt. Meistens besuchen die Studenten nur einen Sprachkurs (entweder in Oviedo oder in Bochum). Ein Ortswechsel ist so generell nicht vorgesehen. Intensiv wird inzwischen die Tandernkommunikation via e-mail zwischen beiden Hochschulen betrieben (vgl. Brarnmerts u.a. 1986, Bahr u.a. 1991). (e) Intensivkurs „Interactions", Universität Bielefeld Von besonderem Interesse ist das zwar bisher nur einmalig stattgefundene binationale Seminar „Interactions", da es die Tandernkommunikation selbst zum Inhalt hatte. Es führte im Dezember 1990 in Bielefeld für eine Woche Romanistikstudenten der Universitäten Leipzig und Bielefeld mit Studenten der Fachrichtungen Fran9ais Langue Etrangere der Universitäten Lyon II und Paris V und Langues Etrangeres Appliquees der Universität Aix-en-Provence zusammen. Drei Tage Erfahrung in deutsch-französischen Individualtandems mündeten für die Studenten in eine linguistische Analyse (in ethnomethodologischer Form) von Aufnahmen eigener Gespräche in Hinblick auf erfolgten Spracherwerb. 2.2 Ausgangspunkte methodisch-didaktischer Überlegungen Sprachbegegnungen stellen einen Wirklichkeitsbereich eigener Art dar, der als Phase des Fremdsprachenlernens und -erwerbs spezifische Strukturen aufweist. Didaktische Planungs- und Steuerungsdimensionen ergeben sich daher aus dem Typ „Sprachbegegnung" selbst. Hinsichtlich der Grobplanung und Vorstrukturierung eines Tandernkurses sind zu beachten: Lemervoraussetzungen (Sprachstand, Moti- FLuL 25 (1996) 168 Hans-Erich Herfurth vation, landeskundliches Wissen, Kommunikationsverhalten), institutionelle Rahmenvorgaben (Zeitdauer, Ort, finanzielle und materielle Ausstattung, Kursleiter, Gruppengröße), Ort der Begegnung "Drittort", Wohnort einer Gruppe, Ortswechsel), Lernzielvorgaben, institutionelle Vorgaben an Lerninhalten und Themen und Stellung der Sprachbegegnung im Rahmen organisierten Spracherwerbs (Vorlauf, Nachlauf, Integration in einen Sprachkurs). Für die Gestaltung des konkreten Ablaufs und der Interaktion in einer Sprachbegegnung kommen folgende methodisch-didaktischen Aspekte in der Planung zum Tragen: (authentisches) Sprachmaterial, Sprachenwahl, (landeskundliche) Inhalte, Rede- und Themenwechsel, interkulturelle Sensibilisierung, Sozialformen, Medien, Bedeutungserklärung, Korrekturverfahren, Lehrer-Lerner-Rolle, metadiskursive und reflexive Phasen über Sprachverhalten, Anteil von kognitiven und affektiven Elementen, jeweils im Spannungsverhältnis von Lernerautonomie und Eigendynamik gegenüber Steuerung und Vorgaben. Im folgenden werden nur einige „tandemspezifische" Aspekte ausführlich behandelt. 2.3 Zielsetzungen von Sprachbegegnungen Das Tandemverfahren erlaubt ein handlungs- und anwendungsbezogenes Sprachenlernen im Rahmen von Sprachbegegnungen. Vier wesentliche Zielbereiche können dabei unterschieden werden, die sich in der konkreten Durchführung überlappen und je nach Begegnungstypus auch einen unterschiedlichen Stellenwert bekommen. (a) Erweiterung der landeskundlich-interkulturellen Kompetenzen Die Sprachbegegnung als konkret erfahrbarer Handlungszusammenhang erlaubt es den Lernern, vielfältiges Wissen über das Herkunftsland der Partner zu erfahren und das neu erworbene Wissen in Beziehung zur eigenen Wirklichkeit zu setzen. Der Einblick in andere und die Darstellung der eigenen Lebenswelten soll Lerner dazu bringen, einen Perspektivenwechsel vorzunehmen und im Vertrauten „das Fremde" und im Fremden „das Gemeinsame" zu entdecken. Am Ende des gemeinsamen (Aus-)Handlungsprozesses im Tandem wird eine „transkulturelle Kompetenz" angestrebt. Auf den aus dem interkulturellen Lernen bekannten kontrastiven und konfrontativen Vergleich beider Kulturen und ihres gegenseitigen Bezuges folgt ein synthetischer Schritt, in dem beide Sichtweisen in einem kooperativen Aushandlungsprozeß der Partner integriert werden, in Hinblick auf ein gemeinsames Ganzes oder Neues. Die Arbeit an gemeinsamen Inhalten, das Gerichtetsein auf ein gemeinsames Produkt oder Ziel wird zum eigentlichen transkulturellen Transfer von Wissen, Gedanken, Einstellungen und Gefühlen. 14 (b) Erweiterung der sozialen Kompetenzen Neben interkulturellen Zielsetzungen, die per se (z.B. sich in Beziehung setzen mit dem fremden Partner) auch als soziale Kompetenzen gesehen werden können, ist hier vor allem an den Aufbau von kooperativem Lernen innerhalb der Gesamtgruppe gedacht. Zu kooperativen Verfahren, die vor allem in Gruppen- und Partnerarbeit eingeübt werden sollen, zählen u.a. bei der gemeinsamen Erstellung von Materialien/ Texten die Aushandlung von Inhalt und Form dieser Produkte. 14 Zu Konkretisierungen transkultureller Lernziele in Begegnungen vgl. Herfurth (1993: 164 ff), Sandhaas (1988: 432). FLuL 25 (1996) Tandem ein Verfahren zum Fremdsprachenlernen und Fremdsprachenerwerb... 169 (c) Erweiterung der kommunikativen Kompetenzen Zu kommunikativ-pragmatischen Zielsetzungen gehören im Rahmen von Tandemkursen zunächst die Entwicklung der traditionellen Fertigkeitsbereiche Hören, Sprechen, Lesen und Schreiben. Weiterhin geht es in diesem Bereich um das Erlernen textsortenspezifischer Redemittel (z.B. Diskussion, Präsentation, Verfassen eines Briefes) und spezifischer Redebzw. Sprechabsichten (z.B. nachfragen, vergleichen). (d) Erweiterung.der systemsprachlichen Kompetenzen Zielsetzungen der Spracharbeit im engeren Sinne beinhalten, daß Lerner themen- und sachfeldbezogenen Wortschatz (z.B. in den Bereichen Freizeit, Schule oder gastronomische Spezialitäten der Region der Partner) ebenso wie gesprächsformbezogenen Wortschatz (z.B. Vokabular der Diskussion, des Briefeschreibens) reaktivieren, festigen und erweitern. Der Erwerb und die Übung solcher Sprachmittel in sinnvollen Zusammenhängen bedeutet, daß Phasen mitteilungsbezogenen Sprechens und Schreibens bei weitem gegenüber Phasen rein sprachbezogenen Übens dominieren. Der Bereich der Grammatik hat bei Tandemkursen dienenden Charakter. Systematische Grammatikkenntnisse sind nur dort zu erwerben, wo entsprechende Sprachstrukturen gehäuft und regelmäßig auftauchen (z.B. häufig wiederkehrende Fragestrukturen). 2.4 Organisationsformen, Inhalte, Aufgabenstellungen Die Beispiele unter 2.1 zeigen unterschiedliche Organisationsformen von Sprachbegegnungen im Hochschulbereich. Gemeinsam sind ihnen wechselnde Arbeitsformen von Phasen der Tandemarbeit zweier Lerner, binationaler Kleingruppen- und binationaler Großgruppenarbeit. Diese Stufung ermöglicht es den Lernern, sowohl geschützt und intensiv in der Partnerkommunikation als auch frei in der offenen Großgruppe sich zu artikulieren. In allen Tandemkursen stehen diese „binationalen" Arbeitsformen (Lerner beider Zielsprachen) im Mittelpunkt oder füllen den Kurs sogar ausschließlich. "Mononationale" Phasen (nur mit Lernern einer Nationalität, d.h. einer Zielsprache) können „binationale" Phasen ergänzen. Sie ergeben sich häufiger bei Lernern mit einem niedrigeren Sprachstand und sind unverzichtbar bei Nullanfängern. Sie dienen in der Regel der sprachlichen und teilweise inhaltlichen Vorbereitung einer binationalen Phase (z.B. systematische Grammatik- und Wortschatzarbeit in der Zielsprache in Hinblick auf Inhalte der folgenden binationalen Phase). Mononationale Phasen bedeuten eine Rückzugsmöglichkeit und eine Phase der Sicherheit für die Lerner. Bei zunehmenden Sprachkenntnissen und Fortschreiten einer Sprachbegegnung können mononationale Phasen ganz zurückgenommen werden, denn das Potential der Begegnung liegt im Kontakt mit den Zielsprachensprechern. Herausragend in Sprachbegegnungen ist die Rolle der binationalen Gruppe als Ort sozialen und interkulturellen Lernens. Wesentlich ist, daß die Kursleiter ein Kommunikationsnetz fördern, das Fremdheit, Neugier und gegenseitige Wahrnehmung als Kommunikationsanlässe nutzt. Besonders geschätzt von Lernern werden solche Tandemkurse, die an jeweils einem Ort in jedem Land stattfinden, also im Verlauf der Begegnung den interkulturellen Vergleich nahelegen und mal der einen, mal der anderen Gruppe den Standortvorteil der muttersprachigen und den Reiz der fremdsprachigen Umgebung FLuL 25 (1996) 170 Hans-Erich Herfurth bieten. Besonders günstig sind die gemeinsame Unterbringung der Gruppen in einer Tagungsstätte. Informelle Gespräche in binationalen Kleingruppen und das Zusammenleben (z.B. gemeinsames Kochen oder Einkaufen) stärken den sozialen Kontakt und bieten vielfältige Möglichkeiten, das in mehr unterrichtlich orientierten Phasen der Sprachbegegnung Erlernte dann frei auszuprobieren. Die Form der Unterbringung und der jeweilige Kursort beeinflussen die möglichen Inhalte einer Sprachbegegnung. Ebenso ist es entscheidend, ob die Begegnung in einen weiteren Kontext integriert ist, also etwa einen mononationalen Vorlauf in Form eines vorbereitenden Sprachkurses hat (z.B. am Heimatort der jeweiligen Gruppe als extensiver Sprachkurs im Lauf des Semesters). Die Inhaltsfindung in Sprachbegegnungen geschieht im Idealfall in Absprache mit den Teilnehmern im Vorfeld der Begegnung. Steuernde Elemente können sich aus den Studienfächern der Teilnehmer und dem Bezugsrahmen Hochschule ergeben. Das Zueinander-in- Beziehung-Setzen der beteiligten Herkunftskulturen ist eine weitere wesentliche Komponente der Themenstrukturierung. Auch interkulturelle Differenzen können Ausgangspunkt sein (z.B. Themen wie Privatheit, unterschiedliche Zeitbegriffe). Andere Möglichkeiten sind interkulturelle Alltagserfahrungen in der Gruppe und am Kursort. Die lokale Umwelt sollte nicht nur für Ausflüge und Besichtigungen, sondern auch als Erfahrungsraum genutzt und zum Thema gemacht werden. Häufig zeigt sich in Tandernkursen eine Abkehr von ursprünglich vereinbarten Themenstellungen. Das Teilnehmerinteresse geht von allgemeinen, politischen und abstrakten Fragestellungen über zu konkreten Fragen, die Lebensverhältnisse und Meinungen der Partner betreffen. Diese Verschiebung von der thematischen zur sozialen Ebene, d.h. zu partner- und persönlichkeitsbezogenen Dimensionen muß bedacht werden und kann als Ausgangspunkt der Planung dienen. Wesentliches Planungselement ist so die „Hier-und-Jetzt"-Situation der Begegnung, die interlinguale, interpersonale und interkulturelle Dimensionen umfaßt. Sprachbegegnungen erlauben die Berücksichtigung individuell unterschiedlicher Sprachkompetenzen, Lernleistungen und Erwerbsmodi der Lerner durch eine Differenzierung der Unterrichtsorganisation. Kennzeichen der Arbeit in Tandemkursen sind etwa gemeinsam zu erstellende „Produkte" (z.B. Collage, kontrastives Wortfeld, Auswertung einer Exkursion) oder Projektarbeit, die oft die Umgebung des Serninarortes einbezieht und so zu einer „entdeckenden Landeskunde" führt. Aufgabenstellungen in Sprachbegegnungen umfassen idealerweise kontrastive Aspekte und haben beide beteiligten Kulturen zum Bezugspunkt. Phasen der Fremd- und Selbstwahrnehmung haben sich abzuwechseln. Materialien sollten authentischen Charakter haben. Im Sinne explorativen Lernens haben sie meistens die Aufgabe, Informationen bereitzustellen und als Experimentiermaterial zu dienen. Die eigene Materialsuche und -entwicklung durch die Teilnehmer sind ein weiterer typischer Aspekt. Bei einem flexiblen Lernprozeß in Projektform ist eine Orientierung auf ein Endprodukt oft sinnvoll, um der Partner- und Guppenkommunikation einerseits Antrieb und Zielrichtung zu geben und andererseits die nötige Öffnung zu gewähr- FLuL 25 (1996) Tandem ein Verfahren zum Fremdsprachenlernen und Fremdsprachenerwerb ... 171 leisten. In kürzeren Arbeitsphasen gewährleistet die Verschriftlichung in Form eines kurzen Dialogs oder Textes die erforderliche Dynamik der Produktorientierung. Schriftliche Produkte sind vor allem wichtig zur Sicherung einer größeren Verbindlichkeit der Tandemarbeit, als Korrektiv gegenüber der gesprochenen Sprache und als Möglichkeit, Ergebnisse der Partnerarbeit der Gesamtgruppe verfügbar zu machen (vgl. Nakipoglu-Schimang u.a. 1989: 20). 2.5 „Lehrer- und Lerner"-Rollen Die Beobachtung von Sprachbegegnungen zeigt, daß Teilnehmer ihre (Lehrer-) Lerner-Rollen ganz unterschiedlich auffassen. Einige Lerner übernehmen in binationalen Partnerarbeitsphasen eine stark ausgeprägte, traditionelle Lehrerrolle, besonders am Anfang von Begegnungen und gegenüber sprachlich sehr schwachen Partnern. Solche „gestrengen Lehrer" im Tandem lassen sich u.a. durch frühere Lernerfahrungen und die Übernahme von Lehrvorbildern erklären. Dies zeigt sich oft in einer starken Betonung der Grammatik und des Wortschatzes. Wesentlich in Tandemphasen ist es, daß sich Teilnehmer über ihr Rollenverhalten als Lehrer/ Lerner bzw. Lernpartner im Sinne einer „didaktischen Vereinbarung" (vgl. ausführlich Kap. 3.1) gegenseitig Klarheit geben. Damit kann ein vom Partner als unangenehm stark empfundenes Lehrerverhalten abgebaut werden. Der Kursleiter sollte die Teilnehmer für das sprachliche und interkulturelle Potential sensibilisieren, das die Andersartigkeit von Mutter- und Nichtmuttersprachler für den gemeinsamen Lernprozeß darstellt. Je mehr die Begegnung auf gemeinsam zu erreichende Ziele (z.B. gemeinsam zu erstellende Produkte oder Beobachtungsaufgaben außerhalb des Unterrichtsraums) zentriert wird, im Vergleich zu einem nur „sich gegenseitig informieren", desto stärker wird ein Laienlehrerverhalten zu einem wirklichen Partnerverhalten (vgl. ausführlich zum Partnerverhalten im Individualtandem Gick 1994). Der Kursleiter hat in Sprachbegegnungen nicht mehr wie im schulischen Fremdsprachenunterricht die Funktion, natürliche Kommunikationssituationen als Dialogpartner mit dem Lerner zu simulieren und als alleiniges Modell fremdsprachlicher Realität zu dienen. Diese wie auch andere Funktionen übernehmen die Tandempartner, und zwar in der Regel die, die in einer bestimmten Phase sozusagen den "muttersprachlichen Part" innehaben. Der traditionelle Lehrer ist in der Sprachbegegnung entbehrlich. Dennoch bleibt der Kursleiter ein wesentlicher Faktor im Lernprozeß. Neben seinen Ge nach institutionellen Rahmen ganz unterschiedlichen) Aufgaben bei Gesamtkonzeption und -organisation der Begegnung vermittelt er vor allem Kontakte für die Lerngruppe bei Projektarbeit und Recherche-Aufgaben außerhalb des Unterrichtsraums, ist für den technischen Ablauf zuständig, bietet Lernalternativen an, gibt Hilfestellung bei Gruppenproblemen und relativiert einseitig erarbeitete Ergebnisse durch weitere Informationen. Gerade diese Anforderungen lassen den Kursleiter zu einem Moderator auf inhaltlich-thematischer und zu einem Helfer auf sprachlicher Ebene werden. FLuL 25 (1996) 172 Hans-Erich Herfurth Ein strikt durchgeplantes Programm und stärkere Leitungsstrukturen können auf der einen Seite größere Möglichkeiten für interkulturelles und sprachliches Lernen zur Verfügung stellen, etwa durch eine Vielzahl von Lernsettings und Kommunikationssituationen und bewußte thematische Fokussierungen. Auf der anderen Seite vergibt weniger Platz und Zeit für sich spontan ergebende (individuelle) Partnerkommunikation und für einen sich frei entfaltenden Gruppenprozeß intensive soziale und interkulturelle Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten. Bei geringer Strukturierung und Vorplanung einer Begegnung, wenn sozusagen die Teilnehmergruppe dem freien Spiel ihrer Kräfte überlassen wird, werden sich in Argumentation und Durchsetzungsvermögen stärkere Teilnehmer behaupten, interkulturelle Lernmöglichkeiten weniger aufgegriffen und unstrukturiertes sprachliches Lernen nicht reflexiv und kognitiv optimiert. 3. Unterrichtspraktische Vorgehensweisen auf der Ebene der Gesprächsorganisation Im Zusammenspiel der in jeder Sprachbegegnung vorhandenen Konstanten ergeben sich spezifische Interaktionsnetze, die der Partnerkommunikation im Tandem in unterschiedlicher Richtung Dynamik verleihen. Neben den bereits erwähnten Steuerungsfaktoren Aufgabenstellung, Themen/ Inhalte, Materialien, Orientierung auf ein Produkt, Wahl von Sozialformen und Ausgestaltung von Kursleiter- und Lernerrollen sind weitere auf der Ebene des konkreten Verständigungsprozesses zwischen beiden Tandempartnern zu finden. Formen der Bedeutungsklärung, Art und Weise des gegenseitigen Korrigierens und die Wahl der Kommunikationssprache sind drei wesentliche Faktoren für die Intensität von Sprachenlernen und Spracherwerb. Diese Aspekte unterliegen ebenfalls einer didaktischen Steuerung, sowohl von Seiten der Kursleiter, als auch durch die Lerner selbst. 3.1 Die didaktische Vereinbarung In der konkreten Zweierkonstellation ist die Verabredung einer „didaktischen Vereinbarung" durch die Lernpartner zentral. Hiermit versuchen sie ihre Kommunikation zu regeln, in dem sie idealerweise vereinbaren, wie oft und in welcher Weise sie einander korrigieren, wann sie von einer Sprache in die andere fallen, wann bei einer Erklärung etwa der Rückgriff auf die Muttersprache erlaubt ist oder wann etwa bei der Bedeutungsklärung ein Blick ins Wörterbuch sinnvoll erscheint. Es geht um die konkrete Festlegung von Lernweg und Verfahren gegenseitiger Hilfestellung und Unterstützung. 15 15 Vgl. zur didaktischen Vereinbarung im Individualtandem Gick (1994: 164). FLuL 25 (1996) Tandem ein Verfahren zum Fremdsprachenlernen und Fremdsprachenerwerb ... 173 Natürlich kann die Regelung solch einer didaktischen Vereinbarung nicht direkt von den Lernern verlangt werden. Kursleiter müssen immer wieder darauf hinweisen und mögliche Inhalte explizit machen. Dazu gehören im Kurs vor allem die Vorstellung und Einübung von Verfahren der Bedeutungsklärung und des Korrigierens. Ebenso sind den Lernern ihre natürlich vorhandenen Kommunikationsstrategien und Partner-/ Lernerverhaltensweisen bewußt zu machen und interaktiv einzuüben. Die Bewußtmachung sprachlicher Strategien und Kommunikationsformen im Tandem ist deshalb wichtig, da die Teilnehmer an einer Sprachbegegnung die Tandemphasen in der Regel einerseits als einen spezifischen Lehr-Lern-Kontext (und damit als ein ganz spezifisches Lehr- und Lernverhalten) auffassen, andererseits als eine Form natürlicher, nicht unterrichtlicher Kommunikation. Die Tandemsituation hat einen Doppelcharakter. Einerseits beabsichtigen die Partner zu lernen (d.h. nachzufragen, zu korrigieren, zu wiederholen), andererseits überwiegt immer wieder der inhaltliche Aspekt der Kommunikation, der ihr die innere Dynamik verleiht. Je mehr die soziale Beziehung der Partner in der Sprachbegegnung als „didaktische" Kommunikation definiert ist, desto mehr wird sie als Antizipation einer realen Kommunikationssituation aufgefaßt, und sprachliche Handlungsziele dürften gegenüber nichtsprachlichen dominieren und handlungs- und sprachregulierend werden. Die Kommunikation springt zwischen Inhalt und Form (d.h. Arbeit an sprachlichen Problemen) hin und her. Nicht immer ist den Lernern Inhalt und Umfang der didaktischen Vereinbarung klar, was sich häufig in Unsicherheiten im gegenseitigen Korrekturverhalten oder in der Sprachenwahl zeigt. Die Einhaltung bzw. Nichteinhaltung der didaktischen Vereinbarung hat unmittelbare Konsequenzen für die Intensität des Spracherwerbs. 3.2 Sprachenwahl, Korrekturverfahren und Bedeutungsklärung Ein wichtiges methodisch-didaktisches Steuerungselement in Sprachbegegnungen ist die Rolle von Sprachenwahl und Sprachenverteilung 16• Sie kann in verschiedenen Kursen ganz unterschiedlich gehandhabt werden. Allerdings nehmen nur wenige Lerner Probleme der Sprachenwahl bewußt wahr und sind wenig für diesen zentralen Punkt der Tandernkommunikation sensibilisiert. Die Wahl der Sprache ist u.a. sinnvoll anzulehnen an den Ort des Tandernkurses (bei einer deutsch-französischen Begegnung wird wohl in Deutschland insgesamt Deutsch und in Frankreich Französisch überwiegen), an die konkrete, der Tandemarbeit zugrunde liegende kommunikative Situation, an die Aufgabenstellung (bei einem zu erstellenden Text etwa kann sie frei sein, wenn die Sprache des Produkts vorgegeben wurde) oder an 16 In der Fachliteratur gilt es inzwischen als unbestritten, daß durch die Zuhilfenahme der Muttersprache, die ja eine „natürliche" Komponente im Kontext Sprachbegegnung darste11t, der Fremdsprachenerwerb effektiver gestaltet werden kann. Man geht bei erwachsenen Lernern davon aus, daß ihr kognitives System auch bei einer zwei- oder gernischtsprachigen Interaktion beide Sprachen auseinanderhält. FLuL 25 (1996) 174 Hans-Erich Herfurth zu bearbeitende Materialien. In Partnerarbeitsphasen kann die Wahl der Kommunikationssprache auch von den Lernern diskutiert und festgelegt werden. Dabei sollten die Lerner im Rahmen ihrer didaktischen Vereinbarung differenzieren nach kurzen Phasen der Bedeutungserklärung und -vermittlung und längeren Phasen in der Muttersprache. Erfahrungen in Tandernkursen zeigen, daß bei freier Sprachenwahl in vielen Fällen die Sprachen sehr ungleich verteilt sind. In solchen Fällen haben einige Teilnehmer nicht genügend Möglichkeiten zur Benutzung der Zielsprache, was gewisse Frustrationen erzeugen kann. Sie sind dann oft nicht in der Lage, dieses Problem mit ihrem Partner zu regeln. Daher sind flankierende Maßnahmen und Eingriffe gerechtfertigt. Abzulehnen ist eine strikte Sprachentrennung (etwa grundsätzlich in den Gruppen- und Einzeltandemphasen: eine Stunde Deutsch, eine Stunde Spanisch). Hierbei werden zu viele Möglichkeiten vergleichenden Lernens, vor allem auf der Ebene des Wortschatzes, vergeben und die situative Einbettung der Sprache zerstört. Andererseits ist eine unreflektierte Sprachmischung Geder spricht die Sprache, die ihm spontan in den Kopf kommt) ebenso hinderlich für einen erfolgreichen Spracherwerb. Teilnehmer an Sprachbegegnungen korrigieren sich individuell sehr unterschiedlich, und bei vielen ist eine gewisse Unsicherheit in diesem Bereich vorhanden. Da Intensität und Form der Korrektur wesentlich zum Spracherwerb beitragen, bedarf auch dieser Bereich der Partnerkommunikation einer bewußten Regelung im Rahmen der didaktischen Vereinbarung. Es ist sinnvoll, wenn sich fortgeschrittene Lerner nach festgelegten Ritualen korrigieren, z.B. indem sich der muttersprachliche Partner während des Gesprächs stichwortartige Notizen zu wiederkehrenden Fehlern macht und diese am Ende einer Gesprächsphase gemeinsam besprochen werden. Damit kann die Konzentration des Gesprächs zunächst auf dem Inhalt verbleiben. 17 Nach Rost-Roth (1995: 130) können in der Tandemsituation Lerner ihre Angst vor fehlerhaften Formulierungen abbauen. Das Korrekturverhalten im Tandem verbindet die Vorteile informeller Gesprächssituationen mit denen traditioneller Formen des Fremdsprachenunterrichts, indem der Muttersprachler seinen Partner angemessen häufig korrigiert und dieser sich nach Bedarf und Wunsch korrigieren läßt. Die Memorisierung richtigen Sprachmaterials wird erhöht, ohne daß negative Sanktionen zu erwarten sind. Ähnliches gilt hinsichtlich Ausdrucks- und Verständigungsschwierigkeiten bei der Bedeutungsklärung unbekannter Lexik, einem weiteren wesentlichen Element des kommunikativen Prozesses zwischen Muttersprachler und Nichtmuttersprachler. Die konkrete Realisierung der Bedeutungsklärung in den Tandemphasen (etwa durch Übersetzung, Erklärung durch Synonyme, Wörterbuchgebrauch, deiktische Verfahren) hängt ab von didaktischen Prämissen der Begegnungskonzeption, der Regelung in der didaktischen Vereinbarung zwischen den Lernern und deren Kenntnis verschiedener Verfahren der Bedeutungsklärung. Eine Bewußtmachung 17 Vgl. ausführliche Vorschläge für die Korrektur im Individualtandem bei Gick (1994: 159). FLuL 25 (I 996) Tandem ein Verfahren zum Fremdsprachenlernen und Fremdsprachenerwerb ... 175 durch eine explizite Vorstellung einer breiten Palette von Strategien und deren Einübung ist sinnvoll. 4. Kritische Beurteilung 4.1 Balance zwischen didaktischer Intervention und Lernerautonomie Wie die bisherigen Ausführungen zeigen, gibt es für nach dem Tandemverfahren organisierte Sprachbegegnungen keine praktischen Vorschläge im Sinn von Rezepten. Im Gegensatz zum Individualtandem erwarten die Teilnehmer an einer Sprachbegegnung eine Strukturierung dieses Lern-Erwerb-Kontextes von seiten der Institution und der Kursleiter. Dieser Forderung wird Rechnung getragen, indem den Teilnehmern sprachliche und interkulturelle Erleichterungsstrategien angeboten werden und ihnen ein Rahmen zur Verfügung gestellt wird, den sie für ihre Lernbedürfnisse optimal ausgestalten und in dem sie sich mit dem Partner/ den Partnern ausprobieren können. Genauso wie direkte Eingriffe in die Interaktion abgelehnt werden, sind interaktionsstützende Maßnahmen im Vorfeld und Systematisierungsangebote selbstverständlich. Die oben genannten Parameter werden deshalb immer in einem Spannungsverhältnis von Fremd- und Lernerselbststeuerung gesehen, d.h. zwischen Strukturen, die selbständig von den Teilnehmern aufgebaut werden und solchen Parametern der Gesprächs- und Interaktionssteuerung, die von der Institution, dem Kurskonzept und dem Kursleiter vorgegeben werden. Sprachbegegnungen können so als ein „autonomiefördernder" oder „teilautonomer" Sprachlernkontext verstanden werden, sind jedoch im Gegensatz zum Individualtandem keine Form „autonomen Lernens" 18 . 4.2 Spracherwerb in Sprachbegegnungen Wie wirkungsvoll Tandemsituationen in Sprachbegegnungen für Spracherwerb und Sprachenlernen sind, ist bisher noch nicht umfassend untersucht worden. Forschungsergebnisse zum Individualtandem (im Rahmen ethnomethodologischer Zweitsprachenerwerbsforschung auf Grundlage empirischer Daten aus natürlichen Individualtandem-Interaktionen) und zu exolingualer Kommunikation allgemein bieten jedoch Anhaltspunkte. Der Fokus der Beobachtung liegt auf begegnungstypi- 18 Zur Diskussion von Tandem-Konstellationen als autonomer Lernform vgl. die verschiedenen Beiträge in Sprachen Lernen 1990, Müller u.a. (1988) und Herfurth (1993: 173 t). Die Übertragung des Postulats „autonomes Lernen" auf Sprachbegegnungen steht vor der Schwierigkeit, ob es zunächst am Individuum, an der Partnerkonstellation, an den nationalen Gruppen oder an der binationalen Gesamtgruppe festgemacht wird. Nur wenige Beiträge in der Fachliteratur zu Tandem und Autonomie setzen sich mit dieser Grundentscheidung auseinander, etwa hinsichtlich Übernahme der Verantwortung für den eigenen Lernprozeß, Aufstellung eigener Lernziele, Selbstbestimmung von Inhalten, Progression und Auswahl von Methoden und Lerntechniken. FLuL 25 (1996) 176 Hans-Erich Herfurth sehen Kommunikations- und Interaktionsstrukturen 19 • Hieraus können Rückschlüsse auf die Intensität (und Form) sprachlicher Lern- und Erwerbsprozesse gezogen werden. Erfolgreicher Spracherwerb liegt, so die bisherigen Untersuchungsergebnisse (die durch Selbstbeobachtungen von Teilnehmern und Eindrücken der Tandempartner erhärtet werden), dann vor, wenn: auf der Ebene des Interaktionsrahmens: • in Sprachbegegnungen eine möglichst breite Mischung von sprachlichen Situationen (mit einer Vielfalt von Rollen und Sozialformen) zur Verfügung gestellt werden • die Tandemkommunikation als Sprachlehr/ lernsituation aufgefaßt wird auf der Ebene der Gesprächsführung: • eine möglichst explizite didaktische Vereinbarung zwischen den Lernern zu den Bereichen der Sprachenwahl und -verteilung, der Bedeutungsklärung und des Korrekturverhaltens verabredet wird • die Tandempartner eine breite Mischung von Gesprächsthemen und -formen wählen (Gesprächsrollenvielfalt) • die Tandempartner sich an ihren individuellen kommunikativen Bedürfnissen (Mitteilungs- und Informationsbedürfnis) orientieren • die Teilnehmer Ausdrucks- und Verständigungsprobleme als Erwerbspotential wahrnehmen (z.B. Schließen lexikalischer Lücken, Hypothesen über zielsprachliche Formulierungsmöglichkeiten und -strukturen) • der Muttersprachler seinem Partner genügend Zeit zur Verfügung stellt und so viel Hilfe wie nötig zur Beseitigung kommunikativer Störungen anbietet • der Nichtmuttersprachler Hilfen seines Partners bereitwillig annimmt und versucht, die Zielsprache als Kommunikationssprache über längere Zeit hinweg aufrechtzuerhalten • beide Partner eine hohe Kooperationsbereitschaft aufweisen auf der Ebene der Vermittlung durch die Kursleiter: • kommunikative Strategien und Verfahren von Verständnisaufbau und -sicherung vorgestellt und eingeübt werden (gesprächsleitende Formulierungen z.B. zur Ein- 19 Forschungen zum Spracherwerb im Tandem zeigen Verfahren und entsprechende sprachliche Mittel auf, deren sich Muttersprachler und Nichtmuttersprachler bedienen, um kommunikative Probleme zu lösen. Dazu gehören vor allem Verfahren der Verständigungssicherung, der Bedeutungskonstitution und-aushandlung (u.a. Worterklärungsstrategien, Wortsuchprozesse, Begriffsdifferenzierung), des Bewertens und Korrigierens. Feststellen lassen sich kommunikationserleichtemde und -klärende Strategien (u.a. Reformulierungen und Reparaturen, interaktive Vollendung unvollständiger Äußerungen, Erklärungsverfahren, metadiskursive Aktivitäten, Vereinfachungsstrategien, nonverbale Strategien). Die beschriebenen Verfahren dienen nicht nur dazu, die Kommunikation zu "reparieren" und sie nach einem Hindernis fortzuführen, sondern sie bieten im Interaktionsrahmen Sprachbegegnung, wo sie im Vergleich zu exolingualer Kommunikation allgemein spezifisch gehäuft sind, die Möglichkeit, sprachliche Kenntnisse und Fertigkeiten der beteiligten Partner zu erweitern. FLuL 25 (1996) Tandem ein Verfahren zum Fremdsprachenlernen und Fremdsprachenerwerb ... 177 leitung eines Themenwechsels, zur Vermeidung und Reparatur von Gesprächsstörungen, zur Einleitung von Korrekturen; Basisvokabular wie z.B. redebewertende und redekommentierende Ausdrücke) • Prozesse metalinguistischer Reflexion vorgeschlagen werden. 20 4.3 Sprachbegegnungen in Hochschul-Mobilitätsprogrammen Zielbestimmungen und Konzeptualisierungen für die Hochschulkooperation innerhalb der Europäischen Gemeinschaft sind weitgediehen. Mobilitätsprogramme wie C0METI oder LINGUA visieren integrierte Studiengänge an mehreren Hochschulen in Heimat- und Zielland an, die mit Doppelqualifikationen oder einem europäischen Diplom abschließen. Es gehört zu den Aufgaben der Hochschulen, die kommunikativen Grundlagen für die Mobilität von Studenten und Hochschullehrern zu schaffen. Unterschiedliche nationale Wissenschaftskulturen, kommunikative Stile, national geprägte Wahrnehmungs-, Denk- und Präsentationsformen erschweren die interkulturelle Verständigung in der wissenschaftlichen Kommunikation. Fremdsprachenerwerb und -lernen im Hochschulbereich ist nicht mehr nur Additivum zum, sondern integraler Bestandteil des Fachstudiums, in einer Verbindung fach(sprach)licher, allgemein(sprachlich)er, landeskundlicher und interkultureller Kompetenzen (vgl. Knapp 1990: 46 f). Die Aneignung der Sprache des Partnerlandes wird unter der Perspektive ihrer Verwendung in integrierten Studiengängen gesehen und darüber hinaus etwa bei Aushandlung von Kooperationsverträgen, Material- und Curriculumentwicklung, Gastdozenturen, Studienaufenthalten, Praktika. In diesem Sinn zielt ein Curriculum eines solch breit angelegten Fremdsprachenunterrichts auf Hochschulebene u.a. auf folgende Aspekte (vgl. Knapp 1990, Baumgratz-Gangl 1989, Zamzow 1991): allgemeinsprachliche Kenntnisse - Entwicklung von kommunikativen Strategien, die den Zugang zum neuen Lebens- und Studienkontext erleichtern (dazu gehören u.a.: Unverständliches hinterfragen, die eigene Ausgangssituation darstellen, Hochschullehrern oder Kommilitonen der Gasthochschule eigene Verstehens- und Einordnungsprobleme klarmachen) allgemeine Ziele interkulturellen Lernens wie Aufbau von Ambiguitätstoleranz oder Beherrschung von in der Zielkultur angemessenem sozialen Verhalten (z.B. zur Beherrschung von Höflichkeitsformeln oder Kenntnis von Tabuzonen im Gespräch) autonomes Weiterlernen außerhalb des Ausbildungskontextes fachbezogene rezeptive und produktive fremdsprachliche Fähigkeiten und Kenntnisse - Landeskunde (milieuspezifische Kenntnisse über das Zielland) 20 Ausführliche Hinweise zum Spracherwerbspotential im Individualtandem bei Apfelbaum (1993) und Rost-Roth (1995). Zum Bezug der Ergebnisse der exolingualen Spracherwerbsforschung auf Sprachbegegnungen vgl. Herfurth (1993). FLuL 25 (1996) 178 Hans-Erich Herfurth - Studier- und Integrationsfähigkeit im Gastland (u.a. vergleichende Kenntnisse der Hochschulsysteme, von Lehrtraditionen, Unterrichtsformen und -stilen) - Fähigkeit zur sprachlichen Bewältigung des Fachstudiums (z.B. in Hinblick auf Teilnahme an Veranstaltungen, Anfertigung von Referaten oder Studienarbeiten). Eine Realisierung der angesprochenen Zielvorstellungen in Austauschprogrammen und integrierten Studiengängen ist gerade in Tandemak: tivitäten und Sprachbegegnungen möglich. Sie gehen weit über die bloße Antizipation von Kommunikations- und Anpassungsproblemen hinaus, wie sie vielfach noch in fremdsprachlichen Begleitstudien üblich sind, wo oft mit großem Materialeinsatz zwar kommunikative und interkulturelle Strategien trainiert, aber nicht mit realen Partnern angewendet werden. Vielmehr kann in Begegnungen im Sinne eines transkulturellen Begegnungsbegriffs ein gemeinsamer, kreativer Lern- und Arbeitsprozeß angestrebt werden, in dem sprachliche und fachliche Inhalte integriert sind. Das direkte Aufeinandertreffen von mutter- und nichtmuttersprachlichen Studenten zweier Hochschulen kann sich z.B. in gemeinsamen Praktika, gemeinsamen fachlichen und sprachlichen Problemstellungen und Projekten, gemeinsamer Begriffs- und Terminologiearbeit, selbst in gemeinsamen Studienarbeiten konkretisieren, sowohl in Individualtandem ähnlichen Formen als auch in Gruppenbegegnungen. Die EU- Mobilitätsprogramme bieten eine organisatorische und finanzielle Basis für die Konzeption, Ausgestaltung und Durchführung von in diesem Sinn verstandenen Sprachbegegnungen. Bibliographische Angaben ALIX, Christian (1990): "Pakt mit der Fremdheit? " Interkulturelles Lernen als dialogisches Lernen im Kontext internationaler Schulkooperation. Frankfurt: Verlag für interkulturelle Kommunikation. 