Fremdsprachen Lehren und Lernen
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Narr Verlag Tübingen
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Gnutzmann Küster SchrammFLuL 29. Jahrgang (2000) Fremdsprachen Lehren und Lernen Herausgegeben von Gert Henrici und Ekkehard Zöfgen ~ Gunter Narr Verlag Tübingen Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL) Zur Theorie und Praxis des Sprachunterrichts an Hochschulen Herausgeber und Schriftleiter: Gert Henrici Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld Postfach 1001 31 33501 Bielefeld Ekkehard Zöfgen Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld Postfach 100131 33501 Bielefeld Redaktionsanschrift: siehe 3. Umschlagseite Beratende Mitarbeit: Rupprecht S. Baur (Essen)· Wolfgang Börner (Hamburg) Dieter Götz (Augsburg) · Franz Josef Hausmann (Erlangen) Wolfgang Herrlitz (Utrecht) Fremdsprachen Lehren und Lernen erscheint einmal jährlich mit einem Umfang von ca. 240 Seiten. Das Jahresabonnement kostet DM 84 ,- (zuzüg l. Postgebühren). Vorzugspreis für private Leser DM 68 ,- (zuzügl. Postgebühren/ Lieferung und Rechnung an Privatadresse), sofern sie dem. Verlag schriftlich mitteilen, daß sie die Zeitschrift ausschließlich für den persönlichen Gebrauch beziehen. Erfolgt keine Abbestellung bis zum 1. Dezember, so verlängert sich das Abonnement automatisch um ein Jahr. ©2000 · Gunter Narr Verlag• Tübingen Die in der Zeitschrift veröffent li chten Beiträge sind urheberrechtlich gesc hützt. Alle Rechte , in sbeso ndere das der Übersetzung in fremde Sprachen , vorbehalten. Kein Teil dieser Zeitschrift darf ohne sc hriftli che Genehmigun g des Verlages in irgendeiner Form durch Fotokopie, Mikrofilm oder andere Verfahren reproduziert oder in eine von Masc hinen , in sbeso ndere von Datenverarbeitungsanlage n, verwendbare Sprache übertragen werden . Auch die Rechte der Wiedergabe durch Vortrag, Funk- und Fernsehsendung, in Magnettonverfahren oder auf ähnlichem Wege bleiben vorbehalten . Fotokopien für den persönlichen und sonstigen eigenen Gebrauch dürfen nur von einzelnen Beiträgen oder Teilen daraus als Einzelkopien hergestellt werden. Jede im Bereich eines gewerblichen Unternehmens hergestellte oder benutzte Kopie dient gewerblichen Zwecken gern. § 54 (2) UrhG und verpflichtet zur Gebührenzahlung an die VG WORT, Abteilung Wissenschaft, Goethestraße 49, 8000 München 2, von der di e einze lnen Zahlungsmodalitäten zu erfragen sind. Gedruckt mit Unterstü tzun g der Fakultät für Lingui stik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld. Druck: Laupp & Göbel, Nehren Bindung: Nädele , Nehren Printed in Germany ISSN 0932-6936 ISBN 3-8233-4588-5 Gunter Narr Verlag · Postfach 25 67 · D-72015 Tübingen Positionen (in) der Fremdsprachendidaktik Frank G. Königs Zur Einführung in den Themenschwerpunkt oder: Vom Positionspoker zur Positionsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Frank G. Königs Perspektive 2000 und darüber hinaus. Überlegungen zu Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Claus Gnutzmann Englisch als globale linguafranca: Funktion und Entwicklung - Fragen des Lehrens und Lernens - Lernziel „Mehrsprachigkeit" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Franz-Joseph Meißner Aufgabenfelder der Didaktik der romanischen Sprachen - Zwischen Französischunterricht und sprachenteiliger Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Carlo Serra Borneto Introspektion und Grammatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Werner Bleyhl Sprachenlernen, ein konstruktiver, nichtlinearer Selbstorganisationsprozess oder: Die Fehler des Fremdsprachenunterrichts und wie sie zu beheben sind.. . . . . . . . . 71 Dieter Woljf Sprachenlernen als Konstruktion: Einige Anmerkungen zu einem immer noch neuen Ansatz in der Fremdsprachendidaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Inge Christine Schwerdtfeger Anthropologisch-narrative Didaktik des fremdsprachlichen Lernens . . . . . . . . . . . 106 Eike Thünnann Impulse aus der Praxis der Curriculumentwicklung für die Weiterentwicklung des Fremdsprachenunterrichts ......................................... 124 (Fortsetzung umseitig) Albert Raasch Mehrsprachigkeit - und was wir in Europa dafür tun (könnten). Fragen interessierter Studierender... und einige Antworten aus persönlicher Perspektive . 146 Michel Candelier La diversite linguistique dans les systemes educatifs en Europe: etat des lieux et analyse des obstacles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Gert Henrici Was nun 'Fremdsprachendidaktik'? Basar von Spekulationen oder wissenschaftliche Disziplin? - Ein Zwischenruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Nicht-thematischer Teil Claire-Marie Jeske Europäische Mehrsprachigkeit - Möglichkeiten und Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Arbeitsgruppe Fremdsprachenerwerb Bielefeld Zur Effektivität verschiedener Instruktionstypen für die Vermittlung einer komplexen zielsprachlichen Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Sabine Beyer Bilingualismus und Fremdsprachenerwerb. Eine qualitative Untersuchung subjektiver Lernermeinungen .......................................... 219 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel Willis EDMONDSON: Twelve Lectures on Second Language Acquisition. [...] Tübingen: Narr 1999 (Torsten Schlak) .............................................. 239 Ausgewählte Neuerscheinungen zum Thema Lernerautonomie und Lernstrategien eine Sammelrezension (Silke Demme) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Lawrence VENUTI: The Scandals ofTranslation. Towards an Ethics of Dif.ference. London: Routledge 1998 (Bernd Stefanink) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Fredric Thomas DOLEZAL, Don R. McCREARY: Pedagogical Lexicography Today. A Critical Bibliography [...]. Tübingen: Niemeyer 1999 (Ekkehard Zöfgen) . . . . . . . . . . . . 251 Eingegangene Bücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 Informationen • Nachrichten • Vorschau auf 2001 256 Autoren und Autorinnen der Beiträge 258 IFLU! L 29 (2000) Positionen (in) der Fremdsprachendidaktik Frank G. Königs Zur Einführung in den Themenschwerpunkt oder: Vom Positionspoker zur Positionsbestimmung Blickt man in die Geschichte der Erforschung des Fremdsprachenunterrichts, so wird man feststellen können, dass eine nicht unbeträchtliche Konsolidierung stattgefunden hat: Verglichen mit der fremdsprachlichen Reformbewegung um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert haben tiefgreifende Veränderungen stattgefunden. Ging es in der Reformbewegung insbesondere darum, den fremdsprachlichen Unterricht methodisch von Grund auf zu erneuern und den veränderten Auffassungen und Bedürfnissen anzupassen, so betrafen die Diskussionen und Positionsbestimmungen, die sich im Zusammenhang mit der Erforschung des Fremdsprachenunterrichts seit Mitte der 70er Jahre durch die einschlägige Fachliteratur ziehen, vielmehr die Frage, in welchem Umfang die vorhandenen Untersuchungsmethoden geeignet sind, verwertbare Ergebnisse zu erzielen, auf deren Grundlage der Unterricht selbst verändert werden kann. Die verrnittlungsmethodischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts haben dabei den Blick auf Fremdsprachenunterricht weitgehend bestimmt. Dabei gilt, dass die verrnittlungsmethodischen Konzepte sich über viele Jahrzehnte hinweg insbesondere an der Linguistik orientierten und in nicht unerheblichem Umfang dazu beitrugen, die Fremdsprachendidaktik als einen manchmal lästigen - Wurmfortsatz der Linguistik zu betrachten. Rückblickend waren es wohl im Wesentlichen zwei Ereignisse, die die Fremdsprachendidaktik insbesondere im deutschsprachigen Raum stärker von der Linguistik abrückten. Zum Einen hatten die seit den ausgehenden 60er Jahren die Diskussion nicht unerheblich mitbestimmenden sogenannten alternativen Vermittlungsmethoden ihren Ursprung häufig in Konzepten und Überlegungen, die eben nicht aus der Linguistik kamen, sondern viel stärker der Psychologie entstammten. Zum Anderen lenkte die sogenannte Lernerorientierung spätestens seit den beginnenden 70er Jahren den Blick viel stärker auf das lernende Individuum und die von ihm unternommenen beziehungsweise vollzogenen Schritte bei der Aneignung, Rezeption und Produktion fremdsprachlichen Materials. Das Wissenschaftskonzept der Sprachlehrforschung (vergleiche dazu z.B. Koordinierungsgremium 1977; 1983) bezog sich dabei insbesondere auf britische und amerikanische Forschungsarbeiten, in denen es um die hinter sprachlichen Abweichungen liegenden Gesetzmäßigkeiten von Fremdsprachenlernern ging und um die Frage, in welchem Umfang Lernende ein gleichermaßen systematisches wie variables System aufbauen, das sich mit zunehmender Lerndauer immer mehr der Zielsprache annähert (Jnterlanguage). Aus der Orientierung insbesondere an psycholinguistischen Arbeiten amerikanischen und britischen Ursprungs resultierten zwei nicht unerhebliche Konsequenzen: Zum Einen fand eine inhaltliche Verlagerung statt, in deren Gefolge es nachhaltiger um die Erfassung von Lernprozessen mit dem Ziel ging, daraus begründete Empfehlungen für den Fremdsprachenunterricht in der Praxis abzuleiten. Diese Form der Lernerorientierung implizierte einen Wechsel weg von einer rezeptologisch lFJL,m][, 29 (2000) 4 Zur Einführung in den Themenschwerpunkt orientierten Fremdsprachendidaktik hin zu einer Sprachlehrforschung, die ihre Aufgabe stärker darin sah (und sieht), begründete Einsichten in fremdsprachliche Lernvorgänge zu gewinnen, um auf dieser Grundlage begründete unterrichtliche Empfehlungen aussprechen zu können. Als erklärungskräftiges Element wurde dabei die sogenannte fremdsprachenunterrichtliche Faktorenkomplexion angesehen, verstanden als das Ineinandergreifen und sich gegenseitig bedingende Interagieren all jener unterrichtlichen Variablen, die den Fremdsprachenunterricht konstituieren. Vor diesem Hintergrund wurden Arbeiten zum außerunterrichtlichen Spracherwerb zwar mit Interesse zur Kenntnis genommen, die Übertragung ihrer Ergebnisse auf den fremdsprachenunterrichtlichen Kontext jedoch aus zwei grundsätzlichen Erwägungen heraus abgelehnt: Zum Einen wurde die Forderung erhoben, die Aussagekraft derartiger Ergebnisse jeweils nur auf die Kontexte zu beschränken, in denen sie auch erhoben wurden. Zum Zweiten ging damit eine deutlich erhöhte wissenschaftsmethodologische Bewusstseinsbildung einher, die gekoppelt war mit der Forderung nach empirischen Grundlagen bei der Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Thematisch bedeutete dies insofern eine Veränderung der Forschungstätigkeiten, als es nunmehr verstärkt um solche Fragestellungen ging, die den Lernenden betrafen; die Person des Lehrenden geriet damit zunächst zumindest scheinbar etwas mehr in den Hintergrund. Abgesehen von den großen vermittlungsmethodischen Konzepten, die sich unter wissenschaftsmethodischen Gesichtspunkten wohl eher als Beiträge zur Hypothesengenerierung verstehen lassen, wurden die erzielten Ergebnisse nicht als unterrichtliche Rezepte, sondern vielmehr als Sensibilisierung für ein bestimmtes Problemfeld im Rahmen des Unterrichts interpretiert. Dabei musste nicht selten in Kauf genommen werden, dass die Praxis mit dieser vorsichtigen Zurückhaltung nicht immer zufrieden war, sondern stärker nach konkreten und wissenschaftlich abgesicherten Unterrichtsvorschlägen suchte. Während sich diese erste Veränderung in der Forschung durchaus als ein übernationales Phänomen darstellte, führte die engagierte Diskussion in der Bundesrepublik zum Zweiten auch zu organisatorischen und konzeptuellen Veränderungen. Die Gründung von Instituten und Lehrstühlen, in deren Bezeichnungen der Begriff „Sprachlehrforschung" auftauchte, machte auch nach außen hin die Abkehr von einem traditionellen Verständnis der Fremdsprachendidaktik sichtbar. Wenn auch manche Diskussionen der 80er Jahre von außen als „bloßer Positionspoker" abgetan wurden, so führten doch auch diese Diskussionen zu einer Veränderung der Auffassung vom Lehren und Lernen fremder Sprachen und ihrer Erfor 0 schung. So wird man heute feststellen können, dass sich Forschungsthemen und Forschungsmethoden in allen fremdsprachendidaktischen Bereichen deutlich zugunsten der Maximen verändert haben, wie sie von der Sprachlehrforschung konzeptuell bereits in den 70er und 80er Jahren engagiert vertreten worden waren. In der Tat scheint der Unterschied zwischen Sprachlehrforschung und Fremdsprachendidaktik heute insbesondere ein begrifflicher und weniger ein konzeptueller zu sein, da sich die zugrundeliegenden Standards und Positionen deutlich einander angenähert haben; dies zeigen nicht zuletzt zahlreiche Forschungsarbeiten, die sowohl unter dem Etikett der Fremdsprachendidaktik als auch unter dem der Sprachlehrforschung angesiedelt werden. Dies lässt sich zudem auch anhand der beiden Handbuch-Artikel zeigen, die bereits seit der ersten Auflage des Handbuchs Fremdsprachenunterricht den Forschungsstand in diesen beiden Disziplinen beschreiben (vgl. Bausch/ Krumm 1995; Christ/ Hüllen 1995). Es scheint mir nicht übertrieben zu sein, vor lFLlllL 29 (2000) Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 5 diesem Hintergrund den „damaligen Positionspoker" als Ursache für eine differenzierte wissenschaftsmethodische und inhaltliche Positionsbestimmung der Disziplinen verantwortlich zu machen, die sich um die Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen bemühen. Wenn heute also von „Fremdsprachendidaktik" die Rede ist, so verbinden sich damit in beträchtlichem Umfang wissenschaftsmethodische und inhaltliche Prinzipien und Standards, wie sie von der Sprachlehrforschung immer wieder propagiert worden sind. Mit Blick auf die hier angedeutete Entwicklung (vgl. dazu ausführlicher jetzt z.B. Königs 2000) darf festgehalten werden, dass wir uns derzeit in einer Phase befinden, in der die Auseinandersetzung um wissenschaftliche Positionen nicht mehr so unmittelbar mit dem Anspruch einhergeht, eine neue wissenschaftliche Disziplin zu begründen und zu etablieren, sondern vielmehr mit der Veränderung methodologischen und thematischen Bewusstseins, die sich auf den selben Gegenstand richtet: die auch empirisch begründete - Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen. Die in diesem Band vereinigten Beiträge dokumentieren vor diesem skizzierten Hintergrund unterschiedliche Ansätze, die derzeit bei der Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen verfolgt werden. Sie können in ihrer Gesamtheit natürlich nicht den Anspruch erheben, das Forschungskaleidoskop vollständig abzubilden; vielmehr sollte es darum gehen, einige der aktuellen Tendenzen im Rahmen der Fremdsprachendidaktik zu benennen und zu erläutern. Im Beitrag von Frank G. Königs wird versucht, unterschiedliche Entwicklungslinien der aktuellen fremdsprachendidaktischen Forschung zu umreißen. Dabei werden auch in der gebotenen Kürze Grenzen der Entwicklungen aufgezeigt und kritische Positionen dort formuliert, wo eine allzu einseitige Sichtweise den Blick auf die Komplexität des Phänomens zu verstellen droht. Die Beiträge von Claus Gnutzmann und Franz-Joseph Meißner nehmen aus unterschiedlichen Perspektiven die Frage der Sprachenwahl in den Blick. Während es bei Gnutzmann um die Rolle des Englischen als lingua franca und die daraus resultierenden Konsequenzen für die Vermittlung des Englischen geht, thematisiert Meißner das Konzept der Mehrsprachigkeitsdidaktik, in dem es vor allem darum geht, das vorhandene oder leicht erschließbare Wissenspotential von Lernenden für die Aneignung weiterer (insbesondere verwandter) Fremdsprachen nutzbar zu machen. In beiden Beiträgen wird deutlich, dass eine rein sprachenpolitische Argumentation keinesfalls ausreichend ist, sondern dass sich lernpsychologische und psycholinguistischeErgebnisse und Argumentationen auch in diesem Kontext zumindest zunehmend Raum verschaffen. Zu welchen methodologischen Konsequenzen und empirischen Ergebnissen man angesichts der Veränderungen in der Fremdsprachendidaktik gelangt, zeigt der Beitrag von Carlo Serra. Anhand einer empirischen Untersuchung legt er dar, welche mentalen Prozesse den Spracherwerb italienischer Deutschlerner kennzeichnen und in welchem Umfang dieser Erwerb von allgemeinen Verarbeitungsprozeduren sowie spezifischen Wissensbeständen bestimmt wird. Eine beinahe zwangsläufige Konsequenz aus der Lernerorientierung, wie sie für die Fremdsprachendidaktik/ Sprachlehrforschung der letzten zwei bis drei Jahrzehnte typisch ist, besteht in der Auseinandersetzung mit der lerntheoretischen Position des Konstruktivismus. Diese Auseinandersetzung hat auch den Fremdsprachenunterricht und seine Erforschung längst erreicht. Die Beiträge von Werner Bleyhl und Dieter Wolf! zeigen wenn auch lFlWL 29 (2000) 6 Zur Einführung in den Themenschwerpunkt jeweils unterschiedlich basiertin welchem Umfang konstruktivistische Positionen für die Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen nutzbar gemacht werden können. Bleyhl favorisiert dabei den radikalen Konstruktivismus, von dem Wolff abrückt, ohne jedoch dabei die Position aufzugeben, wonach jede Form von Lernen ein Vorgang der Konstruktion ist. Beide Autoren beschreiben in ihren Beiträgen, welche Konsequenzen aus einer konstruktivistischen Position für die Praxis des Fremdsprachenunterrichts resultieren (müssten). Einen gänzlich anderen theoretischen Bezugsrahmen wählt lnge Christine Schwerdtfeger. In ihrer Konzeption einer anthropologisch-narrativen Didaktik wendet sie sich gegen eine einseitige Behandlung und Favorisierung des „kognitiven Paradigmas". Ihr kommt es darauf an, den Lernenden in seiner Ganzheitlichkeit zu sehen und zu erfassen. Dazu sind erweiterte Perspektiven ebenso notwendig wie veränderte Forschungsmethoden. Auf beide Bereiche geht sie in ihrem Beitrag ein und liefert damit einen grundsätzlich anderen Ansatz zur Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen, als er sich z.B. im Konstruktivismus findet. Eike Thürmann beschäftigt sich mit der Frage nach den möglichen bzw. wünschenswerten Impulsen aus der Forschung für die Curriculumentwicklung. Neben anderen Aspekten gilt sein Augenmerk Fragen der Qualitätssicherung und Qualitätsüberprüfung. Damit nimmt er einen Diskussionsstrang auf, der z.B. auch in den Erziehungswissenschaften seit einiger Zeit intensiv verfolgt wird. Mehr als in der Vergangenheit gewinnen fremdsprachenpoHtische Überlegungen in der heutigen Zeit an Bedeutung. Diese gestiegene Bedeutung hängt nicht zuletzt mit dem Umstand zusammen, dass sich die Fremdsprachenpolitik von älteren konzeptbildenden Positionen verabschiedet und sich statt dessen einer integrativen Aufgabe verschrieben hat, die darin besteht, den Referenzrahmen für sprachenpolitische Entscheidungen zu benennen und das Bewusstsein dafür zu erwecken und zu erhalten, in welchem Umfang Ergebnisse aus der Forschung bei fremdsprachenpolitischen Entscheidungen herangezogen werden müssen. In den Beiträgen von Albert Raasch auf der einen sowie Michel Candelier und Berengere Dumoulin auf der anderen Seite wird diesem fremdsprachenpolitischen Zugriff auf unterschiedliche Weise Rechnung getragen. In seinem Szenario schildert Albert Raasch die Bedeutung, die der Fremdsprachenpolitik auch im Rahmen eines Fremdsprachenlehrerstudiums zukommen sollte. Michel Candelier und Berengere Dumoulin stützen sich dagegen auf Daten, die zur Erfassung des derzeitigen Status Quo eines bestimmten Ausschnitts der Fremdsprachenpolitik herangezogen werden können. Die Ergebnisse dieser Studie, die ein wichtiges Indiz für die fremdsprachenpolitische Bewusstseinsbildung liefern, bilden ohne Zweifel eine wichtige Grundlage auch im Rahmen europäischer Bemühungen, fremdsprachenpolitisches Bewusstsein zu steigern und zu stärken. Der thematische Teil des vorliegenden Heftes endet mit dem engagierten Plädoyer von Gert Henrici zur empirischen Forschung. (Nicht nur) Seiner Auffassung nach kann fremdsprachendidaktische Forschung nur erfolgreich sein, wenn sie sich darum bemüht, ihre Ergebnisse auf hohem wissenschaftsmethodologischem Niveau empirisch abzusichern. Die Zeit bloßer konzeptueller Rezeptologien ist vorüber; gefordert sind Arbeiten, in denen der zu untersuchende Ausschnitt des fremdsprachlichen Lernvorgangs nicht nur im Zentrum der Untersuchungen steht, sondern auch mit solchen Methoden einer Untersuchung zugeführt lFILllL 29 (2000) Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 7 wird, die möglichst weitreichende Ergebnisse zulassen und darüber hinaus begründete Ursachen benennen, die für das Zustandekommen dieser Ergebnisse verantwortlich sind. Weitere thematische Positionen wären im Zusammenhang mit dem vorliegenden Themenheft denkbar gewesen und hätten durchaus auch einen eigenen Beitrag verdient. Erwähnt seien exemplarisch die Bestrebungen zu einer Verstärkung des fremdsprachenunterrichtlichen Frühbeginns sowie Ansätze zum bilingualen Lernen. In einigen Beiträgen werden diese Aspekte berührt; dasselbe gilt für den Bereich der neuen Technologien oder das interkulturelle Lernen (z.T. galten ihnen Themenschwerpunkte in den letzten Jahren, so z.B. 1999). Es sei an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich erwähnt, dass die vorliegende Zusammenstellung keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben will und kann, sondern sich als Anregung versteht, über gewisse Entwicklungstendenzen in der Fremdsprachendidaktik weiterhin nachzudenken. Von daher dürften einige Positionen auf einen breiten Konsens treffen, andere dürften - und sollen! die weitere Diskussion fördern und beleben. Möge es ihnen gelingen! Literatur BAUSCH, Karl-Richard/ KRUMM, Hans-Jürgen (1995): "Sprachlehrforschung". In: BAUSCH, Karl-Richard / CHRIST, Herbert/ KRUMM, Hans-Jürgen (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 3. Auflage. Tübingen: Francke, 7-13. CHRIST, Herbert/ HOLLEN, Werner (1995): "Fremdsprachendidaktik". In: BAUSCH, Karl-Richard/ CHRIST, Herbert/ KRUMM, Hans-Jürgen (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 3. Auflage. Tübingen: Francke, 1-7. Fremdsprachen lehren und lernen 28 (1999) [Schwerpunkt: "Neue Medien im Fremdsprachenunterricht", koordiniert von Erwin Tschirner]. KÖNIGS, Frank G. (2000): "Rückblick und Ausblick - Anmerkungen zur Entwicklung der Sprachlehr- und Sprachlernforschung in Deutschland". In: Deutsch im Dialog-Niemiecki w Dialogu 2.1, 15-45. KOORDINIERUNGSGREMIUMIMDFG-SCHWERPUNKT 'SPRACHLEHRFORSCHUNG' (Hrsg.) (1977): Sprach- / ehr- und Sprachlernforschung. Eine Zwischenbilanz. Kronberg/ Ts.: Scriptor. KOORDINIERUNGSGREMIUMIMDFG-ScHWERPUNKT 'SPRACHLEHRFORSCHUNG' (Hrsg.) (1983): Sprach- / ehr- und Sprachlernforschung. Begründung einer Disziplin. Tübingen: Narr. FLulL 29 (2000) Frank G. Königs Perspektive 2000 und darüber hinaus Überlegungen zu Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung · Abstract. The research into foreign language learning is characterised by a series of trends. These trends can be derived from certain lines of development which mark the research in recent years: learner autonomy, multilingualism, new media, bilingual and early foreign language learning. In the present article some of these trends are taken up and briefly described. On this basis an assessment of the further development ofresearch into foreign language teaching is given, as weil as some prospects of further research and teacher training. 0. Einführende Bemerkungen Die Geschichte des Fremdsprachenunterrichts und der wissenschaftlichen Beschäftigung mit ihm ist durch mehrere Paradigmenwechsel gekennzeichnet. In ihnen spiegelt sich jeweils eine deutlich gewandelte Vorstellung davon wider, wie das unterrichtlich gesteuerte Lehren und Lernen fremder Sprachen zu geschehen habe und welche Vorgänge und Prozesse die Aneignung, Speicherung und den Gebrauch einer fremden Sprache determinieren. In einer inzwischen zum ,Klassiker' gewordenen Streitschrift heißt es: „Zwar glauben wir nicht[...], daß der Weg zur Erlernung der Sprache über die Grammatik führt [...]. Wir glauben auch nicht, daß der fertig vorgeführten Grammatik mit Regeln und Ausnahmen ein formaler oder sonstiger Bildungswert anhaftet. Wir glauben aber, daß das Erregen des Interesses, das Suchen- und Findenwollen und das Selbstsuchen und Selbstfinden (unter verständiger Leitung) auch dieses als öde verrufene Gebiet in ein ergötzliches und fruchtbares Gefilde verwandelt: kurz, daß erst die wesentlich induktiv behandelte Grammatik sachlich und erziehlich wertvoll ist" (Vietor 1982: 148). Und an anderer Stelle derselben Quelle lesen wir: „Es wäre weit besser, wir füllten unsere Köpfe mit Dingen an, die uns im späteren Leben von praktischem Nutzen sein und zugleich die formale Bildung übermitteln könnten, von der man so viel reden hört. Unsern Unterricht mit den toten Sprachen zu beginnen und was von Zeit dazwischen übrigbleibt, mit einer oder zwei neueren Sprachen auszufüllen, ist das gerade Gegenteil von Wissenschaft und Natur" (Vietor 1982: 136). Und schließlich heißt es unter Bezug auf den Unterricht in den alten Sprachen und insbesondere auf die damit verbundene Wortschatzarbeit: Erweiterte und überarbeitete Fassung der Antrittsvorlesung, die ich am 08.07.1999 an der Philipps- Universität Marburg gehalten habe. lFILIIL 29 (2000) Perspektive 2000 und darüber hinaus ... „Diese eine Dummheit hatten die Neuphilologen den alten noch nicht nachgemacht. Nun schießen aber auch die neusprachlichen Phraseologien und Synonymiken wie Pilze aus der Erde, und auf sehr faulem Boden sind sie zumeist gewachsen" (Vietor 1982: 135). 9 Aus diesen Zitaten wird eine bestimmte fremdsprachenunterrichtliche Realität ersichtlich: Viel Grammatik pauken, viel Wortfeldarbeit, wenig Sprachanwendung und noch weniger Bezug zur außerunterrichtlichen Anwendung der fremden Sprache. So gesehen enthalten die zitierten Äußerungen eine Menge an wissenschaftlichem, aber auch bildungspolitischem Sprengstoff. Vielleicht hat der eine oder die andere unter den Lesern einen solchen Fremdsprachenunterricht erlebt, durchlitten und ihn ebenso eingeschätzt wie der zitierte Autor. Wilhelm Vietor war von 1894 bis 1918 Lehrstuhlinhaber für Englische Philologie an der Marburger Universität. Was er mit seiner Schrift „Der Sprachunterricht muss umkehren! " auslöste, war nicht mehr und nicht weniger als eine weitgreifende Reformbewegung mit dem Ziel, den Fremdsprachenunterricht in seiner Methodik von Grund auf zu verändern. In der Tat hat sich die Entwicklung des Fremdsprachenunterrichts in dem nach Vietor folgenden Jahrhundert radikal verändert. Die unterschiedlichen Methodenkonzepte sind nur ein wichtiger Beleg dafür, und nicht selten bezogen sich die Protagonisten dieser Neuentwicklungen explizit auf Vietor. Hundert Jahre später tauchen einige Fragen wie es scheint erneut auf, vor allem aber - und das ist ein wesentlicher Unterschied ist neben die Entwicklung fremdsprachenunterrichtlicher Konzepte eine intensive Reflexion darüber getreten, wie dieser Unterricht angemessen erforscht werden kann. Ich werde mich im Folgenden mit beiden Phänomenen befassen mit dem Fremdsprachenunterricht und mit der Sprachlehrforschung als der Disziplin, die nach gesicherten Erkenntnissen über das unterrichtliche Lehren und Lernen von Fremdsprachen strebt. Dabei werde ich zunächst auf einige grundsätzliche Aspekte der Sprachlehrforschung eingehen. Daran anschließend werde ich dann einige Trends benennen, wie sie sich aus Arbeiten zur Sprachlehrforschung nach meiner Auffassung nicht nur für die Forschung, sondern auch für den Fremdsprachenunterricht selbst ergeben. Schließlich werde ich abschließend auf die Konsequenzen zu sprechen kommen, die aus den vorangehenden Überlegungen für die Ausbildung von Fremdsprachenlehrern resultieren. 1. Zum Ansatz der Sprachlehrforschung Mit der Sprachlehrforschung etablierte sich in den 80er Jahren eine Disziplin, deren Anliegen die empirische Erfassung des unterrichtlichen Lehrens und Lernens fremder Sprachen ist und die darauf aufbauend nach begründeten Handlungsempfehlungen für den Fremdsprachenlehrer strebt. Damit geht sie in erheblichen Teilen weiter als die traditionelle Fremdsprachendidaktik; diese hatte sich durchaus im Sinne Vietors über Jahrzehnte hinweg als ein Fach verstanden, das dem Lehrer Rezepte an die Hand gibt. Diese Rezepte waren häufig aus einer reflektierten Praxis erwachsen, die allerdings allzu häufig den Einzelfall widerspiegelte. Eine so verstandene Fremdsprachendidaktik krankte daran, dass sie empirisch kaum unterfüttert war und dass in ihrem Mittelpunkt der Lehrende stand und nicht der Lernende. Sie suchte beinahe ausschließlich nach Antworten auf die berühmte lFLllL 29 (2000) 10 Frank G. Königs Montagmorgen-Frage des Fremdsprachenlehrers, nahm den Lernenden jedoch nur am Rande wahr. Durch den Einfluss psycholinguistischer Arbeiten, in denen nunmehr die Frage in den Mittelpunkt gerückt wurde, welche mentalen Prozesse der Lernende bei der Aneignung einer fremden Sprache vollzieht, wurde der Fokus der Betrachtung verschoben (vgl. zu einer Skizze der Sprachlehrforschung jetzt Königs 2000a). Fortan - und eigentlich bis heute steht die Frage nach dem Lerner im Zentrum: Welche mentalen Prozesse kennzeichnen seinen fremdsprachlichen Aneignungsvorgang? Welche Wissensbestände kann er unter welchen Bedingungen aktivieren und für fremdsprachliches Lernen nutzbar machen? Über welche Fähigkeiten und Dispositionen verfügt ein guter Fremdsprachenlerner? Die Beantwortung dieser und ähnlicher Fragen machte es notwendig, einen weiteren Paradigmawechsel zu vollziehen. Die traditionelle Fremdsprachendidaktik war über Jahrzehnte hinweg von der Linguistik beeinflusst worden. Neue linguistische Strömungen lösten beinahe unmittelbar neue methodische und didaktische Strömungen aus, die eng mit den linguistischen Strömungen zusammenhingen. Dietmar Rösler hat das einmal so formuliert: "Zu vermeiden ist jedoch, daß die Sprachlehrforschung jedesmal niesen muß, wenn sich Linguistik, Psychologie usw. erkältet haben" (1983: 121). So gesehen versteht sich die Sprachlehrforschung als ein Antibiotikum, dessen Wirkungsweise darauf beruht, den eigentlichen Vorgang des fremdsprachenunterrichtlichen Lernens und Lehrens in den Mittelpunkt der Diagnose und der Therapie zu stellen. Abgesehen davon, dass dieses Antibiotikum in einigen wenigen Fällen Nebenwirkungen und allergische Reaktionen auslöste, entstanden im Gefolge der Etablierung der Sprachlehrforschung eine Reihe von empirischen Studien, die den Fremdsprachenunterricht selbst und die an ihm Beteiligten, insbesondere die Lernenden stärker im Visier hatten. Die Ergebnisse insgesamt sowie die stetige Verfeinerung des untersuchungsmethodischen Inventars führten immer mehr zu der Einsicht, dass die berühmte Montagmorgen-Frage eben nicht so einfach und schon gar nicht losgelöst von den Bedingungen des Einzelfalls zu beantworten ist. Eine Ursache dafür ist der Umstand, dass zu viele Faktoren zusammenwirken und letztlich für fremdsprachenunterrichtliches Lernen und Lehren verantwortlich sind, als dass man aus den vorliegenden Untersuchungen universelle Empfehlungen oder gar Rezepte ableiten könnte. Folgerichtig konzentriert sich die Sprachlehrforschung also darauf, begründete Empfehlungen für die Praxis zu geben bzw. für bestimmte Fragestellungen zu sensibilisieren. Sie tat und tut dies unter ausdrücklicher Anerkennung der Tatsache, dass der Gegenstandsbereich Fremdsprachenunterricht ein Wirklichkeitsfeld sui generis ist. Von daher betrachtete sie Versuche, außerhalb des Fremdsprachenunterrichts ermittelten Reihenfolgen für den Erwerb einer fremden Sprache auch für den Fremdsprachenunterricht Gültigkeit zu verschaffen, mit einer gehörigen Portion Skepsis. Immerhin konnte in empirischen Studien gezeigt werden, dass die Aneignung einer fremden Sprache insgesamt sehr viele individuelle Züge trägt (vgl. jetzt z.B. Riemer 1997, Klein-Gunnewiek 2000) und dass die Faktorenkomplexion des Fremdsprachenunterrichts diese Individualität bei der Ausprägung des fremdsprachlichen Erwerbsvorgangs eher unterstreicht als aufhebt (vgl. dazu ausführlich Königs 1983). Die Anzahl der Arbeiten, die sich der Sprachlehrforschung zuordnen lassen, ist bei weitem zu groß, als dass sie hier auch nur annähernd vollständig Erwähnung finden könnte. Statt dessen möchte ich mich im Folgenden der Frage zuwenden, welches denn die Forschungsfelder sind, die für die Erforschung des Fremdsprachenunterrichts in Zukunft die Rl.lL 29 (2000) Perspektive 2000 und darüber hinaus ... 11 weitreichendsten Ergebnisse erwarten lassen. Dies schließt einen kurzen Blick auf die erzielten Ergebnisse in eben jenen Forschungsfeldern mit ein wie einen Blick in den Fremdsprachenunterricht selbst. 2. Trends der Sprachlehrforschung und im Fremdsprachenunterricht Die Lernerorientierung ist zweifelsohne ein zentrales Stichwort der Sprachlehrforschung. Mit diesem Stichwort wird die Konzentration auf das lernende Individuum beschrieben und gleichzeitig zum Ausdruck gebracht, dass die Konzentration der traditionellen Fremdsprachendidaktik auf die Entwicklung von lehrergerichteten Handlungsrezepten durch die Hinwendung zum Lerner abgelöst worden ist. Dabei beinhaltet „Lernerorientierung" den Versuch, die Vorgänge zu erfassen, die der Lernende bei Aufnahme, Verarbeitung und Abruf fremdsprachlicher Elemente mental durchläuft. Sie geht ursächlich u.a. zurück auf das Konzept der „Interlanguage", wie es Selinker (1972) in einer vielzitierten Arbeit entwickelt hatte. Er hatte mit seinem Konzept die Auffassung verbunden, dass Lernende bei der Aneignung einer fremden Sprache ein eigenständiges System ausbilden, das sowohl Merkmale der Erstals auch der Zielsprache oder anderer Fremdsprachen habe und das gleichzeitig systemhaft und dennoch variabel sei. Es ist nur konsequent, dass sich vor diesem Hintergrund der Gedanke lernerseitiger Autonomie ausbreiten konnte. Zweifelsohne ist das Streben nach Lernerautonomie (vgl. dazu exemplarisch Holec 1979; Little 1997; 1999) zu einem der zentralen aktuellen Konzepte der Sprachlehrforschung geworden; dabei scheinen die neuen Medien dem Autonomiegedanken noch weiter Vorschub zu leisten, geben sie dem Lerner doch scheinbar die Möglichkeit, Entscheidungen über Lerngegenstand und Lernweg selbst eben autonom zu treffen. Nun findet Autonomie relativ'rasch ihre Grenzen, vor allem in den Rahmenmaßgaben des Lernprozesses wie Lernzielen, Lernzeiten oder Leistungskontrollen, um nur einige wenige zu nennen. Die Selbststeuerung des Lernprozesses ist also immer nur eine relative. Dabei gilt es meiner Auffassung nach zu unterscheiden zwischen einer nach innen gerichteten Lernerautonomie, die sich auf den Fremdsprachenunterricht selbst bezieht, und einer nach außen gerichtete Lernerautonomie, die sich auf den Lernprozess außerhalb des Fremdsprachenunterrichts erstreckt. Gerade dem letztgenannten Bereich gelten in letzter Zeit verstärkt Forschungsbemühungen, insbesondere bei der Organisation, Durchführung und Erforschung des Tandemlernens (vgl. dazu exemplarisch Brammerts 1998; Brammerts/ Kleppin 1998, Herfurth 1994). Hierbei bringen sich Sprecher unterschiedlicher Muttersprache gegenseitig ihre Muttersprache bei, und sofern es sich um freie, von begleitendem Unterricht unabhängige Tandems handelt, erfolgt die Festlegung über Lernwege und Lernziele relativ selbstgesteuert. Derzeit wird die nach innen gerichtete Autonomie zwar erwähnt etwa in Lernzielen oder auch in Lehrwerken der jüngsten Generation -, aber konsequent umgesetzt wird sie meines Erachtens noch nicht. Dieser Schritt steht uns erst noch bevor. Ich will an einem Beispiel zeigen, wohin die konsequente Umsetzung des Gedankens von nach innen gerichteter Autonomie führen muss. Ein zentraler Punkt bei der Fremdsprachenvermittlung ist der Umgang mit Grammatik. Die durch Vietor ausgelöste Reformbewegung führte in der Folgezeit zur Entwicklung mehrerer methodischer Konzepte, bei denen die explizite Vermittlung grammatischer JF]Lllll! ., 29 (2000) 12 Frank G. Königs Regularitäten keine nennenswerte Rolle spielte. Das Aufkommen des kommunikativen Ansatzes in den siebziger Jahren trug bei einigen Betrachtern zu der (irrigen) Auffassung bei, der Fremdsprachenunterricht käme ohne explizite Grammatikvermittlung aus. Dass Grammatikvermittlung vielmehr immer ein Thema war, mag aus dem Umstand abzulesen sein, dass die Diskussion um Konzeption und Gestaltung einer Didaktischen Grammatik zeitlich in beinahe dieselbe Phase fällt wie der kommunikative Ansatz. Das Konzept der Didaktischen Grammatik sieht nun vor, dass Regeln so formuliert werden, dass sie einerseits dem fremdsprachenunterrichtlichen Kontext angemessen, dass sie andererseits aber so lernerbezogen formuliert sind, dass sie den individuellen Lernprozess unterstützen. Das geht freilich nur, wenn erstens die zentralen Merkmale dieses individuellen Lernprozesses bekannt sind und wenn zweitens die Beschreibung der sprachlichen Regularitäten für die Lernenden verständlich und mental verarbeitbar sind. Gerade letzterem Bereich gelten die Arbeiten von Günther Zimmermann, der an diversen Beispielen zeigen konnte, dass die Verständlichkeit von Instruktionstexten zwar auch von ihrer sprachlichen Gestaltung abhängt, viel mehr aber noch von der Struktur des lernerseitigen Vorwissens. So deuten z.B. die Ergebnisse einer neueren Studie von Zimmermann/ Plessner (1998) daraufhin, dass die Vertrautheit mit grammatischen Kategorien und ihrer Beschreibung dann die Aufnahme didaktisch-grammatischer Informationen erleichtert, wenn dieses Wissen als deklaratives Faktenwissen zur Verfügung steht und darüber hinaus mindestens Ansätze für prozedurales Handlungswissen enthält. Lernstrategien so ist zu folgern lassen sich folglich nicht abstrakt trainieren, sondern ihre Einübung bedarf der Orientierung an vorhandenen Wissensbeständen, und zwar sowohl den deklarativen als auch den prozeduralen. Da diese Wissensbestände aber je nach Lern(er)typ sehr unterschiedlich aussehen können, ergibt sich die Notwendigkeit der Erstellung unterschiedlicher, zumindest aber sehr differenziert angelegter Didaktischer Grammatiken. Konzeptuell steht also zu erwarten, dass wir in der Zukunft didaktisch grammatische Beschreibungen für die jeweilige Fremdsprache erarbeiten müssen, die modular organisiert sind und die es dem Benutzer eben dem Lerner erlauben, aufgrund seiner Wissensbestände und aufgrund des Grades an möglicher Selbststeuerung seinen Weg der Aneignung grammatischer Informationen zu finden. Dies wiederum setzt voraus, dass wir uns stärker als bisher der Entwicklung einer Fremdsprachenlernertypologie zuwenden, die aussagekräftige Informationen über zentrale Aspekte tatsächlicher fremdsprachlicher Sprachverarbeitung enthalten und die auch das Zustandekommen dieser Sprachverarbeitung erklären kann. Ansätze für eine solche Lernertypologie gibt es freilich längst. So verweist Grotjahn (1998) auf unterschiedliche typologische Ansätze, in denen neben sprachbezogenen auch sprachunabhängige Merkmale zur Entwicklung der je unterschiedlichen Typologien herausgezogen, beschrieben und untersucht werden. Dabei mehren sich in den letzten Jahren Arbeiten, in denen die Merkmale von Fremdsprachenlernen und Fremdsprachenlernern in beträchtlichem Umfang als kulturell determiniert ermittelt werden (vgl. dazu aus ganz unterschiedlicher Sicht z.B. Oxford/ Anderson 1995 und Beiträge in Barkowski 1998). Vor diesem Hintergrund ist es vielleicht weniger verwunderlich, dass die Diskussion um Didaktische Grammatiken in den letzten Jahren zur Ruhe gekommen ist, ohne dass solche Didaktischen Grammatiken hätten entstehen können, die den genannten Kriterien entsprechen. Oder anders ausgedrückt: Die Diskussion um die Selbststeuerung beim Fremdsprachenlernen hat die Diskussion um Didaktische Grampiatiken ausgebremst; IFL111L 29 (2000) Perspektive 2000 und darüber hinaus ... 13 diese letztgenannte Diskussion wird nach meiner Überzeugung zukünftig wieder aufleben (müssen), allerdings in ganz anderen Bahnen, als sie bislang geführt worden ist. Die Didaktische Grammatik der Zukunft wird modular angelegt sein, und ihr praktischer Nutzen wird davon abhängen, ob es dem Lerner gelingt, den für ihn günstigsten Lernweg im Umgang mit dieser Grammatik zu finden (vgl. dazu einige Beiträge in Düwell/ Gnutzmann/ Königs 2000). Dies freilich wird nur möglich sein, wenn er zuvor gelernt hat, über den eigenen Lernweg zu reflektieren, und dies wiederum wird ihm nur gelingen, wenn es dem Fremdsprachenlehrer wirklich gelingt, in die Rolle des Lernberaters zu wechseln (vgl. dazu Königs 2000c). In diesen Kontext gehört die Diskussion um den Konstruktivismus als mögliches angemessenes Paradigma auch zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts und zur Beschreibung fremdsprachen(unterricht)lichen Lernens (vgl. dazu z.B. Bleyhl in diesem Band, Wolff in diesem Band, vgl. ferner Wolff 1997 und die Kritik am Konstruktivismus von Bredella 1998 und Reinfried 1999). Im Konstruktivismus wird davon ausgegangen, dass der Lerner auf der Grundlage vorhandener Wissensbestände und eingehender neuer Informationen Wissen konstruiert. Diese Konstruktion erfolgt in dem Sinne autonom, dass sie auf einem „Zusammenspiel" der individuellen, auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelten Wissensbestände basiert. Unterrichtlich betrachtet bedeutet dies: Lernprozesse sind wenn überhaupt nur in sehr eingeschränktem Umfang planbar. Demzufolge muss Fremdsprachenunterricht so angelegt sein, dass er hinreichend Raum für individuelle Konstruktionen schafft. In den Erziehungswissenschaften wird dieser Ansatz zur Zeit ebenfalls diskutiert (vgl. exemplarisch das Themenheft 1999 der Zeitschrift für Erziehungswissenschaft zum Konstruktivismus), und er hat zur konzeptuellen Entwicklung einer evolutiven Didaktik geführt (vgl. Scheunpflug 1999). Die Argumente gegen den Konstruktivismus betreffen insbesondere die mangelnde theoretische Konsistenz und damit verbunden die interne Widersprüchlichkeit insbesondere des Radikalen Konstruktivismus sowie die (noch) fehlende empirische Absicherung. Selbst wenn man den theoretischen Prämissen des (Radikalen) Konstruktivismus nicht folgt - und dafür gibt es in der Tat gute Gründe -, impliziert das Konzept der Lernerautonomie und das damit verbundene Ernstnehmen der Lerner unterrichtliche Angebote zur lernerseitigen individuellen Informationsverarbeitung und zur individuenspezifischen Ausgestaltung der Lernprozesse. Dies schließt ,language awareness' and ,language learning awareness' (vgl. dazu das Themenheft von Fremdsprachen lehren und lernen 1997 sowie den Beitrag von Gnutzmann, in diesem Band) mit ein. Inwieweit es gerechtfertigt ist, einseitig auf die „kognitive Karte" zu setzen und affektiv-emotionale Faktoren unterzubewerten (vgl. zu dieser Kritik z.B. Schwerdtfeger, in diesem Band), steht auf einem anderen Blatt. Die hier umrissenen Positionen weisen zugleich Konsequenzen für die Forschung in fünf weiteren Feldern auf, die ich kurz ansprechen möchte. Was gerade mit Blick auf Didaktische Grammatiken gesagt wurde, gilt für Lehrmaterialien allgemein. Sie sind bereits heute zumindest für das .Fach Deutsch als Fremdsprache häufig insofern modular angelegt, als sie optionale Abschnitte über das Lernenlernen enthalten. Damit wird die Reflexion über den eigenen Aneignungsvorgang durchaus in Übereinstimmung mit der Diskussion um autonomes Lernen zu einem wesentlichen Element der Vermittlung. Die Lehrwerke Deutsch als Fremdsprache sind dort einen erheblichen Schritt weiter als die in Deutschland produzierten Lehrwerke für die anderen Sprachen; das mag daran liegen, dass diese LehrlFILlllL 29 (2000) 14 Frank G. Königs werke keiner kultusministeriellen Genehmigungspflicht unterliegen und daher schneller neue Trends aufnehmen können. Jedenfalls fällt auf, dass zumindest die deutschen - Lehrwerkproduktionen in Deutsch als Fremdsprache zahlreicher und insgesamt auch progressiver sind als in den anderen Fremdsprachen. Was wir jedoch nicht wissen, und zwar für keine Fremdsprache, ist, welche Wirkung sie auf den fremdsprachlichen Lernprozess tatsächlich ausüben. Das soll an einem zugegebenermaßen episodischen - Beispiel verdeutlicht werden: Ich habe gerade die neueren Lehrwerkproduktionen für Deutsch als Fremdsprache wegen ihres Innovationspotentials gelobt, und sie enthalten in der Tat-z.T. sogar sehr ausführlich- Informationen, die den Lernern das selbstgesteuerte Lernen erleichtern sollen. In einem Fall ich meine das Lehrwerk Eurolingua Deutsch gibt es sogar ein Lernerhandbuch, durch dessen Verwendung der Lerner parallel zum Lehrbuch kontinuierlich mit Fragen der Bewusstmachung des eigenen Lernvorgangs und Möglichkeiten zu seiner Effektivierung konfrontiert wird. Unter wissenschaftlichem Gesichtspunkt wird man nicht umhin können, diesem Lehrwerk zu bescheinigen, dass es die neueren Forschungstrends aufnimmt und didaktisch sehr ansprechend für die Lernenden umsetzt. Dennoch ist dieses neue Lehrwerk an mehreren Institutionen in Marburg und Umgebung wieder abgesetzt worden. Der Grund: Die innovativen Ideen zur Selbststeuerung des Lernprozesses kamen bei den Lernern nicht an, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen haben Verlag und Autoren möglicherweise übersehen, dass die Adressaten ihres Produktes erst Deutsch lernen wollen und daher nicht in der Lage sind, umfangreiche Texte zur Selbststeuerung in der Fremdsprache zu verstehen. Dass das Lernerhandbuch inzwischen in mehreren Sprachen vorliegt, kann man auch als Reaktion auf diesen in der Praxis festgestellten Mangel interpretieren. Zum anderen scheiterte das Lehrwerk an der mangelnden Vertrautheit auf Seiten der Lernenden, vielleicht auch auf Seiten der Lehrenden, mit der Vermittlung von Lernstrategien und Lerntechniken. Ich will diesen Befund, der sich im Rahmen von Gesprächen mit mehreren Institutionen in Marburg und Umgebung ergab, nicht überbewerten. Aber er belegt die Notwendigkeit einer empirisch gestützten Wirkungsforschung, die gesicherte Aussagen darüber erlaubt, in welchem Umfang und aus welchen Gründen Lehrmaterialien tatsächlich ihr Ziel erreichen, den fremdsprachlichen Lehr- und Lernprozess entscheidend mitzugestalten (vgl. dazu Königs 1998). Eng verbunden mit den soeben erwähnten Lehrwerken sind die Neuen Medien. Viele fremdsprachliche Lehrwerke enthalten Zusatzkomponenten, die für die Arbeit am PC gedacht sind oder gar interaktives Arbeiten mit CD-Roms vorsehen. Dies ist ohne Zweifel reizvoll, sowohl aus motivationspsychologischer wie aus didaktischer Sicht. Allerdings gilt auch hier der obige Vorbehalt, dass wir über die tatsächliche Bedeutung dieser Medien für den fremdsprachlichen Lernprozess nichts wissen. Und mehr noch: Es scheint, als verdecke die Euphorie hinsichtlich der technischen Leistungsfähigkeit der neuen Medien den Blick für das didaktische Konzept. Dietmar Rösler konnte in seiner Gießener Antrittsvorlesung zeigen, dass viele Lernprogramme mit den technischen Möglichkeiten virtuoserumgehen als mit didaktischen Konzepten. Dabei ist die Technik-Euphorie für die Fremdsprachendidaktik nicht neu; sie war von ihr in den 60er und 70er Jahren ergriffen, als das Sprachlabor seinen kommerziellen Siegeszug durch Schulen, Universitäten und Volkshochschulen antrat. Sehr viel geblieben ist davon nicht, nicht zuletzt, weil didaktische Konzeptionen der technischen Entwicklung auch damals hinterherhinkten. Als die Didaktik endlich in der Lage war, JFLIIL 29 (2000) Perspektive 2000 1111d dariiber hinaus ... 15 mediengerechte Vorschläge für den Umgang mit dem Sprachlabor zu machen, hatte sich das Medium selbst in weiten Teilen aus dem Unterricht verabschiedet. Wohl gemerkt: Damals wie heute gilt, dass die Medien dazu beitragen können, den Unterricht zu effektivieren. Aber das setzt Zeit voraus. Fast möchte man fordern, dass die neuesten technischen Entwicklungen erst dann auf den Markt kommen dürfen, wenn die Didaktiker wissen, wie damit umzugehen ist. Das ist nicht so abwertend gemeint, wie es vielleicht klingen mag. Denn gerade der zuvor angemahnte empirische Zugriff der Sprachlehrforschung auf das Lehren und Lernen fremder Sprachen wendet sich gegen eine Hauruck- oder Kurzschlussdidaktik aber er benötigt Zeit. Es bleibt zu hoffen, dass die Forschung die auch bekommt, damit sie dazu beitragen kann, die neuen Medien auch im Sinne eines sozialen Lernens zu nutzen. Ich habe oben erwähnt, dass es keineswegs selbstverständlich ist, dass Lernende und Lehrende neuere Entwicklungen aus dem Bereich der Fremdsprachendidaktik annehmen. In einigen Fällen ist diese Skepsis ohne Zweifel angebracht, in anderen sicher eher verwunderlich. Es deutet sich an, dass die oben erwähnte Selbststeuerung des Lernprozesses auf Seiten der Fremdsprachenlerner einer gezielten Unterstützung bedarf. Diese Unterstützung muss zum einen aus der Ausbildung von Fremdsprachenlehrern kommen, auf die ich gleich noch gesondert zu sprechen komme. Sie muss andererseits in den Fremdsprachenunterricht möglichst früh implementiert werden. An dieser Stelle kreuzen sich zwei Entwicklungslinien, denn seit einigen Jahren werden Modelle des fremdsprachenunterrichtlichen Frühbeginns propagiert und auch umgesetzt. Diese Modelle zielen darauf ab, den Fremdsprachenunterricht bereits in der Grundschule beginnen zu lassen. Die meisten Bundesländer verfügen nicht nur über entsprechende Konzepte, sondern sie haben auch damit begonnen, diese Konzepte umzusetzen. Alle verfügbaren Daten sprechen für einen solchen frühen Lernbeginn: Offensichtlich erfolgt die Aneignung der fremdsprachlichen Phonetik vor einem gewissen Alter leichter als später, und auch das Gefühl für Sprache, das bereits unser Gewährsmann Vietor angemahnt hatte, lässt sich in früh beginnendem Fremdsprachenunterricht leichter ausbilden. Lehrerausbildungskonzepte wie z.B. in Rheinland-Pfalz bereiten angehende Fremdsprachenlehrer auf die besonderen methodischen und didaktischen Anforderungen vor, die sich in der Grundschule ergeben. Und auch die angestrebte Mehrsprachigkeit europäischer Schüler lässt sich zweifelsohne eher erzielen, wenn der Fremdsprachenunterricht nicht erst in der Klasse 5 einsetzt. Dennoch gilt es zwei wichtige Anmerkungen zu machen, die in der Diskussion bisweilen untergehen: Wenn die Förderung selbstgesteuerten Lernens so essentiell ist, wie wir derzeit annehmen, dann muss bereits im Fremdsprachenunterricht der Grundschule damit begonnen werden, diese Förderung zu beginnen, ja mehr noch: Vielleicht muss gerade in der Grundschule damit begonnen werden. Denn wir wissen, dass die ersten Lernerfahrungen häufig besonders prägend sind, und wir wissen auch, dass es schwer fällt, einmal verfestigte Wissensbestände radikal zu verändern. Zum Zweiten ist die Frage der Fremdsprachenweiterführung zwar partiell geklärt, aber eben nur partiell: Es wäre wenig gewonnen, wenn früh einsetzender Fremdsprachenunterricht nur dazu führt, das Fremdsprachencurriculum früher zu durchlaufen. Wenn selbst Vertreter des Anglistenverbandes heute einräumen, dass neun Jahre Englisch an der Schule zu viel sind, dann sollte der Frühbeginn nicht dazu führen, diese Zahl noch zu erhöhen, sondern er sollte dazu genutzt werden, andere Fremdsprachen in das Curriculum zu integrieren und damit helfen, der angestrebten Mehrsprachigkeit europäischer Schüler ein bedeutendes Stück fLlllL 29 (2000) 16 Frank G. Königs näher zu kommen. Und noch zwei Argumente sollen angeführt werden, um eine weitgehende Euphorie im Zusammenhang mit dem Frühbeginn etwas zu bremsen: Schon mehren sich Stimmen, die aus dem weitgehenden Konsens zum Frühbeginn in einer Sprache die Forderung ableiten, den Frühbeginn noch weiter vorzuverlegen und über eine zweite Fremdsprache im Primarschulbereich nachzudenken. Hier scheint mir Vorsicht geboten! Ob die Primarschule ihrem allgemeinen Erziehungs- und Bildungsauftrag noch nachkommen kann, wenn bereits zwei Fremdsprachen auf dem Stundenplan stehen, müsste noch geklärt werden. Das gilt insbesondere angesichts der Tatsache, dass wir trotz aller verdienstvollen Bemühungen von einer gut entwickelten Didaktik des früh einsetzenden Fremdsprachenunterrichts noch ein beträchtliches Stück entfernt sind. Bedenklich scheint mir in diesem Kontext auch die einseitige Festlegung auf Englisch als Sprache des frühbeginnenden Fremdsprachenunterrichts, wie sie die meisten Bundesländer explizit oder implizit getroffen haben. Angesichts eines stetig gewachsenen Anteils von Mitgliedern in der Gesellschaft, deren Muttersprache nicht die Umgebungssprache ist, bieten sich zur Aufrechterhaltung und Förderung von Mehrsprachigkeit andere Optionen an, wie sie in Nordrhein-Westfalen bis zum Beschluss der Landesregierung für einen flächendeckenden Frühbeginn mit Englisch durch das sog. Begegnungssprachenkonzept zumindest möglich waren. Diese soeben erwähnte Mehrsprachigkeit wird im Zuge des Zusammenwachsens Europas immer wichtiger, und so gibt es mehrere Ansätze, dieser Mehrsprachigkeit zum Durchbruch zu verhelfen. Der eine besteht darin, das Lernen fremder Sprachen daran auszurichten, welche sprachlichen Informationen der Lernende implizit oder explizit bereits über die zu lernende Sprache hat. Dabei sind mehrere Formen von Mehrsprachigkeit zu unterscheiden. Die eine Form besteht in einer individuellen, bereits vorhandenen Mehrsprachigkeit auf Seiten der Lernenden. Insbesondere im Bereich Deutsch als Zweitsprache macht sich dieser Ansatz breit (vgl. z.B. den Band von Katharina Kuhs und Wolfgang Steinig mit den beziehungsreichen Titel „Pfade durch Babylon" aus dem Jahre 1998). Hier wird schwerpunktmäßig-wenn auch nicht ausschließlichder Versuch beschrieben, die vorhandene Mehrsprachigkeit der Lerner für den Erwerb des Deutschen in deutschsprachiger Umgebung zu funktionalisieren, und zwar mit dem Ziel, die Lerner zu Teilnehmern des deutschen Bildungssystems zu machen. Dieser Ansatz schließtzumindest partiell auch den Verlust der Muttersprache mit ein. Demgegenüber plädieren die meisten Autoren in Meißner/ Reinfried (1998) zu Recht für eine Mehrsprachigkeitsdidaktik, die es dem Lerner nahelegt, gleichzeitig mehrere romanische Sprachen zu lernen, da die gemeinsamen Wurzeln den Lernprozess fördern, insbesondere dann, wenn dieser Lernprozess bewusst und reflektiert stattfindet. Hierbei geht es also um den Aufbau einer tatsächlichen mehrsprachigen Kompetenz bei den Lernenden. Die Nutzung vorhandenen expliziten Sprachwissens ist überdies gleichzeitig ein vorzügliches Argument für das Lernen von Deutsch als Fremdsprache, denn vorhandene Englischkenntnisse fördern nach diesem Verständnis das Deutschlernen, eine entsprechende Gestaltung des Unterrichts vorausgesetzt (vgl. dazu z. B. den Ansatz von Hufeisen 1993). Der dritte Ansatz zur Erreichung von Mehrsprachigkeit ist in den Formen bilingualen Lernens zu sehen, wie sie sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten in Deutschland etabliert haben. Sie basieren darauf, dass jenseits des Fremdsprachenunterrichts die fremde Sprache auch zum Kommunikationsmedium im Fachunterricht wird. Mit diesem IFILuL 29 (2000) Perspektive 2000 und darüber hinaus ... 17 Ansatz wird der Kompetenzgrad der Lerner nicht nur erhöht, sondern die fremde Sprache wird zu einem tatsächlichen Kommunikationsmedium, mit dessen Hilfe neue außersprachliche Inhalte vermittelt und verhandelt werden. Tatsächliche ausgeglichene Mehrsprachigkeit im Sinne der Bilingualismus-Forschung wird damit ebensowenig erreicht wie eine annähernde Zweisprachigkeit, wie sie z.B. im Rahmen der kanadischen Immersionsprogramme immerhin berichtet worden sind. Aber es dürfte ohne Zweifel bleiben, dass die Kompetenz in der fremden Sprache dadurch höher und solider wird als in normalem Fremdsprachenunterricht. Die empirische Erforschung des bilingualen Unterrichts hat gerade erst begonnen; erste Ergebnisse deuten daraufhin, dass unterrichtliche Interaktionsstrukturen bisweilen noch zu stark an normalem Fremdsprachenunterricht angelehnt sind und im Zweifelsfall sprachliche Semantisierungen in den Vordergrund stellen anstelle eines fachlichen Diskurses. Hier ergibt sich gleichermaßen ein erhöhter Forschungsbedarf wie ein Bedarf an strukturellen Vorschlägen zur Anpassung der Fremdsprachenlehrerausbildung. Ich komme weiter unten noch einmal darauf zurück, schließe aber bereits an dieser Stelle den Hinweis an, dass die unterschiedlichen Formen von Mehrsprachigkeit nach einem differenzierten Konzept von Mehrsprachigkeit verlangen. Ich habe an anderer Stelle zu zeigen versucht, dass wir nach Situierung und Zusammensetzung des jeweiligen Unterrichts differenziert mindestens 18 Formen von mehrsprachig angelegtem Fremdsprachenunterricht unterscheiden müssen (vgl. Königs 2000b) eine wahrhafte Herausforderung für die Sprachlehrforschung! Aus den vorangehenden Ausführungen resultiert beinahe zwangsläufig eine nicht weniger große Herausforderung: Angesichts der geschilderten Umstände und Entwicklungen müssen wir endlich ernst machen mit der Umsetzung der Forderung n~ch einer spezifischen Methodik und Didaktik der später einsetzenden Fremdsprache. Ansätze dazu sind bereits vorhanden; ich verweise auf einige diesbezügliche Forderungen für den Bereich Deutsch als Fremdsprache (vgl. Bausch/ Heid 1992; Neuner 1996) sowie für Französisch. Diese Entwicklungen müssen aber kontinuierlich und systematisch vorangetrieben und empirisch abgesichert werden mit dem Ziel, das vorhandene sprachliche sowie fremdsprachliche Wissen für den Aufbau neuen fremdsprachlichen Wissens nutzbar zu machen. Das bedeutet konkret natürlich auch zu einem beträchtlichen Teil die Aufgabe einer strikten Einsprachigkeit für denjenigen Fremdsprachenunterricht, in dem gewinnbringend vorhandene Fremdsprachenkenntnisse für Phasen der Semantisierung, der Texterschließung oder der Grammatikvermittlung genutzt werden können, ja: genutzt werden mü~sen. Konzeptuell hatten bereits Michel Candelier und Claus Gnutzmann 1990 dies für den Grammatikunterricht angeregt; weitere Hinweise dazu finden sich in dem Sammelband von Giese/ Ossner aus dem Jahre 1998. Diese Hinweise müssen konsequent weiterverfolgt werden. 3. Fremdsprachenpolitische Konsequenzen Die vorangehenden Überlegungen beinhalten eine Reihe von Aufgaben für die Fremdsprachen- und die Sprach(en)politik, für deren stärkere Integration in die Ausbildung von Fremdsprachenlehrern Raasch (in diesem Band) plädiert. Bereits vor 20 Jahren wurden fremdsprachenpolitische Modelle entwickelt, deren Ziel es war, die Sprachenverteilung IFLll.L 29 (2000) 18 Frank G. Königs zumindest in Europa zur Grundlage einer europäischen Sprachenpolitik zu machen (vgl. exemplarisch die Hamburger Empfehlungen für eine sprachenteilige Gesellschaft in Europa oder die Überlegungen von Franz Josef Zapp 1979). Diese Modelle sind mit durchaus nachvollziehbaren Gründen kritisiert worden, aber sie haben keine wirklichen Nachfolger gefunden. Das Ergebnis ist, dass wir heute zwar über fremdsprachenpolitische Absichtserklärungen aus der Politik verfügen, aber nicht über die Modelle und vor allem den politischen Rückenwind, um derartige Modelle umzusetzen. Wir brauchen eine Differenzierung des Sprachenangebots, an den Schulen wie an den Einrichtungen des tertiären Bildungsbereichs. Eine solche Differenzierung muss den Voraussetzungen Rechnung tragen, die unsere Fremdsprachenlerner heute mitbringen ich erinnere daran, dass heute an den deutschen Schulen der Anteil von Schülern mit einer anderen Muttersprache als Deutsch bisweilen über 30 Prozent liegt-, und wir brauchen in Verbindung damit eine europäische Verständigung darüber, dass ein solchermaßen differenziertes Fremdsprachenangebot nur dann eine Chance hat verwirklicht zu werden, wenn wir das vorhandene sprachliche und fremdsprachliche Potential unserer Lerner sowie ihr fremdsprachliches Lernwissen ausnutzen. Dies schließt ausdrücklich auch diejenigen Fremdsprachen ein, die wir nicht selten als die seltener gelernten oder kleinen Sprachen bezeichnen, die wir aber nur allzu oft für weniger wichtig halten. Sie sind alles andere als das! Vielleicht sollten wir uns hier zahlreiche Studiengänge für Deutsch als Fremdsprache zum Vorbild nehmen, zu deren selbstverständlichem Bestandteil es gehört, dem angehenden Lehrer für diesen Bereich hinreichende Kenntnisse in den sogenannten Herkunftssprachen abzuverlangen. Warum, so frage ich, gilt das nicht für angehende Englisch- oder Französischlehrer? Wenn wir es mit dem Ernstnehmen der Lerner ernst meinen, dann gehört diese Komponente unabdingbar sowohl in die Fremdsprachenlehrerausbildung als auch in die zu entwickelnden sprachenpolitischen Konzepte. Hier sind Institutionen wie der Europarat, der sich in der Vergangenheit bereits um sprachenpolitische Grundsatzfragen gekümmert hat, erneut gefragt. Gleichzeitig gehört dazu auch das selbstbewusste Eintreten für die eigene Muttersprache. Damit meine ich nicht das beleidigte Verlassen internationaler Konferenzen, das ja gerade in jüngerer Zeit wieder ein bezeichnendes Bild auf die offizielle deutsche Sprachenpolitik wirft, die sich schon in der Vergangenheit nicht durch Konsequenz und durchdachte Konzepte ausgezeichnet hat. Vielmehr meine ich damit die Forderung nach einer übergreifenden und koordinierten deutschen auswärtigen Kulturpolitik, in deren Rahmen auch die Vermittlung der eigenen Sprache einen wichtigen Stellenwert hat und nicht zum Spielball ökonomischer Spielereien wird. Allein die Tatsache, dass beim Goethe-Institut darüber nachgedacht werden musste, die gesamte Spracharbeit in einem Land wie Frankreich einzustellen, damit die dem Goethe- Institut vom Auswärtigen Amt verordneten Streichquoten erzielt werden, spricht in der Tat Bände. Man wünschte sich auch hier seitens der Politik ein „Wir haben verstanden! ". Leider deutet wenig darauf hin, dass die Politik tatsächlich verstanden hat. 4. Konsequenzen für die Ausbildung von Fremdsprachenlehrern Ich habe in meinen bisherigen Ausführungen bereits mehrfach angedeutet, dass meine angestellten Überlegungen Konsequenzen für die Ausbildung von Fremdsprachenlehrern IFILIIL 29 (2000) Perspektive 2000 und dariiber hinaus ... 19 beinhalten. Um sie soll es abschließend gehen. Es sollte deutlich geworden sein, dass wir Fremdsprachenlehrer nicht weiter so ausbilden können, als reichten vor allem solide Fremdsprachenkenntnisse aus, um sie auf ihre spätere Tätigkeit vorzubereiten. Auch die zweite Phase der staatlichen Lehrerausbildung istaus verständlichen Gründen nicht in der Lage, die diversen Anforderungen an Fremdsprachenlehrer des 21. Jahrhunderts hinreichend in geeignete Ausbildungsstrukturen umzusetzen. Das Aufgabengebiet eines Fremdsprachenlehrers des 21. Jahrhunderts ist deutlich komplexer, als Vietor es sich hat träumen lassen und als viele es heute wahrhaben wollen. Einige der Forschungsfelder, die ich angesprochen habe, zeigen dies. Offensichtlich ist, dass wir die Fremdsprachenlehrerausbildung, wahrscheinlich die Lehrerausbildung insgesamt, modular organisieren müssen. Die angestrebte Studienzeitverkürzung und die differenzierten Aufgabenprofile lassen uns kaum eine andere Wahl. Natürlich gibt es auch hier Idealkonzeptionen, und die sehen für jede Art von Fremdsprachenlehrern, die wir ausbilden, eine hinreichende Menge von fremdsprachendidaktischem Lehrpersonal vor, z.B. eine entsprechend gewidmete Professur für jede Fremdsprache. Mir ist natürlich klar, dass die verfügbaren Ressourcen dies leider nicht zulassen. Auf der anderen Seite sollte die Fremdsprachenlehrerausbildung durchaus ihre Orientierung am späteren Berufsprofil suchen - und mit ein bisschen gutem Willen auf allen Seiten geht das auch, oder besser: muss es auch gehen! Natürlich brauchen angehende Fremdsprachenlehrer eine solide fachwissenschaftliche Ausbildung daran besteht kein Zweifel. Aber ebensowenig steht in Frage, dass die Fachwissenschaften ihre Inhalte daraufhin durchforsten müssen, inwieweit sie mit dem anzustrebenden Ausbildungsprofil vereinbar sind. Auch der Anteil der Erziehungswissenschaften an der Fremdsprachenlehrerausbildung ist unbestritten. Dennoch muss auch er an die Erfordernisse des angestrebten Berufsfeldes angepasst werden. Wir müssen uns in aller Offenheit fragen, ob es notwendig und angemessen ist, einen angehenden Fremdsprachenlehrer mit der Montague-Grammatik, der 250. Deutung Moliere'scher Komödien oder der Geschichte der Pädagogik seit der Antike zu konfrontieren ich hoffe, es wird deutlich, dass dies bewusst extreme Beispiele sind, deren wissenschaftlicher Wert nicht in Zweifel gezogen werden soll, deren Funktionalisierung für zukünftige Fremdsprachenlehrer aber nicht geleistet werden kann, schon gar nicht angesichts der immer geringer werdenden zur Verfügung stehenden Zeit. Mit Inhalten wie den erwähnten lassen wir den angehenden Fremdsprachenlehrer bezüglich seiner späteren Berufswelt im Unklaren und vertrauen darauf, dass die 2. Phase das irgendwie erledigt. Das tut sie höchst selten, und das kann sie auch nicht. Wir benötigen die reflektierte, auf die Theorie bezogene Praxis bereits in der Universität; erreichen wir sie da nicht, erreichen wir sie nie. Universität hat die Aufgabe, Wissen zu vermitteln und dieses Wissen den Studierenden so zur Verfügung zu stellen, dass sie damit ihren Platz im angestrebten Berufsfeld finden und das vermittelte Wissen berufsfeldbezogen ausbauen und anwenden können. Neben dieser Orientierung am angestrebten Berufsprofil ist es unabdingbar, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen mit zu reflektieren. Wir werden nicht nur einen Euro, sondern auch einen Euro-Lehrer haben, der in der Lage sein muss, seinen Beruf in einem anderen Land auszuüben. Von daher gehört für mich für jeden angehenden Fremdsprachenlehrer auch zumindest eine rudimentäre Vermittlungskompetenz für seine Muttersprache als Fremdsprache unabdingbar zur Ausbildung dazu. Und wir brauchen mehr internationale, zumindest europäische Kooperationen in der FremdsprachenlehrerauslFLIIL 29 (2000) 20 Frank G. Königs bildung, Kooperationen, die über zugegebenermaßen interessante - Stippvisiten in den Nachbarländern hinausgehen und gleichermaßen kontinuierlich wie systematisch angelegt sein müssen. Vietor hatte die Umkehr des Sprachunterrichts gefordert. Dieser Forderung ist der Sprachunterricht in den letzten 120 Jahren mehrfach nachgekommen; er ist umgekehrt und hat sich dabei spiralförmig weiterentwickelt. Er wird sich aber noch weiter entwickeln müssen, und dabei ist er ganz im Sinne des engagierten Einwurfs von Henrici (in diesem Band)auf fundierte empirische Forschung angewiesen, deren Ergebnisse wiederum über die Lehreraus- und -fortbildung an die fremdsprachenunterrichtliche Praxis rückgebunden werden müssen. Auf dieser Grundlage wird es möglich sein, die Anforderungen zu erfüllen, die im 21. Jahrhundert auch an Fremdsprachenunterricht gestellt werden. Literatur BARKOWSKI, Hans (Hrsg.) (1998): Deutsch als Fremdsprache weltweit interkulturell? 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Since English is used world-wide and practically in all spheres of our Jives, it has turned into a global linguafranca. lt has also become the first and very often the only foreign language to be "taken seriously" at school and outside the school context. This development could receive even further encouragement from certain innovative measures such as starting to teach English as early as in the first year at primary school and bilingual contents language teaching. These measures very much involve the risk of competition and elitism pervading school life from a very early age and then becoming a dominant factor in a pupil's school career. After discussing several linguistic and pedagogical aspects of a linguafranca in general and ofEnglish in particular, the article concludes that Iinguistic pluralism should be supported more effectively in order to maintain linguistic and cultural diversity. At the same time, such reorientation could contribute to a much-needed stronger emphasis on the educational, social and political aims of foreign language learning to counterbalance its rapidly increasing instrumental bias. 1. Ausgangssituation, Problemstellung, Zielsetzung Wir leben in einer Zeit, in der das gesellschaftliche und individuelle Denken und Handeln zunehmend, wenn nicht sogar vorwiegend, von einem ökonomischen Kosten-Nutzen- Prinzip bestimmt wird. So ist es nicht verwunderlich, dass dieses Prinzip mittlerweile auch die Schule und den folgenden Bildungs- und Ausbildungssektor ergriffen hat. Davon ist selbstverständlich auch der Fremdsprachenunterricht nicht ausgenommen; vor allem ist hier das Schulfach Englisch betroffen, weil mit ihm besonders hohe Gewinn-Erwartungen hinsichtlich eines praktischen und verrechenbaren Nutzens im Studium und im Beruf verbunden werden. Eine solche, durch die weltweite Verbreitung des Englischen nahegelegte sowie durch entsprechende sprachenpolitische Maßnahmen geförderte Erwartungshaltung lässt die Popularität der englischen Sprache weiter anwachsen. Es erhebt sich allerdings die Frage, ob Disziplinen wie die Anglistik und die Fachdidaktik des Englischen, die u.a. der Erforschung dieser Prozesse verpflichtet sind, durch diese Entwicklung gestärkt oder nicht schon bald geschwächt werden. Weiterhin ist zu fragen, welche Auswirkungen von dezidiert leistungsorientierten, elitefördemden Innovationsoffensiven, die jetzt von Dieser Aufsatz ist Ekkehard König (FU Berlin) zum 60. Geburtstag im Januar 2001 gewidmet. Bei dem Beitrag handelt es sich um die gekürzte und veränderte Version meines als Manuskript vorliegenden Aufsatzes "Lingua franca (especially English): functions, role, evolution teaching and leaming issues striving for plurilingualism". IFLlllL 29 (2000) 24 Claus Gnutzmann politischer Seite, aber auch verstärkt von Fachvertretern, propagiert werden, auf das pädagogische, psychologische und soziale Klima von Schule generell und auf den Fremdsprachenunterricht im besonderen zu erwarten sind. Als Beispiel für eine solche Maßnahme könnte man in diesem Zusammenhang z.B. auf die (derzeit erprobte) Einführung des Englischen als „Unterrichtssprache" in fast allen Lernbereichen der Grundschule bereits im ersten Schuljahr 1 verweisen, die in einigen europäischen Ländern bereits praktiziert wird. 2 Dabei ist aber auch zu berücksichtigen, dass die aus einem solchen Ansatz resultierende Hinorientierung zum Erwerb quantifizierbarer Kompetenzen und die sich dadurch abzeichnende Entpädagogisierung des Grundschulunterrichts das Risiko in sich trägt, Leistungsdruck und Konkurrenzkampf schon in den Beginn der schulischen Sozialisation zu verlegen. Grundschulpädagogen und Eltern, deren Kinder dann nicht zu den Erfolgreichen gehören, werden diese Entwicklung wohl eher skeptisch beurteilen. Auswirkungen mit partiell vergleichbarem Resultat sind möglicherweise auch vom bilingualen Sachfachunterricht zu erwarten. Sicherlich ist die den Lernenden durch den bilingualen Sachfachunterricht gegebene Möglichkeit, zusätzlich, also neben dem „normalen" Englischunterricht, die englische Sprache zu verwenden und ein Sachfach fremd-sprachlich zu erschließen, prinzipiell zu begrüßen, nicht zuletzt deshalb, weil hierdurch der aktive Gebrauch des Englischen erhöht wird und so eine Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit erreicht werden kann. Allerdings erscheint die Gefahr, dass durch die geschilderten Entwicklungen die Inhalte und Lernziele des herkömmlichen Englischunterrichts weiter eingeschränkt werden, als durchaus real, wenn auch hinzuzufügen ist, dass das Beharren am schulischen status qua sicherlich keine Tugend an sich ausmacht und Veränderungen im allgemeinen mit Risiken behaftet sind. Decke-Cornill (1999) weist auf die Gefahr hin, dass durch den bilingualen Unterricht die Autonomie, ja letztlich der Bestand, der fremdsprachlichen Fächer gefährdet werde und dass die inhaltliche, die Sack-Orientierung (vs. Lerner-Orientierung) eine Einschränkung von pädagogischen Gestaltungsfreiräumen zur Folge haben könne. Berücksichtigt man weiterhin, dass für den bilingualen Sachfachunterricht besondere sprachliche Vorleistungen zu erbringen sind, so wird deutlich, dass das Englische und seine Verwendung im schulischen Kontext auch in diesem Fall dazu beitragen (können), den schulischen Ausleseprozess weiter zu beschleunigen. Die einstmals emanzipatorische Kraft des Slogans „Fremdsprachenunterricht für alle" würde unter diesem Blickwinkel endgültig der Vergangenheit angehören. Auch wenn es derzeit noch zu früh ist, hier eindeutige Prognosen zu stellen, sollte man nicht allzu überrascht sein, wenn sich herausstellt, dass die ständig steigende Instrumentalisierung der von den Schülern zu erwerbenden Sprachkompetenz für die spätere Ausbildung und Berufstätigkeit in einem nicht-sprachlichen Bereich nicht unbedingt dazu Vgl. hierzu den Artikel von Jeannette Otto in Die Zeit vom 15.6.2000, in dem über ein Pilotprojekt zum Englischunterricht in der Grundschule berichtet wird. Ob die vom Projektleiter erhobene Behauptung „Je früher Kinder beginnen, die erste Sprache zu erlernen, desto besser ist es" (Henning Wode), in dieser Verallgemeinerung haltbar ist, ist angesichts der erheblichen Unterschiede im Leistungspotential bereits von Erstklässlern mehr als fraglich. Gerade im Hinblick auf die sehr unterschiedlichen muttersprachlichen Kompetenzen von Schulanfängern erscheint es wohl sinnvoller, "sich zunächst zwei Jahre intensiv mit der Muttersprache zu beschäftigen" (Helmut Sauer). 2 Vgl. z.B. für die Situation in Finnland Järvinen (1999). lFILU! L 29 (2000) Englisch als globale lingua franca: Funktion und Entwicklung ... 25 angetan ist, andere nicht mit so einem hohen Grad an Verwertbarkeit versehenen Lernziele zu fördern. Es ist deshalb zu befürchten, dass im Kontext eines am Kosten-Nutzen-Denken und Gewinnmaximierung orientierten Fremdsprachenunterrichts erzieherische, soziale und politische Ziele sowie ein Lernziel sprachliche und kulturelle Bildung 3 wohl sehr bald auf der Strecke bleiben würden. In einer umfassenden Untersuchung ökonomischer Aspekte der Sprache analysiert Coulmas (1992: 108) "Sprache als Ware", deren Wert sich relativ zu dem anderer Sprachen bestimmt. Nach Coulmas manifestiert sich der Warencharakter von Sprachen am offensichtlichsten auf dem Gebiet des Fremdsprachenerwerbs, das sich als Markt darstellen lässt, wobei zwischen dem lokalen, regionalen und nationalen Markt sowie dem Weltmarkt unterschieden werden kann. 4 Faktoren, die den Marktwert einer Sprache beeinflussen, sind politischer, kultureller, aber vor allem ökonomischer Natur. Im Hinblick auf das Prinzip der „ökonomischen Zweckrationalität" kommt Coulmas (1992: 111) zu dem Schluss, "dass exportorientierte Länder der nicht-englischsprachigen Welt Englisch jeder anderen Fremdsprache vorziehen". Insofern ist es wenig überraschend, wenn Eltern und Kinder ihre Fremdsprachenwahl und die damit verbundenen Chancen in erster Linie im Hinblick auf den zukünftigen Arbeitsmarkt vornehmen. Fachdidaktiker und Bildungspolitiker, die ausschließlich mit ökonomischen Argumenten Fremdsprachenpolitik betreiben und somit die Instrumentalisierung des Fremdsprachenunterrichts fördern, machen sich zum Organ der Wirtschaftspolitik und berauben sich selbst ihrer Legitimation; denn in einer demokratischen Gesellschaft kann schulischer Fremdsprachenunterricht nicht einseitig von den Interessen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen dominiert werden, sondern muss Ausdruck eines gesamtgesellschaftlichen Pluralismus und seiner internationalen politischen und kulturellen Zusammenhänge sein. 5 In diesem Beitrag werde ich mich im 2. Abschnitt mit dem lingua franca-Phänomen allgemein, im 3. mit der Herausbildung und Bedeutung des Englischen als Globalsprache bzw. als globale linguafranca befassen (vgl. Burger 2000). Der zunehmenden Bedeutung des Englischen als globale lingua franca und den daraus sich ergebenden didaktischen Konsequenzen wird im 4. Abschnitt Rechnung getragen. Ausgehend von der Prämisse, dass eine fremdsprachliche Monokultur des Englischen nicht wünschenswert ist, wird im 5. Teil dem Phänomen des Gebrauchs des Englischen als lingua franca und seiner didaktischen Umsetzung das Lernziel „Mehrsprachigkeit" als notwendige Ergänzung zur Seite gestellt. Vgl. hierzu Meyer ( 1995: 50 f), der „die internationale, solidarische Verständigung als oberste Zielsetzung des neusprachlichen Unterrichts" hervorhebt und in diesem Zusammenhang die Erweiterung der interkulturellen Kompetenz in den Vordergrund stellt. Meyer ( 1999) weist zu Recht darauf hin, dass eine allein auf Sprache gerichtete Lernzielbegründung des Englischunterrichts zu restriktiv ist, und plädiert stattdessen dafür, Lernziele zu den Bereichen, Sprache, Literatur und Berufsbezug zu formulieren. Zur Alternative bzw. Komplementarität von bildungs- und berufsbezogenen Lernzielen vgl. Meyer (1986): Shakespeare oder Fremdsprachenkorrespondenz? Zur Reform des Fremdsprachenunterricht in der Sekundarstufe II. 4 Folgt man der Argumentation von Coulmas (1992: 62), dass die Erweiterung der Wirtschaftsräume mit der Standardisierung parallel verlaufe, so liegt die Schlussfolgerung nahe, dass die Globalisierung der Wirtschaft mit der Herausbildung einer Globalsprache einhergehe. 5 Zur Sprachenpolitik im Spannungsfeld von „Politik und Markt" vgl. Meißner (1993); vgl. zu generellen und ausgewählten Fragen der Sprachenpolitik Christ (1991, 1995) .. lFLIIL 29 (2000) 26 Claus Gnutzmann Weiterhin wird in diesem Abschnitt auf das sprachdidaktische und methodische Potential hingewiesen, das durch das Erlernen anderer Fremdsprachen bereitgestellt wird und das auch die Didaktik des Englischen als lingua franca wie auch als Fremdsprache in der Verwendung mit englischen Muttersprachlern befruchten kann. 2. Das lingua franca-Phänomen: Definitorisches und Entwicklung 6 Eine lingua franca kann definiert werden als ein Kommunikationsmedium, das zwischen Sprechern unterschiedlicher Muttersprachen verwendet wird. Bei einer solchen Definition könnte somit auch, wie im folgenden noch ausgeführt wird, die Muttersprache eines der beteiligten Sprecher als linguafranca fungieren. Samarin (1987) schränkt den Begriff entsprechend seiner historischen Genese als Sprachmischung bzw. hybride Sprachform und seiner Funktionen 7 -jedoch weiter ein und versteht unter linguafranca-Kommunikation den Gebrauch einer dritten Sprache zwischen Sprechern unterschiedlicher Ausgangssprachen: "A medium of communication between people of different mother tongues for whom it is a second language" (Samarin 1987: 371). Wenn das Kriterium der Drittsprache nicht erfüllt ist, z.B. bei einer auf Englisch geführten Kommunikation zwischen einem Australier und einer Bulgarin bei einer internationalen Tagung in Madrid, hätten wir es im Sinne von Samarin nicht mehr mit dem Gebrauch des Englischen als linguafranca zu tun. In dem heutigen Verständnis einer weltweiten lingua franca würde der eben genannte Fall wohl überwiegend wahrscheinlich aufgrund der universellen Verwendung des Englischen-als ein Beispiel für linguafranca-Kommunikation eingestuft. Dies würde insbesondere dann gelten, wenn Anlass und Thema der Kommunikation nicht spezifisch anglo-kulturell geprägt sind und der Ort der Kommunikation sich auf „neutralem Gebiet" befindet, also außerhalb des Territoriums liegt, in dem vor allem Englisch als Muttersprache gesprochen wird. Angesichts der Einbeziehung von englischen Muttersprachlern in die linguafranca-Kommunikation und der Notwendigkeit, eine gemeinsame Kommunikationsbasis von muttersprachlichem und nicht-muttersprachlichem Gesprächspartner herzustellen, erscheint die folgende Empfehlung von Smith (1983: 9) sicherlich beachtenswert: 6 "Native speakers must also sharpen their perception of what may go wrong in an intercultural conversation. They must recognize the need for talking with the other person about what has gone wrong when there is a communication break down. Native speakers must be sensitized to the probability of misunderstanding and be prepared to deal with it." Vgl. zu diesem und dem folgenden Abschnitt Gnutzmann (2000 [im Druck]). 7 Samarin (1968: 661) unterscheidet folgende vier Typen: 1. Verkehrs- oder Handelssprache (trade language, langue de traite) als ein Typus von linguafranca gemeint, der sich lediglich auf eine begrenzte Region bezieht, aber keine Weltsprache ist. Allerdings ist aus heutiger Sicht nicht mehr einsichtig, warum das Englische nicht auch als Handelssprache bezeichnet werden sollte, 2. Kontaktsprache (contact language, langue vehiculaire), die nicht gewohnheitsmäßig in der Kommunikation verwendet wird. 3. Internationale oder universelle Sprache. Zeichnet sich durch nicht-regionale Begrenzung, sondern durch internationale Verwendung aus. 4. Mit Hilfssprachen werden Plansprachen wie Esperanto oder Volapük bezeichnet. lFLIIL 29 (2000) Englisch als globale lingua franca: Funktion und Entwicklung ... 27 Eine lingua franca kann als funktionale Sprachverwendung verstanden werden, die die Voraussetzungen zur verbalen Interaktion zwischen Sprechern unterschiedlicher Sprachen schafft, ohne dass mit dieser Definition allerdings etwas ausgesagt wäre, über die Zahl der Sprecher, die auf diese lingua franca zurückgreifen, deren jeweilige Kompetenz in der lingua franca oder das Spektrum der benutzten Register. 8 Während etwa der Gebrauch von Swahili als lingua franca geographisch begrenzt ist, handelt es sich bei der englischen Sprache nicht nur um eine internationale Sprache, sondern um die erste weltumspannende Sprache, also um eine Globalsprache. Dabei ist bekanntermaßen nicht die Zahl von etwa 400 Millionen Muttersprachlern entscheidend (das Chinesische verfügt über weit mehr), sondern die politische, militärische, wirtschaftliche Macht, die mit dieser Sprache und den damit assoziierten Ländern verbunden ist. 3. English as a global language, Englisch als globale lingua franca English as a global language: So lautete der Titel des 1997 veröffentlichten Buches von David Crystal. 9 Natürlich fungierte das Englische schon vorher als Globalsprache. Termini wie world language, Weltverkehrssprache 10 oder weltweite lingua franca waren längst gebräuchlich und signalisierten die Allgegenwart der englischen Sprache. Crystal kommt wahrscheinlich das Verdienst zu, dieses Phänomen im Zeitalter der Globalisierung auf die besonders griffige Formel global language gebracht zu haben. Allerdings könnte der Begriff language in diesem Zusammenhang zu Missverständnissen führen; denn aufgrund des sehr weiten Spektrums, innerhalb dessen das Englische als Globalsprache verwendet wird und seiner daraus resultierenden linguistischen Variabilität und Instabilität, kann global English sicherlich nicht als eine linguistische Varietät des Englischen klassifiziert werden. Es verfügt über kein autonomes phonologisches Inventar, keine spezifische Lexis und keine eigene Grammatik. Bei English as a global language handelt es sich also nicht so sehr um Eine linguafranca ist nicht notwendigerweise mit internationaler oder gar weltweit verwendeter Sprache gleichzusetzen (vgl. Ammon 1994 und Fußnote 2 [oben S. 24]). 9 Das Buch befasst sich mit der Entstehung und der Funktion einer Globalsprache ("Why a global language? "), diskutiert die historisch-politischen Gründe, die die entsprechende Wahl der englischen Sprache herbeigeführt haben ("Why English? The historical context") und erörtert die kulturelle Dimension des Phänomens ("Why English? The cultural foundation" und "Why English? The cultural legacy? "). Das Schlusskapitel geht auf die Zukunft des "global English" und endet mit dem Satz: "lt may be that English, in some shape orform, will find itselfin the service ofthe world community forever" (Crystal 1997a: 140). Zu Zukunftsszenarien des Englischen vgl. vor allem Graddol (1997). 10 Im Kontext einer differentiell-linguistischen, dem Prinzip der funktionalen Äquivalenz von Sprachen verpflichteten Sichtweise, die davon ausgeht, dass Sprachen ausdrucksadäquat sind, d.h. dass sich grundsätzlich jeder Sachverhalt in jeder Sprache ausdrücken lässt, ist die Frage einer Weltverkehrssprache und die Untersuchung der dieses Phänomen bestimmenden Faktoren nie sonderlich relevant gewesen. Der wesentliche Grund für das Desinteresse an dieser Frage resultiert aus der Tatsache, dass die Beantwortung dieser Frage durch die selbst auferlegte Beschränkung auf das Sprachsystem und auf sprachliche Strukturen im engen Sinne nicht zu leisten ist. Vgl. hierzu auch die diesbezügliche Kritik von Coulmas (1992: 287): „Linguisten schleichen sich aus der Verantwortung, wenn sie ihre Expertise nicht in die Begründung von Wertmaßstäben einbringen." lFILlllL 29 (2000) 28 Claus Gnutzmann eine durch formalsprachliche Eigenschaften definierbare Erscheinung. Eine systematische und umfassende Korrelation der mannigfachen Gebrauchskontexte von global English und der darin vorfindbaren sprachlichen Ausprägungen lässt sich nicht herstellen. Soziolinguistische Fragestellungen im Zusammenhang mit global English können immer nur Beispiele und Ausschnitte dieses Phänomens untersuchen; diese werden sich aber kaum zu einer übergreifenden systemlinguistischen Beschreibung verallgemeinern lassen. Insofern erscheint die Herausbildung eines "World Standard English" (Crystal 1994) als eine linguistische Varietät eher visionären als empirischen Charakter zu haben. Auch wenn der Begriff Weltsprache bzw. global language größtenteils aus sich selbst verständlich ist, sollen hier noch einmal einige Kriterien zu seiner Definition genannt werden: Bei einer Weltsprache handelt es sich um eine natürliche Sprache, die das Bedürfnis nach internationaler sprachlicher Kommunikation erfüllt. Sie hat größtmögliche Verbreitung außerhalb des Territoriums, in dem sie als Mutter- oder Nationalsprache gesprochen wird, sie wird in schriftlicher und mündlicher Form gebraucht und weltweit gelehrt und gelernt. Zweifellos treffen diese Kriterien wie bei keiner anderen Sprache zuvor auf das Englische zu, so dass der Ausdruck global language unzweifelhaft treffend erscheint. Was die historische Entwicklung des Englischen zu einer Weltsprache und seine Diversifizierung anbelangt 11 , so ist diese verallgemeinernd und deshalb verkürzt dargestelltzum einen das Ergebnis des britischen Imperialismus des 19. Jahrhunderts und seiner Folgen. Sie ist aber vor allem herbeigeführt worden durch das Eintreten der USA in die internationale Politik, wohl am nachhaltigsten dokumentiert durch den 1. und besonders den 2. Weltkrieg und die sich daraus ergebende Weltordnung der Nachkriegszeit. Die Herausbildung eines Phänomens wie global English ist somit eingebettet in den allgemeinen Prozess der politischen und wirtschaftlichen Globalisierung. 12 Das Phänomen global English kann somit nicht allein als linguistisches oder soziolinguistische Erscheinung im engen Sinne aufgefasst werden. Eine angemessene Analyse und Theorie des Phänomens global English müsste deshalb auch einschlägige Forschungsergebnisse der Wirtschaftswissenschaften, der politischen Wissenschaften, der Soziologie, der Kultur- und Kommunikationswissenschaften, der Geschichte etc. zur Kenntnis nehmen. Insofern ist die Kritik von Phillipson (1999: 265) an Crystal (1997a) durchaus nachvollziehbar, wenn er dessen Schwächen mit den folgenden Worten charakterisiert: "While he [Crystal] draws on information from a wide variety of sources, his loyalty is to linguistics [...], which is oflittle avail when studying colonialism, globalization, cultural hege- 11 Vgl. hierzu u.a. Göriach (1991, 1995, 1998), Hübler (1985), McArthur (1998), McCrum/ Cran/ MacNeil ( 1986) sowie für eine sehr kritische, sozialwissenschaftliche Darstellung des Themas Phillipson ( 1992), der die Entwicklung in folgenden Worten umschreibt: "To put things metaphorically, whereas once Britainnia ruled the waves, now it is English which rules them. The British empire has given way to the empire of English" ( 1992: 1 ); vgl. jetzt auch Chew ( 1999). 12 Eine sehr kompakte Übersicht auf der Grundlage politischer, ethischer und empirischer Begründungen zu verschiedenen Ansätzen zur Genese und Verbreitung des Phänomens "global English" und der sich daraus ergebenden pädagogischen Implikationen gibt Pennycook ( 1999). Er postuliert die folgenden Modelle, die hier allerdings nicht weiter ausgeführt werden können: colonial-celebration, laissez-faire liberalism, language ecology, linguistic imperialism, language rights, postcolonial performativity. lFLIIL 29 (2000) Englisch als globale lingua franca: Funktion und Entwicklung ... mony, education, and the media, and even when defining multilingualism, official, national and minority languages. Lack of any grounding in the social sciences is a major weakness of the book." 29 Im Hinblick auf die weltweite Verbreitung des Englischen und der sich daraus ergebenden Gefahr einer sprachlichen Dominanz ("linguistic imperialism") erhebt sich die Frage, inwieweit sich hierdurch kommunikative und somit auch möglicherweise wirtschaftliche, politische und kulturelle Nachteile für Nicht-Muttersprachler des Englischen ergeben. 13 Demgegenüber postuliert Crystal (1997b) die weltvereinigende Kraft der englischen Sprache, die von ihm durch die Formel "English - How one language is uniting the world" zum Ausdruck gebracht hat, die aber angesichts der mit der englischen Sprache verbundenen Konflikte und Repression vielleicht etwas einseitig ist. Alexander (1999) hat den ambivalenten Charakter der Globalisierung des Englischen durch das Gegensatzpaar "liberation" und "trap" umschrieben. Die folgende Tabelle fasst einige der von Alexander genannten Argumente und Gegenargumente zusammen: Liberation Trap lingua franca English as an International Language • articulation in English allows political expres- . being compelled to buy into Anglo-Saxon imsion perial ideology • it contributes to a more 'open society' . the 'Washington consensus' • economic actions extended . 'forced to communicate in a foreign • freeing up societies. cf. Eastern European lahguage' 'opening' to the world since 1989/ 1993 . "swimming in a raincoat" . being locked into specific social practices • educational opportunities . narrowing of choice . MBAs . consumerism • university education abroad . McDonaldization • personal growth . funnelled into a specific socio-cultural frame- • 'empowerment' work (neo-colonialist) • occupational choices broadened • personal restriction • Earthwatch . BayWatch • expanding of cultural potential and growth . belittling of a person's native language . through the linguafranca medium • Pacific Rim experience (indigenous languages 'crowded out', 'killed') • acquisition of explicit values additional to . undermining indigenous native tongues and one's own society/ culture is possible cultures through dissemination of implicit values 13 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Ventola (1995: 262 f), die mit Bezug auf eine Erhebung von Skudlik (1990) berichtet, dass deutsche Wissenschaftler solcher Disziplinen, in denen vorwiegend auf Englisch publiziert wird, sich als „annähernd bilingual" einstufen. Ventola vermutet jedoch, dass es sich hier um eine Selbstüberschätzung der Befragten handelt, und würde den Befragten lediglich „ausreichende Kompetenz" attestieren. JFLlllL 29 (2000) 30 Claus Gnutzmann Die vielfältigen Funktionen, mit denen das Englische weltweit von muttersprachlichen und nicht-muttersprachlichen Sprechern verwendet wird, legen es nahe, dass eine eindeutige Zuordnung im Hinblick auf "trap" oder "liberation" nicht der Realität entsprechen würde. Sprecher und Sprachgemeinschaften werden die Rolle des Englischen unterschiedlich erfahren und danach beurteilen, ob ihnen durch diese Sprache Vorteile oder Nachteile entstehen. Demnach ist letztlich nur empirisch zu klären, ob die Verwendung des Englischen als globale lingua franca als Bedrohung, als Chance, als Herausforderung, als Einschränkung oder als Herausforderung empfunden wird (vgl. Alexander 1999). 4. Einige pädagogische und sprachdidaktische Implikationen des Englischen als globale lingua franca 14 Die Herausbildung des Englischen als Globalsprache stellt nicht nur eine Herausforderung an die ELT-Fachvertreter ("English Language Teaching") dar, diese Entwicklung in adäquate didaktische Konzepte umzusetzen. Sie betrifft auch die, Fachvertreter anderer fremdsprachlicher Fächer, die sich unter der wachsenden Bedeutung des Englischen um ihre Existenz Gedanken machen müssen, da „ihre" Sprachen bei Fortschreibung der gegenwärtigen Entwicklung von immer weniger Menschen gelernt und in der Folge von immer weniger Leuten gelehrt und erforscht werden. Eine solche Perspektive ist umso bedauerlicher, weil angesichts dieser Entwicklung gewachsene Sprachlehr- und -lerntraditionen wie auch die dazugehörigen Forschungstraditionen von bestimmten Ländern in der Gefahr sind, verloren zu gehen. 15 Es ist verschiedentlich darauf hingewiesen worden, dass immer dann also im Regelfall-, wenn Englisch als 1. Fremdsprache unterrichtet wird, dem Englischunterricht die Aufgabe zufällt, auf das Lehren und Lernen anderer Fremdsprachen vorzubereiten. Es ergibt sich somit die Notwendigkeit, den Hegemoniestatus des Englischen zumindest insoweit zu modifizieren, dass die „Wahrnehmung" und die selektive Berücksichtigung anderer Sprachen im frühen Englischunterricht ermöglicht wird. Darüber hinaus müsste die Didaktik des Englischen als Fremdsprache, insbesondere wenn es sich um Didaktiker englischsprachiger Herkunft handelt, die Methodenentwicklung in anderen 14 Zu den Möglichkeiten der Umsetzung der linguafranca-Funktion des Englischen im Englischunterricht im Hinblick auf die Hauptfaktoren des Fremdsprachenunterrichts, nämlich Lehrer, Lerner, Lernziele, Methoden und Sprache/ Inhalte vgl. Gnutzmann ( 1998), für den Bereich der Lehrerausbildung von Fremdsprachenlehrern vgl. Gnutzmann (1999a). Ein engagiertes Plädoyer für eine Auseinandersetzung mit dem linguafranca-Phänomen seitens der Englischdidaktik führt Burger (2000). 15 Vgl. den kritischen Kommentar von Phillipson ( 1999: 271 ): "The assumption that experts fromcountries such as the UK or the US, deeply monolingual and with a very patchy record of foreign language learning, can contribute to policy on education and language matters in multilingual societies is completely counterintuitive." Van Essen (1995) vertritt im Zusammenhang mit der Methode der Einsprachigkeit die Auffassung, dass diese bereits durch die Reformmethode in Europa vorhanden war und nach dem 2. Weltkrieg aufgrund der technologischen Überlegenheit der USA reimportiert wurde: "In the wake ofjeeps and tape-recorders the audio-lingual methods (A-LM) found their way into the European market. It is ironic that what announced itself as a new approach was actually a rehash of the principles of the early Reformers" (1995: 5). lFLllL 29 (2000) Englisch als globale lingua franca: Funktion und Entwicklung ... 31 sprachlichen Fächern mehr zur Kenntnis nehmen, als dies bisher der Fall ist. 16 Auf die Hegemonie des Englischen und den sich daraus sehr konkret ergebenden Gefahren einer Monokultur in der Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprache hat jüngst Königs (1999) hingewiesen. Folgerichtig hat er dafür plädiert, die Erfahrungen beim Lehren und Lernen anderer Sprachen auch für das Englische verstärkt zu nutzen: "Talking about English as global language must refer to multilingualism in the sense described above. Not to refer to it implies the failure of the concept of a real global language" (1999: 256). Zweifellos eine berechtigte Forderung, die allerdings angesichts der Universalität des Englischen und der besonderen Traditionen des Fremdsprachenunterrichts in den angelsächsischen Ländern wohl nicht so leicht zu erfüllen ist. Mit dieser Ausgangssituation ließe sich dann auch die "Sparsamkeit der großen englischsprachigen Länder auf dem Gebiet des Fremdsprachenunterrichts" erklären (Coulmas 1992: 139). Möglicherweise lässt sich durch die Einführung des National Curriculum in Großbritannien im Jahre 1988, in dem für Kinder im Alter zwischen 11 und 16 Jahren zum erstenmal eine Fremdsprache obligatorisch ist, eine positive Veränderung erzielen. Um ein mögliches Gegengewicht zur schulischen Dominanz des Englischen herzustellen, ist des öfteren, insbesondere von Seiten der Romanistik und von Vertretern des Faches Französisch die Forderung erhoben worden, den Beginn des Englischunterrichts zugunsten einer anderen Fremdsprache zu verschieben. Begründet wurde diese Forderung u.a. mit der relativ einfachen morphosyntaktischen Struktur des Englischen, das man nach der Beschäftigung mit einer in dieser Hinsicht komplexeren Sprache noch leicht bzw. sogar noch leichter erlernen könne. Darüber hinaus wurde argumentiert, dass der frühe Erwerb einer Sprachkompetenz in der Weltsprache Englisch sich eher negativ auf die Motivation, weitere Fremdsprachen zu lernen, auswirken würde. Beide Argumente können durchaus Plausibilität für sich beanspruchen 17, auch wenn von Seiten der Linguistik Rückschlüsse auf die Erlernbarkeit von Sprachen nach dem Kriterium ihrer morphosyntaktischen Einfachheit bzw. Komplexität im allgemeinen abgelehnt werden. Unter dem Gesichtspunkt des Kosten- Nutzen-Prinzips verlieren diese genannten Argumente allerdings schnell an Überzeugung, so dass sehr wahrscheinlich nicht davon auszugehen ist, von Grenzgebieten einmal abgesehen, dass das Englischen seinen Status als erste Fremdsprache in der absehbaren Zukunft einbüßen wird. Und auch in der Frage des Motivationsverlustes ist auffällig, dass bei vielen Lernenden tatsächlich nur noch wenig Initiative vorhanden ist, eine weitere Fremdsprache zu lernen, wenn sie feststellen, dass die Kommunikation in dem Land der zweiten oder 16 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die exemplarische Untersuchung von van Essen (1989: 123) zu Zitierkonventionen eines britischen und amerikanischen Autors im Vergleich zu nicht-englischsprachigen Autoren: "The Britain and the American are not given to quoting outside their own language area. [...] The conclusion therefore seems inevitable that Continental authors take a more cosmopolitan view of their subject than their British and American colleagues." 