Fremdsprachen Lehren und Lernen
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Narr Verlag Tübingen
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2002
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Gnutzmann Küster SchrammFremdsprachen Lehren und Lernen Herausgegeben von Gen Iienrici Frank G Kö . d Ekkehard 2öfgen ' · n1gs un Themenschwerpunkt: • der Diskussion L hrerausbildun~ ID d Ekkehard Zöfgen e kG Kömgsun Fran · - ____ _ koordiniert von - ~ Gunter Narr Verlag Tübingen Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL) Zur Theorie und Praxis des Sprachunterrichts an Hochschulen Herausgeber: Gert Henrici (Bielefeld) · Frank G. Königs (Marburg) • Ekkehard Zöfgen (Bielefeld) Manuskripte und Zuschriften erbeten an: Redaktion FLuL, Prof. Dr. Ekkehard Zöfgen, Universität Bielefeld, Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft, Postfach 10 01 31, 33501 Bielefeld E-mail: Ekkehard .Zoefgen@Uni-Bielefeld.de Rezensionsexemplare erbeten an: Prof. Dr. Frank G. Königs, Philipps-Universität Marburg, Informationszentrum für Fremdsprachenforschung, Hans-Meerwein-Straße, 35032 Marburg/ Lahn E-mail: Koenigs @mailer. Uni-Marburg.de Beratende Mitarbeit: Jens Bahns (Kiel) · Hans Barkowski (Jena) · Rupprecht S. Baur (Essen) • Wolfgang Bömer (Hamburg) · Claus Gnutzmann (Braunschweig) · Franz Josef Hausmann (Erlangen) · Manfred Raupach (Kassel) Fremdsprachen Lehren und Lernen erscheint einmal jährlich mit einem Umfang von ca. 240 Seiten. Das Jahresabonnement kostet € 42,- (zuzügl. Postgebühren) . Vorzugspreis für private Lese r€ 34,- (zuzügl. Postgebühren/ Lieferung und Rechnung an Privatadresse), sofern sie dem Verlag schriftlich mitteilen, daß sie die Zeitschrift ausschließlich für den persönlichen Gebrauch beziehen. Erfolgt keine Abbestellung bis zum 15. November, so verlängert sich das Abonnement automatisch um ein Jahr. ©2002 · Gunter Narr Verlag· Tübingen Die in der Zeitschrift veröffe ntlichten Beiträge sind urheberrec htlic h geschützt. Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen , vorbehalten. Kein Teil di eser Zeitschrift darf o hne sc hriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form durch Fotokopie, Mikrofilm oder andere Verfahren reproduziert oder in eine von Maschin en, in sbesondere von Datenverarbeitungsanlagen, verwendbare Sprache übertragen werden. Auch die Rechte der Wiedergabe durch Vortrag , Funk- und Fernsehsendung, in Magnettonverfahren oder auf ähnlichem Wege bleiben vorbehalten. Fotokopien für den persö nlichen und sonstigen eigenen Gebrauch dürfen nur von einzelnen Beiträgen oder Teilen daraus als Einzelkopien hergestellt werden. Jede im Bereich e ines gewerblichen Unternehmens hergestellte oder benutzte Kopie dient gewerbliche n Zwecken gern. § 54 (2) UrhG und verpflichtet zur Gebührenzahlung an die VG WORT, Abteilung Wissenschaft, Goethestraße 49, 80336 München, vo n der die einzelnen Zahlungsmodalitäten zu erfragen sind. Gedruckt mit Unterstützung der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld. Druck: Laupp & Göbel , Nehren Bindung: Nädele, Nehren Printed in Germany ISSN 0932-6936 ISBN 3-8233-4590-7 Gunter Narr Verlag · Postfach 25 67 · D-72015 Tübingen Ekkehard Zöfgen Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 3 Konrad Schröder Lehrerausbildung in der Diskussion 10 Frank G. Königs Sackgasse oder Verkehrsplanung? Perspektiven für die Ausbildung von Fremdsprachenlehrern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Ingeborg Christ Die Ausbildung von Lehrkräften für Fremdsprachen und bilingualen Unterricht in der Sicht der Kultusverwaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Sigrid Vogel Ein verblassender Mythos: Der philologische Fremdsprachenunterricht oder: Was man aus dem europäischen Sprachenportfolio für die Fremdsprachenlehrerausbildung lernen könnte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 FLuL im Gespräch mit Erdmute Pickerodt- Uthleb „Zur fachlich adäquaten didaktisch angemessenen Reduktion befähigen und intensiver beraten auf allen Ebenen". Interview mit der Leiterin des Gymnasiums Philippinum Marburg zum Thema Lehrerausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Frauke Stübig Reicht kommunikative Kompetenz allein? Über den Zusammenhang von Fremdsprachen Lehren und Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 Reinhold Freudenstein Ein Modell für Europa: Muttersprachler an die Front ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 Rupprecht S. Baur, Marta Kis Lehrerausbildung in Deutsch als Fremdsprache und Deutsch als Zweitsprache .. 123 (Fortsetzung umseitig) Marita Schocker-V. Ditfurth Forschendes Lernen in der Fremdsprachenlehrerausbildung. Erfahrungen mit einem multiperspektivischen Ansatz ............................... 151 Jens Bahns Stationenlernen im Fremdsprachenlehrerstudium auch im fachwissenschaftlichen Hauptseminar ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Christoph Edelhoff Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer in den Neueren Sprachen ........... 185 Manfred Overmann Handlungs- und partnerorientierte Lehrerfortbildung aus konstruktivistischer Sicht. Thema: « Comment enseigner avec Internet? » . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Dieter Seelbach Kollokationen und expressionsfigees .................................. 219 LANGENSCHEIDTS Großes Schulwörterbuch Französisch-Deutsch. Deutsch-Französisch. Berlin [usw.]: Langenscheidt 2001 (Ekkehard Zöfgen) ......................... 247 PONS Lexiface professional. Elektronisches Wörterbuch Deutsch-Französisch, Französisch-Deutsch. CD-ROM. Stuttgart: Klett 2001 (Ekkehard Zöfgen) . . . . . . . . . . . 250 Frank G. KÖNIGS (Hrsg.): Impulse aus der Sprachleh,forschung. [...]. Tübingen: Narr 2001 (Adelheid Hu) ............................................. 253 Mathilde HENNIG unter Mitarbeit von Carsten HENNIG: Welche Grammatik braucht der Mensch? [ ...] München: iudicium 2001 (Claus Gnutzmann) ..................... 255 Käthe HENSCHELMANN: Problem-bewußtes Übersetzen: Französisch-Deutsch. [...]. Tübingen: Narr 1999 (Bernd Stefanink) ................................... 257 Gisela THOME, Claudia GIEHL, Heidrun GERZYMISCH-ARBOGAST (Hrsg.): Kultur und Übersetzung. [...]. Tübingen: Narr 2002 (Bernd Stefanink) ...................... 260 Stephan GRAMLEY: The Vocabulary of World English. London: Arnold & New York: O.U.P. 2001 (Manfred Markus) ......................................... 262 Thorsten SCHLAK: Adressatenspezifische Grammatikarbeit im Fremdsprachenunterricht. [...]. Hohengehren: Schneider Verlag 2000 (Claus Gnutzmann) .............. 264 Marcel PERENNEC: Elements de traduction comparee franqais-allemand. Paris: Nathan 1993 (Bernd Stefanink) ............................................... 267 Eingegangene Bücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 lFL1UllL 31 (2002) Lehrerausbildung in der Diskussion Ekkehard Zöfgen Zur Einführung in den Themenschwerpunkt In der deutschen Bildungsgeschichte hat die Lehrerbildung vom frühen 19. Jahrhundert bis in die jüngste Zeit unzählige Male im Blickpunkt des öffentlichen Interesses gestanden. Kritische Aufmerksamkeit wurde ihr immer dann zuteil, wenn Mängel am Schulwesen konstatiert bzw. Diskrepanzen zwischen gesellschaftlichen Ist-Zuständen einerseits und Zielen sowie Inhalten der schulischen Ausbildung andererseits festgestellt wurden. Daß der Ruf nach einer grundlegenden Reform der Lehrerausbildung dieses Mal besonders laut erschallt, hängt ursächlich mit den vielzitierten, für Deutschland wenig schmeichelhaften Ergebnissen der PISA-Studie zusammen, die folgerichtig nicht nur Bildungspolitiker auf den Plan rief, sondern die auch in den Medien lebhafte Diskussionen über offenkundige Defizite im Bildungswesen auslöste. Für das schlechte Abschneiden deutscher Schüler, das sich auch im internationalen Vergleich (etwa durch die TIMSS-Studie 1995 und 1999) bestätigt, wird dabei in erster Linie die universitäre Lehrerausbildung verantwortlich gemacht. In der Tat deutet vieles darauf hin, daß Lehrer zwar durchaus über eine entsprechende Fachkompetenz verfügen, daß jedoch ihre didaktischen, pädagogischen und diagnostischen Fähigkeiten den an sie gestellten Anforderungen nicht genügen. Auf den Fremdsprachenunterricht, der bekanntlich nicht Gegenstand der Erhebungen war, können die erwähnten Befunde nicht so ohne weiteres übertragen werden. Dennoch lassen die Empfehlungen des Terhart-Gutachtens für die Kultusministerkonferenz 1 keinen Zweifel daran, daß auch dieser Bereich dringend reformbedürftig ist. Besonders nachdenklich sollte in diesem Zusammenhang die Tatsache stimmen, daß nach der in Tenorth 2 abgedruckten Expertise im Oberstufenunterricht.fluency, pragmatic apppropiateness und cultural adequacy eine untergeordnete Rolle spielen und daß hier offensichtlich Fremdsprachenlehrer am Werk sind, die während ihrer Ausbildung nicht bzw. in ungenügendem Maß die erforderlichen kommunikativen Fertigkeiten sowie das notwendige interkulturelle Wissen erworben haben (so Schröder in diesem Band, S. 13 f). Dies sind bei weitem nicht die einzigen Herausforderungen, vor denen wir angesichts tiefgreifender (gesellschafts-)politischer, pädagogischer und inhaltlicher Veränderungen stehen. Richtig ist vielmehr, daß sich der Fremdsprachenunterricht in einer Phase des Ewald TERHART: Perspektiven der Lehrerbildung in Deutschland. Abschlussbericht der von der Kultusministerkonferenz eingesetzten Kommission. Weinheim: Beltz 2000. 2 Heinz-Elmar TENORTH (Hrsg.): Kerncurriculum Oberstufe. Mathematik-Deutsch- Englisch. Expertisen im Auftrag der Ständigen Konferenz der Kultusminister. Weinheim/ Basel: Beltz 2001. ]F]Lw., 31 (2002) 4 Ekkehard Zöfgen Umbruchs befindet, der nicht nur seine Organisationsstruktur, sondern auch seine Ziele und Inhalte sowie die methodischen Verfahren betrifft und der mit Stichworten wie frühes Fremdsprachenlernen, Erziehung zur Mehrsprachigkeit, Englisch als lingua franca, bilingualer Sachfachunterricht, lebenslanges Lernen von Fremdsprachen, interkulturelle Handlungskompetenz, Lernerautonomie, offene Formen des Unterrichts (Projektarbeit, fächerübergreifendes Arbeiten), Neue Medien, Verankerung internationaler Standards und Evaluationsverfahren um nur einige zu nennen grob charakterisiert ist. 3 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie die Fremdsprachenlehrerausbildung auf solche und ähnliche Entwicklungen etwa auch die, die sich aus der europäischen Integration ergeben angemessen reagieren kann und inwieweit diese bei Überlegungen zu einem neuen, zugegebenermaßen recht anspruchsvollen Kompetenzprofil für zukünftige Fremdsprachenlehrer Berücksichtigung finden. Nicht unerwähnt bleiben darf an dieser Stelle, daß es in Zeiten verstärkter Nachfrage nach professionell ausgebildeten Lehramtsanwärtern auch seitens der Kultusverwaltungen verschiedener Bundesländer Initiativen gibt, das Lehrerstudium neu zu ordnen: die Versuche, eine Neugliederung der akademischen Studien nach angelsächsischem Vorbild im Rahmen gestufter und konsequent modular organisierter (Bachelor- und Magister-) Studiengänge durchzusetzen, zielen allerdings primär darauf, internationale Vergleichbarkeit herzustellen und die (relativ teure) universitäre Lehrerbildung ökonomischer zu gestalten. Zwei kaum miteinander vereinbare Positionen stehen sich dabei gegenüber: Nordrhein-Westfalen favorisiert ein „additives Modell", dem tendenziell ein „polyvalentes Konzept" zugrunde liegt, bei dem zunächst (und d.h. bis zum Bachelor-Abschluß) fachwissenschaftliche Inhalte ohne jeden klar konturierten Berufsbezug studiert werden, denen dann im zweiten Ausbildungsabschnitt massive fachdidaktische und erziehungswissenschaftliche Komponenten ohne die unverzichtbare Verflechtung mit der fachlichen Basis aufgepfropft werden. Demgegenüber setzt das rheinland-pfälzische „Reformkonzept für die Lehrerbildung" von Beginn an auf die enge Verzahnung von fachwissenschaftlichen, fachdidaktischen und erziehungswissenschaftlichen Studienanteilen; eine (häufig als zu spät kritisierte) Differenzierung bzw. Spezialisierung nach Schulformen sowie eine außerschulische Berufsfelder in den Blick nehmende Öffnung der Studien und Schwerpunktsetzung ist vom dritten Studienjahr an vorgesehen. - Das vorliegende Heft von FluL trägt der in dieser Skizze hinreichend deutlich gewordenen Aktualität und Wichtigkeit der Thematik Rechnung. Bei der Auswahl der Beiträge stand das Bemühen im Vordergrund, nicht nur möglichst viele Aspekte des gesamten Problemkreises zu beleuchten, sondern auch 'Betroffene' aus allen Phasen der Lehrerbildung zu Wort kommen zu lassen. Im ersten Themenblock, in dem Fragen einer Reform der Lehrerbildung in ihrer ganzen Breite angesprochen werden und demzufolge auch historische Aspekte nicht ausgespart bleiben, sind dies neben Vertretern der Hochschule (Konrad Schröder, Augsburg und Frank G. Königs, Marburg) Ingeborg Christ (Düsseldorf) als Repräsentantin 3 Viele der hier erwähnten Forschungsentwicklungen sind im Thementeil des Jahrgangs 29 (2000) von FluL koordiniert von Frank G. Königs ausführlich behandelt. lFLIIL 31 (2002) Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 5 der Kultusverwaltung sowie zwei Stimmen, die ihre Sicht der Dinge aus schulischer Perspektive darlegen, nämlich Sigrid Vogel in ihrer Funktion als Leiterin des Studienseminars Göttingen für das Lehramt an Gymnasien und Erdmute Pickeroth-Uthleb, Leiterin des Gymnasiums Philippinum Marburg. Bei aller Unterschiedlichkeit der Standpunkte, Akzentsetzungen und Bewertungen im Detail gibt es weitgehende Übereinstimmung vor allem in folgenden Punkten: • "Philologielastigkeit" des Studiums: Daß Inhalte und Methoden in überproportionalem Maße von den philologischen Disziplinen bestimmt werden und daß eine Anpassung an die Bedürfnisse „einer professionalisierten Berufstätigkeit" (Schröder in diesem Band, S. 18) bislang bestenfalls in Ansätzen stattgefunden hat, ist natürlich historisch begründet. Die unausweichlichen Folgen einer solchen unzeitgemäßen Ausrichtung des Studiums sind u.a. fehlender Berufs- und Praxisbezug sowie mangelnde Vorbereitung darauf, wie man als Lehrer mit Konflikten in einer Klasse umgeht bzw. sie schlichtet. 4 '• Ausweitung der fachdidaktischen Anteile: Wenn die Universität ihren Ausbildungsauftrag wirklich ernst nimmt, dann darf sie das Berufsfeld künftiger Lehrer nicht länger in den Studiengängen ausblenden. Die damit verbundene Neupositionierung würde vor allem bedeuten, daß es vorrangig darum ginge, Lehramtsanwärter zu „Experten des Lernens" (Vogel in diesem Band, S. 69) auszubilden, die auch dazu befähigt sind, ihren eigenen Sprachlernprozeß zu beobachten und kritisch zu reflektieren. Möglich wäre dies allerdings nur durch eine spürbare Erhöhung der fachdidaktischen ggf. auch der erziehungswissenschaftlichen - Studienelemente, die in aller Regel weit unterbewertet und im übrigen auch schlecht in die fachwissenschaftlichen Anteile integriert sind. • Aufrechterhaltung eines relativ hohen fachwissenschaftlichen Standards: Der große Zeitraum von immerhin neun Jahren verlangt insbesondere vom Gymnasiallehrer ein breitgefächertes fachliches Wissen. Eine Verringerung der fachlichen Studienanteile steht deshalb auch nicht zur Debatte. Die in allen Gutachten erhobene Forderung nach mehr Fachdidaktik steht dazu keineswegs im Widerspruch. Vielmehr 1 ist die Bildungspolitik aufgerufen, sich über eine Erhöhung des in der Regelstudienzeit zu absolvierenden Stundenvolumens Gedanken zu machen (vgl. dazu Königs in diesem Band, S. 25). • nativnahe Kompetenz in der Zielsprache: Grundvoraussetzung für Lehrende einer Fremdsprache ist die einwandfreie Beherrschung der zu vermittelnden Sprache (near nativeness). Dies impliziert eine fühlbare Aufwertung (und zwar sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht) der so genannten Sprachpraxis, die meistens mit dem akademischen Makel des Unwissenschaftlichen behaftet ist. Lehrveranstaltungen 4 Die Argumente sind nicht neu und erinnern fatal an die zu Beginn der 70er Jahre geführte Debatte um eine Professionalisierung der (Fremdsprachen)Lehrerbildung. Früh war man seinerzeit zu der Einsicht gelangt, "daß eine berufsorientierte, den veränderten Anforderungen an Qualität und Differenziertheit genügende Lehrerausbildung nicht in den Strukturen der traditionellen Philologien zu leisten sei [...]" (Ekkehard Zöfgen: "Sprachlehrforschung- Eine neue Wissensdisziplin? " In: Bielefelder Beiträge zur Sprach/ eh,forschung 11.1 (1982), 6. lFLILillL 31 (2002) 6 Ekkehard Zöfgen zur Sprachbeherrschung sollten sich an den Kompetenzstufen des Europäischen Referenzrahmens orientieren, woraus zwangsläufig folgt, daß die Rolle der traditionellen Übersetzungskurse gründlich überdacht werden muß. Unter solchen Vorzeichen gehört ein längerer Auslandsaufenthalt natürlich zu den unverzichtbaren Bestandteilen des Studiums. • Neugestaltung des Theorie-Praxis-Verhältnisses: Die Forderung nach verstärkter „Praxisberührung schon während der ersten Ausbildungsphase" (Schröder in diesem Band, S. 16) ist nicht neu. Quantitativ gesehen sind schulpraktische Studien im bisherigen Umfang nur der berühmte 'Tropfen aus den heißen Stein'; in qualitativer Hinsicht ist wie empirische Analysen belegen der Spielraum für Verbesserungen bei weitem nicht ausgeschöpft. Unabhängig davon müssen Theorie und Praxis allerdings auch hinsichtlich der Ausbildungsinhalte besser aufeinander abgestimmt werden. Das häufig beklagte Fehlen von „integrativen Ausbildungselementen" (Königs in diesem Band, S. 30) ist dafür ein sicheres Indiz. • Kerncurricula: Die Lehrpläne der meisten philologischen Fächer zeichnen sich durch große 'Offenheit' aus. Nicht einmal innerhalb eines Bundeslandes kann davon ausgegangen werden, daß vergleichbare oder gar für die spätere Unterrichtstätigkeit wesentliche Inhalte Gegenstand der Ausbildung sind. So problematisch deshalb eine Funktionalisierung der Ausbildungsinhalte und d.h. ihre konsequente Ausrichtung an den Bedürfnissen des späteren Berufsfeldes in dem einen oder anderen Fall auch sein mag, so unumstritten ist die Notwendigkeit von l<.erncurricula,. die verbindliche (Mindest-) Standards festschreiben und die einen Grundstock an Ausbildungselementen enthalten, auf dem z.B. auch die zweite Ausbildungsphase aufbauen kann. • Verzahnung von erster und zweiter Ausbildungsphase: In der seit Ende der 60er Jahre geführten kontroversen Diskussion um eine Reform der Lehrerausbildung fehlt selten der Hinweis darauf, daß Universität und Studienseminar (bzw. Schule) besser zusammenarbeiten müßten. Dies sei u.a. dadurch zu verwirklichen, daß die Ausbildungsinhalte vor allem fachdidaktischen Zuschnitts aufeinander abgestimmt würden. Bislang ist dies nicht in dem gewünschten Maße geschehen. Mit der angestrebten institutionellen Verzahnung sowie der Einführung von schulpraktischen Studien von Beginn des Studiums an läßt sich diese Kluft vielleicht überwinden. Ergebnis einer solchen intensiven und systematischen Kooperation könnten sein: gemeinsame Lehrveranstaltungen zur Vorbereitung und Auswertung der Praktika, Gedankenaustausch zwischen Fachdidaktikern und Ausbildern in der zweiten Phase (vgl. dazu Pickeroth- Uthleb in diesem Band, S. 82 f). Vorstellungen dieser Art lassen sich natürlich nicht in gestuften Studiengängen realisieren, in denen das enge Miteinander von Fachdidaktik und Fachwissenschaft aufgelöst ist zugunsten einer Desintegration dieser beiden zusammengehörigen Komponenten. Eine entsprechend klare Absage wird deshalb auch allen Versuchen erteilt, die Lehrerbildung in Form von Bachelor- und Masterstudiengängen neu zu organisieren und damit die Ausbildung noch stärker vom schulischen Zusammenhang abzukoppeln. Insofern ist der nordrhein-westfälische Sonderweg als „grobe (und traurige) Fehlentwicklung" (Schröder lFLlllL 31 (2002) Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 7 in diesem Band, S. 20) zu bezeichnen, an dessen Ende so die Kritik des Essener Bildungsforschers Klaus Klemm - "Schmalspurpädagogen" stehen. 5 In diesen wenigen Anmerkungen kommt bereits die Überzeugung zum Ausdruck, daß sich vieles in der traditionellen Lehrerausbildung durchaus bewährt hat; anderes bedarf dagegen der Überprüfung und punktuell auch der radikalen Veränderung. Insgesamt gesehen geht es also weniger um eine Neuordnung von Grund auf als vielmehr um die „Weiterentwicklung des Bestehenden" (Christ in diesem Band, S. 60). Wie weit die Ansichten über Art und Ausmaß einer Erneuerung des Fremdsprachenunterrichts dabei im Einzelfall dennoch auseinandergehen, zeigen die Beiträge des zweiten Themenblocks. Für Frauke Stübig (Kassel) steht die Stärkung der erziehungs- und gesellschaftswissenschaftlichen Professionalität von Lehrern im Vordergrund. Zweifelhaft sei, daß der Erwerb von kommunikativer Kompetenz bereits einen Beitrag zur allgemeinen Bildung darstelle. Im Fremdsprachenunterricht gehe es in erster Linie um die Konfrontation mit der fremden Kultur, um Fremd- und Selbstverstehen. In diesem Sinne müsse die Inhaltsfrage in den Fremdsprachen neu durchdacht werden. Ganz anders dagegen Reinhold Freudenstein (Marburg), der entschieden bestreitet, daß die Ausbildungspraxis durch Anpassungen historisch gewachsener Strukturen an veränderte gesellschaftliche Bedingungen wirklich verbessert werden könne. Eine grundlegende Erneuerung so die bekannte These des Autors sei nur dadurch zu erreichen, daß wir uns vom Leitbild des Philologen als Sprachlehrer freimachen und das Lehren und Lernen denen überlassen, die am besten dafür geeignet sind, Sprachen als Mittel der Kommunikation zu vermitteln. An diversen Beispielen wird verdeutlicht, warum ein entsprechend ausgebildeter Muttersprachler ein geradezu idealer Helfer in diesem Prozeß ist und welche Postulate für ein neues Ausbildungskonzept sich daraus ableiten. Ganz gleich, wie radikal die Vorschläge zur Reform der Lehrerausbildung auch ausfallen mögen eines steht fest: Wir müssen endlich dazu kommen, länderübergreifende Standards zu definieren. Wie berechtigt Forderungen nach einem gemeinsamen Sockel (insbesondere für die fremdsprachlichen Studiengänge) sind, zeigt die sorgfältig zusammengestellte Übersicht zu den bundesweiten Studienangeboten in den Fächern DaF/ DaZ durch Rupprecht S. Baur und Marta Kis (Essen). Die Analyse der Studieninhalte, die jeweils abgedeckt werden, unterstreicht, wie disparat die Anforderungen an künftige Fremdsprachenlehrer im Hinblick auf obligatorische Studienanteile und Stundenvolumina sind und wie weit wir trotz einer beeindruckenden inhaltlichen und thematischen Vielfaltvon entsprechenden Standards in der universitären Lehrerbildung entfernt sind. Es ist bereits mehrfach angeklungen, daß das Lernen (von Sprachen) u.a. aufgrund neuer referenzwissenschaftlicher Erkenntnisse und des damit verbundenen Wechsels in der Perspektive einem beständigen Wandel unterworfen ist, der nicht zuletzt in der Erarbeitung neuer Lehrwerke seinen sichtbaren Ausdruck findet. 6 Zeitgemäße Aus- Zitiert in: UniSPIEGEL Nr. 5/ 2001 vom 25. Oktober 2001. 6 Ein Vergleich von Französisch-Lehrwerken aus fünf Jahrzehnten, wie ihn erst kürzlich Laurent Jouvet vorgenommen hat "Noch Mutter lernte wie ein mittelalterlicher Mönch. Französisch-Lehrwerke im Wandel der Zeiten". In: Klett ThemenDienst Nr. 13/ 14 (8/ 2002), 23-26), führt uns dies eindrucksvoll vor Augen. IFlLlllL 31 (2002) 8 Ekkehard Zöfgen bildungskonzepte zu entwickeln, heißt deshalb auch, künftige Fremdsprachenlehrer vorzubereiten auf die komplexen Anforderungen, denen sie im heutigen kommunikativen und interkulturellen Klassenzimmer gewachsen sein müssen. Notwendige Voraussetzung dafür ist eine genaue Analyse des berufsfeldbezogenen Wissens, das wie angedeutet spezifische Kompetenzen erfordert. Hier setzen die Überlegungen von Marita Schockerv. Ditfurth (Pädagogische Hochschule Freiburg) an, die das forschende und reflektierte Erfahrungslernen als eines der wichtigsten Prinzipien begreift, die es in der fremdsprachlichen Lehre an der Universität zu verankern und umzusetzen gilt. Daneben muß sich der Hochschulunterricht endlich den Herausforderungen stellen, die sich aus veränderten Sichtweisen im Hinblick auf Lern- und Spracherwerbsprozesse ergeben. Gemeint sind in erster Linie jene Formen des Unterrichts, die uns in der fachdidaktischen Literatur unter Begriffen wie Projektarbeit und autonomes Lernen begegnen. Jens Bahns (Kiel) berichtet über ein sprachwissenschaftliches Hauptseminar zum Thema „Wörterbücher" im Fach Englisch, in dem Studierende der Studiengänge Lehramt an Grund- und Hauptschulen sowie Lehramt an Realschulen über das so genannte 'Stationenlernen' zu offeneren Formen des Lernens hingeführt wurden und in einer Art Selbsterfahrung autonome Lernprozesse erlebten. Ohne die Relevanz und Bedeutung der bislang unterbreiteten Vorschläge im geringsten verkennen zu wollen, muß klargestellt werden, daß der Erfolg einer Reform der Lehrerbildung in letzter Konsequenz auch davon abhängt, inwieweit Ausbildung und Fortbildung als zwei zu einem organischen Ganzen gehörige und eng miteinander verwobene Bereiche aufgefaßt werden. Es reicht nicht, wenn hier lediglich Instrumente der Kooperation genutzt werden. Aus diesem Grund ist der letzte Themenblock dem bei Kultusverwaltungen, bei Schulleitungen und (häufig auch) bei Lehrern „ungeliebten Thema" (berufsbegleitende) Lehrerfortbildung 7 gewidmet. Christoph Edelhaff (Grebenstein) skizziert Profil, Aufgaben, Inhalte und Arrangements für die dritte Phase, wobei er sich leiten läßt von einer Vision, in der zum einen alle Phasen bis hin zur (vierten) Phase des lebenslangen Lernens in ein „Kontinuum der Lehrerbildung" eingebunden sind und in der zum anderen auf Innovation in der ersten Phase gesetzt wird, um damit einer Isolierung des universitären Teils der Ausbildung entgegenzuwirken. Innovative Schübe für die erste Phase sind vor allem vom rechtzeitigen Aufbau von Handlungskompetenz sowie einer verstärkten Ausgestaltung universitärer Lehrveranstaltungen als 'offene Lernwerkstatt' zu erwarten. Wenn man nun gestützt auf lerntheoretische Prämissen des Konstruktivismus postuliert, daß die weitgehende Selbstbestimmung der Lern- und Arbeitsprozesse eine notwendige Bedingung für erfolgreiches Lernen ist, dann darf die Lehrerfortbildung keiner anderen Logik folgen als derjenigen, an der sich der Wissenserwerb bei Schülern und Studierenden orientieren soll. 'Offenes Lernen' wie es uns Jens Bahns beispielhaft an einem fachwissenschaftlichen Studienelement vorgeführt hat ist in der Lehrerfortbildung allerdings eher die Ausnahme. Manfred Overmann (Ludwigsburg) stellt zum Thema „Inter- 7 Vgl. dazu Herbert Christ: "Lehrerfortbildung als dritte Phase der Lehrerbildung". In: französisch heute 25.3. (1994), 276. lFLllL 31 (2002) Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 9 netarbeit im Französischunterricht" ein heterarchisches Konzept für die Lehrerfortbildung vor, das unter dem Primat der Individualisierung des Lernens in autonomen Lernsituationen steht und das die Grundgedanken des Stationenlernens an konkreten Arbeitsmaterialien veranschaulicht. Bleibt zu hoffen, daß der fruchtbare Dialog zwischen den für alle drei Bereiche der Lehrerbildung Verantwortlichen nicht abreißt. Wenn dieses Heft dazu einen bescheidenen Beitrag leistet und zugleich zum erneuten Nachdenken anregt, hätte es seinen Zweck mehr als erfüllt. JFJLMIL 31 (2002) Konrad Schröder * Lehrerausbildung in der Diskussion Abstract. The article gives a brief account of the ideology underlying teacher training in Germany since its beginnings in the 19 th century. The impact of post-Humboldt "Neo-Humanism" on the Philosophische Fakultät (the so-called Faculty of Philosophy replacing the older Faculty of Arts) in its interaction with the Gymnasium (19 th century grammar school) is reviewed in order to explain some of the more traditional weaknesses of the training system. This diachronic approach is followed by an analysis of the scientific nature of the various components of teacher education, including some criticism of current attitudes in this field. Against this background, a content-based outline of a more professional approach in teacher education is developed, followed by a short critical review of some of the more prominent orgauizational schemes. 1. Historische Aspekte 1.1 Zweiphasigkeit Die Reform der Lehrerausbildung ist in der deutschen Bildungsgeschichte der letzten 200 Jahre ein Perpetuum Mobile: Es gibt kaum ein Jahrzehnt, das sie nicht diskutiert, geändert hat sich freilich seit dem frühen 19. Jahrhundert wenig: Die Zweiphasigkeit, ein Produkt der Jahre 1810 (Examen pro facultate docendi) bzw. 1826 (Referendariat) verständlich vor dem Hintergrund neuhumanistischer Bildungsideologie (zweckfreie wissenschaftliche Ausbildung an der Philosophischen Fakultät, gefolgt von der Einübung in eine stabile schulische Praxis)ist zu einem sakrosankten Stück deutscher Bildungstradition geworden. Sie in Frage zu stellen, gilt als bösartig. Nicht umsonst wurde die Einphasigkeit der Lehrerausbildung in der DDR unmittelbar nach der sogenannten Wende eliminiert; Kolleginnen und Kollegen, die als „Methodiker" (in der Terminologie der DDR) das Praxisjahr am Ende des Studiums von den Universitäten aus betreuten, wurden in vielen Fällen nicht in den Schuldienst übernommen und arbeitslos. Zwischen den beiden Ausbildungsphasen verläuft ein tiefer ideologischer Graben, gewissermaßen die Grenze zwischen Theorie und Praxis, man könnte auch sagen: die Grenze zwischen dem in unterschiedlichen Zeitaltern auf unterschiedliche Weise mißverstandenen Freiraum Universität und kultusadministrativer Kontrolle, zwischen akademisch-ungebundener Kritikfreudigkeit und schulisch-hierarchischem, mitunter obrigkeitshörigem Beharrungsvermögen. Da das deutsche Bildungssystem reich ist an Verwerfungslinien und Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Konrad SCHRÖDER, Univ.-Prof., Universität Augsburg, Lehrstuhl für Didaktik des Englischen, Universitätsstraße 10, 86135 AUGSBURG. E-Mail: konrad.schroeder@phil.uni-augsburg.de Arbeitsbereiche: Sprachenpolitik und Bildungsplanung, Geschichte des Fremdsprachenerwerbs, Evaluation fremdsprachlicher Leistung. IFJLwL 31 (2002) Lehrerausbildung in der Diskussion 11 Grabenbrüchen (zwischen Grundschule und Sekundarbereich I, Allgemeinbildung und Berufsbildung, schulischem und außerschulischem bzw. nachschulischem Lernen, zwischen einzelnen Schulformen), fällt der hier bezeichnete Grabenbruch nicht so sehr auf. 1.2 Das Flaggschiff Gymnasium ... Der Studiengang für das Lehramt an Gymnasien bzw. das Lehramt im Bereich der Sekundarstufe II gilt zu allen Zeiten als das Flaggschiff der Lehrerausbildung in Deutschland: Der wissenschaftliche Teil der Ausbildung findet seit dem frühen 19. Jahrhundert an der Universität statt, die Ausbildung dauert 4 Jahre und ist damit „vertieft" (welch eigentümlich sinnleeres Adjektiv! ), und sie führt zu den höheren Weihen, nämlich zum höheren Beamtentum des Vollakademikers (Eingangsbesoldung A 13). Diesen akademischen Status zu erreichen, trachten die übrigen Lehrämter seit Menschengedenken. Doch sie bleiben geringerwertig, eben „nicht vertieft"; teilweise sind sie bis zum heutigen Tage an Pädagogischen Hochschulen angesiedelt und damit (gerade auch in der öffentlichen Meinung) sub-akademisch; im übrigen sind sie in weiten Teilen der Republik mit dem A 12-Makel behaftet (klassischerweise: gehobener Dienst). Da wundert es nicht, daß Politiker, die in jüngster Zeit die Fachhochschule als möglichen Ort der Lehrerausbildung entdeckt haben, sich bei Nachfrage derzeit noch beeilen, einschränkend darzulegen, daß damit natürlich nur die Lehrämter im Bereich der Sekundarstufe I gemeint seien, bzw. das Lehramt an Grund-, Haupt- und Realschulen. Inzwischen liegen von verschiedener Seite politisch durchsichtige Empfehlungen vor, doch zumindest das Grundschul-Lehramt aus der allgemeinen Lehrerausbildung herauszulösen und an Fachhochschulen anzusiedeln. Begründet wird der Vorschlag je nach politischer Provenienz mit mehr Praxisbezug, Abkehr von entbehrlicher Wissenschaftlichkeit, geringeren Aus- (und Fort-) bildungskosten. Unheilige Allianzen werden sich bilden, um die Entwicklung in diesem Bereich weiter voranzutreiben. - Der Philologenverband seinerseits stellt klar, daß die gymnasiale Lehrerbildung an der Universität bleiben müsse: Der Lernort Universität sei eine unabdingbare qualitätssichernde Maßnahme: Gymnasium braucht Wissenschaft. 1.3 ... und die Philosophische Fakultät Die Frage ist nur, welche. Traditionellerweise sind die affektiven Bande zwischen Universität und Lehrerbildung nicht sehr stark. Die Lehramtskandidaten sind zwar da, und das ist auch gut so, denn schließlich braucht man Studenten, doch interessanter wäre natürlich eine entsprechende Anzahl Magisterkandidaten: Man wäre nicht an staatliche Ausbildungsordnungen gebunden, könnte früher thematisch spezialisieren, dabei auch die eigenen Forschungen stärker in den Vordergrund rücken, man hätte primär am Fach (und nicht am Lehramt als solchem) interessierte Studierende, und man bräuchte nicht die leidige Allround-Prüfung, genannt Staatsexamen, abzunehmen. Dabei ist man mittlerweile meistenorts durchaus bereit, auch den Fachdidaktiker als vollgültigen Partner an dieser neuen, akademisch heilen Welt partizipieren zu lassen: mit Fremdsprachendidaktik als gleichberechtigter, gleichwohl weniger gewählter Disziplin im Magisterhaupt- und ffa! L 31 (2002) 12 Konrad Schröder -nebenfach. Schließlich ist die facettenreiche Erwachsenenbildung, zumal in den sprachlichen Fächern, ein stark expandierendes potentielles Berufsfeld für Magister-Kandidaten. Das Problem ist nur, daß die Planstellen der „großen" Fächer philosophischer Fakultäten ihre Existenz mehrheitlich der Lehrerbildung verdanken. Die Philosophische Fakultät ist wie das Gymnasium eine Entwicklung der neuhumanistischen Epoche. Sie tritt an die Stelle der älteren Artistenfakultät 1• Die Artistenfakultät (als die im alten System den „höheren" Fakultäten Jura, Medizin und Theologie vorgeschaltete Einrichtung) wird als gymnasiale Oberstufe (heute: Sekundarstufe II) Bestandteil des Gymnasiums, das die überkommene Lateinschule fortsetzt, jedoch nun nicht mehr sechsjährig, sondern neunjährig ist. Die erste Universität mit einer philosophischen Fakultät im modernen Sinne ist die 1810 gegründete Humboldt-Universität Berlin. Die Philosophische Fakultät ist geboren aus dem Geist der Zeit: Sie kultiviert die Geistes- (und Natur-) Wissenschaften um ihrer selbst willen, ohne jeden expliziten Berufsbezug. Sie ist idealistisch orientiert, nicht, wie die Universität des 18. Jahrhunderts, utilitaristisch. Ihre Welt ist die Welt der Ideen, Systeme, Modelle. Lebenspraktische Umsetzungen interessieren sie nicht. Daß eine solche Fakultät dann aber von staatlicher Seite auserkoren wird, die Hauptlast der Lehrerausbildung .zu tragen, ist allenfalls für den modernen Betrachter ein Widerspruch: Das Gymnasium selbst bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts ausnahmslos altphilologisch orientiert (mit bis zu 15 Wochenstunden Latein und bis zu 6 Wochenstunden Altgriechisch in manchen Klassenstufen) ist ja ein neuhumanistisch-idealia stisches und damit anti-utilitaristisches Kind seiner Zeit. Es ist die Ziehschule eines Bürgertums, das es sich leisten kann, die nachwachsende männliche Jugend 9 Jahre lang in eine Schule zu schicken, die fast ausnahmslos formale, nicht auf unmittelbaren Broterwerb bezogene Bildung vermittelt. Die Hauptfunktion des Gymnasiums zwischen 1815 und 1918 - und weit darüber hinaus ist die Vorbereitung auf die Universität: Wissenschaftspropädeutik, Allgemeinbildung im Sinne des neuhumanistischen Bildungsbegriffes, sowie damit verbunden die Vermittlung eines zeitgemäßen Tugendkanons (mit Tugenden wie Tapferkeit, Staatstreue, Demut, Aufopferungsbereitschaft, Streben zum Ganzen) stehen im Mittelpunkt. 