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Working at the linguistic and at the psycholinguistic levels, one has to describe the words tobe explained in the classroom as belonging to different (syntactic and/ or semantic) subclasses of their respective lexical categories; secondly one has to take into consideration existing hypotheses about the structure of the representation of linguistic and non linguistic knowledge; thirdly one must describe the different pattems of semantisization. The respective categories of analysis and description have to be clearly defined and kept apart. A more precise analysis of these factors would sharpen the focus of research in this area. 0. Einleitende Bemerkungen Inez De Florio-Hansen (DFH) hat ihre Frankfurter Habilitationsschrift unter dem Titel Vom Reden über Wörter: Vokabelerklärungen im ltalienischunterricht mit Erwachsenen 1 veröffentlicht. Es handelt sich hierbei um eine material- und ergebnisreiche, theoretisch durchdachte, empirische Untersuchung zu den Vokabelerklärungen im Fremdsprachenunterricht2, die im Italienischunterricht mit Erwachsenen an Volkshochschulen durchgeführt wurde. Das Buch beeindruckt durch seinen Umfang, insbesondere den der Datenbasis, durch die Gründlichkeit der Analysen und durch die Qualität der gewonnenen Ergebnisse. Es lassen sich allerdings auch einige vor allem redaktionelle - Schwächen feststellen. Die Ausführungen zu den theoretischen Grundlagen und zum Forschungsstand hätten nach meinem Eindruck noch etwas konziser und systematischer sein können; einige wesentliche Begriffe der Arbeit (wie z.B. 'Erklärungsverfahren') werden im Text zu spät eingeführt und definiert. Die Tabellen sind nicht sehr leserfreundlich. Die Abkürzungen werden nicht aufgelöst und nicht einheitlich gebraucht. Bei einem so umfangreichen Buch wären auch ein Personen- und ein Sachindex sehr nützlich gewesen. Tübingen: Narr 1994 (Gießener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik), IX + 628 Seiten. 2 Dieser Forschungsgegenstand ist sehr aktuell. Parallel zu DFH wurde an der Universität Bielefeld intensiv darüber gearbeitet; vgl. den Bericht von DFH in Kap. 4.2.2 (180-213). Kostrzewa (1993) und Köster (1994) berücksichtigt DFH nicht. FLuL 25 (1996) 182 Peter Seheifer Im folgenden werde ich über dieses Buch berichten. Dabei werde ich einerseits einen Eindruck von seinem Inhalt vermitteln. Darüber hinaus werde ich auf einige Probleme der Untersuchung, auf ungelöste Fragen und besonders interessante Ergebnisse und deren Interpretation eingehen, und zwar ausführlicher und genauer als dies in einer Rezension üblich und machbar wäre. Ich verbinde damit die Hoffnung, zu einigen Präzisierungen beizutragen und Perspektiven für weitere Forschungen zu eröffnen. Wenn ich meine weiterführenden Ausführungen aus einer Kritik an der Arbeit von DFH ableite, so laste ich ihr diese Kritik nicht an. Diese Arbeit erbringt ohne Zweifel einen wesentlichen Erkenntnisfortschritt und macht die weiterführenden Gedanken überhaupt erst möglich.3 Das Globalziel der Arbeit besteht in einer aus den Daten abgeleiteten Beschreibung der Vokabelerklärungen unter sprachlich-strukturellen und konversationsanalytischen Gesichtspunkten, in einem Vergleich von Vokabelerklärungen in natürlichen Kontaktsituationen mit denen im Unterricht und in der Erklärung des Vorkommens bestimmter Vokabelerklärungsverfahren als Sequenzen, und zwar in Abhängigkeit zu Faktoren des Unterrichtsgesprächs und des Unterrichtsgegenstandes, insbesondere der Wortart der erklärten Vokabeln. Das Buch gliedert sich in eine kurze Einleitung, einen theoretischen, einen empirischen Teil, eine kurze Zusammenfassung mit Ausblick, das Literaturverzeichnis und einen kurzen Anhang, der den Kursleiter- und den Kursteilnehmer-Fragebogen enthält. In der Einleitung beschreibt DFH im Anschluß an einige terminologische Festlegungen Motivation, Ausgangshypothese, Ziele und Aufbau ihrer Arbeit. Im theoretischen Teil (Kap. 1-4) geht sie den Fragen nach, was die Einsprachigkeit-vs.-Zweisprachigkeit-Debatte, die linguistische Semantik, die Zweitsprachenerwerbsforschung und die kognitive Psychologie für das „Semantisierungsproblem" erbracht haben und charakterisiert den einschlägigen Forschungsstand. Sie faßt zunächst die Forderungen zusammen, die im Zusammenhang mit der Erstdarbietung neuer Vokabeln in der Literatur erhoben werden (vgl. 142-146) und dann den Stand der Überlegungen zum Verhältnis zwischen Verstehen und Behalten. Anschließend diskutiert sie die „Möglichkeiten und Grenzen der empirischen Erforschung des Fremdsprachenunterrichts" (152-180) und referiert „empirische Untersuchungen zum gesteuerten Wortschatzerwerb" (180-213). Hieraus leitet sie Konsequenzen für ihr eigenes empirisches Vorgehen (vgl. 180) und für „vordringliche Forschungsaufgaben" (213-215) ab, die in der empirischen Untersuchung (Teil II des Buches) umgesetzt bzw. erfüllt werden sollen. Im empirischen Teil werden die Erkenntnisinteressen, das Untersuchungsdesign und die Probanden (Teilnehmer und Dozenten der VHS-Kurse Italienisch) ausführ- 3 Meine Überlegungen stehen im Zusammenhang mit meinem Forschungsprojekt „Struktur und Genese des mentalen Lexikons", das von der DFG im Rahmen des SFB 282 „Theorie des Lexikons" (Proj. A4) gefördert wird. FLuL 25 (1996) Über Vokabelerklärungen 183 lieh charakterisiert (Kap. 5, 6). Es folgen eine exemplarische Analyse von Phasen der Wortschatzvermittlung in einer Unterrichtsveranstaltung und von Worterklärungen in natürlichen Kontaktsituationen (Kap. 7, 8). Sodann werden das „Geprächsmuster 'Erklären'" "Erklärungssequenz"), die im Unterricht erarbeiteten Vokabeln, ausgangssprachliche und zielsprachige Erklärungsverfahren und schließlich die verschiedenen Realisierungen „des methodischen Musters 'Erklären"' (Kap. 9-13) dargestellt. 1. Terminologisches und theoretische Grundannahmen Als Termini für „den Vorgang der Erklärung zielsprachiger lexikalischer Einheiten" (11) findet man heute in der Fremdsprachendidaktik den Ausdruck Semantisierung 4 oder eben das deutsche Wort Vokabelerklärung. Dieser „Vorgang" kann vom Lehrer geleistet werden (Wortschatzvermittlung) oder vom Schüler selbst (Erschließung lexikalischer Einheiten 5 ). Mit Wortschatzerwerb bzw. L2-Wortschatzerwerb bezeichnet DFH das lexikalische Lernen einer Fremdsprache allgemein bzw. das durch Unterricht gesteuerte, mit Wortschatzarbeit die „Gesamtheit der Aktivitäten, die das lexikalische Lernen im Fremdsprachenunterricht betreffen" (12). Da es wohl immer noch unmöglich ist, in Untersuchungen zum Fremdsprachenunterricht das Lieblingskind der deutschen Fremdsprachendidaktik, die Einsprachigkeit-vs.-Zweisprachigkeit-Debatte, einfach zu ignorieren, beschäftigt sich auch DFH mit ihm. Alles in allem kommt sie zu dem erwarteten Ergebnis, das sie unter Verweis auf Preibusch/ Zander (1971: 133, 134, 141) formuliert (42, 43). Danach ist anzunehmen, "daß die Wortaneignung [...] in unterschiedlichen Phasen verläuft, wobei 'fremd-muttersprachliche Äquivalente' transitorische Voraussetzungen für den Aufbau des Endverhaltens sind, in ihm aber nicht mehr unbedingt enthalten sein müssen [...]. Die Frage, ob die fremdsprachigen lexikalischen Einheiten einsprachig oder zweisprachig vermittelt werden sollen, ist [...] sekundär. Es kommt vielmehr darauf an, daß der Lernende bereits bei der Wortschatzerschließung[...] lernwirksame sprachliche Operationen ausführt, 'die sinnvolle Verbindungen zwischen bekannten Elementen und dem neuen Element schaffen'." Ferner: "Verstehen und Behalten lexikalischer Einheiten wird [sie] nicht nur durch das Präsentationsverfahren beeinflußt, sondern auch von der linguistischen Beschaffenheit des 4 Beim Gebrauch dieses Terminus ist allerdings Vorsicht geboten; denn er bezeichnete, als er von Palmer (1917: 49 u. 230) eingeführt wurde, "the conveying of meaning" bzw. "memorizing the meaning of a given unit". DFH geht zu recht davon aus, daß Vokabelerklärungen nicht nur Bedeutungserklärungen sind; vgl. unten Abschn. 3. 5 Vgl. hierzu auch die Termini inferencing, Vokabelraten, indirektes Vokabellemen (vgl. Scherfer 1993). Hierbei handelt es sich zwar um interne Prozesse, über die bzw. über deren Ergebnisse die Lernenden jedoch mit gewissen Einschränkungen Auskunft geben können. FLuL 25 (1996) 184 Peter Scherfer betreffenden fremdsprachigen Wortes und den Bezügen, die der Lernende dazu herstellen kann." Die beiden nach wie vor interessanten Fragen, wie das lexikalische Wissen allgemein mental repräsentiert ist, und ob, und wenn ja, in welcher Weise das lexikalische Ll- und L2-Wissen im mentalen Lexikon einander zugeordnet sind, bleiben damit jedoch noch unbeantwortet. DFH geht hierauf in Kap. 3.2.1 ein (vgl. 100- 125). Sie referiert ansatzweise einige in diesem Zusammenhang heute wichtige Theorien bzw. Modelle, und zwar insbesondere die Zwei-Ebenen-Semantik (vgl. Bierwisch 1985; Bierwisch/ Lang 1987), in der die Trennung von konzeptuellem System (im Prinzip sprachunabhängig repräsentiertes "enzyklopädisches"] Wissen) und semantischem Sprachwissen vorgenommen wird, und die Theorie der multiplen Gedächtnisrepräsentation von Erfahrung in Form von visuellen, sensumotorischen und motorischen Programm-Marken sowie Konzepten (vgl. Engelkamp 1990). Es gelingt ihr jedoch nicht, ein klares Modell der mentalen Repräsentation von Lexemen zu entwerfen, das deren enorme Komplexität (Bezug zum enzyklopädischen Wissen, semantisches, grammatisches, phonologisch-phonetisches Sprachwissen) widerspiegelt. Das liegt daran, daß sie nicht versucht hat, die psychologischen Erkenntnisse zur mentalen Repräsentation von Lexemen mit denen der lexikalischen Semantik zu verbinden. An anderer Stelle (Kap. 2.1.2) geht sie kurz auf die paradigmatischen und syntagmatischen Aspekte der Repräsentation lexikalischen Wissens ein (Sinnrelationen: Synonymie, Hyponymie, Inkompatibilität; Feldstrukturen; centres d'interet etc.) und auf das Verhältnis von Sprache und Denken "Etikettenaustausch vs. doppelte Weltansicht" [57--62]), stellt aber keinen Zusammenhang zu psychologischen Hypothesen über die Repräsentation des Wissens und zur Zwei-Ebenen-Semantik her. Auch ihr mit Bezug auf das semiotische Dreieck vorgenommener Hinweis darauf, daß Bedeutungserklärungen ihren Ausgangspunkt in der Realität (beim „Referenten"), im Wissen der Lerner über den jeweiligen Referenzbereich (bei den Konzepten) oder im semantischen Wissen, also dem Wissen um die Bedeutung der Wörter, nehmen können (vgl. 49-57), hätte gut in diesem Zusammenhang diskutiert werden können. In der Forschungsdiskussion vorgetragene Überlegungen zur mentalen Repräsentation des Weltwissens in Form von Konzepten und konzeptuellen Schemata, von Stereotypen/ Prototypen 6, von Konfigurationen semantischer Merkmale bzw. von Bedeutungspostulaten, zu hierarchischen Strukturen in der Repräsentation (Basisebene, Vererbungen von Konzeptmerkmalen in den semantischen Netzen), werden nur nebenbei erwähnt bzw. völlig übergangen. 7 6 An verschiedenen Stellen im Text setzt DFH die Kenntnis der Forschungen zur Repräsentation in Form von Prototypen voraus (vgl. u.a. 305; 483; 506). 7 Den Versuch einer Integration semantischer und psychologischer Erkenntnisse in der Lexikologie unternimmt Schwarze (1985). FLuL 25 (1996) Über Vokabelerklärungen 185 Nach meiner Auffassung legen die aktuellen Forschungen folgendes Bild vom mentalen Lexikon nahe (vgl. Aitchison 1987): Lexeme (evtl. auch Wortstämme) sind einerseits als solche ganzheitlich repräsentiert. Sie sind mit einer Art Index versehen, an dem der Sprecher „ablesen" kann, zu welcher Sprache sie gehören bzw. in welcher sprachlichen Varietät sie normalerweise verwendet werden. Insofern ist jedes Lexem für sich und gleichzeitig nach Sprachen bzw. sprachlichen Varietäten mit anderen Lexemen repräsentiert. Andererseits sind in jedem Lexem verschiedene Informationen enthalten, die in ihm in spezifischer Weise miteinander verbunden sind: phonologische, morphologische, syntaktische, semantische, kollokationelle, ... Diese strukturebenenspezifischen Informationen der verschiedenen Lexeme verbinden sich darüber hinaus untereinander und vernetzen auf diese Weise die verschiedenen Lexeme in vielfältiger Weise miteinander, so daß nach den jeweiligen strukturellen Aspekten „Lexemcluster" bestehen, in welche die betreffenden Lexeme mehrfach eingebunden sind (vgl. Scherfer 1994: 189-207). Daß darüber hinaus assoziative Verbindungen auf der Ebene der Marken und des Weltwissens bestehen, darauf weist auch DFH in Kap. 3.2.2 (S. 125-146) hin. Vokabellernen ist also der Versuch, neues Lexemwissen in vorhandene Netzstrukturen ähnlichen oder gleichen Wissens einzubauen. Dabei handelt es sich um einen Prozeß, der von zunächst nur punktuellen zu immer komplexeren Neuvernetzungen führt. Die Strukturen der mentalen Repräsentationen auf der sozusagen 'vertikalen' Ebene der Verknüpfung der verschiedenen Informationen innerhalb eines Lexems weisen wortartenspezifische Eigenschaften auf, variieren also je nach Wortart. Auf der 'horizontalen' Ebene, also zwischen den Lexemen, variieren sie je nach dem Typ der sprachlichen Informationen. So sind beispielsweise für die phonologischen Informationen die Initialbzw. Finalphonemfolgen des Lexems, seine Silben- und Akzentstruktur Parameter, nach denen gedächtnisspezifische Cluster gebildet werden. Für die Morphologie spielen die Art und die Komplexität der Lexeme (Stämme -Affixe - Basislexeme komplexe Lexeme), die Zugehörigkeit zu bestimmten morphologischen (Deklinations- oder Konjugations-)Klassen und die Allomorphie diese Rolle. In der Semantik begründen die Beziehungen der Überbzw. Unterordnung (Hyponymie), der Inkompatibilität (lexikalischer Gegensatz) und der Bedeutungsgleichheit (Synonymie) solche lokalen Strukturen wie Teilhierarchien bzw. Paare, Reihen, Zyklen bzw. Äquivalenzklassen. Bei globalen Strukturen, wie z.B. den Wortfeldern, spielt neben den verschiedenen inhaltlichen Aspekten, nach denen sie gebildet sind, auch die syntaktische Kategorie der Lexeme eine Rolle. Üblicherweise werden Lexeme einer syntaktischen Kategorie unter einem inhaltlichen Gesichtspunkt zusammengruppiert (z.B. Farbadjektive). Wenden wir uns nun wieder DFH zu. Was die Repräsentation von lexikalischem LI- und L2-Wissen angeht, schließt sie an Gedanken von Schwarze (1986) an, der zwar annimmt, daß diese beiden Wissensbestände als zu verschiedenen Sprachen gehörig erkannt werden (insofern 'getrennt' sind), daß aber dennoch zwischen den LI- und L2-Lexemen auf Grund FLuL 25 (1996) 186 Peter Seheifer gemeinsamer Eigenschaften auf den verschiedenen Strukturebenen mehr oder weniger direkte Vernetzungen zwischen allen Lexemen des mentalen Lexikons bestehen, es also im Verlauf des Zweitsprachenerwerbs zu einem gemischten System kommt (vgl. DFH: 120). Diese Vorstellung von der „Mischung der Systeme" verwirft DFH (123-124) mit dem Argument, „daß gerade Fremdsprachenlerner im Anfangsstadium mutter- und fremdsprachliche Wortbedeutungen einfach gleichsetzen und erst nach und nach die unterschiedlichen Bedeutungsnuancen erfassen und zu einer Trennung der Systeme gelangen." Damit reduziert sie entgegen ihrer sonst völlig zu recht vertretenen Auffassung, daß Wortschatzerwerb nicht nur Bedeutungserwerb sei das Vokabellernen auf Bedeutungslernen und übersieht, daß verschiedene Lexeme nicht auf allen Strukturebenen miteinander vernetzt sein müssen, sondern nur auf einigen, und zwar auf denjenigen, wo Gleichheits- oder Ähnlichkeits- ('Überlappungen') oder auch Inkompatibilitätsbeziehungen bestehen; vgl. zur Illustration das folgende Zitat aus Schwarze (1986: 310; in DFH: 120-121): "Ein zweisprachiger Sprecher oder ein Fremdsprachenlerner [...] kann folgende Verbindungen herstellen: von einer Wortform von Ll zu einer anderen Wortform von Ll von einer Wortform von L2 zu einer anderen Wortform von L2 von einer Wortform von Ll zu einer Wortform von L2 und umgekehrt von einer Wortform aus Ll oder aus L2 zu einem visuellen Bild von einer Wortform von Ll aus oder aus L2 zu den mit ihr verbundenen Konzepten von einem visuellen Bild zu einem anderen visuellen Bild von einem visuellen Bild zu einer Wortform von Ll oder zu einer Wortform von L2 (allerdings muß es nicht für jedes visuelle Bild in beiden Sprachen eine Wortform geben) von einem Konzept zu einer Wortform aus Ll oder aus L2 (allerdings muß es nicht für alle Konzepte in beiden Sprachen Wortformen geben) von einem Konzept zu einem anderen Konzept von einem Konzept zu einem visuellen Bild." Daß in diesem Zitat die Komplexität der Vernetzung nicht exhaustiv beschrieben ist, wird deutlich, wenn man bedenkt, daß unter 'Wortform' nicht nur die phonologische Form, sondern auch grammatische (morphologische und syntaktische) Lexemeigenschaften fallen und daß man neben den visuellen noch weitere Typen von Marken annehmen muß. Eine intensivere Auseinandersetzung mit den linguistischen und psychologischen Theorien und mit den Beziehungen zwischen ihnen wäre geeignet, die Definition der Erklärungsverfahren, die DFH im empirischen Teil ihrer Arbeit herausarbeitet, besser vorzubereiten bzw. zu präzisieren, die Analyse der Daten noch stringenter durchzuführen und deren Ergebnisse noch genauer zu interpretieren. FLuL 25 (1996) Über Vokabelerklärungen 187 2. Grundannahmen zur empirischen Erforschung des L2-Erwerbs im Fremdsprachenunterricht Im Kap. 3.1 "Vom Nutzen der Zweitsprachenerwerbsforschung") charakterisiert DFH zunächst einen (typisch deutschen? ) Schulenstreit, und zwar den zwischen der Sprachlehrforschung bzw. der Sprachlehr- und -lemforschung (vgl. Bausch/ Königs 1983) und der Zweitsprachenverbsforschung (vgl. Wade 1985). 8 „Die Sprachlehrforschung insistiert auf der Eigengesetzlichkeit spezifischer Lernkontexte [...], die sie [...] mit dem Stichwort 'Faktorenkomplexion' umschreibt; die Zweitsprachenerwerbsforschung leugnet den Einfluß exogener Faktoren [...] zwar nicht, hält ihn aber für unbedeutend im Vergleich zu einem anderen Faktor: 'Gemeint ist hier das menschliche Kognitionssystem, d.h. jenes Ensemble mentaler Strukturen, das dem Menschen gestattet, Informationen zu verarbeiten und Wissen zu speichern' (Felix 1987: 413)" (DFH: 78). Je nachdem, welchem Forschungsparadigma man zuneigt, unterscheiden sich Erkenntnisinteresse, empirisches Vorgehen und Ziele. Wenn man annimmt, daß der Zweitsprachenerwerb im wesentlichen von den menschlichen Kognitionssystemen determiniert wird, deren eigengesetzliche Kreativität beim Spracherwerb von bestimmten Außenreizen, wie vor allem dem zielsprachlichen Input in seinen verschiedenen Formen, in Gang gesetzt wird 9, richtet sich das Erkenntnisinteresse vor allem darauf, die für den Spracherwerb zuständigen kognitiven Fähigkeiten in einer Theorie zu beschreiben, welche die exogenen Faktoren allenfalls als Randphänomene berücksichtigt. Hier handelt es sich um eine Art von Grundlagenforschung, aus deren Ergebnissen u.U. Konsequenzen für den Fremdsprachenunterricht abgeleitet werden können. Dies ist jedoch nicht von vornherein eine wesentliche Intention dieser Arbeit. Im anderen Fall ist der 'Sprachverarbeiter' (vgl. Klein 1984: 49-53) nur einer der Faktoren, die den Fremdsprachenlehr- und -lemprozeß bedingen. Die exogenen Faktoren (wie u.a. Lehrverfahren, Lehrmaterialien etc.), Persönlichkeitsvariablen der Lerner (Alter, Motivation, ...) und der Lehrer, institutionelle Variablen (Schultyp etc.) wirken mit ihm zusammen. Eine entsprechende Theorie des Fremdsprachenlehrens müßte diese Faktorenkomplexion erfassen. Das eigentliche Ziel der Sprachlehr- und -lernforschung liegt nach Grotjahn et al. (1983: 61) darin, "mit Hilfe ihrer Ergebnisse eine 'Verbesserung' des Lernens und Lehrens von Fremdsprachen zu ermöglichen" (zit. nach DFH: 152). 8 Henrici (1995: 4; vgl. die dort aufgeführten Literaturangaben) erfaßt diese unterschiedlichen Forschungsparadigmen terminologisch als L2-classroom research (vgl. noch Henrici 1990) vs. klassisch orthodoxer Zweitsprachenerwerbsforschung in der Tradition Chomskys. 9 Für diese Auffassung spricht die Beobachtung, daß die Strukturen bestimmter Bereiche in den verschiedenen Sprachen unabhängig vom Lernkontext in einer für sie typischen Reihenfolge erworben werden (Erwerbssequenzen bzw. Entwicklungssequenzen; vgl. Wode 1988: 82-92). FLuL 25 (1996) 188 Peter Scherfer Obwohl sie ihre Untersuchung im Paradigma der Sprachlehrforschung durchführt10, sieht DFH in der Zweitsprachenerwerbsforschung einen wichtigen Bezugspunkt für diejenigen, die sich um die Konsolidierung und Optimierung des Fremdsprachenunterrichts bemühten (vgl. 81). Einen Vorteil der Sprachlehrforschung erblickt sie darin, daß diese nicht wie die Spracherwerbsforschung nur den Output der Lerner, sondern durch Unterrichtsbeobachtung und -mitschnitte auch den Input systematisch in ihre Untersuchungen einbeziehen könne (vgl. 82). DFH referiert diejenigen Ergebnisse der Zweitsprachenerwerbsforschung, welche die Unterschiede zwischen dem Ll- und dem L2-Wortschatzerwerb und zwischen Erwachsenen und Kindern betreffen (vgl. Kap. 3.1.1 u. 3.1.3). In beiden Fällen scheinen die Unterschiede nur graduell zu sein. Sowohl im Llals auch im L2- Wortschatzerwerb lassen sich Übergeneralisierungen, Transfer, Interferenz und 'Interim' -Stadien feststellen (vgl. Kap. 3.2.2). 3. Die Daten, die Erkenntnisgegenstände und das Vorgehen Ausgehend von ihrer Analyse des Forschungsstandes 11 erhebt DFH auf drei verschiedene Weisen die Daten (vgl. 226-231) für ihre Untersuchung. Zum einen erstellt sie Transkriptionen von Unterrichtsaufzeichnungen aus sechs Italienischkursen verschiedener Anfängerniveaus mehrerer Volkshochschulen des Rhein-Main-Gebiets. Insgesamt wurden 22 Unterrichtsveranstaltungen zu 90 Minuten auf Tonband aufgezeichnet, also insgesamt ein 33 Stunden umfassendes Material bearbeitet. Zum zweiten wurden Informationen über die Kursteilnehmer und -leiter per Fragebogen erhoben. Drittens schließlich wurden mit 23 Kursteilnehmern und mit den sechs Kursleitern retrospektive bzw. (nachträglich) kommentierende Daten erhoben, und zwar zu den folgenden Aspekten: "zur Verständlichkeit der Erklärungen allgemein und der einzelner Verfahren, zur Rolle zielsprachiger und muttersprachlicher Wortschatzvermittlung, zum Nutzen von Fremdsprachenkenntnissen bei der Erschließung zielsprachiger Lexeme und zum Verhalten der Lernenden, wenn sie den Erläuterungen ausnahmsweise nicht folgen können, aber auch zu Mißverständnissen und Kommunikationsstörungen" (230--231). 10 Vgl. DFH (219-220): "Meinem Vorgehen liegt die Überzeugung zugrunde, daß Fremdsprachenunterrichtsforschung ohne Detailkenntnisse des tatsächlichen Unterrichtsgeschehens in der Regel nicht zu Erkenntnissen führt, aus denen Handlungsempfehlungen für die Unterrichtspraxis abgeleitet werden können." 11 Vgl. DFH (180): "Unterrichtsbeobachtungen und Tests allein genügen nicht, um den mentalen Prozessen von Fremdsprachenlernern auf die Spur zu kommen. Intro-/ retrospektive Verfahren können neben anderen verbalen Daten (z.B. schriftlichen Befragungen, fokussierten Interviews) Einblicke in gewisse Prozesse und Strategien der Interlanguage geben." FLuL 25 (1996) Über Vokabelerklärungen 189 Die Untersuchungsgegenstände bilden die in „Semantisierungsgesprächen" 12 vorkommenden Erklärungssequenzen, d.h. der „Teil des Unterrichtsgesprächs, in dem eine Vokabel erläutert wird" (219; vgl. noch 231) bzw. "in dem eine oder mehrere lexikalische Einheiten der Zielsprache zum Gegenstand von Erläuterungen gemacht und zu ihnen verständnisbzw. lernfördernde Hinweise gegeben werden" (380). Erklärungssequenzen sind also nicht mit Bedeutungserklärungssequenzen gleichzusetzen. Sie erfassen auch „Hinweise zu anderen Bereichen der Sprache" (379) (Aussprache, Morphologie, Syntax, pragmatische Aspekte, Hinweise auf das Vorwissen der Lernenden und/ oder auf Lerntechniken). 13 Insgesamt 386 Erklärungssequenzen kann DFH in ihrem Datenkorpus feststellen. Diese können unter interaktiven, kommunikativen Gesichtspunkten als Erklärungsmuster 1 4, also konversationsanalytisch beschrieben werden u.a. hinsichtlich solcher Fragen wie: Wer initiiert die Erklärung? Wer erklärt? Wieviele Aktanten sind an der Erklärung beteiligt? Wie ist das Erklärungsmuster strukturiert (Sprecherwechsel etc.)? Welche Störungen treten auf? Wie werden diese repariert? Wer beendet die Erklärungssequenz? ... In Erklärungssequenzen werden Erklärungsverfahren (vgl. 220-222) angewendet. 15 Das Ziel der empirischen Arbeit besteht darin, "zu zeigen, wie fremdsprachige lexikalische Einheiten mit erwachsenen Lernenden im Unterricht erarbeitet werden" (219), und zwar dadurch, daß Erklärungssequenzen so sorgfältig dokumentiert werden, daß die angetroffenen Phänomene systematisiert dargestellt und Rückschlüsse auf die Wirkung der Erklärungen aus den Unterrichtsmitschnitten möglich sind (vgl. 219). Aus den exemplarischen Analysen der Wortschatzarbeit bzw. des Wortschatzerwerbs in einer Unterrichtsveranstaltung bzw. in natürlichen Kontaktsituationen gewinnt DFH erste Erkenntrrisse (vgl. 299-312, 334-341) und eine jeweils erste Übersicht über die bei den verschiedenen Lexemen unterschiedlicher Wortarten verwendeten Erklärungsverfahren (vgl. 313, 342). Die Gegenstände der Untersuchung werden also analytisch aus den Daten erarbeitet, zunächst als solche isoliert und grob charakterisiert. 16 Die entsprechenden Kapitel (7 und 8) enthalten eine 12 D.h. diejenigen Unterrichtsphasen, in denen die Wortschatzarbeit geleistet wird (vgl. DFH: 219; 231). 13 Zum Unterschied zwischen 'Worterklärungen' und 'Bedeutungserklärungen' im Anschluß an Sader-Jin (1986: 48t) vgl. noch DFH (453ft). 14 Vgl. DFH (222-224); es wird auch der Terminus „Geprächsmuster 'Erklären"' gebraucht (vgl. z.B. 343). 15 Diese waren bereits Gegenstand früherer Forschungen (vgl. Kap. 4.2.2 [bes. S. 204] das Referat von Henrici/ Köster 1987. DFH nennt hier: "Synonym, Antonym, Hyperonym, Ableitung, Definition, typischer Kontext, Tafelzeichnung, Gestik und kinesische Handlung"). 16 Erst im 11. und 12. Kapitel werden diese Verfahren systematisiert und noch einmal charakte- FLuL 25 (1996) 190 Peter Scherfer Fülle interessanter Detailbeobachtungen zu Erklärungssequenzen, die hier nicht im einzelnen wiederholt werden können. Ein Teil dieser Beobachtungen geht in die Globalauswertung der folgenden Kapitel ein. Ich möchte hier nur auf drei allgemeine Ergebnisse hinweisen. DFH stellt fest, daß zwischen den Vokabelerklärungen in Kontaktsituationen und im Unterricht kaum Unterschiede bestehen. Die 'Nichtmuttersprachler' sind in den Kontaktsituationen „freier" beim Bilden von Hypothesen über die Bedeutung des ihnen unbekannten Wortes. In den Erklärungssequenzen initiieren sie die Erklärungen durch diese Hypothesen (vgl. 335-336). Menschen, die über Kenntnisse in mehr als einer Sprache verfügen, können sich leichter in die Situation des Lerners versetzen und ihm auf Grund dieser Empathiefähigkeit (vgl. Scherfer 1977) besser helfen (vgl. 340). 4. Ergebnisse Ihrem Ziel entsprechend stellt DFH zunächst die Erklärungssequenzen unter diskursanalytischen (also als Erklärungsmuster) und dann unter strukturellen Gesichtspunkten (als Erklärungsverfahren) dar. Im Zusammenhang mit der Explizierung der Erklärungsverfahren charakterisiert sie auch die erklärten Vokabeln und die Beziehungen zwischen Erklärungsmustern und -verfahren. 4.1 Die Erklärungsmuster DFH kann durch die Analyse des Gesamtkorpus hinsichtlich der Beschreibung der Erklärungsmuster die folgende „modellhafte Erklärungssequenz" (genauer wäre hier der Terminus modellhaftes Erklärungsmuster) des Fremdsprachenunterrichts rekonstruieren: „Es handelt sich um eine Sequenz mittlerer Länge von 7-10 Turns, an der insgesamt 3-4 lnteraktanten, nämlich der Lehrer und 2-3 Lernende [die sich durch 'Selbstauswahl einschalten' (vgl. 375)], beteiligt sind. Die Konstitution erfolgt durch den Lehrer, der ein zielsprachiges Lexem des Ausgangskontextes für erklärungsbedürftig hält. Ausgangspunkt der Erklärung ist die zielsprachige Wortform und nicht die Bedeutung [...]. Der Erklärungskern besteht aus einer Mehrfacherklärung unter Beteiligung der Lernenden. Bei der Ratifikation geben die Lernenden dem Lehrer zu verstehen, daß sie das Explikandum aufgrund der erfolgten Erläuterungen in ihr mentales Lexikon integrieren können. Danach beendet der Lehrer die Sequenz durch ein Gliederungssignal und kehrt zum Unterrichtsgespräch zurück" (352 [Hervorhebungen nicht im Original]). Für die festzustellenden „vielfältigen Realisierungen des interaktiven Handlungsmusters 'Erklären' im Fremdsprachenunterricht" (375), also für die verschiedenen risiert. Dieses Vorgehen erschwert die Lektüre der Kap. 7 und 8 ebenso wie die Tatsache, daß die in den zusammenfassenden Listen (vgl. 313; 342) verwendeten Abkürzungen nirgends explizit eingeführt werden. FLuL 25 (1996) Über Vokabelerklärungen 191 in ihm vorkommenden Kombinationen von Erklärungsverfahren, sind die „inhaltlichen und sprachlichen Eigenschaften des Explikandums, die Beschaffenheit des Ausgangskontexts sowie der Wortschatz der Lernenden" (375) ausschlaggebend. Die institutionellen Rahmenbedingungen beeinflussen nach DFH zwar auch die Erklärungsmuster, es sei aber schwer einzuschätzen, in welcher Weise (vgl. 376). 4.2 Die erklärten "Lexeme Im 10. Kapitel stellt DFH die in den 22 Unterrichtsveranstaltungen in 386 Erklärungssequenzen (vgl. Übersicht S. 380-388) erläuterten lexikalischen Einheiten dar. Von den insgesamt 405 erklärten Vokabeln bezieht sie 386 in ihre Betrachtung ein (vgl. Tab. auf S. 527). Nach Wortarten geordnet (vgl. Übersicht S. 390-398) ergibt sich die folgende quantitative Verteilung: Wortart Anzahl (x von 386) Substantive 170 (= 44%) Verben 88 (= 22,8%) Adjektive 45 (= 11,7%) Kollokationen/ Redewendungen 40 (= 10,4%) Adverbien 23 (= 6%) Präpositionen/ Präpositionalgruppen 18 (= 4,7%) Konjunktion 1 (= 0,3%) Pronomen 1 (= 0,3%) Tab. 1: Verteilung der erklärten Lexeme nach Wortarten Da DFH den Unterschied zwischen lexikalischen und grammatischen Präpositionen nicht macht, ist ihre Behauptung, das Verhältnis von Inhalts- und Funktionswörtern sei 366 zu 20, mit Vorbehalten zu betrachten. 17 Wahrscheinlich ist bei genauerer Analyse der Präpositionen das Übergewicht der Inhaltswörter noch stärker. DFH untersucht die Lexeme hinsichtlich ihrer Zugehörigkeit zum potentiellen Wortschatz (vgl. Übersicht S. 400-408) und kommt zu dem Ergebnis, "daß die Lernenden nur bei etwas mehr als 10% der im Unterricht behandelten zielsprachigen Lexeme nicht an ihr sprachliches Vorwissen, d.h. an die bereits erworbenen Italienischkenntnisse, an ihre Muttersprache Deutsch oder die Fremdsprachen Englisch, Französisch und Latein anknüpfen können" (409). 18 17 Auch daß der Terminus 'Adverb' eine Sammelkategorie bezeichnet, berücksichtigt DFH nicht; vgl. für diese Problematik Schwarze (1988a: Kap. 4. zu den Adverbien und Kap. 5. zu den Präpositionen). 18 Zur Problematik des damit verbundenen 'indirekten' Vokabellemens vgl. Scherfer (1993). FLuL 25 (1996) 192 Peter Scherfer Sie weist darauf hin, daß, damit die Schüler überhaupt Erschließungstechniken anwenden, folgende Bedingungen erfüllt sein müssen: Erkennbare Ähnlichkeiten zwischen dem Lexem des Vorwissens und dem zielsprachigen Lexem, (in eingeschränktem Maße) Verwandtschaft zwischen den beiden Sprachen, Sensibilisierung der Lernenden für zwischensprachliche Vergleiche, nicht zu große Furcht vor faux amis. 4.3 Die Erklärungsverfahren Hinsichtlich der in den Erklärungssequenzen verwendeten Erklärungsverfahren unterscheidet DFH zunächst (A) Erklärungsverfahren, in denen die Ll verwendet wird (Kap. 11), und (B) zielsprachige Erklärungsverfahren, die zu (Bl) holistischen, (B2) merkmalsorientierten und (B3) kognitivierenden gruppiert werden (Kap. 12). Zu (A) bildet sie vier, zu (B) insgesamt 15 Kategorien. Diese Kategorisierung hat "keinen Ausschließlichkeitscharakter". „Auch holistische Bedeutungsvermittlung kann merkmalsorientierte Züge aufweisen, und umgekehrt haben Verfahren, bei denen einzelne Bedeutungsmerkmale im Vordergrund stehen, bisweilen eine eher ganzheitliche Wirkung auf Fremdsprachenlerner" (510). "Kognitivierend" heißt in diesem Zusammenhang lediglich, daß bei diesen Verfahren deutlicher als bei den anderen metasprachliche und sonstige lernfördernde Hinweise gegeben werden. Zu den verschiedenen Verfahren im einzelnen: A (Rückgriff auf Lt) 1. Nennung eines oder mehrerer LI-Äquivalente (einschließlich der Übersetzung von Teilen des Ausgangs- oder Erklärungskontextes ins Deutsche) [LI-Äq./ Übers.] (vgl. zur Charakterisierung und Analyse S. 420-435). 2. Nennung eines inkorrekten LI-Äquivalents, welches durch die korrekte deutsche Entsprechung ersetzt wird, bzw. die Nennung eines LI-Äquivalents, welches nicht das italienische Explikandum wiedergibt, aber einen Hinweis auf dessen Übersetzung liefert [LI-L2 (Spr.)] (vgl. 436-438); z.B.: staccare wird durch ich hänge einen ab paraphrasiert (436). 3. Hinweise auf Ähnlichkeiten zur LI [Ähnl. LI] 4. Hinweise auf Unterschiede zur LI [Untersch. LI] (vgl. zu 3. u. 4. S. 458-461); vgl. den Hinweis zu e il compleanno di: in tedesco voi dite, ähm, oggi ho il compleanno, in italiano si dice: oggi e il compleanno di chi? ... (459). Was diese Kategorienbildung angeht, ist zu fragen, ob die unter (A) vorgenommene Unterscheidung nicht besser hätte lauten sollen: (Al) 'Erklärungen mit Rückgriff auf die Muttersprache', (A2) 'kontrastive Erklärungen Deutsch-Italienisch', wobei zu berücksichtigen wäre, daß die unter (B3) gefaßten Erklärungsverfahren auch Rückgriffe auf die Muttersprache enthalten können. (A2) gehörte dann zu den merkmalsorientierten und zu den kognitivierenden Kategorie11. FLuL 25 (1996) Über Vokabelerklärungen B Bl Zielsprachige Erklärungsverfahren ('holistisch'): explizite Nennung bzw. Anwendung von 193 5. Synonymen [Syn.], z.B. wenn referenziato durch eon referenze erklärt wird (vgl. 269). 