17 So weist z.B. Steiner (1975: 468) auf die linguistischen Gründe hin, die Englisch zu seiner Universalität verhelfen und die Lerner veranlassen, die Sprache zu erlernen: "There is ample evidence that English is regarded by native speakers of other languages whether in Asia, Africa or Latin America as easier to acquire than any other second language. lt is widely feit that some degree of competence can be achieved through mastery of fewer and simpler phonetic, lexical, and grammatical units than would be the case in North Chinese, Russian, Spanish, German or French (the natural rival to world status)." FLll! L 29 (2000) 32 Claus Gnutzmann vielleicht dritten Fremdsprache mindestens genauso gut, höchstwahrscheinlich sogar effektiver, auf Englisch durchgeführt werden kann. Die fortschreitende Internationalisierung der Kommunikation, insbesondere mit Hilfe der lingua franca-Funktion des Englischen unter nicht-englischen Muttersprachlern (vgl. Meierkord 1996), bringt es mit sich, dass die diesen Kommunkationsereignissen zugrunde liegenden Normen variabler werden. 18 Auch vor diesem Hintergrund erscheint die Rolle des native speaker als anzustrebendes Modell des Englischunterrichts zunehmend problematisch.19 Aus der Relativierung des native speaker-Ideals 20 folgt dann logischerweise eine Relativierung des Prinzips der Einsprachigkeit, da dieses bekanntlicherweise mit dem native speaker-Modell begründet wird. Als eine weitere Konsequenz ergibt sich die Notwendigkeit, das Prinzip der Fehlertoleranz wirkungsvoller zur Geltung zu bringen und es gerade auch unter motivationalem Aspekt stärker zu gewichten als sprachliche Korrektheit. Das aus dem kommunikativen Fremdsprachenunterricht vertraute Plädoyer "message before accuracy" erfährt in diesem Kontext eine zusätzliche Legitimation. Ein weiterer Aspekt verdient angesichts eines Lernziels „Mehrsprachigkeit" (vgl. u.a. Meißner/ Reinfried 1998, Tosi/ Leung 1999) Beachtung: Da für die überwiegende Mehrzahl der Schüler Englisch die erste Fremdsprache ist, sollte der Englischunterricht auch eine allgemeine Fähigkeit des Umgangs mit fremden Sprachen und ihrer Erlernung liefern. Das bedeutet, dass mit Blick auf language awareness und language learning awareness (vgl. Knapp-Potthoff 1997)sprachreflexive, metakommunikative und metaunterrichtliche Anteile verstärkt in den Unterricht einzubeziehen wären. 21 Eine solche Vorgehensweise würde darüber hinaus günstige Voraussetzungen bieten, einer rein instrumentellen Sicht des Sprachenlernens entgegenzuwirken. Insofern wäre es ein dringendes Desiderat des Fremdsprachenunterrichts, auch die fremdsprachenpolitische Dimension der Fremdsprachenauswahl zu behandeln, die Erwartungen der Lernenden an Fremdsprachen(unterricht) zu thematisieren und die Lehr- und Lernziele des Fremdsprachenunterrichts in den verschiedenen Schultypen und Jahrgangsstufen kritisch zu diskutieren. Ein wesentlicher Vorteil eines ideologisch unmarkierten, eklektischen 18 Dass allerdings die hieraus zu ziehenden didaktischen Konsequenzen unterschiedlich eingeschätzt werden, lässt sich exemplarisch mit Verweis auf die diesbezügliche Kontroverse zwischen zwischen Quirk ( 1990) urid Kachru ( 1991) illustrieren. Während Quirk weiterhin an der muttersprachlichen Norm festhalten will, tritt Kachru, insbesondere im Hinblick auf die Normen des Englischen als Zweitsprache, für eine Flexibilisierung des Normenbegriffs ein. 19 Für den Bereich der Aussprache vgl. J enkins (1998). 20 Konsequenterweise müsste z.B. auch dem Erwerb rezeptiver Kompetenzen im Verständnis englischsprachiger Kommunikation ohne englische Muttersprachler mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Die Praxis sieht allerdings häufig anders aus, wie der folgende Ausschnitt aus den niedersächsischen Rahmenrichtlinien im Kapitel „Hör- und Leseverstehen" zeigt: "Beim Hörverstehen ist darüber hinaus darauf Wert zu legen, dass Aufnahmen von native speakers gesprochen werden" (Niedersächsisches Kultusministerium 1989). 21 Ich bin allerdings nicht der Auffassung von Edmondson (1999: 122), dass man ein Schulfach / anguage awareness einrichten solle, in dem „die bisher mit dem Fremdsprachenunterricht verbundenen Bildungsziele angestrebt werden". Eine systematische Zuweisung von bildungsorientierten und angewandt-instrumentellen Lernzielen im Hinblick aufunterschiedliche Fächer scheint wederunter Motivationsgründen sinnvoll zu sein, noch wird es dem allgemeinen Auftrag von Schule gerecht, beides zu vermitteln. lFLIIL 29 (2000) Englisch als globale lingua franca: Funktion und Entwicklung ... 33 Konzepts wie language awareness liegt darin, dass es diverse Zugriffe auf die Erforschung des Sprachbewusstseins 22 unter einem Dach vereinigen kann (Gnutzmann 1997). Somit wird ein integratives, Sprache(n) und Sprachenlernen umfassendes Konzept zur Verfügung gestellt, mit dem das Englische als globale lingua franca in seiner vorwiegend instrumentellen Funktion durch das Lernziel Mehrsprachigkeit komplementiert werden kann. 5. Zusammenfassung Die zunehmend ansteigende Tendenz, den Wert bzw. den Marktwert von Fremdsprachen mehr und mehr nach dem Kosten-Nutzen-Prinzip zu beurteilen, hat die Vorherrschaft der englischen Sprache, insbesondere in ihrer Funktion als globale lingua franca, weiter verfestigt. Es ist deshalb zu erwarten, dass angesichts dieses Faktums die Instrumentalisierung des Fremdsprachenunterrichts im Hinblick auf den Erwerb verrechenbarer Kompetenzen im Ausbildungs- und Berufssektor sich weiter fortsetzt, wenn nicht wirkungsvolle fremdsprachenpolitische und sprachdidaktische Gegenmaßnahmen in Richtung eines Lernziels Mehrsprachigkeit getroffen werden. Die Notwendigkeit, pragmatisch-instrumentelle und für Ausbildung und Beruf verwertbare Fähigkeiten zu erwerben, soll natürlich nicht in Frage gestellt werden. Allerdings würden die Schule und der Fremdsprachenunterricht, insbesondere der Englischunterricht, durch eine weitere Zurückdrängung erzieherischer, sozialer, politischer, aber auch bildungsorientierter Lernziele immer mehr zu einem Ausführungsorgan wirtschaftspolitischer Überlegungen, was zweifellos mit dem gesellschaftlichen Auftrag von Schule und ihrer Verpflichtung auf einen gesellschaftlichen Pluralismus nicht mehr zu vereinbaren wäre. Eine solche Entwicklung, die in ihren unterrichtlichen Konsequenzen mit einer erheblichen Reduzierung von Inhalten und Themen der anglophonen Zielkulturen verbunden wäre, würde deshalb nicht nur die Struktur des gegenwärtigen Englischunterrichts gefährden. Sie hätte in der Folge auch restriktive Auswirkungen auf die Disziplinen, die ihre Legitimation aus der Ausbildung von Fremdsprachenlehrern beziehen. Aus diesem Grunde ist es zwingend, dass die Schüler und Schülerinnen die Verwendungen des Englischen als globale linguafranca und als explizit auf die englischsprachigen Territorien und Gesellschaften bezogene Fremdsprache kennen lernen und ihnen effektive Möglichkeiten für das Erlernen weiterer Fremdsprachen angeboten werden. 22 Hiermit sind die diversen Domänen des Sprachbewusstseins wie die kognitive, die soziale, die affektive, die politische und die Performanzdomäne gemeint. Bei letzterer geht es bekanntlich um den weiterhin nicht ganz geklärten Zusammenhang von Kennen und Können, also um die Interfacehypothese (vgl. hierzu zuletzt Schlak 1999). lFLuL 29 (2000) 34 Claus Gnutzmann Literatur ALEXANDER, Richard J. (1999): "Caught in a global English trap, or liberated by a lingua franca? Unravelling some aims, claims and dilemmas of the English language teaching profession". In: ÜNUTZMANN 1999 (ed.), 23-39. AMM0N, Ulrich (1994): "International languages". In: ASHER, Robert E. 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Considering the importance ofthe romance languages in foreign language during the last centuries, the history of learning and teaching foreign languages could be another interesting field of research. The article ends with some observations concerning the classical tasks of romanc.e languages' didactics and di~cusses those on the background of a context of learning and teaching in a world of techncifogy. "Fremdsprachendidaktik ist die Wissenschaft vom Lehren und Lernen fremder Sprachen in jeglichem institutionellen Zusammenhang: in Vorschulen, Schulen, Hochschulen und Fachhochschulen, in freien Sprachenschulen und in der Weiterbildung. [...] Die Formulierung 'Lehren und Lernen fremder Sprachen in einem institutionellen Zusammenhang' lässt fünf lnteressenszentren erkennen. Fremdsprachendidaktik untersucht den Fremdsprachenlehrer und den Vorgang des Lehrens fremder Sprachen. Sie betrachtet den Lerner und den Prozess des Lernens. Mit dem Begriff 'fremd' kommt die psychologisch bedeutsame Nichtübereinstimmung mit der erworbenen ersten Sprache und weiterhin die interkulturelle Dimension des Fremdsprachenunterrichts in den Blick" (Christ/ Hüllen 1995: 1). 1. Gegenstand der Fremdsprachendidaktiken Das Zitat beschreibt zwar die Aufgabenfelder fremdsprachendidaktischer Forschung, aber es tut dies nicht eigens für die einzelnen Sprachdidaktiken. Vielleicht liegt dies daran, dass bislang noch zu wenige Studien vorliegen, welche die einzelnen Fremdsprachendidaktiken vergleichend beleuchten (vgl. Königs 1991; 1999). Ein solcher Vergleich erscheint nicht nur zwischen den verschiedenen Didaktiken der einzelnen Sprachen notwendig, sondern auch zwischen den einzelnen nationalen Entwicklungen ein und derselben Zielsprachendidaktik 1, etwa in ihren Export- und lmportvarianten.2 Die Dissertation von Dagmar Abendroth-Timmer (1998) belegt die Fruchtbarkeit solchen Vergleichs. Im Hinblick auf die Kontraste zwischen der deutschen Französischdidaktik und der französischen Franrais Langue Etrangere-Didaktik verweise ich auf die in Gießen entstehende Dissertation .von Frederique Moureaux. 2 · Im Weiteren wird zwischen Didaktiken, welche die Sprache ihres eigenen Landes beforschen, um sie als Fremdsprache leichter erlernbar zu machen, und solchen unterschieden, welche fremde Sprachen für das FLllL 29 (2000) 38 Franz-Joseph Meißner Die eine, die Vermittlungskontexte aller Fremdsprachen beforschende Fremdsprachendidaktik gibt es ebenso wenig wie die eine, alle Sprachen umfassende Philologie. Wie die Sprachwissenschaften Strecken gemeinsamer Grundlagenforschung aufweisen, um doch ihren jeweiligen romanistischen, slawistischen oder germanistischen Gegenstand zu erhellen, so kennen auch die einzelnen Sprachdidaktiken Gemeinsamkeiten und Spezifika. Gemeinsamkeiten finden sich nicht zuletzt im forschungsmethodologischen Bereich. Eine jede Fremdsprachendidaktik folgt jedoch ihren eigenen Erkenntnisinteressen. So muss sich die Didaktik des Englischen zum Beispiel auf die besondere Rolle einstellen, die sich aus der Globalität und Omnipräsenz des Englischen als Kommunikationsmedium ergibt. Schon dies zeigt, dass Fremdsprachendidaktiken stets pluralisch begegnen müssen. So, wie es unterschiedliche Sprachen und Kulturen gibt, die da, wo sie Lernenden als Lernobjekten begegnen, auf ein jeweils eigenes Bedingungsfeld treffen, so bedarf es unterschiedlicher Fremdsprachendidaktiken. Die Definition dessen, was die einzelnen Fremdsprachen und ihre Didaktiken zu leisten haben, spiegelt eine in der Tat politische Entscheidung. Zum einen betrifft sie die Auswahl und die Gewichtung derjenigen Sprachen als Schulfremdsprachen, denen man eine wissenschaftliche Didaktik zuordnet; zum anderen die Zahl der Stellen, deren Inhaber für sie forschend und im Rahmen der Lehreraus- und -weiterbildung lehrend tätig werden. Ich bezeichne die so entstehenden Kontingente an Personal- und Sachmitteln als 'didaktische Ausbauvolumina' der einzelnen Fremdsprachen. 3 Das fremdsprachendidaktische Ausbauvolumen einer Sprache stellt einen entscheidenden extralingualen Faktor für ihre Lehr- und Lernbarkeit dar. Denn eine Fremdsprache, für die nur wenige Lehrwerke, kaum professionell ausgebildete Lehrkräfte und keine verrnittlungsbezogene Grundlagenforschung vorhanden sind, ist nicht optimal lernbar. Dass Lehrende eine wissenschaftliche Ausbildung benötigen, ist eine evidente Tatsache, der die Sprachlehrer ausbildenden Philologien ihren Aufschwung im 19. und 20. Jahrhundert verdanken. Ebenso wenig, wie die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Fundierung dessen bestritten werden kann, 'was' Lehrende unterrichten sollen, ist in Frage zu stellen, dass das Desiderat wissenschaftlicher Fundierung auch das 'Wie' des Unterrichtens betrifft. Die Fremdsprachendidaktiken sind daher neben den Linguistiken, den Text- und den Landeswissenschaften als forschende Disziplinen bereits in der 1. Phase der Lehrerausbildung zu verorten (Hagge [et al.] 1998; Bliesener [et al.] 2000). Da in der Wissensgesellschaft das lebensbegleitende Lernen notwendig ist, finden die Fremdsprachendidaktiken darüber hinaus einen wichtigen Auftrag in der Weiterbildung der Lehrkräfte. Schon hier sei gesagt: Das Ziel der fremdsprachendidaktischen Ausbildung der 1. Phase besteht (meiner Ansicht nach) darin, die angehenden Lehrerinnen und Lehrer in Grundzügen Erlernen im eigenen nationalen Lernkontext beforschen und methodisch aufbereiten. Den ersteren Typus bezeichne ich als 'Export-', den zweiten als 'Importdidaktiken'. Exportdidaktiken sind etwa Deutsch als Fremdsprache (DaF) oder Italiano come Lingua Straniera (ILS), Importdidaktiken hingegen die französische Didactique de l'anglais oder die deutsche Didaktik der französischen Sprache und Literatur. Export- und Importdidaktiken ergänzen zwar einander, verfolgen jedoch unterschiedliche Forschungsaufträge. 3 Vgl. den Überblick bei Zydatiß/ Klippel ( 1998) sowie die vom Bundesamt für Statistik genannte Quantifizierung des Lehrpersonals nach Fächern. lFL11lllL 29 (2000) Aufgabenfelder der Didaktik der romanischen Sprachen ... 39 mit der vermittlungsbezogenen empirischen Forschung und ihrer Methodik vertraut zu machen. Dies führt zur wissenschaftlich begründeten Analysefähigkeit hinsichtlich des Kernbereichs ihres zukünftigen Fachunterrichts. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass die Philologien empirische Forschung i.d.R. nicht vermitteln. Die Rolle der Fachdidaktik ist um so wichtiger, als sich in dieser 1. Phase die Identität von Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrern herausbildet; .und es handelt sich ja, wie gesagt, um Lehrende fremder Sprachen, nicht um Spezialisten für Literatur, Sprache, Politik oder Musik des Ziellandes, aber auch gewiss nicht für fremdsprachendidaktische Forschung. Studierende des Lehramtes benötigen in der 1. Phase daher (neben pädagogischem und psychologischem Wissen) gleich zu bemessende Anteile von sprach-, literatur-, landeswissenschaftlichen und fachdidaktischen Studien. 2. Sprachenpolitologie und Fremdsprachendidaktiken Schon die Epitheta der Didaktiken (des Englischen/ des Französischen usw.) deuten auf einen wichtigen Aufgabenbereich hin (den das obige Zitat nicht erfasst), nämlich den Sprachenmarkt transparent zu machen. Die 'Sprachenpolitologie' beforscht den 'Sprachenmarkt' und sein decision making, also die Sprachenpolitik. Ich gebrauche die Metapher des Marktes, obwohl sie den Sachverhalt und die auf diesem Interaktionsfeld wirkenden Faktoren eher verschweigt denn offen legt (Meißner 2000). Die Sprachenpolitologie hat die Sprachsowie die Sprachenpolitik eines Landes in den Blick zu nehmen, d. h. seine Politik gegenüber seiner eigenen Sprache im In- und Ausland sowie bezüglich der Sprachen, die auf seinem Territorium als Immigranten-, Fremd- und Minderheitensprachen Förderung beanspruchen. Sprachpolitik und Sprachenpolitik verhalten sich zueinander komplementär. Fragen der Sprachenpolitologie betreffen das schulische Sprachenangebot in seiner Diversifizierung und seinen Sprachenfolgen; des Weiteren die Prognostik des gesellschaftlichen Sprachenbedarfs und des individuellen Sprachenbedürfnisses; sodann die Fremdsprachen und Migrantensprachen, aber auch die internationale Rolle von Sprachen. Als Aufgabenfeld aller Fremdsprachendidaktiken (Bausch/ Christ/ Krumm 1992) führt die Sprachenpolitologie anglistische, romanistische oder slawistische Fachdidaktiker über die eigenen Fachgrenzen hinaus und zwingt sie, das komplexe Gefüge des Sprachenmarktes zwischen Angebot, Nachfrage und gesellschaftspolitischen Zielen zusammenzudenken. 4 Es war eine Idee der Aufklärung, Politik durch Wissenschaft zu steuern und im Sinne des Menschheitsfortschritts zu optimieren. Diese Vorstellung ist auch in die Fremdsprachendidaktiken eingedrungen, wie Herbert Christ (1996) im Titel seiner Abschiedsvorlesung als Emeritus der 'Didaktik der Französischen Sprache und Literatur' an der Gießener Justus- Liebig-Universität verdeutlichte: Politikberatung als Aufgabe der Wissenschaft am Beispiel der Fremdsprachendidaktik. Die Wissenschaftler, welche sich mit dem Faktorenfeld von fremdsprachlichen Angeboten in ihren Begründungen und Wirkungen beschäftigen, 4 Jüngere Abhandlungen und Synthesen sind: Christ ( 1991 ), Gnutzmann/ Königs/ Pfeiffer ( 1992), Meißner (1993a), Zydatiß (1998). lFLw.. 29 (2000) 40 Franz-Joseph Meißner sind Kritiker und Berater der Sprachenpolitikzugleich. Die Sprachenpolitologie baut Verbindungen zwischen der fremdsprachendidaktischen Grundlagenforschung, dem Informationsbedarf des decision making in Sachen Fremdsprachenförderung und den Steuerungsfaktoren des Fremdsprachenunterrichts auf. Als Teil der Lehrerbildung beleuchtet sie die politische Dimension des Fremdsprachenunterrichts, der alles andere als kulturell oder ökonomisch neutral sein kann. Wenn der öffentlich verantwortete Fremdsprachenunterricht wirklich eine friedenspädagogische Funktion hat, äußert sich diese auch in einem hinreichend diversifizierten Sprachenangebot. Denn Monokulturalität fördert die kulturelle Gewalt als Vorstufen der strukturellen und der äußeren Gewalt. Kulturdominanz und Kulturunterdrücken haben viel mit dem politischen und kulturellen Gewicht von Sprachen zu tun (Galtung 1993). Sprachenberatung ist jedoch nicht nur an die Entscheidungsinstanzen des öffentlichen Bildungs- und Ausbildungswesens zu adressieren. Genauso wichtig ist sie in der Funktion einer Verbraucherberatung (Meißner 1993). Denn eine bloße Angebotsinformation unterstützt strukturell herrschende Trends gegen die Sprachenteiligkeit, obwohl die europäischen Gesellschaften diese dringend benötigen (Bliesener/ Leupold/ Meißner 2000). Verbraucherberatung für Fremdsprachen und Fremdsprachenlernen setzt fachdidaktische Kompetenz ebenso voraus wie Einsichten in die Sprachenpolitologie. Primäre Aufgabe des öffentlichen Schulwesens ist im Bereich des Fremdsprachenunterrichts die breite Grundlegung und Festigung der individuellen Mehrsprachigkeit; sie besteht nicht darin, eine einzelne Fremdsprache maximal und wider alle Vernunft zu Lasten aller anderen zu fördern. 3. Didaktik der romanischen Sprachen im Dienste der sprachenteiligen Gesellschaft Der britische 'Sprachprognostiker' Stephen Hagen (1998) zählt für das Jahr 2050 als internationale Handelssprachen von den europäischen allein noch Englisch und Spanisch unter den "Big Five" (neben Chinesisch, Hindi und Arabisch). Unter den regional verbreiteten Wirtschaftssprachen werden, so Hagen, neben den genannten nur noch Malaysisch und Russisch eine Rolle spielen. Englisch wird weitgehend, aber nie ausschließlich, die europäische lingua franca des Handels sein. Diese Sprache wird es den Deutschen im Allgemeinen erlauben, im Umgang mit Chinesen und Indem Geschäftsbeziehungen zu pflegen. Aber es handelt sich um das Englisch der intersociety (Piepho 1989), einer sich immer wieder zum Gebrauch einer lingua franca zusammenfindenden Sprechergemeinschaft ohne feste kulturelle Einbettung. Die Sprache der intersociety wird sich von der britischen oder amerikanischen Varietät des Englischen erheblich abheben (Graddol 1999), und voraussehbar werden auch deren 'Englishes' weitgehend durch den beständigen Einfluss der intersociety erheblich geprägt. Für die Fremdsprache Englisch ergeben sich hieraus neuartige Fragestellungen. Selbst wenn man nun Hagens Prognose folgt, wird man hieraus nicht schließen dürfen, dass Fremdsprachen wie Deutsch, Italienisch, Französisch, Russisch oder Polnisch als europäische Fremdsprachen überflüssig würden. So werden auch Deutschland und Frankreich in jedem Fall für einander wichtige Partner bleiben, und Franzosen wie Deutsche IFLllL 29 (2000) Aufgabenfelder der Didaktik der romanischen Sprachen ... 41 werden in Europa zusammenleben und miteinander in ihren Sprachen schon deshalb kommunizieren wollen, weil Nähekommunikation an Sprachen als Ausdruck von Kulturen gebunden ist. 5 Es wäre absurd, Badener und Elsässer zu veranlassen, in international English miteinander zu reden. Französisch, Deutsch, Italienisch, Polnisch, usw. stehen in einem europäischen Binnenverhältnis zueinander, das besondere Bedingungen setzt. Stellen wir nun die Frage, welche Sprachen Jugendliche in ihrem späteren Leben mit Sicherheit benötigen, so sind neben Englisch die Nachbarsprachen zu nennen. Aber wir können nicht voraussagen, ob diejenige Schulfremdsprache, die Schüler heute lernen, auch wirklich diejenige ist, die ihrem späteren individuellen Sprachenbedürfnis maximal entsprechen wird. Diese sehr hypothetische Einschränkung ihres Gebrauchswertes gilt für alle Fremdsprachen. An die Didaktik der romanischen Sprachen ergeht daher der Auftrag, das interlingual transferbasierte Lernen in seinem vielschichtigen Bedingungsfeld zu beforschen und die Möglichkeiten zum raschen Erwerb weiterer Sprachen zu beschreiben. Da die Fähigkeit zum interlingualen Transfer Ausdruck von Mehrsprachigkeit und Sprachen- und Sprachlernerfahrung ist, ist die schulische Beschäftigung mit mindestens zwei lebenden Fremdsprachen eine Notwendigkeit der allgemeinen Erziehung in einer zunehmend mehrsprachigen Welt. Eine gesellschaftspolitisch neutrale Wissenschaft gibt es nicht. Dies gilt auch für Disziplinen, deren Ziel es ist, die Praxis des Lehrens und Lernens von Sprachen zu untersuchen. Als Handlungswissenschaften geben die Fachdidaktiken der Gesellschaft mehr oder weniger explizit das Versprechen, das von Christ/ Hüllen ( 1995) umrissene Interaktionsfeld verstehbar, steuerbar und schließlich optimierbar zu machen. Genau hierdurch gewinnen die Fremdsprachendidaktiken ihre gesellschaftliche Relevanz. Dass dies ab und an ein zweischneidiges Schwert darstellt, wurde verschiedentlich betont. Wie TimmNollmer (1993) ausführen, bringt dies die Fremdsprachenforschung rasch in den Sog des Praktizismus. Eine auf Rezeptologie verkürzte Fremdsprachendidaktik könnte aber nicht die Erwartungen erfüllen, welche die Gesellschaft mit Recht an sie stellt, und zwar ihr bei der Entwicklung einer weit verbreiteten und operablen individuellen Mehrsprachigkeit wirkungsvoll zu helfen. In den Augen derjenigen, die Didaktik (immer noch) mit einer oberflächlichen Methodenlehre verwechseln, dient sie dagegen allein zur Es ist keine Frage, dass die deutsche Gesellschaft neben breiten Kenntnissen in Englisch solche in weiteren Sprachen, darunter nicht zuletzt in den romanischen, benötigt. Diese Feststellung wird durch eine Fülle europäischer Vereinbarungen gedeckt (vgl. Rutke 2000). Europa versteht sich eben als ein Kontinent mit vielen Sprachen und Kulturen, und es deutet seinen Reichtum aus den kulturellen Spannungen und Kontrasten seiner Nationen, d. h. aus Diversität und Austausch. Beides ist ohne Sprachenreichtum und Sprachenkenntnis nicht möglich. Die EU wertet ihrerseits Sprachen als Ausdruck nationaler Identitäten, was sie zu hoher Sensibilität gegenüber ihren Sprachen führt. Die romanistischen Fremdsprachendidaktiken greifen ihrem zielkulturellen Gegenstand gemäß weit über den europäischen Bezugsrahmen hinaus in die überseeische Frankophonie, Hispanidad und Lusophonie. Zu nennen sind die Länder der Neuen Romania mit ihren jungen Bevölkerungen und stark expandierenden Märkten. Die romanistische Fremdsprachendidaktik zieht aus der europäischen und internationalen Vielsprachigkeit und der Bedeutung der Zielgesellschaften, d. h. ihrer Kulturen und ihrer Volkswirtschaften, ein mächtiges Argument für ihre raison d 'etre. Wer glaubt, Frankreich, Brasilien, Mexiko und Italien werde über eine dritte Sprache verstanden, irrt ebenso wie der, der meint, sich über eine linguafranca auf die Mentalität der Völker einstellen zu können. F! LlllL 29 (2000) 42 Franz-Joseph Meißner unterrichtlichen Umsetzung von als (von ihnen selbst oft) relevant definierten Inhalten. An der theoretischen Durchdringung der Faktorenkomplexion um Lehren und Lernen von Sprachen ist derlei Haltung nicht interessiert. Sie blendet demzufolge die komplexe empirische Methodik aus, mit Hilfe derer sich vor allem das komplexe Objektfeld Lehren und Lernen von Sprachen erst beforschen lässt. Von einer Didaktik als bloßer rezeptologischer Pseudowissenschaft hätte die Gesellschaft wenig zu erwarten; auch nicht, dass sie die gesellschaftliche Sprachenteiligkeit in ihren Voraussetzungen und Entwicklungen beforschen könnte. Die Qualität und gesellschaftliche Relevanz von Forschung lässt sich an zwei Kriterien messen: an der Reliabilität ihrer Aussagen als Folge der Solidität ihrer Methoden sowie an der Bedeutung ihres Gegenstandes und der gewonnenen Erkenntnisse für die Gesellschaft selbst. Forschung, die ja nicht kostenneutral sein kann, stellt einen Kostenfaktor dar, und die Gesellschaft muss entscheiden, in welchen Bereichen sie relevantes Wissen vergrößern will. Damit sei keinem oberflächlichen, rein ökonomisch bestimmten Pragmatismus das Wort geredet. Dies tun auch diejenigen nicht, die sich für die Verbesserung der Qualität von Fremdsprachenunterricht aufgrund unterrichtlicher Forschung einsetzen. Ein gut funktionierender Fremdsprachenunterricht stärkt die gesamten Kulturwissenschaften und ihre philologischen Disziplinen. Aber eine Verbesserung des Unterrichts wird mit Sicherheit nicht aus einer Verbesserung der philologischen Forschung fließen (wie wichtig diese auch für den Erkenntnisfortschritt sei). Aber wen interessiert das Wachstum des Wissens auf einem Feld, das niemanden mehr interessiert, weil die Grundvoraussetzungen für das Interesse verloren gehen - Sprachenkenntnisse und Offenheit gegenüber fremden Kulturen. Fremdsprachendidaktik im Dienste der Gesellschaft geht sowohl von den als gesellschaftlich relevant umrissenen Zielen aus die Weißbücher der Europäischen Kommission, die Lehrpläne oder die Beschreibungen zum Sprachenbedarf der Wirtschaft (z. B. Kramer/ Weiß 1992) geben solche durchaus vor-als auch von einer Aufgabenteilung zwischen den einzelnen Fremdsprachen und ihren Didaktiken in der sprachenteiligen Gesellschaft. Der Gegenstandsbereich der Fremdsprachendidaktiken ist, wie das Eingangszitat beschreibt, nicht ausreichend über die Zielsprachen und -kulturen als Erkenntnisobjekte beschreibbar. Denn als Wissenschaft, die das Lernen bestimmter Sprachen erleichtern will, untersuchen die Importdidaktiken auch (primär) immer den kulturellen Kontext mit, in dem gelernt wird, also die Lerner, ihr Vorwissen, ihre Motivation, ihre Möglichkeiten, mit Medien umzugehen, ihre Art zu lernen, die Interaktionstypen und -wirkungen zwischen Lernenden und Lehrenden bestimmter Fremdsprachen, das Lernen bestimmter Sprachen in bestimmten Sprachenfolgen, die Geschichte des Fremdsprachenunterrichts und anderes mehr. Die '20. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts' hat im Jahr 2000 die komplexe Größe 'Interaktion' aufunterschiedliche Domänen bezogen. Solche betreffen vor allem die mentale Interaktion zwischen Lerner und 'Stoff', die soziale zwischen Lerner und Lernern/ Lernern und Lehrperson, die kulturelle zwischen Ausgangs- und Zielkultur(en) in ihren Wirkungen auf prototypische Lernerund z.B. die lernbiographische, zwischen Lernern bereits bekannten und neu zu erwerbenden Zielsprachen, die auf Lehrende bezogene Fortbildungsforschung usw. Es handelt sich stets um Variablen mit hoher innerer Komplexität; und in der Überschneidung ihrer Forschungsmethoden und Erkenntnisinteressen ergeben sich hier breite Möglichkeiten zur überfachlichen Zusammenarbeit der Fremdsprachendidaktiken. lFJLU! L 29 (2000) Aufgabenfelder der Didaktik der romanischen Sprachen ... 43 Anders als die Philologien haben die Didaktiken daher quasi stets mindestens zwei Handlungskontexte miteinander in Bezug zu setzen, und zwar die Zielkultur und ihre Sprache sowie die Ausgangskultur und Ausgangssprache der Lerner. Wie schwierig dies im Einzelnen fällt, zeigt sich schon daran, dass Zweifel anzumelden sind, ob und in welchem Umfang in der inzwischen längst multikulturellen deutschen Gesellschaft der Singular (Ausgangskultur) überhaupt noch zutrifft. Entspricht dem monolingualen Habitus der deutschen Schule (Gogolin 1994) ein monolingualer Habitus der deutschen Fremdsprachenforschung? Haben die Didaktiken bislang genug unternommen, um die multikulturelle Realität deutscher Schulklassen in ihre Untersuchungen einzubeziehen? Dies sind Fragen an alle Fremdsprachendidaktiken, auf die manche Antworten noch ausstehen. 4. Mehrsprachigkeitsforschung als Aufgabe der Didaktik der romanischen Sprachen Da die Zahl der Schulfremdsprachen, sieht man einmal von punktuellen Angeboten ab, aus Kostengründen nicht nennenswert vermehrbar ist, kommt einer zur Muttersprache distanten Fundamentalsprache eine wichtige Rolle zu, denn sie erhöht die Fähigkeit, fremde Sprachen effizient zu lernen. Es gibt, wie Mißler (1999) nachweisen konnte (und was erfahrene Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer immer wussten), eine Korrelation zwischen dem Sprachenwissen und -können einerseits und andererseits der Sprachlernkompetenz als der Fähigkeit, vergleichsweise rasch neue Sprachen hinzuzulernen. Angesichts des gesellschaftlichen Bedarfs an Mehrsprachigen erhält die Didaktik der romanischen Sprachen hieraus, wie bereits anklang, einen wichtigen Auftrag im deutschen Lernkontext, nämlich das Erlernen romanischer Zielsprachen und weiterer Fremdsprachen zu erleichtern. Sie benötigt hierzu die genaue Kenntnis der Faktoren, die beim Französisch-, Italienisch-, Portugiesisch- und Spanischlernen/ -lehren interagieren. 6 Die Mehrsprachigkeitsdidaktik, die bislang (leider) in noch quasi ausschließlicher Bindung an die romanischen Zielsprachen steht, versucht genau dies. Das Aufgabenspektrum der Mehrsprachigkeitsdidaktik wurde mehrfach beschrieben (Meißner 1995, Meißner/ Reinfried 1998). Es handelt sich um eine Transversaldidaktik, die das die Sprachen und Kulturen Verbindende zusammendenkt und das Zwischen-Sprachen- Lernen fördert. Der Ansatz ist breit. Er bezieht sich sowohl auf die sprachlichen Architekturen und ihre zahlreichen internen Sprachenbrücken d. h. die Transferbasen und ihre Kehrseite, die sogenannten Falschen Freunde als auch auf die Kulturen, die in den Sprachen leben. Auch hier bietet sich das Vergleichen als Strategie der Sensibilisierung für sprachliche und kulturelle Phänomene (awareness raising) bzw. des vertieften Verstehens 6 Die Aufzählung der auf dem deutschen Sprachenmarkt wichtigsten romanischen Sprachen darf nicht vergessen machen, dass es weitere romanische Sprachen gibt, die es sich aus ganz unterschiedlichen Gründen zu lernen lohnt und für die in angemessenem Maße ein didaktisches Ausbauvolumen zu entwickeln ist. Die EuroCom-Methode erlaubt über die Entwicklung der rezeptiven Mehrsprachigkeit gerade auch das Erlernen der sogenannten wenig gelernten romanischen Sprachen, etwa Katalanisch, Okzitanisch oder auch Rumänisch (vgl. Kischel [et al.J 2000). lFlLlJIL 29 (2000) 44 Franz-Joseph Meißner an. Das Vergleichen beschränkt sich in der Mehrsprachigkeitsdidaktik nicht auf die Inhalte des Lehrplans unterschiedlicher Schulfächer. Der Lemerorientierung entspricht, dass sie die Eigentätigkeit der Lerner fördert und deren Ergebnisse zulässt. Wenn im Zusammenhang mit der Datenfernübertragung das Konzept des Offenen Klassenzimmers entworfen wurde, so adaptiert die Mehrsprachigkeitsdidaktik das Prinzip der Offenheit, indem sie die in einem Klassenraum und darüber hinaus erreichbaren Kulturen in den Unterricht hineinnimmt, sie zulässt und damit aufwertet. Auf diesem Wege sucht die Mehrsprachigkeitsdidaktik einen Beitrag dazu zu leisten, die faktische Unterdrückung der lmmigrantenkulturen durch den monolingualen Habitus der Schule zu mildem. Unterrichtstechnisch bieten Textarrangements eine Hilfe, die bei Aufrechterhaltung der Zielsprache als Unterrichtssprache zielkulturelle Elemente mit solchen dritter und weiterer Kulturen vergleichen (Meißner 1994, 1996, 1999). Betrachten wir die Forschungsaufgaben der Mehrsprachigkeitsdidaktik romanistischer Ausrichtung, so lassen sich schon nach der anfangs benutzten Umschreibung des fremdsprachendidaktischen Gegenstands durch Christ/ Hüllen (1995) einige zentrale Forschungslinien aufzeichnen: Sie betreffen die Faktorenkomplexion um Lehren/ Lernen, die Lehrenden/ Lernenden romanischer Zielsprachen sowie die institutionellen Zusammenhänge. Im Unterschied zu den Didaktiken der einzelnen Fremdsprachen untersucht die Mehrsprachigkeitsdidaktik diese Faktoren und Faktorenensembles im Sinne einer pro- und retroaktiven Verantwortlichkeit des Unterrichts in den einzelnen Fremdsprachen füreinander (Bertrand/ Christ 1990). Dies führt zu Forschungsaufträgen, die in den folgenden Abschnitten kurz beschrieben werden: Eine wesentliche Leitfrage bezieht sich zuerst einmal auf die Vorteile konkreter Sprachenfolgen für den Aufbau der Mehrsprachigkeit. Diese Frage betrifft auf der Produktebene nicht nur die Verfügbarkeit von lingualen Transferbasen für die Initiierung von Spracherwerbsprozessen. Die Integration von lexikalischen und morphosyntaktischen Transferbasen in das mehrsprachige mentale Lexikon der Lernenden verbindet sich mit bestimmten Fertigkeiten des Transfers (Reinfried 1999). Die präzisierte Fragestellung lautet somit: Wie, in welchem Umfang und an welchen Punkten des Erwerbsprozesses induziert Produktwissen Prozesswissen, vor allem Rezeptionskompetenz in einer anderen Sprache? Wie lässt sich dieses produktbasierte Prozesswissen im Sinne einer Festigung der einem Lerner bereits bekannten Fremdsprachen einsetzen und wie für eine Beschleunigung des Erwerbs einer neuen Fremdsprache? Die Fähigkeiten, die Naiman [et al.] (1996) dem guten Sprachenlemer zuordnen, betreffen also nicht nur das Strategiewissen, obwohl auch dieses weiterer Untersuchung bedarf. Denn gute Sprachenlemer vergleichen interlingual (Raabe 1998), wovon deklaratives und prozedurales Wissen betroffen sind. Die Korrelation von Produkt- und Prozesswissen stand bislang kaum im Fokus der prozessorientierten didaktischen Forschung. Die sprachlichen Vorkenntnisse der Menschen in Deutschland sind alles andere als homogen. Hieraus ergeht ein weiterer Forschungsauftrag an die Mehrsprachigkeitsdidaktik. Unter Rückgriff auf den inferentiellen Lernbegriff geht es darum, die Profile der statistischen Lernersprache so zu beschreiben, dass Kurse und Lehrmaterialien für die Ausbildung rezeptiver Kompetenz auf sie aufsetzen können. Unter der statistischen Lernersprache verstehe ich das gesamte linguale Wissen eines Lerners, d. h. die Summe seiner potentiellen Transferbasen. Dies betrifft in Deutschland erstens den Anteil von durch die zentralen lFLIIL 29 (2000) Aufgabenfelder der Didaktik der romanischen Sprachen ... 45 Bestände des Deutschen gelieferten Transferbasen, zweitens die Transferbasen, welche die Lehrwerke verbreiteter Schulfremdsprachen innerhalb der deutschen Bevölkerung breit vermitteln (Englisch, Französisch, Latein) und schließlich die der verbreiteten Migrantensprachen. Längst ist bekannt, dass die Präsenz von Transferbasen in Sprachen noch nicht zur Transferfähigkeit führt. Daher muss die Mehrsprachigkeitsdidaktik erforschen, durch welche Lehr- und Lernstrategien in welchen Lernerpopulationen die Fähigkeit zum interlingualen Transfer befördert werden kann (Kischel/ Klein/ Meißner/ Stegmann/ Zybatow 2000). Die Zusammensetzung von Lernergruppen romanischer Fremdsprachen, z. B. im VHS- Bereich, spricht dafür, dass erwachsene Lerner, die in der Schule bereits mit mehreren Sprachen bekannt wurden, ein größeres Vertrauen in die eigenen Sprachlernfähigkeiten entwickeln als solche, die in der Schule nur Unterricht in einer einzelnen Fremdsprache erfuhren. Die Mehrsprachigkeitsdidaktik benötigt hier vor allem Langzeitstudien - Lerntagebücher und Lernerbiographien -, die Aufschlüsse über jene Faktoren geben, welche die Einstellung zu bestimmten Fremdsprachen und zum Fremdsprachenlernen bestimmen. Solche Fragen betreffen Lernerfahrung, Motivation, Vertrauen in die eigenen Fertigkeiten, Lust auf Sprachen, Verarbeitung von Frustrationen im Umgang mit Lern- und Spracherfahrungen usw. Lerner mit Kenntnissen in mehr als einer Fremdsprache sind durchaus in der Lage, ihr gesamtes Vorwissen beim Erwerb einer weiteren Fremdsprache zu aktivieren. Im Hinblick auf den Gruppenunterricht folgt hieraus die Aufgabe zu erforschen, wie Lehrende und Lernende mit diesem Vorwissen umgehen und umgehen sollten. Die Forschungen im Rahmen des Bochumer Tertiärsprachenprojekts haben aufgezeigt, dass hier noch einiges zu leisten ist (Bahr [et al.] 1996). Die dritte oder gar fünfte Fremdsprache wird oft erst nach der Pubertät erworben. Dem entspricht, dass die meisten Lerner von Fremdsprachen im nachschulischen Bereich erhebliche finanzielle Mittel in ihren Sprachlernprozess investieren (können). Über die Neuen Technologien vermittelter Fernunterricht bietet ihnen den Vorteil, Zeit, Art und Umfang ihres Lernprozesses selbst zu bestimmen. Daher ist die Mehrsprachigkeitsdidaktik an einer die neuen Technologien betreffenden Benutzerforschung interessiert. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, die einzelnen Forschungsaufgaben zu beschreiben. 5. Historiographie des Fremdsprachenunterrichts Eine Wissenschaft, die ihre Gegenstands- und Methodengeschichte nicht kennt, bleibt sich selbst über weite Strecken hinweg unbekannt. Daher besitzen auch die Didaktiken der Fremdsprachen ein Interesse an der Geschichte des Fremdsprachenunterrichts und seiner Theoriebildung (vgl. Coste 1990). Dies betrifft sowohl die unterrichtliche Methodenlehre als auch die Sozialgeschichte des Fremdsprachenunterrichts und damit die Lehrenden und Lernenden sowie die institutionellen Rahmenbedingungen. Der Historiographie des Französischunterrichts fällt insofern eine sehr zentrale Aufgabe zu, weil Französisch über viele Jahrhunderte hinweg vor dem Englischen, Italienischen und Spanischen die verbreitetste und am meisten erlernte lebende Fremdsprache war. Dies bedeutete auch oft genug, dass das lFLIIL 29 (2000) 46 Franz-Joseph Meißner Französische die methodischen Neuerungen trug und so auf die Methodik des Unterrichts weiterer Fremdsprachen einwirkte. Die Erforschung der Geschichte des Fremdsprachenunterrichts hat in den letzten Jahrzehnten erhebliche Fortschritte verbuchen können, welche sich zum einen in den großen synthetischen Darstellungen niederschlugen (Puren 1988, Sanchez Perez 1992, Germain 1993, Caravolas 1994); zum anderen aber auch in für die fachhistorische Forschung so wichtigen Werken wie dem Biographischen und bibliographischen Lexikon der Fremdsprachenlehrer des deutschsprachigen Raumes (Schröder 1987-1999) oder der Erschließung der historischen Quellen zum öffentlich verantworteten Fremdsprachenunterricht in Deutschland (Christ/ Rang 1985). Die von der Societe Internationale pour l'Histoire du Franr; ais Langue Etrangere et Seconde (SIHFLES) herausgegebenen Studien bestätigen die dargelegte Entwicklungen. Es wird den historischen Arbeiten entgegenkommen, dass die Einsichten in die Faktorenkomplexion wachsen, welche ja konkreten Unterricht in seiner Einzigartigkeit prägt. Der Fortschritt der synchronen Fremdsprachenforschung wird auch die Historiographie des Fremdsprachenunterrichts befruchten. Ähnliche Prozesse sind in der Manuskriptforschung beobachtbar, etwa wenn sich aufgrund der Einsichten in die Bedingungen authentischer Mündlichkeit Aussagen über die Entstehungsbedingungen von Texten treffen lassen. 7 Die Historiographie des Fremdsprachenunterrichts spricht eine Vielzahl von Forschern unterschiedlicher Schwerpunktsetzung an. Ihr Erkenntnisfeld liegt in den Schnittpunkten von Lokalgeschichte, Lehrwerkgeschichte, Geschichte der Unterrichtsmethoden, Grammatiko- und Lexikographie, Sozial-, Ideen-, Mentalitäts- und Motivgeschichte, aber auch in den gemeinsamen Segmenten der Geschichte von Pädagogik und Menschenbildung. Die Fragen um Wer lehrte/ lernte fremde Sprachen an wen, wie und womit sind nicht von einer einzelnen Disziplin allein zu beantworten. 6. Wissenschaftliche Begleitung von Unterricht romanischer Fremdsprachen als klassische Aufgabe der Didaktik der romanischen Sprachen Die Aufgaben der Didaktik der romanischen Sprachen erschöpfen sich natürlich keineswegs in der Untersuchung des Sprachenmarktes, der Entwicklung der Mehrsprachigkeitsdidaktik oder der Fachhistoriographie. Denn wie jede Fachdidaktik beforscht auch die Didaktik der romanischen Sprachen und Literaturen ihre Bezugsfächer in deren unterschiedlichen Lernkontexten und Faktorenkomplexiorien. Das Angebot der romanischen Fremdsprachen zeichnet sich dadurch aus, dass es verschiedene Sprachen an unterschiedlichen Stellen des schulsprachlichen Curriculums verortet. Auch außerhalb der schulischen Lernkontexte begegnen sich die einzelnen romanischen Fremdsprachen an unterschiedlichen Positionen. Wie andere Sprachen auch werden sie mit ganz verschiedenen Zielsetzungen gelernt: als Schulsprachen, mit dem Ziel der 7 Vgl. F.-J. Meißner: "Zwei kritische Bemerkungen zu den Anna/ es politiques des Abbe de Saint-Pierre". Zeitschrift für Romanische Philologie 101 (1985), 417-419. lFLIIL 29 (2000) Aufgabenfelder der Didaktik der romanischen Sprachen ... 47 rezeptiven Kompetenz, der Schreibkompetenz, mit dem Ziel der sozialen Handlungsfähigkeit in Geschäftsbeziehungen, als Fachsprachen und als Nähesprache bzw. zur Kommunikation im Alltag mit frankophonen Sprechern usw. Hieraus folgt für ihre Didaktik, dass sie für diese·Sprachen unterschiedliche Programme entwickeln muss. Mit Recht warnt Bausch (1993) im DaF-Bereich vor einer Unterforderung der Lernenden durch stereotyp verlaufende Curricula von der ersten bis zur n-ten Fremdsprache. Am Beispiel der Didaktik des Französischen, das als Fremdsprache das breiteste Angebot findet, lassen sich in bunter Folge und ohne Anspruch auf Vollständigkeit am klarsten die Forschungsaufgaben aufzeigen, die mehr oder weniger alle romanischen Sprachen betreffen: • Erforschung von Begegnungslernen im Rahmen von Nachbarsprachen-Programmen. Zu erwähnen sind das 'Lerne die Sprache des Nachbam'-Modell (Pelz 1999) als auch die Entwicklung einer Didaktik für Grenzregionen (Raasch 1998). Die Französischdidaktik erfüllt hier deshalb eine Pilotfunktion, weil andere Nachbarsprachen wie Polnisch, Tschechisch und Niederländisch über keine nennenswerte didaktische Forschung verfügen. Programme für diese Sprachen können daher an Erfahrungen und Forschungen für die Partnersprachen Französisch/ Deutsch anknüpfen. In diesem Bereich empfiehlt sich die enge und komplementäre Zusammenarbeit zwischen der französischen Deutschdidaktik und der deutschen Französischdidaktik. Mittelfristig ist auf der Grundlage deutsch-französischer Kooperationsprogramme die Zusammenarbeit zu institutionalisieren. • Der Vertrag über die Deutsch-Französische Kooperation (1963) und seine zahlreichen Folgevereinbarungen sichern den Status der beiden Partnersprachen als Fremdsprachen (Kästner 1999). Dies sollte sowohl zur Förderung des frühen Fremdsprachenunterrichts von Französisch und Deutsch wirken als auch zur Differenzierung und zum Ausbau bilingualer deutsch-französischer Bildungsgänge, an die nicht zuletzt die d~utsch-französischen Ausbildungsprogramme im beruflichen und Hochschulwesen anknüpfen. Vor diesem Hintergrund sind Programme wissenschaftlich zu begleiten wie 'Französisch für Minis (ab Klasse l)' (Mecklenburg-Vorpommern), 'Französisch bilingual ab Klasse 1' (Hessen) oder der Geschichtsunterricht in französischer Sprache (Helbig 1999). • Begründung einer empirisch fundierten Sprachen- und Lernberatung. In der Bundesrepublik Deutschland ist die Verbraucherberatung im Bereich der Fremdsprachen faktisch inexistent, was dem Aufbau der sprachenteiligen Gesellschaft zuwider läuft. 8 • Verbesserung einer adressatenspezifischen, empirisch fundierten Methodik, die deutlich zwischen dem Französischen in zweiter, dritter oder vierter Position unterscheidet. • Entwicklung einer Methodik auf der Grundlage eines inferentiellen Lernbegriffs, die im Bereich einer nachgelernten Fremdsprache (ab L2) konsequent konstruktivistisch operiert, d. h. den Lerner zur eigenen Hypothesenbildurig und -kontrolle veranlasst (Wolff 1999; Meißner/ Burk 2000). Induktive Verfahren sind durch konstruktive abzulösen. • Frühzeitige Befähigung der Lerner zur Nutzung der Zielsprachen als medial vermittelte virtuelle Umgebungssprachen. Gefordert wird die Fertigkeit, zielsprachliche Fernseh- An dieser Stelle sei auf das Dissertationsprojekt von Silke Wehmer zur Fremdsprachen-Lernberatung für Studierende hingewiesen. FLIIL 29 (2000) 48 Franz-Joseph Meißner filme, Nachrichten- und Diskussionssendungen usf. schon früh rezipieren und für den Spracherwerb nutzen zu können. Dies setzt eine vorsichtige Umorientierung zugunsten des Umgangs mit authentischer Mündlichkeit voraus. In engem Bezug dazu steht die Kompetenz, die Fremdsprache in Begegnungssituationen zu verstehen und rollenadäquat zu verwenden. • Eine wesentliche methodische Veränderung des Unterrichts fließt aus den Möglichkeiten der Multimedia-Technik (Plass 1999). Dies ist auch für den Unterricht romanischer Fremdsprachen in Deutschland von Belang (Meißner 1998). Nicht zuletzt betrifft dies das buchbasierte Selbstlernen (Lahaie 1995) und nunmehr das interaktive Selbstlernen über CD-ROM und Internet bzw. das tele-teaching und den Fernunterricht. Hier ist eine nach Lernergruppen zu differenzierende Benutzer- und Lernersprachenforschung möglich, die zeigen wird, wie sich bestimmte Sprachhypothesen (Fehler) der Lerner an bestimmte Etappen des lernersprachlichen Wachstums in den einzelnen Zielsprachen knüpfen. Diese empirisch abzusichernde Kenntnis wird zu einer Optimierung von Lehr- und Lernmaterialien führen, da nunmehr verbreitete lernersprachliche Merkmale und Entwicklungsschichten (Sprachhypothesen, Fehlerprophylaxe) in Sprachkurse integriert werden können. Die Konstruktion von Sprachlernmaterialien wird dann nicht mehr primär unter der Fragestellung erfolgen: 'Welche Elemente des zielsprachlichen Systems müssen in welcher Weise berücksichtigt werden? ' Diese Ausgangsfrage wird vielmehr spezifiziert und ergänzt durch Fragen wie: 'Welche Elemente sind nach Ausweis der Lernersprache(n) wo und wie zu platzieren, wo kann die Progression aufgrund des Vorwissens der Lerner stark beschleunigt werden, wo müssen fehlerprophylaktische Übungen gesetzt werden, an welchen Ausschnitten der zielsprachlichen Architektur wird der interlinguale Transfer in seinen unterschiedlichen Basisfertigkeiten geschult? ' Derlei Fragen deuten auf eine Annäherung der Lehr- und Lernmaterialkonstruktion an das Modell der Didaktischen Grammatik (Bausch 1979). Zugleich werden die Ergebnisse der Instruktionsforschung die Lehrwerke weiter im Sinne leichterer Verständlichkeit verbessern (Zimmermann 1999). Dies wird gerade für schwächere Schüler und lernungewohnte Erwachsene von Vorteil sein. Denkt man des Weiteren an die Vorteile elektronischer Architekturen, so zeichnen sich modulare Konstruktionen ab, mit welchen sich eine (relative) Individualisierung des Inputs, der Erklärungssequenzen und der didaktischen Steuerung, d.h. eine Steigerung des Lernerfolges, verbinden. Das von Meißner (1993a) für das elektronische Lernwörterbuch auf der Grundlage der Hypertext-Technik entwickelte Modell lässt sich ohne Einschränkungen auf andere traditionelle didaktische Textsorten übertragen. Die Voraussetzung für die hier skizzierte Forschung besteht in der Erstellung von Datenbanken : zu Lernerfehlern und Lernprotokollen. • Ausdifferenzierung der didaktischen Begleitung weit in den Fortgeschrittenen-Bereich hinein im Sinne eines umfassenden Sprach-Handlungsbegriffs: Die Studien zum interkulturellen Lernen haben nicht nur die Relevanz der extra- und paraverbalen Dimension von Kommunikation gezeigt. Sie unterstreichen auch, dass Handeln in fremden Sprachen weitaus mehr verlangt als die Verwendung des zielsprachlichen Codes. Raasch (1999: 23) umreißt in diesem Zusammenhang, was Sprache bedeutet: "[...] verbal and extra verbal; more than traditional grammar; part of culture and culture is part of language; activity; social process, [...] linguistic messages are formulated and transmitted in partlFLl! L 29 (2000) Aufgabenfelder der Didaktik der romanischen Sprachen ... 49 nership; linguistic behaviour constitutes responsible action [...]. What do we do when we use a language: We transform the world ('lt') into language; we transform ourselves ('I') into language. We transform others ('you') into language." • Die Fremdsprachendidaktik hat es, wie Christ/ Hüllen (1995) andeuten, auch mit den Inhalten des Fremdsprachenunterrichts zu tun. Es geht dabei nicht primär um die Einordnung des Stoffes aus der Sicht des betroffenen Sachfaches. Dies ist Angelegenheit der Literatur- oder der Landeswissenschaft, die nach der Linguistik-die nach wie vor wichtigsten Bezugswissenschaften der Fremdsprachendidaktik darstellen. Im Fokus der didaktischen Fragestellungen befinden sich Fragen von Auswahl- und Adressatenbezug des Stoffes: Bezugsfelder sind Altersgemäßheit, Verstehen und Verständnis, lnteraktionsformen, Arbeits- und Sozialformen, Partner- und Projektlernen, Beschäftigung mit bestimmten Themen im Rahmen übernationalen Projektunterrichts, kreative Verfahren (Müller-Hartmann 1997) usw. All diese Einzelaspekte lassen sich auf das Wechselspiel zwischen Stoff und Lernerorientierung beziehen. • Die Literatur begleitet den Fremdsprachenunterricht durch einen sehr großen Teil seiner Geschichte. In der Praxis hat sich die Literatur als ein Medium be~ährt, das nicht nur zum Gebrauch der Fremdsprache anleitet, sondern auch auf viele Lernende fremder Sprachen motivierend wirkt. Der Literaturunterricht bzw. die Begegnung mit Literatur im Fremdsprachenunterricht ist daher auch ein wichtiger Objektbereich der Didaktik der romanischen Sprachen und Literaturen. • Die heuristisch und empirisch begründete Didaktik des Fremdverstehens lehrt, dass transkulturelle Handlungskompetenz ohne eingehende Kenntnis der Zielkulturen und ihrer konnotativen verbalen und extraverbalen Codes nicht zu erwerben ist. Ein solches -Ziel verlangt zunächst das verstehende Vergleichen eigen- und zielkultureller Handlungsstereotypen. Die vorliegenden komparatistischen Studien zum Verhalten in interkulturellen Wirtschaftsbeziehungen (Keim 1994, Litters 1995) bedürfen weiterer Differenzierung, denn der Wirklichkeitsbereich 'Wirtschaft' ist zu heterogen, als dass einheitliche nationale Handlungsmuster anzunehmen wären. Zukünftige Forschungen werden daher weitaus mikroskopischer, d. h. auf die einzelnen Branchen bezogen, fokussieren müssen. Was für die Wirtschaft beobachtet werden kann, lässt sich in ähnlicher Weise auf andere Bereiche übertragen. Diese Studien sind notwendig, da das Lehrziel einer sehr differenzierten interkulturellen Handlungskompetenz die Entwicklung von Kursen verlangt, welche nur auf der Basis einer entsprechenden Grundlagenforschung erstellt werden können. Die Professionalität von Lehrenden fremder Sprachen im Erwachsenenbereich zeigt sich auch in der Fähigkeit, dergleichen Kurse anzulegen und durchzuführen. Im Übrigen sei erwähnt, dass auch die Ausbildung von Lehrenden fremder Sprachen für den Fremdsprachenunterricht an Erwachsene endlich von diesen Studien Kenntnis nehmen muss. • In der sprachpraktischen Ausbildung der angehenden Lehrerinnen und Lehrer ist auch die Verbindung zwischen der extraverbalen Dimension als auch der Varietätenspezifik in den Blick zu nehmen. Die sprachpraktische Ausbildung der zukünftigen Lehrenden fremder Sprachen ist oftmals noch zu sehr an überkommenen Mustern orientiert: Die Pragmatik hat bislang kaum Eingang in den universitären Sprachunterricht gefunden, obwohl sie für verschiedene Kontexte von Französischunterricht von erheblicher Bedeutung ist. Der universitäre Sprachunterricht ist bislang kaum didaktisch untersucht. lFLIIIL 29 (2000) 50 Franz-Joseph Meißner • Zur Begleitung des Unterrichts durch die wissenschaftliche Didaktik gehört selbstverständlich die Beforschung der am Unterricht beteiligten Personen, Institutionen und ihrer Interaktionen. Zu den Gründen und zur Art und Weise, wie Lehrende der Fächer Französisch, Italienisch, Portugiesisch oder Spanisch 'ihre' Sprache unterrichten, lassen sich Wechselbeziehungen vermuten, die erst eine empirische Lehrerforschung aufdecken wird. Lange Zeit fungierte das Französische in der romanischen Philologie als eine Art lingua franca. Französisch konnte jeder Romanist. Auch heute noch verzeichnet diese Sprache die meisten Studierenden mit dem Ziel, eine romanische Sprache kompetent unterrichten zu können. Deshalb sehe man dem Verfasser nach, wenn er diesen tour d'horizon mit der Bemerkung abschließt: La didactique des langues et litteratures romanes a du pain sur la planche. Literatur ABENDROTH-TIMMER, Dagmar (1998): Der Blick auf das andere Land. Ein Vergleich der Perspektiven in Deutsch-, Französisch- und Russischlehrwerken. Tübingen: Narr. BAHR, Andreas/ BAUSCH, Karl-Richard/ HELBIG, Beate/ KLEPPIN, Klara / KÖNIGS, Frank G. / TÖNS- HOFF, Wolfgang ( 1996): ForschungsgegenstandTertiärsprachenunterricht. Ergebnisse eines empirischen Projekts. Bochum: Brockmeyer. BAUSCH, Karl-Richard (1979): "Die Erstellung von didaktischen Grammatiken als Exempel für das Verhältnis von Angewandter Linguistik, Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung". In: Ders. (Hrsg.): Beiträge zur Didaktischen Grammatik. Probleme, Konzepte, Beispiele. 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Experiments carried out at the University of Rome show that retrospective comments elicited from Italian students of German after narrative and descriptive tasks can shed a light on how grammar difficulties are feit and managed before and during language production. This paper deals with a very common grammar problem for learners of German the attribution of gender in nouns and articles and with the related strategies to cope with. Four different strategies (reduction, avoidance, analogy, 'jumping') are identified and described mainly through the words and reactions ofthe leamers themselves. The discussion of data leads to a sequential hypothesis on the role of strategies applied in the developmental process of acquiring gender attribution competence by Italian leamers of German. 1. Zur Einführung in das Thema Untersuchungen im Bereich des Zweitsprachenerwerbs und des Fremdsprachenlernens, die sich auf Introspektionsverfahren berufen, bilden bereits seit längerem Anlass für eine rege Methodendiskussion, welche insbesondere die Anwendung qualitativer/ quantitativer (oder auch „quantifizierender") Ansätze sowie die Bedeutung der relativen Beziehung der Innen- und Außenperspektive bei der Erhebung und Auswertung von lemersprachlich orientierten Daten betrifft (Grotjahn 1999). Jedes introspektive Verfahren zielt in erster Linie auf die Untersuchung der 'inneren' Dimension eines Lehr-/ Lemprozesses und macht die Äußerungen der an diesem Prozess teilnehmenden Subjekte (über eigene Erfahrungen, Strategien, Motivationen, Urteile usw.) zum Forschungsgegenstand. Als Introspektionsmaterial werden Daten aus Interviews, Aufzeichnungen, 'lautes Denken' -Verfahren, nachträgliche Kommentare (d.h. nach einer Unterrichtsstunde oder einer bestimmten Sprechaufgabe erhobene Äußerungen) usw. elizitiert, um psychologische Haltung und kognitives Verhalten der Lerner (oder Lehrer) in einer bestimmten Lehr-/ Lernsituation zu untersuchen. Einer der (zahlreichen) Einwände, die gegen diese Untersuchungsmethode erhoben werden, betrifft die Relevanz dieser Daten: da die Daten auf Aussagen über bewusste Vorgänge beschränkt bleiben, dürfe ihre Bedeutung nicht überschätzt werden. In diesem Sinne blieben u.a. wichtige unbewusste Teile des Sprachlernprozesses (Verinnerlichung von Regeln, Memorisierung, automatisierte Lern- und Produktionsabläufe usw.) unaufgedeckt. Deshalbso wird argumentiert sei die mögliche Interpretation der introspektiv gewonnenen Daten eher irreführend als aufschlussreich. Wenn es aber einerseits stimmt, dass sich introspektive Untersuchungsverfahren auf die Elizitierung bewusster Aussagen beschränken, ist es andererseits nicht wahr, dass die so gewonnenen Informationen keinen Beitrag zum Verstehen der Lern- und Produktionsprozesse leisten können. Ich möchte hier gleich ein Beispiel zur Erläuterung dieses Punktes anführen. In einem der von uns durchgeführten Experimente mit italie- JFLIIIL 29 (2000) Introspektion und Grammatik 55 nischen Deutschlernenden (s. unten), in dem eine Sprachproduktion erzeugt, mit Video aufgenommen und im Nachhinein (also retrospektiv) von der Versuchsperson kommentiert wurde, kam es zu folgender Aussage 1: (1) ... im dritten Bild kommt Fritz wieder nach Hause, ... er ist endlich fertig. Was für ein furchtbarer Fehler... : "Fritz kommt wieder nach Hause"; normalerweise sage ich immer 'gehen' plus 'nach' und nicht 'kommen' plus 'nach'. Vielleicht hätte ich sagen sollen: "Fritz geht wieder nach Hause." (GT) Nach der üblichen Auffassung liegt hier kein Fehler vor: die Aussage ist „grammatikalisch korrekt". Doch sehen die Dinge im Bewusstsein (nicht im Unterbewusstsein! ) der Versuchsperson ganz anders aus: der Fehler ist da und ist sogar „furchtbar"! Offensichtlich wird hier eine fremdsprachliche Produktionsstelle auf sehr subjektive Weise als problematisch empfunden. Der nachträgliche Kommentar ist aber meiner Ansicht nach weder irreführend noch unbedeutend, weil er den Zugang zu aufschlussreichen Informationen (z.B. zum möglichen Stand der Interimsprache der Versuchsperson) ermöglicht, die bei einer bloßen Analyse der 'externen' Performanzebene (d.h. hier der deutschen Aussage) unl! ,.ufgedeckt geblieben wären. Auch die implizierte psychologische Dimension der subjektiven Fehlerbewertung (wie wird ein Fehler 'empfunden'? als schwerwiegend "furchtbar"] oder weniger gravierend? ) bliebe in einer bloßen Produktionsanalyse unzugänglich. Beide Ebenen, die der Innen- und die der Außenperspektive (d.h. die subjektiv psychologische Dimension und die Analyse der Sprechproduktion, inklusive Fehleranalyse), sind eigentlich komplementär, und ihre Korrelierung kann das Beobachtungsvermögen und das Instrumentarium des Forschers und der an dem Prozess der Spracherlernung interessierten Teilnehmer nur bereichern (vgl. auch Serra Borneto 2000). Die oben angeführten Bemerkungen lassen sich in folgenden Punkten zusammenfassen und erweitern: • Introspektive Verfahren gehören zu den empirischen Forschungsmethoden, die hauptsächlich qualitative Daten (in diesem Fall subjektive Einstellungen, Motivationen, Meinungen, Hypothesen der Lerner) elizitieren und verarbeiten. • Trotz dieser qualitativen Tendenz kann und soll eine auf Introspektion basierende Untersuchung auch quantitative Aspekte (z.B. Fehleranalyse, Performanzanalyse, Wortaufzählung in der Sprachproduktion usw.) einschließen. • Die Korrelierung dieser beiden Aspekte (Triangulierung der Außen- und Innenperspektive) ermöglicht eine holistische Interpretation von lernersprachlichen Erscheinungen (Produktionsstellen, Schwierigkeitsgrad, Fehler, Strategieverhalten u.a.m.). • Die Auswertung der damit gewonnenen Einsichten kann zu Hypothesen über die beobachteten Phänomene führen, die dann zum Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen werden können (vgl. auch Königs 2000). Hier und später gilt: kursiv = Sprachproduktionsausschnitt, worauf sich der Kommentar bezieht; Normalschrift= dazu gehörendernachträglicher Kommentar. Alle Kommentare, ursprünglich aufltalienisch, sind von mir ins Deutsche übersetzt worden. FLlJIIL 29 (2000) 56 Carlo Serra Borneto Im folgenden Beitrag zum Thema Grammatik werden diese Punkte berücksichtigt. Zunächst werden subjektive Einstellungen italienischer Studenten zum Thema 'Deutsche Grammatik' diskutiert (wobei auch quantitative Angaben hinzugezogen werden). Dann wird das strategische Verhalten der Studenten anhand eines spezifischen grammatischen Schwerpunktes (Genuszuweisung) in der Innen- und Außenperspektive illustriert. Schließlich werden Hypothesen über die relative Gewichtung und Reihenfolge der verwendeten Strategien aufgestellt. Das Material stammt aus einigen Untersuchungen, die ursprünglich in Zusammenarbeit mit dem Seminar für Sprachlehrforschung der Ruhr-Universität Bochum und dem Goethe- Institut Rom durchgeführt (vgl. Bausch 1995, Serra Borneto 1996 und 1998) und dann selbstständig am Lehrstuhl für Germanistische Linguistik der Universität Rom weitergeführt wurden. In diesen Experimenten wurden über 70 italienische Mittelstufe-Studenten mit unterschiedlichen Aufgaben konfrontiert (freie Produktion, Beschreibung von Bildern, Erzählung nach einer Bildergeschichtenvorlage, durch Instruktionssprache geleitetes Nachzeichnen, Interaktion mit vorgegebenen Szenenmustern usw.), die auf Video aufgenommen wurden. Unmittelbar nach der Produktion konnten die Versuchspersonen die Videoaufnahmen erneut anschauen und einzelne Stellen ihrer Performanz nachträglich ('retrospektiv') kommentieren. Die unterschiedlich langen nachträglichen Kommentare einige bestanden aus einer ganzen Transkriptseite, andere nur aus wenigen Zeilen betrafen vor allem Schwierigkeitserscheinungen im Bereich der Lexik, der Diskursplanung und in geringerem Maße der Grammatik. Sie bezogen sich teilweise auf einzelne Produktionsstellen und -probleme (wie. z.B. das obige Beispiel (1)), oft aber enthielten sie auch allgemeinere Bemerkungen über Studiengewohnheiten, Strategien zur Überwindung von Schwierigkeiten, Einstellungen zu größeren Themenschwerpunkten (wie eben Grammatik) usw. 2. Wie wird die (deutsche) Grammatik 'empfunden'? Grammatik gehört nicht zu den Lieblingsthemen der introspektiven Kommentare. Z.B. waren aus 525 nachträglichen Kommentaren der Pilotphase des gesamten Projektes (13 Subjekte wurden auf spontane Äußerungen zu beliebigen Stellen ihrer Produktion untersucht) nur 67 der Grammatik gewidmet(= 12,5%; demgegenüber 343 zur Lexik[= 65%], 107 zur Diskursplanung [= 21%]und 8 zur Phonetik[= 1,5%]). Dies lässt sich dadurch erklären, dass lexikalische Schwierigkeiten bei den Produktionsaufgaben bekanntlich dominierend sind. Trotzdem kamen schon in dieser ersten Phase der Untersuchung eine Reihe von grammatischen Problemen deutlich zum Vorschein, die allen italienischen Deutschlernenden gemeinsam sind. Diese betrafen vor allem folgende Schwerpunkte: Genusattribuierung, Gebrauch von Präpositionen und Verbpräfixen, Satzkonstruktion. Sie entsprachen auch den am meisten fehleranfälligen Bereichen in der Produktion (allein die Genusfehler betrafen nämlich fast 50% der gesamten Produktionsfehler), was wiederum für eine gute Korrelierung zwischen 'Außen-' und 'Innenperspektive' spricht. Nachträgliche Kommentare von Studenten zeichnen sich durch ihre Spontaneität aus. Sie vermitteln ein sehr persönliches und teilweise 'emotionales' Bild auch über 'trockene' IFlLlllL 29 (2000) Introspektion und Grammatik 57 Bereiche wie Grammatik, Regeln, Funktionieren der Sprache usw. Diesem Charakter würde eine formale Datenanalyse nicht Rechnung tragen. Deshalb wurde hier als Darstellungsform eine Art 'narrativer Streifzug' durch die Problematik gewählt, um der Spontaneität der Äußerungen möglichst gerecht zu bleiben. Die Komplexität der deutschen Grammatik stellt sicherlich einen wichtigen Schwierigkeitsfaktor bei der Erlernung der deutschen Sprache dar. Dies wird von den meisten Versuchspersonen sehr klar thematisiert, oft durch einen Vergleich mit dem Englischen (als paradigmatisch 'einfache' Sprache stilisiert): (2) Eine Sprache wie Deutsch ist sehr kompliziert: Mit dem Englischen ist es anders: man setzt die dritte Person ein und damit hat es sich. Man muss nicht so viel drüber nachdenken. Im Deutschen dagegen muss man über jedes einzelne Wort eine Menge Überlegungen anstell~n. (SI) Englisch genießt auch den Vorteil, die 'medial' internationale Sprache zu sein, was zu der sehr verbreiteten Auffassung führt, es sei einfach, sich in dieser Sprache von Anfang an ohne Bedenken auszudrücken. Im Gegensatz dazu hat Deutsch den Ruf, nicht unmittelbar zugänglich zu sein und ein langwieriges grammatisches Studium zu verlangen, bevor man überhaupt mit dem Sprechen beginnen dürfe: (3) Meiner Meinung nach, wenn man Deutsch lernt, .... ist es schwierig ohne viel Studium zu kommunizieren, d.h. man muss bereits recht solide Vorkenntnisse haben, um überhaupt mii dem Reden anzufangen. Es ist nicht wie zum Beispiel mit dem Englischen, das einem mehr oder weniger aus dem Hören ... der Musik oder aus den Filmen bekannt ist ... so kannst du normalerweise schon mit wenigen Worten kommunizieren. Beim Deutschen, ja, da musst du eine richtige grammatische Basis haben, um überhaupt einen Satz zu bilden. Deshalb erfordert es eine größere anfängliche Anstrengung als die anderen Sprachen. (MP) Diese Vor-Urteile werden allerdings nicht von allen Versuchspersonen in gleichem Maße geteilt. Ein entgegengesetztes auch ziemlich verbreitetes - Vor-Urteil besteht in der Auffassung, Deutsch sei gerade wegen seiner strukturierten und deshalb regelmäßigen und durchsichtigen Grammatik in gewisser Weise einfacher als Englisch: (4) ... nein ... nein ... weil das Deutsche ziemlich starr ist ... ich meine ... die Regeln, wenn man einmal eine Satzkonstruktion gelernt hat ... dann denke ich, dass es viel einfacher ist als eine ... als die Konversation auf Englisch, zum Beispiel. Selbst wenn man dann auf all diese Deklinationen Acht geben muss ... (AT) Diese Auffassung lautet in ihrer vollen Form: Deutsch sei zwar kompliziert am Anfang, wenn man sich aber genug damit beschäftigt, wird es einfacher, weil die grammatische Struktur ziemlich konstant bleibt "das Deutsche [ist] ziemlich starr"): eine zwar mühsam gelernte aber oft praktizierte Regel kann man immer wieder und systematisch benutzen. Mit dem Englischen verläuft es umgekehrt: am Anfang sieht es einfach aus, doch wird es bald wegen der starken Idiomatik und der idiosynkratischen Formen besonders in der Alltagssprache schwierig. Insgesamt bleibt Deutsch aber im Bewusstsein der Lerner eine schwere Sprache, an die man nicht leichtfertig herangehen kann. Der Vorteil davon scheint aber doch darin zu liegen, lFL1111L 29 (2000) 58 Carlo Serra Borneto dass eine systematische Beschäftigung mit derer Grammatik zu stabileren und 'standfesteren' Kenntnissen führen kann. Allerdings muss das Studium der Grammatik von vornherein systematisch und korrekt angegangen werden und rechtzeitig anfangen; eine anfängliche Vernachlässigung der Grammatik kann nämlich langwierige Konsequenzen haben: (5) So ich habe [ich] 5 Jahr Deutsch in die Schule gelernt und dann hab ich beginnt, privat Deutsch zu lernen, aber ... aber ich habe wieder beginnen, Deutsch zu lernen, weil in der Schule ein ... ein ... äh ... lernt man Deutsch sehr, sehr schlecht, ich habe wieder beginnen müssen. Denn es gibt italienische Lehrer, die Muttersprache Italienisch sind ... ähm ... Ich glaube, Deutsch ist eine zu seriöse Sprache, um 12 Jahre beginnen zu lernen. Ich habe gleich am Anfang große grammatische Schwierigkeiten gehabt, weil ich in den ersten Jahren sehr schlecht gelernt habe, und dann fehlte mir ein bisschen die Grundlage, d.h. ich habe die Grammatik sehr schlecht in den ersten Schuljahren gelernt, dann aber, da ich ein gewisses Vokabular erworben hatte, habe ich am Goethe-Institut nicht von vorne wieder anfangen müssen, sondern, sagen wir, ab dem vierten ... fünften Unterrichtsjahr. Deshalb fehlt mir sozusagen der ganze grammatische Hintergrund, der nun sehr schwer nachzuholen ist. So versuche ich, ihn durch das Vokabular auszugleichen. Wenn ich einen Monat in Deutschland bin, dann ist dieses Vokabular da, dann aber ... jetzt sind es nunmehr zwei Jahre, dass ich nicht mehr nach Deutschland gegangen bin, und das Vokabular verschwindet ein bisschen und dann habe ich große Schwierigkeiten, mich korrekt zu auszudrücken. (AP) Hier wird eine neue Dimension eingeführt: wenn die grammatischen Grundlagen fehlen, dann können sie mindestens zeitweise durch eine gute auf der Praxis basierende lexikalische Kompetenz ersetzt werden "So versuche ich ihn durch das Vokabular auszugleichen"). Da aber diese praktische Kenntnis stark mit einem intensiven Gebrauch der Sprache verbunden ist, bleibt ihre positive Wirkung auf eine begrenzte Zeit beschränkt. Sobald eine Periode mangelnder Praxis einsetzt, geht auch diese 'lexiko-grammatische' Kompetenz verloren "das Vokabular verschwindet ein bisschen und dann habe ich große Schwierigkeiten, mich korrekt zu auszudrücken"). Es mag interessant sein, APs Behauptungen durch einen Vergleich mit den quantitativen Daten seiner Performanz zu objektivieren. Beim Erzählen von 8 Bildergeschichten verwendet AP 342 unterschiedliche Lexeme: dies ist im Vergleich zu dem der anderen Versuchspersonen (255 Wörter im Durchschnitt) ein vielfältiges Vokabular. Dafür macht er bei weitem mehr Fehler als jede andere Versuchsperson (212 Fehler in der ganzen Produktion, d.h. 1 Fehler alle 13 ausgesprochenen Wörter; der Durchschnitt der anderen Versuchspersonen liegt bei 87 Fehlern). Der Proband scheint somit in einer delikaten Phase partiellen Sprachrückgangs der interimsprachlichen Entwicklung zu sein, in welcher das in Deutschland gewonnene lexikalische Vermögen bis zu einem gewissen Grad beibehalten, die damit verbundene grammatische Kompetenz aber schon stark gefährdet ist. Wie der Kommentar zu verstehen gibt, ist nämlich diese grammatische Information derivativ zur Lexik und demzufolge auch als erste verlustanfällig. Zwei scheinbar konkurrierende Auffassungen der Grammatik gehen aus den vorangegangenen Kommentaren hervor: Auf der einen Seite die Vorstellung einer „angewandten", der Praxis dienenden und in der Praxis verankerten Grammatik, die stark mit dem Gebrauch des Lexikons korreliert; auf der anderen Seite die 'klassische' Vorstellung einer 'theoretischen', kenntnisbildenden und psychologisch unterstützenden Grammatik, die mit den traditionellen lFlLwL 29 (2000) Introspektion und Grammatik 59 Begriffen der Regelbildung und -anwendung verbunden wird. In den Auffassungen der Versuchspersonen hat die erste eine konkrete anwendungsbegleitende Funktion, die zweite besitzt hingegen einen eher psychologischen, bewusstseinsunterstützenden und lernstrategischen Wert "Sprachwissen" gehört zum Sprachenlernen und erzeugt Sicherheit). In den folgenden Abschnitten wird auf einen besonders problematischen Grammatikschwerpunkt (Genuszuweisung) eingegangen, um andere Aspekte der introspektiven Methode anhand eines bestimmten Beispiels exemplarisch darzustellen. 3. Zum Thema Genuszuweisung Wie schon erwähnt, stellt die Genuszuweisung eines der Hauptprobleme der deutschen Grammatik für italienische Deutschlernende dar. Ca. 50% der Performanzfehler aller Probanden lassen sich auf diesen Bereich zurückführen (ähnliche Zahlen werden von Reiß 1999 für Schüler anderer Muttersprachen angegeben). Von den verschiedenen Probanden wird diese Schwierigkeit jedoch unterschiedlich bewertet. Die meisten Versuchspersonen sehen tatsächlich das „Problem des Artikels" als gravierend, ja sogar als „furch~ar" an (eine Bezeichnung, die offensichtlich ziemlich oft gebraucht wird! ). Z.B.: (6) ... Und dann vieles andere, ... das furchtbare Problem des Artikels ... denn der kommt nur dann richtig raus, wenn einer die Sprache von Geburt an kennt, ... weil ich tausendmal „das Stück" studiert habe, dann nach einem Monat kommt mir wieder „der Stück", "die Stück" ... (AML) Die Genuszuweisung wird hier sowohl als Produktionsproblem als auch als Lernschwierigkeit charakterisiert: AML zeigt sich aufgrund ihrer Erfahrung ziemlich desillusioniert in Bezug auf die Möglichkeit, diese Schwierigkeit zu überwinden "der kommt nur dann richtig raus, wenn einer die Sprache von Geburt an kennt"). Andere Probanden nehmen diesbezüglich eine differenziertere Position ein, indem sie zwischen prinzipieller Relevanz und praktischer Bedeutung unterscheiden: (7) ... man könnte sagen, dass ich zwischen einer theoretischen und einer ... ja ...praktischen Ebene unterscheide. D.h. theoretisch gesehen, halte ich die Genuszuweisung für ... relevant. d.h., auch weil eigentlich ... na ja, ich denke, dass die Wirkung auf einen deutschen Muttersprachler, der zuhört, sehr ähnlich ist wie ... ja wie wenn die Deutschen unsere Genera falsch einsetzen. Denn ... die linguistische Identität, die mit dem Genus verbunden ist, ist bei allen Sprachen gleich; ... deshalb wäre es schon von größter Bedeutung. Doch praktisch gesehen, da ich vor allem mit dem Sprechen angefangen habe und dabei gelernt habe, nie ... oder fast nie bei dem grammatischen Aspekt der Wörter zu bleiben ... praktisch gesehen, ziehe ich dagegen vor, möglichst fließend zu reden (...) und ich frag mich nie, ob ein Substantiv Maskulin, Feminin oder Neutrum ist, ich spreche es halt aus. Wenn's stimmt, geht's, wenn's nicht stimmt ... hat er mich trotzdem verstanden. (FP) FP zeigt eine gewisse Sensibilität gegenüber soziolinguistischen Faktoren, die die muttersprachliche Rezeption von Genusfehlern beeinflussen, ziehtjedoch im Unterschied zu AML ein kommunikativ orientiertes und nicht monitorisiertes Sprechverhalten vor, weil es den Bedürfnissen der Praxis besser entspricht. Solche Meinungsunterschiede unter den VerlFlLu! lL 29 (2000) 60 Carlo Serra Borneto suchspersonen lassen sich oft aus dem jeweiligen psychologischen Profil und den Lernerfahrungen erklären. So hat FP z.B. nur zwei Jahre Deutsch an der Universität studiert, den Rest seiner Sprachlernerfahrung hat er im Lande erworben, wo er in einer Agentur gearbeitet und die Sprache vorwiegend mündlich praktiziert hat. AML ist dagegen eine (English-)Lehrerin, die mehrere Deutschkurse besucht (3 Jahre an der Uni, 2 Jahre am Goethe-Institut, einen Sommerkurs in Berlin) und sich nur für kurze Zeiträume in Deutschland aufgehalten hat. Sie hat auch Französisch und Spanisch studiert und ist in ihren Lerngewohnheiten ziemlich strukturiert und auf Korrektheit bedacht, da die Fehlervermeidung für sie einen hohen emotionalen Stellenwert einnimmt: (8) Ja, ich fühle mich nicht wohl, wenn ich beim Reden viele Fehler mache, weil ich denke, dass ich eine ganze Menge dieser Fehler vermeiden müsste, ... bei meinem Sprachniveau. Ich dürfte nicht so viele Fehler machen. Ich meine, auch wenn man sagt, dass Fehler unwichtig sind, für mich haben sie eine Bedeutung, das heißt, sie erzeugen bei mir eine Frustration, die ich vermeiden möchte. (AML) Probanden äußern sich darüber hinaus natürlich auch über die Gründe ihrer Schwierigkeiten. Dabei wird bis zu einem gewissen Grad zwischen Lern- und Produktionsproblemen unterschieden. Folgender nachträglicher Kommentar ist eindeutig dem Versuch gewidmet, eine systematische Lernstrategie zu identifizieren: (9) Ich halte es ... für eines der schwierigsten Kapitel ... dieser Sprache. Nicht so sehr ... weil man akzeptieren muss, dass es drei Genera gibt, sondern, weil man sich ... das Genus der Wörter ... merken muss. Insgesamt ... habe ich bisher keine ... Methode gefunden ... ich habe lange eine logische Methode gesucht, die einem helfen kann, auf das Genus eines Wortes zurückzugreifen ... doch absolut ... das einzige, was ich bisher entdeckt habe, ist das Mnempnische, eigentlich ... (GN) Der nächste Kommentar bezieht sich dagegen auf Schwierigkeiten bei der Produktion (obwohl das darin erwähnte Problem der Memorisierung eher als lernstrategisch aufzufassen wäre). Die Genuszuweisung wird hier nicht isoliert betrachtet, sondern mit einem weiteren problematischen Bereich (Satzkonstruktion) verglichen. Diese letztere sei leichter zu beherrschen, weil sie systematische Züge aufweist "weil sie fest steht"), was eine kognitive Bearbeitung ermöglicht, die bei der eher unsystematischen "Substantive sind dagegen nicht fest") Verteilung der Genera nicht so leicht ist: (10) Dann gibt es noch ein Problem: eine Art und Weise zu finden, sich das Genus der deutschen Wörter zu merken. Es ist eine nicht geringe Schwierigkeit, denn ohne dieses Problem würde ich Deutsch ziemlich gut reden. Die Satzkonstruktion ist kein großes Problem für mich, weil sie fest steht, die Substantive sind dagegen nicht fest (GT) Eine weitere Schwierigkeitsquelle bildet der sprachsystematische Unterschied zwischen Deutsch und Italienisch (im Italienischen gibt es nur zwei Genera, Maskulinum und Femininum). Diese Kontrastierung kommt im folgendem Kommentar deutlich zum Vorschein: lf1LIIL 29 (2000) Introspektion und Grammatik 61 (11) Wir studierten mit deutschen Büchern, d.h. wir hatten einen ... ein deutsches Buch... ... Wir Italiener merken uns die deutschen Artikel nicht, weil es drei verschiedene gibt: das, die der, und wir wissen nicht immer, welcher der richtige ist; deshalb habe ich hier dieses Problem gehabt ... wir Italiener haben nämlich nur zwei Artikel. (FS) Merkwürdigerweise gilt ein ähnliches Argument nach Meinung anderer Versuchsperson nicht für das Englische. Der (angebliche) völlige Differenzierungsmangel im Genusbereich sei im Gegenteil sogar vorteilhaft, weil lnterferenzerscheinungen ausgeschaltet werden können 2 : (12) Es ist eine Schwierigkeit vor allem für uns Italiener, weil wir auch verschiedene Genera haben ... zum Beispiel, ich glaube nicht, dass es für einen Engländer so schwer wäre, weil er ... von einer Vorstellung über das Genus ausgeht, die gleich Null ist. Deshalb ... zieht er nur das deutsche Genus in Betracht. Wir fangen dagegen mit unseren eigenen Vorstellungen an und versuchen, ein Genus zu geben, das unser eigenes ist .... (GN) Insgesamt wird also die Genuszuweisung auf jeden Fall als bedeutsame Schwierigkeit 'empfunden'. Dafür werden verschiedene Gründe angegeben: sie ist nicht leicht vermeidbar (siehe aber unten), lernstrategisch schwer zu beherrschen (systematischer kontrastiver Unterschied, wenige 'sichtbare Regeln') und wirkt schließlich unter Umständen verunsichernd, wenn ein starker Wert auf Korrektheit gelegt wird. 4. Kompensationsstrategien zur Überwindung der Genus-/ Kasus-Schwierigkeit Die Auffindung eines systematischen Regelrepertoriums für die Erlernung der Genuszuweisung (s. oben) ist ein weiterhin ungelöstes Problem in der Didaktisierung dieses Grammatikbereichs (Meinert 1989, Wegera 1997, Krohn 1998). Systematisierungsversuche für Teilbereiche (z.B. Eppert 1992 und 1995) und Generalisierungsversuche auf Grund allgemeiner Prinzipien (Köpke/ Zubin 1984 und 1996) sind mehrmals unternommen worden, sie bleiben aber sehr theoretisch (linguistisch inspiriert) oder für eine Didaktisierung zu komplex (unsystematisch, dafür mit praktischer Bedeutung, sind dagegen die mnemotechnischen Vorschläge von Sperber 1989 und 1991). Auch einige empirische Studien über Probleme der Genuszuweisung für amerikanische (Delisle 1985), japanische (Menzel/ Tamaoka 1995) und türkische Studenten (Wegera 1995) sind ziemlich abstrakt angelegt (Zuordnungsaufgaben und Genusattribuierungen zu isolierten Wörtern). Dagegen basieren Spracherwerbsstudien eher auf kontextualisierter Materialienerhebung (Mills 1985 und 1986, Harnisch 1993, Reiß 1999), beziehen sich aber auf andere Altersgruppen und Lernbedingungen als die hier behandelten. Das Problem der Genuszuweisungsschwierigkeit in der schriftlichen Produktion wird fehleranalytisch in Rogers (1987, für amerikanische Studenten) und strategisch in Diehl (1991, für französische Schüler) angegangen. Diese letzte Für eine vergleichbare Auffassung in Bezug auf das Türkische vgl. Wegera (1995: 26) lFJLllL 29 (2000) 62 Carlo Serra Borneto Perspektive steht dem hier vertretenen Ansatz am nächsten. Die Vorteile der Introspektionsmethode kommen nämlich am besten im Bereich der Untersuchung von Produktions- und Kommunikationsstrategien (Frerch/ Kasper 1987; Poulisse 1990) zur Geltung: man kann hierbei einen bestimmten Produktionsausschnitt unmittelbar befragen oder von der Versuchsperson spontan kommentieren lassen. Auf diese Weise kann eine gezielte Information über das relevante Thema direkt gewonnen werden. Gegenüber anderen Analyseverfahren, wie z.B. der Fehleranalyse, besteht darüber hinaus der Vorteil, dass jede Produktionsstelle (also nicht nur Fehler) einen potentiellen Anlass zu einem Kommentar darstellt und damit ein vollkommeneres Bild des Kommunikationshintergrundes erzeugt werden kann. Hinzu kommt, dass die Interpretation der Stelle dem Lerner (dem Sprecher) überlassen wird (was verlässlicher als eine Interpretation „von außen" ist) und dass die Inhalte der elizitierten Kommentare breitgefächert und aufschlussreicher sind (sie betreffen nämlich die Gründe einer Wahl, die kognitiven und psychologischen Wege und Irrwege, die die Versuchsperson zu einer Entscheidung geführt haben, die allgemeinen Kriterien, die sie während der Überwindung einer schwierigen Stelle bewegt haben usw.). Kommunikationsstrategien sind vielfach und unterschiedlich klassifiziert worden (vgl. Bialystok 1990): grammatikbezogene Strategien kommen bei den bestehenden Typologien allerdings selten vor (bevorzugt sind inhaltbezogene Strategien). Morphologische und syntaktische Aspekte werden zwar von Kasper (1982) unter den „formalen Reduktionsstrategien" berücksichtigt, spielen aber eine beschränkte Rolle in ihrem Klassifikationssystem. Das Thema Genuszuweisung ist soweit ich weiß strategisch-typologisch nirgends spezifisch behandelt worden. Deshalb werde ich mich hier auf eine eigene Klassifizierung berufen, die teilweise analog zu den oben erwähnten Typologien auf Grund der Analyse der nachträglichen Kommentare entwickelt wurde. Diese schließt folgende Strategien zur Überwindung der Genuszuweisungsschwierigkeiten ein, die im folgenden einzeln behandelt werden: • morphologische Reduktion; • morphologische Ausweichung; • Analogiebildung; • "Jonglieren". 4.1 Morphologische Reduktion Unter einer morphologischen Reduktion verstehen wir die Auslassung von Morphemen als bewusstes strategisches Verhalten, um die Kommunikation aufrechtzuerhalten. Die morphologische Reduktion kann total (Auslassung des ganzen Artikels) oder partiell (Auslassung der Artikelendung) sein. Die erste Form ist im folgenden nachträglichen Kommentar exemplifiziert: (13) .... ich habe Deutsch gelernt an ... Goethe-Institut in Rom ... Ich habe den Artikel ... nicht ... nicht ausgesprochen. Mit den Artikeln mache ich so ein ... (lacht) ich gleite darüber hinaus ... Die Wahrheit ist, dass ich ... ich vergesse ihn immer ... das heißt ... außer den Wörtern, die auf eine besondere Weise auslauten und die ich studiert habe, vom Typ ... Wörter, die mit "-ung" enden sind normalerweise weiblich und ... all die, die mit „chen" enden sind sachlich ... so was in der Art ... Was die anderen angeht, gebe ich nicht Acht und eine der lFILlllL 29 (2000) Introspektion und Grammatik 63 möglichen Lösung ist, dass ich den Artikel ... ähm ... verschlucke (lacht) ... ich verschlucke den Artikel ... äh, natürlich ist das ein schwerer ... Fehler ... ich bin mir bewusst, dass ein Deutscher, der dabei ist und zuhört, es als „barbarisch" empfinden würde... aber .. sagen wir ... vom Standpunkt der Kommunikation betrachte ich ihn nicht als einen schweren Fehler. (GN) Der strategische Charakter dieser Lösung wird indirekt von der Versuchsperson bestätigt, indem sie sie als eine Art 'Trick' (beim Erwähnen lacht sie jedes Mal) beschreibt, der ziemlich systematisch verwendet wird, weil keine zuverlässigen Regeln oder sonstigen Kenntnisse für den Einsatz des Genus zur Verfügung stehen. Außerdem ist auch die kommunikationserhaltende Funktion dieser Strategie der Probandin bewusst "vom Standpunkt der Kommunikation betrachte ich ihn nicht als einen schweren Fehler"). Die zweite in unserem Korpus festgestellte Form der morphologischen Reduktion besteht in der Auslassung der Endung bei Beibehaltung der Determinansbasis (dies-/ d-). Folgender Dialog zwischen dem Interviewer und dem Probanden zeigt ihre strategische Funktion sehr deutlich: (14) Interviewer: Ja, dann habe ich no.ch was bemerkt ... sag ruhig, ob ich mich irre ... dass du oft dazu neigst ... den Artikel oder Determinans in einer Form zu benutzen, wo du immer noch was hinzufügen kannst, um es genauer zu bestimmen ... Formen, die es dir erlauben, sozusagen umzukehren und noch was hinzuzufügen, .... na? Proband: Ja, einerseits sind sie eine Hilfe, weil es sich um nicht geschlossene Formen handelt, dann sind sie nicht zwingend und erlauben dir, es dir auch anders zu überlegen, beim Reden ... Du kannst dich daran anhängen ...oder weitergehen ... sie geben dir also die Möglichkeit, einen Augenblick halt zu machen und zu überlegen ... Interviewer: Eben. Proband: Wenn du „diesem" sagst, und es müsste „dieser" heißen ... dann wäre das ein Problem. Wenn dagegen nur „diese .. " oder „dies .. " dasteht, dann gewinnst du Zeit ... Ja, es gibt diese Tendenz bei mir ... es in der Schwebe zu lassen ... es mag falsch sein, ... dann kehre ich ganz zurück ... wenn es ein Nominativ ist, dann ... schon gut ... man bleibt beim „dies"; wenn es aber ein Dativ sein sollte, dann ... das Problem ist damit gelöst ... man fügt ein „m" ein, wenn es männlich ist ... und damit hat sich's ... Interviewer: Auch wenn dann oft die Form unverändert bleibt ... Proband: Genau ... lassen wir sie, wie sie ist, und denken wir nicht mehr drüber nach ... auch wenn man sie so lässt, ist es nur ein ... halber Fehler. Was ist es für ein Fehler? Ein richtiger Artikelfehler, oder eine Auslassung, weil es nicht vollkommen ist? ... Es ist nicht dasselbe, als wenn ich einen wirklich falschen Artikel einsetzen würde; dann heißt es, dass ich nicht verstanden habe. Auf diese Weise, wenn ... es etwas unvollständiges ist, ... na ja, ich mag ein bisschen zerstreut gewesen sein. Deshalb ... (CL) Die morphologische Reduktion ist keine Reduktionsstrategie im eigentlichen Sinne des Wortes: als Reduktionsstrategie werden nämlich im Prinzip Formen des Verzichts auf intendierte Kommunikationsziele gezählt (dazu gehören z.B. Themenvermeidung, Aufgabe der Äußerungsabsicht, Reduktion von Handlungszielen usw.; vgl. Kasper 1982). Der aktive kommunikativ-kompensatorische Charakter dieser Strategie bei der Genuszuweisung lässt sich durch die Spezifik ihres Anwendungsbereichs erklären: allen Substantiven im Deutschen ist ein Genus zugewiesen und Substantive sind in der Sprechproduktion hochfrequent; man kommt also um das Problem der Genusattribuierung nicht umhin (das ist auch einer der FL! IL 29 (2000) 64 Carlo Serra Borneto Gründe der hohen Anzahl der Grammatikfehler in diesem Bereich! ). Unter diesen Umständen indiziert die Reduktionsstrategie nicht den Verzicht auf eine Sprechintention, sondern lediglich die Überwindung einer unausweichbaren Problematik, die sich im Laufe der Produktion gezeigt hat. Die Verwendung einer Strategie auf verschiedenen Ebenen kann also ihre Bedeutung ändern: auf der Makroebene der Inhalte ist nämlich eine Reduktion als passiver Verzicht, auf der Mikroebene der Morphologie dagegen als aktive Kompensationsstrategie interpretierbar. 4.2 Morphologische Ausweichung Die morphologische Ausweichung besteht in der Anwendung einer unmarkierten Form anstelle einer spezifischeren Endung. Auch im Falle der morphologischen Ausweichung sind in unserem Korpus zwei Formen festgestellt worden. Die erste besteht in der „Pluralisierung" der betreffenden Stelle. Da alle Genusunterschiede im Plural neutralisiert sind, bietet sich die Pluralform wenn sie einsetzbar ist als Ersatz für eine spezifische Genusattribuierung an: (15) Also, vier Jahre ... aber ich habe nur die erste zwei Jahre wirklich die Unterricht besucht. Ich konnte mich nicht daran erinnern, d.h ..... das ist ein Problem, das ich immer wieder habe: das Genus ... d.h .... ich stand da ... habe einen Augenblick über das Genus nachgedacht, dann habe ich ... ja ich habe alles in den Plural gesetzt, 'die erste zwei Jahre', ich weiß nicht (lacht). Jedenfalls habe ich es mir einen Augenblick überlegt ... ich weiß nicht, ob man' s merkt ... die Schwierigkeit (EB) Die Pluralisierungsstrategie ist aus verständlichen Gründen nicht immer anwendbar: der Inhalt der Mitteilung wird dadurch verändert, was eigentlich auch in dem angegebenen Beispiel anzunehmen wäre (wenn die Probandin wie sie behauptet die Aussage pluralisiert hat, bedeutet dies, dass sie ursprünglich „das erste Jahr" hätte sagen wollen und nicht wie in der Produktion - "die ersten zwei Jahre"). Die zweite Form der morphologischen Ausweichung besteht in dem Einsatz der Femininendung als pauschale Lösung für unbekannte Genusattribuierung. Vom linguistischen Standpunkt gesehen, ist das Femininum eine Default-Form, weil dessen Formen morphologisch einfacher (das Femininum weist nur zwei Formen in der Deklination des Singulars auf, gegenüber drei für das Neutrum und vier für das Maskulinum) und häufiger sind (die Formen die und der sind auch dem Plural gemein) und deshalb weniger markiert und während einer Produktionsphase leichter zugänglich. Dieses Argument wird auch von folgender Versuchsperson vertreten: (16) er hat den... er... er hat sich gemerkt, und... die... er hat sich gemerkt, dass er die Schirm ehm ... vergessen hat Proband: Es ist männlich, aber ... Eigentlich hatte ich am Anfang das richtige getan, "den Schirm", dann habe ich „die Schirm" gesagt, immer weil ... weil ich mich nicht erinnerte, ob "Schirm" das richtige Wort für „ombrello" war, d.h. wenn ich zögere, neige ich dazu, das Femininum zu verwenden: ich vereinfache ... Und dies hat seine Erklärung mehr auf einer linguistischen als auf einer psychologischen Ebene ... oder ähnliches, weil das deutsche Femininum das einzige IFLUJL 29 (2000) Introspektion und Grammatik 65 ist, das keine Deklination erfordert, nicht wahr? ... deshalb ist es das am meisten generalisierende Interviewer: Also, wenn du Probleme hast, greifst du auf das Femininum zurück, weil du dich da sicherer fühlst, es ist einfacher .. . · Proband: Genau. Weil ich mich sich ... d.h., es gibt mir mehr Sicherheit über das kommende Wort ... ja ... unbew... unbewusst gibt es mir dieses Gefühl der Sicherheit. (FP) FP vermischt linguistische und psychologische Argumente. Tatsächlich sind sie oftmals nicht zu trennen, zumal eine Strategie in manchen Fällen mehr als einer Funktion dienen kann. Folgendes Beispiel ist diesbezüglich bezeichnend: (17) Es gibt immer die gleiche Mann, ich kann das sehen, denn er hat sehr große Moustaches und so, immer die gleiche Mann und er will fischen ... ... ich habe gesagt, dass er einen großen Schnurrbart hat, deshalb ist er wahrscheinlich der gleiche Mann. Ich habe es immer weiblich gesagt ... ich habe eigentlich bemerkt, dass wenn ich etwas nicht kenne sage ich es immer im Prinzip weiblich .. wenn ich den Artikel nicht kenne ... ich weiß nicht warum ... (SI) Die Strategie wird von der Probandin klar formuliert: wenn ein Genus unbekannt oder unsicher erscheint, greift sie auf das Femininum zurück "wenn ich etwas nicht kennesage ich es immer im Prinzip weiblich ... wenn ich den Artikel nicht kenne ..."). Doch wird die Strategie in diesem Fall „antisemantisch" übergeneralisiert: der Probandin ist nämlich offensichtlich das Genus des Wortes „Mann" (was sowieso schwer als Femininum zu erdenken wäre! ) bekannt, weil sie es an der betreffenden Produktionsstelle zweimal richtig pronominalisiert " ... die gleiche Mann, ich kann das sehen, denn er hat sehr große Moustaches und so, immer die gleiche Mann und er will fischen"). Die morphologisch bedingte Strategie erscheint hier also nicht als Ersatzlösung für ein spezifisch morphologisches Problem: vielmehr wird sie aktiviert, weil der Sprecher mit einem allgemeineren Problem konfrontiert ist (bei FP eine lexikalische Schwierigkeit: "weil ich mich nicht erinnerte, ob Schirm das richtige Wort für ombrello war"; bei SI war es eine Interpretationsschwierigkeit: „ich habe gesagt, dass er einen großen Schnurrbart hat, deshalb ist er wahrscheinlich der gleiche Mann"). Die Femininum-Strategie kommt in unserem Korpus sehr häufig vor: das Phänomen ist nicht unmittelbar erklärbar, wie selbst aus den Worten von SI zu erkennen ist "ich weiß nicht warum"), zumal sie nicht immer mit vergleichbaren Beobachtungen zu diesem Themenbereich im Einklang steht. Rogers (1987) stellt zum Beispiel eine höhere Anzahl von Fehlern bei der Genusattribuierung von Feminina fest (was bedeutet, dass eher das Maskulinum und das Neutrum anstelle des Femininums eingesetzt wird als umgekehrt), während Diehl (1991) behauptet, die Tendenz der Lernenden sei, sich nach dem Genus der Muttersprache zu orientieren, wobei die Sprechenden von Sprachen, in denen das Neutrum fehlt (zum Beispiel das Französische, aber auch das Italienische) dazu tendieren, das Neutrum dem Maskulinum (und nicht dem Femininum! ) zu assimilieren. Diese Hypothese wird aber von unseren Daten nicht bestätigt (der Prozentsatz der Fehler ist sogar höher bei Maskulina als bei Neutra: ca. 41 % vs. 36%). Diehls Beobachtungen beziehen sich allerdings auf schriftliche Prüfungs- oder Testperformanzen, bei denen eine stärkere Monitorisierung als bei der mündlichen Produktion zu erwarten ist. FLll! lL 29 (2000) 66 Carlo Serra Borneto Unsere Daten stimmen dagegen vielmehr mit den Ergebnissen der Erstspracherwerbsforschung überein, wonach muttersprachliche Kinder die Basisform des Femininums als erste morphologische Realisierung erwerben und bis zum Alter von 5-6 Jahren auch weniger Fehler bei weiblichen Substantiven als bei den anderen begehen (Mills 1985 und 1986). Wenn diese Beobachtungen auch für weitere Bereiche bestätigt würden, so müsste man zwischen Erstspracherwerb und spontaner Sprechproduktion in der Fremdsprache einen stärkeren Parallelismus als zwischen dieser letzten und der monitorisierten fremdsprachlichen schriftlichen Aufgabe annehmen. 4.3 Analogie Wie schon erwähnt, behauptet Diehl (1991 ), dass Deutschlernende die Tendenz haben, sich bei der Genuszuweisung an dem Genus der Muttersprache zu orientieren. Diese Art interlingualen Transfers aus der Muttersprache ist auch in unserem Korpus stark belegt, kann aber schwerlich als Strategie aufgefasst werden, da sie immer als unbewusster (und unerwünschter) Einfluss auf die Sprachproduktion empfunden wird. Ein weiteres interlinguales Analogieverfahren könnte eher als strategisch bezeichnet werden, weil es auf subjektiv verallgemeinernde Hypothesen zurückgeht. Ein Beispiel hierfür ist der folgende Kommentar: (18) wir haben .. haben also in den ersten drei Jahren jetzt spreche ich ... über ... ja ... das 'liceo' in den ersten 3 Jahren haben ... wir ... Grammatik gelernt. Ja, ich wusste nicht, welches Genus ich dem Wort „Iiceo" zuweisen sollte. Am Ende habe ich gesagt: "über das Liceo". Ich habe an „das Gymnasium" gedacht. In Wahrheit weiß ich nicht, wie man es sagt, d.h., wenn man einem italienischen Wort ein Genus geben muss ... ist es ein bisschen problematisch. Im allgemeinen ist es so: wenn ausländische Wörter ins Deutsche übertragen werden, übernehmen sie immer das Neutrum. (CA) Aus der Analogie mit einem schon bekannten Beispiel (das Gymnasium) entwickelt der Proband eine subjektive Theorie zu einem Teilbereich der Genuszuweisung, wonach Fremdwörter (oder besser: Lehnwörter) im Deutschen immer das Neutrum übernehmen. Diese Art Übergeneralisierung, die in dem betreffenden Fall zufälligerweise ein korrektes Output produziert, geht etwas über die gewöhnlichen Grenzen der Generalisierungsproblematik hinaus, weil sie bewusst ist und eine Hypothese (vielleicht eine Interimhypothese) in Form einer „Regel" generiert. Solche Hypothesen zeigen, wie die Lerner die mangelnde Systematik, die in diesem grammatischen Bereich herrscht, durch eigene Formulierungen zu ersetzen versuchen. 