1.4 Fast eine Symbiose Die beiden Institutionen passen zueinander, ja sie greifen ineinander, gerade auch in ihrer anti-utilitaristischen Grundhaltung. Da ist der gestandene Gymnasiallehrer, bis ins 20. Jahrhundert hinein in einigen deutschen Ländern als „Schulprofessor" bezeichnet 2 , als „kleiner" Universitätsprofessor ein durchaus wirksames Modell, zumindest solange die auszubildende Jugend disziplinär bei der Stange bleibt. Das aber bleibt sie bei allem jugendlichen Übermut und trotz gewisser Zerfallserscheinungen nach dem 2. Weltkrieg Der Name ist hergeleitet von den SeptemArtes Liberales, dem mittelalterlichen Bildungskanon der Sieben Freien Künste, vgl. englisch: Faculty of Arts. 2 Anrede durch die Schüler teilweise noch bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts: Herr Professor. lFJLwL 31 (2002) Lehrerausbildung in der Diskussion 13 bis zum Vorabend des Jahres 1968, denn Schule, Elternhaus und Gesellschaft sind in bürgerlicher Ideologie geeint, sie vertreten die gleichen Werte. Zugleich ist das System geeignet, den Aufstiegswillen der nächstniedrigeren Schicht, des Kleinbürgertums nämlich, zu befördern: Mit der Devise Kind, lern, damit aus Dir etwas wird treten im Verlauf des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts hunderttausende Kinder kleinbürgerlicher Herkunft ihren Marsch durchs Gymnasium in die Universität (sowie in die Polytechnica und Lehrerbildungsseminare) an. Nicht wenige dieser Kinder werden Gymnasiallehrer (und -lehreriimen) und tragen damit kleinbürgerliche Sichtweisen und Wertvorstellungen in die ursprünglich großbürgerliche Schule hinein. 1.5 Lehrerausbildung als Mittel staatlicher Kontrolle Doch noch ein anderer Begründungszusammenhang spielt bei der Verankerung der Gymnasiallehrerausbildung in der Philosophischen Fakultät eine Rolle: Philosophische Fakultäten sind traditionellerweise große Fakultäten, und sie sind zumal in den frühen Jahren, als sie auch die naturwissenschaftlichen Fakultäten im Nukleus umfassen teure Fakultäten. Da der Staat seit dem 19. Jahrhundert die Universitäten finanziert, hat er ein Interesse, von den Philosophischen Fakultäten jenseits des (zumal im Bereich der Geistesbildung) nicht unmittelbar kapitalisierbaren wissenschaftlichen Ertrags auch eine praktische Rendite zu erhalten: die Ausbildung der Lehrer. Zugleich eröffnet die Lehrer" ausbildung über staatliche Ausbildungs- und Prüfungsordnungen die unmittelbare Einflußnahme auf die ansonsten akademisch autarke Institution. Der bildungspolitische Stellenwert der Philosophischen Fakultät ist von Anbeginn an hoch: Sie ist nicht irgendeine Fakultät der post-neuhumanistischen Universität, sie ist die Fakultät, das geistige Zentrum der Universitas, tritt sie doch mit ihrer philosophisch" philologisch-historischen Ausrichtung das säkularisierte Erbe der theologischen Fakultät im Ancien Regime an: Sie allein besitzt die Fähigkeit, den Geist des Humanismus zu ergründen, lebendig werden zu lassen und (nicht zuletzt auch in Form eines Tugendkanons) zu vermitteln. 2. Nachwirkungen: Die modernen Fremdsprachen als Latein-Ersatz? Von der Wissenschaftlichkeit der Lehrerausbildung und ihren sonstigen Bezügen Das hier skizzierte System beeinflußt die Entwicklung der Lehrerausbildung in Deutschland zutiefst, es hat Nachwirkungen bis .zum heutigen Tage: 2.1 „Moderner Humanismus" versus fluency, pragmatic appropriateness, cultural adequacy Das Gymnasium vermittelt bis weit ins 20. Jahrhundert hinein moderne Fremdsprachen als Latein-Ersatz, als Mittel zur Erreichung eines „modernen Humanismus". Wenn in Expertisen der Kultusministerkonferenz des Jahres 2000 (vgl. Tenorth (Hrsg.) 2001: passim) ausgeführt wird, daß im Bereich des Oberstufenunterrichts die anspruchsvolle lFL111L 31 (2002) 14 Konrad Schröder Kommunikationspraxis fehle, die Hinrichtung auf kommunikative Mündlichkeit, der Lebensbezug, die kulturelle Handlungsorientierung, ja die Einsichtsvermittlung in sprachenpolitische und sprachökologische Fragestellungen, dann werden großenteils traditionsreiche Problemdomänen benannt. Lebenspraktisch orientierte Kommunikationspraxis auf hohem Niveau, kommunikative Mündlichkeit, fluency, pragmatic appropriateness, cultural adequacy sind nicht denkbar in einem System, das fast ausschließlich schriftlich prüft, in dem der schwere Fehler immer noch der Grammatik- (und nicht der Kultur-)Fehler ist, und das mit Lehrern arbeitet, denen in ihrer Ausbildung die erforderlichen kommunikativen Fertigkeiten und ein entsprechendes sprachen- und kulturentheoretisches Wissen gar nicht oder bestenfalls in sehr ungenügendem Maße vermittelt worden sind (von der quantitativ wie qualitativ in diesem Bereich besonders defizitären Fortbildung einmal ganz zu schweigen). 2.2 Wissenschaftlichkeit Bis zum heutigen Tage wird der Professionalisierungsgrad der Lehrerschaft, zumal für das gymnasiale Lehramt, gemessen an der Wissenschaftlichkeit der universitären Ausbildung, wobei das universitäre Ausbildungssystem siehe oben mit den Anforderungen der Schule ursächlich allenfalls indirekt zu tun hat. Die wissenschaftlichen Grunddisziplinen der neuphilologischen Universitätsfächer, die Sprach- und Literaturwissenschaften, stammen aus dem 19. Jahrhundert; sie haben sich ohne jeden Zweifel innerlich gewandelt die Sprachwissenschaft ist insgesamt „angewandter", berufspraktisch verwertbarer geworden, die Literaturwissenschaft hat starke kulturwissenschaftliche Bezüge entwickelt und eine breitere theoretische Basis erhalten-, doch traditionelle Schubladen, gerade auch im Denken der Bildungsadministratoren und außeruniversitären Interessenvertreter, sind geblieben. Einern Schubladen-Denken entspricht auch die Scheidung in "fachwissenschaftliche" und „fachdidaktische" Studienanteile, auch wenn die fachdidaktische Komponente als berufspropädeutischer Kern der Lehrerausbildung inzwischen ihre spezifische Daseinsberechtigung besitzt. Denn fachdidaktische Fragestellungen sind immer auch genuine Fragestellungen der zugehörigen Fachwissenschaften, wie auch umgekehrt fachwissenschaftliche - und gerade auch fachtheoretische - Fragestellungen die Fachdidaktiken zutiefst durchdringen müssen. Von Interesse ist in diesem Zusammenhang, daß das Adjektiv „fachdidaktisch", da es im universitär-institutionellen Sprachgebrauch meist in Abgrenzung zum Adjektiv „fachwissenschaftlich" (im Sinne der klassischen Teilfächer Sprach- und Literaturwissenschaft) gebraucht wird, gerade für Außenstehende eine mindere oder doch zumindest eine gewissermaßen nachgeordnete Wissenschaftlichkeit suggeriert: auch dies ein Hinweis auf nachwirkende traditionelle, postneuhumanistische Denkstrukturen. Insgesamt gesehen sind die fachdidaktischen, wie auch die erziehungs- und gesellschaftswissenschaftlichen Studienanteile heute allgemein als Bestandteile des wissenschaftlichen Lehramtsstudiums akzeptiert. Das Modell ist dabei additiv, nicht integrativ, und die Fachdidaktiken ohne hinlängliches schulisches Experimentierfeld sind weitgehend gezwungen, nach Art des „Trocken-Schwimmkurses" zu verfahren. IFIL11llL 31 (2002) Lehrerausbildung in der Diskussion 15 2.3 Sprachpraxis Weniger positiv ist die Entwicklung im Bereich der sprachpraktischen Ausbildung: Sie ist nicht nur zu wenig zielgerichtet (so findet beispielsweise keine Ausbildung in classroom discourse statt), sie ist auch quantitativ zu gering bemessen, und ihr haftet der akademische Makel des nur Handwerklichen an. Entsprechend dürftig bezahlt sind die in diesem Bereich zum Einsatz kommenden Lehrkräfte. Dabei sollte eine adäquate sprachpraktische Kompetenz (near nativeness), bezogen auf des zukünftige Lehramt, die Grundvoraussetzung für alle weiteren Studien sein. Dies impliziert eine quantitative wie auch qualitative Aufwertung der Arbeit der Sprachenzentren und verwandter Institutionen. 2.4 Erziehungswissenschaftliche Bezüge Ungemach droht der Lehrerausbildung und zumal den Fachdidaktiken in jüngster Zeit von Seiten der etablierten Erziehungswissenschaften: Sie haben traditionellerweise das Problem des mangelnden fachlichen Bezugs, sie sind „allgemein" (Allgemeine Didaktik als Schulpädagogik) und damit dem konkreten einzelfachlichen Geschehen (und auch der real existierenden Schule) auf eigentümliche Weise entrückt, doch sie sind empirisch (Empirische Pädagogik, Pädagogische Psychologie) und bieten sich daher zur Durchleuchtung beliebiger Problembestände und Fächer an. In einer Zeit der bildungspolitischen Ratlosigkeit werden die Erziehungswissenschaften schnell zu Geschäftspartnern der Ministerien und sonstigen Entscheidungsträger und zu deren Bundesgenossen, wenn es um die Etablierung von Großprojekten geht. Auch die Ausweitung von Stundenkontingenten in der Lehrerausbildung (zu Lasten der Fachdisziplinen und auf dem Rücken der Fachdidaktiken) wie jüngst in Bayern geschehen wird so verständlich. Schließlich haben die Erziehungswissenschaften vom Anspruch her auf alle Probleme von Schule eine Antwort. Die Fachdidaktiken empfinden sich aus gutem Grund als zu den Fächern gehörig, zumal im Bereich der modernen Fremdsprachen, einem Aufgabenfeld, das die Erziehungswissenschaften sieht man einmal von den isolierten Bestrebungen einzelner Gelehrter wie Jan Arnos Komensky (Comenius) ab aus eigener Kraft noch nie systematisch haben durchdringen können, schlicht und ergreifend, weil hier fachliche (und sprachpraktische) Vorkenntnisse vonnöten sind, über die Erziehungswissenschaftler normalerweise nicht verfügen. Eine Fachdidaktik, die in welchem Zukunftsmodell der Lehrerbildung auch immer erziehungswissenschaftlichen Rahmenvorstellungen (etwa dem heute wieder gängigen Konzept „Gymnasialpädagogik") nur nachgeordnet ist, ohne selbst diese Rahmenvorstellungen modifizierend mit beeinflussen zu können, läuft gerade wenn sie empirische Forschung in den Mittelpunkt stellt- Gefahr, ideologisch zu erblinden und ihres wissenschaftlichen Kerns (der Frage nach dem Was, Warum und Wie der Vermittlung des jeweiligen Faches) entkleidet zu werden. Hier liegt die Gefahr der vielerorts angedachten Erziehungswissenschaftlichen Fakultäten neuen Stils (einschließlich fachdidaktischer Studien), institutionell organisiert als Zentren für Lehr- und LernlFILlllL 31 (2002) 16 Konrad Schröder forschung. Fachdidaktik braucht Ideologie-Geschichte und politische Sensibilität, Fremdsprachendidaktik den ideologiekritischen Blick auf 500 Jahre Fremdsprachenerwerb und Fremdsprachenunterricht in Europa, auf die Mechanismen europäischer und weltweiter Sprachenpolitik, aber auch aus fachlicher Perspektive auf allgemeinpädagogische Konzepte wie etwa das Konzept „Gymnasium" oder das Konzept „Gesamtschule". Unterricht ab einer bestimmten Stufe des Wissens und der gedanklichen Durchdringung ist im übrigen Fachunterricht, und auch die affektiven Bezüge sind ab einem gewissen Lernniveau und Lernalter an das Fach geknüpft, nicht an blumenreiche übergreifende Konstrukte wie etwa die Lebenswelt Schule, Konstrukte, die sich in der rauen Wirklichkeit des Lebens nur all zu leicht für jede Generation von neuem als Mogelpackungen erweisen und erwiesen haben. Ein Lernen zwischen den Fächern, wie es heute gerne gefordert wird, setzt Fachkenntnisse voraus, und Gleiches gilt für eine Projektorientierung, die diesen Namen verdient: Jenseits der Grundschule lebt eine pädagogisch sinnvolle, die Lernenden optimal fördernde Projektarbeit von den fachlichen Kenntnissen der Schülerinnen und Schüler in jenen Bereichen, die sachlich im Mittelpunkt stehen. 2.5 Praxisberührung Die Forderung nach Praxisberührung schon während der ersten Ausbildungsphase wird seit etwa 30 Jahren erhoben. Praxisberührung erfolgt über die Schulpraktika und auch über die Abordnung von Lehrern. Das Verfahren stellt eine „kleine Lösung" dar, denn das auf diese Weise erreichte Maß an berufspraktischer Orientierung ist quantitativ gering und qualitativ problematisch: In den Schulpraktika, an „normalen" Schulen abgeleistet, stellen die Studierenden fest, daß sich seit ihrer eigenen Schulzeit nichts verändert hat. Sie fühlen sich damit in ihrer eigenen, wie auch immer problematischen schulischen Sozialisation bestätigt, einer Sozialisation, aus der sie eigentlich im Interesse schulischen Fortschritts herausgehoben werden sollten. Das Referendariat wenige Jahre später übt sie dann vielfach immer noch im Sinne einer Meisterlehre, weil eine professionelle Ausbildung der Ausbilder und entsprechende Sabbaticals für deren Fortbildung fehlen erneut in dieses bestehende System ein. Für die meisten Studierenden dienen angesichts dieser Konstellation die Praktika (einschließlich der Begleitseminare) zunächst einmal dazu, im bekannten System auf neue Weise, nämlich auf der Lehrerseite, heimisch zu werden. Ihre Experimentierfreude hält sich normalerweise in engen Grenzen, auch wenn Betreuungslehrer und -lehrerinnen dazu auffordern, doch mal „was Neues auszuprobieren". Eine konsequente Einführung in innovatives Unterrichten setzt spezielle Schulen "Laborschulen" - oder vergleichbare Strukturen) voraus, die aber nur an ganz wenigen Standorten zur Verfügung stehen. So ist in gewisser Weise auch die selbsttätige, nicht nur beobachtende - Praxisberührung in der Lehrerausbildung als professionalisierendes Element derzeit noch eine Mogelpakkung. Was aber die Praxisberührung durch die Abordnung von Lehrern angeht, die dann in der Hochschule in erster Linie für fachdidaktische Fragestellungen eingesetzt werden, so ist hier die Gefahr eines Inzucht-Modells groß: Die Ausbildung erfolgt „aus der Praxis für die Praxis". Der an die Universität abgeordnete Lehrer kann diesen circulus vitiosus IFL11.llL 31 (2002) Lehrerausbildung in der Diskussion 17 nur durchbrechen, wenn er zusätzlich zu seinem 16-Wochenstunden-Deputat intensive fachdidaktische Fortbildung und Weiterqualifikation betreibt, ein schwieriges Unterfangen, zumal wenn da niemand ist, der ihn stützt. 3. Elemente einer zeitgemäßen Lehrerausbildung 3.1 Das Gymnasiale Lehramt und die übrigen Lehrämter Bis jetzt war vorwiegend vom Gymnasium die Rede, und dies hat seine historische Berechtigung. Denn so, wie das Gymnasium im Laufe der 200jährigen Geschichte des staatlichen Schulwesens als bildungspolitisches Aushängeschild auf die übrigen Schulformen „abfärbt", so färbt die gymnasiale Lehrerausbildung auf die der übrigen Schulformen ab. Dies ist in besonderem Maße dort der Fall, wo die gesamte Lehrerausbildung in die Universität integriert ist und eine Stufenlehrerausbildung stattfindet. Dennoch kann mit aller Vorsichtdie These vertreten werden, daß bundesweit die Haupt- und Realschullehrerausbildung näher an den späteren beruflichen Bedürfnissen des Haupt- und Realschullehrers angesiedelt ist als die gymnasiale Ausbildung an den späteren beruflichen Erfordernissen des Gymnasiallehrers. Die fachdidaktischen Studienanteile sind höher und besser integriert, und mitunter ist auch die Praxisberührung besser organisiert. Im gymnasialen Bereich bleibt die fachdidaktische Komponente, auch ein viertel Jahrhundert nach ihrer Einführung, vielerorts ein quantitativ zu knapp bemessenes, im Studiengang unterbewertetes Studienelement, ganz und gar nicht geeignet, Hauptträger der fachlichen Professionalisierung des späteren Lehrers zu sein. Um so infamer ist die von einigen Erziehungswissenschaftlern, wie etwa Achtenhagen, in jüngster Zeit in deutlicher Absicht geäußerte Kritik, die Fachdidaktiken hätten die in sie gesetzten Hoffnungen nicht zu erfüllen vermocht: Die Fachdidaktiken haben wissenschaftlich sehr wohl reussiert das ebenso breite wie gehaltvolle Oeuvre der in den letzten 25 Jahren tätig gewesenen Fachdidaktiker, zumal in den geisteswissenschaftlichen Disziplinen, zeigt dies sehr deutlich. Wenn die Fachdidaktiken ihrer wünschbaren Funktion im Sinne eines Neubeginns in Lehre und Ausbildung nicht in gleichem Maße haben nachkommen können, so hängt dies just mit der Tatsache zusammen, daß ihnen permanent die Flügel beschnitten wurden, indem man ihnen die ansonsten üblichen Entwicklungschancen in Forschung, Lehre und Nachwuchspflege nicht gab und ihre Zukunft als akademische Disziplin zerredete. 3.2 Professionalisierung durch Fachdidaktik Bezugspunkt der Professionalisierung des zukünftigen Lehrers (bzw. der Lehrerin) ist nicht die jeweilige Gestalt der jeweiligen Fachwissenschaft, sondern das jeweilige Schulfach in all seinen Facetten und all seiner Problematik. Damit enthält die Lehrerausbildung (als Ausbildung von Fachlehrern) ihre eigene komplexe wissenschaftliche Basis, und diese ist notwendigerweise fachdidaktischer Natur: Sie umfaßt gleichermaßen fachliche wie erziehungswissenschaftliche Komponenten, die es ihr ermöglichen, die lflL1llL31 (2002) 18 Konrad Schröder fachlichen Ziele, Inhalte und Vermittlungsweisen sowie die Formen der Evaluation fachlicher Leistung vor dem Hintergrund der Institution Schule wie auch einer zeitgemäßen Theorie von Bildung darzustellen und fortzuentwickeln. Die eigene komplexe wissenschaftliche Basis der Lehrerausbildung stellt die Voraussetzungen dafür bereit, daß die Studierenden aufgrund eines spezifischen prozeduralen Wissens (das natürlich deklaratives Wissen voraussetzt) Handlungs- und auch Reflexionsmuster für die zukünftige berufliche Tätigkeit entwickeln. 3.3 Ein zeitgemäßes Ausbildungsmodell für zukünftige Fremdsprachenlehrer Damit ist das Modell einer zeitgemäßen Lehrerausbildung im fremdsprachlichen Bereich zumindest angedeutet: Das Konzept geht aus von einer Theorie der neusprachlichen Fächer in unseren Schulen. Die Fächer haben Zielsetzungen auf unterschiedlichen Ebenen, einer fachlegitimierenden (im Fremdsprachenunterricht müssen Fremdsprachen gelernt werden), einer fächerübergreifenden (Bereiche wie Kultur, Literatur, Sprache als zwischenmenschliche und politisches Phänomene haben kein eigenes Schulfach, müssen aber thematisiert werden; instrumentelle Fertigkeiten im Umgang mit Sprachen und Kulturen müssen erworben werden) und einer allgemein schulischen (nicht der multiple Fachidiot ist Ziel der Schule, sondern der mündige Staatsbürger). Eingebunden sind die fremdsprachlichen Fächer der Schule in ein europäisches Sprachenkonzept, das festmacht an einem politischen Konzept, die sprachliche und kulturelle Zukunft und die innere Stabilität der Europäischen Union sowie deren wirtschaftliche Belange betreffend (lmport-/ Export- Orientierung, Joint Ventures und dergleichen). Ziel der Ausbildung ist es, den zukünftigen Fremdsprachenlehrer mit Blick auf die aus dem hier dargestellten Konzept ausfließenden Ziele, Inhalte, methodischen Verfahren und Formen der Evaluation handlungsfähig zu machen. Dabei ist wie oben schon angedeutet besonderes Augenmerk zu legen auf die Tatsache, daß Fremdsprachenerwerb in der Schule stets gekoppelt ist an den Erwerb interkultureller Kompetenz und daß beide stattfinden im Rahmen eines Erziehungsprozesses. 3.3.1 Erste Phase Vor dem Hintergrund des hier skizzierten Ansatzes werden die fachlichen Inhalte der Lehrerausbildung (Sprachpraxis, interkulturelle Praxis, kulturwissenschaftliche Anteile, Sprachwissenschaft, Literaturwissenschaft, Fachdidaktik und Methodologie) im Rahmen eines fachdidaktisch inspirierten Selektionsprozesses ausgewählt. Hinzu treten erziehungswissenschaftliche Bezüge und Formen der vorweggenommenen, fachdidaktisch begleiteten Praxisberührung. Im Mittelpunkt der ersten Ausbildungsphase steht dabei das Bestreben, Unterricht in einem umfassenden Sinne durchschaubar zu machen, um auf der Basis des dadurch erworbenen, kritischen Verständnisses professionelle Handlungskompetenz aufzubauen. Die Ausrichtung der „philologischen" Inhalte an den Bedürfnissen einer professionalisierten Berufstätigkeit bedeutet für die Universität keinen lFLllllL 31 (2002) Lehrerausbildung in der Diskussion 19 Verlust an Wissenschaftlichkeit: einzelne Fragestellungen werden sich verschieben, in neuem Licht erscheinen, Hintergrundwissen wird neu auszurichten sein, doch die Themen und Verfahren werden wissenschaftlicher Natur bleiben freilich im Sinne einer Wissenschaftstheorie von heute, nicht aber einer solchen des frühen 19. Jahrhunderts. Gerade in den Bereichen Sprach- und Literaturwissenschaft ist mit einer Stärkung von Themenbereichen zu rechnen, die bisher vielerorts eher marginaler Natur waren: Literaturtheorien, Kulturtheorien, Theorien von Sprache, Theorien von Mehr- und Vielsprachigkeit, Sprachökologie usw.). Auch der fachdidaktische Bereich selbst wird sich entsprechend verändern, und die bisherigen Grenzziehungen zwischen der sogenannten Fachwissenschaft und der Fachdidaktik werden neu festzulegen sein und dabei auch sehr viel durchlässiger werden. 3.3.2 Zweite Phase Die zweite Ausbildungsphase hat im neuen System eine Funktion, die sie mit den vorhandenen geringen Bordmitteln sehr wohl erfüllen kann: Sie führt den Universitätsabsolventen, der Fremdsprachenunterricht zu durchschauen vermag, in das bestehende System ein, allerdings nun nicht mehr im Sinne einer Meisterlehre mit festgelegten Methoden und Ritualen, sondern im Sinne eines Versuches, sich in einer wie auch immer ungenügenden und fortzuentwickelnden Praxis zurechtzufinden und entsprechende Leistung zu zeigen. Freilich bleibt die (im neuen Sinne fachliche, fachdidaktische und erziehungswissenschaftliche) Fortbildung der Ausbilder in der Zweiten Phase ein vordringliches Problem, das nicht kostenneutral gelöst werden kann. Gleichzeitig aber sind Erste und Zweite Ausbildungsphase innerhalb des hier dargestellten Ansatzes besser verzahnt als bisher; der immer wieder zitierte Praxisschock des gewesenen Studenten entfällt. 3.3.3 Fortbildung Im derzeitigen System sind Ausbildung und Fortbildung zwei völlig voneinander getrennte Bereiche. Das hier skizzierte Ausbildungsmodell impliziert Fortbildung für alle Lehrer als selbstverständlichen Bestandteil des Erhaltes professioneller Fähigkeiten und Fertigkeiten. Ein erstes Fortbildungsmodul muß nach etwa 2 Jahren eigenständiger beruflicher Tätigkeit eingeplant werden, damit die in dieser Zeit gewonnenen Einstellungen und Verhaltensweisen reflektiert und gegebenenfalls auch wieder aufgebrochen werden können. Das neue System der Lehrerausbildung ist dynamisch, nicht statisch, wie bisher. lFlLllllL 31 (2002) 20 Konrad Schröder 4. Institutionelle Konsequenzen 4.1 Lehrerausbildung im Baukasten-Modell Der oben entwickelte Ansatz stellt zugleich eine Absage dar an die Versuche der jürigsten Zeit, die Lehrerausbildungs-Komponente im Rahmen eines Baukastensystems neu zu ordnen: Der Lehramtsstudent macht ein Bachelor-Studium; danach, als post graduate student, entscheidet er sich offiziell für ein Lehramt und studiert die entsprechenden Module über 2 Jahre alles (einmal mehr) nach angelsächsischem Vorbild. Das Modell ist, oberflächlich betrachtet, möglicherweise ökonomisch. Doch es reduziert den auf das Lehramt fokussierten Teil des Fachstudiums in einem kaum zu verantwortenden Maße. Das idealiter eng verwobene Miteinander fachlicher und fachdidaktischer Komponenten wird aufgelöst zugunsten eines Systems, in dem zunächst altem deutschem Usus entsprechend ohne jeden expliziten Berufsbezug studiert wird (Wer wählt eigentlich nach welchen Kriterien die Ziele und Irihalte dieses Basisstudiums aus? ), dann aber tritt, über einem unsicheren Fundament, eine massive erziehungswissenschaftliche und fachdidaktische Ausrichtung ein, die aufgesetzt ist und ohne hinlänglichen Kontakt zur fachlichen Basis. Die fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Komponenten werden nicht integriert, vielmehr werden neue Brüche (zwischen dem Fach und seiner Didaktik, zwischen fachlichem studium generale wenn es denn diesen Namen verdient - und Berufsbezug) produziert; Das Modell führt nicht zu einer professionalisierten Lehrerausbildung; es ist, wenn auch mancherorts bejubelt, als grobe (und traurige) Fehlentwicklung zu bezeichnen. · 4.2 Eine PH neuen Stils? Die DDR schuf eine Hochschule für Lehrerbildung, die heutige Universität Potsdam. Die Republik Österreich ging in Klagenfurt einen ähnlichen Weg. Der Freistaat Bayern gründete die beiden Philosophischen Fakultäten der Universität Augsburg mit dem expliziten Schwerpunkt Lehrerbildung. Dies zeigt, daß es auf unterschiedlichen politischen Fundamenten durchaus Versuche gegeben hat, die Möglichkeiten der Institution Universität im Sinne einer teilreformierten, im obigen Sinne stärker integrativen Lehrerausbildung zu nutzen. Inzwischen wird die Herausnahme det Lehrerbildung aus der Universität (einmal wieder) diskutiert, zumal im deutschen Süden: Hier waren Baden- Württemberg und Bayern in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts trotz ideologischer Nähe getrennte Wege gegangen: Während Bayern die Lehrerbildung in die Universität integrierte und Ordinariate für die Fachdidaktiken schuf, blieben die Pädagogischen Hochschulen in Baden-Württemberg zur Ausbildung der Grund-, Haupt- und Realschullehrer erhalten. Derzeit wird nun auch für Bayern die Gründung zweier Pädagogischer Hochschulen (gegebenenfalls unter anderem Namen) vorgeschlagen, eine im Norden, eine im Süden des Landes, die dann, zumal zu Zeiten geburtsschwacher Jahrgänge, die Gesamtversorgung mit Lehrern bewerkstelligen sollen. Natürlich ist die Lehrerausbildung nicht auf die Universität als Institution festgelegt. Historisch gesehen ist sie dort ein Akzidens. Die Frage ist nur, was aus den PhilosophilFLm. 31 (2002) Lehrerausbildung in der Diskussion 21 sehen Fakultäten (quantitativ, aber durch; ms auch qualitativ) wird, wenn man die Lehrerausbildung herauslöst. Gehen die angewandten Disziplinen dann mit an die neue, integrative Institution über an eine Institution, die sich vielleicht (über einen Fakultätsstatus und verbunden mit einem Zentralinstitut) zu einer Universität in der Universität entwickelt? Organisieren läßt sich vieles, die Frage ist nur, wie funktional die Struktur im Endeffekt ist. 4.3 Lehrerausbildung an der Fachhochschule? Ein (ungenannter) Grund, warum Politiker mit einem Lehrerbildungsmodell auf Fachhochschul-Basis liebäugeln, ist die Tatsache, daß die Lehrerbesoldung in Deutschland über der anderer EU-Länder liegt. Wie oben schon angedeutet, ist ein universitäres Vollstudium die klassische Voraussetzung für die Aufnahme in den Höheren Dienst mit Eingangsbesoldung A 13. Wenn man die Lehrerausbildung nun auf Fachhochschul- Niveau absenkt, werden die zukünftigen Lehrer billiger und die Länderhaushalte damit deutlich entlastet. Angesichts des allgemeinen Besoldungsniveaus in Europa läßt sich der Schritt als „Gang nach Europa" verkaufen, und da die breite Öffentlichkeit ohnehin der Meinung ist, daß Lehrer grundsätzlich überbezahlt sind (an die von Kanzler Schröder losgetretene „faule Säcke"-Diskussion sei erinnert), wird der Widerstand gegen einen solchen Schritt auf die Standesorganisationen beschränkt bleiben. 4.4 Mindestforderungen Wie auch immer die Lehrerausbildung organisiert werden mag: Unabdingbar erscheint ihre Unteilbarkeit. Es geht nicht an, die Grundschul-Lehrerinnen nach anderen Grundsätzen auszubilden als die Lehrer der Sekundarstufen, weil sie einen angeblich „einfacheren" oder „anderen" Unterricht erteilen. Verzahnung der Lehrämter ist angesagt, nicht deren Trennung. Schulisches Lernen ist ein Kontinuum, keine Abfolge von autonomen Stadien. Unabdingbar ist auch die Herstellung bzw. Wahrung des oben skizzierten integrativen Ansatzes in der Lehrerausbildung, verbunden mit einem konsequenten Ansatz von der Schule her, freilich einer Schule, die in den kommenden Jahren tiefgreifenden (auch fachlichen) Veränderungen unterworfen sein wird. Diese Veränderungen zu begleiten, ist gleichermaßen eine Aufgabe der Erziehungswissenschaften wie auch der Fachdidaktiken. Literatur HUNFELD, Hans/ SCHRÖDER, Konrad (Hrsg.) (1997): Was ist und was tut eigentlich Fremdsprachendidaktik? 25 Jahre Fachdidaktik in Bayern. Eine Bilanz. Augsburg: Universität (=Augsburger I&I- Schriften, 75). TENORTH, Heinz-Elmar (Hrsg.) (2001): Kerncurriculum Oberstufe. Mathematik - Deutsch - Englisch. Expertisen im Auftrag der Ständigen Konferenz der Kultusminister. Weinheim, Basel: Beltz. ]F[,l.l]L 31 (2002) Frank G. Königs • Sackgasse oder Verkehrsplanung ? Perspektiven für die Ausbildung von Fremdsprachenlehrern Abstract. Current studies and reports confirm tliat teacher development is insufficient in major parts. On the basis of this critical position the present paper asks which concrete reform suggestions could be derived from the current situation. lt does that by firstly commenting on some fundamental questions that are momentarily discussed in the broader public: limitation on the length of courses of studies, bachelorand master-programs, core curriculum, relationship between theory and practice, polyvalency of training. The answers to these questions lead to a concrete proposal on how the training of prospective foreign language teachers could and should be organized in future. 1. Wo stehen wir? Die Lehrerausbildung stehtwieder einmal in der Diskussion (und bei einigen wohl auch zur Disposition). Die Gründe dafür sind vielschichtig: ► Gutachten zur universitären Lehrerausbildung belegen aus z.T. wenigstens unterschiedlichen Richtungen deren Unzulänglichkeit (vgl. exemplarisch KMK-Kommission Lehrerbildung, erschienen als Terhart 2000; Wissenschaftsrat, Expertenkommission des Landes Nordrhein-Westfalen). ► Bildungsstudien weisen aus, daß unsere Schüler nicht das können, was sie eigentlich können sollten; in internationalen Studien scp.neiden deutsche Schüler (scheinbar? ) schlechter ab als Schüler aus (vielen) anderen Ländern (vgl. TIMSS, PISA). Diese Schieflage die nur zufällig an den schiefen Turm von Pisa 1 erinnert wird berechtigterweise damit erklärt daß Lehrer an .deutschen Schulen wohl über hinlängliche Fachkompetenz, nicht aber über angemessene didaktische, pädagogische und diagnostische Kompetenzen verfügen. ► Fachdidaktische Gesellschaften und Interessenvertreter reklamieren mit guten Gründen, daß ihr Anteil an der Lehrerausbildung.nicht hinreichend (verankert) ist (vgl. dazu einige Beiträge in Zydatiß 1998). Die Ursache dafür liegt nicht zuletzt in der Tatsache begründet, daß viele Fachwissenschaftler die Fachdidaktik (immer noch) als · Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Frank G. KÖNIGS, Univ.-Prof., Philipps Universität Marburg, Informationszentrum für Fremdsprachenforschung, Hans-Meerwein-Straße, 35032 MARBURG. E-Mail: koenigs@mailer.uni-marburg.de Arbeitsbereiche: Psycholinguistik des Fremdsprachenerwerbs, Interaktion im Fremdsprachenunterricht, Methodik und Didaktik der Fremdsprachenvermittlung. 1 Es sei daran erinnert, daß PISA für Programme For International Student Assessment steht und daß sich die Assoziation zum schiefen Turm ,rein zufällig' einstellt. lFLlJL 31 (2002) Sackgasse oder Verkehrsplanung? Perspektiven für die Ausbildung von Fremdsprachenlehrern 23 lästigen Wurmfortsatz betrachten, dessen Vergrößerung u.a. als ein Ergebnis der nicht bewältigten Integration der ehemaligen Pädagogischen Hochschulen in die Universitäten anzusehen ist. ► Ein Ergebnis der o.g. Bildungsstudien ist eine öffentliche Diskussion über den Bildungsbegriff: Was müssen unsere Schüler eigentlich wissen, wenn sie die Schule verlassen? Die Erziehungswissenschaft und besonders die Allgemeine Didaktik haben dazu bereits seit längerer Zeit ihre Vorstellungen ausführlich dargelegt (vgl. z.B. die Arbeiten von Wolfgang Klafki, exemplarisch 1991), doch hat diese Diskussion jenseits der Erziehungswissenschaft wenig (öffentliche) Resonanz gefunden. Mittlerweile wird diese Diskussion nicht zuletzt anhand des gestiegenen Interesses einer breiten Öffentlichkeit an Fernseh-Quiz-Sendungen in Nachrichtenmagazinen (z.B. Focus) und Fernsehsendungen geführt. Dabei werden die Kriterien, die hinter einem nicht selten diffusen Bildungsbegriff stehen, nur selten expliziert. Gleichzeitig lebt damit in den Fachwissenschaften die dort durchaus kontrovers geführte Diskussion um einen ,Kanon' wieder auf. ► Aus der in Deutschland im internationalen Vergleich langen Studienzeit resultieren Überlegungen zur Verkürzung der Studiendauer. Diese werden für beinahe alle Fächer angestellt, obwohl Lehramtsstudierende neuesten Veröffentlichungen zufolge (vgl. Özgenc/ Reinke-Nobbe 2002) nicht zu den Langzeitstudierenden gehören. So erklären sich Konzepte zu gestuften Studiengangsmodellen, die bundesweit auch für die Lehrerausbildung diskutiert werden; diese Modelle sind in ihrer Anlage durchaus unterschiedlich, orientieren sich aber alle am vermeintlichen Vorbild angelsächsischer Länder. ► In der Erziehungswissenschaft ist die Debatte um die Professionalisierung der Lehrer und im Zusammenhang damit der Lehrerausbildung nicht neu (vgl. exemplarisch den Literaturbericht von Terhart 1995 und die dort angegebene Literatur). In der Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung ist dieses Thema dagegen vergleichsweise neu. Das ergibt sich aus der Lemerorientierung, durch die das Forschungsparadigma in diesen Disziplinen in den Jahren nach 1975 im wesentlichen gekennzeichnet war. Erst in den letzten Jahren findet auch hier eine stärkere wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Fremdsprachenlehrer statt (exemplarisch verwiesen sei auf Caspari 1997; 1998 oder Schocker-von Ditfurth 2001). In diesen Kontext gehört auch das Stichwort Handlungsforschung. Die scheinbare Bewegung, die in die Diskussion um die Lehrerausbildung gekommen ist, führt uns allerdings zu einer durchaus ernüchternden Erkenntnis: Wenn man sich diese Debatte, auch in ihrer Entstehung, nämlich vergegenwärtigt, kommt man zu dem Ergebnis, daß wir an dem Punkt der Diskussion schon vor drei Jahrzehnten einmal standen. Damals war die Integration der Pädagogischen Hochschulen zu großen Teilen abgeschlossen; in der Folge entstanden zum einen inneruniversitär Diskussionen und Flügelkämpfe, ob es sich denn bei der verstärkten Berücksichtigung fachdidaktischer Ausbildungsinhalte überhaupt um die Vermittlung wissenschaftlicher Kenntnisse handele. Diese Diskussion führte zum einen dazu, daß sich etliche Fachdidaktiker wieder stärker JF[,11.llL 31 (2002) 24 Frank G. Königs den Fachwissenschaften zuwandten, um als Wissenschaftler ernst genommen zu werden. Als Langzeitwirkung zeitigte dies an einigen deutschen Universitäten Scheinstrukturen: Zwar existier(t)en dort Institutsstrukturen, die Fachdidaktik-Stellen ausweisen, aber diese sind nicht mit (aktuell forschenden) Fachdidaktikern besetzt und haben zu einer desolaten Situation für den wissenschaftlichen Nachwuchs in der Fachdidaktik geführt (vgl. z.B. die Analyse zur Fremdsprachendidaktik von Zydatiß/ Klippel 1998). Andererseits führte dies zu einer wissenschaftlichen Konsolidierung der Fremdsprachendidaktik: Die Sprachlehrforschung definierte unter Einbezug psycholinguistischer Erkenntnisse den Fremdsprachenunterricht als genuines Forschungsfeld und trug damit in erheblichem Umfang dazu bei, das Augenmerk stärker als bis dato auf den Forschungsgegenstand und verbunden damit auf die Forschungsmethoden zu richten und dadurch sowohl unter wissenschaftlichen als auch unter wissenschaftspolitischen Aspekten die Erforschung des Fremdsprachenunterrichts zu stärken (vgl. zu einem Rück- und Überblick Königs 2000). Stellt man einmal in Rechnung, daß sich natürlich inhaltliche Weiterentwicklungen in allen Disziplinen vollzogen, die mit der Lehrerausbildung zu tun haben, so haben wir es also mit durchaus nachhaltigen Veränderungen innerhalb der wissenschaftlichen Disziplinen zu tun, aber die Diskussionen um die Gestaltung der Lehrerausbildung selbst haben diese wohl nicht nachhaltig verändert. Nach wie vor bestimmen für die erste Ausbildungsphase Richtungskämpfe innerhalb der Universität diese Diskussionen, allerdings mit dem Unterschied, daß die Fachdidaktiken zumindest dürfte das für Sprachlehrforschung und Fremdsprachendidaktik gelten diese Diskussionen jetzt aus einer anderen Position führen (können), als dies vor drei Jahrzehnten der Fall war. Und das einhellige Urteil der oben erwähnten Studien und Gutachten lautet: Wir müssen die angehenden Lehrer bei Aufrechterhaltung eines hohen fachwissenschaftlichen Standards vor allem in der Fachdidaktik und in der Erziehungswissenschaft besser und berufsfeldbezogener ausbilden! Es ist absehbar, daß wir mit der Lehrerausbildung dann in einer Sackgasse landen, wenn es nicht gelingt, die universitären Grabenkämpfe des vorangehenden Jahrhunderts zu überwinden. Damit ist aber noch nichts darüber gesagt, in welche Richtung sich denn eine angemessene Lehrerausbildung zu bewegen hat. Die notwendige Orientierung für eine Richtungsentscheidung ergibt sich aus der Beantwortung einiger zentraler Fragen. 