6. Gleichungen [Gleich.] (zu 5. u. 6. vgl. 469-477; ferner 269, 286, 304). Im Unterricht angetroffene Erklärungen werden der Kategorie 'Gleichung' zugeordnet, "wenn eine inhaltliche Gleichsetzung möglich ist", wie z.B. im Falle eoniugi = donna e uomo oder marito e moglie. "Synonyme hingegen müssen über die Bedeutungsähnlichkeit hinaus auch sprachlich gleichgesetzt werden können", wie im Falle eoniugi anziani = eoppia anziana (286). 7. Antonyme [Ant.] (477-479; ferner 287: anziano wird erklärt durch giovane ). "[... ] das Verfahren 'Nennung von Antonymen' kann [...] jede Form der Polarität umfassen" (478). 'Antonym' ist also in einem weiten Sinn als „Gegenwort" zu verstehen. 8. Umschreibungen [Umschr.] (vgl. 479-482; ferner zum Unterschied zu Synonym 269, 304). Bei Umschreibungen wird das Explikandum durch andere Wörter ersetzt, ohne daß ein Synonym im engeren Sinne verwendet wird, also z.B. andare militare durch lui va al militare, deve fare il militare, va fare il militare (vgl. 269). "Umschreibungen sind ausführlicher als die Nennung eines Synonyms, des Gegenteils oder die Gleichung" (481). 9. Beispielen [Beisp.] (vgl. 482-490). Sie sind „ein Verfahren zur Erklärung [... ],beidem das Explikandum in der Erklärung selbst vorkommt" (482); bei der Erklärung von Substantiven werden Hyponyme oder Ko-Hyponyme genannt, bei der von Verben werden Teilhandlungen oder prototypische Tätigkeiten aufgezählt, oder das Verb wird in einen beispielhaften Zusammenhang gestellt, z.B. eondire: eondire eon olio, aeeto, sale (vgl. 487). 10. Kontexterklärungen [Kont.] (vgl. 490-496; zu situativer Kontext: 268). Bei diesem Verfahren „wird das Explikandum in einen sprachlichen und inhaltlichen Zusammenhang gestellt", vgl. zu suonare: "Cos'e suonano, suonare? Abbiamo parlato poeo prima. La signorina ha detto: mentre mangio, suona il telefono, il telefono suona. Va bene, sapete eos'e suonare? " (490). 11. non-verbale Verfahren [non-verb. Vf. bzw. non-verb.] (vgl. 496-505). B2 ('merkmalsorientiert') 12. Definitionen [Def.] (505-508; ferner 276, 304). Dieses Verfahren erfaßt die Nennung des genus proximum und der differentiae speeifieae in alltagssprachlicher Form (505), vgl. "[...] le spine sono quelle pieeole eose ehe si trovano allo stelo della rosa." 13. Nennung wesentlicher Merkmale [Merkm.] (vgl. 508-510, ferner 276). Gemeint sind hier Bedeutungsmerkmale, und zwar solche, die der Erklärende für besonders charakteristisch hält. Dabei kann es sich auch um solche handeln, "die über den Bedeutungskern hinausgehen" (509); vgl. zu panettone: 'si mangia a Natale' und 'la citta originaria del panettone era Milano'. B3 ('kognitivierend'): Hinweise [Hw.] auf 14. semantische Aspekte [Hw. Sem. bzw. ex.Hw.Sem.] (vgl. 511-518); vgl. (512: zufigliola): "mia figlia, si, si diee anehe figliola, si diee mio figlio, il mio figliolo, i miei figlioli, va bene, e figliolo e un po' piu [. .. ] eome dire? ehe viene un po' piu da euore, un po' piu affettuoso di figlio, figliolo, earo figlio, va bene, eh, bene, una mamma italiana dira sempre i miei figlioli [...]". 15. morphologische Besonderheiten [Hw.Morph. bzw. ex.Hw.Morph.] (vgl. 518-520). Hierzu zählt DFH Hinweise auf die Wortartmeist in Gegenüberstellung zu einem anderen Lexem der gleichen Wortfamilie (aiutare aiuto) - und auf unregelmäßige oder von Dozenten als schwierig empfundene Formen italienischer Verben. FLuL 25 {1996) 194 Peter Scherfer 16. syntaktische Besonderheiten [Hw.Synt. bzw. ex.Hw.Synt.] (vgl. 520-523). Diese „beziehen sich im Datenkorpus am häufigsten auf die Präpositionen, mit denen sich bestimmte Verben, Adjektive oder Adverbien im Italienischen verbinden. Die Kursleiter machen aber auch auf den Gebrauch der Hilfsverben in den Zeiten der Vergangenheit aufmerksam, wenn er vom deutschen abweicht (z.B .... nuotare ) oder geben Hinweise zur Wortstellung" (521). 17. pragmatische Aspekte [Hw.Prag.] (vgl. 523-525); vgl. oben das Beispiel unter 14., wo auf das für das Wortfigliolo angemessene Register eingegangen wird. 18. Aussprache [Hw. Aussprache]. 19. Schreibung [Hw. Schreibung] (vgl. zu 18. und 19: 525-526). DFH (vgl. 529-530) stellt sich hinsichtlich ihrer Kategorienbildung völlig zu recht einige Fragen, insbesondere (1) ob „eine Kategorisierung nach linguistischen Gesichtspunkten" überhaupt gerechtfertigt sei, (2) ob es sinnvoll sei, "zwischen verschiedenen Formen linguistischer Verfahren zu unterscheiden, also Synonyme gegen Gleichungen und Umschreibungen oder Beispiele gegen Kontexterklärungen abzugrenzen." Hier ist zunächst einmal zu fragen, was denn mit einer „Kategorisierung nach linguistischen Gesichtspunkten" gemeint ist. Bekanntlich sind die verschiedenen Sinnrelationen, semantische Merkmale bzw. Bedeutungspostulate und 'Kontext' (vgl. Pinkal 1985) gebräuchliche und relativ gut definierte sprachwissenschaftliche Kategorien - Gleichungen, Umschreibungen, Beispiele etc. jedoch nicht. Zur Frage (1) stellt DFH fest, „daß bei der Erklärung zielsprachiger Lexeme verbale Verfahren dominieren, die sich semantische Relationen zunutze machen [...]. Die Definitionen, die die Linguistik für bestimmte semantische Relationen gibt, bedürfen im Hinblick auf das Fremdsprachenlernen zumindest der Erweiterung. 'Antonyme' als Erklärungsverfahren sind beispielsweise nicht auf einen Sonderfall der Polarität beschränkt, sondern umfassen als eine Art Gegenwörter jede Form des Bedeutungsgegensatzes" (529 [im Original z.T. unterstrichen]). Bedarf die sprachwissenschaftliche Kategorienbildung im angegebenen Bereich wirklich der 'Erweiterung'? Gerade das angeführte Beispiel belegt das Gegenteil. Die semantische Relation des lexikalischen Bedeutungsgegensatzes ist relativ gut erforscht (vgl. Cruse 1986; Lang 1994). In ihr werden besondere Unterfälle wie Antonymie, Komplementarität, Konversion und Reversität unterschieden. Sollte sich die Sprachlernforschung nicht lieber diesen Grad der Genauigkeit der Kategorienbildung zunutze machen anstatt mit einer so unklaren Kategorie wie 'Gegenwort' zu arbeiten? Hier liegt jedoch nicht der eigentlich wichtige Gedanke. DFH spricht einerseits von Erklärungsverfahren, "die sich semantische Verfahren zunutze machen", andererseits von Antonymen „als Erklärungsverfahren". Dadurch verwischt sie einen wichtigen Unterschied, und zwar den zwischen der mentalen Repräsentation von Lexemwissen und der Aktivierung bestimmter seiner Aspekte durch Vokabelerklärungen. Sinnrelationen, wie einige Grundgedanken der klassischen strukturalen Lexikologie überhaupt, können als Hypothesen über die mentale Repräsen- FLuL 25 (1996) Über Vokabelerklärungen 195 tation des lexikalischen Wissens verstanden werden (vgl. Schwarze 1985). Man geht generell von den folgenden Annahmen aus: 1. Das Lexikon ist nicht chaotisch. sondern geordnet. In ihm kommen die Lexeme in globalen (Wortfelder) und lokalen (Sinnrelationen) Strukturen vor. 2. Lexeme besitzen eine (manchmal auch mehrere) lexikalische Bedeutung(en), die Teil des sprachlichen Wissens ist (sind) und die klar voneinander abgrenzbar sind. 3. Lexikalische Bedeutungen können analysiert, d.h. in ihre Bestandteile (semantische Merkmale, Seme) zerlegt werden. 4. Es ist möglich, lexikalische Bedeutungen mit Hilfe bestimmter Konfigurationen semantischer Merkmale vollständig anzugeben. Es hat sich inzwischen herausgestellt, daß sich die Annahme 4 nicht halten läßt. Es finden sich immer wieder Fälle, bei denen es außerordentlich schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist, eine Semstruktur zu finden, welche die lexikalische Bedeutung vollständig erfassen kann. Dieser Schwierigkeit hat man durch die Analyse der lexikalischen Bedeutungen in Form von Bedeutungspostulaten Rechnung getragen. Mit ihnen kann man wie mit Semstrukturen auch angeben, daß eine Lexembedeutung bestimmte Bedeutungskomponenten enthält, ohne jedoch damit gleichzeitig zu behaupten, daß dadurch die betreffende Lexembedeutung vollständig definiert sei. Bedeutungspostulate geben eine Beziehung zwischen einer lexikalischen Bedeutung und ihren Teilen an; die Beziehung ist nicht die der Äquivalenz, sondern die der Implikation. Dieses Vorgehen hat gegenüber der Semanalyse den Vorteil, daß es auch erlaubt, partielle Analysen (hinsichtlich bestimmter Aufgaben und Ziele) vorzunehmen, was in der natürlichen Kommunikation zwischen Menschen wohl der Normalfall ist. Es hat ferner den Vorteil, daß sich hierdurch auch die Sinnrelationen ausdrücken lassen; vgl. z.B. (1) (1) Sinnrelation: Frau ist hyponym von Mensch Bedeutungspostulat: x ist eine Frau ➔ x ist ein Mensch Sprachwissenschaftlich gesehen sind Analysen in Form von Bedeutungspostulaten Merkmalsanalysen vorzuziehen (auch wenn letztere für bestimmte Zwecke eine praktische Darstellungsweise abgeben). Der Unterschied zwischen Bedeutungspostulaten und Sinnrelationen stellt lediglich verschiedene Ausdrucksweisen für semantische Relationen dar. Auch unter Spracherwerbsgesichtspunkten hat die Analyse in Form von Bedeutungspostulaten Vorteile, denn sie entspricht dem, was in der natürlichen Kommunikation beobachtbar ist. Das Reden über Wörter aktiviert bestimmte Aspekte ihrer mentalen Repräsentation. Mit ihrer Unterscheidung zwischen dem, was DFH holistische und merkmalsorientierte Erklärungsverfahren nennt, erfaßt sie einen psycholinguistischen Unterschied. Er besteht darin, daß die Erklärenden unterschiedliche Arten der Wissensrepräsentation aktivieren, und zwar holistische (die unmittelbaren lexikalischen FLuL 25 (1996) 196 Peter Scherfer Bedeutungen (vgl. unten 5.1.)) oder relationelle, die auf Implikationen beruhen. Vokabelerklärungsverfahren setzen beim Lerner die Existenz lexikalischer Wissensrepräsentationen voraus. Die Aktivierung von Teilaspekten erfolgt häufig über Folgerungsprozesse. Bedeutungserklärungen erlauben Rückschlüsse hierauf. Im Unterrichtsgespräch werden diese Wissensstrukturen nicht als solche ausgedrückt, sondern sie sind in umgangssprachlichen, aus didaktischen Gründen stark vereinfachten, z.T. auch 'laienhaften' Formulierungen sozusagen versteckt und müssen in der wissenschaftlichen Analyse derselben erst rekonstruiert werden. Gerade deshalb ist eine genaue Definition der in einer Untersuchung wie der von DFH verwendeten Kategorien zu fordern, die den Unterschied zwischen der Art der zugrunde liegenden lexikalischen Wissensstrukturen und der Art des Redens darüber berücksichtigt. Zur Frage (2) führt DFH u.a. aus: "Wenn man etwas über die Wirkung einzelner Erklärungsverfahren herausfinden will, bedarf es nicht nur einer sorgfältigen Kategorisierung der Verfahren; auch innerhalb eines Erklärungsverfahrens müssen unterschiedliche Darbietungsformen daraufhin untersucht werden, inwieweit sie die Aufnahme der Erläuterungen beeinflussen. Bedeutungserklärungen durch die 'Nennung von Synonymen' unterscheiden sich in ihrer Wirkung auf Fremdsprachenlerner, je nachdem ob sie isoliert oder im Gesprächskontext [...], ob sie implizit oder mit einem deutlichen Hinweis auf die Synonymie zielsprachiger Lexeme erfolgen" (529). Das Phänomen, auf das DFH hier hinweist, kann m. E. nicht durch die Kategorisierung der Erklärungsverfahren erfaßt werden, sondern durch die generelle Tatsache, daß die Art der zu lösenden Aufgaben und die Zielgerichtetheit der Wahrnehmung die Aufnahme und das Behalten von Informationen beeinflussen. 19 Zusammenfassend kann festgehalten werden: Erklärungsverfahren sind ihrem Wesen nach Versuche, verschiedene Aspekte des lexikalischen Wissens zu aktivieren, und zwar diejenigen, die zu der betreffenden Vokabel gehören sowie diejenigen des Vorwissens, die sich mit ersteren in Beziehung setzen lassen. Dies geschieht in einer kontrollierten, aufmerksamkeitslenkenden Weise. Die Art der unterschiedlichen Repräsentationen des verschiedenen Sprachwissens bedingt unterschiedliche Erklärungsverfahren. Ordnet man in der entsprechenden Tabelle, in welcher DFH die Verteilung der Erklärungsverfahren aufführt (vgl. 527), diese nach der Häufigkeit, mit der sie im Datenkorpus vorkamen, ergibt sich die folgende Tabelle (Tab. 2): 19 Vgl. Engelkamp (1990: 23-38). In welcher Weise kontextuelle Bedeutungserklärungen aufmerksarnkeitslenkend sein können, zeigt die Untersuchung von Kostrzewa (1993). FLuL 25 (1996) Über Vokabelerklärungen 197 Erklärungsverfahren Anzahl des Vorkommens Häufigkeit in % Ll-Äq./ Übers. 195 22.9 Synonyme 101 11.9 Hw.Sem. 85 10.0 Kontexte 73 8.6 Beispiele 64 7.5 Hw.Morph. 63 7.4 non-verb.Vf. 51 6.0 Umschreibungen 49 5.8 Definitionen 35 4.1 Ll-L2 (Spr.) 32 3.8 Merkmale 28 3.3 Antonyme 21 2.5 Hw.Synt. 16 1.9 Ähnl. L1 14 1.6 Hw.Prag. 8 0.9 Untersch. L1 6 0.7 Gleichungen 4 0.5 Hw.Schreibung 4 0.5 Hw .Aussprache 3 0.4 Insges. 852 100 Tab. 2: Die Erklärungsverfahren nach ihrer Häufigkeit des Vorkommens Wenn die Kategorie Ll-Äq./ Übers. mit Abstand am häufigsten vorkommt, macht es Sinn, nach ihren Funktionen zu fragen (vgl. 438-448). DFH stellt zunächst fest, daß Ll-Äq./ Übers. sehr häufig zusammen mit einer oder mehreren zielsprachigen Erläuterung(en) in Mehrfacherklärungen vorkommt. Sie dient vor allem der Verständnissicherung. Der Lehrer möchte überprüfen, ob die neuen Vokabeln richtig verstanden wurden. Ferner wird sie durch Lernerfragen ausgelöst. „Aufgrund des Ausgangskontextes und/ oder ihrer sprachlichen Vorkenntnisse haben die Lernenden eine Vermutung, was ein ihnen bislang unbekanntes zielsprachiges Lexem bedeuten könnte, und möchten sich durch die Nennung des LI-Äquivalents rückversichern, ob ihre Hypothese stimmt" (441). Schließlich führe die zielsprachige Erklärung zu einer „intensiveren Auseinandersetzung mit den neuen Vokabeln" (450). Die Gefahr des Auftretens durch Fehler aufgrund von Interferenzen schätzt DFH gering ein; denn bei FLuL 25 (1996) 198 Peter Scherfer "der ersten Begegnung mit einem L2-Lexem kommt es meist nur zu einem vagen Verständnis, das nach und nach konkretisiert und erweitert wird" (467). Zusammenfassend stellt sie fest, daß, da der Rückgriff auf muttersprachliche Erklärungen nur selten das einzige Erklärungsverfahren darstellt, die Wortschatzvermittlung eben doch weitgehend in der Fremdsprache erfolge. Die theoretisch diskutierte Alternative 'zweisprachige vs. einsprachige Semantisierung' komme in der Praxis also gar nicht vor (vgl. 465); dennoch hätten die meisten Fremdsprachenlerner ihre Muttersprache bei Wortschatzerklärungen präsent (vgl. 465) und die Vernetzung zwischen den Repräsentationssystemen einzelner Sprachen, zwischen den einzelsprachlichen Repräsentationen und zwischen dem semantischen bzw. enzyklopädischen Wissen sei enger, als man bisher annahm (vgl. 466). Aus den Häufigkeiten des Vorkommens von Hw.Sem., Kontexterklärungen, Beispielen und Hw.Morph. schließt DFH auf die wichtige Rolle bewußtmachender oder über die Bedeutungserklärung hinausgehender Verfahren (vgl. 527). Ferner dominierten Erklärungsverfahren, "die sich semantische Relationen zunutze machen" (529), und es spielten Erklärungsverfahren, bei denen die Bedeutung zielsprachiger Lexeme in einzelne Komponenten zerlegt werde, eine „erwähnenswerte Rolle" (530). Non-verbale Verfahren und Hinweise auf pragmatische bzw. diskursanalytische Einzelheiten spielen eine geringe Rolle (vgl. 531). Die Vermittlung von Lerntechniken fehlt völlig (531). 4.4 Die Kombination der verschiedenen Erklärungsmöglichkeiten Im 13. und letzten Kapitel der Arbeit stellt DFH ihre Ergebnisse hinsichtlich der verschiedenen Realisierungen des methodischen Musters 'Erklären' dar, und zwar insbesondere hinsichtlich der Verbindungen (1) zu Erklärungssequenzen (Mehrfacherklärungen) (2) zwischen Erklärungsverfahren (3) von Erklärungsverfahren und Wortart (4) zwischen Erklärungsverfahren und Erklärungsmuster. Zu (1) stellt sie fest, daß „die Abfolge von Mehrfacherklärungen der Normalfall" sei. In 266 von 386, d.h. 69% der Fälle werden Lexeme durch mehrere Verfahren erklärt. Einfacherklärungen resultieren meistens aus Lernerfragen nach Vokabeln (vgl. 543). Zur Beantwortung von (2) stellt sie zunächst die verwendeten Verfahren in den jeweiligen Kursen dar (vgl. die Tab. S. 546) und betrachtet dann die Kombinationen, in denen die zwei häufigsten Erklärungsverfahren in der ersten und zweiten Sequenzposition verwendet werden. Um die entsprechenden Ergebnisse möglichst kurz und übersichtlich darzustellen, habe ich aus der von DFH auf S. 547 aufgeführten Tabelle nur die Kombinationen berücksichtigt, deren prozentualer Wert 1 bzw. größer als 1 war und eine Ordnung nach der Häufigkeit des Vorkommens vorgenommen. Es ergibt sich Tab. 3. FLuL 25 (1996) Über Vokabelerklärungen 199 Lfd. Nr. Kombination Anzahl Prozent Kombination (in Worten) (Abk. nach DFH) 1 NA 19 4.9 Hw.Sem. + Ll-Äq.lÜbers. 2 OA 8 2.1 Hw.Morph. + Ll-Äq./ Übers. 3 EA 9 2.3 Synonyme + Ll-Äq.lÜbers. 4 EH 8 2.1 Synonyme+ Umschreibungen 5 AN 8 2.1 Ll-Äq.lÜbers. + Hw.Sem. 6 AE 8 2.1 Ll-Äq.lÜbers. + Synonym 7 JA 8 2.1 Kontexterklärungen + Ll-Äq.lÜbers. 8 JK 8 2.1 Kontexterklärungen + non-verb. Vf. 9 Al 7 1.8 Ll-Äq.lÜbers. + Beispiele 10 EN 7 1.8 Synonyme+ Hw.Sem. 11 EO 6 1.6 Synonyme + Hw.Morph 12 AO 5 1.3 Ll-Äq./ Übers. + Hw.Morph. 13 BE 5 1.8 Ll-L2 (Spr.) + Synonyme 14 EI 5 1.3 Synonyme + Beispiele 15 GA 5 1.3 Antonyme + Ll-Äq.lÜbers. 16 IA 5 1.3 Beispiele+ Ll-Äq.lÜbers. 17 JH 5 1.3 Kontexterklärungen + Umschreibungen 18 JN 5 1.3 Kontexterklärungen+ Hw.Sem. 19 AH 4 1.0 Ll-Äq.lÜbers. + Umschreibungen 20 AI 4 1.0 Ll-Äq.lÜbers. + Kontexterklärung 21 AK 4 1.0 Ll-Äq.lÜbers. + non-verb. Vf. 22 AL 4 1.0 Ll-Äq.lÜbers. + Definitionen 23 KA 4 1.0 non-verb. Vf. + Ll-Äq.lÜbers. 24 LA 4 1.0 Definitionen + Ll-Äq.lÜbers. 25 LI 4 1.0 Definitionen + Beispiele 26 OE 4 1.0 Hw.Morph. + Synonyme Tab. 3: Kombination der ersten beiden Erklärungsverfahren der Erklärungssequenzen In 17 der insgesamt 26 Verfahrenspaare, also in 65% der Fälle, ist demnach einer der Teile durch eine Erklärung mit Rückgriff auf die Muttersprache gekennzeichnet. Sie werden (in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit) insbesondere durch explizite Hinweise auf semantische und morphologische Eigenschaften der Vokabel, durch Synonyme, Kontexterklärungen, Beispiele, Umschreibungen, Definitionen und nonverbale Verfahren ergänzt. Wenn die Kategorie Ll-Äq./ Übers. den Beginn der Er- FLuL 25 (1996) 200 Peter Scherfer klärungssequenz bildet, erfüllt sie die Funktion einer ersten groben Charakterisierung der Bedeutung der Vokabel. Im zweiten Verfahren werden dann ergänzende bzw. präzisierende Informationen hinzugefügt. Steht die Kategorie Ll-Äq./ Übers. an zweiter Stelle, dann wurden vorher bestimmte Eigenschaften der Vokabel erklärt, und Ll-Äq./ Übers. dient der Verständnissicherung. Auf S. 528 führt DFH eine Tabelle auf, in welcher die Häufigkeit des Vorkommens der verschiedenen Erklärungsverfahren in den verschiedenen Positionen (1 bis 6) in den Erklärungssequenzen dargestellt ist. Wertet man diese Tabelle hinsichtlich der Grobkategorien A, Bl, B2, B3 aus, so ergibt sich Tab 4. Erklärungsverfahren als als als als als als 1. Verf. 2. Verf. 3. Verf. 4. Verf. 5. Verf. 6. Verf. A 135 79 26 6 1 0 (Rückgriff auf die Ll) 35% 29,7% 18,7% 12,2% 10% Bl 169 117 56 19 2 0 (L2: holistisch) 43,8% 44% 40,3% 38,7% 20% B2 35 18 7 3 0 0 (L2: merkrnalsorientiert) 9,1% 6,7% 5,1% 6,1% B3 47 52 50 21 7 2 (L2: kognitivierend) 12,2% 19,5 36% 42,7% 70% 100% Tab. 4: Die Häufigkeit des Vorkommens der verschiedenen Erklärungsverfahren in den verschiedenen Positionen von Erklärungssequenzen Es zeigt sich, daß in der ersten bis hin zur vierten Sequenzposition der jeweilige Anteil von B1 und B2 in etwa gleich groß und relativ konstant bleibt. Der Anteil von A nimmt von der ersten bis zur sechsten Sequenzposition kontinuierlich ab, der von B3 steigt in dieser Position kontinuierlich an. Dies bestätigt die oben formulierten Ergebnisse dahingehend, daß in Erklärungssequenzen zuerst versucht wird, die Bedeutung der Vokabel beim Lerner zunächst grob und global zu aktivieren. Das privilegierte Mittel dazu ist der Rückgriff auf LI-Lexeme mit einer gleichen oder ähnlichen Bedeutung. Im zweiten (und wenn nötig in einem dritten oder vierten) Schritt werden in Abhängigkeit zu bestimmten Problemen (Aufgaben) bestimmte Bedeutungspostulate aktiviert. Führt dies nicht zum Erfolg, wird auf metasprachliche Erklärungen zurückgegriffen, also Wissen über Sprache aktiviert. Von dieser „Idealsequenz" wird je nach Schülerreaktion, durch die bestimmte Informationsbedürfnisse signalisiert werden, abgewichen. DFH (vgl. 548 ff.) untersucht auch die Kombinationen von dem ersten mit den sonstigen Verfahren und kommt zu folgenden Ergebnissen: „Auch bei der Auswertung der Kombinationen des ersten Verfahrens mit einem weiteren verwendeten Verfahren unabhängig von dessen Position in der Erklärungssequenz zeigen sich wenig stark besetzte Blöcke. Die häufigsten Verfahren, LI-Äquivalente (A), Synonyme (E) und Kontexterklärungen (J) kommen relativ oft in Kombination miteinander vor FLuL 25 (1996) Über Vokabelerklärungen 201 (AE 14mal, EA 17mal, JA 13mal). Am deutlichsten tritt die Rolle der kognitivierenden Verfahren 'Hinweise auf semantische Besonderheiten' (N) und 'Hinweise auf morphologische Aspekte' (0) zutage: Ihre Verbindung mit den Verfahren A, E und J kommt in 10 und mehr Fällen vor (AN 14mal, AO 12mal, NA 21mal, OA 13mal, EN 12mal, EO lOmal, JN 1lmal; lediglich JO ist nur in 4 Fällen belegt). Die häufigsten Kombinationen, die bei einer Verbindung zwischen erstem und zweitem Erklärungsverfahren auftreten, sind auch bei dieser Gesamtauswertung an der Spitze: Hinweise auf semantische Besonderheiten werden 2lmal .•. mit Li-Äquivalenten kombiniert, während Kontexterklärungen nur lOmal ... in Verbindung mit non-verbalen Erklärungsverfahren anzutreffen sind" (549-550). Was die 3. Frage (Verbindungen von Erklärungsverfahren und Wortart) angeht, lassen sich die Ergebnisse nicht kurz in einer Tabelle darstellen. 20 Aus dem Text läßt sich die folgende Zusammenfassung rekonstruieren: • alle Wortarten (außer Adverbien und Präpositionen): die Nennung von LI-Äquivalenten ist das Verfahren, welches am häufigsten in erster Position verwendet wird (vgl. 555); • alle Wortarten (außer konkrete Substantive): holistische Verfahren sind besonders häufig; • Verben: LI-Äquivalente, Synonyme und Hinweise auf morphologische Aspekte sind die häufigsten Erklärungsverfahren (vgl. 557 u. 562); • konkrete Substantive: Beispiele, Definitionen, die Nennung wesentlicher Merkmale und Hinweise auf semantische Besonderheiten dominieren (vgl. 557), und „Ähnlichkeiten und Unterschiede zur Ll, Gleichungen, Beispiele, non-verbale Erklärungsverfahren, Definitionen, die Nennung wesentlicher Merkmale und explizite Hinweise auf semantische Besonderheiten [werden] am häufigsten zur Erklärung von konkreten Substantiven herangezogen [ .. .]" (562); • Abstrakte Substantive, Verben und Kollokationen/ Redewendungen und auch Adverbien und Präpositionen: Synonyme und die Einbettung in einen erklärenden Kontext sind am häufigsten bzw. spielen eine wichtige Rolle (vgl. 565); • Adjektive und auch Adverbien und Präpositionen: Antonyme werden besonders herangezogen (vgl. 565). Allgemein stellt DFH fest: „Die Analyse der in den Erklärungssequenzen des Datenkorpus verwendeten Verfahren zeigt, daß die Bedeutung bei den meisten Wortarten am häufigsten als Ganzes vermittelt wird. Eine Ausnahme stellen Substantive, besonders Konkreta, dar, wo merkmalsorientierte Verfahren eine große Rolle spielen" (566). Die Frage, "warum bestimmte Verfahren, nämlich Synonyme (bzw. Antonyme) und Kontexterklärungen, bei den meisten Wortarten vor anderen holistischen Verfahren, z.B. Umschreibungen und Beispielen, verwendet werden" (566-567), weist sie zukünftigen Untersuchungen zu. Bei dieser Art der Auswertung zeichnen sich keine sehr klaren Kombinationen der Erklärungsverfahren in Abhängigkeit zur Wortart ab, und zwar weil DFH 20 Vgl. jedoch die verschiedenen tabellarischen Darstellungen bei DFH (551-554; 559-560; 563-564). FLuL 25 (1996) 202 Peter Seheifer darauf verzichtet hat, auch dritte und weitere Verfahren in diese Analyse einzubeziehen. Ich habe die entsprechenden Daten der Analyse der Unterrichtsveranstaltung (DFH: 313) in einer Tabelle (Tab. 5) entsprechend analysiert und dargestellt. Dabei habe ich die Kategorie Ll-Äq./ Übers., wenn sie nicht in erster Position vorkommt, weggelassen, da sie wie ausgeführt in der Nicht-Initialposition vor allem die Funktion der Verständnissicherung erfüllt, also im Prinzip immer vorkommen kann, wenn der Lehrer Verständnisprobleme vermutet. 21 1. Verfahren 2. Verfahren 3. Verfahren 4. Verfahren 5. Verfahren Wortart Umschreibung AdJektiv non-verbal Verf. Hw.Morph. AJ Merkmale Definition AJ Ähnl.Ll Synonym AJ Definition Merkmale Beispiele AJ Antonym Ll-Ähnl. Beispiele AJ Antonym Definition Merkmale AJ Gleichung Hw.Sem. Umschreibung Ll-Äq./ Übers. Kontexte AJ Synonym AdVerb,VB Ll=L2(Spr) VerB Synonym Kollokation/ R Ll-Äq./ Übers. Merkmale Umschreibung K/ Redewendg Ll-Äq./ Übers. Umschreibung Synonym KIR Umschreibung Substantiv/ A Definition SAbstrakt Definition SA,SKonkret Ll-Äq./ Übers. Merkmale SA Kontext SK Merkmale SK Ll-Äq./ Übers. non-verb SK Merkmale Gleichung SK Synonym Kontexte SK Synonym Beispiele Antonym SK Tab. 5: Kombination der Erklärungsverfahren in der analysierten Unterrichtsveranstaltung in Abhängigkeit zu den Wortarten (vgl. die Datenübersicht bei DFH: 313) 21 Ich gebe zu, daß eine entsprechende Analyse der gesamten Daten (vgl. DFH: 532-540) ein arbeitsaufwendiges Unternehmen darstellt. Da meine Beobachtungen nur auf einem kleinen Ausschnitt aus diesen Daten beruhen, können sie natürlich nur einen illustrativen Wert beanspruchen. FLuL 25 (1996) Über Vokabelerklärungen 203 Man kann auf diese Weise immerhin sehen, daß die Länge der Mehrfacherklärungen in Abhängigkeit zur Wortart variiert und daß die Bedeutungen der meisten Wortarten nicht ausschließlich als Ganzes aktiviert werden. Bei den Adjektiven und den Kollokationen/ Redewendungen überwiegt eine Tendenz zur Dreifacherklärung, bei den Verben und den abstrakten Substantiven zur Einfacherklärung. DFHs Ausführungen zur oben (S. 198) genannten Frage (vgl. DFH 567-578), nämlich wie häufig die einzelnen Verfahren in Abhängigkeit von der Beteiligung der Lernenden an den Erklärungssequenzen vorkommen, bestätigen im Grunde die Ergebnisse des 9. Kapitels (Analyse des Gesprächsmusters 'Erklären'). Wortschatzvermittlung erfolgt interaktiv. 22 Die häufig geäußerte Klage über die 'Alleinunterhalterrolle' des Lehrers beruht zumindest, was die Semantisierungsgespräche angeht auf einem Vorurteil. DFHs Ergebnissen zufolge (vgl. die Tab. S. 567) sprechen die Kursleiter hier in 11.9% der Fälle allein; zu 33.2% ist ein Teilnehmer am Gespräch beteiligt, zu 40.4% 2-3 Teilnehmer und zu 14.5% 4 und mehr. 5. Zusammenfassende Einschätzungen Auf der Beobachtungsebene kommen Vokabelerklärungen im wesentlichen als Sequenzen (Erklärungsmuster, Erklärungsverfahrenssequenzen; Mehrfacherklärungen) vor. Das Erklären von Wörtern ist innerhalb von Diskursen im Fremdsprachenunterricht und von Diskursen in natürlichen Kontaktsituationen als solches ausgrenzbar und beschreibbar. Es unterscheidet sich nicht wesentlich voneinander. 'Vokabelerklärung' ist also ein in Kontaktsituationen „natürlich" vorkommender Kommunikationsakt, der im Fremdsprachenunterricht lediglich besonders häufig und (im günstigsten Fall) systematisierter vorkommt. Die Erklärungsmuster weisen eine typische Struktur auf, welche die Vokabelerklärungen als interaktiven Prozeß kennzeichnen, der weitgehend in der Fremdsprache abläuft und an dem Lehrer und Schüler beteiligt sind. Typische Erklärungsverfahrenssequenzen sind dadurch charakterisiert, daß der Erklärende zunächst versucht, bei den Lernenden das relevante Vorwissen zu aktivieren, d.h. den konzeptuellen Bereich, der durch das L2-Lexem lexikalisiert ist, sowie bestimmte grammatische oder phonologische Eigenschaften. Dadurch wird auf jeden Fall erreicht, daß der Lerner (direkt oder per Inferenz) die „grobe" Bedeutung bzw. einige sonstige Eigenschaften des L2-Lexems versteht (holistische Wissensaktivierung). Damit er hieraus nicht schließt, daß alle Eigenschaften des L2-Lexems denen des LI-Lexems entsprechen, bzw. damit er den L2-Hinweisen diejenigen Informationen 22 Vgl. in diesem Zusammenhang die z.Zt. erhobenen Forderungen, den Fremdsprachenunterricht durch Interaktion (vgl. Henrici 1995) bzw. Lernerautonornie (vgl. Little, zuletzt 1994) zu optimieren. FLuL 25 (1996) 204 Peter Scherfer entnehmen kann, welche die Besonderheiten der Vokabel ausmachen, werden in einem zweiten Erklärungsschritt die entsprechend wichtigen 23 L2-Lexemeigenschaften zum Gegenstand präzisierender Erklärungen gemacht (Aktivierung von Bedeutungspostulaten). Führt dies nicht zum Erfolg, wird (präzisierendes) explizit metasprachliches Wissen aktiviert, und zwar hinsichtlich der im Erklärungszusammenhang wichtigen Eigenschaften des Lexems (kognitivierendes Verfahren). 5.1 Der Aufbau lexikalischen Wissens unter dem Gesichtspunkt des Wortverstehens Diese Ergebnisse lassen sich auf ein Modell beziehen, das Schwarze (1988b: 144 ff) vom Aufbau des lexikalischen Wissens unter dem Gesichtspunkt des Textverstehens entworfen hat, das aber auch geeignet ist, das Wortverstehen abzubilden. Es hat zwei Bestandteile: „a eine Liste von Relationen, die zwischen einem Konzept (oder einer Konfiguration von Konzepten) und einer Wortform bestehen können, wobei jedes Element der Liste einen Status der Zuordnung zwischen Form und Inhalt spezifiziert; b eine Hierarchie innerhalb dieser Liste unter dem Gesichtspunkt der Stärke der Zuordnung zwischen Wortform und Wortinhalt" (a.a.O.: 144-145). Konzeptuelle Inhalte können einer Wortform als unmittelbare lexikalische Bedeutung und/ oder als Bedeutungspostulate, Prädikat-Argument-Strukturen, Stereotyp, allgemeine Begriffsschemata, sonstiges mit dem Wort verbundenes Wissen zugeordnet sein. Die unmittelbare lexikalische Bedeutung ist „global und primär", und zwar „insofern, als sie immer dann aktiviert wird, wenn die betreffende Wortform in einem Standardkontext verwendet wird. Sie unterscheidet sich hierin von allen anderen Inhaltselementen, einschließlich der [...] durch Extraktion gewinnbaren. Die nicht primären Bedeutungselemente müssen nur unter bestimmten Umständen aktiviert werden, z.B. in Kontexten, die einen Schluß verlangen [...], oder in solchen, die Prädikate kontrastieren [...]" (Schwarze 1988a: 145). Da in der Normalverwendung eines Lexems stets die unmittelbaren lexikalischen Bedeutungen aktiviert werden, besteht auch das erste Ziel der Vokabelerklärungen darin, dies zu erreichen. Danach sind präzisierende Wissenselemente per Inferenz aus dem Weltwissen der Lerner, aus deren sprachlichem Vorwissen oder aus dem sprachlichen Input (Lehr-/ Lernmaterial: Lektionstext, Kontexte, Verwendungsbeispiele, Umschreibungen, ... die Vokabeln selbst, Lehrer- oder Schüleräußerungen, ...) zu erarbeiten (zu „extrahieren"). Schwarzes Modell berücksichtigt nicht die Tatsache, daß auch die Wortform verschiedene Teilinformationen enthält. Man kann annehmen, daß auch die Wort- 23 Die „entsprechende Wichtigkeit" ergibt sich aus der Interaktion, in der die Lernenden ihren Informationsbedarf direkt oder indirekt zu erkennen geben. FLuL 25 (1996) Über Vokabelerklärungen 205 form morphologisch einfacher Wörter in einer spezifischen Weise holistisch repräsentiert ist und daß Sprecher in der Lage sind, auch aus der „globalen und primären" Wortform bestimmte Teilinformationen zu extrahieren. 5.2 Spezifische Wissensaktivierung durch die Bedeutungserklärung in Abhängigkeit zur Wortart DFHs Ergebnisse lassen Unterschiede in der Länge der Mehrfacherklärungen und in den in ihnen verwendeten Erklärungsverfahren in Abhängigkeit zur Wortart erkennen, der das zu erklärende Lexem angehört. Die entsprechenden Ergebnisse ergeben noch kein klares Bild, da DFH die Kategorie 'Wortart' in der in der Tradition üblichen Weise benutzt und für die Zwecke ihrer Arbeit keine Präzisierung vornimmt 2 4, welche die Heterogenität ihrer Ergebnisse hätte besser verstehen lassen. 25 Bekanntlich sind die traditionellen Bestimmungen der Wortkategorien „erstens zu vage, als daß man damit einen genauen Sinn verbinden könnte und zu einer wohlbestimmten Klassifikation der Wörter käme. [...] Zweitens ist die Einteilung nicht disjunkt, d.h. ein und dasselbe Wort kann verschiedenen Kategorien angehören. Und drittens liegt der Einteilung kein einheitlicher Gesichtspunkt zugrunde, und die Wörter der gleichen Kategorie haben weder die gleiche semantische noch syntaktische Funktion" (Kutschera 1971: 39). Nach Schwarze (1988: Kap. IV.1., hier: 546 t) werden Substantive typischerweise in den Verfahren des Benennens von Gegenständen 26 benutzt. Diese Verfahren beruhen auf den Konzepten, welche das begriffliche Wissen über die Gegenstände mental repräsentieren. Die Bedeutung von Substantiven beruht weitgehend auf den Eigenschaften der bezeichneten Gegenstände. Allerdings charakterisieren Substantivbedeutungen nicht einzelne Gegenstände, sondern Klassen von ihnen. Eine Typologie der Gegenstände umfaßt Stoffe (nicht zählbar) und Individuen (zählbar) wie: einfache Individuen, Gattungen, Kollektive, Portionen, Sorten. Sie zeigt sich zusätzlich zu den lexikalischen Bedeutungen der Nomina auch in ihrem syntaktischen Verhalten. Substantive können Gegenstände auf der Grundlage ihrer inhä- 24 Vgl. DFH (390): "Meine Taxonomie der Wortarten folgt den herrschenden Definitionen; diese sind zum Teil in der Literatur hinterfragt worden, erweisen sich aber bei meiner Arbeit als voll operabel." Vielleicht wurde dieser Optimismus doch durch einige Zweifel eingeschränkt, hat sie doch immerhin die Unterscheidung zwischen abstrakten und konkreten Substantiven vorgenommen, die allerdings für die Auswertung nichts Interessantes erbringt. 