4.4 „Jonglierstrategie" Als 'Jonglierstrategie' bezeichnen wir die unsystematische und wechselhafte Attribuierung des Genus auf dasselbe Wort innerhalb eines kurzen Produktionsabschnitts3: Der Übersichtlichkeit halber sind im folgenden Zitat die koreferenten Genusindikatoren durchgehend IFLIIL 29 (2000) Introspektion und Grammatik 67 ( 19) ... Also, hier haben wir ein Zimmer mit ... äh ... ein Frau, äh, der strickt und ... äh ... in den ... in den Zimmer kommt ein ... ein Kind. ... Und g vielleicht ist ... äh ... ja ... und die Frau wahrscheinlich ist die Mutter....Äh ... sie ... sie ... sie läuft, ein ... ein ... ein Hammer ... , ... die Vase zu ... zu bre ... zu zerbrechen, weil sie ... sie glaubt, dass M, hat dr: ts Kopf in ... in ... die Vase. So sie ... ähm ... sie brecht diese Vase und am Ende sieht g.r, sieht lli: .. dass ... äh ... äh ... dass sein Kind hat rHe Kopf unter die Vase und nicht in ... in ... in die Vase. Ja, im Grunde müsste man bei jedem Wort einige Minuten überlegen, mindestens ich... Wenn ich zum Beispiel ... wenn ich die Dinge, die ich hier gesagt habe, hätte schreiben müssen, hätte ich wahrscheinlich weniger banale Fehler gemacht ... Fehler, die davon kommen, dass ich mich nicht bei jedem einzelnen Wort aufhalten kann, um zu überlegen ... ob es Maskulin, Feminin, oder Neutrum ist; dann sage ich gerade, was mir im Augenblick einfällt und leider ... der Grund ist ... logischerweise habe ich noch nicht eine solche Sprachbeherrschung erreicht, dass ich so fließend reden kann ... dann eben ... manchmal, um entspannter zu reden, mache ich mehr Fehler ... (AP) Frau Kind Kopf ... ein Frau (Zeile 1) ein Kind (Zeile 2) das Kopf (Zeile 4) ... der strickt (Z. 1) Und er vielleicht (Z. 2) hat die Kopf (Z. 6) ... und die Frau (Z. 2) , dass es hat (Z. 4) ... sie ... (Z. 3) weil sie .. sie glaubt(Z. 4) So sie ... (Z. 4) ... sieht er (Z. 5) sieht sie (Z. 5) ... dass sein Kind (Z. 6) Tabellarischer Überblick der 'Jonglierungszuweisung' Das Phänomen ist sehr verbreitet (vgl. oben [17], wo SI zwischen männlich und weiblich beim Wort 'Mann' "jongliert") und typisch für die mündliche Produktion, insbesondere bei weniger erfahrenen Lernern (der ganze Abschnitt zeigt, dass diese Versuchsperson unter dem durchschnittlichen Niveau der bisher zitierten Probanden liegt). AP führt diese Strategie auf eine Überladung des prozeduralen Produktionssystems (wenn er mehr Zeit hätte, wie beim Schreiben, würde er solche Inkonsistenzen vermeiden) und auf die eigene mangelnde Kompetenz zurück "logischerweise habe ich noch nicht eine solche Sprachbeherrschung erreicht, dass ich so fließend reden kann"). Die Jonglierstrategie wird bei schnellen mündlichen Produktionen als Notlösung verwendet "dann eben ... manchmal, um entspannter zu reden, mache ich mehr Fehler"). Ihre subjektive Einschätzung ist nicht eindeutig: einerseits scheint sie eine positive Wirkung zu haben, indem sie es erlaubt, sich auf Inhalte zu konzentrieren und die Kommunikation aufrecht zu erhalten; andererseits wird sie als Indikator einer unzulänglichen Kompetenz gesehen, die allerdings als Interimsphase empfunden wird "logischerweise habe ich noch nicht eine solche Sprachbeherrschung erreicht"). . homogen unterstrichen: einfache Unterstreichung für das Wort „Frau", doppelte Unterstreichung für das Wort „Kind", Durchstreichung für das Wort „Kopf'. lFLillL 29 (2000) 68 Carlo Serra Borneto 4.5 Schlussbemerkung zum Thema Genus/ Kasus Auf Grund der oben angeführten Beispiele und Kommentare sowie der Performanzanalyse wollen wir folgende zusammenfassende Thesen zur Genuszuweisungsproblematik bei italienischen Deutschlernenden formulieren, die gleichzeitig als Ausgangspunkt für weitere Vertiefungen dienen können: (1) Das Problem der Genuszuweisung im Deutschen wird vom strategischen Standpunkt differenziert angegangen: einer der Faktoren unterschiedlicher Strategieanwendung scheint das Kompetenzniveau zu sein. Dies kann mit der Beobachtung von Rogers korreliert werden, die behauptete, die Modalitäten des Genuszuweisungsmechanismus seien nicht statisch, sondern modifizieren sich im Laufe des Spracherwerbsprozesses ("gender acquistion is a developmental process", Rogers 1987: 62). Trotzdem muss betont werden, dass die Genuszuweisung auch für sehr erfahrene Deutschlerner immer bis zu einem gewissen Grad problematisch bleibt. (2) In einer ersten Phase scheint die 'Jonglierstrategie' die bevorzugte Lösung bei der mündlichen Produktion zu sein; dies. stimmt auch mit den Beobachtungen von Felix (1977) überein, wonach englische Deutschlerner in den ersten Fremdsprachenerwerbsphasen dazu neigen, die Artikel der, die, das wechselhaft in der Produktion zu benutzen. (3) In einer zweiten Phase werden auch andere Strategien aktiviert, die von der Reduktion auf ein unmarkiertes Genus (Femininum), bis hin zur Pluralisierung als Ausweichstrategie reichen. (4) In dieser Phase kann man auch übergeneralisierende Analogiebildungen als Kognitivierungsversuche in Form subjektiver Hypothesen und gleichzeitig einen stärkeren Einfluss der Muttersprache (Transfer) beobachten, obwohl dieser letztere keinen strategischen Charakter besitzt. (5) Die Jonglierstrategie kann auch in den späteren Phasen als mögliche Lösung eingesetzt werden, besonders wenn andere Faktoren (wie z.B. Planungsaufgaben oder lexikalische Suche) eine Überladung des Produktionssystems bewirken. An einer komplexen Sprachproduktion, wie der Erzählung einer Bildergeschichte (die Interpretation, Strukturierung und Kodierung impliziert) sind nämlich mehrere Subsysteme beteiligt, die zu dem gemeinsamen Resultat beitragen. Sie stehen aber gleichzeitig in Kornpetition (vgl. Dechert 1983), und zwar derart, dass das eine oder das andere Subsystem gelegentlich zugunsten der gemeinsamen Aufgabe „ausgeschaltet" wird, um so weniger Aufarbeitungskapazität darin investieren zu müssen. Die Konsequenz davon ist, dass das betreffende Subsystem stärker fehleranfällig wird. Die Genuszuweisung scheint eine ziemlich hohe Aufarbeitungskapazität zu erfordern (AP sagt: "im Grunde müsste man über jedes Wort einige Minuten überlegen"), obwohl sie weder semantisch noch kommunikativ sehr relevant ist. Es ist daher verständlich, dass sie bei Planungsaufgaben leichter anfällig wird. (6) Die Entwicklung der Genuszuweisungsfähigkeit ist nicht linear, d.h. es ist durchaus möglich, dass eine erreichte Kompetenz unter Umständen zurückgeht. Studiengewohnheiten scheinen dabei eine Rolle zu spielen: Lerner, die formal und systematisch FL.UJL 29 (2000) Introspektion und Grammatik 69 an das Thema herangehen, behalten eine bessere Kompetenz als Lerner, die das Genus lediglich durch lexikalisches Erwerben und aus der Praxis der Kommunikation heraus erlernen. Literatur BAUSCH, K.-Richard ( 1995): "Schwierigkeiten mit dem fremdsprachlichen Wortschatz? Wennja- Wo? Wie? Wann? und vor allem Warum? 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Instead, foreign language learning should be seen as a constructive, dynamic, nonlinear process of self-organization. lt requires the learner's rich experience of Ianguage used as a functional medium. This concept is in agreement with modern cognitive sciences from epistemology to cognitive neurobiology and explains the success of foreign language Iearning when subject-matter Iessons (e.g. geography, physics) are taught in the foreign Ianguage. 1. Einleitung Natürlichem genügt der Weltraum kaum; Was künstlich ist, verlangt geschloßnen Raum (Goethe. Faust II.). Recent research has shown that input selection and further organization can only be successfully explained within a dynamic framework: different forms of input information are foregrounded with changing perceptual and cognitive/ linguistic biases at different ages (Peltzer-Karpf/ Zangl [erscheint]. Every time that we write or speak, we are faced with a myriad choices: not only choices in what we say but in how we say it (Biber [et al.] 1999). Der schulische Fremdsprachenunterricht findet sich an der Wende zum neuen Jahrhundert sehr in Frage gestellt. Die derzeitig sich beschleunigende, Sprachgrenzen überschreitende Europäisierung bzw. Globalisierung macht die Unzulänglichkeiten des schulischen Fremdsprachenlernens immer spürbarer. „Unsere Schüler lernen zu wenig Fremdsprachen, und in der jeweiligen Sprache können sie in der Breite zu wenig", urteilt Bliesener (1995: 8), ein ausgewiesener Kenner des Sachverhalts. Freudenstein (2000) betont, dass sich seit Vietors Appell von 1882 „trotz vieler Veränderungen[...] substantiell nur wenig, prinzipiell eigentlich gar nichts geändert" habe. "Wer die Schule verlässt, ist darum nur in ganz geringem Maße in der Lage, fremde SpralFILIIIL 29 (2000) 72 Werner Bleyhl chen zu verstehen und sich in ihnen verständlich auszudrücken. Wer es dennoch kann, verdankt dies [...] entweder einem längeren Auslandsaufenthalt oder einem sprachlich interessierten Elternhaus - und nicht dem schulischen Sprachunterricht, der dafür ja eigentlich zuständig wäre." Um unsere Schülerinnen und Schüler angemessen auf ihr Leben im Euroland des 21. Jahrhunderts vorbereiten zu können, fordert Freudenstein denn auch „die bestehende(n) Traditionen und gängige(n) Praktiken grundsätzlich in Frage zu stellen und nicht nur Althergebrachtes halbherzig zu modifizieren." Solche Fragen nach den Grundlegungen sollen im Folgenden gestellt und beantwortet werden. Der hier gewährte Raum erlaubt zumindest eine Skizze der Prinzipien des für die Zukunft erforderlichen Fremdsprachenlernens in der Schule. 2. Der Zweck der Fremdsprachendidaktik Die Fremdsprachendidaktik bzw. Sprachlehr-/ -lernforschung hat die Aufgabe, die Voraussetzungen für Fremdsprachenlernen zu klären urid, abgeleitet aus der Grundlagenforschung, Vorschläge für ein optimales Fremdsprachenlehren zu unterbreiten, dieses zu überprüfen und weiter zu optimieren. Bislang sind die engere Fremdsprachendidaktik bzw. Sprachlehr-/ -lernforschung zu keinem befriedigenden Ergebnis gekommen (genau so wenig wie der traditionelle Fremdsprachenunterricht). Sie konnten weder eindeutige oder relevante Forschungsergebnisse noch eine schlüssige Theorie vorlegen. Der Grund für dieses bisherige Defizit liegt darin, dass sich diese Disziplinen der Grundlagen des Sprachenlernens nicht hinreichend versichert haben. Diese Grundlagen sind bei der für den Menschen so zentralen Fähigkeit der Sprache natürlich vielschichtig, sind weit und tief. Sie werden von vielen wissenschaftlichen Disziplinen gleichermaßen zu fassen gesucht und liegen nicht nur in der Sprachwissenschaft. Relevante Bereiche liegen außerdem in der Spracherwerbsforschung, in den Kulturwissenschaften, in der Anthropologie, in den Kognitionswissenschaften, der Erkenntnistheorie, der Psychologie mit ihren verschiedenen Unterdisziplinen, aber auch in der Neurobiologie. Entscheidend ist nun, ob Forschungsergebnisse in den verschiedenen Disziplinen zur Aufhellung zentraler Fragen der Fremdsprachenlern- und -lehrforschung beitragen können, ob sie Übereinstimmung zeigen, ob sie mit den Beobachtungen des Fremdsprachenlernens kompatibel sind oder nicht. Sind sie kompatibel, läßt sich darauf eine Theorie gründen, die natürlich in sich ebenfalls logisch konsistent sein muß. Bei weiter übereinstimmenden Forschungsergebnissen und erfolgreichem darauf gegründetem Fremdsprachenlehren erhöht sich die Plausibilität oder wenn man will - "Viabilität" dieser Theorie. 3. Der traditionelle Fremdsprachenunterricht Das Bestreben des schulischen, des institutionellen Fremdsprachenlehrens war seit eh und je, die Komplexität des Lerngegenstands Sprache wie auch die Komplexität der Lernprozesse zu reduzieren und zwar mittels Systematisierung. Man bemühte sich, Fassbarkeit IFLuilL 29 (2000) Sprachenlernen, ein konstruktiver, nichtlinearer Selbstorganisationsprozess oder: ... 73 und Stabilität dadurch zu erreichen, dass man sich auf die Sprachform konzentrierte und diese systematisierte. Diese Formalisierung geschah - und geschieht über das Aufzeigen der Grammatik, der strukturellen „Regelhaftigkeit" der Sprache. Diese Regelhaftigkeit wird an einer Auswahl passend scheinender (also zunächst einfacher bzw. vereinfachter) Texte demonstriert. Man übt die mehr oder weniger lebensnah kaschierten sprachlichen Strukturen und geht davon aus, dass sie anschließend gekonnt werden. Die in diesen Texten vorkommenden Vokabeln müssen von den Schülern memoriert werden. Auch wenn ursprünglich mit der Absicht ans Werk gegangen wurde, die Sprache nur zu beschreiben, erzeugten solche formalisierenden Deskriptionen nicht nur sofort die Gefahr, in die Präskription umzukippen und eine präskriptive Wirkung zu entfalten, sie ließen in aller Regel vergessen, dass erst die Äußerungsabsicht, der Zweck einer wo auch immer benutzten Sprachform dieser eine Daseinsberechtigung gibt. Doch die für Lernen und Sprachgebrauch entscheidende psychische Dimension wurde faktisch als störend verbannt 1, womit der schulische Fremdsprachenunterricht mit seiner primären Fokussierung der Sprachform das Pferd am Schwanz aufzuzäumen versucht. Nicht nur, dass sich herausstellt, wie verschieden etwa die Strukturen allein für die vier ausgesuchten Varianten der Sprache conversation,fiction, newspaper language, academic prose sind. Sie über einen Leisten zu schlagen, macht das Schuhwerk nicht gehfähiger. Wie Hohn und Spott muss es all denen scheinen, die die oftmaligen Ermahnungen "A whole sentence, please! " deutscher Englischlehrer an einen antwortenden Schüler in den Ohren haben, wenn sie in der neuen Corpusgestützten Longman GrammarofSpaken and Written English (Biber [et al.] 1999: 10) lesen: "'sentence' is a notion that is not applicable to spoken language." Die Fokussierung des Formalen im Fremdsprachenunterricht wurde prinzipiell hingenommen, auch wenn seit der Reformpädagogik beinahe in jeder Generation Fragezeichen hinter dieses Vorgehen gesetzt wurden. Blieb die Kritik deswegen solange im wesentlichen folgenlos, solange Fremdsprachen für die Schule gelehrt und gelernt werden, solange die Kriterien des erfolgreichen Lernens einer Sprache schulsystem-intern erstellt werden? - Die prinzipielle Infragestellung dieser Formalisierung erfolgt erst heute, wo in einer Epoche des schnellen Verkehrs, der Europäisierung, der Globalisierung sich diese schul-internen Kriterien nicht bewähren, wo Sprachrezeption und -produktion in Echtzeit, auch mündlich, verlangt ist. Fremdsprache als« l'art pour l'ecole » genügt nicht mehr, Sprache wird heute plötzlich in ihrer eigentlichen Funktionalität verlangt, als Mittel um Beziehungen zwischen Menschen herzustellen und als Mittel der Verhaltenskootdinierung unter Menschen. Und plötzlich entdeckt man auch, dass ein sprachformorientierter traditioneller Fremdsprachenunterricht nicht ausreicht, dass das Zusammenspiel der para- und nonverbalen Ebenen der Kommunikation, die Einbeziehung des persönlichen, des situativen, des kultu- Interessant ist, dass nun 1999 die Unzufriedenheit mit der traditionellen Grammatik eine künftig wohl nicht zu übergehende Großgrammatik hervorgebracht hat: Biber [et al.], die diesen Mangel des traditionellen Ansatzes ausdrücklich zu beheben sucht. Sie will den Gebrauch, Sprache "in actual use", betont einbeziehen: "structure and use are not independent aspects of the English language; analysis of both is required to understand how English grammar really functions" (4). Vgl. auch Pennington (1999), die die traditionelle Grammatiken als "woefully inappropriate" für den Lerner bezeichnete, oder Bleyhl ( 1995a): "Nicht Grammatik, sondern Sprache". lFLllllL 29 (2000) 74 Werner Bleyhl rellen Wissens mindestens dieselbe Bedeutung hat, da von dort die mentalen Auswahlkriterien für die Sprachproduktion wirken. Immer deutlicher wird zudem, dass die sogenannten „Sprachregeln", "Sprachgesetze" Gesetze dritter Art sind, weder deskriptive wie die in der Naturwissenschaft beschriebenen, noch präskiptive wie gesellschaftliche, etwa Steuergesetze. Sprachregeln sind nichts als Konventionen einer Sprachkultur (Keller 1994), erklärbar nach Poppers Dreiweltentheorie als Phänomene der dritten Art als nicht intendierte, kumulative Konsequenzen menschlicher Handlungen. Befolgt werden sie von demjenigen, der auf Grund seiner Spracherfahrung dazu in der Lage ist und der zu dem „Club" der betreffenden Sprachbenutzer gehören bzw. in ihm mitsprechen will. 4. Zusammenfassung wichtiger Erkenntnisse über das Sprachenlernen, die für alle Arten des Spracherwerbs gelten 4.1 Sprache ist in ihrer Vielschichtigkeit, Variabilität und Mischung von Systematik und Willkürlichkeit die komplexeste Erfindung des Menschen. Wie man bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern sieht, ist diese Schwierigkeit aber zu meistern und zwar mit Hilfe des komplexesten Gebildes dieser Erde, dem menschlichen Gehirn. 2 4.2 Sprache existiert auf drei Ebenen: (i) der Ebene der physikalischen Existenz (Laut, Schriftzeichen), (ii) der Ebene der inneren Sprache als Mittel zur geistigen Erfassung von mentalen Inhalten und (iii) der Ebene der metasprachlichen Beschreibung. Sprache der Ebene (i), sinnlich wahrnehmbare Sprachzeichen, haben nur die Funktion, die innere Sprache (ii) beim sprachkompetenten Hörer/ Leser auszulösen und ihn dazu zu bringen, Sinnkonstruktionen vorzunehmen, die entlang den in der betreffenden Sprachkultur üblichen Konventionen verlaufen. (Auch unvollkommene Sprachzeichen erfüllen oftmals diesen Zweck.). - Das Wissen der Sprachebene (iii) kann als deklaratives Wissen um Sprache (Grammatik) auch abfragbar gelernt werden. Eine verkürzt ausgedrückt direkte Wirkung auf die innere Sprache (ii) wurde noch nicht nachgewiesen. 3 - Interessant ist, dass sich z.Zt. der sogenannte Grammatikunterricht im Fach Deutsch in einer gehörigen Krise und „Notlage" befindet (vgl. Bremerich-Vos 1999, Ingendahl 1999). Stichwort zur „Tragödie des Grammatikunterrichts": "Die(se) selbstgeschaffenen Probleme zu diskutieren ist der einzige Sinn und Zweck der Grammatik-Konstruktion" (Ingendahl 1999: 8). Auch der Begriff language awareness ist für Brusch (1999) "in der Schule fehl am Platze". Raich\e (1998), ein Experte unter Neurowissenschaftlem im Bereich der visuellen Darstellung von Gehirnaktivität, benützt ein eingängiges Bild: "The cerebral cortex appears like the sections of a symphony orchestra. No one section or individual is at all times necessary for the production of music. Likewise, in the brain, no one region (system) is necessary for consciousness under all circumstances. [...] Relationships determine performance and performance can be infinitely variable" (1998: 1900). 3 Fabbro (1999), der den derzeitigen Stand der (empirischen) Forschung in Bezug auf klinisch untersuchte Aphasiepatienten darstellt und Sprachstörungen sowie die Neurolinguitik von Bilingualen beschreibt, betont: "Indeed, there is no data suggesting that the human brain organizese syntax according to rules. Therefore, the idea that syntax is govemed by a set of rules should rather be considered as a temporary approach [ ... ]" (1999: 8). lFLIIL 29 (2000) Sprachenlernen, ein konstruktiver, nichtlinearer Selbstorganisationsprozess oder: ... 75 4.3 Der Aufbau der inneren Sprache erfolgt gemäß eines „inneren Lehrplans", wie ihn die Prinzipien unseres gattungsspezischen Wahrnehmungs- und Kognitionsapparates bedingen. Er ist von außen nicht direkt steuerbar. "Explicit grammar instruction does not alter the route of acquisition" (VanPatten 1991/ 1992). Der Aufbau der Sprache im Lerner erfolgt nichtlinear und dynamisch gemäß dem grundsätzlichen Prinzip lebender Systeme, wonach nach Erreichen einer kritischen Masse ein qualitativer Umschlag durch angemessenere Differenzierung/ Modularisierung geschieht und somit gemäß den Arbeitsprinzipien des Gehirns. Er geschieht als Prozess der Selbstorganisation im Zusammenspiel mit der Reichhaltigkeit der individuellen mentalen Spracherfahrung in der Welt (vgl. Bedeutung des Vorwissens). 4.4 Aus den in der Realität immer in einer relativen Bandbreite von Erscheinungsformen physikalisch vorkommenden und damit sinnlich wahrnehmbaren Sprachzeichen muß sich ein Sprachlerner im Laufe einer Reihe seiner sinnlichen Erfahrungen mentale Prototypen, alias Idealtypen, erschließen und konstruieren. Diese Prototypen bilden die mentalen Landkarten des betreffenden Lerners. (Dabei handelt es sich um einen unbewußt verlaufenden Prozess.) Die Erfahrung schafft und prägt damit sein kognitives ArS"enal. (Wie Anlage und Umwelt, also persönliche Geschichte, zusammen spielen und das Subjekt in seiner Wahrnehmungsfähigkeit prägen, soll weiter unten nochmals angesprochen werden.) 4.5 Diese mentalen Prototypen (ob als Laut oder Begriff) bilden die Kategorien der Wahrnehmung. Ihnen ähnlich Scheinendes wird ihnen zugeordnet. Sie üben damit einen Magneteffekt aus. Mittels dieses Magneteffekts steuern sie die Wahrnehmung der „objektiv" gegebenen Realität durch das Subjekt, steuern sein Wirklichkeitsbild, wie es schon Trubetzkoj mit seinem Bild des 'phonologischen Siebs' beschrieb. D.h. ein süddeutscher Sprecher, der die ihm bei der Geburt gegebenen Unterscheidungsfähigkeit zwischen / s/ und / z/ verloren hat, weil jahrelang in dem von ihm erfahrenen sprachlichen Angebot kein / z/ vorkam oder zumindest relevant war, wird jedes / z/ zunächst als Allophon von / s/ wahrnehmen. Ein solcher Lerner wird beim „Nachsprechen" von / z/ ein / s/ produzieren. - (Die konstruktivistische These, dass jeder eben das wahrzunehmen in der Lage ist, wofür er Kategorien hat, findet hier eine Bestätigung. Erinnerungen an Kant dürfen ruhig wach werden.) 4.6 Das Lernprinzip ist das der„ selektiven Stabilisierung" (Changeux 1984): Diejenigen neuronalen Verbindungen, die mehrfach aktiviert werden, werden stabilisiert; die unbenützten werden abgebaut; die gemeinsam aktivierten bilden neuronale Ensembles (vgl. auch Multhaup 1995). Isolierung z.B. neuer sprachlicher Phänomene bewirkt somit keinen Aufbau von Ensembles, die Welt d.h. auch Vorwissen und Sprache zusammenführen. Sind aber solche Ensembles einmal gebildet, kann die Aktivierung auch nur weniger Einzelneuronen zur Aktivierung des ganzen Ensembles führen vorausgesetzt, für das Subjekt macht es Sinn. 4.7 Nach dem Absinken des Zäpfchens im Alter von sechs Monaten und der dadurch sich ergebenden physiologischen Möglichkeit der Sprachartikulation (List der Evolution) lFlLll! L 29 (2000) 76 Werner Bleyhl entwickelt der Säugling in seinem zweiten Schritt zur Sprache ein motorisches Programm für die in seiner Muttersprache vorkommenden Lautkombinationen. Die Erstellung des jeweiligen Programms, das Üben betrachtet schon der Säugling als seine intime, höchstpersönliche Angelegenheit und weigert sich, in Gegenwart seiner Mutter weiter zu üben (Papousek 1989). Erst wenn er sich sicher ist, tritt er mit seinen Lauten in den Dialog mit der Mutter ein. - Allerdings gibt es auch manche Laute (etwas-Laute), die zum Teil erst im Alter von zehn Jahren gemeistert werden. (Dies hört man selbst bei manchem lispelnden Fernsehreporter. Manche Sprecher schaffen die „Norm" überhaupt nie.) All dies beweist aber nicht, dass die Kinder nicht viel früher ein korrektes mentales Bild der Lautgestalt des Wortes haben. (Erinnert sei an die von Wolfgang Butzkamm [1989: 165] so plastisch geschilderte Szene mit seiner Nichte, die auf ihr „Piel" (Spiel) hinweist und sich sein neckisches Nachäffen mit „Piel" ärgerlich verbittet: "Nein, Piel", der Onkel sollte nicht „Piel" sagen, sondern „Spiel". Sie weiß, wie es richtig lautet.) Performanz ist nicht selbstverständliches Spiegelbild der inneren Sprache. 4.8 Was der Erwerb von Wortbedeutungen anlangt, so weiß man inzwischen auch hier Näheres (Aitchison 1987, Miller 1993). Ein neues Wort wird sofort als neu erkannt. Es wird als nächstes auch sofort einem semantischen Feld zugeordnet. Aber dann erfolgt die lange Periode der Ausdifferenzierung entlang der verschiedenen Dimensionen der Sprache. Es wird Erfahrung gesammelt darüber, was das Wort semantisch alles abdeckt, wie es sich morphologisch wandelt, in welchen syntaktischen Strukturen es erscheint, mit welchen Begleitern und natürlich auch in welchen pragmatischen Kontexten es auftaucht. All diese Explorationsarbeit erfordert Zeit und Vergleichsmaterial, d.h. Erfahrung mit Sprache. Und genau deswegen befindet sich ein Wort auch entsprechend lange im sogenannten rezeptiven Wortschatz. (Früher hieß es „passiver" Wortschatz.). 4 4.9 Wie semantische Felder durch die Eifahrung des Gebrauchs der Wörter entstehen, wurde sogar mit konnektionistischen - Simulationen mittels parallel arbeitender Netzwerk-Computer demonstriert (Ritter [et al.] 1991). 4.10 Die Syntax entwickelt sich im Erstspracherwerb wie im Zweitsprachenerwerb (vgl. Wade 1988) individuell unterschiedlich schnell; unterschiedlich natürlich wird auch der Wortschatz aufgebaut. Allen Lernenden gemeinsam ist aber, dass der Lerner für die Syntax erst eine „kritische Masse" an Wortschatz braucht. Das heißt: erst wenn das Kind aktiv mit einem Wortschatz von etwa 400 Einheiten umgehen kann (Marchman/ Bates 1994), fügt es die Wörter in syntaktische Strukturen. "Language consists of grammaticalised lexis, not lexicalised grammar" (Lewis 1993). 4.11 Hörverstehen geht dem Leseverstehen voraus (Marx/ Jungmann [2000]). Wenn kein Hörverstehen erreicht ist, d.h. keine Stabilität valider Prototypen, wird auch kein lang- 4 Für die ersten fünfzig Wörter weiß man (Kuh! [et al.J 1992), dass es im Durchschnitt fünf bis sieben Monate dauert, ehe das Kind ein Wort, das es versteht, auch selbst produktiv gebraucht. FILll! L 29 (2000) Sprachenlernen, ein konstruktiver, nichtlinearer Selbstorganisationsprozess oder: ... 77 fristiges Leseverstehen erreicht. Durch scheinbar einigermaßen ordentliche Schreib- und Leseübungen in der Schule kann vielmehr künftiges Analphabetentum in der betreffenden Sprache kaschiert werden. 5 4.12 Die Erkenntnis von diesen unterschiedlichen Aspekten der Sprache (Sprache (i), Sprache (ii), Sprache (iii)) erklärt, weshalb Sprachrezeption und Sprachproduktion nicht in einem Verhältnis 1: 1 stehen können. Ehe Sprachproduktion stattfinden kann, muß der Sprachlerner erst den internen (neuronal organisatorischen) Aufbau von Sprache in seinem Gehirn vorgenommen haben (Notwendigkeit der 'Inkubationszeit', einer 'kritischen Masse' an Spracherfahrung). 4.13 Aus der Einsicht in diese biologisch und kognitiv erforderliche - Voraussetzung ergibt sich auch, weshalb in allen Spracherwerbsarten die Rezeptionsfähigkeit der Produktionsfähigkeit zeitlich vorausgeht. Das Herausfiltern der einzelnen Sprachphänomene aus der sinnlichen Erfahrung, das kognitive In-Beziehung-Setzen mit der Welt bzw. dem Gemeinten, der Aufbau (vgl. Wendt 1998) der inneren Sprache und dann die Ausbildung eines motorischen Programms für die Sprachproduktion brauchen Zeit. 6 4.14 So erklärt sich auch, weshalb die Sprachrezeptionsfähigkeit größer ist als die Sprachproduktionsfähigkeit. Ein Problem des Sprachlerners ist, dass sich Welt und Sprache nicht in einem eindeutigen Entsprechungs-Verhältnis befinden; jede Sprachgemeinschaft kennt andere 'Regeln'; dasselbe Sprachphänomen kann je nach Situation und Kontext Verschiedenes repräsentieren; im sprachlichen Bereich kann Gleiches Ungleiches bzw. Ungleiches Gleiches bedeuten, z.B. als Homophon: no und know, oder Homograph: bow 1 und bow 2, oder z.B. at the theatre im Theater at the station auf dem Bahnhof at the petrol station an der Tankstelle. Was heißt nun at? Was station? Mr Jones is a bachelor, a gentleman, a Welshman dabei ist er immer dieselbe Person. Mit diesen Problemen muß der Lerner erst fertig werden. Dieser an Lernern des Deutschen als Zweitsprache gewonnene Befund läßt sich auch an unseren Fremdsprachenschülern erkennen. Er setzt ein deutliches Fragezeichen hinter die allgemein verbreitete naive Annahme, die Schrift erleichtere den Spracherwerb, weil sie die volatilen Laute fixiere. Dahinter steht die unbewusste, aber nicht gerechtfertigte Ansicht (vgl. Bleyhl 1999b), Schrift und Lautsprache stünden mehr oder weniger in einem 1: 1 Verhältnis. Aber nicht nur die Codes der gesprochenen und geschriebenen Sprache sind verschieden, auch Lexik und Grammatik unterscheiden sich, was von der traditionellen Grammatik nicht hinreichend beachtet wird (vgl. Biber [et al.] 1999). All dies schließt nicht aus, dass man in einer bestimmten Fremdsprache wie Latein oder auch Italienisch ein Leseverstehen erreichen kann, ohne dass Hörverstehen oder die Schreibfertigkeit erreicht wird. Die gegenwärtig zu beobachtende Entwicklung einer schriftlichen e.mail-Sprache zeigt ebenfalls die. Nicht-Identität und zugleich Verschränkung der verschiedenen Code$. Vorsicht ist also geboten vor einer didaktisch gut gemeinten, faktisch aber oft kontraproduktiv wirkenden, weil falsche Sicherheit vorgaukelnden Gleichsetzung der verschiedenen Codes .. 6 Die Bilingualismusforschung (Cummins 1999) zeigt auf, dass bei Heranwachsenden im Schulalter erst nach ca. fünf Jahren unter guten Bedingungen ein Sprachverhalten erreicht wird, das dem von Muttersprachlern vergleichbar ist. lFlL1.IIL 29 ('2000) 78 Werner Bleyhl 4.15 Auch der Erwerb der Schreibfertigkeit, der Rechtschreibung ist ein nichtlineares Geschehen. Die Komplexität der Phonem-Graphem-Relationen mit ihren vielen sich widersprechenden „Regeln" sind ohnehin erst nachträglich, d.h. nachdem der Lerner mit einer gewissen Anzahl von Beispielen vertraut geworden ist, zu meistem (vgl. Brinkmann 1997, Bleyhl 1999b). Schrift hat ja nicht die Aufgabe, die Sprache phonographisch abzubilden, sondern den Text für den Leser zu strukturieren. 4.16 "Language acquisition and reorganisation in reponse to dominant hemisphere damage in children are clearly more efficient during a critical period ending at about 10 years" (Chugani 1999: 32). Das 'window of opportunity', dort wo Sprachenlernen besonders effizient ist, schließt sich sicherlich nicht, wenn das zehnte Lebensjahr vorbei ist, Sprachenlernen wird später nur nicht einfacher. Auch wenn der menschlichen auch der pädagogischen - Machbarkeit damit von der Biologie Grenzen aufgezeigt werden, so lohnt es sich mit Bacon um so mehr, die Gesetze der Natur zu kennen, wenn man sie beherrschen will. 5. Zwei Kernfragen zu dem Problem, ob mechanisches und lineares Sprachenlernen überhaupt möglich sind 5.1 Die Wirkung der Umwelt? Die pädagogische Ur-Frage ist die Fragestellung danach, was der Mensch lernen muß bzw. was ihm an Wissen angeboren ist. Es ist der Streit zwischen Anlage und Umwelt, nature and nurture. Im Bereich Spracherwerb war das der Disput zwischen einerseits der behaviouristischen Position des Sprachenlernens als einer Gewohnheitsbildung mittels Reiz, Reaktions- und Verstärkungslernen (Pawlow hatte von „Bekräftigung" gesprochen) und andererseits der nativistischen (und rationalistischen) Position Chomskys oder Pinkers (1994), die Sprache (in Form einer Universalgrammatik) als angeboren sehen. Die Erfahrung einer Sprache, eines Inputs hat nach Chomsky allein die Funktion eines „Triggers", der das fertige Programm sozusagen nur noch abruft. Für rein behaviouristisches Denken wäre alles Wissen des Menschen ! ehrbar, für rein nativistisches bräuchte man gar kein „Lehren", allenfalls wären gewisse biologische Zwänge (constraints) hinderlich. Im ersten Fall wäre alles Lernen das Ergebnis eines Lehrens, im zweiten Fall findet Lernen auch ohne Lehre statt. Die Frage der Aneignung einer Fremdsprache scheint nun fraglos eine Angelegenheit des Lehrens. Fremdsprachenlernen wird gemeinhin verstanden als ein steuerbarer Prozess. Dabei erweist sich die Komponente des Vorwissens etwa früher erworbener Sprache(n) mal als hilfreich, mal als störend. Sie ist an jedem Einzelphänomen zu überprüfen. Bei der Einschätzung der Rolle des Bewusstseins unterscheiden sich die Behaviouristen von den Kognitivisten. Denn letztere meinen, nicht durch Konditionieren, Üben und Korrigieren allein, sondern durch Aufzeigen und Bewußtmachen von „Regeln" könne der Lernprozess im Lerner noch besser gesteuert werden. Für beide besteht das Problem darin, dass sich nirgendwo mittel- oder langfristig ein Verhältnis 1: 1 zwischen Lehren und Lernen einstellt. Nirgendwo läßt sich gerade beim Erwerb von Sprache ausmachen, was in einer lFlLlllilL 29 (2000) Sprachenlernen, ein konstruktiver, nichtlinearer Selbstorganisationsprozess oder: ... 79 linearen Kette der Kausalität das Lernen dieser Sprache, diesem komplexesten Werkzeug menschlicher Erfindungsgabe, bewirkt. Immer wieder muß die Umwelt (alias Steuerung) ihre Grenzen, ja mittelfristig die Ineffektivität ihrer Anstrengungen und ihre Machtlosigkeit gegenüber der Natur hinnehmen. Es kommt zugleich der Konflikt 'Instruktion versus Konstruktion' (vgl. Wolff 1994) ins Spiel. Wie nun die Forschung zum Zweit- und Fremdsprachenerwerb, zusammen mit der zum Erstspracherwerb aus dem Disput Umwelt versus Anlage herausführen kann, soll im Folgenden kurz skizziert werden. Denn soviel ist jedem Fremdsprachenlehrer mit noch so kurzer Berufserfahrung klar, ohne die möglichst reichhaltige praktische - Erfahrung von Sprache in der Welt, wie sie ein Experte (etwa ein Lehrer) benützt, kann eine (Fremd-)Sprache nicht gelernt werden. Ein bloßes „Triggern" auch nicht mittels der Vorgabe von 'Regeln' wurde noch nie beobachtet. Es besteht aber auch kein Verhältnis 1: 1 zwischen Lehren und Lernen. Eine Näherung an eine Lösung der Frage ob Umwelt oder Anlage kann also nur dort gefunden werden, wo man über das Zusammenwirken des von der Natur gestellten biologischen kognitiven Apparats mit den Reizen, den Angeboten aus der Umwelt, z.B. während des Lehrens, und den sich daraus ergebenden Entwicklungen größere Klarheit erhält. Im Bereich der Lautwahrnehmung ist inzwischen lückenlos aufgezeigt, wie sich die mentale Landkarte der Wahrnehmung im Zusammenspiel von Anlage und Erfahrung entwickelt: Bei der Geburt vermag der Mensch alle Phoneme natürlicher Sprachen zu unterscheiden. (Auf Laute der Muttersprache reagiert der Fötus schon in der 38. Woche.) Bis zum Alter von sechs Monaten entwickelt der Säugling die „mentale Phonemkarte" der ihn umgebenden Sprache, seiner Muttersprache, mit entsprechend reduzierter Kategorienzahl. Diese Kategorien üben dann den Magneteffekt für „ähnliche" Laute aus. Das heißt: die Spracherfahrung des Kindes formt seine Wahrnehmungskategorien. (Übrigens überakzentuieren Mütter wie auch erfahrene Fremdsprachenlehrer im Dialog mit ihren noch nicht sprechenden Kindern bzw. Anfängern die Qualitäten etwa der Vokale, damit sie für die Kinder leichter wahrnehmbar sind. Man beachte auch hier das Zusammenspiel von Anlage und Umwelt.) - Bei einer später zu erlernenden Fremdsprache müssen „neue" Kategorien wieder erworben werden. 7 7 Die Wissenschaftsjournalistin Spinney (] 999) schildert einige Ergebnisse ihrer Recherchen über den Stand der augenblicklichen Forschungslage zum (Fremd-)Sprachenlemen u.a. folgendermaßen: "At a meeting of the Society for Cognitive Neuroscience in Washington DC this April, McClelland described how in just three 20-minute sessions, 16 native Japanese speakers were trained to distinguish 'road' from 'load', and 'rock' from 'lock'. They did this by using a computer to manipulate the first parts of the words to make the contrast between 'r' and 'l' as distinctive as possible, and the listeners tapped different computer keys according to which sound they thought they heard. The better they got, the Iess distinctive the sounds became, until eventually they were distinguishing sounds from the equivalent of slurred speech" (Spinney 1999: 41). Spinney faßt ihren Streifzug bei den Neurolinguisten zusammen: "It's a promising finding, because it suggests that the phonetic maps, and hence the fate of your language skills, are not fixed in the sense that neurons are pruned and lost forever. Instead it looks as if connections can be regrown, and new language maps Ieamt, given the right leaming methods. Most of the research suggests that the best way to Ieam a language is to listen to foreign sounds in your cot, to master the grammar by the time you can tie your shoelaces, and then to relax and leam the vocab at your leasure." FLl! L 29 (2000) 80 Werner Bleyhl Natürlich ist jedes Reden über die Komplexität des Lernens oder der Kommunikation eine Reduktion, und so sei hier ein Schema des hermeneutischen Erkenntnis-Lebenskreisels gewagt. Es ist zugleich das dynamische Handlungsmodell des Spracherwerbs als eines (nichtlinearen) bio-psycho-sozialen Prozesses, wie er im einzelnen Lerner abläuft. Es ist das Schema des Zusammenspiels von biologisch vorgegebener Anlage, psychischer d.h. mentaler Aktivität des Individuums und sozialer Interaktion. Roth (1997: 241) konnte übrigens als kognitiver Neurobiologe die neuroanatomische Lokalisierung der kognitiven Aktivitäten vornehmen. Er konnte auch angeben, welche Momente davon dem Bewusstsein gar nicht zugänglich sind. Umwelt (soziale Interaktion mittels Sprache) Verhalten / ~ / Wahrnehmen ~ Aufmerksamkeit t Erfahrunf? Bewertung +- / Anlage Kategorien Gedächtnis Abb. 1: Lernerinternes Zusammenspiel von Anlage und sozialer Interaktion (Umwelt) mit dem für den Spracherwerb relevanten internen Interaktionsgeschehen des mentalen Selbstorganisationsprozesses·(Schematische Skizze) Das Verständnis dieses Sachverhaltes wird deswegen erschwert, weil der Mensch simultan verschiedenen „Systemen" angehört: Einmal ist er neurobiologisch ein „kognitiv geschlossenes" System, andererseits ist er als Lebewesen historisch und nicht nur sprachlich auf soziale Interaktionssysteme angewiesen. Diese simultane multiple Zugehörigkeit führt laufend zu scheinbaren - Widersprüchlichkeiten (vgl. Bleyhl 2000a). Nur ein Beispiel für die Grenzen der Instruktion sei hier nochmals aufgenommen (vgl. Bleyhl 2000b). Der Fall jenes Realschülers (Bleyhl 1984), der über fünf Jahre Instruktion im Englischunterricht überstanden hatte mit der offensichtlich anfangs ad hoc selbst entwickelten Hypothese, "are bedeute war", zeigt, dass 1. der Lerner selbst aus seinem Input, aus seiner Umwelt das herausfiltert, das auswählt, (a) wozu er in der Lage ist, bzw. (b) was ihm sinnvoll erscheint, wobei er es ist, der beurteilt, was 'Sinn' macht. Der Fall zeigt 2., dass Instruktion, sprich Umwelt, auch an für den Lehrer nicht vorhersagbaren Stellen Grenzen hat und ohne die mental angemessene Aktivität des Lerners keineswegs das Intendierte bewirkt. Der Fall zeigt 3. aber ger1: 1de ans.einer Lösung, d.h. der plötzlichen fükenntnis des IFL! itl, 29 (2000) Sprachenlernen, ein konstruktiver, nichtlinearer Selbstorganisationsprozess oder: ... 81 Schülers, dass are eben nicht war bedeutet, wie Anwendung von Sprache in der Welt, handlungsorientiert, Kriterien zur Überprüfung der persönlichen Hypothesen schafft, die genau das leisten, was Sprache leisten soll, nämlich soziales Verhalten zu koordinieren und wo angebracht unangemessenes Verhalten zu falsifizieren. Die Dinge der Welt sind nicht eindeutig. Der Mensch gibt ihnen die Bedeutung. Die Beliebtheit der Fernsehsendung « Literarischer Quartett» zeigt, dass die individuell unterschiedliche Wahrnehmung etwa desselben Romans durch verschiedene Subjekte (bzw. desselben Subjekts zu jeweils einer anderen Zeit), die alle einen relativ vergleichbaren Hintergrund haben, sogar recht unterhaltsam sein kann. Zugleich ist diese Unterschiedlichkeit der Einschätzung auch ein Fingerzeig auf die Vieldeutigkeit von Texten überhaupt. Es sei nur ein Zitat von Roland Barthes angeführt, für den ein literarisches Werk grundsätzlich die Disposition der Offenheit hat. "Das Werk besitzt gleichzeitig mehrere Bedeutungen, und zwar aufgrund seiner Struktur, nicht infolge eines Unvermögens derer, die es lesen" (1967: 62). Derselbe Input muß eben nicht zu demselben Output führen. Die lineare Logik und Kausalität gilt offensichtlich nicht für die nichtlineare, simultan mehrdimensionale kognitive Arbeitsweise des Menschen beim Umgang mit komplexen Phänomenen. Was nun für eine Großform an Input, etwa bei der Lektüre eines Romans gilt, gilt erstaunlicherweise auch für eine der minimalsten biologischen Aktivitäten im Organismus, einem Impuls in einer Nervenzelle des Gehirns. Der gleiche Input an derselben Nervenzelle muß nicht dieselbe, ja kann sogar die gegenteilige Wirkung haben. 5.2 Neuro-physiologische Beobachtungen beim Erst- und Zweit-/ Fremdsprachenlernen in verschiedenen Altersstufen als Indiz für die Dynamik der Sprachlernprozesse Neue bildgebende Verfahren erlauben seit kurzem (Neville/ Bavelier 1998) Angaben über die örtlichen Aktivitäten im Gehirn auch bei Sprachverwendung. Ohne dass sich aus diesen Erkenntnissen direkt zwingende Konsequenzen für das Lehren von Fremdsprachen aufdrängen, ergeben sich hier doch interessante Punkte. • Sprachzentren im Gehirn bestehen nicht aus genau begrenzten, homogenen Arealen, sondern eher aus kleinen, verstreuten, punktuellen Zentren, die für spezifische Komponenten von Sprache zuständig sind. • Die Funktion dieser Sprachzentren ist mehr auf sprachspezifische Aspekte wie Phonologie, Syntax, Semantik ausgerichtet als auf Fertigkeiten wie Hören, Wiederholen, Lesen oder Schreiben. (Auch hier scheint eine Bestätigung dafür vorzuliegen, dass vor der Ausbildung der sprachmotorischen Fertigkeiten das interne Sprachsystem auszubilden ist.) • Die Lexik ist anatomisch ebenfalls in verschiedenen „Subsystemen" organisiert und zwar nach Wortarten und innerhalb etwa der Nomina wiederum nach Werkzeug, Nahrungsmittel, Körperteilen etc. • Die Zusammenarbeit der verschiedenen sprachlichen Submodule ist hochkomplex. So bestimmt z.B. das syntaktische Modul, während die syntaktische Struktur umgesetzt wird, mit Hilfe des Kurzzeitgedächtnisses die zeitliche Abfolge der lexikalischen Einheiten. lFLl! L 29 (2000) 82 Werner Bleyhl • Wurde die Zweitsprache nach dem 7. Lebensjahr erworben, überlappen die Areale der Zweitsprache die der Erstsprache nur zum Teil oder überhaupt nicht. - Bei früher Zweitsprachigkeit zeigen die bisher vorliegenden Studien anatomische Überlappung der beiden Sprachen. • Da bei der Geburt erfolgte Schädigungen der rechten Hemisphäre Defizite im Wortschatz nur im Alter von 10 bis 17 Monaten erkennen lassen, schließen Neville/ Bavelier auf "ongoing shifts in the roles of different brain regions in language acquisition across development" (1998: 256). • Diese Betonung der Dynamik des Gehirns wird noch pointierter formuliert: "Large continual shifts in the configuration of language-relevant neural systems have been described in ERP (event-related brain potential) studies of normal infants and children during the course of language acquisition. Some of these dynamic changes are linked to language capabilities and are independent of chronological age, whereas others appear to be more determined by age. Moreover, the time course of the changes and the degree of experience-dependent change displayed are different for different aspects of language" (ibid.). Auch die Neurobiologie kann also den dynamischen Charakter des Spracherwerbs aufzeigen. Es sollen hieraus keine schnellen Schlussfolgerungen gezogen werden. Für den Verfasser belassen sie einem Denken, das Spracherscheinungen stabil als einzelne Elemente mechanisch und linear lernen lassen will, wenig Plausibilität. Mit Linearität ist Sprache in ihrer Komplexität nicht beizukommen. 6. Die drei grundsätzlichen Geburtsfehler des traditionellen Fremdsprachenunterrichts Angesichts der Beobachtungen und der Ergebnisse älterer und neuerer für das Fremdsprachenlernen relevanter Forschungen zeigt sich, dass der traditionelle Fremdsprachenunterricht an drei fundamentalen Fehlern leidet. 6.1 Er nimmt eine unangemessene Reduktion der Komplexität des Menschen vor, begeht somit anthropologisch einen Fehler, der ihn zu einem unangemessenen Menschenbild führt, indem er den Menschen behandelt, als sei er eine steuerbare, eine „triviale Maschine" (vgl. die Diskussion µm den „autonomen Lerner", vgl. auch Allwright 1984: "Why don't learners learn what teachers teach? " oder Bleyhl 1997). 6.2 Der traditionelle Fremdsprachenunterricht nimmt gleichfalls eine unangemessene Reduktion der Komplexität von Sprache vor, die ihn zu einer unangemessenen Konzeption von Sprache führt. Er weigerte sich bislang, die Komplexität in der realen Vielgestaltigkeit existierender Sprache und die fuzziness jedes ihrer Elemente anzuerkennen und versuchte statt dessen, die sprachliche Erscheinung, ihre physikalische Oberfläche als ihr psychologisches Sein zu behandeln. lFL1.lllL 29 (2000) Sprachenlernen, ein konstruktiver, nichtlinearer Selbstorganisationsprozess oder: ... 83 6.3 Diese beiden Fehleinschätzungen führen zu der kognitionspsychologisch wie didaktisch-methodisch unfruchtbaren Annahme, dass lineares Vorgehen, dass Stück-für- Stück-Lernen von Sprache angebracht sei. Der traditionelle Fremdsprachenunterricht versucht deswegen, methodisch das Input-Output-Prinzip umzusetzen. Er bemüht sich, Rezeption und Produktion in einem Verhältnis von 1: 1 zu halten, eine Bedingung, unter der nie und nimmer eine Sprache gelernt werden kann. Kontraproduktiv erschwert ein Unterricht so dem Lerner, die neuen Spracherscheinungen mental angemessen zu verarbeiten, in sich das System der neuen Sprache gemäß den evolutionär bewährten Arbeitsprinzipien des Gehirns zu konstruieren. Diese drei Grundfehler führen zu der gängigen mechanistischen und linearen Lernkonzeption mit entsprechendem Unterricht, unter dessen Ineffektivität und somit Quelle der Frustration Lehrer wie Schüler zu leiden haben. 7. Folgerung: Die zweifache Aufgabe des Lehrers: feed forward und feedback Sprache ist linear lehrbar schon weil Sprache linear in der Zeit zu fließen scheint. Sprache ist wegen ihrer Komplexität und dazu ihrer Verwobenheit mit der vielfältigen Kultur aber nicht linear lernbar. Auf allen Ebenen, ob der der Laute, der Lexik etc., gewinnen die einzelnen Spracherscheinungen ihre Funktion immer erst im Kontrast zu den anderen Spracherscheinungen auf derselben Ebene und im Zusammenspiel mit den Spracherscheinungen auf den anderen Ebenen. Da außerdem Sprache kein Regelprodukt der Logik ist, sondern ein evolutionär entstandenes und keineswegs starres Sprachspiel einer vielfach differenzierten Kulturgemeinschaft, zeichnet sie sich durch höchste Unvorhersehbarkeiten und durch Komplexität aus. Sprachenlernen ist so kein Mauerbau, bei dem Stein auf Stein gesetzt wird. Spracherwerb heißt immer Abgleichen mit dem Situationsverständnis, früherem Sprachwissen und sonstigem Weltwissen. Spracherwerb ist ein dynamischer, nichtlinearer hermeneutischer Prozess, ein konstruktiver Prozess des Zusammenspiels von Erwartung und Erfahrung. Der erste entscheidende Schritt beim Aufbau einer Fremdsprachenkompetenz ist das Verstehen. Wir verstehen immer mehr, als wir selbst sprachlich produzieren können. Schließlich müssen die neuen Spracherscheinungen (Laute, Wörter, Strukturen) erst wahrgenommen, intern mit Bekanntem abgeglichen und intern organisiert werden, ehe sie einer sicheren Produktion zur Verfügung stehen. Eine Globalbezeichnung für ein dem Lernen gerecht werdendes Vorgehen beim Lehren lautet„ Verstehensmethode". Die Aufgabe des Lehrenden besteht nun darin, die Schüler zur geistigen Aktivität herauszufordern und ihnen viel und reichhaltige verstehbare - Sprache als Modellarsenal anzubieten (feed forward). Dabei sollte die angebotene Sprache für den Lerner deutlich wahrnehmbar sein, weshalb an die Angewohnheit erinnert sei, dass Mütter aller Kulturen im Dialog mit ihren Kleinkindern die relevanten Vokale (und Silben? ) leicht überartikulieren. (Biopsychologen wie Papousek (1989) sprechen von „angeborener Didaktik".) IFLIIL 29 (2000) 84 Werner Bleyhl Das immer zugleich inhaltliche wie sprachliche Verstehen, d.h. ihre Unterstellungen von Sinn, gestalten und überprüfen Lerner und Lehrer gegenseitig mit ihrem Verhalten in der Interaktion (Stichworte: Handlungsorientierung, Klassenzimmeraktivitäten wie TOTAL PHYSICAL RESPONSE, Themenbzw. Inhaltsorientierung, Hörgeschichten und story telling, Angebote an Reimen 8 und Liedern, sowie Lektüren mit Hörkassetten zum Selbstlernen bis hin zum bilingualen Sachfachunterricht). Wie im Erst- und natürlichen Zweitspracherwerb wird den Lernenden ihre individuelle Unterschiedlichkeit, etwa beim Beginn der Sprachproduktion, zugebilligt. Nach dem Prinzip, wie sich liebende Eltern im Erstspracherwerb verhalten, gibt der Lehrer dem Lerner Rückmeldung (feedback) über die Angemessenheit seines Sprachverhaltens etwa mittels sprachlich angemessener Wiederholung oder Umschreibung. Die Risikobereitschaft des Lerners darf nicht erdrosselt, sie sollte herausgefordert werden. Sprachliche „Fehler" dürfen in der Explorationsphase nicht sanktioniert werden (vgl. Bleyhl 1984). Wie beim Erstspracherwerb steht der inhaltliche Aspekt im Vordergrund. Die Qualitätskriterien für ein lernergemäßes Fremdsprachenlehren sind damit: • Sprache wird prinzipiell funktional verwendet, d.h. Sprache wird situativ, nicht in Einzelaspekten (wie Wörtern) atomisiert, sondern immer im Kontext verwendet. (Dass zu einer eventuellen Klärung Einzelmomente fokussiert werden müssen, ist selbstverständlich.) • Für den Lerner sollte die Sprache deutlich wahrnehmbar und möglichst vorbildlich, d.h. dem Sprachspiel der fremdsprachlichen Kultur möglichst angemessen, erfahrbar werden. Der Experte ist das Vorbild im sprachlichen Verhalten. • Den Schülern wird viel Sprache angeboten. Das Verstehen übersteigt die eigenen Sprachproduktion immer um ein Vielfaches. Die Schüler werden zu eigenen Explorationen im Bereich der Fremdsprache ermutigt. • Das Verstehen der Sprache wird am (nicht zuletzt körperlichen) Verhalten der Schüler überprüft. D.h. Schüler wie Lehrer erhalten gegenseitig Rückmeldung darüber (lnteraktionsschleifen Lehrer - Schüler), ob angemessen verstanden wurde. Der Unterricht ist handlungsorientiert und ganzheitlich. • Die Schüler werden zugleich kognitiv wie emotional angesprochen, weil sie selbst als agierende Personen betroffen sind. Der Unterricht ist themen- und erlebnisorientiert. Da es im schulischen Rahmen sehr schwer ist, in administrativ vertretbarer Weise den individuell unterschiedlichen Entwicklungen der Schüler gerecht zu werden, sollte bei fremdsprachlichen Anfängern (z.B. während der gesamten Grundschulzeit bzw. mindestens im ersten Jahr der Sekundarstufe 1) Leistungsbeurteilung nur im Bereich des Rezeptiven vorgenommen werden. Die Rolle der gebundenen Sprache in Gedichten mit ihrer Bedeutung für den Erwerb der Morphologie und Grammatik wurde in der Fremdsprachendidaktik sträflich vernachlässigt. FLlllL 29 (2000) Sprachenlernen, ein konstruktiver, nichtlinearer Selbstorganisationsprozess oder: ... 85 8. Fazit Der angehende Junglehrer hat nun an der Schwelle zum 21. Jahrhundert folgende Alternative: Entweder er hält es mit dem mechanistischen Menschenbild des 19. Jahrhunderts und glaubt an die Steuerbarkeit des Menschen und daran, dass man durch Reden über Sprache das Lernen dieser Sprache bei einem anderen bewirken könne. Er wird dann beobachten, dass man auch selbst nach neun Jahren Unterricht in der Fremdsprache nur „ein bißchen schwanger" geworden ist. Zwar sind diese Scheinschwangerschaften im Laborbereich Schule fortpflanzungsfähig; in der Welt bewähren sie sich nicht, wie gegenwärtig bei der angehenden Europäisierung und Globalisierung mit dem damit einhergehenden Fremdsprachenkönnen immer deutlicher wird. Es muss zu denken geben, dass dort, wo es besonders auf die Gebrauchsfähigkeit von Sprach-(und zugleich Sozial-)kompetenz ankommt, in international tätigen Organisationen und Betrieben, die auch noch mit dem Handicap des älteren Lerners fertig werden müssen, inzwischen faktisch nur noch muttersprachliche Fremdsprachenlehrer unterrichten. Oder der angehende Junglehrer hält es mit dem selbst in verschiedenen Kulturen beheimatet gewesenen Ludwig Wittgenstein und erkennt, dass man Sprache nor durch die Erfahrung von Sprachgebrauch lernt. Die bittere Ironie ist, dass die bisherige Lehrstrategie des Vereinfachens der Sprache auf die formalen Aspekte sich als Erschwerung des Lernens herausstellt, dass das Gehirn mit Komplexität und dem Knacken des Codes besser alleine zurecht kommt, wenn es ein angemessen reichhaltiges Angebot erhält - und ihm während einer Verstehensphase für die Sprachphänomene, eine „Inkubationszeit" eingeräumt wird. Den unterschiedlichen Lernertypen kann hiermit in einem institutionellen Fremdsprachenunterricht am ehesten Gerechtigkeit widerfahren, weil ihnen damit hinreichend Explorationsmöglichkeiten zugestanden wird. Die hier skizzierte Position zum Fremdsprachenlernen ist keineswegs ein Potpourri postmoderner Beliebigkeit. Es ist vielmehr eine Position, die erkenntnis- und lerntheoretisch in der Fortsetzung des hermeneutischen Zirkels steht, den Schleiermacher als dem Kreisel von Divinatorischem und Explorativem oder Dilthey als den Kreisel von Erwartung und Erfahrung faßte. Wie sehr dabei die Diltheysche Konzeption der selbstorganisatorischen Systemtheorie eines Niklas Luhmann entspricht, hat Alois Hahn (1999) aufgezeigt. 9 Im Methodischen steht die hier dargelegte Konzeption mit der Betonung der notwendigen „Inkubationszeit" bzw. der unabdingbaren Vergewisserung des Verstehens in der Fortführung der Tradition so erfolgreicher Fremdsprachenlehrer wie Harold Palmer (1925), F.L. Billows (1961), Hans-Joachim Lechler (1972) und Harris Winitz (1981, 1996). Lückenlos schließt diese Position an die der neuesten Gehirnforschung an, die „den Menschen als Produkt eines kontinuierlichen, sich selbst organisierenden Prozesses sieht, der die biologische und kulturelle Evolution einschließt". Der so zitierte Gehirnforscher Singer (1999) betont weiter: "Je mehr wir über die Bedingungen unserer Herkunft und über die Dynamik komplexer Systeme in Erfahrung brachten, umso unausweichlicher wurde die 9 Übrigens kann auch Johann Friedrich Herbarts Konzept der Bildsamkeit durchaus auch als eine pädagogische Theorie der „Selbstorganisation" organismischer Aktivität gelesen werden, wie Anhalt ( 1999) gezeigt hat. FLllllL 29 (2000) 86 Werner Bleyhl Erkenntnis, dass sich unser Sosein nicht gelenkter oder festgelegter Entwicklung verdankt, sondern Ergebnis selbstorganisierender Prozesse ist, an denen wir als Mitspieler aktiv teilnehmen." Was Singer für die evolutionäre Entwicklung des Menschen insgesamt ausführt, gilt Wort für Wort auch für die Evolution, die Entwicklung einer Sprache im Menschen: "unsere künftige Entwicklung (ist) zwar beeinflussbar, aber weder plannoch voraussagbar. Denn evolutionäre Prozesse organisieren sich selbst. Ihr Verlauf resultiert aus der Gesamtheit der Interaktionen aller das System konstituierenden Elementen. Jede Änderung, und sei sie auch noch so klein, beeinflusst die Entwicklung des Gesamtsystems. Weil sich komplexe, evolutionäre Systeme ohnehin nicht linear entwickeln, sind langfristige Entwicklungstendenzen weder voraussagbar noch steuerbar. Erst im Nachhinein können wahrscheinliche Ursachen für eine bestimmte Entwicklungsrichtung identifiziert werden". Singer spricht auch davon, wie das Genom, das selbst wie ein Netzwerk wirke, und die Umwelt zusammenwirken. Wie diese Umwelt erhebliche Modifikationen an genetisch vorgegeben Vernetzungen von Nervenzellen bewirken kann, so konnte die Prägung der Wahrnehmung durch die Erfahrung an der Wahrnehmung der Phoneme (Kuhl 1992, 1998) präzise gezeigt werden. 9. Coda Als charakteristischer Zug der ganzen Biosphäre wird zunehmend deutlicher erkannt, dass alles Leben keineswegs von unendlicher Robustheit ist. Wir können nicht davon ausgehen, dass große Wirkungen auch große Ursachen haben und umgekehrt. Das Leben ist eben von erstaunlichen Nichtlinearitäten durchwoben. Dynamik, Selbstorganisation und Nichtlinearität sind die Charakteristika des Lebens - und auch der Entwicklung des Sprachenlernens. Sind Vorstellungen einmal etabliert, betrachtet der Mensch die Welt mit diesen Kategorien und Schemata und hat es sehr ungern, wenn er entdecken soll oder sollte, dass diese Kategorien und Schemata nicht so leistungsfähig sind, wie er annahm. Erst wenn er schmerzlich am eigenen Leiden erkennen muß, dass ihm die alten Vorstellungen wenig helfen, wenn er ihre Falsifikation (alias eine „Perturbation") erleiden muß, wird er vielleicht bereit, sich umzusehen, sich grundsätzlichere Fragen zu stellen und erfolgreichere Lösungsvorschläge und stimmigere Erklärungsversuche seiner Probleme zu bedenken. Angebote, die das Fremdsprachenlernen als einen nichtlinearen Prozess der Selbstorganisation beschreiben, liegen seit Jahren (Bleyhl 1988, 1989, 1993, 1995b, 1997, 1998, Karpf 1990, Peltzer- Karpf/ Zangl 1998) vor. Erfreulicherweise ist zu sehen, dass die Zahl derer, die die Schwächen des linearen, mechanistischen traditionellen Fremdsprachenunterrichts erkennen, wächst. Sie stehen durchweg der Praxis nahe. Genau wie die Aneignung einer neuen Sprache geschieht ein Paradigmenwechsel in einer wissenschaftlichen Disziplin wie der Fremdsprachendidaktik nicht über Nacht. Auch hier bedarf das andere Denken, die neue Kategorisierung einer „Inkubationszeit", eines Wachsens im Verborgenen, einer internen allmählichen Vorstellungsadaptation. Auch hier ist vor der Geburt eine Embryonalentwicklung notwendig, wie bei der Muttersprache oder der Fremdsprache. lFLuL 29 (2000) Sprachenlernen, ein konstruktiver, nichtlinearer Selbstorganisationsprozess oder: ... 87 Am Verhalten, das aus der Einsicht kommt, dass erst mittels Erlebens funktionaler Sprache das Hörverstehen und damit das Grobgerüst eines neuen Kategoriensystems, einer neuen mentalen Landkarte ausgebildet werden muß und dass aus dieser Einsicht methodisch Konsequenzen gezogen werden, daran kann man heute schon den Fremdsprachenlehrer von morgen vom gestrigen unterscheiden. Literatur AITCHISON, Jean (1987/ 1994): Words in the Mind. An introduction to the mental lexicon. Oxford: Blackwell. ALLWRIGHT, Richard L. (1984): "Why don't learners learn what teachers teach? " In: SINGLET0N, D. M. LITTLE, D.G. (eds.): Language Learning in Formal and Informal Contexts. Dublin: IRAL, 3-18. ANHALT, Elmar (1999): Bildsamkeit und Selbstorganisation. Weinheim: Beltz. 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I will then show in what way cognitive science explains the acquisition of knowledge as a cognitive process. In the third part of my paper I will deal with different so-called constructivist approaches to comprehension and learning (neo-Piagetian approaches, radical constructivism, constructivist learning theory). The fourth part is devoted to construction as a fundamental concept in language use and language learning, and in the last part I will try to sketch out the didactic potential of construction. 0. Vorüberlegungen Vor sechs Jahren habe ich in einem Beitrag zum Themenheft „Lemerautonomie" in der seinerzeit noch existierenden fremdsprachendidaktischen Zeitschrift Die Neueren Sprachen die Frage gestellt, ob eine stärker konstruktivistische Ausrichtung des Fremdsprachenunterrichts ihn aus seiner zweifellos durch das kommunikative Paradigma bedingten Erstarrung herausführen und effektiver machen könne (vgl. Wolff 1994). Ich hatte konstruktivistischen Fremdsprachenunterricht als eine Form des Fremdsprachenlernens definiert, die sich prozess- und lernerorientiert darstellt und dem Lernziel der Autonomie verpflichtet ist. Obwohl mein damaliger Beitrag, in welchem ich selbst für einen stärker konstruktivistisch gestalteten Fremdsprachenunterricht Partei ergriffen hatte, von vielen Kolleginnen und Kollegen gelesen und insgesamt recht positiv aufgenommen wurde, hat er konkret nur wenig bewirkt. Das hängt sicherlich damit zusammen, dass größere Veränderungen doch recht lange brauchen, bis sie sich in der Institution Schule durchsetzen, wahrscheinlich aber auch damit, dass ich bei meinen damaligen Überlegungen zu stark auf den philosophischen Erkenntnissen des radikalen Konstruktivismus abgehoben und damit in gewisser Weise eine didaktische zu einer Weltanschauungsfrage gemacht hatte. Der Eindruck, dass mein Konzept zwar aus didaktischer Sicht für durchaus annehmbar gehalten, aus weltanschaulicher Sicht aber abgelehnt wurde, war und ist sicherlich nicht falsch. Meine Überzeugung, dass Fremdsprachenunterricht im Rahmen eines konstruktivistischen Paradigmas besser gestaltet werden kann, hat sich nicht verändert; geändert hat sich allerdings mein Standpunkt, dass dies nur im Rahmen eines radikal konstruktivistischen lFLllL 29 (2000) 92 Dieter Wolff Ansatzes geschehen könne. Ich bin inzwischen zu der Auffassung gelangt, dass allein schon im kognitionswissenschaftlichen Begriff der Konstruktion so viel fremdsprachendidaktisches Veränderungspotenzial steckt, dass es einer weltanschaulichen Festlegung überhaupt nicht bedarf, um dieses deutlich zu machen. In der kommunikativen Didaktik stand der (sozio)linguistische Begriff der Kommunikation im Mittelpunkt, in der neuen von mir mit vertretenen konstruktivistischen Didaktik tritt an seine Stelle der kognitionspsychologische Begriff der Konstruktion. Mein Versuch, im folgenden Beitrag deutlich zu machen, welches Potenzial dieser Begriff in sich birgt, ist mit der Hoffnung verbunden, mein fremdsprachendidaktisches Konzept auf diese Weise auch denjenigen zugänglich zu machen, die den Positionen des radikalen Konstruktivismus weniger zugetan sind. All meinen folgenden Überlegungen liegt der Gedanke zugrunde, dass Kognition beim Lernen und Sprachenlernen eine entscheidende Rolle spielt. Obwohl Sprachenlemen und Sprachgebrauch sicherlich eigenständige Fähigkeiten sind, sind sie eng mit der Kognition verknüpft. Das zeigt sich bei der Konzeptbildung ebenso wie bei der Herausbildung grammatischer Regeln, beim Erkennen von lautlichen und visuellen Mustern ebenso wie beim Hypothesenbilden und Hypothesentesten. Sprache wird auf die gleiche Weise verarbeitet wie die anderen Informationen nichtsprachlicher Art auch. Und da die kognitive Psychologie Informationsverarbeitung und Lernen als Konstruktionsprozesse bezeichnet, kann man daraus ableiten, dass auch Sprachenlernen Konstruktion ist. Der Begriff Kognition wird in den psychologischen Wissenschaften mit Fähigkeiten des Wahrnehmens, Lernens, Denkens und Urteilens in Verbindung gebracht, Fähigkeiten also, die dem menschlichen Geist innewohnen und dazu beitragen, dass der Mensch die Welt im erkenntnistheoretischen Sinn versteht und begreift. Der lateinische Begriff cognitio (mit der Bedeutung „Erkenntnis") unterstreicht dieses Verständnis von Kognition. Kognition wird häufig auch als „geistige Tätigkeit" bezeichnet; damit wird die Prozesshaftigkeit der Kognition unterstrichen: Der Mensch tut etwas, wenn er die Umwelt wahrnimmt, wenn er etwas lernt, wenn er denkt, wenn er etwas beurteilt. Und dieses Tun, das die Kognition ausmacht, ist nach Auffassung der Kognitionswissenschaftler ein konstruktives Tun, ist Konstruktion. Wenn Kognition also beim Lernen und Sprachenlernen eine wichtige Rolle spielt, dann darf man auch die Bedeutung konstruktiver Prozesse bei diesem geistigen Handeln nicht unterschätzen. Ich habe meinen Beitrag in fünf Abschnitte eingeteilt, auf die einige abschließende Bemerkungen folgen. Im ersten Abschnitt werde ich auf den Begriff der Konstruktion eingehen und dabei vor allem aus der Sicht der Kognitionswissenschaften zeigen, dass das ihm zugrunde liegende Konzept ein sehr robustes Konzept zur Erklärung der menschlichen Kognition ist. Im zweiten Abschnitt geht es mir darum zu zeigen, wie sich die Kognitionswissenschaft den Erwerb von Wissen vor dem Hintergrund des vorher definierten Konzeptes der Konstruktion vorstellt. Nach einem Blick auf die verschiedenen Spielarten des so genannten Konstruktivismus im dritten Abschnitt werde ich mich im vierten Teil mit der Konstruktion als Grundkonzept des Sprachgebrauchs und des Sprachenlernens beschäftigen. Im fünften Teil geht es mir schließlich um das fremdsprachendidaktische Potenzial des Konzeptes der Konstruktion. IFLuL 29 (2000) Sprachenlernen als Konstruktion: Einige Anmerkungen zu einem immer noch neuen Ansatz... 93 1. Zum Begriff der Konstruktion Der Begriff Konstruktion hat augenblicklich Hochkonjunktur in allen Wissenschaftsdisziplinen. Insbesondere in den Geistes- und Sozialwissenschaften, in welchen der Mensch als handelndes Subjekt in den Mittelpunkt der wissenschaftlichen Analyse gerückt ist, spielt der Begriff eine wichtige Rolle. Unterschiedliche erkenntnistheoretische Schulen der Philosophie beschreiben und erklären menschliche Erkenntnis als einen Konstruktionsprozess; in der Wahrnehmungspsychologie wird die Perzeption als konstruktiver Prozess verstanden; in der Sprachpsychologie wird das sprachliche Verstehen als konstruktive Operation modelliert; und in der Textlinguistik werden sprachliche Interaktionen zwischen Sprecher und Hörer, aber auch zwischen Leser und Text als Prozesse des Konstruierens von Bedeutung gesehen. In der Lernpsychologie werden Lernprozesse als Konstruktionsprozesse definiert und die kognitive Wissenschaft, die sich die Erklärung des menschlichen Erkennens und Denkens zum Ziel gesetzt hat, benutzt den Begriff der Konstruktion, um einen gemeinsamen Nenner für die Fülle von mentalen Operationen zu haben, die die Prozesshaftigkeit der menschlichen Kognition charakterisieren. In diesem Umfeld bewegen sich auch meine Überlegungen. Der Begriff der Konstruktion, so wie ich ihn verstehe, ist kognitionswissenschaftlich ein sehr allgemein gefasster Begriff. Prinzipiell unterliegt ihm die Annahme, dass sich jedes menschliche Erkennen, alles menschliche Denken durch Prozesse des Konstruierens definiert. Denkstrukturen, aber auch Handlungsstrukturen entstehen immer aus der Interaktion zwischen bereits vorhandenen Wissensstrukturen und neuen Wahrnehmungen .. Der Mensch wird in allen Disziplinen, die mit dem Begriff der Konstruktion arbeiten, als Informationsverarbeiter gesehen, d. h. als ein kognitives System, das beständig Wahrnehmungen verarbeitet. Dies bedeutet, dass er kontinuierlich neue Wissensstrukturen konstruiert, um· neue Erkenntnisse zu gewinnen. Dies bedeutet gleichzeitig auch, dass das Konstruieren ein eigenständiger Prozess ist, den der Mensch selbstständig organisiert und gestaltet. Konstruktionsprozesse als Prozesse der Kognition können nicht von außen gesteuert werden. Warum der Mensch konstruiert, ist in unserem Zusammenhang von großem Interesse; die Hypothesen reichen von der vagen Mutmaßung, dass im Menschen ein nicht begründbarer Zwang zur Verarbeitung von Informationen aus der Umwelt angelegt istsozusagen eine Verpflichtung zur Auseinandersetzung mit der Umwelt-, bis hin zu der Annahme, dass die Verarbeitung der Informationen aus der Umwelt als Notwendigkeit angesehen wird, um in der Welt zu überleben. Welcher Erklärungsversuch auch der richtige sein mag, für das, was folgt, ist von großer Bedeutung, dass Konstruktionsprozesse Prozesse des Erkennens sind, die vom Menschen als zwingend angesehen werden und derer er sich beständig bedient. Man kann nicht nicht konstruieren; Konstruktion ist Zwang. Maturana und Varela (1987: 191) gehen so weit, das Leben selbst als Erkennen zu definieren Neben dem Zwang zum Konstruieren muss als weiteres konstituierendes Merkmal des Konstruktionsbegriffs herausgestellt werden, dass Konstruktion immer Interaktion ist: Interaktion zwischen vorhandenem Wissen (Erfahrungswissen und Handlungswissen, Sprachwissen) und dem, was vom Menschen an Umweltreizen aufgenommen wird. Diese Interaktion unterliegt dem eigentlichen Prozess des Konstruierens. Eigenes Wissen verbinlFLl! L 29 (2000) 94 Dieter Wo/ ff det sich mit Umweltinformationen und ermöglicht so die Konstruktion von Bedeutung. Die Begriffe top-down und bottom-up, die inzwischen Modebegriffe geworden sind, bezeichnen in ihrer ursprünglichen Bedeutung dieses Interaktionsverhältnis, wobei die top-down- (oder concept-driven) Verarbeitung die vom bereits vorhandenen Wissen ausgehende Verarbeitung bezeichnet, die bottom-up- (oder data-driven) Verarbeitung hingegen die von den eingehenden Informationen ausgehende Verarbeitung. Die Interaktionen zwischen dem vorhandenen Wissen und den eingehenden Stimuli lassen sich klassifizieren und machen den Konstruktionsbegriff transparenter. Ich werde darauf im nächsten Abschnitt eingehen, wo ich Konstruktion und Wissenserwerb thematisieren werde. Es leuchtet ein, dass das Verständnis von Konstruktion als Interaktion zwischen eingehenden Informationen und bereits vorhandenem Wissen dazu führt, dass sich das Wissen des Einzelnen auf subjektive Weise organisiert und strukturiert. Dafür sind aber nicht die Konstruktionsprozesse verantwortlich, die bei allen Menschen gleich sind, sondern die unterschiedlichen Wissensbestände, auf welchen die Konstruktionsprozesse basieren. Verschiedene Menschen, die den gleichen Informationen ausgesetzt sind, gelangen zu unterschiedlichen Wissensstrukturen, da sie unterschiedliches Vorwissen haben; selbst der Einzelne gelangt, wenn er nach einem längeren Zeitabschnitt der gleichen Information ausgesetzt ist, meist zu einem anderen Verarbeitungsergebnis, da sich seine Wissensbestände verändert haben. Diese empirisch verifizierte Erkenntnis der Kognitionswissenschaftler ist im radikalen Konstruktivismus philosophisch überhöht weitergedacht worden. Konstruktion als Interaktion hat natürlich noch eine andere Konsequenz, die für den weiteren Zusammenhang von Interesse ist. Konstruktion als Interaktion bewirkt nicht nur, dass Menschen zu unterschiedlichen Wissensstrukturen gelangen, sondern auch, dass diese Wissensstrukturen zu mehr werden als zu der Summe der aus der Umwelt aufgenommenen Informationen. Das bei der Interaktion zwischen eingehenden Umweltstimuli und dem vorhandenen Wissen entstehende Wissen addiert sich nicht aus diesen beiden Komponenten auf, es entsteht vielmehr neues Wissen. Man hat deshalb Konstruktionsprozesse auch als emergente Prozesse bezeichnet - Prozesse, in denen das entstehende Wissen angereichert und verwandelt wird. Auf diese Weise wird in der Psychologie die Konstruktion von Wissen und das Erkennen als ein kreativer Prozess erklärt. Auch dem Lernen schreibt die Kognitionswissenschaft die generellen Eigenschaften des Konstruierens zu. Lernprozesse setzen ein, wenn eine neue Wissensstruktur aus der Interaktion zwischen bereits vorhandenem Wissen und den eingehenden Informationen entstanden ist und der Informationsverarbeiter sich dafür entscheidet, diese zu speichern. Eine solche Entscheidung bewirkt, wie ich im nächsten Abschnitt deutlicher machen werde, dass das bereits vorhandene Wissen unter Einbeziehung des neu gewonnenen Wissens restrukturiert und dem Wissensspeicher zugeführt wird. Die spezifischen Eigenschaften dieser Konstruktionsprozesse ermöglichen es, konstruiertes Wissen so weiterzuverarbeiten, dass es für weitere Konstruktionsprozesse zur Verfügung steht. Konstruktion als allen weiteren Überlegungen unterliegendes Konzept lässt sich also durch die folgenden Merkmale charakterisieren: (1) Konstruktion als ein vom Informationsverarbeiter autonom gestalteter Prozess ist Grundlage aller kognitiven Prozesse. (2) Konstruktion ist Zwang. lFLIIL 29 (2000) Sprachenlernen als Konstruktion: Einige Anmerkungen zu einem immernoch neuen Ansatz... 95 (3) Konstruktion ist Interaktion zwischen eingehender Information und vorhandenem Wissen. (4) Konstruktion als Interaktion bewirkt subjektive Wissenskonstrukte. (5) Konstruktion ist ein emergenter und damit ein kreativer Prozess. (6) Lernen ist Konstruktion. 2. Konstruktion und die Entstehung von Wissensstrukturen Nachdem ich im letzten Abschnitt versucht habe, einen ersten Einblick in das, was ich unter Konstruktion verstehe, zu geben, indem ich die wichtigsten Merkmale dieses kognitionswissenschaftlichen Konzeptes diskutiert habe, geht es mir in diesem Abschnitt darum zu zeigen, wie man sich die Konstruktionsprozesse, die zu Wissensstrukturen führen, konkret vorstellen muss. Im Kontext dieses Beitrags kann ich das nur anhand einiger Beispiele tun. Ich möchte dabei zwischen drei Arten von Konstruktionsprozessen unterscheiden: solchen, welche die Interaktion zwischen vorhandenem Wissen und eingehenden Informationen vorbereiten, solchen, welche diese Interaktion gestalten, und schließlich solchen, welche bewirken, dass das neu konstruierte Wissen in das Gedächtnis integriert wird. Zur ersten Gruppe von Konstruktionsprozessen gehören z. B. Prozesse, die bewirken, dass das Wissen abrufbar gemacht wird, das für einen zu erwartenden Verarbeitungsprozess erforderlich ist. So bewerkstelligen es z. B. solche vorbereitenden Konstruktionsprozesse beim Betreten eines Raumes, dass die abstrakten Wissensstrukturen bereitgestellt werden, die erforderlich sind, um sich in einem Raum zurechtzufinden. Die Verarbeitung der Merkmale des konkreten Raumes kann dann vor diesem Hintergrund erfolgen. Ebenso bewirken solche Prozesse, dass Wissen über typische Handlungsabfolgen verfügbar gemacht wird, bevor die eigentliche Handlung stattfindet. Der in die Handlung integrierte Informationsverarbeiter ist so leichter in der Lage, die spezifischen Merkmale der Handlung zu erkennen, sie mit den typischen Abfolgen zu vergleichen und angemessen zu reagieren. Als wichtigste Unterklasse der zweiten Gruppe von Konstruktionsprozessen gelten die so genannten Inferierungsprozesse, die es dem Menschen als Informationsverarbeiter ermöglichen, aufgrund seines Wissens Bestandteile von Informationen, die sich seiner Wahrnehmung entziehen, zu erschließen. So sind wir in der Lage, beim Blick aus dem Fenster die Form eines Daches, das zum Teil durch ein anderes Dach oder ein höheres Haus verdeckt wird, zu erschließen. Normalerweise ist man sich dieser konstruktiven Fähigkeit, die auch bei komplexeren sprachlichen Verarbeitungsprozessen wie etwa dem Lesen eingesetzt wird, überhaupt nicht bewusst und man muss Maturana und Varela (1985: 23) Recht geben, wenn sie die Behauptung aufstellen: "Wir sehen nicht, dass wir nicht sehen". Anders könnte man auch formulieren, dass wir nicht verstehen, dass wir vieles, was wir zu sehen vermeinen, eigentlich konstruieren. Dies gilt natürlich für alle anderen Wahmehmungen auch. Von ähnlicher Bedeutung sind die Kohärenzprozesse, die den Menschen bei der Sinnkonstitution (d. h. beim Erkennensprozess) sein bereits vorhandenes Wissen einsetzen lassen, um zu überprüfen, ob das, was er konstruiert, kohärent ist. Wenn er fehlende Kohärenz feststellt, benutzt er sein Wissen, um Kohärenz herzustellen. So verbindet erz. B. FLl! L 29 (2000) 96 Dieter Wo/ ff heterogene Wahrnehmungen, die anscheinend nichts miteinander zu tun haben, zu homogenen Konstrukten. Es sei hier angemerkt, dass der Zwang zur Konstruktion, auf den ich oben bereits hingewiesen habe, sich verbindet mit dem Zwang zur Kohärenzerstellung. Der Mensch ist aufgrund seiner Fähigkeit zu konstruieren in der Lage, alles kohärent zu machen, was sich ihm an Wahrnehmungen erschließt, und dies ist für ihn gleichzeitig auch Verpflichtung, es zu tun. Neben den lnferierungs- und Kohärenzprozessen gibt es noch eine Vielzahl weiterer Konstruktionsprozesse, die bewirken, dass aus der Interaktion zwischen vorhandenem Wissen und eingehenden Informationen sinnvolle Konstrukte entstehen. Zu diesen gehören z.B. die so genannten Generalisierungsprozesse, mit Hilfe derer unter Einbeziehung bereits vorhandenen Wissens eingehende Informationen so gebündelt werden, dass sie als abstraktere Einheiten festgehalten werden können. Die Konzeptbildung muss in diesem Zusammenhang als wichtigster Konstruktionsprozess genannt werden. Prozesse des Hypothesenbildens und des Hypothesentestens ermöglichen es, Konstrukte im Hinblick auf ihre Validität zu überprüfen. Die dritte Gruppe von Konstruktionsprozessen, die Prozesse, die bewirken, dass das neu konstruierte Wissen in das Gedächtnis integriert, also gelernt wird, ist für den vorliegenden Zusammenhang von besonderer Bedeutung. Ich kann auf die verschiedenen Lernmodelle der Kognitionswissenschaftler hier nicht eingehen, möchte jedoch eine Gruppe von Konstruktionsprozessen hervorheben, die als (Re)strukturierungsprozesse bezeichnet werden. Der Prozess der Restrukturierung bezeichnet die Integration der neuen Wissensstruktur in das bereits vorhandene Wissen bzw., wenn kein für die Anbindung geeignetes Wissen vorhanden ist, die Bildung neuer Wissensstrukturen. Norman/ Rumelhart (1978) halten diesen Konstruktionsprozess für den wichtigsten überhaupt. Ihrer Meinung nach ist es jedoch auch der Prozess, der die größten Anstrengungen erfordert. Beim Strukturieren können unterschiedliche Teilprozesse ablaufen. Kreations-, Reorganisations-, Löschungs- und Abstraktionsprozesse sind die häufigsten. Bei Kreationsprozessen werden neue Wissensstrukturen gebildet, weil das neue Wissen dem vorhandenem Wissen nicht adäquat zugeordnet werden kann. Bei Reorganisationsprozessen werden bisher autonome Strukturen ineinander geordnet bzw. mit neuem Wissen verbunden, um der neuen Wissensstruktur gerecht zu werden. Bei Löschungsprozessen werden vorhandene Strukturen getilgt, wenn die neuen Wissensstrukturen umfassender und relevanter sind. Bei Abstraktionsprozessen werden die neuen und alten Wissensstrukturen auf eine höhere Ebene der Abstraktheit und Allgemeingültigkeit gehoben. Strukturierungsprozesse laufen auf der Behaltensstufe ab. Sie machen Wissenszuwachs möglich und restrukturieren den Wissensspeicher, so dass optimale Zugriffe sowohl für die vorausgehende Stufe der eigentlichen Informationsverarbeitung als auch für die folgende Stufe der Automatisierung von Fertigkeiten gewährleistet sind. 3. Konstruktion und Konstruktivismus Bevor ich im nächsten Abschnitt auf Konstruktion als Grundprinzip des Sprachenlemens und des Sprachgebrauchs eingehe, möchte ich eine Positionsbestimmung des Konzeptes in der derzeit ausufernden Konstruktivismusdiskussion vornehmen. Es wird nämlich immer IFlL11lllL 29 (2000) Sprachenlernen als Konstruktion: Einige Anmerkungen zu einem immer noch neuen Ansatz ... 97 deutlicher, dass gerade in den philosophischen, psychologischen und pädagogischen Wissenschaften so viele unterschiedliche Interpretationen des Begriffs Konstruktivismus existieren, dass auch eine Verständigung über den Begriff Konstruktion schwierig wird. Das Konzept der Konstruktion spielt eine wichtige Rolle in drei psychologisch-philosophischen Ansätzen, welchen man meist undifferenziert den Namen Konstruktivismus gibt: dem epistemologischen Konstruktivismus Piagets und seiner Schule, der erkenntnistheoretischen Schule des radikalen Konstruktivismus und einer lerntheoretischen Strömung, die sich aus Ideen Piagets und des radikalen Konstruktivismus speist. Alle drei Ansätze lassen sich der Erkenntnistheorie des Subjektivismus zuordnen, d. h. "an die Stelle des externen Objekts wird seine Konstruktion oder auch Rekonstruktion durch das Subjekt gesetzt" (Strohner 1995: 67). Das subjektivistische Verständnis von Information, das auch eng mit meinem Konstruktionsbegriff zusammenhängt, geht grundsätzlich davon aus, dass die externe Information bei der Verarbeitung durch den Menschen überformt wird durch individuelle Einflüsse, die auf Erfahrungen des Einzelnen basieren. Das Ergebnis eines Konstruktionsprozesses ist nicht eine objektive, sondern eine subjektive Repräsentation der realen Information aus der Umwelt im menschlichen Geist. Die beiden zuerst genannten Richtungen unterscheiden sich eindeutig darin; welche Bedeutung sie dem bereits vorhandenen Wissen und der externen Wirklichkeit beim Erkennen zuweisen. Bei Piaget sind es die beiden globalen Prozesse der Assimilation und der Akkomodation, welche die Konstruktion der Wirklichkeit leisten. Assimilationsprozesse bewirken, dass neue Umweltinformationen in die bereits vorhandenen kognitiven Strukturen integriert werden; Akkomodationsprozesse passen die vorhandenen kognitiven Strukturen den neu gewonnenen Informationen an. Piaget nennt den diesen Konstruktionsprozessen unterliegenden Mechanismus der Selbststeuerung Äquilibration. Dabei hebt er darauf ab, dass alle Konstruktionsprozesse durch Prinzipien der Selbstorganisation und Eigenverantwortlichkeit gekennzeichnet sind. In seinem Verständnis der Konstruktion von Wirklichkeit steht Piaget dem kognitionswissenschaftlichen Ansatz nahe, wie ich ihn in den letzten beiden Abschnitten skizziert habe. Den Informationen der externen Wirklichkeit wird große Bedeutung beigemessen, sie werden jedoch durch Konstruktionsprozesse transformiert und gewinnen als Wissensstrukturen im menschlichen Geist eine andere Qualität. Erkenntnisgewinnung ist ein Prozess, bei dem bereits vorhandenes Wissen und eingehende Informationen den gleichen Stellenwert haben. Im radikalen Konstruktivismus, einem stärker philosophisch ausgerichteten Ansatz, verschieben sich die Gewichtungen. Zwar setzen radikale Konstruktivisten (allerdings eher implizit) voraus, dass es eine Wirklichkeit gibt und dass wir in der Lage sind, die aus dieser Wirklichkeit aufgenommenen Reize als identisch oder nicht identisch zu interpretieren und wiederzuerkennen. Die Zuordnung dieser physikalischen Reize zu Bedeutungen wird aber erst in unserem Geist geleistet. Die Wirklichkeit als Chaos von Reizkonfigurationen wird erst von uns selbst zu der Welt gemacht, die wir als die unsere begreifen. Jeder Mensch konstruiert sich seine eigene individuelle Welt. Dies bedeutet, dass der Einfluss dieser Wirklichkeit auf die Konstruktion von Welt (und Wissen) sehr viel geringer ist als im epistemologischen Konstruktivismus von Piaget. Wirklichkeit und Wissen über die Wirklichkeit werden als verschieden gesehen, eine Interaktion mit der Wirklichkeit findet nicht statt. Auch die radikalen Konstruktivisten stellen Selbstorganisation und Eigenverant- FlLIIL 29 (2000) 98 Dieter Wolff wortlichkeit bei der Konstruktion von Welt heraus, sie verweisen aber auch darauf, dass Wissenskonstruktionen im Austausch mit anderen validiert werden müssen, weil nur so die unterschiedlichen individuellen Welten gegeneinander abgeglichen werden können und zu einer Welt werden, in der das Zusammenleben der Einzelnen gewährleistet ist. In der modernen Lerntheorie sind Grundüberlegungen sowohl des radikalen wie auch des epistemologischen Konstruktivismus aufgegriffen und in lerntheoretische Konzepte transformiert worden. Dies hat dazu geführt, dass man heute auch von einer lerntheoretischen Schule des Konstruktivismus spricht, obwohl die konstruktivistischen Denker Erkenntnistheoretiker und keine Lerntheoretiker sind. Im Mittelpunkt der lerntheoretischen Überlegungen steht die These, dass auch alle Lernvorgänge Konstruktionsprozesse sind, die durch die Prinzipien der Selbstorganisation und der Eigenverantwortlichkeit gekennzeichnet sind, d. h. auch Lernen ist nur dann erfolgreich, wenn der Lernende es selbstständig zu organisieren in der Lage ist und wenn er die Verantwortung für das eigene Lernen übernimmt. Als besonders wichtig wird angesehen, dass Lernprozesse in eine möglichst reiche Lernumgebung eingebettet werden und für eine reiche soziale Interaktion beim Lernen Sorge getragen wird. Lernende müssen vor dem Hintergrund einer reichen Lernumgebung explorativ Hypothesen bilden und ihre Lernergebnisse in der sozialen Interaktion erproben, d. h. sie müssen Hypothesen testen können. Wenn man diese drei unterschiedlichen Ansätze des Konstruktivismus miteinander vergleicht, dann stellt man fest, dass Konstruktion als Konzept in allen dreien eine entscheidende Rolle spielt. Der radikale Konstruktivismus unterscheidet sich allerdings von den beiden anderen Ansätzen dadurch, dass er auf ein Verständnis von Welt zurückgreift, das in seiner erkenntnistheoretischen Radikalität meiner Ansicht nach nicht geeignet ist, um auf ihm eine Didaktik konstruktiven Fremdsprachenlernens aufzubauen. Eine Welt, die von jedem Einzelnen erst geschaffen werden muss und an deren Erschaffung die Wirklichkeit nur minimal beteiligt ist, eignet sich nicht, um sich in ihr Sprachlernprozesse und Sprachverarbeitungsprozesse vorstellen zu können. Darauf verweist auch Müller, der den radikalen Konstruktivismus aufgrund seiner „De-Ontologisierung der Realität" (Müller 1996: 104) ablehnt. Allerdings unterstreicht der radikale Konstruktivismus auch Aspekte, die für ein auf Konstruktion basierendes Konzept von Fremdsprachenunterricht bedeutsam sind, jedoch auch in kognitionswissenschaftlichen Ansätzen und im epistemologischen Konstruktivismus auftreten. Dazu gehört die Auffassung, dass Konstruktion ein autonomer Prozess ist, den der Mensch zu leisten bereit sein muss. Müller nennt als weitere Aspekte die subjektive Organisation von Wissen und die Tatsache, dass Konstruktionsprozesse immer auch emergente Prozesse sind. 4. Konstruktion als Grundprinzip der Sprachverarbeitung und des Sprachenlernens Nach diesen Überlegungen zum Verständnis des Konstruktionsbegriffs ist es nicht schwer, den nächsten Schritt zu tun und dieses Konzept in die Nähe dessen zu rücken, was man gemeinhin als Sprachgebrauch oder in der kognitiven Psychologie als Sprachverarbeitung lFLllL 29 (2000) Sprachenlernen als Konstruktion: Einige Anmerkungen zu einem immer noch neuen Ansatz... 99 bezeichnet. Schon in der kommunikativen Didaktik wird darauf abgehoben, dass Sprachenlernen im wesentlichen Sprachgebrauch ist; und obwohl die kommunikativen Didaktiker Sprachgebrauch sehr eingeschränkt als mündlichen produktiven Gebrauch von Sprache, als Sprechen also, verstehen, verweisen sie mit dieser Annahme darauf, dass man eine Sprache nicht allein über den Erwerb sprachlicher Mittel lernen kann, sondern sie im handelnden Vollzug gebrauchen muss. In der post-kommunikativen Ära, in der sich die Fremdsprachendidaktik jetzt befindet, wurde zunächst darauf abgehoben, dass sich beim Fremdsprachenlernen Sprachgebrauch nicht auf Mündlichkeit beschränkt, sondern auch Schriftlichkeit mit einschließt. Eine Sprache zu gebrauchen heißt sprechen, aber auch schreiben, hören und lesen. Außerdem wurde deutlich gemacht, dass Sprachgebrauch nicht nur der Gebrauch in alltäglichen kommunikativen Situationen ist, sondern dass Sprache im Klassenzimmer auch dazu gebraucht werden kann, um über Sprache zu reflektieren (Sprachbewusstheit) bzw. um sich in der Interaktion mit anderen Sprachlernprozesse zu erschließen (Sprachlernbewusstheit). In dem von Legenhausen/ Wolff entwickelten Modell des Sprachenlernens als Sprachgebrauch (vgl. hierzu vor allem Wolff 1993, Rüschoff/ Wolff 1999) werden die Zusammenhänge zwischen Sprachenlernen und Sprachgebrauch am klarsten dargestellt. Sprachgebrauch kann als Konzept der Fremdsprachendidaktik auf unterschiedliche Weise definiert werden. Auf eine Möglichkeit habe ich gerade hingewiesen, als ich von den Arten des Gebrauchs ausging. Eine andere Definitionsmöglichkeit erschließt sich über den Begriff der Konstruktion. Bei der Behandlung des Konstruktionsbegriffs in der kognitiven Psychologie und in den verschiedenen Schulen des Konstruktivismus wurde deutlich, dass alle Informationsverarbeitungsprozesse, alle Prozesse des Erkennens von Wirklichkeit und selbst alle Lernprozesse Konstruktionsprozesse sind. Aus dieser Position heraus lassen sich auch Sprachenlernen und Sprachgebrauch als Konstruktionsprozesse verstehen, zumal es sich bei beiden um Informationsverarbeitungsprozesse handelt, die allgemeineren Prozessen der Wissensverarbeitung von ihrer Ausrichtung her ähnlich sind. Ich möchte also die Hypothese aufstellen, dass Sprachenlernen und Sprachgebrauch Konstruktionsprozesse sind, und dies an einigen Beispielen aus der Sprachverstehensforschung und der Sprachproduktionsforschung zeigen. Dabei gehe ich davon aus, dass sich Sprachgebrauch psycholinguistisch als Summe der vier Grundfähigkeiten Sprechen, Schreiben, Hören und Lesen definiert, denen als fünfte Fähigkeit das sprachliche Interagieren mit anderen zugeordnet werden kann, das als gemeinsamer Konstruktionsprozess zweier oder mehrerer Kommunikationspartner verstanden wird. Ich beziehe mich dabei auf H.H. Clark (1996), der zwar Sprachgebrauch ("using language") allein als gemeinsame Konstruktion von Bedeutung versteht, aber in seinem Buch auch die Bedeutung des Konstruierens bei jeder Form von Sprachverarbeitung herausstellt. Unter Sprachverarbeitung versteht die kognitiv orientierte Sprachpsychologie sowohl die rezeptive Verarbeitung von eingehenden sprachlichen Informationen (Hörverstehen, Leseverstehen) als auch die produktive Aufbereitung und Übermittlung gedanklicher Strukturen in Sprache (Sprechen, Schreiben). Obwohl auch die Kognitionswissenschaften Aussagen zur Produktion von Information gemacht haben (vgl. Strohner (1995: 77), der als Beispiel die Produktion motorischer Informationen nennt, die hervorgebracht werden, um Bewegungsabläufe durchführen zu können), gibt es zur Sprachproduktion detailliertere Erkenntnisse. Ich möchte mit der rezeptiven Verarbeitung beginnen. FLuL 29 (2000) 100 Dieter Wolff Rezeptive Sprachverarbeitung ist auf allen Ebenen Interaktion zwischen eingehenden sprachlichen Stimuli und dem vorhandenen Wissen, wobei dieses Wissen sowohl Sprachwissen als auch Erfahrungswissen oder Weltwissen ist. Der Informationsverarbeiter erstellt sprachliche Kategorien, indem er die eingehenden Schallwellen (bzw. beim Lesen die visuell wahrgenommenen Zeichenkonfigurationen) umsetzt in Lautbzw. Buchstabenkategorien. Bereits dies ist ein Konstruktionsprozess, weil der Hörer/ Leser dabei von seinem Sprachwissen Gebrauch macht, um die eingehenden Lautmuster als gleich oder verschieden zu klassifizieren, aber auch um nicht erkannte bzw. nicht festgehaltene Muster aus seinem Wissen zu ersetzen, Aus der Phonetik ist bekannt, dass nur ein Teil der Laute in der natürlichen Interaktion vom Hörer wirklich aufgenommen wird; ein großer Teil wird aus dem eigenen Sprachwissen ergänzt. Besonders leicht nachvollziehen lässt sich die Annahme, dass schon auf dieser Ebene Konstruktionsprozesse im Spiel sind, wenn man sich darauf besinnt, wie häufig natürliche Kommunikation durch Geräusche gestört wird; trotzdem bitten Hörer aber nur selten um Wiederholung einer durch Geräusche gestörten Äußerung. Sicherlich spielt in diesem Zusammenhang der oben schon genannte Prozess des Inferierens eine wichtige Rolle. Konstruktionsprozesse finden aber auch auf den höheren Verarbeitungsebenen statt. Leser erschließen (inferieren) die Bedeutungen von Wörtern, Hörer die grammatischen Beziehungen von Wörtern in Sätzen, die nur als elliptische Strukturen an ihr Ohr dringen. Gerade auf der Satzebene wird deutlich, wie häufig Hörer/ Leser ihr Wissen um Sprache einsetzen, wenn sie Sprache verarbeiten. Die Verarbeitung des ersten Wortes eines Satzes lässt die Leser meist schon einen Satzbauplan konstruieren, in welchen dann die folgenden Wörter eingebracht werden. So signalisiert im Englischen ein Satzanfang mit did, dass der folgende Satz eine Frage ist, im Deutschen ein Satzanfang mit hätten, dass der folgende Satz in zwei Teile zerfällt, von welchen der zweite mit dann oder vielleicht mit dass beginnt. Hörer/ Leser konstruieren oft viele verschiedene Satzbaupläne, die dann, wenn die folgenden Wörter eingehen, sich auf einen reduzieren. Häufig werden grammatische Verarbeitungsprozesse überhaupt nicht benötigt, wenn der Hörer/ Leser die funktionalen Bezüge zwischen Wörtern eines Satzes aus seinem Sprachwissen und Weltwissen heraus erschließen kann. Wenn z. B. ein Leser die vier Wörter Helga, pflücken und rote Rosen verarbeitet hat, braucht er auf sein grammatisches Wissen nicht zurückzugreifen, um zu erkennen, in welcher funktionalen Beziehung die Wörter zueinander stehen. Auch auf der obersten Ebene, der Diskursebene, konstruiert der Hörer/ Leser die Sprecher/ Schreiber-Äußerung bzw. den Text zum Teil schon, bevor sie überhaupt ver~ arbeitet wurden. Ein texteinleitendes Signal wie "once upon a time" (es war einmal) lässt den Hörer/ Leser aus seinem Diskurswissen die Textstruktur eines Märchens abrufen und erleichtert ihm den Verarbeitungsprozess. Ein Bericht über einen Restaurant-Besuch lässt ihn sein Wissen über Restaurants aufrufen und führt dazu, dass er die Aussage bzw. den Text selbst dann versteht, wenn der Sprecher/ Schreiber nur wenige über die eigentliche Mitteilung hinausgehende Informationen gibt, weil er die fehlenden Informationen aus seinem eigenen Wissen ergänzt. Die Verarbeitung der sprachlichen Information ist immer ein Interaktionsprozess zwischen den eingehenden Informationen und dem bereits vorhandenen Wissen. Dabei ist die bedeutungskonstituierende Wirkung des bereits vorhandenen Wissens oft größer als die der eingehenden Informationen, so dass die Information, die der FLuL 29 (2000) Sprachenlernen als Konstruktion: Einige Anmerkungen zu einem immer noch neuen Ansatz... 101 Hörer/ Leser einer Mitteilung entnimmt, oft eine andere Bedeutung hat als die vom Sprecher/ Schreiber beabsichtigte. Es ist sicherlich schwieriger, sich Sprachproduktion als einen Konstruktionsprozess vorzustellen. Wenn man aber bedenkt, dass jede sprachliche Produktion, sei sie nun eine schriftliche oder eine mündliche, immer eine Interaktion zwischen den zu versprachlichenden Gedanken und dem zur Verfügung stehenden Sprachwissen darstellt, und wenn man sich vor Augen führt, dass der künftige Adressat in die Planung einer sprachlichen Äußerung einbezogen werden muss, dann lässt sich Sprachproduktion schon als Konstruktion begreifen. Heinrich von Kleists Essaytitel „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden", der in meiner Terminologie „Über die allmähliche Konstruktion der Gedanken beim Reden" heißen könnte, zeigt die Komplexität der Interaktion zwischen Sprache und Gedanken besonders schön. Konstruktionsprozesse müssen auf den verschiedenen Planungsstufen eingesetzt werden. Gedanken lassen sich z. B. in ihrer Komplexität oft nicht in Sprache umsetzen, weil die entsprechenden sprachlichen Mittel fehlen. Dann müssen sie entweder umstrukturiert werden oder die erforderlichen sprachlichen Mittel müssen konstruiert werden _(Wortbildung). Längere, aber auch kürzere Aussagen müssen so vorgeplant werden, dass sie zum richtigen Zeitpunkt fertig sind und produziert werden können. Planungsprozesse sind Konstruktionsprozesse, ob nun auf einer sehr abstrakten Ebene Diskurspläne vorbereitet werden oder auf einer sehr konkreten Ebene Artikulationspläne. Es sind Konstruktionsprozesse, weil sie Gegebenheiten auf den verschiedensten Ebenen zusammenbringen müssen, um ein kohärentes sprachliches Gebilde hervorzubringen. Werfen wir an dieser Stelle noch einen Blick auf die mündliche sprachliche Interaktion, die H.H. Clark (1996) als den Konstruktionsprozess per se bezeichnet hat. Clark sieht die sprachliche Interaktion, in die jede Form von Sprachgebrauch eingebettet ist, sowohl als eine kognitive als auch als eine soziale Handlung. Die Teilnehmer an einer mündlichen sprachlichen Interaktion konstruieren gemeinsam die Bedeutung ihrer sozialen Handlung. Die sprachliche Interaktion ist eine collaborative production, ein beständiger Aushandlungsprozess, eine gemeinsame Konstruktion. In der Literatur zur mündlichen Sprache wird immer wieder deutlich gemacht, dass sich natürliche mündliche Kommunikation (naturally occuring discourse) durch komplexe Muster auszeichnet, die sich durch Wiederholungen, Teilwiederholungen, aus dem Wiederaufgreifen von Themen und aus Wortspielen charakterisieren, die zu Bedeutungskonstruktionen anregen (Kollaboration bedeutet gemeinsames Konstruieren). Abschließend zu diesem Abschnitt stellt sich die Frage, inwieweit auch Sprachenlernen Konstruktion ist. Ich hatte schon im zweiten Abschnitt darauf hingewiesen, dass alle Lernprozesse Konstruktionsprozesse sind, und dabei insbesondere auf Reorganisierungs- und Restrukturierungsprozesse verwiesen. Wenn man sich Sprachwissen ebenso organisiert vorstellt wie Welt- oder Erfahrungswissen, dann wird deutlich, dass auch beim Lernen einer Sprache das bereits vorhandene Sprachwissen beständig reorganisiert werden muss. So erfordert z.B. das Erfassen einer neuen grammatischen Regel, deren Angemessenheit durch Prozesse des Hypothesentestens überprüft wurde, dass sie in den bisherigen Regelkomplex integriert wird. Dies kann ein einfacher Prozess des Hinzufügens dieser Regel sein; es kann aber auch erforderlich sein, bereits vorhandene Regeln umzustellen, sie zu verallgemeinern lFJLlllllL 29 (2000) 102 Dieter Woljf oder sie gar zu löschen. In der amerikanischen L2-Forschung ist mehrfach auf Befunde in der Lernersprache hingewiesen worden, die auf solche Konstruktionsprozesse hindeuten (vgl. z. B. unter dem Stichwort backsliding: Selinker 1972, McLaughlin 1987, Lightbown/ Spada 1993, Ellis 1994). 5. Konstruktion als fremdsprachendidaktisches Konzept In diesem Abschnitt möchte ich versuchen, etwas genauer auf das fremdsprachendidaktische Potenzial des kognitionswissenschaftlichen Konzeptes der Konstruktion einzugehen. Dabei sollen im Folgenden insgesamt fünf Aspekte angesprochen und diskutiert werden. 