2. Weiche Optionen haben wir? Die Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen, sind u.a. die folgenden: • Brauchen wir einen neuen (oder überhaupt erst einmal einen) Konsens über die Anteile zwischen den jeweils beteiligten Fächern? • Brauchen wir Kerncurricula? Und was bedeutet die Antwort auf diese Frage für eine integrative Verzahnung der jeweiligen fachwissenschaftlichen, fachdidaktischen und erziehungswissenschaftlichen Ausbildungselemente? • Brauchen wir auch in der Lehrerausbildung gestufte Studiengänge? lFJLulL 31 (2002) Sackgasse oder Verkehrsplanung? Perspektiven für die Ausbildung von Fremdsprachenlehrern 25 • Mit welcher Zielrichtung kann und soll die Praxis in die universitäre Lehrerausbildung einfließen? • Wie soll das Verhältnis zwischen erster und zweiter Ausbildungsphase gestaltet werden? • Wie polyvalent kann die Lehrerausbildung überhaupt sein? Ich möchte im Folgenden versuchen, auf diese Fragen Antworten zu geben (2.1 bis 2.6) und daran anschließend darlegen, welche ausbildungspraktischen Konsequenzen daraus resultieren (3.). 2.1 Anteile und Stundenvolumina Der Ruf nach mehr Fachdidaktik und ggf. nach einer Ausweitung erziehungswissenschaftlicher Studienanteile in den o.g. Gutachten und Berichten hat natürlich die Fachwissenschaften alarmiert. Ihre Vertreter sprechen sich dafür aus, daß die fachwissenschaftlichen Studienanteile in der Lehrerausbildung nicht verringert werden. Interessanterweise wird dabei häufig argumentiert, daß dieser Anteil gegenüber Fachdidaktik und Pädagogik nicht verringert werden dürfe. Möglicherweise steht dahinter die Sorge, die jetzt im politischen Aufwind befindlichen Vertreter dieser Studienanteile könnten nun genauso rigide verfahren, wie das die Fachwissenschaftler seinerzeit getan haben und auch heute nur gar zu gerne tun würden, wenn es um die Anteile, Einflußnahmen und Stellen geht, die der jeweils ,anderen' Seite zugestanden werden. Doch geht es im Kern wirklich um diese Verhältnisse? Wohl kaum, denn wer sich auf diese Diskussion konzentriert, hat nicht begriffen, daß es um integrative, professionelles Handeln auf Seiten der zukünftigen Lehrenden (unter-)stützende Konzepte geht; ein solches Handeln muß unbedingt gefördert werden. Dabei ist interessant zu beobachten, daß die Anteile für die fachwissenschaftliche Ausbildung rein quantitativ in den letzten Jahren gesunken sind, ohne daß dies zu einem nennenswerten Qualitätsverlust beim fachwissenschaftlichen Kenntnisstand der angehenden Lehrer geführt zu haben scheint. Diese Feststellung sollte nun nicht als Einladung mißverstanden werden, die Fachanteile noch weiter zu kürzen. Das Gegenteil scheint sich vielmehr anzubieten: Die Bildungspolitik sollte sich trauen, den Umfang der in der Regelstudienzeit zu absolvierenden Semesterwochenstunden zu erhöhen. Damit bestünde die Möglichkeit, die Fachausbildung quantitativ konstant zu halten und die dringend erforderlichen erziehungswissenschaftlichen und fachdidaktischen Ausbildungsanteile zu erhöhen. Wie Untersuchungen und Umfrageergebnisse zeigen, sind Studiengänge mit hohem gesellschaftlichem Prestige und hohem Anforderungsprofil keineswegs diejenigen, die die größte Anzahl an Langzeitstudierenden aufweisen. Mir scheint, man sollte auch in der Lehrerausbildung die Leistungsanforderungen entsprechend definieren, ohne daß damit gleich eine Diskussion über Eliten, soziale Ungleichheiten etc. verbunden wird. Dies wird allerdings nur gelingen, wenn die notwendigerweise zu erhöhenden Quantitäten an Studien- und Leistungsnachweisen eingebettet sind in ein entsprechend gestaffeltes Förderungsprogramm. Dies müßte auch hier dem Grundsatz verpflichtet sein, daß Leistung sich wieder lohnen muß, allerdings lFLlllL 31 (2002) 26 Frank G. Königs dann auch sozialverträglich und gerecht alimentiert und damit für viele erst möglich gemacht wird. 2.2 Des Pudels Kern oder: Die Debatte um Kerncurricula Die Frage nach einem Kerncurriculum wird sich je nach Richtung, aus der man kommt, anders beantworten: Wer bisher aus der Fülle der durch ein Fach bearbeiteten Inhalte aus dem vollen schöpfen konnte, wird einem Kerncurriculum skeptisch gegenüber stehen, denn die Einigung auf den unverzichtbaren fachlichen Kern als Bestandteil der Ausbildung bedeutet in jedem Fall einen Verlust. Wer dagegen bislang ein spärliches Ausbildungsvolumen füllen muß(te), wird sich durch eine Festlegung auf einen fachlichen Kern nicht weiter beunruhigt fühlen, denn diesen mußte er schon bisher selbst finden und in die Ausbildung integrieren. Nun zielt die Frage nach dem Kern allerdings auf etwas anderes: Es geht um die Funktionalisierung von Ausbildungskomponenten und damit darum, angehenden (Fremdsprachen-)Lehrern die Inhalte anzubieten, die für ihr späteres Berufsfeld relevant sind. Diese Funktionalisierung soll dazu beitragen, daß das Lehrerstudium in der Regelstudienzeit absolviert werden kann. Kritik am Kerncurriculum kommt von Vertretern einer klassischen Allgemeinbildung. Sie bemühen das in dieser Pauschalität sicher zutreffende - Argument, daß ein Lehrer mehr wissen und können muß als das, was der Schulalltag ihm abverlangt. Das Plädoyer für eine breite Allgemeinbildung wird allerdings selten mit klaren Kriterien dafür verknüpft, was denn diese Allgemeinbildung ausmacht/ ausmachen soll. Schaut man sich z.B. unter dem Etikett ,Allgemeinbildung' angekündigte Tests an, wie sie z.B. in Zeitschriften oder Nachrichtenmagazinen veröffentlicht werden (vgl. jetzt z.B. den aktuellen Allgemeinbildungstest des F ocus vom 15.7.2002), so enthalten sie wohl nur z.T. Inhalte, die den Skeptikern der Kerncurricula vorschweben. So wird der Gedanke, der hinter den Kerncurricula steht nämlich die Funktionalisierung der Ausbildungsinhalte und ihre systematische Orientierung am späteren Berufsfeld unversehens zum Spielball einer universitären Diskussion, bei der nicht selten die konservativen Kräfte mangels besserer Argumente mit dem Allgemeinbildungsargument Punkte zu sammeln versuchen. Jede Form der Lehrerausbildung und jedes Fach, für das Lehrer ausgebildet werden, wird sich Rechenschaft darüber abzulegen haben, inwieweit die essentiellen, für eine spätere schulische Unterrichtstätigkeit unverzichtbaren Inhalte in die Ausbildung integriert werden konnten. Das setzt einerseits eine Orientierung der fachwissenschaftlichen Ausbildung an den geltenden Lehrplänen voraus, zumindest dergestalt, daß durch exemplarisches Lernen die Behandlung aller Inhalte sichergestellt ist, die in der Schule vermittelt werden sollen; es zieht andererseits die Verpflichtung nach sich, aktiv an der Gestaltung dieser Lehrpläne mitzuwirken. Wie Kerncurricula für einige schulische Fächer der gymnasialen Oberstufe aussehen können, ist in dem Band von Tenorth (2001) dokumentiert. Es wäre kurzsichtig, wollte man die Diskussion um Kerncurricula im Rahmen der Lehrerausbildung auf die Fächer beschränken und Fachdidaktik und Erziehungswissenschaft aus dieser Diskussion ausklammern. Vielmehr muß auch für diese Bereiche sichergestellt werden, daß die Ausbildung nicht durch solche Inhalte überfrachtet wird, lFlLlllL 31 (2002) Sackgasse oder Verkehrsplanung? Perspektiven für die Ausbildung von Fremdsprachenlehrern 27 die für professionelles Handeln im späteren Berufsfeld weniger relevant sind. Gleichwohl gilt es darüber nachzudenken, wie die notwendige integrative Verzahnung zwischen dem jeweiligen Fach, der Fachdidaktik und den Erziehungswissenschaften vorangetrieben werden kann. Sicher ist die Diskussion um Kerncurricula ein wichtiges Mittel, um diese Integration zu befördern, wenn man diese Diskussion vom Kanongedanken und Kanondenken befreit, die in der Vergangenheit die Diskussion in einigen Fächern nicht nur gefördert, sondern auch gelähmt haben, und wenn man die einzelnen Ausbildungselemente miteinander verzahnt, bis hin zur Planung (und ggf. auch Durchführung) gemeinsamer Lehrmodule aus fachwissenschaftlicher, fachdidaktischer und erziehungswissenschaftlicher Sicht. Es wäre zu kurz gegriffen, wollte man die Fachdidaktik als bloße schulische und konkreter: unterrichtliche Anwendung dessen verstehen, was die Fachwissenschaft an Inhalten zur Verfügung stellt. Gerade die Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung hat mit Recht immer wieder darauf hingewiesen, daß es sich beim Lehren und Lernen von Fremdsprachen um einen spezifischen Gegenstand handelt, der konsequenterweise auch einen spezifischen Forschungsgegenstand darstellt. Mag das Bewußtsein in anderen Fachdidaktiken diesbezüglich auch weniger ausgeprägt sein, so gilt dies doch wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß und vor dem Hintergrund spezifischer fach(wissenschaft)licher Traditionen für jedes Fach. Dabei sollte nicht verschwiegen werden, daß auch die Ausgestaltung des Anteils der Allgemeinen Didaktik an der Lehrerausbildung in der Vergangenheit durchaus kritisch eingeschätzt worden ist (vgl. z.B. Klafki 1994; Keck 1999; Koch-Priewe 2000; Königs 2001; Stübig in diesem Band). Diese kritische Einschätzung geht auf die häufig beobachtete geringe Verzahnung allgemein-didaktischer Inhalte mit anderen Ausbildungselementen und auf den nicht selten fehlenden erkennbaren Bezug zum aktuellen Berufsfeld ,Lehrer' zurück. Für die erziehungswissenschaftlichen Ausbildungsanteile hat dies u.a. dazu geführt, daß häufig zentrale Aspekte etwa der veränderten Kindheit und Jugend und familialen Sozialisation fehlen. 2 Diese müssen ebenso in die universitäre Lehrerausbildung integriert werden wie Aspekte der allgemeinen und der schulisch bezogenen (Lern-)Psychologie. Aus der angestrebten Verzahnung und schulischen bzw. unterrichtlichen Orientierung der angesprochenen Ausbildungsinhalte resultiert im übrigen auch die beinahe zwangsläufige Konsequenz, forschendes Lernen als wichtigen Gegenstand der universitären Lehrerausbildung zu begreifen (vgl. dazu u.a. auch Schocker-von Ditfurth in diesem Band). 2.3 Gestufte Studiengänge in der Lehrerausbildung: mit der Weisheit am Ende oder der Weisheit letzter Schluß? Die Diskussion um das Für und Wider gestufter Studiengänge in Deutschland hängt ursächlich mit zwei Entwicklungen zusammen: Zum einen erhofft man sich durch sie eine Internationalisierung der Ausbildungsgänge (Bologna-Prozeß) und verbunden damit 2 Vgl. dazu die berechtigte Forderung des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen (2002); vgl. zu den Inhalten z.B. ferner das Handbuch von Behnken/ Zinnecker (2001) sowie jetzt die Studien von Büchner (2002) und Büchner/ Koch (2002). ]F[,m, 31 (2002) 28 Frank G. Königs eine größere internationale Vergleichbarkeit von Studiengängen. Zum anderen wird zu ihren Gunsten ins Feld geführt, daß durch sie wesentlich zu einer Verkürzung der Studienzeiten beigetragen werde, die in Deutschland allgemein als zu lang insbesondere im internationalen Vergleichgelten. Neben den zahlreichen Initiativen für Bachelor- und Masterstudiengänge für die Nicht-Lehramtsfächer streben etliche Bundesländer auch an, die Lehramtsausbildung nach diesem Vorbild neu zu strukturieren. Über die Umsetzung herrscht allerdings alles andere als Einigkeit: Während in Nordrhein-Westfalen ein additives Modell favorisiert wird, in dem insbesondere die fachwissenschaftlichen Inhalte Gegenstand der Ausbildung bis zum ersten berufsqualifizierenden Abschluß (Bachelor) sein sollen, die im zweiten Ausbildungsabschnitt um insbesondere erziehungswissenschaftliche und fachdidaktische Inhalte ergänzt werden sollen (Master), sieht das rheinland-pfälzische Modell eine verstärkte berufsfeldfördernde Schwerpunktsetzung bereits in der ersten Phase bis zum Bachelor vor. Und die Wissenschaftliche Kommission Niedersachsen schlägt in ihren ,; Empfehlungen für die Weiterentwicklung der Lehrerbildung in Niedersachsen" vor, gestufte Studiengänge einzuführen, in deren erster Phase (bis zum Bachelor) bereits fachdidaktische und erziehungswissenschaftliche Ausbildungsteile fest verankert sind; dabei soll die Grundständigkeit des Lehramtsstudiums erhalten bleiben, "d.h. von Beginn des Studiums an sollte für diejenigen Studierenden mit dem klaren Berufswunsch ,Lehrer' eine möglichst hohe Verzahnung von Fachstudien, fachdidaktischen Studien, Grundwissenschaften und schulpraktischen Studien angestrebt werden" (Wissenschaftliche Kommission Niedersachsen 2002: 90). In beinahe allen Bundesländern ist die Einführung einer gestuften Lehrerausbildung immerhin in der Diskussion, doch sind wir von einheitlichen Vorstellungen über deren Gestaltung ,Lichtjahre' entfernt. Damit laufen wir Gefahr, die durch das Staatsexamen immerhin nominell gegebene Vergleichbarkeit der Abschlüsse in der Lehrerausbildung ohne Not aufzugeben. Eine internationale Vergleichbarkeit ist ohnehin nicht gegeben, da die meisten anderen (europäischen) Länder in der Regel den Ein-Fach-Lehrer ausbilden; soweit sich das bislang absehen läßt, will an der Zwei-Fach-Lehrerausbildung in Deutschland derzeit niemand ernsthaft rütteln zu Recht! · Die Argumente für eine gestufte Lehrerausbildung lassen sich argumentativ unschwer entkräften: ► Eine Studienzeitverkürzung wird durch die meisten der in der Diskussion befindlichen Modelle und Vorstellungen nicht erreicht. Sie träfe im übrigen einen Ausbildungsgang, der offenbar nicht durch Langzeitstudierende besonders gekennzeichnet ist (vgl. z.B. Özgenc/ Reinke-Nobbe 2002). · ► Mit dem Etikett des Bachelor wird eine Internationalisierung suggeriert, die durch die in der Diskussion befindlichen Modelle allerdings in Wahrheit nicht erreicht wird: Der angelsächsische Bachelor ist von einem gleichnamigen Abschluß in anderen Ländern wie z.B. den USAdeutlich verschieden. In den Vereinigten Staaten wird z.B. davon ausgegangen, daß ein Bachelor ohnehin erst nach vier Studienjahren erreicht wird (vgl. z.B. Doerry/ Fleischhauer 2002). Der Bachelor, wie er nun für die deutsche Lehrerausbildung diskutiert wird, hätte noch einmal ein anderes Profil. Warum also eine Bezeichnung für gänzlich unterschiedliche Inhalte und Profile? lFLIIL 31 (2002) Sackgasse oder Verkehrsplanung? Perspektiven für die Ausbildung von Fremdsprachenlehrern 29 ► Ziel der Diskussion um gestufte Studiengänge ist es anerkanntermaßen, deutsche Studierende früher als bisher mit einem berufsqualifizierenden Abschluß auszustatten. Was aber ist das berufsqualifizierende Profil des deutschen Lehramts-Bachelors? Alle Modelle betonen, daß Lehrer erst werden könne, wer auch den Master angeschlossen habe. Worin also besteht die Berufsqualifizierung des Bachelor in der Lehrerausbildung? Diese Frage stellt sich nicht zuletzt angesichts der vielerorts durchaus zu Recht angemahnten integrativen Verzahnung fachwissenschaftlicher, fachdidaktischer und erziehungswissenschaftlicher Ausbildungsteile. ► Die gestuften Studiengangsmodelle gehen von der Annahme aus, daß bisherige Studiengänge ,entschlackt' werden können. Das kann man wohl mit Fug und Recht annehmen, aber das heißt nicht automatisch ,Verkürzung'; schließlich verweisen die genannten Expertengutachten und Bildungsstudien darauf, daß wesentliche Komponenten für eine dem Berufsfeld angemessene Lehrerausbildung bislang entweder vollständig fehlen oder sträflich unterrepräsentiert sind. Beispielhaft erwähnt seien fachdidaktische Kompetenzen, die in beinahe allen der genannten Studien als zu wenig ausgeprägt eingestuft werden, sowie Diagnosekompetenzen, auch im Zusammenhang mit der außerschulischen, insbesondere der familialen Sozialisation von Schülern (vgl. zum letztgenannten Punkt z.B. den Wissenschaftlichen Beirat für Familienfragen 2002). Fazit: Gestufte Ausbildungsgänge in der Form, wie sie derzeit in der bundesdeutschen Debatte diskutiert werden, tragen kaum dazu bei, die festgestellten Mängel in der Lehrerausbildung zu beseitigen. 2.4 Ein altes und immer noch nicht gelöstes Problem: Das Verhältnis von Theorie und Praxis Das Ziel der Lehrerausbildung ist die Ausbildung zum professionellen unterrichtlichen Handeln. Die Grundlage dafür ist eine wissenschaftliche Reflexion von Unterricht und seiner konstitutiven Faktoren einschließlich des eigenen Tuns. Lehrer wird man also weder durch die Rezeption wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden allein noch durch bloßes unterrichtliches Handeln allein. Gegenstand ist vielmehr die mit wissenschaftlichen Methoden erfolgende Auseinandersetzung mit fachwissenschaftlichen, fachdidaktischen und erziehungswissenschaftlichen Erkenntnisse, und zwar insbesondere in ihrer Bedeutung für das Lehren und Lernen. Das schließt natürlich keineswegs die Betrachtung fachwissenschaftlicher Erkenntnisse in Loslösung vom unterrichtlichen oder schulischen Kontext aus; allerdings muß sichergestellt werden, daß die Ausbildung auch hinreichend Gelegenheit dazu bietet, das Phänomen ,Unterricht' sowohl in Bezug auf die fachwissenschaftlichen Inhalte als auch auf seine Eigengesetzlichkeit und auf das eigene unterrichtliche Handeln zu reflektieren, zu analysieren und daraus begründete Empfehlungen für die (eigene) unterrichtliche Praxis abzuleiten. Dabei schließt die Analyse von Unterricht auch die Fähigkeit zur Diagnose der am Unterricht beteiligten Personen mit ein. Angehende Lehrer müssen folglich lernen, schülerseitiges Handeln in seinen auch fl,lJlL 31 (2002) 30 Frank G. Königs außerhalb des Unterrichts selbst liegenden Ursachen zu erkennen und diese Erkenntnisse für methodisches und therapeutisches Handeln nutzbar zu machen. Die vielfach erhobene Forderung nach integrativen Ausbildungselementen zeigt an, daß es gerade an dieser Integration vielfach mangelt. Dies mag damit zusammenhängen, daß es nicht selten an der notwendigen Einsicht mangelt, welche Bedeutung die jeweiligen Ausbildungselemente für die spätere Praxis haben. Damit ist nicht gemeint, daß jeder z.B. fachwissenschaftliche - Inhalt unmittelbar seine Spiegelung im Unterricht haben muß. Gemeint ist aber, daß angehende Lehrer erkennen (lernen) müssen, daß diese Inhalte von mittelbarer Bedeutung für den Unterricht sind und daß es für sie auch notwendig ist, in ihrer Ausbildung mehr zu lernen, als an fachwissenschaftlichen Erkenntnissen für die je konkrete Unterrichtsplanung, -durchführung und -analyse gebraucht wird. Die durch das Kerncurriculum sowie darauf aufbauende Module behandelten Inhalte müssen folglich vor dem Hintergrund dieses umfassenden Praxisverständnisses funktionalisiert werden oder zumindest funktionalisierbar sein. Dabei gilt für alle Ausbildungsinhalte die Einübung in wissenschaftliche Methoden und ihre Anwendung auf die je spezifischen Forschungsgegenstände. Nicht an allen Ausbildungsorten hat sich dabei die Erkenntnis durchgesetzt, daß auch das Lehren und Lernen einen eigenständigen Forschungsgegenstand darstellt, den es mit wissenschaftlichen Methoden zu erfassen gilt. Damit gilt für alle Komponenten universitärer Lehrerausbildung, daß sie aus der Forschung erwachsen und durch die Forschung basiert sind. Eine besondere Bedeutung kommt dabei den Schulpraktischen Studien zu, deren Aufgabe unter erziehungswissenschaftlichem und fachdidaktischem Aspekt darin besteht, den Rollenwechsel vom ehemals Lernenden und damit vom Abnehmer von Unterricht zum Lehrenden und damit zum primär Verantwortlichen für Unterricht, und zwar in der Planung und Durchführung zu vollziehen, eigenes unterrichtliches Handeln nicht nur zu planen, sondern diese Planung auch umzusetzen und zum Gegenstand der (Selbst-) Reflexion zu machen. Vorliegende empirische Analysen universitärer Praxisphasen zeigen, daß dieser Ausbildungsabschnitt verbesserungswürdig ist (vgl. z.B. Gabel 1997), wenngleich für bestimmte Bereiche durchaus kreative Ausbildungsideen umgesetzt werden. 3 Die Anbindung an die Praxis darf allerdings nicht auf die Schulpraktischen Studien beschränkt werden bzw. bleiben, sondern die Praxis muß auch Gegenstand wissenschaftlicher Reflexion und wissenschaftlicher Analysen in erziehungswissenschaftlichen und fachdidaktischen Lehrveranstaltungen sein. Dabei ist zu unterscheiden zwischen einer wissenschaftlichen Basierung des unterrichtlichen Handelns und damit dessen Grundlegung in der ersten Phase und der schwerpunktmäßigen Einübung unterrichtlichen Handelns in der zweiten Phase der Lehrerausbildung. Vgl. zu einigen Beispielen für den Bereich Deutsch als Fremdsprache den Band von Ehnert/ Königs (2000). R.llL 31 (2002) Sackgasse oder Verkehrsplanung? Perspektiven für die Ausbildung von Fremdsprachenlehrern 31 2.5 (Noch) Ein altes und nicht hinreichend gelöstes Problem: Das Verhältnis von erster und zweiter Ausbildungsphase „Jetzt vergessen Sie erst einmal, was Sie auf der Universität alles gemacht haben. Hier läuft alles ganz anders" oder „Wir brauchen von der Universität eine stärkere Berücksichtigung erziehungswissenschaftlicher und bildungssoziologischer Inhalte. Die Fachdidaktik erledigen wir hier schon selbst" sind häufig kolportierte Aussagen aus der zweiten postuniversitären Ausbildungsphase, die deutlich indizieren, daß die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ausbildungsphasen stark verbesserungswürdig ist (vgl. dazu u.a. auch das Interview mit Erdmute Pickerodt in diesem Band). Daß der obigen Äußerung ein sehr verkürztes und wissenschaftlich nicht haltbares Fachdidaktik-Verständnis zugrunde liegt, sei hier nur am Rande erwähnt. Die Überwindung der Kluft zwischen den Ausbildungsphasen erfordert die systematische Zusammenarbeit zwischen erster und zweiter Ausbildungsphase. Diese kann z.B. darin bestehen, daß gemeinsame Lehrveranstaltungen zwischen Lehrenden dieser Phasen durchgeführt werden, die jeweils auch in beiden Kontexten stattfinden sollten. Denkbar ist dabei ebenso ein Lehrangebot mit identischen wie mit unterschiedlichen Themenstellungen. Allerdings sollte im Zweifelsfall der Trennung der Kontexte der Vorzug gegeben werden; also Veranstaltungen für Studierende sollten nicht gleichzeitig für Referendare durchgeführt werden und umgekehrt. Diese Veranstaltungen sollen für den universitären Ausbildungsteil im letzten Drittel des Studiums liegen und unter der Voraussetzung stattfinden, daß die Studierenden die Schulpraktischen Studien sowohl die allgemein erziehungswissenschaftlichen als auch die fachdidaktischen bereits absolviert haben. Darüber hinaus sollte es zur Regel werden, daß die Vertreter der jeweils anderen Ausbildungsphase an den curricularen Überlegungen zur Gestaltung der jeweiligen Ausbildungsphase kontinuierlich und systematisch einbezogen werden. Daß damit ein erhöhter Personalbedarf verbunden ist, liegt auf der Hand; wenn man aber eine Professionalisierung der Lehrerausbildung anstrebt, darf dies kein ernsthaftes Hinderungsargument sein. 2.6 Wie polyvalent kann und soll die Lehrerausbildung sein? Überlegungen zur Schaffung innovativer Studiengänge operieren häufig mit dem Begründung einer angestrebten Polyvalenz; unter Verweis auf entstehende Synergieeffekte wird argumentiert, daß es durch Lehrveranstaltungen, die in mehreren Studiengängen verortet sind, möglich ist, das Ausbildungsprofil einer Institution deutlich zu verbreitern, ohne gleichzeitig den Umfang des Lehrpersonals in gleicher Weise zu erhöhen. Vernünftigerweise kann nicht bestritten werden, daß eine solche Argumentationsweise legitim ist und auch durchaus ihre Berechtigung hat. Allerdings muß eingestanden werden, daß der Anstieg polyvalenter Lehrveranstaltungen zumeist einhergeht mit einem Verlust an Spezifität. ·Dies mag für etliche Studiengänge außerhalb der Lehrerausbildung kein Schaden sein, da die Berufsfeldorientierung nicht ausbildungsrelevant ist jedenfalls nicht in einem Maße, wie es in der Lehrerausbildung naturgemäß der Fall ist und sein muß. ·Und auch für die Lehrerausbildung mag sich eine Steigerung der Polyvalenz lFJL1llllL 31 (2002) 32 Frank G. Königs anbieten allerdings wohl kaum in toto, sondern eher fachbzw. fächerbezogen: Das mögliche Berufsfeld eines Studierenden der Biologie ist per se breiter als das eines Philologen, und das Ziel des Lehramtsstudiums ist es, einen zukünftigen Lehrer für zwei Fächer berufsfeldbezogen auszubilden. Diese Berufsfeldorientierung setzt der angestrebten Polyvalenz natürliche Grenzen. Zieht man die bereits mehrfach erwähnten Mängel der derzeitigen Lehrerausbildung in Betracht, die eine Ausweitung des Studienvolumens notwendig machen, so ergibt sich zwangsläufig die Verschiebung polyvalenzfördernder Ausbildungselemente in den Bereich optionaler Module. Deren Zusammenstellung und die damit verbundene Profilbildung sollten dann in die Eigenverantwortlichkeit der Studierenden gestellt werden und nicht genuiner Bestandteil des obligatorischen Teils der Lehrerausbildung sein. 3. Und die Konsequenzen? - Ein Vorschlag Während die vorangehenden Überlegungen zu großen Teilen für die Lehrerausbildung allgemein Gültigkeit beanspruchen, bezieht sich der im Folgenden entfaltete Vorschlag ausschließlich auf die Ausbildung angehender Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer, und zwar derjenigen, die zukünftig moderne Fremdsprachen unterrichten wollen. Diese Einschränkung ergibt sich aus der Spezifik der fremdsprachlichen Fächer gegenüber z.B. den natur- oder den gesellschaftswissenschaftlichen; sie ergibt sich auch aus den fachimmanenten wesentlichen Unterschieden gegenüber der Fachstruktur und dem selbstverstandenen Bildungsauftrag der klassischen Sprachen. Wenngleich die Frage des Studienumfangs nicht gänzlich ausgeblendet werden kann, soll sie gleichwohl nicht zum Ausgangspunkt meines Vorschlags gemacht werden. Zum einen habe ich bereits oben darauf hingewiesen, daß eine angemessene Lehrerausbildung nicht mit den derzeit vorgesehenen Stundenvolumina auskommen kann; zum anderen halte ich es für prinzipiell bedenklich, eine eigentlich inhaltlich zu bestimmende Reform der Lehrerausbildung an organisatorischen Eckdaten auszurichten. Da ich selbst in meinem Arbeitskontext für Fremdsprachendidaktik und Erziehungswissenschaft zuständig bin, beziehen sich die folgenden Details auch nur auf diese beiden Segmente der Ausbildung. Die sich an diese Ausführungen anschließende grafische Übersicht versucht; auch Inhalte aus den anderen Segmenten zumindest ansatzweise zu integrieren. Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt, ist der primäre Gegenstand der Ausbildung und später der Vermittlung die (Fremd-)Sprache (vgl. Meißner [et al.] 2001; vgl. auch Königs 2001). Dies gibt der Ausbildung der sprachpraktischen Kompetenz den Vorzug vor fachwissenschaftlichen Kompetenzen. Diese Komponente muß in der zukünftigen Fremdsprachenlehrerausbildung deutlich gestärkt werden. Ausgerichtet werden sollte sie an internationalen Standards zur Kompetenzbeschreibung. Neben international anerkannten sprachspezifischen Tests wie dem Cambridge Certifi,cate, dem TOEFL, DELF oder DALF bieten sich dabei die Maßstäbe an, wie sie im Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen entfaltet werden (vgl. Trim/ North/ Coste 2001). Bei allen Vorbehalten, die man ihm gegenüber haben kann, ja haben muß (vgl. dazu die meisten Beiträge in Bausch/ FlLrutL 31 (2002) Sackgasse oder Verkehrsplanung? Perspektiven für die Ausbildung von Fremdsprachenlehrern 33 Christ/ Königs/ Krumm 2002), bieten die in ihm dokumentierten Skalen und Beschreibungsansätze Ansätze zu einer Neustrukturierung der sprachpraktischen Ausbildung an der Universität (vgl. Königs 2002). Darin lassen sich auch landeskundliche Ausbildungsziele integrieren, für deren Erreichung der Grundsatz gelten sollte, daß sie ausschließlich in der Fremdsprache zu vermitteln sind. Orientiert z.B. am Europäischen Referenzrahmen könnten die Niveaus definiert werden, die zu bestimmten Studienzeitpunkten zu erreichen sind (z.B. Zwischenprüfungen, Examen) und auf die mit domänen- und skillspezifischen sprachpraktischen Veranstaltungen systematisch hinzuführen ist. Der Platz der Übersetzung in der Ausbildung muß dabei überdacht werden; als Mittel zur Überprüfung von Sprachkompetenz ist sie bekanntermaßen ungeeignet; soll sie zu einer rudimentären sprachmittlerischen Kompetenz führen, setzt dies Kurskonzeptionen und didaktische Maßnahmen voraus, die sich von traditionellen ,philologischen' Übersetzungskursen signifikant unterscheiden müßten (vgl. dazu z.B. Königs 1994; Kautz 2000). Das sprachpraktische Ausbildungssegment sollte schließlich auch das selbstreflexive Lernen einer neuen Fremdsprache enthalten (vgl. auch dazu Königs 2001; Meißner [et al.] 2001), wobei dieser Lernvorgang systematisch und unter Anleitung beobachtet und reflektiert werden soll mit dem Ziel, daraus auch unterrichtsrelevante - Erkenntnisse für die Vermittlung fremdsprachlicher Lernstrategien und zur Förderung autonomen Fremdsprachenlernens abzuleiten. Außerdem sind die organisatorischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß jeder Studierende einen Studienaufenthalt im Land seiner Zielsprache absolvieren kann, wobei z.B. mit Hilfe der europäischen Programme sicherzustellen ist, daß dort Studiengangsmodule (siehe unten) absolviert werden können, die an der Heimatuniversität angerechnet werden können. Gilt für die Sprachpraxis die Vermittlung einer möglichst umfassenden Kompetenz, so müssen die anderen wissenschaftlichen Disziplinen - Sprach-, Literaturwissenschaft, Fachdidaktik, Erziehungswissenschaft im Sinne eines Kerncurriculums entscheiden, welche Inhalte in einem obligatorischen und welche Inhalte in einem optionalen Teil vermittelt werden sollen. Kriterium für die Auswahl der Inhalte sollte ihre (mögliche) Funktionalisierung im Hinblick auf das spätere Berufsfeld sein. Damit ergibt sich für alle Inhalte dieser Disziplinen eine Zuordnung zu einer der drei möglichen Studienausschnitte: A obligatorischer Kernbereich B optionaler Wahlpflichtbereich C optionaler Wahlbereich Der Kernbereich sollte auch in seinen Strukturen verbindlich geregelt sein~ demgegenüber bieten sich für die Bereiche B und C Module an, aus denen die Studierenden eine Auswahl vornehmen. Während die Auswahlmöglichkeiten in B vorstrukturiert sind, finden sich in C optionale Angebote, durch deren Absolvierung Studierende ihr spezifisches Profil entwickeln können, das zusätzlich zertifiziert wird und z.B. zukünftigen Arbeitgebern seien es Schulen oder außerschulische Arbeitgeber eine Orientierung über die Kompetenzprofile der Studierenden gibt. lFLwL 31 (2002) 34 Frank G. Königs Wie an anderer Stelle dargelegt, halte ich die folgenden Inhalte für die Fremdsprachendidaktik für unverzichtbare Kernmodule (vgl. Königs 2001: 28 ff): • Einführung in die Fremdsprachendidaktik (Überblickcharakter, kann durchaus sprachübergreifend angeboten werden) • Fremdsprachenlernpsychologie • Curriculumentscheidungen für den Fremdsprachenunterricht • Methoden der Fremdsprachenvermittlung • Leistungskontrolle und Testen • Lehrmaterialien und ihr Einsatz im Fremdsprachenunterricht • Fachdidaktische Schulpraktische Studien Für den Wahlpflichtbereich B bieten sich Module an wie: • Altersspezifische Komponenten des Fremdsprachenlernens • Neue Technologien und Fremdsprachenunterricht • Inhalte im Fremdsprachenunterricht • Sachfachunterricht in der Fremdsprache • Mehrsprachig angelegter Fremdsprachenunterricht • Muttersprache als Fremdsprache (eine DaF-Komponente für Englisch-, Französisch-, Spanischetc. Lehrer) Im Wahlbereich C sollten stärker aber keineswegs ausschließlich - Inhalte angeboten werden, die Tätigkeitsfelder außerhalb der Schule im Blick halten, also z.B.: • Übersetzungsdidaktisches Modul für angehende Übersetzungslehrer • Fachsprachliches und fachsprachendidaktisches Ausbildungsmodul für betriebliche Fremdsprachenaus- und -weiterbildung • Fremdsprachenpolitik, auch im europäischen Vergleich. Für das erziehungswissenschaftliche Ausbildungssegment bieten sich Pflichtmodule zu folgenden Inhalten an: • Allgemein didaktische Theorien und Modelle • Außerschulische Kindheits- und Jugendentwicklung • Migration, soziale Deprivation und Chancengleichheit • Allgemeine Lernpsychologie und Lehr 0 Lernforschung • Schulformen und Schulentwicklung • Unterrichtsplanung und Unterrichtsstörungen • Politische Legitimation von Schule und Bildung • Bildungsforschung und Bildungstheorie • Erziehungswissenschaftliche Schulpraktische Studien Für den Wahlpflichtbereich kommen Module in Betracht wie: • Schulorganisation und Schulmanagement • Schule im europäischen Vergleich lFILl! lL 31 (2002) Sackgasse oder Verkehrsplanung? Perspektiven für die Ausbildung von Fremdsprachenlehrern 35 • Historische Entwicklung der Schule • Schulprojekte • Gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen in ihrem Einfluß auf Schule und Bildung • Beratung, individuelle Förderung und Differenzierung in Schule und Unterricht Inhalte des Wahlbereichs C könnten z.B. sein: • Außerschulische Jugendarbeit • Supervision, Gruppenmanagement • Jugendhilfe und Schule Um einer solchermaßen gestalteten universitären Lehrerausbildung das Prädikat ,integrativ' verleihen zu können, muß eine vielschichtige Verzahnung - und zwar sowohl innerhalb der jeweiligen Ausbildungssegmente als auch zwischen ihnen und ggf. auch über Fachgrenzen hinweg sichergestellt werden. Dazu einige Beispiele: • Die Verknüpfung z.B. des Themengebiets ,außerschulische Kindheits- und Jugendentwicklung mit Teilen der erziehungswissenschaftlichen Schulpraktischen Studien kann durch entsprechendes (partielles) Teamteaching erfolgen und erlaubt den Nachvollzug z.B. theoretischer Konzeptionen und Ergebnisse in der beobachteten und analysierten unterrichtlichen Praxis. ,(Beispiel für eine Verzahnung innerhalb eines Ausbildungssegments). • Eine Lehrveranstaltung zur Grammatik im Fremdsprachenunterricht kann gemeinsam von einem Linguisten und einem Fremdsprachendidaktiker durchgeführt werden, die das Seminarthema aus ihrer jeweiligen fachwissenschaftlichen Sicht darstellen und mit den Teilnehmern die unterrichtspraktischen Konsequenzen erarbeiten (Beispiel für eine Verzahnung zwischen Ausbildungssegmenten). • Lehrveranstaltungen, in denen z.B. theoretische wie praktische Aspekte der Unterrichtsplanung und -analyse im Mittelpunkt stehen, können von Allgemeinen und Fachdidaktikern gemeinsam durchgeführt werden mit dem Ziel, die je spezifischen Ansätze und Verfahren transparent(er) zu machen. • Grundlegende Module können sprachübergreifend angeboten werden: So ist z.B. denkbar, daß eine Grundlagenveranstaltung zur Phonetik und Phonologie von einem Germanisten durchgeführt wird, in deren Verlauf allerdings sprachspezifische Öffnungen nicht nur möglich, sondern systematisch geplant werden müßten. Ein angehender Englisch- und Französischlehrer muß eine solche Grundlagenveranstaltung nicht zweimal besuchen, und er muß sie nicht notwendigerweise in , seinen' Sprachen bekommen. Die sprachspezifische intensive Anwendung und ggf. Problematisierung müßte dann allerdings auch in einer sprachspezifischen, zeitlich nachfolgenden Lehrveranstaltung erfolgen. • Gemeinsame Lehrveranstaltungen zwischen Universität und Studienseminar sollten alle Ausbildungssegmente umfassen und gegen Ende der universitären Ausbildungsphase erfolgen. lFlLl! IL 31 (2002) 36 Frank G. Königs Die Studienorganisation müßte sicherstellen, daß mindestens ein Viertel der Lehrveranstaltungen diesen Integrationsprinzipien folgt. Für die Studierenden ist der Besuch der Kernmodule Pflicht; aus dem Bereich der Wahlpflichtmodule wählen sie eine festzulegende Anzahl aus; darüber hinausgehende Module aus dem Wahlpflichtbereich und aus dem Wahlbereich können sie zusätzlich absolvieren. Ihr erfolgreicher Besuch wird zusätzlich auf dem Staatsexamen zertifiziert. Übergreifende Module müssen bei benachbarten Fächern selbstverständlich nur einmal besucht werden (unser angehender Englisch- und Französischlehrer brauchte also die oben exemplarisch erwähnte Grundlagenveranstaltung zur Phonetik und Phonologie nur einmal zu absolvieren). Schematisch läßt sich das beschriebene Ausbildungskonzept gemäß Abb. 1 (__. S. 37- 38) darstellen 4; dabei sind mir vorab die folgenden Hinweise wichtig: ► Gefüllt sind diejenigen Ausbildungssegmente, für die entsprechende Diskussion im Gange sind und die ich einigermaßen überschaue; soweit ich sehe, hat die Literaturwissenschaft spezifische Schichtungen, wie sie z.B. für die Sprachwissenschaft diskutiert werden, noch nicht in hinreichender Form in die Diskussion um die Lehrerausbildung eingebracht. Als Nicht-Literaturwissenschaftler will ich daher entsprechenden Diskussionen nicht vorgreifen und lasse daher den Block für dieses Ausbildungssegment für die Darstellung weitgehend unbesetzt. ► Das Schema soll ausdrücklich nicht Umfangsquantitäten widerspiegeln. Es geht ausschließlich von den inhaltlichen Anforderungen aus, die an zukünftige Fremdsprachenlehrer zu vermitteln sind. ► Die genannten thematischen Komplexe für die Sprachwissenschaft und die Erziehungswissenschaft verstehen sich ausdrücklich als ein möglicher Vorschlag. ► Für die jeweiligen Ausprägungen der Kern-, Wahlpflicht- und Wahlmodule haben die Universitäten die Möglichkeit, ihr je eigenes standortspezifisches Profil in der Lehrerausbildung herauszubilden und zur Grundlage des Lehrangebots zu machen. 