25 Anregungen hätten die entsprechenden Kapitel in Schwarze (1988a) sowie Schwarze (1991, 1994) geben können. 26 Der Terminus Gegenstand wird hier in einer vom umgangssprachlichen Gebrauch abweichenden Weise verwendet. Lyons (1977: 442ff) benutzt hierfür den Terminus Entitäten erster Ordnung. FLuL 25 (1996) 206 Peter Scherfer renten oder ihrer relationalen Eigenschaften bezeichnen (Ziege, Milch, Stall, Traktor vs. Vater von, Schwester von). Lexikalische Bedeutungen sind nicht identisch mit der Menge der Eigenschaften der bezeichneten Gegenstände. Sie umfassen lediglich für ein Lexem diejenigen Eigenschaften, durch die es sich von anderen, semantisch ähnlichen, Lexemen unterscheidet. Die Bedeutungspostulate, mit denen diese Unterschiede angegeben werden können, weisen eine große Vielfalt auf, und zwar einerseits auf Grund der Vielfalt der bezeichneten Gegenstände und andererseits auf Grund des unterschiedlichen Status der Bedeutungspostulate: Sie können notwendig oder nur typisch sein, zentrale oder periphere Eigenschaften widerspiegeln. Substantive können in vielfältigen (Sinn-)Relationen zueinander stehen (z.B. Hyponymie, Metonymie, ...), welche die Basis für lexikalische Konfigurationen bilden (z.B. Taxonomien) (vgl. Cruse 1986). Diese Eigenschaften der Substantive erklären die Vielfalt der verwendeten Erklärungsverfahren und das Überwiegen solcher Verfahren wie Definitionen, Nennung wesentlicher Merkmale, Hinweise auf semantische Besonderheiten. Ob es hinsichtlich möglicher semantischer Subklassen typische Unterschiede der Erklärungen gibt, bleibt eine offene Frage, die jedoch einer Klärung zugeführt werden könnte. Adjektive bezeichnen Eigenschaften von Gegenständen, und zwar sowohl intrinsische (Farben, Formen, Konsistenzen: rot, eckig, hart) als auch extrinsische (z.B. groß, krank). 27 Die Bedeutung der intrinsischen Adjektive ist semantisch nicht analysierbar (definierbar). Um beispielsweise die Bedeutung des Wortes grün anzugeben, kann man nicht auf eine Definition zurückgreifen, sondern könnte diese Farbe auf einer Farbskala zeigen oder Beispiele für grüne Objekte benennen. Relative (steigerbare) Adjektive (alt, groß, lang, ...) gehen typischerweise die Sinnrelation der Antonymie ein. Relationale Adjektive verhalten sich teilweise wie relationale Substantive. Bei genauerer Betrachtung könnten sich auf Grund dieser Unterschiede wiederum die Vorkommen der unterschiedlichen beobachteten Erklärungsverfahren genauer erklären lassen. Das Verb (vgl. dazu Schwarze 1988a: Kap. 2.2.) hat syntaktisch und semantisch für den Satz eine zentrale Bedeutung. Semantisch legt es vor allem seine Prädikat- Argumentstruktur d.h. die möglichen Mitspieler in ihren thematischen (semantischen) Rollen fest: Formal bestimmt es die Satzstruktur durch seinen ihm jeweils eigenen formellen und semantischen Rahmen. Dieser determiniert die Anzahl und die Art seiner Komplemente sowie den Bereich der Interpretation seiner Komplemente. Das Verb dare z.B. hat eine NP als Subjekt in der Agens-Rolle, und es 27 Dieser Unterschied begründet sich darin, daß die Eigenschaften einem Gegenstand entweder ohne Bezug auf einen anderen Gegenstand zugeschrieben werden können oder auf einem Vergleich des Gegenstandes mit anderen, gleichartigen Gegenständen beruhen (vgl. Schwarze 1988a: 194). FLuL 25 (1996) Über Vokabelerklärungen 207 regiert eine NP als direktes Objekt in der Thema-Rolle und eine NP als indirektes Objekt mit a in der Empfänger-(Ziel-)Rolle: (2) [NP] Subjekt Agens dare [NP] dir. Objekt Thema [a[NP] indir. ObJekt Empfänger (Ziel) Bezogen auf diese (hier nur angedeuteten) Sachverhalte würde man bei den Verben einen größeren Prozentsatz an vor allem syntaktischen Erklärungen (Hw.Synt.) erwarten. Das wird allerdings wie die Tab. 6 bis 8 illustrieren durch DFHs Ergebnisse nicht bestätigt. (Ich führe in den Tab. nur die für meine Argumentation wichtigen Kategorien auf.) Verben Ähnl. LI Untersch LI Umschr. Kont. Hw. Morph. Hw.Synt. abs. Za. 0 0 4 9 9 0 Ze-% 0 0 28.6 20.0 42.9 0 Sp-% 0 0 4.5 10.2 10.2 0 Tab. 6: Erstes verwendetes Verfahren vs. Wortart 28 Verben Ähnl. LI Untersch Ll Umschr. Kont. Hw. Morph. Hw.Synt. abs. Za. 1 1 6 5 5 0 Ze-% 14.3 33.3 26.1 35.7 33.3 0 Sp-% 1.6 1.6 9.4 7.8 7.8 0 Tab. 7: Zweites verwendetes Verfahren vs. Wortart (vgl. DFH: 553-560). Verben Ähnl. LI Untersch LI Umschr. Kont. Hw. Morph. Hw.Synt. abs. Za. 1 2 15 18 28 3 Ze-% 7.1 33.3 30.6 24.7 44.4 18.8 Sp-% 0.5 1.0 7.2 8.7 13.6 1.4 Tab. 8: Erklärungsverfahren vs. Wortart - Prozentuierungsbasis: Worterklärung (vgl. DFH: 559-552) 28 Vgl. DFH (551-552). In ihren Tabellen gibt DFH in absoluten Zahlen die Fälle des Vorkommens, die Zeilenprozente (Ze-%) und die Spaltenprozente (Sp-%). Ze-% geben den prozentualen Anteil des jeweiligen Verfahrens an, der auf Verben entfällt. Sp-% geben bezogen auf die auf Verben angewendeten Erklärungsverfahren an, wie hoch der prozentuale Anteil des jeweiligen Verfahrens relativ zu allen ist. FLuL 25 (1996) 208 Peter Scherfer Betrachten wir vor allem die Zeilenprozente (Ze-% ), d.h. den prozentualen Anteil, mit dem das jeweilige Verfahren bei Verben angewendet wird. Während Hw. Morph. einen durchgehend hohen Anteil an den Erklärungsverfahren hat, kommt Hw.Synt. als erstes oder zweites Verfahren gar nicht vor. Tab. 8 zeigt, daß Hw. Synt. in 18.8% der Fälle, in denen überhaupt auf dieses Verfahren zurückgegriffen wurde, auf Verben angewendet wurde. Die Werte für 'Unterschiede Ll' sind als zweites und generell angewendetes Verfahren relativ hoch. Ich vermute, daß bei kontrastiven Hinweisen oft auch syntaktische Hinweise gegeben werden. Ferner weisen die Kategorien 'Umschreibungen' und 'Kontexte' hohe Werte auf. Eventuell liegt das daran, daß den Schülern syntaktische Informationen weniger direkt, als vielmehr indirekt vermittelt über Kontexteinbettungen gegeben werden. Eine Begründung hierfür könnte darin liegen, daß das Erklären lexikalisch-syntaktischer Phänomene eine sprachwissenschaftliche Schulung und Ausbildung voraussetzt. Ferner habe ich den Eindruck, daß die Rektionspräpositionen nicht als solche, sondern wie lexikalische Präpositionen behandelt wurden. 5.3 Welches sind die wichtigsten Parameter des Vokabelerklärens bzw. -Iernens? Zusammenfassend kann man aus DFHs Untersuchung den Schluß ziehen, daß für die Vokabelerklärungen die folgenden Parameter am wichtigsten sind: die Beschaffenheit des Inputs "des Ausgangskontexts") die „inhaltlichen und sprachlichen Eigenschaften des Explikandums" (der Vokabel) "der Wortschatz der Lernenden" (ihr sprachliches Vorwissen) (vgl. DFH: 375). Dementsprechend laufen die Vorschläge, welche DFH (vgl. 581 ff) zur Verbesserung der Aufnahme, Verarbeitung und Speicherung zielsprachiger Lexeme im Gedächtnis gibt, insbesondere darauf hinaus, bei den Vokabelerklärungen: den Wortformen größere Aufmerksamkeit zu schenken; schon bei der ersten Begegnung mit dem Explikandum kognitivierende Verfahren zu verwenden, die über die reine Bedeutungserklärung hinausgehen; die Rolle der Kontrastierung mit der LI zu überdenken; Erschließungsstrategien und Erklärungsverfahren explizit zu lehren und zu üben. Die Schüler beteiligen sich konstitutiv am Erklärungsprozeß. Durch ihre Fragen, durch ihren Ausdruck dessen, was sie verstanden haben, bzw. ihres Verstehens oder Nicht-Verstehens und durch ihre Verwendung von Erklärungsverfahren geben sie dem Lehrer und der Lerngruppe ihr Vorwissen, ihre Informationsdefizite, ihre Möglichkeiten, Erschließungsleistungen durchzuführen, sowie den Erfolg bzw. den Mißerfolg des Erklärungsprozesses zu erkennen, und der Lehrer bzw. die Mitschüler können dann darauf reagieren. Insofern ist es wichtig, die Lerner mit dem Vokabular vertraut zu machen, das in Erklärungsmustern benötigt wird (Erfragungstechniken, metadiskursive Ausdrücke, Ratifikationssignale, Reparaturstrategien). Hierdurch würden sie auch auf die Kommunikation im Zielland besser vorbereitet (vgl. DFH: 282, 376). FLuL 25 (1996) Über Vokabelerklärungen 209 Wenn also Sprache (LI und L2) und sprachliche Interaktion letztlich die wesentlichen Phänomene sind, um die sich die Spracherwerbs- und die Sprachlehr- und -lemforschung zu bemühen haben, dann ist eine genaue Beschreibung der jeweils bearbeiteten Bereiche zu fordern, und zwar sowohl unter sprachwissenschaftlichen (Phonologie, Grammatik, Semantik, ...) als auch unter psycholinguistischen (Repräsentation des sprachlichen Wissens) und Lem-/ Lehrgesichtspunkten "Reden über Wörter", Lehr-/ Lemstrategien, ... ). Die jeweils verwendeten Beschreibungskategorien sind voneinander zu trennen und in ihrem spezifischen theoretischen Rahmen genau zu definieren. Die unterschiedlichen Erkenntnisse hingegen sind aufeinander zu beziehen. Bibliographische Angaben ArrCHISON, Jean (1987): Words in the Mind. An lntroduction to the Mental Lexicon. Oxford [usw.]: Basil Blackwell. BAUSCH, Karl-Richard/ KONIGS, Frank G. 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Einleitende Bemerkungen Ansätze zu einer Hochschuldidaktik für die Vermittlung von Fachsprachen sind zwar vorhanden, beziehen sich aber zumeist auf allgemeine methodische Grundsätze (vgl. Fluck 1992). "So bleibt es mehr oder weniger dem Geschick und Einfühlungsvermögen der Lehrenden überlassen, wie sie ihr Fachwissen auf sprachlicher Ebene vermitteln. [...] Umfassendere Untersuchungen der in diesem Zusammenhang bestehenden fachsprachlichen Handlungsmuster und fachsprachlichen Vermittlungspraxis liegen bisher nur in geringer Zahl vor [...]" (Fluck 1992: 75 ff; vgl. Spiegel Spezial 1/ 1990: 108-111 ). Diese kritische Bestandsaufnahme bezieht sich weitgehend auf die Situation der Jahre 1983-1990 an westdeutschen Hochschulen. Erschwert sind die derzeitigen Bedingungen an ostdeutschen Universitäten. Finanzielle Aufwendungen für personellen Bestand werden auf ein Minimum reduziert, so daß die Kapazität der Lehrgebiete Deutsch als Fremdsprache an den einzelnen Universitäten für Vorbereitungskurse zur PNdS und deren Durchführung weitgehend aufgebraucht ist und nur darüber hinausgehende minimale 'freie' Stunden der Lehrkräfte für die Fachsprachenvermittlung genutzt werden können. Die Lösung von Forschungsaufgaben ist unter diesen Bedingungen nur in begrenztem Rahmen möglich und muß über Drittmittel angeschoben bzw. realisiert werden. Im Lehrangebot der Hochschulen ist Fachsprachenunterricht meist fakultativ. Da ein Rahmenplan für ein in der Bundesrepublik Deutschland anerkanntes Fachsprachenzertifikat nicht existiert, können die Studenten bestenfalls ein universitätsinternes Zertifikat erwerben, dessen allgemeine Wertigkeit eingeschränkt ist. Der Nachweis fachsprachlicher Kompetenz in einem bestimmten Sachgebiet könnte allerdings die Berufschancen der Absolventen vermehren und wird nach Aussagen ausländischer Studenten (vgl. Befragungsresultate, S. 220 ff) häufig für den späteren beruflichen Einsatz in ihren Heimatländern gewünscht. Leider aber berücksichtigen die Universitäten diesen Bedarf nicht in genügendem Maße; Fachsprachenunterricht ist zumindest im Osten gewissermaßen zum FLuL 25 (1996) 212 Ingeborg Hofmann "Anhängsel" hochschulpolitischer Maßnahmen geworden. Dennoch werden bestimmte Forschungsschwerpunkte gesetzt, wie der folgende Beitrag beweist. Er enthält einige Überlegungen zu grundlegenden Fragestellungen eines sich an der realen fachlichen Interaktion im Hochschulbereich orientierenden und auf die Entwicklung sprachlicher Handlungsfähigkeit im Studienfach zielenden Sprachunterrichts. Die Erforschung der heterogenen Bedingungen eines fachsprachlich orientierten Unterrichts ist nur in einem interdisziplinären Ansatz möglich, der fachwissenschaftliche, linguistische, psychologische und didaktische Gesichtspunkte vereint. Wir formulieren im folgenden einige allgemeine didaktische Kriterien, die in ganzheitlicher Betrachtungsweise den Bogen spannen von der studentischen Kommunikationspraxis im Fach zu einem die Sprache als Mittel der Kommunikation und Kognition lehrenden Sprachunterricht. Wir unterscheiden: Kriterien der Thematizität, lnformativität, Akzeptabilität, Funktionalität, Intentionalität, Situativität, Texthaftigkeit (vgl. dazu auch Blei 1989: 74; Hoffmann 1984: 357). Im einzelnen bedeuten diese: (1) Kriterium der Thematizität: Der Sprachunterricht muß, wenn er motiviert von den Studenten bestimmter Fachdisziplinen angenommen werden soll, fachliche Objekte und Sachverhaltsbeziehungen zugrunde legen. Diese müssen bei der Erstellung von Curricula in Kooperation mit den entsprechenden Hochschullehrern der einzelnen Ausbildungsprofile bestimmt werden; andererseits sollten die so definierten Lerninhalte durch individuelle Wünsche der Studenten ergänzt werden. Die Lernergruppen sind nach Fachrichtungen zu konstituieren. (2) Kriterium der Informativität: Der Sprachunterricht für Lerner unterschiedlicher fachlicher Provenienz hat sowohl (fach)sprachliches Wissen als auch fachliche Kenntnisse, nicht unbedingt in fachsystematischer Abfolge, zu festigen bzw. zu systematisieren. Er soll Schritt für Schritt Sprachkompetenz an fachlichen bzw. fachübergreifenden, die Persönlichkeitsentwicklung des Studenten fördernden Themen ausbilden; so wird er informativ im Sinne des weiteren Aufbaus der fachwissenschaftlichen Wissensbasis "es lohnt sich" für den Studenten, in Informationsaustausch zu treten, da die Inhalte dem Fachstudium unmittelbar dienen). (3) Kriterium der Akzeptabilität: Um Akzeptanz beim Lerner zu gewährleisten, sollten Befragungen durchgeführt werden, die zu bestimmten didaktischen Konsequenzen führen müssen. So kann aus Lernersicht der Prozeßcharakter der fachsprachlichen Interaktion charakterisiert werden; der Lerner muß auf der Grundlage seines subjektiven Erfahrungswissens in Fach und Sprache neues Wissen aufbauen (vgl. dazu auch Wolff, 1994: 416). Dazu kann er Aussagen machen zu geforderten rezeptiven und produktiven Sprachabläufen im Fach (vgl. den auf S. 216 ff vorgestellten Fragebogen). In der didaktischen Umsetzung der Befunde kann der Sprachunterricht optimiert werden. Die Exploration sollte Erwartungen der Studenten vom (fachbezogenen) Sprachunterricht klären sowie den gewünschten Fachlichkeitsgrad des Sprachunterrichts verdeutlichen. Aus der Bewältigung der Studienanforderungen im Fach ergeben sich unterschiedliche Gewichtungen geforderter FLuL 25 (1996) Zur Didaktik der Fachsprachen im Bereich Deutsch als Fremdsprache 213 Sprachhandlungen für den Sprachunterricht. Sind diese Größen bekannt, kann der Lehrer die Probleme des Studenten bei der Ausübung kommunikativer Handlungen im Fachstudium minimieren helfen. (4) Kriterium der Intentionalität: Der Sprachunterricht muß sich an den Intentionen der Sprachteilnehmer fachlicher Interaktion orientieren. Es sind dies Intentionen des Beschreibens, Definierens, Klassifizierens, Verallgemeinerns, Schlußfolgems u.a. Im produktiven Bereich wird vom Studenten gefordert, eigene Bewußtseinsinhalte zu versprachlichen, um bestimmte sprachliche, aber auch mit seinem Studium korrelierende außersprachliche Zwecke zu erreichen (z.B. Informationen einholen und geben, Wünsche mitteilen, Bewertungen vornehmen, Meinungen äußern, ... ; manuelle Handlungen im Labor auf der Basis sprachlicher Information vollführen, ... ; Prüfung bestehen mittels sprachlich-geistiger Operationen, ... ). Im rezeptiven Bereich der Sprachausübung hat der Student die sprachlich materialisierten Intentionen der Interaktionspartner zu interpretieren sowie die damit verbundenen sprachlich vermittelten Gegenstands- und Sachverhaltsbilder geistigsprachlich zu verarbeiten. (5) Kriterium der Funktionalität: Die Sprache des betreffenden Faches muß in ihrer Funktion als Kommunikations- und Kognitionsmittel betrachtet, analysiert und gelehrt werden. Dies setzt die Ermittlung und Beschreibung typischer fachsprachlicher Mittel und Verwendungsweisen in Textenffextsorten voraus. In der didaktischmethodischen Aufbereitung dann können diese Mittel unter funktionalen Gesichtspunkten gebündelt und vermittelt werden. Da erwachsene Lerner mehr Kognition als Imitation beim Spracherwerb wünschen, müssen die (fach)sprachlichen Mittel funktional und formal bewußt gemacht und durch adäquate Übungs- und Aufgabengestaltung gefestigt werden. (6) Kriterium der Situationalität: Typische Sprachverwendungssituationen in den unterschiedlichen Kommunikationsereignissen eines Studiums (vgl. Möhn/ Pelka, 1984: 41 f) sind zu erfassen und zu beschreiben, um ihre Spezifika in den Unterricht zu transponieren (betr. Lehrwerksgestaltung, Texte, Übungen, Aufgaben). Die Beschreibung der äußeren Bedingungen spezieller Fachkommunikation erfolgt durch sprachliche Parameter, abgeleitet aus der Kommunikationspraxis des Fachstudiums. (7) Kriterium der Texthaftigkeit: Die Ermittlung und partielle Beschreibung relevanter Fachtextsorten des betreffenden Studienfaches ist zur wissenschaftlichen Grundlegung des Sprachunterrichts notwendig. Die Texte bestimmter Fachtextsorten sind u.a. durch Tätigkeitssituationen des Studiums determiniert; Fachtextsorten sind modellhaft für die Fachkommunikation und demzufolge als Lehrgegenstände zu bezeichnen (vgl. Hoffmann 1992). Im Fachsprachenunterricht sollten weitgehend authentische Texte zugrunde gelegt werden, deren sprachlicher und fachlicher Schwierigkeitsgrad den Anforderungen des Studiums, aber auch der individuellen kognitiven und sprachlichen Wissensbasis des Studenten adäquat ist. FLuL 25 (1996) 214 Ingeborg Hofmann 2. Einige Ermittlungen zur Umsetzung der Kriterien 2.1 Im folgenden soll eine praktische Verfahrensweise demonstriert werden, mit der relativ einfach quantitative und qualitative Verhältnisse zwischen studienrelevanten Sprachhandlungen der rezeptiven und produktiven Kommunikation erfaßt werden konnten. Die Methode wurde praktiziert in empirischen Untersuchungen zur Bedarfsermittlung auf der Grundlage umfangreicher Hospitationstätigkeit in Vorlesungen und Seminaren und eines nach Studienrelevanz erstellten Textkorpus geschriebener und gesprochener Texte sieben Textsorten des Biologiestudiums (vgl. Hofmann 1989: 76; Hofmann 1991: 29). Projekte mit ähnlicher hochschuldidaktischer Zielstellung wurden von Buhlmann (1985) zu technisch-wissenschaftlichen Fachsprachen und 1991 an der TU Berlin zu ingenieurwissenschaftlichen Fachsprachen in Angriff genommen (vgl. Fluck 1992: 76). Eine Zusammenführung der Ergebnisse bzw. der interdisziplinäre Vergleich wären in jedem Falle wünschenswert. Exemplarisch soll im folgenden für die Erstellung von Curricula gezeigt werden, in welchen Graduierungen studienspezifische Sprachhandlungen Übungseinheiten darstellen müssen; Schlußfolgerungen gelten nicht nur für den Fachsprachenunterricht studienbegleitender Form sondern auch für PNdS-Kurse und dafür bestimmte Lehrwerke, um die „Studierfähigkeit ausländischer Studenten" gezielt zu verbessern (vgl. Tab. 1 auf S. 215 sowie Abschn. 2.2). Aus dieser einfachen Auflistung, die im Zusammenhang mit den Ergebnissen einer Studentenbefragung gesehen werden muß (vgl. 2.2), lassen sich gewisse Schlußfolgerungen ziehen : 1. Produktive und rezeptive Sprachhandlungen in mündlicher/ schriftlicher Verlaufsform sind in einem ausgewogenen Verhältnis gleichranging zu entwickeln, was einer einseitigen Schwerpunktlegung eines Kurses auf Lesen/ Sprechen entgegensteht. Zu bevorzugen ist ein integrativer Ansatz, der einer zeitweiligen Akzentuierung dieser oder jener Sprachtätigkeit zum Zwecke der Übung im Unterricht Raum läßt. 2. Dem Hören und Schreiben (dem „freien", zur Materialisierung eigener Gedanken schöpferischen Schreiben, auch dem Mitschreiben und Verkürzen) ist eine größere Rolle im Unterricht beizumessen als bisher vielleicht praktiziert. Die zur Verfügung stehenden Lehrwerke (z.B. Wege, Sprachkurs I, II, III, Deutsch-Aktiv) schenken der Ausbildung des Hörens von Fach-/ Sachtexten - Textsorten: Vorlesung, Seminargespräch, Gespräch zur Steuerung manueller Tätigkeiten im Praktikum etc. (bei gleichzeitigem Mitschreiben unter bestimmten Aufgabenstellungen) geringe oder keine Aufmerksamkeit. 1 Vgl. die kritischen Anmerkungen von Kalverkämper (1990: 101 f) zur „Kommunikationspragmatik" vorhandener Lehrwerke. FLuL 25 (1996) Zur Didaktik der Fachsprachen im Bereich Deutsch als Fremdsprache Sprachhandlung Fachtextsorte mit Merkmale - Elemente didaktischer Funktion V Vorlesung ZIELTEXT (Z) 1 rezeptiv 5 schriftlich s Seminar (= von den Studenten zu 2 reproduktiv 6 monologisch V-N Vor- und Nachproduzierender Text) 3 produktiv 7 dialogisch bereitung GRUNDLAGENTEXT (G) 4 mündlich (Selbststudium) (= von den Studenten zu rezipierender Text) 1 2 3 4 5 6 V Hören Vorlesungstext (G) + + + Abschreiben (Folien-)Fachtext Definition, ... (G) (+) + + + Mitschreiben Vorlesungsmitschrift (Z) (+) + + + Lesen s.o. + + + V-N Lesen Vorlesungsmitschrift (Z) + + + Lehrbuchtext (G) + + + Fachzeitschriftentext (G) + + + Konspektieren Konspekt (Z) (+) (+) + + + Exzerpieren Exzerpt (Z) (+) (+) + + + Resümieren Resümee (Z) (+) (+) + + + Hören + Sprechen Fachgespräch (G/ Z) + (+) + + s Hören Fachtext/ Vortrag (G) + + + Hören + Sprechen Fachgespräch (G/ Z) + (+) + + Sprechen Fachtext/ Vortrag (Z) + + + Abschreiben Fachtext/ Folie/ fafel) (G) (+) + + + + Mitschreiben Mitschrift (Z) , (+) (+) (+) + + Schreiben Klausur (Z) (+) + + + + V-N Lesen Mitschrift (Z) + + + Lehrbuchtext (G) + + + Konspektieren Konspekt (Z) (+) (+) + + + Exzerpieren Exzerpt (Z) (+) (+) + + + Resümieren Resümee (Z) (+) (+) + + + Hören + Sprechen Fachgespräch (G/ Z) + (+) + + Sprechen Fachtext, Vortrag (Z) + + + Tab. 1: Verhältnis von Sprachrezeption und -produktion in Vorlesung und Seminar Charakterisierung der Textarten nach didaktischen Gesichtspunkten FLuL 25 ( 1996) 215 7 + + + 216 Ingeborg Hofmann 3. Beim Lesen und Hören überwiegt in der studentischen Kommunikationspraxis der monologische gegenüber dem dialogischen Fachtext; die Befähigung zur fachlichen Interaktion im Bereich der Gesprächsführung gelingt nicht, wenn man den „lemmotivierten und sachinteressierten Zugriff auf die fremde Sprache [ ... ]" (Kalverkämper, ebenda) von Studenten nicht beachtet. 4. Aus der Auflistung (Tab. 1) wird ersichtlich, daß zumindest in den hier dargestellten Kommunikationsereignissen schriftlich repräsentante Fachtexte höhere Frequenz aufweisen, d.h. die Beschäftigung der Studenten mit Texten aus Textsorten des schriftsprachlichen Bereichs überwiegt, wobei zu unterscheiden ist, ob diese Grundlagentext- oder Zieltextfunktion haben, was Konsequenzen für Sprachrezeption und -produktion im Sprachunterricht hat. 2.2 Diese empirischen Untersuchungen (vgl. Hofmann 1989) sind ergänzt durch Befragungsresultate einer an der TU Dresden und Emst-Moritz-Amdt-Universität Greifswald in den Jahren 1986/ 1987 durchgeführten Ermittlung (vgl. Hofmann 1989, Anlage 3). Der Fragebogen, der als Grundlage für die Studentenbefragung in den achtziger Jahren diente, soll im folgenden vorgestellt werden. Verbunden werden soll die Darstellung mit dem Impuls an den Fachverband DaF, weiterreichende Bedarfsermittlungen durch Studentenbefragungen an mehreren/ allen Hochschulen der Bundesrepublik Deutschland zu unterstützen bzw. zentral zu leiten. Die Zusammenstellung der nun folgenden Fragen könnte als Basis für eine modifizierende bzw. erweiternde Fragebogenerfassung dienen. FRAGEBOGEN ZUR ERMITTLUNG VON LERNSCHWIERIGKEITEN Name: Land: Fach: Alter: Studienjahr: Dauer der bisherigen sprachlichen Ausbildung (Gesamtstundenzahl ) : Bereits absolvierte Sprachkurse in : 1. Haben Sie Schwierigkeiten im HOREN D SPRECHEN D LESEN D SCHREIBEN? D (Kreuzen Sie an! Geben Sie eine Rangfolge an, wenn das möglich ist! 1 = größte Schwierigkeit, 2 = mittlere Schwierigkeit, 3 = geringere Schwierigkeit, 4 = keine Schwierigkeit) FLuL 25 (1996) Zur Didaktik der Fachsprachen im Bereich Deutsch als Fremdsprache 217 2. Auf welchen Gebieten liegen Ihre größten Probleme im 2.1 HORVERSTEHEN (Geben Sie eine Rangfolge [s.o.] durch Ziffern an! Sie können auch die gleiche Zahl mehrmals einsetzen.) - Hören in der Vorlesung (ohne Mitschreiben) - Hören in der Vorlesung (bei gleichzeitigem Mitschreiben) - Hören im Seminar? 2.2 SPRECHEN IM SEMINAR (Geben Sie eine Rangfolge [s.o.] durch Ziffern an! ) dial./ polylogisches Sprechen im Seminar/ Fachgespräch mit Seminarleiter und Kommilitonen dial./ polylogisches Sprechen im Fachgespräch mit Kommilitonen monologisches Sprechen im Seminar (Vortrag) mit Konspekt monologisches Sprechen im Seminar ... ohne Konspekt? 2.3 SCHREIBEN (Bitte Rangfolge durch Ziffern [s.o.]! ) - Anfertigen einer Mitschrift zu Gehörtem (Vorlesung) - Anfertigen eines Konspekts zu Gelesenem (Lehrbuch ...) freies Schreiben zu einem (fachlichen) Thema? 3. Worin sehen Sie die Ursachen für Ihre Probleme? 3.1 BEIM HÖREN UND GLEICHZEffiGEN MITSCHREIBEN (Bitte ankreuzen! ) - Das Tempo des Vortragenden ist zu hoch. - Die Satzstrukturen sind zu kompliziert. - Sie können die Aussprache des Sprechers nicht verstehen. - Die Termini sind Ihnen zu einem großen Teil unbekannt. - Sie haben Konzentrationsschwächen, einer längeren Vorlesung zu folgen. - Sie verstehen, können aber das Wesentliche nicht so schnell mitschreiben. - Sie haben Probleme beim Aufschreiben unbekannter Wörter/ fermini. - Die Verkürzung der Wörter und Sätze nach bestimmten Abkürzungsmethoden berei- D D D D D D D D D D D D D D D D D tet Ihnen Schwierigkeiten, da nicht oder zu wenig im Sprachunterricht geübt. D - Sehen Sie andere Ursachen? Welche? D 3.1 BEIM SPRECHEN (Bitte ankreuzen! ) • Sie verstehen zwar die Äußerung Ihres Gesprächspartners, können aber nicht so schnell sprachlich reagieren, weil Ihnen die Wörter fehlen D die grammatische Verknüpfung der Wörter Schwierigkeiten bereitet unklar ist, was Sie fachlich/ sachlich sagen sollen. FLuL 25 (1996) D 0 218 Ingeborg Hofmann • Sie ergreifen im Fachgespräch oft die Initiative (d.h. beginnen/ greifen ein in das Gespräch) manchmal die Initiative selten die Initiative nicht die Initiative, • weil Sie sprachliche Probleme bei der Formulierung haben - Hemmungen/ Angst haben. - Sehen Sie andere Ursachen? Welche? • Beim monologischen Sprechen mit Konspekt haben Sie - Schwierigkeiten keine größeren Schwierigkeiten große Schwierigkeiten. • Beim monologischen Sprechen ohne Konspekt (freier Vortrag) haben Sie 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 - Schwierigkeiten 0 keine größeren Schwierigkeiten 0 große Schwierigkeiten. 0 • Ursachen sehen Sie darin, daß - Sie sich zu sehr auf den Inhalt konzentrieren müssen und dabei die Sprache vernachlässigen 0 - Ihnen die Termini/ fachtypischen Wendungen fehlen 0 die Anwendung grammatischer Kenntnisse beim Sprechen Probleme bereitet. 0 4. Wie schätzen Sie die Qualität Ihrer Mitschrift ein? (Bitte ankreuzen! ) (betr. Vorlesung, Seminar, ... ) • Schreiben Sie selbst mit, oder lassen Sie mitschreiben? - Ich schreibe selbst mit. - Ich lasse mitschreiben. • Ihre Mitschrift hat eine solche Qualität, daß Sie nach der Vorlesung damit arbeiten können. -Ja - Nein 5. Welche Funktion soll der Deutschunterricht nach Ihrer Meinung haben? (Bitte ankreuzen! Beachten Sie, daß Sie nur 100% vergeben können! ) 0 0 0 0 Soll er in erster Linie die sprachlichen Voraussetzungen für Ihr Studium verbessern helfen, ohne den fachlichen/ sachlichen Aspekt zu akzentuieren? -Ja 0 - Nein 0 Soll er auch fachliche Lücken ausgleichen helfen, indem bestimmte Sachprobleme, die mit Ihrem Studium in Verbindung stehen, behandelt werden? FLuL 25 (1996) Zur Didaktik der Fachsprachen im Bereich Deutsch als Fremdsprache -Ja - Nein 219 0 0 Könnte der Deutschunterricht überhaupt aus Ihrer Sicht Ihre fachlichen Probleme klären helfen? -Ja 0 -Nein 0 Welchen Charakter sollten die Texte haben, mit denen Sie sich im Deutschunterricht beschäftigen? - 90% Fachtexte/ Originaltexte 0 - 75% Fachtexte/ Originaltexte 0 - 50% Fachtexte/ Originaltexte 0 - 50% Texte aus Wirtschaft, Politik, Kultur, ... 0 - 25% Texte aus Wirtschaft, Politik, Kultur, ... 0 - 10% Texte aus Wirtschaft, Politik, Kultur, ... 0 überwiegend Texte allgemeinwissenschaftlichen Inhalts, die sich nicht auf Ihr Studienfach beziehen 0 6. In welchen Graduierungen sollten nach Ihrer Meinung die einzelnen Sprachtätigkeiten geübt werden? (Geben Sie eine Rangfolge an! Sie können auch die gleiche Ziffer mehrmals vergeben: z.B. 1 = erste Priorität [am meisten], ..., 4 = vierte Priorität [am wenigsten].) HOREN LESEN SPRECHEN SCHREIBEN 0 0 0 0 Um die Ergebnisse der Befragung (121 Studenten des ersten und zweiten Studienjahres verschiedener Fachrichtungen (siehe unten) aus Asien, Afrika, Mittelamerika, Europa) einem größeren Leserkreis zuzuführen, werden sie hier vorgestellt. Danach werden einige relevante Schlußfolgerungen abgeleitet. Technische Daten der Auswertung sind der folgenden Übersicht zu entnehmen: Zahl der Befragten Länder Hochschule Fachrichtung Studienjahr 13 6 Univ. Greifswald Medizin/ Stomat. 1986/ 87 66 25 TU Dresden 16 techn. Fachrichtungen 1986/ 87 30 15 TU Dresden 8 techn. Fachrichtungen 1986/ 87 12 7 Tu Dresden 4 techn. Fachrichtungen 1986/ 87 Tab. 2: Technische Daten der Auswertung FLuL 25 (1996) 220 Ingeborg Hofmann ERGEBNISSE DER BEFRAGUNG 1. AUSWERTUNG des ersten Fragenkomplexes (Schwierigkeiten in den Sprachtätigkeiten)2 Schwierigkeitsgrad Sprachtätigkeit Keine Angaben Pos. 1 Pos. 2 Pos. 3 Pos. 4 Hören 16 Studenten (13,22%) 62 (51,24%) 28 (23,14%) 13 (10,74%) 2 (1,65%) Sprechen 32 Studenten (26,45%) 44 (36,36%) 21 (17,36%) 12 (9,92%) 12 (9,92%) Lesen 48 Studenten (39,67%) 17 (14,04%) 21 (17,36%) 16 (13,22%) 19 (15,7%) Schreiben 52 Studenten (42,98%) 18 (14,88%) 18 (14,88%) 21 (17,36%) 12 (9,92%) 2. AUSWERTUNG des zweiten Fragenkomplexes 2.1 Hörverstehen 3 Schwierigkeitsgrad Sprachtätigkeit Keine Angaben Pos. 1 Pos. 2 Pos. 3 Pos. 4 Hören in Vorles. 56 Studenten 19 29 17 - (ohne Mitschrift) 46,28% (15,70%) (23,97%) (14,04%) - Hören in Vorles. 18 Studenten 75 23 5 - (mit Mitschrift) 14,88% (61,98%) (19%) (4,13%) - Hören im Seminar 35 Studenten 38 29 19 - 28,93% (31,40%) (23,97%) (15,70%) - 2.2 Sprechen im Seminar Schwierigkeitsgrad Sprachtätigkeit Keine Angaben Pos. 1 Pos. 2 Pos. 3 Pos. 4 Sprechen 33 Studenten 49 21 18 - (Dialog/ Seminar) 27,27% (40,50%) (17,36%) (14,89%) - Sprechen (Dialog/ 57 Studenten 11 19 14 20 außerhalb Seminar) 47,10% (9,09%) (15,70%) (11,58%) (16,52%) 2 Pos. 1 bedeutet: die betreffende Sprachtätigkeit erscheint dem Studenten am schwierigsten; Ziffer bedeutet: Anzahl der Studenten, die in der betreffenden Position Schwierigkeiten angeben. 3 Ziffer bedeutet: Anzahl der Studenten, die der Sprachtätigkeit X bestimmte Schwierigkeitsgrade beimessen; Pos. 1 bedeutet: höchster Schwierigkeitsgrad. FLuL 25 (1996) Zur Didaktik der Fachsprachen im Bereich Deutsch als Fremdsprache 221 Schwierigkeitsgrad Sprachtätigkeit Keine Angaben Pos. 1 Pos. 2 Pos. 3 Pos. 4 Sprechen (Monolog/ 58 Studenten 10 29 15 9 Seminar/ mit Konspekt) 39,67% (8,26%) (23,97%) (12,40%) (7,44%) Sprechen 28 Studenten 62 22 4 5 (Monolog/ Seminar) 42.98% (51,24%) (18,18%) (3,31%) (4.13%) 2.3 Schreiben Schwierigkeitsgrad Sprachtätigkeit Keine Angaben Pos. 1 Pos. 2 Pos. 3 Pos. 4 Schreiben/ Mitschreiben 15 Studenten 60 34 12 - (Gehörtes) 12,40% (49,59%) (28,10%) (9,92%) - Schreiben/ Konspektie- 55 Studenten 14 25 27 ren (Gelesenes) 45,45% (11,57%) (20,66%) (22,31 %) freies Schreiben 14 Studenten 72 18 17 - (Klausur/ Belegarbeit) 11,57% (59,50%) (14,88%) (14,05%) - 3. AUSWERTUNG des dritten Fragenkomplexes 3.1 Hörverständnis (Ursachen für Probleme beim Hören) Anzahl % ► Das Sprechtempo des Vortragenden erscheint zu hoch. 84 69,42% ► Die Satzstrukturen sind zu kompliziert. 48 39,67% ► Die Aussprache des Sprechers wird nicht verstanden. 51 42,15% ► Die Termini sind z.T. unbekannt. 46 38,02% ► Es bestehen Konzentrationsschwächen. 33 27,27% ► Das Verständnis ist gegeben, das Wesentliche kann aber nicht so schnell mitgeschrieben werden. 84 69,42% ► Es bestehen Probleme beim Aufschreiben unbekannter Wörter. 58 47,93% ► Die Verkürzung der Wörter und Sätze bereitet Schwierigkeiten. 