1. Das kognitionswissenschaftliche Konzept der Konstruktion macht das fremdsprachendidaktische Konzept des Sprachgebrauchs transparent. In der Fremdsprachendidaktik wird Sprachgebrauch als Terminus schon seit geraumer Zeit verwendet, ohne dass eine angemessene Reflexion darüber erfolgt, was Sprachgebrauch eigentlich ist. Die schon angedeutete Beschränkung von Sprachgebrauch auf mündliche Sprachproduktion in der kommunikativen Didaktik zeigt dies ebenso wie die Tatsache, dass in der Fremdsprachendidaktik Sprachgebrauch nie als psychologische Tätigkeit verstanden wurde. Das kognitionswissenschaftliche Konzept der Konstruktion macht nun deutlich, dass Sprachgebrauch eine Vielzahl von psychologischen Fähigkeiten und Fertigkeiten einschließt, die der Sprachverarbeiter mitbringen muss und die sich alle auf ein kognitives Grundmuster, das der Konstruktion, zurückbeziehen lassen. Diese Erkenntnis erlaubt es der Fremdsprachendidaktik zum ersten Mal in ihrer Geschichte das zu definieren, was dem unterliegenden Lernziel jedes Fremdsprachenunterrichts nämlich dem angemessenen Gebrauch der Fremdsprache an psychologischen Prozessen und Strategien unterliegt. Zwar hatte schon die kommunikative Didaktik mit dem Begriff der kommunikativen Kompetenz eine über den Erwerb von Wortschatz und Strukturen hinausgehende Lernzielbestimmung vorgenommen. Da sich dieses Lernziel aber letztendlich auch nur über sprachliche Mittel definierte, mit Hilfe derer Sprachfähigkeit erreicht werden sollte, blieb es sozusagen auf der Produktebene stehen. Das kognitionswissenschaftliche Konzept der Konstruktion bezieht die Prozessebene mit ein, indem es das transparent macht, was der Lernende können muss, wenn er Sprache gebraucht. Denn vom Begriff der Konstruktion her, wie er in diesem Beitrag definiert wurde, ist Sprachgebrauch im Wesentlichen etwas Prozedurales, Sprachkönnen also, das zwar auf etwas Deklaratives, Sprachwissen also, zurückgreift, diesem aber eine nachgeordnete Rolle zuweist. Damit kein Missverständnis entsteht: Sprachkönnen ist ohne Sprachwissen nicht möglich, ebenso darf sich aber Fremdsprachenunterricht nicht nur auf die Vermittlung von Sprachwissen beschränken und hoffen, dass sich das Sprachkönnen gleichsam von selbst einstellt. 2. Das kognitionswissenschaftliche Konzept der Konstruktion definiert die Teilfertigkeiten, die den vier Fähigkeiten Sprechen, Schreiben, Hären und Lesen sowie der sprachlichen Interaktion in Kommunikationssituationen zugrunde liegen. lFIL111L 29 (2000) Sprachenlernen als Konstruktion: Einige Anmerkungen zu einem immer noch neuen Ansatz... 103 Das. Potenzial des Konstruktionsbegriffs im Hinblick auf ein besseres Verständnis dieser Fähigkeiten und damit auch die Herausbildung besserer Förderungsmöglichkeiten ist offenkundig. Die Fremdsprachendidaktik hat schon seit langer Zeit immer wieder gefordert, die vier Grundfähigkeiten Sprechen, Schreiben, Hören und Lesen zu fördern, war sich aber im Hinblick auf die Förderungsmöglichkeiten sehr unsicher, weil sie keine Kenntnisse darüber hatte, welche Teilfertigkeiten mit den verschiedenen Fähigkeiten verbunden sind. Über den Konstruktionsbegriff werden diese Teilfertigkeiten jedoch jetzt sehr präzise definiert, wie ich weiter oben zu zeigen versucht habe. Es kann kein Zweifel bestehen, dass das Potenzial des Konstruktionsbegriffs in diesem Bereich inzwischen von der Fremdsprachendidaktik erkannt worden ist. Die vielen fertigkeitsbezogenen Umsetzungen kognitionswissenschaftlicher Erkenntnisse im Fremdsprachenunterricht und selbst in den Lehrwerken zeigen dies sehr deutlich. Lern- und Arbeitstechniken als Modellierungen des prozeduralen Wissens, das für die verschiedenen Fähigkeiten erforderlich ist, haben Hochkonjunktur. 3. Das kognitionswissenschaftliche Konzept der Konstruktion macht dasfremdsprachendidaktische Konzept des Sprachenlernens transparent. Das Verständnis vom Lernen als einem Konstruktionsprozess, das sowohl in der kognitiven Lerntheorie als auch bei Piaget und seiner Schule sowie in der so genannten konstruktivistischen Lerntheorie deutlich artikuliert wird, gibt auch Sprachlernprozessen eine neue Transparenz. Schon McLaughlin (1987) hatte darauf hingewiesen, dass die kognitive Theorie des Lernens neue Klarheit in die doch recht unpräzisen Vorstellungen über das Sprachenlernen bringen könne. Dabei hatte McLaughlin auf dem Zweitsprachenerwerb abgehoben. Die Erkenntnisse, die die kognitive Psychologie vor allem zu Restrukturierungsprozessen gewonnen hat, bergen ein großes Potenzial für die Fremdsprachendidaktik. Dies gilt insbesondere für die Arbeit mit der Sprache im Kontext so genannter Sprachbewusstmachungsprozesse, die in hohem Maße Restrukturierungsprozesse einschließen. Außerdem lässt sich aus den Erkenntnissen der kognitiven Lernpsychologie für die Fremdsprachendidaktik allgemein die Notwendigkeit der Bewusstmachung von Sprachverarbeitungs- und Sprachlernprozessen ableiten. Obwohl dies in der Fremdsprachendidaktik der letzten Jahre eher ein Tabu war, legen uns die Erkenntnisse, die um den Konstruktionsbegriff herum angesiedelt sind, nahe, die zu lernende Sprache wieder stärker in den Mittelpunkt von Unterricht zu rücken. 4. Das kognitionswissenschaftliche Konzept der Konstruktion macht deutlich, dass Sprachlernprozesse in hohem Maße eigenständige und selbstverantwortete Prozesse sind und dass die Ergebnisse von Sprachlernprozessen individuell verschieden sind. Die über den Konstruktionsbegriff definierte Lerntheorie macht aber noch etwas Weiteres deutlich, was die Fremdsprachendidaktik bisher kaum in ihre Überlegungen einbezogen hat. Konstruktionsprozesse sind individuelle Prozesse, die folglich zu subjektiven Ergebnissen kommen. Es sind Prozesse, die der Lernende selbstständig und eigenverantwortlich durchführt. Dies gilt natürlich auch für Lernprozesse. Es ist deshalb eine zentrale Aufgabe des Fremdsprachenunterrichts, Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit zu fördern. Nur JFLll! L 29 (2000) 104 Dieter Woljf ein Lerner, der selbstständig und eigenverantwortlich konstruieren kann, ist ein erfolgreicher Lerner. In diesem Zusammenhang steht noch eine weitere über den Begriff der Konstruktion vermittelte Erkenntnis, die ein hohes Veränderungspotenzial für die Fremdsprachendidaktik aufweist. Ich meine die kognitionswissenschaftliche Erkenntnis, dass die Ergebnisse von (Sprach)verarbeitungs- und von (Sprach)lernprozessen für jeden Einzelnen verschieden sind. Diese Erkenntnis hat in der herkömmlichen Fremdsprachendidaktik, die von ihren didaktisch-methodischen Konzeptionen her auf „normale" Schülergruppen festgelegt ist und erwartet, dass alle Lernenden identisch auf diese Konzeptionen reagieren, bisher keinerlei Widerhall gehabt. Dies ist verständlich, weil durch diese Erkenntnis die Grundfesten traditionellen Unterrichts ins Wanken geraten sind und dem Lehrer eine völlig neue Rolle zugemutet wird. Trotzdem muss didaktisch aus diesen Ergebnissen zwangsläufig die Schlussfolgerung gezogen werden, dass Unterrichten nicht die Vermittlung von Lehrerwissen an Schüler, Instruktion also, sein kann, sondern der Förderung der individuellen Konstruktionsprozesse der Schüler gewidmet sein muss. Barnes (1976: 81) hat dies sehr deutlich gemacht, als er formulierte: "To learn is to develop relationships between what the learner knows already and the new system presented to him, and this can only be done by the learner himself'. 5. Das kognitionswissenschaftliche Konzept der Konstruktion macht deutlich, dass Sprachenlemen vor allem auf der prozeduralen Ebene gefördert werden muss. Die bisher aus dem Konstruktionsbegriff abgeleiteten fremdsprachendidaktischen Potenziale verweisen eindeutig auf den Weg, den eine Fremdsprachendidaktik, die Sprachenlernen als Konstruktion versteht, beschreiten muss. Wie alle anderen Lernvorgänge auch definiert sich Fremdsprachenlernen als eine Abfolge von Informationsverarbeitungsprozessen (Sprachverstehens- und Sprachproduktionsprozessen) und Lernprozessen (z.B. Restrukturierungsprozessen). Vor allem diese Prozesse gilt es also zu fördern, um das Sprachenlernen erfolgreich zu machen. Nicht die Weitergabe sprachlicher Mittel an die Schüler muss im Mittelpunkt von Unterricht stehen, sondern die Schüler müssen vielmehr mit den Fähigkeiten und Fertigkeiten ausgestattet werden, die es ihnen erlauben, die Konstruktionsprozesse in die Wege zu leiten, die ihnen das selbstständige Sprachenlernen ermöglichen. 6. Schlussbemerkungen Statt hier die Grundaussagen des vorgelegten Beitrags noch einmal zu wiederholen, möchte ich abschließend kurz andeuten, in welche Lernumgebung ein Fremdsprachenunterricht, der dem kognitionswissenschaftlichen Konzept der Konstruktion verpflichtet ist, eingebettet werden sollte. Es sollte deutlich geworden sein, dass das traditionelle Klassenzimmer mit all seinen methodisch-didaktischen Festlegungen und Zwängen hierfür nicht der geeignete Ort ist. An seine Stelle muss das Klassenzimmer als Lern- und Forschungswerkstatt treten, in der die Lernenden gemeinsam an die schwierige Aufgabe des Erwerbs einer fremden Sprache gehen und die Konstruktionsprozesse erwerben und einbringen, die sie für die lFLuL 29 (2000) Sprachenlernen als Konstruktion: Einige Anmerkungen zu einem immer noch neuen Ansatz... 105 Verarbeitung und das Lernen von Sprache benötigen. Die Rolle des Lehrers in einem solchen Klassenzimmer kann nur die eines fürsorglichen Betreuers, eines Moderators, eines Lernberaters sein (vgl. hierzu auch Wolff 1999, Rüschoff/ Wolff 1999). Literatur BARNES, Douglas (1976): From Communication to Curriculum. Harmondsworth: Penguin. CLARK, Herbert H. (1996): Using Language. Cambridge: Cambridge University Press. ELLIS, Rod (1994): The Study of Second Language Acquisition. Oxford: Oxford University Press. LIGHTB0WN, Patsy M. / SPADA, Nina (1993): How Languages are Learned. Oxford: Oxford University Press. 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This framework of language leaming and teaching draws on concepts of anthroplogy, anthroplogical linguistics and psychology and is in opposition to the cognitive model oflanguage learning and teaching. 1. Einleitung In der Spracherwerbsforschung besteht gegenwärtig eine intensive, zum Teil sehr hart geführte Diskussion über die epistemologischen Grundlagen, auf denen sie gründet. Das Ende dieser Diskussion ist (noch) nicht abzusehen, ebenfalls nicht, wer als „Sieger" aus dieser Diskussion hervorgehen wird. Studenten boten eine sehr kurzweilige Darstellung der beiden Positionen, die ich im Folgenden wiedergeben will. 1 Vor langer, langer Zeit lebten einst in einem fernen Land ein König und eine Königin, die erbittert um die Herrschaft über das Denken und Lernen ihrer Untertanen kämpften. Sie hießen Narrativität und Objektivismus. Beide waren fest davon überzeugt, dass nur ihre Art, Erfahrungen zu ordnen und die Welt zu beschreiben, die richtige sei. Wegen der Unvereinbarkeit der Denkweisen war es offensichtlich, dass jede Bemühung um eine Annäherung zum Scheitern verurteilt war. Ihre Untertanen hatten viel zu leiden und wussten bald weder ein noch aus. Aber hören Sie selber: Narrativität Ich allein kann Herrscherin über die Untertanen sein, sie denken wie ich, das kannst du nicht leugnen. Sie sind mein. Oh nein, du kannst nicht leugnen, dass wir jede Bedeutung über einen Deutungsprozess erhalten, in dem wir selbst drinstecken. Wir brauchen Kre- Objektivismus Es kann nur ein richtiges Denksystem geben. Meines. Das formal-mathematische System zur Beschreibung und Erklärung unserer Gedankenwelt. Erfahrenes betten wir in Kategorien und Konzepte ein, und diese werden durch logische Operationen verknüpft. So erhalte ich eine Beweisbarkeit und Klarheit, die notwendig ist, alles andere ist Kinderkram. Sie gehören mir. Ich danke Ulrike Bartjes, Silke Fimhaber, Ulrich Germann, Cerstin Henning und Andrea Krimpmann. JFLw. 29 (2000) Anthropologisch-narrative Didaktik des fremdsprachlichen Lernens 107 ativität und Geschichten zum Leben, ohne sie existieren wir selbst nicht. Geschichten werden dadurch ergreifend, gut und glaubwürdig, dass die Menschen in ihnen stecken, ihre Absichten, Fehler und Gefühle. Ereignisse werden von uns im Fluss der Zeit, in einer Zeit und an einem Ort fixiert und dadurch so besonders und einzigartig. Viele wissenschaftliche und mathematische Hypothesen beginnen als kleine Geschichten und Metaphern ... aber erst durch Beispiele werden Aussagen verständlich, nachvollziehbar, und für einen Menschen relevant... die Welt, in der die Menschen leben, also in ihren Bildern und Geschichten, die Anwendung ist wichtig, Wissenschaftler leben von ihren kleinen Geschichten, um die Lücken ihres Wissens zu ergänzen ... und riskieren immer, dass sie Ergebnisse übrig behalten, die nichts mehr mit dem Kontext zu tun haben, in dem sie erzeugt wurden... die im Grunde gar nicht so objektiv sind, aber wer das zugäbe, der wäre schließlich kein Wissenschaftler und vor allem angreifbar, nicht wahr? Nur mit Hilfe von Imagination bin ich doch in der Lage, logische Welten zu erzeugen, formale Verbindungen zu sehen, noch bevor ich sie beweisen kann. Du verstehst mich nicht. Die Menschen sind Erzähler ihrer Geschichten, nicht die Autoren! Und weiter, was soll das sein, was ich da überprüfen will? Unsere Gedanken sind viel zu komplex, als dass ich sie überprüfen könnte, ich sage Dinge, die immer auch etwas mit mir selbst zu tun haben, ich benutze Metaphern und lasse viele lFwL 29 (2000) aber da liegt nicht ihre Kraft, sie werden erst dann „real", wenn sie formal oder empirisch überprüfbar sind. Es ist viel wichtiger, über das Individuelle, Einzelne hinauszugehen, Abstraktionen zu erreichen, Universalität, Einzelfälle haben für mich keinerlei Relevanz... der einzelne Mensch ist nicht entscheidend, sondern die Universalität meiner Aussagen uber die Welt... ja, das gebe ich gerne zu, aber wenn sie logische Erklärungen und Gründe finden, die sie an die Stelle der Geschichte setzen können, waschen sie diese Geschichten weg, verstecken sie ... genau, objektive, wahre Ergebnisse, ... Dennoch haben die Welten, die ich z.B. in der Physik, erzeuge, wenig mit dem zu tun, was eine Schriftstellerin macht, wenn sie eine Geschichte erzählt, unsere Welt muss überprüfbar sein. 108 Bedeutungsebenen offen, die in ihnen versteckt sind. Das menschliche Leben ist ein Leben in Möglichkeiten, nicht in fixierten Sicherheiten, oft meinen wir viel mehr oder etwas ganz anderes als wir sagen in der Ironie zum Beispiel wir kreieren Spannung und setzen Dinge voraus, die nie wörtlich gesagt wurden ... Schein-Objektivität zur Etablierung von Machtverhältnissen! Dieses Blabla sind die Menschen hinter den Definitionen, die Menschen mit Kopf und Körper, die ihre eigenen Karten entwerfen für diese Welt, in die sie ihre eigenen Erfahrungen eintragen, die Menschen, die das, was sie sehen und lesen, zu einer Wirklichkeit zusammenfügen, in der sie selbst existieren. Die Definition ist es nicht, die wichtig ist, ebenso wenig wie der Roman, den ich lese. Wichtig ist die Geschichte, die ich beim Lesen bzw. Verstehen schaffe, die Welt, die ich kreiere. Nein, deine Sichtweise braucht meine als Fundament. Ein Mensch nimmt immer das, was er wahr-· nimmt, was er aufgrund seiner Körperlichkeit Inge Christine Schwerdtfeger sag ich doch, nicht nachvollziehbar, Metaphern, Spannung, Möglichkeiten, ich sage, du bist eine Traumtänzerin, so funktioniert unsere Welt nicht, ein bisschen Geschichten erzählen, das kann jeder, aber klar strukturierte Beweise ausarbeiten, logische Schlussfolgerungen ziehen, das sind die Anforderungen, denen wir gerecht werden wollen, das sagte schon Aristoteles. Objektivität ist gefragt. Macht, was soll das jetzt wieder heißen? Objekti- . vität und klare Kategorien, an die man sich halten kann. Definitionen, die etwas aussagen und nicht dieses Blabla. Ich spreche nicht gegen ein vielfältiges Wissen, das zahlreiche Möglichkeiten eröffnet und spontan und flexibel macht. Je mehr Welten man hat, je mehr Landkarten, desto flexibler und spontaner bin ich, neue Verbindungen zu sehen. Das leuchtet ein. Wenn ich aber keinen Bezugspunkt mehr habe außerhalb meiner selbst, verliere ich meine Verständigungsmöglichkeit, ich brauche gewisse Kategorien und abstrakte Definitionen, um weiter denken zu können. Ja, ich brauche vordringlich meinen Kopf, die Denkprozesse interessieren mich. Der Körper, was soll das? Deine Sichtweise ist nicht ohne meine möglich. Wir müssen herausfinden, welche Rolle die Ideen und Geschichten im Leben unserer Untertanen spielen, wie diese ihre Welten konstruieren. lFILUIL 29 (2000) Anthropologisch-narrative Didaktik des fremdsprachlichen Lernens 109 wahrnehmen kann. Sofern seine Wahrnehmungen mit seinen Erwartungen übereinstimmen, erfindet er den Rest auf der Basis seiner Erwartungen hinzu. Er bekommt ein Gefühl für das, was er erwartet, und nimmt gewöhnlich auch nur das wahr. Er ergänzt, was auch immer in dem Bild fehlen mag. Gut, aber wie passt das zu deiner „objektiven" Denkweise? Während ich mich mit den Welten beschäftige, die aus den Deutungen der Menschen entstehen, von Menschen, deren Wahrnehmungen gelenkt sind durch ihre Imagination und ihre Emotionen zu einer bestimmten Zeit und in einem bestimmten Raum. So sind mein Mensch, seine Sprache und seine Welt eines... Ja, dem kann ich zustimmen. Bestimmte Welten oder Erfahrungen werden zu Modellen verallgemeinert und abstrahiert, so kann ich sie auf verschiedene Situationen anwenden. Mein Wissen wird organisierter. Mit Hilfe dieser Modelle können wir eine enorm grosse Menge an Informationen im Kopf haben und uns trotzdem auf ein minimales Detail konzentrieren. Das ist in den Naturwissenschaften genauso so wie bei Künstlern. Diese entwerfen mögliche Welten durch metaphorische Transformationen des Gewöhnlichen und von Konventionen Vorgegebenen. Naturwissenschaftler entwerfen ebenfa! Js Welten. Nur sollen das Welten sein, die frei sind von menschlichen Absichten und Emotionen. während ich sie trennen muss, da meine Erkenntnisse verallgemeinerbar und damit kontextunabhängig sind. Beide: Wir finden kein Ende. Lass uns morgen weiterreden. Wenn der Mensch sich für dich oder mich entscheidet, dann muss er dafür gute Gründe anführen, vielleicht gewinnen wir daraus Inspirationen für unsere weitere Diskussion. 2. Merkmale eines Paradigmenwechsels in den Grundlegungen der wissenschaftlichen Erforschung des Fremdsprachenunterrichts Die Situation in der Spracherwerbsforschung hat alle Anzeichen eines Paradigmenwechsels, wie er von Kuhn charakterisiert wird. Nun höre ich Sie seufzen: dauernd hört man von „Paradigmenwechsel", dieses Wort hat doch schon keinen Aussagewert mehr, ist doch nur noch eine leere Worthülse. Diesem Seufzer widerspreche ich nachdrücklich. Es ist zwar richtig, man bedient sich allenthalben dieses Begriffs von Kuhn, so durchaus schon in der gepflegteren Journalistensprache. Wenn man sich jedoch der Mühe unterzieht, das eigentlich Naheliegende zu tun und Kuhns Schriften zu konsultieren, dann stellt man fest, dass man mit seinen Erläuterungen zum Paradigmenwechsel eine sehr genaue Markierung der Situation in der Spracherwerbsforschung vornehmen kann. FILuL 29 (2000) 110 / nge Christine Schwerdtfeger Also frage ich: Woran erkennt man Krisen in einer Wissenschaft2? Lassen sich diese „Krisenherde" auch in der Zweitsprachenerwerbsforschung nachweisen? Kuhn nennt eine Reihe von Merkmalen, die auf eine Krise hinweisen, die wichtigsten seien im Folgenden angeführt und mit Erscheinungen der Zweitsprachenerwerbsforschung verbunden. "Da das Auftauchen neuer Theorien eine umfassende Paradigmazerstörung und größere Verschiebungen in den Problemen und Verfahren der normalen Wissenschaft erfordert, geht ihm im allgemeinen eine Periode ausgesprochener fachwissenschaftlicher Unsicherheit voraus. Wie zu erwarten, wird diese Unsicherheit durch das dauernde Unvermögen erzeugt, für die Rätsel der normalen Wissenschaft die erwartete Auflösung zu finden. Das Versagen der vorhandenen Regeln leitet die Suche nach neuen ein" (Kuhn 1978 3 : 80). "[...] dass das Paradigma bei Anwendungen auf seine eigenen traditionellen Probleme versagte" (ebd.: 82). In zahlreichen bilanzierenden Studien Anfang der 90er Jahre wurde festgestellt, dass trotz des nachweislich bemerkenswerten Forschungsaufwandes Folgen für das Lehren und Lernen von Sprachen daraus noch nicht erwachsen sind (Cook 1992; Königs 1992; Larsen- Freeman/ Long 1991). An dieser Sachlage hat sich bis heute nichts geändert. "Diese Wucherung von Versionen einer Theorie ist ein typisches Symptom einer Krise" (Kuhn 1978 3: 82). Als eine solch~ "Wucherung" kann die Übernahme von Konzepten des Konstruktivismus in die Sprachlehrforschung bezeichnet werden, die eingepasst werden in bestehende kognitive Modelle des Sprachenlernens (vgl. unter vielen andern Schriften Wolff 1997). „In zunehmendem Maße ähnelte die von ihm [= dem Paradigma] geleitete Forschung derjenigen, die von den konkurrierenden Schulen der Zeit vor dem Paradigma betrieben wurde eine weitere typische Auswirkung einer Krise" (Kuhn 1978 3 : 85). Als ein solcher Prozess kann die vergleichsweise junge Debatte um Focus on Form und Focus on FormS identifiziert werden. In ihm wird der „Entdeckung" auch der formalen Grammatikunterweisung im Rahmen des kognitiven Paradigmas Raum gegeben (vgl. Doughty/ Williams (eds.) 1998). Diese von Kuhn genannten Merkmale einer Krise lassen sich, wie ich kurz andeuten konnte, nahezu eins-zu-eins auf die Situation in der Zweitsprachenerwerbsforschung und der Sprachlehrforschung übertragen. 3. Der lernende Mensch im kognitiven Ansatz und im anthropologischnarrativen Ansatz Der Zweitsprachenerwerbsforschung ist es bis heute nicht gelungen, mit Hilfe des kognitiven Paradigmas Aufschlüsse über die Prozesse zu geben, die über die komplexen Vorgänge beim Sprachenlernen von Menschen wirklich Einsichten verschaffen. Das Wort Ich gehe an dieser Stelle nicht auf das Wissenschaftsverständnis von Kuhn ein, sage nur so viel, dass sein Gegenstand primär die Naturwissenschaften sind. Da sich die Spracherwerbsforschung aber modelliert an den Naturwissenschaften, ist eine solche Übertragung nicht unzulässig, zumal Kuhn seine Überlegungen auch durchaus nicht so dogmatisch verstanden sehen will, wie er in seinem Nachwort der Auflage seines Buches von 1969 verdeutlicht. JFILUI][, 29 (2000) Anthropologisch-narrative Didaktik des fremdsprachlichen Lernens 111 "Mensch" ist von mir mit Bedacht gewählt, um mich bereits hier nachhaltig von den Begriffen über Lernende und Lernen abzugrenzen, die innerhalb des kognitiven Paradigmas des Sprachenlernens dominieren. Darin werden „lernende Systeme" erörtert, oder es wird in einer solchen Sprache über Phasen des Lernens von Menschen gesprochen, in der der lernende Mensch in einer Computermetapher aufgelöst ist: „Frederiksen [...] entwirft für Sprachverarbeitung bei Textproduktion und -rezeption einen sogenannten 'problem frame', der aus vier Komponenten besteht. Nur die erste Komponente, das Ziel (Zielhierarchie), ist obligatorisch. Es folgen, stets Zielknoten enthaltend: 2. Beschreibungen des Problems ('state of problem'), 3. zielorientierte Prozeduren, 4. 'problem solving events', die in Verbindung mit den Komponenten 1 bis 3 stehen, also die Anwahl des Zieles, die Interpretation der Problembeschreibung, die Planung und Ingangsetzung von Prozeduren und das (eventuelle) Lösungsergebnis ausmachen. In einem, diese Basisstruktur expandierenden 'syntax graph' gibt Frederiksen [... ]z.B. temporale und konditionale Relationen an, die einzelne Knoten verbinden. Eine Lesart dieses 'syntax graph' läuft auf eine Ausarbeitung flexibler Züge hinaus, die die Sprachverarbeitung auf dem Wege zielabhängigen Problemlösens auch wiederholt, nach entsprechenden Zielmodifikationen durchlaufen kann" (Raabe 1992: 244). In solchen Formulierungen wird der lernende Mensch, der aus Fleisch und Blut besteht, in einen Rechner verwandelt. Diese spezielle Ausrichtung des Diskurses der Zweitsprachenerwerbsforschung (bzw. der Sprachlehrforschung) hat ihre Wurzeln in den 50er Jahren. Bruner beschreibt eindrucksvoll als einer der ursprünglichen Initiatoren dieser Sichtweise in der Psychologie und heute deren heftigster Kritiker wie sich die Erforschung des Lernens der Verlockung durch die Computermetapher nicht entziehen konnte. Die Faszination, Mensch und Computer gegenseitig zu spiegeln, war in jener Zeit groß, es gelang nicht, ihr zu entkommen (Bruner 1990: 1 ff). Von der Sprachlehrforschung und der Zweitsprachenerwerbsforschung unbemerkt, vollzog und vollzieht sich, dass der lernende Mensch in der Metapher des Computers verschwand. Diese Metaphorisierung für Lernen ist außerhalb der Sprachlehrforschung, in aber immerhin für die Sprachlehrforschung nicht unerheblichen Bezugswissenschaften wie Psychologie und Soziologie länger schon starker Kritik unterzogen worden, so etwa wie erwähnt von Bruner (1990 und 1996), der nach diesen Irrwegen der Psychologie einfordert, man möge sich den Annahmen der Alltagspsychologie ( 'folk psychology') zuwenden, damit man endlich wieder einen Blick für die Menschen, von denen wir eigentlich handeln sollten, gewinnen (vgl. Bruner 1990). Des weiteren liegen umfangreiche Kritiken von Holzkamp (1993/ 1995), Still/ Costall (1991) und Egan (1997) vor. Entschlossen wendet man sich darin von diesem, im Letzten immer noch einem behaviouristischen Konzept des Lernens verpflichteten Ansatz ab (vgl. zu einer ausführlichen Darstellung Schwerdtfeger 2000). Auch in der Zweitsprachenerwerbsforschung ist eine harte Diskussion entbrannt, in der vor allen Dingen die behaviouristischen Wurzeln auch jüngster Publikationen in der Zweitsprachenerwerbsforschung scharf angegriffen werden. Allerdings bleibt selbst in dieser Kritik das Bild des lernenden Menschen defizitär. Der Mensch ist jedoch auch darin noch vor allem ein Kopf ohne Körper (vgl. Schwerdtfeger 2000). Wenn hier nun die Grundzüge einer anthropologisch-narrativen Didaktik des Sprachenlernens entwickelt werden, wird in dessen Zentrum der lernende Mensch aus Fleisch und Blut stehen und nicht länger eine metaphorische Projektion. Der lernende Mensch ist ein JFJLwL 29 (2000) 112 Inge Christine Schwerdtfeger Mensch mit einem Kopf und vor allen Dingen einem Körper. Es wird sich dabei zeigen, dass durch die Berücksichtigung eines wirklichen Menschen sich nicht nur andere Akzentuierungen des Lernens, sondern auch völlig andere Sichtweisen von Sprache ergeben. Beide führen zu einer Konzeptualisierung von Sprachenlernen, die dieses, zugespitzt gesagt, nicht mehr als ein Lernen in einem staubfreien Computerchipraum erscheinen lassen. 4. Was bedeutet hier anthropologische Perspektive? Die anthropologische Perspektive wird in diesem Ansatz besonders hervorgehoben, weil ich hierdurch betonen will, dass in diesem Ansatz der lernende Mensch in seiner Welt gemeint ist. Allerdings grenze ich mich in dem hier vertretenen Verständnis von Anthropologie von dem Versuch von Martin ab, der unter Rückgriff auf pädagogische Anthropologie eine im Ganzen kognitivistische Lernerkonstruktion vornimmt (Martin 1994). Wie wird hier nun Anthropologie verstanden? Warum wird von mir überhaupt eine Bestimmung des Lernens von Sprachen aus c; ler Anthropologie gesucht? Die Beantwortung beider Fragen ist, wie sich zeigen wird, auf das Engste miteinander verbunden. Anthropologie hat viele Ausrichtungen, und bereits die Edition eines Bandes mit speziellen Autoren ist, wie Gebauer sagt, selbst ein Beitrag zur Ortsbestimmung der Anthropologie. In der philosophisch-linguistischen Anthropologie, der ich hier folgen werde, wird eine weite Sicht auf den Menschen eingenommen. So formuliert Gebauer: "Die Linie, die hier gezogen wird, ist eine[...] Antwort auf die Frage, was 'Anthropologie' sei: Menschen werden mit ihrer spezifischen materiellen Beschaffenheit, in ihrer Lebenswelt, unter ihren Lebensbedingungen gesehen mit den Augen ihrer Mitmenschen, zum Gegenstand philosophischer Untersuchungen gemacht. Alle Bestimmungsstücke dieser Explikation von 'Anthropologie' sind vielfach deutungsfähig und historisch wandelbar: Die materielle Beschaffenheit des Menschen ist von Natur aus gegeben und mit der nicht-humanen Natur verbunden. Aber der menschliche Körper ist außerordentlich lernfähig; er ist unter dem Einfluß anderer und aufgrund seiner eigenen Handlungen von den ersten Lebenstagen an veränderbar. Er ist, obwohl unter den Ausgangsbedingungen seiner biologischen Natur stehend, ein Produkt seiner selbst. Seine Konstruktionen können sich noch so weit von ihm entfernen sie werden nie vollständig unabhängig von ihm; sie bleiben auf ihn bezogen" (Gebauer 1998: 7). Der anthropologische Linguist Duranti gründet seine 1997 erschienene Monographie zur anthropologischen Linguistik auf die Basisannahme, dass "humans are thoroughly languageconstituted beings" (Duranti 1997: 24). Menschen sind in der Welt, und die Welt ist für die Menschen nur durch einverleibte Praktiken möglich. Diese Praktiken sind gebunden an die einverleibte Sprache (vgl. Duranti 1997: 18-21). Diese Sicht des Menschen in seiner materiell körperlichen Beschaffenheit, in die auch seine Sprache gebunden ist, ist in der Sprachlehrforschung/ Zweitsprachenerwerbsforschung vollkommen verloren gegangen. Der dort herrschende wissenschaftliche Diskurs, der gegenwärtig in der Sprachlehrforschung geführt wird, hat den Menschen, wie ich oben zeigte, reduziert auf seine kognitiv mentalen Prozeduren. Wie aus dem Zitat von Raabe oben deutlich wurde, ist nicht mehr zu erkennen, dass es dort um einen Menschen in seiner materiellen Beschaffenheit beim Sprachenlernen geht. lFLUDL 29 (2000) Anthropologisch-narrative Didaktik des fremdsprachlichen Lernens 113 Die raum-zeitlichen Veränderungen, denen der Mensch in seiner körperlichen Materialität unterliegt, und die er vor allem selbst gestaltet, werden nicht berücksichtigt. Der Mensch in der kognitiven Theorie ist ein Mensch, der von Veränderungen unberührt bleibt und vor allem selbst keine initiiert. Gerade das ist jedoch für jede Vorstellung von Lernen außerordentlich schädlich, da darin der Umstand geleugnet wird, den z .. B. Gebauer und Duranti nachdrücklich betonen, dass Menschen sich in der Zeitlichkeit und der Räumlichkeit, in der sie sich befinden, konstant und absichtsvoll verändern und ebenso konstant und absichtsvoll auf diese Zeitlichkeit und Räumlichkeit einwirken. Zentral ist dabei die Einsicht, dass der Mensch mit seinen Praktiken und seiner Interpretation den Kern der Verschmelzung seiner Zeit und seines Raumes bildet. Der Mensch ist also den Veränderungen von Zeit und Raum nicht ausgeliefert. Der Mensch, wie er hier gesehen wird, und damit auch zugleich immer der lernende Mensch, schafft in sich eine Identität von Zeit und Raum. Diese Identität von Zeit und Raum, diese Zeiträumlichkeit seiner Gegenwart, schafft der Mensch durch seine einverleibte Sprache. Der Lernende ist in diesem anthropologischen Verständnis eben kein „idealer" individueller Lernender, der zugleich auch immer als ein Mängelwesen gesehen wird, dem eine Sprache vermittelt wird, die im Grundsatz fixiert ist. 3 Ich komme zu einer Bilanz aus meiner anthropologischen Sicht: die Sprachlehrforschung ist in ihren Konzepten heute versteinert. Sie bewegt sich in ihrer exklusiven Fixierung auf kognitive Ansätze in einem hermetischen Raum, einem Raum also, in den nichts Neues mehr eindringen und aus dem auch nichts mehr herausdringen kann. Der wissenschaftliche Diskurs ist nur noch mit sich selbst beschäftigt, und seine unterrichtsmethodischen Vorschläge bleiben folgenlos. An anderer Stelle resümiere ich diese Situation unter Abwandlung einer Aussage des Soziologen Turner (1991: 24 ): „Das Lernen überhaupt bzw. das Sprachenlernen ist angesichts der globalen Neuorientierung und der daraus folgenden Anforderungen an beides in eine bisher nie gekannte Krise geraten. Es ist nicht länger gewährleistet, dass diese Krise durch die menschliche Rationalität allein gemeistert werden kann. Es besteht der Argwohn, dass diese Krise überhaupt erst durch die ausschließliche Fundierung des Lernens und des Sprachenlernens in rational-linearen Konzepten entstanden ist" (Schwerdtfeger 2000). Noch problematischer ist jedoch der Umstand, dass dieses Modell von Lernen das Entscheidende ignoriert, auf das wir durch die Überlegungen aus der Anthropologie (wieder) aufmerksam werden, dass Menschen in ihrer körperlichen Materialität sich innerhalb wandelnder Umwelten wandeln, d.h. einerseits die Wandlungen initiieren, andererseits sich immer wandeln, um in den neuen Bedingungen zu leben. Das Lernen von Sprachen ist dagegen für mich ein Vorgang der Einverleibung, der an das materiell körperliche Selbst des Menschen, seine Sprache als einer einverleibten Praxis und die damit immer zugleich einhergehenden sinnlichen und emotionalen Möglichkeiten gebunden ist. Um dieses Konzept des Lernens von Sprache zu präzisieren, sollen die grundlegenden Vorstellungen, von denen ich dabei geleitet werde, Zug um Zug verdeutlicht werden. Vgl. zu diesen hier genannten Punkten die kritische Arbeit von Firth/ Wagner ( 1997) und deren ausführliche Diskussion in Schwerdtfeger (2000). FlLUIL 29 (2000) 114 lnge Christine Schwerdtfeger 5. Zeitlichkeit und Räumlichkeit Die Lernenden, die im Zentrum des anthropologisch-narrativen Ansatzes stehen, sind Lernende, die in einer Gegenwart leben, die geprägt ist von bisher nicht bekannten Formen von Zeitlichkeit und Räumlichkeit. Diese Veränderungen sind nicht über uns gekommen durch eine fremde unbekannte Macht, sondern sie werden ständig neu definiert durch die von uns geschaffene mediale Vernetzung und unsere ständige neue Verortung in diesen raumzeitlichen Bezügen. Soziale Räume verschmelzen, und die Linearität von Zeit ist in ihnen aufgehoben. Zeit wird nicht mehr linear erlebt, sondern eine simultane und punktuelle Zeitstruktur dominiert. Diese Veränderungen in der Zeitlichkeit sind auf das Engste mit unserem Selbst verbunden. Wir redefinieren unsere Identitäten in diesen punktuellen Zusammenhängen immer wieder neu. Währe_nd Nowotny (1992) diese Einsichten konstatiert, geht Sennett (1-998) bei einer identischen Einschätzung der Gegenwart weiter und zeigt deren mögliche problematische Folgen auf. Nowotny arbeitet heraus, dass im Zusammenhang mit der Veränderung der linearen Zeit die autonome Strukturierung von Zeit, die zur persönlichen Erfahrung, persönlichen Sinngebung in der Welt passt, beständig an Gewicht gewinnt. Die Strategien im Umgang mit der Zeit verändern sich im Rhythmus mit dieser nicht mehr linearen Zeit. Ereigniszeit, sagt Nowotny, die es gestattet, die Einzigartigkeit eines Momentes zu feiern, wird kontinuierlich gesucht. Wie sollen Lernende, die in ihrem Leben durchgehend von ihren Ereignis-orientierten Zeitstrategien geprägt sind, mit der weit hinausgeschobenen Befriedigung bei einem schulischen Fremdsprachenkurs umgehen? Sie können es nur schwer. Ist diese Einsicht nicht die Antwort auf die Frage, warum sich Jugendliche vor schulischem Fremdsprachenlernen „drücken"? Dagegen suchen sie außerhalb oder auch innerhalb der Schule, wenn sie es denn bietetdurchaus nach Fremdsprachenunterricht, aber er muss kurz, "knackig", übersichtlich sein und am Ende ein Zertifikat bieten, das klar macht, sie haben an diesem Kurs teilgenommen. In diesen Kursen wird den Lernenden, die sonst im Fremdsprachenunterricht versagten, unmittelbare Befriedigung geboten (s. z.B. der Ansturm auf und das Engagement von Lernenden des Französischen innerhalb und außerhalb des Französischunterrichts auf DELF und DALF jenseits von den traditionellen Inhalten des Unterrichts). 4 Einen ähnlichen Wandel erfahren wir bei unserem Umgang mit Raum: „Dies liegt vor allem an der körperlichen Erfahrung, die die neue Geographie ermöglicht hat: die Erfahrung von Geschwindigkeit. Die Menschen reisen heute mit Geschwindigkeiten, die unsere Vorfahren sich nicht vorzustellen vermochten. Die Technologien der Bewegungvon Automobilen bis zu Autobahnen ließen die menschlichen Siedlungen über die hochverdichteten Zentren hinaus in periphere Räume wuchern. Raum wurde so ein Mittel zum Zweck reiner Bewegung heute messen wir städtischen Raum daran, wie leicht wir ihn durchqueren urid verlassen können" (Sennett 1995: 24). 4 Ich danke für diesen Hinweis Frau Dr. Ingeborg Christ; DELF: Diplome d'Etudes en Langue Fram; aise, DALF: Diplome d'Etudes Approfondies en Langue Fram; aise. Herrn Dr. Horst Raabe danke ich für den Hinweis auf die drei Veranstaltungen zu DELF im Rahmen des FMF-Kongresses 2000 und auf das Lehrbuch vom Klett Verlag: DELF dans la classe defranrais. JFlL1UllL 29 (2000) Anthropologisch-narrative Didaktik des fremdsprachlichen Lernens 115 Ähnliche Bilanzen wie Sennett, dass der Umgang mit Raum heute veränderte Merkmale trägt, ziehen Geertz (1988: 129-149) und vor allem Waldenfels (1985: 206-211): Die menschliche Inbesitznahme von Raum ist gekennzeichnet durch Zwischenaufenthalte, Übergänge, Polyzentrik, Vertrautheit in Mitten von Fremdheit und Fremdheit in Mitten von Vertrautheit. Diese neuen Verstehensweisen von Zeit und Raum sind nicht getrennt voneinander zu sehen, sondern in tiefer Komplementarität aufeinander bezogen. Ich schaffe also nicht, wenn ich diese neuen Formen von Zeitlichkeit und Räumlichkeit hier charakterisiere, eine neue Dichotomie, die sich an die in der kognitiven Spracherwerbsforschung bereits vorhandenen Dichotomien nahtlos anschließen ließe. Diese Dichotomien, die bis heute in der kognitiv ausgerichteten Sprachlehrforschung widerspruchslos hingenommen werden und deren wesentliche Arbeitsgrundlagen bilden, sind z. B.: Sprache und Kultur; fremd und eigen; Sprachwissen und Sprachkönnen; Lernen und Erwerben; Emotion und Kognition; Theorie und Praxis. Eine solche Dichotomisierung erfolgt hier mit den Konzepten von Zeitlichkeit und Räumlichkeit nicht. Im Menschen, in seinem Selbst findet sich der Schnittpunkt der Koordinaten von Räumlichkeit und Zeitlichkeit. Er schafft ihn und sein Selbst immer neu durch seine Sprache. In der weiteren Darlegung der Grundlagen des anthropologischnarrativen Ansatzes wird sich die Kernbedeutung dieser hier getroffenen Feststellung nachhaltig erschließen. Doch zunächst weiter auf dem Wege dorthin. 6. Sekundäre Mündlichkeit und Bildlichkeit Unsere Gegenwart ist nicht nur geprägt durch eine nachhaltige Veränderung der Raum- Zeitlichkeit, sondern auch durch eine allgegenwärtige Bildlichkeit. Diese allgegenwärtige Bildlichkeit führt zunehmend in eine Zeit sekundärer Mündlichkeit (Silverstone 1991). Dieses Konzept knüpft zunächst an die Zeit vor der Erfindung des Buchdruckes an, in der die Übermittlung von Wissen vorherrschend durch das Sehen von Bildern und Zuhören geschah (Wenzel 1995). Wenzel dokumentiert, dass in jener Zeit der Mündlichkeit"als Sehen und Hören in dieser Weise dominierten, die Menschen durch den Einsatz ihres ganzen Körpers zu aus heutiger Perspektive erstaunlichen Gedächtnisleistungen fähig waren. Die heutige Mündlichkeit wird sekundär genannt, da sie sich auf der Folie von Schriftlichkeit entwickelt. Ein Blick ins Internet vermag zu illustrieren, was mit der Schrift gegenwärtig geschieht. Schrift verliert ihre Linearität, sie geht mit Illustrationen eine bisher in der Welt des Druckes so nicht gekannte Symbiose ein. Eine gemeinsame Ornamentik entsteht, in der eine Dominanz der Schrift auf den ersten Blick nicht mehr zu erkennen ist. Eine Bild- Schriftlichkeit ist entstanden, ist Alltag für die Internetnutzer, die durchaus .auch auf die Jugend-orientierten Druckmedien zurückwirkt. Hieraus, aus dieser Einsicht in die sich so stark verändernde Welt, in der unsere Lernenden „zur Welt sind", sich in der Welt positionieren, folgen zentrale neue Einsichten über ganz anders akzentuierte Formen des Lernens, Formen von Lerntechniken. Diese erschließen sich jedoch in ihrer vollen Bedeutung erst, wenn wir den Menschen in dieser von ihm geschaffenen Welt genau charakterisiert haben. An dieser Stelle sei kurz noch einmal lFJLlUIL 29 (2000) 116 lnge Christine Schwerdtfeger hervorgehoben, was der hier vertretene anthropologische Ansatz bedeutet: der Mensch ändert seine Welt und verändert sich zeitgleich mit ihr. Es wird also nicht von einer Sichtweise ausgegangen, die zu einem fatalen Missverständnis führen würde, nämlich, dass sich erst die Welt und reaktiv darauf der Mensch ändert. Genau diese Sichtweise, die die Fremdsprachenforschung immer noch durchzieht, die nichts weniger ist als ein verborgener Behaviourismus, wird hier zurückgewiesen. Mensch und Welt ändern sich unverbrüchlich bezogen aufeinander, und sie tun dieses konstant. In dieser durch die sekundäre Mündlichkeit geprägten Welt erhält des Sehen des Menschen, sein Blick, eine zentrale, die zentrale Bedeutung. In der bisherigen Fremdsprachendidaktik und -methodik führt das Sehen des Menschen, sein Blick, immer noch ein Schattendasein. 1989 wurde die Anerkennung des Sehverstehens als einer „Fertigkeit" für Sprachenlernen in einem anthropologischen Verständnis eingefordert (Schwerdtfeger 1989). Was darauffolgte, war ein erkenntnistheoretisch spannender Vorgang: Sehverstehen wurde zwar aufgenommen, aber in das kognitive Paradigma gefasst und verlor dadurch seine anthropologische, einverleibte Qualität (vgl. z.B. Raabe 1997). Hier wurde plötzlich ein „alphabetischer" Blick proklamiert, der vollständig mit dem Modell des kognitiven Paradigmas übereinstimmte. Der Blick wurde zu einem Blick, der letztlich immer noch durch das Schreiben bestimmt war, der „alphabetisch" lineare Blick wurde in Modellen dargelegt. Auf diese Modelle passt die Charakterisierung des traditionellen Blicks von Romanyshyn, obwohl nicht für unsere Zusammenhänge gemeint: ein "ego-ocular-verbocentrism" (Romanyshyn 1993: 340) wurde verstärkt, bei dem der Lesende "turns out tobe a disincarnate mind, a head minus a body, a bodyless reader" (ebd.: 347). Die Einpassung in das herrschende Paradigma obsiegte über den Menschen in seiner Leiblichkeit, er ging verloren in den Diagrammen der kognitivistischen Argumentation. Diese eigentümliche Situation wird von Levin, wiederum nicht primär auf .sprachliches Lernen bezogen, überaus prägnant charakterisiert: "Until recently, modernity was determined by the hegemony of a literate vision, the vision that created and reproduced the culture of the book. This vision is abstract, emotionally detached, disembodied, monadic and linear[...]" (Levin 1993: 4). Hier sind wir jetzt an dem Scheitelpunkt dieses anthropologisch-narrativen Konzepts des Lernens angelangt: in seinem Zentrum steht die sehende Person, die ihr In-der-Welt-Sein ständig interpretierend und für sich sinnstiftend konstituiert. Ihre Augen sind „keine Fenster [...], die wie ein inneres Auge auf objektive Wahrheiten schaut. Auch schicken die Augen keine Bilder einer 'Realität' in das Gehirn zurück, die dann von ihm analysiert werden" (Smith 1992: 45 [übersetzt von mir]). Die Richtung des Blicks des Menschen ist zunächst zentral bestimmt und begrenzt durch seinen Körper. Dieses ist die Essenz des menschlichen In-der-Welt-Seins und auch Zur- Welt-Seins. Diese Einsicht, erstmalig von Merleau-Ponty in seiner Phänomenologie der Wahrnehmung umfassend entwickelt, wird heute abgesehen von der Fremdsprachenforschung in den Humanwissenschaften zunehmend zur Grundlage aller Konzeptualisierungen. So heißt es in dem zentralen einführenden Kapitel von Richard Stevens' ediertem sozialpsychologischen Werk: "Embodiment is central to being a person. The body is the vehicle for the exercise of our skills, for communicating and relating to others. lt is on the body that our very existence as persons depends. The way it functions (or fails to function) can change the basic ground of our experience" (Stevens 1996: 17). IFLllL 29 (2000) Anthropologisch-narrative Didaktik des fremdsprachlichen Lernens 117 Dieser einverleibte Blick wird nicht mehr in die Linearität gezwungen, sondern es wird vorausgesetzt, dass er springt, an den Stellen verharrt, die für den schauenden Menschen bedeutungsstiftend sind. So ist das Sehen immer intentional, auf persönliche Sinnstiftungen gerichtet. Hieran zeigt sich die Verschränkung der Folgen der sekundären Mündlichkeit mit dem Sehen der Menschen. Der Blick des Menschen ist in der Anerkennung seiner leiblichen Gebundenheit und Intentionalität narrativ. So sage ich, der narrative Blick des Lernenden ist immer eine auf den anderen, das andere gerichtete Aktivität, die immer schon darin sozial ist, dass sich der Mensch blickend mit dem anderen beschäftigt, auf ihn zugeht. Dieses ist gerade das Neue des narrativen Blicks, im Gegensatz zum despotischen Blick des Lernenden im Fremdsprachenunterricht, der bisher nur in eine Richtung gezwungen wird. Das Konzept des narrativen Blicks fordert die Tradition des despotischen Blicks heraus: "[...] its values of linear rationality, contextual coherence, narrative continuity, focused concentration, infinite progress, individual privacy, productive efficiency, detached comprehensiveness, and neutral objectivity" (Romanyshyn 1993: 340; vgl. Crary 1990). Das einverleibte Selbst einer sehenden Person ist die „Schwerkraft", die alle Sinnstiftungsprozesse des Menschen zusammenhält (Bruner 1995: 26). Den Kern dieser S_chwerkraft bilden, so Dennett (1991/ 1992), die Narrationen einer Person, die sie in ihren Sinnstiftungen vollzieht. Biologische, soziale, narrative Gegebenheiten und Ereignisse sind verschränkt in den Koordinaten unserer jeweiligen Räumlichkeit und Zeitlichkeit und verschmelzen zu der Essenz unseres Selbst. 7. Das narrative Selbst Immer wieder gebrauche ich den Begriff der Narration. Um von vornherein jedes Missverständnis zu vermeiden, hebe ich nachdrücklich hervor, dass dieses Verständnis von Narration nicht identisch ist mit dem konventionellen literaturwissenschaftlichen oder linguistischen Gebrauch von Narration in der Nachfolge von Propp. Der hier gebrauchte Begriff von Narration entstand in der narrativen Wende der Psychologie (Bruner 1990) und wurde daraus fortentwickelt. Narration ist in meinem Zusammenhang eine anthropologische Kategorie im Sinne Polkinghornes: "The story that serves to configure a persons's life into a seif and to provide personal identity is the seif-narrative" (Polkinghorne 1991: 145). Diese Narrationen des Selbst sind gebunden an ein Konzept von Zeitlichkeit, das hier durchgehend im Zentrum steht. Mit Denzin unterscheide ich Zeit bezogen auf die Narrationen in zwei Ebenen, zunächst die chronologische Zeit, welche die Oberfläche bildet, und eine „tiefe" Zeit, die zentral mit den Narrationen einer Person verbunden ist: "At the deep level of the social, time ist experienced phenomenologically, in terms of inner temporality, as a flowing stream of ongoing, interconnected experience" (Denzin 1988: 61). Dieser Fluss von Narrationen, der geprägt ist von tiefen Gefühlen, wird von dem Selbst nicht in „sauber" aufeinander folgende Akte erlebt, sondern überlappend, vielfach geschichtet undwährend seiner Lebenszeit niemals endend. Noch deutlicher wird der Unterschied zwischen dem anthropologischen und dem literaturwissenschaftlichen Narrationsverständnis, wenn wir es aus der Perspektive des Autors einer literarischen Erzählung betrachten. Ein Autor konzipiert seine Geschichte, er hat sie lFILlllL 29 (2000) 118 Inge Christine Schwerdtfeger „unter Kontrolle", die Person, das Selbst in der Welt und zur Welt, erzählt ihre/ seine Geschichte und muss sie ständigen Revisionen unterziehen: "We have to revise our plots when events impose themselves in such a way that we cannot complete the story as planned" (Polkinghorne 1991: 146). Hierbei zeigen wir uns in den Narrationen als durchaus veränderlich und uns verändernd. Das Selbst entsteht durch die Narrationen, durch die „narrative Schwerkraft" (Dennett 1991/ 1992). Die Einheitlichkeit unseres Selbst wird von uns durch editorische, Geschichten generierende Prozesse beständig geschaffen. Hierbei könnte der Eindruck entstehen, dass die Narrationen nur selbst-zentriert sind. Diese Selbstzentrierung der Narrationen ist deshalb nicht möglich, weil das In-der-Welt-Sein sich immer auf andere bezieht, diese konstant in seine Narrationen einbindet (vgl. Polkinghorne 1991: 147). Es gibt keine Trennung zwischen dem narrativen Selbst eines Menschen und seiner Sprache, daher ist Sprache narrativ (Bruner 1990: 99-138). Im anthropologisch-narrativen Ansatz wird jedoch der Umstand besonders betont, den Bruner nicht explizit macht, dass Narrationen und damit auch Sprache immer einverleibt sind. Das narrative Selbst gründet sich auf seiner stets als einverleibt zu verstehenden Imagination. Sehen, Imagination, Denken und Handeln sind im Konzept des Narrativen unauflöslich miteinander verbunden. Was ist nun Imagination? Ich folge hier dem Verständnis von Imagination, wie es von Smith gegeben wird: "For once, the dictionary provides a reasonable description of what the brain is doing when imagination is defined as the forming of mental concepts of what is not actually present to the senses, the mental consideration of actions or events not yet in existence, and the conception of the absent as if it were present. In short imagination is the creation of possible realities, including the reality we actually inhabit" (Smith 1992: 45). Und so muss ich mich nicht absichtsvoll bemühen, sondern ich habe sie immer (vgl. Smith 1992: 46). Imagination ist die Fähigkeit einer Person, auch das Mögliche zu denken. Sie ist eine Fähigkeit, in der Wahrnehmung, Erinnerungen, Gefühle, Kreativität und vor allen Dingen auch bildliche Vorstellungen zusammen wirksam sind. So ist Imagination nicht von kognitiven Prozessen zu trennen. Im Gegenteil, sie ist die Wurzel kognitiver Vorgänge. Imagination ist eine strukturierende Aktivität keine notwendig lineare, durch die Menschen kohärenten Sinn aus den sie umgebenden Ereignissen machen. Seine Imagination schafft dem Menschen in seiner zeit-räumlichen Gebundenheit vereinheitlichende Bedeutung, die es ihm gestattet, Probleme zu lösen (vgl. Johnson 1987: 168). Die einverleibte Imagination durchdringt jeden Aspekt unseres Alltags, sie durchdringt Lernen und somit auch das Lernen von Sprachen. Narrationen und Imagination werden durch ihre Metaphorizität in gleicher Weise bestimmt. Metaphern werden angesehen als Keimzellen für die Narrationen von Menschen, deren Selbst durch die narrative Schwerkraft entsteht (vgl. Dennett 1991/ 992). Metaphern entstehen vorbewusst aus körperlichen Erfahrungen. Solche körperlichen Erfahrungen sind z.B. der Körper als Behälter, der Körper in Balance, der Köper in einer Aufwärts-und einer Abwärtsbewegung. Hierdurch entstehen in der Imagination image schemata als non-propositionale Strukturen, durch die Menschen ein ordnendes Prinzip für ihre Erfahrung erlangen. Solche image schemata sind z.B. das Balance-Schema, das Behälter-Schema. Johnson versteht Metaphern "as a pervasive mode of understanding by which we project patterns from one domain of experience in order to structure another domain of a different kind. So conceived, metaphor is not merely a linguistic mode of expression; rather, it is one of the IFLuL 29 (2000) Anthropologisch-narrative Didaktik des fremdsprachlichen Lernens 119 chief cognitive structures by which we are able to have coherent, ordered experiences that we can reason about and make sense of' (Johnson 1987: xiv-xv). Durch die metaphorische Übertragung fortlaufender körperlich gemachter Erfahrungen auf nicht-körperliche, wird Verstehen möglich. 5 "Our embodiment is essential to who we are, to what meaning is, and to our ability to draw rational inferences and to be creative. My phenomenological description of image-schematic experiential structures and their figurative elaborations and projections onto abstract domains of understanding is the basis for an enriched account of human meaning and rationality" (Johnson 1987: xxxviii). In diesen metaphorischen Projektionen, die wir konstant vollziehen, wird die klassische Trennung zwischen der kognitiven und emotiven Funktion von Sprache nicht mehr aufrecht erhalten. Ebenso wird die cartesianische Trennung zwischen Mensch, Sprache und Welt überwunden. 8. Abschließende Überlegungen zur Erforschung und praktischen Umsetzung eines Fremdsprachenunterrichts auf anthropologisch-narrativer Grundlage Im folgenden abschließenden Teil werden in der Form von Fragen bzw. kritischen Thesen und deren Beantwortung einige Umrisse für einerseits die Erforschung des fremdsprachlichen Lernens, andererseits Hinweise für das unterrichtliche Handeln bezogen auf den hier entwickelten Ansatz gegeben. • Welche Folgen hat dieser Ansatzfür die Eiforschung des fremdsprachlichen Lernens? Sicher ist, dass, um Lernvorgänge auf anthropologisch-narrativer Grundlage zu erschließen, neue Forschungsmethoden entwickelt werden müssen. Forschungsmethodische Ansätze sind durchaus schon vorhanden, etwa von Holstein/ Gubrium (1994), Polkinghorne (1989) oder eine Reihe von Beiträgen in Valle (1998). Wichtig ist hierfür die Erkenntnis, dass in diesen neuen Forschungsansätzen eben nicht der Versuch unternommen wird, wie er immer noch weitestgehend bei der auf der Basis naturwissenschaftlicher Forschungsdesigns modellierter Zweitsprachenerwerbsforschung unternommen wird, bestimmte Vorgänge zu kontrollieren und schließlich auch vorherzusagen. In Abgrenzung davon wird hierin mit den Worten Polkinghornes folgendes beabsichtigt: "Productive phenomenological research supplies a deeper and clearer understanding of what it is like for someone to experience something" (Polkinghorne 1989: 58). Hier wird davon ausgegangen, dass das Lernen (von Sprachen) ein sehr persönlicher Vorgang ist, der sich nicht in abstrakte verallgemeinerbare Formeln über Sprachenlernen verwandeln kann. • Ist die Aussage des Einverleibens des Lernens nicht vollkommen übertrieben oder gar an den Haaren herbeigezagen? „Diese Fragen sollte ich mir in den folgenden Sitzungen immer wieder stellen. Mir ist inzwischen klar geworden, dass ich gar keine unterschiedliche Auffassung zu diesem Thema habe, ich habe mir nur noch nie bewusst gemacht, wie ich lese und lerne. Lesen ist so ein selbstverständlicher Für eine Diskussion über Johnsons Metaphemverständnis danke ich Andreas Meyer. FLllL 29 (2000) 120 lnge Christine Schwerdtfeger und fast schon unbewusster Akt geworden, dass mir gar nicht mehr klar war, dass ich eine sehr 'aktive' Art entwickelt habe, um zu lesen. Erst zu Hause, als ich für eine Klausur lernen wollte, verstand ich, was die anderen Kursteilnehmer meinten, wenn sie sagten: ich lese und lerne einen Text mit meinem ganzen Körper. Jetzt[...] kann ich [...] sagen, mit welch einer Leiblichkeit ich lese: Ich mache Gesten mit meinen Händen während des Lesens, so als wollte ich mit meiner Hand einen Takt oder eine Art Rhythmus in den Text einbringen, um flüssiger lesen zu können; falls das Lesen dadurch nicht flüssiger wird, stehe ich sogar auf und spaziere durch meine Wohnung (mit dem Buch in der Hand) und mache rhythmische Schritte von der Küche bis zum Bad und in den Flur. Während des Lesens unterstreiche ich eigentlich nur, wenn ich diesen Text z. B. für ein Seminar bearbeiten soll; lerne ich aber für eine Prüfung, so wird gar nicht erst unterstrichen, sondern die Kernaussagen abgeschrieben; meine handschriftliche Arbeit wird dann in einem zweiten Durchgang gelesen (und wieder mit meinem persönlichen Rhythmus unterlegt) und das sozusagen 'Wichtigste vom Wichtigen' wird dann unterstrichen (meist nur in einer Farbe). Habe ich all diese Schritte erledigt, kann ich meistens behaupten: 'Der Text ist drin (im Kopf)'. Und wenn das mal nicht Leiblichkeit beim Lesen/ Lernen ist! " 6 Die Entdeckung der eigenen leiblichen Vorgänge beim Lesen und Lernen, die immer schon angewendet werden, und die nachdrückliche Förderung solcher Techniken ist eine wichtige Aufgabe, die den Lernvorgang von Sprachen durchgehend begleiten sollte. Eine Übung, die im Unterricht diesen persönlichen Vorgang allen Lernenden verdeutlichen kann, ist das Auswendiglemen von zufälligen Begriffen in einer sehr begrenzten Zeit. In zahlreichen Versuchen in vielen verschiedenen Regionen der Welt wurde dabei den Lernenden und je nach Veranstaltung den Lehrenden deutlich, dass Leiblichkeit und Narrativität im hier dargelegten Vers.tändnis die Grundpfeiler unserer persönlichen Lernvorgänge sind. • In diesem Ansatz soll den Lernenden nicht zugemutet werden, " beim Lernen ein zu hohes Maß an Konzentration aufbringen zu müssen. Schülerinnen und Studentinnen sollen z.B. beim Lernen ein hohes Maß an Heimatgefühl und Kuscheligkeit e,fahren, um den Lernprozess zu optimieren. Es soll nicht mehr verlangt werden, dass sich Schülerinnen auf den geistigen Prozess des Lernens und den Lernstoff konzentrieren. Hier wird ein fauler und verwöhnter Schüler vorausgesetzt, dem alles so einfach wie möglich gemacht werden soll. " 7 Richtig ist, dass mit diesem neuen Verständnis von Lernen das (institutionelle) Lernen von Sprachen aus dem Bereich des Schattens, des Unsinnlichen und Freudlosen herausgeführt werden soll. Dass diese neue Art zu lernen, das anthropologisch-narrative Lernen, jedoch Faulheit, Bequemlichkeit undAntiintellektualismus fördert, ist ein Missverständnis, das der Klärung bedarf. Die Imagination, die einverleibt ist, strukturiert die Kognition, ersetzt sie nicht. Dieses wurde weiter vom verdeutlicht. Beide sind ineinander verschränkt, wobei allerdings die einverleibte Imagination hier der die Strukturierung der Kognition auslösende Vorgang ist. Da dieses Lernen den ganzen Menschen im wörtlichen Sinne fordert, verhindert sie geradezu Faulheit und Bequemlichkeit. 6 Diese Erfahrungen wurden von Barbara J. schriftlich im Nachgang zu einer Lehrveranstaltung im Sommersemester 1999: Leiblichkeit, Sehen und Fremdsprachenlernen niedergelegt und mir eingereicht. 7 Schriftliche Stellungnahme mir eingereicht von Peter S. anlässlich der Lehrveranstaltung Leiblichkeit, Sehen und Fremdsprachenlernen im Sommersemester 1999. IFLilL 29 (2000) Anthropologisch-narrative Didaktik des fremdsprachlichen Lernens 121 • Gibt es bereits Übungen far den Fremdsprachenunterricht, in denen dieser Ansatz verwirklicht wird? Übungssammlungen und Übungsskizzen liegen zum Bereich Deutsch als Fremdsprache zu folgenden Schwerpunkten vor: Seh-Hörverstehen; Fremd und Eigen; Metaphern; Grammatik und zu den dafür jeweils im Unterricht vorausgesetzten Sozialf~rm~n.und dem hierfür notwendigen Wandel in der Lehrerrolle. Literatur BRUNER, Jerome (1990): Acts of / tfeaning. Cambridge, Mass. & London: Harvard University Press. BRUNER, Jerome (1995): "Meaning and Self in. Cultural Perspective". In: BAKHURST, David/ SYPNO- WICH, Christine (eds.): The Social Seif. London [usw.]: Sage. BRUNER, Jerome (1996): The Culture of Education, Cambridge, Mass.: Harvard University Press. COOK, Vivian (1992): "Relating Second Language Acquisition Research to Language Teaching". In: Die Neueren Sprachen 91.2, 115~130. CRARY, Jonathan (1990): Techniques of the Observer- On Vision and Modernity in the Nineteenth Century. Cambridge, Mass. & London: MIT Press. DENNETT, Daniel C. (1991/ 1992): Consciousness Explained. London: Allen Lane. 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By closely looking at the curricular activities co-ordinated over the last ten years by the State Institute for Schools and Adult Education (Soest, Northrhine-Westfalia) three major areas of innovation in foreign Ianguage teaching are identified: (i) Integrating individual language subjects into a whole-school multilingual pedagogical policy emphasising horizontal co-ordination across subject boundaries including language maintenance programmes for children coming from migrant families; (ii) Linking content and Ianguages and establishing concepts of content-based language leaming for more effective language learning; (iii) Empowering schools as well as leamers to self-evaluate their work and to take more responsibility for language teaching and language acquisition (European Language Portfolio). Many schools have already established very effective programmes for the three areas mentioned. Many others need professional help by experts. However, there are still serious institutional obstacles to innovation and change being deeply embedded in a centrally organised state school system. 0. Vorbemerkungen Dem Himmel sei Dank, dass es nicht einmal in Deutschland erst wohlbegründeter Theorien bedarf, bevor sich die Schule mit ihren Lernangeboten wandelt. Mehr denn je verläuft die Dynamik der Veränderung in umgekehrter Richtung: In der Schul- und Unterrichtswirklichkeit entsteht etwas Neues, und die Didaktik mit ihren Expert/ innen sichert post factum diese Innovationen konzeptuell ab. Sie gerät dabei möglicherweise in fruchtbaren Streit, der wiederum über Forschung, Lehreraus- und -fortbildung zur Stabilisierung, Differenzierung und Optimierung schulischer Innovationen führt. Diese Innovationen haben unterschiedliche Ursachen: • Sie spiegeln zum einen neue gesellschaftliche und bildungspolitische Prioritäten wider (z.B. Orientierung an sprachlicher und kultureller Pluralität im europäischen Kontext vs. Orientierung an nationalstaatlich geprägten sprachlichen und kulturellen Standards und Inhalten). 1 • Sie greifen für den Fremdsprachenunterricht Entwicklungen auf, die in anderen pädagogischfachlichen Bereichen entstanden sind (z.B. Sorge um Unterrichtsqualität als Folge von TIMSS oder anderen internationalen Leistungsvergleichen). • Sie setzen neue Erkenntnisse aus den Bezugsdisziplinen der allgemeinen Pädagogik für den Fremdsprachenunterricht um (z.B. Stellenwert der Kognition und der Trend von der Instruktion zur Konstruktion und zur Lemerautonomie). Für die veränderten Prioritäten, die sich aus den großen Wanderungsbewegungen ergeben, sei hier vor allem Gogolin (1994) genannt, für den fremdsprachenpolitischen Bereich, der insbesondere durch den wirtschaftlichen und politischen Zusammenschluss der EU neue Impulse erhielt, der Sammelband Gnutzmann/ Königs/ Pfeiffer (1992). IFLllliL 29 (2000) Impulse aus der Praxis der Curriculumentwicklung für die Weiterentwicklung ... 125 • Schließlich können sie auch binnenfachlich motiviert sein, wenn didaktisch-methodische Konzepte in der Schulpraxis nicht mehr als effizient empfunden werden (z.B. Abkehr von der inhaltsarmen Pragmatik der Kommunikationsdidaktik, Hinwendung zur Inhalts- und Themenorientierung sowie zu methodischen Ansätzen, die kreatives Gestalten in den Vordergrund rücken). Anhand einer Zwischenbilanz zu den Modellversuchen und zu den Schwerpunkten curricularer Entwicklungen am Landesinstitut für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein- Westfalen in Soest lassen sich wenigstens drei Felder umreißen, für die sich aktuell innovative Veränderungen der Praxis des schulischen Lehrens und Lernens von Sprachen abzeichnen, wobei damit keinesfalls gesagt sein soll, dass sich die schulische Wirklichkeit bereits in Gänze oder wenigstens in großen Anteilen auf diejenigen Positionen eingelassen hat, die im Folgenden beschrieben werden. Vielmehr geht es hier darum, dafür aus schulischer Sicht Entwicklungsnotwendigkeiten zu definieren und Beistand und Unterstützung der Experten aus Lehre und Forschung einzuwerben. 1. Erziehung zur Mehrsprachigkeit Das Landesinstitut für Schule und Weiterbildung arbeitet seit mehr als 10 Jahren mit Schulen zusammen, die besonderen pädagogisch-fachlichen Ehrgeiz entwickeln, Kinderund Jugendliche auf eine europäische Zukunft vorzubereiten. 2 Die Orientierung an der Europäischen Dimension hat für diese Schulen Konsequenzen. Lehren und Lernen zielt auf Handlungsfähigkeit in sprachlich und kulturell komplexen Situationen und auf die Akzeptanz von sprachlicher und kultureller Pluralität. Die europaorientierten Schulen zeichnen sich u.a. durch folgende Merkmale aus: 3 • Sie sind vielfältig und lebendig mit Partnerschulen in anderen Ländern verbunden und fördern grenzüberschreitende Mobilität. • Sie integrieren in ihr schuleigenes Curriculum grenzüberschreitende Vorhaben und nutzen Fremdsprachen als Werkzeug für Kommunikation, für die Erkundung und Erarbeitung von Sachverhalten sowie für die Präsentation von Ergebnissen grenzüberschreitend organisierter Projektarbeit. Dabei bedienen sie sich meist moderner Medien. • Sie setzen auf Kooperation in den professionellen Gremien (Fachkonferenzen) und schaffen funktionale Verbindungen zwischen diesen Gremien (z.B. Lernbereichskonferenz Mehrsprachigkeit). • Sie suchen Kontakt zu anderen Schulen, die sich in ihrem pädagogischen Programm an der Europäischen Dimension ausrichten und beteiligen sich an entsprechenden Netzwerken. 4 Dies erfolgte vor allem im Rahmen von zwei mit Bundes- und Landesmitteln geförderten Modellversuchen: "Lernen für Europa" und „Wege zur Mehrsprachigkeit". Die Ergebnisse zu „Lernen für Europa" sind in dem Abschlussbericht Landesinstitut für Schule und Weiterbildung (1997a) zusammengefasst. Über Ablaufund Ergebnisse des Modellversuchs „Wege zur Mehrsprachigkeit" wird in der Schriftenreihe Landesinstitut ( 1998 ff): Wege zur Mehrsprachigkeit. Informationen zu Projekten des sprachlichen und interkulturellen Lernens berichtet. , Hier auf die Schulen in NRW bezogen. Die Charakteristik dürfte für andere Bundesländern nicht grundsätzlich anders ausfallen, z.B. die Europaschulen in Hessen, Hessisches Institut für Bildungsplanung und Schulentwicklung (1994). S. dazu auch http: / / www.bildung.hessen.de/ mversuch/ europa/ index.htm 4 Z.B. die Europaschulen in Essen; s. dazu: http: / / www.europa-schulen.essen.de/ deu/ projekte/ expo.html lFLIJlL 29 (2000) 126 Eike Thürmann • Sie unternehmen besondere Anstrengungen, Sprachlernangebote zu diversifizieren, zu intensivieren und für neue Zielgruppen zu erschließen. • Sie verbinden das sprachliche mit dem (inter)kulturellen Lernen. • Sie entwickeln organisatorische, didaktische und methodische Ideen zur Optimierung des Lehrens und Lernens von Sprachen (= z.B. Intensivphasen). Sie scheuen das Risiko nicht, dabei gelegentlich Irrwege zu gehen. • Sie ermutigen Schülerinnen und Schüler zum funktionalen und problemlösenden Gebrauch der Sprachen und ordnen der Einhaltung von Normen der jeweiligen Standardsprache geringeren Stellenwert zu. • Sie erkennen den Wert von Englisch als linguafranca. • Sie bereiten die Schülerinnen und Schüler darauf vor, in zweibzw. mehrsprachigen Situationen des privaten und beruflichen Lebens sprachlich zu vermitteln. Natürlich sind diese Merkmale nicht an allen Schulen in gleichem Maße ausgeprägt. Allerdings hat sich in den Modellversuchen des Landesinstituts gezeigt, dass diese Europaorientierung in der Regel positives Engagement bei den Lehrkräften und den Schülerinnen und Schülern freisetzt und bei Eltern und Schulträgern in hohem Maße Akzeptanz findet. Bilanzierend lässt sich feststellen, dass die Europaorientierung in der übergreifenden Zielsetzung (= Handlungsfähigkeit für eine sprachlich und kulturell plurale Wirklichkeit innerhalb und außerhalb des eigenen Landes) ein starkes integrierendes Potential für Schulentwicklung besitzt und dass damit curricular arbeitsteiliges Sprachenlernen konzipierbar und realisierbar wird. "Erziehung zur Mehrsprachigkeit" signalisiert also, dass die einzelnen sprachlichen Fächer ihre Lernziele und Lerninhalte nicht a priori aus dem Bildungs- und Gebrauchswert der einzelnen Nationalsprache herleiten, sondern einem übergreifenden Ziel zum: beiten und dabei für das Lehren und Lernen alle sich anbietenden funktionalen Bezüge zwischen den Sprachen nutzen. Den jeweiligen (Fremd-)Sprachenunterricht unter das Dach der Erziehung zur Mehrsprachigkeit zu bewegen, kann auf Dauer nicht nur für Europaschulen sinnvoll sein. Vielmehr sollte ein integratives Konzept der Erziehung zur Mehrsprachigkeit zum vorrangigen Entwicklungsvorhaben für künftige Curriculumentwicklung, Lehrerausbildung und für den Regelbetrieb von Schule werden. Ein solches Konzept muss das zeigen die Erfahrungen aus den Modellversuchen in ausgewogener Weise die folgenden drei Aspekte berücksichtigen: Aspekte der individuellen Mehrsprachigkeit Aspekte der gesellschaftlichen Mehrsprachigkeit Aspekte der institutionellen, i.e. schulischen Mehrsprachigkeit Jedes Konzept, das nur einen oder zwei Aspekte thematisiert, greift zu kurz und steuert über Kurz oder Lang in Widersprüchlichkeiten und Legitimitätskrisen. Erziehung zur MehrlFILll! lL 29 (2000) Impulse aus der Praxis der Curriculumentwicklung für die Weiterentwicklung ... 127 sprachigkeit fordert den Beitrag aller zumindest aller sprachlichen - Fächerund Lernbereiche und fußt auf einer whole-school language policy, die im Schulprogramm verankert ist. Die Versuche, Mehrsprachigkeitskonzepte vertikal und additiv allein von einzelnen Schulfremdsprachen her zu denken, müssen aus pädagogischen Gründen scheitern, • weil sie jeweils sprachliches und kulturelles Lernen bi-national (e.g. deutsch-englisch, deutschfranzösisch) anlegen und somit den Schülerinnen und Schülern die gesellschaftliche, sprachliche und kulturelle Pluralität innerhalb und außerhalb des eigenen Landes nicht hinreichend erschließen (vgl. dazu u.a. Thürmann 1994); • weil sie die in den Lerngruppen angelegte natürliche Mehrsprachigkeit nicht ins didaktisch-methodische Kalkül einbeziehen und Sprachen geringer wertschätzen, die nicht im Kanon der schulischen Fremdsprachen vertreten sind; • weil sie das vom Lerner in einer Sprache erworbene Potential nicht systematisch für den Erwerb der nächsten Sprache nutzen. Erziehung zur Mehrsprachigkeit gelingt also glaubhaft nur an Schulen, die (a) alle Sprachen wertschätzen; (b) sprachliche und kulturelle Pluralität in Schule und Gesellschaft zum Gegenstand von Unterricht machen und Gelegenheiten bieten, diese auch außerhalb von Schule in realen Situationen zu erkunden und zu reflektieren; (c) neben der vertikalen Planung des Spracherwerbs (Progression innerhalb einzelner sprachlicher Fächer) auch die horizontalen Verbindungen über die Grenzen einzelner Sprachen hinweg durch jahrgangsbezogene koordinierte didaktische Planung unterstützen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der tatsächliche persönlich-private und berufliche Bedarf für bestimmte Sprachen im europäischen Kontext während der Schulzeit kaum prognostiziert werden kann. Er wird sich nach Beendigung von Schule und Ausbildung mehrfach verändern können. Erziehung zur Mehrsprachigkeit impliziert also auch die didaktische Dimension des leaming to leam languages und damit die systematische Anbahnung von Sprachlernkompetenzen, vgl. dazu u.a. Hawkins (1999). 1.1 Individuelle Mehrsprachigkeit Üblicherweise wird in der Literatur die Frage aufgeworfen, wie viele Sprachen wie gut beherrscht werden müssen, damit von individueller Mehrsprachigkeit überhaupt die Rede sein kann. Man wird den Verdacht nicht los, dass die Antworten bildungs- und schulpolitisch gefärbt sind. IstMehrsprachigkeit als Bildungsziel ein Privileg des Gymnasiums? Kann und darf sich auch die Hauptschule ein solches Ziel setzen? Wenn ja mit welchem Anspruch? Wie steht es in dieser Frage mit dem begabungs- und leistungsheterogenen System der Gesamtschule? Wird an der Realschule so viel Französisch gelernt, dass man die Absolventen als „mehrsprachig" bezeichnen kann? Ist Mehrsprachigkeif ein verpflichtendes Bildungsziel für alle? Die BLK-Modellversuche des Landesinstituts haben sich nicht in den Streit um die Quantitäts- und Qualitätskriterien für die Mehrsprachigkeit des Lerners eingemischt. Wohl aber sind sie der Argumentation gefolgt, dass mit einer zweiten Sprache allein selbst wenn sie als Arbeitssprache in anderen Fächern Verwendung findet noch nicht viel gewonnen ist. Herbert Christ (1991: 25 f) sagt dazu: lFLllL 29 (2000) 128 Eike Thürmann „So wird ob der Lernende will oder nicht mit dem Erwerb der ersten Fremdsprache eine Menge Selbstverständliches neu gesehen werden müssen; es sind eine Reihe neuer Entdeckungen zu machen. Ein Stück der Egozentrik oder der Ethnozentrik, die mit dem Erwerb der Muttersprache sich herausgebildet haben, werden mit der Ausweitung der kommunikativen Fähigkeit, mit der Vermehrung des kulturellen Besitzes, mit der Erweiterung des Bestandes an Identifikationsmöglichkeiten und an Urteilsschematismen, aber auch mit dem Kennenlernen [...] neuer Normen und Wertungen [...] abgebaut. Aber - und das ist nun das Eigentümliche beim Erlernen einer ersten Fremdsprache die Person orientiert sich zwar neu, aber sie läuft Gefahr, sich in eine neue, eine zweite sprachliche Welt einzuschließen. Sie nimmt die eine fremde Sprache als die fremde Sprache auf: Die „Gefangenschaft" des Menschen in seiner sprachlichen Welt ist damit also nicht aufgehoben, das (bewußtseinsmäßige) "Gefängnis" ist nur größer geworden. Alles ist gleichsam verdoppelt: [...] Die Fremdsprache repräsentiert nun bewußtseinsmäßig Fremdsprache schlechthin, das Land der Zielsprache präfiguriert das Bild vom Ausland. Der Erwerb einer dritten Sprache - [...] stellt nun nicht mehr bloß ein Mehr an Sprachbesitz, kulturellem Besitz usw. her, sondern er führt zu einer neuen Qualität." Diese neue Qualität ist wesentlich für junge Menschen, Handlungsfähigkeit für sprachlich und kulturell plurale Lebenswirklichkeiten zu entwickeln. Dies impliziert nicht nur die Verfügbarkeit über drei oder mehr Sprachen in unterschiedlicher Ausprägung, sondern setzt auch politische, kulturelle und soziale Einstellungen voraus, die zur Akzeptanz und Nutzung von Sprachenpluralität im zusammenwachsenden Europas führen. Die Ergebnisse der Modellversuche am Landesinstitut haben gezeigt, dass das Interesse der Schüler/ innen und ihrer Eltern an Sprachen groß ist und dass auch leistungsschwächere Kinder und Jugendliche mit Erfolg neben Englisch weitere Sprachen lernen können. 5 Die Widerstände, die einer quantitativen Ausweitung individueller Mehrsprachigkeit im Wege stehen, sind eher institutioneller Natur. Das staatliche Schulwesen, das bislang durch eng definierte Rahmenbedingungen (Sprachenkanon, Stundentafeln und Lernzeitkontingente, detaillierte curriculare Vorgaben, Rituale und Standards der Leistungsbewertung, Einstellung und Einsatz der Lehrkräfte) zentral gesteuert hat, tut sich sehr schwer, das Sprachenlernen für alle Schülerinnen und Schüler zu erweitern. Allein die Wettbewerbssituation zwischen den Fächern und Lernbereichen und an der jeweiligen Schule zwischen den Lehrkräften, die diese vertreten, lassen zur Zeit eine landesweite wahrnehmbare Intensivierung und Diversifizierung des sprachlichen Lernens unmöglich erscheinen. Mit einem generellen bildungspolitischen Konsens, der den Sprachen mehr Zeitkontingente zu Lasten anderer Fächer (etwa der Naturwissenschaften) zuweist, ist kaum zu rechnen. Schließlich bleibt auch die zweite Fremdsprache für alle Schülerinnen und Schülerselbst wenn sie auf europäischer Ebene erwünscht istin der Bundesrepublik auf lange Zeit Utopie. 6 In dem Maße, in dem die Input-Steuerung des staatlichen Schulwesens abnimmt, steigen die Chancen, dass sich Schulen - Haupt-, Real- und Gesamtschulen durch Europaorientie- 5 Im Regierungsbezirk Detmold ist z.B. erfolgreich Französisch als zweite Fremdsprache an Hauptschulen in erheblichem Umfang erprobt worden. Lehrerinnen und Lehrer haben in Sprachkursen ihr Französisch aufgefrischt und neue Unterrichtskonzepte erprobt. 6 Vielmehr wird in die Ausweitung von Englisch (als linguafranca) investiert, z.B. mit dem in die Grundschule vorverlegten Beginn als erste Fremdsprache, wie er sich jetzt für mehrere Bundesländer abzeichnet. lFLilllL 29 (2000) Impulse aus der Praxis der Curriculumentwicklung für die Weiterentwicklung ... 129 rung und die Anbahnung von Mehrsprachigkeit profilieren können. Auch Gymnasien könnten von einem Mehr an Verantwortung für die einzelne Schule profitieren und in wesentlich stärkerem Maße bislang wenigerunterrichtete Sprachen wie Arabisch, Chinesisch, Japanisch oder Portugiesisch anbieten. Dies wird dann möglich, wenn die Schulen über eigene Budgets und Personalmittel verfügen und Verträge auf Stundenbasis abschließen können. Im Übrigen hat der Modellversuch nachgewiesen, dass eine möglichst frühe Sensibilisierung in der Primarstufe und zu Beginn der Sekundarstufe I für Sprachen und das Lernen von Sprachen das spätere Wahlverhalten positiv beeinflusst. Didaktisch-methodische Konzepte für das Sprachenlernen in der Grundschule etwa von Englisch sollten daher language awareness Elemente enthalten und „Fenster auf andere Sprachen" öffnen. 7 Die dadurch zu erzielenden proaktiven Effekte für die Erziehung zur Mehrsprachigkeit sind im Grundschulalter bei durchschnittlich zwei Wochenstunden möglicherweise höher zu veranschlagen als die des systematischen Erwerbs von sprachlichen Mitteln und kommunikativen Fertigkeiten. Wie sich ein solcher Englischunterricht, der der Erziehung zur Mehrsprachigkeit zuarbeitet, didaktisch-methodisch gestalten lässt, dazu bedarf es der Anregungen aus Forschung und Lehre. 1.2 Schulische Mehrsprachigkeit Für diesen Bereich stellt sich zentral die Frage „Was können Schulen tun, damit vorhandene sprachliche Kenntnisse und Fähigkeiten für das Lernen weiterer Sprachen besser genutzt werden? " Diese Frage betrifft: • die auf natürlichem Wege erworbenen Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen, die in ihren Familien zwei- oder mehrsprachig aufwachsen • die Bezüge zwischen dem Fach Deutsch (als Erst- oder Zweitsprache) und den Fremdsprachen • die Bezüge zwischen der ersten Fremdsprache (überwiegend Englisch) und weiteren Fremdsprachen und den Transfer über die Sprachgrenzen hinweg. 8 Zum erst genannten Aspekt ist für Nordrhein-Westfalen eine überwiegend positive Bilanz zu ziehen. Hier wird Kindern und Jugendlichen, die in ihren Familien mit einer anderen Sprache als Deutsch aufwachsen, Unterricht zum Erhalt und zur Vertiefung ihrer mutterbzw. herkunftssprachlichen Fähigkeiten angeboten. In Abhebung von vielen anderen Bildungssystemen in der Europäischen Union und auch von einigen anderen Bundesländern liegt dieser Unterricht in der Verantwortung des staatlichen Schulsystems und wird auch in der Gänze vom Landfinanziert (vgl. dazu Reich/ de Albentiis 1998: 3-45). Immerhin werden 7 Vgl. zum bisherigen didaktischen Konzept von „Begegnung mit Sprachen" in nordrhein-westfälischen Grundschulen u.a. Thürmann/ Otten ( 1994). Nach den jüngsten politischen und administrativen Ankündigungen wird ab 2003 Englisch als verbindliche Fremdsprache für alle Kinder ab Klasse 3 eingeführt. Das Begegnungskonzept kann von den Schulen in den Klassen I und 2 fortgeführt werden. Für die kommende curricular-konzeptuelle Entwicklung ist zu hoffen, dass auch für den verbindlichen Englischunterricht Sensibilisierung für Sprachen und sprachliche Vielfalt zu den Zielkategorien gehören wird. 8 Die erste umfassende Sammlung von didaktisch-methodischen Ansätzen zum interlingualen Transfer im Rahmen einer Mehrsprachigkeitsdidaktik haben Meißner/ Reinfried (1998) vorgelegt wenngleich dieser sich im Wesentlichen auf romanische Sprachen konzentriert. lFLIIL 29 (2000) 130 Eike Thürmann für diesen Zweck ca. 1.400 „ausländische" Lehrkräfte für zur Zeit 18 unterrichtete Sprachen beschäftigt. 9 Sie sind für einen Sprachunterricht verantwortlich, für den es in Deutschland kein historisches Vorbild gibt und der im didaktisch-methodischen Konzept Elemente des eigentlichen Muttersprachunterrichts mit solchen des Fremdsprachenunterrichts verbindet und offensichtlich auch die Entwicklung in der Zweitsprache Deutsch unterstützt. Aus den Erfahrungen mit diesem Unterricht lassen sich für die Erziehung zur Mehrsprachigkeit folgende Erkenntnisse zusammenfassen: • Wenn bei einer größeren Zahl von Schulanfängern an einer Schule die Muttersprache dominant ist, dann kann es vorteilhaft sein, den Schriftspracherwerb mit diesen Kindern zuerst in der Muttersprache durchzuführen. Allerdings muss auch in diesem Fall sichergestellt werden, dass die Kinder rasch in den Sprachunterricht in deutscher Sprache integriert werden. • Wenn in einer Klasse einsprachig deutsch aufwachsende Kinder gemeinsam mit zweisprachigen Kindern (z.B. Türkisch und Deutsch) unterrichtet werden, dann kann es durchaus von Vorteil sein, dass der Schriftspracherwerb gleichzeitig in beiden Sprachen erfolgt. Voraussetzung dafür sind zweisprachige Lehrkräfte bzw. sprachverbindende Teamarbeit von zwei Lehrkräften und ein Konzept, das die Eigenheiten beider Sprachen berücksichtigt. 10 • Erste Ergebnisse mit einem Modell des two-~ay sheltered immersion" in der Grundschule sind vielversprechend, wie Erfahrungen mit dem bilingualen deutsch-italienischen „Zug" an der Meinolf Grundschule in Hagen zeigen. 12 Im Einzugsbereich dieser Grundschule leben viele italienische Familien, die bislang ihre Kinder in den Regelunterricht und in den Muttersprachlichen Unterricht geschickt haben. Auf Vermittlung der lokalen RAA und mit Unterstützung des italienischen Generalkonsulates ist ein viel beachteter Schulversuch nach dem Konzept der doppelten Immersion eingerichtet worden. Die erste Versuchsgruppe aus italienischen und deutschen Kindern ist zur Zeit in der dritten Klasse. Der Unterricht wird in beiden Sprachen geführt. 13 • Die ausschließliche Einsprachigkeit im Muttersprachlichen Unterricht lässt sich bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern und Jugendlichen weder durchsetzen noch ist sie pädagogisch-fachlich sinnvoll. Mehrsprachigkeit lässt sich offensichtlich nur dadurch fördern, dass im Unterricht auch „Fenster" auf Deutsch und die schulischen Fremdsprachen geöffnet werden. 14 • Die schulrechtliche Aufwertung der Mutterbzw. Herkunftssprache und ihre offizielle Aufnahme in den Kanon der Schulsprachen sowie die Integration des Unterrichts in den Alltag der Regelschule fördert die Lehr- und Lernerfolge von Kindern und Jugendlichen aus Migrantenfamilien. Im Übrigen ist der Unterricht längst nicht mehr „ausländischen" Kindern und Jugendlichen vorbehalten, die 9 Unterrichtet werden z.Z. Albanisch, Arabisch, Bosnisch, Farsi, Griechisch, Italienisch, Koreanisch, Kroatisch, Kurmanci, Mazedonisch, Polnisch, Portugiesisch, Russisch, Serbisch, Slowenisch, Spanisch, Tamil und Türkisch. 10 Die neuen Lehrpläne für den Muttersprachlichen Unterricht der Jahrgangsstufen 1-6 für Kinder, die in ihren Familien zwei-/ mehrsprachig aufwachsen, liegen am Landesinstitut für Schule und Weiterbildung im Entwurf vor. Mit einer Drucklegung durch das Ministerium für Schule, Wissenschaft und Forschung bei Ritterbach (Frechen) ist bis Herbst 2000 zu rechnen. Diese Lehrpläne lassen eine zweisprachige Alphabetisierung zu. 11 Zur Typologie der Immersionsprogramme, vgl. u.a'. Krashen/ Tse/ McQuillan (1998). 12 Vgl. dazu den Zwischenbericht RAA (1999). 13 Kurzcharakteristiken deutsch-italienischer bilingualer Schulen siehe: http: / / home.t-online.de/ home/ ufficio.scuola.dortmund/ sc7.htm 14 Vgl. dazu u.a. eine exemplarische Unterrichtseinheit für den muttersprachlichen Portugiesischunterricht, Landesinstitut für Schule und Weiterbildung (1995). IFLll! IL 29 (2000) Impulse aus der Praxis der Curriculumentwicklung für die Weiterentwicklung ... 131 damit auf Rückwanderung und Re 0 integration im Herkunftsland der Familie vorbereitet werden. Er ist für alle (auch für deutsche) Schülerinnen und Schüler wählbar, die in ihren Familien zwei- oder mehrsprachig aufwachsen und dient der Vorbereitung auf eine mehrsprachige und multikulturelle europäische Wirklichkeit. 15 • In den Fällen, in denen eine Integration des Muttersprachlichen Unterrichts in den Regelbetrieb einer Schule und damit auch die fachübergreifende Abstimmung konkreter Lernziele und Lerninhalte aus organisatorischen Gründen nicht möglich ist, haben sich curriculare Orientierungen für sprachlichen Transfer bewährt. Diese Orientierungen beziehen sich nicht so sehr auf deklaratives Sprachbzw. Grammatikwissen, sondern auf Schwerpunkte, die in allen sprachlichen Fächern vorkommen, vgl. dazu Böcker/ Thürmann ( 1991 ). Anhand der am Landesinstitut für den Muttersprachlichen Unterricht entwickelten Unterrichtsmaterialien lernen die Schülerinnen und Schüler, wie man in Griechisch, Kroatisch, Portugiesisch, Spanisch oder Türkisch erzählt und berichtet, Personen oder Sachen beschreibt, Sachzusammenhänge erklärt und erläutert, wie man Sachtexte erschließt, wie man Gefühle äußert und auf die Gefühlsäußerungen anderer eingeht, wie man überzeugt und argumentiert und schließlich wie man mit literarischen Texten umgeht und eigene auf Wirkung angelegte Texte verfasst. Anhand dieser sprachfunktionalen Schwerpunkte werden fachdidaktisch Parallelen zwischen den Zielen und Inhalten des Deutsch- und des jeweiligen Muttersprachlichen Unterrichts konstruiert. 16 Was den Aspekte der binnenschulischen Kooperation der fremdsprachlichen Fächer anbelangt, so sind am Landesinstitut in drei Feldern wenigstens Teilerfolge erzielt worden: • Einzelne Schulen haben Unterrichtsangebote entwickelt, die gezielt Mehrsprachigkeit thematisieren und somit auch das Interesse am Sprachenlernen fördern. Einmal geht es dabei um Kurse des language and cultural awareness in den Jahrgangsstufen 5 und 6 (z.B. am Elsa-Brändström-Gymnasium in Oberhausen), die von Fachlehrkräften unterschiedlicher Sprachen konzipiert und durchgeführt werden. 17 Zum anderen sind positive Erfahrungen mit sog. Schnupperkursen an Gesamtschulen gemacht worden. In diesen Kursen wurden die unterschiedlichen Sprachen vorgestellt, die an der Schule zur Wahl stehen. Auch in diesen Unterrichtseinheiten geht es in erster Linie um language and cultural awareness sowie um das schüleraktive und projekthaft handelnde Erkunden einer neuen Sprache, Landesinstitut für Schule und Weiterbildung (1999). • Die Einsicht, dass man zweite und dritte Fremdsprachen anders unterrichten muss als erste Fremdsprachen, setzt sich in der schulischen Praxis zunehmend durch. In dem sog. Bochumer-Kreis haben ca. 25 Schulen zusammen mit dem Landesinstitut, der Schulaufsicht und dem Seminar für Sprachlehrforschung der Ruhr-Universität, Bochum, nach neuen Wegen für das Lehren und Lernen der dritten Fremdsprache gesucht und diese auch erprobt. Die Wegemarken für ein neues Konzept lassen sich hier aus Platzgründen nur benennen: Frühe Inhaltsorientierung- Forcierung des Leseverstehens 15 Vgl. dazu die Sachstandsbeschreibung von Ulrich Pfaff und Jagoda Illner ( 1999) sowie die Literaturauswertung von Gesa Siebert-Ott (2000). 16 Für den Muttersprachlichen Unterricht ist am Landesinstitut in den letzten zehn Jahren nach den oben skizzierten Prinzipien der didaktischen Koordination mit dem Deutschunterricht eine Fülle von Lehrund_ Lernmaterialien entwickelt worden. Dazu zählen u.a. ein vierhändiges Lehrwerk für den Türkischunterricht, ein Lehrwerk für den Griechischunterricht (davon liegen zwei Bände vor), eine Lernkartei für den Arabischunterricht, Unterrichtseinheiten für den Italienisch-, Kroatisch-, Portugiesisch- und Spanischunterricht. 17 Zur Zeit werden die folgenden Unterrichtseinheiten durchgeführt: "Auf der Suche nach der eigenen Identität: Namen", "Auf Entdeckungsreisen in die Welt der Schrift", "Märchen -kenn' ich schon-oder? ", "Der Sprachabschneider - oder was Sprache mir bedeutet", "Sprechen wir nicht alle die gleiche Sprache? - Z.B. 'Ruhrdeutsch' für Anfänger", Elsa-Brändström-Gymnasium (1999). JFLuL 29 (2000) 132 Eike Thürmann zumindest in der Anfangsphase des zweijährigen Kurses sprachliche Progression in Abhängigkeit von Lernaufgaben (task-based) - Nutzung des Transferpotentials beim Erwerb sprachlicher Mittel - Phasen der Intensivierung mehr Verantwortung für die Lerner/ innen bei der Gestaltung von Unterrichtsinhalten und -methoden - Wertschätzung von Fehlern für die Selbstevaluation der Lerner/ innen. 18 • Gegenwärtig entstehen Lehrpläne für die zweijährigen Fremdsprachenkurse an Gesamtschulen (Jahrgangsstufen 9 und 10). Hier werden die Erkenntnisse aus dem „Bochumer Kreis" curricular umgesetzt und in sog. Profilkursen konkretisiert. Solche Profilkurse dienen einerseits dem Erwerb von fremdsprachlichen Handlungskompetenzen für einen eingegrenzten auch außerschulisch nutzbaren Verwendungszusammenhang, andererseits legen sie solide Grundlagen für das schulische oder außerschulische Weiterlernen der jeweiligen Fremdsprache. Sie setzen sich zusammen aus vier Schulhalbjahren, die jeweils einen spezifischen thematisch-inhaltlichen und sprachlich-kommunikativen Beitrag zum gesamten Profilkurs leisten. Es werden fünfunterschiedliche Profilkurse curricular entfaltet und den Schulen zur Wahl gestellt: Alltag und Reisen, Berufs- und Arbeitswelt, Europäische Dimension, Literatur und Medien, Kommunikation mit Neuen Medien. Dennoch muss auch hier mit institutionellen Faktoren gerechnet werden, die eine fächerübergreifende bzw. fächerverbindende Koordination des sprachlichen Lernens erschweren. Erziehung zur Mehrsprachigkeit setzt die Stärkung horizontal organisierter professioneller Gremien (= Fachlehrer, die in Jahrgangsteams Unterricht planen und auswerten) voraus. Solche Gremien haben jedoch schulrechtlich keinen oder einen geringeren Stellenwert als die vertikalen und auf binnenfachliche Progression ausgerichteten Fachkonferenzen. 1.3 Gesellschaftliche Mehrsprachigkeit Selbst wenn die Erkenntnis, dass in globaler Sichtweise Mehrsprachigkeit eher die Regel als die Ausnahme ist, gängige Münze unter Experten ist, selbst wenn gesellschaftliche Mehrsprachigkeit täglich im Alltag erfahren wird, geht die historisch aus dem sich sprachlich homogen definierenden deutschen Nationalstaat erwachsene Schule von Einsprachigkeit als Normalität aus. Traditionellerweise macht das Curriculum in den großen europäischen Bildungsnationen sieht man von den fremdsprachlichen Fächern ab noch immer die eigene Nationalsprache zum Maß aller Dinge. Kinder und Jugendliebe haben kaum konkretes Wissen darüber, wie viele Sprachen es in Europa, in der Welt gibt, wo welche Sprachen von wem in welcher Funktion verwendet werden, welche Konflikte und Benachteiligungen sich daraus ergeben, dass mit einer Sprache Macht gegen andere ausgeübt wird, welche Wirklichkeitsbereiche und sozialen und kulturellen Kontakte sich für denjenigen neu erschließen, der sich eine weitere Sprache zu eigen macht. Fürdie Erziehung zur Mehrsprachigkeit in europäischer Dimension gehört m.E. vertieftes Wissen über die Vielfalt von Sprachen sowie über die Funktionen der Sprache(n) für Individuum und Gesellschaft zu den unverzichtbaren Bildungsinhalten, die unterschiedlichen Fächern und Lernbereichen und unterschiedlichen Jahrgangsstufen zugewiesen werden sollten. Kroon (1998) fordert, dass eine Gesellschaft, die Mehrsprachigkeit 18 In der Dokumentation dieses Arbeitskreises finden sich Unterrichtsskizzen für Französisch, Italienisch, Niederländisch, Russisch und Spanisch sowie methodische Anregungen zum E-Mail Tandem, zur Arbeit mit authentischen Texten und zum Hörverstehen, Landesinstitut für Schule und Weiterbildung (1998). JFLIIL 29 (2000) Impulse aus der Praxis der Curriculumentwicklung für die Weiterentwicklung ... 133 als Selbstverständlichkeit betrachtet, schulsprachpolitische Maßnahmen ergreifen muss, die darauf zielen, dass alle Schüler mit Mehrsprachigkeit als individuellem und gesellschaftlichem Phänomen bekannt gemacht werden, z.B. durch multikulturelle Sprachbetrachtung. Er selbst hat solches Lehr- und Lernmaterial für die Sekundarstufe I vorgelegt. Besonders geeignet für Themen der Mehrsprachigkeit sindneben dem Fremdsprachenunterricht selbst der Muttersprachunterricht und die gesellschafts- und sozialwissenschaftlichen Fächer, auch Kunst und Musik. Gerade über die Beschäftigung mit den (Auto-) Biographien von Literaten (z.B. Canetti, Buher, Ionesco) wird nicht nur Wissen über Mehrsprachigkeit erfahrbar, sondern es entwickeln sich bei den Schülerinnen und Schülern auch kritisch-konstruktive Haltungen gegenüber sprachlicher Pluralität. Auch die neuen unterrichtsorganisatorischen Möglichkeiten zum fachübergreifenden und fächerverbindenden Unterricht im Differenzierungsbereich sowie in der gymnasialen Oberstufe bieten intensiven· Unterrichtsvorhaben zu Themen der Mehrsprachigkeit Raum. Dazu Weller (1998: 77): Das Thema Mehrsprachigkeit in der Literatur könnte auch am Beispiel mehrsprachiger Autoren (zumeist Exilliteraten), am Beispiel mehrsprachiger Werke oder am Beispiel internationaler Gattungsmodelle (Kurzgeschichten, Kurzdrama, politische Lyrik bzw. lyrische Kurzprosa) aufgezeigt werden. Er verweist dann auf das im Kern dreisprachige Europäische Lesebuch (vgl. Barmeyer [et al.] 1992) mit deutschen, englischen und französischen Originaltexten des 20. Jahrhunderts. 2. Inhaltsorientierung bzw. Fremdsprachen als Werkzeuge schulischer Arbeit In Nordrhein-Westfalen haben Schulen in großer Zahl feststellen können, dass die Ergebnisse und die Nachhaltigkeit schulischen Sprachenlernens vor allem dadurch gesteigert werden kann, dass eine Fremdsprache als Arbeitssprache 19 in anderen Fächern verwendet wird. In der Bundesrepublik gibt es derzeit mehr als 460 Schulen mit einem bilingualen Zweig. 20 Auch in der Grundschule wächst die Unterstützung für das inhaltsorientierte sprachliche Lernen (content-based language learning) und damit für die Integration von 19 Inzwischen gibt es eine erhebliche terminologische Breite zur Kennzeichnung des Sachverhalts, dass eine schulische Fremdsprache in anderen Fächern zum Lehren und Lernen verwendet wird. Man vermeidet "bilingual", weil man damit offensichtlich nicht die hohen Standards natürlicher Zweisprachigkeit implizieren will. Wenn hier dennoch „bilingual" (! z.B. "bilingualer Fachunterricht", "bilinguale Bildungsgänge") verwendet wird, dann als Verweis auf konkrete schulische Organisationsformen. 20 Das Landesinstitut für Schule und Weiterbildung ( 1997b) hat im Auftrag der KMK eine Dokumentation der deutschen Schulen mit bilingualem Zweig erstellt. Die Liste ist inzwischen aktualisiert worden und wird ab 10/ 2000 als zweite Auflage im Druck vorliegen. Recherchierbar sind Schulen mit bilingualem Angebot im Internet unterhttp: / / www.learn-line.nrw.de/ angebote/ bilingual/ schule/ uebersicht.htm. Insgesamt weisen die neuen Daten 466 Schulen mit bilingualen Angeboten aus: 336 für Englisch, 92 für Französisch, 7 für Russisch, jeweils 6 für Griechisch und Niederländisch, 5 für Spanisch und je 1 für Polnisch, Portugiesisch, Tschechisch und Türkisch. Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es 142 Schulen mit bilingualem Angebot. lFLIIL 29 (7000) 134 Eike Thürmann Sprachlernphasen in andere Fächer und Lernbereiche (vgl. dazu u.a. Curtain/ Pesola 1993, Sarter 1997). Für die künftige Gestaltung bilingualer Bildungsangebote in den Sekundarstufen I und II müssen weitere Entwicklungsleistungen in schul- und unterrichtsorganisatorischer sowie in didaktisch-methodischer Hinsicht erbracht werden. 2.1 Schul- und unterrichtsorganisatorische Herausforderungen Trotz einer enormen Ausdifferenzierung des sog. bilingualen Unterrichts an deutschen Schulen in organisatorischen Details 21 , lässt sich für die derzeitige Praxis Übereinstimmung in wesentlichen Grundstrukturen feststellen: • Überwiegend ist es die erste Fremdsprache, die für bilingualen Fachunterricht eingesetzt wird. So ist die Zahl der Schulen mit bilingual deutsch-englischen Angeboten in den letzten Jahren enorm gewachsen. Die Zahl der deutsch-französischen bilingualen Klassen ist relativ konstant geblieben. Andere Sprachen werden nur im Ausnahmefall als Arbeitssprache in anderen Fächern eingesetzt. • Für den bilingualen Unterricht werden in der Regel in den Jahrgangsstufen 5 oder 7 besondere Klassen eingerichtet, so dass nur ein Teil der Schülerinnen und Schüler die bilingualen Angebote wahrnehmen kann. • Meist werden beginnend mit der Jahrgangsstufe 7 zwei oder sogar drei Fächer in der Fremdsprache unterrichtet. An Gymnasien kann der bilinguale Bildungsgang zum Abitur fortgesetzt werden (Fremdsprache als Leistungskurs+ 1 bilingualer Grundkurs). 22 • Seit der Frühzeit der deutsch-französischen bilingualen Bildungsgänge hat sich ein eng umrissenes Feld von Fächern gebildet, die bilingual unterrichtet werden: Erdkunde, Geschichte, Politik, auch Biologie. • Diesen Klassen steht zusätzliche Lernzeit zur Verfügung: oft als Erweiterung des Fremdsprachenunterrichts in den Jahrgangsstufen 5 und 6 zur Vorbereitung auf den in Jahrgangsstufe 7 einsetzenden bilingualen Fachunterricht und/ oder als zeitliche Verstärkung (meist mit einer Wochenstunde) des bilingualen Fachunterrichts. Dieses organisatorische auf äußerer Differenzierung beruhende Grundmodell hat zweifellos Vorteile. Sie bestehen vor allem darin, dass die Qualität des bilingualen Unterrichts stabil geblieben ist (= Auswahl von leistungsfähigen und leistungswilligen Schülerinnen und Schülern und auch von besonders qualifizierten Lehrkräften) und dass sich die Entwicklung von Ressourcen (z.B. Lehr- und Lernmaterialien, Fortbildung) auf wenige Fächer konzentrieren konnte. Auf der anderen Seite sind die Nachteile dieses Grundmodells unübersehbar: • Es ist „teurer" als der Regelunterricht, weil für einen bilingualen Zweig bis zu 0,5 Lehrerstellen zusätzlich aufgewendet werden. • Es ist selektiv und berücksichtigt vorrangig leistungsfähige und leistungswillige Schülerinnen und Schüler. · • Und es favorisiert Englisch als erste Fremdsprache. 21 Vgl. dazu Thürmann (1999). Hier sind mehr als 200 „Kurzportraits" analysiert und ausgewertet worden, mit denen Schulen ihr eigenes bilinguales Angebot vorgestellt haben. 22 Einzelheiten zu dem nordrhein-westfälischen Modell vgl. Ministerium für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung (1998a); hessischen Modell: Hessisches Kultusministerium (1997). FLuL 29 (2000) Impulse aus der Praxis der Curriculumentwicklung für die Weiterentwicklung ... 