4 Dabei sind die durch Linien verbundenen Elemente Beispiele für Verknüpfungsmöglichkeiten IFJLtnL 31 (2002) ~ <.,.) - ~~ • Skill- und domänenspezifische Sprachvermittlung • Orientierung des Curriculums an international anerkannten Niveauskalen und/ oder Tests • Integrierte Landeskundevermittlung, einschl. Auseinandersetzung mit dem Fremdheitsbegriff, Stereotypenforschung etc. • Studienaufenthalt in einem Land der Zielsprache Al Kernmodule (auch sprachübergreifend) Al Kernmodule (auch sprachübergreifend) • Grammatiktheorien ~• Gattungen, Textformen • Lexikon, Wortschatz, Se- • Literarische Traditionen mantik ----- • Literarische Epochen • Phonetik u. Phonologie • Literarische Strömungen • Sprecherziehung • Psycholinguistik, Sprachverwendung und -erwerb A2 Kernmodule (sprachspezifisch) • Wie oben am Beispiel der Sprache X A2 Kernmodule (sprachspezifisch) • Wie oben am Beispiel der Sprache X • Zentrale Autoren der Sprache X • Aktuelle literarische Entwicklungen in der Sprache X Al Kernmodule (auch sprachübergreifend) • Einführung in die Fremdsprachendidaktik • Interaktion im Fremdsprachenunterricht • Fremdsprachenlernpsychologie • Methoden der Fremdsprachenvermittlung A2 Kernmodule (sprachspezifisch) • Curriculumentscheidungen für den Fremdsprachenunterricht der Sprache X • Leistungskontrolle und Testen im Fremdsprachenunterricht der Sprache X • Lehrmaterialien für und im Fremdsprachenunterricht der Sprache X • Fachdidaktische Schulpraktische Studien für die Sprache X A Kernmodule • Allgemein didaktische Theorien und Modelle • Außerschulische Kindheits- und Jugendentwicklung • Migration, soziale Deprivation und Chancengleich heit • Allgemeine Lernpsycholo gie und Lehr-Lernforschung • Schulformen und Schulentwicklung • Unterrichtsplanung und Unterrichtsstörungen • Politische Legitimation von Schule und Bildung • Bildungsforschung und Bildungstheorie • Erziehungswissenschaftli -, ehe Schulpraktische Studien ~ r, ~ .: , t: ; " Cl ~ " ~ * ~ ~ § ! •-s, ~ ~ t- ; " '? : " ~ ~ [ ~ ~ " § i ~ >,: , i: l ~ ~ §: ~ ; ; 1 \.; ,.) -..J ~ t.,.) - ~ 0 ~ B Wahlpflichtmodule • Diachrone Sprachbeschreibung • Varietätenlinguistik C Wahlmodule B Wahlpflichtmodule C Wahlmodule B Wahlpflichtmodule • Altersspezifische Komponenten des Fremdsprachenlernens • Neue Technologien und Fremdsprachenunterricht • Inhalte im Fremdsprachenunterricht • Sachfachunterricht in der Fremdsprache • Mehrsprachig angelegter Fremdsprachenunterricht • Muttersprache als Fremdsprache C Wahlmodule B Wahlpflichtmodule • Schulorganisation und Schulmanagement • Schule im europäischen Vergleich • Historische Entwicklung der Schule • Schulprojekte • Gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen in ihrem Einfluß auf Schule und Bildung • Beratung, indiv. Förderung und Differenzierung in Schule und Unterricht C Wahlmodule • Übersetzungsdidaktisches • Außerschulische Jugend- Modul für angehende Überarbeit setzungslehrer • Supervision, Gruppenma- • Fachsprachliches und fachnagement sprachendidaktisches Aus- • Jugendhilfe und Schule bildungsmodul für betriebliche Fremdsprachen-aus- und -weiterbildung • Fremdsprachenpolitik, auch im europäischen Vergleich Abb. 1: Ausbildung von Fremdsprachenlehrerinnen und Fremdsprachenlehrern V, 00 l 0 ~ ; : ,· ~- Sackgasse oder Verkehrsplanung? Perspektiven für die Ausbildung von Fremdsprachenlehrern 39 Das beschriebene Ausbildungskonzept geht implizit davon aus, daß der fachwissenschaftliche Anteil quantitativ nicht abgesenkt werden darf, daß die erziehungswissenschaftlichen und fachdidaktischen Inhalte allerdings im hier skizzierten Sinne auszuweiten sind. Daß ein solches Konzept nicht kostenneutral zu haben ist, liegt auf der Hand. Ebenso liegt auf der Hand, daß man der derzeitigen Lehrerausbildung nicht gravierende Mängel in bestimmten Bereichen attestieren und gleichzeitig annehmen kann, daß diese unter Verlust bisheriger Stärken und ohne entsprechende personelle Ausbildungsstrukturen behoben werden können. Die vorangehenden Überlegungen hatten zum Ziel, sich mit aktuellen und grundsätzlichen Fragen der (Fremdsprachen-)Lehrerausbildung zu befassen, gegenwärtige Trends in fachlichen und öffentlichen Diskussion auf ihre Angemessenheit zu hinterfragen und auf dieser Grundlage einen möglichen Ausweg aus der sich abzeichnenden und vielfach diagnostierten Sackgasse aufzuzeigen. Daß dieser Ausweg weder über Nacht zu realisieren noch kostengünstig zu haben ist, sollte deutlich geworden sein. Aber es geht schließlich auch um nicht mehr und nicht weniger als die bessere Ausbildung derjenigen Personen, denen die schulische Bildung unserer Kinder und Enkelkinder anvertraut werden soll und von denen alle die Gesellschaft insgesamt, die Bildungspolitiker im Besonderen wollen, daß sie im internationalen Vergleich zukünftig besser abschneiden, als die aktuell diskutierten Bildungsstudien das ausweisen. Dieses Ziel sollte uns einen gewissen Preis wert sein sonst können wir gleich in der Sackgasse bleiben! Literatur BAUSCH, Karl-Richard/ CHRIST, Herbert/ KÖNIGS, Frank G. / KRUMM, Hans-Jürgen (Hrsg.) (2002): Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen in der Diskussion. Arbeitspapiere der 22. Frühjahrskonferenz z.ur Eiforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr 2002 [im Druck]. BEHNKEN, Imbke/ ZINNECKER, Jürgen (Hrsg.)(2001): Kinder. Kindheit. Lebensgeschichte. Ein Handbuch. Seelze-Velber: Kallmeyersche Verlagsbuchhandlung. 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How to prepare language teachers for their future tasks? This question has become increasingly important considering recent trends to reorganize university studies in Germany and also in the light of changes in the school system and of new concepts of language teaching and learning based on the Common European Framework of Reference. This development requires new areas of competence which the following article sets out to describe. lt contains suggestions which may be helpfull when preparing future language teachers for their new tasks. The proposals take into account the decisions of the Standing Conference of the Ministers of Education and Cultural Affairs of the Länder in the Federal Republic of Germany. They may act as a springboard for improving the existing framework, as they draw attention to instructive examples. 1. Problemstellung Ausbildung der Lehrkräfte für Fremdsprachen' ist ein altes, aber immer wieder neu zu reflektierendes Thema. Es ist heute von besonderer Aktualität angesichts von Reformbestrebungen seitens der Kultusverwaltungen, die die Lehrerausbildung allgemein und auch die Ausbildung von Fremdsprachenlehrern in der ersten und zweiten Phase (in Hochschule und Studienseminar) wesentlich verändern werden. Es ist weiter aktuell angesichts von Veränderungen im Schulwesen, z.B. größere Selbständigkeit "Autonomie") der einzelnen Schule, Entwicklung von Schulprogrammen, pädagogische Zielsetzungen wie selbstständiges Lernen der Schüler, Befähigung zu Teamarbeit und fächerübergreifendem Arbeiten. Dies hat auch eine Veränderung der Lehrerrolle zur Folge, die sich zunehmend auf die des Lernberaters hin entwickelt. Von besonderer Bedeutung für das Fremdsprachenlernen in Schulen sind Veränderungen im Zuge der europäischen Integration. Sie lassen sich kennzeichnen mit Stichworten wie Erziehung zur Mehrsprachigkeit, Englisch als lingua franca, Einbezug internationaler Standards und Evaluationsverfahren sowie Dokumentation von Sprachlernprozessen auf der Grundlage des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (Europarat 2001) und mittels des Europäischen Portfolios der Sprachen (Babylonia 1999 und 2000). Die nachfolgenden Anregungen werden im Lichte dieser Entwicklungen vorgetragen. Korrespondenzadresse: Dr. Ingeborg CHRIST, Ministerialrätin a.D., Im Heidkamp 2, 40489 DÜSSELDORF. Arbeitsbereiche: Fremdsprachendidaktik, Sprachenpolitik, bilingualer Unterricht. 1 Wenn im Folgenden gelegentlich nur die maskuline Form (Fremdsprachenlehrer, (Fremdsprachen-)Lehrerausbildung, Schüler usw.) vorkommt, dient dies der Kürze des Textes. lFJLw... 31 (2002) Die Ausbildung von Lehrkräften für Fremdsprachen und bilingualen Unterricht ... 43 2. Ein Blick auf die historische Entwicklung der Lehrerbildung Lehrbefähigungen für neue Sprachen nachgewiesen in Staatsexamen gibt es seit den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts. Eine seminaristische Ausbildung, analog der heutigen 2. Phase, etablierte sich allmählich mit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Die Ausbildung an den Hochschulen erfolgte im Zusammenhang der sich differenzierenden Neuphilologien. Studieninhalte waren dementsprechend die neuphilologischen Wissenschaften. Erst seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts ist die Lehrerausbildung in der ersten Phase allerdings noch längst nicht an allen Hochschulen mit Studienkomponenten fachdidaktischen, landeswissenschaftlichen und schulpraktischen Inhalts angereichert worden, in der DDR früher als in den Ländern der alten Bundesrepublik Deutschland. Die Ausbildung im Studienseminar ist seither generalisiert (d.h. für alle Schulformen obligatorisch), intensiviert und zeitlich ausgedehnt worden (Bhück 1995). Auch heute wird noch vielfach der fehlende Berufs- und Praxisbezug der Absolventen beklagt (Zydatiß 1998). Noch immer wird Philologielastigkeit der Ausbildung festgestellt, werden mangelnde Koordinierung der Ausbildung innerhalb der Hochschule sowie fehlende Verzahnung der 1. und 2. Phase bemängelt (exemplarisch Schröder 1995 und Zydatiß (Hrsg.) 1998), erscheint eine „Neuorientierung der Fremdsprachenlehrerausbildung" (Vollmer/ Butzkamm 1998) dringend notwendig. Die Kultusverwaltungen haben sieht man vom Ministerium für Volksbildung der DDR ab in der Vergangenheit inhaltlich (weder im allgemeinen noch fachspezifisch) kaum in die Lehrerausbildung in der Hochschule eingegriffen, sondern die Hochschulautonomie auch im Hinblick auf deren staatlichen Ausbildungsauftrag respektiert. Eine Steuerung erfolgte nur in einem generellen Sinn, im wesentlichen durch staatliche Prüfungsordnungen. In aller Regel ist die Steuerungswirkung solcher Ordnungen allerdings gering. 3. Stellungnahmen der Kultusministerkonferenz aus den 90er Jahren Anders als in der Vergangenheit, hat sich die Kultusministerkonferenz in den 90er Jahren verschiedentlich empfehlend zur Ausbildung von Fremdsprachenlehrern geäußert und sich mit diesen Empfehlungen auf einen inhaltlichen Diskurs eingelassen. Zur Ordnung des Studiums hat sie sich in diesem Zusammenhang nicht geäußert. In dem „Grundkonzept far den Fremdsprachenunterricht" (Sekretariat 1994: 3-7) wurde festgestellt, daß „das Lernziel der Zukunft [...] auf Mehrsprachigkeit gerichtet [ist]", und zwar sollen „möglichst viele Schülerinnen und Schüler zwei Fremdsprachen lernen, und für höherwertige Abschlüsse sollten die Anreize verstärkt werden, drei und gegebenenfalls noch mehr Fremdsprachen zu lernen". Die für die Länder formulierten „Problemfragen", Prüfaufgaben und Vorschlagsaufträge für Weiterentwicklungen betreffen zentrale Aspekte des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen wie die Organisationsstruktur, die Ziele und Inhalte eines Unterrichts, der in der Breite zum erfolgreichen Lernen mehrerer Sprachen führen soll, das Fremdsprachenlernen in der Grund- JFl,lllL 31 (2002) 44 Ingeborg Christ schule, seine Verbindung mit dem Fremdsprachenunterricht der Sekundarstufe I und den Beginn der weiteren Sprachen, den bilingualen Unterricht und den Fremdsprachenunterricht im beruflichen Bereich, insbesondere in dualen Ausbildungsgängen. Eine „wichtige Rolle" spielt auch die Frage nach einem angemessenen Einbezug der Herkunftssprachen von Schülerinnen und Schülern nicht deutscher Herkunft in das Angebot der Schulfremdsprachen. Insgesamt werden länderübergreifende Lösungsvorschläge für die Frage angestrebt, welche inhaltlichen Schwerpunkte, didaktischen Entscheidungen, Unterrichtsmethoden sowie Verfahren der Beurteilung und Bewertung von fremdsprachlichen Leistungen einen zukunftsorientierten, auf interkulturelles und lebenslanges Lernen ausgerichteten Fremdsprachenunterricht kennzeichnen sollten. Für die Fremdsprachenlehrerausbildung lautete die Problemfrage, wie diesen Anforderungen an den zukünftigen Fremdsprachenlehrer entsprochen werden könne und welche Rolle dabei der Fort- und Weiterbildung zukomme. Zur Klärung wurde den Ländern die Aufgabe gestellt, "Möglichkeiten zur Verbesserung der fremdsprachlichen Ausbildung der Lehrer (Fremdsprachenlehrer, Lehrer in Sachfächern für bilingualen Unterricht) zu prüfen". Als Folge hat der Schulausschuß einen Bericht „Zur Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern für Fremdsprachen" in Auftrag gegeben, der von der Kultusministerkonferenz am 17./ 18. September 1998 in Mainz zustimmend zur Kenntnis genommen und den Ländern zur Umsetzung anheim gegeben wurde (Sekretariat 1998a). Der Bericht wurde von folgenden Prämissen geleitet: 1. Lehrerausbildung findet in einem institutionellen Rahmen statt, der bestimmt ist durch Rahmenbedingungen bildungspolitischer, rechtlicher und finanzieller Art; diese machen Fortschritte in der Ausbildung nur in dem Maße möglich, "wie eine Weiterentwicklung unter diesen Rahmenbedingungen geleistet werden kann oder diese selbst veränderbar sind". Das Papier trägt daher den Untertitel „Länderübergreifend umsetzbare Vorschläge". 2. Lehrerausbildung für Fremdsprachen hat eine lange Tradition. Vieles hat sich bewährt. Es ist zu fragen, was im Ist-Stand defizitär und folglich zu verändern ist. 3. Die Schule insgesamt und das Sprachenlernen im besonderen haben sich in den letzten Jahren verändert und stehen vor neuen Herausforderungen. Es ist zu fragen, wie die Lehrerausbildung auf diese Entwicklungen reagieren muß. 4. Augenblickliche Entwicklungen in der Lehrerausbildung Anders als in den 80er und den 90er Jahren, stehen wir mitten in einem Generationswechsel der Lehrkräfte. Bis zum Jahre 2015 werden viele Lehrer, die in den 60er und 70er Jahren eingestellt worden sind, die Schule verlassen. Trotz zurückgehender Schülerzahlen (namentlich zum Ende des Jahrzehnts) werden also in den Schulen viele Fremdsprachenlehrer gebraucht, selbst dann, wenn nicht alle frei werdenden Stellen wieder besetzt werden. Auch die Erwachsenenbildung rechnet mit einer wachsenden Nachfrage nach Fremdsprachenlehrern, u.a. im Zuge der Integration von Zuwanderern. lFLwL 31 (2002) Die Ausbildung von Lehrkräften für Fremdsprachen und bilingualen Unterricht ... 45 In dieser Situation verstärkter Nachfrage nach professionell ausgebildeten Absolventen wird die Lehrerausbildung in mehreren Ländern neu konzipiert, und zwar im Rahmen einer generellen Neugliederung der akademischen Studien in zwei Stufen, Bachelor- und Master-Studien. Die 2. Phase der Lehrerausbildung soll mit der 1. Phase stärker verzahnt und als selbständige Einheit, im Anschluß an das Hochschulstudium, vermutlich verkürzt werden. In diesen Versuchen zur Neugliederung der Studien kreuzen sich zwei Tendenzen, die mit den Begriffen professionelle Lehrerausbildung und polyvalente Studien im Hinblick auf ein breites Berufsfeld „Vermittlungsberufe" beschrieben werden. Den nordrheinwestfälischen „Eckpunkte(n) zur Gestaltung von BA-/ MA-Studiengängen" (Ministerium für Schule, Wissenschaft und Forschung 2001) liegt tendenziell ein polyvalentes Konzept zu Grunde. Im Zentrum des Interesses stehen die „Vermittlungswissenschaften". Sie sind „nicht speziell auf den Lehrerberuf' zugeschnitten. Stichworte sind Wissenstransfer und Wissensmanagement. Die von den Studierenden angestrebte Professionalisierung (für spezifische schulische oder außerschulische Aufgaben) soll durch eine „modulare Studienorganisation" erreicht werden. Die Organisation, darunter auch die Aufteilung der Module auf die Studienjahre, wird den einzelnen Hochschulen weitgehend überlassen. - Das rheinland-pfälzische „Reformkonzept für die Lehrerbildung" (Ministerium für Wissenschaft, Weiterbildung, Forschung und Kultur 2002) setzt dagegen auf eine landeseinheitlich geregelte Lehrerausbildung in einem „dualen Konzept" (unter Einbezug der Studienseminare). Von Anfang an sind Fachwissenschaften, Fachdidaktiken und „Bildungswissenschaften" zu studieren. Vom 3. Studienjahr ab ist eine Spezialisierung für bestimmte Schulformen und eine Öffnung der Studien auf außerschulische Berufsfelder vorgesehen. Aber auch hier gibt es kritische Stimmen wegen der späten Spezialisierung. Mit Blick auf die oben zitierten Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zur Fremdsprachenlehrerausbildung ist grundsätzlich festzustellen, daß ein Verzieht auf eine professionelle Lehrerausbildung verhängnisvoll wäre. Die generelle Einführung des Fremdsprachenunterrichts in der Grundschule verlangt zwingend eine besondere Ausbildung, die es bisher noch keineswegs flächendeckend gibt. Vor allem ist auch eine Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern in Grundschulen für andere Sprachen als Englisch vorzusehen. Wenn der Fremdsprachenunterricht auf der Sekundarstufe I nicht mehr einsetzt, sondern fortgeführt wird, wenn zweite und dritte Fremdsprachen früher gelehrt werden, als dies bisher der Fall ist (Sekretariat 1999b), und Mehrsprachigkeit das Ziel für möglichst viele Schülerinnen und Schüler ist, dann muß auch die Fremdsprachenlehrerausbildung für diese Schulstufe (und ihre differenzierten Schulformen) neu konzipiert werden. Auch für die Ausbildung von Fremdsprachenlehrern für die Sekundarstufe II (gymnasiale Oberstufe und berufliche Schulen) bedarf es spezifischer Ausbildungsprogramme. Besonders ins Auge fallende Problemfelder sind Fremdsprachenunterricht in der dualen Ausbildung, in Fachgymnasien, Neukonzeption der Inhalte der Leistungs- und Grundkurse, neu einsetzende Fremdsprachen in der gymnasialen Oberstufe, Fremdsprachen in fächerübergreifender und fächerverbindender Arbeit und vieles mehr. Es darf nicht unerwähnt bleiben, daß auch Fremdsprachenlehrer für die Erwachsenenbildung (nicht nur für Volkshochschulen) spezifisch auszubilden sind. lFLll! lL 31 (2002) 46 Ingeborg Christ Die Lehrerausbildung muß heute zwei besonderen Postulaten Rechnung tragen: der Erziehung zur Mehrsprachigkeit und der Vorbereitung auf lebensbegleitendes Lernen. Sie muß also die künftigen Lehrkräfte darauf vorbereiten, über den engen Rahmen des eigenen Tätigkeitsfeldes und des eigenen Faches hinauszuschauen, um an den Zielen Mehrsprachigkeit und lebensbegleitendes Lernen für alle Bürger mitwirken zu können. Die Fremdsprachenlehrerausbildung muß auch weitere Aufgaben in den Blick nehmen: Der sogenannte bilinguale Unterricht (auch in der Form bilingualer Module) ist fächerübergreifend, und er betrifft insofern Lehrkräfte für Fremdsprachen wie für Sachfächer, inzwischen übrigens fast aller Schulformen und Schulstufen (Sekretariat 1999a und Landesinstitut 2000). - Mit dem Stichwort „grenzüberschreitendes Lernen" wird die Austauschdidaktik angesprochen, die ebenfalls nicht den Fremdsprachenunterricht allein betrifft, ihn aber in besonderer Weise angeht. Darunter fällt der klassische Schüleraustausch, der sich allerdings heute mehr und mehr mit grenzüberschreitenden Arbeitsprojekten verbindet und durch Schüler- oder Klassenkorrespondenz (vielfach auf dem Weg über E-mail) vorbereitet und ergänzt wird. -Ein drittes Stichwort ist schließlich die Internationalisierung der Schule, die von der Ausbildung nicht ignoriert werden darf. Tatsächlich haben sich Sekundarschulen verändert, indem sie internationale Abschlüsse wie z.B. das International Baccalaureate oder den „Gleichzeitigen Erwerb der allgemeinen Hochschulreife und des Baccalaureat" anbieten.2 Ferner werden in vielen Schulen außerschulische Zertifikatsprüfungen vorbereitet und abgenommen.3 Und endlich: Die zunehmende Mobilität von Lehrkräften nach Deutschland und von deutschen Lehrkräften in andere Staaten setzt eine Vorbereitung auf ihre Aufgaben in ihnen fremden Schulsystemen voraus, die auch Teil des Ausbildungsauftrags ist. Viele Hochschulen und Studienseminare haben diese neuen Aufgaben bereits in ihr Ausbildungsprogramm aufgenommen, und sie nutzen ihre Kontakte zu Partnereinrichtungen für eine Internationalisierung auch der Lehrerausbildung. Dennoch sind, wie im Folgenden angedeutet, längst nicht überall die für eine zukunftsorientierte Ausbildung der Lehrkräfte für Sprachen nötigen strukturellen und inhaltlichen Voraussetzungen geschaffen (vgl. insbesondere Beilage zu Sekretariat 1998a: 18 ff): So sind die Möglichkeiten des Erwerbs von Lehrbefähigungen für Schulfremdsprachen je nach Land, Lehramtstyp und Sprache in Deutschland begrenzt. 4 Eine sprach- 2 An 16 deutschen Gymnasien mit deutsch-französischem Bildungsgang und ebenso vielen Partnerschulen in Frankreich mit einer „section europeenne" in der Profilsprache Deutsch besteht im Rahmen eines deutschfranzösischen Regierungsprogramms die Möglichkeit des Gleichzeitigen Erwerbs der allgemeinen Hochschulreife und des Baccalaureat (Der Bevollmächtigte 1994). Seit einem Beschluß der Kultusministerkonferenz von 2000 wird ein in der Bundesrepublik Deutschland von Deutschen erworbenes International Baccalaureate vorbehaltlich der vorausgesetzten Fächerwahl als Nachweis der allgemeinen Hochschulreife anerkannt (Sekretariat 2000b). 3 Es sind dies APIEL (Advanced Proficiency International English Language Examination), Cambridge- Certificate, DELFIDALF (Diplome d'Etudes en Langue Fran<; aise / Diplome Approfondi de Langue Fran<; aise), DELE (Diplomas de Espafiol como Lengua Extranjera) usw. In beruflichen Schulen ist hier weiterhin das KMK-Zertifikat (Sekretariat 1998b) zu nennen. 4 „So ist es z.B. lediglich in einigen Ländern möglich, eine Lehrbefähigung für Englisch bzw. Französisch im IFJLillll 31 (2002) Die Ausbildung von Lehrkräften für Fremdsprachen und bilingualen Unterricht ... 47 praktische Ausbildung ist nicht an allen Hochschulen im erforderlichen Umfang gewährleistet. Die fremdsprachliche Ausbildung für das Lehramt an berufsbildenden Schulen ist häufig nicht ausreichend mit dessen spezifischen Erfordernissen verknüpft. Auslandsaufenthalte sind nicht an allen Universitäten für Fremdsprachenlehrkräfte verpflichtend. In weniger verbreiteten Schulfremdsprachen fehlen Angebote. Nicht in allen Ländern ist die für bilingualen Unterricht notwendige kombinierte Lehrbefähigung „Sprache + Sachfach" möglich. Die Zahl der Hochschulen und Studienseminare, die eine Zusatzqualifikation für diesen Unterricht anbieten, wächst, aber noch ist sie begrenzt. 5 Im Folgenden soll nun versucht werden, die Aspekte eines Kompetenzprofils von Fremdsprachenlehrkräften zu beschreiben, die sich aus den aktuellen und zukunftsorientierten Weiterentwicklungen des Fremdsprachenunterrichts ergeben, um daraus Hinweise für Weiterentwicklungen in der Ausbildung der Lehrkräfte für Sprachen abzuleiten. Dieses Vorgehen folgt dem bereits zitierten Bericht (Sekretariat 1998a), und es steht in einer Tradition der Beschreibung des Aufgabenfeldes von Fremdsprachenlehrkräften, wie sie z.B. in zwei Kommissionsberichten des Fachverbands Modeme Fremdsprachen (FMF) zur Lehrerausbildung ihren Niederschlag gefunden hat (Bludau [et al.] 1973 und 1978). Ähnlich wurde auch anläßlich des „Europäischen Jahres der Sprachen 2001" bei mehreren Initiativen zur Entwicklung von Gesamtkonzepten für das Lehren und Lernen von Sprachen verfahren, in denen immer auch die Frage der Aus- und Fortbildung von Sprachenlehrern im Hinblick auf neue Anforderungen für den Fremdsprachenunterricht gestellt wurde. 6 5. Der Fremdsprachenunterricht in einer Phase des Umbruchs Der Fremdsprachenunterricht ist im Begriff, sich bezüglich seiner Organisationsstruktur, seiner Zielsetzungen, Inhalte und Verfahren zu verändern. Merkmale seiner Veränderung sind u.a. früherer Beginn des Fremdsprachenlernens, Vorbereitung zu einer lebensbegleitenden Fortsetzung des Lernens von Sprachen, anwendungsbezogenes Lernen (darunter z.B. Nutzung von Fremdsprachen als Arbeitssprachen in anderen Zusammenhängen als im Sprachunterricht), Entwicklung von Mehrsprachigkeit als Ziel des Sprachenlernens, Interkulturelle Handlungsfähigkeit als Leitziel des Sprachunterrichts, Selbständigkeit und Selbstverantwortung der Lerner, Authentizität der vermittelten und der verwendeten Sprache, Begegnung mit Sprechern anderer Sprachen direkt und über Medien, Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung des Unterrichts in Verbindung mit einer neuen Kultur der Evaluation. 7 Rahmen der Grundschullehrerausbildung zu erwerben" (a.a.O.: 18). 5 Beispiele sind im Bereich der Hochschulen: Bochum, Bremen, Dortmund, Hamburg, Köln, Saarbrücken, Wuppertal, im Bereich der Studienseminare Bonn, Leverkusen, Trier. 6 Vgl. hierzu insbesondere: Bundesministerium für Bildung und Forschung (2001) und Hessisches Kultusministerium (2001). 7 Zu den Veränderungen des Fremdsprachenunterrichts vgl. auch Vollmer/ Butzkamm (1998), zu den in der lFlLll! IL 31 (2002) 48 Ingeborg Christ Einer der Kernpunkte der in Gang befindlichen Entwicklung ist der frühere Beginn des Fremdsprachenunterrichts. Er hat für alle derzeitigen und künftigen Fremdsprachenlehrer tiefgreifende Konsequenzen. In der Grundschule werden Fremdsprachen anders unterrichtet als in den Sekundarschulen. Hier dominiert der inhaltsorientierte und mitteilungsbezogene vor dem formorientierten Spracherwerb. Welche Konsequenzen hat diese neue, in der Grundschule erworbene Lernkultur für den nachfolgenden Fremdsprachenunterricht? Wird er sich insgesamt (und das heißt auf allen Stufen) von seiner vielfach starken und noch häufig einseitigen Grammatikorientierung ( = Formorientierung) lösen? 8 Wird der Fremdsprachenunterricht zu einer neuen Inhaltskultur finden, mit der z.B. die Erzählung, das Spiel (auch das szenische Spiel), die Simulation, das persönliche Schreiben eine größere Bedeutung erlangen werden, als dies bisher der Fall ist? Da der Fremdsprachenunterricht in der Grundschule zu großen Teilen wenn auch nicht immer und überall - Englischunterricht ist, stellen sich Fragen zur Rolle dieser Sprache in der Schule und im Leben. Wird die Dominanz der englischen Sprache unter den Schulfremdsprachen durch den früheren Beginn noch stärker werden? Wird an die Stelle eines neunjährigen Englischkurses (wie er bisher die Regel ist) ein elf- oder ein dreizehnjähriger Englischkurs treten und welches würden dessen Ziele sein? Kann im Gegensatz zu einer solchen kaum wünschbaren Entwicklung an die Stelle eines fortgeführten Sprachunterrichts nach einigen Jahren Sachunterricht in dieser Sprache treten? Was bedeutet ein Unterricht in Englisch als internationale lingua franca ohne besonderen Bezug zu einer anglophonen Zielkultur? Wie wird trotz Dominanz der englischen Sprache die Diversifizierung des Fremdsprachenunterrichts garantiert, ohne die dem Postulat der Mehrsprachigkeit nicht Genüge getan werden kann? Wie muß sich der Fremdsprachenunterricht sowohl in der ersten als auch in weiteren Fremdsprachen ändern, damit Sprachen koordiniert und nicht isoliert gelernt werden? Ganz sicherlich wird die Anwendung der Fremdsprachen in fachlichen Zusammenhängen außerhalb des Sprachunterrichts zunehmen. Wird der bilinguale Unterricht, wie häufig gefordert, in der Mittelstufe und/ oder der Oberstufe an die Stelle des Fremdsprachenunterrichts treten? Wie muß er sich dann verändern? Welche Rolle werden die zweiten und dritten Sprachen im bilingualen Unterricht spielen? Welches werden ihre Ziele, welches ihre Lerndauer sein? Die Probleme von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund werden in aller Regel auf der Ebene der allgemeinen und interkulturellen Pädagogik wahrgenommen, ihre mehrsprachigen Kompetenzen im muttersprachlichen Ergänzungsunterricht und im Begegnungssprachenkonzept der Primarschule gestützt und erweitert. Nach Beobachtung von Adelheid Hu (1998: 135) "wird das Thema [... ] wesentlich weniger jedoch in den etablierten, traditionellen Fremdsprachendidaktiken [diskutiert]". In jüngster Zeit werden in der Öffentlichkeit zuweilen sogar dergestalt kurzschlüssige Fol- Folge gestellten Problemfragen Bliesener (2000). 8 Siehe hierzu exemplarisch die empirischen Untersuchungen von Zimmermann (1995) und Zimmermann/ Wißner-Kurzawa (1984 und 1990) sowie Düwell [et al.] (2000). ]F][,l.ll[, 31 (2002) Die Ausbildung von Lehrkräften für Fremdsprachen und bilingualen Unterricht ... 49 gerungen aus den Ergebnissen der PISA-Studie (Deutsches Pisa-Konsortium 2001) gezogen, daß die „Risikoschülerinnen und -schüler im Lesen" einseitig bei dieser Schülergruppe vermutet werden. Fremdsprachenlehrkräfte sollten sich in besonderer Weise aufgerufen fühlen, in der schulischen Öffentlichkeit Verständnis für den Wert zu vermitteln, den die lebensweltliche Mehrsprachigkeit von Kindern und Jugendlieben mit ausländischem Hintergrund darstellt, und selbst in ihrem Unterricht deren Sprachbewußtheit und Sprachlernbewußtheit (Knapp-Potthoff 1997) berücksichtigen, wertschätzen und fördern. 9 Nicht minder zu berücksichtigen und zu entwickeln ist die Mehrsprachigkeit, die im schulischen Lernen erworben wird. In welchem Umfang und auf welchem Niveau Jugendliebe im Laufe ihres Lebens Fremdsprachen verwenden müssen, ist kaum vorherzusehen. Der Fremdsprachenunterricht hat daher nicht nur die Aufgabe, die Fähigkeit zur Kommunikation in der jeweiligen Zielsprache zu fördern, sondern auch auf das Weiterlernen gelernter und das Lernen weiterer Sprachen in einem lebensbegleitenden Prozeß vorzubereiten. Dies bedeutet, Mehrsprachigkeit durch vor- und rückwärts orientiertes Sprachenlemen zu vermitteln, indem beim Sprachenlernen übertragbare Lerntechniken erworben werden, zur Nutzung von vorhandenen Vorkenntnissen angeregt sowie auch "laterales" Lernen durch Einblicke in verwandte Sprachen in Gang gesetzt wird. Kinder haben mehrere Sprachen in ihren Köpfen. Die Lehrkräfte werden sich zunehmend bewußt, daß eine Verzahnung des Unterrichts im Deutschen, in den Fremdsprachen und in den Herkunftssprachen nötig ist. Ein Instrument von zunehmender Bedeutung bei solchen Entwicklungen ist das Europäische Portfolio der Sprachen, das die Weiterentwicklung von Sprachbewußtheit und sprachlichen Kompetenzen in den verschiedenen Sprachen begleitet und dokumentiert (Landesinstitut für Schule und Weiterbildung 2000a). Vorbereitung auf lebensbegleitendes Sprachenlemen bedeutet auch Kontaktnahme zu anderen Institutionen, die Sprachen vermitteln, wie ausländischen Kulturinstituten und Volkshochschulen, Austauschdiensten, Sprachreiseveranstaltern und privaten Spracheninstituten. Viele Schulen kooperieren bereits mit außerschulischen Einrichtungen, insbesondere im Zusammenhang der Vorbereitung außerschulischer Zertifikate. Umgang mit Sprachen bedeutet Umgang mit Kulturen (auch wenn die Sprache als lingua franca unterrichtet wird und „Kultur" anders zu definieren ist). Ziele sind die Entwicklung interkultureller Handlungskompetenz für und durch den Umgang mit Partnern anderer Sprache und Kultur sowie Fremdverstehen und Fähigkeit, das Eigene in der Perspektive der anderen zu sehen (Bredella [et al.] 2000). Diese für die berufliche Zukunft zunehmend verlangten Schlüsselqualifikationen werden im schulischen Bereich u.a. in Austauschprojekten und auf dem Weg über Schulpartnerschaften erworben. Hinzu kommen Aufenthalte einzelner Schülerinnen und Schüler über ein Schuljahr oder ein 9 Adelheid Hu (1998) kommt auf der Grundlage einer Befragung von Studienreferendarinnen und -referendaren in Köln zu der Erkenntnis, daß die kulturelle und sprachliche Pluralität der Lerngruppen in der Ausbildung zwar auf der Ebene schriftlicher Vorgaben präsent sei, aber in der Praxis so gut wie keine Rolle spiele, allenfalls im Hinblick auf Defizite wie beipielsweise mangelnde Kenntnisse grammatischer Terminologie. ]F[,l,l]L 31 (2002) 50 Ingeborg Christ Schulhalbjahr im fremdsprachigen Ausland, deren Kenntnisse und Erfahrungen nach ihrer Rückkehr sinnvoll und den Horizont aller Schülerinnen und Schüler erweiternd einzubringen sind. Häufig besuchen im Rahmen von internationalen oder bilateralen Programmen auch fremdsprachige Austauschpartnerinnen oder -partner die Klassen, deren Integration und Förderung ebenfalls eine didaktische Aufgabe insbesondere der Fremdsprachenlehrkräfte ist. Diese Kontakte bringen ein Element der Authentizität in den Klassenraum, das den Unterricht bereichert, dem die Lehrkräfte aber auch gewachsen sein müssen. Einen Beitrag zur Authentizität leisten nicht zuletzt die Medien, die im Fremdsprachenunterricht einen zunehmend wichtigen Platz einnehmen, seien es audiovisuelle Materialien, die von den Massenmedien geliefert werden, seien es Informationen, die mit Hilfe neuer Technologien, z.B. E-Mail und Internet eingeholt werden. 6. Kompetenzen der Lehrkräfte Die Veränderung des Fremdsprachenunterrichts fordert die Weiterentwicklung von Kompetenzen der Lehrer. Für die bereits im Dienst befindlichen Lehrkräfte sucht die Lehrerfortbildung stützend zu wirken. Insbesondere sind aber Selbststudium und eigene Arbeit der Lehrkräfte gefordert. w Für die Lehrerausbildung lassen sich die neuen Anforderungen in Form eines Kompetenzprofils beschreiben, das Grundlage für konkrete Schritte der Ausbildung werden kann. 11 Lehrkräfte für Sprachen sind Experten für das Lehren und Lernen von Sprachen sowie für die Schaffung günstiger Bedingungen zum interkulturellen Lernen. Grundlegende Kompetenzen für diese Aufgaben sind Sprachkenntnisse (insbesondere in der zu unterrichtenden Fremdsprache, möglichst aber noch in weiteren) und authentische Spracherfahrung, interkulturelle Kompetenz und Sprachhandlungskompetenz, kulturelle Kompetenz (wozu literarische, linguistische und landeswissenschaftliche Kompetenzen nicht nur mit Blick auf die sog. Zielsprache gehören), Lehr- und Lernkompetenz (d.h. Expertenwissen über altersspezifische Sprachentwicklung, Lernersprache, Sprachenwachstum, Mehrsprachigkeit, Interaktion in Sprachen und Sprachenwechsel, Motivation für das Sprachenlernen, Vermittlungstechniken usw.). Des weiteren sollen Lehrkräfte ihre Aufgaben als Experten für Schule und Unterricht in der Perspektive der Sprachen wahrnehmen können (Stichworte: Schulprogramm und die Stellung der Sprachen darin, Kooperation der Sprachen und anderer Fächer in der Schule, fächerübergreifendes Lernen und bilingualer Unterricht, Austausch, internationale Zusammenarbeit usw.). lO Viele Aufgabenbereiche werden zunächst von den Schulen her entwickelt und erst später von der Ausbildung und der fremdsprachendidaktischen Forschung aufgegriffen, die dann ihrerseits wieder die Praxis zu erneuern vermögen. Ein ausgezeichnetes Beispiel hierfür ist der bilinguale Unterricht, und auch die Ausweitung des Fremdsprachenunterrichts auf die Grundschule ist nur zu leisten, wenn viele Lehrkräfte zu zusätzlicher Leistung bereit sind. 11 Zum Kompetenzprofil siehe Sekretariat (1998a) und die „Qualifikationsmerkmale" bei Vollmer/ Butzkamm (1998). lFLl.lL 31 (2002) Die Ausbildung von Lehrkräften für Fremdsprachen und bilingualen Unterricht ... 