28 23,14% • Andere von den Studenten beigefügte Ursachen: ► Keine Gewöhnung an die deutsche Sprache ► Vortragsweise ► Lärm im Hörsaal 3.2.1 Ursachen für verzögerte/ keine sprachliche Reaktion auf verstandene Äußerung des Partners ► Lexik nicht verfügbar 92 76,03% ► Schwierigkeiten bei der Verknüpfung der Wörter 59 48,76% ► fachliche Lücken 64 52,89% FLuL 25 (1996) 222 • Andere von den Studenten beigefügte Ursache: ► zu viel Zeit für Übersetzungsprozesse 3.2.2 Ergreifen der Initiative im Fachgespräch ► oft ► manchmal ► selten ► nicht Gründe: ► sprachliche Probleme bei der Formulierung ► Hemmungen/ Angst ► andere von den Studenten nicht benannte Gründe 3.2.3 Monolog mit Konspekt ► Schwierigkeiten ► keine größeren Schwierigkeiten ► große Schwierigkeiten ► keine Angaben 3.2.4 Monolog ohne Konspekt ► Schwierigkeiten ► keine größeren Schwierigkeiten ► große Schwierigkeiten Gründe für 3.2.3 und 3.2.4: Ingeborg Hofmann Anzahl % 3 2,48% 6 4,96% 62 51,24% 37 30,58% 16 13,22% 78 64,46% 44 36,36% 13 10,74% 46 38,02% 64 52,90% 3 2,48% 8 6,61% 61 50,41% 26 21,49% 34 28,09% ► Konzentration auf den Inhalt bei Vernachlässigung der sprachlichen Form 58 47,93% ► Termini/ fachtypische Wendungen nicht verfügbar ► Probleme bei der Anwendung grammatischer Kenntnisse • Andere von den Studenten beigefügte Ursachen: ► zu geringer Wortschatz ► fehlende sprachliche Grundkenntnisse ► persönliche Gewohnheiten ► fachliche Probleme inhaltlich nicht verstanden ► Schwierigkeiten beim schnellen Formulieren 4. AUSWERTUNG des vierten Fragenkomplexes 4.1 Mitschrift 101 Studenten schreiben selbst in der Vorlesung mit 16 Studenten schreiben teilweise mit/ lassen mitschreiben 4 Studenten schreiben selbst nicht mit 4.2 Qualität der Mitschrift (aus Studentensicht) 82 Studenten können nach der Vorlesung mit der von ihnen angefertigten Mitschrift arbeiten 51 63 42,15% 52,07% 83,47% 13,22% 3,30% 67,77% FLuL 25 (1996) Zur Didaktik der Fachsprachen im Bereich Deutsch als Fremdsprache 15 Studenten können nach der Vorlesung mit der Mitschrift nicht arbeiten 24 Studenten können nach der Vorlesung mit der Mitschrift teilweise arbeiten 5. AUSWERTUNG des fünften Fragenkomplexes 5.1 Funktion des fachsprachlichen Deutschunterrichts keine Angaben ja ► Verbesserung sprachlicher Voraussetzungen 5 Studenten 109 für das Studium 4,13% 90,08% ► Klärung fachlicher Probleme 4 Studenten 76 3,31% 62,80% ► Fachlichkeitspotenz des Unterrichts 4 Studenten 71 3,31% 58,7% 223 12,40% 19,83% nein 7 5,79% 41 3,89% 46 38,0% 5.2 Charakter der Texte (VERHAL1NIS: Fachtext/ Originaltext des Studienfaches zu Text aus Wirtschaft, Politik, Kultur,Wissenschaft ► 75% : 25% gewünscht von ► 50% : 50% gewünscht von ► mehr als 50% Texte mit allgemein interessierender Problematik 6. AUSWERTUNG des sechsten Fragenkomplexes 38 Studenten 31,40% 53 Studenten 43,80% 5 Studenten 4,13% Gewünschte Graduierung der Übung der Sprachtätigkeit ... (aus Studentensicht) 4 Sprachtätigkeit Keine Angaben Pos. 1 Pos. 2 Pos. 3 Pos. 4 Hören 12 Studenten 57 36 12 4 9,92% (47,11%) (29,75%) (9,92%) (3,31%) Sprechen 6 Studenten 66 24 19 6 4,96% (54,55%) (19,83%) (15,70%) (4,96%) Lesen 21 Studenten 14 36 28 22 17,36% (11,57%) (29,75%) (23,10%) (18,20%) Schreiben 19 Studenten 19 31 26 26 15,70% (15,70%) (25,60%) (21,50%) (21,50%) 4 Ziffer bedeutet: Anzahl der Studenten, die die spezielle Sprachtätigkeit zu einem bestimmten Grade zu üben wünschten; Pos. 1: mit der größten Intensität, ... - Errechnung der Prozentwerte: Für die Positionen wurden Punkte erteilt: 1. Position = 4 Punkte; 2. Position = 3 Punkte; 3. Position: 2 Punkte; 4. Position = 1 Punkt. Die Anzahl der Studenten, die die Übung in bestimmten Graden (Position) wünschten, wurde mit der jeweiligen Punktzahl multipliziert. Die Ergebnisse wurden mit folgenden Resultaten addiert: Hörverständnis= 364 Punkte (29,52%); Sprechen = 380 Punkte (30,82%); Leseverständnis = 242 Punkte (19,63%); Schreiben = 247 Punkte (20,03%). 100% entsprechen 1233 Punkten. FLuL 25 (1996) 224 Ingeborg Hofmann 3. Interpretation und Schlußfolgerungen für didaktische Maßnahmen Die Resultate der oben dargestellten Studentenbefragung liefern empirische Daten, um die Relationen von fachsprachlicher Interaktion und Lernen als prozeßhaftem Wissenserwerb im Studium besser klären zu helfen. Das kritische Resümee zur diesbezüglichen Forschungssituation von Henrici (1993: 230) ist auch für die fachsprachliche Lehre prinzipiell zutreffend. Henrici beklagt, daß wir noch weit davon entfernt seien, sichere Aussagen über den Prozeßcharakter von Interaktionen zu machen, da empirische Belege zu dürftig seien. Angemessene methodologische Vorgehensweisen sowie adäquate methodische Untersuchungsverfahren müßten gefunden werden, um den wechselseitigen Verstehens- und Produktionsprozeß sensibel rekonstruieren zu können. Unsere in diesem Beitrag vorgestellten Resultate gestatten, gewisse Tendenzen aus Lernersicht für den Erwerb fachsprachlicher Kompetenz im Studium aufzuzeigen. Sie sollen wie folgt zusammengefaßt werden 5: (1) Die vier sprachlichen Grundtätigkeiten sind in der realen Kommunikationspraxis eines Studiums gefordert und werden subjektiv von den Studenten als mehr oder weniger schwierig empfunden; Hörverstehen besitzt den höchsten Schwierigkeitsgrad (36,10%), gefolgt von Sprechen (27,58%), Leseverstehen (18,25%) und freiem Schreiben zu einem fachlichen Thema (18,05%). Für den Sprachunterricht kann daraus eine entsprechende Schwerpunktsetzung bei der Ausbildung der einzelnen Komponenten fachsprachlicher Kommunikation erfolgen. (2) Das verstehende Hören und gleichzeitige Mitschreiben der in der Vorlesung des Faches übermittelten Inhalte wird von den Studenten schwieriger bewertet als beispielsweise verstehendes Hören im Seminar, d.h. im dialogischen/ polylogischen Geschehen, wo möglicherweise außersprachliche und paralinguale Mittel den Verstehensprozeß begünstigen. Auch die Rückkopplung könnte im Seminar stärker als in der Vorlesung gegeben sein (vgl. die von den Studenten angegebenen Schwierigkeitsgrade für: Hören in Vorlesung/ Monolog/ ohne Mitschrift (23,09%), Hören in Vorlesung/ Monolog/ mit Mitschrift (44,05%), Hören in Seminar/ Polylog (32,47%). Didaktische Schlußfolgerung: Um den Wissenserwerb über die bzw. mittels der Fremdsprache in der Vorlesung zu begünstigen, muß der Sprachunterricht gezielt das Hören und Mitschreiben von Vorlesungen ausbilden. Es sollte eine didaktisch aufbereitete Abfolge von Vorlesungstexten mit entsprechend studienrelevanten fachlichen Inhalten erarbeitet werden, die eine den Voraussetzungen der Lerner angemessene Schwierigkeitsprogression inhaltlich und sprachlich (betr. Lexik/ Termini, Satzbau; allmählicher Abbau sprachlicher Redundanzen, Periphrasen, Wiederholungen, Reduzierung des sprachlichen Inputs) aufweist. Die Vorlesungstexte sollten an Länge zunehmen (Textrepräsentationen bis zu 45 Minuten), womit psycho-physische und intellektuelle Anforderungen an die Studenten erhöht wür- 5 Die Prozentzahlen entsprechen den Angaben der Fragebogenauswertung (siebe oben). FLuL 25 (1996) Zur Didaktik der Fachsprachen im Bereich Deutsch als Fremdsprache 225 den: (a) Konzentrationsfähigkeit, Gedächtnisleistungen; (b) intellektuelle und schreibmotorische Fähigkeiten bzw. Fertigkeiten bei der Rezeption und beim zeitlich parallel ablaufenden Prozeß der gedanklich-sprachlichen Reduktionen für die Mitschrift und schließlich (c) der motorische Ablauf des Notierens in der Fremdsprache mit einer notwendigen Geläufigkeit. 6 (3) Tendenziell lassen sich folgende Aussagen der Studenten zu den ursächlichen Zusammenhängen beim Auftreten von Schwierigkeiten in den verschiedenen Sprachtätigkeiten zusammenfassen 7: • Beim Hören und Mitschreiben der Fachvorlesung resultieren die Probleme aus: dem hohen Sprechtempo der Vortragenden, auf das die Studenten durch möglicherweise zu starke Rücksichtnahme wegen des noch vorhandenen Verstehensdefizits im Sprachunterricht nicht genügend vorbereitet sind (69,42% gaben dies als gravierende Ursache an); ungenügend ausgebildeten Fähigkeiten bei der schriftlichen Speicherung der Information (bei 69,42% der befragten Studenten); - Rezeptionsschwierigkeiten durch phonetische und intonatorische Besonderheiten der muttersprachlichen Sprecher/ Hochschullehrer (bei 42,15% der Studenten); offensichtlich wird nur Hochlautung problemlos verstanden; ungenügenden sprachlichen Kenntnissen und Fertigkeiten zur semantischen Erfassung schwieriger Satzkonstruktionen (von 39,67% der Studenten als Ursache erkannt); - Konzentrationsschwächen der Studenten (betr. 27,27%); - Nicht-Beherrschung von Termini und typischen fachsprachlichen Mitteln u.a. • In bezug auf Sprechen im Fachgespräch (Seminar, ...) sind die Angaben der Studenten insofern aufschlußreich, als deutlich wird, daß gewisse „Sprechbarrieren" hemmend sind, die sich trotz eines bestimmten erreichten Sprachniveaus bei den Studenten gehalten oder sogar ausgebaut haben. 51,24% geben an, sich nur „manchmal" im Seminar zu äußern; 13,22% werden „gar nicht" sprecherisch produktiv; nur 4,96% der Studenten „wagen" sich „oft", im Seminar die sprecherische Initiative bei der fachlichen Interaktion zu ergreifen. Für den Sprachunterricht bedeutet dies, das Sprechen durch sprachliche Hilfen zu entwickeln und die mündliche Kommunikation nicht dem „Selbstlauf' zu überlassen, sondern Sprechanlässe durch fachlich interessante Aufgabenstellungen und motivierende Texte zu schaffen (kein „Kommunikativismus", sondern Aufbau von Sprechmustern und Integration der sprachlichen Arbeit in Sprechzusammenhänge, wie sie die Praxis im Studium vorgibt). 6 Detalliertere Interpretationen und didaktisch-methodische Umsetzungen finden sich bei Hofmann (1989). 7 Vgl. Auswertung des dritten Fragenkomplexes im Fragebogen. FLuL 25 (1996) 226 Ingeborg Hofmann (4) Offensichtlich bestehen zu Beginn eines Fachstudiums trotz Bestehen der Prüfung zum Nachweis deutscher Sprachkenntnisse bei der Mehrzahl der Studierenden (noch) erhebliche sprachliche Defizite, die als eine Art von "Studierschwelle" gewertet werden müssen. 47,93% der Studenten beobachten bei sich eine die sprachliche Formgebung hemmende Konzentration auf den Inhalt, wenn sie sich monologisch äußern wollen. Für 42,15% sind die Termini und fachsprachlichen Wendungen nicht schnell abrufbar (Problem der Einspeicherung ins Gedächtnis); 52,07% der Befragten können die z.T. nur schematisch erworbenen grammatischen Kenntnisse zur sprachlichen Formulierung ihrer Gedanken nicht/ nicht schnell genug anwenden. - Dieser kritischen Bestandsaufnahme (s.o.) sollen einige psychologische und didaktische Überlegungen folgen. Aus meiner Sicht kommt es darauf an, formale und funktionale Merkmale sprachlicher Mittel und Strukturen, besonders deren kommunikative Leistung, bewußtzumachen, denn während beim Erwerb der Muttersprache der Weg von den Bewußtseinsinhalten zu deren Versprachlichung zunächst mehr oder weniger unbewußt durchlaufen wird und erst zu einem späteren Zeitpunkt (etwa im Muttersprachunterricht) eine gezielte und systematisierende Bewußtmachung erfolgt, steht beim Erwerb einer Fremdsprache frei beherrschtes Sprachmaterial a priori nicht zur Verfügung; "[...] so beginnt die Entwicklung der Fremdsprache mit der bewußten Einsicht in die Sprache und ihrer willkürlichen Beherrschung und schließt mit der freien spontanen Sprache ab" (Vygotskij 1964: 230). Wird eine fremde Sprache erlernt, so sind psychologisch betrachtet komplexere Sprachhandlungen über die zunächst isolierte und dann integrierte Ausbildung von Teilhandlungen erlernbar, die mit Zunahme der Handlungsbefähigung zu Operationen werden. Jedoch sollten „bereits operationalisierte Prozesse" wieder auf die Stufe bewußter Handlungen gehoben werden, um sie auf dieser Stufe für sich weiter auszubilden und sie später erneut zu operationalisieren (vgl. Blei 1983: 62). Dieser theoretische Ansatz folgt der sog. Tätigkeitspsychologie von Leont'ev (1979) zur Struktur menschlicher Tätigkeit, nach der Handlungen und Operationen unterschieden werden, die wechselseitig transformierbar sind. Eine Handlung wird als ein einem bewußten Ziel untergeordneter Prozeß bezeichnet. "Eine Handlung hat neben ihrem intentionalen Aspekt (was erreicht werden soll) auch einen operationalen Aspekt (wie, auf welche Weise dies erreicht werden soll), der nicht durch das Ziel, sondern durch die gegenständlichen Bedingungen bestimmt wird, unter denen das Ziel erreicht wird. [...] Die Verfahren zur Realisierung einer Handlung bezeichnen wir als Operationen [...]" (Leont'ev 1984: 24). Operationen sind das Ergebnis der Transformation einer Handlung, "[ ...] die sich durch deren Einbeziehung in eine andere Handlung vollzieht und als deren 'Technisierung' auftritt" (Leont'ev 1984: 25). Kann man diese Theorie in bestimmten Positionen auf Sprachunterricht übertragen? Was ist für den Erwerb bzw. für die Vermittlung von (Fremd-)Sprachen ableitbar? FLuL 25 (1996) Zur Didaktik der Fachsprachen im Bereich Deutsch als Fremdsprache 227 Eine Leitlinie unseres Unterrichts (Zielgruppe: erwachsene Lerner, Studierende eines Faches) muß meines Erachtens ein vernünftiges Verhältnis von Bewußtheit und Automatisierung "Technisierung" bei Leont'ev) sein, damit bis zu einem hohen Grade frei anwendbare, vom Studenten beherrschte Sprachmittel zur Verfügung stehen, so daß Kommunikationsprozesse im Studium befördert werden. Ich will versuchen, diese These an einem Beispiel zu verdeutlichen. Zunächst bildet sich jedes Operieren mit einer bestimmten sprachlichen Erscheinung (z.B. Bildung und Verwendung des Passivs, einer typisch fachsprachlichen Realisierungsform) als Handlung heraus. Die Übung des Passivs stellt psychologisch betrachtet das Ziel der Handlungsausführung auf der Basis einer bewußtgemachten Orientierungsgrundlage dar. Diese beinhaltet Funktion, Form und Bildungsweise des Passivs bzw. seiner „Ersatzformen". Durch wiederholten, bewußten Vollzug der Handlung (Bildung und Anwendung passivischer Strukturen) wird diese schließlich als untergeordnete Teilhandlung in komplexere Handlungsabfolgen einbezogen. Die normgerechte Anwendung des Passivs wird durch eine entsprechende Aufgabenstellung in den Vollzug einer Gesamthandlung integriert, z.B.: "Beschreiben Sie den Entwicklungszyklus des Krankheitserregers [...] unter Verwendung des Passivs! " In diesem Stadium verläuft das Operieren mit den Sprachzeichen (passivischen Konstruktionen) nicht mehr vordergründig als bewußter, dem Ziel der Aneignung des Passivs untergeordneter Prozeß, sondern als integrierte Operation (als automatisiertes Verfahren, das nunmehr der Kontrolle durch das Bewußtsein unterliegt) zur Realisierung einer komplexen sprachlich-kommunikativen Handlung. Folgen wir der Theorie Vygotskijs (1964) vom „aktuell bewußt erfaßten Inhalt", so befinden sich beispielsweise die zu erlernenden sprachlichen Mittel (Passiv) zunächst „im Brennpunkt des Bewußtseins" bei der Übungstätigkeit im Unterricht. Später kann so Vygotskij der „aktuell bewußt erfaßte Inhalt" auf eine mehr „elementare" Ebene „gesenkt" werden. D.h., die im Unterricht vermittelte und zu einem gewissen Grade automatisierte sprachliche Erscheinung zieht nicht mehr die ausschließliche Konzentration des Sprachlerners auf sich. Sie dient vielmehr als Mittel zur sprachlichen Exteriorisierung von Bewußtseinsinhalten beim Sprechen und Schreiben bzw. dem Verständnis der sprachlich übermittelten Sachinformation beim Hören und Lesen. Sprache kann in diesem Sinne als Kommunikations- und Kognitionsmittel gelehrt werden, und die Synthese von Sach- und Sprachunterricht zur Überwindung der „Studierschwelle Deutsch/ Fachdeutsch" sollte so besser gelingen. Der Beitrag stellte Ergebnisse einer studentischen Befragung zu Anforderungen der Kommunikationspraxis an Fachsprachenunterricht vor und ist von der Formulierung didaktischer Kriterien ausgehend als Anregung zur Diskussion zu verstehen. Durch weiterreichende repräsentative Untersuchungen mittels eines hier vorgestellten Fragebogens sollten Bedüifnisse der Studenten für den das Fachstudium in einer bestimmten Anfangsphase begleitenden Sprachunterricht an Hochschulen ermittelt werden, um fundiert Schlußfolgerungen für die Lehre ziehen zu können. FLuL 25 (1996) 228 Ingeborg Hofmann Bibliographische Angaben BLEI, Dagmar (1989): "Lehren und/ oder Lernen nach Sprachhandlungstypen? " In: Deutsch als Fremdsprache, 26.2, 70-76. BUHLMANN, Rosemarie (1985): "Merkmale geschriebener und gesprochener Texte im Bereich naturwissenschaftlich-technischer Fachsprachen. Eine Betrachtung unter didaktischen Gesichtspunkten". In: Special Language/ Fachsprache 7.3-4, 98-125. FLUCK, Hans-Rüdiger (1992): Didaktik der Fachsprachen. Tübingen: Narr (Forum für Fachsprachenforschung; 16). BAUSCH, Karl-Richard/ CHRIST, Herbert/ HULLEN, Werner/ KRUMM, Hans-Jürgen (1989): Handbuch Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Narr. HENRICI, Gert (1993): "Fremdsprachenerwerb durch Interaktion? Zur Diskussion und Überprüfung einer Hypothese aus der Forschung zum gesteuerten Zweitspracherwerb". In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 22, 215-237. HOFFMANN, Lothar (1984): Kommunikationsmittel Fachsprache. Eine Einführung. Berlin (Ost). 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Einleitung Der folgende Beitrag ist aus einem Forschungsprojekt zur „Kontrastiven Fachtextanalyse" hervorgegangen, das unter der Leitung von Claus Gnutzmann an der Universität Hannover durchgeführt wurde. Hauptziel dieses Projektes war es, im Rahmen eines kontrastiven Ansatzes zur Beschreibung der inhaltlich-funktionalen Textstruktur von Fachtexten beizutragen und damit linguistische Grundlagen für die Entwicklung von Lehr- und Lernmaterialien für den fachbezogenen Fremdsprachenunterricht bereitzustellen. 1 Im Vordergrund der Untersuchungen stand die Frage nach inter- und intralingualen Gemeinsamkeiten und Divergenzen der inhaltlichfunktionalen Struktur von Fachtexten sowie die Untersuchung sprachlicher Gestaltungsmittel und ihrer spezifischen Verwendungsweisen. Die Kenntnis fach-, textsorten- und sprachspezifischer Diskursmuster und ihrer sprachlichen Realisierungsformen erleichtert nicht nur den Zugang zu fremdsprachiger Fachliteratur, sondern ist besonders für die Produktion von Fachtexten in der jeweiligen Zielsprache unabdingbar. Angesichts der Vorrangstellung des Englischen in der heutigen wissenschaftlichen Kommunikation (vgl. Skudlik 1990: 210 ff) und angesichts der Tatsache, daß der Bedarf an fachbezogenen Fremdsprachenkenntnissen in Wissenschaft und Wirtschaft in den nächsten Jahren weiter ansteigen wird, sind kontrastive Untersuchungen zur inhaltlich-funktionalen und sprachlichen Struktur von Fachtextsorten im Deutschen und Englischen besonders wichtig. Dieses gilt in besonderem Maße für die Fachtextsorte Abstract, deren Bedeutung für die Informationserschließung und die Literatursuche mit der in den letzten Jahrzehnten sprunghaft Vgl. hierzu Gnutzmann/ H.Oldenburg (1990, 1991), danach auch das Folgende. Untersucht wurden die Teiltexte „Titel" (Gnutzmann 1988), "Einleitungen" (Lange 1988 und Gnutzmann/ Lange 1990) und „Zusammenfassungen" (Gnutzmann/ H. Oldenburg 1991 und H. Oldenburg 1992). FLuL 25 (1996) 230 Antje Oldenburg ansteigenden Publikationsflut, der Entstehung immer neuer wissenschaftlicher und technischer Bereiche, dem Ausbau von Industrie und Wirtschaft und der Herausbildung eines weitverzweigten, stark technisierten Bibliotheks-, Informations- und Dokumentationswesens stetig gestiegen ist. Abstracts erscheinen heute sowohl in speziellen Abstract-Zeitschriften und weiteren Sekundärpublikationen wie Literaturberichten, Bibliographien und Datenbanken als auch in Primärpublikationen als Beigabe zu Zeitschriftenaufsätzen, Sammelbänden, Dissertationen und Patenten. Sie ermöglichen es dem einzelnen Wissenschaftler, sich über die Entwicklungen in seinem Fachgebiet auf dem Laufenden zu halten, erleichtern die Literatursuche und haben somit eine stark informationssteuemde Funktion beim ersten Zugriff auf Fachinformation. Mit der Entstehung der Fachtextlinguistik Anfang der 80er Jahre ist auch das linguistische Interesse an Abstracts gestiegen. (Vgl. Buxton/ Meadows 1978, Endres- Niggemeyer 1985, Fedosyuk 1978, Fluck 1988 und 1989, Kretzenbacher 1990, Maeda 1981 und Preiss 1983). Dennoch sind es vor allem informations- und dokumentationswissenschaftliche Arbeiten (vgl. Borko/ Bemier 1975, Cleveland/ Cleveland 1983, Kurshid 1979, Maizell/ Smith/ Singer 1979, Owen 1985 und Rowley 1982), die sich mit dieser Fachtextsorte beschäftigen. Im Mittelpunkt steht dabei häufig das Bestreben, Abstracts inhaltlich, formal und funktional zu definieren, von anderen Formen der Inhaltsangabe abzugrenzen und ihre spezifischen Merkmale festzuschreiben. So gibt es auf der einen Seite eine unüberschaubare Menge von Referierregeln, die von einzelnen Referier- und Dokumentationsdiensten und von staatlichen Einrichtungen herausgegeben oder für den internen Gebrauch formuliert werden, sowie nationale und internationale Normen und Standards (z.B. DIN 1426, ANSI Z.39.14 und ISO 214), die auf eine Vereinheitlichung der inhaltlich-strukturellen und sprachlichen Gestaltung von Abstracts abzielen. Auf der anderen Seite fehlt es an deskriptiven Arbeiten, die der Frage nach fach- und sprachspezifischen Unterschieden in der Textstruktur von Abstracts nachgehen und damit als Korrektiv für die Angemessenheit der von der Sprache, dem Fach und dem Bezugstext abstrahierenden Normierungsbestrebungen dienen können. Der Aufsatz gliedert sich in drei Teile. Im ersten Kapitel werden mit dem integrativen Ansatz zur Analyse von Fachtexten die wichtigsten theoretischen und methodischen Grundlagen der Untersuchung dargestellt. Im zweiten Kapitel wird zunächst das Untersuchungskorpus und das Modell zur Analyse der inhaltlichfunktionalen Textstruktur von Abstracts vorgestellt. Daran schließt sich die Präsentation der wichtigsten Untersuchungsergebnisse an. Im dritten Kapitel wird abschließend der Frage nachgegangen, worauf die invarianten Merkmale der Textstruktur einerseits und die inter- und intralingualen Divergenzen andererseits zurückzuführen sind. FLuL 25 (1996) Abstracts deutscher und englischer wissenschaftlicher 'Zeitschriftenaufsätze ... 231 1. Der integrative Ansatz zur Analyse von Fachtexten Der von Gnutzmann/ H.Oldenburg (1990, 1991) entwickelte integrative Ansatz zur Analyse von Fachtexten besteht aus drei Untersuchungsschritten.2 Der erste, vor der Textanalyse durchzuführende Schritt umfaßt die Zusammenstellung eines möglichst homogenen Textkorpus auf der Grundlage des Hoffmannschen Modells der horizontalen und vertikalen Gliederung der Fachsprachen (vgl. Hoffmann 2 1985: 53 ff). Die eigentliche Textanalyse ist analog zu den Ebenen der Textstruktur in drei Phasen gegliedert. Die erste Phase umfaßt die Untersuchung der Textmakrostruktur mit dem Ziel, die Teiltexte, unter denen „größere inhaltlich-funktionale Einheiten unterhalb der Textebene" (Gnutzmann/ H. Oldenburg 1990: 20) verstanden werden, und ihre Gliederungssignale zu erfassen 3, indem zum einen auf intuitives Wissen über Teiltexte und Teiltextgrenzen unter Berücksichtigung inhaltlichfunktionaler Aspekte und zum anderen auf sprachliche und außersprachliche Gliederungssignale zurückgegriffen wird. Nach der Identifizierung der Textbaupläne bewegt sich unter Einbeziehung der gleichen Untersuchungsmethoden die zweite Phase unterhalb der Textebene, d.h. es geht um die Erfassung der Binnenstruktur der einzelnen Teiltexte. Sie bestehen aus Teiltextsegmenten4, relativ autonomen inhaltlich-funktionalen Einheiten unterhalb der Teiltextebene, deren Beginn bzw. Ende ebenfalls durch Gliederungssignale angezeigt werden kann. Mit der dritten Phase, der Untersuchung der Realisierungsformen der Teiltextsegmente, wird schließlich der Zusammenhang zwischen den funktionalen Einheiten des Textes und der Sprachoberfläche hergestellt. Neben der Untersuchung nicht-sprachlicher Gestaltungsmittel wie Graphiken, Tabellen, Abbildungen u.ä. beinhaltet diese Stufe vor allem die Beschreibung der sprachlichen Gestaltungsmittel (Syntax, grammatische Kategorien, Lexikon etc.) der Teiltextsegmente und ihrer spezifischen Verwendungsweisen. Nach Abschluß der Textanalyse ist als letzter Untersuchungsschritt die Überprüfung der Ergebnisse durch Wissenschaftler des jeweiligen Faches vorgesehen. 2 Eine ausführliche Darstellung dieses auf die kontrastive Analyse von Fachtexten ausgerichteten Untersuchungsansatzes findet sich in Gnutzmann/ H. Oldenburg (1990, 1991) und H. Oldenburg (1992: 55-70). 3 Gliederungssignale werden von Baumann (1987: 9) als „eine Funktionsklasse sprachlicher und außersprachlicher Mittel zur Sicherung der Textprogression und des Textverstehensprozesses" definiert. Sie können den Anfang und das Ende eines Teiltextes signalisieren und sowohl die lineare als auch die hierarchische Ordnung der Textstruktur anzeigen. 4 Für die hier als „Teiltextsegmente" bezeichneten inhaltlich-funktionalen Einheiten finden sich in der text- und fachtextlinguistischen Literatur unterschiedliche Begriffe. So entsprechen sie beispielsweise in der Terminologie Gülich/ Raibles (21979: 74), die zwischen Teiltexten nullten, ersten und zweiten Grades unterscheiden, den Teiltexten zweiten Grades. FLuL 25 (1996) 232 Antje Oldenburg Wendet man dieses Modell auf die Analyse der Textstruktur von Autorenabstracts an, so ergeben sich zwei prinzipielle Möglichkeiten: Geht man davon aus, daß Abstracts Teiltexte der Fachtextsorte „wissenschaftlicher Zeitschriftenaufsatz" sind, so würde die Textanalyse auf der Teiltextebene einsetzen, d.h. es ginge um die Erfassung der Teiltextsegmente, ihrer Gliederungssignale und sprachlichen Realisierungsformen. Faßt man hingegen Abstracts als eigene Fachtextsorte auf, setzt die Analyse auf der Textebene ein, d.h. die inhaltlich-funktionalen Einheiten wären als Teiltexte zu betrachten. Für eine Behandlung von Abstracts als Fachtextsorte sprechen die folgenden Gründe: - Während sich Teiltexte, wie beispielsweise "Einleitungen" oder „Zusammenfassungen", durch komplexe, an der Sprachoberfläche nachweisbare Beziehungen zu vorangehenden oder nachfolgenden Teiltexten auszeichnen, besteht zwischen Abstract und Ausgangstext lediglich eine einseitige inhaltliche Abhängigkeit. Das Abstract bezieht sich zwar immer auf den Ausgangstext, dieser jedoch nie auf das Abstract. Obwohl Abstracts in der Regel zwischen Titel und Einleitung eines Aufsatzes erscheinen, stehen sie im Produktionsprozeß prinzipiell an letzter Stelle. 5 - Abstracts bilden in sich geschlossene kommunikative Einheiten, die auch ohne Kenntnis des Originaldokuments verständlich sein sollen. Sie können daher aus dem Bezugstext herausgelöst und separat, beispielsweise in einer Abstract-Zeitschrift, publiziert werden, ohne an Verständlichkeit zu verlieren oder etwas von ihrer kommunikativen Funktion einzubüßen. - Außerdem können von einem Originaldokument mehrere Abstracts von unterschiedlichen Verfassern existieren. Faßt man Abstracts als Teiltexte auf, würde dies dazu führen, daß es entweder mehrere Varianten eines Teiltextes gibt, oder Abstracts müßten einmal als Teiltext und das andere Mal als Textsorte behandelt werden, was der Forderung nach einer konsistenten Texttypologie zuwiderlaufen würde. - Schließlich gibt es Abstracttypen, wie etwa das kritische Referat 6, die inhaltlich über den Bezugstext hinausgehen und daher keinesfalls als Teiltext klassifiziert werden können. Statt also je nach Abstracttyp von einem Teiltext oder einer Textsorte zu sprechen, scheint es sinnvoller zu sein, Abstracts generell als Fachtextsorte aufzufassen. Dabei handelt es sich nicht um eine homogene Kategorie, sondern um eine Textsorte, die sich aufgrund bestimmter Merkmale, wie z.B. ihrer abgeleiteten Form, von anderen Textsorten abgrenzen läßt und sich aus verschiedenen Abstracttypen zusammensetzt, die sowohl gemeinsame als auch typspezifische Merkmale aufweisen.7 5 Vgl. hierzu die von Gläser (1990: 46-51) entwickelte Fachtexttypologie, in der die „abgeleiteten Textsorten" eine eigene Textklasse bilden, zu der neben den Abstracts wissenschaftlicher Zeitschriftenaufsätze Fachtextsorten wie „Rezension", "Dissertationsthesen" und „Gutachten" gehören. 6 Bei dem kritischen Referat handelt es sich um eine Übergangsform zwischen Kurzreferat und Rezension, in die kritische Stellungnahmen des Herstellers Eingang finden (vgl. DIN 1426, 1988: 4). 7 So unterscheidet Gläser (1990: 117-130) mit den „Konferenzabstracts", den „Abstracts FLuL 25 (1996) Abstracts deutscher und englischer wissenschaftlicher Zeitschriftenaufsätze ... 2. Abstracts im konstrastiven Vergleich 2.1 Das Untersuchungskorpus 233 Entsprechend der kontrastiven Anlage der Untersuchung wurden jeweils 25 englisch- und deutschsprachige Abstracts aus den Kommunikationsbereichen Pädagogik und Maschinenbau ausgewählt. Die Abstracts des Kommunikationsbereichs Maschinenbau stammen aus den Zeitschriften Forschung im Ingenieurwesen (Fl) und Journal of Applied Mechanics (JAM), diejenigen der Pädagogik aus der Zeitschrift für Pädagogik (ZP) und dem American Journal of Education (AJE), wobei aus den Jahrgängen 1986, 1987 und 1988 jeweils die ersten 8 bzw. 9 Abstracts entnommen wurden. Unberücksichtigt blieben im Hinblick auf den interlingualen Vergleich Abstracts von Aufsätzen, die offensichtlich nicht von Muttersprachlern verfaßt worden waren. Bei den untersuchten Abstracts handelt es sich um Autorenreferate 8, die mit ihrem Bezugstext, dem wissenschaftlichen Zeitschriftenaufsatz, erscheinen und zwischen dem Titel und der Einleitung des Aufsatzes plaziert und von dem folgenden Text typographisch abgesetzt sind. Abgesehen von den Abstracts in der Zeitschrift für Pädagogik, die durchgängig mit „Zusammenfassung" überschrieben sind, wird keines der Abstracts durch eine Überschrift markiert. 9 2.2 Ein Modell zur Analyse der inhaltlich-funktionalen Textstruktur von Abstracts Das auf dem integrativen Ansatz zur Analyse von Fachtexten basierende Modell zur Analyse der inhaltlich-funktionalen Textstruktur von Abstracts besteht aus fünf Teiltexttypen, die empirisch-induktiv gewonnen wurden und im folgenden charakterisiert und exemplifiziert werden sollen. ► (A) globale Charakterisierung des Forschungsfeldes/ der Forschungssituation Der Teiltexttyp (A) tritt in drei deutlich voneinander unterscheidbaren Ausprägungen auf, die sich als Subkategorien charakterisieren lassen. Bei dem ersten Subtyp, wissenschaftlicher Zeitschriftenaufsatz" und dem „Abstract in einem Referateorgan" drei Textsortenvarianten. In informations- und dokumentationswissenschaftlichen Arbeiten werden zur Differenzierung die Kriterien (a) Verfasser/ Herstellung, (b) Form/ Struktur und (c) inhaltlicher Bezug herangezogen, die in verschiedenen Kombinationen auftreten und daher eine Vielfalt divergierender Abstractformen zulassen. Vgl. Cleveland/ Cleveland (1983: 107-111), Maizell [et al.] (1979: 47-76) und Rowley (1982: 13-18). 8 Im Gegensatz zu Fremdabstracts werden Autorenabstracts von dem Verfasser des jeweiligen Bezugstextes geschrieben. 9 Neben „Abstract" sind in der deutschsprachigen Literatur nach wie vor „Kurzreferat", „Kurzfassung" und "Zusammenfassung" als weitere Textdeklarationen gebräuchlich, auch wenn sich die englische Bezeichnung langsam durchzusetzen scheint (vgl. Gläser 1990: 118). FLuL 25 (1996) 234 Antje Oldenburg (A 1) "Einordnung in das Forschungsfeld durch allgemein anerkannte Forschungsergebnisse", handelt es sich um knappe Zusammenfassungen bekannter Forschungsergebnisse, die nicht nur die Einordnung der Untersuchung in ein bestimmtes Forschungsfeld erlauben und der Orientierung des Lesers dienen, sondern darüber hinaus als Ausgangspunkt der Arbeit angesehen werden können. The standard formulation for planar problems uses two kernels one of which is logarithmic singular and the other is 1/ r singular, where r is the distance between a source and a field point (JAM 3). In Teiltexten der Subkategorie (A 2) "Darlegung von Kontroversen und Unklarheiten in der Forschung" werden kontroverse Forschungsergebnisse und in der Literatur vertretene Positionen zusammengefaßt und einander gegenübergestellt. Ebenso zu dieser Subkategorie zu zählen sind Teiltexte, in denen auf die Existenz unterschiedlicher Positionen hingewiesen wird, ohne diese weiter zu explizieren. Community colleges are a crucial segment of higher education, enrolling over a third of all college students. Yet great controversy exists over the forces propelling their rise (AJE 29). Die kommunikative Funktion von Teiltexten der Subkategorie (A 3) "Forschungsschwerpunkte und/ oder Forschungslücken in der bisherigen Literatur" besteht ebenso wie bei der Subkategorie (A 2) neben der Einordnung in ein Forschungsfeld auch in der Legitimierung des jeweiligen Aufsatzes. Probleme, die sich aus längerdauernder Arbeitslosigkeit des Vaters oder der Mutter im Hinblick auf die farniliale Lebenswelt der Kinder oder die dort stattfindenden Sozialisationsprozesse möglicherweise ergeben, sind in der pädagogischen Forschung bisher so gut wie nicht untersucht worden (ZP 17). ► (B) Hauptziel/ Hauptuntersuchungsgegenstand der Arbeit Teiltexte dieses Typs beinhalten die Formulierung der Zielsetzung bzw. des Hauptuntersuchungsgegenstandes der Arbeit, wobei sich diese Angaben immer auf den gesamten Aufsatz und nicht auf einzelne Untersuchungsschritte beziehen. Das Ziel des vorliegenden Aufsatzes ist es zu analysieren, wie die Bildungsverläufe von historisch unterschiedlich gelagerten Geburtskohorten durch größere gesellschaftliche Wandlungsprozesse und Strukturbrüche geprägt wurden (ZP 27). ► (C) Darstellung der Untersuchungsergebnisse Teiltexte des Typs (C) zeichnen sich durch eine hohe Variabilität aus. So gibt es zum einen Teiltexte, in denen das wichtigste Forschungsergebnis in einem einzigen Satz komprimiert wird, zum anderen finden sich aber auch sehr detaillierte Angaben zu verschiedenen Ergebnissen und Teilergebnissen, die den größten Teil des entsprechenden Abstracts ausmachen. Ebenso variabel ist auch die Art der Ergebnispräsentation, die von sehr vorsichtigen beinahe hypothetischen - Formulierungen bis hin zu generalisierenden und stark wertenden Darstellungsweisen reicht. FLuL 25 (1996) Abstracts deutscher und englischer wissenschaftlicher Zeitschriftenaufsätze ... 