135 Die Herausforderungen für die Zukunft liegen darin, inhaltsorientiertes Sprachenlemen und den Einsatz von Fremdsprachen in anderen Fächern zu demokratisieren und tauglich für den Regelbetrieb von Schule zu machen, ohne dass die Existenz vorhandener bilingualer Zweige dadurch bedroht wird bzw. die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit verschlechtert werden. So wird z.B. zu prüfen sein, • ob und in welcher Weise auch zweite oder dritte Fremdsprachen als Arbeitssprache in anderen Fächern Verwendung finden können; • ob sich die „Kosten" in der Vorbereitung auf den bilingualen Fachunterricht in den Jahrgangsstufen 5 und 6 dadurch senken lassen, dass man schon während der Anfangsphase des Spracherwerbs die Fremdsprache wenigstens phasenweise in anderen Fächern (z.B. Kunst, Sport, Musik) einsetzt. Die Erfahrungen mit Niederländisch an Realschulen in der Grenzregion fallen in dieser Hinsicht sehr positiv aus. Hier hat man auch die Erfahrung gemacht, dass sich Mathematik sehr gut zum Einsatz elementarer Sprachkenntnisse eignet 2 3; • ob sich auch bilinguale Phasen in einem erweiterten Spektrum von Sachfächern für alle Schülerinnen und Schüler einer Jahrgangsstufe als ergiebig erweisen; • welche neuen organisatorischen Formen für die Profilbildung, also die Kopplung von Kursen in der gymnasialen Oberstufe sinnvoll sein könnten. 2.2 Didaktisch-methodische Herausforderungen Unter den Experten besteht weitgehend Konsens, dass Immersion als unterrichtsmethodisches Konzept für den bilingualen Fachunterricht unter den in der Bundesrepublik herrschenden linguistischen Bedingungen (vielleicht im Gegensatz zur Situation in Kanada) nicht ausreicht. Weiterhin ist wohl unstrittig, dass es noch kein kohärentes didaktischmethodisches Konzept für den bilingualen Fachunterricht gibt. 24 Jedoch wird immer deutlicher, was den Kern eines solchen Konzepts ausmachen müsste. In der deutschen Fächerschule der Sekundarstufen steht der bilinguale Fachunterricht unter dem curricularen Vorbehalt, dass die Lernzeitkontingente im Wesentlichen auf Fachinhalte- und nicht oder nur sehr eingeschränkt auf die systematische Unterstützung des Spracherwerbs verwendet werden. Andererseits sind die Texte, Medien, Sprechakte, Sprachhandlungen zumindest im beginnenden bilingualen Fachunterricht so anspruchsvoll und so komplex, dass systematische sprachliche Unterstützung sinnvoll wäre. Aus diesem Dilemma kann man sich nur befreien, • wenn man Sprachenlernen fachübergreifend und fächerverbindend arbeitsteilig organisiert und festlegt, welche Leistungen welches Fach für die Entwicklung der (fremd-)sprachlichen Fähigkeiten erbringt 25 ; 23 Es bietet sich auch an, den Englischunterricht in den Jahrgangsstufen 5 und 6 konzeptuell stärker auf Prinzipien des content-based language learning umzustellen wie z.B. in Littlejohn/ Hicks (1996). 24 „Sofern ich zu erkennen vermag, unterliegt dem bilingualen Sachfachunterricht bisher noch keine auf ihn zugeschnittene Theorie des Lernens, und auch in der Didaktik ist man über erste experimentierende Versuche noch nicht hinaus. Trotz der fortschrittlichen Grundkonzeption baut der bilinguale Sachfachunterricht noch in hohem Maße auf traditionellen didaktisch-methodischen Vorstellungen auf; dies gilt sowohl für die sprachliche wie für die Sachfachkomponente" (Wolff 1997: 1). 25 Dabei kommt dem Deutschunterricht eine Schlüsselstellung zu. Vgl. dazu u.a. Ministerium für Schule lFJLlllL 29 (2000) 136 Eike Thürmann • wenn man die Aneignung sprachlicher Mittel, kommunikativer Fertigkeiten und Strategien/ Methoden des Umgangs mit Texten auf sprach-/ fächerübergreifenden Transfer anlegt, d.h., die Unterrichtsinhalte müssen zwischen den Fächern abgestimmt und in ihrer Funktion für die Schüler/ innen transparent sein, so dass sie diese in ihr kognitives Bezugssystem „einbauen" können. Ähnlich wie oben im Zusammenhang mit der Erziehung zur Mehrsprachigkeit ausgeführt, muss festgestellt werden, dass sich ein solches Modell nur dann realisieren lässt, wenn die horizontalen didaktischen Strukturen an einer Schule (Jahrgangsteams, Jahrgangsfach-, Lernbereichskonferenzen) stärker zur Geltung kommen und erforderliche Absprachen zwischen den Fächern getroffen werden. In welchen Kategorien lassen sich nun solche Absprachen zwischen den Fächern bewerkstelligen? Im engeren Kreis der sprachlichen Fächer (einschließlich des Deutschunterrichts) wird man sich zunächst über grundlegende Dimensionen des sprachlichen Lernens und Handelns verständigen müssen. 26 Language learning .as language use in intercultural contexts Learner as communicator Language use in authentic communicative situations communicative skills Learner as explorer/ analyst/ experimenter Language use in experimentation with and analysis of English as a foreign language lea s to language & cultural awareness Language and language learning proficiency Learner as learner Language use in observation and evaluation of learning processes lea s to language learning awareness Wesentliche Elemente aus den Lernbereichen leamer as explorer/ analyst/ experimenter und leamer as leamer sind sprachübergreifend transferierbar, wenn denn der Unterricht bewusstmachend auf Transfer angelegt ist und die entsprechenden Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse in schuleigenen Lehrplänen jahrgangsbezogen etwa im Sinn von Unterrichtspartituren festgeschrieben sind. und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung (1999c). 26 Das folgende Schema ist den Lehrplänen für den Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe entnommen, Ministerium für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung (1999: 13) und fußt auf Modellen von Wolff und Legenhausen. JFILIIL 29 (2000) Impulse aus der Praxis der Curriculumentwicklung für die Weiterentwicklung ... 137 In einem zweiten Schritt müsste man sich auf eine whole-school language policy einigen sowie auf grundlegende Elemente einer Sprachendidaktik, wie dies z.B. in Großbritannien an vielen Schulen erfolgte, als man sich mit dem Konzept von language across the curriculum auseinander setzte, vgl. dazu Marland (1982). Zu diesen Elementen zählt vor allem die Unterscheidung von Cummins (1979) in • BICS = Basic interactional communicative skills • CALP = Cognitive academic language proficiency. Gerade die fachunterrichtliche Sprachanwendung 27 basiert auf CALP. Analysiert man das sprachliche Handeln und Lernen in den unterschiedlichen „Sachfächern", dann wird man sich darauf einlassen können, • dass in allen Sachfächern grundlegende Sprachfunktionen wie Definieren, Beschreiben, Erklären, Schlussfolgern/ Argumentieren, Bewerten/ Evaluieren/ Stellung Beziehen eine wesentliche Rolle spielen; . . • dass in allen Sa'.chfächern mit T()xten, Fotos/ Filmen, Diagrammen, Zahlen/ Statistiken, Beobachtungen/ Erfahrungen gearbeitet wird; • dass Methoden/ Strategien wie Hypothesen bilden, Hypothesen prüfen, Beobachten/ Experimentieren, Reduzieren, Elaborieren, Exemplifizieren, Konkretisieren, Generalisieren in den meisten Sachfächern und Lernbereichen von Bedeutung sind. Sprachliche Unterstützung im bilingualen Fachunterricht lässt sich auf diese Weise curricular als Zellen in diesem didaktischen Raum definieren und arbeitsteilig organisieren. Media, ~ working with .. basic language functions methods, cognitive strategies Schauen wir uns an, wie sich dieses Problem konkret für den deutsch-englisch bilingualen Erdkundeunterricht stellt. 28 27 Zur Abgrenzung fachbezogenen Unterrichtskommunikation von der Fachsprache vgl. Krechel (1996). 28 Die folgende Abbildung ist aus dem Unterrichtsmaterial Wallert/ Rischke (1994: 6) entnommen. lFLIIL 29 (2000) 138 opical rain forest absorption of nutrients in The tropical rain forest (doc. 1) Eike Thürmann mixed temperate forest (Europe) The temperate forest (doc. 7\ Hier wird den Schülerinnen und Schülern nach ca. drei Lernjahren Englisch abverlangt, dass sie sich mit Funktionszeichnungen und Schemata auseinandersetzen, also Sachzusammenhänge zunächst beschreibend erfassen und anschließend erklären und deuten können. Strukturell ähnliche Anforderungen werden im Erdkundeunterricht immer wieder gestellt, und sie stellen sich auch in anderen bilingual unterrichteten Sachfächern von Politik über Geschichte bis Biologie. 29 Welche Leistungen für language support der Fremdsprachenunterricht als Regelunterricht erbringen kann und welche auf die bilingualen Sachfächer und welche auf den Deutschunterricht und die deutschsprachigen Fächer anlässlich welcher Lerngelegenheiten aufgeteilt werden können, das müsste Gegenstand einer zu verabredenden whole-school language policy sein. 29 Wie language support funktional in die Unterrichtsmaterialien für den bilingualen Fachunterricht integriert werden kann, lässt sich z.B. bei Burghardt [et al.] (1995/ 1998) erkennen. JFLllll, 29 (2000) Impulse aus der Praxis der Curriculumentwicklung für die Weiterentwicklung ... 139 3. Verantwortung für die Qualität sprachlichen Lehrens und Lernens 3.1 Sicherung und Entwicklung von Unterrichtsqualität als gemeinsame Aufgabe Durch internationale Leistungsvergleiche wie TIMSS 30 ausgelöst oder wenigstens verstärkt wächst in der allgemeinen Öffentlichkeit die Sorge um die internationale Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Bildungssystems. In vielen Bundesländern haben daher Stichwörter wie Qualitätssicherung/ -entwicklung die bildungspolitische Szene der letzten beiden Jahre beherrscht. Das gilt in besonderem Maße für diejenigen Bundesländer, die aus fachlichen und prinzipiellen Gründen keine zentralen Schulabschlussprüfungen durchführen. Davon betroffen sind auch die fremdsprachlichen Fächer, obwohl keine international zu Mathematik und Naturwissenschaften vergleichbar breit erhobenen Daten zum Leistungsvergleich vorliegen. Dass die Erträge aus strukturell vergleichbaren fremdsprachlichen Lernangeboten zwischen nationalen Bildungssystemen erheblich differieren können, haben z.B. Studien gezeigt, die mit Mitteln der EU gefördert wurden. Dies mag auch die KMK veranlasst haben, einen 30 Schnelle Information zu internationalen Schulleistungsvergleichen unter: http: / / www.pisa.oecd.org/ . http: / / www.mpib-berlin.mpg.de/ PISAf, http: / / www.mpib-berlin.mpg.de/ TIMSS-Germany/ home-d.htm JFLlllL 29 (2000) 140 Eike Thürmann Länderleistungsvergleich zum Englischunterricht für die Bundesrepublik zu beschließen. Die Beauftragung an ein Konsortium ist bereits erfolgt. Inzwischen haben einige Länder bereits mit schulpraktischen Maßnahmen auf die „TIMSS-Krise" reagiert. Nordrhein-Westfalen hat meines Erachtens ein modernes und schulentwicklungsverträgliches System der Sicherung und Entwicklung von Unterrichtsqualität geschaffen 31 : • Zentrales Vehikel für die Qualitätsarbeit sind sog. Parallelarbeiten, d.h. die Schulen sind per Erlass verpflichtet, zu Beginn des zweiten Halbjahres der Jahrgangsstufen 7, 10 und 11/ 12 in parallelen Lerngruppen identische Klassenarbeiten zu schreiben und nach identischen Maßstäben zu bewerten und auszuwerten. • Die Schulen haben sich dabei an sog. "Aufgabenbeispielen" zu orientieren, die Art, Höhe und Umfang der fachlichen Anforderungen signalisieren und in Handreichungen veröffentlicht sind. 32 • Bei der Auswertung der Schülerarbeiten sollen anhand von Indikatoren Stärken und Schwächen des Fachunterrichts an der jeweiligen Schule ermittelt werden. • Durch gezielte Maßnahmen zur Verbesserung werden dann so die Erwartungan der jeweiligen Schule die Schwächen ausgeglichen. • In den Regionen entstehen sog. Qualitätszirkel, in denen im professionellen Diskurs schu)übergreifend Standards und Maßnahmen der Qualitätsentwicklung diskutiert werden. Dieses Verfahren zielt auf Standardsicherung und Qualitätsentwicklung und erlaubt zugleich weiterhin die schulindividuelle Gestaltung von Unterricht. Dass von Seiten der Bildungsadministration dabei für den Englischunterricht nur der schriftsprachliche Bereich focussiert wird, kann von den Schulen selbst in den Jahrgangsstufen ausgeglichen werden, in denen keine Parallelarbeiten vorgesehen sind. Die ersten Erfahrungen mit der Durchführung und Auswertung von Parallelarbeiten zeigen nun, dass die Schulen sehr wohl in der Lage sind, binnenschulisch und schulübergreifend Leistungsvergleiche herzustellen im Sinne der üblichen Verteilung von Zensuren "Notenspiegel"). Als problematisch erweist sich jedoch die Analyse nach Kategorien der Qualität von Englischunterricht und der Erarbeitung von Strategien, diese zu optimieren ganz zu schweigen von der Qualitätsanalyse mündlichen und interaktiven sprachlichen Handelns. Kein Zweifel die Schule braucht seitens der Hochschulexperten dringend Unterstützung, damit sich eine Kultur der fachbezogenen Unterrichtsevaluation herausbilden kann. Vor allem fehlen • praxistaugliche Konzepte füraction research (Handlungsforschung, Lehrer/ innen als Erforscher ihres eigenen Unterrichts) 31 Vgl. das Gesamtkonzept in Ministerium für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung (1998b). 32 Für den Englischunterricht ,der Jahrgangsstufe 10 vgl. Ministerium für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung (1998c). Die Aufgabenbeispiele für den Englischunterricht der Jahrgangsstufe 7 sind im Druck und werden voraussichtlich 10/ 2000 erscheinen. Aufgabenbeispiele für Qualitätssicherung und -entwicklung wurden auch in Hamburg entwickelt (vgl. dazu Behörde für Schule, Jugend und Berufsbildung 1999). lFLllL 29 (2000) Impulse aus der Praxis der Curriculumentwicklung für die Weiterentwicklung ... 141 • bench-marking Systeme zur Orientierung, wo Lehrkräfte und Schulen mit ihrem Englischunterricht im Vergleich zu anderen stehen • Instrumente der Qualitätssicherung und -entwicklung für den mündlichen Sprachbereich • die Ausweitung auf andere Sprachen. 3.2 Selbstevaluation und die Stärkung der Lernkompetenz Unter Qualitätsaspekten ist auch die vom Europarat, Straßburg, koordinierte Entwicklung eines Europäischen Portfolio der Sprachen zu betrachten. Es besteht aus drei Elementen 33 : Im Sprachen-Pass werden sprachliche Fähigkeiten und Kenntnisse dokumentiert, über die der Inhaber bzw. die Inhaberin des Passes verfügt. Diese Fähigkeiten und Kenntnisse werden differenziert nach den Kompetenzstufen 34 des Europarats für das Lehren und Lernen von Sprachen beschrieben. Der Sprachen-Pass enthält weitere Angaben, z.B. zu erworbenen Zertifikaten, zu Art und Dauer des Sprachlernens, zu Auslandsaufenthalten und Projekten des grenzüberschreitenden und interkulturellen Lernens. Der Sprachen-Pass hat dokumentarische Funktion und kann bei Bewerbungen, beruflichen Veränderungen und beim Wechsel von einer Bildungsphase in die nächste vorgelegt werden. Mit der Sprachen-Biographie können die Lerner den Gang des eigenen sprachlichen und interkulturellen Lernens aufzeichnen und die eigenen Lernfortschritte evaluieren. Die Sprachen-Biographie unterstützt den Dialog mit den Lehrerinnen und Lehrern und hilft vor allem jüngeren Lernern, das eigene Lernen zu gestalten und bewusst zu erleben und erfüllt damit vorrangig pädagogische Funktionen. In dem Sprachen-Dossier werden Arbeiten aller Art aufbewahrt, die von dem Besitzer/ der Besitzerin des Portfolio für besonders gelungen und typisch für die jeweilige Spracherwerbsphase angesehen werden. Aus nordrhein-westfälischer Sicht kommt dem Europäischen Portfolio der Sprachen noch eine dritte Funktion zu, nämlich für Schulentwicklung und die Entwicklung von Unterrichtsqualität. Der Einsatz des Europäischen Portfolio setzt bei den Schulen die Bereitschaft voraus, Lernangebote und wesentliche Prinzipien des Lehrens und Lernens von Sprachen zu einem Gesamtkonzept zusammen zu fassen (= whole-school language policy ), mit Eltern und Schüler/ innen abzusprechen und im Schulprogramm zu verankern. Es wird kein europaweit standardisiertes Portfolio geben, sondern eine Vielzahl von Varianten, die die Spezifik des jeweiligen Bildungskontextes berücksichtigen. Damit Standards, Kohärenz und Transparenz auf Dauer gesichert bleiben, bereitet der Europarat verbindliche „Spielregeln" für die Entwicklung und den Gebrauch des Europäischen Portfolio der Sprachen vor, die 2001, also im Europäischen Jahr der Sprachen 35 , bildungspolitisch auf höchster Ebene in Kraft gesetzt werden. Neben den oben schon erwähnten Setzungen (verbindliche Strukturelemente: Sprachen-Pass, Sprachen-Biographie, Sprachen- 33 Umfassende Darstellung des gesamten Entwicklungsprozesses und Beschreibung unterschiedlicher nationaler Varianten des ELP s. Babylonia. Zeitschriftfür Sprachunterricht und Sprachenlemen H. 1 ( 1999). 34 Zur Problematik der Skalen, Kompetenzstufen und Indikatoren sprachlicher Leistungen vgl. u.a. Schneider/ North (1999), 35 Informationen u.a. http: / / www.learn-line.nrw.de/ angebote/ 2001ejs/ index.html FlLllL 29 (2000) 142 Eike Thürmann Dossier und verbindlicher Bezug auf die Kompetenzstufen und Deskriptoren des Common European Framework of Reference 36 ) zeichnen sich folgende weitere verbindliche Merkmale ab: • Es werden alle Sprachen dokumentiert auch solche die außerhalb formaler Bildung erworben wurden; Portfolios für eine Sprache sind nicht statthaft. • Die Menuführung im Sprachen-Pass muss wenigstens eine der offiziellen Sprachen des Europarats benutzen. • Es müssen grenzüberschreitende Erfahrungen und Projekte sowie Ergebnisse interkulturellen Lernens berücksichtigt werden. • Das ELP ist im Besitz der Lerner/ innen. • Es muss Anlässe zur Selbstevaluation enthalten. • Es muss einem Validierungsausschuss beim Europarat zwecks offizieller Anerkennung zur Prüfung vorgelegt werden. ELPs für das staatliche Schulsystem werden auf nationaler Ebene in entsprechenden Ausschüssen vorgeprüft. Am Landesinstitut für Schule und Weiterbildung ist im Auftrag der KMK eine Variante entwickelt und erprobt worden, die Schwerpunkte für die Sekundarstufen I und II setzt. Die Entwicklung eines Junior-Portfolio für den Primarbereich hat das Land Hessen übernommen. Das nordrhein-westfälische Portfolio enthält in seiner jüngsten Fassung eine sehr elaborierte Sprachen-Biographie. Sie besteht aus den folgenden Teilen: • Informationen zur Person und zum Spracherwerb "Ich und meine Sprachen") • Übungen, Aktivitäten, Anregungen zu Lern- und Arbeitstechniken "Ich als Sprachlerner/ in") • Analyseund.Planungsinstrumente für die Gestaltung des Sprachenlernens, eine ausführliche Liste von Sprachlernaktivitäten "Was ich für mein Sprachenlernen getan habe - Was ich in Zukunft häufiger dafür tun will") • Hinführung und Übungen zur Selbstevaluation, Deskriptoren auf den sechs Kompetenzstufen des Common European Framework für die Bereiche Hörverstehen, Leseverstehen, mündliche Interaktion, Schreiben, Sprachliche Korrektheit, Ausdrucksvermögen "Was ich in meinen Sprachen schon kann''.) • Anregungen, Impulse und Projektideen zur Erkundung von Mehrsprachigkeit "Was wir über Sprache(n) und ihre Vielfalt herausgefunden haben"). 37 Hier ist also ein Sprachlernbegleiter entstanden, der Kinder und Jugendliche dazu anleitet, mehr Verantwortung für ihr eigenes Sprachenlernen zu übernehmen und entsprechende Werkzeuge und Anregungen bereit stellt. 36 Europarat (1998): Modem Languages: Learning, Teaching, Assessment. A Common European Framework of reference. Straßburg[= CC-LANG (95) rev. V], als download: http: / / culture.coe.fr/ langues/ eng/ eedu2.4.html 37 Die nordrhein-westfälische Variante des Europäischen Portfolio der Sprachen wird Anfang November 2000 im Druck vorliegen und vom Landesinstitut für Schule und Weiterbildung, Pardieser Weg 64, 59494 Soest, zu beziehen sein. FILulL 29 (2000) Impulse aus der Praxis der Curriculumentwicklung für die Weiterentwicklung ... 143 Literatur BABYLONIA. Zeitschrift für Sprachunterricht und Sprachenlernen ( 1999): "Europäisches Sprachenportfolio". Heft 1. BARMEYER, Gudrun [et al.] (1992): Europäisches Lesebuch. München: Oldenbourg. BEHÖRDE FÜR SCHULE, JUGEND UND BERUFSBILDUNG ( 1998): Beispielaufgaben für Vergleichsarbeiten in den Fächern Englisch und Französisch in der Jahrgangsstufe 6. Hamburg. BEHÖRDE FÜR SCHULE, JUGEND UND BERUFSBILDUNG (1999): Beispiele für Vergleichsarbeiten (letzte Klassenarbeit) und mündliche ÜberprüfungenfürdenJahrgang 9 Hauptschule undfür den Jahrgang 10 Realschule, Gymnasium, Gesamtschule in den Fächern Englisch und Französisch. Hamburg. BöCKER, Elisabeth/ THÜRMANN, Eike ( 1991 ): "Muttersprachlicher Unterricht für eine mehrsprachige und multikulturelle Schule". In: Der Deutschunterricht 2/ 91. 70-81. BUCHL0H, Ingrid [et al.] (1996): Konvergenzen. Fremdsprachenunterricht: Planung-Praxis-Theorie. Festschrift für Ingeborg Christ aus Anlaß ihres 60. Geburtstags. Tübingen: Narr. BURGHARDT, Klaus [et al.] (1995/ 1998): Spotlight on History. Vol 1 und 2. Berlin: Cornelsen. CHRIST, Herbert ( 1991 ): Fremdsprachenunterrichtfür das Jahr 2000. Sprachenpolitische Betrachtungen zum Lehren und Lernen fremder Sprachen. Tübingen: Narr. CUMMINS, Jim (1979): "Linguistic interdependence and the educational development ofbilingual children". 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Multilinguism is one of the great targets we are meant to aim for in Europe, because it is the guarantee of European multiculturalism and hence of European essence; linguistics can help to reach this aim, linguistic politics may help to define objectives in foreign language teaching and leaming and to evaluate leaming and teaching processes. Language pol! cy and politics can be regarded as an essential component of language teacher studies. X: A: X: B(~): A: X: A: Wir sind ein paar Studierende im 2. Semester und würden gern einige Fragen mit Ihnen besprechen. Fragen zum Studium, vermute ich? Exakt. Sie studieren Romanistik? Ja, genauer: Französisch. Ich habe außerdem Englisch, andere Deutsch oder Geschichte. Wir studieren fast alle aufs Lehramt, soweit wir das schon wissen... und hoffen, dass die Schulen endlich wieder Lehrer einstellen. Wir sind also jetzt im 2. Semester, wissen jetzt, was ein Seminar und was eine Übung ist und was wir für die Zwischenprüfung im nächsten Jahr tun müssen. Unsere Fragen beziehen sich auf etwas anderes. Also ... Zunächst einmal: Wir studieren „Französisch", so haben wir es uns vorgenommen und so kennen wir es doch von der Schule her. C(~): Ja, und so haben wir es bei der Einschreibung auch angegeben. 1. Studienfach „Französisch" oder ... ? A: Und nun finden wir im Vorlesungsverzeichnis, was im kommenden Semester angeboten wird: Lektürekurs 18. Jahrhundert, Übung zur Grammatik II, Einführung in die Linguistik I, Vorlesung zur Landeskunde: Das Parteiensystem in Frankreich; Fachdidaktische Übungen zur Vorbereitung auf das Schulpraktikum. Das hat natürlich alles irgend wie mit „Französisch" zu tun, aber eben nur "irgend wie". Wie passt das alles zusammen oder ineinander oder so ... A = Student; B(I? ) = Studentin, C(~) = Studentin. JFLIIL 29 (2000) Mehrsprachigkeit - und was wir in Europa dafür tun (könnten) 147 X: Keine leichte Frage. Ich will es trotzdem versuchen ... Um es vorwegzunehmen: Ich glaube, dass wir es den Studierenden überlassen, den Zusammenhang zwischen diesen vielfältigen Angeboten zu entdecken. C: Absichtlich? X: Ja und nein. Das Entdecken ist wesentlicher Anspruch an einen Studierenden, das muss man von ihm verlangen können, dazu braucht er allerdings auch Anleitung, und das nennen wir Studienberatung. Studienberatung ist so etwas wie „Hilfe zur Selbsthilfe" und sollte von Ihnen wahrgenommen und gegebenenfalls eingefordert werden. Andererseits könnte man anführen, dass die Tradition der Fächer und der Universität überhaupt eine große Rolle spielt. Sie studieren hier in einem Romanistischen Institut, nicht in einem Institut für Französisch; der Lehrkörper umfasst z.B. Lehrstühle für Romanische Philologie, mit Schwerpunkten wie Literaturwissenschaft oder Linguistik oder Angewandte Linguistik; unter den Lehrenden gibt es Experten der Vermittlung der Sprache, aber „Sprache" ist dann auch schon wieder so breit und umfassend, dass es Spezialisierungen unter den Lehrenden gibt, z.B. auf „gesprochene Sprache" oder „Grammatik". Andere Lehrkräfte sind Fachleute der Didaktik oder der Landeskunde und Kulturwissenschaft. Woraufich hinaus will: Das Fach, das Sie studieren, ist so reich an Facetten, und jede Facette ist wiederum so vielfältig, dass es ganz natürlich zu einem hoch spezialisierten Lehrangebot von Experten kommt. C: Und wie soll man sich durch dieses Chaos hindurch finden? X: Schauen Sie etwas genauer hin, und Sie werden sehen, dass es sich keineswegs um ein Chaos handelt. Die einzelnen Veranstaltungen sind z.B. den Teildisziplinen zugeordnet, die schon genannt wurden: Literaturwissenschaft, Linguistik, Angewandte Linguistik, Sprachpraxis, Landeskunde, Kulturwissenschaft, Fachdidaktik. A: O.k., aber diese Einteilung bleibt doch ziemlich formal. Ich denke, wir haben recht damit, was ich vorhin schon sagte und was unser Eindruck im Studium ist: dass nämlich die Verknüpfung der einzelnen Lehrangebote den Studierenden überlassen bleibt. X: So fordern Sie mich natürlich heraus. Ich gehe gerne darauf ein, aber bitte Sie um etwas Geduld. Richten Sie sich darauf ein, dass ich Ihnen so etwas wie eine Vorlesung halte. 2. Linguistik und Französisch Ich argumentiere jetzt aus einer Teildisziplin heraus, der Linguistik; andere Kolleginnen und Kollegen könnten aus ihrer jeweiligen Position heraus sicherlich Entsprechendes antworten. Die Linguistik ist die wissenschaftliche Beschreibung der Sprache. Linguistik ist für mich eine der wichtigsten Grundlagen der Wissenschaft vom Lehren und Lernen der Sprache, also der Sprachlehr-/ -lernforschung. Natürlich hängen Lehren und Lernen engstens zusammen mit Fragestellungen der Psychologie, der Soziologie, der Erziehungswissenschaften. Diese Fragestellungen werden an anderen Lehrstühlen vertieft behandelt, während bei uns also die Linguistik im Zentrum steht. B: Darf ich Sie 'mal unterbrechen: Also, wir haben in der Schule Französisch gelernt, und nicht schlecht gelernt, und da war von Linguistik nie die Rede. Warum müssen wir das also auch noch im Studium machen, und dann sogar noch obligatorisch! X: Ich hatte Ihnen vorausgesagt, dass Sie jetzt etwas Geduld brauchen, wenn Sie Ihre Fragen ernst gemeint haben, und ich wollte Ihre Fragen gerne so ernst wie möglich nehmen und beantworten. Wenn wir also die Sprachbeschreibung ins Zentrum stellen, dann fragt sich sogleich: Was ist „Sprache" eigentlich, die da zum Gegenstand wissenschaftlicher Beschreibung wird. Und dabei stellt sich dann heraus, dass es höchst unterschiedliche Begriffe von Sprache gibt. Ich will nur lFLuL 29 (2000) 148 Albert Raasch einmal zwei oder drei Auffassungen nennen, als Beispiele für viele andere Interpretationen. Sprache (1): Sprache, das sind die Texte, die ich lesen kann, die entweder gedruckt in Büchern vorliegen oder die als Briefe geschrieben werden oder die auf Bahnhöfen, Flughäfen, in Geschäften und auf Straßen überall begegnen. In diesen Texten kann ich nun Gesetzmäßigkeiten erkennen, etwa über den Gebrauch des Artikels oder des Konjunktivs, über die Morphologie der Verben und Substantive und über die Veränderlichkeit der Partizipien. Ich vermute, dass Ihnen diese Auffassung von Sprache von der Schule her sehr vertraut ist. Nun nehmen wir an, dass „Texte" ja keineswegs nur in geschriebener bzw. gedruckter Form vorliegen, sondern auch in gesprochener Form: im Gespräch, im Radio, in Ankündigungen aufdem Bahnhofusw. Dies ist ein anderer Begriff von „Text", und wenn ich diese Texte linguistisch analysiere, entdecke ich ebenfalls eine Grammatik des Französischen, die aber anders aussieht: Die Morphologie ist anders, auch die Gesetzmäßigkeiten der Syntax sind anders. Je nachdem, welchen Begriff von „Sprache" und von „Texten" ich zugrunde lege, (Ja) oder (lb), komme ich selbstverständlich zu unterschiedlichen Ergebnissen, d.h. zu verschiedenen Grammatiken. C: Und welches Modell finden Sie besser? X: Es geht nicht um besser oder schlechter, sondern es geht um folgendes: Wenn die Schule es ernst meint, dass sie gesprochene Sprache lehren will und dass die mündliche Kommunikation und das heißt die persönliche Begegnung mit den Angehörigen der Zielsprachengemeinschaft angestrebt wird, dann liegt doch auf der Hand, welcher Typ von Grammatik dafür in Frage kommt und welcher nicht. Und ich füge hinzu: Wenn denn die Grammatik des Gesprochenen noch immer nicht die durchgängig gelernte und gelehrte ist, dann kann man nur auf einen Generationenwechsel hoffen. Insofern tragen Sie hier als Studierende eine große Verantwortung. B: Wollten Sie noch auf einen anderen Begriff von Sprache eingehen? Sie waren ja bei dem Typ 1 stehen geblieben. X: Haben Sie auch schon bemerkt, dass das Telefonieren in der Fremdsprache manchmal besondere Anforderungen stellt und stressig sein kann? Offenbar liegt es doch daran, dass ich den anderen nicht sehe, er mich ebenfalls nicht, dass wir also auf die Kommunikation durch Gestik oder Mimik verzichten müssen und ganz aufdie verbale Sprache angewiesen sind. In derface-to-face-Kommunikation habe ich diese anderen Ausdrucksmittel zur Verfügung und kann sie ergänzend oder korrigierend einsetzen. Ich will darauf hinaus, dass ein Gesprächstext also durch die Grammatik (1 b) nur ganz unvollkommen beschreibbar ist, und klar ist ja wohl, dass die Grammatik (1 a) völlig ungeeignet ist für diesen Zweck. Wir brauchen also eine Grammatik, die das Verbale, aber auch das Paraverbale (Intonation, Rhythmus der Äußerung, Lautstärke usw.) und das Extraverbale (Mimik, Gestik, Körperhaltung, Körperbewegung) mit erfasst. Viele Forschungsarbeiten haben bereits brauchbare Ergebnisse geliefert, aber diese reichen längst nicht. Unser Sprachunterricht braucht sehr viel mehr verlässliche linguistische Grundlagen, als dies bislang der Fall ist, damit wir endlich die Kompetenzen ausbilden, die wir in der heutigen Gesellschaft brauchen. A: Was meinen Sie mit „in der heutigen Gesellschaft brauchen"? 3. Linguistik und Sprachenpolitik X: Lassen Sie mich, bevor ich auf diese Frage eingehe, noch den Faden weiterspinnen, den ich mit „Begriff von Sprache" bezeichnet habe. Ich möchte es an Beispielen deutlich machen: Ein „departement" ist nicht gleich „Provinz" oder „Kreis" oder „Bundesland", und für „region" fällt mir gar keine angemessene Übersetzung ein. Die Realitäten in den beiden Ländern sind halt verschieden, ihre Entstehung hat verschiedene historische, lFL1l! IL 29 (2000) Mehrsprachigkeit - und was wir in Europa dafür tun (könnten) 149 soziale, geographische, kulturelle Hintergründe. "Paris" hat in den Ohren französischer Verwaltungsbeamter oder Professoren einen bestimmten Klang, wenn es nämlich in den Gegensatz zu „province" gebracht wird. "Europa" und „Euro" klingen ebenfalls unterschiedlich, je nach Beruf, sozialer Stellung, Lebenserfahrung usw. Linguistisch gesprochen: Denotationen werden, wie das Beispiel „departement" lehrt, auch im Schulunterricht angemessen behandelt, aber die Konnotationen sind noch viel interessanter, wenn man sich den Einstellungen und damit auch den Triebfedern für die Verhaltensweisen der Frankophonen nähern will. Jeder weiß, dass es schwierig ist, unterschiedliche Kulturen in den Diskurs miteinander zu bringen. Für mich ist, wenn Sie mich nach meiner Meinung fragen, essentiell, dass Sprachunterricht und Sprachbeschreibung dazu beitragen, den europäischen Diskurs, den Diskurs zwischen verschiedenen Kulturen zu fördern oder gar erst zu ermöglichen. Die Befassung mit der Linguistik und auf diesem Wege die Förderung eines gesellschaftsorientierten Sprachunterrichts sind in meinem Verständnis geprägt von der Orientierung auf das Zusammenwachsen Europas und auf die Herausforderungen einer internationalisierten Welt. Spracheninteressierte haben am meisten Engagement für die Förderung der internationalen Kommunikation, man muss ihnen aber diese sprachenpolitische Aufgabe nahebringen und dann eine Verknüpfung zwischen diesem Engagement und der Befassung mit den angemessenen linguistischen Modellen herstellen. Innerhalb der Linguistik sind für mich vorrangig die Teildisziplinen, die diese Orientierung auf den grenzüberschreitenden Diskurs ermöglichen, und das sind die Semantik dazu hatte ich Ihnen Beispiele genannt- und die Pragmatik, die ich mit dem Beispiel der Vermittlung von interkulturellen Aspekten der Kommunikation ansprach, und zwar den Aspekten, deren Kenntnis oder Unkenntnis die Kommunikation zum Gelingen bzw. zum Scheitern bringen. A: Wenn die Sprachenpolitik einen so hohen Stellenwert in Ihrem Konzept des Französischstudiums hat, warum gibt es dann praktisch keinen Veranstaltungstyp mit diesem Namen? X: Ich denke, wir sind auf gutem Wege dorthin. Sprachenpolitik sollte in der Tat ein angemessenes Modul in der Ausbildung zukünftiger Sprachenlehrerinnen und -lehrer werden; sie sollte nicht nur Anhängsel bleiben, aber es ist doch schon viel erreicht, wenn sprachenpolitische Bewusstseinsbildung überall mit angesprochen wird. C: Ich muss noch einmal nachfragen: Was verstehen Sie unter „Sprachenpolitik" eigentlich? Sie nannten „Europa" und „Internationalisierung". Könnten Sie das nicht konkretisieren? X: "Sprachenpolitik" ist eine systematische Beschäftigung mit den Grundlagen politischen und sozialen Handelns. Ihre Entscheidung für Französisch als Studienfach ist ebenso eine politische Entscheidung wie die Abwahl einer Fremdsprache in der 10. Klasse des Gymnasiums. Von sprachenpcilitischer Dimension ist die Entscheidung, dass in der Grundschule eine Fremdsprache obligatorisch eingeführt wird. Sprachenpolitik ist im Spiel, wenn Latein der Wahl einer lebenden Fremdsprache entgegensteht oder wenn die Zahl der Wochenstunden für Fremdsprachen herabgesetzt wird zugunsten etwa der Naturwissenschaften oder der Informatik, denn dadurch wird automatisch die Rolle des Englischen vergrößert; ein evidentes Beispiel sprachenpolitischen Handelns ist die privilegierte Einführung der Nachbarsprache in Grenzregionen. Sprachenpolitik ist im Hintergrund, wenn in Grenzregionen die Partnersprachen nicht einseitig, sondern partnerschaftlich grenzüberschreitend in gleicher Weise gefördert werden. Sprachenpolitik kann Entscheidungshilfen beibringen, wenn es um den Status von Migrantensprachen oder Minderheitensprachen geht oder wenn die Frage diskutiert wird, ob in Brüssel neben den selbstverständlichen lFILllllL 29 (2000) 150 Albert Raasch Verhandlungssprachen Englisch und Französisch auch Deutsch beibehalten/ eingeführt werden soll; wer Erfahrungen in Verhandlungen in diesen europäischen oder internationalen Gremien hat, wird bestätigen, wie vorteilhaft es sein kann, die Muttersprache gebrauchen zu dürfen, und was es bedeutet, wenn deren Gebrauch durch die europäischen Regelungen nicht zugelassen ist. 4. Europa, Linguistik, Interkulturalität und Didaktik Und um auf unsere linguistische Thematik zurückzukommen: Ist der Sprachunterricht ernsthaft auf das Ziel der Kommunikation ausgerichtet, dann wird man der Frage nicht ausweichen können: Sollen die Kinder nach Verlassen der Schule die internationalen Kontakte (z.B. durch Besuche, Partnerschaften, Auslandsreisen) pflegen und daraufhin ihre Sprachen in der Schule lernen? Oder gibt es ein Interesse, den Jugendlichen schon während der Schulzeit diese Kontakte zu ermöglichen? Wenn letzteres der Fall ist- und wer wollte daran ernsthaft zweifeln-, müssten dann diese Jugendlichen nicht (auch) die Sprache lernen, die ihre Alterskameraden in dem anderen Land sprechen? Und dass die Jugendsprache durchaus andere Gesetzmäßigkeiten aufweist als die von uns üblicherweise gelelirte sogenannte Standardsprache, ist kein Geheimnis. Gibt es denn hinreichende Beschreibungen dieser Varietäten? Werden sie in der Ausbildung angeboten? Verfügen die Fremdsprachenlehrer über diese Kompetenz? Wie gesagt: Die Sprachenpolitik kann Überlegungen solcher Art initiieren und Entscheidungshilfen anbieten, aber die Entscheidung als solche ist dann den Lehrern, den Curricula-Verantwortlichen und auch Ihnen als den Studierenden überlassen. Sie müssen sich diesen Entscheidungen stellen. Die Wissenschaft kann Ihnen Hilfen geben, wenn Sie sie suchen; Sie müssen sie nur suchen wollen. Die Entscheidung zwischen den oben genannten linguistischen Modellen und die Antwort auf die Frage, welchen Status Sie den jeweiligen Grammatiken, die aus diesen Modellen resultieren, zuerkennen, ist Ihre Sache; die Hochschule kann Ihnen entsprechende Hilfen anbieten und eines muss sie ganz bestimmt tun: Sie muss bei Ihnen die Bewusstseinsbildung über diese Zusammenhänge wecken, diesem gesellschaftspolitischen Auftrag kann eine Universität sich nicht entziehen. A: Gesellschaftspolitisch...? X: Europa ist in dem vorgenannten Sinne eine „Gesellschaft". Geprägt durch Vielsprachigkeit, Multikulturalität, markante soziale Unterschiede, Arbeitslosigkeit, Herausforderungen der Globalisierung, Wettbewerbsprobleme im internationalen Kontext. Reicht das nicht, um sich zu fragen: Woraufhin soll ich hier an der Universität studieren? Da diese Probleme in vielfacher Weise mit sprachlichen Kompetenzen im weitesten Sinne wir sprachen ja gerade darüber verflochten sind, können Sie sicherlich schon abschätzen, welche Tragweite Ihre Entscheidungen haben, wie Sie Ihren zukünftigen Beruf auffassen, wie Sie Ihr Studium gestalten, welche Akzente Sie setzen könnten. · C: Wollten Sie nicht noch einmal auf unsere Ausgangsfrage zurückkommen: Verknüpfung von Studienangeboten miteinander? X: Habe ich das denn noch nicht klar gemacht? Bin ich nicht eingegangen auf Linguistik und Wissenschaft der Interkulturalität? Verzahnung von Linguistik und Sprachpraxis in Schule und Hochschulausbildung? Linguistik und Didaktik? B: Sie haben aber die Literaturwissenschaft ausgeklammert. A: Lassen Sie mich einmal versuchen, eine Antwort zu geben. Ich denke, dass man das Gesagte lFLUJL 29 (2000) Mehrsprachigkeit - und was wir in Europa dafür tun (könnten) 151 übertragen könnte, etwas so: Die Linguistik liefert Hilfen für die Analyse von Texten, im Verbund zum Beispiel mit der Geschichtswissenschaft oder der Soziologie, auch der Psychologie. Ansätze der interkulturellen Kommunikationswissenschaft sind für die Literaturwissenschaft ebenso nützlich wie umgekehrt die Literaturwissenschaft zur wissenschaftlichen Beschreibung von Kulturen und Kulturkontakten hilfreich sein kann. X: Wobei Sie die Dimension der Zeit nicht übersehen dürfen: der historische Aspekt, also die Erkenntnis über vorgängige Kulturen kann, ebenso wie die Befassung mit historischen Dimensionen der Sprache in der Sprachwissenschaft, Einsichten liefern, die für die Gegenwart und auch für die zukünftige Entwicklung große aufschlussreiche Bedeutung haben können und die schlicht auch zum kulturellen Horizont dazu gehören und damit auch als Voraussetzungen für interkulturelles Verstehen betrachtet werden müssen, ganz abgesehen von der Funktion, die „verdichtete" Abbildungen von kommunikativen Prozessen in gesellschaftlichen Zusammenhängen haben, um Zugänge zu eigenem Handeln und Verhalten zu geben. A: Das Stichwort „Handeln" möchte ich aufgreifen, und auch noch einmal auf die „Bewusstseinsbildung" zurückkommen, von der Sie sprachen... X: Ja, darf ich Ihnen ins Wort fallen: Waren Ihnen diese sprachenpolitischen Überlegungen vorher nicht geläufig? Wie schätzen Sie denn überhaupt die Bewusstseinsbildung über die erwähnten sprachenpolitischen Fragen ein? Ich möchte dann natürlich noch mehr wissen: Führt die eventuelle Bewusstseinsbildung, oder wie man auch sagt, die awareness, bei Ihnen oder in Ihrem Umfeld auch zum Handeln, zum Tätigwerden für Sprachen und für Sprachenlernen und für angemessene Gestaltung des Sprachenlehrens? B: Wie soll man denn als Studentin im 2. Semester überhaupt... C: Also, ich brauche noch ein paar mehr konkrete Beispiele, damit ich mir unter all dem etwas vorstellen kann. A: Vielleicht einmal konkreter: Wie und wo zeigt sich sprachenpolitisches Engagement in der Umsetzung? Vielleicht im europäischen Kontext, aber auch bei uns hier im Lande, ganz konkret. X: Da habe ich eine Idee. Ich habe für meine Vorlesung übermorgen einige Folien vorbereitet, darunter einiges zu diesem Thema. Ich zeige Ihnen diese Stichwörter einmal; in der Vorlesung werde ich dann auf Einzelheiten eingehen, denn hier in unserem Gespräch kann ich dies nicht alles im einzelnen ausführen. Dann haben Sie schon einmal ein Vorausblick und können auch besser einschätzen, welche Bedeutung diese Thematik für Sie persönlich hat. Es sind zwar nur Stichwörter, aber sie sind wohl doch „selbsterklärend". 5. Das Europäische Jahr der Sprachen Folie 1 (Das Jahr 2001 = Europäisches Jahr der Sprachen) Ziel: die breite Öffentlichkeit für die Bedeutung der Sprachen sensibilisieren: • Bedeutung der Fremdsprachenkompetenz für den Einzelnen (z.B. berufliche Mobilität) • Bedeutung für die Gesellschaft: Sprachbedarf (Wirtschaft, Industrie, Handwerk) • Kulturelle Bedeutung: Begegnung der Kulturen, Bewahrung der Multikulturalität • Sprachenlernen als Weg zur Entfaltung der Persönlichkeit • Öffnung zu den Sprachen der Migranten, der Minderheiten • Friedenssicherung: Überwindung der Sprachlosigkeit, Begegnung mit dem Fremden Folie 2 (Geplante/ denkbare Aktivitäten, um dieses Ziel des Europäischen Sprachenjahres zu erreichen): • Sprachenfeste für das breite Publikum • Begegnungen, Partnerschaften lFlLIIL 29 (2000) 152 Albert Raasch • Preisausschreiben und Wettbewerbe (über die Medien) • Informationsveranstaltungen für Eltern, Jugendliche, Erwachsene • Bürgertelefone (Informieren über Sprachlernangebote, über Schulprobleme u.a.) • Sprachliche Vielfalt in das Straßenbild, in die Geschäfte, in die Medien bringen • Sprachlichen Reichtum bei Kindern in den Schulen/ im Kindergarten entdecken lassen • Fremdsprachen im Betrieb durch Jugendliche/ Studierende entdecken lassen (Praktika) Folie3 (Wer könnte diese Aktivitäten initiieren/ durchführen? ) • Universitäten, Hochschulen, Schulen • AStA, Schülervertretungen • Elternschaften • Kammern • Kommunalverwaltungen • Bildungsinstitutionen (Volkshochschulen, Fortbildungsinstitutionen) • Verbände (Fachverband Modeme Fremdsprachen) Folie 4 (An wen kann man sich wenden, um Ideen zu bekommen/ Kooperationen zu initiieren? ) • BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) "Bildung für Europa" • KMK (Kultusministerkonferenz) • Erfurter Kreis (Thüringer Kultusministerium Erfurt) • Conseil de l'Europe, Section Langues Vivantes, Strasbourg • Commission Europeenne (SOKRATES/ LINGUA, LEONARDO, COMENIUS u.a.) • FMF (Fachverband Modeme Fremdsprachen) B: Meinen Sie wirklich, dass auch Studierende schon mitmachen sollten? X: Also: Wenn Sie sich dafür entschieden haben, Sprachen beruflich zu lehren, dann müssten Sie doch eigentlich ein elementares Interesse daran haben, dass die Öffentlichkeit die Bedeutung der Sprachen richtig einschätzt, dass die Stundenzahlen in den Schulen nicht immer weiter zurückgehen, dass die Kammern und die Betriebe und die Verwaltungen die Sprachkompetenzen von Bewerbern angemessen einschätzen, dass in den Schulen endlich vernünftige Bedingungen für das Sprachenlernen (z.B. durch Einrichtung von Sprachlehrräumen) geschaffen werden usw. Man kann doch nur fragen: Wieso braucht es noch solche Anstöße von außen, um sogar die Betroffenen davon zu überzeugen, dass die Mitwirkung bei Aktivitäten der geschilderten Art unerlässlich ist? Verbände wie der FMF können Ihnen helfen, gangbare Wege zu finden; probieren Sie aber auch einmal, die Studierenden der Fachrichtung oder der Universität zu mobilisieren. Versuchen Sie, auch grenzüberschreitende, internationale Aktivitäten auf den Weg zu bringen. Und im übrigen denken Sie daran, Nachhaltigkeit anzustreben: es geht nicht nur um das Jahr 2001 ! C: Wir waren ja von der Linguistik ausgegangen. Mich würde interessieren, ob man die europäischen Programme und Institutionen auch in einem Zusammenhang mit linguistischen Fachfragen oder Studienanteilen sehen kann oder ob politische Instanzen und universitäre Studien nicht doch ganz weit voneinander entfernt agieren. IF][,11][., 29 (2000) Mehrsprachigkeit - und was wir in Europa dafür tun (könnten) 153 6. Europäische Sprachenpolitik und Linguistik X: Dies ist ein Thema, das man am besten mit Hilfe der Hypertextdarstellung dynamisch präsentieren könnte; hier auf dem Blatt Papier gelingt dies nur unzureichend, es gibt aber einen Einblick in die Möglichkeiten der vernetzten und „verlinkten" Gestaltung. Ich werde dieses Blatt, falls Sie noch Zeit haben, sogleich kommentieren. Europa bleibt vielsprachig und multikulturell, oder es wird kein Europa mehr geben. Diese These lässt sich historisch-politisch bestätigen: Die Bewahrung der Identität ist offenbar in einer Zeit zunehmender Internationalisierung und Globalisierung ein herausragendes Kriterium für politische Strukturen und Konzepte. Je mehr von Europa gesprochen wird, umso mehr sind die Menschen nur dann bereit, sich mit der großen und (bislang noch) unpersönlichen Großkonzeption zu identifizieren, wenn sie gleichzeitig die Möglichkeit haben, sich in kleinem, "eigenem" Rahmen wiederzufinden. In jüngster Vergangenheit scheint diese Tatsache immer wieder und in verschiedensten Regionen auf. Dem scheint entgegenzustehen, was sich aus der sozialen Situation in Europa ergibt, und sie steht in engem Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Konjunktur: Wer beruflich international tätig sein will und die durch die europäischen Verträge (Maastricht/ Amsterdam) garantierte Mobilität nutzen will, scheint gut daran zu tun, aufjeden Fall Englisch als lingua franca zu lernen; andere Sprachen treten dem gegenüber in den Hintergrund. Das Risiko dieser Uniformisierung und der Verlust von Identitäten zwingen nicht nur zur sprachenpolitischen Reflexion, sondern auch zu neuen didaktischen Konzepten, und diese wiederum müssen den Studierenden vertraut sein, damit der Sprachunterricht seiner Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft nachkommen kann. A: Ich bin ja gespannt, ob denn nun auch der Bogen zur Linguistik zurückgeschlagen werden kann. X: Worauf Sie sich verlassen können, denn Sie haben ja schon bemerkt: Für mich ist die sprachenpolitische Überlegung am Anfang, und das heißt nicht: der Nutzen, sondern die Verantwortung. Lassen Sie mich diese Bezüge nun anhand des Schaubildes (vgl. S. 154) konkretisieren. FIL111L 29 (2000) 154 Europarat Portfolio ~ Referenzr~_: ~ Un Niveau Seuil Wirtschaftliche/ soziale Situation Funktionale Sprachbeschreibung Pragmatisch-semantische Sprachbeschreibung Langues modimes Netzwerke Albert Raasch ~ SOKRATES ~LEONARDO COMENIUS Sprachliche Vielfalt ist die Grundlage für kulturelle Vielfalt; eine Kultur, die sich nicht mehr sprachlich ausdrücken kann, hat keinen Bestand. Sprachliche Vielfalt heißt in der Formulierung der Europäischen Kommission: Jeder europäische Bürger soll zwei EU-Sprachen neben seiner Muttersprache lernen. Dieses Ziel ist mit den herkömmlichen Instrumenten nicht erreichbar, es zwingt zu innovativen Überlegungen, von denen ich einige aufzählen will: • Der Erwerben der Sprachen muss früher beginnen; Frühbeginn in der Grundschule ab Klasse 3 ist mittlerweile in der Bundesrepublik akzeptiert und zumeist auch schon Praxis. Der nächste Schritt wird gerade getan: In Baden-Württemberg und dem Saarland wird die frühbeginnende Fremdsprache ab Klasse 1 flächendeckend eingeführt. Der nächste Schritt wird sein, dass der Frühbeginn, wie in vielen Fällen schon praktiziert, im bilingualen Kindergarten eingeführt wird. Dies bedingt: neue didaktische Konzepte für eine durchgängige Begegnung mit der Fremdsprache, vom Kindergarten über die Grundschule zur weiterführenden Schule und auch noch darüber hinaus in die Erwachsenenbildung. Die weiterführende Schule kann nicht ignorieren, dass die Kinder nicht mehr mit Null- Kenntnissen in die Klasse 5 kommen; also muss die Didaktik und müssen die Lehrwerke umgelFILll.L 29 (2000) Mehrsprachigkeit - und was wir in Europa dafür tun (könnten) 155 schrieben werden. Kinder lernen eine Sprache anders als Jugendliche, und sie möchten auch etwas anderes lernen. Dies bedeutet: die sprachlichen Inhalte dieser kindgemäßen Varietäten müssen beschrieben und didaktisch reflektiert werden. Dies kann nicht ohne Auswirkung auf die Ausbildung zukünftiger Gymnasiallehrer bleiben. • Das Englische als linguafranca ist ein ausgesprochen nützliches Instrument. Es wäre kurzsichtig und nicht durchführbar, den Drang zum Englischen zu übersehen. Nur: Eine lingua franca, wenn denn das Englische wirklich in dieser Funktion gemeint ist (und also nicht das Englische als kulturell gefüllte, anspruchsvolle Sprache), dann reichen dafür 4 oder maximal 5 Jahre; man braucht dafür nicht 7 oder 9 Jahre (oder bei Frühbeginn gar noch mehr Jahre) wie sie in den Curricula noch vorgesehen sind. Das Englische als klar determiniertes Modul anbieten, dadurch mehr Platz für andere Sprachen (Ziel: Mehrsprachigkeit in Europa) schaffen: Dies wiederum bedingt, dass die Abfolge der Sprachen neu überdacht werden muss, also der „Sprachenhaushalt" des einzelnen Schülers. Die Linguistik kommt dann in diesen Zusammenhang wieder herein, denn der Erfolg der mehrsprachigen Erziehung hängt davon ab, wie weit die Sprachfächer Ausblicke auf die jeweils anderen Sprachen geben, denn was man in der einen Sprache lernt, ist oft schon ein Vorauslernen im Hinblick auf andere zu lernende Sprachen. Dieses Mitlernen kann man nun nicht den Kindern überlassen; die Lehrkräfte brauchen die Kompetenz, solche links herzustellen, und das hat natürlich Folgen: die Mehrsprachigkeit wird zu einer Forderung an die Ausbildung der Lehrer/ -innen werden. Die „Verlinkung" wird sich nicht auf Bezüge zum Englischen beschränken dürfen, sondern: wer Französisch unterrichtet, muss versuchen, Ausblick auf das Spanische und das Italienische zu geben, also die Familienähnlichkeit auszunutzen, um die Mehrsprachigkeit zu fördern. • Mehrsprachigkeit hat ihre Grenzen, je nach den Möglichkeiten der Lernenden. Bekannt ist das Konzept der „rezeptiven Mehrsprachigkeit", die vorsieht, dass man nicht die üblichen vier Fertigkeiten, sondern nur das Rezipieren (Hören und Lesen) lernt, denn dann könnte jeder in seiner Muttersprache sprechen und würde von dem anderen verstanden. Einen solchen Unterricht zu geben, setzt voraus, dass die Lehrkraft eine einschlägige Kompetenz in der Sprachrezeption besitzt und darauf eine Didaktik aufbauen kann. Hier ist dann die Möglichkeit gegeben, auch den sogenannten „kleinen", d.h. weniger verbreiteten und weniger unterrichteten Sprachen "langues modimes") die Chance zu geben, die ihnen in einer partnerschaftlich strukturierten europäischen Gemeinschaft zukommt. • Eine Fremdsprache wird in der Schule i.a. nur dann benutzt, wenn diese Fremdsprache auf dem Stundenplan steht. Warum eigentlich? Gibt es nicht genügend Möglichkeiten, das Französische auch einmal im Kunstunterricht, in der Sozialkunde, im Musikunterricht zum Klingen zu bringen? Dies wiederum setzt Sprachkenntnisse bei diesen Lehrkräften voraus... Was müssten sie können? Fachsprache? Aussprache? Wieder sind linguistische Fragen darin versteckt. • Jemand von Ihnen sagte, dass er auch Geschichte studiert. Haben Sie schon ein Lehrangebot für bilinguale Lehrkräfte wahrgenommen? Dann sollten Sie es bald tun. Wer Geschichte und Französisch studiert und gut kann, ist damit noch kein bilingualer Lehrer, das ist eine gesonderte Kompetenz, mit einem erheblichen Anteil an linguistischen Elementen. Zentral dabei ist die Beherrschung der Konnotationen kultureller Schlüsselwörter, die Aufschluss über die Möglichkeiten interkulturellen Verstehens geben. • Letztlich läuft alles auf einen Begriff hinaus, der eine Orientierung für den Unterricht in einer Klasse ebenso wie für die Organisation einer multilingualen, multikulturellen Gesellschaft bilden kann und für den es im Deutschen kein „richtiges" Wort gibt: European citizenship, Citoyennete europeenne, also die Qualität, in einer Gemeinschaft als ein sich für das Gemeinwohl verantwortlich fühlender, denkender und handelnder Partner zu wirken. Eine der wichtigsten Kompetenzen ist die Fähigkeit, unterschiedliche Meinungen auszuhandeln, um im gemeinsamen Bemühen zu einer Lösung eines Konfliktes zu kommen. Es wird einleuchten, dass man hierfür nicht nur psychische und soziale Kräfte mobilisieren muss, sondern auch linguistische Fertigkeiten braucht. Strategien des VerhanlFL1LIL 29 (2000) 156 Albert Raasch delns und Redemittel für das Aushandeln zu vermitteln, setzt die Beschreibung solcher Redemittel und Strategien voraus, und dies ist vielleicht das überzeugendste, weil auch umfassendste Beispiel für die Rolle angewandter Linguistik als Vorbereitung des Lehrens und des Lernens. Die neuen Europäischen Sprachenzertifikate z.B., die für acht europäische Sprachen existieren, haben in ihrem mündlichen Teil eine solche Anforderung in ein Testformat gebracht. Zwei Kandidaten erhalten unterschiedliche Informationen für ein Simulationsspiel: beide wollen am Wochenende zusammen ausgehen, der eine ins Kino, der andere ins Theater. "Einigt Euch." In der Bewertung der Leistung ist genau das linguistische Arsenal der Sprachstrategien im Mittelpunkt, das zum erfolgreichen Diskurs beiträgt. 7. Europäische Sprachförderprogramme und Studium A: Ich hatte Sie ja ganz zu Anfang um ein Gespräch gebeten, auch im Namen der anderen, und wir hatten wohl alle nicht geahnt, dass sich diese Nachhilfe so lange hinziehen würde. Ich möchte aber abschließend doch noch etwas fragen, was mir im Zusammenhang mit all dem eingefallen ist. Ich kenne ERASMUS als ein europäisches Programm; mir aber sagt weder Portfolio noch Referenzrahmen etwas. Und vielleicht könnten Sie noch ein Wort über andere Programme anschließen, von denen wir noch gar nichts gehört haben. X: Ich gehe gerne darauf ein, denn diese Programme sind für mich Musterbeispiele linguistischer Politik oder politischer Linguistik, wie Sie wollen. Wenn sich jemand z.B. nach dem Abitur um eine Praktikumsstelle oder einen Job bewirbt und gefragt wird, was er in den Fremdsprachen kann, so wird er vielleicht antworten, dass er im Französischen eine „2" im Abiturzeugnis erhalten habe. Und wenn der Personalchef damit nichts anfangen kann, zumal wenn es sich um eine Bewerbung in einer ausländischen Firma handelt? Dann ist es für den Bewerber nicht leicht, seine Sprachkenntnisse angemessen zu beschreiben. Die Zahl der Vokabeln oder seine Kenntnis des Subjonctif könnte er vielleicht noch schildern, aber, wie wir gesehen haben, gerade dies interessiert heute weniger denn je. Wie man Sprachkenntnisse beschreibt, welche Teilfertigkeiten also dazu gehören (z.B. also die Fähigkeit zum konfliktuellen Diskurs), das wird im Referenzrahmen ausgebreitet, und dann werden dort Abstufungen vorgeschlagen, also Niveaustufen in diesen Fertigkeiten, auf die man sich beziehen kann, wenn man seine Fertigkeiten beschreiben will. Und damit der Einzelne damit nicht belastet wird, sollen europaweit diese vertikalen und horizontalen Kriterien bekannt gemacht werden, so dass man zwar die Prüfungen und die Noten überall so beibehält, wie sie jeweils existieren, aber alle können sich durch Einordnung in den Referenzrahmen positionieren und damit die Evaluation der Leistungen ganz erheblich erleichtern. Alles was in diesem Referenzrahmen steht, sind Beschreibungen von Sprache nach dem angedeuteten Muster, und der Hintergrund für das Unternehmen ist die Sprachenpolitik in Europa; das ist sicherlich überzeugend. Nicht viel anders ist es mit dem Portfolio. Sprachenlernen macht der Schüler, nicht der Lehrer. Aber weiß der Schüler, wie er lernt? Weiß er es so weit, dass er sein Lernen kontrollieren und selbst optimieren kann? Diese language learning awareness zu erwerben, ist eine entscheidende Voraussetzung für das systematische Sprachenlernen, lFlL1l! L 29 (2000) Mehrsprachigkeit - und was wir in Europa dafür tun (könnten) 157 trägt also zur Förderung der Mehrsprachigkeit bei. Portfolio ist so etwas wie ein Tagebuch, in das man erbrachte Leistungen und Schwierigkeiten beim Lernen ebenso einträgt wie bestandene Prüfungen oder Reflexionen über das, was man gerne lernen würde, oder über das, was man nun immer noch nicht kann. Ein Extrakt dieses Tagebuchs, das sehr stark auf Selbsteinschätzung beruht, führt zu dem Sprachenpass, den man dann bei Bewerbungen vorweisen kann und der aufschlussreicher ist als die „2" im Abiturzeugnis. Voraussetzung ist, .dass man lernt, wie man seine sprachlichen Leistungen bewerten und beschreiben kann, und da ist dann wiederum die Linguistik gefordert. Beide Projekte, die z. Zt. (2000) noch in der Diskussion und in der Erprobung sind, werden im Jahr 2001 in großen Veranstaltungen vorgestellt werden, und sie werden für Ihr weiteres Studium und für Ihre unterrichtliche Tätigkeit Grundlagen liefern. Portfolio und Referenzrahmen sind Ergebnisse intensiver Arbeiten des Europarates; die Europäische Kommission hat ebenfalls wichtige Programme aufgelegt (darunter ERASMUS, das Ihnen aus dem universitären Bereich am ehesten bekannt ist), ferner SOKRATES und LEONARDO, die speziell der Sprachförderung dienen, SOKRATES im Rahmen der Allgemeinbildung und LEONARDO für die berufliche Bildung. Beide Programme haben ihre erste Programmphase hinter sich (vordem hießen diese Programme LINGUA) und sind mit dem 1.1.2000 in die Programmphase II eingetreten. Zur Zeit (März 2000) liegen erste Entwürfe für die Leitlinien des SOKRATES-Programms vor; ich habe diesen Text gerade zur Hand, darin heißt es: "Ziel dieser Aktion ist insbesondere: • in den Bürgern das Bewusstsein für die sprachliche Vielfalt der Union und für den Nutzen eines lebensbegleitenden Sprachenlernens zu wecken und sie dazu zu motivieren, aus eigenem Antrieb Fremdsprachen zu erlernen • die Mittel für den Erwerb von Fremdsprachen in Europa leichter zugänglich zu machen und die Unterstützung für die Lernenden zu fördern; • die Verbreitung von Informationen über innovative Ansätze und bewährte Verfahren für den europäischen Fremdsprachenunterricht unter den Zielgruppen sicherzustellen." 8. Sprachenpolitik am Beispiel „Grenzen in Europa" C: Wenn denn die Sprachenpolitik ein so hohen Stellenwert hat, warum ist denn das nicht ich komme auf meine Frage von vorhin zurück in den Vorlesungsverzeichnissen ausgewiesen? X: Ich denke, dass dies ein Übergangsstadium ist; die Sprachenpolitik ist unumgänglich geworden, und sie findet sich in vielen Lehrveranstaltungen schon jetzt, implizit und indirekt. Aber ich bin überzeugt, dass sich die Bundesrepublik aus diesem europäischen Trend nicht auf Dauer heraushalten kann. Vielleicht ist es ja an Ihnen, diese Entwicklung zu beschleunigen, also gewissermaßen Sprachenpolitik für Sprachenpolitik zu machen, also Meta-Sprachenpolitik. Es ist ein ermutigendes Zeichen, denke ich, dass unser Gespräch hier in dieser Zeitschrift veröffentlicht wird. Diese Tatsache belegt, dass es viele Verbündete gibt. lFLIIL 29 (2000) 158 Albert Raasch Lassen Sie mich abschließend einen Hinweis auf ein Projekt geben, das „hoch aufgehängt" im Fremdsprachenzentrum des Europarats in Graz angesiedelt ist, das seit 1997 läuft und bis zumindest 2002 weiterlaufen wird und dessen Titel lautet: "Fremdsprachendidaktik für Grenzregionen".2 Grenzregionen, das ist z.B. Saar-Lor-Lux; das sind die Euregionen an der niederländisch-deutschen Grenze, das sind die Regionen von Frankfurt/ Oder und Siubice oder die deutsch-dänische Kooperationszone. Dieses Projekt kann noch einmal deutlich machen, welche Auffassung von Sprache europaweit heute immer stärker in das Blickfeld rückt: "Entlang den zahlreichen Grenzen zwischen den europäischen Ländern treffen Sprachen und/ oder Kulturen aufeinander. Diese Kontakte sind mehr oder weniger entwickelt, je nach den historischen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bedingungen, und sie werden in jeweils unterschiedlicher Weise als Chancen, aber auch als Belastungen oder gar als Risiken aufgefasst. In zahlreichen Fällen wird deutlich, wie durch geduldiges, beharrliches Bemühen durch Sprachen, Sprachkenntnisse und Sprachvermittlung Brücken über die Grenzen gebaut werden können; in anderen Fällen hat man offensichtlich noch einen weiten und vielleicht schwierigen Weg vor sich. Diese besondere Situation von Sprachen und Kulturen an Grenzen gibt Anlass, eine spezifische Didaktik zu entwickeln; Beispiele erfolgreicher Bemühungen in dieser Richtung können Mut machen, diese Bemühungen fortzusetzen und auch anderen, bisher zurückhaltenden Regionen Anregungen für solche Entwicklungen zu geben." A: Eine allerletzte Frage: Wo kann man darüber etwas nachlesen? X: Wenn ich Ihre Frage nun beantworten soll, dann treten wir allerdings aus der Anonymität der Fiktion heraus; sei's drum: Sie finden Näheres im Internet. Adresse: http: / / www.phil.uni-sb.de/ fr/ romanistik/ raasch/ Zur Erläuterung: Der Autor ist Wissenschaftlicher Leiter der Nationalen Koordinierungsstelle NATALI, zuständig für Teilprogramme von SOKRATES und LEONARDO für die Bundesrepublik, im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Koordinator des Projekts „Fremdsprachendidaktik für Grenzregionen"; in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Fremdsprachenzentrum des Europarates, Graz, wird das Projekt getragen vom Goethe-Institut, München, Kulturkontakt Austria, Wien, und derTalenacademie Nederland, Maastricht. Leiter des Projekts „Französisch" der „Europäischen Sprachenzertifikate". FLuL 29 (2000) Michel Candelier, Berengere Dumoulin La diversite linguistique dans les systemes educatifs en Europe: etat des lieux et analyse des obstacles · Abstract. On behalf of the Council of Europe a survey about the state of language diversity in European education was conducted in 1998-99. In order to appreciate the grade of diversity for foreign languages, immigrant languages and indigenous minority languages, a set of criteria and scales has been developed and applied to 40 countries. The raw data analysed by this instrument were collected in the existing literature andin questionnaires sent to Ministries, language teachers associations and experts. In most countries the level of educational linguistic diversity appeared tobe very low, especially for minority languages, but also for foreign languages. One of the most striking outcomes is that generally the highest levels of diversity are not found in the richest countries. This may question the widespread assumption that diversity is a luxury which govemments cannot afford for. 1. Presentation La presente contribution est issue d'un rapport confie par le Conseil de l'Europe au Laboratoire de Sociolinguistique de l'Universite Rene Descartes Paris V (Departement de Linguistique, Faculte des Sciences Humaines et Sociales- Sorbonne) pour la preparation de la Corifärence "Diversite linguistique en faveur de la citoyennete democratique en Europe" qui s'est tenue a Innsbruck en.mai 1999 (Candelier/ Dumoulin/ Koishi 1999). 1 Le rapport s' appuie sur une enquete dont le principe n' a ete arrete qu' au debut de juillet 1998. Etant donnee la brievete des delais, il s'agit d'une enquete preliminaire, dont les ambitions demeurent restreintes tant au niveau de la collecte des donnees qu'a celui de leur traitement. Le questionnaire d' enquete a ete diffuse a plus de 180 personnes (responsables educatifs, responsables associatifs, specialistes de politiques linguistiques) dans les divers Etats membres du Conseil de la Cooperation Culturelle par les soins de la Section Langues Vivantes du Conseil de l'Europe. Les informations ainsi recueillies ont ete completees par la lecture de travaux existants, qu'il s'agisse de travaux specifiques a un pays donne ou de vues d'ensemble deja disponibles (Conseil de l'Europe 1997; Eurydice 1998a, 1998b). 2 Le texte est egalement publie dans Jes actes du XXIIIeme Congres International d' education comparee organise a Strasbourg en juillet 1999 par I' AFEC (Association Francophone d'Education Comparee.) l Ce rapport a ete realise par Michel Candelier (alors Mal'tre de Conferences a l'Universite Rene Descartes Paris V, responsable du projet), Berengere Dumoulin (etudiante en 3,m, cycle, Universite Paris VIII) et Atsuko Koishi (Mal'tre de Conferences a l'Universite Keio, Japon). Une aide ponctuelle a ete apportee par Nadege Labrousse (etudiante en DESS a l'Universite du Maine, Le Mans). 2 II convient a cette occasion de remercier ! es etudiants de Mal'trise de Fran~ais langue etrangere de l'Universite Rene Descartes Paris V ( 1998-1999) qui ont effectue un travail de collecte remarquable dans Je lFLllllL 29 (2000) 160 Michel Candelier, Berengere Dumoulin Quoique l' on trouve dans le rapport certains traitements de nature statistique (principalement sous forme de comparaisons de pourcentages), le travail entrepris etait a visee essentiellement qualitative, et ceci sous deux aspects : • d'une part, en fonction de l'orientation meme de l'enquete, qui, par dela les chiffres, sollicitait principalement des indications verbales (appreciation de Ja situation, contenu des Intentions officielles, relation entre ces intentions et Ja realite educative, obstacles/ contraintes qui freinent les efforts visant a Ja diversite, eventuels succes rencontres dans leur depassement); • d'autre part, en fonction d'une volonte de depasser, en matiere de donnees chiffrees, Je niveau des simples donnees brutes et d' en degagerune appreciation du niveau de diversite qu' elles representent. Dans la presente contribution, nous nous lirniterons a deux aspects que nous considerons comme essentiels : les niveaux de diversite atteints dans les divers pays pour les differents types de langue ainsi que les obstacles/ contraintes qui peuvent les expliquer. 2. La diversite linguistique educative : etat des lieux 3 44 pays europeens, Turquie y compris, ont participe a l' enquete prelirninaire. Avant de presenter un bilan de la diversite linguistique educative a la suite de cette enquete prelirninaire, nous exposerons le cadre conceptuel et les outils d'analyse que nous avons elabores dans le cadre d'une reflexion sur les criteres de la diversite linguistique dans les systemes educatifs europeens. Le cadre conceptuel et les outils d'analyse: Nous avons eu a foumir deux ordres de definitions prealables pour le cadre conceptuel: la notion de diversite et les divers types de langues. Concemant la diversite en matiere educative, on considere qu 'un systeme educatifest d'autant plus diversifie linguistiquement parlant qu 'un plus grand nombre de langues differentes sont apprises par un plus grand nombre d'apprenants avec une qualite d'enseignement d'autant plus elevee. La question des types de langues est tres complexe. Nous avons essaye d'elaborer un ensemble de definitions operatoires. Parrni les langues rninoritaires 4 presentes sur le territoire d'un pays, on distinguera deux types de langues: prernierement ! es langues dont ! es locuteurs se ressentent comme autochtones, que l'on appellera "langues minoritaires autochtones" (LMA); deuxiemement, ! es langues dont ! es locuteurs se ressentent comme migrants ou issus de migrants, que l'on appellera "langues de migrants" (LMG). Nous pensons que la distinction ainsi effectuee permet de prendre en compte les categorisations differentes qui sont adoptees dans divers pays. Les LMA ainsi definies peuvent etre langues officielles du pays en question, a divers niveaux (totalite ou partie du territoire, domaines d'officialite). cadre d'une unite d'enseignement intitulee "Politiques linguistiques educatives: les contextes d'apprentissage" sous Ja direction de Michel Candelier. Beaucoup d' informations ont egalement ete recueillies sur des sites intemet (en particulier). 3 On utilisera desormais l'expression "diversite linguistique educative" afin d'eviter de repeter l'expression plus complexe "diversite des langues dans un systeme educatif'. 4 C'est a dire des langues en situation minoritaire. II s'agit plus pour nous d'une question de rapport de force, politique et symbolique, que d'une simple question d'ordre numerique. lFlLl! L 29 (2000) La diversite linguistique dans les systemes educatifs en Europe ... 161 On appellera "langues etrangeres" (LE) dans le systeme educatifd'un pays donne taute langue presente dans ce systeme educatif qui n 'a pas dans le pays considere le statut de langue officielle et qui n 'est ni une LMA ni une LMG, sauf cas particuliers decrits ci-dessous. En fonction de l' apprenant qui rer; ; oit l' enseignement, il va en effet exister des cas ou une langue va etre prise en compte a la fois dans la partie consacree aux LE et dans celle consacree aux LMA ou LMG. C'est le cas quand des LMA ou LMG existant par ailleurs comme langues officielles dans un pays etranger sont apprises d'une part par leurs locuteurs natifs, dont c'est la langue matemelle, et d' autre part par des apprenants dont ce n' est pas la langue d'origine. La langue est alors comptee comme LE. On rencontre cette situation au Danemark dans le cas de l' allemand. En nous appuyant sur les definitions presentees ci-dessus nous avons elabore des listes d'indicateurs afin de mesurer le degre de diversite linguistique educative atteint dans les systemes educatifs europeens. Nous avons construit une liste d'indicateurs pour chaque type de langue. La prerniere conceme les langues etrangeres [= LE] (cf. legende p. 162). Nombre de A a Niveau 1 Langues (P) Noyau + b Niveau 1 C Niveau 2 Eventail B d Niveau 1 e Niveau 2 f Niveau 2 g Niveau 2 Compleh Niveau 3 ment traitement C Niveau 3 j Niveau 3 k Niveau 3 Tab. 1: Vue d'ensemble des indicateurs - (LE) IFLuL 29 (2000) 162 Michel Candelier, Berengere Dumoulin Legende (Tab. 1): a nombre de langues-places obligatoires ou facultatives dans ! es enseignements pre-scolaire, primaire et secondaire (premier cycle, second cycle et professionnel) b nombre de langues-jetons presentes dans ! es enseignements pre-scolaire, primaire et secondaire (premier cycle, second cycle et professionnel c accessibilite egale a Ja diversite pour l'enseignement pre-scolaire, primaire, secondaire (premier cycle, second cycle et professionnel) d dispersion dans l'enseignement pre-scolaire, primaire, secondaire (premier cycle, second cycle et professionnel) e diversite des types de langues dans I'enseignement pre-scolaire, primaire, secondaire (premier cycle, second cycle et professionnel) f nombre de langues-jetons presentes dans ! es autres secteurs de l'enseignement g secteurs de l'enseignement pre-scolaire, primaire, secondaire (premier cycle, second cycle et professionnel) dans Iesquels ! es LMF sont presentes h duree hebdomadaire de l'enseignement des LMF dans ces secteurs validation des LMF et röle a I'entree des cursus j statut administratif et formation des enseignants de LMF k qualite de I'enseignement des LMF Un systeme scolaire peut prevoir l'obligation ou la possibilite d'apprendre une, deux ou trois langues a un niveau donne, independamment de l'identite de cette ou de ces langues. On dira que le nombre de langues-places (obligatoires ou facultatives) est de un, deux ou trois langues pour les eleves de ce niveau. Le nombre de langues places obligatoires ou facultatives dans les enseignements pre-scolaire, primaire et secondaire (premier cycle, second cycle et professionnel) est le premier indicateur, c'est-a-dire l'indicateur a). La question du nombre de "places" n'a de sens reel que dans les cinq secteurs que nous avons cites. L' autre aspect, pour ces cinq secteurs de l' enseignement est represente par l'indicateur b), le nombre de langues-jetons. II s' agit la du nombre de langues designees qu 'un systeme offre pour une place donnee, ou toute place confondue. Un systeme educatif Oll les eleves peuvent choisir entre quatre langues designees differentes disposera d'un nombre de langues-jetons egal a quatre. Par exemple les eleves pourront choisir comme premiere langue etrangere entre l' allemand, le chinois, le bulgare ou le portugais. L'indicateur b) est une partie de ceux par lesquels on desire rendre compte de ce que l' on peut appeler "l' eventail de langues" propose par un systeme educatif. II est complete dans cet eventail par d'autres indicateurs. Tout d'abord, l'accessibilite egale a la diversite pour l'enseignement pre-scolaire, primaire et secondaire. Cet indicateur tient compte du fait que l' acces aux differentes langues jetons depend souvent du lieu Oll l' apprenant habite, voire de son milieu social, notamment par le biais des langues "reservees aux meilleurs". II y a bien sfir une diffärence importante du point de vue de la diversite entre un pays Oll on peut choisir six langues mais dont l'une recueille 95% des choix, et un pays ou il a egalement six langues au choix, mais Oll la repartition est plus equilibree. D' Oll la necessite d'un indicateur mesurant la dispersion des langues dans l' enseignement. 11 convient egalement de tenir compte de ce que l' on pourrait appeler la "richesse" de l' eventail : la diversite n' aura pas la meme intensite selon que, a nombre egal, ces langues seront uniquement lFLll! L 29 (2000) La diversite linguistique dans / es systemes educatifs en Europe ... 163 quelques "grandes langues" d'origine europeenne ou selon qu'elle inclut les langues des voisins, des langues non-europeennes, etc. D'ou un indicateur sur la diversite des types de langues. Du point de vue de la diversite, les autres secteurs educatifs constituent principalement un "second recours", une nouvelle chance donnee aux langues les moins enseignees et a ceux qui desirent les apprendre. C' est cet aspect que nous retenons dans l'indicateur (f). Le nombre de langues-places (indicateur a) et "l'eventail" constituent ce que l'on pourrait appeler le "noyau" des indicateurs de la diversite. 11 faut y ajouter une serie d'indicateurs qui touchent a la fai; : on dont les langues les moins frequentes (LMF) presentes dans l'enseignement pre-scolaire, primaire et secondaire sont traitees, la question etant de savoir si elles sont ou non moins bien traitees que la langue la plus frequente (LPF). 11 s'agit d'elements qu'on range habituellement sous la notion de "statut" des langues dans l'enseignement. Ce sont aussi des elements touchant a la qualite de l' enseignement (indicateurs g a k). Les divers indicateurs ne sont pas consideres comme ayant tous le meme degre d'importance. D'ou l'existence de trois niveaux, le niveau un etant le niveau le plus important (cf. legende p. 164). Noyau Complement Proportion delangues + Proportion 1 d'apprenants traitement minoritaires et majoritaires A B a a' b b' C c' d d' e f g h Tab. 2: Vue d'ensemble des indicateurs-(LMA et LMG) lFILllliL 29 (2000) Niveau 1 Niveau 2 Niveau 1 Niveau 2 Niveau 2 Niveau 3 Niveau 2 Niveau 3 Niveau 3 Niveau 3 Niveau 1 Niveau 2 Niveau 3 164 Michel Candelier, Berengere Dumoulin Legende (Tab. 2): a proportion de LMA/ G presentes dans l'enseignement pre-scolaire, primaire, secondaire (premier cycle, second cycle et professionnel) en tant que langues d' enseignement par rapport aux LMA/ G presentes sur Je territoire a' proportion de LMA/ G (autres que celles deja prises en compte en a) presentes dans I' enseignement pre-scolaire, primaire, secondaire (premier cycle, second cycle et professionnel) en tant que langues enseignees comme matieres par rapport aux LMA/ G presentes sur Je territoire b pour ! es LMA/ G beneficiant d'un enseignement recense en a) ci-dessus (enseignement dans Ja langue), proportion moyenne d' apprenants beneficiant de cet enseignement par rapport au public potentiel b' pour ! es LMA/ G beneficiant d'un enseignement recense en a') ci-dessus et pour ! es langues mentionnees en a, dans Ja mesure ou elles sont parallelement enseignees comme matiere, proportion moyenne d'apprenants beneficiant d'un enseignement de langue comme matiere par rapport au public potentiel c pour ! es LMA/ G beneficiant d'un enseignement recense en a) ci-dessus (enseignement dans Ja langue), nombre de secteurs de l'enseignement dans lesquels elles sont presentes et proportion de matieres enseignees dans Ja langue c' pour ! es LMA/ G beneficiant d'un enseignement recense en a') ci-dessus (enseigneme,nt de Ja langue), nombre de secteurs de l'enseignement dans lesquels elles sont presentes d validation des LMA/ G beneficiant d'un enseignement recense en a) ci-dessus (enseignement dans Ja langue), et röle de ces LMA/ G a l'entree des cursus d' validation des LMA/ G beneficiant d'un enseignement recense en a') ci-dessus (enseignement de Ja langue), et röle de ces LMA/ G a l'entree des cursus e statut administratif et formation des enseignants de LMA/ G f qualite du materiel d'enseignement des LMA/ G g acces des locuteurs de LMA/ G a un enseignement de LOM h acces des locuteurs de LOM a un enseignement de LMA/ G dans l'enseignement pre-scolaire, primaire, secondaire (premier cycle, second cycle et professionnel) acces des Jocuteurs de LOM a un enseignement de LMA/ G dans ! es autres secteurs de I'education Pour les LMA et les LMG, dont les typologies d'indicateurs sont tres proches, les indicateurs les plus importants sont d'une part, la proportion de LMA/ G, parmi l'ensemble des LMA/ G presentes, pour lesquelles un acces a un apprentissage est possible; et d'autre part la proportion d' apprenants qui beneficient reellement de cette possibilite par rapport au nombre d'apprenants qui pourraient en beneficier. On distingue systematiquement entre "enseignement DANS" et "enseignement DE", c'est-a-dire en tant que matiere. Pour chaque pays pour lequel nous disposions d'informations suffisantes, nous avons donc rempli une fiche. Cinq indicateurs generaux precedaient les indicateurs specifiques pour chaque type de langues (LE, LMA et LMG). Ces indicateurs nous renseignent sur le niveau de multilinguisme/ multiculturalisme du pays, sur son contexte politique en terme de stabilite plus ou moins recente, sur sa situation economique en terme de PIB par habitant plus ou moins elevee et enfin sur sa situation vis-a-vis de la Charte europeenne des langues regionales ou minoritaires d'une part, et de la Convention-Cadre sur la protection des minorites nationales d'autre part. Un bilan des trois premiers indicateurs generaux indique que plus des trois-quarts des pays ont un pourcentage de locuteurs de langues minoritaires lFLUIIL 29 (2000) La diversite linguistique dans [es systemes educatifs en Europe ... 165 (autochtones ou de migration) qui depasse 5% de leur population totale. Pour la moitie de ces pays, ce pourcentage se situe entre 5 et 20%. 11 depasse 20% pour un peu moins d'un tiers d'entre eux. Ces chiffres montrent bien que l'Europe est doublement multilingue: au multilinguisme des Etats qui la composent s' ajoute le multilinguisme interne a ces Etats dorrt la dimension, souvent sous-estimee, est tout a fait importante. Nom duPays 5 Les indicateurs generaux a. multilinguisme/ multiculturalisme .................. . b. contexte politique ................................ . c. situation economique ............................. . d. statut vis-a-vis Charte langues regionales et minoritaires e. statut vis-a-vis Convention cadre minorites .......... . II s'agit ici d'un exemple anonyme. Cette fiche ne correspond a aucun pays particulier. IFLIJllL 29 (2000) 166 Michel Candelier, Berengere Dumoulin Les langues etrangeres (LE) A a. nombre de LE (P) en pre-scolaire, primaire et secondaire ß nombre de LE (J) en pre-scolaire, primaire et secondaire .. C. accessibilite egale a Ja diversite ..................... . B g,_ dispersion ....................................... . e. diversite des types de LE ........................... . f. nombre de LE (]) dans autres secteurs d'enseignement * .. g. secteurs de l'enseignement pour ! es LMF .............. . h. duree hebdomadaire des LMF ....................... . C i. validation des LMF et röle.a I'entree des cursus ......... . j. statut et formation des enseignants de LMF ............ . k. qualite de l'enseignement des LMF .................. . * Les criteres mis en italique sont ceux pour lesquels il n'y a pas eu d'informations suffisants Les langues minoritaires autochtones (LMA) A lh Proportion de LMA en pre-scolaire, primaire et secondaire comme langue d'enseignement ..................... . a'. Proportion de LMA comme matiere B Q.,_ proportion / apprenants potentiels (a) ................ . b'. proportion / apprenants potentiels (a') ............... . c. nombre de secteurs de l'enseignement (a) et proportion matiere .......................................... . c'. nombre de secteurs de l'enseignement (b) ............ . d. validation et röle a l'entree des cursus (a) ............. . C d'. validation et r8le a l'entree des cursus (b) ............ . e. statut et formation des enseignants .................. . f. qualite du materiel d'enseignement ................. . FILIIL 29 (2000) La diversite linguistique dans les systemes educatifs en Europe ... g.,_ acces locuteurs LMA a Ja LOM .................... . D h. acces majoritaires a LMA dans pre-scolaire, primaire, secondaire .............. · ........................ . i. acces majoritaires a LMA dans autres secteurs enseignement .......................................... . ·Les langues de migrants (LMG) A Jh Proportion de LMA en pre-scolaire, primaire et secondaire comine langue d'enseignement ....•................. a'. Proportion de LMA comme m_atif: re. . ............... . B lb. _b'. proportion / apprenants potentiels (a) proportion / apprenants potentiels (a') C. nombre de secteurs de l'enseignement (a) et proportion matiere ................................•........... c'. nombre de secteurs de l'enseignement (b) ............. . d. validation et role a l'entree des cursus (a) C d'. validation et röle a l' entree des cursus (b) ............. . e. statut et formation des enseignants .................. . f. qualite du materiel d'enseignement ................. . g.,_ acces locuteurs LMA a Ja LOM .................... . D h. acces majoritaires a LMA dans pre-scolaire, primaire, secondaire .......... '. .......................... . i. acces majoritaires a LMA dans autres secteurs enseignement ............... · .......................... . FLuL 29 (2000) 167 2 168 Michel Candelier, Berengere Dumoulin 3. Bilan de l'enquete preliminaire: vers une typologie de la diversite linguistique educative en Europe Pour ee qui est des resultats de eette enquete preliminaire en matiere de diversite, on eonstate, dans le domaine des langues etrangeres (LE), que dans deux pays sur trois, la possibilite d' apprendre une deuxieme langue-plaee n' existe que dans un seul seeteur de l' enseignement. Dans plus de quatre pays sur eing, le nombre de langues-jetons dans l'ensemble de l'enseignement pre-seolaire, primaire et seeondaire ne depasse pas eing. Dans pres de quatre pays sur eing, la langue la plus frequente est apprise par un nombre d'eleves plus important que l' ensemble des autres langues. Coneernant les langues minoritaires autoehtones, on eonstate qu'a peine un pays sur quatre offre un enseignement dans la langue a deux-tiers du publie eoneerne pour deux-tiers des LMA. On ne eonstate generalement pas de "eompensation" d'un enseignement peu frequent en LMA par un enseignement de LMA en tant que matiere. Pour les langues d'immigration, le nombre restreint d'informations, qui est lui-meme peut-etre revelateur d'une prise en eompte limitee de ees langues, y eompris lorsqu'il y ade nombreux migrants dans le pays, semble indiquer que les efforts en vue d'une diversite linguistique edueative sont ici eneore plus faibles que ee n'est generalement le eas pour les LMA. La mise en relation des indieateurs par pays a permis une reeherehe des eventuelles eorrelations en jouant sur la classifieation des indieateurs par pays (voir tableau de l' annexe 7-b en exemple, page 169). Nous avons notamment mis en relation le nombre de languesplaees et eelui de langues-jetons. On voit que les pays qui offrent un nombre de languesplae~s eleve ne sont pas neeessairement eeux qui assurent un large eventail de langues, que eelui-ei soit appreeie en terme de nombre de langues-jetons ou de dispersion. A partir d'un ealcul pondere des indieateurs de la diversite pour les LE, LMA et LMG, nous avons reparti l'ensemble des pays en trois eategories. Pour les LE, la premiere eategorie, eorrespondant a la diversite la plus forte, regroupe 13 pays. On y trouve, a l'exeeption de trois pays d'Europe oeeidentale, uniquement des pays d'Europe eentrale et orientale, du nord eomme du sud (y eompris Balkans et Cauease). Dans la troisieme eategorie, a la diversite la plus faible, eomptant 14 pays, on trouve prineipalement des pays du sud de l'Europe (oeeidentale ou non). La seeonde eategorie (eategorie moyenne) est indifferenciee en ee qui eoneerne l'axe nord-sud, avee une legere dominante des pays oeeidentaux. L'hypothese selon laquelle les pays les moins riehes seraient, faute de moyens, les moins diversifies en LE ne semble pas etre validee par les donnees traitees. Les pays les plus riehes ont un enseignement de LE moins diversifie. Seuls 23% d'entre eux se retrouvent parmi les plus diversifies, soit deux fois moins souvent que la moyenne des pays (42,5%). Pour les langues minoritaires autoehtones, la premiere eategorie eompte 7 pays a la situation geographique diverse. La deuxieme eategorie regroupe 10 pays qui ont tendanee a se eoneentrer dans la moitie nord de l'Europe, alors que les 11 pays de la troisieme eategorie, pour leur part, se eoneentrent dans la moitie sud de l'Europe. Aueun des pays les plus multilingues ne se trouve dans la eategorie 3, a la diversite la plus faible. Ces memes pays multilingues qui ne representent que 22% des 28 pays eonsideres, sont deux fois plus nombreux parmi eeux d'entre eux presentant la meilleure diversite linguistique edueative. lFLIIL 29 (2000) La diversite linguistique dans les systemes educatifs en Europe ... 169 L'ensemble des pays de stabilite politique recente ou precaire se retrouvent dans la categorie ayant la diversite la plus faible. L'hypothese selon laquelle ce sont les pays les plus riches qui offriraient la meilleure diversite etant donne les efforts financiers necessites par la diversite, n'est une fois de plus pas verifiee pour les LMA. Nous n'avons pas obtenu assez d'informations sur les LMG pour pouvoir ne serait-ce qu' esquisser .une typologie en la matiere. Annexe 7-b: L'indicateur "Nombre de langues (P)" et les autres indicateurs (NR = non reponse) Eventail Qualific. Nombrede Nombrede accessibilite dispersion diversite Nombre L-jetons Nombrede Langues-places Langues-jetons tYfe>s autres secteurs secteurs (a) (b) (c) (d) e) (t) (g) (40pays) (40 pays) (25 pays (32 pays) (40 pays) (23 pays) (37 pays) niveau N= niveau lf'LUIL 29 (2000) 170 Michel Candelier, Berengere Dumoulin Eventail Qualific. Nornbrede Nornbrede accessibilite dispersion diversite Nornbre L-jetons Nornbrede Langues-places Langues-jetons ms autres secteurs secteurs (a) (b) (d) (f) (g) (40 pays) (40 pays) (32 pays) (40 pays) (23 pays) (37 pays) Quand on regroupe les LMA et les LE, on trouve un seul pays avec une diversite forte en LE et LMA (c'est un pays d'Europe centrale et orientale), 9 pays ayant une diversite elevee en LE et moyenne en LMA, ou Je contraire. Parmi ces 9 pays, 6 sont des pays d'Europe centrale et orientale. On trouve egalement 9 pays qui ont une diversite faible dans les deux types de langues. Parmi ces 9 pays, 7 sont des pays occidentaux et 5 sont parmi ! es plus riches, alors qu' on ne compte qu 'un seul pays de cette categorie parmi les moins riches. Pour conclure, il nous parait important de noter que nous avons pu relever a travers cette enquete differentes conceptions de Ja diversite linguistique. Nous en avons repere de trois types: Ja diversite linguistique uniquement "externe", Ja diversite "etendue", et enfin Ja diversite "interne reciproque". La diversite "externe" est une conception plutöt reductrice de Ja diversite linguistique educative, c'est-a-dire que ne sont evoquees a son propos que des langues parlees hors du pays, en general des langues tres repandues, au statut de lingua franca internationale. La diversite "etendue" integre a une vision purement externe de Ja diversite linguistique educative, une dimension "interne" de Ja diversite linguistique, a savoir les langues minoritaires, LMA et/ ou LMG. La diversite "integre reciproque" repose sur Ja conception selon laquelle ! es "majoritaires" devraient egalement apprendre ! es langues minoritaires. Si Ja diversite "etendue" est assez largement repandue, Ja diversite "interne reciproque", pour sa part reste encore exceptionnelle. fLllL 29 (2000) La diversite linguistique dans les systemes educatifs en Europe ... 171 4. Les obstacles et contraintes L'etude entreprise porte sur 37 pays. Elle repose principalement sur les conceptions des enquetes, mais aussi sur diverses autres sources que nous avons pu consulter, essentiellement pour les pays desquels nous n'avons pas re<; : u de reponse. 6 Le nombre moyen de reponses par pays ayant repondu etant de 1,4, nous avons prefere renoncer a une etude comparative systematique qui aurait pu mettre en evidence des opinions differentes en fonction de la position institutionnelle de chaque repondant. Sur une matiere aussi peu quantifiable, il n'y aurait eu pas de sens a recourir a une approche principalement statistique. Elle nous a paru cependant suffisante pour 1' etablissement d'une typologie relativement exhaustive, que nous completons en indiquant par quelques chiffres si les divers types d'obstacles/ contraintes 7 sont frequemment evoques ou non. Ces chiffres n'ont bien sfir qu'une valeur limitee. Nous avons du constater, a la lecture des reponses a l'enquete, que la plupart des repondants, en exposant leur conception des obstacles et des contraintes, avaient prioritairement en tete la diversite en matiere de langues etrang~res. C' est une autre limitation qu' il convient de ne pas oublier. Comme toute typologie, ce tableau (voir page 172) est a la fois le produit des pre-conceptions de ses auteurs et de la realite rencontree. Cette derniere a ete globalement determinante. Nous avons cependant tenu a faire une place a trois categories (signalees par des caracteres en italique) que la connaissance prealable dont nous disposions nous a amenes a poser, malgre l'absence (par ailleurs explicable) d'exemples dans le corpus. Dans le tableau, on a tente de regrouper les divers obstacles/ contraintes mentionnes en fonction de deux axes, selon qu'ils relevent: • de la provision ou de l'usage qui en est fait 8 ; • du monde des representations ou de celui des contingences mat6rielles. Ladelimitationen sous-categories a l'interieur de chacune des quatre grandes divisions du tableau ne signifie pas que ces sous-categories sont totalement etrangeres les unes aux autres: II est clair par exemple que les volontes politiques ne sont pas independantes des representations que les decideurs politiques ont des langues, ou encore que I' organisation des cursus pourrait etre en partie differente si les moyens financiers etaient plus eleves. L' absence d' interet de certains responsables politiques pour la diversification linguistique (2.b) constitue l'obstacle le plus frequemment mentionne dans les reponses au questionnaire (31 occurrences concemant 19 pays). Elle est suivie, par ordre de frequence, par le manque d'enseignants en langues moins repandues (5.d, 24 occurrences concemant 17 pays). De maniere generale; l'obstacle financier en soi (point 5.) est cite dans 19 pays. 6 En particulier, ! es "Rapports nationaux" etablis a l'occasion du deuxieme colloque annuel du Centre europeen pour ! es langues vivantes (Conseil de l'Europe, Graz 1997). 7 L' expression complexe "obstacles/ contraintes" (ou: "obstacles et/ ou contraintes") a pour fonction d'indiquer que selon ! es cas, ! es effets negatifs sur la diversite peuvent etre plus ou moins importants. 8 Les raisons qui nous ont amenes a prefärer "provision / vs./ usage" a "offre" / vs./ "demande" ont ete exposees dans Je rapport. lFILlllL 29 (2000) 172 obstacles/ contraintes relevant des representations obstacles/ contraintes d'ordre materiel Michel Candelier, Berengere Dumoulin Typologie des obstacles/ contraintes PROVISION 1. Representations / attitudes collectives-individuelles des decideurs politiques et responsables educatifs: a) propos des langues (utilite, difficulte, appreciation esthetique ...) de ceux qui ! es parlent et des cultures auxquelles elles sont liees b) a propos des capacites d' apprentissage (surcharge de travail, filles/ gar- <,ons ... ) c) a propos de la situation des enseignants 2. Volonte politique : a) strategies visant a favoriser ou defavoriser certaines langues b) absence de volonte politique en faveur de la diversite 5. Limitations des moyens et consequences en termes de : a) nombre de langues-places et de langues-jetons proposees b) distribution geographique de la provision c) modicite du salaire des enseignants d) formation des maitres 6. Organisation des cursus : a) mises en concurrence d' enseignements b) effets vers l'amont c) absence de continuite pour les langues les moins enseignees d) validation USAGE 3. Representations / attitudes collecives-individuelles des apprenants et des parents : a) apropos des langues (utilite, difficulte, appreciation esthetique ... ) de ceux qui ! es parlent et des cultures auxquelles elles sont liees b) ii propos des capacites d'apprentissage (surcharge de travail, filles/ garrons ... ) 4. Strategies d'acces a l'education et a la culture 7. Incapacite financiere a prendre en charge: a) des offres educatives onereuses b) des coilts de deplacement ou de residence 8. Limites objectives des capacites d'apprentissage: Les representations/ attitudes des apprenants et des parents apropos des langues de ceux qui les parlent et des cultures auxquelles elles sont liees (3.a) constituent un obstacle assez souvent cite (14 occurrences concernant 11 pays). On retrouve ici principalement des representations tres favorables a l'anglais. A peu pres au meme niveau de frequence, on trouve le nombre de langues-places et de langues-jetons proposees (5.a, 12 occurrences concernant 9 pays), sans qu' il soit toujours possible de savoir clairement s 'il est fait reference a une limitation des moyens en tant que cause de ce manque. Egalement au meme niveau, la distribution geographique de la provision (10 occurrences concernant 8 pays). lFLIIL 29 (2000) La diversite linguistique dans les systemes educatifs en Europe ... 173 Les strategies visant a favoriser ou defavoriser certaines langues (2.a) ne sont evoquees que dans 6 questionnaires (concemant 6 pays), mais il s'agit a chaque fois d'une politique en faveur de l'anglais. La categorie l .a (representations/ attitudes des decideurs politiques et responsables educatifs a propos des langues, de ceux qui les parlent et des cultures auxquelles elles sont liees) est assez peu citee, y compris si l'on met ensemble les mentions concemant les decideurs et les enseignants (5 occurrences concemant 5 pays). Mais il faut rappeler que l' absence de volonte politique est l' obstacle le plus signale ... On trouve ensuite, a un niveau de frequence encore plus faible (3 ou 4 occurrences), trois obstacles d'ordre plus pedagogique (absence de continuite pour les langues les moins enseignees, 6.c; l'ideal du locuteur natif .chez les enseignants, l .b; les representations a propos de la situation des enseignants, l.c). Pour cette derniere categorie, il s'agit toujours de demotivation des enseignants de langues les moins enseignees. D'autres obstacles/ contraintes ne sont cites qu'une seule fois: strategies d'acces a l'education et a la culture (4.), modicite du salaire des enseignants (5.c), mises en concurrence d'enseignements (6.a), validation (6.d), incapacite financiere a prendre en charge des offres educatives onereuses (7.a) ou des cofits de deplacement ou de residence (7.b). A un niveau qui restera, comme on l'a deja dit, tres approximatif et global, on peut constater qu'il existe dans les conceptions explicitees par les personnes ayant repondu a l' enquete un equilibre assez egal entre les obstacles/ contraintes relevant des representations et les obstacles/ contraintes d' ordre materiel. 9 Parmi ces demieres, les considerations d' ordre purement pedagogique apparaissent comme moins pregnantes que les preoccupations liees a des limitations financieres. Ce qui en soi est satisfaisant: elles ne jouent pas de röle d' alibi pour masquer des insuffisances de moyens. 5. Conclusions et perspectives Le premier constat qui s'impose est le suivant: il y a loin, le plus souvent, des intentions a la realite en matiere de diversite linguistique educative. Selon les pays, on l' a vu, la distance qui reste a combler est plus ou moins etendue. De ce point de vue, il etait important de constater que la meilleure diversite n' est pas l' apanage des pays les plus riches, bien au contraire. L'obstacle financier n'est donc pas un obstacle decisif, meme si, dans la partie consacree aux declarations des personnes ayant repondu a l'enquete, on pen; : oit un relatif equilibre entre les considerations d'ordre materiel et celles qui relevent des representations. Cette relativisation de l'obstacle financier ne signifie pas, bien siir, qu 'une plus grande diversite ne cofite rien. Mais simplement qu' elle est financierement supportable. Sinon, comment serait-il possible que des pays aux ressources plus limitees puissent l'atteindre mieux? 