51 6.1 Sprachkompetenz Allererste Voraussetzung zum Sprachunterricht sind fundierte Kenntnisse in der Zielsprache (ggf. den Zielsprachen) in ihrer schriftlichen und mündlichen Form. Bezüglich des Grades ist sicherlich eine muttersprachenähnliche umgangssprachliche Kompetenz für alle Lehrämter wünschenswert, doch müssen darüber hinaus Sprachkompetenzen im Zusammenhang des angestrebten Lehramts funktional differenziert beschrieben werden. Für künftige Berufsschullehrer sind zusätzlich zu allgemeinsprachlichen Kompetenzen spezifische sprachinhaltliche Schwerpunkte angezeigt, die nicht identisch sind mit denen künftiger Gymnasiallehrer (vgl. W. Christ 2001). Der Klassenraumdiskurs im Fremdsprachenunterricht in einer Grundschule verlangt andere Ausdrucksformen als in den letzten Jahren der Sekundarstufe 1. Zur Differenzierung der Sprachkompetenzen ist eine Orientierung am Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen dienlich. Im Regelfall kann davon ausgegangen werden, daß die Lehrenden die Muttersprache (Deutsch) der Schülerinnen und Schüler beherrschen und als wichtige Folie beim Lehren und Lernen der Sprache beachten und nutzen. Bei ausländischen Sprachlehrkräften wird daher zu Recht erwartet, daß sie die Sprache der Lerner kennen, wie auch deutsche Lehrkräfte zum Verständnis von Lernmöglichkeiten und Lernproblemen ihrer Schülerinnen und Schüler nicht deutscher Herkunft über Einblicke in Deutsch als Zweit- und Fremdsprache sowie in Herkunftssprachen verfügen sollten. Teilkompetenzen in Sprachen sowohl solchen, die in der eigenen Schule unterrichtet werden als auch in verbreiteten Herkunftssprachen sind zunehmend von Bedeutung, um Zusammenhänge zwischen den Sprachen herzustellen und einen Beitrag zur Entwicklung der Mehrsprachigkeit der Schülerinnen und Schüler leisten zu können. Sprachunterricht verlangt von der Lehrkraft außer Sprachkönnen Fähigkeiten zur Beschreibung der Zielsprache (wie auch der Ausgangssprache und eventuell anderer Sprachen) und ihrer Erklärung. - Weiterhin gehört zur Sprachkompetenz der Fremdsprachenlehrkräfte die Fähigkeit zur Rezeption wissenschaftlicher Literatur, um sich selbständig weiterqualifizieren zu können. Das Gleiche gilt für die Fähigkeit, mündliche Texte (z.B. Vorträge zu wissenschaftlichen Themen) zu rezipieren. - Zur Sprachkompetenz gehört schließlich die Befähigung zum Umgang mit audiovisuellen Medien. Sie sind nicht nur eine unersetzliche Quelle der Information, sondern Voraussetzung für die Mitarbeit an grenzüberschreitenden Projekten und für die Aktualisierung und Erweiterung der eigenen Sprachkompetenz. 6.2 Fachkompetenz Die Lehrenden sind auch in Zeiten audiovisueller Massenmedien und des Internet zentrale Mittler zur Kultur des Ziellandes oder der Zielländer. Diese Kompetenz setzt eine solide fachliche Grundlage voraus, landeswissenschaftlich fundierte (vor allem historische und politische) Kenntnisse, literarisches Wissen und Belesenheit sowie sprachwissenschaftliche Kenntnisse. Es ist notwendig, daß die Fachwissenschaften Überblickswissen sowie fachmethodisches Wissen vermitteln, die zukünftige Lehrkräfte dazu lFLd 31 (2002) 52 Ingeborg Christ befähigen sollen, selbständig weiter zu arbeiten. Von Bedeutung ist auch eine aktuelle Kenntnis der Zielsprachenländer aus eigener Anschauung, Kontakt mit Sprechern der Zielsprache und Kennern der Zielkulturen sowie stetige Aktualisierung durch Medieninformation. Das Fachwissen muß jedoch differenziert nach Schulstufen und Schulformen vermittelt und erworben werden. Für Fremdsprachenlehrkräfte in Grundschulen und in den ersten Jahren der Sekundarstufe I sind Kenntnisse der Kinder- und Jugendliteratur von unmittelbarerer Relevanz als das Studium der Höhenkammliteratur. Grundschüler haben einen anderen Kulturbegriff als Schüler der Sekundarstufe II. Die Begegnung mit Gleichaltrigen in einer colonie de vacances bringt für Kinder der Grundschule nicht weniger neue Erfahrungen als für deutsche und französische Jugendliche der Sekundarstufe II ein gemeinsames Projekt. Aber die Informations- und Diskussionsbedürfnisse unterscheiden sich alters- und erfahrungsbedingt, und die Lehrkräfte müssen hierauf eingestellt sein. Eine zunehmend nachgefragte Fachkompetenz heutiger Fremdsprachenlehrkräfte ist die für bilinguale Bildungsgänge und bilinguale Module, bei denen Fremdsprache Mittel der Unterrichtskommunikation in anderen Fächern ist. Die Kompetenz für diesen Unterricht wird in erster Linie von Lehrkräften verlangt, die gleichzeitig über eine Fakultas in einer Fremdsprache und in einem nicht sprachlichen Fach verfügen. Aber der bilinguale Unterricht betrifft zunehmend auch Lehrkräfte der Sprachen, die im Team mit einem (sprachkundigen) Fachlehrer, z.B. bei Projekten und fachübergreifender Arbeit, Sprache für Lernzusammenhänge außerhalb des Fremdsprachenunterrichts vermitteln. Dies verlangt Einblicke in anwendungsbezogenes Sprachenlernen und in fachsprachliche Aspekte der Fremdsprache. 6.3 Interkulturelle Kompetenz Zum Berufsbild des Fremdsprachenlehrers gehört interkulturelle Handlungskompetenz, insbesondere zur Planung und Durchführung grenzüberschreitender Begegnungsprojekte und Auslandsaufenthalte im Rahmen von Kooperationsprogrammen. Grundlage sind eigene interkulturelle Erfahrungen in authentischen Situationen. Dazu gehört auch Austausch mit Lehrkräften anderer Länder und somit Kenntnis anderer Schulsysteme und pädagogischer Konzepte. Mehr und mehr setzt sich in Begegnungen die Anleitung zum Lernen im Tandem durch. Für viele Lehrkräfte in Schulen ist dies Neuland, während in der freien Jugendbegegnung, in der Erwachsenenbildung und in Hochschulen bereits zahlreiche Erfahrungen vorliegen. Häufig ist dabei die Kompetenz der Lehrkräfte als Vermittler bei Konflikten in Folge unterschiedlicher Lerntraditionen und Verhaltensweisen der Jugendlichen gefragt. Der Bericht „Zur Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern für Fremdsprachen" (Sekretariat 1998a) spricht im Zusammenhang mit grenzüberschreitender Arbeit auch von „Europakompetenz", die für alle Lehrkräfte heute unabdingbar sei. Dazu gehört für die Schule die Kenntnis der unterschiedlichen Wertorientierungen Jugendlicher. Begegnungen führen auch in Situationen, in denen die Kultur des eigenen Landes zu vermitteln ist. Gerade Fremdsprachenlehrer müssen häufig Erscheinungen der fremden und der lFJL1JllL 31 (2002) Die Ausbildung von Lehrkräften für Fremdsprachen und billngualen Unterricht ... 53 eigenen Kultur vergleichend darstellen. Dazu gehört die Bereitschaft und Fähigkeit, die Perspektive des Anderen zu vermitteln (Bredella [et al.] 2000). Für solche Zusammenhänge sind Einblicke in die Didaktik des Deutschen als Fremdsprache hilfreich. 6.4 Didaktisch-methodische Kompetenz / Vermittlungskompetenz Frerndsprachenunterricht bedeutet Organisation des Faches und des Unterrichts unter Berücksichtigung der Stellung der Sprachen irn Kanon der Fächer (1., 2., 3., 4. Fremdsprache, Ziele der jeweiligen Schulform, etc.) sowie kreative und adressatengernäße Unterrichtsgestaltung. Frerndsprachenfächer sind nicht (mehr? ) Selektionsfächer. Nachdem Kenntnisse fremder Sprachen zu den Schlüsselqualifikationen gehören, sind sie Bestandteil der Grundbildung. Häufig wird jedoch Unterricht in Sprachen als schwierig, auch als langweilig empfunden. Frerndsprachenlehrer müssen die von ihnen unterrichtete(n) Sprache(n) interessant machen und sie so vermitteln, daß möglichst viele sie auch erfolgreich lernen können. Das Lehren von Fremdsprachen verlangt zunehmend Kompetenzen zurn sprachenübergreifenden Denken und Planen der Lehrkraft. Sich in den Dienst der Mehrsprachigkeit der Schülerinnen und Schüler zu stellen, bedeutet, zwischensprachliche Konkurrenz in den Schulen zu vermeiden und zur Verdeutlichung beizutragen, daß die Schülerinnen und Schüler vorn Unterricht in Fremdsprachen wechselseitig profitieren. Beirn Erlernen der 2. und der 3. Sprache sind Verfahren einzuüben, daß auf Vorkenntnisse aus der ersten zurückgriffen wird, und in später einsetzenden Sprachen sind Gelegenheiten zu nutzen, verstärkend auf den Sprachbesitz in vorher gelernten Sprachen hin zu wirken. 12 Zur didaktischen Kompetenz gehört auch die Mitreflexion der Lehrenden bei der immer wieder diskutierten Frage, ob Bildung oder Ausbildung Ziel des schulischen Frerndsprachenunterrichts sei. Lehren und Lernen von Sprachen sind zunehmend auf lebensbegleitendes Lernen einzustellen. Dies verlangt Vermittlung entsprechender Strategien. Herausbildung von Teilkornpetenzen in weiteren Sprachen erscheint irn Licht lebensbegleitenden Lernens nicht mehr als Notbehelf. Generell ist der Anwendungsbezug beim Lernen fremder Sprachen von größerer Bedeutung geworden. Dies beinhaltet die Befähigung zu realitätsbezogenern Dialog, insbesondere die Fähigkeit und Befähigung zu mündlicher Kommunikation. Aber auch Schreibschulung für berufliche und private zwischensprachliche Kommunikation ist notwendig. Literatur spielt eine bedeutende Rolle, gerade auch irn Hinblick auf Leseschulung, weniger irn Sinne eines vorwiegend analysierenden als des verstehenden Lesens. Aus den Ergebnissen der PISA-Studie ergeben sich Aufgaben auch für die Fremdsprachen. Zur Leseschulung ist an die „Vereinbarung zur Gestaltung der gymnasialen Oberstufe in der Sekundarstufe II" (Sekretariat 2000a: 6) zu erinnern, die „verständiges Lesen komplexer fremdsprachlicher Sachtexte" als einen der Bereiche der Studierfähigkeit definiert. Angestrebt wird die „Fähigkeit, 12 Beispiele für „neue Wege beim Lehren und Lernen der dritten Fremdsprache" findet man in Landesinstitut (1998). lFlLlUIL 31 (2002) 54 Ingeborg Christ fremdsprachliche Texte zu erschließen, zu verstehen, sich über fachliche Inhalte in der Fremdsprache korrekt zu äußern". 6.6 Sprachenpolitische Kompetenz Lehrkräfte für Sprachen sind Ansprechpartner, wenn es darum geht, über die Rolle des Fremdsprachenunterrichts im Kontext der Schule und im nachschulischen und außerschulischen Bereich zu reflektieren, Erwartungen der Gesellschaft wahrzunehmen und die sich wandelnden Anforderungen an das Sprachenkönnen zu berücksichtigen. Fragen, mit denen sich Lehrende auseinanderzusetzen haben, sind die folgenden (vgl. Bliesener 2000): Was soll Fremdsprachenunterricht erreichen? Wie viele Sprachen sollte man lernen, welche, in welcher Reihenfolge, mit welcher Dauer, bis zu welchem Niveau? Fremdsprachenlehrer sind die Personen, die an Schaltstellen beraten können: beim Übergang von der Grundschule zur Sekundarstufe I, von der Sekundarstufe I zur Sekundarstufe II, bei der Entscheidung für Abschlußprüfungen, z.B. im Abitur und auch für außerschulische Sprachenzertifikate. Sie können bei Übergängen zwischen den Schulformen raten und helfen wie auch Kontakte zu Kollegien anderer Schulformen pflegen. Sie sind Fachleute bei flankierenden Maßnahmen im Umfeld der Schule (Sprachenräte 13 , Städtepartnerschaften, Ausländerbeiräte, Aktivitäten der Volkshochschulen und anderer Träger der Erwachsenenbildung, Veranstaltungen ausländischer Kulturinstitute). Schließlich sind sie orientiert über außerschulische Angebote, Europäische Programme wie SOKRATES, LEONARDO, Zertifikate, Wettbewerbe u.ä.m. 6.7 Beratungskompetenz Eng damit verbunden ist die zunehmend gefragte Kompetenz der Fremdsprachenlehrer als Sprachlernberater. Sie ist gefordert bei Lernproblemen, bei der Vermittlung von Strategien des Sprachenlernens unter Nutzung von Kenntnissen weiterer Sprachen, bei der Anbahnung des lebensbegleitenden Lernens von Sprachen über die Schulzeit hinaus. Die Lehrkraft ist Ansprechpartner bei der Ausgestaltung individueller Sprachlernprofile (u.a. bei der Arbeit mit dem Europäischen Portfolio der Sprachen), aber auch bei der Beratung von Schülereltern sowie für den Kontakt zu außerschulischen Partnern. 14 6.8 Kompetenz der Evaluation, Qualitätssicherung und Standardkontrolle Zur Qualifikation der Lehrkraft gehört zentral die Aufgabe der Qualitätssicherung der Unterrichtsergebnisse durch Qualitätskontrolle. Dazu gehören traditionell Korrektur und 13 Zur Bedeutung, zu den Zielen und zur Gestaltung von Sprachenräten vgl. u.a. Laudesspracheninstitut (2001). 14 Das Europäische Jahr der Sprachen 2001 hat in besonderer Weise Lehrkräften Anlaß gegeben, in der Schule und im außerschulischen Umfeld Beratungsaufgaben und politische Kompetenzen wahrzunehmen (1. Christ 2002a). lFJLd 31 (2002) Die Ausbildung von Lehrkräften für Fremdsprachen und bilingualen Unterricht ... 55 Bewertung schriftlicher, zunehmend auch mündlicher Leistungen und Vergabe von Abschlußqualifikationen. Dies setzt Kenntnis in Qualitätsentwicklung und Evaluation voraus. Die Kompetenzstufen des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens (Europarat 2001), die zunehmend Eingang in die Schule finden 15, haben ein grundsätzliches Umdenken eingeleitet. Die „Ich kann-Beschreibungen" des Referenzrahmens kehren die Beweislast geradezu um: von der Fehlerfeststellung zur Feststellung des Könnens. Das Europäische Portfolio der Sprachen (Landesinstitut 2000a) ist ein konkretes Instrument für diese sich ankündigende neue Evaluationskultur. Es wird zur Dokumentation der Sprachlernprozesse eingesetzt und stellt ein wichtiges Korrelat der durch Korrektur und Bewertung der Schülerleistungen erhobenen Daten dar. Hier geht es darum, daß die Lerner ihren Lernstand und ihren Lernweg selbst beschreiben und einschätzen (Babylonia 1999 und 2000). Das Europäische Jahr der Sprachen 2001 hat gezeigt, daß gerade diese Fragen die Schulen sehr beschäftigen (I. Christ 2002a). Auch im Zuge der Zertifizierung von Sprachleistungen nach internationalen Standards verändert sich der Umgang mit Fehlern, die zunehmend als Signal im Lernprozeß Beachtung finden und ihr Monopol als Maßstäbe der Beurteilung verlieren. 7. Materielle Anforderungen an die Ausbildung von Fremdsprachenlehrern Die Gliederung der Lehrerausbildung in eine 1. und eine 2. Phase hat sich prinzipiell bewährt. Eine stärkere Verzahnung der beiden Ausbildungsphasen ist allerdings dringend zu wünschen. Unverzichtbare Elemente der Ausbildung sind Sprachpraxis, Didaktik und Methodik des Fremdsprachenunterrichts, schulpraktische Studien und fachwissenschaftliche Kenntnisse. Die genannten Elemente müssen in den Prüfungsordnungen für das 1. und das 2. Staatsexamen verankert werden. Diese Feststellungen finden sich auch in dem Bericht „Zur Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern für Fremdsprachen" (Sekretariat 1998a; vgl. auch Meißner [et al.] 2001: 219 ff). 7.1 Sprachpraxis Sprachkompetenz ist zentrales Element der Ausbildung. Für eine adäquate Vorbereitung auf den Beruf ist besonderer Wert auf die sprechsprachliche Kompetenz zu legen. Sie kann u.a. durch Angebote von Lehrveranstaltungen im fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Bereich in der ersten und der zweiten Ausbildungsphase vermittelt werden, wenn sie in der Zielsprache stattfinden. Bei der Einstellung von Hochschullehrern und von Fachleitern in Studienseminaren sollten entsprechende Anforderungen gestellt werden. Ein mehrmonatiger Auslandsaufenthalt zum Studium oder zum Prakti- 15 Vgl. hierzu die Lehrpläne zahlreicher Länder sowie den Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 7.6.2001 zur Einrichtung einer Arbeitsgruppe mit dem Ziel der Implementierung und Weiterentwicklung des Europäischen Portfolios der Sprachen. flLuL 31 (2002) 56 Ingeborg Christ kum sollte für die Studierenden obligatorisch gemacht werden. Sowohl im Inland wie im Ausland sind Tandemlernphasen zu planen und anzubieten. Wichtig ist das Angebot von Intensivkursen zu Beginn des Studiums, vor allem in den weniger verbreiteten Schulfremdsprachen. Deren Förderung ist besonders bedeutsam, weil Lehrkräften dieser Sprachen eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von Mehrsprachigkeit zukommt. 16 7.2 Didaktik und Methodik des Fremdsprachenlehrens und -lemens Fachdidaktik (und/ oder Sprachlehrforschung) ist im Studium der Fremdsprachenlehrer als Professionswissenschaft unverzichtbar. Sie schafft die Voraussetzungen für die Vermittlung von Sprache und Kultur. Dazu gehören Wissen über die Komplexität fremdsprachlicher Lehr- und Lernprozesse und Kenntnisse über die Faktoren des Sprachenlehrens und -lernens. Die Studieninhalte sind im Hinblick auf die unterschiedlichen Adressaten und die Anforderungen der verschiedenen Schulformen und Lehrämter zu differenzieren. Weitere Aspekte sind: Lehrmethoden, Lernerorientierung, Lernstrategien (auch im Hinblick auf das Lernen weiterer Sprachen und zur Vorbereitung des lebensbegleitenden Sprachenlernens), Einblicke auch in die Didaktik von Deutsch als Fremdsprache und Deutsch als Zweitsprache, Theorie und Praxis der Evaluation (u.a. Umgang mit den Kompetenzstufen des Europarates und mit dem Europäischen Portfolio der Sprachen), Theorie und Praxis der Qualitätsentwicklung und der Qualitätssicherung sowie Theorie und Praxis des bilingualen Unterrichts (s. dazu Kap. 8). 7 .3 Schulpraktische Studien Betreute Schulpraktika sollten verpflichtender Bestandteil der 1. Phase der Ausbildung sein. In der 2. Phase wird auf den in der ersten Phase gelegten Grundlagen aufgebaut und selbständige reflektierte Praxis eingeübt. Dort erfolgt nach der theoretischen Vorbereitung in der ersten Phase die professionelle Sozialisation. Schulpraktika während des Studiums schärfen den Blick für eine berufsorientierte Gestaltung des Studiums und tragen zur eigenen Rollenfindung als Sprach(en)lehrer bei. Schulpraktika in Schulen mit bilingualem Unterricht sowie im Rahmen von Partnerschaftsprogrammen an ausländischen Schulen sollten vermehrt werden. 16 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß an den Schulen in Deutschland ca. 13 moderne Sprachen als Fremdsprachen und ca. 19 als Herkunftssprachen unterrichtet werden. Einheitliche Prüfungsanforderungen für die Abiturprüfung (EPA) liegen inzwischen für zahlreiche Sprachen vor, so für Chinesisch, Englisch, Französisch, Italienisch, Japanisch, Polnisch, Russisch, Spanisch, Tschechisch und Türkisch (1. Christ 2002 b). lFLlllL 31 (2002) Die Ausbildung von Lehrkräften für Fremdsprachen und bilingualen Unterricht ... 57 7.4 Fachwissenschaften - Sprachwissenschaft/ Literaturwissenschaft/ Landeswissenschaft Linguistische Studien sollen Sprache in ihren verschiedenen Erscheinungsformen bewußt machen. Sie sollen die Voraussetzungen für die Beschreibung der Struktur, der Normen und des Systems der Zielsprache darstellen. Die künftigen Lehrkräfte für Sprachen müssen z.B. über Gesetze der Wortbildung orientiert sein, grammatische Phänomene zu erklären vermögen, Sprachebenen unterscheiden, Stilmerkmale erkennen und eine sprachliche Progression beschreiben können (heute z.B. in Anlehnung an die Kompetenzstufen des Europarats). Dies gilt insbesondere auch für die mündliche Sprache. Hinzu kommt angesichts des Faktums, daß in den Köpfen der Schüler mehrere Sprachen miteinander kommunizieren, die Notwendigkeit, Hypothesen der Lerner über Sprache nachvollziehen zu können sowie Lernersprache und Sprachenwachstum zu beschreiben. Die literarischen Studien dürfen sich nicht auf literaturwissenschaftliche Studien in einem engen Sinne beschränken. Umgang mit Literatur sollte für angehende Lehrkräfte ein wesentliches Stück Spracherfahrung darstellen, auch und gerade in ihrer ästhetischen Komponente, sowie zur Auseinandersetzung mit aktuellen und historischen Themen der Gesellschaft des Ziellandes führen und eine Quelle für deren Selbstverständnis sein. Im Hinblick auf die spätere Tätigkeit in der Schule muß die Beschäftigung mit Literatur allerdings differenziert erfolgen. Es sollten Modelle für den Literaturunterricht auf den verschiedenen Schulstufen und in den Schulformen entwickelt werden. Bei der Ausbildung von Lehrkräften der Grundschule und der Sekundarstufe I muß die Jugendliteratur größere Beachtung finden. Der Kanon der Schulliteratur sollte Gegenstand des Studiums werden. 17 Nicht nur aus aktuellem Anlaß ist Lesen ein wichtiges Thema, und darum sollten Fremdsprachenlehrer Berater für häusliches Lesen ihrer Schülerinnen und Schüler sein können. Im Hinblick auf grenzüberschreitende Projekte und Begegnungen sind auch Einblicke in deutsche Literatur von Belang. Sprachkenntnisse müssen verknüpft werden mit Kenntnissen über Länder und Kulturen. Darum sind landeswissenschaftliche Studien erforderlich, die sowohl Überblickswissen wie Einführung in interdisziplinäres Arbeiten vermitteln, mit dem Konstrukte wie „Land", "Nation" oder „Gesellschaft" wissenschaftlich und forschungspraktisch für den künftigen Lehrer faßbar und begreifbar werden. Dazu sind historische, soziologische, politologische und ökonomische Fragestellungen aufzugreifen und der Zugang zu Informationen aus Datenquellen (audiovisuellen Medien, technologischen Medien, Printmedien, Bibliotheken, Archiven) einzuüben. Die für die Schule geforderte interkulturelle Handlungskompetenz und Sensibilisierung für fremde Wahrnehmungen können insbesondere im Rahmen von Begegnungsprojekten erworben werden. Im Hinblick auf die zukünftige Tätigkeit in der Schule sollten insbesondere auch Studien über die Situation der Kinder und Jugendlichen der Partnerländer Thema sein. 17 Zum „Beharrungsvermögen des literarischen Kanons oder der Lehrkräfte" im Englischunterricht vgl. u.a. Hermes (1998); für den Französischunterricht siehe die Erhebungen von Weller (1999). lFJLlllL 31 (2002) 58 Ingeborg Christ 8. Vorbereitung auf bilingualen Unterricht Bilingualer Unterricht, bei dem die Fremdsprache Unterrichtssprache in anderen Fächern ist, gewinnt im Schulwesen zunehmend an Bedeutung, und zwar auf allen Schulstufen und in allen Schulformen (Sekretariat 1999a). Als Grundlage ist die Ausbildung in den einschlägigen Fächerkombinationen (Sprache + Sachfach) zu gewährleisten. Darüber hinaus sind sowohl in Hochschulen als auch in Studienseminaren die spezifischen fachdidaktischen und die fachsprachlichen Kompetenzen im Sinn einer zusätzlichen Qualifikation zu entwickeln. Dies setzt eine Zusammenarbeit im Bereich der Didaktiken sowohl von Sprachals auch von Sachfächern voraus. Gerade hier ist grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu wünschen, wie sie bereits mancherorts erprobt wird. Der Bericht „Zur Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern für Fremdsprachen" (Sekretariat 1998a) ist zu diesem Punkt sehr explizit. Er sieht für die 1. Phase folgende Elemente einer spezifischen zusätzlichen Ausbildung vor: • Eine besonders qualifizierte allgemeinsprachliche Ausbildung • Fachsprachliche Elemente zur Erteilung von Fachunterricht in der Fremdsprache • Didaktik unterschiedlicher Formen des bilingualen Lernens und der Zweisprachigkeit • Elemente kontrastiver Linguistik, Literaturwissenschaft und Landeskunde • Schulpraktikum im Ausland oder Tätigkeit als Fremdsprachenassistent/ in oder Mitwirkung an interkulturellen Projekten der jeweiligen Universität. Zum Erwerb einer Zusatzqualifikation in der 2. Phase der Ausbildung werden folgende Elemente genannt: • Unterrichtspraxis und Unterrichtsproben in Klassen mit bilingualem Unterricht • Im Seminar des Sachfaches und im fremdsprachlichen Seminar Themen der Didaktik des bilingualen Unterrichts und der Verbindung von allgemeinsprachlicher und fachsprachlicher Progression • (6-wöchige) Ausbildungsphase an einer Schule des Partnerlandes • In den Prüfungen zum 2. Staatsexamen beziehen sich zum Erwerb einer Zusatzqualifikation bestimmte Teile auf den bilingualen Unterricht (z.B. Thema der schriftlichen Hausarbeit, Lehrprobe, Kolloquium). Eine Zusatzqualifikation für bilingualen Unterricht sollte nicht nur ergänzend zum Fremdsprachenstudium erworben werden können. Auch Lehrbefähigungen in Sachfächern sollten mit einer Zusatzqualifikation in Sprache ausgestattet werden können. Bei diesem Modell, das in Bayern erprobt wird, beschränkt sich die Zusatzqualifikation auf das Studium im Bereich Sprache, unter Verzicht auf die für den Erwerb einer Lehrbefähigung für Fremdsprachen darüber hinaus vorgesehenen Studienelemente in Literatur- und Sprachwissenschaft (Staatsministerium für Unterricht und Kultus 2001: 39). Von wegweisender Bedeutung für eine grenzüberschreitende Nutzung von Ausbildungsmöglichkeiten für den bilingualen Unterricht ist die im Jahr 2001 abgeschlossene „Gemeinsame Erklärung des Bevollmächtigten der Bundesrepublik Deutschland für kulturelle Angelegenheiten im Rahmen des Vertrages über die deutsch-französische IFILIIL 31 (2002) Die Ausbildung von Lehrkräften für Fremdsprachen und bilingualen Unterricht ... 59 Zusammenarbeit und des Ministers für nationale Erziehung der Französischen Republik über ein gemeinsames Qualifizierungsprogramm für Lehrkräfte an deutschen und französischen Schulen mit bilingualem Unterricht" (Der Bevollmächtigte 2001). 9. Verzahnung der 1. und der 2. Phase Die erste Phase bereitet traditionell in allgemeiner Weise auf den Beruf des Fremdsprachenlehrers vor, indem sie fachwissenschaftlich (unter Einbezug der Fremdsprachendidaktik) und sprachpraktisch ausbildet, während die 2. Phase theoretisch und praktisch in das Tätigkeitsfeld einführt. Erst in der 2. Phase lernt die Lehrkraft die komplexe Praxis ihres Schulfaches sowie die der Schule als Institution und in ihrem gesellschaftlichen Umfeld kennen. Es ist eine alte Forderung, die beiden Phasen sollten nicht nur zusammenarbeiten, sondern sie sollten ihre Ausbildungsinhalte insbesondere im fachdidaktischen Bereich aufeinander abstimmen. Die wiederholten Appelle haben in der Breite nicht die angestrebte Wirkung gehabt. 18 In der aktuellen Diskussion ist von einer institutionellen „Verzahnung" die Rede, und diese verspricht massive Veränderungen im Miteinander bzw. Nebeneinander der beiden Phasen. Im Reformkonzept von Rheinland-Pfalz wird ein „duales" Ausbildungskonzept entwickelt (Ministerium für Wissenschaft, Weiterbildung, Forschung und Kultur 2002). „Danach wird das Lehramtsstudium in Verantwortung der Studienseminare um Elemente der berufspraktischen Ausbildung ergänzt und somit auch der bisherige Vorbereitungsdienst neu strukturiert, so daß im Ergebnis diese Vorleistungen auf die Dauer des Vorbereitungsdienstes angerechnet werden können" (a.a.O.: 2-3). Es ist von einer Verkürzung der 2. Phase auf 12 Monate die Rede. Bereits das Bachelor-Studium sieht berufspraktische Anteile in Form von zwei Praktika vor. Außerdem werden vom ersten Studienjahr an „schulpraktische Studien" eingeführt. "Zuständig für die Steuerung, Organisation und Betreuung sind die Staatlichen Studienseminare; sie sind somit von Studienbeginn an mitverantwortlich für den Studien- und Ausbildungsverlauf' (a.a.O.: 3). In ähnlicher Weise werden sie am Master-Studiengang beteiligt. Planungen wie diese werden wenn sie denn realisiert werden die Professionalisierung auf eine neue Grundlage stellen, vorausgesetzt, daß die Studienseminare personell und materiell entsprechend ausgestattet werden. Es wäre insbesondere zu wünschen, die Studienseminare würden aktiv in die Vorbereitung der Fremdsprachenlehrer an Grundschulen und die notwendigen Überlegungen zur Frage des Übergangs von der Grundschule in die Sekundarstufe I einbezogen. 18 Wo Gelegenheiten zum Dialog wahrgenommen wurden, haben sie zu weiterführenden Ergebnissen und gegenseitiger Bereicherung der Ausbildung in beiden Phasen geführt. Beispiele sind die Erforschung und Weiterentwicklung des bilingualen Unterrichts, die inzwischen im gemeinsamen Dialog erfolgt (u.a. Krechel 2001) sowie auch der Modellversuch „Wege zur Mehrsprachigkeit" im Land Nordrhein-Westfalen (Landesinstitut für Schule und Weiterbildung 1997). lFlLIUIL 31 (2002) 60 Ingeborg Christ Auch bei der Ausbildung von Lehrkräften für den bilingualen Unterricht - Fremdsprachenlehrer wie Sachfachlehrer können die Studienseminare ·wesentliche Hilfestellung leisten, zumal sie Erfahrungen in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und im Austausch von Referendaren haben. Integrierte Studien mit Aufenthalten an Ausbildungseinrichtungen in Partnerländern können ein wichtiges Instrument zur Internationalisierung der Studiengänge darstellen (Krechel 2001). 10. Schluß Auf der Grundlage eines Kompetenzprofils von Fremdsprachenlehrern, die an der Verwirklichung eines zukunftsorientierten, auf das Lernziel Mehrsprachigkeit hin ausgerichteten schulischen Fremdsprachenunterrichts mitwirken sollen, wurden Vorschläge für.die erste und zweite Phase der Ausbildung gemacht. Dabei wurde prinzipiell nicht von einer Neuordnung, sondern einer Weiterentwicklung des Bestehenden ausgegangen. Eine berufsbegleitende Fortbildung wird vorausgesetzt, ihre Thematisierung war aber nicht Anliegen dieses Beitrags. In den beiden Ausbildungsphasen und der Fortbildung sind Instrumente der Kooperation zu nutzen, wie z.B. Netzwerke von Schulen, Aus- und Fortbildungsstätten, an denen auch die Kultusverwaltungen teilhaben. Die gemeinsame Arbeit aller an der Ausbildung für den Fremdsprachenunterricht Beteiligten (hierzu H. Christ 1996) soll dazu verhelfen, daß die Professionalisierung der Fremdsprachenlehrer zum Nutzen zeitgemäßen Lehrens und Lernens fremder Sprachen fortschreitet. Literatur BABYLONIA. Zeitschrift für Sprachunterricht und Sprachenlemen (1999). Themenheft Europäisches Sprachenportfolio, 1/ 99, Comano (Schweiz). BABYLONIA. Zeitschrift für Sprachunterricht und Sprachenlemen (2000). Themenheft Europäisches Sprachenportfolio II, 4100, Comano (Schweiz). 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Such studies should be organised in modular form in order to guarantee freedom of individual choice, to facilitate cooperation and to create teacher profiles. 0. Vorbemerkungen Hier die Philologie, das „liebende Bemühen um das Wort" (Brockhaus), eine lieb gewonnene, kultivierte und kultivierende wissenschaftliche Tätigkeit, deren Ziel nicht die aktive sprachliche Verfügung über das Sprachsystem ist; daneben die Spracherwerbsbzw. -lernforschung, die durch die Beschreibung und Erklärung von Sprachlernprozessen die Grundlagen schafft, um sinnvoll Lehrprozesse der Spracherlernung zu arrangieren; des weiteren der Fremdsprachenunterricht mit dem Ziel Lernender, eine Sprache als Mittel der Kommunikation in verschiedensten Lebensbereichen nutzen zu können: In diesem Trio wirken die Neuphilologien als nicht mehr so recht in die Zeit passende Erscheinungen. Doch noch immer speist sich die Lehrerausbildung der neueren Sprachen in ihren Inhalten und Methoden vornehmlich aus den philologischen Disziplinen. Besonders spürbar ist dies in der II. Phase der Lehrerbildung, in der die angehenden Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer im Berufsfeld handlungsfähig werden sollen. Bei näherer Betrachtung entpuppt sich das europäische Sprachenportfolio ( Council of Europe 2000) als ein Lehrstück für eine zeitgemäße Fremdsprachenlehrerbildung, denn in ihm verdichten sich wesentliche Qualifizierungsnotwendigkeiten zukünftiger Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer. Damit sie mit dem europäischen Sprachenportfolio Korrespondenzadresse: Dr. Sigrid VOGEL, Leiterin des Studienseminars Göttingen für das Lehramt an Gymnasien, Studienseminar Göttingen für das Lehramt an Gymnasien, Waldweg 26, 37073 GÖTTINGEN. E-Mail: drs.vogel@stud.uni-goettingen.de Arbeitsbereiche: Fremdsprachendidaktik, Fremdsprachen in Schule und Ausbildung, Lehrerausbildung. fl,1.l]L 31 (2002) Ein verblassender Mythos: Der philologische Fremdsprachenunterricht oder ... 65 sinnvoll arbeiten können, muss die I. Phase in dreierlei Hinsicht Verantwortung übernehmen und • das Sprachkönnen der zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer ausbilden und eine hohe Sprachkompetenz garantieren, • die Diagnose- und Interventionsfähigkeiten der zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer ausbilden und sie zur Begleitung von Sprachlernprozessen befähigen, • die zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer systematisch zur bewußten Wahrnehmung eigener Sprachlernprozesse anleiten und Erfahrungen im forschenden Lernen sowie im Projektlernen ermöglichen. 1. Sprachkönnen "Ich habe keinerlei Schwierigkeiten, Sprache zu verstehen, egal ob „live" oder in den Medien, auch wenn schnell gesprochen wird, ich brauche nur etwas Zeit, um mich an einen besonderen Akzent zu gewöhnen. Geschriebene Texte? Ich kann alles mühelos verstehen, auch wenn sie abstrakt oder inhaltlich und sprachlich komplex sind, egal ob Sachbücher, Fachartikel, Literatur. An Gesprächen und Diskussionen kann ich mich beteiligen, auch bin ich mit umgangssprachlichen und idiomatischen Ausdrucksweisen sehr vertraut. Ich kann mich fließend äußern und auch feinere Bedeutungsnuancen genau ausdrücken. Sollte ich Ausdruckschwierigkeiten haben, so kann ich reibungslos wieder ansetzen und umformulieren. Ich kann mühelos und fließend auch längere Ausführungen und Erörterungen machen, meine Darstellung logisch aufbauen, die Zuhörer auf wichtige Punkte aufmerksam machen und mich im Stil der jeweiligen Situation und den Zuhörern anpassen. Ich kann klar, flüssig und stilistisch dem jeweiligen Zweck angemessen schreiben. Ich kann anspruchsvolle Briefe, längere Berichte oder Artikel zu komplexen Fragen veifassen, die einen klaren Aufbau haben und die Leser so führen, daß sie die entscheidenden Punkte eifassen. Ich kann Sachtexte und literarische Werke schriftlich zusammenfassen und besprechen" (vgl. Council of Europe 2000: 15). Wenn die angehenden Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer bei Eintritt in den Vorbereitungsdienst ihre sprachlichen Fähigkeiten so beschreiben könnten, besäßen sie das Kompetenzniveau der Stufe C 2 des Sprachenpasses des europäischen Sprachenportfolios, also ein Niveau, das (idealiter? ) Lehrende fremder Sprachen besitzen müßten, um Fremdsprachen zu unterrichten. Auch wenn durch ein Sprachenportfolio Sprachkompetenznachweise von den Studienanfängern mitgebracht würden, also das Ergebnis schulischen Fremdsprachenerwerbs wären, so ist es doch die Aufgabe der I. Fremdsprachenlehrerbildungsphase, die Fremdsprachenkompetenz festzustellen und gegebenenfalls zu fördern. Nun ist bislang das Erlernen der modernen Fremdsprachen und ihre aktive Beherrschung aus der Sicht der universitären Neuphilologien eine quantite negligeable, und wird illllller noch gern als Übersetzungs- oder Grallllllatikübung der „Sprachpraxis" überantwortet, obwohl der größte „Kundenkreis" der Neuphilologien Lehramtstudierende sind. Da erstaunt es illllller wieder, wie gut teilweise dennoch das Sprachkönnen der Referendarinnen und Referendare in den Fremdsprachen ist. Der Schluß liegt nahe, daß Grundlagen hierfür in den Leistungs- oder Grundkursen der Sekundarstufe II geschaffen ]F][,IUI][, 31 (2002) 66 Sigrid Vogel wurden, in denen teilweise ein recht hohes Sprachkönnensniveau zu beobachten ist. Zudem sind inzwischen längere Auslandsaufenthalte der Studierenden die Regel. Beweist dies aber, daß die Fremdsprachenlehrerausbildung also auf den Studieninhalt „Spracherwerb" verzichten kann? Ich verwende absichtlich den Begriff „Sprachpraxis" 1 nicht, da er im universitären Fremdsprachenkontext eindeutig abwertend gemeint und mit dem Habitus der Neuphilologien verknüpft ist, "der sich (nicht selten) durch seinen bewußt kultivierten Gegensatz zu jeder Form von praktisch verwertbarem Wissen oder Berufsbezogenheit der wissenschaftlichen Lehre auszeichnet" (Zydatiß 1998: 239). Die wichtigste Kompetenz für Fremdsprachlehrende in den Schulen ist ihr Sprachkönnen. Es muß daher obligatorischer Teil des Studiums und darf nicht länger der privaten Initiative der Studierenden überlassen sein, denn es gewährt wertvolle Einsichten in das eigene Sprachenlernen (vgl. 3). Richtungsweisend für Lehrveranstaltungen zur Sprachbeherrschung sollten die Kompetenzstufen des Europäischen Referenzrahmens sein (Europarat. Rat für kulturelle Zusammenarbeit 2001), die von den Studierenden theoriegeleitet und mit Verfahren der Selbstbewußtheit des Sprachlernprozesses erlernt, ausgebaut und evaluiert werden können (Meißner 2000: 127; Meißner [et al.] 2001: 172). 