235 At a penetration velocity of about 1.5 km/ s, the 6.0 CRH nose shape exhibited severe, permanent deforrnation; whereas, the 3.0 CRH nose shape remained undeforrned for penetration velocities up to 2.1. km/ s (JAM 2). ► (D) Methoden/ Modelle/ ExperimenteNerfahrensschritte Teiltexte dieses Typs ergeben aufgrund der unterschiedlichen Forschungsbereiche und Untersuchungsgegenstände ein heterogenes Bild. Es lassen sich jedoch tendenziell zwei Subtypen ausmachen, wobei sich allerdings eine Subkategorisierung aufgrund des Auftretens von nicht eindeutig zuordenbaren Teiltexten sowie Mischtypen als unmöglich erwies. Zum einen kann es je nach Forschungsbereich und Untersuchungsgegenstand um die Darstellung der empirischen Arbeiten zugrundeliegenden Methode, der Einordnung des Ansatzes in ein bestimmtes Modell oder die Beschreibung des Experimentaufbaus/ -ablaufs gehen, wobei diese Angaben ggf. durch Begründungen ergänzt sind. Ferner geht es um Ausführungen zur Datenerhebung und zum Datenmaterial sowie um Eigenschaftsbeschreibungen der Untersuchungsgegenstände. Das Meßverfahren wurde erprobt in Hyperschalldüsen, Strahlglocken von Satellitentriebwerken, Überschallfreistrablen verschiedener Gasarten sowie Gasgemischen und Molekularstrahlen hoher Intensität mit und ohne Kondensationseffekten (FI 7). Zum anderen können Teiltexte des Typs (D) die Darstellung aller oder einzelner Schritte bei der Untersuchung bzw. die Präsentation des wesentlichen Inhaltes des Aufsatzes enthalten, ohne daß der Autor dabei auf die bei diesen Untersuchungsschritten erzielten Ergebnisse eingeht. An zwei Beispielen wird der Weg zu Verlustansätzen aufgezeigt, die von Erfabrungszahlen aller Art unabhängig sind. Einer kurzen Beschreibung des Rechenprogramms folgt ein Vergleich zwischen Rechenergebnissen und Meßwerten. Vor dem Hintergrund der begrenzten Aussagefähigkeit eindimensionaler Modelle werden mehrdimensiomµe Modelle diskutiert (FI 20). ► (E) Konsequenzen für Forschung und Praxis Die kommunikative Funktion des Teiltexttyps (E) ist es, den Wert und die Bedeutung der eigenen Arbeit hervorzuheben, sowie die aus den erzielten Ergebnissen resultierenden Implikationen für Forschung und Praxis aufzuzeigen. Dabei kann die Bedeutung der Ergebnisse sowie der Vorteil des eigenen Ansatzes gegenüber früheren sowohl explizit als auch implizit formuliert sein. This new approach not only provides a better explanation of community college expansion but also suggests a new direction for the politics of education (AJE 29). Mit dem vorliegenden Modell lassen sich die untersuchten Abstracts vollständig erfassen, d.h. jeder Teiltext konnte einem der Typen (A) - (E) zugeordnet werden, so daß sich die kommunikative Funktion der Teiltexte in den deutschen und engli- FLuL 25 (1996) 236 Antje Oldenburg sehen Abstracts der Kommunikationsbereiche Maschinenbau und Pädagogik als sprach- und fachübergreifend erweist. Ob und inwieweit inter- oder intralinguale Differenzen in der Abfolge, Kombination und Auswahl der realisierten Teiltexttypen bestehen, wird im folgenden Abschnitt untersucht. 2.3 Die Textbaupläne im inter- und intralingualen Vergleich Bei der Analyse der deutsch- und englischsprachigen Abstracts der Kommunikationsbereiche Maschinenbau und Pädagogik wurden die folgenden Textbaupläne ermittelt (runde Klammem stehen für Absatzgrenzen): Forschung Journal of Applied Zeitschrift für American Journal im Ingenieurwesen Mechanics Pädagogik of Education Textbauplan Anzahl Textbauplan Anzahl Textbauplan Anzahl Textbauplan Anzahl (A 1 B) 1 (A 1 B CD E) 1 (A 1 B CE) 1 (A 1 B) 1 (A 1) (B) 1 (A 2 B) 1 (A 1 C) (E) 1 (A 1 BE) 2 (A 1 B C) 1 (B A 1 C ED) 1 (A3 B) 1 (A 2 B CE) 1 (A 1 B D) 1 (B A 1 D C) 1 (A3 BE) 1 (Az C) 1 (A 1 B D C) 1 (B C) 2 (A3 C) 2 (A 2 CD E) 1 (A 1 D C) 2 (B CD) 2 (A3 CE) 1 (A3 B D) 1 (A 2 B) 1 (BCDC) 1 (A3 D) 1 (A3 CE) 1 (B C) 2 (B CD E) 1 (B) 1 (B C) 2 (B D) 4 (B CE) 1 (B C) 1 (B CD) 1 (B D C) 1 (B D) 4 (B CD) 4 (B CDC) 1 (B D) (C) (C) 1 (B D C) 2 (B D) 3 (B CE) 4 (BDE) 1 (B D CD) 1 (B D C) 1 (B D) 1 (C) 2 (BDE) 2 (B D) (C) 1 (B D C) 2 (CD) 2 (CD) 1 (B) (D) (C) 1 (C) 1 (CE) 1 (CE) 1 (B D CE) 1 (CD E) 1 (D) 2 (D) (C) 1 (CD CD) 1 (CE) 1 (D C) 1 (DCD) 1 (CE) 1 (D C) 2 (DE C B) 1 (D C) 1 (D CE) 1 (DCD) 1 Tab. 1: Textbaupläne im Überblick FLuL 25 (1996) Abstracts deutscher und englischer wissenschaftlicher Zeitschriftenaufsätze ... 237 Betrachtet man zunächst das Verhältnis zwischen typographischen und konzeptuellen Absätzen 10, so zeigt sich, daß von der Möglichkeit der Absatzbildung nur in sechs Abstracts Gebrauch gemacht wird. Autorenreferate wissenschaftlicher Zeitschriftenaufsätze präsentieren sich demnach als ein Textganzes, dessen Textmakrostruktur in der Regel nicht durch das außersprachliche Gliederungssignal des typographischen Absatzes sichtbar gemacht wird. 11 Dieses dürfte vor allem auf die Kürze der Abstracts und ihrer Teiltexte und eventuell auch auf Textsortenkonventionen zurückzuführen sein. So bedürfen Texte, deren Teiltexte aus wenigen Sätzen bestehen, keiner typographischen Mittel zur Verbesserung der Lesbarkeit und Übersichtlichkeit. Im Hinblick auf die Variabilität der Diskursmuster bieten die Abstracts des Untersuchungskorpus ein recht einheitliches Bild. Unter funktional-kommunikativen Gesichtspunkten, d.h. ohne Berücksichtigung der Absatzgliederung, werden in Forschung im Ingenieurwesen 16, im Journal of Applied Mechanics 18, in der Zeitschrift fiir Pädagogik 17 und im American Journal of Education 18 verschiedene Textbaupläne realisiert. Von diesen Diskursmustem sind die Textbaupläne (B C), (B D), (B D C), (C E) und (D C) sprach- und fachübergreifend, d.h. sie kommen in beiden Sprachen und Fächern vor. Hierzu gehört auch das im Untersuchungskorpus frequenteste Diskursmuster (B D), das in insgesamt zwölf Abstracts realisiert wird, sowie die Textbaupläne (B C) und (B D C), die mit sieben bzw. sechs Realisierungen ebenfalls zu den häufigeren Diskursmustem zählen. Außerdem handelt es sich bezeichnenderweise um Diskursmuster, die aus zwei oder drei Teiltexten bestehen. Da von den 100 untersuchten Abstracts 41 zwei und 38 drei Teiltexte aufweisen, spielen aus einem Teiltext oder aus vier bzw. fünf Teiltexten bestehende Abstracts nur eine untergeordnete Rolle. 12 Dieses dürfte zum einen darauf zurückzuführen sein, daß ein wesentliches Merkmal von Abstracts ihre Kürze ist und sie darüber hinaus nur über die wichtigsten Aspekte des Bezugstextes informieren sollen. Folglich sind nicht nur Abstracts, in denen alle fünf Teiltexttypen realisiert werden, selten, sondern auch solche, in denen ein Teiltext desselben Typs zweimal vorkommt. 13 Zum anderen dürfte der weitgehende Verzicht auf aus 10 Die Unterscheidung zwischen „typographischer" und „konzeptueller" Absatz geht auf Trimble (1985: 15 t) zurück, der unter "physical paragraphs" typographisch abgesetzte Textteile und unter "conceptual paragraphs" inhaltlich-funktionale Einheiten, also Teiltexte und Teiltextsegmente, versteht. 11 So werden Absätze auch im Untersuchungskorpus Flucks (1988: 81) nur „spärlich" verwendet. 12 So bestehen 6 Abstracts aus einem Teiltext; in 13 Abstracts werden vier und in 2 fünf Teiltexte realisiert. 13 Vgl. die Textbaupläne (B D) (C) (C), (B CDC), (B D CD), (D CD) und (CD CD). FLuL 25 (1996) 238 Antje Oldenburg einem Teiltext bestehende Abstracts damit zusammenhängen, daß eine derartige Textstruktur den Informationsgehalt und die Verständlichkeit erheblich reduziert. 14 Weitere Gemeinsamkeiten in der Kommunikationsstruktur der Autorenreferate ergeben sich aus der Häufigkeit der Teiltexte der fünf Typen an der Gesamtmenge aller Teiltexte. FI ZP JAM AJE TT A 8 (14,3%) 8(12,1%) 4 ( 5,4%) 8 (11,8%) TT A 1 7 (12,5%) 2 ( 3,0%) 3 ( 4,1%) 3 ( 4,4%) TT A 2 1 ( 1,8%) - 1 ( 1,4%) 3 ( 4,4%) TT A 3 - 6(9,1%) - 2 ( 2,9%) TTB 15 (26,8%) 16 (24,2%) 21 (28,4%) 16 (23,5%) TTC 15 (26,8%) 19 (28,8%) 19 (25,7%) 21 (30,9%) TTD 16 (28,8%) 17 (25,8%) 22 (29,7%) 11 (16,2%) TTE 2 ( 3,6%) 6(9,1%) 8 (10,8%) 12 (17,6%) TT 66 (100%) 56 (100%) 74 (100%) 68 (100%) Tab. 2: Häufigkeit von Teiltexten der Typen (A) - (E) In Forschung im Ingenieurwesen, der Zeitschrift für Pädagogik und dem Journal of Applied Mechanics dominieren Teiltexte der Typen (B), (C) und (D), und auch im American Journal of Education gehören Teiltexte dieser Typen neben denen des Typs (E) zu den am häufigsten realisierten Teiltexten. Die Dominanz dieser Typen äußert sich nicht nur in ihrer hohen Häufigkeit, sondern ist auch an den Textbauplänen ablesbar: In jeweils 15 (60%) Abstracts aus Forschung im Ingenieurwesen, der Zeitschrift für Pädagogik und dem Journal of Applied Mechanics und in 10 (40%) Abstracts aus dem American Journal of Education werden ausschließlich Teiltexte des Typs (B), (C) und/ oder (D) realisiert. 2.3.1 Invariante Merkmale Die untersuchten Abstracts weisen die folgenden invarianten, d.h. von der Sprache und dem Fach unabhängigen sowie rekurrenten Kompositionsprinzipien auf: 14 Dieses sind auch die Gründe dafür, daß Abstracts, die lediglich aus einem Teiltext des Typs (A) bzw. einer seiner Subkategorien oder einem des Typs (E) bestehen, im gesamten Korpus nicht auftreten. FLuL 25 (1996) Abstracts deutscher und englischer wissenschaftlicher Zeitschriftenaufsätze ... 239 - Der Teiltexttyp (A) mit seinen Subkategorien (A 1), (A2) und (A3) wird grundsätzlich am Anfang und der Teiltexttyp (E) am Ende eines Textbauplans realisiert. Ein Teiltext des Typs (A) bzw. (E) tritt niemals allein, sondern nur in Verbindung mit mindestens einem weiteren Teiltext eines anderen Typs auf, wobei die Kombination (A E) ausgeschlossen ist. - Die Position von Teiltexten des Typs (B) hängt davon ab, ob in dem jeweiligen Textbauplan ein Teiltext des Typs (A) bzw. einer seiner Subkategorien vorkommt oder nicht, da Teiltexte des ersten Typs prinzipiell hinter denen des zweiten Typs stehen. 15 - Teiltexte der Typen (C) und (D) unterliegen, sieht man einmal davon ab, daß sie nur hinter Teiltexten der Typen (A) und (B) und vor Teiltexten des Typs (E) auftreten können, keinen positionellen und kombinatorischen Restriktionen. Ihre Abfolge ist nicht nur innerhalb von Textbauplänen, d.h. bei gleichzeitiger Realisierung eines Teiltextes des Typs (A), (B) und/ oder (E), variabel, sondern auch dann, wenn sie die beiden einzigen Teiltexte eines Textbauplans darstellen. Außerdem handelt es sich bei ihnen um diejenigen Teiltexttypen, die sowohl als einzige inhaltlich-funktionale Einheit eines Abstracts fungieren als auch mehr als einmal in demselben Textbauplan realisiert werden können. - Da keiner der fünf Teiltexttypen in sämtlichen Abstracts realisiert wird, können alle Teiltexttypen als fakultativ bezeichnet werden, d.h. es gibt keinen obligatorischen Bestandteil der inhaltlich-funktionalen Struktur von Abstracts. Aus der Position der einzelnen Teiltexttypen ergeben sich zwei Kommunikationsstrukturen, (AB CD E) und (AB D CE), die unter Vernachlässigung der Subkategorisierung des Typs (A) als die beiden grundlegenden inhaltlich-funktionalen Textstrukturen von Abstracts bezeichnet werden können. Die Abfolge der Teiltexte der fünf Typen in diesen beiden Basisstrukturen ist auch dann invariant, wenn in einem Abstract bestimmte Teiltexttypen, wie z.B. in den Diskursmustern (B D C) und (B C D) die Teiltexttypen (A) und (E), nicht realisiert werden. 2.3.2 Inter- und intralinguale Divergenzen Die Unterschiede in den Kommunikationsstrukturen der deutschen und englischen Abstracts im inter- und intralingualen Vergleich liegen nicht in der Abfolge, sondern der Auswahl der realisierten Teiltexttypen (vgl. Tab. 2). So treten beispielsweise Teiltexte des Typs (E) im Journal of Applied Mechanics in acht, in Forschung im Ingenieurwesen hingegen in nur zwei Abstracts auf. Interessanterweise zeichnet sich ein ähnlicher interlingualer Unterschied auch im Kommunikationsbereich Pädagogik ab. Hier werden Teiltexte des Typs (E) im American Journal of Education in zwölf und in der Zeitschrift für Pädagogik in sechs Abstracts realisiert. Es liegt daher die Vermutung nahe, daß den Implikationen in den amerikanischen Abstracts generell, also unabhängig vom Fach, ein höherer Stellenwert beigemessen wird als in den deutschen. Im intralingualen Vergleich scheint sich 15 Die Textbaupläne (B A 1 C E D), (B A 1 D C) und (D E C B) aus dem Journal of Applied Mechanics sind als strukturell abweichend anzusehen, da die Anordnung und Position der Teiltexttypen (A) in Anfangsposition, (B) in Anfangs- oder Zweitposition und (E) in Endstellung in allen anderen Abstracts invariant ist (vgl. hierzu ausführlich A. Oldenburg (1990: 90--91). FLuL 25 (1996) 240 Antje Oldenburg anzudeuten, daß Teiltexte des Typs (E) in beiden Sprachen im Kommunikationsbereich Pädagogik häufiger realisiert werden als im Maschinenbau. Aufgrund der invarianten Position von Teiltexten des Typs (E) ergeben sich hieraus Konsequenzen für die Endstrukturen der Abstracts. So schließen im American Journal of Education 12 der 25 Abstracts mit einem Teiltext des Typs (E) ab; in der Zeitschrift für Pädagogik sind es hingegen nur sechs. Dafür enden hier immerhin zehn Abstracts auf einen Teiltext des Typs (D). Entsprechendes gilt auch für Teiltexte des Typs (A), die grundsätzlich die erste Position im Textbauplan einnehmen. So beginnen etwa in Forschung im Ingenieurwesen acht und im Journal of Applied Mechanics nur zwei Abstracts mit einem Teiltext des Typs (A); hier dominieren eindeutig Teiltexte des Typs (B), die die Textbaupläne von 18 Abstracts einleiten. Neben Teiltexten der Typen (A) und (E) ergeben sich aber auch hinsichtlich der Auftretenshäufigkeit anderer Typen inter- und intralinguale Divergenzen. Auch hierzu abschließend noch ein Beispiel: Im Journal of Applied Mechanics werden 22 und im American Journal of Education nur 11 Teiltexte des Typs (D) "Methoden/ Modelle/ ExperimenteNerfahrensschritte" realisiert. Dieser intralinguale Unterschied kann dahingehend interpretiert werden, daß im Fach Maschinenbau die Untersuchungsmethode einen zentralen Punkt der Forschungstätigkeit darstellt und daher in einen Großteil der Kurzreferate aufgenommen wird. Demgegenüber scheint im Kommunikationsbereich Pädagogik der Methodik keine allzu große Bedeutung beigemessen zu werden. 3. Überlegungen zur inhaltlich-funktionalen Textstruktur von Abstracts Wie im vorangegangenen gezeigt wurde, ist die Abfolge der Teiltexttypen in den deutsch- und englischsprachigen Abstracts aufgrund invarianter Kompositionsprinzipien weitgehend festgelegt, während die allgemeine Variabilität in der Anzahl der Teiltexte und der Auswahl der realisierten Teiltexttypen zu inter- und intralingualen Divergenzen führt. Damit stellt sich die Frage, welche Faktoren die Abfolge der inhaltlich-funktionalen Einheiten von Abstracts determinieren und worauf die Existenz fach- und sprachspezifischer Merkmale zurückzuführen ist. Betrachtet man die inhaltlich-funktionale Bestimmung der fünf Teiltexttypen, so liegt die Vermutung nahe, daß ihre Anordnung in den Textbauplänen weitgehend dem Verlauf des Forschungsprozesses entspricht. Teiltexte des Typs (A) "globale Charakterisierung des Forschungsfeldes und/ oder der Forschungssituation" bzw. seiner Subkategorien stehen am Beginn eines Diskursmusters, weil es in ihnen um den ersten Schritt des Forschungsprozesses, die Eingrenzung des Forschungsfeldes sowie das Sichten und Auswerten der Literatur, geht. Erst wenn die Forschungsergebnisse, Forschungslücken und -schwerpunkte innerhalb eines bestimmten Forschungsfeldes bekannt sind, können Untersuchungsgegenstand und Untersuchungsziel klar abgegrenzt und formuliert werden, so daß sich für die Textstruktur der Abstracts die Folge (AB) ergibt. Während im Forschungsprozeß die Methodenwahl FLuL 25 (1996) Abstracts deutscher und englischer wissenschaftlicher Zeitschriftenaufsätze ... 241 vor der Durchführung der eigentlichen Untersuchung steht, läßt sich für die Teiltexte des Typs (D) "Methoden/ Modelle/ ExperimenteNerfahrensschritte" und des Typs (C) "Darstellung der Untersuchungsergebnisse" keine einheitliche Abfolge festmachen, so daß in diesem Punkt keine grundsätzliche Übereinstimmung zwischen der textstrukturellen Gliederung von Abstracts und dem Verlauf des Forschungsprozesses besteht. 16 Dieses trifft jedoch wieder auf den das Ende der Diskursmuster konstituierenden Teiltexttyp (E) "Konsequenzen für Forschung und Praxis" zu, in dem die aus den erzielten Ergebnissen resultierenden Implikationen referiert werden. Die logische Folge der Untersuchungsschritte wirkt sich jedoch nicht nur auf die Kommunikationsstruktur von Abstracts aus, sondern wird auch in der Textmakrostruktur des Ausgangstextes, dem „wissenschaftlichen Zeitschriftenaufsatz", widergespiegelt. Da der Forschungsprozeß wiederum von der Gegenstandsstruktur abhängt, ist hier mit fachspezifischen Merkmalen zu rechnen; so zeichnen sich z.B. wissenschaftliche Zeitschriftenaufsätze experimenteller Wissenschaften wie der Chemie durch die Textmakrostruktur 'Einleitung', 'Experiment' oder 'Methode', 'Ergebnisse' und 'Diskussion' (vgl. Buxton/ Meadows 1978: 163) aus, während ein eigener Teiltext 'Experiment/ Methode' für andere Kommunikationsbereiche, wie z.B. die Philosophie, eher untypisch sein dürfte.17 Insgesamt betrachtet sind diese Unterschiede jedoch relativ gering, da bestimmte Teiltexte, wie etwa 'Einleitung', 'Diskussion' und 'Schlußfolgerungen', aufgrund des allgemeinen logischen Verlaufs des Forschungsprozesses grundsätzlich dieselbe Stellung in der Textmakrostruktur einnehmen. Aufgrund der allgemeingültigen Methoden wissenschaftlicher Tätigkeit und des Einflusses des Forschungsgegenstandes auf die Textmakrostruktur ist hingegen mit sprachspezifischen Prinzipien der Textorganisation erst unterhalb der Teiltextebene zu rechnen. Auch wenn umfangreiche empirische Untersuchungen zum Verhältnis von Abstract und Bezugstext bislang weitgehend fehlen 18, können aufgrund der obigen Ausführungen und des textsortenspezifischen Merkmals von Kurzreferaten, der abgeleiteten Form, Abstracts als Metatexte beschrieben werden, die die Textstruktur ihres Bezugstextes selektiv abbilden, d.h., ihre inhaltlich-funktionale Struktur folgt der Textmakrostruktur des Bezugstextes, wobei im Referierprozeß nicht allein den jeweiligen Teiltexten nur die wichtigsten Aspekte entnommen werden, sondern 16 Das Auftreten von Teiltexten des Typs (D) hinter Teiltexten des Typs (C) läßt sich zum Teil damit erklären, daß es in den betreffenden Teiltexten nicht allein um die Darstellung der Forschungsmethode, des Experimentautbaus u.ä. geht, sondern auch auf einzelne inhaltliche Aspekte des Aufsatzes hingewiesen wird. 17 Ähnliche Differenzen ergeben sich natürlich auch innerhalb eines Faches, so z.B. zwischen Literaturarbeiten auf der einen und empirischen/ experimentellen Untersuchungen auf der anderen Seite. 18 Einen ersten Schritt in diese Richtung machen Buxton/ Meadows (1978) und Preiss (1983). FLuL 25 (1996) 242 Antje Oldenburg darüber hinaus auch ganze Teiltexte ausgelassen werden können (vgl. hierzu auch Gläser 1990: 125). Für die Frage nach den Ursachen der ermittelten inter- und intralingualen Unterschiede ergeben sich prinzipiell zwei verschiedene Erklärungsmöglichkeiten: Entweder bilden Abstracts inter- und intralinguale Differenzen in der Textorganisation des Ausgangstextes ab, oder sie sind von diesen unabhängig. Geht man beispielsweise davon aus, daß es sich bei der höheren Frequenz von Teiltexten der Typen (E) in den englischsprachigen Abstracts um eine Folge interlingualer Divergenzen in der Textorganisation der Bezugstexte handelt, so müßten in den Zeitschriftenaufsätzen aus dem Journal of Applied Mechanics und dem American Journal of Education mehr diesem Teiltexttyp vergleichbare Teiltexte oder Teiltextsegmente vorhanden sein als in Forschung im Ingenieunvesen und der Zeitschrift für Pädagogik. Würden die Schlußfolgerungen hingegen in sämtlichen Ausgangstexten eine vergleichbare Rolle spielen, so wären die interlingualen Divergenzen in der Auftretenshäufigkeit von Teiltexten des Typs (E) von dem Bezugstext unabhängig. Hierfür spricht die Beobachtung, daß Teiltextsegmente des Typs "(E) Implikationen, Einschätzung und Wert der eigenen Forschungsergebnisse" in den Zusammenfassungen aus Forschung im Ingenieunvesen eine etwas höhere Auftretenshäufigkeit haben als im Journal of Applied Mechanics (H. Oldenburg 1992: 151); doch kann eine gesicherte Antwort auf die Frage nach den Ursachen der inter- und intralingualen Unterschiede in der inhaltlich-funktionalen Textstruktur von Abstracts letztlich nur auf der Grundlage von Ganztextanalysen der Bezugstexte gegeben werden. Bibliographische Angaben AMERICAN NATIONAL STANDARD INSTITUTE (1979): American national standards for writing abstracts. New York, ANSI Z.39.14. 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In den Kontext der allgemeinen Bemerkungen zum Buch gehört auch, daß es wenig sinnvoll erscheint, penibel nach etwaigen Lücken in den Darstellungen zu suchen oder Desiderate der Gesamtanlage einzuklagen. Das Buch ist als Großprojekt über einen Zeitraum von fünf Jahren entstanden; da kann der letztlich publizierte Stand nicht die Bemühungen der gesamten Dauer der Entstehung widerspiegeln. Die Herausgeber beklagen übrigens selbst, sehr zu recht, die Abwesenheit von Beiträgen aus dem Bereich der Phonetik/ Phonologie, was daran liegen mag, daß die relevanten Forschungsbeiträge zur interpretativen Phonologie, zur Sprachvariation und zur Diskursprosodie in anderen Publikationskontexten anzutreffen sind. Ganz eilige Leser/ -innen werden das Buch über den Stichwortkatalog konsultieren und dabei feststellen, daß alle Beiträge viel für die Definition von grundlegenden Konzepten und Begriffen unternehmen, so daß das Handbuch tatsächlich auch als Nachschlagewerk in der Bibliothek nicht fehlen sollte. Jedoch sei auch den Eiligen die Lektüre der Einleitung empfohlen, denn dort werden die einzelnen Beiträge knapp vorgestellt, das Gesamtkonzept erläutert und einige theoretische Überlegungen zum kleinsten gemeinsamen Nenner aller Beiträge angestellt, nämlich zum Gegenstand 'Dialog'. Wir werden darauf noch zurückkommen. Die Herausgeber haben sich für eine unprätentiöse Struktur des Handbuches entschieden: anstatt eine sicherlich höchst problematische Systematisierung des gesamten Forschungsbereiches vorzunehmen (wie es beispielsweise das Soziolinguistik-Handbuch versucht), werden lediglich drei Großkapitel mit jeweils mehreren Beiträgen in motivierten Reihenfolgen angeboten. Da die Beiträge nicht einzeln kommentiert werden sollen, seien sie hier wenigstens zur Kenntnis gegeben: Konzepte der Dialoganalyse: Ethnomethodologische Konversationsanlyse (Bergmann), Gesprochene Sprache (Schwitalla), Soziolinguistik (Löffler), britische Diskursanalyse (Lörscher/ Schulze), das Genfer Modell (Moeschler), Sprechakttheorie (Hindelang), Praktische Semantik (Gloning), Formale Dialogspieltheorien (Fritz); Theorie und Methodologie der Dialoganalyse: Verstehen und Beschreiben (Biere), Dialogorganisation (Fritz), Typologie (Hundsnurscher), Frage-Antwort (Bucher), Semantik (Gloning), Grammatik (Strecker), Prosodie (Sappok), Institutionen (Rolf), Beziehungsgestaltung (Adarnzik); Anwendungsbereiche der Dialoganalyse: Erstpracherwerb (Meng), Sprachstörungen (Pulvermüller), Sprachunterricht (Weigand), Psychotherapie (Hindelang), Gesprächstraining (Weigand), Medienkommunikation (Bucher), Verständlichkeit (Schäflein-Armbruster), literarische Dialoge (Betten), Geschichte von Dialogformen (Fritz). Gleich, wo man den Band aufschlägt, immer begegnen anregende, instruktive und informative Beiträge; alle bemühen sich um eine übersichtliche Darstellung des jeweiligen Forschungsaspekts, sie sind gut strukturiert und mit Verweisen auf die wesentlichen Forschungsgegenstände ausge- FLuL 25 (1996) 246 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel stattet. Dabei geht es mit unterschiedlicher Ausschließlichkeit nur um Dialogisches, häufig werden auch grundlegendere Bereiche mit dargestellt. Diejenigen Beiträge, die sich deutlich nur einem bestimmten Forschungskontext verpflichtet sehen, stellen dies ausdrücklich dar und demonstrieren dies auch in der Bibliographie. So werden alle denkbaren Mißverständnisse vermieden. Leser/ -innen mit Muße, die alle Beiträge konsultieren, werden vor allem von der großen Vielfalt der Gegenstände, Methoden und theoretischen Konzepte beeindruckt sein. Das Spektrum reicht von soziologischer Konversationsanalyse bis zur Argumentationstheorie, von theoriegeleiteten Analysen von Gesprächsdaten über Typologien auf der Grundlage externer Kategorien bis zu Propositionsanalysen und dialoglogischen Untersuchungen, von handlungstheoretischen bis zu sprachsystematischen Gegenstandsbestimmungen. Bei aller Unterschiedlichkeit der Beiträge aber ist den meisten gemeinsam der Versuch der Typologisierung und Kategorisierung auf der Grundlage der Suche nach kohärenzstiftenden, mit Mitteln der linguistischen Analyse beschreibbaren Phänomenen im jeweiligen Gegenstandsbereich, die Suche nach Regularitäten, Generalisierbarkeit und Vorhersagbarkeit von Gesprächsverläufen, die Grundorientierung an Konzepten einer (meist pragmatischen) Handlungstheorie, schließlich die (bei der Titelwahl manchmal ein wenig erzwungen wirkende) Verpflichtung auf den Gegenstand 'Dialog'. Naturgemäß ist mit dem, was oben der kleinste gemeinsame Nenner genannt wurde, ein kritischer Punkt der gesamten Konzeption des Handbuchs angesprochen, den die Herausgeber mit entsprechenden Bemerkungen in der Einleitung antizipieren: „Der Prototyp des Dialogs ist für die meisten gegenwärtigen Forschungsrichtungen die spontane mündliche Wechselrede zwischen zwei Personen face-to-face. [... Es werden] aus guten theoretischen Gründen für die Konstitution des Gegenstandes Dialog zunächst einmal keine Grenzen gezogen zwischen formellen und informellen Gesprächstypen oder unterschiedlichen Funktionstypen. [... Es] empfiehlt sich keine zu restriktive Auffassung von Dialoganalyse. Für den weiteren Gegenstandsbereich könnte man den Ausdruck Kommunikationsanalyse reservieren, vergleichbar der Verwendung des Ausdrucks discourse analysis in Teilen der angelsächsischen Forschung" (XIII-XIV). 1 Diese Offenheit erlaubt es, Beiträge aus sehr weit voneinander entfernten Wissenschaftkontexten in einem Band zu vereinen. Das ist dann unproblematisch, wenn Dialog lediglich als vorwissenschaftliches Oberflächenphänomen verstanden werden soll, dem man sich mit einer Vielzahl heterogener Theorieansätze und Methoden zuwenden kann. Wenn jedoch wie im vorliegenden Falle mit der Gegenstandsbestimmung auf der Oberfläche gleichzeitig ein ,junges wissenschaftliches Forschungsfeld mit vielfältigen Traditionslinien" (XIV) konstituiert werden soll, dann wird die Heterogeneität entweder zum Programm (und damit wissenschaftstheoretisch unbefriedigend), oder sie muß sich den Vorwurf gefallen lassen, aus anderen als wissenschaftlichen Gründen eine möglichst große Menge von Forschungsbereichen, die sich der Analyse von spontansprachlichen Diskursdaten widmen, unter ein gemeinsames Dach subsumieren zu wollen. Es sei erlaubt darauf hinzuweisen, daß Sprechakttheorie und Konversationsanalyse im Hinblick auf die Gegenstandskonstitution von anderer Statur sind: In der Konversationsanalyse ist in den letzten Jahren eine deutliche Tendenz zur theoriegeleiteten Gegenstandsbestimmung zu verzeichnen. Jenseits der gelegentlich als theorielos oder positivistisch mißverstandenen "Mentalität" ethnomethodologischer Analysen gibt es zunehmend Versuche, die Beschreibungsinstrumente (z.B. turn, Indexikalität, Präferenzstruktur) theoretisch zu fundieren und zu systematisieren. So wird der Gegenstand „Organisation des sozialen Austau- Die beiden für das Buch zentralen Beiträge von G. Fritz zur Dialogorganisation und von F. Hundsnurscher zur Typologie belegen diese Ausführungen eindrucksvoll. FLuL 25 (1996) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 247 sches" (Interaktion) als ein soziales System verstanden und nicht als der Austausch zwischen den kognitiven Systemen der an der Interaktion beteiligten Individuen. 2 Sprechakttheorie ist insofern konsequent, als sie ihren Gegenstand handlungstheoretisch fundiert (ein handelndes Subjekt, eine adressatengerichtete Tätigkeit) und formal identifizierbar macht (formale Eigenschaften verschiedener Aspekte des Handlungsaktes). Neuere Ansätze, wie sie z.B. von Vanderveken, Moeschler, Brassac und Trognon (in den Cahiers de Linguistique Franraise 13, 1992) unter Rekurs auf Verkettungsprozeduren und Verknüpfungslogik vertreten werden, behalten die definitorischen Grundbedingungen bei. Die theoretisch radikalste Position beziehen dabei Reboul und Moeschler (in den Cahiers de Linguistique Franraise 17, 1995, die mit dem Band 16 zusammen die Akten eines Genfer Kolloquiums zum Thema Dialog publizieren, bei dem es sich um ein ähnliches Übersichtsprojekt handelt wie im Handbuch); der Titel ihres Beitrages ist das Argumentationsprogramm des gesamten Artikels: "Le dialogue n'est pas une categorie naturelle scientifiquement pertinente". Dieser Diskussion muß sich die sog. Dialoganalyse erst noch stellen. Bielefeld Ulrich Dausendschön-Gay Langenscheidts Handwörterbuch Französisch. Teil I: Französisch-Deutsch. Völlige Neubearbeitung 1995. Teil II: Deutsch-Französisch. Völlige Neubearbeitung 1995. Berlin [usw.]: Langenscheidt 1995, 1600 (779+817) Seiten [DM 82,-]. 1. Der Französisch-Deutsche Teil 1979 erschien der Sachs-Villatte (Langenscheidts Großwörterbuch Französisch-Deutsch) in einer völligen Neubearbeitung. Dies war bis heute das einzige französisch-deutsche Wörterbuch, das man uneingeschränkt empfehlen konnte. Es war schon fast ein Skandal, daß das Handwörterbuch (und das Große Schulwörterbuch) von Langenscheidt, das letztlich von 1963 stammte, einen vom Sachs-Villatte völlig unabhängigen Text hatte, der durch zahlreiche methodische und sprachliche Unzulänglichkeiten auffiel. 16 Jahre nach Erscheinen des Sachs-Villatte ist dieses Skandalon beseitigt. Das Handwörterbuch hat nun mit der Qualität des Sachs-Villatte gleichgezogen, wenn auch selbstverständlich auf niederem Niveau. Die vier Autoren des Handwörterbuchs gehörten denn auch alle schon zum Redaktionsteam des großen Bruders. Damals war vor allem der Petit Robert 1967 übersetzt worden, jetzt hat der Petit Robert 1977 Pate gestanden. Leider konnte der Petit Robert 1993 nicht mehr systematisch mit einbezogen werden. An Modernität und Aktualität ist also das Handwörterbuch dem Sachs-Villatte überlegen. An Zuverlässigkeit ist es gleich. An Vollständigkeit ist es notwendig unterlegen. Auf 750 Seiten Handbuchformat kann man eben nicht alles Wünschenswerte aufnehmen. Hauptsache, das Zentrum des Wortschatzes ist angemessen dargestellt. Und das ist es. In der Nachfolge des Sachs-Villatte wurde nämlich das Handwörterbuch vom Ballast des Fachwortschatzes befreit, der ja doch nur lückenhaft aufgenommen werden kann und der im Moment der Publikation (und erst recht fünf Jahre später) bereits rettungslos veraltet ist. Früher war das Handwörterbuch voller Wörter, die in den einsprachigen französischen Wörterbüchern fehlten. Dem falschen Ehrgeiz der Verbindung von Gemeinsprache und Fachsprache der letztlich auf das späte 18. Jahrhundert zurückging und ein Erbe der Aufklärung war abge- 2 Siehe dazu Hausendorf: "Das Gespräch als selbstreferentielles System". In: Zeitschriftfiir Soziologie 21 (1992), 83-95. FLuL 25 (1996) 248 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel schworen zu haben, ist ein nicht geringes Verdienst. Es gibt übrigens noch einen Punkt, in dem das Handwörterbuch dem Sachs-Villatte überlegen ist, die typographische Gestaltung. Die beste Mikrostruktur taugt nämlich nichts, wenn sie nicht typographisch unterstützt wird. Und andererseits kann eine gute Typographie auch schwache Mikrostrukturen retten. Letztlich ist entscheidend, wie schnell man den Artikel überfliegen kann (da sich die Benutzer selbst in die raffiniertesten Strukturen nicht einarbeiten wollen). Da ist die neue Typographie ein Riesenschritt nach vorn. Warum? Weil sie jede übersetzte französische Mehrworteinheit als Sublemma behandelt. Das macht etwa 150 pro Seite und insgesamt rund 110 000 Bearbeitungseinheiten. Hier liegt der harte Kern der Bidirektionalität, denn die Übersetzung von Kontexten ist für den herübersetzenden wie für den hinübersetzenden Benutzer von Gewinn, was man von kumulativ aufgelisteten Äquivalenten nicht sagen könnte. Zu den übersetzten Kontexten kommen hinzu die zahlreichen glossierten Äquivalenzen des Typs « pauvre nourriture ohne großen Nährwert». Es gehört zu den besonderen Stärken des Wörterbuchs, daß man so weit wie möglich die Glossierung über den Kollokationspartner praktiziert (und nicht über das Synonym). Da aber dieser Partner in der Ausgangssprache des Hinübersetzers formuliert ist, bleibt letzterem immer noch übrig, die Zielkollokation selbst zu formulieren, was schon ein Abstrich am Prinzip der Bidirektionalität bedeutet. Und erst recht ist die Kumulation der Äquivalente wie etwa« baroque (excentrique) barock; wunderlich; verschroben; verstiegen » für den Hinübersetzer eine geringe Hilfe, auch wenn der was das Vorwort nicht sagtim deutsch-französischen Teil alle Äquivalente nachschlägt. Wenn Le Monde den Politiker Lafontaine als baroque qualifiziert, wie wird der Hinübersetzer das mit Hilfe des Handwörterbuchs übersetzen? Da hilft nur die Übersetzung von Kontexten, für die im vorliegenden Fall kein Platz ist. Das vom Verlag beanspruchte Epitheton bidirektional darf deshalb nicht zu streng gemessen werden. Es ist zu lesen als: "so weit wie im Rahmen eines Handwörterbuchs möglich bidirektional". Unter den annexierten Informationen ist die Tafel zur französischen Silbentrennung besonders begrüßenswert (S. 779). 