9 A Ja lecture des reponses, on ne constate pas non plus de difference notable entre ! es diverses categories de pays en ce qui concerne ! es types d'obstacles/ contraintes mentionnes. Mais on oubliera pas qu'il s'agit d'un corpus trop limite pour ce genre de comparaison. lFLl! iL 29 (2000) 174 Michel Candelier, Berengere Dumoulin Cela signifie aussi que le travail "ideologique" en faveur de la diversite que peuvent developper des instances internationales telles que le Conseil de l'Europe ou des organismes associatifs n'est pas condamne a etre vain. Si l'argent n'est pas un obstacle invincible, peutetre le terrain des idees est-il, en fin de compte, un terrain efficace ? II convient d'ajouter ici aux elements du rapport deja fournis une rapide remarque concernant l'etude que nous avons faite des tentatives de "depassement" des obstacles/ contraintes relatees dans les reponses au questionnaire. Ce qui est frappant, c'est que ces tentatives relevent presqu' exclusivement des obstacles/ contraintes qui ont ete categorisees comme etant d'ordre materiel. Les actions tendant a agir sur les representations sont largement absentes de la panoplie des tentatives de depassement des obstacles. Autrement dit, alors que les conclusions de notre rapport tendraient plutöt a valoriser I' apport possible d'interventions sur le terrain des ideologies, et que l' on a par ailleurs bien des raisons d'expliquer l'existence de nombreux obstacles/ freins d'ordre materiel par la presence d'attitudes defavorables a la diversite, le probleme des representations n'est pas aborde de front, en tant que tel, dans les mesures qui sont evoquees. Et tout particulierement: le röle de l' ecole elle-meme dans cette entreprise est totalement neglige, qu'il s' agisse de l'influence de ses choix actuels sur les representations quese fait l'opinion publique de l'importance des diverses langues en presence (si l'ecole offre un (quasi-)monopole a une langue donnee, c'est.sans doute, pensera-t-on, parce qu'elle est suffisante), ou des moyens par lesquels elle pourrait concourir a developper l' interet pour la diversite (Candelier 1998). La constatation de l'importance tres relative des facteurs economiques peut placer certains des pays parmi les plus riches dans une situation peu confortable. Comment comprendre, alors, qu'ils ne soient pas des exemples en matiere de diversite linguistique educative? II ne serait pas souhaitable, a ! 'inverse, que les pays actuellement "bien places" en matiere de diversite et tout particulierement de nombreuses nouvelles democraties d'Europe centrale et orientale persistent, pour ce qui est des langues etrangeres, dans une evolution vers le renforcement de la concentration sur une seule langue dominante. Töt ou tard, cela les ferait regresser en la matiere. L'existence, parmi les pays les plus riches, de quelques pays a forte diversite linguistique educative en langues etrangeres devrait suffire a les convaincre qu'un tel chemin n'est pas indispensable a l'acces a une meilleure situation economique. Parallelement, le rapport met en evidence une hierarchie entre les types de langues (LE, LMA, LMG) en ce qui concerne la distance a parcourir pour atteindre un niveau satisfaisant de diversite linguistique educative. II convient a present d'integrer pleinement le domaine des langues d 'immigration a la reflexion sur la diversite educative et a l' effort global vers la diversite. L'interrogation n'est pas nouvelle: que fait-on pour tirer parti, dans le sens de la diversite, du potentiel que constituent les locuteurs de LMG ? Qui peut agir ? Pour quels objectifs precis, definis en accord avec les interesses ? Quelles synergies mettre en place ? Et pourquoi les LMA apparaissent-elles aussi, bien souvent, comme des laissees-pourcompte ? Pourquoi ce qui est possible dans certains pays ne le parait-il pas aussi clairement dans d'autres? Tout cela ne signifie en rien que des efforts importants ne soient pas egalement necessaires pour la diversite des langues etrangeres. Des questions specifiques se posent, liees a la lFJLuL 29 (2000) La diversite linguistique dans les systemes educatifs en Europe ... 175 multidimensionalite des actions a entreprendre. Doit-on developper prioritairement le nombre de langues-places? Doit-on au contraire d'abord augmenter le nombre des languesjetons proposees au choix, et favoriser une repartition plus egale des apprenants entre les langues? En fonction des quelques remarques faites ci-dessus concemant les conceptions de la diversite, et aussi de l'absence frequente de refärence aux LMG dans les reponses aux questionnaires, une autre question merite sans doute d' etre posee. Ne faudrait-il pas, comme condition meme des actions a entreprendre, reuvrer a la construction d'une conception commune de la diversite linguistique, qui, taut en prenant en campte les particularites de chacun, prendrait plus fortement appui sur des principes communs, tels que le respect des Droits de l'Homme ou l'attachement a la communication entre les cultures ? Ne conviendrait-il pas aussi d'attenuer, du point de vue de l'education, les frontieres qui separent les trois types de langues que nous avons distingues (LE, LMA, LMG) et, par exemple, faire acceder au moins certaines LMA au statut des LE ? Une demiere remarque, pour conclure : Au cours notre etude il nous a semble, a plusieurs reprises, que certaines lenteurs dans l'evolution de la reflexion collective, et donc, dans l'acces aux progres vises, etaient dues a une relative confusion qui persiste entre "intensification" et "diversification" de l' enseignement des langues. 10 Le fait que des pays moins riches, dont certains sont sans doute engages dans un processus de reforme des methodologies, constituent la grande majorite des pays offrant la plus grande diversite montre bien que les deux aspects sont distincts. Par ailleurs, certaines reflexions consignees dans les annexes du rapport (et non rapportees ici), soulignent bien que certaines mesures d'intensification de l'enseignement des langues (par exemple: les echanges scolaires, les nouvelles technologies ...) peuvent aussi bien favoriser la diversite que lui nuire. II ne s' agit pas ici de precher en faveur d 'un renoncement a des objectifs visant a ameliorer la qualite de l'enseignement des langues. Les deux aspects, diversite et qualite, doivent faire l' objet d' efforts soutenus, parallelement. Mais il est salutaire de mettre en garde contre une illusion implicite, encore trop frequente: il est faux de penser qu'une amelioration de la qualite conduit ipso facto a la diversite. Les responsables du Conseil de l'Europe en sont sans aucun doute convaincus. 11 n'en va pas de meme dans bien des pays ... 10 II s'agit Ja des deux dimensions pour Jesquelles Je Conseil de I'Europe a choisi ajuste titre selon nous de developper a present son action (cf. Ja Recommandation 1998-6). IFLIIL 29 (2000) 176 Michel Candelier, Berengere Dumoulin Bibliogaphie CANDELIER Michel/ DUM0ULIN Berengere / KOISHI Atsuko ( 1999): La diversite des langues dans les systemes educatifs des Etats membres du Conseil de la cooperation culturelle-Rapport d'enquete preliminaire. Strasbourg: Conseil de l'Europe [Rapport pour Je Conseil de l'Europe]. CANDELIER, Michel (1998): « L'eveil aux langues a l'ecole primaire - Je programme europeen "Evlang" ». In: BILLIEZ, Jacqueline (ed.): De la didactique des langues a la didactique du plurilinguisme - Hommage a Louise Dabene. Grenoble: CDL-Lidilem, 299-308. CONSEIL DE L'EUR0PE & C0MMISSI0N EUR0PEENNE (Direction generale XXII, Education, training and youth) ( 1997): Rapports nationaux, deuxieme colloque annuel du centre europeen pour les langues vivantes, Conseil de l 'Europe, Graz, 13-15 fevrier 1997. Graz: Centre europeen des langues vivantes. C0MMISSI0N EUR0PEENNE (1995): Les chijfres cles de l' education dans / 'Union europeenne. Luxembourg: Office des publications officielles des communautes europeennes. DICKS0N, Peter/ CUMMING, Alister (Dir.) (1996): National Profiles of Language Education in 24 Countries. Berkshire: NFER. EURYDICE ( 1998a): Evolution et situation actuelle de l' apprentissage des langues etrangeres en Europe. Bruxelles: Unite europeenne d'Eurydice. EURYDICE (1998b): L'enseignement des langues etrangeres dans les systemes educatifs df! / 'Union europeenne. San histoire, son organisation, laformation des enseignants. Bruxelles: Unite europeenne d'Eurydice. Sites internet : http: / www.eurydice.org (informations sur l'education en Europe, sources statistiques) http: / www.coe.org (site officiel du Conseil de l'Europe ou on peut notamment se procurer ]es textes officiels de Ja Charte europeenne des langues regionales ou minoritaires et de Ja Convention-cadre sur Ja protection des minorites nationales) http: / www .cil.org/ ethnologue/ countries (site donnant des informations sur les langues parlees dans tous les pays du monde) FILIIL 29 (2000) Gert Henrici Was nun 'Fremdsprachendidaktik'? Basar von Spekulationen oder wissenschaftliche Disziplin? - Ein Zwischenruf Abstract. The article amounts to an appeal for more empirically based research in the field. of Second Language Research and ofForeign Language Teaching in Germany. Ich habe in den letzten Jahren wiederholt zuletzt vor einem größeren Forum auf der Jahrestagung des Fachverbandes Deutsch als Fremdsprache 1999 in Regensburg angemahnt, dass das Fach Deutsch als Fremdsprache insgesamt und insbesondere in seiner lehr-/ lernwissenschaftlichen Ausrichtung in der wissenschaftlichen Gemeinschaft nur dann ernst genommen werden kann, wenn es seine mannigfachen Thesen und didaktisch-methodischen Vorschläge für die praktische Unterrichtsarbeit empirisch abzusichern und zu begründen versucht. Meine für das Fach Deutsch als Fremdsprache formulierte These „Ohne intensive Forschung, im besonderen empirische Forschung, ist die Existenz des selbständigen akademi~chen Fachs DaF mittel-/ langfristig stark gefährdet" (Henrici 1999: 432 f), trifft in gleicher Weise für die Hochschulexistenz der Fremdsprachendidaktik zu. Kontinuierlicher Stellenabbau, der an einzelnen Hochschulorten schon begonnen hat, ist zu erwarten. Hinweise, die fachdidaktische Ausbildung an den Universitäten an die Fachhochschulen zu transferieren, sollten von der Disziplin ernst genommen werden. Ein vergleichender Blick auf die Forschungsszene z.B. in den USA, aber auch in Kanada, Australien, Skandinavien, England und Frankreich zeigt, dass annexe Fächer dadurch einen beachtlichen Aufschwung und hohes Prestige erlangt haben, dass in ihnen eine zunehmend intensive empirische Fremdsprachenerwerbsforschung (Second Language Acquisition Research)gekoppelt mit einer didaktisch-methodischen Perspektivierung stattfindet (vgl. u.a. Ellis 1994). In Deutschland kreist die Fremdsprachendidaktik in dieser Hinsicht mit wenigen Ausnahmen weiterhin um ihre nicht auf empirische Forschung ausgerichtete Achse. Die Frage „Warum ist das so? " kann eigentlich auch nur empirisch einigermaßen angemessen beantwortet werden. Die Leser haben dazu sicherlich sehr unterschiedliche Annahmen. Zwei meiner Annahmen sind, dass sich erstens die Fremdsprachendidaktik in ihrer langen Geschichte gar nicht bzw. unzureichend um eine forschungsmethodologisch-methodische Aus- und Fortbildung gekümmert hat und es auch heute nur in Einzelfällen tut und sich daraus ein entsprechendes Forscher/ -innen-Defizit ergibt. Zweitens: Es ist leichter, auch weiterhin spekulativ zu agieren als sich der aufwendigen, für viele nicht prestigeträchtigen empirischen "Fron-")Arbeit zu widmen. Entscheidender Erkenntnisgewinn darüber, wie fremde Sprachen am effektivsten gelernt und vermittelt werden, ist aus der deutschen Szene nur vereinzelt gekommen und bei nicht veränderter Einstellung auch nicht zu erwarten. lFLuL 29 (2000) 178 Gert Henrici Bei Durchsicht von fremdsprachendidaktischen Publikationen seien es Beiträge in einschlägigen Zeitschriften/ Sammelbänden oder Monographien ist festzustellen, dass der quantitative Anteil von empirischen Arbeiten nach wie vor gering ist, dies betrifft auch ihre Repräsentanz auf Tagungen, Kongressen und Weiterbildungsveranstaltungen. Dominant sind nach wie vor spekulative Beiträge zu gerade im Trend liegender Modewörter, die Altes als neu suggerieren, die unzureichend definiert sind, deren unterrichtliche Umsetzung ohne angemessene empirische Prüfung vorschnell empfohlen wird (z.B. interkulturelles, bewusstes, autonomes, mehrsprachiges Lernen) und die Unterrichtspraktiker in hohem Maße verunsichern. Noch immer ist das allgemeine Erkenntnisinteresse zu wenig darauf gerichtet, dem gesteuerten Fremdsprachenerwerb bzw. dem Lehren und Lernen von Fremdsprachen eine theoriegeleitete empirische Fundierung zu geben: einerseits um den zu Teilen berechtigten Spekulationsvorwürfen gegenüber der Fremdsprachendidaktik zunehmend begründeter begegnen zu können, andererseits um die praktizierenden Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer auf der Grundlage empirisch gewonnener Erkenntnisse für mögliche alternative Vorgehensweisen in ihrem Unterricht zu sensibilisieren, aus denen sie entsprechende Konsequenzen ziehen könnten. Dieses Erkenntnisinteresse und Forschungsziel könnte in besonderer Weise durch die Untersuchung und Problemstellung aus der konkreten Unterrichtspraxis und dem Interesse an ihrer Lösung gefördert werden. Das Postulat „aus der Praxis für die Praxis" sollte jedoch nicht bedeuten, daß Forschungen, die nicht zu konkreten Empfehlungen für die Praxis führen, irrelevant sind. Im Kontext fremdsprachenspezifischer empirischer Forschung sind auch dezidierter als bisher theoretisch-methodologische Probleme zu behandeln, die einen wichtigen Baustein für eine notwendige zu entwickelnde Fremdsprachenerwerbstheorie darstellen, die für das praktische unterrichtsbezogene Handeln eine grundlegende Orientierung böte. Auch hier wie bei meinem Vortrag in Regensburg zum Abschluss dieses Zwischenrufs das Motto: Empirische Forschung tut not. Ohne Forschung bleibt die Praxis blind. Literatur ELLIS, Rod (1994): The Study of Second Language Acquisition. Oxford: University Press. HENRICI, Gert (1999): "Empirische Forschung und Sprachpraxis im Fach Deutsch als Fremdsprache. Zur Notwendigkeit und Nützlichkeit einer engen Partnerschaft". In: Info DaF 26.5, 432-440. JFLuL 29 (2000) _______ N_i_c_h_t_-_t_h_e_m_a_ti_· s_c_h_e_r_T_e_il ______ l Claire-Marie Jeske Europäische Mehrsprachigkeit- Möglichkeiten und Grenzen Abstract. As Europe consists of many different cultures, vocational mobility and communication between people presuppose tbat every citizen of the European Union is able to speak at least one language apart from his or her mother tongue. The use of a lingua franca for all kinds of communication beyond one's own speech borders advantages the people who speak it as their native language and leads to a decline of all other languages. This implies a loss of the cultural background and the knowledge connected to these languages and a loss of identity for their speakers. A peaceful and democratic society can only exist if cultural pluralism is accompanied by multilingualism of its people. This paper presents different models of dealing with a multicultural and multilingual society and intends to emphasize the importance of multilingualism of each ofits members, making suggestions how as many people as possible could be transformed into polyglots. „Die Epoche der Nationalkultur als einer ethisch reinen Kultur ist vorbei. Wir leben in einer Zeit der Nomadenkultur, geprägt durch den Internationalismus der Medienwelt und der Warenströme einerseits, durch die weltumspannende Völkerwanderung andererseits" (Ulrich Greiner: "Auswärtige Kulturpolitik: Goethe als Gruß-August? "Die Zeit 25, 1996). 1. Die europäische Gesellschaft multikulturell und multilingual? Die zunehmende Aufhebung des Ost-West Gegensatzes, die Etablierung des europäischen Binnenmarktes und die damit einhergehende Niederlassungsfreiheit innerhalb Europas sowie die weltweite soziale Verflechtung von Wirtschaft, Kultur und Politik, machen die Fähigkeit zur internationalen fremdsprachlichen Begegnung zunehmend zu einer unabdingbaren Voraussetzung für das menschliche Zusammenleben. Mehrsprachigkeit ist durch die europäische Integration zu einem bildungspolitisch zwingenden Ziel geworden: Die kulturelle Pluralität Europas braucht Artikulationsmöglichkeiten, die Multilingualität der europäischen Gesellschaft fordert auch eine Plurilingualität ihrer Mitglieder. Fremdsprachenkenntnisse werden zur Schlüsselqualifikation für die Sozialisierung in Europa, für berufliche Mobilität, interkulturelle Begegnung und Kommunikation mit den ausländischen Mitbürgern und europäischen Nachbarländern. Zudem machen die zunehmenden Wanderungsbewegungen von Arbeitsmigranten, Flüchtlingen, Asylbewerbern und Urlaubern Sprachenkontakt nicht nur möglich, sondern auch nötig. Auf einem solchen Hintergrund müssen die Bedingungen des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen neu überdacht werden. Hier ist zunächst die Sprachenpolitik gefragt, die Bestandteil der Innen- und Außenpolitik der europäischen Gesellschaften sein sollte. Vor FJL111L 29 (2000) 180 Claire-Marie Jeske allem aber sind an den Fremdsprachenunterricht, der auf das Zusammenleben in einer mehrsprachigen, multinationalen Gesellschaft vorbereiten muss und Bedingung für ihr Funktionieren ist, neue Anforderungen gestellt: Sein Aufgabenfeld erweitert sich über die Vermittlung eines Kommunikationsmediums sowie einer fremden Literatur und Kultur hinaus zu einer Institution, die den Erhalt kultureller Vielfalt fördern und damit den Völkerfrieden garantieren muss. Fremdsprachenunterricht ist zudem Voraussetzung für das Funktionieren der europäischen Institutionen selbst, er ist Prämisse für den Ideenaustausch und die Mobilität innerhalb der europäischen Union und fördert mit der sprachlichen Kontaktfähigkeit auch die Kontaktwilligkeit der Bürger. Da die Schule der „quantitativ wichtigste Anbieter von Fremdsprachenunterricht" (Christ 1991: 66) ist, wird hiermit ein genuiner Bereich schulischer Bildung angesprochen. 2. Europa: Die Vielfalt in der Einheit Die europäische Union vertritt eine pluralistische Sprachenpolitik, die auf der Anerkennung der Gleichberechtigung der Amts- und Regionalsprachen aller Mitgliedstaaten beruht, um den Sprachfrieden zu sichern. Alle offiziellen Sprachen der Länder sind auch offizielle Sprachen der Gemeinschaft, die ihre Gesetze, Verordnungen und Presseerzeugnisse dementsprechend in elf Fassungen veröffentlicht. Dieses egalitäre System fordert die Mehrsprachigkeit jedes Bürgers der europäischen Union, um nicht ad absurdum geführt zu werden, indem der theoretischen Vielsprachigkeit de facto die Dominanz einer Sprache gegenübersteht. In den 1984 verabschiedeten "Schlussfolgerungen über den Fremdsprachenunterricht", die im Rahmen der EG-Zusammenarbeit im Bildungswesen entstanden, wird die Vermittlung praktischer Kenntnisse in zwei Fremdsprachen für eine möglichst große Schülerpopulation angestrebt, wobei „zumindest eine der unterrichteten Sprachen [... ] eine der Amtssprachen der Europäischen Gemeinschaft sein" (KMK 1994: 20) sollte. In einem weiteren Beschluss über die „Betreuung der Kinder von Wanderarbeitnehmern" wird zudem die Gleichsetzung der „Landessprachen der wichtigsten Herkunftsländer" mit den anderen in den Lehrplänen vorgesehenen Fremdsprachen als wünschenswert propagiert und auch die „Entwicklung der europäischen Dimension" wird zu einem großen Teil in den Bereich der Fremdsprachenförderung verlegt, soll sie doch „insbesondere durch Erlernen und Verbreitung der Sprachen der Mitgliedstaaten" (KMK 1994: 22) geschaffen werden. Es existiert also ein Bewusstsein für die Notwendigkeit qualifizierter und breiter Fremdsprachenkenntnisse, das aber durch die Organisation der Vielsprachigkeit noch in die Realität umgesetzt werden muss. 3. Englisch als lingua franca - Bedrohung oder Chance? Englisch hat sich durch die geographische Ausdehnung des britischen Empires in der Vergangenheit und die Dominanz der USA in der heutigen Welt zu der geographisch am weitesten verbreiteten und weltweit am häufigsten gelehrten Zweitbzw. Fremdsprache IFL111L 29 (2000) Europäische Mehrsprachigkeit - Möglichkeiten und Grenzen 181 entwickelt. Auch im deutschen Bildungssystem nimmt es als Schulfremdsprache den ersten Platz ein, seit die Rivalität zwischen Englisch und Französisch von den Nationalsozialisten zugunsten des Englischen entschieden wurde und es sich auch nach 1945 trotz der Bemühungen der Besatzungsmächte um eine Politik der Diversifikation praktisch als Haupt- Schulfremdsprache durchgesetzt hat. Mit dem Düsseldorfer Abkommen von 1954 und dem Hamburger Abkommen von 1964, das für Real- und Hauptschulen eine Fremdsprache, "in der Regel Englisch", vorschreibt und die erste Fremdsprache auf dem Gymnasium ebenfalls auf „in der Regel Latein oder Englisch" beschränkt, wurde die Rolle des Englischen als dominierende Schulfremdsprache weiterhin bestärkt. Auch die Novellierung des Hamburger Abkommens, in der als erste Fremdsprache des Gymnasiums eine „lebende Fremdsprache oder Latein" vorgesehen ist, schafft zwar eine formale Parität zwischen den Sprachen, hatte aber keine wirkliche Veränderung zufolge, da das Fremdsprachenangebot an den Gymnasien de facto aufgrund der geforderten Einheitlichkeit des Schulwesens kaum erweitert werden konnte. Das Englische ist unleugbar die wichtigste Berufs-, Wissenschafts-, und Verkehrssprache der Welt. Auch in der Europäischen Union, in <; ler de jure alle Amtssprachen der Mitgliedsländer gleichwertigen Status besitzen, dominiert sie als Arbeits- und Bezugssprache bei Verhandlungen und bei der Erstellung von Dokumenten (Zapp 1989: 12). Wenn auch das Französische dem Englischen hinsichtlich der Anzahl seiner Lerner in Deutschland direkt folgt, so ist es doch alarmierend, dass Englisch in den deutsch-französischen Handelsbeziehungen die Führungsrolle übernimmt, ist doch Frankreich wichtigster Handelspartner und direkter Nachbar Deutschlands. Auch widerspricht dies dem deutschfranzösischen Vertrag von 1963, in dem sich die BRD zu einer bestmöglichen Förderung des Französischunterrichts in Deutschland verpflichtet hat. Bleibt schon das immerhin noch einigermaßen breit vertretene Französische weit hinter dem Englischen zurück, so ist der griechische und portugiesische Binnenhandel aufgrund sprachlicher Defizite erst recht behindert (Zapp 1989: 13). Deshalb muss immer wieder betont werden, dass die anglophone Welt nur eine von vielen ist und die Beschränkung auf diese den Zugang zu anderen Kulturen, Literaturen und Handelsräumen verhindert und zu einer geistigen Verarmung führt. Auch widerspricht die Dominanz des Englischen dem integrationspolitischen Konzept eines diversifizierten Fremdsprachenlernens und würde nicht zuletzt in einen zwar nicht intendierten Kulturimperialismus münden (Christ 1991: 132). Gleichzeitig sind die Anglophonen zunehmend der Gefahr ausgesetzt, sich dem Erlernen anderer Sprachen zu verschließen: man kommt ja mit der eigenen Sprache überall zurecht... Fremdsprachenunterricht kann aber nicht einseitig konzipiert werden, wenn der Sprachfrieden sein übergeordnetes Ziel darstellen soll. Die wenig wünschenswerte Dominanz des Englischen im deutschen Bildungssystem hat sich einerseits durch die „falsche" Vorstellung vieler Eltern und Schüler, das Englische als Schlüssel zu allen Nationen außerhalb Deutschlands zu sehen, perpetuiert. Zum anderen wird das Kommunikationsmodell „jeweilige Nationalsprache+ Englisch" aber auch aus der Ratlosigkeit im Umgang mit der Mehrsprachigkeit favorisiert (Zapp 1989: 13). So ist es Aufgabe der Sprachenpolitik und des Fremdsprachenunterrichts, den Sprachlernern die politisch und auch individuell-beruflich eminente Rolle möglichst vielfältiger Fremdsprachenkenntnisse vor Augen zu führen und Konzepte zur Förderung der MehrlFILllL 29 (2000) 182 Claire-Marie Jeske sprachigkeit zu entwickeln und experimentierend durchzuführen. Der Primat der Schulfremdsprache Englisch muss hierzu in Frage gestellt und eine alternative Fremdsprachenfolge in den weiterführenden Schulen überdacht werden. Da es weltweit gesehen zur Zeit keine realistische Alternative zur internationalen Verkehrssprache Englisch gibt (Neuner 1996: 17), muss zumindest eine sinnvolle Nutzung des Englischen als lingua franca angestrebt werden, die zur Kontaktaufnahme in begrenzten Domänen und sozusagen als letzter „Rettungsanker" eingesetzt wird, nicht aber die absolute Monopolstellung im zwischensprachlichen Kontakt übernimmt. So sollten die besondere Rolle des Englischen berücksichtigt und die Vorteile seiner breiten Dispersion genutzt, ein sprachlicher und darin implizierter kultureller Monopolismus und Imperialismus aber verhindert werden. 4. Das „deutsche Sonderproblem": Latein Nachdem mit der Humboldtschen Reform im 19. Jahrhundert die alten Sprachen zum Fundament des humanistischen Bildungskonzepts avancierten, ist das Prestige des Lateinischen in Deutschland als „Muttersprache des Abendlandes [und] sämtlicher Wissenschaften" (Christ 1980: 67) weitgehend unangefochten. Seit dem Düsseldoiferund dem Hamburger Abkommen ist es im Lehrplan der Gymnasien in der Eingangsstufe als Alternative zu einer modernen Fremdsprache fest verankert und stellt bis heute die Voraussetzung für bestimmte Studiengänge dar. Dadurch ist das Latinum zu einer Art additiven Sonderberechtigung über das Abitur hinaus geworden, die zu einer Diskriminierung der modernen Fremdsprachen führt, die in Konkurrenz zum Lateinunterricht als Alternativen zur Wahl gestellt werden und diese Berechtigung eben nicht gewährleisten. Der Bildungsauftrag von modernen und alten Fremdsprachen divergiert jedoch so stark, dass deren curricular festgelegte Austauschbarkeit sachlich nicht zu rechtfertigen ist (Christ 1980: 179 ff): So ist das Ziel des Erlernens einer modernen Fremdsprache die Befähigung zur Partizipation an realen Kommunikationsprozessen; das Lernen einer alten Sprache führt hingegen nicht zur Annahme eines anderen Ausdrucksmediums, sondern hauptsächlich zum Erlangen von Lesekompetenz. Der Erwerb moderner Fremdsprachenkenntnisse impliziert zudem eine Einstellungsänderung des Individuums, das sich mit der neuen Sprache einen neuen Kulturraum erschließt und den eigenen Sprachbesitz und kulturellen Hintergrund in Relation zu anderen Kulturen sieht. Während der Unterricht in einer modernen Fremdsprache also einen identitätsstiftenden und mit Hinblick auf den ermöglichten internationalen Austausch ebenso politischen Beitrag leistet, ist der Lateinunterricht in erster Linie historisch orientiert und steht nicht in direkter Verbindung zur aktuellen Erfahrungswelt des Lerners. Dies soll nicht bedeuten, dass nicht auch hier Fähigkeiten wie Urteilsvermögen und Kritikfähigkeit über die Kompetenz im Umgang mit altsprachlichen Texten hinaus vermittelt werden, der altsprachliche Unterricht tangiert aber den Lerner nicht so direkt wie der neusprachliche, der ihm den Zugang zu einer aktuell existierenden fremden Zivilisation eröffnet und so einen Beitrag für das Leben in der europäischen Gesellschaft leistet. Da die alten Sprachen Einblick in viele diachrone Aspekte der Sprache, wie Sprachenverwandtschaft, Sprachentwicklung und Wortveränderung, gewähren, kann das Erlernen einer alten Sprache fruchtbar für den Umgang mit einer modernen Fremdsprache sein. Die lFLllL 29 (2000) Europäische Mehrsprachigkeit - Möglichkeiten und Grenzen 183 aufgeführten Argumente lassen jedoch evident werden, dass aufgrund der Verschiedenheit der Bildungsaufträge von alten und modernen Fremdsprachen und vor allem aufgrund der zunehmenden Wichtigkeit der Fremdsprachenkompetenz in unserer Lebensumwelt der Unterricht einer modernen Fremdsprache nicht durch den einer alten substituiert werden kann. Problematisch ist zudem, dass der Lateinunterricht die Monopolstellung des Englischen in den Gymnasien stärkt, da er vor allem die für besonders begabt gehaltenen Schüler vom Erwerb einer zweiten modernen Fremdsprache oftmals abhält. Auch für die Schüler, die in der 9. und 11. Jahrgangsstufe noch weitere Fremdsprachen hinzuwählen, ist der Lateinunterricht ab der 5. Klasse als Alternative zum modernen Fremdsprachenunterricht kontraproduktiv, da er die Lernzeit okkupiert, die für einen aktiven Spracherwerb besonders günstig ist (Christ 1991: 134). Die Position des Lateinischen im deutschen Schulwesen hat zudem Konsequenzen für die Förderung des Deutschen im Ausland und die bilateralen Beziehungen zu Partnerländern, die verständlicherweise nicht bereit sind, die deutsche Sprache in ihrem Land zu fördern, wenn in Deutschland der Lateinunterricht die „Elite" davon abhält, ihre Sprache zu lernen. 5. Der Ausweg aus der „Sackgasse der babylonischen Sprachenverwirrung" (Christ 1991: 40) Als Lösung für das „Kommunikationsproblem" der Europäischen Union werden verschiedene Modelle vorgeschlagen (vgl. Bausch 1989: 35 f): 1. Das Leitsprachenmodell, das die historisch gewachsene lingua franca Englisch als offizielle Leitsprache vorschlägt. Hier werden vor allem ökonomische Argumente wirksam, da die Kostensowie Lernanstrengungen aufgrund der weiten Dispersion des Englischen relativ gering gehalten werden können. Die Etablierung einer einzigen alle einenden Fremdsprache widerspricht jedoch der anthropologisch angelegten Fähigkeit des Menschen zur Mehrsprachigkeit und bedeutet eine Reduzierung des menschlichen Sprachvermögens (Bausch 1989: 36). 2. Das Modell der gesteuerten Diversifikation, in dem alle Sprachen als gleichwertig anerkannt werden. Hier wird eine Regionalisierung der zu erlernenden Fremdsprachen vorgeschlagen, bei der entsprechend der Nachbarländer in Süddeutschland Französisch und Tschechisch, in Brandenburg Polnisch, in Schleswig-Holstein Dänisch und in NRW .Niederländischdominieren würde. Dieses Modell ist jedoch in finanzieller und schulorganisatorischer Hinsicht kaum realisierbar. 3. Das Modell der rezeptiven Mehrsprachigkeit schlägt vor, Hör- und Leseverstehen in mehreren Fremdsprachen auszubilden, wodurch die Verständigungsmöglichkeiten potenziert würden. Hier würden sich bei der internationalen Kommunikation beide Partner in ihrer jeweiligen Muttersprache artikulieren. Das Modell läuft also auf einen zweisprachigen Ablauf des Kommunikationsprozesses hinaus, der nicht ganz unproblematisch ist und auch erst erlernt werden muss. Auch scheitert es an der einfachen Tatsache, dass der Lerner einer Fremdsprache auch an der aktiven Sprachproduktion teilnehmen will. FLllL 29 (2000) 184 Claire-Marie Jeske 4. Das Interlingua- oder Plansprachenmodell, das die Übernahme eines künstlich konstruierten Kommunikationssystems als offizielle Verkehrssprache aller europäischen Sprachgemeinschaften fordert. Dieses Modell schlägt das im 19. Jahrhundert entwickelte Esperanto als Sprache der internationalen Kommunikation mit dem Argument seiner leichten Erlernbarkeit vor. Genauso wie beim 5. Lateinmodell ist jedoch hier eine Identifikation mit der fremden Sprache nicht möglich, da eine Verbindung von Weltwissen und Sprachkönnen beim Erlernen einer künstlichen bzw. "toten" Sprache nicht (mehr) gegeben ist. ► Bewertung der Modelle und Vorstellung eines Alternativkonzepts: Die Modelle 1, 4, und 5 sind Leitsprachenmodelle und widersprechen somit dem Prinzip der Mehrsprachigkeit eines egalitären Europas. Zwar ist die Einführung einer Leitsprache der ökonomischste Weg, da großräumige einsprachige bzw. über eine Leitsprache funktionierende Märkte immer einen Kostenvorteil bieten, jedoch geht mit der Etablierung einer solchen die sprachliche und damit auch die kulturelle Vielfalt Europas verloren: Die Einführung einer Leitsprache führt zu einem Funktionsverlust aller anderen Sprachen, deren Kommunikationsradius sich einschränken würde, was eine Reduktion des mit der Sprache verbundenen Weltwissens implizieren und durch die sprachliche Selbstaufgabe vieler Individuen auch zu einem Verlust persönlicher und kultureller Identität führen würde. Die Etablierung des Englischen als offizielle Leitsprache der Europäischen Union führt zudem zu einer Art Zweiklassengesellschaft, separiert sie doch die Bürger in englische Muttersprachler, die problemlos mit ihrer Nationalsprache an der internationalen Kommunikation teilnehmen können und nicht anglophone native speaker, die sämtliche Lernanstrengungen und Kommunikationsleistungen alleine übernehmen und sich mit potentiellen Kommunikationshemmungen und der Inferiorität im Sprachkontakt abfinden müssen. Der Keim für einen Sprachenstreit ist damit angelegt. Die Einführung des Englischen als offizielle Leitsprache Europas hätte jedoch auch negative Konsequenzen für die Sprache selbst, so würde das Englische ·zunehmend eine Tendenz zur Pidginisierung erfahren, da sich der Sprachgebrauch in der internationalen Kommunikation, bei der der korrigierende Eingriff des Muttersprachlers fehlt, unkontrolliert entwickelt und die Kommunikationspartner gleichsam als „zentrifugale Kräfte" (Christ 1980: 60) wirken, die die Ausgangssprache verändern und mehrere Sprachen daraus machen. Das Modell des Lateinischen als Verhandlungs- und Umgangssprache Europas wird außer auf kulturästhetischer Ebene auch mit dem Argument vertreten, das vereinte Europa brauche ein „sprachliches Band" und so sei Latein zweckmäßiger als Englisch, weil es nicht zur Vorherrschaft eines bestimmten Kulturkreises führe und als Esperanto, das als „Sprache aus der Retorte" mit dem historisch gewachsenen Latein nicht zu vergleichen sei (vgl. Vossen 1992: 193). Die Vertreter dieses Modells versichern, dass die „Muttersprache Europas" jeder modernen Thematik gewachsen sei, wobei sie sich hierbei auf den consilium verbis latinis novandis berufen, einen Zusammenschluss von Beamten des Vatikans und anderen Gelehrten, der sich damit beschäftigt, den aktuellen Wortbestand aller Sprachen in das Lateinische umzusetzen und somit die Schallplatte in eine discus sonans verwandelt (was macht er mit der FLIIL 29 (2000) Europäische Mehrsprachigkeit - Möglichkeiten und Grenzen 185 CD, der CD-Rom oder der Diskette? ! ), den Striptease in die devestitio und die Dauerwellen in capilli undulati ... Diese Wortneubildungen bzw. neuen Wortzusammensetzungen scheinen mir nicht weniger gekünstelt als die des Esperanto und die bei Einführung des Lateinischen als Leitsprache mit Sicherheit entstehende - Diskussion um das adäquateste Wort für jede neue Erfindung der Modeme wäre bestimmt nicht weniger zeit- und kostenaufwendig als in ein mehrsprachiges Europa zu investieren. Auch die Bestrebungen Weebers, Latein als Gegengewicht zum Fernsehwahn und des daraus resultierenden Konzentrationsmangels und der Reizüberflutung unserer Zeit, ja sogar als „Korrektiv gegenüber den [... ]Entmündigungstendenzen [der Medien]" (Weeber 1998: 145) einsetzen zu wollen, scheinen mir so anachronistisch und weit hergeholt, dass ich sie als Argumente weder für die Einführung des Lateinischen als langue vehiculaire noch für die notwendige Unterrichtung dieses Faches zu Beginn der Sekundarstufe I gelten lassen kann. Ebenso unzweckmäßig ist die Einführung der Kunstsprache Esperanto. Abgesehen davon, dass ihr die Nähe zu einer Bezugskultur noch mehr fehlt als dem Lateinischen und somit die Interdependenz von Sprache, sozialer Identität und Kultur und die Funktion von Sprache als Bewahrerin von Identität und Kultur ihrer Sprachgemeinschaften übersehen wird, ist auch das Esperanto nicht ganz frei von sprachlich-imperialistischen Tendenzen, da es ausschließlich aus europäischen und hierunter vornehmlich aus den romanischen Sprachen entwickelt wurde. Auf dem Hintergrund dieser Überlegungen ist die Einführung einer Leitsprache sei es Englisch, Latein oder Esperanto als offizielle Sprache Europas abzulehnen. Da jedoch die Modelle 2 und 3 hinsichtlich ihrer Realisierbarkeit und des anthropologischen Bedürfnisses des Menschen zur Sprachproduktion ebenfalls als problematisch anzusehen sind, möchte ich ein sechstes Modell als die mir am plausibelsten erscheinende Alternative vorstellen: 6. Das Modell der umgekehrten Spachenfolge (vgl. Bausch 1992: 22): Dieses Modell nimmt Englisch als Eingangsfremdsprache aus dem Lehrplan, setzt es aber als obligatorische zweite Schulfremdsprache voraus. Hiermit ist die besondere Rolle des Englischen als historisch gewachsene lingua franca respektiert und ihre Position als Weltsprache gefestigt. Die erste Fremdsprache kann sich der Lerner beliebig aussuchen, wobei das Fremdsprachenspektrum einerjeden weiterführenden Schule so flexibel und variabel wie möglich gestaltet sein sollte. Dies hat den Vorteil, dass weniger begabte oder motivierte Schüler sich die Eingangsfremdsprache nach ihren Bedürfnissen und Interessen auswählen können. Auch die lernpsychologisch positiv zu bewertende Klischeevorstellung: „Als zweites lerne ich eine leichtere Sprache", wirdwenn auch der Schwierigkeitsgrad einer Sprache objektiv nicht messbar istfür viele Schüler sicherlich eine motivierende Rolle spielen. Zudem ist die englische Sprache in allen Bereichen des Alltagslebens und in der gesamten Medienwelt so stark vertreten man bedenke allein die jugendlichen Subkulturen, die nur allzu oft aus dem anglophonen Sprachraum entspringen und alle Arten von englischsprachiger Popmusik-, dass sie die Schüler ohnehin schon „lernwirksam umgibt" (Piepho 1989: 42) und sie motiviert sind, diese auch in der lempsychologisch gesehen schwierigeren Phase der Präpubertät zu erlernen. Umgekehrt istjedoch die Motivation zum Erlernen einer weiteren Fremdsprache viel geringer, wenn ein Schüler die seiner Vorstellung nach „alle Türen öffnende" lingua franca schon gelernt hat. FLIIL 29 (2000) 186 Claire-Marie Jeske Eine Diversifizierung der Fremdsprachen allein auf der Basis der 2. oder 3. Fremdsprache ist zudem unzweckmäßig, da sie eine viel geringere Schülerpopulation erreicht. So verlegt dieses Modell auch den Lateinunterricht in die gymnasiale Oberstufe, um die modernen Fremdsprachen aus der Vormundschaft der alten Sprachen zu emanzipieren. Für diese zeitliche Verschiebung des Lateinunterrichts spricht außerdem, dass die beim Umgang mit lateinischen Texten geforderten analytischen Fähigkeiten und das logische und kombinatorische Denken beim älteren Lerner weiter ausgebildet sind und dass auch seine Motivation für das Lernen einer alten Sprache aus seinem geschichtlichen, germanistischen oder allgemein linguistischen Interesse entspringen kann, während sie beim jungen Lerner in der Regel nicht intrinsisch, sondern von „bildungsbewussten" Eltern gesteuert ist. Auch können ältere Schüler aus der Vermittlung literarischer Tradition und europäischer Gelehrsamkeit über den Lateinunterricht größeren Nutzen ziehen und ihre Lateinkenntnisse wären ihnen bei Beginn des Studiums, das diese eventuell voraussetzt, noch gegenwärtiger. Als Alternative für diejenigen, die das Lateinische als Erschließungssprache anderer romanischer Sprachen für wichtig erachten, wäre das Angebot eines Einführungskurses Latein in der Sekundarstufe I im Wahlbereich denkbar, solange es eben nicht als Substitut einer modernen Fremdsprache angeboten wird (Christ 1980: 185). Abgelehnt wird dieses Alternativkonzept vielfach wegen seiner dezidierten Verweisung des Englischen aus der Eingangsklasse zur Sekundarstufe I, sowie auch aus finanzpolitischen und verwaltungstechnischen Erwägungen: diversifizierter Fremdsprachenunterricht ist teuer und stundenplantechnisch schwieriger zu verwirklichen. Die Sprachenvielfalt Europas darf jedoch nicht aus pragmatisch-utilitaristischen Überlegungen beschränkt werden; Sprache darf nicht bloß als austauschbares Kommunikationsmedium, sondern muss in Zusammenhang mit der historischen und kulturellen Identität ihrer jeweiligen Sprachgemeinschaft gesehen werden, um ein konfliktfreies Europa zu gewährleisten. Gegen einen diversifizierten Fremdsprachenunterricht wird zudem oft das Argument einer gemeinsamen Grundbildung für alle geltend gemacht, das jedoch unwirksam wird, wenn man von der Überlegung ausgeht, dass alle eben nicht Gleiches, weil dies in einer so vielfältigen Welt unzweckmäßig ist, wohl aber Gleichwertiges lernen (Christ 1980: 84). 6. Ein Plädoyer für die Mehrsprachigkeit- Möglichkeiten der Organisation einer sprachenteiligen Gesellschaft Aufgrund der zunehmenden Globalisierung der gesamten Ökumene und der internationalen Prägung unserer realen Lebensumwelt müssen die Eröffnung des Zugangs zu fremden Kulturen und zur Möglichkeit der Partizipation am weltweiten Dialog, sowie die Vorbereitung auf interkulturelles Handeln und die Entwicklung einer interkulturellen Sensibilität Hauptziele eines zukunftsorientierten Fremdsprachenunterrichts sein. Die Ausbildung möglichst vieler Mehrsprachiger ist Bedingung für eine egalitäre Sprachenpolitik und damit für den Sprachfrieden, der nur auf der sprachlichen und kulturellen Heterogenität und dem "Respekt vor kultureller, nationaler, ethnischerund individueller Identität" (Christ 1991: 39) basieren kann. So muss Mehrsprachigkeit für alle Bevölkerungsschichten erreichbar sein und zum elementaren Regelbestandteil eines jeden Bildungsganges gemacht werden. lFL111L 29 (2000) Europäische Mehrsprachigkeit - Möglichkeiten und Grenzen 187 Christ hebt hierzu hervor, dass Mehrsprachigkeit erst mit dem Erwerb einer zweiten Fremdsprache beginnt: Zwar erweitern sich der kulturelle Besitz und die Identifikationsmöglichkeiten und Urteilsschematismen des Individuums schon mit dem Erwerb der ersten Fremdsprache und seine Ego- und Ethnozentrik werden durch das Kennenlernen neuer kultureller Werte und Normen abgebaut, jedoch besteht die Gefahr, dass für ihn die eine erlernte Fremdsprache das Phänomen Fremdsprache schlechthin repräsentiert. Der Sprecher nur einer Fremdsprache beeinflusst zudem den Sprachenhaushalt im Sinne einer hegemonialen Politik, indem er die Sprache mit dem höchsten Verkehrswert lernen wird, um sie in möglichst vielen Bereichen anwenden zu können, wodurch er folglich zur weiteren Amplifikation ihres Verkehrswertes beiträgt. Erst mit der zweiten Fremdsprache ist also das „Tor zur[ ... ] Mehrsprachigkeit" (Christ 1991: 144) geöffnet. Der Mehrsprachige weiß um die Relativität des Sprachbesitzes, ist auf Sprachenausgleich bedacht und somit kooperationsbereiter in der Kommunikation mit Anderssprachigen, wodurch er zur Erhaltung des Sprachfriedens beiträgt. Nur er kann dazu beitragen, dass Sprachenteiligkeit nach dem Prinzip der Arbeitsteilung auch auf dem Gebiet der Sprachbeziehungen erreicht wird: Hierzu muss jeder Sprachkundige lernen, als Sprachmittler, Informant und Sprachlehrer tätig zu werden, indem er seine Sprachenkenntnisse dem Gegenüber helfend anbietet. Tilbert Stegmann schlägt in diesem Sinn ein Modell kommunizierender Gruppen vor, in dem jedes Mitglied einer sozialen Gruppesei es in der Arbeitswelt oder der privaten Welt dem anderen seine Fremdsprachenkenntnisse helfend zur Verfügung stellt, so dass die sprachenteilige Gesellschaft als „Netz freiwilliger Helfer" organisiert würde (Christ 1996: 191). So hätte die Gesamtheit der Bürger eine vielfältige Fremdsprachenkompetenz, wobei komplexere Kommunikationssituationen natürlich weiterhin von Sprachspezialisten übernommen werden müssten. Auch sollten anderssprachige Mitbürger ermutigt werden, bei der interkulturellen Kommunikation Hilfe zu leisten. Dies impliziert natürlich, dass den Betreffenden neben der Möglichkeit zum Erlernen der Gastsprache die Möglichkeit gegeben werden muss, ihre Herkunftssprache zu pflegen, was sich zudem positiv auf das Zusammenleben der Bürger innerhalb der Gesellschaft auswirken und die Ghettoisierung verschiedener Sprachgruppen vermindern würde. Die neuen Minderheiten könnten zudem zur Integration der nichteuropäischen Sprachen in das europäische Sprachnetz beitragen, wodurch auch die Realität multikulturell zusammengesetzter Klassenverbände als positives Moment betrachtet werden würde. Die Herkunftssprachen der ausländischen Schüler sollten dazu in den offiziellen Fremdsprachenkanon der Schulen einbezogen und den deutschen Schülern sollte die Möglichkeit gegeben werden, am muttersprachlichen Ergänzungsunterricht teilzunehmen, wie dies an einigen Grundschulen in NRW schon Realität ist (KMK 1994: 61). Einen Impuls zur Neuorientierung des Fremdsprachenunterrichts bieten auch die Europaschulen, die ursprünglich für Kinder der Beschäftigten der EG-Behörden eingerichtet wurden. Hier werden die Schüler in ihrer jeweiligen Muttersprache unterrichtet und müssen drei Fremdsprachen aus dem Kanon der offiziellen EU-Sprachen lernen, wodurch sie die Studienberechtigung in allen Ländern der Europäischen Union erwerben. zu-kritisieren ist der starke Europa-Zentrismus dieser Schulen, den man aber durch den Einbezug außereuropäischer Fremdsprachen in den Lehrplan überwinden könnte. Das Fremdsprachenangebot j~der Stadt müsste zudem offiziell dargestellt werden, damit IFLIIL 29 (2000) 188 Claire-Marie Jeske sich Eltern und Schüler über ihre Fremdsprachenlernmöglichkeiten informieren können. Auch sollten zur Umsetzung eines diversifizierten Fremdsprachenunterrichts Überlegungen hinsichtlich der Organisation eines Verbundssystems fremdsprachenvermittelnder Institutionen angestellt werden (Christ 1991: 119), um das Angebot über das in der Schule offerierte Fremdsprachenspektrum hinaus zu erweitern und die Schule teilweise zu entlasten. Zusätzlich zur Erweiterung des Fremdsprachenkanons, der sich am realen Fremdsprachen- und Kommunikationsbedarf ausrichten muss, müssen auch die Unterrichtsziele und -inhalte des Fremdsprachenunterrichts neu überdacht werden: So könnte Landeskunde kontrastiv unterrichtet werden, um kulturelle Vergleiche zu ermöglichen und das Verständnis für das Fremde zu fördern und auf eventuelle interkulturelle Probleme aufmerksam zu machen. Die kulturspezifische Dimension einer Sprache muss besonders hervorgehoben werden, der Fremdsprachenunterricht muss interkulturelle Kompetenz im Sinne von Empathie fördern und so die volle Breite der fremden Lebenswirklichkeiten mit einschließen. Da eine sprachenteilige Gesellschaft einen lebenslangen Lernprozess des Individuums erfordert, muss der Unterricht in der ersten Fremdsprache auch Fremdsprachenlernstrategien vermitteln und die Schule muss sich ihrer Rolle als Initiatorin eines lebenslangen Fremdsprachenlernprozesses bewusst werden, was bedeutet, dass sie zum Fremdsprachenlernen motivieren muss und keine Aversionen schaffen darf. Hierzu muss auch das schulische Bewertungssystem für den fremdsprachlichen Unterricht neu überdacht werden; Fremdsprachenunterricht darf keinesfalls Selektionsmedium sein, Leistungsbewertung darf nicht vom Fremdsprachenlernen abhalten, gleichzeitig sollten aber Leistungen nachweisbarer gemacht werden, was angesichts eines diversifizierten Fremdsprachenangebots und einer Vergleichbarkeit der Fremdsprachenkenntnisse im internationalen Kontext vonnöten ist. Die Kultusministerkonferenz schlägt hierzu eine Strukturierung des Fremdsprachenunterrichts in Lehrgänge vor, die in sich geschlossene Einheiten bilden und unterschiedliche, aber klar definierte Lernziele haben (KMK 1994: 63), wobei am Ende der schulischen Ausbildung das individuelle Fremdsprachenprofil eines jeden Schülers dokumentiert werden soll (KMK 1994: 76). Das Erreichen einer near nativeness ist angesichts eines Mehrsprachigkeitsprofils illusorisch, daher müssen für die verschiedenen Sprachen realistischere Ziele im Sinne eines gestuften Kontinuums von maximaler bis hin zu minimalistischer Sprachkompetenz gesteckt werden, wobei auch Kurzkurse mit Teillernzielen angeboten werden sollten, so dass der Lerner „unterschiedlich ausgebaute Interimssprachen" (Bausch 1989: 38) besitzt, in denen er seine Kompetenz individuell erweitern kann. Auch sollte der Unterricht in modernen Fremdsprachen an Gymnasien bis zur Hochschulreife hin und das Erlernen einer zweiten Fremdsprache in Real-, Haupt- und Gesamtschulen obligatorisch werden. Zudem ist an einen vorgezogenen Beginn der 2. und 3. Fremdsprache zu denken, der auch mit dem Beginn des Fremdsprachenlernens in der Grundschule korrelieren könnte, um schon möglichst früh eine positive Disposition zum Fremdsprachenlernen und ein Bewusstsein von der multikulturellen Welt und der Bedeutung der Sprache zu schaffen. Ist das Modell der rezeptiven Mehrsprachigkeit in seiner reinen Form meiner Meinung nach abzulehnen, sollte die Schulung rezeptiver Fähigkeiten aber in den Fremdsprachenunterricht mit einbezogen werden, so könnte man z.B. in den fortgeschrittenen FranzölF! LunL 29 (2000) Europäische Mehrsprachigkeit - Möglichkeiten und Grenzen 189 sischunterricht auch spanische, italienische und portugiesische Texte einbringen und so den Schülern die breite Anwendbarkeit ihrer Fremdsprachenkenntnisse und ihre eigenen Möglichkeiten, diese über das in der Schule Gelehrte hinaus zu erweitern, deutlich machen. Anwendungs- und Handlungsorientierung müssen einen der Mittelpunkte des Fremdsprachenunterrichts bilden, so sollte fremdsprachlicher Sachunterricht wie er in den Bilingualen Bildungsgängen, deren weitere Verbreitung ohnehin wünschenswert ist, durchgeführt wird, vermehrt auch an anderen Schulen stattfinden: Wissenschaft lebt vom internationalen Austausch und Forschung wird nicht nur im eigenen Land betrieben dieser Tatsachen sollten die Schüler sich schon möglichst früh bewusst werden. Außerdem müssen möglichst vielfältige sprachliche Erfahrungen im Umgang mit Muttersprachlern der Zielsprache ermöglicht werden. Hierzu müssen sämtliche Begegnungsprograrnme erweitert, die aktive Nachbarschaft mit den Grenzländern gepflegt und die außerschulische sprachliche Betätigung gefördert werden, indem kulturelle Einrichtungen innerhalb Deutschlands und fremdsprachige Medienangebote frequentiert und in den Fremdsprachenunterricht mit einbezogen - oder zumindest dort publik gemacht werden. Dies alles sind Anregungen, die zunächst probeweise durchgeführt und eventuell entsprechend modifiziert werden müssten. Die Beispiele von Belgien, Luxemburg und der Schweiz zeigen jedoch, dass Mehrsprachigkeit unter den Bürgern einer Gemeinschaft möglich ist, es fehlt also nur an Initiativen, diese auch im gesamt-europäischen Rahmen umzusetzen. Literatur BAUSCH, Karl-Richard/ CHRIST, Herbert/ KRUMM, Hans-Jürgen (31995): Handbuch Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Francke. BAUSCH, Karl-Richard (1992): "Sprachenpolitisches Plädoyer für eine begründete Differenzierung von Mehrsprachigkeitsprofilen". 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Our exploratory study was guided by the following research question: what are the effects of different degrees of explicitness on the acquisition of a complex target structure (i.e. the German « Partizipialkonstruktion » )? On the basis of a polymethodological approach learners of German as a second Ianguage were instructed under three different conditions (i.e. "Focus on Forms", "Focus on Form", and "Focus on Meaning" [cf. Long 1991]) and a pretest, a posttest, and a follow up-test were administered. In order to adequately understand and interpret the test results, our analysis and discussion focused on the individual learner. We therefore asked the leamers to provide data on their learning biography, their learning strategies and preferences, and their motivation to learn German. On the basis of our analysis we conclude that there are two main factors which influence the process of second language acquisition: the learner's awareness ofhis/ her individual language proficiency and a certain focus on grammar. Both factors seem to be important prerequisites to the conscious perception of grammatical rules which finally leads to self-control and learner autonomy. 1. Einleitung Zwar ist man in der Fremdsprachenerwerbsforschung und in der didaktischen Praxis schon vor geraumer Zeit zu der Erkenntnis gelangt, dass es die eine, für alle Lernenden gleichermaßen angemessene Lehrmethode nicht gibt und aufgrund zahlreicher individueller Unterschiede und den Erwerbsprozess beeinflussender Variablen auch nicht geben kann. Dennoch besteht in der L2-Unterrichtsforschung nach wie vor das Bestreben zu ermitteln, welche Vermittlungsmethode den Erwerbsprozess am günstigsten beeinflusst. In diesem Zusammenhang durchgeführte empirische Untersuchungen verfolgen somit das Ziel, begründete Vorschläge für die didaktische Praxis zu formulieren. Aufgrund der Beobachtung, dass der gesteuerte Fremdsprachenerwerb häufig wenig erfolgreich verläuft und dass es nur eine indirekte Beziehung zwischen dem Lehren auf der einen und dem Lernen auf der anderen Seite gibt, stellen sich u.a. die folgenden Fragen: Hat Instruktion 1 überhaupt einen positiven Effekt auf den Erwerb einer Fremdsprache? Falls ein positiver Effekt auf den Erwerb besteht, wie kann die Instruktion so gestaltet werden, dass sie den Lernenden möglichst effektiv zum langfristigen Erwerb einer fremden Sprache verhilft? Mitglieder dieser Arbeitsgruppe sind: Karin Aguado, Klaus Blex, Heike Brand! , Celia Sokolowsky, Jan Stevener. Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass wir mit der Verwendung des Begriffes ,Instruktion' nicht in die zur Zeit in Deutschland geführte Diskussion zum Thema „Instruktion vs. Konstruktion" einzusteigen beabsichtigen, sondern ihn synonym zu „Vermittlung unter formalen institutionellen Bedingungen" verstehen. lFIL\llL 29 (2000) 192 Arbeitsgruppe Fremdsprachenerwerb Bielefeld Wie kann die Wirkung von Instruktion auf den Erwerb empirisch nachgewiesen werden? - Wie können die empirisch gewonnenen Ergebnisse für die didaktische Praxis nutzbar gemacht werden? 1.1 Zur Effektivität von lnstruktionsmaßnahmen Vertreter der so genannten ,non-interventionist'-Position (vgl. z. B. Lightbown 1983, Krashen 1985 oder Pienemann 1989) gehen von einer natürlichen, nicht gezielt von außen beeinflussbaren Entwicklung beim Spracherwerb aus. So postuliert beispielsweise Krashen auf der Basis seiner strikten Trennung zwischen Lernen und Erwerben, dass im Unterricht zwar explizites grammatisches Wissen gelernt werden könne; dieses sei für den spontanen kommunikativen L2-Gebrauch allerdings weitgehend nutzlos, da in solchen Produktionssituationen die notwendigen Bedingungen für die Aktivierung dieses Wissens in der Regel nicht gegeben seien. Die Funktion von Lehrenden kann der genannten Position zufolge nur darin bestehen "to facilitate the unfolding of what Corder recognized as the learner' s powerful internal syllabus" (Lang/ Robinson 1998: 20). . Ferner konnte in einigen Studien nachgewiesen werden, dass gelehrte und erworbene Sequenzen nicht zwangsläufig miteinander übereinstimmen (vgl. z. B. Ellis 1989 oder Lightbown 1983), wobei sich diese Erkenntnis lediglich auf die Reihenfolge, nicht jedoch auf die Geschwindigkeit, die ,Tiefe' oder die ,Qualität' des Erwerbs zu beziehen scheint. Als ein entscheidender Faktor fungiert dabei v.a. der Zeitpunkt der Vermittlung: die Lernenden müssen ,bereit' sein, die jeweilige sprachliche Struktur zu erwerben (vgl. dazu insbesondere die von Pienemann 1984, 1987, 1989 aufgestellte Teachability-Hypothese). Auf der anderen Seite besteht allgemeiner Konsens darüber, dass das bloße ,Sprachbad', ausschließlich positive Evidenz oder rein kommunikativ ausgerichteter Unterricht zwar zu einer flüssigen fremdsprachlichen Produktionsfähigkeit führen können; auf der Ebene der sprachlichen Korrektheit können jedoch auch nach jahrelangem L2-sprachlichen Input noch immer spezifische Defizite festgestellt werden (vgl. dazu v.a. Swain 1991, 1993 oder Swain/ Lapkin 1995). Dies liegt u.a. daran, dass der Input in rein inhaltlich orientiertem Fremdsprachenunterricht oder in ,natürlichen' Interaktionssituationen formalsprachlichen Aspekten keine oder nur wenig Beachtung schenkt; diese sind dann für die Lernenden dementsprechend schwer wahrzunehmen, insbesondere wenn sie über eine nur schwach ausgeprägte Sprach(lern)bewusstheit verfügen. In eher inhaltlich und auf Verständigung ausgerichteten L2-spezifischen Situationen wird ferner häufig auf korrektives Feedback verzichtet, solange die zu vermittelnde Bedeutung verständlich und die Kommunikation nicht gestört ist. Gleichzeitig ist aber auch unterrichtlicher Input häufig defizitär, insofern als er zumeist einer grammatischen Progression folgt und nur den Gebrauch einiger Funktionen einer bestimmten sprachlichen Zielstruktur ermöglicht undim ungünstigsten Fall dazu führen kann, dass Lernende zu einem Übergeneralisierungs- oder Vermeidungsverhalten verleitet werden (vgl. dazu etwa Lightbown 1983, Pica 1983 oder Pienemann 1987). In Bezug auf den langfristigen, erfolgreichen Erwerb sprachlicher Korrektheit scheint Input bzw. sogenannter verständlicher Input (vgl. Krashen 1985) zwar notwendig, aber nicht hinreichend zu sein; somit besteht die Notwendigkeit der Ergänzung kommunikativen lFLIIL 29 (2000) Zur Effektivität verschiedener Instruktionstypen ... 193 Unterrichts durch eine -wie auch immer gestaltete - Vermittlung formaler Aspekte der zu erwerbenden sprachlichen Zielstrukturen. In seinem Überblicksartikel zur Effektivität von Instruktionsmaßnahmen hat Long (1983: 374) zusammenfassend folgendes festgestellt: "there is considerable evidence to indicate that SL instruction does make a difference", und zwar sowohl in Bezug auf Kinder als auch auf Erwachsene, sowohl für leicht als auch für sehr fortgeschrittene Lerner und unabhängig vom Erwerbskontext und der Methode, mittels derer der Erwerb getestet wird. Long (1991) geht dementsprechend von den folgenden Vorteilen aus, die eine Fokussierung auf die sprachliche Form im Rahmen eines dominant inhaltlich ausgerichteten Fremdsprachenunterrichts für die Entwicklung der Interlanguage haben kann: Sie beschleunigt die Geschwindigkeit und das Ausmaß des Lernens. Sie beeinflusst die Erwerbsprozesse in einer Weise, die möglicherweise positiv auf die langfristige Korrektheit der L2-sprachlichen Produktion wirkt. · Sie scheint einen positiven Einfluss auf das Niveau zu haben, das ein Lerner in einer Fremdsprache maximal erreichen kann ("ultimate level of attainment") (Long 1991 : 45). Von besonderer Relevanz erscheint uns hier die von Schmidt (1990, 1995, 1999) formulierte ,noticing'-Hypothese, derzufolge Aufmerksamkeit auf die formalen Aspekte der L2 eine notwendige Voraussetzung für deren Erwerb darstellt: Nur diejenigen Aspekte einer sprachlichen Struktur, die von einem L2-Lerner im Input ,bemerkt' worden sind, können kognitiv weiterverarbeitet und erworben werden. In Bezug auf die unterrichtliche Sprachvermittlung stellen Long/ Robinson (1998: 21) dementsprechend folgendes fest: "additional salience for the problematic features seems tobe required, achieved either through enhancement of positive evidence or through provision of negative evidence of some kind". Es bestehen nun verschiedene Möglichkeiten und Techniken, diese "additional salience" zu erreichen (vgl. z.B. Sharwood Smith 1991 oder 1993). In einer Reihe von Studien könnte der positive Effekt von Techniken gezeigt werden, mittels derer der Input so manipuliert wurde, dass die Aufmerksamkeit der Lernenden auf ihn gelenkt werden konnte (vgl. z.B. Doughty 1991). Zu solchen Techniken zählen visuelle und/ oder akustische Hervorhebungen, wie z.B. farbliche, typographische oder akustische Markierungen. Aus den Ergebnissen der von Doughty (1988) durchgeführten Studien ziehen Long/ Robinson (1998: 33) die Schlussfolgerung, dass "attention to meaning plus attention to formal features facilitated by the input enhancement techniques [...] has advantages over attention to meaning alone". Trotz verschiedener empirischer Nachweise eines generell positiven Effekts expliziter Instruktion mittels verschiedener Techniken (vgl. z.B. Cadierno 1995, Carroll/ Swain 1993, Doughty 1991, DeKeyser 1995, VanPatten/ Cadierno 1993a, b)2, weiß man insgesamt allerdings noch recht wenig über die spezifischen Bedingungen, unter denen explizite Instruktion positive Auswirkungen haben kann; ebensowenig ist darüber hinaus bekannt, für welche grammatischen Phänomene und Strukturen dies Gültigkeit hat. Hulstijn/ De Graaff (1994) haben in diesem Zusammenhang eine Liste mit Variablen aufgestellt, die die Wir- 2 Einschränkend muss hier hinzugefügt werden, dass diese Studien v.a. aufgrund ihres unterschiedlichen Designs, ihrer Probanden, Testverfahren, Lernkontexte etc. nur schwer miteinander vergleichbar sind. lFLllL 29 (2000) 194 Arbeitsgruppe Fremdsprachenerwerb Bielefeld kung von expliziter Instruktion in Bezug auf den Erwerb einer Zielstruktur beeinflussen können. Dazu zählen u.a. die folgenden: die sprachliche Domäne der Zielstruktur die Komplexität der Zielstruktur die Reliabilität der jeweiligen grammatischen Regel der Skopus der grammatischen Regel die Häufigkeit des Auftretens der Zielstruktur im Input die jeweilige Aufgabenmodalität (rezeptiv/ produktiv; mündlich/ schriftlich) der jeweilige Instruktionstyp die individuellen Lernereigenschaften In der hier vorliegenden Studie zur Wirkung verschiedener Instruktionstypen auf den Erwerb zielsprachlicher Strukturen kommt neben den individuellen Lernereigenschaften dem Komplexitätsgrad der Zielstruktur eine wichtige Rolle zu. Daher werden wir uns im Folgenden mit Kriterien zur näheren Bestimmung dieser Variable befassen. 1.2 Zur Komplexität von Regeln und ihrem Efofluss auf den L2-Erwerb In der einschlägigen Forschungsliteratur herrscht bisher nur wenig Einigkeit darüber, was die Komplexität einer Struktur ausmacht und welche Konsequenzen sie für deren Erwerb hat. Es gibt dementsprechend kaum gesicherte Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen der Komplexität von Regeln und dem Erfolg von Instruktionsmaßnahmen. Voraussetzung für die empirische Untersuchung der Frage nach der Wirkung von Instniktionsmaßnahmen ist somit eine Definition von Komplexität auf der Basis möglichst objektiver Kriterien (vgl. dazu auch Robinson 1995: 33). Unterschieden wird zum einen zwischen formaler und funktionaler Komplexität (vgl. Krashen 1982, Ellis 1990). So ist anzunehmen, dass eine geringe formale Komplexität die Lernbarkeit der jeweiligen Stnikturpositiv beeinflusst. Allerdings kann eine formal einfache Struktur funktional komplex und damit wiederum schwierig zu erwerben sein. 3 Picas (1983) Definition zufolge sind einfache Regeln solche, die eine klare Form-Funktion-Beziehung aufweisen (z.B. das Plural -s im Englischen), d. h. hier kommt das Kriterium der Transparenz zum tragen (vgl. auch Ellis 1990). So gehen auch Green/ Hecht (1992) davon aus, dass einfache Regeln von den Lernenden ohne größere Schwierigkeiten selbst identifiziert werden können (vgl. auch Hulstijn/ De Graaff 1994), da sie sich auf leicht erkennbare Kategorien beziehen, mechanisch angewendet werden können und nicht kontextabhängig sind. Schwere Regeln sind nach Green/ Hecht (1992) hingegen solche, die nur schwer identifiziert werden können, die Umstellungen, Hinzufügungen und/ oder Tilgungen erfordern, die über größere stnikturelle Kontexte angewendet werden müssen und die semantisch nicht leicht durchschaubare Prinzipien beinhalten (wie z. B. die grammatische Kategorie ,Aspekt'). Hulstijn/ De Graaff (1994: 103) definieren Komplexität als die ,Anzahl der verschiedenen grammatischen Konzepte', die für die Bildung einer korrekten zielsprachlichen Konstniktion berücksichtigt werden müssen. Als Beispiel sei hier das -s der 3. Person.Singular bei englischen Verben genannt. FLuL 29 (2000) Zur Effektivität verschiedener lnstruktionstypen ... 195 In Bezug auf die Frage nach dem Zusammenhang zwischen der Komplexität einer Regel bzw. einer sprachlichen Struktur und deren Erwerb lässt sich folgendes sagen: Sowohl Krashen (1982, 1985, 1994) als auch Reber (1989, 1993) vertreten die Auffassung, dass Lernen bewusst und unbewusst verlaufen kann und dass das, was unbewusst (oder implizit) gelernt wird, das, was bewusst (oder explizit) gelernt wird, in der Regel übersteigt. Die explizite Regelsuche und die bewusste Anwendung von Regeln im Anschluss an explizite Instruktion können laut Reber .nur dann effektiver sein als implizites Lernen, wenn der sprachliche Stimulus strukturell einfach ist (vgl. auch Krashen 1982: 98) und/ oder die strukturellen Eigenschaften der jeweiligen sprachlichen Struktur so hervorgehoben sind, dass die Aufmerksamkeit des Lernenden darauf gelenkt wird. Hinsichtlich des Erwerbs komplexer Regeln nimmt Reber (z.B. 1989) hingegen an, dass sie nur unbewusst gelernt werden können. Als Beleg für diese Annahmen wird die Tatsache gewertet, dass Lerner in der Lage sind, implizit erworbene Regeln korrekt anzuwenden, etwa indem sie korrekte Grammatikalitätsurteile abgeben, ohne jedoch die zugrunde liegenden Regeln benennen oder beschreiben zu können. In seiner empirischen Studie konnte Robinson die Annahme, dass komplexe Regeln am effektivsten unter unbewussten Bedingungen gelernt werden, nicht bestätigen: "Simply noticing the structures as examples is unlikely to be facilitative of learning if the structures themselves are too complex and the salient features of the structures that the rule regulates are consequently not obvious. Similarly, the more complex the explanation of a rule is, the less likely it is to lead to understanding, and the more likely it is to be ignored in favor of simpler rules of thumb [...]" (1995: 32). Für De Graaff (1997: 251) stellt sich die Situation ähnlich dar: "When more criteria have to be applied, explicit instruction is hypothesized to be more effective, as spontaneous noticing and processing would then be less likely". Die Schlussfolgerungen, die aus den verschiedenen empirisch gewonnenen Erkenntnissen hinsichtlich der Vermittlung sprachlicher Regeln gezogen werden, sind also letztlich ebenso heterogen wie die unternommenen Definitionsversuche. Nach Robinson (1995) lassen sich hier die folgenden drei theoretischen Positionen unterscheiden: die sogenannte ,non-interface-Position', wie sie v.a. von Krashen (1985) vertreten wird und der zufolge das implizite L2-Wissen und das explizite Wissen über/ von Regeln verschiedener Natur und in keiner Weise miteinander verknüpft sind; die aufmerksamkeitsfokussierende Position, wie sie v.a. von Sharwood Smith (1993) vertreten wird und der zufolge Regeln dazu dienen können, die Aufmerksamkeit der Lernenden auf ausgewählte Aspekte der zu erlernenden Struktur zu lenken, wobei das daraus resultierende Lernen aufgrund induktiver Prozesse nicht (unbedingt) bewusstseinsfähig sein muss und die vermittelnde Position, die in erster Linie von Schmidt (1990) vertreten wird. Ihr zufolge kann das Erlernen und die Anwendung von Regeln zu einem bewussten Verständnis struktureller Regularitäten führen, auf die sich die Regel bezieht; d.h. Schmidt geht also von einer prinzipiellen Bewusstseinsfähigkeit aus. Um hier Klarheit zu schaffen, ist die Durchführung weiterer empirischer Studien zur Vermittlung von komplexen Strukturen mittels Instruktionsmaßnahmen unterschiedlicher Explizitheitsgrade erforderlich. lFLl! L 29 (2000) l 96 Arbeitsgruppe Fremdsprachenerwerb Bielefeld 2. Eigene Studie 2.1 Vorbemerkung In Bezug auf die empirische Erforschung der Wirkung von Instruktionsmaßnahmen stellt Long (1991) die Forderung nach mehr Experimenten auf, mittels derer die durch diese Maßnahmen bewirkte Lerngeschwindigkeit und das erreichte Niveau nachgewiesen werden können. Solche Experimente operieren mit Experimental- und Kontrollgruppen und mit Pre- und Post-Tests. Die Post-Tests sollten sowohl ,unmittelbar' nach dem Experiment als auch ,verzögert' stattfinden, da sich in früheren Studien häufig ein positiver, kurzzeitiger Effekt für form-fokussierte Instruktion ergeben hatte, während über deren langfristige Wirkung nichts gesagt werden konnte, da sie nicht überprüft worden war. 2.2 Ziel der Studie Ziel der hier dargestellten explorativen, qualitativ und polymethodologisch angelegten Studie ist die Untersuchung der Wirkung, die unterschiedliche Instruktionstypen auf_den Erwerb einer komplexen zielsprachlichen Struktur haben. Diese Wirkung wird anhand des Unterschieds in den Ergebnissen bei durchgeführten Pre-, Post- und ,Follow up'-Tests festgestellt und gemessen. 2.3 Forschungsfrage Ausgehend von der Annahme, dass Unterricht grundsätzlich positive Auswirkungen auf den Erwerb einer Fremdsprache haben kann, stellten wir uns die folgende Forschungsfrage: „Wie wirkt sich ein unterschiedlicher Explizitheitsgrad der Instruktion auf den Erwerb einer komplexen Zielstruktur aus? " 2.4 Zielstruktur Die von uns zum Zweck der Studie ausgewählte Zielstruktur ist die Partizipialkonstruktion. 4 Die folgenden Kriterien bestimmten die Wahl dieser Struktur: Den in Abschnitt 1.2 genannten Kriterien zufolge ist die Partizipialkonstruktion eine formal und funktional komplexe Struktur, deren Regularitäten nicht spontan entdeckt werden können. Ferner ist zu ihrer korrekten Produktion die Berücksichtigung einer Reihe von Teilregeln erforderlich. Dazu gehört u.a. die Bildung des Partizips I und II, das Wissen um zeitliche und syntaktische Abhängigkeiten im Satz und die Beherrschung der 4 Zusätzlich zur Vermittlung der Partizipialkonstruktion war zunächst noch geplant, den impliziten Erwerb von Modalverben zu untersuchen; d.h. die Modalverben sollten nicht explizit vermittelt, sondern lediglich von den Lehrenden bewusst häufig verwendet werden; in Pre-, Post- und ,Follow up'-Test sollten die Lernenden auf ihr semantisches Verständnis von Modalverben überprüft werden. Die im Unterricht geschaffenen sprachlichen Kontexte entsprachen jedoch nicht denen, die in den Tests überprüft wurden. Somit stellte sich heraus, dass der Input nicht geeignet war, einen impliziten Erwerb zu ermöglichen, der mit Hilfe des von uns konzipierten Testverfahrens überprüft werden konnte. lFLuL 29 (2000) Zur Effektivität verschiedener lnstruktionstypen ... 197 Numerus- und Kasuskongruenz. Diese Teilregeln sind verlässlich, es gibt keine Ausnahmen, und es besteht keine Ambiguität (vgl. dazu v.a. Hulstijn/ De Graaff 1994). - Aufgrund ihres verstärkten Vorkommens in wissenschaftlichen Fachtexten ist die Partizipialkonstruktion für die von uns untersuchten Lernenden (vgl. Kap. 2.5.1) eine prüfungsrelevante Struktur, die bis zum Zeitpunkt des Experiments in dem studienvorbereitenden Sprachkurs, den die Lernenden während unserer Studie besuchten, noch nicht behandelt worden ist. Wir konnten somit davon ausgehen, dass das bei den Lernenden vorhandene Vorwissen bezüglich dieser Konstruktion im Wesentlichen gering war. - Es handelt sich um eine Konstruktion, die in erster Linie in der geschriebenen Sprache verwendet wird. Wir konnten somit davon ausgehen, dass die Lernenden im zielsprachlichen Umfeld außerhalb der Studie in der Regel keinen ,relevanten' Input erhielten und wir ihn somit weitgehend kontrollieren konnten. Obschon es sich bei der Partizipialkonstruktion um ein schwieriges und komplexes Phänomen der deutschen Sprache handelt, gehen wir davon aus, dass die Vermittlung expliziten Regelwissens über diese Konstruktionen erfolgreich sein könnte, weil es sich um eine mit Regeln beschreibbare und nach Regeln lernbare Struktur handelt, für die keine Intuition erforderlich ist (vgl. dazu Green/ Hecht 1992). 2.5 Durchführung 2.5.1 Die Lernenden Bei den Teilnehmern an der Studie handelte es sich um Deutschlernende, die den Jahreskurs der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld besuchten, der im Oktober 1997 begonnen hatte und im Juni 1998 mit der Prüfung zum Nachweis deutscher Sprachkenntnisse (PNdS) abschloss. Allen Teilnehmern dieses Jahreskurses wurde der im Rahmen der vorliegenden Studie durchgeführte Zusatzunterricht angeboten, an dem insgesamt 12 von ihnen teilnahmen. Dieser Unterricht bot ihnen zusätzliche Lernmöglichkeiten, was für sie insbesondere deshalb interessant war, weil die Sprachprüfung (PNdS), deren Bestehen ihnen die Aufnahme ihres Fachstudiums ermöglichte, nur wenige Wochen später stattfinden sollte. Schließlich wurden die Daten von 2 weiblichen Teilnehmerinnen (aus Polen und dem Iran) und 4 männlichen Teilnehmern ausgewertet (aus Pakistan, der Türkei, Tunesien und Taiwan), da nur sie regelmäßig am Unterricht und an allen für die Studie relevanten Tests teilnahmen. Die Lernenden wurden vor und während der experimentellen Phase nicht darüber informiert, dass es sich bei dem Zusatzunterricht und den durchgeführten Tests um Maßnahmen im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie handelte. Die folgenden Gründe waren dafür ausschlaggebend: Es sollte vermieden werden, vorab metasprachliche Informationen über die Zielstruktur geben zu müssen, was bei der Begründung für die Einteilung in Gruppen höchstwahrscheinlich unvermeidlich gewesen wäre. Ferner sollte den gemeinhin bekannten Effekten (z.B. Halo- oder Hawthorne-Effekt), die mit der Teilnahme an Experimenten verbunden sind, vorgebeugt werden. Den Lernenden wurde gesagt, dass die Lehrpersonen allesamt Studierende des Faches Deutsch als Fremdsprache im Rahmen ihres Studiums praktische Lehrerfahning sammeln wollten. lFL1111L 29 (2000) 198 Arbeitsgruppe Fremdsprachenerwerb Bielefeld Bis auf den ,Follow up '-Test und ein weiteres Nachgespräch wurden alle im Rahmen der Studie ausgewerteten Daten in der Zeit vom 27.4.98 bis zum 8.5.98 erhoben. Der Unterricht selbst wurde an drei aufeinanderfolgenden Tagen vom 28.4.98 bis zum 30.4.98 durchgeführt. 2.5.2 Beschreibung der Instruktionstypen Es galt zu ermitteln, von welchem lnstruktionstyp die Lernenden in Bezug auf den Erwerb der Partizipialkonstruktion am meisten profitieren: ( 1) von der expliziten Vermittlung von Regeln zur Bildung von Partizipialkonstruktionen, der Illustration an Beispielen und gezielten Übungen, (2) von der Erarbeitung und Diskussion eines Textes, in dem die Zielstruktur überdurchschnittlich häufig enthalten und mittels Fettdruck hervorgehoben ist oder (3) von der Erarbeitung und Diskussion eines Textes, in dem die Zielstruktur zwar überdurchschnittlich häufig enthalten, nicht jedoch hervorgehoben ist. In Bezug auf die Instruktion unterschieden wir daher die folgenden Typen: Typ 1: Focus-on-Forms (FonFs): explizitemetasprachliche Regelerklärung der Zielstruktur plus Übungen anhand von nicht-kontextualisierten Beispielen Typ 2: Focus-on-Form (FonF): visuelle Input-Verstärkung der Zielstruktur in einem in der Gruppe zu bearbeitenden Text; die gehäuft auftretenden Partizipialkonstruktionen wurden auflnitiative der Lehrenden von den Lernenden aufgelöst, allerdings gab es weder gezielte Übungen noch wurden Erklärungen geliefert. Typ 3: Focus-on-Meaning (FonM): impliziter, rein inhaltlich ausgerichteter Unterricht, in dem im Plenum derselbe Text wie in der FanF-Gruppe bearbeitet wurde. Zur näheren Beschreibung und Unterscheidung von Typ 1 (FonFs) und Typ 2 (FonF), vergleiche die folgende Definition von Long (1991: 45 f): "[W]hereas the content of lessons with a focus on forms is the forms themselves, a syllabus with a focus on form teaches something else-biology, mathematics, workshop practice, automobilerepair, the geography of a country where the foreign language is spoken, the culture of its speakers, and so on and overtly draws students' attention to linguistic elements as they arise incidentally in lessons whose overriding focus is on meaning or communication". Da es sich bei der vorliegenden Studie um ein Experiment handelte, in dem der Erwerb einer nach bestimmten Kriterien ausgewählten Zielstruktur untersucht werden sollte, wurde das Auftreten dieser Struktur nicht dem Zufall überlassen, sondern gezielt manipuliert. So wurde der in den FonF- und FanM-Gruppen zu bearbeitende Text so modifiziert, dass möglichst viele Realisierungen der Zielstruktur auftraten. In Bezug auf Typ 2 (FonF) ist ferner zu sagen, dass die Aufmerksamkeit der Lernenden durch optische Hervorhebung (= Fettdruck) des relevanten Inputs geweckt werden sollte. Bezüglich Typ 3 (FonM) lag der Fokus ausschließlich auf dem inhaltlichen Verständnis des in der Gruppe gemeinsam zu bearbeitenden Textes. JFLill][, 29 (2000) Zur Effektivität verschiedener Instruktionstypen ... 2.5.3 Beschreibung der Durchführung 2.5.3.I Methodisches Vorgehen 199 Die Lernenden wurden per Losverfahren einem der drei Instruktionstypen (FonFs, FonF, FonM) zugeteilt. Der Unterricht fand an drei aufeinander folgenden Tagen statt und wurde von den Forschenden selbst durchgeführt. Uns ist bewusst, dass ein solches Vorgehen Anlass zur Kritik geben kann; wir halten dies jedoch für ein akzeptables Verfahren, das eine Reihe von Vorteilen aufweist: Auf diese Weise konnte sicher gestellt werden, dass die Lernenden tatsächlich nach den von der Forschergruppe konzipierten Instruktionstypen unterrichtet wurden. Der Unterrichtsablauf des PNdS-Sprachkurses, den die Lernenden seit Oktober 1997 besuchten und der unmittelbar vor der Prüfungsvorbereitungsphase stand, wurde nicht gestört. Es war möglich, mehrere Gruppen parallel und zeitgleich zu unterrichten, was ansonsten aus Mangel an personellen Ressourcen innerhalb des Sprachkurses nicht möglich gewesen wäre. Die Forschenden sind Lehrende, und die Lehrenden sind Forschende. Die strikte Trennung zwischen wissenschaftlicher und nicht-wissenschaftlicher Beschäftigung mit erwerbs- und verrnittlungsspezifischen Fragestellungen wird gezielt aufgehoben ein Versuch, dem Postulat nach Verzahnung von Theorie, Empirie und Praxis Rechnung zu tragen. Um zu gewährleisten, dass sich die Lehrenden nachträglich hinsichtlich der Einhaltung der zuvor festgelegten Instruktionstypen überprüfen konnten und zum Zweck einer verbesserten Inter-Rater-Reliabiliät, wurden die einzelnen Unterrichtseinheiten aufgenommen und anschließend durch gegenseitiges Abhören kontrolliert. 2.5.3.2 Der Unterricht in der Focus-on-Fonns Gruppe (FonFs) Ziel der drei Unterrichtsstunden war es, die Regeln zur Partizipialkonstruktion im Deutschen kontextfrei und isoliert zu lehren. Der Schwerpunkt lag hierbei auf der Betrachtung und Übung syntaktischer Regeln. Die präsentierten Beispiele wiesen keinen inhaltlichen Zusammenhang untereinander auf. In der ersten Unterrichtsstunde wurden vom Lehrenden zunächst einleitend Regeln zur Bildung und zum attributiven Gebrauch der beiden Partizipien sowie zur Stellung des Partizips bzw. der Partizipialkonstruktion im Satz vorgestellt. Die Präsentation der Regeln erfolgte mit Hilfe eines Overhead- Projektors. In dieser und in den folgenden Unterrichtsstunden hatten die Lernenden jederzeit Gelegenheit, Fragen zur Zielstruktur stellen. Im Anschluss an die Regelpräsentation in der ersten Stunde wurde im Plenum anhand von jeweils fünf Beispielsätzen die Umformung eines Relativsatzes in eine Partizipialkonstruktion mit dem Partizip I bzw. Partizip II geübt. In der zweiten Unterrichtsstunde wurden vom Lehrenden zu Beginn die Regeln wiederholt, die bereits am Vortag im Unterricht behandelt worden waren. Anschließend wurden mit einem Overhead- Projektor Regeln zur Partizipialkonstruktion mit transitiven Verben präsentiert. Der letzte Teil der Stunde bestand aus Umformungsübungen, bei denen aus Relativsätzen Partizipialkonstruktionen und umgekehrt gebildet wurden. Diese Umformungen wurden gemeinsam im Plenum erarbeitet. In der dritten Unterrichtsstunde wurden vom Lehrenden mit dem Overhead-Projektor zunächst Regeln zur Partizipialkonstruktion mit intransitiven Verben vorgestellt. Anschließend bearbeiteten die JFLIIL 29 (2000) 200 Arbeitsgruppe Fremdsprachenerwerb Bielefeld Lernenden zwanzig Beispielsätze: Die Aufgabe bestand darin, aus Relativsätzen Partizipialkonstruktionen und umgekehrt zu bilden, danach wurden diese Beispielsätze im Plenum besprochen. Während die ersten beiden Unterrichtsstunden ca. 30 Minuten dauerten, erstreckte sich die dritte Einheit über ca. 60 Minuten. Am ersten Unterrichtstag waren zwei Lernende anwesend, an den beiden folgenden Tagen jeweils alle Lernenden. 2.5.3.3 Der Unterricht in der Focus-on-Form Gruppe (FonF) Das in den drei Tagen eingesetzte Unterrichtsmaterial hatte gemäß unserer Fragestellung folgenden Ansprüchen zu genügen: Es sollte möglichst viele Partizipialkonstruktionen enthalten, die visuell hervorgehoben sein sollten, um die Aufmerksamkeit der Lernenden auf diese Form zu lenken. Inhaltlich sollte es sich um einen kohärenten Text handeln, der die Partizipialkonstruktionen in einen sinnvollen kontextuellen Zusammenhang stellte. Zu diesem Zweck wurde von uns ein Zeitungsartikel "Doppelt so viel Fehler wie vor dreißig Jahren" Frankfurter Al/ gemeine Zeitung, 6.4.98) so umgeschrieben, dass Relativsätze wo dies angebracht schien in Partizipialkonstruktionen umgeformt wurden. Das Thema des Textes, Rechtschreibschwierigkeiten bei deutschen Jugendlichen, schien uns auch inhaltlich für unsere Lernenden interessant. Der Text selbst sollte im Sinne unserer Zielsetzung also der Vermittlung von Partizipialkonstruktionen modifiziert werden; dies geschah durch Fettdruck sämtlicher Partizipialkonstruktionen. Hier lag auf der Textebene der einzige Unterschied zu der FonM-Gruppe, die den gleichen Text ohne optische Hervorhebungen verwendete. Der Text war 584 Wörter lang und enthielt 23 Partizipialkonstruktionen. Er wurde in drei gleich lange Abschnitte unterteilt; in jeder Unterrichtsstunde wurde jeweils ein Abschnitt inhaltlich bearbeitet. Es wurden Partizipialkonstruktionen weder explizit thematisiert noch als solche bezeichnet; auch Regeln zu dieser Struktur wurden nicht gegeben. Im einzelnen verliefen die drei Unterrichtsstunden mit einer Dauer von jeweils ca. 60 Minuten nach dem gleichen Schema: Zuerst wurde der jeweilige Textabschnitt verteilt und still gelesen. Danach wurden unklare Begriffe im Plenum geklärt, um ein inhaltliches Verstehen zu ermöglichen. In einem weiteren Arbeitsschritt wurde das inhaltliche Verständnis durch Fragen des Lehrenden zum Inhalt gesichert. Nach einem nochmaligen gemeinsamen lauten Lesen mit dem Ziel, die modifizierte Form den Lernenden so oft wie möglich zu präsentieren sollten die Teilnehmer einzelne vom Lehrenden ausgewählte Sätze in eigenen Worten wiedergeben. Bei diesen Sätzen handelte es sich ausschließlich um Sätze mit Partizipialkonstruktionen. Die Umformung sollte den Lernenden Gelegenheit geben, diese Konstruktionen zu bearbeiten, also aufzulösen oder zu umschreiben, ohne dass dabei eine explizite Auseinandersetzung mit der Zielstruktur erforderlich war. Die Umschreibungen führten zu einer inhaltlichen Auflösung dessen, was in den Partizipialkonstruktionen ausgedrückt wurde; spontane, sofort erfolgreiche Umformungen in Relativsätze waren jedoch selten, zumeist wurde der Satz in mehrere Hauptsätze zerlegt oder um Satzfragmente teils auf Nachfrage erweitert. Die zweite und dritte Stunde wurde jeweils mit einer kurzen Wiederholung der vorangehenden Textabschnitte eröffnet, um den inhaltlichen Bezug zur je"".eils vorangegangenen Stunde zu sichern. 2.5.3.4 Der Unterricht in der Focus-on-Meaning Gruppe (FonM) Das Unterrichtsmaterial dieser Gruppe bestand aus demselben semi-authentischen Zeitungsartikel, der auch in der FonF-Gruppe verwendet wurde. Ebenso erfolgte dieselbe Unterteilung in drei relativ gleich lange Abschnitte, die inhaltlich sinnvoll voneinander trennbar waren. Der einzige Unterschied zum Text der FonF-Gruppe bestand darin, dass die in ihm enthaltenen Partizipialkonstruktionen nicht hervorgehoben worden waren. lFL1lllL 29 (2000) Zur Effektivität verschiedener Instruktionstypen ... 201 Zu Beginn der ersten Unterrichtsstunde wurde den Lernenden als Unterrichtsziel das Verstehen des · Textes und dessen anschließende adäquate Zusammenfassung genannt. Es wurde ebenfalls darauf hingewiesen, dass die Erarbeitung des Textes exemplarischen Charakter haben und eine Übung für einen Teilbereich der PNdS-Prüfung darstellen sollte. Alle drei Unterrichtsstunden (von ca. 45-60 Minuten Länge) hatten jeweils einen Abschnitt des Zeitungsartikels zum Inhalt. Grammatikalische Strukturen wurden weder von Seiten der Lehrenden noch von den Lernenden thematisiert. Didaktisch folgten die Unterrichtsstunden dem folgenden Schema: - Vorentlastung des Textes (in der ersten Stunde durch ein Brainstorming in Bezug auf den Titel des Textes mit der ganzen Gruppe, in der zweiten und dritten Stunde durch eine kurze Zusammenfassung des vorhergehenden Zeitungsabschnittes durch einen Lernenden, der von den anderen Teilnehmern ergänzt wurde), leises Lesen-und Markierung unbekannter Wörter, Worterklärungen (wenn möglich durch die Kursteilnehmer, sonst durch die Lehrende), mehrmaliges lautes Lesen des Textes, die Lernenden wechselten sich dabei ab, mündliche Beantwortung der von der Lehrenden vorbereiteten Fragen zum Textinhalt, die Fragen bezogen sich zwar auf den Inhalt des Textes, die Partizipialkonstruktionen mussten zur Beantwortung der Fragen jedoch verstanden worden sein, am Ende jeder Stunde wurde der Inhalt des Textes von einem Kursteilnehmer mündlich zusammengefasst. Insgesamt war der Unterricht kommunikativ und rein inhaltlich orientiert. Die im Text enthaltenen Partizipialkonstruktionen waren nicht markiert, sie wurden _weder vom Lehrenden noch von den Lernenden thematisiert. 2.6 Untersuchungsinstrumente 2.6.1 Pre-Test Zu Beginn der Studie wurde ein Pre-Test durchgeführt, um den Kenntnisstand der Lernenden in Bezug auf die Zielstruktur zu überprüfen; dieser Test dauerte etwa 35 Minuten und bestand aus den folgenden Teilen 5 : a. Abgabe von Grammatikalitätsurteilen zwecks Ermittlung impliziten Wissens über die Zielstruktur: Die Lernenden sollten angeben, ob es sich bei den vorgegebenen Beispielsätzen um grammatisch korrekte oder inkorrekte Sätze handelte; für den Fall, dass sie sie für falsch hielten, sollten sie einen Korrekturvorschlag machen. Vier der zur Bearbeitung angebotenen Beispielsätze enthielten Partizipialkonstruktionen, vier Modalverben, denen die Funktion einer Kontrollstruktur zukommen sollte (siehe dazu oben Anmerkung 4 [S. 196]). b. Umformung von Relativsätzen in Partizipialkonstruktionen (Produktion): In Analogie zu einem vorgegebenen Beispiel sollten insgesamt sechs Konstruktionen umgeformt werden. Der umzuformende Relativsatz war durch Fettdruck hervorgehoben. c. Umformung von Partizipialkonstruktionen in Relativsätze (Rezeption): In Analogie zu einem vorgegebenen Beispiel sollten sechs strukturell äquivalente Konstruktionen in Relativsätze umgeformt werden. Die umzuformende Partizipialkonstruktion war durch Fettdruck hervorgehoben. 5 Aus Platzgründen können die verschiedenen von uns eingesetzten Tests und Fragebögen nicht abgedruckt werden. Interessierten Lesern/ Leserinnen lassen wir die Materialien jedoch gern zukommen. lFL1UllL 29 (2000) 202 Arbeitsgruppe Fremdsprachenerwerb Bielefeld d. Nach Vorgabe einer semantischen Umschreibung einer Modalverbbedeutung sollte das entsprechende Modalverb ausgewählt und ein Satz gebildet werden. Die Umschreibung war durch Fettdruck hervorgehoben (siehe dazu Anmerkung 4 [S. 196]). 2.6.2 Lerne,fragebogen In einem anschließend ausgegebenen Lernerfragebogen wurden Informationen zu den folgenden Bereichen erhoben: Daten zur Lernbiographie, Muttersprache, weitere Fremdsprachen, Reihenfolge und Dauer ihres Erwerbs. Ferner fragten wir danach, in welchem Land, an welcher Institution diese Fremdsprachen gelernt wurden und wie die Lernenden ihr sprachliches Niveau in den einzelnen Fremdsprachen einschätzen. Damit sollten bisherige Sprachlernerfahrungen erfasst werden. Außerdem wurde ermittelt, wie häufig sich die Lernenden in einem deutschsprachigen Land, zu welchem Zweck und seit wann sie sich zum Zeitpunkt der Befragung in Deutschland aufgehalten haben. Da wir davon ausgehen, dass die Motivation, Deutsch zu lernen, auch davon abhängig ist, welches Fach jemand zu studieren beabsichtigt, fragten wir auch nach den angestrebten Studienfächern. Die nächsten vier Fragenkomplexe bezogen sich auf den PNdS-Sprachkurs: Wir fragten danach, welche Inhalte sich die Lernenden von dem Sprachkurs erhofft hatten. Wir gaben eine Liste mit möglichen Inhalten vor und baten die Lerner, auf einer Skala von 1 (gar nicht) bis 5 (sehr stark) anzukreuzen, wie stark dieses Bedürfnis bei ihnen ausgeprägt war und wie stark diesem Bedürfnis bis zum Zeitpunkt der Befragung entsprochen worden ist: Leseverstehen, Hörverstehen, Sprechen, Schreiben, Orientierungshilfen für das tägliche Leben, Uni kennen lernen, deutsche Kultur kennen lernen, wissenschaftliches Arbeiten, Freundschaften schließen, Sonstige. Anschließend wurden die Lernenden explizit danach gefragt, was ihnen im Jahreskurs gefehlt hat. Die nächsten vier Fragenkomplexe bezogen sich auf die von den Lernenden bevorzugten Lernformen. Auf einer Skala von 1 bis 5 sollte angegeben werden, in welchem Maße sie Einzelarbeit, Gruppenarbeit, Partnerarbeit, Lehrervortrag, Plenumsdiskussion, Medien oder sonstige Lernformen bevorzugen. Anschließend wurde nach der Art und Weise und nach Techniken gefragt, mittels derer sie außerhalb des Sprachkurses lernen. So sollte ermittelt werden, ob die Lernenden wenn sie autonom lernen eher inhalts- oder eher formorientiert vorgehen. Die nächsten beiden Fragen befassten sich mit Übungsformen, von denen jeweils die drei am meisten und die drei am wenigsten bevorzugten genannt werden sollten. Zur Auswahl standen: Lückentext, Grammatikübungen, Rollenspiel, Aufsatz schreiben, Diktat, Bildbeschreibung, Nacherzählung, mündlicher Vortrag/ Referat, ,multiple choice'-Aufgaben, Gedichte oder Lieder auswendig lernen, literarische Texte besprechen, Zeitungstexte besprechen, Texte interpretieren, Sonstige. Die nächsten fünf Fragen dienten der Ermittlung dessen, wie die Lernenden am besten grammatische Strukturen lernen: ob anhand von Regeln oder anhand von Beispielen ob sie es vorziehen, Regeln erklärt bekommen oder selbst zu entdecken ob es ihnen wichtiger ist, grammatisch korrekt oder flüssig zu sprechen und von welchen situativen Bedingungen dies abhängig ist. IFL! IL 29 (2000) Zur Effektivität verschiedener lnstruktionstypen ... 203 Anschließend sollten die Lernenden angeben, ob und, wenn ja, in welchen Bereichen sich ihre Deutschkenntnisse im letzten halben Jahr verbessert hatten und was sie vor allem innerhalb des Sprachkurses und was sie vor allem außerhalb gelernt hatten. Ferner sollten sie angeben, in welchen Bereichen sie Korrekturen als hilfreich empfinden und wie sie ihre eigene Aktivität im Unterricht einschätzten. 2.6.3 Uptake-Fragebogen Laut Schmidt (1995: 4) reguliert die Aufmerksamkeit den Zugang zum Bewusstsein und ermöglicht die subjektive Erfahrung des ,noticing', die er als "the necessary and sufficient condition for the conversion of input to intake" bezeichnet. Als Kriterium dafür, ob ,noticing' stattgefunden hat, betrachtet Schmidt die Fähigkeit, über das im Input Wahrgenommene berichten zu können. Problematisch ist hierbei, dass man zwar etwas wahrnehmen, es aber auch wieder vergessen kann; auch spielt das bereits vorhandene Vorwissen eine wichtige Rolle. Ferner kann Lernenden die Metasprache fehlen, die für die Beschreibung dessen, was sie wahrgenommen haben, erforderlich ist. Dennoch haben wir versucht, unmittelbar im Anschluss an jede Unterrichtseinheit mittels eines sogenannten Uptake-Fragebogens zu erfahren, an was sich die Lernenden noch erinnern, was sie gelernt haben und was ihnen wichtig erschien: Es ging uns also darum, die ,Insider'-Perspektive und die subjektive Einschätzung des Unterrichts und der relevanten Variablen zu ermitteln und nachvollziehbar zu machen. Die Lernenden sollten Angaben zu den folgenden Themenbereichen machen: allgemeine Motivation in Bezug auf den zusätzlichen Unterricht, Aufmerksamkeit, Interesse, affektive Stimmungen, Art und Ausmaß der Beteiligung als ein mögliches Indiz für das Interesse am Unterricht, Entdeckung von neuen Strukturen, Anfertigung von Notizen, Einschätzung des Unterrichtsgegenstands und -ziels. 2.6.4 Post-Test, ,Follow up'-Test und Nachgespräche Nach drei ca. 50-60 Minuten dauernden Unterrichtseinheiten an drei aufeinanderfolgenden Tagen wurde in der darauffolgenden Woche ein dem Pre-Test strukturell äquivalenter Post- Test durchgeführt. Zwei Tage später fand ein abschließendes Gespräch statt, an dem alle Lehrenden und 10 Lernende teilnahmen. Dieses Gespräch diente der Ermittlung dessen, wie die Lernenden den Zusatzunterricht im Hinblick auf seinen Nutzen bewerteten. Ca. 8 Monate nach dem Post-Test und dem ersten Nachgespräch wurde ein identischer Follow up- Test und ein weiteres Nachgespräch durchgeführt, an dem noch fünf Lerner teilnahmen. 2.6.5 , Studienfremde' Zusatzdaten Zusätzlich zu den Daten aus dem Pre-, dem Post- und dem Follow up-Test wurden die Ergebnisse des Einstufungstests (September 1997) und der PNdS (Juni 1998) einbezogen, denen von uns allerdings kein allzu großes Gewicht beigemessen wurde. Die Berücksichtigung dieser Zusatzdaten hatte lediglich den Zweck, uns einen allgemeinen Eindruck über die zwischenzeitliche sprachliche Entwicklung der Lernenden zu verschaffen. FL1UIL 29 (2000) 204 Arbeitsgruppe Fremdsprachenerwerb Bielefeld 3. Analyse und Auswertung 3.1 Gewichtung der Datentypen Die verschiedenen Untersuchungsinstrumente, die wir zur Analyse und Auswertung unserer Studie heranzogen, wurden unterschiedlich gewichtet. Zentrale Daten waren die Ergebnisse des Pre-, des Post~ und des Follow up-Tests, da sie die Grundlage für die Beantwortung unserer Forschungsfrage bildeten. Die Analyse der Testergebnisse konzentrierte sich vorrangig auf die Testteile, mit denen Grammatikalitätsurteile über Partizipialkonstruktionen sowie deren Rezeption und Produktion evaluiert wurden. Ergänzt wurden die Testergebnisse durch die Angaben der Lernenden aus dem Fragebogen zur Lern(er)biographie, aus den Uptake-Fragebögen sowie den Nachgesprächen. Die hier ermittelte Lernerperspektive diente in der Hauptsache zwei Zwecken: der zusätzlichen Validierung der anhand der Testergebnisse zu treffenden Aussagen bezüglich der Wirkung verschiedener Instruktionstypen sowie der Unterstützung von Erklärungsansätzen für das Zustandekommen der Testergebnisse. 3.2 Bewertungskriterien Die Feststellung, Klassifikation und Gewichtung der Fehler ist für die Bewertung der Tests unerlässlich. Diese Bewertung vollzog sich in zwei Schritten. Zuerst wurden die Testergebnisse einer allgemeinen Fehlerfeststellung unterzogen, um dann mittels eines Punktesystems eine allgemeine Bewertung zu ermöglichen. Dieser Schritt diente den Forschenden, zur Fehlerklassifikation und den Lernenden zur gewünschten Rückmeldung über ihre sprachliche Kompetenz in Bezug auf die Zielstruktur. In einem zweiten Schritt gewichteten wir die klassifizierten Fehler im Sinne unserer Untersuchung. Diese Gewichtung der Fehlerklassen erschien uns sinnvoll, um die Aussagekraft der Daten im Hinblick auf die Zielstruktur zu erhöhen und zu gewährleisten, dass bevorzugt die Strukturen überprüft und bewertet werden, die in den verschiedenen Instruktionstypen vermittelt werden sollten. Das Punktesystem sollte die verschiedenen Aufgabentypen gleichwertig berücksichtigen'. Aus diesem Grund legten wir pro Item eine maximal zu erreichende Zahl von fünf Punkten fest. Je nach Aufgabentyp gestalteten sich die Möglichkeiten des Punktabzugs unterschiedlich. Die Items zu den Grammatikalitätsurteilen wurden wie folgt bewertet: Ein richtiges Urteil .brachte die maximale Punktzahl 5, ein Fehlurteil oder.eine Nichtbearbeitung hingegen OPunkte. Wurde ein korrektes Item als falsch eingestuft, bezog sich die Verbesserung jedoch nicht auf die Partizipialkonstruktion, wurde nur 1 Punkt abgezogen. Wurde eine falsche Konstruktion vom Probanden zwar als falsch erkannt, jedoch falsch korrigiert, wurden 4 bzw. bei mehr als einem Fehler am Partizip 3 Punkte vergeben. Grundsätzlich wurde das Partizip selbst bei allen Items mit bis zu 2 Punkten bewertet, um eine Aufwertung dieser Fehlerklasse zu gewährleisten. Die Items, die eine Umformung von Relativsätzen in Partizipialkonstruktionen bzw. eine Umformung von Partizipialkonstruktionen in Relativsätze verlangten, ergaben bei richtiger Lösung ebenfalls 5 Punkte. 0 Punkte wurden hier nur im Falle einer Nichtbearbei- FLuL 29 (2000) Zur Effektivität verschiedener Instruktionstypen ... 205 tung oder einer gravierenden Sinnverdrehung, die keinen Bezug zur richtigen Lösung aufwies, vergeben. Jeweils maximal 2 Punkte konnten auch hier für das Partizip abgezogen werden. Diese Abzüge betrafen die Wahl des falschen Partizips sowie Bildungs- oder Kongruenzfehler am Partizip. Jeweils 1 Punkt wurde pro Item für Fehler in folgenden Bereichen abgezogen: Interpunktion, Relativpronomen, Syntax, Tempus, Diathese, Lexik/ Semantik, Kongruenz, Orthographie und Auslassung von Satzelementen. In einem zweiten Schritt bewerteten wir die Fehlerklassen im Hinblick auf ihre morphologische und syntaktische Verbindung mit der Partizipialkonstruktion. Diese Gewichtung sollte gewährleisten, dass die Testergebnisse spezifischen Aufschluss über die Beherrschung der Partizipialkonstruktion geben. Fehlerklassen, die keinen Bezug zur unterrichteten Zielstruktur aufwiesen, wurden nicht weiter berücksichtigt. Zu dieser Kategorie zählen Interpunktion, Syntax, Lexik/ Semantik, Auslassung und Orthographie. Eine zweite Kategorie besteht aus Fehlerklassen, die ihre Relevanz aus einer mittelbaren Beziehung zur Partizipialkonstruktion erhalten. Diese Fehlerklassen betreffen die Wahl des richtigen Relativpronomens, Tempus und Diathese. Die höchste Gewichtung erfuhren Fehlerklassen, die unmittelbar das Partizip und die Partizipialkonstruktion betrafen. Dies sind Fehler in den Bereichen Kongruenz, Partizip und Sinnverdrehung. 4. Beschreibung und Interpretation der Testergebnisse Zum Zweck der qualitativen Interpretation der von uns erhobenen und quantitativ ausgewerteten Testdaten zogen wir die Angaben aus dem Lemerfragebogen, den Uptake-Fragebögen und den Nachbesprechungen heran. 