2. Sprachlernprozesse "In jeder Unterrichtsstunde haben es Unterrichtende mit Vermittlungsfragen zu tun. Die Fremdsprachendidaktik erforscht die Interaktion von Lehren und Lernen, Lehrenden und Lernenden, fremden Sprachen und fremden Kulturen auf der Grundlage ausgangssprachlicher oder -kultureller Schemata sowie die institutionellen Zusammenhänge von Fremdsprachenunterricht. Dies betrifft den zentralen Bereich des Berufsfeldes von Lehrenden fremder Sprachen. Von den Gegenständen der Literatur-, Sprach- und Landeswissenschaften ist die Didaktik des Fremdsprachenunterrichts nur über den Vermittlungsaspekt betroffen" (Meißner et al. 2001: 170). Da die Definitionshoheit bei der Festlegung, was das wichtige Wissen für die zukünftigen Fremdsprachenlehrer ist, derzeit immer noch bei den universitären neuphilologischen Fachdisziplinen liegt, nach deren Auffassung schulischer Fremdsprachenunterricht Unterricht vor allem die Aufgabe hat, in die Systematik, Struktur und Methode der Fächer einzuführen2, bleiben aus dem Berufsfeld abgeleitete Studieninhalte der Fremdsprachenlehrerbildung eher chancenlos. Dennoch gilt es, ein solches Ableitungsmonopol nachdrücklich in Frage zu stellen, weil sich neue Inhalte und Anforderungen für das Fremdsprachenlehrerstudium aus den derzeitigen und zukünftigen gesellschaftlichen Herausforderungen gewinnen lassen (vgl. Neveling 2002). In diese Richtung wurde auch auf der im Jahr 1999 begonnenen und 2001 fortgeführten Fachtagung des Landes Niedersachsen in Loccum gedacht, wo versucht wurde, ein Gesamtkonzept für den schulischen Fremdsprachenunterricht in der Bundesrepublik zu entwickeln (vgl. Niedersächsisches Progranunatisch hat Meißner (2002) die Perspektiven einer längst überfälligen Reform der sprachkönnensbezogenen Studienanteile unter dem Aspekt der Qualitätssicherung der sprachpraktischen Ausbildung umrissen. 2 Zur Ableitungsproblematik der Inhalte der Schulfächer vgl. Boenicke (2000: 395). JF[,ll]L 31 (2002) Ein verblassender Mythos: Der philologische Fremdsprachenunterricht oder ... 67 Kultusministerium 2000; Zydatiß 2002: 194). Die Fachtagung Loccum I ließ aber die divergierenden Interessen der an Lehrerbildung Beteiligten mit aller Deutlichkeit zu Tage treten: Durch die höchst unterschiedlichen Perspektiven von Hochschule, Lehrerfortbildung, Elternvertretung, Kultus- und Schulaufsichtsverwaltung auf den Fremdsprachenunterricht konnte keine gemeinsame Sichtweise auf die Sache gefunden werden. Bliesener (2000: 39) kommentiert diese Fachtagung als „schwierig, aber gleichzeitig ertragreich". Eine wirkliche inhaltliche Diskussion gab es erst in Loccum II, als weniger Überlegungen, die Curriculumrevision über die derzeitigen schulischen Organisationsstrukturen zu denken, im Zentrum der Arbeit standen, sondern die für die Schulverwaltung wichtigen Fragen der Fremdsprachenlernauflagen nur ein Thema neben anderen Arbeitsgruppen war: Bilingualer Unterricht, Kommunikation der fremden Sprache (mündlich, schriftlich), Fremdsprachen als integraler Bestandteil der beruflichen Bildung, neue Formen des Lehrens und Lernens, Probleme der Zertifizierung. 3 Sprachenzertifikate können inzwischen im Rahmen des schulischen Fremdsprachenlernens erworben werden. Sie verleihen durch ihre internationale Vergleichbarkeit, d.h. durch den Gebrauchswert der Fremdsprachenkenntnisse und ihren unmittelbar einsichtigen Anwendungsbezug, den Sprachen, die von Abwahl bedroht sind, einen gewissen "Marktwert". So sind für die Französisch lernenden Schülerinnen und Schülerbeispielsweise die Sprachprüfungen DELF und DALF sehr attraktiv und dort investieren sie auch Arbeit. Nun hat Deutschland derzeit ein nationales Bildungsproblem und die Lehrerbildung ist ein Teil dieses Problems. Die Lehramtsstudiengänge der Fremdsprachen werden mit der Hereinnahme anwendungsbezogener Studieninhalte sowohl was das schulische Fremdsprachenlernen der Schülerinnen und Schüler als auch was die Fremdsprachenlehre der Lehrerinnen und Lehrer betrifftauf diese Veränderungen reagieren müssen. Hinsichtlich der in ihren gesellschaftlichen Wirkungen unzeitgemäßen Fremdsprachenlehrerbildung stellt Zydatiß (1998: 232) fest: "In letzter Konsequenz zahlen die Schülerinnen und Schüler, die Eltern, die Wirtschaft (wir alle, ,die Gesellschaft') für ein ineffizientes Lehramtsstudium und eine Fremdsprachenlehrerausbildung, die den jetzigen und zukünftigen Anforderungen an die Tätigkeitsfelder und Qualifikationsmerkmale dieser Berufsgruppe nicht länger gerecht werden". Daß das Berufsfeld der Lehrenden, d.h. der Anwendungsbezug der universitären Lehrerbildung, nicht länger in den Lehramtsstudiengängen ausgeblendet werden darf, legen auch die Ergebnisse der PISA-Studie (Deutsches PISA-Konsortium 2001) nahe. Dabei ist zu fragen, ob in diesem Zusammenhang die Philologien nicht gar in ihrem ureigensten Feld versagt haben, denn wie anders ist der Befund zu deuten, daß trotz der in den universitären Philologien von den Studierenden vorrangig praktizierten Textanalyse das Niveau der Lesekompetenz deutscher Schülerinnen und Schüler im internationalen Vergleich eher niedrig und der Anteil von Schülerinnen und Schülern mit sehr schwacher Bedauerlicherweise waren wie schon bei Loccum I in diesen Kommunikationsprozeß Ausbildende der II. Phase kaum eingebunden. lf1lLlllL 31 (2002) 68 Sigrid Vogel Leseleistung vergleichsweise hoch ist? Die im Philologiestudium erlangten Textanalysefähigkeiten der zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer reichen anscheinend nicht aus, um das Lernen aus Texten und die Informationsverarbeitungskompetenz (Textverstehen) von Schülerinnen und Schülern wirkungsvoll anzuleiten. In der PISA-Studie wird Lesekompetenz „als fächerübergreifende Schlüsselqualifikation betrachtet, für deren Aneignung in der Phase des Schriftsprachenerwerbs die Hauptverantwortung zunächst beim muttersprachlichen Unterricht liegt, die dieser mit zunehmender Schulbesuchsdauer mehr und mehr mit allen anderen Unterrichtsfächern teilt. Spätestens in der Sekundarstufe I ist die Kultivierung des Leseverständnisses Sache aller Unterrichtsfächer" (Deutsches PISA-Konsortium 2001: 21). Da insbesondere auch im Fremdsprachenunterricht das Leseverständnis eine grundlegende Rolle spielt, steht zu befürchten, daß es möglicherweise auch mit der Lesekompetenz der Schülerinnen und Schüler in den Fremdsprachen nicht sehr weit her sein dürfte. Man wird auf die Befunde der von der KMK angeregten und für das Jahr 2005 angekündigten DESI-Studie (Deutsch-Englisch-Schülerleistungen-International) gespannt sein (vgl. Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung, Frankfurt/ Main: www.dipf de). 2.1 Diagnosefähigkeiten Wenn auch die Wirkbedingungen in der PISA-Studie nicht untersucht wurden, so läßt sich aber ein Zusammenhang zwischen der diagnostischen Kompetenz der Lehrenden und der Förderung der Lesefähigkeiten der Schülerinnen und Schüler vermuten (vgl. Deutsches PISA-Konsortium 2001: 120). Zusammenhänge, Wechselwirkungen zwischen unterrichtlichem Handeln und dem Lernen der Unterrichteten erforscht insbesondere die Unterrichtswissenschaft bzw. die empirische Fremdsprachenlehr- und -lernforschung (vgl. z.B. Finkbeiner/ Schnaitmann 2001), deren Ergebnisse und empirische Forschungsmethoden von den Lehramtsstudierenden der Neuphilologien in der Regel jedoch nicht in wünschenswertem Maße rezipiert werden. Dies zeigt sich in aller Schärfe in der II. Lehrerbildungsphase, für die die unterrichtswissenschaftliche Forschung wertvolle, für „das wissenschaftlich begründete Handlungstraining" (Meißner [et al.] 2001: 175) der Lehrenden im Berufsfeld aufschlußreiche Erkenntnisse und unterrichtswirksame Anregungen gibt, die die Auszubildenden der II. Phase aber gerne zugunsten rezeptologischer Empfehlungen erfahrener Praktiker zurückstellen. Mit der Schließung von Lehramtsstudiengängen wegen schlechter Evaluationsergebnisse4 wird überdeutlich, daß sich die universitäre Lehrerausbildung in ihrem Ausbildungsauftrag neu positionieren muß, z.B. durch die Einrichtung von Zentren der Lehrerbildung (vgl. Terhart 2000), als identitätsstiftender Ort mit entsprechenden berufsbezogenen Inhalten, mit Schul- und Unterrichtsforschung und mit Lern- und mit Lehrforschung. Ich benutze bewußt diese Reihenfolge, erst die Lernforschung, dann die Lehrfor- 4 Beispielsweise an der Universität Bonn (Meldung der Süddeutschen Zeitung vom 27.03.2002). IFLllllL 31 (2002) Ein verblassender Mythos: Der philologische Fremdsprachenunterricht oder ... 69 schung, denn professionelles Lehrerhandeln bedarf vor allem der genauen Kenntnis davon, wie Schülerinnen und Schüler lernen, d.h. Lehrerinnen und Lehrer müssen endlich zu Experten des Lernens ausgebildet werden. In dieser Hinsicht hat sich trotz der Entwicklungen in der Lern- und Kognitionspsychologie im Zuge der 30 Jahre nachbehavioristischer Forschung in der Lehrerausbildung letztlich nichts geändert. Die durch die traditionelle Unterrichtslehre suggerierte allmächtige Beherrschung von unterrichtlichen Lernprozessen durch die Lehrenden ist zwar vom Konstruktivismus entmystifiziert worden, hat aber kaum in den Klassenzimmern und in der Ausbildung Platz gegriffen. Noch immer ist die Fremdsprachenlehrerausbildung der II. Phase vornehmlich durch die Zentrierung auf die Lehrenden und die zu lernenden Inhalte geprägt. Damit sich die Lernerzentrierung im Unterricht der Schulen allmählich vollziehen kann, muß die Lernerzentrierung weiterhin Lehr- und Forschungsschwerpunkt bleiben, damit der Blick der angehenden Lehrerinnen und Lehrer auf die Aneignungsprozesse geschärft und ihre Analyse- und Interventionsfähigkeiten in dieser Hinsicht ausgebildet werden. 2.2 Fremdsprachenleistungen und -bewertung « Est-ce correct? » lautet ein traditionsreicher regelmäßiger Beitrag in der Zeitschrift Praxis des neusprachlichen Unterrichts. Diese Rubrik, ein Relikt aus guten alten Sprachrichtigkeitszeiten, ist zwar wohlmeinend als Korrektur- und Entscheidungshilfe für die Lehrerinnen und Lehrer gedacht, sie symbolisiert aber auch die Überbetonung der Sprachkorrektheit besonders im Schriftfranzösischen. Es gibt nun aktuell vielerlei Gründe, weswegen Schülerinnen und Schülern die Lust am Französischlernen abhanden kommt, z.B. die Organisation des Schulwesens, die Fremdsprachenauflagen im Abitur, der allgemeingesellschaftliche Akzeptanzverlust französischer Kultur. Ohne Zweifel spielt aber auch das Korrekturverhalten der Lehrenden eine entscheidende Rolle. Der Fremdsprachenunterricht muß umsteuern, ähnlich wie es der Mathematikunterricht in der Folge der TIMS-Studie, in dem fehlerträchtige Rechenroutinen den Unterricht beherrschten, getan hat. Auch für die Umsteuerung geben die Beschreibungen der Kompetenzstufen des europäischen Sprachenportfolios einen deutlichen Hinweis: Es fehlt bezeichnenderweise die Dimension der sprachlichen Korrektheit. Da Spracherlernen nicht ohne Normenbezug auskommen kann, muß dieser Punkt von der Fremdsprachenlehr- und -lemforschung nachdrücklich an die Verantwortlichen für die Gestaltung von Lehrplänen herangetragen werden, um Entscheidungshilfen zu geben, wie viel sprachliche Unkorrektheit hinnehmbar ist, damit die Darstellung von Sachverhalten als „mühelos" und „fließend" wie in der Kompetenzstufe C2 (vgl. 1) eingestuft werden kann. Es geht um die Gewichtung von quantitativen „Richtig-Falsch-Maßstäben" zu qualitativen „Verständlich-Unverständlich-Maßstäben" und darum, daß die Fremdsprachlehrerinnen und -lehrer nicht mehr länger eine akribische Defizitsondern eine Mut machende Stärkenanalyse betreiben, wie sie die Arbeit mit dem Sprachenportfolio nahe legt (vgl. 3). Wenn im Fremdsprachenunterricht immer noch sehr viel Wert auf Regelwissen und dessen korrekter Anwendung gelegt wird, widerspricht dies der Erkenntnis, dass der Prozeß der Spracherlemung ein dynamischer Prozeß ist und Lemersprachen per defilFLwL 31 (2002) 70 Sigrid Vogel nitionem als sprachliche Übergangssysteme mehr oder weniger stabil und defizitär sind (vgl. ConfaisNogel 1998: 115-132). Erst wenn in der 1. Phase Lehrveranstaltungen zur Lernersprache zum Kerncurriculum gehören, besteht die Chance zu einer grundlegenden Einstellungsänderung der Lehrkräfte dem Fehler gegenüber. Eine solche veränderte Werthaltung bleibt jedoch solange folgenlos für das schulische Fremdsprachenlernen, wie nicht auch Verordnungen und Leistungsbewertungsmaßstäbe im obigen Sinne geändert werden (vgl. u.a. Bleyhl 2001). So stellt Seifert (2001: 45) im Mitteilungsblatt des Landesverbands Niedersachsen des FMF den Fehlerquotienten zur Disposition, indem er fragte: "Kann man, soll man den Fehlerindex abschaffen? " Selbst wenn man sich von der derzeitigen Praxis des „Fehler-Lesens" verabschieden würde, bedeutete dies zwar viel, aber es bliebe ein entscheidendes Hindernis, das im Fremdsprachenunterricht immer noch vorherrschende Unterrichtsskript des fragend-entwickelnden Unterrichtsgesprächs. In diesem Unterrichtsarrangement ist die Vermischung von Lern- und Leistungssituationen die Regel, d.h. die Schülerinnen und Schüler erfahren und bewerten den Unterricht insgesamt als eine Leistungssituation, auch wenn die Lehrenden einzelne Unterrichtsphasen nicht als Leistungssituation, sondern als Erprobungssituation ansehen. Lern- und Leistungssituationen entflechten zu lernen, ist ein wesentlicher zukünftiger Professionalisierungsaspekt der Ausbildung der II. Phase: Unterrichtsphasen müssen von Seiten der Lehrenden eindeutig als Lernsituationen ausgewiesen werden, in denen die Schülerinnen und Schüler probieren, Lösungsansätze entwickeln und verwerfen können und solche Situationen auch von den Schülerinnen und Schülern als Lerngelegenheit identifiziert werden können. „Lernsituationen unterscheiden sich deutlich von Leistungssituationen. Während für gelingende Lernprozesse ein explorativer Umgang mit eigenen Fehlern charakteristisch ist, versucht man in Leistungssituationen einem subjektiv anerkannten Gütemaßstab zu genügen und Fehler nach Möglichkeit zu vermeiden. In Lernsituationen werden Fehler als Grenzerfahrung und Herausforderung gleichzeitig erlebt, in Leistungssituationen sind sie persönliches Versagen. Prüfungen - Tests, Klassen-(Schul)arbeiten und Übergangs- oder Abschlußprüfungen sind typische Leistungssituationen [... ]. Der Unterricht sollte demgegenüber primär ein Ort des Lernens sein" (Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung 1997: 27). Hilfreich sind dafür Unterrichtsskripte, in denen die Erarbeitung von Sachverhalten oder eine Problemlösung z.B. in Gruppenarbeitsphasen verlegt wird. Auch bei Wiederholungen muß für die Schülerinnen und Schüler klar sein, ob sie der Übung oder der Leistungsüberprüfung dienen. Leistungssituationen müssen als solche eindeutig ausgewiesen sein. Möglicherweise sind Vereinbarungen zwischen Lehrenden und Lernenden dafür das einzige wirksame Mittel. Jedenfalls läßt die Implementierung eines solchen Unterrichtskonzepts erwarten, daß dadurch die Angst der Lernenden vor dem Fehler genommen wird, die im schulischen und außerschulischen Kontext so manchen Lernenden „sprachlos" macht. lFILllllL 31 (2002) Ein verblassender Mythos: Der philologische Fremdsprachenunterricht oder ... 71 3. Bewußtheit eigenen Sprachlernens und Portfolioarbeit Die Arbeit mit dem europäischen Sprachenportfolio erwartet von den Fremdsprachenlernenden, daß sie ihren eigenen Spracherlernungsprozeß bewußt wahrnehmen und dokumentieren, eine Fähigkeit, die von den Lehrerinnen und Lehrern angeleitet werden muß. Das Portfolio unterstützt den schwierigen Selbstbeobachtungsprozeß und bietet dazu hervorragende Hilfen, sowohl für die Lernenden, aber gerade auch für die Lehrenden, die mit solcherart systematischer Selbstachtsamkeit bislang weder während des schulischen noch des universitären Lernens kaum Erfahrungen sammeln konnten. Der Mehrwert der Portfolioarbeit besteht in der Prozeßorientierung und der Möglichkeit, Schülerinnen und Schüler zu stärken und zu fördern. Portfolioarbeit bedeutet für die Betroffenen aber auch Mehrarbeit, denn sie sind nicht daran gewöhnt, ihre eigene Lernentwicklung bewußt zu begleiten und geben sich mit kurzfristigen Lernleistungen zufrieden. Das gilt in ähnlicher Weise auch für die Studierenden und Auszubildenden der lehrerbildenden Fächer. Da die Reflexionsfähigkeit jedoch wesentlich zur Entwicklung des beruflichen Selbst der Lehrerin und des Lehrers gehört, sind Erfahrungen mit der Methode der Portfolioarbeit unverzichtbar. Obwohl sie sich prinzipiell mit jedem Lerngegenstand verbinden läßt, bietet sich im Fremdsprachenstudium besonders der Prozeß der eigenen Spracherlernung bzw. die individuelle Lernersprache zur Portfolioarbeit an. So könnten beispielsweise die Studierenden ihr Kommunikationsverhalten in verschiedenen Kommunikationssituationen auf wissenschaftlichem Hintergrund analysieren und dies in einem Portfolio dokumentieren, würden ihre theoretischen Erkenntnisse über Fremdverstehen und interkulturelle Kompetenzen reflexiv an die eigene Erfahrung anbinden und dieses „erfahrungs- und situationsgesättigte Wissen" vermutlich nachhaltiger in ihre Wissensstrukturen integrieren. Hierdurch würde zu einer besonderen Art von language awareness als Selbstregulierungs- und Selbstmanagementprozeß angeregt, ohne die die Fähigkeit lebenslangen Lernens nicht denkbar ist. Da darüber hinaus im Portfolio der eigene Lernfortschritt bei der Spracherlernung selber erfaßt und eingeordnet wird, kann es als Instrument der Selbsteinschätzung auch ein universitäres Sprachkönnenszertifikat (vgl. 1) ergänzen. Portfolioarbeit könnte einen entscheidenden Paradigmenwechsel bewirken, denn durch sie wird das Augenmerk mehr auf Erreichtes gerichtet, weniger auf Defizite. Als Stärkenanalyse fördert sie die Wahrnehmung von Könnensständen und das Selbstbewußtsein der Lernenden. Dies ist von großem Wert für die zukünftigen Lehrerinnen und Lehrern, denn gegenwärtig sind Lehrerinnen und Lehrer sehr viel mehr der Kritik und unterschiedlichen Ansprüchen und Erwartungen ausgesetzt als früher. Deswegen müssen sie die Fähigkeit erlangen, die an sie gestellten Erwartungen konstruktiv zu bearbeiten, um sich selber zu stabilisieren und gleichzeitig kritikfähig zu bleiben. Doch nicht nur deswegen sollten Lehrende ein reflektierendes und reflektiertes Verhältnis zu sich selbst entwickeln: Die bewußte Selbsterfahrung sensibilisiert sie dafür, ähnliche Prozesse bei Schülerinnen und Schülern besser einschätzen und sie zu lebenslangem, selbst initiiertem und weitgehend selbst gesteuertem Lernen befähigen zu können. lFlLwL 31 (2002) 72 Sigrid Vogel Durch Portfolioarbeit sowohl in der I. als auch in der II. Lehrerausbildungsphase können angehende Lehrerinnen und Lehrer sinnvoll in ihrem Prozeß der positiv-kritischen Selbstkonzeptentwicklung unterstützt werden. Nach Dubs (1995: 357) umfaßt das Selbstkonzept eines Menschen "alle Wahrnehmungen. Ideen und Gefühle, die er über sich selbst entwickelt. Oder etwas anspruchsvoller ausgedrückt: Es stellt die kognitive Repräsentanz der eigenen Person dar und umfaßt alle jene Informationen, die von der Person über sich selbst aufgenommen und gespeichert wurden... Selbstkonzepte werden geprägt durch eigene Erfahrungen und Rückmeldungen von sich selbst und von außen (besonders wenn diese von subjektiv als bedeutsam empfundenen Personen stammen, sowie durch persönliche Empfindungen, Interpretationen und Zuschreibungen von Ereignissen)". Das Selbstkonzept Lernender wird durch einige Rahmenbedingungen begünstigt, so müssen die Lernenden beispielsweise überzeugt sein, daß sie von ihren Lehrpersonen unterstützt werden und sie müssen das Gefühl haben, für sich selbst verantwortlich zu sein und etwas zu können. Sie müssen sich selbst realistische Ziele setzen, sich selbst beurteilen und sich selber realistische Anerkennung geben können. Dazu ist Portfolioarbeit geeignet. 4. Modularisierung Da mit der Idee des Portfolios auch die Zielerreichung von Kompetenzstufen verbunden ist, liegt es nahe, über eine Modularisierung des schulischen Fremdsprachenunterrichts nachzudenken, so daß organisatorisch nicht mehr Langzeitlehrgänge den Fremdsprachenerwerb in den Schulen bestimmen, sondern Sprachkurse. Modularisierten Bildungsgänge werden in Deutschland aber derzeit noch mit großen Vorbehalten betrachtet. Zwar sind Module für die Lernenden überschaubar, da sie zeitlich begrenzt und ihre Anforderungen transparent sind, aber sie liegen z.B. quer zu den „normalen" schulischen Organisationsstrukturen und müßten, wollte man sie einführen, ähnlich wie Arbeitsgemeinschaften verwaltet werden. Das Organisationsprinzip der Module könnte in den Schulen die Anwahl mehrerer Sprachen begünstigen und das Prinzip der Mehrsprachigkeit unterstützen. Auch für die I. Phase der Lehrerbildung ist eine modularisierte Ausbildungsorganisation vorteilhaft, da sie der Zersplitterung der Ausbildungswirkungen entgegen wirkt und das derzeitig noch zufällige Nebeneinander der allgemein- und fachdidaktischen sowie der fachwissenschaftlichen Seminare beheben hilft, eine inhaltliche Vernetzung sicher stellt und Kooperationen ermöglicht. Modularisierung meint zunächst nur ein Organisationsprinzip, durch das die Ausbildungsstruktur in überschaubare Einheiten aufgeteilt wird, wobei die einzelnen Module von den jeweiligen Studierenden bzw. Auszubildenden miteinander kombiniert werden können. Entscheidend für die konkrete Zusammenfassung der Module ist die übergeordnete gemeinsame inhaltliche Schnittstelle, der jeweilige zu professionalisierende Qualifizierungsbereich. Im Hinblick auf die zu erwerbenden berufsfeldbezogenen lFJL1UilL 31 (2002) Ein verblassender Mythos: Der philologische Fremdsprachenunterricht oder ... 73 Kompetenzen werden für angehende Lehrerinnen und Lehrer derzeit folgende Qualifizierungsbereiche für wichtig erachtet: Unterrichten, Diagnostizieren, Beurteilen, Beraten, Erziehen, Innovieren, Mitwirken und Managen. Ein sehr konkreter Vorschlag zur Reform der Fremdsprachenlehrerausbildung liegt in dem integrativen Ausbildungskonzept von Königs (2001: 9-37) vor. Sein Kerncurriculum umfaßt folgende Ausbildungselemente: Einführung in die Fremdsprachendidaktik, Fremdsprachenlernpsychologie, Curriculumentscheidungen, Methoden der Fremdsprachenvermittlung, Leistungskontrolle und Testen, Neue Medien im Fremdsprachenunterricht, (Fremd-)Sprachenpolitik, Didaktik der ästhetischen Texte. Hinzu kommen Aufbau- Module, die der Tatsache Rechnung tragen, daß der zukünftige Fremdsprachenlehrer nicht in allen Disziplinen Experte sein kann, z. B. Sachfachunterricht in der Fremdsprache, früher Fremdsprachenunterricht, Neue Technologien und Fremdsprachenunterricht usw. Des weiteren versucht er, Bezüge zur Allgemeinen Didaktik und natürlich zu den Fachwissenschaften herzustellen. Damit trifft er den Kern der derzeitigen allgemeinen Diskussion um die Lehrerbildung, an der die inhaltlich unzusammenhängenden Lehrveranstaltungen, persönliche Präferenzen von Lehrenden und die Beliebigkeit der Inhalte 5 kritisiert wird. Wegen der unterschiedlichen Bedeutung für das Handeln im Berufsfeld sind Module eines Qualifizierungsbereichs danach zu untersuchen, ob sie als Kern- oder als Wahlmodule angeboten werden müssen (vgl. Königs 2001: 31-34). Kern- und Wahlmodule tragen der Auffassung Rechnung, daß es unverzichtbare, d.h. zum Kerncurriculum gehörende (vgl. Oser/ Oelkers 2001: 215-342) und nach Interesse wählbare Ausbildungsinhalte geben sollte. Die Modularisierung ermöglicht darüber hinaus aber auch die Verzahnung der 1. mit der II. Lehrerbildungsphase. So würden je nach Proprium der 1. und II. Phase - Ausbildungsmodule unter einem gemeinsamen Dach, dem Qualifizierungsbereich, aufeinander bezogen und gebündelt werden können. Für den Qualifizierungsbereich „Bewerten" beispielweise würden von der 1. Phase Module zur Theorie der sprachlichen Diagnostik angeboten werden und in der II. Phase würde das Berufsfeld hinsichtlich der in den Schulen praktizierten Bewertung von Leistungsdimensionen der Spracherlernung erforscht und auf die theoretischen Erkenntnisse der 1. Phase bezogen. Module tragen in der II. Ausbildungsphase den Charakter berufsfelderforschender Projekte. Dazu eignen sich in Bezug auf Fremdsprachen neben dem Fremdsprachenunterricht selber z.B. interkulturelle Vorhaben, Austausche (Qualifizierungsbereich „Unterrichten"), die Einrichtung von bilingualem Sachfachunterricht oder der Gebrauch der Fremdsprache als Arbeitssprache 6 (Qualifizierungsbereich „Mitwirken"), die Elternbzw. Schülerberatung In der Selbstevaluation der Grundwissenschaften an der Universität Göttingen z.B. wird von den Studierenden die Ineffizienz des Studiums, die Zufälligkeit der Lehrinhalte und die geringe Orientierung beklagt. 6 In dieser Hinsicht steht Englisch deshalb in der Beliebtheitsskala ganz oben, weil es gebraucht wird. Seinen hervorragenden Stand in den Schulen baut es durch seine Funktion als Arbeitssprache derzeit rapide aus: Über 400 Schulen in der Bundesrepublik verwenden Englisch in bilingualen Kontexten oder als Arbeitssprache im Sachfachunterricht. ]F]Lrui][, 31 (2002) 74 Sigrid Vogel für die Sprachenwahl (Qualifizierungsbereich „Beraten"), fachübergreifendes und fächerverbindendes Lernen (Qualifizierungsbereich „Innovieren"), Leistungsmessung und -bewertung (Qualifizierungsbereich „Beurteilen"). Berufsfelderforschende Module werden sinnvollerweise nach der Leittextmethode gestaltet, ermöglichen den Aufbau erfahrungsbezogenen Wissens und sind nach folgenden Verfahrensschritten gegliedert: Sich informieren bzw. informiert werden durch Informationsbereitstellung im Seminar, Planung des Vorhabens, Erkundung in der Realwelt der Schule, Realanwendung in der Schule, Reflexion und Evaluation im Seminar. Diese Erprobung der Handlungskompetenz im Berufsfeld ist die Grundlage, aus Erfahrungen erfahrungsbezogenes Wissen zu konstruieren und damit eine neue subjektive Theorie von beruflichem Handlungswissen aufzubauen. 7 Da mit den jeweiligen Modulen bestimmte Ausbildungsziele des Qualifizierungsbereichs verbunden sind, können daraus „Studienaufträge" (vgl. Mayr 1997: 90) bzw. Lernaufgaben abgeleitet werden, die von den Studierenden bzw. den Auszubildenden teils angeleitet, im wesentlichen aber in eigener Verantwortung bearbeitet werden, um dadurch die Entwicklung des professionellen Selbst zu fördern. 5. Zusammenfassung In einer zukunftsorientierten Fremdsprachenlehrerausbildung stellt die Sprachlern- und -lehrforschung den unabweisbaren berufswissenschaftlichen Kern dar. Andere Studieninhalte, Literatur, Kultur, Interkulturalität, Medien etc. kommen hinzu. Damit wird sowohl eine hohe Sach- und Fachkompetenz als auch der Berufsfeldbezug sicher gestellt. Im Unterschied zur I. ist die II. Lehrerbildungsphase ein Ausbildungsort, an dem in enger Zusammenarbeit mit dem Ausbildungsort Schule und punktuell mit dem Ausbildungsort Universität durch ein Lehr-Lernangebot die Berufstüchtigkeit von angehenden Lehrerinnen und Lehrern festgestellt und bewirkt werden soll. Für die Fremdsprachenlehrerausbildung liegen bislang keine Festlegungen von Ausbildungszielen mit transparenten Kompetenzstufen vor, an denen die fremdsprachenunterrichtlichen Leistungen angehender Lehrerinnen und Lehrer gemessen werden und anhand derer die Qualifikationen der Lehrerinnen und Lehrer international vergleichbar gemacht werden könnten. Auch dafür können dem europäischen Sprachenportfolio Anregungen entnommen werden. Aus Sicht der II. Lehrerbildungsphase muß die I. Phase ein Kerncurriculum und methodische Standards wie z.B. die Erforschung des Berufsfelds und Projekte anbieten, auf denen die II. Phase aufbauen kann. Durch die Umstellung auf Kern- und Wahlmodule in beiden Lehrerbildungsphasen könnten berufsfeldbezogene Kompetenzen erworben werden mit dem Ziel der Profilbildung der einzelnen Auszubildenden. Die II. Phase würde den Anwendungsbezug des in der I. Phase Erlernten verstärken und das noch 7 Diese Modulgestaltung, die das Erforschen der Berufspraxis betont, ist im Kontext der Aktionsforschung und der Professionsforschung von Alterichter / Posch (1990) zu sehen. lFlL1l! L 31 (2002) Ein verblassender Mythos: Der philologische Fremdsprachenunterricht oder ... 75 theoretisch"träge" Wissen durch situiertes Lernen der Auszubildenden in Handlung überführen (vgl. Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung 1997: 20), um so den Aufbau von Erfahrungswissen aus der Reflexion der Handlungserfahrungen zu ermöglichen. Die Modularisierung der Ausbildung erscheint unter den augenblicklichen Bedingungen der Zweiphasigkeit der Lehrerbildung als die einzige organisatorische Möglichkeit, die Lehrerausbildungsinstitutionen in phasenübergreifenden Projekten zu verknüpfen, zwar nur punktuell, aber mit dem Vorteil für die I. Phase, das Berufsfeld zu erreichen, und mit dem Vorteil für die II. 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Zu wenig vorbereitet sind sie auf die Situation in der Klasse: Wie man vor einer großen Gruppe auftritt, daß man auch für die Schüler erkennbar die Lehrerrolle übernehmen muß. Was man tun kann, wenn Klassen versuchen, dem neuen Lehrer zu zeigen, welche Macht sie haben: "Den oder Die haben wir fertig gemacht! " Wie man mit den zahlreichen, ganz unterschiedlichen Konflikten umgeht, wie man sie schlichtet. Und das alles immer unter der Prämisse, daß die Schüler ja auch etwas lernen sollen, und nicht nur auf sozialem Gebiet. Da liegen Defizite in der Lehrerausbildung. Was hingegen neue, offene, handlungs- und produktorientierte Unterrichtsformen angeht, sind es auch die Referendare, die neue Impulse in die Schulen bringen. Ich lerne viel von ihnen und würde diese Möglichkeit gern auch anderen Lehrern eröffnen. Leider fehlen neben der Zeit institutionalisierte Formen. Auch an dieser Stelle müßte Lehrerfortbildung ansetzen. Int.: Das bedeutet, daß Sie mit derfachlichen Ausbildung, zumindest in der ersten Phase, weitgehend zufrieden sind? P.: Das kann ich aus eigener Kenntnis jedenfalls für das Gymnasium sagen. Da es die große Zeitspanne von neun Jahren umfaßt, verlangt es eben auch ein weitreichendes fachliches Wissen und dazu breitgefächerte didaktische und methodische Kenntnisse und Fähigkeiten. Hinzu kommt der Anspruch der Schulform, der von der altersgemäßen Einführung der Zehnjährigen in fachliche oder fächerübergreifende Themen bis zur Vorbereitung der Oberstufenschüler auf die Fortsetzung ihres Bildungsweges in Universität, Fachhochschule oder einer qualifizierten Berufsausbildung Das Interview mit Frau Dr. Erdmute Pickerodt-Uthleb [= P.] führte Prof. Dr. Frank G. Königs[= Int.] am 4. Juli 2002 in Marburg. lFILlllL 31 (2002) 78 FLuL im Gespräch mit Erdmute Pickerodt-Uthleb reicht. Einer weiteren Verbesserung der fachlichen Lehrerausbildung steht aus meiner Sicht ein innerschulisches Defizit entgegen. Ein derart umfangreicher Bildungsgang wie der gymnasiale, von der Zeit wie vom Anspruch her, bedarf sowohl der Strukturierung als auch einer durchgehenden Linie, eines Curriculums, in dem die Teile aufeinander aufbauen, innerhalb der Fächer und über die Fachgrenzen hinweg. Nur so können von Beginn an Grundlagen gelegt, die später erweitert werden, können zufällige Wiederholungen auch in verschiedenen Fächern vermieden, notwendige Wiederholungsphasen gezielt eingebaut, geeignete Themen multiperspektivisch, also aus der Sicht mehrerer Fächer, angegangen werden. An einer solchen klaren Linie mangelt es, soweit ich sehe, in den fach- und schulforrnbezogenen Curricula und stärker noch über diese hinaus. Das heißt: Es scheint das Einverständnis darüber zu fehlen, daß ein Curriculum in der 5. bzw. in der 1. Klasse oder gar im Kindergarten beginnen und in sich schlüssig bis zur 9., 10., 13. Klasse reichen muß. Solche curricularen Konzepte scheint es z.B. in Schweden zu geben. Vielleicht hat das schlechte Abschneiden bei PISA auch damit zu tun, daß an deutschen Schulen zu wenig perspektivisch gearbeitet, der Lernfortschritt zu wenig geplant und durch gezielte Wiederholungen gesichert und überprüft wird. Int.: Das würde bedeuten: Für die Ausbildung von Gymnasiallehrern müßten wir uns überlegen, ob wir nicht zum Beispiel auch Elemente aus vorangehenden Schulformen bis vielleicht hin zum Kindergarten in die Ausbildung integrieren? P.: Nein, so nicht, Aber Lehrer müssen wissen und also in der Ausbildung erfahren, was Kinder „vor ihrer Zeit" gelernt haben, was man inhaltlich und methodisch voraussetzen, wo man anknüpfen kann und wohin man die Schüler bringen soll. Wir wissen ja gar nicht so genau, was die Universität von uns erwartet. Meine Vorstellung ist die: Grund-, weiterführende und Hochschulen müssen jeweils an den Schnittstellen miteinander ins Gespräch kommen, um ohne jede Wertung mehr voneinander zu erfahren, was gemacht wird, wie und warum es so gemacht wird. Wir hören z.B. oft, Schüler seien nicht studierfähig. Das ist ein Pauschalvorwurf, der so auch nach Aussage der Hochschulen sicher nicht stimmt. Aber es gibt ohne Zweifel Defizite, die über den früher häufig beklagten Mangel an Rechtschreibkenntnissen hinausgehen, z.B. fehlende Lesekompetenz, unzureichende Ausdrucksfähigkeit insonderheit im schriftlichen Bereich. An solchen Defiziten, die wir natürlich auch wahrnehmen, muß gearbeitet werden, hier wie dort. Und darüber müssen wir uns verständigen, ähnlich wie wir es mit Grund- und Mittelstufenschulen tun. Int.: Sie haben vorhin erwähnt, daß Referendare oder auch Studierende nicht auf Konfliktsituationen im Unterricht vorbereitet sind. Das bedeutet, daß der erziehungswissenschaftliche Anteil an der Lehrerausbildung sich umorientieren müßte? Oder müßte er quantitativ verstärkt werden? P.: Ich glaube, er muß sich umorientieren. Von Referendaren oder Praktikanten höre ich, daß sie zu viel „praxisferne Theorie" betrieben, Theorie der Pädagogik, Geschichte der Schule usw. Auch das ist zweifellos nötig, könnte aber vielleicht reduziert werden. Viel wichtiger ist die praxisorientierte Vorbereitung, die zu Recht lFLlllL 31 (2002) „Zurfachlich adäquaten didaktisch angemessenen Reduktion befähigen auf allen Ebenen"... 