2. Der deutsch-französische Teil Auch der deutsch-französische Teil ist eine Bearbeitung des Sachs-Villatte, mit dem Unterschied, daß das 1968 von W. Gottschalk und G. Bentot herausgegebene Großwörterbuch nicht nur 27 Jahre alt ist sondern sogar in den sechziger Jahren nicht 'up to date' sein konnte, weil damals aktuelle einsprachige Wörterbücher fehlten. Der Bearbeitungsaufwand mußte im deutsch-französischen Teil entsprechend höher sein. Das Ergebnis ist auch hier Langenscheidt würdig. Endlich ein zuverlässiges Handwörterbuch deutsch-französisch, weil offenbar zureichend frankophone Bearbeiter/ -innen eingespannt wurden. Auffällig ist, daß der Vorwortpassus des französischdeutschen Teils über die Bidirektionalität im deutsch-französischen Teil fehlt. Das ist insofern schade, als dort darauf hingewiesen wurde, daß der französisch-deutsche Teil, der ja für den deutschen Benutzer vor allem herübersetzende Funktion hat, zusätzlich und sekundär auch wichtige sprachproduktions- und hinübersetzende Funktionen erfüllen kann, weil der deutsche Benutzer in diesem Teil reichlich Synonyme und vor allem Kollokationen des Französischen findet. Das Gleiche gilt ja umgekehrt auch für den deutsch-französischen Teil in der Hand des französischen Benutzers. Auf diese beiden sekundären Funktionen sollte aber nicht nur im Vorwort des entsprechenden Wörterbuchteils hingewiesen werden, sondern vor allem auch in den Teilen, die als primäre Funktion die Hinübersetzung haben, nämlich im französisch-deutschen Teil für den frankophonen Benutzer und im deutsch-französischen Teil für den germanophonen Benutzer. Von den vier systematischen Hinweisen wird also nur einer gegeben: FLuL 25 (1996) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 249 FRANZÖSISCH-DEUTSCH für Deutsche DEUTSCH-FRANZ0SISCH für Deutsche primär rezeptiv primär produktiv ~--------------------------------------- ---------------------sekundär produktiv Hinweis auf sekundär produktive Funktion Hinweis vorhanden von Französisch-Deutsch fehlt FRANZÖSISCH-DEUTSCH für Franzosen DEUTSCH-FRANZÖSISCH für Franzosen primär produktiv primär rezeptiv ---------------------------------------- --------------------- -------- Hinweis auf sekundär produktive Funktion sekundär produktiv von Deutsch-Französisch fehlt Hinweis fehlt 3; Gesamturteil Der Fortschritt gegenüber den früheren Auflagen des Handwörterbuchs ist enorm. Das Wörterbuch ist ohne Einschränkung als zuverlässig zu empfehlen. Ob wohl das Gezetere des Wörterbuchkritikers daran auch ein wenig Verdienst hat? Gleichviel. Daß unsere Verlage das Qualitätsniveau deutlich anheben, stimmt in jedem Falle optimistisch. Erlangen-Nürnberg Franz Josef Hausmann Sigbert LATZEL: Lernschwierigkeiten mit deutschen Synonymen. Teil I: Eine Analyse von 30 Gruppen sinnverwandter stammgleicher Verben. Teil II: Übungen zu 30 Verbgruppen. Heidelberg: Julius Groos 1995, VIII+ 157 und VI+ 91 Seiten [28 DM und 18,80 DM]. In diesen beiden Bänden, die unabhängig voneinander genutzt werden können, werden die Gemeinsamkeiten und die semantisch-syntaktischen Unterschiede von häufig verwechselten (teil-) synonymen (Präfix-)Verben systematisch analysiert und durch Differenzierungsübungen verdeutlicht. Der Analyseband enthält nach einer Beschreibung der semantischen Gemeinsamkeiten aller Verben (Bsp. suchen-absuchen-durchsuchen: "In allen drei Fällen kann es darum gehen, daß man nicht weiß, wo etwas ist, und daß man sich spähend etc. in verschiedene Richtungen bewegt, um es zu entdecken.") die wichtigsten Satzmuster, die auch die zu verwendenden Präpositionen vorführen. Bedeutung und Gebrauch der Verben werden anschließend in drei Kapiteln, unter Verwendung vieler ausschließlich authentischer Belege, erläutert. Latze! nennt Aktanten und Ergänzungen mit Konkretisierung der Handlungs- und Objektstellen; diese eher formale Differenzierung wird um eine genaue semantische Beschreibung erweitert. Schließlich diskutiert er Einschränkungen des Gebrauchs und Ersetzbarkeit der Verben untereinander, Synonymität und nicht akzeptable Sätze werden markiert. Der Band ist, wie Latze! in dem äußerst knappen Vorwort formuliert, zur Unterrichtsvorbereitung für Lehrer des Deutschen als Fremdsprache gedacht. Der Übungsband, sicherlich einsetzbar in einem Unterricht mit deutlich fortgeschrittenen Deutschlernern, präsentiert in Kurzform alle notwendigen Informationen zu den syntaktischen und semantischen Beschreibungen sowie typische Beispielsätze und Hinweise auf Besonderheiten "Merke"). Daran anschließend sollen mit Hilfe von Einsatzübungen "absuchen-durchsuchen? "), Entscheidungsübungen "etw. suchen-nach etw. suchen") und Zuordnungsübungen Gemeinsamkeiten und Unterschiede trainiert werden. Ein Lösungsschlüssel schließt diesen Band ab. Bis auf sehr wenige Ausnahmen werden hier, wie auch im Analyseband, nur Übungen zur Differenzierung von Verben des gleichen Stamms angeboten. FLuL 25 (1996) 250 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel In seinem kurzen Vorwort benennt Latzel zwei Zielgruppen, für die er den ersten Band geschrieben hat, DaF-Lehrer und deutsche Lexikographen. Tatsächlich bekommt aufgrund der Ausführlichkeit und Genauigkeit der angestellten Analysen dieser Band, der einen begrenzten, wichtigen Bereich der Lexikologie bearbeitet, bereits den Charakter eines Handbuchs für Germanisten und Lexikographen. Korpusbasierte Untersuchungen dieser Art sind selten; wenn Latzel genaueste Bedeutungsunterschiede und Gebrauchsbedingungen formulieren will, kann der erste Band in manchen Fällen auch als Sammlung von Kollokationen genutzt werden. Leseerschwerend wirken sich allerdings die unglückliche Verwendung von Gliederungs- und Stellvertretersymbolen und ein nicht konsequenter Einsatz der Anführungszeichen aus, nämlich einerseits für Objektverben, andererseits für Wörter, die in der Analyse hervorgehoben werden sollen. Wenn man sich dann in die stellenweise ungewöhnliche Privatterminologie des Autors eingelesen hat, kann man den angestellten Feinanalysen mit Gewinn folgen. Bielefeld Lutz Köster Ausgewählte Neuerscheinungen zur Übersetzungswissenschaft und Übersetzungsdidaktik eine Sammelrezension (Teil II) (Bernd Stefanink, Bielefeld) Nach knapp dreißigjähriger übersetzungstheoretischer Diskussion macht sich das Bedlirfnis nach Überblick und Bilanz bemerkbar. Zumindest gewinnt man diesen Eindruck, wenn man Titeln wie La traduction aujourd'hui (Lederer 1995), Contemporary Translations Theories (Gentzler 1993) oder Übersetzungstheorien. Eine Einfü,hrung (Stolze 1995) begegnet. Aber auch auch in anderen Veröffentlichungen aus der jüngsten Zeit, wie etwa Übersetzungswissenschaftliches Propädeutikum (Gerzymisch-Arbogast 1994) oder Konstruktives Übersetzen (Hönig 1995), die sich vom Titel her nicht sofort als Überblicksdarstellungen zu erkennen geben, wird Bilanz gezogen. Der Übersetzungsdidaktiker begrüßt Publikationen, die er Studierenden zur seminarbegleitenden Lektüre empfehlen könnte. Im folgenden steht deshalb die Frage im Vordergrund, inwieweit die erwähnten Neuerscheinungen aus den Jahren 1993 bis 1995 diesem Anspruch gerecht werden. Radegundis STOLZE: Übersetzungstheorien: Eine Einfü,hrung. Tübingen: Narr 1994 (Narr Studienbücher), 254 Seiten [DM 29,80]. Die Vf.in stellt fest, daß sich in der übersetzungstheoretischen Diskussion der letzten dreißig Jahre ein Perspektivenwandel vollzogen hat, der gestattet, die verschiedenen Ansätze in vier Kategorien einzuteilen: (1) Theorien, die vordergründig auf dem systemhaften Charakter der Sprache basieren und Übersetzen als einen Umkodierungsprozeß ansehen, bei dem das Wort, das Syntagma oder der Satz als Übersetzungseinheit fungieren (23-75); (2) Theorien, die sich auf die Erkenntnisse der Textlinguistik berufen und den Text als Kommunikationseinheit bzw. als Übersetzungseinheit ansehen (77-152); (3) Theorien, die das Übersetzen als eine „Sondersorte kommunikativen Handelns" (155) sehen und die "Funktion", den „Skopos" in den Vordergrund stellen (153-180), und schließlich (4) Theorien, die den Übersetzer in den Mittelpunkt stellen (181-218), sei es, daß sie seinem subjektiven Textverständnis den gebührenden Platz einräumen, sei es, daß sie sich mit den in ihm ablaufenden Denkprozessen befassen. FLuL 25 (] 996) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 251 Innerhalb der ersten Kategorie wird zunächst aufgezeigt, wie sich aus dem systemhaften Charakter der Sprache sowohl das Übersetzbarkeitspostulat als auch sein Gegenteil ableiten lassen. Ist nämlich Sprache ein in sich geschlossenes System, das Ausdruck eines Weltbildes ist, so sind die sprachlichen Elemente so stark kulturell geprägt und prägen ihrerseits so stark das Denken, daß es unmöglich erscheint, den gesamten kulturellen Reichtum, den die Wörter beinhalten, durch Übersetzung dem zielsprachlichen Empfänger zu vermitteln. Hier führt die Vf.in Humboldt (24), Schleiermacher (24), Weisgerber (25), Whorf und Sapir auf. Die Grammatiker von Port Royal dagegen - und nach ihnen Chomsky (36), Nida (37), Mounin (40), Koschmieder (40), Koller (41) sehen Sprachen als verschieden strukturierte Zeichensysteme, als Oberflächenstrukturen, die alle auf eine gemeinsame „Lingua Universalis" zurückführbar sind. Alles ist in jeder Sprache ausdrückbar, und somit ist auch jeder Text in irgendeiner Form übersetzbar. Übersetzen wird zu einem „Kodewechsel" (44). Hier ordnet die Vf.in vor allem die Leipziger Schule (Otto Kade, Albrecht Neubert, Gert Jäger) sowie Wolfram Wilss und dessen Konzeption des „Übersetzens als Transferprozeß" (51) ein. Genauere Beschreibungen der Übersetzungsprozeduren hat die« Stylistique Comparee » mit Vinay/ Darbelnet, Malblanc, Bausch, Truffaut (60 ff) gegeben, während Newmark ("Translation procedures" [65]) und Catford ("translation shifts" [72]) Regeln für den übersetzerischen Transfer aufgestellt haben. In einem zweiten großen Abschnitt (79-151) mit dem Titel Der Blick auf die Texte zeigt die Vf.in auf, wie unter dem Einfluß der Textlinguistik einerseits und dem Bewußtsein der Kulturgebundenheit von Sprache andererseits seit Nida (1964) immer mehr der Text als Übersetzungseinheit angesehen wird. Hier steht vor allem der Äquivalenzbegriff zur Diskussion. Während es Nida mit dem Begriff der "dynamic equivalence" um die Erhellung der inhärenten Bedeutung syntaktischer Fügungen geht (81, 82) und Koller zwar Äquivalenzforderungen auf fünf verschiedenen Textebenen aufstellt (87), in der Praxis jedoch auf Wort- und Syntagmaebene arbeitet und um ein „Repertoire von mehr oder weniger festen Entsprechungen" (87) bemüht ist, erweitert Reiß diesen Begriff zur „Textäquivalenz" (165). Die Beschäftigung mit den Texten hat auf die Grundbedingungen der Textkonstitution aufmerksam gemacht, die für das Übersetzen relevant sind: Textaufbau, Textkohärenz, Textfunktion, Textwirkung (97). Sie führt auch zu dem Versuch, die Texte zu beschreiben und zu kategorisieren. Während Gülich/ Raible es aufgrund „textintemer" (106) Merkmale versucht haben, indem sie „die Art, die Abfolge und die Verknüpfung" (105) der Teiltexte beschrieben haben, hat sich Katharina Reiß um eine übersetzungsrelevante Texttypologie bemüht, bei der die Funktion des Textes kategoriebildend ist. Der "Blick auf die Texte" führt auch zu einer Auffassung vom Text als Handlung. In Anlehnung an Wittgenstein, Searle und Austin haben Hönig/ Kußmaul diese Sicht für den Übersetzungsunterricht fruchtbar gemacht (127). Schließlich ordnet die Vf.in auch noch die „Translation Studies als angewandte Feldtheorie" (131) in diesen 2. Abschnitt ein: Hier geht es um eine (meta-theoretische) Reflexion über die verschiedenen Übersetzungstheorien, die die Eigenständigkeit der Übersetzungswissenschaft als wissenschaftliche Disziplin begründen soll. Die "Manipulation School", wie die Vertreter dieser Schule auch genannt werden, geht davon aus, daß "from the point of view of target literature, all translation implies a degree of manipulation of the source text for a certain purpose" (133). Hier geht es nicht mehr um Übersetzungskritik, sondern darum, "die Wirkung von Übersetzungen innerhalb der Nationalliteratur in der Zielsprache zu untersuchen". Die Übersetzung wird so zu einer eigenständigen Textsorte (134). Als Übersetzung eines Textes gilt, was als solche bezeichnet wird: "We replace [...] assertions of the type 'TT (target text) is a translation' by assertions of the type 'TT functions as a translation"' (134). Hier findet man Namen wie: Toury, Holmes, Hermans. Ebenfalls für die Eigenständigkeit der Übersetzungswissenschaft kämpft Mary Snell-Hornby mit ihrem interdisziplinären meta-theoretischen Ansatz: Die verschiedenen Übersetzungsschulen sind zu stark in einem „Kästchendenken" (138) FLuL 25 (1996) 252 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel verhaftet. Sie plädiert für eine „Prototypologie" anstelle der Typologie, für ein „flexibles Oszillieren" (ibid.), für ein "Aufweichen festgefahrener Systematiken in der Übersetzungstheorie" (137). Dies führt zu einem Übersetzungsverfahren, das Fillmores "Scenes-and-frames"-Konzept zur Grundlage hat. Im dritten großen Abschnitt Der Blick auf das Handeln (153-180) finden wir K. Reiß wieder. Diesmal in Gesellschaft von H. Vermeer, als Vertreterin der sogenannten „Skopostheorie" (163), bzw. der "Funktionalen Translationstheorie" (155). In der Tatsache, daß laut ReißNermeer Translatologie als „Sondersorte kulturbedingter Textologie" (156) zu behandeln ist, sieht die Vf.in "einen Rückschritt gegenüber Snell-Hornbys Ansatz einer eigenständigen Übersetzungswissenschaft auf der Basis einer integrativen Prototypologie" (ibid.). Diese Kritik der Vf.in ist ungerechtfertigt, da zum einen die Skopostheorie vor Snell-Hornbys Prototypologie entstanden ist und da zum anderen ja noch bewiesen werden muß, daß letztere einen „Fortschritt" gegenüber dem ReißNermeerschen Ansatz darstellt. Im übrigen wird übersehen, daß im angesprochenen Buch (Grundlegung einer allgemeinen Translationstheorie) weiterhin die Texttypen das übersetzerische Verhalten bestimmen; aus ihnen ergibt sich die Textfunktion, soweit keine Funktionsänderung angeordnet ist, was ja der seltenere Fall ist. Die Charakterisierung Christiane Nords in diesem dritten Abschnitt als einer Didaktikerin des funktionalen Ansatzes, für die die Ausgangstextanalyse ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der durch den Auftraggeber bestimmten Zieltextvorgaben zu erfolgen hat (175), erweckt beim Leser das Bild einer "cibliste" (um mit Ladmiral zu sprechen), womit man ihr sicher Unrecht tut, wenn man bedenkt, daß sie sich gerade durch das "Loyalitätsprinzip" von Reiß absetzt, wie sie es auch noch in ihrem letzten Werk - Einführung in das funktionale Übersetzen (1993) betont. Mit Justa Holz-Mänttäri wird die Aufmerksamkeit auf das „Handlungsgefüge" ( 169) gelenkt, in das der Berufsübersetzer eingebunden ist und dem er beim translatorischen Handeln Rechnung zu tragen hat. In einem vierten großen Abschnitt (181-227) werden schließlich die Theorien behandelt, die sich mit der Person des Übersetzers befassen. Zum einen handelt es sich um Theorien, die das subjektive intuitive Erfassen des Textsinnes durch den Übersetzer als Individuum legitimieren, soweit dessen Textverständnis auf einer „Textexegese" (196) und nicht so Stolze auf einer Textanalyse(! ) basiert. Neben Fritz Paepcke wird hier auch noch Jean-Rene Ladmiral als Vertreter eines „sprachphilosophischen Ansatzes" (183) zitiert. Zum anderen haben wir es mit Forschern zu tun, die mit Hilfe des "Lauten Denkens" die Übersetzungsverfahren zu erfassen suchen (nach Hans P. Krings (1986) [213-216] setzen sich nun u.a. auch Hönig [221] und Kußmaul [224] mit diesen Verfahren auseinander). Angesichts der verwirrenden Vielfalt von übersetzungstheoretischen Ansätzen, die sich manchmal diametral gegenüberstehen, stellt die Einführung von Radegundis Stolze einen nützlichen Leitfaden dar. Vielleicht hätte man diese Gegensätzlichkeit der Ansätze, die sich unterschwellig durch das ganze Werk zieht, gleich eingangs etwas expliziter darstellen sollen und die verschiedenen Ansätze um die beiden Pole die ich einerseits als den "mikrostrukturalistischen Ansatz" (die gesamte « Stylistique Comparee », die Leipziger Schule, Wilss usw.) und andererseits als den „makrostrukturalistischen Ansatz" (Funktionalismus, Hermeneutischer Ansatz) bezeichnen würde kreisen lassen sollen. Allzu leicht entsteht sonst der Eindruck, daß die mikrostrukturellen Ansätze « depasse » seien und daß man die « Stylistique Comparee » zur "Übersetzungswissensschaft von gestern" (187) rechnen muß, wie Ladmiral etwas voreilig formuliert. Gerade in der französischen Übersetzungsdidaktik haben die Ansätze der « Stylistique Comparee » auch heute noch durchaus Geltung und werden nach wie vor sehr gewinnbringend eingesetzt (vgl. z.B. Chuquet/ Paillard 1989). Kriterium einer guten "Einführung" ist u.a. die Objektivität der Darstellung. Diese ist im großen und ganzen gewährleistet. Der Leser sollte sich jedoch bewußt sein, daß die Vf.in auf der Seite der "Makrostrukturalisten" steht und daß sich diese Präferenz z.B. bei der Beurteilung von FLuL 25 (1996) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 253 Wilss' Beitrag zur übersetzungstheoretischen Diskussion für letzteren etwas negativ auswirkt. Auch K. Reiß wird nicht immer wohlwollend behandelt (z.B. 156, 164, 166). Wenn die Vf.in die „Skopostheorie" von Reiß mit dem „Diktum der Manipulationisten [gleichsetzt], eine Übersetzung sei, was dafür ausgegeben wird" (163), so führt dies zu falschen Zuordnungen. Der Begriff der „Deverbalisierung" (185), mit dem das Wesen des Übersetzungsprozesses erfaßt und Ladmirals „sprachphilosophischer Ansatz" (183) begründet werden soll, stammt nicht von Ladmiral, sondern von Elisabeth Lavault (1985: 77 et passim) und ist Seleskovitchs Überlegungen zum konsekutiven Übersetzen entsprungen, mit denen sie die „Pariser Schule" (E.S.I.T.) begründet hat. Schade, daß diese wichtige Schule in dieser "Einführung" mit keinem Wort erwähnt wird (vgl. Seleskovitch 1975). Ein Blick in Lavault (1985: 77 et passim) hätte der Vf.in auch gezeigt, daß die didaktische Strategie, "das Gemeinte 'mit eigenen Worten' nachzuerzählen" (222), nicht Hönig zuzuschreiben ist, sondern zu den von Lavault empfohlenen « exercices de 'deverbalisation' » gehört, dessen Grundlagen bereits bei Seleskovitch (1975) gelegt wurden. Neben der erwähnten Unterscheidung zwischen Makro- und Mikrostrukturalisten würde die Darstellung einerseits durch eine Beschränkung auf die „Schule machenden" Theoretiker sowie andererseits durch eine deutlichere Trennung zwischen Theoretikern und Didaktikern an Klarheit gewinnen. Zwischen dem empirisch-prozessalen Ansatz eines Hans P. Krings und den metaphorischen Formulierungskünsten eines Jean-Rene Ladmiral besteht nämlich ein so himmelweiter Unterschied, daß ihre gemeinsame Behandlung im Kapitel „Der Blick auf den Übersetzer" nur schwer zu rechtfertigen ist. Für Verwirrung sorgen schließlich auch die bibliographischen Angaben: manche Publikationen erscheinen mit Titel und Erscheinungsort Gedoch ohne Verlagsangabe) bis zu dreimal, nämlich in den "Literaturhinweisen" am Ende eines jeden Kapitels, in der „Bibliographie" am Ende des Buches und in den "Anmerkungen". Hingegen werden einige bibliographische Hinweise im Text, wie z.B. "Simon 1978" (57, 58) oder "Nord 1986" (175 [hier muß es wohl 1988 heißen]) an keiner Stelle aufgelöst. Dem Sachregister hätte ein Autorenregister zur Seite gestellt werden sollen, womit es erst möglich wird, den gedanklichen Weg einzelner Theoretiker über die von der Vf.in aufgestellten Kategorien hinweg zu verfolgen. Trotz dieser kritischen Einwände kann man dieses Buch, das einen Weg durch den übersetzungstheoretischen Dschungel bahnt, auch dem Studienanfänger durchaus empfehlen. Edwin GENTZLER: Contemporary Translation Theories. London: Routledge 1993 (Translation Studies), 224 Seiten [Hb f 40.80; Pb f 12.99] Die Tatsache, daß dieses Buch in der Reihe "Translation Studies" erscheint, die von Susan Bassnet und Andre Lefevere herausgegeben wird, prägt bereits die Erwartungshaltung des Übersetzungswissenschaftlers. Bassnet und Lefevere sind bekanntlich Vertreter der sog. "Manipulation School", die davon ausgehend, daß jede Übersetzung auch schon immer eine "manipulation" des zu übersetzenden Textes beinhaltet sich gar nicht mehr darum bemüht, nach Äquivalenzkriterien etwa im Sinne von ReißNermeer (1984) zu suchen, die „Wirkungsgleichheit" sichern sollen, sondern die als Übersetzung das ansieht, was als solche ausgegeben wird. Und diese Übersetzungen werden dann unter dem Blickwinkel der kulturellen Einflüsse, die sie auf die zielsprachliche Literatur ausüben, betrachtet. Wenn G. von "Translations Theories" spricht, so meint er vorrangig eine Auswahl von Theorien des literarischen Übersetzens. Es werden fünf verschiedene übersetzungstheoretische Ansätze kritisch untersucht. Als erstes gilt seine Aufmerksamkeit dem "American Translation Workshop". Hier finden wir Namen wie Jonas Zdanys, der Übersetzen als eine "subjective FLuL 25 (1996) 254 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel activity" (11) ansieht, der aber davon überzeugt ist, daß es in jedem Gedicht so etwas wie ein "unified meaning" (12) gibt, i.e. the author's intention" (14), das dem "perfect reader" zu entdekken gegeben ist. Zum "perfect reader" wird man trainiert und gehört dann zu einer kleinen „Elite" (16). Man denkt unwillkürlich an die "Happy few" von Stendhal. Die überragende Figur dieses amerikanischen 'Translation Workshops' war jedoch Ezra Pound, der sich nicht mehr um Probleme möglicher Äquivalenz oder um Dekodierungs- und Kodierungsprozesse scherte, sondern der vom Übersetzer die Wahrnehmung und Übertragung der im ausgangssprachlichen Gedicht enthaltenen "energy" forderte. Hierzu ist das Erfassen von "luminous details" (28) wichtiger als die Beschäftigung mit Syntax, "which get in the translator's way" (28). Wichtigste Eigenschaft des Übersetzers ist dabei die "intuition" (24). Einer seiner Nachfolger, Frederic Will, bezeichnet diese Energie als "thrust", eine Art Energiestoß. Dieser "thrust" ist der Sinn ("meaning" [35]), den der Übersetzer hinüberzubringen hat. Diese theoretische Grundlage führt u.a. zu einem Übersetzungsverfahren, bei dem der Sinn eines Gedichts in Form eines "cribs" in der Zielsprache expliziert wurde und einem Dichter als Vorlage zu einem zielsprachlichen Gedicht diente, das als "Übersetzung" galt. Den 2. Ansatz nennt G. den übersetzungswissenschaftlichen: "The 'science' of translation" (42-73). Diese „wissenschaftliche" Betrachtungsweise beginnt mit Chomsky und Nida, um dann in Deutschland zur Blüte zu gelangen. Die Darstellung beschränkt sich hier zu sehr auf W. Wilss' Theorien. G. widmet ihm insgesamt 10 Seiten, während die Leipziger Schule, ReißNermeer und Snell-Hornby auf jeweils etwa einer Seite abgehandelt werden. Den Tenor von Wilss' Gesamtwerk scheint G. allerdings nicht zu treffen, wenn er erklärt, daß Übersetzungswissenschaft für Wilss eine "cognitive/ hermeneutic/ associative" Wissenschaft sei (62). Man denke nur an Wilss' letztes Werk: Übersetzungsfertigkeiten! Mit keiner Silbe erwähnt werden übrigens der funktionale Ansatz von Ch. Nord und die hermeneutische Tradition von Gadamer oder Paepcke, die heutzutage vor allem von R. Stolze gepflegt wird von dem prozeduralen Ansatz von Krings oder Lörscher ganz zu schweigen. Ein dritter Ansatz, der sich sowohl vom literaturwissenschaftlichen Ansatz des 'American Translation Workshop' als auch vom linguistischen Ansatz der Übersetzungs"Wissenschaftler" absetzt, um die Übersetzung als selbständige Disziplin zu begründen, bezieht sich auf jene Gruppe, die sich "Translation-Studies" nennt. Der Terminus stammt von J. Homless. Die bekanntesten Vertreter der Gruppe sind Susan Bassnet und Andre Lefevere. G. unterscheidet eine erste Phase, die er im Kapitel "Early Translation Studies" behandelt und in der die Gruppe sich das Ziel setzt, den Übersetzungsprozeß zu studieren. Sie müssen jedoch feststellen, daß dieses anspruchsvolle Ziel stärker interdisziplinär angegangen werden muß. Während sich die "Translation Studies"-Gruppe in ihren Anfängen noch mit Äquivalenzfragen beschäftigte, begründet Even-Zohar die "Polysystem Theory", die jegliche Form von Literatur, einschließlich Kochbücher, Kriminalromane oder andere „nicht-kanonisierte" Literaturformen als Gegenstand wissenschaftlicher Forschung ansieht. Übersetzte Literatur wird dementsprechend in ihrer Funktion innerhalb des gesamten Polysystems untersucht. Für Gideon Toury heißt dies: nicht unter aprioristisch-theoretischen Gesichtspunkten ist eine Übersetzung als gut oder schlecht anzusehen, sondern Übersetzungen sind als solche zu akzeptieren, und anhand verschiedener Übersetzungen ein und desselben Textes sind Überlegungen zu den impliziten theoretischen Grundlagen anzustellen. Nur so kann man zu realitätsnahen "translation norms" kommen (130). Viele Anhänger dieser Schule publizieren in einer von Theo Hermans herausgegebenen Reihe, die den Namen The Manipulation of Literature trägt, was ihnen den Namen "Manipulation School" eingetragen hat. Die Vertreter des „Dekonstruktivismus", zu denen der Vf. Foucault, Heidecker und Derrida rechnet, werden normalerweise nicht als Übersetzungstheoretiker angesehen. Wenn G. ihnen dennoch seine Aufmerksamkeit schenkt, dann deshalb, weil sie Wesentliches über den Sinn FLuL 25 (1996) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 255 ausgesagt haben. Es gibt für sie nicht den Sinn des Textes. den es zu erforschen gilt und den der Übersetzer in die Zielsprache zu übertragen hätte, sondern jedes einzelne Wort weckt beim Leser jeweils andere Konnotationen, die zu einer jeweils anderen Übersetzung führen. Fazit: G. gewährt einen Einblick in übersetzungstheoretische Ansätze, die sich stark von der zur Zeit in Deutschland geführten Diskussion abheben und die sicher zur Relativierung dieser Ansätze beitragen können, wenn sie auch dem Praktiker manchmal etwas esoterisch vorkommen mögen. Dem Übersetzungsdidaktiker sind sie allerdings nicht sehr hilfreich; dies ist auch nicht das Ziel des Autors. Marianne LEDERER: La traduction aujourd'hui. Paris: Hachette 1994 (F.L.E.), 224 Seiten [FF 95] Der Titel, unter dem dieses Buch angekündigt ist, könnte falsche Erwartungen wecken: Hier wird nicht etwa panoramaartig ein Überblick über den heutigen Stand der Übersetzungswissenschaft gegeben, sondern es wird das sogenannte « modele interpretatif » dargestellt, wie es von den Vertretern der "Ecole de Paris" allen voran Danica Seleskovitch und Marianne Lederer an der E.S.I.T. gelehrt wird. Dreh- und Angelpunkt dieses Modells ist die Deverbalisierung ("Deverbalisation"). Der Übersetzer muß sich vom Wortlaut lösen und den Sinn übersetzen. Am überzeugendsten wird dies am Dolmetschen demonstriert. "Verba volant, scripta manent": Der Dolmetscher kann sich nicht an schriftliche Vorlagen halten, er übersetzt den Sinn. Dies wird durch die "memoire cognitive" (23), das kognitive Gedächtnis, des Dolmetsche.s ermöglicht: Er merkt sich nicht Wörter, sondern Sinneinheiten. Diesen Sinn erfaßt man nicht, wie häufig behauptet wird, in zwei Etappen (1. Verstehen der Sprache des Textes, 2. Inferenzierung des Sinnes), sondern die Sinnerfassung ist "immediate" (25). Dies scheint mir allerdings der dreiphasigen Darstellung des Übersetzungsprozesses - Verstehensphase, Deverbalisierung, zielsprachliche Wiedergabe-, die der gesamten Theorie zugrunde liegt, zu widersprechen: Phase 1 und 2 müßten dann zusammenfallen. Die Sinnerfassung wird neben den Sprachkenntnissen durch das "bagage cognitif' (das Weltwissen) einerseits und durch den "contexte cognitif' (das ko-textuelle Wissen) andererseits gewährleistet. Den sprachlichen Ausdruck versteht M.L. als "Synecdoque", d.h. als die "partie explicite du sens" (58). Jeder Text besteht aus einem Minimum an expliziten Elementen, hinter denen sich Implizites verbirgt. Den Sinn übersetzen heißt, dieses Implizite übersetzen. Sprachliche Zeichen benennen den Referenten aufgrund eines hervorstechenden Merkmals, das die Rolle einer "pars pro toto" spielt. Die gewählten Merkmale sind von Sprache zu Sprache verschieden. Dieser mangelnde Isomorphismus von expliziter 'Synecdoche' und implizitem Referenten stellt die Problematik des Übersetzens dar. Genauso selbstverständlich, wie das lexikalisierte dt. Schublade auf der Basis des Merkmals „schieben" benannt mit dem frz. tiroir (tirer = ziehen) übersetzt wird, genauso selbstverständlich sollte laut L. im folgenden Text von Stefan Zweig: "In der kleinen Pension an der Riviera, wo ich damals, 10 Jahre vor dem Kriege, wohnte, war eine heftige Diskussion an unserem Tische ausgebrochen[...]", das Syntagma an unserem Tische mit Un soir, a la table ou je dinais übersetzt werden (61). Obwohl ich grundsätzlich mit M.L. in vielem übereinstimme, scheint mir die Auslegung in diesem Beispiel zu weit zu gehen: Nichts im Kontext läßt darauf schließen, daß es sich um ein 'Abendessen' handelt. Diese übersetzerische Freiheit mutet um so befremdlicher an, als die Vf.in andererseits die von ihr vertretene "traduction interpretative" streng von der "traduction libre" abgrenzt, der sie gerade "nombre d'omissions et d'ajouts" vorwirft (217). Auch fehlt in diesem Beispiel gänzlich die "analyse justificative", die sie andernorts (44) fordert. Als solche ist jedenfalls die lapidare Behauptung "cette equivalence est conforme au genie du franc; : ais comme l'original l'est au genie de l'allemand" (61) pädagogisch nicht überzeugend. Die Forderung nach einer solchen rechtfertigenden Analyse wird übrigens FLuL 25 (1996) 256 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel auch von R. Stolze im Rahmen ihres „hermeneutischen Übersetzens" aufgestellt, und man fragt sich zu Recht, warum sich L. unter Berufung auf Danica Seleskovitch so vehement vom hermeneutischen Übersetzen abgrenzt, zumal sie auf S. 93 "theorie hermeneutique" und "theorie interpretative" gleichsetzt: "Pour Levy la communication humaine doit etre fondee sur une theorie hermeneutique (nous disons interpretative)" (93). Ebenso widersprüchlich mutet die Behauptung an, es gehe nicht darum, die "intention d'un auteur" (25) zu übersetzen (sondern eben den Sinn des Textes), wenn andererseits klargemacht wird, daß es nicht darum gehe, den Sinn zu übersetzen, so wie ihn der Übersetzer erfaßt, sondern daß dieser Sinn möglichst mit dem "vouloir dire de l'auteur" (35) übereinzustimmen habe: "Pour que Je sens que comprend le traducteur rejoigne Je vouloir dire de l'auteur [...] Le sens est ce que veut dire un auteur, ce qu'il veut faire comprendre a travers ce qu'il dit" (35). Desgleichen wird auf S. 63 "rester fidele a un auteur" implizit als das Ziel des Übersetzens dargestellt. Zumindest wäre hier eine Auseinandersetzung mit Christiane Nord und dem von ihr vertretenen "Loyalitätsprinzip" angebracht. Ebenso hätte eine Auseinandersetzung mit der „Skopostheorie", so wie sie von ReißNermeer (1984) vertreten wird, Antworten auf einige der von L. aufgeworfenen Fragen geben können. Von einer Publikation, die den Anspruch erhebt, "La traduction aujourd'hui" darzustellen unter diesem Titel (also ohne den Untertitel "La traduction interpretative") wurde sie auch im "Salon de la traduction" 1995 angekündigt-, kann man wohl Derartiges erwarten. Ein Blick auf eines der Faktorenmodelle, die Auftraggeber und Funktion der Übersetzung berücksichtigen, hätte m.E. bessere Entscheidungskriterien für die Übertragung kultureller Elemente geliefert, als die von L. vorgeschlagenen: Es kann nicht Aufgabe des Übersetzers sein "A apporter au lecteur etranger des connaissances sur un monde qui n'est pas le sien", wie auf S. 128 impliziert wird, es sei denn, es ist sein expliziter Auftrag. Wie weit kulturelle Elemente in den zielsprachlichen Text hineingetragen werden, hängt vom durch den Auftraggeber festgelegten Ziel ab. Auch bei der heiklen Frage der Äquivalenzbeurteilungen wäre eine breitere Diskussionsgrundlage zu empfehlen, so wie wir sie z.B. bei Gerzymisch-Arbogast (1994) finden. Die fünf Äquivalenzkriterien von Koller (1979) als einzige Grundlage zu zitieren, heißt den Stand der Diskussion verkennen: Das von Gerzymisch-Arbogast vorgeschlagene Kriterium der Äquivalenz von lsotopien bietet da eine interessante Alternative. 3 Die Tatsache, daß das Wort „lsotopie" weder im Glossar noch an anderer Stelle im gesamten Werk auftaucht, ist symptomatisch für einen wesentlichen Mangel des hier dargestellten« modele interpretatif ». Das Modell würde durch eine Berücksichtigung des Isotopiekonzepts theoretisch an Stringenz und didaktisch an Überzeugungskraft gewinnen. Was die Übersetzungsdidaktik angeht, so unterscheidet die Vf.in zwischen "traduction pedagogique" (der Terminus ist übrigens nicht von J. Delisle geprägt worden, wie irrtümlicherweise von M.L. angenommen, sondern wir finden ihn bereits bei K. Reiß) und "traduction professionnelle": Aufgabe der ersten sei es, "d'apprendre les correspondances entre deux langues", während die zweite "! es methodes de creation d'equivalences quelles que soient les langues en cause" beizubringen hätte (134). So lobenswert der Versuch ist, klare Unterscheidungskriterien zwischen diesen beiden Übersetzungsarten aufzustellen bei Smith-Klein-Braley (1985) z.B. wird die Unterscheidung gemacht, ohne daß die Unterschiede je definitorisch herausgestellt würden -, so wenig scheint sie mir didaktisch fruchtbar. Es ist deshalb auch zweifelhaft, daß die so konzipierte "traduction pedagogique" die Studierenden darauf vorbereiten kann, "a suivre les enseignements de Ja veritable traduction" (130). Behauptungen wie: "On ne repetera jamais assez qu'il n'est pas possible d'enseigner a Ja fois Ja langue et Ja traduction, car l'enseignement de Ja langue porte sur ! es formes lexicales et ! es structures syntaxiques et interfere avec 3 Ein Beispiel für eine derartige Isotopieanalyse zwecks Rechtfertigung intuitiv gefundener Lösungen habe ich in Stefanink ( 1996) gegeben. FLuL 25 (1996) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 257 un enseignement de Ja traduction dont J'objectif est de degager Je sens du texte (et d'eviter de traduire ! es significations des mots) avant de Je faire reexprimer" (122) zeugen von einem sehr eingeschränkten Verständnis von Fremdsprachenunterricht. Schade, daß die Texttypologie nur am Rande erwähnt wird (161), ohne ausführliche Begründung der vier unterschiedenen Texttypen und ohne Beispiele, die diese Unterteilung nachvollziehbar machen. Hier wäre eine Auseinandersetzung mit Reiß' Textsorten sicher interessant gewesen. Begrüßenswert ist das Glossar, in dem die für das Verständnis des « modele interpretatif » relevanten Termini aufgeführt werden. Leider ist der Begriff "intuition" trotz häufiger Verwendung und trotz ihres hohen Stellenwerts ist sie doch die Gabe, die dem Muttersprachler gestattet, sich dem "genie et la langue" gemäß auszudrücken im Glossar nicht aufgeführt und auch sonst nicht näher definiert: Sie scheint für M.L. nur dem Muttersprachler gegeben zu sein, angeboren und nicht erlernbar und bietet somit die Rechtfertigung für das Übersetzen in die Muttersprache; auch hier wäre eine Diskussion der andersgearteten und differenzierteren Rolle, die die Intuition bei Paepcke/ Forget (1981), bei Stolze (1992) oder bei Hönig (1993) spielt, angebracht gewesen (vgl. auch Stefanink 1996). Sehr störend sind schließlich die ca. 15-20 Rechtschreibfehler, bei denen es sich ganz offensichtlich nicht um Flüchtigkeitsfehler handelt. So ist mit dem Wort toumois auf S. 58 keineswegs der im 13. Jahrhundert in Tours geprägte Taler gemeint, sondern schlichtweg ein toumoi de tennis. Desgleichen sollte sich der deutsche Leser auch durch Formen wie plar; ions (mit cedille) nicht verunsichern lassen: Nach wie vor gilt, daß dieses 'Ornament' nur zur Kennzeichnung der palatalen Aussprache des c vor velaren Vokalen benutzt wird. Gravierender sind Verwechselungen bzw. Übersetzungsfehler im Bereich der Idiomatik: Das französische Äquivalent für engl. "to bring coal to Newcastle" bzw. für deutsch "Eulen nach Athen tragen" ist nicht porter de l'eau au moulin, wie auf S. 58 suggeriert, sondern porter de l'eau a la riviere, während porter de l'eau au moulin de qq. heißt, daß man ihn in seiner Argumentation unterstützt. Fazit: Ein Buch, das sicher nicht dem anspruchsvollen Titel La traduction aujourd'hui gerecht wird, das aber in konzentrierter Form die « traduction interpretative » der "Ecole de Paris" darstellt und dazu beitragen kann, bei Studenten übersetzerisches Bewußtsein zu wecken. Heidrun GERZYMISCH-ARB0GAST: Übersetzungswissenschaftliches Propädeutikum. Tübingen: Francke 1994 (UTB 1782), 190 Seiten [DM 26.80] G.