4.1 Focus-on-Forms (FonFs) 4.1.1 Lemerin A Grammatikalitätsurteile Pre-Test Post-Test Follow up-Test Fehlerklasse 1 0 1 1 Fehlerklasse 2 0 0 0 Fehlerklasse 3 0 0 0 Fehlurteil 2 1 0 Umformung Relativsatz - Partizipialkonstruktion Pre-Test Post-Test Follow up-Test Fehlerklasse 1 3 1 3 Fehlerklasse 2 0 0 0 Fehlerklasse 3 3 1 4 lFLllL 29 (2000) 206 Arbeitsgruppe Fremdsprachenerwerb Bielefeld Umformung Partizipialkonstruktion - Relativsatz Pre-Test Post-Test Follow up-Test Fehlerklasse I 3 3 6 Fehlerklasse 2 0 0 2 Fehlerklasse 3 2 0 0 Bei dieser Lernerin sind alle schweren Fehler bei den Grammatikalitätsurteilen auf Fehlurteile zurückzuführen. Bei der Umformung von Partizipialkonstruktionen in Relativsätze machte die Lernerin im Pre- Test einen Partizipfehler und führte bei einem Satz keine Umformung durch, im Follow up-Test machte sie zwei mittelschwere Diathesefehler. Bei der Umformung von Relativsätzen in Partizipialkonstruktionen handelt es sich bei den schweren Fehlern im Pre-Test durchgängig um Kongruenzfehler, im Post- Test um einen Partizipfehler und im ,Follow up '-Test um einen Partizip- und zwei Kongruenzfehler. Bei dieser Lernerin zeigt sich insofern ein einheitliches Bild, als dass sich die Anzahl der schweren Fehler zwischen Pre- und Post-Test für alle Aufgabentypen reduzierte. Für zwei der drei Aufgabentypen lässt sich auch für den Follow up-Test noch eine Verbesserung (Grammatikalitätsurteile) bzw. ein Verbleiben auf hohem Niveau (keine schweren Fehler bei der Umformung in Relativsätze) feststellen. Hierzu muss allerdings bemerkt werden, dass die im Pre-Test dokumentierten Eingangsvoraussetzungen für diese Lernerin schon sehr gut waren (lediglich zwei schwere Fehler im Pre-Test beim ersten_ bzw. zweiten Aufgabentyp). Einzig bei dem dritten und schwierigsten Aufgabentyp (Produktion von Partizipialkonstruktionen) fällt diese Lernerin im Follow up-Test sogar knapp hinter das Pre-Testniveau zurück. Bei diesem Aufgabentyp mag zunächst die Verdopplung der Fehlerzahl als bemerkenswert erscheinen. Bei genauerem Hinsehen entpuppen sich diese Fehler jedoch "nur" als leichte (Interpunktion, Orthographie) bis mittelschwere (Diathese) Fehler. Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass sich diese Lernerin kurzzeitig in allen getesteten Bereichen verbessert hat. Langfristig sind bei ihr, außer bei den Produktionsaufgaben, Fehler, die unmittelbar die Zielstruktur betreffen (Partizipbzw. Kongruenzfehler), nicht wieder aufgetaucht. Die Tatsache, dass für die ersten beiden Aufgabentypen auch langfristig keine wesentliche Verschlechterung eintrat, legt die Vermutung nahe, dass die produktive Beherrschung der Partizipialkonstruktion erst in einem relativ späten Stadium der Interimsprache erfolgt. Die guten Testergebnisse der Lernerin korrespondieren mit ihrem Wunsch nach expliziter Vermittlung von grammatischen Regeln im Unterricht, obwohl sie dem flüssigen Sprechen einen höheren Stellenwert als der grammatischen Korrektheit beimisst. 4.1.2 Lerner B Im Pre-Test sind alle schweren Fehler bei den Grammatikalitätsurteilen auf Fehlurteile zurückzuführen, wohingegen es sich bei dem schweren Fehler im Follow up-Test um einen Partizipfehler handelt. Bei der Umformung von Partizipialkonstrnktionen in Relativsätze handelt es sich bei den schweren Fehlern im Pre-Test ausschließlich um Partizipfehler, im Follow up-Test um einen Kongruenzfehler. Außerdem produzierte der Lerner im Pre-Test einen und im Follow up-Test drei mittelschwere Diathesefehler. Bei der Umformung von Relativsätzen in Partizipialkonstruktionen machte der Lerner im Pre-Test jeweils einen Partizipbzw. Kongruenzfehler. Im Post-Test machte der Lerner weder schwere noch mittelschwere Fehler. Grammatikalitätsurteile Pre-Test Post-Test Follow up-Test Fehlerklasse 1 0 1 0 Fehlerklasse 2 0 0 0 Fehlerklasse 3 0 0 1 Fehlurteil 3 0 0 lFLllL 29 (2000) Zur Effektivität verschiedener / nstruktionstypen ... 207 Umfonnung Relativsatz - Partizipialkonstruktion Pre-Test Post-Test Follow up-Test Fehlerklasse 1 0 1 2 Fehlerklasse 2 0 0 0 Fehlerklasse 3 2 0 0 Umformung Partizipialkonstruktion - Relativsatz Pre-Test Post-Test Follow up-Test Fehlerklasse 1 3 6 1 Fehlerklasse 2 1 0 3 Fehlerklasse 3 3 0 1 Auch bei diesem Lerner kann man annehmen, dass die explizite Instruktion kurzzeitig eine bessere (rezeptive und produktive) Beherrschung der Zielstruktur zur Folge hatte, da im Post-Test die unmittelbar die Partizipialkonstruktion betreffenden schweren Fehler völlig verschwanden. Beim Föllow up- Test ist dann zwar wieder eine leichte Verschlechterung erkennbar,jedoch wurde die Fehlerzahl des Pre- Tests in allen Aufgabentypen unterschritten. Ebenso auffällig ist, dass für diesen Lerner die absolute Fehlerzahl für alle Aufgabentypen gleichermaßen im Pre-Test am höchsten war, so dass er auch langfristig von der expliziten Instruktion profitiert zu haben scheint. Die deutliche Verbesserung der Testergebnisse in der für die Zielstruktur besonders relevanten Fehlerklasse korrespondiert mit dem hohen Stellenwert, den der Lerner dem Erlernen und der korrekten Anwendung grammatischer Strukturen beimisst. 4.1.3 Lernerin C Zwei der schweren Fehler bei den Grammatikalitätsurteilen im Pre-Test sind bei dieser Lemerin auf ein Fehlurt1,il zurückzuführen, einer auf eine Sinnverdrehung. Im Follow up-Test macht die Lemerin einen Partizipfehler. Bei der Umformung von Partizipialkonstruktionen in Relativsätze produziert diese Lemerin nur einen schweren Kongruenzfehler im Post-Test. Die mittelschweren Fehler dieser Lemerin sind auf einen Diathesefehler im Post-Test sowie einen Diathesebzw. Tempusfehler im Pre-Test zurückzuführen. Bei der Umformung von Relativsätzen in Partizipialkonstruktionen traten im Pre-Test zwei Kongruenz- und ein Partizipfehler, im Post-Test zwei Partizipfehler und im Follow up-Test vier Partizip- und ein Kongruenzfehler auf. Grammatikalitätsurteile Pre-Test Post-Test Follow up-Test Fehlerklasse 1 1 1 1 Fehlerklasse 2 0 0 0 Fehlerklasse 3 1 0 1 Fehlurteil 2 0 0 Umfonnung Relativsatz - Partizipialkonstruktion Pre-Test Post-Test Follow up-Test Fehlerklasse 1 0 1 2 Fehlerklasse 2 0 0 0 Fehlerklasse 3 3 2 5 Umfonnung Partizipialkonstruktion - Relativsatz Pre-Test- Post-Test Follow up-Test Fehlerklasse 1 3 1 2 Fehlerklasse 2 2 1 0 Fehlerklasse 3 0 1 0 IFL111L 29 (2000) 208 Arbeitsgruppe Fremdsprachenerwerb Bielefeld Für die Grammatikalitätsurteile und die Umformung in Relativsätze kann man zwischen Pre- und Post-Test eine Verbesserung bei den schweren Fehlern feststellen, für die Umformung in Partizipialkonstruktionen trifft dies jedoch nicht zu. Bei diesem Aufgabentyp machte die Lernerin nur im Post-Test einen schweren Fehler. Da sie sich jedoch bereits auf einem sehr hohen Niveau befand, kann man hier nicht von einer Verschlechterung sprechen, insbesondere weil auch der Follow up-Test frei von schweren Fehlern ist. Dies ist möglicherweise ein Indiz dafür, dass die Lernerin das für die Umformung von Partizipialkonstruktionen in Relativsätze nötige Regelwissen bereits zum Zeitpunkt des Pre-Tests besaß und ihr im Post-Test eventuell nur ein Flüchtigkeitsfehler unterlief. Trifft diese Einschätzung zu, dann könnte man auch für diese Lernerin eine positive kurzzeitige Wirkung der expliziten Instruktion konstatieren. Uneinheitlich stellt sich das Bild im Hinblick auf die langzeitige Wirkung der Instruktion dar. Gravierend verschlechtert hat sich die Lernerin im Follow up-Test hinsichtlich der schweren Fehler bei der Produktion von Partizipialkonstruktionen, wo sie aufeinem hohen Fehlerniveau sogar hinter dem Pre-Test-Ergebnis zurückblieb. Die rezeptive Beherrschung der Zielstruktur, dokumentiert durch die ersten beiden Aufgabentypen, ist hingegen auch langzeitig feststellbar. Obwohl dem Wunsch der Lernerin nach expliziter Vermittlung komplizierter Regeln im Unterricht entsprochen wurde, scheint der Unterricht sie eher verunsichert zu haben. 4.1.4 Zusammenfassung Lernerübergreifend lässt sich feststellen, dass sich die schweren Fehler bei den Grammatikalitätsurteilen nach dem Instruktionsblock verringerten, bei einem Lerner ist eine kontinuierliche Verbesserung über alle Tests hinweg erkennbar. Bei den anderen beiden Lernerinnen ist das Ergebnis des Follow up-Tests geringfügig schlechter als das des Post-Tests. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich bei der Umformung von Partizipialkonstruktionen in Relativsätze verzeichnen. Fasst man den einen schweren Fehler bei Lernerin C als Flüchtigkeitsfehler auf, so ist auch bei diesem Aufgabentyp bei allen Lernern nach dem Pre-Test eine Verbesserung festzustellen: die schweren Fehler, die allerdings auch schon im Pre-Test gering waren, verschwanden in den folgenden Tests fast vollständig. Eine etwas abweichende Entwicklung zeigt sich für die Umformung von Relativsätzen in Partizipialkonstruktionen. Bei diesem anspruchsvollsten Aufgabentyp verbesserten sich zwar alle Lerner zwischen Pre- und Post-Test, zwei von ihnen machten allerdings im Follow up-Test mehr Fehler als im Pre-Test. Ausgenommen davon war der Lerner B, der am deutlichsten zum Ausdruck brachte, dass Grammatikvermittlung für ihn einem außerordentlich hohen Stellenwert hat und der dementsprechend eine explizite Regelvermittlung bevorzugt. Zusammenfassend lässt sich formulieren, dass die explizite Instruktion kurzzeitig für alle drei Aufgabentypen eine positive Wirkung hervorbrachte. 4.2 Focus-on-Form (FonF) 4.2.1 Lerner D Bei diesem Lerner liegen nur Pre- und Post-Test vor. Bei den Grammatikalitätsurteilen ist eine deutliche Verschlechterung festzustellen. Die Anzahl der Fehler hat sich bei unwesentlich veränderter Qualität verdoppelt: Während im Pre-Test ein Kongruenzfehler und eine fehlende Umformung feststellbar waren, gab dieser Lerner im Post-Test zwei Fehlurteile ab und machte je einen Partizip- und einen Kongruenzfehler. Dem Lerner war die Konstruktion jedoch offensichtlich nicht ganz unbekannt, da er sie insgesamt dreimal richtig löste: im Pre-Test jeweils einmal produktiv und rezeptiv und im Post-Test einmal rezeptiv. lFLlJIL 29 (2000) Zur Effektivität verschiedener Instruktionstypen ... 209 Grammatikalitätsurteile Pre-Test Post-Test Follow up-Test Fehlerklasse I 0 I 0 Fehlerklasse 2 0 0 0 Fehlerklasse 3 1 2 0 Fehlurteil 1 2 0 Umformung Relativsatz - Partizipialkonstruktion Pre-Test Post-Test Follow up-Test Fehlerklasse 1 2 0 0 Fehlerklasse 2 0 0 0 Fehlerklasse 3 8 8 0 Umformung Partizipialkonstruktion - Relativsatz Pre-Test Post-Test Follow up-Test Fehlerklasse 1 3 3 0 Fehlerklasse 2 4 3 0 Fehlerklasse. 3 1 1. 0 .. Bei der Auflösung von Partizipialkonstruktionen in Reliltivsätze verbesserte sich der Lerner quantitativ im Post-Test leicht. Auffällig ist hier, dass es eine Fehlerkonzentration bei der Diathese gibt, die quantitativ unverändert blieb..Bei den schweren Fehlern macht er im Post-Test einen ~ongruenzfehler mehr und eine Sinnverdrehung weniger. Dies reicht jedoch nicht aus, um von einer qualitativen Verbesserung zu sprechen. Bei der Umformung von Relativsätzen in Partizipialkonstruktionen ergibt sich durch Vermeidung leichter Interpunktionsfehler quantitativ eine leichte Verbesserung im Post-Test. Auffällig sind die Probleme des Lerners mit der Kongruenz: Im Pre-Test weist jede Aufgabe einen Kongruenzfehler auf. Im Post-'J'est konnte er die Kongruenzfehler auf die Hälfte reduzieren, verdoppelte jedoch die schweren Partizipfehler und verdrehte den Sinn eines Satzes; quantitativ bleiben die schweren Fehler dadurch gleich. Zentrale Probleme dieses Lerners sind die Beherrschung der Kongruenz und der Diathese; nur bei der Kongruenz jedoch hat sich eine leichte Verbesserung ergeben. Insgesamt kann man weder von einer eindeutigenVerbesserung noch von einer Verschlechterung sprechen, vom zusätzlichen Input hat der Lerner in den getesteten Bereichen offensichtlich nicht profitiert. 4.2.2 Zusammenfassung Der Lerner gab an, Regeln besser zu behalten, wenn sie vom Lehrenden erklärt werden; offensichtlich hat er deshalb nicht nach ihnen gesucht. Auch war seine Aufmerksamkeit den Uptake-Bögen zufolge ganz auf die inhaltiichen und nicht auf die grammatischen Aspekte des Unterrichts gerichtet. Der Lerner ist deshalb als ein inhaltlich orientierter Lernertyp zu beschreiben, der auf Instruktion durch den Lehrenden wartet. Eine einfache formale Hervorhebung der Zielstruktur reicht für diesen Lerner nicht aus, um seine Aufmerksamkeit auf grammatische Aspekte der Zielsprache zu lenken. Des weiteren ergibt sich aus den Zusatzdaten, dass dieser Lerner seine Sprachkenntnisse größtenteils ungesteuert erworben hatte und in Bezug aufFremdsprachenunterricht dementsprechend unerfahren war. Offensichtlich hat er den Stellenwert der Grammatik erst beim Sprachenlernen in der Universität entdeckt. Obwohl der Unterricht ihm inhaltlich entgegen kam und von ihm positiv bewertet wurde, scheint dies keinen merklichen Einfluss auf den Erwerb der Zielstruktur gehabt zu haben; der Lerner befand sich möglicherweise in einer Phase, in der er erst die grammatischen Voraussetzungen (Kongruenz und Diathese) erwarb, die für die korrekte Bildung der Partizipialkonstruktion erforderlich sind. FLuL 29 (2000) 210 Arbeitsgruppe Fremdsprachenerwerb Bielefeld 4.3 Focus-on-Meaning (FonM) 4.3.1 Lerner E Grammatikalitätsurteile Fehlerklasse 1 Fehlerklasse 2 Fehlerklasse 3 Fehlurteil Umformung Relativsatz - Partizipialkonstruktion Fehlerklasse 1 Fehlerklasse 2 Fehlerklasse 3 Umformung Partizipialkonstruktion - Relativsatz Fehlerklasse 1 Fehlerklasse 2 Fehlerklasse 3 Pre-Test 1 0 0 2 Pre-Test 5 0 4 Pre-Test 1 2 0 Post-Test Follow up-Test 0 0 0 0 0 0 2 1 Post-Test Follow up-Test 4 4 0 1 7 8 Post-Test Follow up-Test 1 3 1 0 1 2 Dieser Lerner gab bei den Grammatikalitätsurteilen im Pre- und Post-Test je zwei, im Follow up-Test ein Fehlurteil ab. Bei der Umformung von Partizipialkonstruktionen in Relativsätze löste er in beiden Tests jeweils 3 der 6 Aufgaben fehlerfrei. In den verbleibenden Sätzen kam es im Pre-Test zu zwei mittelschweren Diathese-Fehlern, im Post-Test zu einem Diathese- und einem schweren Kongruenzfehler. Im Follow up-Test machte der Lernende zwei schwere Partizipfehler. Auch in diesem Test wurden drei der sechs Sätze richtig umgeformt. Bei der Produktion von Partizipialkonstruktionen kam es im Pre-Test zu vier schweren Kongruenzfehlern. Im Post-Test verschlechterte sich der Lerner im Hinblick auf die Anzahl und die Qualität der Fehler. Der Lerner produzierte sieben schwere und einen mittelschweren Fehler, drei Partizip-, vier Kongruenz- und einen Diathesefehler. Im Post-Test konnte der Lernende nur einen der sechs Relativsätze in eine vollständig korrekte Partizipialkonstruktion umformen. Im Follow up-Test wurde ein Satz gar nicht bearbeitet. Die Anzahl der mittelschweren und schweren Fehler blieb im Vergleich zum Pre-Test konstant, die Qualität der Fehler änderte sich nicht entscheidend: Der Lernende produzierte einen Partizipfehler mehr und einen Kongruenzfehler weniger. 4.3.2 Lerner F Grammatikalitätsurteile Pre-Test Post-Test Follow up-Test Fehlerklasse 1 0 0 0 Fehlerklasse 2 0 0 1 Fehlerklasse 3 0 1 0 Fehlurteil 2 2 2 Umformung Relativsatz - Partizipialkonstruktion Pre-Test Post-Test Follow up-Test Fehlerklasse 1 1 0 0 Fehlerklasse 2 0 1 2 Fehlerklasse 3 4 3 2 lFwL 29 (2000) Zur Effektivität verschiedener / nstruktionstypen ... 211 Umformung Partizipialkonstruktion - Relativsatz Pre-Test Post-Test Follow up-Test Fehlerklasse 1 0 1 1 Fehlerklasse 2 3 3 1 Fehlerklasse 3 2 0 0 Dieser Lernende gab bei den Grammatikalitätsurteilen in allen drei Tests je zwei Fehlurteile ab. Bei der Umformung von Partizipialkonstruktionen in Relativsätze produzierte er im Pre-Test zwei schwere Partizip-Fehler, zwei mittelschwere Diathese- und einen Tempusfehler. Im Post-Test wurden zwei Diathese- und ein Tempusfehler gemacht. Im Follow up-Test trat nur noch ein Diathesefehler auf. Bei der Produktion von Partizipialkonstruktionen machte der Lerner im Pre-Test vier schwere Partizipfehler. Im Post-Test trat nur noch ein Partizipfehler auf, zwei weitere betrafen die Kongruenz, einer die Diathese. Im Follow up-Test gab es wiederum zwei Fehler am Partizip, einen Diathese- und einen Tempusfehler. 4.3.3 Zusammenfassung Lerner E war nach den drei zusätzlichen Unterrichtssi: unden bei den Grammatikalitätsurteilen noch unsicher, wie die konstant bleibende Fehlurteilsquote im Post-Test belegt. Die Umformung in Partizipialkonstruktionen beherrschte der Lernende bereits im Pre-Test relativ gut, die Fehlerqualität bei der Bearbeitung dieses Aufgabentyps blieb im Post-Test etwa gleich. Die quantitative und qualitative Fehlerdifferenz zwischen dem Pre- und Post-Test im Bereich der Produktionsaufgaben zeigt eine Verschlechterung der produktiven Fähigkeiten dieses Lerners in Bezug auf die Zielstruktur. Die implizite Vermittlung der Zielstruktur in der FonM-Gruppe scheint für diesen Lerner iri Bezug auf ihren Erwerb keine positiven Auswirkungen gehabt zu haben. Die Veränderung der Fehlerqualität in allen drei Tests deutet insgesamt daraufhin, dass der Erwerb der Partizipialkonstruktion bei diesem Lernenden im untersuchten Zeitraum nicht voranschritt. Während er sich bei den Grammatikalitätsurteilen leicht verbesserte, fiel er bei der Auflösung und Produktion von Partizipialkonstruktionen hinter sein Eingangsniveau zurück; dies könnte als ein erhöhtes implizites oder intuitives Wissen über die Zielstruktur gewertet werden. Die Fähigkeit von Lerner F hinsichtlich der Beurteilung von Partizipialkonstruktionen hat sich vom Prezum Post-Test nicht verbessert. Bemerkenswert ist, dass der Lerner die Zielstruktur bereits im Pre-Test korrekt markierte, indem er sie in Klammern setzte, obwohl dieses nicht verlangt worden war. Er identifizierte und markierte damit die Zielstruktur, war allerdings nicht in der Lage, vorhandene Fehler zu erkennen und zu verbessern. Dieser Lerner hat sich in den beiden anderen Aufgabentypen vom Prezum Post-Test in Bezug auf die Quantität der Fehler bei gleichzeitiger Veränderung ihrer Qualität leicht verbessert. Während im Eingangstest die korrekte Wahl und Bildung des Partizips das größte Problem darstellte, waren im Post-Test eher die das Partizip mittelbar betreffenden Phänomene problematisch. Dieser Lerner hat bei der Umformung und der Produktion von Partizipialkonstruktionen sichtbare Fortschritte gemacht. Ebenso legt das Ergebnis des Follow up-Tests nahe, dass sich der Lerner im korrekten Gebrauch der Partizipialkonstruktion auch langfristig verbessert hat. 5. Interpretation und Diskussion Für zwei unserer Gruppen (FonFs und FonM) konnten anhand des Follow up-Testes langzeitige Auswirkungen der Instruktion getestet werden. Die Ergebnisse sind gruppenübergreifend als sehr heterogen einzuschätzen. Nur jeweils ein Lerner aus beiden Gruppen (Lerner B und Lerner F) erzielte langzeitig bei allen drei Aufgabentypen bessere Ergebnisse als im Pre-Test. lFLlllL 29 (2000) 212 Arbeitsgruppe Fremdsprachenerwerb Bielefeld Um diese Heterogenität erklären zu können, haben wir bei der Interpretation der Testergebnisse die einzelnen Lernenden, ihre individuellen Voraussetzungen und subjektiven Wahrnehmungen bezüglich des Unterrichts einbezogen. Insgesamt scheint der Einfluss der Unterrichtsmethode langzeitig gegenüber der Relevanz anderer Faktoren zu verblassen. Insbesondere die individuelle Variable ,Sprach(lern)bewusstheit' (vgl. Knapp-Potthoff 1997) gilt es, in die Analyse mit einzubeziehen. Die von den Lernenden zu diesem Faktor gemachten Angaben waren von besonderer Bedeutung für die Interpretation der Ergebnisse der Gruppen FonM und FonF, da sie uns Aufschluss darüber gaben, worauf die Lernenden im Unterricht geachtet hatten, und da in diesen Gruppen die selbstinitiierte Aufmerksamkeit der Lernenden in Bezug auf die Partizipialkonstruktion eine wesentliche Voraussetzung für ihren Erwerb darstellte. Während in der FonFs-Gruppe die Aufmerksamkeit von Seiten des Lehrenden gezielt auf die Zielstruktur und deren Bildung gelenkt wurde, sollte dies in der FonF-Gruppe durch Markierung der Partizipialkonstruktionen und in der FonM-Gruppe allein durch gehäuften Input erfolgen. 5.1 Individuelle Faktoren als Erklärungsansatz. 5.1.1 Lerner D Die vergleichsweise schlechten Ergebnisse von Lerner D können nicht allein mit der unzureichenden Markierung der Zielstruktur (siehe Abschnitt 6.2) erklärt werden. Zunächst fällt auf, dass Lerner D insgesamt sehr wenig Fremdsprachenunterricht genossen und seine Sprachkenntnisse vorrangig ungesteuert erworben hat. Er ist der einzige Proband, der erstmals im Sprachkurs gesteuert Deutsch lernte, die sprachlichen Grundlagen hierfür erwarb er ungesteuert in den vorausgegangenen knapp zwei Jahren Aufenthalt in Deutschland. Hinzu kommt, dass er auch den Jahreskurs eher unregelmäßig besuchte, so dass man davon ausgehen kann, dass Lerner D über wenig explizite Regelkenntnis verfügte und auch deutlich hervorgehobene grammatische Strukturen nicht als solche identifizieren konnte. Im Fragebogen gab er zudem an, dass er Regelerklärungen durch den Lehrenden braucht und nicht glaubt, Regeln selbst entdecken zu können. Des weiteren lassen seine Verbesserungen im Bereich der Kongruenz im Laufe des Zusatzunterrichts daraufhin schließen, dass er die nötigen Teilregeln als Grundlage des Erwerbs der Partizipialkonstruktion noch nicht beherrschte und in diesem Sinne noch nicht 'bereit' für den Erwerb dieser komplexen Struktur war (vgl. dazu die Publikationen von Pienemann, z.B. 1989). 5.1.2 Lerner E Auch bei Lerner E kann man aus den Testergebnissen schließen, dass das zui: n Erwerb der Partizipialkonstruktion nötige grammatische Vorwissen bei ihm keinesfalls gefestigt war. Hinzu kommt, dass er beim Spracherwerb stark auf die Steuerung des Lehrenden angewiesen ist. Seine Lernstrategien beschränken sich auf die Wiederholung des Unterrichtsstoffes und die Bearbeitung der Hausaufgaben. Alles, was er außerhalb des Unterrichts lernt, ist seiner eigenen Einschätzung nach „nicht so wichtig". Für einen instrumentell motivierten und prüfungsorientierten Lerner wie E, der einen lehrerzentrierten Unterricht bevorzugt und sich zum Zeitpunkt des Pre-Tests auf einem vergleichbar schwachen Niveau befand, war der implizite Instruktionstyp offensichtlich nur wenig hilfreich. Aus einem späteren informellen Gespräch mit diesem Lerner wissen wir außerdem, dass er sich in dem Zeitraum zwischen Post-und Follow up-Test praktisch gar nicht mit seinem Deutscherwerb befasste, sondern sich vorrangig darauf konzentrierte, den Einstieg in das angestrebte Sportstudium zu erreichen. Seine gesamten Daten und Angaben legen den Schluss nahe, dass seine Aufmerksamkeit im von ihm als positiv bewerteten Unterricht ausschließlich auf den Inhalt des Textes gerichtet war. Auch wenn ihm der Unterricht selbst lFILll! L 29 (2000) Zur Effektivität verschiedener Instruktionstypen ... 213 gefallen hat, hat er ihn doch bezüglich der Tests verunsichert, so dass Lerner E hinter seine Ergebnisse im Pre-Test zurückfiel. Die schwachen langzeitigen Ergebnisse könnten von einer tiefgreifenden Unsicherheit dieses Lerners im Ui: ngang mit der komplexen Zielstruktur zeugen. 5.1.3 Lernerinnen A und C Lernerin A und Lernerin C weisen insofern Gemeinsamkeiten auf, als dass sie beide am Unterricht der FonFs-Gruppe teilgenommen haben und also ihre Aufmerksamkeit von außen auf die grammatische Struktur und Bildung der Partizipialkonstruktion gelenkt war. Bei beiden Lernerinnen lässt sich anhand des Pre-Tests feststellen, dass sie über ein ausreichendes Vorwissen verfügten. Beide Lernerinnen haben sich im Post-Test zunächst verbessert, sind aber im Follow up-Test bei den Produktionsaufgaben zurückgefallen, wobei Lernerin C bei diesem Aufgabentyp sogar unter ihr Niveau im Pre-Test zurückfiel. Ein Grund hierfür könnte sein, dass Übergeneralisierungs- und Vermeidungsstrategien bei isoliert gelehrten grammatischen Strukturen langfristig stärker ins Gewicht fallen, da während der Instruktion keine typischen Verwendungkontexte präsentiert bzw. geschaffen worden waren und somit das Erfordernis des produktiven und angemessenen Gebrauchs der Zielstruktur fehlte. Lernerin C ist nach eigenen Angaben wenig grammatikorientiert und hat die Zielstruktur im Anschluss an die Instruktion daher auch möglicherweise nicht mehr geübt. Da sie ihrer Selbsteinschätzung zufolge die Bildung der Partizipien zum Instruktionszeitpunkt noch nicht vollständig beherrschte, könnte dies eine Erklärung für ihr relativ schlechtes Abschneiden bei diesem Aufgabentyp im Follow up-Test sein. Bei Lernerin A sind die im Vergleich zu den vorangegangenen Tests schwachen Follow up-Testergebnisse bei der Umformung bzw. Produktion von Partizipialkonstruktionen auffällig. Diese Lernerin ist zwar nicht ausschließlich regelorientiert, misst aber einer expliziten Grammatikvermittlung durchaus großes Gewicht bei. Die rezeptive Beherrschung der Zielstruktur bleibt jedoch bei Lernerin A und Lernerin C auch langfristig erhalten. Wir führen den Rückfall in den Produktionsaufgaben auf die fehlend! , Anwendung und Kontextualisierung der Partizipialkonstruktion in der FonFs-Gruppe zurück. Offensichtlich waren diese Lernerinnen nicht in der Lage, geeignete Anwendungskontexte zu finden, obwohl Lernerin A angibt, dass eine ihrer Lernstrategien in der Verwendung des Gelernten außerhalb des Unterrichts besteht. Lemerin C schreibt im letzten Uptake-Fragebogen, dass sie zwar nun „ weniger Probleme mit der Partizipialkonstruktion" habe, aber „noch ein bisschen Zeit [braucht], sie zu benutzen". Die explizite Instruktion h_atte bei den Lernerinnen A und C also nur kurzfristig einen positiven Effekt, da sie ihnen keine angemessene produktive Kompetenz vermittelte und sie nicht in der Lage waren, diese selbstgesteuert zu erwerben. 5.1.4 Lerner B Wir gehen davon aus, dass Lerner B solch ein hervorragendes Ergebnis erzielen konnte, weil der Unterricht für ihn „der richtige zum richtigen Zeitpunkt" war. Das heißt einerseits, dass Lerner B bezüglich seines Sprachstandes „bereit" war für den Erwerb dieser komplexen Struktur, er konnte seine Aufmerksamkeit unei_ngeschränkt auf die Partizipialkonstruktionen lenken, da er keine Unsicherheiten im Bereich der grammatischen Strukturen hatte, die als Voraussetzung für ihren Erwerb angesehen werden können (Kongruenz etc.). Hinzu kommt, dass Lerner Bein grammatikorientierter Lerner ist, der Instruktionstyp entsprach also seinen Präferenzen und Erwartungen. Lerner B verschlechterte sich im Follow up-Test im Vergleich zum Post-Test nur unwesentlich. Die grammatischen Strukturen wurden ihm anhand von Regeln erklärt, ein „Entdecken" der Regeln, welches er auf sich bezogen für unwahrscheinlich hält, war nicht erforderlich. Offensichtlich sucht sich dieser Lerner die Kontexte zur Anwendung außerhalb des Unterrichts; dies könnte eine Erklärung dafür sein, dass auch im Follow up-Test eine weitere Steigerung in der Beherrschung der Partizipialkonstruktionen festzustellen ist. IF[,m: , 29 (2000) 214 Arbeitsgruppe Fremdsprachenerwerb Bielefeld 5.1.5 Lerner F Die guten Ergebnisse von Lerner F in Post- und Follow up-Test sind darauf zurückzuführen, dass er einerseits über das nötige Grundlagenwissen verfügte, das durch den Unterricht gefestigt und erweitert werden konnte. Andererseits ist er ein sprachbewusster, selbstgesteuerter Lerner, der seinen Sprachstand und seine Schwächen einzuschätzen weiß und gezielt daran arbeitet, eigene „Modelle" zum Verständnis und zur Übung grammatischer Strukturen entwickelt und Kontakte in der Fremdsprache sucht. Auch wenn der Fokus des Unterrichts eine rein inhaltliche Textarbeit war, gibt Lerner F an, dort (neben der Erweiterung des Wortschatzes) gelernt zu haben, wie man „Sätze ganz logisch bildet". Seine Fähigkeit, dem Unterricht mehr zu entnehmen als vom Lehrenden explizit angeboten wird, ist die Basis für seinen Erfolg in den beiden nachfolgenden Tests. 5.1.6 Zusammenfassung Aus den erhobenen Daten und den Angaben der Lerner ergibt sich, dass die Aufmerksamkeit und die Fähigkeit zur Selbststeuerung und zum autonomen Lernen beim Erwerbsprozess eine wichtige Rolle spielt. Gerade die Lerner, die in der Lage waren, von dem unmittelbar angebotenen sprachlichen Material zu abstrahieren und das daraus gewonnene Wissen „trotz" der Instruktion in andere Kontexte zu transferieren (vgl. Lerner B und Lerner F), profitierten langfristig vom Unterricht und erwarben die Zielstruktur. Diese Selbststeuerung setzt allerdings ein bestimmtes Maß an Sprach(lern)bewusstheit voraus, d.h. die Lernenden müssen sich über die „Lücken" in ihrem sprachlichen Wissen bewusst sein und über Techniken verfügen, diese zu beseitigen. Wir gehen davon aus, dass dem bewussten Wahrnehmen der Regelhaftigkeit (auch komplexer) grammatischer Strukturen eine tragende Rolle im Erwerbsprozess zukommt. Es scheint, dass unabhängig vom jeweiligen Instruktionstyp eine ausgeprägte Sprach(lern)bewusstheit eine günstige Voraussetzung für den erfolgreichen Erwerb einer komplexen Zielstruktur darstellt. Diese Bewusstheit beinhaltet eine gewisse Grammatikorientiertheit, die auf der Basis von vorhandenem Vorwissen für das autonome Lernen außerhalb des Unterrichts nützlich sein kann. 6. Zusammenfassung und Ausblick 6.1 Schlussfolgerungen Die Ergebnisse unsere Studie unterstützen nicht die von Long/ Robinson (1998) getroffene Aussage, dass eine FonF-Instruktion generell Vorteile gegenüber einer FonM-Instruktion hat. Wie die Testergebnisse derjenigen Lernenden zeigen, die mittels gehäuftem Input (input flood) in der FonM-Gruppe bzw. gehäuftem und verstärktem Input (enhanced input) in der FonF-Gruppe unterrichtet worden sind, scheint ausschließlich positive Evidenz ohne die Berücksichtigung weiterer Faktoren nicht hinreichend für den erfolgreichen Erwerb einer komplexen Struktur wie der Partizipialkonstruktion zu sein. In der bisherigen Literatur (Doughty 1991 oder Sharwood-Smith 1991, 1993) bleibt allerdings ungeklärt, wie derlnput verstärkt werden soll und mit welchen Markierungen der größte Lernerfolg erzielt werden kann. Unsere Ergebnisse legen nahe, dass eine einfache Markierung (wie z.B. Fettdruck) nicht ausreicht, um die Aufmerksamkeit der Lerner auf die formalen Aspekte der Sprache lFLuL 29 (2000) Zur Effektivität verschiedener Instruktionstypen ... 215 zu lenken. Die optische Hervorhebung der gesamten Zielstruktur durch Fettdruck hatte keine erkennbare Aufmerksamkeitsfokussierung auf Seiten der Lernenden zur Folge. Sie bietet offensichtlich zu wenig "additional salience" (Long/ Robinson 1998, siehe auch Abschnitt 1.1 oben), um auf morphologische und syntaktische Besonderheiten aufmerksam zu machen. Für den Erwerb einer komplexen syntaktischen Struktur scheint ein möglichst hoher Grad an Explizitheit-wie er den Lernenden in der FonFs-Gruppe angeboten wurde vorteilhaft zu sein, da er die Aufmerksamkeit der Lerner auf die sprachliche Form lenkt; visuelle Markierungen auf der „Textoberfläche" lenken die Aufmerksamkeit demgegenüber nicht zwangsläufig auf die der Struktur zugrunde liegenden Regeln. Diese Feststellung führt zu der Frage, wie Markierungen zu gestalten sind, um genügend "additional salience" zu vermitteln. Bemerkenswert ist, dass in den gesamten drei Unterrichtsstunden in der FonF- Gruppe seitens der Lernenden nie die Frage erhoben wurde, warum bestimmte Satzteile optisch hervorgehoben waren. Eine Lernerin gab später an, sie habe geglaubt, dass dies die Sätze übersichtlicher machen sollte. Zwei weitere Lerner gaben an, dass sie dem keine besondere Bedeutung beigemessen hätten. Eine zusätzliche Verstärkung könnte ein analytischer bzw. vorstrukturierter Input bieten; d.h. in Abhängigkeit von der Komplexität der Zielstruktur sollten verschiedene Arten von Markierungen Aufschluss über bestimmte, ihr zugrunde liegende Teilregeln bieten, um die Aufmerksamkeit auf syntaktische Informationen zu lenken. So könnte bei der von uns gewählten Partizipialkonstruktion neben Fettdruck der gesamten Konstruktion eine zusätzliche Markierung das Partizip und dessen Endungen hervorheben. Man könnte diese Informationen durch weitere Markierungen am Partizip dergestalt ergänzen, dass beispielsweise bestehende Kongruenzen optisch gleich gekennzeichnet werden und so die Wahrnehmung der Lernenden auf morphologische Aspekte gelenkt wird. Eine solche differenzierte Markierung könnte ein verbessertes Verständnis der Zielstruktur zur Folge haben und somit Informationen zur korrekten Bildung des Partizips liefern. 6 Für den Instruktionstyp FonF ist also die Forderung nach einer möglichst eindeutigen und vielschichtigen Markierung berechtigt. Die Markierungen müssen sicherstellen, dass die Aufmerksamkeit der Lerner tatsächlich auf die Zielstruktur gelenkt wird. Hier sollten weitere Studien die Wirkung verschiedener Markierungstypen untersuchen und überprüfen, ob unterschiedliche Grade an Markierung unterschiedliche Effekte auf die Wahrnehmung und den Erwerb einer Zielstruktur haben. Zusätzlich sollte der Input um negative Evidenz bereichert werden, um das Entdecken der einer komplexen Struktur zugrunde liegenden Regeln zu erleichtern. Für den Erwerb einer komplexen Struktur scheint auch der Instruktionstyp FonM nicht ungeeignet, sofern es sich bei der Zielgruppe um eher grammatikorientierte Lerner handelt. Hier sollte in qualitativen Studien der Einfluss der Variable „Lernertyp" näher untersucht werden; so deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass "enhancement" zum einen für kommunikativ orientierte Lernertypen zu schwach sein kann, während eher grammatisch orientierte Lernertypen möglicherweise gar keine Markierung benötigen, um auf formalsprachliche Aspekte zu achten. 6 Ein solches Verfahren könnte insbesondere für solche Lernenden positiv sein, die mit der Verwendung grammatischer Terminologie nur unzureichend vertraut sind. IFLuL 29 (2000) 216 Arbeitsgruppe Fremdsprachenerwerb Bielefeld Für die Vermittlung einer komplexen sprachlichen Struktur erwies sich kurzfristig insbesondere bei selbstgesteuerten, sprachlernbewussten und grammatisch orientierten Lernern der Instruktionstyp FonFs als erfolgreichste Vermittlungsmethode. Allerdings scheint dieser Instruktionstyp nur in geringem Umfang den Transfer auf andere sprachliche Kontexte zu ermöglichen. Auch ergab sich aus den Teilnehmerreaktionen, dass dieser Instruktionstyp über eine längere Zeit als die von uns unterrichteten drei Tage hinaus als langweilig empfunden worden wäre und damit den Vorteil einer maximalen Aufmerksamkeitsfokussierung verloren hätte. Da die unterschiedlichen Ergebnisse auch mittels der Learnability-Hypothese zu erklären sind, erscheint die Berücksichtigung von Erwerbssequenzen in der Unterrichtspraxis sinnvoll. Bevor Lernende bestimmte Regularitäten der Zielsprache noch nicht beherrschen, können andere Teilregeln nicht erworben werden, die zur korrekten Bildung einer bestimmten Zielstruktur erforderlich sind. Der Erfolg eines Instruktionstyps kann so durch das jeweilige Stadium, in dem sich der individuelle Lerner befindet, beeinflusst werden. Zusammenfassend lässt sich aus unserer Studie die Forderung nach einer stärkeren unterrichtspraktischen Berücksichtigung der individuellen Unterschiede der Lernenden ableiten. · Basierend auf den Ergebnissen der von uns untersuchten Lerner gehen wir davon aus, dass zwei Faktoren eine tragende Rolle im Erwerb zukommt: 1. einem differenzierten Wissen über den eigenen Sprachstand, d.h. vorhandene Fähigkeiten bzw. Defizite zu kennen und 2. einer gewissen Grammatikorientiertheit. Beide Faktoren sind Voraussetzung für das bewusste Wahrnehmen der Regelhaftigkeit grammatischer Strukturen, welches dann zu Selbststeuerung und autonomem Lernen führen kann. 6.2 Empfehlungen für die Unterrichtspraxis Abschließend möchten wir noch einmal darauf hinweisen, dass sich unsere Empfehlungen ausschließlich auf die Vermittlung einer komplexen syntaktischen Struktur beziehen. Eine Übertragung auf andere zielsprachliche Strukturen lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht vornehmen. Unter dieser Einschränkung plädieren wir zusammenfassend für den variablen Einsatz verschiedener Instruktionstypen in der Unterrichtspraxis. Eine solche Instruktionstypenvielfalt sollte sich vorrangig an den Voraussetzungen und Bedürfnissen der Lerner in Bezug auf ihren Spracherwerb orientieren. Sie hat zum Ziel, Sprachlernbewusstheit und Sprachlernstrategien zu entwickeln und zu fördern. Besonders selbstgesteuerten und autonomen Lernern bieten sich durch die bewusste Anwendung grammatischer Strukturen außerhalb des Unterrichts enorme zusätzliche Lernchancen. Der Instruktionstyp FonFs erwies sich kurzfristig für einen autonomen Lernertyp als sehr erfolgreich. Andererseits erzielte ein ebensolcher Lernertyp auch bei impliziter Instruktion gute Ergebnisse. Daher plädieren wir dafür, dass die gezielte Auswahl und Anwendung von Instruktionstypen im Fremdsprachenunterricht nicht zum Selbstzweck gerät, sondern dass verschiedene lnstruktionstypen zur Entwicklung und Förderung der Lernerautonomie eingesetzt und diesem Ziel untergeordnet werden. JFJLwL 29 (2000) Zur Effektivität verschiedener Instruktionstypen ... 217 Literatur CADIERN0, Teresa (1995): "Formal instruction from a processing perspective: An investigation into the Spanish past tense". In: Modern Language Journal 79(2), 179-193. CARROLL, Susan / SWAIN, Merrill (1993): "Explicit and implicit negative feedback: An empirical study ofthe learning oflinguistic generalizations". In: Studies in Second Language Acquisition 15(3), 357- 386. DEGRAAFF, Rick ( 1997): "The Experanto experiment: Effects of explicit instruction on second language acquisition". In: Studies in Second Language Acquisition 19(2), 249-297. DEKEYSER, Robert M. 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The study tries to examine the learner' s believes in respect of the factors that make up these differences and in how far they correspond to the scientific results which emphasize the role of metalinguistic awareness and learning strategies. lt aims to initiate a discussion about the benefits that could be extracted from bilingual experiences in the teaching and learning of foreign languages. 1. Einleitung Bilingualismus ist ein Phänomen, das weltweit auf den unterschiedlichsten Ebenen stetig zunimmt. Ein Großteil der Weltbevölkerung spricht heute mehr als eine Sprache. Die Bildungspolitik setzte sich in der Vergangenheit häufig der Kritik aus, dass sie auf diese Situation nicht angemessen reagiere (vgl. Gogolin 1988, Meißner 1995, Berkemeier 1997, Boeckmann 1997). Einsprachigkeit wird oft immer noch als Norm betrachtet. Muttersprachlicher Unterricht in Minderheitensprachen ist zwar in den Richtlinien verankert, findet aber, wenn er überhaupt zustandekommt, meist isoliert vom Regelunterricht statt. Mehrsprachigkeit wird als pädagogisches Problem empfunden, anstatt darin eine Chance zu sehen, die auch den einsprachig aufgewachsenen Mitschüler/ innen eröffnet werden könnte. Auch in der Fremdsprachendidaktik wird häufig davon ausgegangen, dass die Lerner/ innen nur auf eine Muttersprache zurückgreifen können. Zwar widmet sich die Sprachlehrforschung in den letzten Jahren vermehrt dem Einfluß zuvor erlernter Nicht-Muttersprachen auf den Erwerb weiterer Fremdsprachen (vgl. den Forschungsüberblick bei Mißler 1999). In erster Linie umfasst dieser, oft irreführend „L3-Forschung" genannte Bereich jedoch hauptsächlich zuvor erlernte Fremdsprachen. Bilinguale, also diejenigen, die entweder zwei Sprachen von Beginn an simultan oder im Kindesalter konsekutiv erworben haben, werden in den unterschiedlichen theoretischen und empirischen Arbeiten wenig berücksichtigt bzw. werden die ihnen eigenen Besonderheiten beim Fremdsprachenlernen nicht klar genug von denen einsprachiger Lerner/ innen abgegrenzt. · Mehrsprachige Kompetenz bedeutet, ein geschärftes Bewusstsein für sprachliche Eigenheiten und pragmatische Anforderungen zu entwickeln sowie Wissen über mehrsprachige Der vorliegende Aufsatz ist eine Zusammenfassung meiner Magisterarbeit, die sich zur Zeit im Prüfungsverfahren an der Universität Bielefeld befindet. Ich möchte an dieser Stelle Dr. Karin Aguado danken, die wesentlichen Anteil an der Realisierung dieser Untersuchung hat. lFLlllL 29 (2000) 220 Sabine Beyer Kommunikationsformen zu erwerben. Bilinguale Lerner/ innen unterscheiden sich von einsprachigen nicht nur dadurch, dass sie von klein auf zwei „Muttersprachen" erworben haben und ihnen somit mehr Sprachmaterial zur Verfügung steht, auf das beim Fremdsprachenlernen zurückgegriffen werden kann. Sie besitzen auch andere Erfahrungen bezüglich der Art des mehrsprachigen Erwerbs und der täglichen Praxis, mit mehr als einer Sprache zu kommunizieren. Bilinguale Kinder entwickeln schon ab dem Alter von zwei bis drei Jahren ein Bewusstsein dafür, dass sie zwei unterschiedliche Sprachen sprechen und können dies auch benennen (vgl. Kielhöfer/ Jonekeit 1983: 48). Anscheinend kommen sie viel eher als Monolinguale zu der Erkenntnis über die Arbitrarität sprachlicher Zeichen, was mit der Erfahrung zusammenhängt, dass eine ihnen bekannte Realität unterschiedlich bezeichnet werden kann. 1 Bilinguale Kinder machen somit schon früh eine Entwicklung durch, die bei Einsprachigen erst später einsetzt, was sich darin äußert, dass sie von der rein lautlichen Ebene der Sprache/ n abstrahieren und sich mehr auf die Bedeutung beziehen können. 2 Tests, die über das Bewusstsein der Arbitrarität von Wörtern bei Kindern Aufschluß geben können, sind Abwandlungen der auf Piaget (1929) zurückgehenden Sonne-Mond- Problematik. Auch Bialystok (1987) stellt in einem solchen Test mit 7-jährigen Kindern fest, dass bilinguale Kinder weit eher bereit sind, gewohnte Bezeichnungen durch andere auszutauschen. Einen feststellbaren Unterschied zwischen balanced bilinguals und Bilingualen mit unterschiedlicher Kompetenz in Erst- und Zweitsprache ist in dieser Untersuchung nicht aufzuweisen. In der gleichen Veröffentlichung stellt Bialystok Ergebnisse aus Untersuchungen vor, welche das Bewusstsein Bilingualer für das Wort als sprachlicher Einheit konstatieren. Im Vergleich mit monolingualen Kindern haben Bilinguale schon bevor sie lesen und schreiben lernen eine Vorstellung davon, dass sich Sätze aus einzelnen Wörtern zusammensetzen und sind in der Lage, Sätze unterschiedlichen Typus in Wörter zu segmentieren. Bialystok schreibt bilingualen Kindern die Fähigkeit zu, sich entweder nur auf die Bedeutung oder die Form eines Wortes zu konzentrieren, was darauf zurückgeführt werden kann, dass bilinguale Kinder von klein auflernen müssen zu unterscheiden, welches sprachliche System in einem bestimmten Kontext für sie relevant ist. Bilingualen wird auch aufgrund der Tatsache, dass sie mühelos und der Gesprächssituation angemessen von einer Sprache in die andere wechseln können, ein besonderes Sprachbewußtsein zugeschrieben (vgl. Clyne 1987: 86). Auch Kodeumschalten ist eine Praxis, die der Kommunikation in bilingualen Kontexten eigen ist. Die Fähigkeit dazu zeugt von einer. hohen Flexibilität Bilingualer in der Sprachproduktion. Kinder setzen die Entlehnung aus der jeweils anderen Sprache bewusst oder unbewusst als Kommunikationsstrategie ein (vgl. Oksaar 1984, Tracy 1996). Sprachbewusstsein schließt also nicht nur das Wissen Clyne (1987: 86) merkt dazu an: "lt is Iikely that children being brought up bilingually within the home, while Ieaming 'how to mean' in two Ianguages, have more opportunity than their monolingual counterparts to develop from an early age and use an awareness about language, languages and their use and function". Vgl. auch Grosjean (1982: 222), Cummins/ Swain (1986). 2 "Young bilinguals sometimes have an enhanced ability compared with monolinguals to focus on the important content and meaning of language rather than the extemal structure of sound" (Baker/ Prys Jones 1998: 71). lFLlllL 29 (2000) Bilingualismus und Fremdsprachenerwerb 221 und Reflektieren über die Struktur der Sprache(n) ein, sondern auch eine besondere Sensibilität für kommunikative Anforderungen und eine ausgeprägte pragmatische Kompetenz. Die Entwicklung von Sprachbewusstsein ist ein wesentlicher Bestandteil jedes Sprachlernprozesses (vgl. Wolff 1993). Wenn Bilinguale nun von vornherein ein ausgeprägteres Sprachbewußtsein besitzen, ist es sinnvoll, dieses im Fremdsprachenunterricht zu nutzen. 3 J. Thomas (1988) untersuchte spanisch-englisch bilinguale Französischlerner/ innen im Vergleich mit ihren monolingualen Mitschüler/ innen. Nach einem Semester Unterricht hatten die bilingualen Schüler/ innen deutliche Fortschritte gegenüber den monolingualen in den untersuchten Bereichen Grammatik und Vokabular gemacht. Diejenigen Bilingualen, die in ihrer Familiensprache Spanisch Unterricht erhalten hatten und somit in dieser Sprache auch lesen und schreiben konnten, übertrafen deutlich diejenigen, die Spanisch nur zu Hause gelernt hatten. Die Autorin führt dies auf unterschiedliche Niveaus von metalinguistic awareness zurück und zieht daraus den Schluß, dass die gezielte Förderung von metalinguistic awareness die Vorteile bilingualer Schüler/ innen beim Fremdsprachenlernen noch verstärken könne. 4 Bei diesen Ergebnissen muss man selbstverständlich berücksichtigen, dass sich der Drittsprachenerwerb, auf den Thomas sich in ihrer Untersuchung bezog, im Kontext universitären Fremdsprachenunterrichts abspielte. Der Einfluß des Bilingualismus auf den natürlichen Erwerb weiterer Sprachen wurde nicht untersucht. Es kann also sein, dass die Vorteile bilingualer Lerner/ innen, die Unterweisung in Spanisch erhalten hatten, nicht auf ihre Bilingualität an sich und die damit verbundene language awareness zurückgehen, sondern auf die Erfahrung mit dem Sprachunterricht und das dabei erworbene Strategiewissen. Es wi_rd angenommen, dass Bilinguale durch ihre Erfahrung mit dem Lernen von zwei (oder mehr) Muttersprachen andere Sprachlernstrategien beim Erwerb einer Fremdsprache anwenden als einsprachige Lerner/ innen (vgl. Jeßner 1998, McLaughlin/ Nayak 1989, Cenoz/ Genesee 1998: 26). Die oben beschriebenen kognitiven Besonderheiten, die z. B. andere kognitive Prozesse bei der Problemlösung beinhalten (vgl. Bialystock/ Majumder 1998), lassen diese Annahme plausibel klingen. Auch Dodson (1987) geht davon aus, dass Bilinguale sich in ihrer sprachlichen Entwicklung zu bestimmten Zeitpunkten anderer Lernstrategien bedienen als monolinguale Lerner/ innen. Er fordert eine Berücksichtigung dieser spezifischen Strategien in der Fremdsprachendidaktik, die sich seiner Meinung nach zu sehr am monolingualen Spracherwerbsprozeß orientiert. Die Erfahrungen Bilingualer wären demnach auch auf einsprachig aufgewachsene Fremdsprachenlerner/ innen übertragbar. Es gibt wenig Anhaltspunkte dafür, worin genau diese besonderen Strategien bestehen. Die ausgeprägte kommunikative Sensibilität Bilingualer (vgl. Baker 1993: 125) läßt vermuten, dass auch dem Gebrauch kommunikativer Strategien im Fremdsprachenunterricht eine besondere Rolle zukommt. Dazu Clyne (1987: 88): "[...], metalinguistic awareness can provide a basis for acqiring a knowledge and understanding of other languages". 4 "If metalinguistic awareness is not heightened as a second language is naturally acquired, educators may have to instruct bilinguals in both their languages in order to maximise the potential advantage of knowing two languages when leaming a third" (Thomas 1988: 240). FLll! L 29 (2000) 222 Sabine Beyer Als mögliche Erklärung für Vorteile bilingualer Lerner/ innen beim Erwerb weiterer Sprachen können also die beiden Aspekte language awareness und Lernstrategien gelten. In verschiedenen Studien konnte ein Zusammenhang zwischen Bilingualismus und language awareness nachgewiesen werden. In einer Reihe von Untersuchungen wurden weitere metalinguistic skills bei Bilingualen im Vergleich mit Monolingualen getestet. Darüber hinaus wird häufig von der Sprachbewusstheit Bilingualer auf ihre besonderen kognitiven Fähigkeiten geschlossen (vgl. Bialystok 1991: 113, Baker/ Prys Jones 1998: 67, Appel/ Muysken 1987). Die Frage, ob diese Annahmen zutreffen und nicht nur ein temporäres Phänomen sind, kann in diesem Beitrag nicht angemessen behandelt werden. Für den Fremdsprachenunterricht scheint es mir jedoch von besonderer Bedeutung, dass die Förderung von language awareness dazu beitragen kann, dass bilinguale Lerner/ innen ihre Vorteile entsprechend nutzen. Darüber hinaus ist es möglich, dass der frühe Erwerb einer zweiten Sprache die Entwicklung von Sprachlernstrategien begünstigt, was sich positiv auf das Lernen weiterer Sprachen auswirken kann. Es ist anzunehmen, dass die Spezifika bilingualer Fremdsprachenlerner/ innen ein Zusammenspiel von kognitiven Besonderheiten, Alter, Erfahrung und soziokulturellen Bedingungen sind. Es gibt kein Spracherwerbs- oder Sprachverarbeitungsmodell, das mehrsprachigen Erwerb ausreichend abbildet (vgl. Knapp-Potthoff/ Knapp 1982: 31; Boeckmann 1997). Beobachtungen des Spracherwerbs bilingualer Kinder wurden zwar in der Spracherwerbsforschung beachtet, meist aber unter der Fragestellung, welche Aufschlüsse sie über den Erstspracherwerb geben können. Theorien zum Zweitsprachenerwerb vergleichen diesen entweder direkt mit dem Erstspracherwerb aufgrund derselben angeborenen Erwerbsmechanismen, oder vermuten eine Interaktion zwischen Erst- und Zweitsprachenerwerb, ohne zu bedenken, dass der Erstspracherwerb nicht immer einsprachig verläuft. Da der Fremdsprachenerwerb m. E. dem bilingualen Spracherwerb näher steht, halte ich es für grundsätzlich falsch, dass sich der Fremdsprachenunterricht an einsprachigen Erwerbsmodellen orientiert. Die Studie, über die hier berichtet wird, soll als Anregung dienen, die Erfahrungen bilingualer Lerner/ innen in die Methodendiskussion für den Fremdsprachenunterricht einzubeziehen. In der Fremdsprachenforschung hat in letzter Zeit die Erforschung Subjektiver Theorien an Bedeutung zugenommen. 5 Empirische Forschung stößt oft dort an ihre Grenzen, wo es um innere Prozesse, das Denken und Fühlen von Menschen geht. Menschliches Handeln wird von den Theorien geleitet, die jede/ r aufgrund von Erfahrungen, Einstellungen, "gesundem Menschenverstand" und sozial akzeptierten Grundsätzen bildet. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Einblick in diese Theorien zu gewinnen. Für meine Untersuchung habe ich die Form der Befragung gewählt, um einen ersten Eindruck über die Bandbreite der Theorien zu erhalten, die bei bilingualen Fremdsprachenlerner/ innen zu finden sind. Im Gegensatz zum Forschungsprogramm Subjektive Theorien (Groeben [et al.] 1988), das Handlungsrelevanz und Objektivierbarkeit zu definitorischen Voraussetzungen macht, erhalten hier auch diejenigen Lernermeinungen Theoriestatus, die sich nicht unmittelbar auf die Handlungen der Befragten auswirken. Des weiteren wird davon ausgegangen, dass "Subjektive Theorien" hieß auch das Schwerpunktthema des Jg. 27 (1998) von FLuL. lFLllllL 29 (2000) Bilingualismus und Fremdsprachenerwerb 223 Theorien inkonsistent und veränderbar sein können. 6 Auch die Befragungssituation kann Einfluß auf die Bildung oder Modifizierung von Subjektiven Theorien haben, ein Aspekt, der in der konkreten Untersuchungssituation unbedingt beachtet werden sollte. 7 2. Die Studie 2.1 Die Informantinnen Bei den befragten Personen handelt es sich um fünf junge Frauen, die in Barcelona bzw. einem kleinen Ort in der Nähe von Barcelona leben. Jede dieser Frauen spiegelt eine eigene Konstellation von Mehrsprachigkeit wider. Gemeinsam ist ihnen, dass sie in einer Region leben, die von gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit geprägt ist. Für fast alle Befragten ist Katalanisch die dominante Sprache. Darüber hinaus haben vier meiner Interviewpartnerinnen als Kinder mit ihrer Mutter eine von den Umgebungssprachen abweichende Sprache gesprochen und sprechen sie zum Teil heute noch. Diese „Muttersprache" nimmt mit dem Heranwachsen und einem zunehmenden Einfluß von Schule und Umgebung jedoch an Bedeutung ab. Die Lese- und Schreibkonipetenz in diesen Sprachen ist geringer als in den Schulsprachen Katalanisch und Spanisch. Die Ausdrucksfähigkeit bleibt häufig auf den häuslichen Bereich beschränkt, und es bildet sich eine „Spezialsprache" zwischen Müttern und Töchtern heraus. Muttersprachlicher Unterricht wurde nicht besucht mit Ausnahme einer Informantin, die ihr Deutsch freiwillig am Goethe-Institut verbesserte. Die Befragten sind alle in einem ähnlichen Umfeld und mit vergleichbarem sozioökonom.ischen Hintergrund aufgewachsen. Sie leben in einer überwiegend katalanischsprachigen Umgebung und gehören dadurch der Gruppe der Sprecher/ innen der Prestigesprache an. Alle haben die Hochschulreife erlangt und in dem entsprechenden Schulzweig die Möglichkeit erhalten, mehr als eine Fremdsprache zu erlernen. Neben den zwei bzw. drei Sprachen, die schon von klein auf gesprochen wurden, lernten die Befragten jeweils zusätzlich zwei oder drei Fremdsprachen, so dass sie zum Teil sechs Sprachen mehr oder weniger gut beherrschen. Alle haben entweder beruflich oder privat viel mit Fremdsprachen zu tun. 2.2 Die Befragung Für die Interviews wählte ich eine standardisierte Form von Einzelgesprächen mit offenem Charakter. Mein Interesse war von Anfang an zielgerichtet. Ich wollte die Meinungen der bilingualen Sprecherinnen über das Lernen weiterer Sprachen erfahren und stellte meine Fragen dementsprechend. Trotzdem habe ich in den konkreten Gesprächssituationen dieses Fragenraster flexibel gehandhabt, weil jedes Gespräch seine Eigendynamik entwickelte und ein starres Festhalten an dem Fragenkatalog den natürlichen Gesprächsverlauf gestört hätte. Die 6 7 Vgl. auch die Definition Subjektiver Theorien bei Kallenbach (1996). Meine Arbeit enthält eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Methoden der Untersuchung. JF][.,m, 29 (2000) 224 Sabine Beyer Schwerpunktlegung hing stark von der jeweiligen Person und ihrer Bereitschaft ab, über die einzelnen Themen zu reden. Dies machte den offenen Charakter der Interviews aus, den ich durch Fragen zu erreichen versucht habe, bei denen die Probandinnen die Möglichkeit hatten, ins Erzählen zu kommen. Dies ermöglichte eine größere Authentizität der Interviews als eine reine Frage-Antwort-Kommunikation, weil eine weitgehende Nähe zu natürlicher Kommunikation bestand und ich sichtlich merkte, wie die Probandinnen im Laufe des Gesprächs die anfängliche Angespanntheit in dieser ungewohnten Situation verloren. Dem Fragenkatalog lagen die Prinzipien einfache Formulierung und Eindeutigkeit zugrunde. Die Befragten sollten weder sprachlich noch inhaltlich überfordert werden und Raum haben, eigene Gedankengänge zu entwickeln (vgl. auch Hron 1994; Kromrey 1980). Die Wahl der Sprache, in der die Interviews geführt wurden, war den Informantinnen freigestellt. Eine Störung des Interviews durch Sprachprobleme sollte vermieden werden. Ich bat meine Gesprächspartnerinnen jedoch, die Angaben zur Person, die in der Regel in einfach strukturierten Antworten bestanden, auf Deutsch zu machen, um mir ein Bild von ihrem Sprachstand machen zu können. Dabei betonte ich jedoch ausdrücklich, dass sie jederzeit die Sprache wechseln könnten. Die Sprachwahl richtete sich nicht nur nach der von den Befragten besser beherrschten Sprache. Katalanisch wurde z.T. deshalb vermieden, weil meine Gesprächspartnerinnen wussten, dass ich mich in der spanischen Sprache sicherer fühle. Bei meiner Untersuchung hatte ich es mit verbalen Daten bzw. deren Verschriftlichung zu tun. Bei der Auswertung dieser Daten musste ich darum interpretative Verfahren anwenden. Für diese hermeneutische Arbeitsweise gibt es keine gültigen Regeln, was die Auswahl der Textstellen, die Gewichtung und Einbettung in einen Kontext betrifft (vgl. Brunner 1994). Ich als Interpretin deute die Interviews innerhalb meines eigenen Verstehenshorizontes, eine andere Person würde andere Schwerpunkte setzen, einzelne Textstellen anders bewerten und in einen Gesamtzusammenhang einordnen. Ich bin als interpretierende Instanz also Teil der Methode. Das Interview ist somit nicht nur subjektiv bezüglich der Aussagen der befragten Person, sondern auch was die Erhebung und Deutung der Daten durch die Forschenden angeht. 8 Trotzdem hielt ich es für das geeignete Verfahren, weil es die Meinungen und Empfindungen der Lernerinnen waren, die mich interessierten, und diese auf andere Weise nicht wiedergegeben werden konnten. Fremdsprachenlernen ist ein komplexer Vorgang, der nicht isoliert betrachtet werden sollte (vgl. Egbert 1990). Darum war es mir wichtig, die biographischen Besonderheiten der Interviewten aufzuzeigen. Da es sich um mehrsprachige Lernerinnen handelt, ist deren bilinguale bzw. multilinguale Sozialisation von besonderem Interesse. Aus Raumgründen muss auf die Darstellung der einzelnen Interviews verzichtet werden. Die Ergebnisse können hier nur anhand ausgewählter Themenbereiche in wesentlichen Zügen dargestellt werden. Flick (1995: 15) merkt dazu an: "Die Subjektivität von Untersuchten und Untersuchern wird zum Bestandteil des Forschungsprozesses". IFLIIL 29 (2000) Bilingualismus und Fremdsprachenerwerb 3. Zusammenstellung der Ergebnisse aus den Interviews 3.1 Die bilinguale Sozialisation "In drei Monaten oder so habe ich beide Sprachen beherrscht" 225 Außer Olga9, die katalanisch-spanisch bilingual aufwuchs, haben alle Befragten eine Mutter, deren Sprache mit keiner der beiden Umgebungssprachen übereinstimmt. Veronika und Rita lernten von Anfang an alle drei Sprachen. Marina wuchs zunächst einsprachig italienisch auf, und lernt im Alter von sieben Jahren, bei der Rückkehr der Mutter in ihr Herkunftsland Spanien, Katalanisch und Spanisch gleichzeitig in der Schule. Dieser doppelte Zweitsprachenerwerb vollzog sich innerhalb von drei Monaten und erscheint Marina in der Rückschau als unproblematisch. Teresa lernte zu Hause Französisch und Spanisch. Katalanisch lernte sie bewusst erst, als sie in die Schule kam. Bei allen tritt die Sprache der Mutter nach und nach in den Hintergrund. Sie wird entweder nur noch schlecht oder auf bestimmte Funktionsbereiche bezogen beherrscht. „Vielleicht weil ich Deutsch nicht so richtig gelernt habe, gibt es manchmal Schwierigkeiten. Ich kann nicht so schnell sprechen, wie auf Katalan oder Spanisch. Außerdem bin ich manchmal faul und sage dann das Wort auf Katalan, besonders, wenn ich mit meine Mutter spreche, weil ich weiß, sie kann es verstehen." (Veronika) Lesen und Schreiben lernen die Kinder auf Spanisch und Katalanisch. In der Sprache der Mutter erhalten sie keine formale Unterweisung. So nimmt der Gebrauch der Sprache ab, und die Kinder oder Jugendlichen schämen sich oft sogar vor Gleichaltrigen, mit der Mutter die „andere" Sprache zu sprechen. Die Einschulung ist auch der Auslöser für den Sprachwechsel zwischen den Schwestern Veronika und Rita vom Deutschen zum Katalanischen. Sogar Marina, deren einzige Sprache während der ersten sieben Jahre ihres Lebens Italienisch war, bezeichnet Katalanisch als ihre „Muttersprache". Bei allen Informantinnen wird die „Vatersprache" bzw. die Umgebungssprache zur bevorzugten Sprache. Bei Teresa findet sich allerdings eine funktionale Aufteilung von Familiensprache (Spanisch) und Umgebungssprache (Katalanisch). Sie gibt dementsprechend auch an, dass sie beide Sprachen gleich gut spricht. Alle anderen meinen, dass sie Katalanisch besser beherrschen, auch wenn es sich nur um feine Nuancen handelt. "[...] ich habe ein größeres Vokabular, mehr Freiheit im Ausdruck, die Ausdrücke sind näher an der Oberfläche als im Spanischen. Tatsächlich verwende ich im Span_ischen viele Katalanismen." (Marina) In den von meinen Interviewpartnerinnen besuchten Schulen herrschte entweder Katalanisch als Unterrichtssprache vor oder es wurden beide Sprachen zu gleichen Teilen gesprochen. Sowohl Katalanisch als auch Spanisch fanden als Sprachunterricht ihren Platz im Stundenplan. Auch wenn die Befragten in einem überwiegend katalanischsprachigen familiären und sozialen Umfeld lebten, waren sie doch der gesamtgesellschaftlichen Präsenz des Spanischen ausgesetzt, die vor allem in den Medien ihren Ausdruck fand. Die vcin mir befragten jungen Frauen verlebten ihre frühen Kinderjahre in den siebziger Jahren. Erst 1979 erlangte die katalanische Sprache wieder einen offiziellen Status. Die Francozeit war geprägt von der Propagierung eines nationalen Selbstverständnisses, das mit einer restriktiven Politik gegenüber den Regionalsprachen verbunden war. Katalanisch verschwand aus dem öffentlichen Leben. Es wurde weder in der Schule gelehrt noch durfte auf katalanisch publiziert werden. Dadurch verlor es seinen Status als Schriftsprache und stagnierte in seiner gesamten Sprachentwicklung. Meine Interviewpartnerinnen wurden in eine Situation hineingeboren, in der Katalanisch zwar im privaten Bereich Die Namen wurden geändert. lFLIIIL 29 (2000) 226 Sabine Beyer nach wie vor eine große Rolle spielte, in der Öffentlichkeit aber immer noch die spanische Sprache vorherrschte und das Katalanische erst allmählich wieder, gefördert durch die Sprachpolitik der katalanischen Regierung, um eine Stellung in allen Bereichen des öffentlichen Lebens kämpfte. Keine der Befragten bezeichnet den mehrsprachigen Erwerb als problematisch. Sie äußern alle, dass es ihnen als Kinder keine Schwierigkeiten bereitet habe, die Sprachen auseinanderzuhalten und richtig anzuwenden. Die Differenzierung der Sprachen wird als unbewusster Prozeß angesehen. Die Wahl der Sprache wird stark mit dem Interaktionspartner in Verbindung gebracht. Weitere Faktoren sind der Inhalt des Gesagten und die Redesituation. Zum Teil bezieht sich die Präferenz für die eine oder andere Sprache nur auf Teilbereiche des sprachlichen Handelns. Olga liest z.B. lieber auf Spanisch, obwohl sie in allen anderen Bereichen überwiegend Katalanisch verwendet. Rita schreibt nicht gerne auf Katalanisch, obwohl sie es als ihre Muttersprache bezeichnet. 3.2 Einstellungen gegenüber dem eigenen Bilingualismus "Bilingualismus, wie hier in Katalonien, ist viel besser" Alle Beteiligten sehen in ihrer Mehrsprachigkeit einen Vorteil. Als Argumente werden die Mühelosigkeit, mit der die Sprachen auf eine natürliche Weise gelernt wurden und die Fähigkeit, unbewusst von einer Sprache in die andere wechseln zu können, genannt. "[...] wenn du in einer Umgebung aufgewachsen bist mit den beiden Sprachen, dann hast du keine Probleme zu wechseln. du übst.im Leben, es ist keine Frage des Lernens." (Marina) „Ja, es ist besser, weil wenn man/ hier zum Beispiel spricht man zwei Sprachen und wenn man merkt, dass einer nur Spanisch kann, dann wechselt man sofort, ohne nicht zu denken. Ich glaub, wenn man nur eine Sprache kann und die andere in der Schule lernt, dann ist das schwerer, das zu machen, ne? Und hier ist das automatisch, man merkt das nicht." (Veronika) Veronika meint auch, dass es den Kopf trainiere, mehrere Sprachen zu sprechen. Für alle Befragten ist die Mehrsprachigkeit der Normalfall. Sie teilen die Erfahrung des Bilingualismus mit einem großen Teil der katalanischen Bevölkerung. Mit der katalanischen Sprache ist ein gesellschaftliches Prestige verbunden, das den Sprecher/ innen alle beruflichen und sozialen Möglichkeiten erschließt. Die Problematik, dass dies Menschen ausschließt, wird zwar bedingt erkannt, andererseits wird aber kein Verständnis dafür aufgebracht, wenn sich spanischsprachige Menschen dem Lernen der katalanischen Sprache verschließen: „Es ist problematisch, wenn dann jemand aus dem Ausland da ist, weil sie am Anfang kein Katalanisch verstehen, nun, wir waren ja immer an diese Situation gewöhnt[...] mein Chefz. B. mein Chef ist von Galicia, eh, . dann . spreche . ich mit . ihm auf spanisch, er/ er versteht nicht cataltin [...] das gefällt mir nicht, weil er fast sieben Jahre hier ist und nicht die geringste Anstrengung unternommen hat, damit er Katalanisch versteht." (Olga). Es finden sich unterschiedliche Meinungen darüber, inwieweit sich die Sprachen gegenseitig beeinflussen. Von Olga wird z. B. die Praxis des Code-Switching gar nicht akzeptiert. Sie ist sich nicht darüber bewusst, dass sie von ihr selbst angewendet wird. Veronika spricht sich klar gegen Einflüsse des Spanischen in der katalanischen Sprache aus. Sie kritisiert die Sprachpolitik, die einerseits die katalanische Sprache normalisieren will und andererseits in den öffentlichen Medien einen Sprachgebrauch zuläßt, der stark vom Spanischen geprägt ist. Gegenüber diesen stark normorientierten Meinungen findet Marina es ganz normal, dass sie Katalanisch und Spanisch manchmal „makkaronisch" spricht. Sie sagt, solange es sich gut anhöre und die Leute einen verstehen, sei es nicht nötig, sich zu verbessern. Sie ist sich der Sprachkontaktphänomene bewusst, bewertet sie aber nicht. lFLuL 29 (2000) Bilingualismus und Fremdsprachenerwerb 227 3.3 Die Bedeutung von Fremdsprachen "Da ich viele Leute kannte, die Englisch konnten, bekam ich Lust, es auch zu sprechen" Meine Informantinnen sind aufgeschlossen gegenüber anderen Sprachen und Kulturen. Bis auf Veronika lernen alle zur Zeit des Interviews eine neue Fremdsprache. Für Rita und Marina ist dies bereits die dritte Fremdsprache und ihre sechste Sprache insgesamt. Fast alle Befragten haben mindestens einen längeren Auslandsaufenthalt hinter sich, der in erster Linie der Verbesserung der Fremdsprachenkenntnisse diente. Es wird immer wieder das Interesse an Fremdsprachen betont. Als Motivation, eine Sprache zu lernen, wird der Wunsch genannt, mit anderen zu kommunizieren, sowie die Nützlichkeit für den Beruf. Nicht zuletzt stehen bei der Sprachwahl auch emotionale Gründe, wie die Beziehungen und Freundschaften zu Menschen anderer Herkunft, im Vordergrund. Man könnte die Vermutung anstellen, dass die Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Sprachen eine Folge des Bilingualismus sei. Bei meinen Aufenthalten in Katalonien fand ich das Interesse für Fremdsprachen auffallend groß. Dies ist natürlich nur eine subjektive Beobachtung, die auf meinen Kontakten zu jungen Menschen mit einem relativ hohen Bildungsniveau beruht. Ob diese These haltbar ist, wenn man eine Erhebung quer durch alle Bevölkerungsschichten durchführt, ist noch zu untersuchen. Ebenso ist es möglich, dass meine Informantinnen sich gerade deswegen zu den Interviews bereit erklärten, weil sie ein ausgeprägtes Interesse für Sprachen besaßen und sich zutrauten, darüber zu reflektieren. 3.4 Der Fremdsprachenunterricht Alle Befragten lernten in der Schule Englisch. Die Dauer des Englischunterrichts lag zwischen fünf und sieben Jahren. Olga hatte vor dem schulischen Unterricht bereits in einer Sprachschule Englisch gelernt. Neben dem Englischunterricht hauen meine Informantinnen die Möglichkeit, Französisch als Wahlfach zu belegen. Olga, Marina, Rita und Veronika machten davon Gebrauch. Rita ging nach der Schule für zehn Mc; mate nach Frankreich und verbesserte dort ihre Sprachkenntnisse. Allen Befragten hat der Fremdsprachenunterricht in der Schule Spaß gemacht. Die Meinungen darüber, welche Faktoren zum erfolgreichen Fremdsprachenlernen beitragen, gehen jedoch auseinander. 3.4.1 Alter "Kinder können Wissen besser aufnehmen") Fast alle Befragten glauben, dass junge Menschen Sprachen besser und schneller lernen können. Alle sind froh darüber, dass sie als Kinder die Möglichkeit hatten, mehrere Sprachen mühelos zu lernen. Sie bestätigen damit aus ihrer eigenen Erfahrung die weitverbreitete "the younger the better"-Hypothese und übertragen sie zum Teil auch auf den Fremdsprachenerwerb. Marina bezieht sich dabei auf ihren Zweitsprachenerwerb im Alter von sieben Jahren. Olga und Teresa geben das Alter als Begründung dafür an, dass sie Deutsch im Erwachsenenalter nicht so schnell lernen wie Englisch in der Schule. "[...] also ich glaube, dass Deutsch viel schwerer ist, aber da bin ich auch später angefangen, und ich glaube auch, dass Kinder eine größere Fähigkeit haben, die Dinge aufzunehmen, ... Wissen." (Olga) Das Alter wird dabei aber nicht immer als allein konstituierender Faktor angesehen. Vielmehr werden mit dem Alter zusammenhängende Begleitumstände angegeben, wie der Zeitfaktor und die Beschäftigung mit anderen Dingen. 3.4.2 Kontakt zur Zielsprache "Du brauchst zu Deutschlandfahren, Deutsch zu lernen") In einigen Interviews wird immer wieder auf die Lernumgebung eingegangen. Marina kontrastiert sehr deutlich den Unterschied zwischen schulischem Fremdsprachenunterricht und dem Kontakt zur FlLllllL 29 (2000) 228 Sabine Beyer Zielsprache in natürlicher Umgebung. Sie sieht klare Grenzen in den Möglichkeiten des Fremdsprachenunterrichts. Er kann ihrer Meinung nach nur den Grundstein für die fremdsprachlichen Kenntnisse legen. Wirklich sprechen lernt sie ihren Angaben nach nur im Ausland. Zur Sprachkompetenz gehören für sie auch Varietäten einer Sprache, wie z.B. das Argot des Französischen, die im Unterricht nicht vermittelt werden. Die Notwendigkeit, eine Sprache sprechen zu müssen, in einem fremden Land zu kommunizieren, ohne sich auf seine Muttersprache(n) zurückziehen zu können, erleichtert und beschleunigt den Erwerbsprozeß. "[...] mit Englisch passie11e genau das gleiche, also ich, ja, klar ging ich in Sprachschulen und kriegte gute Noten und so aber mir fehlte. Flüssigkeit und Verstehen, verstehst Du, aber wenn man dann sprechen muß, ist es viel schwieriger. Als ich aber dann das erste mal nach Irland fuhr, klar am Anfang war es furchtbar, weil es mir schwerfiel zu sprechen, aber gut, wenn man dann einmal da ist, wird man flüssiger." (Olga) Fremdsprachenunterricht kann zwar in dem Sinne erfolgreich sein, dass man die Strukturen und Regeln einer Sprache erlernt. Die erfolgreiche Teilnahme am Unterricht bereitet einen aber noch nicht ausreichend auf das fremdsprachliche Handeln vor. Auch Rita gibt an, dass sie ihre eigentlichen Französischkenntnisse erst in Frankreich erworben hat "praktisch alles, was ich kann"). 3.4.3 Motivation "Es zählt mehr das Interesse, das man zeigt") Bei meinen Informantinnen finden sich die unterschiedlichsten Beweggründe, eine bestimmte Sprache zu lernen. Englisch ist als erste Fremdsprache in der Schule die Regel. Persönliche Kontakte zu englischsprachigen Menschen können aber den Wunsch wecken, die Kenntnisse zu vertiefen. Die Freundschaft zu Rita, die eine mehrsprachige Mutter hat, war für Marina der Anstoß, selbst Deutsch zu lernen. Marina nennt außerdem das Interesse für Literatur und Kino als Motivation, eine Sprache zu lernen. Sie möchte fremdsprachliche Bücher und Filme im Original rezipieren können. Auch bei Rita spielen persönliche Kontakte eine große Rolle bei der Wahl der Fremdsprache. Französisch lernt sie jedoch hauptsächlich, weil ihr der Klang gut gefällt. Teresa ist die einzige, die ausdrücklich sagt, dass sie Deutsch lerne, weil es ihr gefällt. Zwar ergibt es sich später, dass sie die Sprache auch in ihrem Beruf verwenden kann, ausschlaggebend für die Sprachwahl ist jedoch ihre Vorliebe für die Sprache. Motivation wird als wichtiger Faktor für den Erfolg des Fremdsprachenlernens angesehen. Für Marina ist sie sogar bedeutender als eine angeborene bzw. durch die Erfahrung der Mehrsprachigkeit entwickelte Begabung oder die Bedingungen des Unterrichts. Ein grundsätzliches Interesse an Fremdsprachen wird für den Erfolg des Unterrichts vorausgesetzt. "[...] ich weiß nicht, mir haben Sprachen immer Spaß gemacht. Ich denke, das ist hilfreich." (Olga) 3.4.4 Das Verhältnis zu den Lehrpersonen "Es hängt mehr vom Lehrer ab als davon, wie der Unterricht gestaltet wird") Der Fremdsprachenunterricht wird von meinen Informantinnen stark darüber definiert, welches Verhältnis sie zu der Lehrperson haben. Auf die Unterrichtsmethoden wird oft gar nicht eingegangen. Der Unterricht wird abhängig vom Lehrer als „interessant" oder „unerträglich" qualifiziert. Ein Lehrerwechsel führt bei Rita dazu, dass ihr der Lateinunterricht Spaß macht. Im Gegensatz zu dem ersten Lehrer kann die neue Lehrerin Ritas Interesse für die Sprache wecken. Marina macht ihren Lehrer dafür JFLIIL 29 (2000) Bilingualismus und Fremdsprachenerwerb 229 verantwortlich, dass ihr Lateinunterricht nicht sehr erfolgreich war. Umgekehrt führt sie es auf die besonderen Qualitäten ihrer Französischlehrerin zurück, dass sie bei ihr sehr schnell und erfolgreich die Sprache gelernt hat. "Französisch habe ich in der Oberstufe angefangen und dank meiner Lehrerin, die sehr gut war, und meinen Klassenkameraden, die sich alle sehr gut benommen haben, konnten wir eine Reise nach Paris organisieren, Schüleraustausch, das Übliche, und wir haben die Sprache alle sehr schnell aufgenommen, es gefiel uns sehr und wir haben gelernt, also ein bißchen mehr als das Englisch der ersten Jahre, weißt Du, es war mehr, was weiß ich, man lernte mehr Vokabeln, es hat mehr Spaß gemacht, man lernte mehr[...] alles hängt mehr von den Lehrern ab, als von der Art, wie der Unterricht gehalten wird [...] Französisch war auch typisch: listenings, Diktate, Filme, aber wir hatten eine Lehrerin, die uns möglicherweise mit mehr Enthusiasmus unterrichtete und die Stunden anregender gestaltete." (Marina) 3.4.5 Die Unterrichtsbedingungen "Sieben Jahre, die eine einzige Wiederholung sind, wenn man drüber nachdenkt, wirklich ") Marina kritisiert am Englischunterricht, dass man in der langen Zeit wenig lernt. Sie meint, dass er eine ständige Wiederholung sei und selbst Leute, die zehn Jahre Englischunterricht gehabt haben, nicht richtig sprechen könnten. Der Erfolg des Fremdsprachenlernens hängt ihrer Meinung nach jedoch nicht von den Unterrichtsmethoden ab, sondern sowohl von der Lehrperson als auch von dem eigenen Engagement. Ein wichtiges Stichwort ist dabei das Üben. Teresa geht als einzige genauer auf die Unterrichtsmethoden ein. Sie vergleicht den Anfangsunterricht in Englisch mit dem in der Oberstufe. In den ersten beiden Jahren ist der Unterricht stark am Lehrbuch orientiert. Es werden viele schriftliche Einsetzübungen durchgeführt, und Teresa hat dies Spaß gemacht. Später arbeitet sie mit Lehrbüchern, die an kommunikativen Methoden orientiert zu sein scheinen. Teresa vermißt dabei eine klare Struktur und die Vermittlung solider grammatischer Kenntnisse: "[...] ich weiß nicht, es paßte alles zusammen, nicht. Es ging immer nach dem gleichen Schema und alles die gleichen Übungen, das war alles sehr darauf gerichtet, eine grammatische Struktur sehr gut zu lernen, dann machte man mit der nächsten weiter und ein sehr klar definiertes Vokabular, aber mir gefiel das besser als die zweite der beiden Phasen, als ich Englisch in der Oberstufe lernte. Da hatten wir Bücher, in denen ich keinen Sinn sah, weil man nie wußte, was man in der Lektion gerade lernte. Also sie hatten viele Bilder und fotos und all das, aber sie brachten einem die Grammatik nicht richtig bei .. , sie gaben einem keine anständige Grundlage. Einmal brachten sie einem eine Sache bei, dann wieder eine andere und dann spielten sie einem ein Lied vor ... also mir gefiel diese Methode nicht, weil sie mich mehr durcheinander brachte als alles andere und ich dachte, na gut, also bringt mir etwas mehr bei, weißt Du? " Bei keiner der befragten Personen wurde der Unterricht ausschließlich in der Fremdsprache abgehalten. Unterrichtssprache ist vor allem Spanisch oder Katalanisch. Erklärt wird das damit, dass die Lehrenden keine Muttersprachler/ innen gewesen seien. Das Sprechen der Fremdsprache im Unterricht ist oft mit Scham oder Belustigung verbunden. Auch wenn die Schüler/ innen ausdrücklich wünschen, dass in der Fremdsprache kommuniziert wird, so wie dies bei Olga in ihrem derzeitigen Deutschunterricht der Fall ist, bedarf es großer Anstrengung sowohl von seiten des Lehrenden als auch auf Schülerseite, dieses Prinzip durchzuhalten. Ein Zusammenhang zwischen Unterrichtssprache und Lernerfolg wird aber nicht unbedingt gesehen. Nur Veronika meint, dass es sich negativ auf den Fremdsprachenerwerb auswirken kann, wenn die Zielsprache nicht als Kommunikations- und Metasprache verwendet wird. "(...) dann sprechen die spanisch und dann lernt man Englisch aber nicht so richtig." lFJLllL 29 (2000) 230 Sabine Beyer 3.5 Der Einfluß zuvor erlernter Fremdsprachen "Mit dem Englischen kann man sich ziemlich viele deutsche Wörter aneignen" Auf die Frage, ob ihnen die Erfahrung mit bereits erlernten Fremdsprachen beim Erwerb weiterer Fremdsprachen helfe, antworten alle Informantinnen zunächst zurückhaltend. Entweder haben sie noch nie darüber nachgedacht oder sie sehen nur bedingt einen Zusammenhang. Marina z.B. sieht überhaupt keine Verwandtschaft zwischen dem Englischen und dem Deutschen. Einen Vorteil kann sie nur darin sehen, dass sie den Prozeß des Fremdsprachenlernens bereits vorher durchlaufen hat, und so schon an bestimmte Lerntechniken, wie Vokabellernen, gewöhnt ist. Teresa dagegen sieht das Englische sehr wohl als Hilfe beim Deutschlernen an. "[...] Vor allem in bezug auf den Wortschatz. Wenn man die Wörter ein wenig auseinanderzieht oder Ableitungen bildet, ist das alles ( ), es hilft. In bezug auf die Struktur nicht, der Satzbau, die Grammatik und diese Sachen nicht. Beim Vokabular hab ich das wohl schon öfter gedacht: guck mal, mit dem Englischen kannst du dir ziemlich viele deutsche Wörter aneignen." Die Zuhilfenahme englischsprachiger Elemente im Deutschunterricht lehnt sie jedoch ab. Sie meint, dass dies die Lerner/ innen zu sehr verwirren könne. Veronika, die selbst Deutsch unterrichtet, hat aus dieser Perspektive jedoch die Erfahrung gemacht, dass der Rückgriff auf andere Fremdsprachen helfen kann, die Strukturen der Zielsprache besser zu verstehen. „Ja, manche Sachen, grammatische Sachen, die gibt's auf deutsch und kann man auf spanisch nicht erzählen. Und dann sagen sie: ah, das ist wie auf englisch und dann sag ich: ja genau, und dann können sie das besser verstehen. Die Logik von der Sprache ist viel besser." Olga meint, dass ihr Englischunterricht zu lange her sei, um daraus Nutzen für das Deutschlernen ziehen zu können. Sie sieht zwar einige Ähnlichkeiten zwischen den Sprachen, scheint sich aber beim Lernen nicht bewusst darauf zu beziehen. 3.6 Der Zusammenhang zwischen Bilingualismus und Fremdsprachenlernen "Du nutzt all das Vorherige, weil du schon die drei Sprachen kennst, und du vergleichst" Alle Befragten meinen, dass sie beim Fremdsprachenlernen Vorteile daraus ziehen können, dass sie mehrsprachig aufgewachsen sind. Veronika äußert zwar, dass sie dadurch kein von Einsprachigen abweichendes Interesse für Fremdsprachen habe, glaubt aber, dass sie es beim Fremdsprachenlernen viel leichter habe. Marina sagt, dass man beim Lernen alles Vorherige nutze und ihr deswegen auch das Lernen von Englisch und Französisch nicht schwergefallen sei. Es ist eine diffuse Vorstellung davon vorhanden, dass mentale Prozesse und die Verarbeitung von Sprachen im Gehirn bei Bilingualen anders verlaufen. "Der Kopf ist offener dafür, neue Informationen aufzunehmen." (Olga) "[...] wenn kleine Kinder mehr Sprachen können, die benutzen ein Stück mehr vom Gehirn[...]" (Veronika) „Die Wissenschaft sagt, dass man, wenn man einmal den Teil des Gehirns ausgebildet hat, der einem beim Sprachenlernen hilft, hilft einem das auch weiterhin." (Marina) "Ich nehme an, dass bei uns Bilingualen eine chemische Substanz im Gehirn in gang gesetzt wird, die je nach Person auch nie in gang kommt oder lange auf sich warten läßt." (Rita) JFLuxlL 29 (2000) Bilingualismus und Fremdsprachenerwerb 231 Teresa führt die Erleichterung beim Fremdsprachenlernen darauf zurück, dass Bilinguale mehr „Ressourcen" zur Verfügung haben. Dies hat sie bei einem Aufenthalt in Schottland im Vergleich mit einsprachigen Muttersprachler/ innen des Spanischen festgestellt. 3.7 Ähnlichkeitsbeziehungen zwischen den Sprachen "Englisch fand ich natürlich nicht schwer wegen Deutsch" In allen Interviews kommen die Befragten auf die Ähnlichkeit zwischen den Sprachen zu sprechen. Veronika fiel das Lernen von Englisch und Französisch leicht, weil sie vorher bereits Deutsch und Katalanisch konnte. Marina meint, dass sie als Kind so schnell Katalanisch und Spanisch gelernt hat, weil beide zu der gleichen Sprachfamilie gehören wie ihre Erstsprache Italienisch. Auch die Fremdsprache Französisch findet sie aus diesem Grund nicht schwer. Auch Rita ist davon überzeugt, dass der Schwierigkeitsgrad einer Sprache von den Sprachen abhängt, die man schon kann. Französisch findet sie nicht schwer, weil sie katalanisch spricht und auch beim Lernen ihrer neuen Fremdsprache Dänisch kann sie auf ihre Deutschkenntnisse zurückgreifen. Rita gibt an, dass eine wichtige Strategie in ihrem Lernprozeß der Sprachvergleich sei: "(...) er [der Sprachvergleich] ist sehr wichtig für mich, urtd außerdem glaube ich, dass ich, wenn ich es nicht tun würde, nichts kapieren und viel langsamer lernen würde." 3.8 Übersetzen "Dann habe ich immer versucht, auf englisch zu denken" Es scheint eine verbreitete Maxime zu sein, dass man im Umgang mit anderen Sprachen nicht übersetzen sollte„ Das. Ziel ist es, in der Fremdsprache zu denken. Veronika meint, dass die Erfahrung des Bilingualismus einem hilft, diesem Ziel näher zu kommen. "[...] wenn man Spanisch und catalan gleichzeitig kann, dann kann man auch merken, dass man nicht immer übersetzen muß. Man kann auf catalan denken oder auf spanisch denken [...] wenn man einen Aufsatz schreiben sollte, [...] dann hab ich immer versucht, auf englisch zu denken, dass alles paßt, nich immer alles übersetzen." (Veronika) "Ich versuche, nicht zu übersetzen. Ich versuche immer, es auf die Art der Deutschen zu sehen, aber manchmal ist es schwierig und dann übersetzt man, wenn es sein muß." (Marina) "[...] ich übersetze nicht. Mein zweiter Schritt nach dem Zuhören ist Verstehen, nicht übersetzen." (Rita) Die Erfahrung mit dem eigenen Bilingualismus hat den Lernerinnen gezeigt, dass es möglich ist, in mehreren Sprachen zu denken und zwischen ihnen hin- und her zu schalten, ohne sich dessen bewusst zu sein. Sie bestätigen damit die Hypothese, dass Bilinguale beim Verstehensprozess direkt auf ein beiden Sprachen gemeinsames Konzept zurückgreifen, anstatt sich dabei der lexikalischen Repräsentation in der L1 zu bedienen (vgl. Bleidistel 1992). Zum Teil legen sie diese Erfahrung als Meßlatte an ihre Ansprüche an das Lernen der Fremdsprachen an. lFiLilL 29 (2000) 232 Sabine Beyer 4. Diskussion Wie in der Einleitung bereits angedeutet, trete ich dafür ein, dass sich Fremdsprachenunterricht verstärkt an bilingualem Spracherwerb orientiert Dieser zeichnet sich vor allem durch ein ausgeprägtes Sprachbewusstsein und besondere Lernstrategien aus. Für weitere Forschungen müßte man sich folglich auf Erkenntnisse aus der kognitiven Psychologie stützen bzw. diese in Richtung auf bilinguale Erwerbsprozesse vertiefen. Auch über die Art der bilingualen Sprachverarbeitung, besonders der lexiko-semantischen Organisation zweier oder mehrerer Sprachen im Gedächtnis, gilt es mehr zu erfahren, um daraus Nutzen für den Fremdsprachenunterricht ziehen zu können. Diese Arbeit stellt sich auf den Standpunkt eines dynamischen Modells, bei dem sich mit fortgeschrittener Kompetenz in der Zweitsprache ein Wandel der Sprachrezeption und -produktion von Prozessen der Wortassoziation hin zu einer konzeptbezogenen Organisation des bilingualen Lexikons vollzieht (vgl. de Groot/ Hoeks 1992). In der Auswertung der Interviews finden sich die Annahmen über ein besonderes Sprachbewusstsein Bilingualer zum Teil bestätigt. Die Informantinnen leben in einer mehrsprachigen Gesellschaft. Es gehört darum zu ihrem Alltag, mehrere Sprachen abwecliseind zu gebrauchen. Sie sind Teil eines gesellschaftlichen Gefüges, in dem das öffentliche Leben stark von der Sprachpolitik bestimmt wird. Die öffentliche Meinung wird vor allem durch die Medien geprägt und findet ihren Ausdruck in den Aussagen der von mir befragten Personen. Es kann bei ihnen mehr als bei einsprachig aufgewachsenen Lerner/ innen vom Reflektieren ihres sprachlichen Handelns ausgegangen werden. Deutlich wird dies, wenn sie über Sprachmischung, Code-Switching etc. reden. Auch Themen wie die Sprachnormen oder die Auswirkungen von Bilingualismus auf die Persönlichkeit und auf neuronale Prozesse sind in der Diskussion um den katalanischen Bilingualismus geläufig. Ein besonderes Sprachbewusstsein wird also schon durch die Zugehörigkeit zur katalanischen Gesellschaft gefördert. Die Gefahr ist jedoch groß, dass vorgefertigte Meinungen übernommen werden, ohne sie vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrungen zu reflektieren. Im Gespräch ist zumeist schnell ersichtlich, worauf die Theorien der Lemerinnen basieren. Wird eine Meinung unreflektiert übernommen, ist die Argumentation oft inkonsistent. In der Regel wird das Fremdsprachenlernen als Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren wie Alter, Lernumgebung, Verhältnis zur Lehrperson, Begabung, Motivation etc. angesehen, was das weithin akzeptierte Modell der Faktorenkomplexion in der Fremdsprachendidaktik stützt. Die Unterrichtsmethode rückt in den Reflexionen meist in den Hintergrund. Die Mehrsprachigkeit wird sowohl in bezug auf die natürlich erworbenen Sprachen als auch auf die zuvor erlernten Fremdsprachen als hilfreich beim Erwerb weiterer Sprachen betrachtet. Dabei wird zum einen die Lernerfahrung vor allem im unterrichtlichen Kontext, zum anderen das sprachliche Wissen als Hilfe empfunden. Die von den Lernerinnen wahrgenommene Nähe zur Zielsprache spielt eirie große Rolle bei der Beurteilung der Nützlichkeit einer zuvor erlernten Sprache. Insofern decken sich die Theorien der Lernenden mit den Forschungsergebnissen aus der „L3-Forschung". In bezug auf das Alter begegnen wir bei Lernenden immer wieder der „the younger the better"-Hypothese (vgl. auch Horwitz 1987). In Forschungskreisen herrscht keineswegs Einigkeit bezüglich der Annahme, dass junge Lerner/ innen müheloser Sprachen erwerben. FLulL 29 (2000) Bilingualismus und Fremdsprachenerwerb 233 Die Erfahrung zeigt, dass auch erwachsene Lerner/ innen ein hohes Niveau in der Fremdsprache erzielen können. Einige Forscher/ innen sehen in der fortgeschrittenen Reife erwachsener Fremdsprachenlerner/ innen sogar einen Vorteil für den Lernprozeß. 10 Einige Arbeiten zum Tertiärsprachenunterricht betonen die ausgeprägtere Motivation erfahrener Fremdsprachenlerner/ innen und deren voll ausgebildeten kognitiven Fähigkeiten (z. B. Krumm 1990, Bausch/ Heid 1990, Neuner 1995/ 96). Für das unterrichtliche Lernen können diese Voraussetzungen „älterer" Lerner/ innen durchaus von Vorteil sein. Wenn sich bei Fremdsprachenlerner/ innen nun die Theorie festgesetzt hat, dass sie wegen ihres fortgeschrittenen Alters weniger gut lernen, kann sich das negativ aufihre Einstellung gegenüber dem eigenen Lernen auswirken. Die Lernenden bauen Lernhemmungen auf, weil sie glauben, schlechter zu lernen, je älter sie sind. Aufgabe der Lehrenden sollte es in diesem Fall sein, den Lernenden Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten zu geben. Beispiele von (prominenten) Lerner/ innen, die es in fortgeschrittenem Alter zu hoher Kompetenz in einer oder mehreren Fremdsprachen gebracht haben, können dabei helfen. Ähnlich verhält es sich mit der Meinung, dass Deutsch eine schwere Sprache sei. Sprachen sind nicht von Natur aus schwierig oder einfach. Für ein Kind, das seine Muttersprache lernt, stellt sich diese Frage gar nicht. Es lernt seine Erstsprache genauso gut, wie es jede andere Sprache lernen würde, hätte es andere Eltern. Fremdsprachenlerner dagegen nehmen die jeweiligen Zielsprachen als unterschiedlich schwierig wahr. Dafür können verschiedene Gründe verantwortlich sein (Lernbedingungen, Motivation, Nähe zur Muttersprache oder schon bekannten Fremdsprachen etc.). Gerade in bezug auf die Schwierigkeit der deutschen Sprache trifft man aber häufig auf einen Mythos, der sich hartnäckig in den Köpfen der Lerner/ innen hält. Indem die Lernenden im Unterricht der Fremdsprache immer wieder Bekanntem begegnen, können Vorurteile und Blockaden abgebaut werden. Tatsächliche Schwierigkeiten müssen natürlich ernstgenommen und deren Ursachen erkannt werden. Neben dem Umgang mit negativen Einstellungen und Vorurteilen gegenüber der Fremdsprache und dem Fremdsprachenlernen, sollten positive Einstellungen und Wahrnehmungen der Lerner/ innen genutzt un<,l verstärkt werden. Meine Informantinnen haben eine positive Haltung gegenüber ihrer Mehrsprachigkeit und glauben, dass sie als Bilinguale Vorteile beim Fremdsprachenlernen haben. Dies deckt sich mit den Annahmen aus der Bilingualismusforschung, die empirisch leider noch nicht ausreichend überprüft worden sind. Es kann hier nicht nachvollzogen werden, ob die Theorien der Befragten auf ihren Erfahrungen beruhen oder anhand der Forschermeinungen generiert wurden. Wichtiger ist es m. E., dass sie den Lernenden ein positives Selbstwertgefühl und das Vertrauen in ihre Lernfähigkeit vermitteln. In bezug auf die Ähnlichkeitsbeziehungen zwischen den Sprachen bestätigen die Informantinnen die Ergebnisse aus den kontrastiven Untersuchungen der „L3-Forschung" (vgl. z.B. de Vriendt 1972, Stedje 1976, Ringbom 1982, Williams/ Hammarberg 1998, Mißler 1999). Es ist auffällig, dass die Verwandtschaft zwischen den Sprachen von den einzelnen Lernerinnen unterschiedlich wahrgenommen wird. Aufgabe des Unterrichts kann es sein, auf Ähnlichkeiten hinzuweisen und so positiven Transfer zu fördern. 10 Long (1990) gibt einen Forschungsüberblick über dieses Thema. FLlllL 29 (2000) 234 Sabine Beyer 5. Ausblick Wenn wir es im Unterricht mit bilingualen Lerner/ innen zu tun haben, sollte deren besonderes Sprachbewußtsein gezielt gefördert werden. Laut Thomas (1988) werden die Vorteile, die Mehrsprachige beim Fremdsprachenlernen haben, dadurch noch verstärkt. Bei Lernergruppen in einer bilingualen Umgebung läßt sich dieses Ansinnen praktisch leicht umsetzen. Was macht man aber, wenn an einem Kurs nur einzelne bilinguale Lerner/ innen teilnehmen? Dies ist ein Problem, das sich auch stellt, wenn es darum geht, andere lernerspezifische Faktoren, wie z.B. unterschiedliche Muttersprachen, Lernstile etc. zu berücksichtigen. Nur Einzelunterricht kann auf jeden Lerner so eingehen, dass seine ganz eigenen Voraussetzungen einbezogen werden. Eine solche one-to-one-Konstellation ist aber praktisch nicht immer umsetzbar und in den meisten Fällen auch nicht wünschenswert, weil sie die Möglichkeit zur Kommunikation in der Gruppe ausschließt. Der Fremdsprachenunterricht kann also nur versuchen, durch ein weitgefaßtes Konzept möglichst vielen Charakteristika der einzelnen Lerner/ innen gerecht zu werden. Hilfreich dabei kann die Erfassung subjektiver Daten sein (vgl. auch Kallenbach 1996: 229 ff). Befragungen können den Lehrenden Aufschluß über die Sprachbiographie und die Lerngewohnheiten der Lerrienden geben. In Unterrichtsgesprächen kann darüber geredet werden, welche Vorstellungen die Schüler/ innen vom Fremdsprachenunterricht haben und wie sie glauben, am besten zu lernen. Dies kann nicht nur dazu beitragen, dass die einzelnen Lernbesonderheiten im Unterricht berücksichtigt werden, sondern auch das Bewusstsein für das eigene Lernen und die Toleranz gegenüber den Besonderheiten der Mitschüler/ innen fördern. Meine Überlegungen sind in die aktuelle Diskussion in der Fremdsprachendidaktik über kognitiverende Verfahren einzuordnen. Dazu gehört die Bewußtmachung und Schulung von Lernstrategien und das vielzitierte Ziel der Lernerautonomie. 11 Der Lerner steht bei diesen Ansätzen im Mittelpunkt. Oft wird dabei jedoch nicht berücksichtigt, dass nicht jeder Lerner gleich ist. Es wird allzu häufig davon ausgegangen, dass kognitivierende Verfahren für alle Lernenden von Vorteil sind und nicht bedacht, dass unterschiedliche Lernstile 12 und kulturspezifische Besonderheiten einen differenzierten Umgang mit Schüler/ innen erfordern. Didaktische Konzepte werden meist für Lernkontexte entwickelt, die bekannt sind. Ihre Umsetzung kann auf Probleme stoßen, wenn es sich um den Unterricht in einem anderen Land oder mit Menschen unterschiedlichster Herkunft handelt. Nicht nur kulturspezifische lernpsychologische Unterschiede, sondern auch andere Traditionen im Bildungssystem können dafür verantwortlich sein, dass Methoden, die sich etwa für deutsche Fremdsprachenlerner/ innen als effektiv erwiesen haben, woanders nicht greifen. Die schulische Sozialisation der Lernenden muß berücksichtigt werden, will man als Lehrende/ r nicht mit neuen Methoden gegen verschlossene Türen laufen. Dies bedeutet aber nicht, dass man Lernende mit anderen Lernerfahrungen nicht neugierig auf Neues machen kann. Wichtig ist es, sie vorsichtig an neue Lernweisen heranzuführen. 11 Etwa bei Tönshoff (1995: 11): "Es setzt sich heute immer stärker die Einsicht durch, dass ein moderner Fremdsprachenunterricht, der die Autonomie der Lerner, also ihre Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit fördern will, auch ihr metakognitives Wissen zum Unterrichtsgegenstand machen muß." 12 Zum Zusammenhang von Lernstilen und Lernstrategien vgl. Grotjahn (1998). F][,1.IL 29 (2000) Bilingualismus und Fremdsprachenerwerb 235 Die Offenheit für neue Lernstrategien fehlt unter Umständen auch aus motivationalen Gründen. Die von mir befragten Lernerinnen nehmen neben ihrem Beruf am Fremdsprachenunterricht teil. Sie haben keine unmittelbare Notwendigkeit, die Sprache schnell und möglichst gut zu lernen. Der Einsatz, den sie für den Sprachunterricht leisten können oder wollen, ist im Vergleich mit anderen Lernergruppen, wie Universitätsstudent/ innen oder Lerner/ innen in einer lmmersionssituation sehr gering. Möglicherweise möchten sie in den wenigen Stunden, die sie wöchentlich nach Feierabend in der Sprachschule verbringen, einfach nur etwas präsentiert bekommen, ohne selbst übermäßig aktiv werden zu müssen. Das Ziel des Fremdsprachenunterrichts sollte es darum nicht alleine sein, Lernerautonomie .zu fördern, sondern auf die Lernenden hinsichtlich ihrer individuellen sowie sprach- und kulturspezifischen Voraussetzungen und ihrer Ansprüche an Form und Ziel des Fremdsprachenerwerbs einzugehen. Lernstrategien sollten sowohl mittels kognitivierender Verfahren als auch implizit in der Anwendungssituation geschult werden, in Abhängigkeit davon, welche Lernertypen in der jeweiligen Lernsituation ausgemacht werden können. Individuell bereits vorhandene Lerntechniken und -strategien sollten durch den Lehrer aufgegriffen und positiv verstärkt werden. Die von mir durchgeführte Befragung kann nur ein Einstieg in die Thematik des Fremdsprachenerwerbs bilingualer Lerner/ innen sein. Sowohl die Anzahl der Befragten als auch die sehr allgemein gehaltene Form der Befragung erfordern Nachfolgeuntersuchungen, die breiter angelegt sein sollten und konkrete Aspekte des Fremdsprachenlernens in Form von qualitativen Untersuchungen sowie mittels ethnographischer Verfahren beleuchten sollten. Die hier vorgestellten Ergebnisse können nur vor dem für die katalanische Umgebung spezifi~chen Hintergrund interpretiert werden. Insofern kann die Untersuchung lediglich als Beispiel betrachtet werden. Sie soll dazu anregen, die Erfahrungen mit bilingualem Spracherwerb in der Fremdsprachenforschung und -didaktik stärker zu berücksichtigen und für den Unterricht auch einsprachiger Lerner/ innen zu nutzen. 