79 allenthalben gefordert wird. Ich meine, daß der Anteil der Psychologie - Lern- und Jugendpsychologie, pädagogische und Sozialpsychologie erhöht werden muß, damit den angehenden Lehrern klar wird, was auf sie zukommt und wie sie dem gerecht werden können. In den Praxisanteilen der ersten Phase sollten entsprechende Situationen durchgespielt werden. Künftige Lehrer müssen sich auf das einstellen, was Schüler von ihnen erwarten: daß sie sich durchsetzen können, eine laute, deutliche Stimme haben ein wichtiger Punkt-, entschieden auftreten, nicht ungerecht, nicht aus Unsicherheit in einem falschen Sinne „streng", also unfreundlich, distanziert, gar ironisch sind, sich aber auch nicht kumpelhaft anbiedern; daß sie eindeutige (Arbeits)Anweisungen erteilen, klare Forderungen erheben und ihre Erfüllung konsequent verfolgen, daß sie deutlich machen, wie die Rollen verteilt sind. Int.: Wir haben jetzt einerseits über die fachliche Komponente gesprochen, die scheint einigermaßen hinreichend zu sein. Wir haben über die erziehungswissenschaftliche Komponente gesprochen, die scheint quantitativ hinreichend zu sein, müßte sich nach Ihrer Einschätzung jedoch umorientieren. Jetzt gibt es dazwischen die Fachdidaktik als ein Bindeglied. Als Fremdsprachenlehrerin wissen Sie ja auch, daß es da durchaus Bemühungen gibt, dieses Bindeglied herzustellen. Wie schätzen Sie denn die fachdidaktische Komponente in ihrer Wirkung insgesamt ein und welche Voraussetzungen bringen eigentlich Studierende und Referendare mit, was den fachdidaktischen Anteil angeht? P.: Man könnte es sich leicht machen und sagen: Dafür haben wir die zweite Ausbildungsphase und da lernen die Referendare das. Man könnte aber auch fragen: Erst dort? Reicht das? Müssen Lehrarntsstudenten nicht bereits in der ersten Phase mit fachdidaktischen Fragestellungen konfrontiert werden? Wann? In welcher Form? Mit welchem Ziel? Wie wird das mit der fachdidaktischen Ausbildung in der zweiten Phase verknüpft? Ich versuche einmal, von der Aufgabe des Lehrers auszugehen. Sie besteht, schlicht gesagt, wohl darin, Inhalte, auch komplexe, so zu vereinfachen, daß sie an Schüler vermittelbar sind, ohne dabei so viel von ihrer Komplexität einzubüßen, daß sie „falsch" werden. Und das gilt mit zunehmendem Alter der Schüler und steigendem Schwierigkeitsgrad umso mehr. Die Inhalte müssen also so elementarisiert werden, daß sie erweiterungsfähig bleiben, daß nicht auf späteren Stufen des schulischen Bildungsweges völlig neu angesetzt werden muß. Ich habe bisweilen den Eindruck, Studierende befassen sich in der Universität mit sehr speziellen Themen und Gegenständen und versuchen dann in der Schule, diese auf demselben Niveau weiterzugeben. Das funktioniert natürlich nicht. Sie müssen folglich Möglichkeiten einer fachlich adäquaten didaktischen Reduktion kennen lernen, und darin sehe ich eine wesentliche Aufgabe der universitären Fachdidaktik, gerade weil hier der Zusammenhang mit der Fachwissenschaft noch eng ist. Hinzu kommt als andere Aufgabe die, im weiten Feld wissenschaftlicher Inhalte und Methoden, mit denen Studierende durchaus vertraut werden sollten, allmählich solche zu fokussieren, die sie in der Schule brauchen werden. Hier stellt sich dann natürlich die Frage, was Schüler eigentlich lernen sollen oder müssen. JF[,1JL 31 (2002) 80 FLuL im Gespräch mit Erdmute Pickerodt-Uthleb Unsere Lehrpläne sind, zumindest in manchen Fächern, relativ offen. Sie beschreiben Fähigkeiten und Fertigkeiten, die erworben, nennen Themenbereiche, von denen einige verbindlich behandelt werden müssen, die aber nicht vorgeschrieben sind, sondern vom Lehrer oder der Fachkonferenz ausgewählt werden können. So kann man oft gar nicht genau sagen, was Schüler auf jeden Fall lernen und wissen müssen, worauf der nachfolgende Lehrer mit Sicherheit zurückgreifen kann. Um diese Unsicherheit zu begrenzen, aus ihr resultierende, zeitraubende und die Schüler ermüdende Wiederholungen zu vermeiden, brauchen wir 'nach meiner und mittlerweile auch anderer Überzeugung ein „Kerncurriculum", nicht nur länderspezifisch, sondern bundesweit, das verbindliche Mindeststandards festschreibt, an dem Sie und wir uns orientieren können und das auch Studierenden spätestens nach den Schulpraktika erlaubt, aus dem universitären Lehrangebot eine gezielte Auswahl zu treffen. Int.: Was die Standards angeht, müßte man sich ja dann einigen bei der Frage: Wer gibt die Normen vor für diese Standards? Sind das die Schulen mit ihren Lehrplänen? Sind das die Fachwissenschaften, die sagen: Wir entlassen hier keinen Studierenden unseres Faches, der nicht dieses oder jenes gemacht hat? Wo ist da der Orientierungspunkt? P.: Es gibt nicht den Orientierungspunkt. Weder sind wir Zulieferer, noch sind Sie Abnehmer. Sondern wir werden uns der schwierigen Aufgabe stellen müssen, ein durchgehendes Curriculum zu entwickeln; ein begrenztes, aber verbindliches, das Spielraum läßt für anderes, das auch methodisch Freiheit läßt, das aber sagt: Das sind die Dinge, die gewußt und gekonnt werden müssen. Die Grundschule da ist man sich mittlerweile wohl wieder einig muß Lesen, Schreiben, Rechnen vermitteln. Das ist im Moment nach meiner Beobachtung nicht immer oder nicht immer ausreichend erfüllt. Alle stimmen überein, daß die Lesekompetenz steigen muß. Die Fähigkeit, aus Texten Informationen zu entnehmen, gar, wenn diese nicht absolut offenkundig sind, ist zurückgegangen, auf allen Stufen, auch in der Oberstufe. Neben solchen unerläßlichen Grundfertigkeiten gibt es meines Erachtens aber auch Inhalte, über die man sich verständigen muß, Basisinhalte in allen Fächern. Und die müssen in Gesprächen zwischen den Bildungsinstitutionen, aber auch mit den nicht direkt zu diesen Gehörenden ermittelt werden. Der Blick von außen erscheint mir da sehr wichtig. Int.: Lassen Sie uns noch mal auf die Fachdidaktik zurückkommen. Es klang gerade so, daß man das ja auch in der zweiten Phase zu großen Teilen erledigen könne. Soll die erste Phase da nichts machen? P.: Ich meine, die Grundlagen für die zweite Phase müssen in der ersten Phase gelegt werden. Hier müssen Inhalte, Gegenstände, Methoden auf ihren immanenten didaktischen Wert, z.B. Exemplarität, hin befragt werden. Wie das im engeren Sinne, also vor allem methodisch, in der Schule umzusetzen ist, das zu lernen erscheint mir die zweite Phase im ständigen Kontakt mit eigener Praxis besser geeignet. Das geplante Praxissemester strebte ja im Grunde so etwas an, wäre angesichts der Zahl der Studierenden und fehlender Betreuung über einen so langen Zeitraum aber nicht lFLlllL 31 (2002) „Zurfachlich adäquaten didaktisch angemessenen Reduktion befähigen auf allen Ebenen"... 81 realisierbar gewesen. Zudem: Wie hätte das Auseinanderdriften von erster, Praxis- und zweiter Phase vermieden werden können? Wenn man an eine Veränderung oder Neuordnung der Lehrerausbildung denkt, halte ich die enge institutionelle und personelle Verzahnung von erster Phase, Schulpraktika und zweiter Phase für einen, vielleicht den zentralen Punkt. lnt.: Es wird ja im Augenblick diskutiert, ob wir ganz neue Studienformen einführen sollen. Ich erwähne als Beispiel die Diskussion über Bachelor- und Master-Studiengänge. Da gibt es in den unterschiedlichen Bundesländern unterschiedliche Konzeptionen. Einerseits setzen Länder, wie Nordrhein-Westfalen, auf die fachwissenschaftliche Komponente im Bachelor-Studiengang und wollen didaktische, erziehungswissenschaftliche Inhalte im Master-Anteil zur Geltung bringen, andere Bundesländer, wie zum Beispiel Baden-Württemberg oder Rheinland-Pfalz, tendieren dazu, die didaktischen und erziehungswissenschaftlichen Komponenten bereits im Bachelor-Anteil deutlicher zur verankern. Wie schätzen Sie denn die Chancen ein, daß wir mit einer solchen Reform die Lehrerausbildung verbessern können? P.: Dazu habe ich bereits einiges gesagt. Hinzufügen möchte ich: Gegen die allzu frühe Einbeziehung von didaktischen Anteilen spricht, daß die Nähe der Studierenden zur Schule noch sehr groß ist. Sie müssen zunächst Abstand gewinnen, etwa durch ein fachwissenschaftliches Studium, das einerseits im Hinblick auf die spätere Berufswahl offen, also polyvalent, angelegt ist, andererseits Elemente enthält, die auf die Wahl eines Berufes vorbereiten. Damit meine ich in erster Linie Praktika, die Einblick in die Realität eines möglichen künftigen Berufes gewähren. Für die Schule wäre dies das erste, das allgemeine Schulpraktikum, gut vor- und nachbereitet. Der Zeitpunkt dürfte aber, wie gesagt, nicht zu früh liegen. Denn es geht nicht nur darum, daß Studierende lernen, was sie Schülern wie vermitteln können, sondern sie müssen vor allem lernen, in einer anderen Rolle zu agieren. Das ist nicht leicht. Wenn Praktikanten nach kurzer Zeit in die Schule zurückkehren, schlüpfen sie zunächst oft wieder in die Rolle der Schüler, möchten auf der Seite derer sein, zu denen sie doch selbst gerade noch gehörten. Um diesen Rollenwechsel zu erleichtern, sollte man ernsthaft daran denken, von künftigen Lehrern ein Sozialpraktikum zu verlangen, in dem sie lernen, mit Kindern und Jugendlichen umzugehen, erfahren, wie man sich verhalten muß, um diese zu motivieren und bei der Stange zu halten, was man in Konfliktsituationen tun kann. Ein solches Sozialpraktikum könnte dazu beitragen, soziale Kompetenz zu erwerben und zu stärken, Distanz zur Schülerrolle zu gewinnen und sich zugleich der Lehrerrolle zu nähern. Die zu übernehmen fällt Praktikanten und Referendaren, die Erfahrungen in der Jugendarbeit oder mit eigenen Kindern haben, viel leichter, wie man immer wieder beobachten kann. Ich würde also für eine Akzentuierung der fachwissenschaftlichen Ausbildung im ersten Teil des Studiums plädieren, mit fachdidaktischen Anteilen im oben beschriebenen Sinne und im Zusammenhang mit dem ersten Schulpraktikum. Die Beschäftigung mit fachdidaktischen Fragen sollte im zweiten Studienteil intensiviert werden, insbesondere im Hinblick auf die Fachpraktika in beiden Fächern, nicht nur ]FJLIUl]L 31 (2002) 82 FLuL im Gespräch mit Erdmute Pickerodt-Uthleb in einem Fach, wie in der hessischen Prüfungsordnung vorgesehen. Das ist widersinnig und bedarf dringend der Veränderung. Die weitgehende Beschränkung auf didaktische und erziehungswissenschaftliche Inhalte im zweiten, also eventuell dem Master-Teil, hielte ich nicht für sinnvoll. Denn zum einen müssen Studierende, gerade nach den Praktikumserfahrungen, ihre fachwissenschaftliche Ausbildung vervollständigen, zum anderen haben pädagogische und fachdidaktische Inhalte ihre Funktion nicht an sich, sondern im Hinblick auf fachliche Inhalte. Dieser notwendige Zusammenhang muß gewahrt bleiben, kann jetzt von den Studierenden viel bewußter wahrgenommen werden. Int.: Kommen wir noch mal auf die zweite Phase der Ausbildung zurück. Sie haben die Notwendigkeit angesprochen, Universität und Studienseminar mehr miteinander in Kontakt zu bringen. Wie schätzen Sie denn den Kontakt im Augenblick ein? P.: Soweit ich sehe, ist der Kontakt eher lose. Das sind zwei Ausbildungsphasen, die nebeneinander existieren. Das hat zu tun mit der Tradition der Studienseminare, der Rekrutierung ihres Personals aus den Schulen, auch mit Ängsten. Die Studienseminare sehen sich gefährdet. Es war ja lange Zeit nicht klar, ob sie überhaupt erhalten bleiben sollten. Das scheint jetzt sicher zu sein, was ich für absolut wichtig halte. Denn in dieser doch langen, vor einigen Jahren zu Recht auf vier Semester verlängerten Phase müssen didaktische und methodische Fähigkeiten und Fertigkeiten vermittelt werden, und das in der Ernst-Situation der zweiten Ausbildungsphase mit eigenverantwortetem Unterricht der Referendare, also unmittelbarem Praxisbezug. Auf diesen Teil der Ausbildung muß in der ersten Phase hingeführt werden, unter anderem bei der Vorbereitung und Auswertung der Schulpraktika. Und was läge da näher, als hier wie bisher - Lehrer aus den Schulen, aber auch die Studienseminare einzubeziehen, um einen Bruch zwischen erster und zweiter Phase zu vermeiden. Diese ist die Fortsetzung jener, kein Neubeginn. Das muß allen Beteiligten viel deutlicher bewußt werden. Universität, Studienseminare und Schulen müssen kooperieren, um eine fachlich breite, erziehungswissenschaftlich fundierte und zugleich praxisorientierte Lehrerausbildung zu gewährleisten. Das könnte in meinen Augen der Weg zu einer neuen, (noch) besseren Lehrerausbildung sein. Int.: Wie könnte diese Kooperation aussehen? Gemeinsame Lehrveranstaltungen oder ein Curriculum, das so aussieht, daß bestimmte Ausbildungstypen sowohl für die erste als auch für die zweite Phase gemeinsam von Lehrenden aus beiden Institutionen gemacht werden? P.: Gemeinsame Lehrveranstaltungen zur Vorbereitung und Auswertung der Praktika, aber auch Zusammenarbeit in der zweiten Phase zwischen Fachdidaktikern der Universität und Ausbildern an den Studienseminaren. Und das auf der Grundlage eines durchgehenden Curriculums, in dem die Teile aufeinander fußen. Ich möchte das an einem Beispiel illustrieren, das zumindest den Wert von Kooperation deutlich macht. In den „Marburger Propädeutika" für Oberstufenschüler arbeiten bisher in den Bereichen Mathematik, Philosophie, Literaturwissenschaft - Professoren und Lehrer zusammen. Das bietet den Professoren Gelegenheit, sich auf künftige Studienanfänger einzustellen, zu sehen, was man didaktisch und methodisch tun kann, IFL1.! L 31 (2002) „Zurfachlich adäquaten didaktisch angemessenen Reduktion befähigen auf allen Ebenen" ... 83 damit bei den Schülern, vielleicht auch später bei den Studierenden, viel „ankommt". Das erlaubt den Lehrern zu erkennen, auf welchem Niveau sich das abspielt, was nach der Schule kommt, worauf sie ihre Schüler einstellen müssen Int.: Man hört häufig davon, daß Lehrer oder angehende Lehrer im relativ späten Stadium ihrer Ausbildung scheitern und erkennen, daß sie eigentlich für diesen Beruf entweder nicht geeignet sind oder in diesen Beruf nicht wirklich wollen. Welche Mechanismen könnten Sie sich vorstellen, welche Maßnahmen, um das rechtzeitiger zu verhindern? P.: Wir wissen beide, daß die Prüfungsordnung im Anschluß an die Praktika ein Gespräch fordert, in dem der Studierende beraten wird. Hier könnte ihm gegebenenfalls auch gesagt werden: Besser nicht! Solche Gespräche gibt es sicherlich nach dem Blockpraktikum zwischen Studierenden und Betreuern, an die Universität abgeordneten Lehrern, und nach dem Fachpraktikum mit den an der Schule zuständigen Lehrern. Die Schulen sind offiziell, als Institution, nicht involviert. Die Schulleiter unterschreiben lediglich, daß die Studierenden so und so lange hospitiert haben. Sie unterschreiben nicht, daß das erfolgreich, also zumindest „ausreichend" war, aber es wird offenbar so aufgefaßt. Hinzu kommt noch ein anderes Problem. Gerade Studierende, die nicht den Lehrerberuf ergreifen sollten, wissen oft keine Alternative und halten eisern fest an dieser Idee: "Ich möchte aber Lehrer werden. Ich habe das Staatsexamen und damit ein Recht auf Ausbildung." Ich habe Fälle erlebt, wo junge Leute mit hervorragendem Examen an die Schule kamen und für den Lehrerberuf so ungeeignet waren wie überhaupt nur denkbar. Jeder konnte das auf den ersten Blick sehen. Nicht kommunikationsfähig, weder mit einzelnen noch gar mit einer Gruppe, nicht mit Worten und nicht nonverbal. Ich habe mich daraufhin erkundigt und erfahren: Er bzw. sie hatte ein Einser-Examen. " Was? Der will in die Schule? Das geht doch nicht. Aber darauf haben wir ja gar keinen Einfluß. Bei uns war sie sehr gut. Und das haben wir ihr attestiert." Da müssen, meine ich, Bremsen eingebaut werden. Das Problem ist: Eine „Bremse" kann nur ein juristischer Akt sein, z.B. ein Examen. Der Hinweis „Du bist nicht geeignet! " reicht nicht aus, ist nicht justiziabel. Also ein weiteres Examen? Wohl kaum! Zu lösen wäre das Problem meines Erachtens durch eine konsequente Anwendung der Prüfungsordnung. Was mir vorschwebt: Im Anschluß an das allgemeine Schulpraktikum wie die Fachpraktika finden Gespräche statt, die durch die Beteiligung der Ausbildungsinstitutionen, Universität, Schule, künftig vielleicht auch Studienseminar, einen offiziellen Charakter erhalten. Verlauf und Ergebnisse werden in der Akte des Betroffenen festgehalten, gegebenenfalls auch, daß ihm oder ihr (dringend) vom Lehrerberuf abgeraten wurde. Nur: eine solche Akte, eine durchgehende Dokumentation seiner (Lehrer)Ausbildung gibt es meines Wissens nicht. Hier müssen Wege gefunden werden, die Prüfungsordnung wirksam umzusetzen, d.h. den Studierenden rechtzeitig deutliche Hinweise zu geben, wie Fachleute unterschiedlicher Provenienz ihre Berufseignung einschätzen, wie sie - und da liegt ein gewisses Problem zu einem frühen Zeitpunkt ihre Entwicklungsfähigkeit einschätzen, wozu sie aufgrund ihrer Erfahrung raten, wovon sie abraten. Weiche Bedeutung das für ihren JF]LMJL 31 (2002) 84 FLuL im Gespräch mit Erdmute Pickerodt-Uthleb weiteren Ausbildungsweg hat, müssen Juristen festlegen, möglicherweise die Prüfungsordnung entsprechend ändern. Zumindest weiß der Betroffene nach solchen Gesprächen beizeiten, woran er ist. Int.: Würde das nicht doch dafür sprechen, den erziehungswissenschaftlichen undfachdidaktischen Anteil innerhalb der Lehrerausbildung rechtzeitig zu plazieren, damit man angehenden Lehrern möglichst früh signalisieren kann: Vielleicht ist ja der Beruf doch nicht der richtige für Dich? P.: Ja, aber das haben wir doch, zumindest wie bereits angedeutet zu einem Teil. Das Blockpraktikum im Rahmen der Schulpraktischen Studien wird von der Universität organisiert und sehr gut begleitet. Ganz anders das Fachpraktikum, das im Moment noch stiefmütterlich behandelt wird. Es fällt nicht in die Zuständigkeit des Verantwortlichen für die Schulpraktischen Studien, kommt durch·direkten Kontakt zwischen Professoren und Lehrern zustande, mitunter etwas zufällig, wie mir scheint. Je nach Entgegenkommen der Lehrer hospitieren die Fachpraktikanten im Unterricht. Denn laut Prüfungsordnung müssen sie 14 Stunden hospitieren, wenn möglich auch mal eine halten, und das nur in einem ihrer zwei (oder drei) Studienfächer. Das halte ich für absolut ungenügend. Nur wenn man selbst unterrichtet, erfährt man, wie schwer es ist, den fachlichen, den didaktisch-methodischen und den pädagogischen Anspruch in Einklang zu bringen, d.h. die Schüler zu motivieren, ihnen mit viel Geduld und Verständnis zu begegnen, sie aber auch zu fordern, sie vor allem nicht nur zu belehren, sondern zu selbstständigem Arbeiten anzuleiten. Voraussetzung ist fachliche Souveränität. Sie erst erlaubt didaktische und methodische Flexibilität, Eingehen auf Problemlösungsvorschläge der Schüler, die vielleicht nicht direkt zum Ziel führen, aber deren Selbstvertrauen und ihr methodisches Bewußtsein stärken. Studierende müssen ausprobieren, ob sie das können und wollen, ob der Lehrerberuf der richtige für sie ist. Dazu sind Fachpraktika in beiden, manchmal sehr unterschiedlichen Studienfächern, unabdingbar. Int.: Dann kommen wir doch jetzt mal zur Fachdidaktik. Sie haben vorhin noch gesagt, für Fremdsprachen sei das ohnehin noch mal ein Problem. Worin sehen Sie zunächst die besonderen Merkmale von Fremdsprachenunterricht und von Fremdsprachendidaktik? P.: Zuerst zum Fremdsprachenunterricht. Schüler sollen eine Sprache erlernen, also befähigt werden, in dieser Sprache zu kommunizieren. Das bedeutet nach meiner Auffassung nicht nur, sich irgendwie verständlich zu machen, also auszudrücken, was man in einer bestimmten Situation, etwa beim Einkauf, erreichen möchte. Das geht auch gestisch, mimisch, nonverbal und in Grenzen selbst bei einem fehlerhaften Gebrauch der Sprache. Kommunikationsfähigkeit, wie sie der schulische Fremdsprachenunterricht anstreben sollte, heißt meines Erachtens, sich sprachlicher Mittel, die man erworben hat, zu bedienen, sie richtig einzusetzen im mündlichen wie im schriftlichen Gebrauch. Daß man bei einem so hochgesteckten Ziel Abstriche machen muß, und zwar qualitativ wie quantitativ, versteht sich. Aber es sollte doch das Ziel sein, auf das wir zunächst uneingeschränkt hinarbeiten. Um es erreichen oder sich ihm doch möglichst weitgehend nähern zu können, muß der Schüler lFLwL 31 (2002) „Zurfachlich adäquaten didaktisch angemessenen Reduktion befähigen auf allen Ebenen" ... 85 einerseits die sprachlichen Mittel erwerben und andererseits lernen, mit den Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen, auszudrücken, was er sagen will. Also nicht: "Was heißt denn... ? " Und nun wird dieses Wort eingefügt. Sondern die Frage: Was will ich sagen? Wie kann ich das ausdrücken? Ich beobachte oft und werde durch Kollegen darin bestätigt, daß Probleme bei der Textproduktion, die wir von Anfang an üben, ihre Ursache sicher auch in sprachlichen Defiziten haben, mehr noch aber darin, daß die Schüler nicht genau wissen, was sie sagen wollen, also kein muttersprachliches Konzept haben und sich ihrer fremdsprachlichen Möglichkeiten nicht bewußt sind. Sie müssen lernen, nicht Wort für Wort zu übersetzen, sondern ihr Konzept in der Muttersprache so zu variieren, daß es mit den Mitteln, die ihnen in der Zielsprache zu Gebote stehen, übereinkommt, so daß es sprachlich angemessen realisiert werden kann. Dazu muß sich der Fremdsprachenunterricht in der Schule, insonderheit der Anfangsunterricht, zumindest partiell verändern. Er muß noch stärker wieder abrücken von der Vorstellung, seine Aufgabe sei in erster Linie, sprachliche Mittel bereitzustellen, Muster, pattern, die gelernt und automatisiert werden. Natürlich ist auch das nötig. Aber er muß auch neuere lernpsychologische Erkenntnisse einbeziehen: Sprachen lernen als Informationsverarbeitung unter Rückgriff auf Vorwissensbestände, Bewußtmachung des Lernprozesses, Entwickeln von Lern- und Anwendungsstrategien. Ich habe mit großem Interesse einen Ihrer letzten Aufsätze gelesen** und fand meine eigenen Unterrichtsbeobachtungen und -erfahrungen und die meiner Kollegen in vielen Punkten bestätigt. Was bedeutet das nun für die Fremdsprachendidaktik? Künftige Fremdsprachenlehrer müssen demnach nicht allein die Sache, die Zielsprache, sicher beherrschen, sondern sie müssen darüber hinaus deren Struktur, etwa im Kontrast zu ihrer Mutter- oder anderen Sprachen, durchschauen und lernen, solche Einsichten auch ihren Schülern zu vermitteln, ihnen auf dieser Grundlage einerseits Lernstrategien, andererseits das richtige Einsetzen der erworbenen sprachlichen Mittel beizubringen. Int.: Das würde dann aber doch für einen nicht unerheblichen Anteil der Fremdsprachendidaktik an der Ausbildung zukünftiger Fremdsprachenlehrer bereits auf der Universität sprechen? P.: Das scheint mir richtig zu sein. Jemand, der Fremdsprachenlehrer werden will, muß sich selbst des Prozesses des Fremdsprachenlernens deutlich bewußt werden. Den Vorschlag, selbst während des Studiums eine weitere Fremdsprache zu erlernen, halte ich in diesem Sinne für sehr gut. Int.: Sie würden also ganz klar einen Unterschied machen zwischen der Fremdsprachendidaktik auf der einen Seite und der Fachdidaktik anderer Fächer auf der anderen Seite? ** Frank G. Königs: "Mehrsprachigkeit? Ja, aber. .. Lernpsychologische, curriculare und fremdsprachenpolitische Gedanken zu einem aktuellen Thema der Fremdsprachendidaktik" In: französisch heute 33. I (2002), 22-33. FLIJIL 31 (2002) 86 FLuL im Gespräch mit Erdmute Pickerodt-Uthleb P.: Wenn man überlegt, was Studierende an der Universität lernen, so wird es sich in den meisten Fächern um eine starke inhaltliche und methodische Erweiterung des von der Schule mitgebrachten Kenntnisstandes handeln bis hin zu neuesten Forschungsergebnissen und unter Umständen Ansätzen eigener Forschungstätigkeit. Das halte ich für ganz wichtig, denn nur so kann der künftige Gymnasiallehrer, von dem wir hier sprechen, wissen, worauf er seine Schüler vorbereiten muß. Ich sage nicht, was er ihnen bereits in der Schule beibringen soll. Aber er muß einen breiten fachlichen und methodischen Einblick und, soweit möglich, auch Überblick haben. Nur so kann er sich auch nach dem Studium Neues aneignen, selbstständig und in Fortbildungsveranstaltungen, die künftig sicher noch breiteren Raum werden einnehmen müssen. Die für die Schule immer stärker erhobene Forderung, es müsse nicht nur Wissen, sondern auch das Lernen gelernt werden, gilt natürlich für die Universität gleichermaßen. Und ich frage mich manchmal, ob mit dem Drängen auf frühzeitige Einbeziehung fachdidaktischer Anteile nicht möglicherweise eher oder auch das gemeint ist, was verkürzt „Methodenlernen" genannt wird, also sich mit dem Lernen zugleich den Prozeß des Lernens bewußt zu machen, sein eigenes Lernverhalten zu beobachten und zu reflektieren, um Lernstrategien erkennen und entwickeln zu können, was dann - und hier liegt der oder ein Berührungspunkt zur Fachdidaktik auch für die Wissens- und Methodenvermittlung Relevanz gewinnt. Wie sieht es aber nun mit den Fremdsprachen aus? Wie heißt ihr Studiengegenstand? Zum einen ist es die Zielsprache. Ihre Kenntnis muß erweitert und vervollkommnet, muß wenigstens ansatzweise historisch, vor allem aber linguistisch fundiert werden. Da es hier um generelle Fragen des Spracherwerbs geht, wäre womöglich an einen fachübergreifenden, die eigene wie andere Sprachen einbeziehenden linguistischen Studienanteil zu denken. Des weiteren muß der geläufige Gebrauch der Zielsprache geschult werden. Dafür sind Auslandsaufenthalte unentbehrlich. Schließlich ist die Kultur des „Ziellandes" im weitesten Sinne Studiengegenstand, denn die Sprache soll ja nicht Selbstzweck sein, sondern Instrument zur Erschließung der historisch-politischen Realität der Gegenwart und soweit zu ihrem Verständnis nötig - Vergangenheit, der Literatur und Kunst dieses Landes, der Mentalität seiner Menschen. Dementsprechend heißen die Studienfächer ja auch Romanistik, Slawistik usw., umfassen weit mehr als das Sprachenstudium, erfordern nicht nur den Erwerb von fachlich weit gefächerten Kenntnissen, sondern auch von fachspezifischen Methoden etwa der Literatur-, Geschichts-, Politikwissenschaft. Es handelt sich im Grunde um ein Bündel von Studienfächern, die in der herkömmlichen Fächersystematik auf Nationalliteraturen fokussiert sind. Denkbar wäre sicher auch, daß Grundbegriffe der Sprach-, Literatur-, Geschichts-, Sozialwissenschaften generell, also aus Sicht der heutigen Fächereinteilung fachübergreifend vermittelt würden. Das wäre für den Unterricht in der Schule insofern günstig, als die methodischen Ansätze in den unterschiedlichen Sprachen und dazu im Deutschunterricht einheitlicher wären, neben dem Sprachenauch das Sprachlernen komparativ und kontrastiv verstärkt, die Sprachkompetenz generell verbessert werden könnte. Es gibt also um auf Ihre Frage zurückzukommen durchaus Unterschiede zwischen lFL1llL 31 (2002) „Zurfachlich adäquaten didaktisch angemessenen Reduktion befähigen auf allen Ebenen" ... 87 der Fremdsprachen- und der Fachdidaktik anderer Fächer. Interessant finde ich in diesem Zusammenhang den Hinweis schottischer Kollegen: Dort ist man wie fast überall in Europa - Ein-Fach-Lehrer, außer als Fremdsprachenlehrer, der zwei Fremdsprachen zu unterrichten hat. Int.: Sollten wir denn dann zum Ein-Fach-Lehrer übergehen? P.: Das ist eine schwierige Frage. Manches würde einfacher: Unterrichtsorganisation, Lehrerbedarfsplanung. Die Lehrer würden durch die Beschränkung auf ein Unterrichtsfach entlastet. Aber sie betrachten den Unterricht in zwei Fächern als eine wechselseitige Bereicherung und wären mehrheitlich wohl strikt gegen den Ein- Fach-Lehrer. Hinzu kämen weitere Probleme: Lehrer der sogenannten Nebenfächer, die nur mit zwei Wochenstunden erteilt werden, hätten 12 bis 13 Lerngruppen, und das heißt: 300 bis 400 Schüler zu unterrichten. Ihre Erziehungsaufgaben könnten dabei zu kurz kommen, als Klassenlehrer wären sie kaum einsetzbar. Deshalb würde ich, wenn man denn beim Zwei-Fach-Lehrer bleibt, eher dafür plädieren, daß eines der Fächer ein „Hauptfach" sein muß, wie z.B. in Baden-Württemberg. Ob man die gewachsene deutsche Tradition überhaupt aufgeben sollte, bedürfte gründlicher Prüfung unter Einbeziehung der konkreten Erfahrungen in anderen Ländern. Int.: Das bedeutet aber, daß wir im Grunde genommen Abschied nehmen müssen von einem einheitlichen Konzept der Lehrerausbildung an den Universitäten, denn dann scheint es wirklich so zu sein, daß die Uhr für die Fremdsprachen anders geht als für andere Fächer? P.: Im oben angedeuteten Sinne trifft das vielleicht wirklich zu, so daß eine fächerspezifische Differenzierung angemessen wäre. Aber die Lehrerausbildung dürfte auch nicht völlig auseinanderdriften. Int.: Machen Sie noch mal einen Unterschied zwischen den klassischen Fremdsprachen, also den alten Fremdsprachen, und den neueren, was diese Ausbildungsperspektiven angeht? P.: Meinen Sie Latein und Griechisch? Int.: Ja, Latein, Griechisch und Hebräisch. P.: Ja, ich würde da einen Unterschied machen. Die Vertreter der alten Sprachen sagen, sie hätten es insofern leichter, als ihr Wissens-, Themen-, Materialbestand begrenzt sei. Sie nehmen für sich in Anspruch, ihren Studierenden einen Überblick über diesen Bestand zu vermitteln. Das ist in Grenzen sicher möglich, dürfte für die „neuen" Sprachen weit schwieriger sein. Dennoch meine ich, daß auch hier ein "Kerncurriculum" entwickelt und vermittelt werden muß, das Eckpunkte der historischen und politischen Entwicklung, geographische und sozioökonomische Essentials, zentrale, exemplarische Werke der Literatur und Kunst umfaßt. Ich bin mir der Schwierigkeit eines solchen Unterfangens sehr wohl bewußt, halte es gleichwohl für unabweisbar. Schließlich setzt jede auf dem Studium aufbauende Berufstätigkeit einen gewissen, strukturierten fachlichen Überblick voraus. Vom Lehrer wird verlangt, daß er eine Auswahl treffen kann, daß er weiß: Dieser Gegenstand ist geeignet, diese Ziele zu erreichen, diese Fähigkeiten zu vermitteln. Wenn er aber nur über punktuelle Kenntnisse verfügt, kann er nicht sach- und zielangemessen IFLl.lllL 31 (2002) 88 FLuL im Gespräch mit Erdmute Pickerodt-Uthleb auswählen. Hier könnte sicher einiges geschehen, um die Grundlagen für einen guten Unterricht in der Schule zu verbessern. Eine stark landeskundliche, also weniger literarische Orientierung scheint mir aber keine sinnvolle Alternative zu sein. Sogenannte Sachtexte müssen verstanden, Fragen geklärt werden. Aber sie bieten nicht im selben Maße Sprechanlässe wie literarische Texte. Auch einen ziel- und adressatenorientierten utilitaristischen Ansatzz.B. Wirtschaftsenglisch-' halte _ich für zu eng. Ziel der Schule muß es meines Erachtens sein, eine gewisse Breite zu bieten, die erlaubt, später an der einen oder anderen Stelle wieder anzusetzen. Int.: Also ein modifiziertes Konzept von Allgemeinbildung? P.: Im Grunde genommen: ja. Int.: Oder vonfachbezogener? P.: Richtig, von fachbezogener Allgemeinbildung. Es geht doch auch darum, die Ausbildung so lange wie möglich so offen wie möglich zu halten, damit noch viele Wege wählbar sind, diese erst relativ spät in eine bestimmte Richtung führen. In jedem Fall ist eine solche fachbezogene Allgemeinbildung wichtig, ein Grundbestand, der mit Hilfe neuer und alter Medien erweitert, aber eben nicht erst geschaffen werden kann. Dazu reicht neben der Berufstätigkeit einfach die Zeit nicht. Int.: Lassen Sie uns zum Schluß vielleicht auf einige spezifische fremdsprachendidaktische Entwicklungstendenzen zurückkommen und auf die Frage, inwieweit diese Tendenzen die Schule erreicht haben. Sie haben gerade selbst das Internet erwähnt. Welche Rolle spielen die neuen Technologien in der unterrichtlichen Praxis? P.: Sie spielen bisher keine große Rolle, und das hat mehrere Gründe: Die Klassenräume sind nicht entsprechend ausgestattet. Wir verfügen zwar über mehrere Computerräume, die auch für den Fremdsprachenunterricht genutzt werden. Aber das Problem der Geräte- und Netzwerkbetreuung-ist seit Jahren ungeklärt; die Kostenfrage wird zwischen dem Land und dem Schulträger hin- und hergeschoben. Es gibt Ansätze, aber noch keine Lösung. Und PCs sind sehr reparaturanfällig oder richtiger: Schüler verhalten sich nicht wie Erwachsene, die Geräte benutzen, um etwas zu lernen, und sie entsprechend pfleglich behandeln, sondern sie sagen wir erforschen sie und ihre Möglichkeiten, und dabei gehen sie auch schon mal entzwei oder müssen wieder neu eingerichtet werden. Mit den Sprachlaboren in den 70erJahren war das ähnlich. Hinzu kommt, daß.didaktische und methodische Modelle für PC und Internet als Unterrichtsmedien noch nicht ausreichend entwickelt und erprobt, Lehrer auf ihren Einsatz nicht genügend vorbereitet sind. Sie nutzen beides vorwiegend als Hilfsmittel für ihre häusliche Vorbereitung. Aber das wird sich mit dem Eintritt junger Lehrer in den Schuldienst sicher ändern. Int.: Ein anderer wichtiger Aspekt in der fremdsprachendidaktischen Diskussion ist die Diskussion um Mehrsprachigkeit. Sie selbst haben ja hier eine Art Versuch gestartet mit früher Mehrsprachigkeit von Klasse 5 an. Inwieweit halten Sie denn die Mehrsprachigkeitsdidaktikfür ein aus der Praxis gesehen relevantes Thema? P.: Ich halte das für ein ganz relevantes Thema und bin der festen Überzeugung: Wenn wir nicht zur Mehrsprachigkeit erziehen, also die Fähigkeit fördern, sich in einer anderen Sprache nicht nur zu verständigen, sondern einander zu verstehen, unterlFLuL 31 (2002) „Zurfachlich adäquaten didaktisch angemessenen Reduktion befähigen auf allen Ebenen"... 89 schiedliche kulturelle und mentale Gegebenheiten wahrzunehmen, wird es Europa nicht geben und letztlich auch keinen globalen Dialog. Manchmal frage ich mich allerdings auch, ob das wirklich stimmt. Wir haben doch diese lingua franca, diese Form des Englischen, die den Reichtum dieser Sprache erheblich reduziert, ihre strukturellen und lexikalischen Möglichkeiten aber augenscheinlich sehr effizient nutzt. Und wir werden akzeptieren müssen, daß viele Menschen, auch viele Schüler in Deutschland, Frankreich und anderswo sagen: Wenn ich Englisch kann, reicht das. Die Vermittlung dieser Weltverkehrssprache ist folglich unerläßlich. Gleichzeitig aber brauchen wir eine neue Sprachdidaktik, die die Weichen stellt für das Erlernen weiterer Sprachen, für die Sie, auch in Ihrem oben erwähnten Aufsatz, plädieren. Das Englische als erste Fremdsprache bietet dafür vielleicht nicht die günstigsten Voraussetzungen, aber die Macht des Faktischen der reale Bedarf und der Beginn weitgehend mit Englischunterricht in der Grundschule läßt gar keine Wahl. Es kann also nur um eine neue Art des Fremdsprachenunterrichts gehen. Er müßte nach meiner Ansicht von vornherein die Verwandtschaft der europäischen Sprachen in den Blick rücken, zunächst auf der Ebene des Wortschatzes. Modeme Lehrbücher tun das bereits, indem sie neuen Begriffen ihre Entsprechungen in anderen europäischen Sprachen hinzufügen. Die Schüler müssen diese Wörter nicht lernen, können aber die engen Beziehungen zwischen den Sprachen erkennen und sich bewußt machen, daß man sie beim Erlernen einer weiteren Sprache nutzen kann. Aufgabe einer neuen Fremdsprachendidaktik müßte sein, nicht allein die einzelne, die „Zielsprache" ins Auge zu fassen, sondern in einer Art vernetzten Sprachenlemens Parallelen und Unterschiede ins Bewußtsein zu heben, um so das Neue mit den bereits vorhandenen sprachlichen Wissensbeständen zu verknüpfen und den Lernern auf diese Weise zugleich Strategien des Sprachenlernens zu vermitteln. Wir versuchen das, Sie haben es erwähnt, indem an dieser Schule parallel zum traditionellen „grundständigen" Latein alle Schüler Englisch in einem zweistündigen Grundkurs lernen. Etwa ein Drittel der Schüler wählt im 7. Schuljahr Französisch als offizielle zweite, eigentlich dritte Fremdsprache. Sie profitieren deutlich erkennbar von ihren Mehrsprachigkeitserfahrungen, und zwar sowohl vom systematischen Vorgehen in Latein, komparativ und kontrastiv im Verhältnis zu ihrer Muttersprache, als auch vom eher kommunikativ und situativ angelegten Englischunterricht. Das Erlernen einer weiteren Fremdsprache - Spanisch, Italienisch, Russisch, Altgriechisch fällt ihnen offenbar nicht schwer. Ich wäre sehr interessiert an einer empirischen Erhebung darüber, wie sich der Beginn mit Englisch, Französisch, Latein oder Latein und Englisch gleichzeitig auf die Fähigkeit der Lerner zur Mehrsprachigkeit auswirkt. Int.: Da komme ich zum dritten Stichwort, was Sie gerade selbst implizit erwähnt haben: "früher Fremdsprachenbeginn". Fast alle Bundesländer haben sich darauf verständigt, den Fremdsprachenunterricht bereits an der Grundschule beginnen zu lassen. Halten Sie das für sinnvoll? Und in welcher Weise verändert das die Fremdsprachenausbildung etwa am Gymnasium? P.: Die Frage, ob sinnvoll oder nicht, ist vielschichtig. Aber sie hat sich erledigt, denn JFLWL 31 (2002) 90 FLuL im Gespräch mit Erdmute Pickerodt-Uthleb die in die Wege geleitete Entwicklung ist nicht umkehrbar, und das ist, denke ich, auch gut so. Die spezielle Problematik von Migrantenkindern lasse ich hier beiseite. Wichtig ist jetzt, sich über die Ziele des schulischen Fremdsprachenunterrichts klar zu werden und die Anfänge entsprechend zu gestalten. Sie müssen altersgemäß sein, also in der Grundschule wohl auch spielerisch, situativ, aber sie dürfen nicht nur punktuell, zufällig, selbstzweckhaft sein. Will man in den weiterführenden Schulen nicht völlig neu oder gar erst richtig ansetzen, zudem unter erschwerten Bedingungen, weil die primäre Motivation bereits etwas gelitten hat eine vielfach zu hörende Klage-, dann kann auch hier nur ein durchgehendes Curriculum helfen, das für einen der Grundschulsituation angemessenen und zugleich auf Fortführung angelegten Beginn sorgt. Hinzu kommen muß eine entsprechende Ausbildung der Grundschullehrer, die ihre Zeit braucht, aber, wie man hört, bereits in Angriff genommen wird. Int.: Wären bilinguale Ausbildungskomponenten der Ausweg aus diesem Dilemma? Oder der Fachunterricht in einer Fremdsprache? P.: Das ist sicher ein weiterer Ansatzpunkt zur Mehrsprachigkeitserziehung. Auch hier muß man sich fragen, welche Ziele man anstrebt. Mein Ideal ist noch immer, Schüler in die Lage zu versetzen, leichter in einer Fremdsprache zu kommunizieren, auch auf die Gefahr hin, daß das nicht (gleich) fehlerfrei funktioniert. Es geht doch zum einen darum, Texte und mündliche Äußerungen in der Fremdsprache zu verstehen, zum andern um eigene, vor allem mündliche Textproduktion. Jeder, der eine Fremdsprache erlernt hat und mit diesen Kenntnissen ins Ausland kommt, weiß, wie hoch die Schwelle ist, dann anzufangen zu sprechen, obgleich man in der Schule eigentlich gar nicht so schlecht war und auch gut formulieren konnte, wenn man Ruhe, Zeit und Papier hatte. Wir müssen also bereits in der Schule anfangen, auch die Sprech-Schwelle herabzusetzen. Darum bemüht sich natürlich auch der herkömmliche Fremdsprachenunterricht. Durch das sogenannte bilinguale Angebot, den verbindlichen Fachunterricht in einer Fremdsprache, soll eine stärker authentische Situation geschaffen werden, in der es nicht in erster Linie um den Gebrauch der Sprache, sondern gleichermaßen um den Fachinhalt geht, die Sprache zum Instrument wird, Arbeitssprache ist. Da tun sich freilich gleich neue Probleme auf, insonderheit die Gefahr, daß entweder die Fachinhalte oder die Sprache zu kurz kommen, wie Fachlehrer beklagen. Es ist klar: Für einen solchen Fachunterricht in der Fremdsprache müssen die Fachcurricula verändert, dem gleichgewichtigen Ziel der Kommunikation in der Fremdsprache angepaßt werden. Daran wird gearbeitet. Eine weitere Frage: Wer soll, kann solchen Unterricht erteilen? Fachleute mit guten Sprachkenntnissen oder Anglisten, Romanisten usw. mit Fachkenntnissen? Es geht wohl nur, wie die Praxis zeigt, wenn der Lehrer beide Fächer vertritt noch ein Argument für den Zwei-Fach-Lehrer. Aber solche Lehrer müssen entsprechend ausgebildet werden. Hier erwachsen der Lehrerausbildung neue Aufgaben. Trotz aller Probleme: Das „bilinguale" Angebot trifft auf breites Interesse, die Ergebnisse können sich sehen lassen. Aller Anfang ist schwer. Wir sollten den Weg weiter gehen. lFLIIIL 31 (2002) „Zurfachlich adäquaten didaktisch angemessenen Reduktion befähigen auf allen Ebenen"... 