-A. prägt den Begriff der „Intersubjektiven Überprüfbarkeit und Transparenz" (14). Wer jedoch glaubt, daß darunter intersubjektive Überprüfbarkeit im Sinne eines Nachvollzugs intutitiv gefundener Problemlösungen verstanden wird (etwa im Sinne von Stefanink 1996 [vgl. Anm. 3]), der irrt. Zumindest ist das nicht die Absicht der Vf.in, selbst wenn sich herausstellt, daß bei der Erstellung der von ihr befürworteten „Aspektmatrix" die Intuition eine wesentliche Rolle spielt. G.-A. greift die kontroverse Diskussion um Hanswilhelm Haefs' Übersetzung von Lawrence Norfolks Lempriere's Dictionary auf, um „anhand dieser Diskussion [zu] zeigen, wie systematische, klare und einheitliche Kriterien dazu beitragen können, die Diskussion zu versachlichen, und wie eine wissenschaftlich durchgeführte Übersetzungskritik von der Methodik her aussehen müßte" (21). Als Grundlage für eine derartig angelegte Übersetzungskritik dient das von Murdersbach (1987) entworfene „ASPEKTRA"-Programm, das als „Eine Methode des wissenschaftlichen Übersetzens (mit Computerunterstützung)" bzw. als „Ein Programm zur Textanalyse und berechenbarer Übersetzung" (162) beschrieben wird. Die Vf.in will damit von Globalurteilen, wie „die Ü. ist 'gut' oder 'schlecht' (14), wegkommen, die oft auf Verabsolutierungen von mikrostrukturellen Beurteilungen beruhen. Die Frage muß vielmehr lauten: "gut" oder „schlecht" in bezug auf was? "(z.B. in bezug auf den Aspekt der FLuL 25 (1996) 258 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel Idiomatik oder der Wiedergabe von Metaphern)" (14). Der Äquivalenzbegriff wird also nicht mehr absolut gefaßt, sondern relativ zu bestimmten 'Invarianzforderungen', "die vor der Übersetzung als Qualitätsmaßstab festzusetzen sind" (28). 'Äquivalenz' impliziert nicht eine „Gleichheit von Texten oder Textelementen in Original und Übersetzung", sondern wird als „relationaler Begriff [gefaßt], in bezug auf bestimmte Aspekte, die an ein Original im Hinblick auf die Übersetzung angelegt und als Vergleichsstandard herangezogen werden[...]. D.h. wir kommen auf der Basis von mikro- und makrostrukturellen Bewertungen zu einer makrostrukturellen Äquivalenzaussage vom Typ: Text Aist zu Text B bezogen auf die Aspekte al, a2, a3 als mehr oder weniger äquivalent anzusehen" (29). Die Gesamtheit der Aspekte, unter denen eine Übersetzung beurteilt werden soll, bilden eine Aspektmatrix. Den Aspektstatus erlangen Textmerkmale aufgrund ihrer „Auffälligkeit" (95). Die "Übersetzerin" geht in 5 Etappen vor: „In einem ersten Schritt notiert sie sich die (inhaltlichen und formalen) Auffälligkeiten, die sie im Original feststellt und ordnet sie den entsprechenden Textstellen zu (...). In einem zweiten Schritt (...) entwickelt sie aus den zunächst intuitiv notierten Auffälligkeiten Aspekte, denen sie wiederum einzelne Werte zuordnet, die möglichst klar gegeneinander abgrenzbar (disjunkt) sind. So fällt in unserem Textauszug aus Lemprieres Dictionary z.B. der Wechsel der Erzählperspektive auf [...]. Wir setzen daher Erzählperspektive als Aspekt an und ordnen ihm z.B. die Werte Betrachterperspektive, Erzählfigur (Innensicht), Erzählfigur (Außensicht) zu. In einem dritten Schritt (...) wird nun jede Textstelle unter jedem Aspekt gelesen und der entsprechende Wert zugeordnet. Als Ergebnis erhält man eine Textmatrix, die sozusagen die Lesart (Interpretation) durch die Übersetzerin darstellt. Schließlich werden in Schritt 4 (...) die ermittelten Aspekte im Hinblick auf das Übersetzungsziel gewichtet, d.h. es wird z.B. auf einer Skala von 1-99 eine Prioritätenliste erstellt, welcher Aspekt im Hinblick auf die Übersetzung am höchsten zu bewerten ist, welcher an zweiter Stelle realisiert werden soll usw., bis eine vollständige Rangordnung erstellt ist. In Schritt 5 (...) schließlich werden in den einzelnen Textstellen Übersetzungsvarianten erstellt, die wiederum nach der bereits erstellten Prioritätenliste gewertet werden. So erhält die Übersetzerin ein 'Programm', mit dem sie klare und einheitliche Kriterien formuliert, nach denen die Übersetzung (aus der Sicht der Übersetzerin) systematisch gestaltet werden soll und die für einen Dritten nachvollziehbar sind. Damit sind die Voraussetzungen für ein wissenschaftliches Vorgehen beim Übersetzen erfüllt: Es werden klare und einheitliche Kriterien zur Verfügung gestellt, die systematisch an alle Textstellen angelegt werden und intersubjektiv überprüfbar sind" (95). Die Vf.in fügt hinzu, daß dieses Programm derzeit an der Universität des Saarlandes in der Didaktik des Übersetzens eingesetzt und erprobt wird. So sehr die Einführung des Begriffs der intersubjektiven Überprüfbarkeit vor der Illusion der Objektivität schützen mag, so sehr sollte man sich doch vor der Illusion hüten, durch Zahlenmaterial und Aufstellung von strengen Kategorien wieder zur Objektivität zurückgefunden zu haben. Sicher unterliegt die Vf.in nicht dieser Illusion. So stellt sie z.B., in einem Vergleich mit dem Eiskunstlauf, dieses Programm als eine „Pflichtübung" dar, auf die dann die „Kür" folgen kann, in welcher „Intuition und Einfallsreichtum" freier Lauf gelassen werden kann; allerdings: "Erst wenn dieses Programm exakt und systematisch absolviert werden kann"(46). Obwohl ich mich mit der strikten Einhaltung dieser Reihenfolge nicht anfreunden kann (vgl. Stefanink 1996 [Anm. 3]), bin ich vom didaktischen Wert einer Bewußtmachung solcher Aspekte überzeugt. Angesichts von Kategorien deren „disjunkter" Charakter betont wird und angesichts von einer bis hinter das Komma differenzierten Aspektwertung auf einer Skala von 1-99, stellt sich jedoch die Frage, ob die Lerner nicht Gefahr laufen, der Illusion objektiver Stringenz zu unterliegen. Dies um so mehr, als sich die Vf. selbst zu Formulierungen hinreißen läßt, die den Eindruck einer objektiv im Originaltext vorgefundenen Aspektliste vermitteln: "Als Ergebnis unserer Betrachtung liegt uns für unseren Beispieltext eine Liste mit Aspekten vor, die wir im Original angelegt fanden und die wir auch an die Übersetzung anlegten" (148 [Hervorhebung von mir]). Allzu schnell könnte der Lerner darüber vergessen, was auf S. 99 gesagt wird: "Die FLuL 25 (1996) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 259 Fähigkeit, Aspekte in Texten möglichst differenziert unterscheiden zu können, hängt in hohem Maße vom sprachlichen, kulturellen und linguistischen 'Welt'-wissen des Lesers/ Übersetzers ab". Aber nicht nur bei der Erstellung der Aspektliste wird die Subjektivität des Übersetzers eingebracht. Die Liste der prioritär zu wertenden Aspekte und ihre Gewichtung auf der Wertskala hängt von seiner subjektiven Beurteilung ab. Nicht gebührend gewürdigt wird die Rolle der Intuition, die ja in Wirklichkeit die Grundlage für die Erstellung der Aspektliste ist: erst nachträglich, wenn der Leser bereits beim 2. Schritt ist, wird nebenbei erwähnt, daß die 'Auffälligkeiten' „intuitiv notiert" wurden. Auch scheint es kein besonderes Verfahren zu geben, mit dem aus diesen Auffälligkeiten 'Aspekte' "entwickelt" werden, sondern 'Auffälligkeit' wird einfach mit 'Aspekt' gleichgesetzt. « Et le tour est joue! » Mich stört daran, daß in dieser Darstellung die Rolle der Intuition hinter wissenschaftlich „stringent" klingenden Termini versteckt wird, als ob man sich ihrer schämen müßte, als ob sie nicht den gleichen epistemologischen Status wie kognitives Texterfassen beanspruchen dürfte. Die Gefahr ist groß, daß derartige kognitive Kategorien dem Lerner den Weg zur Empathie mit dem Text versperren. Wie oben zitiert, sollen diese Kategorien, die ja die Grundlage für die Invarianzforderungen bilden vor dem Übersetzen (28) aufgestellt werden, nach einer „Erstlektüre" (95). Dieses Verfahren schafft eine gewisse Distanz zum Text, der nur noch durch diese kognitiven Kategorien gesehen wird auf Kosten der Nuancen, die nicht in diese Kategorien eingeordnet werden können. Angesichts der Erkenntnisse der Prototypensemantik bezüglich der semantischen Kategorien sollten Lernende zumindest in einen anderen übersetzungstheoretischen Ansatz wie den hermeneutischen eingeführt werden. Letztere hat zwar keinerlei streng „disjunkte" Kategorien und kein eindrucksvolles Zahlenmaterial aufzuweisen, in seiner Beweisführung zwecks intersubjektiver Überprüfbarkeit steht er dem aspektuellen Ansatz jedoch in nichts nach und bietet den Vorteil, den Weg für ein dialektisches Hin-und-Her zwischen Intuition und Kognition offen zu lassen; eine Erfahrung, die jedem Übersetzungspraktiker geläufig sein dürfte. G.-A. nimmt die Auseinandersetzung um die Haefssche Übersetzung von Lempriere's Dictionary als Anlaß, um Mängel einer Übersetzungskritik aufzuzeigen, die auf der Basis mikrostruktureller Verabsolutierungen ein Urteil über das Gesamtwerk fällt. Sie schlägt statt dessen eine Beurteilungsmatrix vor, mit der die Übersetzung in Hinblick auf die verschiedenen im Werk als relevant erscheinenden Aspekte beurteilt wird. Die Übersetzung soll also nicht mehr global als „gut" oder „schlecht", sondern als unter diesem oder jenem Aspekt „äquivalent" bezeichnet werden. Der Versuch, von Globalurteilen wegzukommen und verschiedene Äquivalenzebenen zu differenzieren, ist übrigens nicht neu. Darum haben sich bereits Übersetzungstheoretiker wie Catford, Nida, Jäger oder Koller bemüht. G.-A. bemängelt jedoch, daß angesichts der Tatsache, daß beim Übersetzen nicht alle Äquivalenzrahmen mit gleicher Gewichtung berücksichtigt werden können keinerlei Angaben darüber gemacht werden, "welcher Äquivalenzrahmen unter welchen Bedingungen Priorität hat" (93). Sie übersieht dabei, daß ReißNermeer (1984) derartige Prioritäten angeben wenn auch allgemeinerer Art (d.h. im groben Rahmen der drei Textsorten) und nicht in der von G.-A. vorgeschlagenen Differenziertheit. Ein weiterer Punkt, den sie nicht zur Geltung bringt, ist die Tatsache, daß die von den oben erwähnten Übersetzungtheoretikern aufgestellten Äquivalenzkategorien allgemein sprachanalytisch - und nicht auf den jeweils zu übersetzenden Text bezogen erarbeitet wurden. Hans G. HöNIG: Konstruktives Übersetzen. Tübingen: Stauffenberg 1995 (Studien zur Translation 1), 195 Seiten [DM 36,80]. Konstruktives Übersetzen ist der irritierte Aufschrei von einem, der auszog, um die Studenten das Übersetzen zu lehren und der ein für allemal mit den weitverbreiteten „Illusionen" über das Übersetzen aufräumen möchte. FLuL 25 (1996) 260 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel Er schleudert seine Irritation sowohl den unprofessionellen „Auch-Übersetzern" (l 19) ins Gesicht, die vermeinen, ohne einen theoretischen Hintergrund und ohne Ausbildung Übersetzungen [= Ü.] anfertigen und beurteilen zu können, als auch den Theoretikern, die noch immer der Illusion der objektiven Ü. und illusorischen Äquivalenzkriterien hinterherlaufen oder die der anderen Illusion erlegen sind, nämlich mit den Methoden des „Lauten Denkens" den Übersetzungsprozeß algorithmisch abbilden zu können (wie z.B. Krings' Flußdiagramm 1986). Anhand eines Flußdiagramms (das wir bereits in Hönig 1993 finden), in dem der „unkontrollierte Arbeitsraum" eine maßgebende Rolle spielt, und unter Heranziehung der „Prototypensemantik", die die Illusionen der Strukturalisten bezüglich der Wortsemantik zunichte macht, sowie der Sprachpsychologie, die den Verstehensprozeß als wesentlich assoziativ verlaufend darstellt ("schemes and frames"), zeigt H. die Komplexität übersetzerischen Handelns auf, dessen sich der Übersetzer bewußt werden muß, wenn er das für das Übersetzen unerläßliche „Selbst-bewußtsein" erlangen will. „Selbst-bewußtsein" erlangt der Übersetzer nur, wenn er sein Handeln theoretisch hinterfragt und sich durch eine „üs.-vorbereitende Textanalyse" (88) eine "Makrostrategie" erarbeitet, die die Weichen für die Lösung mikrotextueller Probleme stellt. Dieses „Selbst-bewußtsein" (im doppelten Sinne) gibt dem Übersetzer das nötige Selbstvertrauen gegenüber seinem Auftraggeber, aber einerseits auch das Vertrauen in seine oft intuitiv gefundenen Lösungen, sowie andererseits das Bewußtsein von der unausweichlichen Subjektivität dieser Lösungen, auch wenn diese sich innerhalb der durch die makrostrategischen Überlegungen abgesteckten semantischen Bahnen zu bewegen hat. Zu "konstruktivem Übersetzen" gelangt man, wenn alle am Übersetzungsprozeß Beteiligten über dieses übersetzerische Bewußtsein verfügen, ihre Illusionen über die Einfachheit übersetzerischen Handelns hinter sich gelassen haben und kooperieren wollen. Die Grundlagen dieser Geisteshaltung werden in der Ausbildung gelegt. H. liefert uns auch seine Konzeption vom curricularen Aufbau eines Studiums der „mehrsprachigen Kommunikation" bei dem ganz allgemein „das Verhältnis zur traditionellen Philologie überdacht werden muß" (S. 170) und die „Übersetzungstheorie fest in den Curricula zu verankern" ist (S. 157). Im didaktischen Detail muß vor allem die Fehlerbewertung im Lichte der zielsprachlichen Textfunktion neu durchdacht werden. Das Ganze ist in einem erfrischenden, metaphorischen Stil geschrieben; ziel- und adressatengerecht, da sich der Vf. nachdrücklich nicht nur an Übersetzungstheoretiker und -praktiker wendet, sondern an alle, die mit Übersetzen zu tun haben: an Auftraggeber, an gelegentliche "Üs.-kritiker" (wie z.B. Reich-Ranicki), aber auch an professionelle (wie z.B. Gerzymisch- Arbogast), die sich um die Beurteilung der Ü. von Lempriere's Wörterbuch bemüht haben, usw. Fragt sich noch, wie man H.'s Erkenntnisse an die richtigen Adressaten vermittelt. Die Tatsache, daß das Werk als Bd. 1 in der neuen Reihe Studien zur Translation erscheint, wird sicher die Aufmerksamkeit der Übersetzungstheoretiker sowie einiger Praktiker wecken, den Auftraggebern aber könnte man es höchstens durch Hinweise oder Auszüge in den einschlägigen Fachzeitschriften zugänglich machen. An einigen Stellen erscheint mir die Kritik an einer linguistisch ausgerichteten Übersetzungstheorie etwas polemisch. So z.B., wenn es auf S. 77 heißt: "Wer Übersetzern einen 'linguistischen' oder anderen Richtigkeitsnachweis für ihre Übersetzung abverlangt, zwingt sie zur Produktion jener gesammelten Texte, die wir alle kennen". Doch sollte man dies als eine Reaktion auf eine zu starke Abhängigkeit von dieser Disziplin in den letzten Jahrzehnten werten. 4 4 Daß man mit linguistischen Argumentationen intuitive Problemlösungen intersubjektiv nachvollziehbar machen kann, habe ich zuletzt in Stefanink 1996 [vgl. oben Anm. 3] nachzuweisen versucht. FLuL 25 (1996) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 261 Fazit: Ein Buch, in dem der gesunde Menschenverstand die Balance zwischen Theorie und Praxis hält und das uneingeschränkt zur Lektüre empfohlen werden kann. 5 [Zitierte) Literatur BRITISH COUNCIIJENS-CREDIF/ GOETHE INSTITUT {Hrsg.) (1991): The Role of Translation in Foreign Language Teaching. Paris: Didier (Triangle 10). CHUQUET, Helene/ PAILLARD, Michel (1989): Approche linguistique des problemes de la traduction. Paris: Ophrys 1989. HöNIG, Hans G. (1993): "Vom Selbstbewußtsein des Übersetzers". In: HOLZ-MANTIARI, Justa / NORD, Christiane (Hrsg.): Traducere Navem. Festschrift für Katharina Reiß. Tarnpere: Universität 1993 (Studia Translatologica), 77-90. KOLLER, Werner (1979): EINFUHRUNG IN DIE ÜBERSETZUNGSWISSENSCHAFT. Heidelberg: Quelle & Meyer (UTB 819). KOTCHEVA, Krassimira ( 1992): Probleme des literarischen Übersetzens aus textlinguistischer Sicht, dargestellt am Beispiel bulgarischer Übersetzungen zu Prosatexten aus der deutschen Gegenwartsliteratur. Frankfurt/ M.: Lang (Werkstattreihe Deutsch als Fremdsprache; ? ? )) LAVAULT, Elisabeth (1985): Fonctions de la traduction en didactique des langues. Paris: Didier (Traductologie n° 2). NIDA, Eugene A. (1964): Towards a Science of Translating. Leiden: Brill. NIDA, Eugene A. / TABER, A. (1969): The Theory and Practice of Translation. Leiden: Brill. PAEPCKE, Fritz/ FORGET, Philippe (1981): Textverstehen und Übersetzen/ Ouvertures sur la traduction. Heidelberg: Groos. SELESKOVITCH, Danica (1975): Langue, langues et memoire. Etude de la prise de notes en interpretation consecutive. Paris: Minard-Lettres Modemes. SMITH, Veronika/ KLEIN-BRALEY, Christine (1985): In other words. München: Hueber. STEFANINK, Bernd (1991): "Vom Nutzen und der Notwendigkeit der Theorie für den universitären Übersetzungsunterricht". In: British Council 1991, 59-83. STEFANINK, Bernd (1992): "[Rez. von] Kotcheva 1992". In: Info DaF April/ Mai 1994, 258-264. STEFANINK, Bernd (1996): "'Esprit de finesse' - 'Esprit de geometrie': Das Verhältnis von 'Intuition' und 'Übersetzerrelevanter Textanalyse'". In: KELLER, Rudi (Hrsg.): Linguistik und Literaturübersetzen. Tübingen: Narr [im Druck]. STOLZE, Radegundis (1992): Hermeneutisches Übersetzen. Linguistische Kategorien des Verstehens und Formulierens beim Übersetzen. Tübingen: Narr. 5 Bei einer Neuedition sollten folgende Mängel behoben werden: (a) Rechtschreibfehler: S. 109 matinal statt „matinale", S. 164, Z. 10 Semester statt "Semster", S. 177 Prunc statt „Prunc". (b) Folgende im Text gemachte Literaturangben erscheinen nicht im „Literaturverzeichnis": S. 55: Borsch 1986, Gerloff 198; S. 129: Schmitt 1986; S. 168: ReißNermeer 1984; S. 174: Nord 1988 (die beiden letzten erscheinen in der kommmentierten Auswahlbibliographie, ein Hinweis darauf im "Literaturverzeichnis" wäre sinnvoll); auf S. 59 ist die Angabe Hönig 1993 unvollständig, (richtig wäre I993a). N.B.: Der Ausdruck / es bei/ es infideles wird von H. nicht in dem in der einschlägigen französischen Literatur üblichen Sinn verstanden: Georges Mounin (1957) z.B. versteht darunter Gedichtübersetzungen, die zwar „schön" sind, dem Original jedoch untreu geworden sind (etwa im Sinne von Pierre Leyris: "La traduction de poemes c'est comme ! es femmes, quand elles sont helles elles ne sont pas fideles, quand elles sont fideles elles ne sont pas helles") und nicht „Interferenzen", ,.faux amis" oder „erworbene Idiosynkrasien" (wie bei H. auf S. 119). FLuL 25 (1996) 262 Eingegangene Bücher Eingegangene Bücher • BORNER, Wolfgang/ VOGEL, Klaus (Hrsg.): Der Text im Fremsprachenunterricht. Bochum: AKS- Verlag 1995 (Fremdsprachen in Lehre und Forschung; 17) [DM 25,-] EECK, Andreas/ LEGENHAUSEN, Lienhard / WüLFF, Dieter: Telekommunikation und Fre; ndsprachenunterricht: Informationen, Projekte, Ergebnisse. Bochum: AKS-Verlag 1995 (Fremdsprachen in Lehre und Forschung; 18) [DM 25,-] FOLDES, Csaba / HECZ, Andrea: Deutsche Rundfunksprache in mehrsprachiger Umwelt. Am Beispiel der Verwendung von Phraseologismen. Wien: Ed. Praesens 1995, 168 Seiten. LATZEL, Sigbert : Lernschwierigkeiten mit deutschen Synonymen. Teil 1: Eine Analyse von 30 Gruppen sinnverwandter stammgleicher Verben. Teil II: Übungen zu 30 Verbgruppen. Heidelberg: Julius Groos 1995, VIII+ 157 und VI+ 91 Seiten [DM 28,- und 18,80].* PONS Großwörterbuch Französisch-Deutsch. Deutsch-Französisch. Vollständige Neuentwicklung 1996. Stuttgart/ Dresden: Klett Verlag für Wissen und Bildung 1996, XXXII+ 832 [+ Anhang] + 768 Seiten [DM 92,-]. Roos, Undine: Ein C-Test für Lerner der japanischen Sprache. Entwicklung, Erprobung und Validierung. Bochum: AKS-Verlag 1995 (Fremdsprachen in Lehre und Forschung; 18) [DM 25,-] . . Das Sternchen(*) hinter einem Buch verweist auf den Rezensionsteil. Ein doppeltes Sternchen (**) deutet an, daß eine Besprechung für den Jg. 26 (1997) vorgesehen ist. FLuL 25 (1996) Informationen • Nachrichten • Vorschau auf 1997 7. Göttinger Fachtagung „Fremdsprachenausbildung an der Hochschule" Zeit: 6. bis 8. März 1997 Rahmenthema: Tagungsort: Auskunft bei: Sprach- und Kulturkontraste im Fremdsprachenunterricht Sprachlehrzentrum der Georg-August-Universität Göttingen Dr. Klaus Vogel, Sprachlehrzentrum der Universität Göttingen, Weender Landstr. 2, 37073 Göttingen. Jahreskonferenz der Teachers of English to Speakers of Other Languages (TESOL) Zeit: 11. bis 15. März 1997 Thema: Tagungsort: Auskunft bei: Creating Magie with TESOL '97 Orlando, Florida (USA) TESOL Conventions Department, 1600 Cameron Street, Suite 300, Alexandria, Virginia 22314-2751. USA. 19. Weltkongreß der Federation Internationale des Professeurs de Langues Vivantes (FIPLV) Zeit: 24. bis 26. März 1997 Rahmenthema: Tagungsort: Auskunft bei: Towards Intercultural Understanding for the 21 st Century - Language Learning in a Humanistic Context Recife, Brasilien Professor Dr. Francisco Gomes de Matos, Department of Letters, Federal University of Pemambuco, Recife 50739, Brasilien 25. Jahrestagung Deutsch als Fremdsprache des Fachverbandes Deutsch als Fremdsprache (FaDaF) Zeit: Themen: Tagungsort: Auskunft bei: 22. bis 24. Mai 1997 u.a. Kognition und Emotion - DaF: Attraktivität des Studien- und Lernorts Deutschland - Lernen mit neuen Medien Mainz Dr. Dietrich Eggers, Universität Mainz, Sprachlehranlage - Lehrgebiet DaF, Postfach 3980, D-55099 Mainz XI. Internationale Deutschlehrertagung Zeit: 4. bis 9. August 1997 Rahmenthema: Deutsch in Europa und in der Welt: Chancen und Initiativen Tagungsort: Amsterdam (Niederlande) Auskunft bei: Andrea Karolyi, Horansky u.20, H-1085 Budapest Vill 17. Kongreß für Fremdsprachendidaktik veranstaltet von der DGFF Zeit: 6. bis 8. Oktober 1997 Thema: Tagungsort: Auskunft bei: FLuL 25 (1996) Fremdsprachen lehren lernen - Lehrerausbildung in der Diskussion Universität Koblenz Prof. Dr. Wolfgang Zydatiß, FU Berlin, Didaktik der engl. Sprache und Literatur, Habelschwerdter Allee 45, 14195 Berlin. 264 Infonnationen • Nachrichten • Vorschau Vorschau auf Jahrgang 26 (1997) von FLuL Wie und unter welchen Bedingungen spielt explizites sprachbezogenes Wissen eine aktive Rolle beim Sprachenerwerb und beim Sprachenlernen? Dies ist die Kernfrage, die hinter den verschiedenen Interpretationen des Begriffs Language Awareness steckt und auf die der von Willis J. Edmondson und Juliane House (beide Hamburg) betreute Themenschwerpunkt des Jahrgangs 26 (1997) eine Antwort zu geben versucht. Im Zentrum der aus theoretischer und didaktischer Sicht geführten Diskussion des Begriffs Language Awareness werden stehen: Sprachprogramme in der Grundschule sowie interkulturelles Wissen im Fremdsprachenunterricht, grammatisches und strategisches Wissen im Fremdsprachenerwerb sowie nicht zuletzt auch in der Lehrerausbildung. Bei Redaktionsschluß lagen Zusagen für folgende Beiträge vor: Wolfgang Börner (Hamburg): Awareness beim Wortschatzerwerb. Chris Brumfit (Southhampton): Awareness in Teacher Education: A Model. Julian Edge (Birmingham): Learning-Awareness and Empowerment. Willis Edmondson (Hamburg): Bewußtsein und Fremdsprachenlernen: ein Modell. Inez De Florio-Hansen (Kassel): [Thema stand bei Redaktion noch nicht fest]. Juliane House (Hamburg): Interkulturelle Pragmatik und Awareness. Annelie Knapp-Potthoff (Aachen): Kontrollierter Spracherwerb und Awareness: die Rolle der Interaktion im Unterricht. Sigrid Luchtenberg (Essen): Language Awareness: Die Lehrerperspektive in der Grundschule. Dieter Wolf! (Wuppertal): Die Rolle von Awareness beim Fremdsprachenerwerb. Für den nicht-thematischen Teil sind vorgesehen: Werner Bleyhl (Esslingen): Die Erforschung des Fremdsprachenerwerbs zwischen Zufall und Notwendigkeit und zwischen Linearität und Nichtlinearität. Kurt-Michael Pätzald (Bielefeld): Words, Words, Words: The Latest Crop of Dictionaries for Learners of English (Part II). Geplanter Themenschwerpunkt für Jahrgang 27 (1998): Subjektive Theorien von Fremdsprachenlehrern FLuL 25 (1996) ~-----A_u_to_r_e_n_u_n_d_A_u_t_o_r_in_n_e_n_d_e_r_B_e_i_tr_ä_g_e ____ ~I Rupprecht Baur, Prof. Dr., Univ.-Prof., Universität Gesamthochschule Essen, Fachbereich 3: Literatur- und Sprachwissenschaften, Deutsch als Zweitsprache, Universitätsstr.12, 45117 ESSEN. Arbeitsbereiche: Deutsch als Fremdsprache. Bernard Dufeu, wiss. Mitarbeiter, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, Romanisches Seminar, Jakob-Welder-Weg 18, 55099 MAINZ. Arbeitsbereiche: Phonetik, Fremdsprachendidaktik, Lehrerfortbildung. Michael Hager, Dr. phil., Siemens AG, Finsterwalder Str. 72, 13435 BERLIN. Arbeitsbereiche: Englisch, Deutsch als Zweitsprache, Fremdsprachendidaktik. Hans-Erich Herfurth, Dr. phil., Gymnasiallehrer und Dozent in der Lehrerfortbildung, Landhausstr. 4, 10717 BERLIN. Arbeitsbereiche: Französisch, Deutsch als Fremdsprache Ingeborg Hofmann, Dr. phil., Oberstudienrätin i.H., Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Institut für Deutsche Philologie, Lektorat Deutsch als Fremdsprache, Bahnhofstr. 46, 17487 GREIFSWALD. Arbeitsbereiche: Angewandte Fachsprachenlinguistik und -didaktik, Textlinguistik, Deutsch als Fremdsprache. Thomas Lovik, Prof., Associate Professor of German, Michigan State University, Department of Linguistics & Germanic, Slavic, Asian and African Languages, A-614 Wells Hall, Bast Lansing, MICIDGAN 48824-1027, USA. Arbeitsbereiche: Fremdsprachendidaktik, Germanistische Linguistik, Lehrerfortbildung. Jean-Pol Martin, Priv.-Doz., Dr. phil. habil., Studiendirektor i.H., Universität Eichstätt, Fachdidaktik des Französischen, UA. Zi. 240, 85071 EICHSTATI. Arbeitsbereiche: Französischdidaktik, Vernetzung, Lehrerforschung. Antje Oldenburg, M.A., Wiss. Mitarbeiterin, Humboldt-Universität zu Berlin, Philosophische Fakultät II, Institut für Anglistik und Amerikanistik, Unter den Linden 6, 10099 BERLIN. Arbeitsbereiche: Fachsprachenforschung, Kontrastive Linguistik, Grammatik. Peter Scherfer, Prof. Dr. Dr. hc., Univ.-Prof., Bergische Universität-Gesamthochschule Wuppertal, Fachbereich 4: Sprach- und Literaturwissenschaften, Romanistik, Gaußstr. 20, 42097 WUP- PERTAL. Arbeitsbereiche: Französische Lexikologie, Soziolinguistik, Fremdsprachen lehren und lernen. Gerald Schlemminger, Prof. Dr., maitre de conferences, Universite de Paris XI, I.U.T de Sceaux, 8, avenue Cauchy, F-92330 SCEAUX. Arbeitsbereiche: Sprachlehr- und -lernforschung, Erziehungswissenschaften, Lehrerausbildung. Erwin Tschirner, Prof. Dr., Associate Professor of German, The University of Iowa, Department of German, IüWA CITY, Iowa 52242-USA. Arbeitsbereiche: Zweitsprachenerwerbsforschung, Fremdsprachendidaktik, Germanistische Linguistik. Harris Winitz, Prof. Dr., Professor of Psychology, University of Missouri-Kansas City, College of Arts & Sciences, Psychology-Speech & Hearing Science Laboratory, 5100 Rockhill Road, KANSAS CITY, Missouri 64110-2499, U.S.A. Arbeitsbereiche: Psycholinguistics. FLuL 25 (1996) Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL) Themenschwerpunkte (1987-1998)* Jg . 16 (1987): Wortschatz und Wortschatzlernen (herausgegeben von Ekkehard Zöfgen) [•] Jg . 17 (1988) : Übersetzung und Übersetzen (herausgegeben von Ekkehard Zöfgen) Jg . 18 (1989): Historische Sprachstufen (herausgegeben von Kurt Otto Seidel) Jg. 19 (1990): Fachsprachen und ihre Vermittlung (herausgegeben von Gert Henrici und Ekkehard Zöfgen) Jg . 20 (1991): Grammatik und Grammatiklernen (herausgegeben von Ekkehard Zöfgen) Jg. 21 (1992): Idiomatik und Phraseologie (herausgegeben von Ekkehard Zöfgen) Jg. 22 (1993): Fehleranalyse und Fehlerkorrektur (koordiniert von Gert Henrici und Ekkehard Zöfgen) Jg . 23 (1994): Wörterbücher und ihre Benutzer (koordiniert von Ekkehard Zöfgen) Jg . 24 (1995) : Kontrastivität und kontrastives Lernen (koordiniert von Claus Gnutzmann) Jg. 25 (1996): Innovativ-alternative Methoden (koordiniert von Gert Henrici) Jg. 26 (1997): Language Awareness (koordiniert von Willis J . Edmondson und Juliane House) [in Vorbereitung] Jg. 27 (1998): Subjektive Theorien von Fremdsprachenlehrern (koordiniert von Inez De Florio- Hansen [geplant]) * Bis Jg. 15 (1986) einschließlich wurde die Zeitschrift unter dem Titel Bielefeld1.r Beiträge zur Sprachlehrforschung vertrieben. Die mit [ •l gekennzeichneten Hefte sind vergriffen . Hinweise zu Beiträgen für FLuL FLuL begrüßt Beiträge zu Forschung und Unterricht aus allen für den Fremdsprachenunterricht an der Hochschule relevanten Bereichen sowie zum Fremdsprachenlehren/ -lernen im Ausland. Grundlage für jeden Beitrag sollte eine ausreichende wissenschaftliche Fundierung mit unmittelbarer oder mittelbarer Relevanz des Gegenstandes für die fremdsprachenunterrichtliche Tätigkeit an der Hochschule sein . Beiträge, die den schulischen Fremdsprachenunterricht zusätzlich zur Reflexionsgröße erheben, sind gleichermaßen willkommen . Umfang/ Sprache: Die Beiträge können auf Deutsch, Englisch, Französisch oder Spanisch abgefaßt sein; sie sollten 15 Druckseiten (= 45 000 Anschläge) nicht überschreiten. Dies entspricht etwa 20 Schreibmaschinenseiten mit 38 Zeilen a 60 Anschlägen. Gliederung : Dem Beitrag ist eine Zusarnrnenfassung auf Englisch von ca. 10 Zeilen voranzustellen . Der Text sollte möglichst in Kapitel mit Kapitelüberschriften unterteilt sein. Unabhängig davon erfolgt die Numerierung der Kapitel grundsätzlich nach dem lateinischen Dezimalsystem (l, 1.1, l.l.l, usw.) . Weitere Einzelheiten zur Gestaltung der Manuskripte mit Hinweisen für Beiträge, die mit einem Textverarbeitungssystem erstellt werden, sind dem ausführlichen 'style sheet' zu entnehmen, das bei der Redaktion angefordert werden kann. Manuskripte werden erbeten an: Redaktion FLuL, Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld, Universitätsstraße, Postfach 1001 31 • D-33501 Bielefeld. Tübinger Beiträge zur Linguistik Wolfgang Bömer / Klaus Vogel (Hrsg.) Texte im Fremdsprachenerwerb Verstehen und Produzieren TBL 418 , 1996, XIV, 319 Seiten , DM 78,-/ ÖS 569 ,- / SFr 74,- ISBN 3-8233-5083-8 Sprache erwirbt und verwendet man in Texten. Diese Maxime läßt sich für den Fremdsprachenunterricht umdeuten: Fremde Sprachen lernt man am besten über Texte. Was genau bedeutet dies jedoch für den Lerner? Hierzu liefert uns eine prozeßorientierte Fremdsprachenforschung neue Perspektiven und Ergebnisse, von denen einige in dem vorliegenden Band thematisiert und vorgestellt werden . Dabei geht es auf der Rezeptionsseite um Textverständlichkeit, um Textverstehensprozesse, um Intertextualität, um die Beziehung von Verstehen und Lernen und um die spezifische Rolle von Sach-, Fach- und Literaturtexten im Fremdsprachenerwerb . Auf der Seite der Textproduktion werden Themen angesprochen wie interkulturelle Schreibmuster, Schreibstrategien, Selbstevaluation von Schreibleistungen und Interaktionsmuster beim Paarschreiben. Die Beiträge des Bandes ergeben zusammengenommen ein vielseitiges und aspektreiches Bild von den komplexen Prozessen und Strategien, die Lerner bei der Textrezeption und Textproduktion aktivieren, wenn sie mit fremdsprachlichen Texten umgehen. Brigitte Handwerker (Hrsg.) Fremde Sprache Deutsch Grammatische Beschreibung - Erwerbsverläufe - Lehrmethodik TBL 409, 1995, XII, 292 Seiten, DM 96 ,- / ÖS 701 ,- / SFr 86,- ISBN 3-8233-5074-9 Die Beiträge zu diesem Band sind aus Vorträgen hervorgegangen, die im Rahmen eines Kolloquiums zum Thema "Fremde Sprache Deutsch" an der Humboldt-Universität zu Berlin gehalten wurden. Sie reflektieren die Vielfalt der Fragestellungen, die sich aus der Betrachtung des Deutschen als etwas sprachlich und kulturell Fremdem ergeben. Das zentrale Anliegen besteht darin, durch die Analyse und das vergleichende Einordnen der sprachlichen Phänomene zu einem besseren Verständnis von Erwerbsprozessen bzw. zu einer Optimierung des steuernden Eingriffs im Fremdsprachenunterricht beizutragen. Teil I präsentiert die Ergebnisse von Studien zum ungesteuerten Erwerb morphologisch-syntaktischer und semantischer Kategorien des Deutschen sowie Untersuchungen zum Lemerlexikon deutscher Fremdsprachenlerner. Die Beiträge in Teil II behandeln ausgewählte Bereiche aus einzelgramrnatischer, kontrastiver und typologischer Sicht; die Frage nach der Nutzbarmachung für den Fremdsprachenunterricht leitet über zu Teil III, der den Methoden des Faches Deutsch als Fremdsprache, der Unterrichtskonzeption und dem Einsatz von Lehrmaterialien gewidmet ist. ~ Gunter Narr Verlag Tübingen ISSN 0932-6936 ISBN 3-8233-4584-2 Postfach 25 67 • D-72015 Tübingen • Fax (07071) 7 52 88