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Tübingen: Narr 1999 (Language in Performance; Band 19), Vill+ 287 Seiten [DM96,-] Eine neue Veröffentlichung von Willis Edmondson weckt immer Vorfreude auf die Lektüre, so auch hier: Twelve Lectures on Second Language Acquisition! Die Erwartungen an die inhaltliche Qualität, aber auch hinsichtlich der Lesbarkeit und an den Unterhaltungswert des Buches, sind hoch. Um es vorwegzunehmen, Edmondsons neuestes Buch erfüllt die Erwartungen voll: Es ist inhaltlich sehr gelungen, spannend, anregend, anschaulich, verständlich, mit Humor geschrieben und liest sich somit wunderbar leicht. Wie der Autor einleitend bemerkt, beabsichtigt er keine Vollständigkeit, sondern legt Wert auf einen persönlichen sowie kohärenten Zugang zur Thematik. Die Verbindungen zwischen Zweitsprachenerwerbsforschung und Unterrichtspraxis deutlich herauszustellen, ist ihm dabei wichtig. Beide Absichten werden sehr gelungen umgesetzt. Edmondson berücksichtigt nicht jede beliebige Studie, sondern konzentriert sich auf einige einflussreiche Studien und analysiert diese oft sehr detailliert und kritisch-reflektierend. Dabei wird immer wieder der Zusammenhang zwischen Zweitsprachenerwerbsforschung und Fremdsprachenunterricht thematisiert. Das Buch enthält 12 Kapitel bzw. Vorlesungen und ein nützliches Sach- und Personenregister. In Vorlesung 1 werden zentrale Begriffe kritisch-problematisierend definiert und ein Überblick über die Thematik der Zweitsprachenerwerbsforschung und die einzelnen Vorlesungen gegeben. Dabei bezieht sich Edmondson auf seine Modellierung des Zweitsprachenerwerbs als Ausgangs- und Orientierungspunkt der Diskussion. In den Vorlesungen 2 und 3 wird Chomskys Universalgrammatik als Basis des LI-Erwerbs diskutiert und dann hinterfragt, ob und inwieweit L2-Lernende Zugang zur Universalgrammatik haben und wie groß die Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede zwischen Erst- und Zweitsprachenerwerb sind. Sehr gelungen ist u.a. die vergleichende Darstellung verschiedener Untersuchungsdesigns aus diesem Bereich. Vorlesung 4 enthält eine kritische Analyse sogenannter "does instruction make a difference"-Studien, deren Wert Edmondson zumindest in der bisherigen Konzeptualisierung weitgehend bestreitet. In diesem Kontext wird auch die "teachability"-Hypothese Pienemanns und deren empirische Basis erörtert. Vorlesung 5 behandelt den Themenbereich Transfer, zuerst in historischer Perspektive, dann im Hinblick auf neuere Entwicklung wie „markedness" und „transferability". Kommunikationsstrategien werden kurz angesprochen. Wie in allen Vorlesungen wird auch in diesem Kapitel sehr vorsichtig und umsichtig mit Terminologie umgegangen, Begriffe genau voneinander abgegrenzt und auf problematische Begriffe und Definitionsschwierigkeiten hingewiesen. Vorlesungen 6 und 7 thematisieren individuelle Unterschiede beim Zweitsprachenerwerb. Es wird ausführlich erörtert, warum bestimme Lernende erfolgreicher sind als andere. Zur Diskussion stehen vor allem die Variablen Alter, Begabung und Motivation. Weitere Faktoren wie z.B. Lernstil und soziale und psychologische Distanz werden am Rande erwähnt. Dabei hebt Edmondson besonders hervor, dass die einzelnen Faktoren sich gegenseitig beeinflussen, miteinander interagieren, Überschneidungen und Übereinstimmungen aufweisen, kurz, in einem komplexen Verhältnis zueinander stehen. Sehr interessant und wie so vieles in dem vorliegenden Buch nicht unprovokant ist hier u.a. Edmondsons Neuinterpretation der umstrittenen Studien von Neufeld zur Überprüfung der kritischen Periode. Während gewöhnlich kritisiert wird, Neufeld habe seinen Probanden durch unangemessene Vorbereitung zu einer (kurzzeitigen) muttersprachlichen Produktion verholfen, sieht Edmondson in diesem Vorgehen einen Beleg für die potentielle Effektivität von Fremdsprachenunterricht. Überhaupt merkt man dem Autor oft eine Zuneigung zum angeblichen Problemkind Fremdsprachenunterricht an: Während viele Zweitsprachenerwerbsforscher (immer noch) kritische Perioden postulieren, den Wert des Unterrichts im Allgemeinen in Zweifel ziehen, Unterricht in ihren Arbeiten weitgehend unbeachtet und unbeobachtet als „instruction" (ab)klassifizieren, die Überlegenheit natürlicher Erwerbskontexte betonen usw., steht Edmondson den meisten dieser Positionen kritisch gegen- FLulL 29 (2000) 240 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel über und verteidigt zumeist mit sehr guten theoretischen wie auch empirischen Argumenten fremdsprachenunterrichtliches Lernen. In Vorlesung 8 setzt sich der Autor mit Arbeiten zur Rolle des Inputs beim Zweitsprachenerwerb auseinander. Studien und Ergebnisse aus der LI und L2 Forschung werden vorgestellt, Begriffe wie „modified input" kritisch hinterfragt, grundlegende Beschreibungen des „motherese" und des „foreigner talks" gegeben und dabei zudem das Thema „teacher talk" und die Funktion von Feedback beim Erstsprachenerwerb gestreift. Auch hier vertritt Edmondson eine eher unorthodoxe Position, indem er auf Basis eigener Daten gegen die postulierte Irrelevanz von Feedback für den LI-Erwerb argumentiert. Mittlerweile wird seine Position durch verschiedene LI-und L2"recast"-Studien gestützt. Krashens Input-Hypothese und die weniger bekannte aber nicht weniger interessante „spectator hypothesis" von Slimani werden weiterhin vorgestellt und insbesondere natürlich im Fall Krashens einer kritischen Analyse unterzogen. Die Themen „input", "modified input" und „teacher talk" werden in Vorlesung 9 um ihre interaktive Dimension erweitert. Aus Input wird Interaktion, aus „modified input" Bedeutungsaushandlung. Hinsichtlich des „teacher talk" werden metalinguistische Informationen, formfokussierte Aufgaben/ Interaktion, "scaffolded input" und Feedback kurz angesprochen; und zwar um u.a. zu verdeutlichen, dass der Begriff „input" als Charakterisierung der unterrichtlichen Interaktion zu kurz greift. Der Autor postuliert in Ansätzen eine eigene Version der Interaktionshypothese, die sich von Longs einflussreichen Vorarbeiten u.a. darin unterscheidet, dass der Interaktionsprozess an sich - und nicht (nur) die Funktion von Interaktion, Input verständlich zu machen als spracherwerbsförderlich angesehen wird. Variation und Variabilität in der Lernersprache(nproduktion) sind Thema der 10. Vorlesung. Einschlägige Studien werden vorgestellt, theoretische Modellierungen von Tarone und Ellis kurz diskutiert. Edmondson ist der Auffassung, dass Variabilität grundsätzlich systematisch ist. Er unterscheidet verschiedene Formen von Variation "transitional variation", "overload variation", "sociolinguistic variation", "language intemal variation") und macht deutlich, dass Variation kein reines Lemersprachenphänomen, sondern kennzeichnend für jede Form menschlichen Sprachverhaltens ist. Vorlesung 11 behandelt kognitive Ansätze in der Zweitsprachenerwerbsforschung. Zentrale Begriffe wie „consciousness", Restrukturierung, "U-shaped behavior" und deklaratives/ prozedurales Wissen werden thematisiert, problematisiert und verortet. Besonders ausführlich und interessant ist in dieser Vorlesung die Diskussion der Bedeutung von Routinen für den Spracherwerb. Anhand selbst erhobener L ! -Daten verdeutlicht der Autor die Plausibilität der „Routines-to-Grammar-Hypothesis". Sehr gelungen ist auch die Verbindung kognitiver Theoriebildung und didaktischer Unterrichtsprinzipien zu einem kohärenten Modell. Einige deutsche Fachdidaktiker werden in dieser Vorlesung wohl eine Diskussion konstruktivistischer Ansätze a Ja Wolff, Wendt und Bleyhl vermissen, ob berechtigterweise sei einmal dahin gestellt. In Vorlesung 12 wird der Inhalt aller Vorlesungen knapp und sehr präzise und unter besonderer Beachtung forschungsmethodologischer Aspekte und unterrichtspraktischer Implikationen zusammengefasst. Glücklicherweise hat der Herausgeber der Reihe „LiP", Edmondson nicht von seiner Absicht abbringen können, den Vortragsstil der Originalvorlesungen beizubehalten. So verfügt die Arbeit über einen sehr eigenen Charme und hebt sich von den sonstigen auf dem Markt befindlichen Einführungen ab. Hier liegt auch die Schwierigkeit des Unterfangens, eine weitere Einführung in die Zweitsprachenerwerbsforschung zu schreiben: Es gibt bereits zahlreiche Einführungen, sehr umfassende wie insbesondere Bilis (1994) und knappe, einfache Skizzen wie z.B. die von Lightbown und Spada. Wo findet Edmondsons Arbeit ihren Platz? Sicher in ihrer sprachlichen Leichtigkeit und ihrem Vortragsstil. Aber auch in dem sehr persönlichen und kritisch-analytischen Zugang zur Thematik, in der engen Verknüpfung von Forschung und Praxis und ebenso in der Berücksichtigung von Forschung aus dem deutschsprachigen Raum, obwohl hier vielleicht noch einige weitere Arbeiten hätten Beachtung finden können. Dennoch: Nur wenige Autoren sind wie Edmondson in der Lage, die Entwicklungen sowohl in der englischen als auch in der deutschen Fachliteratur im Auge zu behalten. Zwei Lücken schließt die vorliegende Einführung jedoch nicht: Zum einen fehlt es weiterhin an deutschsprachigen Einführungen, zum anderen gibt es selbst auf Englisch meines Wissens keine wirklich aktuelle Einführung, auch wenn das von Long und Doughty herausgegebene Handbook of SLA diese Lücke vielleicht bald und natürlich nur für eine kurze Zeit schließen wird. Edmondson schreibt dieses Mal (leider? ) auf Englisch und da die Vorlesungen aus dem Sommersemester 1996 stammen und nur wenig aktualisiert wurden, ist die Einführung trotz des Erscheinungsjahres 1999 nicht mehr auf dem neuesten Stand. IFLm. 29 (2000) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 241 So fehlen unvermeidlicherweise z.B. die Erweiterung der UG-Zugangsdiskussion u.a. hinsichtlich "impaired representation" (Meise! , Eubank u.a.) und „construction-by-construction acquisition" (Bley- Vroman), Pienemanns „processability theory", die zahlreichen Arbeiten zur Funktion von „recasts", verschiedene neuere Motivationsstudien (bestimmte werden jedoch schon erwähnt) oder auch Erwerbs- und Instruktionsstudien im Bereich der Lernersprachenpragmatik. Dies ist zugegeben eine sehr persönliche Auswahl an aktuellen Entwicklungen in der Zweitsprachenerwerbsforschung und auch Edmondson beansprucht natürlich mit gleichem Recht für sich, eine ihm sinnvoll erscheinende Auswahl zu treffen. Eine Auswahl übrigens, die sehr gelungen und gut begründet ist und die in die Kernbereiche der Zweitsprachenerwerbsforschung beeindruckend kompetent und sehr unterhaltend einführt. Eine weitere große Stärke ist sicherlich die detaillierte Darstellung einzelner Studien, die den Forschungsprozess nachvollziehbar und anschaulich macht. Man kann Edmondsons Buch also ohne Einschränkung nurjedem/ jeder Zweitsprachenerwerbsforschungsinteressierten und unbedingt auch jedem Fremdsprachenlehrenden zur Lektüre empfehlen. Nur selten macht es so viel Spaß, eine wissenschaftliche Veröffentlichung zu lesen. Osaka/ Bielefeld Torsten Schlak Ausgewählte Neuerscheinungen zum Thema Lemerautonomie und Lernstrategien eine Sammelrezension (Silke Demme, Jena) Lernerautonomie und Lernstrategien sind seit geraumer Zeit ganz zentrale Themen unterrichtswissenschaftlicher Forschung. Dies gilt auch für das Lehren und Lernen von Fremdsprachen und die Erforschung fremdsprachlicher Lehr-/ Lernprozesse. In den vergangenen Jahren sind eine Vielzahl theoretischer, empirischer und unterrichtspraktisch orientierter Arbeiten zu diesem Gegenstandsbereich vorgelegt worden. Nachfolgend werden drei wichtige Neuerscheinungen aus den Jahren 1999 und 2000 besprochen. BettinaMißLER: Fremdsprachenlerne,fahrungen und Lernstrategien. Eine empirische Untersuchung. Tübingen: Stauffenburg Verlag 1999 (Tertiärsprachen; Bd. 3), 374 Seiten [DM 98,00] Mit der vorliegenden Untersuchung hat Bettina MißLER eine umfangreiche empirische Studie vorgelegt, in der sehr detailliert untersucht wird, welchen Einfluss bereits gelernte Fremdsprachen auf den Erwerb einer weiteren Fremdsprache haben. Die Verfasserin (Vfin.) untersuchte an 125 Probanden in universitären Fremdsprachenkursen, auf welche Weise sich deren Vorerfahrungen beim Fremdsprachenlernen auf den Erwerb einer weiteren Sprache in diesem Fall Französisch, Italienisch, Spanisch oder Türkisch aus: wirkten. Alle Probanden hatten zum Zeitpunkt der Untersuchung bereits mehrere Fremdsprachen gelernt, so dass durch Fragebögen und Interviews interessante Erkenntnisse bezüglich des Untersuchungsgegenstandes zu erwarten waren. Welche Rolle bereits erworbenes fremdsprachliches und fremdsprachenlernspezifisches Wissen und Können beim Erwerb einer weiteren Sprache spielt, ist ein äußerst aktuelles Forschungsfeld, das erst in Ansätzen untersucht ist, aber im Kontext von Mehrsprachigkeit zunehmend Bedeutung gewinnt. Somit wendet sich die Verfasserin einem Desiderat fremdsprachenwissenschaftlicher Forschung zu, dass von größtem Interesse ist. Die Studie ist in folgende 5 Hauptteile gegliedert: Einleitung (Teil 1), Der Einfluss von Vorwissen und Vorerfahrungen auf das Lernen einer weiteren Sprache: Ein Forschungsüberblick (Teil 2), Lernstrategien: Theoretische Grundlagen und empirische Befunde (Teil 3), Empirische Untersuchung von Lernstrategien in Abhängigkeit von dem Vorwissen und den Vorerfahrungen der Lerner (Teil 4), Abschließende Bemerkungen (Teil 5). Es folgt im Teil 6 ein umfangreiches Literaturverzeichnis, der abschließende Anhang (A - C) enthält Fragebögen, Übersichten und Tabellen, die sowohl Aussagen aus den theoretischen Teilen als auch aus der eigenen empirischen Untersuchung untermauern. Nachfolgend werden die einzelnen Kapitel in ihrer chronologischen Abfolge besprochen. lFLuL 29 (2000) 242 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel Einleitend werden Zielstellungen und Gliederung der Arbeit erläutert. Ausgehend von dem bereits erwähnten Erkenntnisinteresse leitet die Vfin. ihre übergeordnete Fragestellung ab: Es soll untersucht werden, in welcher Weise sich Vorwissen und Vorerfahrungen von Fremdsprachenlernern auf das Erlernen einer weiteren Sprache auswirken. Vorwissen und Vorerfahrungen werden von der Autorin zunächst weit gefasst und beinhalten alle Erfahrungen mit Fremdsprachen innerhalb und außerhalb des Unterrichts. Ausgehend von der Komplexität der Einflussfaktoren, die beim Erlernen einer dritten Sprache (und weiterer Sprachen) wirksam werden können, grenzt die Autorin ihr besonderes Erkenntnisinteresse auf die Entwicklung von Lernstrategien in Abhängigkeit von Vorerfahrungen mit der komplexen Aufgabe des Fremdsprachenlernens ein. Im nachfolgenden Abschnitt werden die für den Untersuchungsgegenstand relevanten Begriffe wie ,Mehrsprachigkeit', ,individuelle Mehrsprachigkeit', ,Multikompetenz' und ,L3-Erwerb/ Lernen' erläutert. Es folgt eine Zusammenfassung des einleitenden Kapitels und eine Kurzbeschreibung der für die empirische Untersuchung zur Verfügung stehenden Probanden. Im Teil 2 (15-107) gibt die Verfasserin einen ausführlichen Forschungsüberblick zum Einfluss von Vorwissen und Vorerfahrungen auf das Erlernen einer weiteren Sprache. Hervorzuheben ist hier, dass die Vfin. sowohl die Perspektive der Lehrenden/ Forschenden als auch die Perspektive der Lernenden erfasst. Im Kapitel 2.1 (16-79) referiert die Autorin unter der Überschrift ,Fremdbeurteilung/ Fremdeinschätzung' Arbeiten, die sich mit den Auswirkungen von Vorwissen und Vorerfahrungen aus der Sicht von Untersuchenden beschäftigen. Dazu gehören: Foreign language apitude (fremdsprachliche Begabung), Sprachproduktion in der Zielsprache, Sprachrezeption in der Zielsprache, Leistungen in zielsprachlicheri Tests, Wissen über die Zielsprache, Kognitive Entwicklung und Verarbeitung sowie Lernstrategien, die in diesem Teilkapitel bei unerfahrenen und erfahrenen Fremdsprachenlernern betrachtet werden. Das Kap. 2.2 (79- 107) diskutiert unter der Überschrift ,Selbstbeurteilung/ Selbsteinschätzung' Untersuchungen, die die Lernerperspektive erfasst haben. Hier werden Studien zu Persönlichkeitsvariablen, zu Gefühlen, zu Motivation, zu Einstellungen, zu metakognitivem Wissen und zu Lernstrategien hier als Aussagen von Lernern über die von ihnen eingesetzten Strategien referiert. Im Kapitel 2.3. fasst die Autorin die Ergebnisse aus Untersuchungen zur Fremd-und Selbsteinschätzung zusammen. Sie kommt auf Grund vorliegender Studien zu dem Ergebniss, dass sich erfahrene und unerfahrene Fremdsprachenlerner hinsichtlich eingesetzter Strategien beim Erlernen einer neuen Sprache deutlich voneinander unterscheiden. Insgesamt kann festgehalten werden, dass der Teil 2 einen sehr ausführlichen Forschungsüberblick bietet, in welchem viele der für das Erkenntnisinteresse der Vfin. relevante Untersuchungen referiert werden und auf die später in den eigenen Untersuchungen zurückgegriffen wird. Im Teil 3 ,Lernstrategien: Theoretische Grundlagen und empirische Befunde' (109-191) wird die Forschungslage zu Lernstrategien ausführlich erörtert. Als Ausgangspunkt für die Erforschung von Lernstrategien stellt die Vfin. die 10 Merkmale des guten Sprachlerners ('The Good Language Learner') nach Rubin und Stern dar. Im anschließenden Kap. 3.2 werden verschiedene Definitionsprobleme von Lernstrategien erörtert, wobei sich die Vfin. an wichtigen Autoren wie Oxford, Wenden, O'Malley/ Chamot, Tönshoff, Wolff u. a. orientiert. Im Kapitel 3.3 werden sechs Klassifikationsansätze von Lernstrategien diskutiert, die in den Teilkapiteln 3.3.1-3.3.6 näher ausgeführt werden. In einer zusammenfassenden, kritischen Diskussion kommt die Vfin. zu der Erkenntnis, dass trotz unterschiedlicher Akzente alle Klassifikationsansätze eine große Bandbreite von Lernstrategien erfassen. Die Vfin. begründet nachvollziehbar, warum sie sich bei den eigenen empirischen Untersuchungen für das Klassifikationssystem von Oxford (1990a: 17) entschieden hat: Neben einer bewährten Klassifikation von Lernstrategien bietet Oxford ein für empirische Untersuchungen wichtiges Erhebungsinstrument in Form eines Fragebogens zur Erfassung von Lernstrategien an. Im Kap. 3.4 befasst sich die Vfin., ausgehend von kognitiv und konstruktivistisch geprägten Lerntheorien, mit verschiedenen Annahmen über den Lerner und sein Lernen. Zwei Kontexte autonomen Fremdsprachenlernens werden angesprochen: individuelles, selbstständiges Lernen ohne Unterrichtsbezug und selbstbestimmtes Lernen im Fremdsprachenunterricht. Die folgenden Unterkapitel thematisieren Aspekte der Vermittlung von Strategiewissen und positive Konsequenzen, die sich für den Lerner aus der erfolgreichen Vermittlung von Strategiewissen ergeben. lFLuL 29 (2000) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 243 Im Kapitel 3.5 wird ein Überblick über verschiedene Forschungsmethoden zur Erhebung von Lernstrategien gegeben. Neben systematischer Beobachtung, lautem Denken, Tagebuch und Interview geht die Vfin. in einem Unterkapitel ausführlich auf die Verwendung von Fragebögen als Erhebungsinstrument ein. Es werden verschiedene Arten bisher verwendeter Fragebögen und die mit ihnen verbundenen Erkenntnisinteressen diskutiert. Dem eigenen Erkenntnisinteresse entsprechend, konzentriert sich die Vfin. auf den 'SILL', einen stark strukturierten Fragebogen von Oxford (1990a: 199), der eine Vergleichbarkeit gewonnener Daten zulässt, sich bereits vielfach bewährt hat und den Gütekriterien empirischer Forschung entspricht. Kapitel 3.6 stellt dar, welche Erkenntnisse zum Einfluss verschiedener Variablen auf den Strategieeinsatz vorliegen. Die Vfin. gibt einen systematischen Überblick zu Persönlichkeitsvariablen, demographischen, kognitiven, motivationalen und affektiven Variablen sowie zu Merkmalen der Lernsituation. Das Kapitel schließt mit einer zusammenfassenden Erörterung und modellhaften Darstellung der betrachteten Variablenkomplexe. Insgesamt stellt Teil 3 einen hervorragenden Gesamtüberblick zum bisherigen Forschungsstand im Bereich Lernstrategien dar. Mit Teil 2 und 3 hat die Autorin eine umfangreiche theoretische Basis für die eigene empirische Untersuchung geschaffen. Teil 4 (193-302) enthält die empirische Untersuchung von Lernstrategien in Abhängigkeit von Vorwissen und Vorerfahrungen der Lerner. Auf der Basis der in den Teile 2 und 3 ausgewerteten theoretischen und empirischen Arbeiten formuliert die Verfasserin ihre Erkenntnisinteressen in sechs Hypothesenkreisen, die in verschiedenen Unterhypothesen differenziert untersucht werden: l. Die Lerner stufen vorhandene Sprachkenntnisse als hilfreich beim Lernen weiterer Sprachen ein (6 Unterhypothesen). 2. Die Häufigkeit des Strategieeinsatzes variiert in Abhängigkeit zu den Vorerfahrungen der Lerner (5 Unterhypothesen.) 3. Erfahrene Fremdsprachenlerner unterscheiden sich hinsichtlich der Persönlichkeitsvariablen und der affektiven Variablen von unerfahrenen Lernern (8 Unterhypothesen). 4. Frauen erreichen höhere Strategiewerte als Männer, besonders bei affektiven, sozialen, kognitiven und metakognitiven Strategien (4 Unterhypothesen). 5. Die Häufigkeit des Strategieeinsatzes kann aufgrund mehrerer Prädiktoren vorhergesagt werden (4 Unterhypothesen). 6. Probanden mit hohen Strategiewerten unterscheiden sich hinsichtlich bestimmter Variablen von Probanden mit niedrigen Strategiewerten (4 Unterhypothesen). Im 2. Kapitel des empirischen Teils werden die Untersuchungsmethoden dargestellt. Nach einer Beschreibung der Probanden folgen kurze Ausführungen zur organisatorischen Durchführung der Untersuchung. Eine tabellarische Übersicht (206) gibt Auskunft über die erfassten Variablen und das entsprechende Erhebungsinstrument. Anschließend werden die Erhebungsinstrumente, Fragebögen und der Interviewbogen (vgl. Anhang B) erläutert. Der Fragebogen besteht aus 2 großen Teilen: dem von der Autorin selbst verfassten FEFEL (Fragebogen zu Erfahrungen beim bisherigen Fremdsprachenlernen und beim Lernen einer neuen Sprache) mit 115 ltems sowie dem von Oxford (1986-1990) entwickelten SILL (Strategy Inventory for Language Leaming) mit 50 ltems. Im FEFEL wurden allgemeine Erfahrungen beim Fremdsprachenlernen und Erfahrungen beim Lernen der konkreten Zielsprache erfragt. Mit dem SILL wurde die Häufigkeit des Einsatzes bestimmter Strategien ermittelt; Tab. 4.6 (212) gibt einen Überblick über die im SILL enthaltenen Subskalen von Strategietypen und die Anzahl der ihnen zugeordneten Items. Der Interviewbogen diente zur Erfassung der Fremdsprachenlerngeschichte der Probanden. Er beinhaltete die Ermittlung demographischer und kognitiver Variablen sowie Fragen zum sprachlichen und fremdsprachlichen Hintergrund, zu erlebten Unterrichtsaktivitäten, zu Anwendungsmöglichkeiten der erworbenen Fremdsprachen, zu fremdsprachlicher Mediennutzung, zu Auslandsaufenthalten und zum Lernen der konkreten Zielsprache. Die statistische Auswertung der Daten nahm die Vfin. mit Hilfe des SPSS (Statistical Package of the Social Sciences) und des AMOS vor. Weiterhin werden Verfahren der deskriptiven Statistik, Scheffe-Test, Faktorenanalyse, t-Test, multivariante Verfahren wie multiple Regressionsanalyse, Diskriminanzanalyseund explorative Pfadanalyse benannt. Die Kap. 4.3 und 4.4 enthalten die Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse. Durch die systematische Verfolgung der sechs Hypothesenkreise mit den verschiedenen Unterhypothesen und die multivarianten Auswertungsverfahren konnte ein sehr umfangreiches Datenmaterial gewonnen werden, auf FLuL 29 (2000) 244 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel das hier nur punktuell eingegangen werden kann und dessen Lektüre allen am Gegenstand interessierten Lesern zu empfehlen ist. Im Kap. 4.3 (217-280) werden die Untersuchungsergebnisse gut nachvollziehbar dargestellt und die gewonnenen Daten mit diversen tabellarischen Übersichten und Diagrammen belegt. Der als hilfreich oder störend empfundene Einfluss zuvor gelernter Sprachen wurde sowohl mit dem Fragebogen als auch im Interview erfragt. Die im Interview ermittelten Daten werden nach den Zielsprachen getrennt dargestellt. Neben der Einschätzung, hilfreich/ störend' wurde auch nach möglichen Gründen für die Beurteilung gefragt, wobei die Vfin. mit Recht auf eine Multikausalität solcher Urteile verweist. Kenntnisse aus zuvor gelernten Fremdsprachen wurden von den Versuchspersonen hilfreicher eingeschätzt als muttersprachliches Wissen. Als besonders hilfreich werden Kenntnisse in verwandten Sprachen betrachtet. Ein Vergleich der vier Versuchsgruppen hinsichtlich der im Interview erhobenen Variablen zeigte, dass in 8 der 12 Variablen keine signifikanten Unterschiede nachweisbar waren, was im folgenden eine gemeinsame Betrachtung der Versuchsgruppen erlaubte. Die Daten zum Zusammenhang von Vorerfahrungen und Lernstrategien sowie weiteren Variablen wurden durch die beiden Fragebögen gewonnen. Die Vfin. stellt zunächst die im SILL gewonnenen Daten dar. Es finden sich z.B. interessante Ergebnisse zur Häufigkeit des Einsatzes verschiedener Strategietypen (SILLA - SILLF) in Abhängigkeit von den Vorerfahrungen der Lerner. Anschließend werden die Daten des FEFEL präsentiert. Dieser wurde einer Faktorenanalyse mit dem Ziel einer Datenreduktion unterzogen, folgende lOFaktoren wurden extrahiert: Selbstkonzept, Motivation, Risikobereitschaft, Wert von Vorkenntnissen, Fokus auf Form, Suche nach Regeln, focus on TL, negative Gefühle/ Erfahrungen, Eigeninitiative, Faktor 10 stellte kein einheitliches Konstrukt dar. Interessant ist, dass die Maße an Vorerfahrungen am höchsten mit dem Selbstkonzept, dem Wert von Vorkenntnissen und der Konzentration auf die Form (negative Ladung) korrelieren. Nicht unbedingt zu erwarten war m.E. dagegen, dass die Faktoren Motivation, focus on TL, und Eigeninitiative keine oder nur geringe Zusammenhänge mit den Maßen an Vorerfahrungen aufweisen. Die im Hypothesenkreis ,Geschlechtsunterschiede' gewonnenen Daten zeigen, dass diese offensichtlich nicht so gravierend sind wie mitunter vermutet. Der Gebrauch von Kompensationsstrategien und sozialen Strategien wurde von Frauen häufiger angegeben; für die weiteren Subskalen des SILL konnten keine Unterschiede ermittelt werden. Im FEFEL ergaben sich beim Faktor ,Motivation' und ,Eigeninitiative' signifikante Unterschiede: Motivation zugunsten der Frauen, Eigeninitiative zugunsten der Männer. Schließlich werden im letzten Teil des Ergebniskapitels die durch multivariante Verfahren gewonnenen Daten dargestellt. Im ersten Unterkapitel werden Determinanten von Lernstrategien, die mittels multipler Regressionsanalyse gefunden wurden, aufgeführt. Das zweite Unterkapitel enthält die ermittelten Faktoren, die maximal zwischen Probanden mit hohen und niedrigen Strategiewerten unterscheiden. Dies wurde mit Hilfe der Diskriminanzanalyse ermittelt. Das dritte Unterkapitel untersucht mittels Pfadanalyse die direkten/ indirekten Einflüsse des Vorwissens und der Vorerfahrungen auf die Entwicklung von Lernstrategien. In Kap. 4.4 (280-296) folgt die Interpretation der Ergebnisse, wobei die Vfin. die sechs Hypothesenkreise wieder aufgreift und diese in ihren verschiedenen Unterhypothesen einer differenzierten Interpretation unterzieht. Es wird dargestellt, dass die Mehrzahl der formulierten Hypothesen und Unterhypothesen durch die Untersuchungsergebnisse bestätigt werden konnten. Es zeigte sich u. a., dass der Einsatz verschiedener Auswertungsverfahren wichtig war, um bestimmte Ergebnisse deutlicher herausarbeiten zu können. Einige Hypothesen/ Unterhypothesen konnten nicht bestätigt werden, was aber nicht weniger interessant ist, auch wenn damit die vorliegenden Ergebnisse im Widerspruch zu denen aus bereits vorliegenden Untersuchungen stehen. Interessant scheint m. E. in diesem Zusammenhang das Ergebnis, dass erfahrene Fremdsprachenlerner die Schwierigkeit des Fremdsprachenlernens nicht geringer einschätzen als unerfahrene Lerner; dies gilt gleichfalls für das Erlernen einer konkreten Zielsprache. Auch in Bezug auf selbstbestimmtes Fremdsprachenlernen konnten keine Unterschiede zwischen den erfahrenen und unerfahrenen Lernern ermittelt werden. Differenzierte Ergebnisse wurden hinsichtlich der geschlechtsspezifischen Unterschiede gefunden, wobei die Gemeinsamkeiten von männlichen und weiblichen Fremdsprachenlernenden deutlich überwiegen. Auch die Ergebnisse der Hypothesenkreise fünf und sechs enthalten interessante Erkenntnisse zu Prädiktoren von FLl! L 29 (2000) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 245 Lernstrategien und zu Unterschieden zwischen Probanden mit hohen und niedrigen Strategiewerten sowie der damit verbundenen 'Frage, durch welche Variablen dies determiniert wird. Im Kap. 4.5 schließt sich eine zusammenfassende Diskussion der Untersuchungsergebnisse an. Dies beinhaltet sowohl Erklärungsansätze für unerwartete Ergebnisse als auch. methodische Fragestellungen, die das Untersuchungsinstrumentarium, die Untersuchungsdurchführung und die Auswertung der ermittelten Daten betreffen. Daraus ergeben sich für die Vfin. verschiedene Überlegungen und Konsequenzen für weiterführende Fragestellungen. Die abschließenden Bemerkungen im Kapitel 5 thematisieren drei wesentliche Ergebnisse der Untersuchung, die die Vfin. nochmals aufgreift: den Zusammenhang zwischen der Entwicklung von Lernstrategien einerseits und Veränderungen bei den Persönlichkeitsvariablen und affektiven Variablen andererseits, die zunehmende Häufigkeit des Strategieeinsatzes mit jeder weiteren Fremdsprache und '-die .möglichen Rückschlüsse auf die Art von Fremdsprachenunterricht, die die hier zur Verfügung stehenden: Probanden erlebt haben. Mit der Diskussion dieser Untersuchungsergebnisse gehen bestimmte Überlegungen zu Veränderungen der Unterrichtspraxis einher. Dies betrifft auch die Frage nach den bildungspolitische Rahmenbedingungen sowie Lehr, und Lernzielbeschreibungen für einen Fremdsprachenunterricht, der aufLernerautonomie ziele Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die vorliegende Untersuchung in gelungener Weise verschiedene Problembereiche, die den Zusammenhang von Fremdsprachenlernerfahrungen und• Lernstrategien betreffen, erhellt. Dies gilt sowohl für die Aufarbeitung des Forschungsstandes in diesen beiden Bereichen wie auch für die komplexen Anlage der empirischen Untersuchung. Die Arbeit ist durch ihre klare.Gliederung transparent und gut lesbar. Ein Abkürzungsverzeichnis hätte die Leserfreundlichkeit noch .erhöhen können. Die Untersuchung dürfte für jeden, der an der Erforschung fremdsprachlicher Lernprozesse interessiert ist, eine spannende Lektüre darstellen, die aus verschiedenen Leserperspektiven interessant sein kann: Für Fremdsprachenstudierende als Forschungsüberblick über ein aktuelles Untersuchungsfeld und Beispiel empirischer Forschungsarbeit oder als Anregung zur Reflexion über eigene Fremdsprachenlernerfahrungen und den Einsatz von Lernstrategien. Für Lehrende und Forschende als interessante Studie, die den Kreis vorliegender Untersuchungen bereichert und Anregungen für weiter zu verfolgende Fragen bietet. Nicht zuletzt wird auch gerade für die Praxis des Fremdsprachenunterrichts deutlich; dass das multilinguale Klassenzimmer eine Realität ist, die bei der Entwicklung von Lernstrategien berücksichtigt werden muss und die auch neue Anforderungen an die Lehrenden stellt. Christoph EDELH0FF, RalfWESKAMP (Hrsg.): Autonomes Fremdsprachenlernen. Ismaning: Hueber 1999 (Forum Sprache),' 183 Seiten [DM 32,00] Die Verfasser legen mit dem vorliegenden Sammelband die Dokumentation einer Tagung zum Thema "Autonomes Fremdsprachenlernen" vor, die im Herbst 1995 vom damaligen Hessischen Institut für Lehrerfortbildung Getzt: Hessisches Landesinstitut für Pädagogik) in der Reinhardswaldschule durchgeführt wurde. Anliegen dieser Tagung war laut Vorwort der Herausgeber"[ ... ] gemeinsam mit praktizierenden Lehrern und führenden europäischen Vertretern des Autonamen Fremdsprachenlernens Zwischenbilanz zu ziehen." Der Band wendet sich an einen breiten Kreis aller am Fremdsprachenunterricht (FU) interessierten Lehrenden und Lernenden, will ermutigen, neue Lernkonzepte zu erproben urid den· Weg in einen zeitgemäßen, schülerorientierten, offenen FU zu gehen. Der Band enthält insgesamt 10 Beiträge, die nach dem einleitenden Überblicksaufsatz von RalfWeskamp 5 Themenkreisen zugeordnet werden: (1) Autonomie zwischen Theorie und Praxis ; (2) Autonomie und "Lernen, wie man lernt"; (3) Autonomie und Technologie; (4) Autonomie und Klassenzimmer; (5) Autonomie und Qualität. Im einleitenden Aufsatz gibt Ralf Weskamp einen Überblick zu verschiedenen Aspekten eines sich wandelnden FU, der mit seiner subjektwissenschaftlichen Orientierung den Lernenden in den Mittelpunkt des Lernprozesses stellt. Eigenverantwortlichkeit für das Lernen zu entwickeln stellt nicht nur an die Lerner, sondern auch an die Lehrenden neue Anforderungen, erfordert Lernarrangements, in denen die Schüler zum FLuL 29 (2000) 246 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel Selbstmanagement des Lernprozesses befähigt werden. Die Grundelemente autonomen Fremdsprachenlernens werden im Rahmen eines gesamtpädagogischen Konzepts diskutiert, das die positiven Traditionen verschiedener reformpädagogischer Ansätze aufgreift und in die Überlegungen zu Wegen des autonomen Lernens einbezieht. Offene Unterrichtsformen, Projektunterricht, handlungsorientiertes Fremdsprachenlernen werden als Wege zur Realisierung autonomer Lernkonzepte benannt, die auf eine ganzheitliche Betrachtung und Aneignung von Sprache zielen. David Little, einer der wichtigsten Vertreter des Autonomiekonzepts, diskutiert unter dem Titel "Autonomy in second language learning: some theoretical perspectives and their practical implications" die Verbindung zwischen theoretischer Forschung zu Lernerautonomie und deren praktischen Implikationen für den FU. Einleitend erörtert er kurz seine hier zu Grunde gelegte Arbeitsdefinition zum Autonomiebegriff. Im zweiten Teil des Aufsatzes wird die Frage erörtert, wie Autonomie zu erreichen ist. Hierzu werden drei Aspekte diskutiert: Mit Bezug auf Vygotsky wird auf den Zusammenhang von entwicklungsspezifischem Lernen und Erstsprachenerwerb eingegangen, Lernen in formellen Bildungskontexten diskutiert und anschließend der gesteuerte Zweitsprachenerwerb ins Blickfeld gerückt. Im dritten Teil wird die Frage nach den praktischen Implikationen der vorangegangenen Überlegungen gestellt. Es wird auf vier Problemfelder, die sich für die Praxis des FU ergeben, näher eingegangen: Die neu zu definierende Rolle des Lehrenden, Struktur und Inhalt von Sprachlernmaterialien, die Einschätzung von Leistungen der Lerner und Konsequenzen für die Lehrerausbildung. Der Aufsatz schließt mit Anregungen für zu lösende Aufgaben, die der Verfasser im Ausbau der theoretischen Basis zur Autonomie auf der Grundlage empirischer Forschung/ Aktionsforschung sieht. Als zweiten und dritten Punkt werden notwendige Veränderungen in der Lehrerausbildung sowie Veränderungen von Form und Inhalt des Staatsexamens angesprochen. Der Aufsatz von Dieter Woif.fthematisiert die Theorie-Praxis-Beziehung in der Entwicklung von Lernerautonomie. Auch er stellt die Frage, was unter Lernerautonomie zu verstehen ist, nimmt auf Aussagen von Little Bezug und listet Merkmale des autonomen Klassenzimmers auf. Es folgen Ausführungen zur kognitiven Verstehensforschung, sowie zu kognitiven und konstruktivistischen Lerntheorien, die vom Vf. als wichtige theoretische und empirische Basis des Autonomiekonzepts angesehen Werden. Daran schließen sich pädagogische Implikationen an, die auf die praktische Realisierung des autonomen Klassenzimmers orientieren. Zusammenfassend werden in der Charakterisierung des autonomen Klassenzimmers theoretische Konzepte und praktische Ansätze miteinander in Beziehung gesetzt. Zum Themenkreis zwei gehören die Beiträge von Marianne Häuptle-Barcelo und Christoph Edelhojf. Im Beitrag von M. Häuptle-Barcelo wird die Bedeutung von Lernstrategien für autonomes Lernen erörtert. Die Vfin. greift aktuelle Untersuchungen der Spracherwerbsforschung und Sprachlehrforschung zu Lernstrategien, Lehr- und Lernstilen auf und unterbreitet interessante Vorschläge zum Aufbau von lemstrategischem Wissen. Der Beitrag von Ch. Edelhoffuntersucht die Rolle von Lehrwerken im autonomen FU. Nach einer kritischen Situationsanalyse werden Prinzipien und Kriterien für Lehrmaterialien dargestellt, die den aktuellen Ansprüchen der Autonomieförderung besser Rechnung tragen können. Abschließend wird ein kleiner Kriterienkatalog zur Beurteilung von Materialien vorgestellt. Der dritte Themenkreis „Autonomie und Technologie" enthält leider nur einen Beitrag, was verwundert, denn die Bedeutung multimedialen Fremdsprachenlernens wird gerade im Konzept der Lernerautonomie besonders betont. Michael Müller-Verweyen beschreibt in seinem Beitrag „Selbstlernsysteme ein Konzept", wie eine zukunftsweisende Form von Fremdsprachenlernen ohne den Lehrenden als zentralen Lernorganisator möglich sein kann. Strukturbildende Begriffe sind dabei: selbstorganisiertes Lernen, selbstbestimmtes Lernen, Sprachbewusstheit und Fernstudium. Der Vf. beschreibt das Projekt Selbstlernsysteme, in welchem es „um die, konzeptuelle Entwicklung eines modularen Selbststudiensprachkurses auf dem Niveau der Mittelstufe durch die Produktion und Evaluation einzelner Elemente (Module) dieses Systems ging." .(82) Nach Auffassung von Müller-Verweyen kommt den Themen und Inhalten von Selbstlernmaterialien eine stark motivierende Rolle zu. Er erläutert die den Inhalten zu Grunde gelegte Konzeption und veranschaulicht diese mit einem Beispiel. Der nachfolgende Abschnitt erörtert die Rolle der modernen Medien und Informationstechnologien im Rahmen eines solchen Konzepts. Auch dies wird mit Beispielen dokumentiert, Vor- und Nachteile werden realistisch eingeschätzt, wobei der Vf. die Lernbedürfnisse der potentiellen Adressaten hervorhebt. FLuL 29 {2000) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 247 Zum vierten Themenkreis „Autonomie und Klassenzimmer" findet man drei Beiträge. Michael Legutke thematisiert den Lernort „Klassenzimmer" und zeigt an vier Fallgeschichten, wie Lehrende zur Frage der Neubestimmung des Klassenzimmers als Ort autonomen Fremdsprachenlernens stehen. Zwei Beispiele betreffen den Deutschunterricht amerikanischer Schüler im 3. Lernjahr, ein Beispiel kommt aus dem Englischunterricht eines 4. Lernjahres in Deutschland und das vierte Beispiel führt uns in den Deutschunterricht eines 1. Lernjahres in Alaska. Nach der Präsentation der äußerst interessanten Beispiele werden einige signifikante, gemeinsame Konstruktionsmerkmale und Charakteristika diskutiert. Diese sind: Zielaufgaben und Szenarien, partizipatorische Evaluation, Lernumwelt und Quellen, Lernertexte und Lerner als Lehrer. Die Beispiele machen eindrucksvoll deutlich, dass das Klassenzimmer als Ort autonomen Fremdsprachenlernens enorm viel Handlungsraum in ganz unterschiedliche Richtungen bietet. Dies stellt hohe Anforderungen an die Lehrenden, die bereit sein müssen, mit der Komplexität eines solchen erweiterten Handlungsraums umzugehen, stellt aber auch neue Anforderungen an Lernmaterialien sowie Fremdsprachenpolitik und unterrichtsorganisatorische Rahmenbedingungen. Der zweite Beitrag des Themenkreises ist von Leni Dam und beschäftigt sich mit der wichtigen Frage, wie Autonomie im schulischen Kontext entwickelt werden kann, wie man Lehrende dafür gewinnen kann, die bekannten Pfade zu verlassen und sich den Anforderungen neuer Lernkonzepte zu stellen. Dabei geht die Vfin. von ihren Erfahrungen aus einem workshop mit Fremdsprachenlehrern am Hessischen Landesinstitut für Pädagogik aus. Sie schildert sehr anschaulich, wie durch die Verbindung von theoretischen Diskussionen und Beispielen praktischer Realisierung bei den, Teilnehmern Interesse an neuen Lern- und Lehrwegen geweckt wurde. Der dritte Aufsatz dieses Themenkreises behandelt ein Beispiel für die Entwicklung von Lernerautonomie im bilingualen Sachfachunterricht. "Geschichte in Zeitlupe" stellt ein Unterrichtsprojekt vor, das im Rahmen der deutschsprachigen Abteilung (DAS) der Sections Internationales de Sevres (Frankreich) durchgeführt wurde. Im Mittelpunkt steht die Zeitung „Zeit-Lupe", eine jahrgangsübergreifende Zeitung für den deutschsprachigen Geschichtsunterricht, die mit Schülern gestaltet wird, für die Deutsch eine Zweitsprache darstellt. Es wird gezeigt, wie durch die Arbeit am Zeitungsprojekt aus dem Geschichtsunterricht eine Geschichtswerkstatt wird, in der Schüler eigenverantwortlich Themen auswählen, Textbaupläne entwerfen, Gruppenarbeit organisieren und ihre Arbeitsergebnisse in Form von Stundenprotokollen dokumentieren. Kernpunkte des didaktischen Konzepts sind die „Forschungsberichte" in der Zeitung, die sich entwickelnde Eigengeschichte einer Gruppe und auf dieser Basis das Entstehen eines historischen Bewusstseins. Das vorgestellte Unterrichtsprojekt wird mit eine Vielzahl von Beispielen ergänzt und regt zur Nachahmung an. Im 5. Themenkreis „Autonomie und Qualität" vergleicht Lienhard Legenhausen autonome und traditionelle Lerner des Englischen, indem er den Einfluss von 'classroom culture' auf Einstellungen und Kommunikationsverhalten dieser beiden Lernergruppen untersucht. Die herangezogenen Daten stammen aus dem LAALE-Projekt (Language Acquisition in an Autonomous Learning Environment), in dem die Sprachentwicklungder beiden Lernergruppen über einen Zeitraum von 4 Jahren beobachtet wurde. Das experimentelle Design der Studie wird in einer tabellarischen Übersicht ( 168) näher erläutert. Nach Ausführungen zum Forschungshintergrund und Aspekten von 'classroom culture' wird ausführlich auf die 4. Phase der Datenerhebung (peer-to-peer talk/ strukturiertes Interview) eingegangen. Die zu lösende Kommunikationsaufgabe bestand darin, ein kurzes Gespräch über sich selbst, Hobbies, Wünsche, Pläne u.ä. zu führen. Die Auswertung der aufgezeichneten Daten erlaubt den Schluss, dass die Lösung dieser kommunikative Aufgabe bei den traditionelien Lernern, die vor dem Hintergrund eines kommunikativen Ansatzes stark textbuchorientiert gelernt hatten, in einer Art Pseudo-Kommunikation erfolgte, während die Kurzgespräche der autonomen Lerner alle Merkmale einer authentischen Kommunikation zeigten. Dies wird darauf zurückgeführt, dass die autonomen Lerner vor dem Hintergrund ihrer 'classroom culture' im Gegensatz zu den traditionellen keine Kontraste zwischen authentischen und didaktischen Aufgaben zu überwinden hatten. Die sogenannten „tun-als-ob-Aufgaben" des traditionellen Lernens werden für authentische Kommunikation als hinderlich eingeschätzt. Zusammenfassend kann zu dem Band von Edelhoff/ Weskamp gesagt werden, dass es sich hier um eine sehr lesenswerte Sammlung von Aufsätzen handelt, die Fragen des autonomen Fremdsprachenlernens aus unterschiedlichen Perspektiven erörtert und eine gute Verbindung zwischen Theorie und Praxis herstellt. FLIIL 29 (2000) 248 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel Ute RAMPILL0N: Aufgabentypologie zum autonomen Lernen. Deutsch als Fremdsprache. Ismaning: Hueber 2000, 136 Seiten [DM 25,80] Mit der vorgelegten Aufgabentypologie zum autonomen Lernen schließt Ute Rampillon an ihre bereits vorliegenden Arbeiten zu Lerntechniken und Lernstrategien an. Der neue Band schließt eine Lücke für all jene, die sich um das systematische Training von Lerntechniken und -strategien im Fremdsprachenunterricht (FU) bemühen und dabei über Lehrwerksangebote hinaus auf eine gut strukturierte Typologie von Aufgaben zurückgreifen möchten. Das Buch besteht aus zwei Hauptteilen: Im Teil 1 entwickelt die Verfasserin ihre Vorstellungen von einem lerner- und prögressionsorientierten Training von Lerntechniken und Lernstrategien, im Teil 2 wird die Aufgabentypologie an Hand einer Vielzahl von Beispielen vorgestellt. Im Teil 1 wird im ersten Unterkapitel die Bedeutung von Lerntechniken und Lernstrategien im Rahmen eines gesamtpädagogischen, subjektwissenschaftlich orientierten Lernkonzepts diskutiert. Die Verfasserin erörtert, auf welche Weise neuere lerntheoretische Konzepte und sich daraus ergebende .didaktisch-methodische Konsequenzen in der Praxis des FU realisiert werden können. Wenn ,Das Lernen lernen' als ein Ziel des Unterrichts anzusehen ist, muss zunächst gefragt werden, wodurch Lernhandlungen ausgelöst werden und unter welchen Bedingungen Lernen stattfindet. Lerntechniken und Lernstrategien sind letztlich auch deshalb so hochaktuell, weil damit leichteres Lernen assoziiert wird. Die Verfasserin macht jedoch deutlich, dass Lerntechniken kein Wundermittel sind, sondern erst durch häufiges Üben und Anwenden die gewünschten Erfolge bringen. Der Fremdsprachenlehrende sieht sich dabei mit verschiedenen inhaltlichen, organisatorischen und zeitökonomischen Problemen konfrontiert (längerfristige Planung von Strategietraining/ vielfältige, unterschiedliche Angebote von Lerntechniken für möglichst viele verschiedene Lernertypen/ Aufbrechen von Lerngewohnheiten/ Bereitschaft zur Übernahme von Eigenverantwortung entwickeln). Nicht zuletzt ist auch zu berücksichtigen, dass die Förderung von Lernerautonomie und das Training von Lernstrategien hohe Anforderungen an die Kompetenz der Lehrenden stellt, die sich bei aller Aufgeschlossenheit und Interesse häufig durch die eigene Ausbildung dafür nicht entsprechend vorbereitet fühlen. M. E. kann der vorliegende Band auch in dieser Hinsicht viele offenen Fragen lösen helfen. Im zweiten Unterkapitel thematisiert die Verfasserin den progressiven Aufbau der Lernkompetenz. Es wird versucht, auf konkrete Fragen wie Anzahl, Art, Reihenfolge, Trainingsmöglichkeiten von Lernstrategien eine Antwort zu geben. Die Verfasserin diskutiert an dieser Stelle auch den Begriff ,Typologie' und zeigt die Grenzen der vorliegenden Aufgabentypologie auf, die sich aus der Komplexität und Lernerindividualität von FU und Strategietraining ergeben. Sie schließt damit eine eindimensionale Betrachtung, ein lineares Anwachsen von Kompetenz, was durch die Verbindung von Aufgabentyp und Lernziel in der Regel erwartet wird, für die hier vorliegende Aufgabentypologie aus. Trotz dieser terminologischen Vorbehalte wird der Begriff „Typologie" beibehalten, was aus praktischen Erwägungen günstig ist. Die systematische Entwicklung der Lernkompetenz soll erreicht werden, indem Lerntechniken verschiedenen Kategorien zugeordnet werden, die so aufeinander aufbauen, dass durch ihre Abfolge im Unterricht die Lernkompetenz der Lerner steigt. Dies sollte einhergehen mit einem schrittweisen sich Zurücknehmen des Lehrenden, einer zunehmenden Verinnerlichung der erworbenen Strategien durch den Lerner und einer Erhöhung seiner Selbstständigkeit im Lernprozess. Beim progressiven Aufbau der Lernkompetenz in 4 Stufen geht die Verfasserin mit Bezug auf Tönshoff (1992: 298) von einigen grundlegenden Prämissen aus, die die Lehr- und Lembarkeit, die Rolle der Bewusstmachung und die Effizienz von Lernstrategien betreffen (19). In der sich anschließenden Darstellung der vier Progressionsstufen werden deren Ziele erläutert, Beispiele und weiterführende didaktische Überlegungen präsentiert. Folgende Stufe werden beschrieben: • Stufe 1: Auf gaben, bei denen die Lernenden Techniken zum selbstgesteuerten Lernen kennen lernen bzw. sich ihrer bewusst werden • Stufe 2: Aufgaben, bei denen die Lernenden Lerntechniken sammeln, vergleichen und ordnen und dabei das selbstgesteuerte Lernen vorbereiten • Stufe 3: Aufgaben, bei denen die Lernenden mit Lerntechniken experimentieren, ihren Einsatz trainieren, ihre Nützlichkeit bewerten und selbstständiges Lernen erproben • Stufe 4: Aufgaben, bei denen die Lernenden selbstständig lernen lFLuL 29 (2000) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 249 Während nach Auffassung der Vf.in die ersten beiden Stufen dem Aufbau von lernstrategischem Wissen dienen, wird auf den Stufen 3 und 4 das lernstrategische Können der Lernenden entwickelt und gefördert. Besondere Bedeutung mißt sie der 4. Stufe bei, auf welcher der Lerner eigeninitiativ entscheiden soll, welche Lerntechnik/ Lernstrategie für die Bewältigung einer konkreten Aufgabe geeignet ist. Im Idealfall wäre hier selbstbestimmtes, reflektiertes Lernen erreicht, das auch die Evaluation erprobter Lernwege mit beinhaltet. Im Teilkapitel ,Lernmuster im selbstgesteuerten Lernprozess' greift die Verfasserin die Lernerperspektive auf, die sie neben der Lehrperspektive als zweite wichtige Ausrichtung ihrer Aufgabentypologie ansieht. Sie diskutiert wichtige Lernervariablen und deren Einfluss auf den Lernprozess, die Hemisphärentheorie, das Kolb' sehe Modell und die senso-motorischen Verarbeitungsformen nach Vester. Dabei wird das Zusammenspiel der verschiedenen Lernervariablen verdeutlicht. Lerntechniken/ Lernstrategien als wichtige Variablen im Ensemble aller Lernervariablen werden in den Mittelpunkt der Aufgabentypologie gestellt. Anschließend wird in einer Übersicht ein Grundraster für eine systematische Aufgabensammlung zur Vermittlung von Lerntechniken und Lernstrategien beschrieben (40). In einer weiteren Übersicht (41) wird das Zusammenwirken von Sprachtraining und Lerntraining an einem Beispiel veranschaulicht. Die Autorin benennt die folgenden didaktischen Entscheidungsfelder: Fremdsprachliches Lehrziel, Lernstrategisches Lehrziel, Grad der Selbstständigkeit bei der Bewältigung der Aufgabe (Progression), Bezug zu verschiedenen Lernmustern. Der nachfolgend präsentierten Aufgabentypologie legt die Vfin. die letzten beiden Entscheidungsfelder zu Grunde. · Es folgen Empfehlungen zum Einsatz der Aufgabentypologie im FremdsprachenuiHerricht, wobei darauf verwiesen wird, dass die Beispiele als Modelle zU: verstehen sind, die Lehrenden Anregung geben können, die aber auf die spezifischen Lerninhalte, Lernbedingungen und Lerner zugeschnitten werden müssen (vgl. die ersten beiden Entscheidungsfelder). Als Unterstützung für die Entwicklung eigener Aufgaben erörtert die Autorin 15 Prinzipien, die zu berücksichtigen sind: Nach einer Erhebung bereits vorhandener Lernkompetenz und Lernmuster sind dies: (1) Integration in den Sprachlehrgang, (2) Motivierende Inhalte, (3) Unterschiedliche Zugänge, (4) Verständlichkeit der Sprache, (5) Explizitheit der Vermittlung, (6) Imitierendes Lernen, (7) Entdeckendes Lernen, (8) Interaktivität, (9) Angaben zur Lernorganisation, (10) Lernhilfen, (11) Zusammenfassungen, (12) Wiederholungen, (13) Selbstevaluation, (14) Planung der Weiterarbeit, und (15) Lösungsschlüssel. Der 2. Teil enthält die eigentliche Aufgabentypologie mit den 4 Progressionsstufen. Für die Stufen 1-3 (Lerntechniken kennen lernen, sammeln, systematisieren) werden eine Vielfalt von Aufgabenvorschlägen unterbreitet, für die Stufe 4 erübrigt sich dies, da hier selbstgesteuertes Lernen erreicht sein sollte. Zur Orientierung und Auswahl von Aufgabenbeispielen sind die Angaben in den Kopfzeilen zu Progressionsstufen und Lernmustern sehr hilfreich. Gleiches gilt auch für den Abschnitt „Begriffe zum Nachschlagen", der häufig verwendete Begriffe zum Thema verständlich erläutert. Im Anhang sind Transkripte von Hörtexten über das Lernen zu finden. Der Band schließt mit Quellenangaben und einem Literaturverzeichnis, das dem interessierten Nutzer Möglichkeiten zur vertiefenden Lektüre aufzeigt. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der vorliegende Band einen sehr gut systematisierten Überblick über verschiedene Aufgabentypen anbietet. Damit dürfte sich eine Lücke für Lehrende geschlossen haben, die sich dem systematischen Strategietraining im FU verstärkt widmen wollen. Positiv ist zu.sehen, dass hier ein Rahmen geliefert wird, der Eigeninitiativen und Kreativität Raum lässt und den Zuschnitt auf spezifische Bedingungen der jeweiligen Lehr-/ Lemsituation anstrebt. Somit ist der Band vor allem eine gute Empfehlung für die Hand von Fremdsprachenlehrenden und für Autoren von Lehrmaterialien. Darüber ·hinaus kann die Aufgabentypologie in der fremdsprachdidaktischen Ausbildung von DaF- Studierenden sehr gut genutzt werden. Lawrence VENUTJ: The Scandals ofTranslation. Towards an Ethics ofDijference. London: Routledge 1998, 210 Seiten [f 14,99] VENUTI richtet sich vehement gegen linguistisch-orientierte Übersetzungsmodelle, die unter dem Deckmantel der wissenschaftlichen Objektivität zu politischen Zwecken mißbraucht werden. So z.B. wurde Guareschis Mondo Piccolo: Don Camillo so übersetzt, dass es der Erwartungshaltung der U.S.-Bürger in den fünfziger FILIIL 29 (2000) 250 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel Jahren entgegenkam - und d.h. "it fostered questionable domestic values [ ... ] and sustained an American paranoia about communism" (140). VENUTI hält wenig vom sog. 'Loyalitätsprinzip', wie es beispielsweise von Christiane Nord (1991) formuliert wurde. Er ruft statt dessen zur 'Disloyalität' auf. Seine "Ethics of difference" fordert den Übersetzer [fortan Ü.] auf, den übersetzerischen Status seiner Übersetzung nicht verschämt zu verheimlichen, damit der Rezipient nicht merkt, dass er es mit einer Ü. zu tun hat; vielmehr soll klar verfremdend übersetzt werden, um die zielsprachliche Kultur durch die kulturellen Eigentümlichkeiten der ausgangssprachlichen Kultur zu bereichern. Die "Scandals of Translation" bestehen im Missbrauch der übersetzerischen Tätigkeit zu politischen Zwecken. So hat z.B. die britische Regierung in Indien Übersetzer ausgebildet, die möglichst von ihrer eigenen Kultur abgeschnitten werden sollten; auf diese Weise trugen letztere dazu bei, angelsächsische Werte durch ihre Übersetzungen aus dem Englischen zu verbreiten und das Bewußtsein der kulturellen Minderwertigkeit bei den Indem zu verstärken (VENUTI zitiert in diesem Zusammenhang T.B. Macauley: "What the Greek and Latin were to the contemporaries of More and Ascham, our tongue is to the people of lndia. The literature ofEngland is now more valuable than that of classical antiquity" [171]). Verantwortlich für diesen Mißbrauch sind laut VENUTI die 'linguistisch orientierten Übersetzungstheorien', die den Anspruch erheben, dem zielsprachlichen Rezipienten Originale zu liefern, und dabei ignorieren, dass es einen kulturellen "remainder" gibt, den der Ü. nicht hinüberbringen kann und daher mit sogenannten 'Äquivalenzen' zu vertuschen versucht. Statt dessen empfiehlt VENUTI, diesen "cultural remainder" in den Vordergrund zu rücken, um so kulturelle Werte von Minderheiten oder von kolonialisierten Eingeborenen zu verbreiten und die zielsprachlichen Kulturen zu bereichern. · Eine solche (wenig differenzierte) Position reizt zum Widerspruch. So wirft VENUTI den linguistisch orientierten Übersetzungstheorien Einengung des übersetzerischen Handelns vor, das sich nur auf die Anwendung einiger Übersetzungstechniken (z.B.: Kompensierungstechniken) beschränkt, die sich aus dem Systemcharakter der Sprache und gewissen übersetzerischen Normen ergeben: "The most worrisome tendency in linguistics-oriented approaches is their promotion of scientific models. Because language is defined as a set of systematic operations autonomous from cultural and social variation, translation is studied as a set of systematic operations autonomous from the cultural and social formations in which they are executed. Translation theory then becomes the synchronic description of two ideal objects: the linguistic practices that the translator performs to render the foreign text, like calque or 'compensation' and the typical situations in which certain kinds of translation are preferred" (25). Hier wird deutlich auf die sprachenpaarbezogenen Übersetzungsprozeduren der 'stylistique comparee', Bezug genommen, wie sie - Ende der fünfziger/ Anfang der sechziger Jahre von Vinay/ Darbelnet initiiert wurde. Die pragmatischen und textlinguistischen Ansätze neueren Datums lassen sich in keiner Weise als derart reduktionistisch definieren. In dem von VENUTI kritisierten Ansatz von Nord (1991) bzw. in dem ReißNermeerschen Modell ( 1984 Y ist für VENUTis Vorstellungen durchaus Platz. Hier ist überhaupt nichts von 'repressiver Norrnativität' nach V. wären die linguistischen Ansätze "repressive in their normative principles" [21] zu spüren. In diesen Modellen wäre es Sache des 'Auftraggebers' für den Zieltext anstelle der zumeist angestrebten 'Wirkungsgleichheit', eine 'Skoposänderung' vorzunehmen, nämlich: Bereicherung der zielsprachlichen Kultur. VENUTis Vorstellungen wären nur ein Teil dieses Modells, das Funktionsänderung zulässt. Angesichts dieses großzügigen 'skopostheoretischen' Modells wirkt VENUTis Ansatz eher normativ einengend und seinen eigenen politischen Zwecken dienlich, ein Vorwurf, den er anderen macht. Der Ethics ofDifference läßt sich die Deontologie des Ü.s gegenüberstellen. VENUTis ethische Überzeugung hat nichts mit der Deontologie des Übersetzers zu tun, welcher dem Auftraggeber gegenüber zur Loyalität verpflichtet ist und je nach Auftrag Wirkungsgleichheit oder Funktionsänderung herzustellen hat. Fazit: Dem Anfänger kann dieses Buch nicht empfohlen werden. Auch der Didaktiker dürfte kaum auf seine Kosten kommen. Dem Praktiker hingegen wird es sicher einige Hintergründe seines Schaffens bewusst machen. Und dem Theoretiker deutscher übersetzungswissenschaftlicher Prägung, derwie auch in diesem Buch häufig Zielscheibe angelsächsischer Ironie ist, wird es vielleicht etwas von seinem selbstsicheren Objektivitätsglauben nehmen. Bielefeld Bernd Stefanink lFLm. 29 (2000) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 251 Fredric Thomas D0LEZAL, Don R. McCREARY: Pedagogical Lexicography Today. A Critical Bibliography on Learners' Dictionaries with Special Emphasis on Language Learners and Dictionary Users. Tübingen: Niemeyer 1999 (Lexicographica. Series maior 96), xx + 204 Seiten [DM 116,-] Seit den siebziger Jahren hat die Forschung über Wörterbücher einen raschen Aufschwung genommen. Im Zentrum der Bemühungen um eine stärkere Berücksichtigung von Benutzerbedürfnissen und um eine Verbesserung lexikographischer Produkte standen dabei von Beginn an Wörterbuchbenutzungssituationen, die mittelbar oder unmittelbar auf Spracherwerbsprozesse Bezug nehmen. Eine in diesem Kontext anzusiedelnde pädagogische Lexikographie ist ohne den Rückgriff auf Einsichten von (Zweit)Sprach(en)erwerbsforschung, Psycholinguistik und (Fremd)Sprach(en)pädagogik schwer vorstellbar. Nicht zuletzt dieser Umstand dürfte das gewachsene fremdsprachendidaktische Interesse an der (Meta-)Lexikographie erklären. Was genau zur pädagogischen Lexikographie gezählt werden muß, ist allerdings nach wie vor umstritten. Klarheit herrscht bestenfalls für einen Kernbereich, in dem es im wesentlichen um Konzeption und praktische Realisierung von Lernerwörterbüchern geht. Konsens scheint des Weiteren darüber zu bestehen, dass auch wörterbuchdidaktische Überlegungen zum engeren Kreis einer pädagogisch orientierten Lexikographie gehören. Dies um so mehr, als es um das 'Wissen' des Lerners über das Produkt 'Wörterbuch' und die damit untrennbar verbundenen Nachschlagefertigkeiten nachweislich recht schlecht bestellt ist. Jeder zweite Benutzer hat nach eigenem Bekunden erhebliche Schwierigkeiten bei der Konsultation und ist häufig nicht in der Lage, aus dem Informationsreichtum entsprechenden Nutzen zu ziehen. Einiges deutet darauf hin, dass der mangelnde Erfolg einer Nachschlagehandlung in vielen Fällen nicht primär dem Wörterbuch selbst anzulasten ist, sondern vorrangig aus der fehlenden Unterweisung und Anleitung zur sinnvollen Wörterbuchbenutzung resultiert. Empirischen Untersuchungen zufolge ist es nicht einmal übertrieben zu behaupten, "that dictionary users Jack the basic reference skills that would allow them to effectively use a dictionary" (xvii). Schwieriger zu beantworten ist die Frage, ob es vernünftig ist, den Bereich einer (handlungs-)theoretisch fundierten empirischen Benutzungsforschung, die sich ja bereits als vierte Teildisziplin der Meta- Iexikographie etabliert hat, aus dem argumentativen Zusammenhang einer Forschung herauszulösen, in deren Fokus der "Ianguage Iearner as dictionary user" (xii) steht. Fest steht, dass die angestrebte Optimierung und Effektivierung der Nachschlagehandlungen fundierte Kenntnisse über den Benutzer und über dessen Verhaltensweisen bei der Wörterbuchbenutzung voraussetzt. Eine ernstzunehmende pedagogical lexicography kann sich folglich nicht mit affirmativen didaktischen Spekulationen zufriedengeben. Ist man schließlich wie WIEGAND der Meinung, dass „alle Endprodukte der pädagogischen Lexikographie[...] Spracherwerbswörterbücher [sind]" (1998: X)', so wären neben den sog. 'Ieamers' dictionaries' auch solche Wörterbücher zu berücksichtigen, bei denen der Nachschlagegang nicht ausschließlich durch punktuelle Kompetenzdefizite motiviert ist, sondern bei denen zusätzlich Lernprozesse im weitesten Sinn im Spiel sind, wie dies beispielsweise bei Kinderwörterbüchern, Grundwortschatzbüchern und mit Einschränkungen auch bei Valenzwörterbüchern und deren Benutzung der Fall ist. Diese wenigen Anmerkungen lassen bereits die thematische Vielfalt erkennen, die selbst eine weniger weite, dem angelsächsischen Verständnis stärker verpflichtete Auffassung von pedagogical lexicography impliziert. Hinzu kommt die rasante Entwicklung der Metalexikographie, die uns in den letzten fünfzehn Jahren eine wahre Flut von Publikationen bescherte. Entsprechend groß ist der Bedarf an Orientierungshilfen, der von den vorliegenden Bibliographien nur unzureichend abgedeckt wird sei es, dass diese nicht mehr den aktuellen Forschungsstand repräsentieren und zudem den Bereich der (Theorie der) Lexikographie gesamthaft zu erfassen suchen 2, sei es, dass ein sprachspezifischer Schwerpunkt die Auswahl der Titel ent Herbert Ernst WIEGAND: "Vorwort". In: Ders. (Hrsg.): Perspektiven der pädagogischen Lexikographie des Deutschen. Untersuchungen anhand von «Langenscheidts Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache». Tübingen: Niemeyer 1998 (Lexicographica. Series maior; 86), IX-X. 2 Dies gilt für die kommentierte Bibliographie von ZGUSTA (Ladislav ZGUSTA (with the assistance ofDonna M.T.Cr. Parina): Lexicography Today. An annotated bibliography of the theory of lexicography. Tübingen: Niemeyer 1988 (Lexicographica. Series maior; 18) ebenso wie für die im gleichen Jahr erschienene unkommentierte Titelliste von IFL11L 29 (2000) 252 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel scheidend mitbestimmt hat 3• Damit sind bereits einige wesentliche Charakteristika angesprochen, die die hier zu besprechende "critical bibliography" von Fredric Thomas DOLEZAL und Don R. McCREARY auszeichnet: ( 1) Zwar wird das selbstgesteckte Ziel, nämlich "to obtain a comprehensive range of publications" (x) mit der Zahl von (lediglich) 52 I Items nicht ganz erreicht; durch Aufnahme von einschlägigen Veröffentlichungen bis (Ende) 1998 ist die Bibliographie aber auch zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Rezension noch hochaktuell. (2) Dass partielle Übereinstimmungen mit der von KAMMERERIWIEGAND 1998 (vgl. unten Anm. 3) getroffenen Auswahl bestehen und dass die in Lexicographica 1211996 erschienene "annotated bibliography" zum Thema "Language Learners and Dictionary Users" 4 komplett integriert wurde, schmälert nicht das Verdienst der Autoren und schränkt den Nutzen dieses Werkes keineswegs ein. Zweierlei ist anerkennend hervorzuheben: (a) Die sprachübergreifende Konzeption (verzeichnet sind Arbeiten auf Deutsch [insgesamt 86], Englisch und Französisch sowie einige wenige auf Dänisch und Portugiesisch; bei den Objektsprachen reicht der Fächer sogar von Englisch und Deutsch über Italienisch und (kanadisches) Französisch bis hin zu Swahili) sowie (b) die dezidiert interdisziplinäre Ausrichtung. Letztere kommt vor allem darin zum Ausdruck, dass auch solche Zeitschriften ausgewertet wurden, die die lexikographische Forschung in der Vergangenheit nur sporadisch oder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen hat 5 und dass auf diese Weise bislang sträflichst vernachlässigte Aspekte und Forschungsbereiche (wie etwa "reading comprehension" oder "Ianguage acquisition") stärker in den Blick geraten. (3) Besonderes Lob gebührt den Autoren für die sorgfältig redigierten Kommentare, die in aller Regel nicht nur präziser und aussagekräftig.er sind als vergleichbare 'annotations' bei Zgusta 1988-(vgl. Anm. 2), sondern in denen DOLEZALIMCCREARY außerdem auch unmißverständlich Stellung beziehen und dadurch unabhängig davon, ob man den vorgenommenen Wertungen in jedem Fall beipflichten kann die notwendige kritische Distanz zum Forschungsgeschehen wahren. 6 (4) Neben einem Verzeichnis aller erwähnten bzw. behandelten einsprachigen Lernerwörterbücher ( 129-133) bietet die Bibliographie einen "wide ranging topical index" (x), der ihren Gebrauchswert natürlich erheblich steigert. Kompiliert vor dem Hintergrund der lexikographischen Terminologie, im Hinblick auf "key words selected on the basis of their frequency of use in titles and epitomes" (x) sowie unter Einbeziehung von Kategorien wie etwa behandelte Sprachen, ausgewählte Begriffe aus der deutschsprachigen metalexikographischen Literatur oder "(dictionary) criticism" lädt ein solcher index rerum einerseits zum verstärkten "cross-reading" (x) ein und erlaubt andererseits gezielte bibliographische Recherchen. Trotz der damit namhaft gemachten unbestreitbaren Vorzüge des Buches seien dennoch einige kritische Einwände formuliert. (1) Auf die Schwierigkeit, für das Forschungsfeld 'pädagogische Lexikographie' intersubjektiv gültige Selektionskriterien zu benennen bzw. für die Auswahl der Titel auch nur eine Begründung zu liefern, "die WIBGAND (Herbert Ernst WIEGAND: "Bibliographie zur Wörterbuchforschung von 1945 bis auf die Gegenwart. 2 200 Titel. Ausgewählt aus germanistischer Perspektive". In: Ders. (Hrsg.): Studien zur neuhochdeutschen Lexikographie VI. 2. Teilband[...] Hildesheim/ Zürich/ New York: Olms 1988 (Germanistische Linguistik 87-90/ 1986), 627-821) mit jeweils deutlich über 2000 Einträgen. 3 Dies trifft zu auf die eindeutig germanistisch geprägte, im Jahre 1996 abgeschlossene und 589 ltems umfassende unkommentierte Bibliographie von KAMMERERIWIBGAND (Matthias KAMMERER, Herbert Ernst WIEGAND: "Pädagogische Lexikographie und Wörterbücher in pädagogischen Kontexten im 20. Jahrhundert. Eine ausgewählte Bibliographie". In: Herbert Ernst WIBGAND (Hrsg.): Perspektiven der pädagogischen Lexikographie des Deutschen. Untersuchungen anhand von « Langenscheidts Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache». Tübingen: Niemeyer 1998 (Lexicographica. Series maior; 86), 361-385). 4 Fredric DOLEZAL, Don R. McCREARY: "Language Learners and Dictionary Users: Commentary and an Annotated Bibliography". In: Lexicographica 12 (1996), 125-165. 5 Hier wären beispielsweise zu nennen: Language Learning Journal, Reading Research Quaterly, Fremdsprachen Lehren und Lernen, Fremdsprachenunterricht und Zeitschrift fü.r Fremdsprachenforschung. 6 Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Kommentare zu denjenigen Titeln, die bereits in Lexicographica 12/ 1996 abgedruckt sind, in unveränderter Form übernommen wurden. lFLllL 29 (2000) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 253 sich auf wissenschaftliche Traditionen berufen kann", haben schon KAMMERERIWIEGAND ( 1998: 361 [vgl. oben Anm. 3]) hingewiesen. In einer solchen Situation bedarf es zumindest klarer Vorgaben für „handlungsleitende Entscheidungen" (ibid.). Die diesbezüglichen Erläuterungen von DOLEZAUMCCREARY werfen allerdings mehr Fragen auf als sie zu beantworten vorgeben. Da wird die pedagogical lexicography zunächst in die Nähe der (empirischen) Benutzungsforschung gerückt7, um eine solche Gleichsetzung dann wenige Zeilen später insoweit zu relativieren, als darunter nunmehr "the stuy and production of dictionaries for the specific purpose of assisting the foreign language leamer and the native language leamer" sowie "the study of the use of dictionaries by teachers and students in formal and informal settings" (ix) verstanden wird. Unscharf und deshalb wenig hilfreich sind schließlich auch ergänzende Bestimmungen des Typs "pedagogical lexicography with its focus on the triangular relation among teachers, Iexicographers and leamers/ users" (xvii) oder "pedagogical lexicography [,] should be a valuable area of research since it crosses several disciplines, all connected by deep interests in the study of language." (xix). (2) Direkte Folge derart verschwommener Aussagen zu den (Themen-)Bereichen, die im Zentrum pädagogisch-lexikographischer Forschung stehen (sollten), sind zahlreiche Ungereimtheiten hinsichtlich der Aufnahme bzw. Nicht-Aufnahme von Titeln. So fragt man sich, welche Verbindung sich zwischen Arbeiten zum „Handbuch schwerer Wörter" (Ballweg-Schramm 1983), zu Fragen der Sprachnorm (Montgomery 1982) oder zur Beurteilung der Qualität englisch-deutscher Fachwörterbücher (Neubert 1970) und dem thematischen Schwerpunkt dieser Bibliographie herstellen läßt und was die Autoren bewogen haben mag, Arbeiten zu Bereichen aufzulisten, bei denen Affinitäten zur pädagogischen Lexikographie beim besten Willen nicht auszumachen sind. Umgekehrt zeigt sich, dass das durchaus löbliche Vorhaben, "tobe inclusive [...] rather than exclude contributions not in the widely known and cited literature of lexicography" (x), längst nicht in jedem Fall als geglückt anzusehen ist. Nicht nur zur (empirischen) Benutzungsforschung vermissen wir die eine oder andere einschlägige Untersuchung 8 ; auch zu Status und Funktion von Beispielen (im Lemerwörterbuch) 9 oder zur französischen Lemerlexikographie 10 ist die Suche nach Autoren, die in diesen Kontext gehören, nicht immer von Erfolg gekrönt. Und was die deutsche Lemerlexikographie angeht, so erfuhr sie eine wahrhaft stiefmütterliche Behandlung. Der Name Günter Kempcke taucht überhaupt nicht auf und von Peter Kühn wird lediglich ein (weniger wichtiger) Aufsatz aus dem Jahre 1983 zitiert. · (3) Hinsichtlich des Zeitpunkts, der den Beginn der "collection of titles" markiert, sind wir auf Vermutungen angewiesen. Ob es das Jahr 1970 ist, wie es der erwähnte frühe Beitrag von Gunter Neubert nahelegt, bleibt dahingestellt. Das Ende des Erhebungszeitraums wird jedenfalls mit 1998 angegeben. Nur am Rande sei vermerkt, dass dies die Verfasser nicht daran gehindert hat, eine eigene Untersuchung aus dem Jahre 1999 aufzunehmen. (4) Auf den ersten Blick scheint der "topical index" vor allem wegen der großen Zahl verzeichneter Termini und Begriffe dem Bedürfnis des Benutzers nach vielfältigen Recherchemöglichkeiten entgegen- "This sub-area oflexicography [...] is also called Benutzungsforschung (usage research) or dictionary userresearch, in many articles in German andin English, respectively" (ix). 8 Exemplarisch sei hingewiesen auf: Peter STARREN, Marcel THELEN: "General dictionaries and students of translation. A report of the use of dictionaries in the translational process". In: MAGA Y, T. / ZIGANY, J. (eds. ): BudaLEX '88 Proceedings. Papers from the 3rd International EURALEX Congress, Budapest, 4-9 September 1988. Budapest: Akademiai Kiad6 1990, 447-458; Thomas TINNEFELD: "Wörterbücher im Fremdsprachenstudium - Eine Fertigkeitsanalyse". In: Fremdsprachen und Hochschule 34 (1992), 14-37; Hussein REHAIL: « L'usage du dictionnaire de langue chez ! es etudiants de fran~ais au Departement de Langues Modemes a l'universite de Yarmouk ». In: Lexicographica 10 (1994), 214-220. 9 Zu denken ist u.a. an: Xavier BLANCO: « Lexicographie bilingue (fran~ais-espagnol) et traduction: l'exemple ». In: Meta 42 (1997), 133-141 und Fritz HERMANNS: "Das lexikographische Beispiel. Ein Beitrag zu seiner Theorie". In: HARRAS, G. (Hrsg.): Das Wörterbuch. Artikel und Verweisstrukturen. Jahrbuch 1987 des Instituts für deutsche Sprache. Düsseldorf: Schwann 1988 (Sprache der Gegenwart; 74), 161-195. 10 Ich begnüge mich mit der Nennung von Göran BORNÄS: Ordre alphabetique et classement methodique du lexique. Etude de quelques dictionnaires d'apprentissage. Lund: CWK Gleerup 1986 (Etudes romanes de Lund; 40) und Elmar SCHAFROTH: "'Lernerwörterbücher' im Vergleich. Empirische Untersuchungen zu vier einsprachigen französischen Wörterbüchern". In: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur l 05.2 (1995), 113-136. lFLllL 29 (2000) 254 Neuerscheinungen • Eingegangene Bücher zukommen. Bei näherem Hinsehen verkehren sich die Vorteile der intendierten extensiven Aufzählung von "key words" jedoch nicht selten in ihr genaues Gegenteil. Da versäumt wurde, die sog, "major topics" terminologisch eindeutig zu fassen und gleichzeitig dafür Sorge zu tragen, dass quasi-gleichbedeutende bzw. verwandte, in der Literatur ebenfalls belegte Termini/ Begriffe mit Hilfe entsprechender Querverweise erschlossen werden können, gestaltet sich die bibliographische Suche zu Stichwörtern wie beispielsweise „Paradigmatik im Wörterbuch" als äußerst schwierig und langwierig"; manchmal gerät sie gar zu einem frustrierenden Verwirrspiel. Wer sich etwa einen umfassenden Überblick über die Literatur zur (empirischen) Benutzungsforschung verschaffen will, der wird nicht etwa wie nach dem Vorwort zu erwarten unter dem Stichwort usage research fündig. Selbst derjenige, dem die in der Literatur gebräuchlichen (englischen) Schlüsselwörter vertraut sind, ist gezwungen, den Index von abbreviation bis wrong use of dictionaries by learners abzusuchen, um dann festzustellen, dass Veröffentlichungen zu diesem so wichtigen Forschungsbereich über nicht weniger als gut ein Dutzend inhaltlich z.T. deckungsgleiche Stichwörter verstreut wurden. 12 Fazit: Ein trotz der erwähnten Schwächen nützliches, alles in allem mit großer Sorgfalt redigiertes 13 bibliographisches Hilfsmittel, das eine im Hinblick auf das verarbeitete Material beachtliche Leistung darstellt und das dank kritischer Kommentare, sprachübergreifender Konzeption und interdisziplinärer Ausrichtung die unter stärker germanistischen Vorzeichen zusammengestellte Bibliographie zur pädagogischen Lexikographie von KAMMERERIWIEGAND aus dem Jahre 1998 in geradezu idealer Weise ergänzt. Bleibt zu hoffen, dass die für das Internationale Jahrbuch zur Lexikographie Verantwortlichen endlich dazu übergehen, die dort abgedruckte·"Continuous Bibliography" um einem Sachindex zu ergänzen, der den mit pedagogical lexicography verbundenen Themen die ihnen gebührende Beachtung schenkt. Bielefeld Ekkehard Zöfgen Eingegangene Bücher * ALTMANN, Werner/ VENCES, Ursula (Hrsg.): Vom Lehren und Lernen. Neue Wege der Didaktik des Spanischen. Berlin: ed. tranvfa, Ver! . Frey 1999 (Theorie und Praxis des modernen Spanischunterrichts; Bd. 1), 224 Seiten. BREDELLA, Lothar/ MEißNER, Franz Joseph/ NÜNNING, Ansgar / RöSLER, Dietmar (Hrsg.): Wie ist Fremdverstehen lehr- und lernbar? Vorträge aus dem Graduiertenkolleg „Didaktik des Fremdverstehens". Tübingen: Narr 2000 (Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik), LII + 290 Seiten. (**) CENOZ, Jasone / JESSNER, Ulrike (eds.): English in Europe. The Acquisition of a Third Language. Clevedon [etc.]: Multilingual Matters 2000 (Bilingual Education & Bilingualism No. 19), xii + 271 Seiten. 11 Im "topical index" erscheint nur das Stichwort 'paradigmatic features', zu dem eine einzige Publikation genannt wird. 12 In alphabetischer Reihenfolge sind dies: Controlled strategy - Dictionary usage - Dictionary user - Empirical - Experimental studies - Looking up process - Search process -Quasi-experimental studies -Questionnaires - Strategies of dictionary use - Users' needs (experimental studies) - Users' research; Users decisions - Users' research (on the bilingualised dictionary). 13 Die Zahl der Druckfehler hält sich in Grenzen: vgl. etwa S. XVII (lexif_&raphy), S. 22 Pour un reflexion (lies: une) oder S. 99 Les ecarts culturels (lies: ecarts). * Das Sternchen(*) hinter einem Buch verweist auf den Rezensionsteil. Ein doppeltes Sternchen(**) deutet an, dass eine Besprechung für den Jahrgang 30 (2001) vorgesehen ist. lFLIIL 29 (2000) Neuerscheinungen • Eingegangene Bücher 255 DOLEZAL, Fredric Thomas/ McCREARY,DüNR.: Pedagogical Lexicography Today. A Critical Bibliography on Learners Dictionaries with Special Emphasis on Language Learners and Dictionary Use. Tübingen: Niemeyer 1999 (Lexicographica, Series maior; Bd. 96), xx + 204 Seiten.(*) EDMONDSON, Willis: Twelve Lectures on Second Language Acquisition. Foreign Language Teaching and Learning Perspectives. Tübingen: Narr 1999 (Language in Performance; Band 19), VIII+ 287 Seiten. (*) GERZYMISCH-ARBOGAST, Heidrun/ GILE, Daniel/ HOUSE, Juliane/ ROTHKEGEL, Annely (Hrsg.) [in Zusammenarbeit mit Silke Buhl]: Wege der Übersetzungs- und Dolmetschforschung. Tübingen: Narr 1999 (Jahrbuch Übersetzen und Dolmetschen Bd. L 1999), X+ 344 Seiten.(**) HENSCHELMANN, Käthe: Problem-bewußtes Übersetzen: Französisch-Deutsch. Ein Arbeitsbuch. Tübingen: Narr 1999 (Narr Studienbücher), 261 Seiten.(**) HUNEKE, Hans-Werner/ STEINIG, Wolfgang: Deutsch als Fremdsprache. Eine Einführung. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Berlin: Erich Schmidt 2000 (Grundlagen der Germanistik; 34), 252 Seiten.(**) SNELL-HORNBY, Mary/ HöNIG, Hans G. / KUßMAUL, Paul/ SCHMITT, Peter A. (Hrsg.): Handbuch Translation. Zweite, verbesserter Auflage. Tübingen: Stauffenburg 1999 (Handbücher Stauffenburg), XII+ 434 Seiten. (**) STOLZE, Radegundis: Die Fachübersetzung. Eine Einführung. Tübingen: Narr 1999 (Narr Studienbücher), 278 Seiten. (* *) WRIGHT, Sue: Community and Communication. The role of language innation state buildung and European integration. Clevedon [etc.]: Multilingual Matters 2000 (Multilingual Matters Series: 114), viii + 280 Seiten. lFILllL 29 (2000) Informationen • Nachrichten • Vorschau auf 2001 16: .. Das Dokumentationszentrum für II.~ Fremdsprachenforschung Bibliographie Moderner Fremdsprachenunterricht in neuem Gewand - und mit gesenktem Preis! Seit nunmehr 30 Jahren wird vierteljährlich die annotierte Bibliographie zum Bereich Fremdsprachenforschung und -unterricht vom IFS herausgegeben. Sie ist seither bei Lehrenden, Studierenden und Wissenschaftlern vor allem im deutschsprachigen Raum aber auch bei DaFiern in aller Welt beliebt. Ab dem Heft 1/ 2000 wird die Bibliographie Moderner Fremdsprachenunterricht nicht mehr vom Verlag für Wissenschaft und Bildung in Berlin verlegt, sondern in neuem Format an der Philipps-Universität Marburg gedruckt. Dadurch sinken die Druckkosten, so dass wir den Preis für das Abonnement von derzeit 96,- DM auf85,- DM senken können. In der heutigen Zeit wahrlich ein eher seltener Vorgang! Durch die verminderten Herstellungskosten ist es uns außerdem möglich, das jeweils in Heft I erscheinende Forschungsregister „Sprachlehrforschung und Sprachunterricht", das vom IFS für den deutschsprachigen Raum geführt wird, zu erweitern. Etwas allerdings bleibt unverändert, und zwar die Möglichkeit für Bezieher der BMF, kostenlos in der umfangreichen Datenbank des IFS Recherchen zu beliebigen Themen der Fremdsprachenforschung und Didaktik durchführen zu lassen. Die kommentierten Literaturlisten erhalten Sie wahlweise auf Diskette, als Papierausdruck oder per E-Mail. Für Bestellungen oder weitere Informationen wenden Sie sich bitte an das Informationszentrum für Fremdsprachenforschung der Philipps-Universität Marburg, Hans-Meerwein-Straße, 35032 Marburg, Tel.: 06421/ 2822141, Fax: 06421/ 2825710, E-Mail: ifs@uni-marburg.de, http: / / www.uni-marburg.de/ ifs Resolution zur Fremdsprachenausbildung an Universitäten Die Teilnehmer der 20. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts, die vom 23.-25. Februar 2000 in Rauischholzhausen stattfand, beobachten mit zunehmender Sorge Versuche, die Fremdsprachenausbildung an Hochschulen abzubauen, aus dem wissenschaftlich begründeten Ausbildungskontext auszugliedern und zu kommerzialisieren. Fachbezogene, vertiefte Kenntnisse in mehr als einer Fremdsprache gehören heute mehr denn je zu den Abschluss- und Qualifikationsprofilen in allen akademischen Ausbildungsgängen; sie stellen daher ein zentrales Studienangebot nicht nur für Studienfächer dar, das über das heute vielerorts mögliche Fremdsprachenlernen in Selbstlernzentren und die Unterstützung durch Lernberatung noch hinausgehen muss. Die Teilnehmer der 20. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts warnen mit Nachdruck vor kurzsichtigen, wenig zukunftsorientierten Eingriffen, z.B. im Zusammenhang mit Gebühren für fremdsprachliche Lernangebote. Sie plädieren mit Blick auf ein mehrsprachiges Europa und die damit einhergehende Erziehung zur Mehrsprachigkeit dafür, 1. den Studierenden aller Studienfächer ein vielsprachig angelegtes und abgestuftes Angebot vor allem an fach- und berufssprachlich angelegten Kursen, eingebunden in den Studienkontext der Hochschule, zu garantieren, 2. die Hochschulen unabhängig von der organisatorischen Regelung nicht aus der wissenschaftlichen Verantwortung für ein solches Studienangebot zu entlassen, dieses vielmehr wissenschaftlich so abzusichern, dass eine optimale studienfachspezifische und zugleich praxisorientierte Qualitätssicherung gewährleistet wird, 3. das gesamte fremdsprachliche Angebot einer Hochschule mit der wissenschaftlich abgesicherten Ausbildung von Fremdsprachenlernern im schulischen und außerschulischen Bildungsbereich systematisch zu verzahnen. Neue Buchreihe zum Spanischunterricht "Theorie und Praxis des modernen Spanischunterrichts" heißt eine neue Buchreihe, die vom Deutschen Spanischlehrerverband herausgegeben wird und deren erster Band in der edition tranvfa (Verlag Walter Frey, Postfach 30 36 26, D-10727 Berlin) erschienen ist. Diese Buchreihe will allen Spanischlehrerinnen und Spanischlehrern sowohl didaktische und methodische Vorträge von Kongressen und Tagungen als auch innovative Überlegungen und praktische Unterrichtssequenzen zu einem zeitgemäßen Spanischunterricht zugänglich machen. Der erste Band der Reihe (vgl. unter Eingegangene Bücher) enthält zwölf Vorträge, die auf dem 11. Deutschen Hispanistentag (Sektion Didaktik) in Jena im September 1997 gehalten wurden. Sie befassen sich u.a. mit der Frage, wie die Stellung des Spanischunterrichts an den deutschen Schulen verstärkt werden kann, welche Erfahrungen mit dem bilingualen deutsch-spanischen Unterricht gemacht worden sind, informieren über Anforderungen und Bedingungen von Diplomen und Zertifikaten, berichten von Entwicklungen im Bereich Spanisch an Volkshochschulen und zeigen anhand konkreter Textbeispiele, wie interkulturelles Lernen im Spanischunterricht gefördert werden kann. lFLuL 29 (2000) Informationen • Nachrichten • Vorschau Veranstaltungs- und Kongreßkalender 28. Februar bis 3. März 2001 35. Jahreskonferenz der "Teachers of English to Speakers of Other Languages" (TES0L). Rahmenthema: Gateway to the Future. Tagungsort: St. Louis Missouri. Auskunft bei: TES0L 700 South Washington Street, Suite 200, Alexandria, Virginia 22314 USA. Internet: www.tesol.edu/ 7. bis 9. März 2001 9. Göttinger Fachtagung Fremdsprachenausbildung an der Hochschule. Thema: Grammatik und Fremdsprachenunterricht. Tagungsort: Göttingen. Auskunft bei: Dr. Klaus Vogel, Sprachlehrzentrum der Georg-August-Universität, Weender Landstraße 2, 37073 Göttingen. E-mail: slzsek@gwdg.de 257 24. bis 26. Mai 2001 29. Jahrestagung des Fachverbandes Deutsch als Fremdsprache (FaDaF). Rahmenthema: Mehrsprachigkeit. (u.a. Mehrsprachigkeit im Ostseeraum, Zweit- und Drittsprachenerwerb, Ganzheitliches Sprachenlernen). Tagungsort: Kiel. Auskunft bei Geschäftsstelle FaDaF, Hüfferstr. 27, 48149 Münster. Tel.: 0251/ 8332045. Internet: www.fadaf.de 4. bis 6. Oktober 2001 19. Kongress für Fremdsprachendidaktik. Thema: Fremdsprachenunterricht auf dem Prüfstand: Innovation - Qualität - Evaluation. Tagungsort: Dresden. Auskunft bei: Prof. Dr. Bernd Voß, Institut für Anglistik/ Amerikanistik der TU Dresden, 01062 Dresden. E-mail: Voss-b@rcs.urz.tu-dresden.de Vorschau auf Jahrgang 30 (2001) von FLuL Der von RÜDIGER GR0TJAHN (Universität Bochum) koordinierte Themenschwerpunkt für Jahrgang 30 (2001) heißt „Leistungsmessung und Leistungsbewertung" und ist damit dem Thema „Evaluation fremdsprachlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten" gewidmet. Dabei geht es sowohl um den außerschulischen als auch den schulischen Kontext. Ein erster Schwerpunkt liegt im Bereich der Bewertung mündlicher Sprach- und Handlungsfähigkeit mit Hilfe des "Oral Proficiency Interview" des American Council on the Teaching of Foreign Languages und des simulierten mündlichen Interviews im „Test Deutsch als Fremdsprache" (TestDaF). In einem zweiten Schwerpunkt geht es um die europaweite Standardisierung von fremdsprachlichen Zertifizierungssystemen und der Entwicklung von Kompetenzbeschreibungen für das neue „Europäische Sprachenportfolio". Ein dritter Schwerpunkt beschäftigt sich mit aktuellen Entwicklungen im Bereich des web-basierten und des computeradaptiven Testens. Weiterhin werden aktuelle Projekte vorgestellt. wie z.B. das europäische Kooperationsprojekt ECCELLENTT ('Evaluation ofCommunicative Competence in European Language Learning Encompassing New Testing Technologies'). Bei Redaktionsschluß lagen Zusagen für folgende Beiträge vor: Rüdiger GROTJAHN (Ruhr-Universität Bochum): Computeradaptives Testen: Möglichkeiten und Grenzen. Gerhard VON DER HANDT (Deutsches Institut für Erwachsenenbildung): Sprachübergreifende Selbstevaluation des Hörverstehens im Internet mit Hilfe von DIALANG. John DE JONG (Swets Test Publishers, Niederlande): European Standards: measurement issues for certification and standardization in language testing. Werner KIEWEG (Universität München): Evaluation frem4_sprachlicher Leistungen im schulischen Kontext. Gabriele KNIFFKA (Carl Duisberg Centren Köln), Dörthe USTÜNSÖZ-BEURER (FernUniversität Hagen): Test- DaF: Mündlicher Ausdruck. Zur Entwicklung eines kassettengesteuerten Testformats. Wolf-Dieter KRAUSE, UtaSÄNDIG (Universität Potsdam): ECCELLENNT: Konzeption und Ergebnisse Michael MIIANOVIC (Cambridge, UK): The Association of Language Testers in Europe working towards a framework of European language examinations. Carsten RöVER (Dept. of Second Language Studies, University of Hawai' i at Manoa): Web-basiertes Testen fremdsprachlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten. Günther SCHNEIDER (Universität Freiburg, Schweiz): Kompetenzbeschreibungen für das „Europäische Sprachenportfolio". Erwin TSCHIRNER (Universität Leipzig): Die Bewertung mündlicher Handlungsfähigkeit: The State of the Art. Für den nicht-thematischen Teil ist u.a. vorgesehen: Franz Josef Hausmann (Erlangen): Kleine Lehre des "imparfait". Geplanter Themenschwerpunkt für Jahrgang 31 (2002): Lehrerausbildung in der Diskussion (koord. von Frank G. Königs und Ekkehard Zöfgen) FL1.IIL 29 (2000) ...._ ______ A_u_t_o_r_e_n_u_n_d_A_u_t_o_r_i_n_n_e_n_d_e_r_B_e_i_t_r_ä_g_e _____ ____.l Arbeitsgruppe Fremdsprachenerwerb Bielefeld (Dr. Karin Aguado, Klaus Blex, Heike Brand), Celia Sokolowsky, Jan Stevener), Universität Bielefeld, Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft, Fachbereich: Deutsch als Fremdsprache, Postfach 100131, 33501 BIELEFELD. Arbeitsbereiche: Fremd-/ Zweitsprachenerwerbsforschung, Methodologie empirischer Fremdsprachenforschung. Sabine Beyer, M.A., Universität Bielefeld, Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft, Fachbereich: Deutsch als Fremdsprache, Postfach 100131, 33501 BIELEFELD. Arbeitsbereiche: Deutsch als Fremdsprache, Zweitsprachenerwerb, Mehrsprachigkeit. Werner Bleyhl, Prof. Dr., Pädagogische Hochschule Ludwigsburg, Didaktik der englischen Sprache, Reuteallee 46, 71634 LUDWIGSBURG. Arbeitsbereiche: Fremdsprachendidaktik, Fremdsprachenmethodik, Spracherwerb. Michel Candelier, Prof. Dr., Universite du Maine, Faculte des Letttres, Langues et Sciences Humaines, Filiere FLE, Avenue OlivierMessiaen, F-72085 LEMANS Cedex 9, France. Arbeitsbereiche: Fremdsprachendidaktik und Fremdsprachenpolitik, Diversifizierung der Sprachen, Curriculumforschung, Multilinguale Sprachsensibilisierung in der Grundschule. Berengere Dumoulin, Doktorandin, Universite Paris VIII, UFR Communication, animation, psychanalyse, formation, education, didactique (CAPFED), departement des Sciences de l'Education, 2 rue de la liberte, F- 93526 SAINT-DENIS cedex 02, France. Arbeitsbereiche: Minderheitssprachen, Identität und Erziehung in Europa und Nordamerika. Clans Gnutzmann, Prof. Dr., TU Braunschweig, Englisches Seminar, Abt. Englische Sprache und ihre Didaktik, Bültenweg 74, 38106 BRAUNSCHWEIG. Arbeitsbereiche: Englische Grammatik und ihre Didaktik, Kontrastive Linguistik und Fehleranalyse, Fachsprachen, Fachsprachenlernen mit neuen Medien. Gert Henrici, Prof. Dr., Universität Bielefeld, Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft, Fachbereich: Deutsch als Fremdsprache, Postfach 100131, 33501 BIELEFELD. Arbeitsbereiche: Empirische Fremd-/ Zweitsprachenerwerbsforschung, Fremdsprachendidaktik. Claire-Marie Jeske, Studentin der Ruhr-Universität Bochum, Dorstener Str. 9, 44787 BOCHUM. Arbeitsbereiche: Deutsch und Spanisch für das Lehramt (Sekundarstufe I/ II). Frank G. Königs, Prof. Dr., Philipps-Universität Marburg, Lehrstuhl für Allgemeine Didaktik und Sprachlehrforschung, Informationszentrum für Fremdsprachenforschung, Hans-Meerwein-Straße, 35032 MARBURG. Arbeitsbereiche: Konzeptbildungen der Sprachlehrforschung, Psycholinguistik des Fremdsprachenerwerbs, Methoden der Fremdsprachenvermittlung, Übersetzungsdidaktik, Lehrwerkforschung, Didaktische Grammatik. Franz-Joseph Meißner, Prof. Dr., Justus-Liebig-Universität, Institut für Didaktik der Romanischen Sprachen, Fachbereich 05, Karl-Glöckner-Straße 21 G, 35394 GIESSEN. Arbeitsbereiche: Didaktik der Mehrsprachigkeit, Sprachenpolitik, Psycholinguistik des Fremdsprachenerwerbs, Pädagogische Lexikographie, Geschichte des Fremdsprachenunterrichts. Albert Raasch, Prof. Dr. (em.), Universität des Saarlandes, Lehrstuhl für Angewandte Linguistik und Sprachlehrforschung, Romanistisches Institut, D-66123 SAARBRÜCKEN. Arbeitsbereiche: Fremdsprachen in der Erwachsenenbildung, Sprachtests, Pragmalinguistik, Sprachenpolitik. Inge Christine Schwerdtfeger, Prof. Dr., Ruhr-Universität Bochum, Seminar für Sprachlehrforschung (Deutsch als Fremdsprache/ Deutsch als Zweitsprache), Postfach 102148, 44801 BOCHUM. Arbeitsbereiche: Erkenntnistheorie der Sprachlehrforschung, Narrative Didaktik, "Cultural Studies", Medien. IFLuL 29 (2000) Autoren/ Autorinnen der Beiträge 259 Carlo Serra Borneto, Prof. Dr., Universita di Roma I "La Sapienza", Seminario di Germanistica, Via Carlo Fea 2, 00161 ROMA. Arbeitsbereiche: Kognitive Linguistik, Psychologische Aspekte der Lemersprache, Methodik des Fremdsprachenunterrichts. Eike Thürmann, Dr. phil., Landesinstitut für Schule und Weiterbildung, Paradieser Weg 64, 59494 SOEST. Arbeitsbereiche: Curriculumforschung, Lehrplanentwicklung, Schulversuche für den Fremdsprachenunterricht und für den Muttersprachenunterricht mit Kindern und Jugendlichen, die in ihren Familien mehrsprachig aufwachsen. Dieter Wolff, Prof. Dr., Bergische Universität-Gesamthochschule Wuppertal, Fachbereich 4: Anglistik, Gaußstr. 20, 42097 WUPPERTAL. Arbeitsbereiche: Angewandte Linguistik, Psycholinguistik, Neue Technologien. FLuL 29 (2000) Fremdsprachendidaktik Karl-Richard Bausch/ Herbert Christ/ Frank G. Königs/ Hans-Jürgen Krumm (Hrsg.) Interaktion im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen Arbeitspapiere der 20. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik, 2000, 296 Seiten, DM 58,-/ ÖS 423,-/ SFr 55,- ISBN 3-8233-5308-X Die 20. Frühjahrskonferenz stellte einen Begriff zur Diskussion, der ursprünglich aus den Sozialwissenschaften stammt, in den vergangenen beiden Jahrzehnten aber zunehmend von den Disziplinen, die sich um die Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen bemühen, auf ihren Gegenstand bezogen benutzt wurde. Der Band enthält 35 Statements der Teilnehmer, die der Konferenz vorlagen und dort diskutiert wurden. Sie geben einen guten Überblick über den Stand der Diskussion zum Thema in der Fremdsprachendidaktik und der Sprachlehrforschung. Aus Anlass der 20. Veranstaltung und des damit verbundenen Jubiläums der "Frühjahrskonferenzen" haben Gudula List und Jürgen Quetz historische Rückblicke auf die Konferenz verfaßt. Die beiden Essays sind ebenfalls abgedruckt. Lothar Bredella / Herbert Christ / Michael K. Legutke (Hrsg.) Fremdverstehen zwischen Theorie und Praxis Arbeiten aus dem Graduierten- Kolleg "Didaktik des Fremdverstehens" Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik, 2000, ca. 380 Seiten, ca. DM 68,-/ ÖS 496,-/ SFr 65,- ISBN 3-8233-5310-1 Das Giessener Graduierten-Kolleg "Didaktik des Fremdverstehens" legt in diesem Band Arbeiten von Kollegiatinnen und Kollegiaten aus seinem dritten Arbeitsabschnitt (1998- 2000) vor. Die Arbeiten sämtlich hervorgegangen aus den individuellen Forschungsprojekten der Kollegiaten bewegen sich zwischen den Polen Theorie und Praxis des Fremdverstehens beim Lehren und Lernen fremder Sprachen. Es finden sich darunter Arbeiten zur Literaturdidaktik, zur Begegnungsdidaktik, zum Einsatz neuer Medien, aber auch solche zur politischen und historischen Dimensionierung des Fremdverstehens. Gunter Narr Verlag Tübingen Postfach 25 67 · D-72015 Tübingen• Fax (0 7071) 7 52 88 Jg. 16 (1987): Jg. 17 (1988): Jg. 18 (1989): Jg. 19 (1990): Jg. 20 (1991): Jg. 21 (1992): Jg. 22 (1993): Jg. 23 (1994): Jg. 24 (1995): Jg. 25 (1996): Jg. 26 (1997): Jg. 27 (1998): Jg. 28 (1999): Jg . 29 (2000): Jg. 30 (2001): Jg. 31 (2002): Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL) Themenschwerpunkte (1987-2002)* Wortschatz und Wortschatzlernen (hrsg. von Ekkehard Zöfgen) [*] Übersetzung und Übersetzen (hrsg. von Ekkehard Zöfgen) [*] Historische Sprachstufen (hrsg. von Kurt Otto Seidel) Fachsprachen und ihre Vermittlung (hrsg. von Gert Henrici und Ekkehard Zöfgen) Grammatik und Grammatiklernen (hrsg. von Ekkehard Zöfgen) Idiomatik und Phraseologie (hrsg. von Ekkehard Zöfgen) Fehleranalyse und Fehlerkorrektur (koord. von Gert Henrici und Ekkehard Zöfgen) Wörterbücher und ihre Benutzer (koord . von Ekkehard Zöfgen) Kontrastivität und kontrastives Lernen (koord. von Claus Gnutzmann) Innovativ-alternative Methoden (koord. von Gert Henrici) Language Awareness (koord. von Willis J. Edmondson und Juliane House) Subjektive Theorien von Fremdsprachenlehrern (koord. von lnez De Aorio-Hansen) Neue Medien im Fremdsprachenunterricht (koord. von Erwin Tschimer) Positionen (in) der Fremdsprachendidaktik (koord. von Frank G. Königs) Leistungsmessung und Leistungsbewe rtung (koord. von Rüdiger Grotjahn) [i.V.] Lehrerausbildung in der Diskussion [geplant] * Bis Jg . 15 (1986) einschließlich wurde die Zeitschrift unter dem Titel Bielefelder Beiträge zur Sprachlehrforschung vertrieben. Die mit[*] gekennzeichneten Hefte sind vergriffen. Hinweise zu Beiträgen für FLuL FLuL begrüßt Beiträge zu Forschung und Unterricht aus allen für den Fremdsprachenunterricht an der Hochschule relevanten Bereichen sowie zum Fremdsprachenlehren/ -lernen im Ausland . Grundlage für jeden Beitrag sollte eine ausreichende wissenschaftliche Fundierung mit unmittelbarer oder mittelbarer Relevanz des Gegenstandes für die fremdsprachenunterrichtliche Tätigkeit an der Hochschule sein. Beiträge, die den schulischen Fremdsprachenunterricht zusätzlich zur Reflexionsgröße erheben, sind gleichermaßen willkommen. Umfang/ Sprache: Die Beiträge können auf Deutsch, Englisch, Französisch oder Spanisch abgefaßt sein ; sie sollten 15 Druckseiten ("' 45 000 Zeichen) nicht überschreiten. Einzelheiten zur Gestaltung der Manuskripte sind dem ausführlichen 'style sheet' zu entnehmen, das bei der Redaktion angefordert werden kann. Manuskripte und Zuschriften erbeten an: Redaktion FLuL • Universität Bielefeld Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft • Postfach 1001 31 • 33501 Bielefeld E-mail: Ekkehard.Zoefgen@Uni-Bielefeld.de Neuerscheinungen Peter J. Brenner Das Problem der Interpretation Eine Einführung in die Grundlagen der Literaturwissenschaft 1998. V, 387 Seiten. Kart. DM 48.- / ÖS 350.- / SFr 44.50. ISBN 3-484-22058-9 (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft. Band 58) »Das Problem der Interpretation«gibt eine Einführung in di_e Grundlagenfragen der Literaturwissenschaft vor dem Hintergrund ihrer Herausforderung durch die Postmoderne. Die aktuellen Theoriekonzepte werden zusammenhängend vorgestellt, diskutiert und in theorie-, wissenschafts- und sozialgeschichtliche Entwicklungen eingeordnet. Dabei werden Problemstellungen, Voraussetzungen und Verfahren von Literaturwissenschaft sichtbar, die auch für die aktuelle Diskussion unverzichtbar sind. Hans Lösener Der Rhythmus in der Rede Linguistische und literaturwissenschaftliche Aspekte des Sprachrhythmus 1999. IX, 251 Seiten. Kart. DM 48.- / ÖS 350.- / SFr 44.50. (ISBN 3-484-22059-7 (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft. Band 59) Der traditionelle Rhythmusbegriff mit seiner Gleichsetzung von Rhythmus und Metrum führt zu einer Trennung des Rhythmus vom Sinn, vom Subjekt und von der Sprache überhaupt. Dies belegt die Rhythmusdiskussion der Metrik (z. B. bei Heusler) und verschiedene linguistische Rhythmuskonzeptionen, die im ersten Teil der Arbeit untersucht werden. Im zweiten Teil werden ausgehend von dem Rhythmusbegriff von Henri Meschonnic, der anknüpfend an die vorplatonische Bedeutung des Wortes, den Rhythmus als die jeweilige Gestaltung des Sinns in der Rede begreift, drei Texte (Goethe, Benn, Grimm) in Hinblick auf die semantische Funktionsweise des Rhythmus analysiert. Peter Auer Sprachliche Interaktion Eine Einführung anhand von 22 Klassikern 1999. VTI, 282 Seiten. Kart. DM 39.80 / ÖS 291.-/ SFr 37.-. ISBN 3-484-22060-0 (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft. Band 60) Dieses Buch gibt anhand von 22 Autoren und 22 ihnen zugeordneten Begriffen einen Überblick über das heute vorhandene Grundlagenwissen zur sprachlichen Interaktionsanalyse. Die Auswahl der Autoren umfaßt neben Linguisten auch Klassiker der Soziologie, der Kulturtheorie und der Sprachphilosophie; dazu kommen wichtige Autoren aus jüngerer Zeit. Trotz dieser interdisziplinären Orientierung bleibt der Bezug auf sprachwissenschaftliche Fragestellungen erhalten. Das Spektrum der Grundbegriffe umfaßt Konzepte wie ,Handeln" ,Sprechakt" ,Kultur<, ,Intertextualität" ,Subjektivität" ,Performanz, und ,Gattung,. Ingwer Paul Praktische Sprachreflexion 1999. IX, 289 Seiten. Kart. DM 76.- / ÖS 555.- / SFr 69.-. ISBN 3-484-22061-9 (Konzepte der Sprach-und Literaturwissenschaft. Band 61/ Ausgehend von der Annahme, daß das Wie des Reflektierens entscheidenden Einfluß auf das Was des Wissens hat, unternimmt die Arbeit den Versuch einer mikroanalytischen Rekonstruktion des praktischen Reflexionspotentials von Gesprächsteilnehmern. Schwerpunkte der Analyse liegen in drei Bereichen: 1. Standardsituationen der Alltagskommunikation (z.B. Grußsequenzen, Mutter-Kind- Interaktion), 2. Unterrichtskommunikation (Grammatikunterricht, Rollenspiel), 3. Ost- Westkommunikation (Tagungsgespräche, Talkshows). Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, daß das Sprachbewußtsein der Sprecher als Produkt heterogener Reflexionsformen nicht zufällig, sondern systematisch von linguistischen Erkenntnissen abweicht. Max Niemeyer Verlag Max Niemeyer Verlag GmbH • Postfach 2140 • 72011 Tübingen Tel 07071-989494 · Fax 989450 • E-mail order@niemeyer.de ISSN 0932-6936 ISBN 3-8233-4588-5