9 l Int.: Ja, aus meiner Sicht war es das. Gibt es noch irgend etwas, was Sie unbedingt loswerden wollen? P.: Ja. Ich würde gern noch etwas zu den völlig unzureichenden Bedingungen der Lehrerausbildung in der Schule sagen. Lehrer sind gern bereit, Praktikanten und Referendaren ihren Unterricht zu öffnen, sie als Mentoren bei der Planung und Durchführung eigenen Unterrichts zu unterstützen, Beobachtungen und Erfahrungen mit ihnen zu besprechen. Sie nehmen die zusätzliche Belastung auf sich, weil die jungen Kollegen Hilfe brauchen und weil die Arbeit mit ihnen Anregungen und frische Impulse bietet. Aber: Da sie keine Entlastungsstunden erhalten, fehlt ihnen einfach die Zeit, diese Aufgabe angemessen zu erfüllen. Wegen der hohen eigenen Unterrichtsverpflichtung können sie oft nicht einmal den Unterricht der von ihnen Betreuten besuchen. Nicht besser ist es um die bestellt, die früher Anstalts- oder Schulseminarleiter genannt wurden, heute EG-Fachleiter heißen, was ihre eigentlichen Aufgaben verschleiert. Sie bestehen ja nicht vorrangig in der fachdidaktischen Ausbildung in einem Fach wie etwa die des Deutsch-Fachleiters, sondern in der umfassenden Betreuung von Referendaren aller Fachrichtungen samt Unterrichtsbesuchen, Besprechungen, Gutachten und dazu in der Organisation der zweiten Ausbildungsphase in der Schule. Und das bedeutet vor allem Kooperation mit der Schulleitung und den Kollegen, die viel Geschick und Fingerspitzengefühl für Atmosphärisches erfordert. Ihnen wird oft nicht einmal der Status und damit die Funktionsstelle eines Fachleiters zugestanden, sondern sie werden mit einer dürftigen Zulage zu ihrer jeweiligen Lehrerstelle abgespeist, können sich in Anbetracht ihrer Ausbildungsverpflichtungen auch nicht auf eine schulische Beförderungsstelle bewerben. Diese Zustände sind unhaltbar, bedürfen dringend und rasch der Veränderung, wenn denn die viel beschworene Verbesserung der Lehrerausbildung erreicht werden soll. lFLlllL 31 (2002) Frauke Stübig * Reicht kommunikative Kompetenz allein? Über den Zusammenhang von Fremdsprachen Lehren und Bildung Abstract. This article takes as its starting point the requirements of changes in teacher education. lt surveys the main elements of these changes in order to define what constitutes teacher professionalism today. The next stage clarifies the value and position of teaching methodology in general; then the question of how it can regain a greater degree of significance in the reality of the teaching situation is posed. On the basis of reflections on the relationship between general teaching methodology and the methodology of teaching school subjects, proposals are formulated with regard to methodology models for the teaching of foreign language as school subjects; these proposals relate particularly to the specific contribution of foreign languages to the education of pupils, to the essence of the individual languages in question (which has tobe defined) and to the methodological consequences arising from pupil heterogeneity. 1. Veränderte Lehrerbildung Die Diskussion über Lehrerbildung ist seit einiger Zeit wieder höchst lebendig geworden. Die TIMS-Studie bescheinigte den deutschen Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich einen bescheidenen Rangplatz, was mathematisch-naturwissenschaftliche Kenntnisse betrifft. Nach der Veröffentlichung der für Deutschland niederschmetternden Ergebnisse der PISA-Studie herrscht allgemeine Ratlosigkeit. Die Struktur des Systems, die Curricula, die Inhaltsauswahl und -überprüfung, die Lehrer und ihre Ausbildung, die Schüler und ihr familiäres Umfeld usw., kein einzelner Faktor im Gesamtsystem wird bei der Befragung nach der Teilhabe an der Verantwortung für die allgemeine Misere ausgespart. Diese neue Debatte möge dem Bildungswesen noch lange erhalten bleiben und über die Veröffentlichung der länderspezifischen Ergebnisse intensiviert werden nicht im Sinne von Schuldzuweisungen, sondern im Sinne von sorgfältiger Analyse und Reflexion der Ergebnisse verbunden mit der Absicht, umfassende Veränderungen in der Struktur des Bildungswesens, in Schule und Unterricht und in der Lehrerbildung aller Phasen anzugehen. Nun wußten wir freilich auch schon vor TIMSS und PISA, daß schulische und unterrichtliche Reformen überfällig sind. In den Schulen klagen Lehrende seit gut einem Jahrzehnt über „Mängel an Erzogenheit und Lern- und Verhaltensschwierigkeiten" ihrer Schüler und Schülerinnen (Bohnsack 2000: 64). Die Kindheits- und Jugendforschung hat Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Franke STÜBIG, Univ.-Prof., Universität Kassel, PB ! : Erziehungswissenschaft/ Humanwissenschaften, Nora-Platiel-Str. ! , 34109 KASSEL. E-Mail: stuebig@hrz.uni-kassel.de Arbeitsbereiche: Schulpädagogik mit besonderer Berücksichtigung der Gymnasialen Oberstufe, Schulentwicklung, Neue Formen des Lehrens und Lernens. IFlL1JlL 31 (2002) Reicht kommunikative Kompetenz allein? ... 93 uns seit dem Beginn der 1990er Jahre unermüdlich auf die gesellschaftlichen Wandlungen und die Veränderungen in Kindheit und Jugend aufmerksam gemacht. Bereits 1995 hat die Bildungskommission NRW geradezu beispielhaft diese veränderten „Zeitsignaturen" thematisiert, um sie auf ihre Konsequenzen für Schule, Lernen und Unterricht hin abzuklopfen. Sie hat damit keinen direkten Anpassungsvorgang des Bildungssystems an die sich weiterentwickelnde Gesellschaft gemeint, vielmehr für Veränderungen plädiert, die grundlegende Neuorientierungen voraussetzen. Im Bild vom „Haus des Lernens" ist diese Schule der Zukunft skizziert; mit dem diesem Bild innewohnenden Anspruch ist der Prozeß der Schulentwicklung nicht nur in NRW in seiner Richtung maßgeblich beeinflußt worden. Im einleitenden Absatz zum Kapitel „Lehrerbildung" formuliert das NRW-Gutachten: „Um die Schule der Zukunft gestalten zu können, ist eine Reform der Inhalte und der Organisation der Lehrerbildung erforderlich" (306). Seither ist eine Fülle von Texten erschienen, die sich mit der Reform der Lehrerbildung in allen ihren Phasen beschäftigt. 1 Mehrere Bundesländer ebenso wie die Kultusministerkonferenz der Länder haben Expertenkommissionen eingesetzt, um organisatorische, strukturelle und inhaltliche Veränderungen zu begründen und Handlungsempfehlungen auszuarbeiten. Während die fachwissenschaftliche Ausbildung der Hochschulabsolventen in der Sicht der Gutachten durchgängig als qualitätsvoll eingeschätzt wird, werden im Bereich des erziehungs- und gesellschaftswissenschaftlichen Studiums, der fachdidaktischen Ausbildung und der Schulpraktischen Studien erhebliche Mängel festgestellt. Darüber hinaus zielen, bei allen Unterschieden, die keineswegs nur Details anlangen, alle Gutachten einhellig auf eine Stärkung der pädagogischen, didaktischen und methodischen Fähigkeiten der Lehrkräfte ab. Daß hier einerseits didaktische und methodische Fähigkeiten, andererseits begrifflich davon abgehoben pädagogische Fähigkeiten unterstrichen werden, hängt damit zusammen, daß in der Frage nach der Qualifikation künftiger Lehrerinnen und Lehrer wichtige Aufgaben neben der Gestaltung von Lehr-/ Lernprozessen und deren Auswertung im Innovieren im Sinne von Schulentwicklung gesehen werden und schließlich im Bereich der Erziehung: Da viele Kinder und Jugendliche nur noch unzureichend in lebensweltliche und familiäre Bezüge eingebunden sind, ist es eine wesentliche Aufgabe aller Schulstufen geworden, sozialen Halt und psychische Stabilisierung zu ermöglichen.2 Aus diesen wenigen Blicken auf die Anforderungen an eine veränderte Lehrerbildung zeigt sich, daß die Frage nach der Stärkung der erziehungs- und gesellschaftswissenschaftlichen Professionalität von Lehrern im Vordergrund steht und daß es um umfassendere Reformperspektiven geht, die von der universitären bis zur berufsbegleitenden Vgl. z.B. Gemeinsame Kommission für die Studienreform im Land Nordrhein-Westfalen 1996; HRK 1999; Keuffer/ Oelkers (2001 ); Kommission zur Neuordnung der Lehrerausbildung an Hessischen Hochschulen 1997; Terhart (2000); Wissenschaftsrat 2001. 2 Gerade im Zusammenhang mit der Welle fremdenfeindlicher Übergriffe und Anschläge zu Beginn der 1990er Jahre haben diejenigen, die jetzt sehr stark die Leistungsaspekte von Schule betonen und Bildung mit meßbarem Wissen verwechseln, der Schule die Verantwortung für mangelnden Halt und Instabilität der Jugendlichen angelastet! ]F]Lm, 31 (2002) 94 Frauke Stübig Lehrerbildung reichen müssen. Damit ist einerseits ein quantitativ-zeitlicher Aspekt gemeint, andererseits aber auch im qualitativen Sinn eine bessere Verzahnung der einzelnen Komponenten, die als wissenschaftliche Lehrbestandteile nur miteinander, nicht isoliert in einem Nebeneinander zu einer umfassenden, praxisrelevanten Theorie von Unterricht werden können. Im folgenden wird zunächst versucht, die zentralen Elemente von Lehrerprofessionalität zusammenzustellen, und dann, wie in einem Trichterverfahren, zunehmend zu verengen: erst auf die Allgemeine Didaktik, dann auf die Fachdidaktik sowie die Beziehungen der beiden zueinander und schließlich auf die Erwartungen an die Didaktik der Neuen Sprachen. 2. Was heißt pädagogische Professionalität? Pädagogische Professionalität besteht aus einem breiten Repertoire prinzipiell nicht abschließend erwerbbarer. Wissens- und Könnenselemente, die in einem Verhältnis wechselseitiger Befruchtung stehen. Die Aneignung dieser Wissens- und Könnenselemente ist genuiner Bestandteil aller drei Phasen der Lehrerbildung, ohne daß sie in Ausschließlichkeit hier anzusiedeln wären. Dabei liegt in der I. Phase der Schwerpunkt auf dem Erwerb von Wissenselementen und ihrer reflexiven Verarbeitung. Die Schulpraktischen Studien, Lehrveranstaltungen vom Typus „Forschenden Lernens", insbesondere die methodisierte Rekonstruktion des Sinns schulpädagogischer „Fälle" sind bereits in diesem Ausbildungsstadium Phasen, in denen auch die Anbahnung und Realisierung von Könnenselementen steht, die einerseits Transformationsleistungen bereits erworbenen Wissens aus dem Studium und der Lebenswelt darstellen, andererseits dazu verhelfen sollen, das nachfolgende Studium mit zu strukturieren, d.h. auf die Auswahl weiterer Wissenselemente einzuwirken. In der II. Phase der Lehrerbildung steht die Ausbildung „handwerklichen Könnens" in der Praxis im Zentrum. Zugleich muß diese Phase, stärker als es bislang der Fall sein mag, die Reflexion des eigenen Handelns anbahnen bzw. unterstützen. In dieser II. Phase hat, im Gegensatz zur I. Phase, die spezifische Wissenserweiterung ihren Ort eher in den allgemeinen und fachdidaktischen begleitenden Seminaren. Die III. Phase der Fort- und Weiterbildung sollte, orientiert an den Bedürfnissen der einzelnen Personen bzw. an Teilgruppen von Kollegien und in enger Korrelation zur gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Weiterentwicklung einen berufsbegleitenden Prozeß darstellen. 3 Aus dem inhaltlichen Angebot sollten die einzelnen Lehrer und Lehrerinnen nach ihren persönlichen Bedürfnissen auswählen können; die Inanspruchnahme aber sollte grundsätzlich verpflichtenden Charakter bekommen. Der inzwischen häufiger vorgetragene Vorschlag (vgl. z.B. Keuffer/ Oelkers 2001 ), die Jahre des Berufseinstiegs als Ausbildungsabschnitt eigener Dignität zu bewerten, weil in ihm die professionellen Handlungsmuster nachhaltig ausgeprägt werden, bedeutet für die Nomenklatur der Lehrerausbildung, die Fort-und Weiterbildung als vierte Phase zu bezeichnen. lFLwL 31 (2002) Reicht kommunikative Kompetenz allein? ... 95 Was die inhaltlichen Anforderungen an eine pädagogische Lehrerprofessionalität anlangt, so sind für die I. Phase der Ausbildung zumindest folgende Elemente unumgänglich: - "die Aneignung wissenschaftlichen Fachwissens und fach-wissenschaftlicher Reflexivität; die Aneignung erziehungs-, sozialwissenschaftlichen und psychologischen Wissens und dessen Reflexion; die Aneignung und Reflexion fachdidaktischen Wissens; die Einführung in eine methodisierte Rekonstruktion des Sinns schulisch-pädagogischer Fälle und Praxis, um darüber den Aufbau einer fallverstehenden Kompetenz zu fördern; - Reflexivität bezüglich der eigenen Person, vor allem hinsichtlich der eigenen schulischen Erfahrungen und insbesondere der be_rufsbezogenen Motivation" (Helsper [et al.] 2001) Schaut man in die synoptische Zusammenstellung zur Reform der Lehrerbildung von Szczyrba/ Wildt (2000: 329-331), in der das Spektrum der Empfehlungen abgebildet ist, so zeigt sich, daß unter dem Stichwort Leitbild/ Kompetenzen diese Auswahl von Lernprozessen und Wissenssegmenten relativ einhellig von allen Reforrnkornrnissionen bzw. Expertenräten vorgeschlagen wird. 3. Der Beitrag der Allgemeinen Didaktik Ohne die Bedeutung der anderen Elemente für den Aufbau pädagogischer Professionalität schmälern zu wollen, soll es hier zunächst schwerpunktmäßig um den Beitrag der Allgemeinen Didaktik gehen. Allgemeine Didaktik antwortet auf das permanente Spannungsverhältnis zwischen Ansprüchen und Anforderungen der Gesellschaft an die nachwachsende Generation einerseits und dem Bedürfnis nach Entfaltung und Entwicklung der Subjekte andererseits. Verkürzt gesagt geht es im Interesse der jungen Menschen um eine immer wieder neu zu erzielende Vermittlung zwischen Anpassung und Emanzipation, die sich im Medium unterschiedlicher fachlicher Inhalte abspielt. Das Ergebnis dieses Prozesses heißt in traditionellem Verständnis Bildung. Gegenwärtig wird Bildung allerdings häufig nur in negativen Facetten beschrieben, nämlich seit TIMSS und PISA als Mangel. Auf der Ebene der Ergebnisse von unterrichtlichem Handeln scheint es also um die didaktischen Kompetenzen schlecht bestellt zu sein. Auf der Ebene des Wissenschaftsdiskurses ist es merkwürdig still geworden um die Allgemeine Didaktik. Erst mit der Frage nach einer möglichen Rezeption des Konstruktivismus in die Erziehungswissenschaft (vgl. z.B. Gerstenmaier/ Mandel 1995) ist eine neue Theoriediskussion auch in diesem Bereich in Gang gekommen, deren Schwächen allerdings von Bernhard (1999) und Terhart (1999) herausgearbeitet wurden. Dabei ist insofern eine gewisse Relativierung der Dominanz der Ziel- und Inhaltsfragen der klassischen didaktischen Diskurse zu verzeichnen, als Bernhard nach sorgfältiger lFLllL 31 (2002) 96 Frauke Stübig Auseinandersetzung mit der einseitigen Fokussierung der konstruktivistischen Didaktik auf den Lernenden fordert, die „Theorie der Bildungsinhalte mit einer Theorie der Bildungssubjekte" zu verbinden (Bernhard 1999: 663). Auf der Ebene des Lehrerhandelns wird zwar allenthalben die Wirkungslosigkeit didaktischer Theorien beklagt (Bohnsack 2000: 67 f; Koch-Priewe 2000: 155); gleichwohl ist nach Koch-Priewe die Differenz zwischen allgemein didaktischen Theorien einerseits und professionellen Lehrereigenschaften andererseits nicht so groß, wie man nach den Klagen vermuten müßte. "Die Strukturmomente von Unterricht, wie sie die Allgemeine Didaktik analysiert hatte, sind trotz gegenteiliger Behauptungen auch heute für Lehrerinnen noch relevant, obwohl sie das selbst nicht so erleben" (a.a.O.: 157). Es fehlt aus Sicht von Koch-Priewe von seiten der allgemeinen didaktischen Theorie eine gelungene Entsprechung ihrer Analysen in einer „Handlungswissenschaft vom Unterrichten". Lehrer verwenden nach Koch-Priewes Beobachtungen keine didaktischen Planungsschemata, sondern sammeln Texte und Materialien, zu denen sie dann die Struktur ihrer Unterrichtsstunden entwickeln. Reformorientierte Lehrkräfte verbinden diesen Planungsprozeß häufig mit bestimmten Präferenzen für neue Unterrichtsformen wie Wochenplanunterricht, Freie Arbeit, fächerübergreifendes Lernen, Projekte usw. Damit ist es in erhöhtem Maße möglich, die Schüler an der Strukturierung von Inhalten und der Auswahl von Methoden zu beteiligen, d.h. sie in die allgemein didaktischen Überlegungen einzubeziehen, die bislang die vorwiegende Domäne des Lehrers waren. Auffällig ist freilich, daß es um die Begründung von Inhalten und damit um die Bildungsfrage im engeren Sinne nicht geht. Seit einigen Jahren eignen sich Lehrer darüber hinaus häufig in Form von privaten (und teuer bezahlten) berufsbegleitenden Fortbildungen Kompetenzen an, die sie insbesondere in Verfahren nicht direktiver Gesprächsführung qualifizieren. Dadurch werden sie für die Bedürfnisse ihrer Schülerinnen und Schüler sensibler und erleben für sich selbst ein höheres Ausmaß an Souveränität. Sie realisieren damit Ansätze der Humanistischen Pädagogik und stellen diese neu erworbenen Qualifikationen in den Dienst des sozialen Lernens. Mit diesem Vorgehen antworten sie implizit auf eine Kritik an den älteren allgemein didaktischen Ansätzen, denen z.T. zu Recht, z.T. zu Unrecht unterstellt wird, daß sie die Rolle der sozialen Beziehungen nicht angemessen berücksichtigten. Viele Lehrer sehen allerdings nach Koch-Priewe häufig nicht, daß sie mit der neuen Berufsqualifikation eine zentrale „Prozeßkompetenz" erworben haben im Sinne von allgemein didaktischem Können. Neu in dieser Prozeßkompetenz ist die stärkere Gewichtung von personalen und sozialen Momenten der Unterrichtsplanung. Mit ihrer neu erworbenen kommunikativen Kompetenz und der Demokratisierung der Interaktionsstruktur unterstützen Lehrer ihre Schüler, eigene Lernbedürfnisse zu entwickeln. Sie thematisieren damit, was für sie Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung hat. An dieser Stelle sieht Koch-Priewe eine wichtige Aufgabe für die Allgemeine Didaktik. Sie müsse sich zu einer „didaktischen Handlungswissenschaft" weiterentwickeln, "in der Prozesse der Bedeutungsvermittlung in sozialen Kontexten mit kommunikativen Kompetenzen von Lehrerinnen (und Schülerinnen) in Zusammenhang gebracht werden" (a.a.O.: 160). lFlllllL 31 (2002) Reicht kommunikative Kompetenz allein? ... 97 Der didaktische Stellenwert von sozialen Beziehungen irn Unterricht müsse in der Lehrerausbildung vermittelt werden, sonst bestehe später die Gefahr, die eigene Praxis mit Begriffen anderer Professionen zu beschreiben, so daß z. B. die Grenzen zu therapeutischen Ansätzen verwischt würden. Wie kann also die praktische Belanglosigkeit der Allgerneinen Didaktik überwunden werden? Die Antwort der vergangenen Jahre, die sich auch Koch-Priewe zu eigen macht, heißt: Fallreflexion (vgl. z.B. Helsper 2000). Didaktische Theorie könnte zusammenstellen, inwiefern in den besonderen Unterrichtssituationen die Interdependenzen unterrichtlicher Einzelrnornente zu beobachten bzw. zu beachten sind. Diese Betonung des reflektierten Verstehens des konkreten Falles könnte die Grundlage des Umbaus von der Allgerneinen Didaktik zu einer „Handlungswissenschaft vorn Unterrichten" sein. Auf diese Weise lernen angehende Lehrer und Lehrerinnen z.B. die unvermeidlichen Paradoxien des Lehrerhandelns kennen und erwerben schrittweise, gewissermaßen irn Vorgriff, Kompetenzen des Ausbalancierens dieser Antinomien, die dazu führen können, daß sich ihr eigenes reales Lehrerhandeln zunehmend als gelingender Prozeß entwickelt. In der Rekonstruktion und Bearbeitung komplexer „Fälle" ist die Frage nach dem Inhalt des Lernens immer schon vorentschieden oder sie stellt gerade eine jener Antinomien dar, mit der sich Lehrer und Lehrerinnen konfrontiert sehen. Die davorliegende grundsätzliche Frage nach dem Bildungsgehalt der Inhalte aber muß bei fallrekonstruktivem Lernen nicht unbedingt thematisiert werden. Deswegen kommt an dieser Stelle die Fachdidaktik ins Spiel. 4. Das Verhältnis von Allgemeiner Didaktik und Fachdidaktik Zu den zentralen Aufgaben der Fachdidaktik(en) gehören nach allgemeinem Verständnis die Legitimierung des Faches für die Schule, die Festlegung von fachspezifischen Zielen, die Auswahl der Fachinhalte, die Anordnung von Lernsequenzen sowie die Entwicklung einer fachspezifischen Methodik. Dementsprechend wird die Fachdidaktik als eine Vermittlungswissenschaft zwischen der Allgemeinen Didaktik und der Fachwissenschaft begriffen, wobei sie diese Funktion nur in relativer Eigenständigkeit zu beiden Bezugsdisziplinen erfüllen kann. In dieser oder ähnlicher Weise werden die Aufgaben der Fachdidaktik auch in den jüngst veröffentlichten Gutachten und Stellungnahmen zur Reform der Lehrerbildung bestimmt. So heißt es beispielsweise in dem Entwurf der Kornmission zur Neuordnung der Lehrerausbildung an Hessischen Hochschulen, daß der Fachdidaktik als selbständiger erziehungswissenschaftlicher (Teil)Disziplin die Aufgabe zukomme, die Lehr- und Lernziele des jeweiligen Faches herauszuarbeiten. Ferner müsse sie Aussagen über die Inhalte eines Faches und deren Auswahl sowie über die Unterrichtsformen und -methoden zur Initiierung der intendierten Lernprozesse, einschließlich der jeweils einzusetzenden Medien, treffen. Darüber hinaus müsse die Fachdidaktik die fachbezogenen Lernmöglichkeiten der Schüler thematisieren und sich der Lehrbuchanalyse stellen (Kornmission zur Neuordnung der Lehrerausbildung an Hessischen Hochschulen 1997: 86). lFlLlllllL 31 (2002) 98 Frauke Stübig Um diesen Aufgabenkatalog reiht die Hessische Kommission einen Kranz weiterer Aufgaben, die nach ihrer Meinung ebenfalls in den Denk- und Entscheidungshorizont der Fachdidaktik gehören (vgl. a.a.O.: 86 ff). Das betrifft u.a. die kritische Auseinandersetzung mit den Begründungen der einzelnen Schulfächer, des weiteren die Auswertung und Überprüfung empirischer Ergebnisse der Unterrichtsforschung, die Analyse der organisatorischen und lernpsychologischen Voraussetzungen des Unterrichts sowie die Entwicklung von Unterrichtsmodellen bis hin zur interdisziplinären Kooperation der Fachdidaktiken und Fächer. Insgesamt müsse die Fachdidaktik die Entscheidung über die Begründung der Lehr- und Lernziele eines Faches treffen und sei damit diejenige Instanz, die den „Bildungswert" eines Faches bestimme. Allerdings so die mehrheitlich vertretene Meinung kann die Fachdidaktik diese Aufgabe nur dann erfüllen, wenn sie im Dialog mit allgemein didaktischen Modellen diejenigen Theorieansätze und Fragestellungen rezipiert, die sie erst in den Stand setzen, die Norm- und Wertfragen im Hinblick auf das jeweilige Fach zu klären. In der Formulierung von Rudolf W. Keck (1990: 25): "Jede Didaktik, gleich ob sie Stufendidaktik, Schulartendidaktik oder Fachdidaktik ist, ist auf die allgemein didaktische Grundlegung, d.h. auf bildungstheoretische Fundierung verwiesen, denn Unterrichtsdidaktik nimmt nur einen Teilaspekt dieser wahr." Damit verweist Keck auf die Tatsache, daß nur solche allgemein didaktischen Theorien als Dialogpartner der Fachdidaktiken in Frage kommen, die ihrerseits die Begründung genereller pädagogischer Zielsetzungen des (schulischen) Lehrens und Lernens zum ausdrücklichen Programm erheben. Dies gilt insbesondere für die erweiterte bildungstheoretische Didaktik (Klafki) sowie die erneuerte lerntheoretische Didaktik (Schulz). Diese Feststellung impliziert allerdings keine Stellungnahme für ein bestimmtes allgemein didaktisches Modell, vielmehr geht es um eine kritisch-pluralistische Betrachtung der in Frage kommenden didaktischen Ansätze und Theorien insgesamt, und zwar unter der Fragestellung, in welcher Weise sie im konkreten Fall als Strukturierungsangebot für die Fachdidaktik dienen können. Das bedeutet zugleich, daß allgemein didaktische und fachdidaktische Überlegungen nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen, vielmehr dienen die in der allgemein didaktischen Diskussion entwickelten Modelle dazu, die Fachdidaktiken in den Stand zu setzen, ihre spezifischen Aufgaben zu erfüllen. Die Angewiesenheit der Fachdidaktik auf die Allgemeine Didaktik resultiert daraus, daß der durch die Fachwissenschaft ermöglichte Zugang zur Welt diese von vornherein mit Blick auf das zugeordnete Fachwissenschaftssystem in Ausschnitte zerlegt und weitgehend von ihrer Totalität abstrahieren muß. Daher ist es für die Fachwissenschaft nicht möglich, aus sich heraus die Wert- und Bedeutungsfragen zu lösen, was nichts anderes heißt, als daß die Fachwissenschaft von sich aus nicht in der Lage ist, Aussagen über den Bildungswert des ihr zugeordneten Schulfaches zu treffen. Genau dieser Umstand verbietet eine direkte Anbindung der Fachdidaktik an die Fachwissenschaft. Als eigentlicher Gegenstand der Fachdidaktik erweist sich der Fachunterricht im Schnittpunkt von fachwissenschaftlichen und allgemein didaktischen Belangen. Wie zur Gegenstandsauseinandersetzung im Fachunterricht Wissen und seine Einordnung in ein lFLlllL 31 (2002) Reicht kommunikative Kompetenz allein? ... 99 fachwissenschaftliches System gehört, so gehört zum Schulunterricht Wissen um Bildungs- und Erziehungsprozesse und damit allgemein didaktische Kenntnisse, die nicht nur in einem Unterrichtsfach, sondern in vielfältigen Unterrichtssituationen Anwendung finden können. Inhaltlich geht es dabei um die grundlegende Frage, unter welchen Leitvorstellungen junge Menschen ein mehrperspektivisches Welt- und Selbstverständnis als Grundlage ihrer eigenen Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit gewinnen können (Klafki). Allerdings darf darüber nicht übersehen werden, daß auch die Allgemeine Didaktik auf die Fachdidaktik(en) verwiesen ist. Wolfgang Klafki hat darauf aufmerksam gemacht, daß sich schulisches Lehren und Lernen immer in Fächern bzw. fächerübergreifenden Gesamtzusammenhängen vollzieht und von daher stets auf bestimmte inhaltliche Zusammenhänge und soziale Kontexte bezogen ist. Für die Allgemeine Didaktik folgt daraus, daß sie ohne den Bezug auf fachdidaktische Fragestellungen und Erkenntnisse nicht in der Lage ist, realitätshaltige Aussagen zu formulieren. Darüber hinaus garantiert nur der Austausch zwischen Allgemeiner Didaktik und Fachdidaktik, daß die Allgemeine Didaktik ihren verallgemeinerten Geltungsanspruch überprüfen und ggf. auch verändern kann. Insofern kommt der Fachdidaktik gegenüber der Allgemeinen Didaktik die Funktion eines permanenten, kritischen Gesprächspartners zu. Diese Aufgabe kann sie allerdings nur unter der Voraussetzung einer relativ eigenständigen erziehungswissenschaftlichen Denkleistung in ihrer Beziehung zur Allgemeinen Didaktik erfüllen. Geht man von diesen Prämissen aus, so ergeben sich aus allgemein didaktischer Sicht eine Reihe von Anfragen an die Didaktik der Neueren Sprachen, die auf einer Ebene des grundsätzlichen Durchdenkens und der übergeordneten Antworten Gegenstand der ersten Phase der Ausbildung sein müßten. 5. Anfragen an die Didaktik der Neuen Sprachen 5.1 Die erste Anfrage ist diejenige nach dem spezifischen Beitrag des Faches für die Bildung der jungen Menschen. Dabei ist vermutlich unbestritten, daß es mit dem Fremdsprachenlernen zunächst um den Erwerb einer Kulturtechnik geht. Das gilt insbesondere für Englisch als lingua franca. Der Begriff der kommunikativen Kompetenz in der Zielsprache, der sich in den 1970er Jahren durchgesetzt hatte, ist nach wie vor konsensfähig und bezeichnet im allgemeinen Verständnis genau jene Kulturtechnik im Sinne von Verfügbarkeit über das Medium Sprache, die im Grad ihrer Anwendungssicherheit proportional zu den ansteigenden Jahrgangsstufen anwachsen sollte. Ob freilich der Erwerb von kommunikativer Kompetenz in einer Fremdsprache bereits einen Beitrag zur allgemeinen Bildung darstellt, muß bezweifelt werden. Nicht das Instrument allein, erst der Inhalt, den das Instrument in seiner spezifischen Verarbeitung durch die Lernenden erschließt, kann als Bildung bezeichnet werden. Denn Bildung geschieht nicht im inhaltsneutralen Aufbau von formalen Fähigkeiten wie Problemlösefähigkeit, Teamfähigkeit oder kommunikative Kompetenz. Bildung findet ihre Basis in Inhalten bzw. in einem JFJLlllL 31 (2002) 100 Frauke Stübig Inhaltsniveau, an dem und durch dessen Durcharbeitung in inhaltlicher und formaler Hinsicht Wissen, Erfahrung und Fähigkeiten entstehen. Der Zusammenhang von Form und Inhalt ist konstitutiv fürjeden Bildungsprozeß (Terhart 2001: 127). Meinert Meyer hatte schon 1994 (in: "Fremdsprachenunterricht unter dem Anspruch gymnasialer Allgemeinbildung") an einem Beispiel aus der Sekundarstufe I demonstriert, daß voh den Schülern und Schülerinnen das Kommunizieren in der Fremdsprache als eine künstliche Aufgabe verstanden wird. Dort, wo reale Kommunikation intendiert wird, fallen die Schüler ins Deutsche zurück, d.h. sie bleiben in ihrer eigenen Lebenswelt. Sie verharren in der eigenen Weltansicht. Deswegen könne man hier nicht von Bildung durch fremde Sprachen sprechen. Allerdings könne auf diese Art und Weise Bildung auch nicht ausgeschlossen werden. Daraus folgert Meyer (1994: 111): "Fremdsprachenunterricht ist dann allgemeinbildend, wenn er auf Grund des Studiums fremdsprachlich erzeugter Weltansicht das aufgeklärte Bewußtsein dafür fördert, daß die je eigene Weltansicht subjektiv ist". Mit Blick auf die Sekundarstufe II erweitert er seine Definition über das Vorantreiben ·des Bildungsprozesses dahingehend, daß die Schüler „gezielt mit der Fremdheit der Sprecher fremder Sprachen und mit der Andersartigkeit fremder Kulturen" konfrontiert werden müssen, um erfahren zu können, "daß andere Menschen anders als wir denken und handeln" (a.a.o.·: 120). Welches sind nun geeignete Inhalte, um die angemahnte Fremdheit der Sprecher und die Andersartigkeit fremder Kulturen besonders deutlich zu machen? Diese Frage ist mit Blick auf die Sekundarstufe I nicht leicht zu beantworten, jedenfalls dann, wenn man nicht nur bei den Artikulationsformen der Alltagskultur verharren will. Gleichermaßen liegt es auf der Hand, daß die von Meyer benannten anspruchsvollen Ziele in den Oberstufen nicht allein über den üblicherweise dominierenden Literaturunterricht erreichbar sind. Dem außenstehenden Beobachter drängt sich gelegentlich die Vermutung auf, daß ein Rückzug auf einen Literaturkanon, der in seiner Auswahl und Abfolge „schon immer" so angelegt war, vor allem deshalb erfolgt, weil Lehrer sich bei der Vermittlung der Inhalte der eigenen Ausbildung verständlicherweise am sichersten fühlen. Aber gehören nicht ebenso, in Weiterentwicklung der alten „Landeskunde", politische und gesellschaftliche Inhalte in den Auswahlkatalog der potentiellen Unterrichtsgegenstände? Gerade mit Blick auf die Affinitäten zwischen Fremdsprachenunterricht und interkultureller Erziehung soll diese Überlegung später noch einmal aufgegriffen werden. Meyer selbst schlägt, mit Bezug auf die epochaltypischen Schlüsselprobleme Wolfgang Klafkis (1991) eine oberstufenspezifische Erweiterung vor, die er mit „Internationalisierung unserer Lebenswelt" bezeichnet und knapp skizziert (Meyer 1994: 119 ff). 5.2 Die gesellschaftliche Entwicklung legt nahe, was die Fremdsprachendidaktiker schon lange fordern, nämlich den Aufbau von Mehrsprachigkeit. Alle Schülerinnen und Schüler sollten wenigstens zwei Fremdsprachen lernen. Diese Anforderung ist mit Blick auf den zukünftig erhöhten Stellenwert fremdsprachlicher Verständigungsfähigkeit nur zu unterstützen. Daraus resultieren drei Anfragen: Zunächst die·Anforderung an alle, sodann die Frage nach der Spezifik der jeweiligen Fremdsprache in Abgrenzung zu den anderen und schließlich die Frage nach einer sinnvollen Fremdsprachenfolge. ][ILII.L 31 (2002) Reicht kommunikative Kompetenz allein? ... 101 Wenn alle wenigstens zwei Fremdsprachen erlernen sollen, muß über den Umgang mit den Schülern und Schülerinnen nachgedacht werden, deren Muttersprache nicht Deutsch ist und die deshalb in aller Regel unter erschwerten sozialen Bedingungen deutlich erhöhte Lernleistungen erbringen müssen. Dies ist eine Frage, die sich an die Struktur unseres Bildungssystems richtet und wohl kaum von der Didaktik der Neuen Sprachen her gelöst werden kann. Aber angestoßen wird sie auch von dort und darf deswegen nicht verschwiegen werden. In ähnlicher Weise trifft dies auch für den Umgang mit deutschen Schülern und Schülerinnen zu, die auch in höheren Jahrgangsstufen noch elementare Schwierigkeiten im Umgang mit Schrift und Sprache haben. Daß der Prozentsatz dieser Lernenden angewachsen ist, wissen wir seit PISA mit bestürzender Sicherheit. Hauptschullehrer und insbesondere Berufsschullehrer im Berufsvorbereitungsbzw. im Berufsgrundbildungsjahr beschreiben diese Problematik bereits seit Jahren, ohne nennenswerte Unterstützung zu erhalten, weder von der Erziehungswissenschaft noch von der Allgemeinen Didaktik oder von den Fachdidaktiken. Unter allgemein didaktischen Gesichtspunkten ist die Anfrage drängend, wo unterhalb der gemeinsamen Klammer der Fremdsprache der spezifische Beitrag der einzelnen Zielsprachen liegt. Gibt es ein „Proprium" der jeweiligen Fremdsprachen? Die Fachdidaktik sollte darauf antworten, worin das Spezifische etwa des Französisch-Unterrichts im Unterschied zum Englisch-Unterricht oder zum Spanisch-Unterricht liegt. 4 Erst wenn dieses „Proprium" geklärt und herausgearbeitet ist, wie sich in Sprachverständnis und Sprachhandeln die innere Logik des kulturellen Skripts offenbart, wenn die Unterschiedlichkeit der Sprachen als je eigene Inhalte klar konturiert sind, dann ist es auch für Schüler möglich, vom Sprachenlernen in den verschiedenen Sprachfächern zu profitieren. Erst dann könnte das auf einer Metaebene eingeforderte „Lernen lernen" (Königs 2001) bewußt gestaltet, d.h. die Transformation von Fähigkeiten und Fertigkeiten in Bildung angebahnt werden. Daß der Zusammenhang von Form und Inhalt konstitutiv für jeden Bildungsprozeß ist, darauf ist weiter oben schon hingewiesen worden. Dies wird hier wiederholt, weil in dem relativ neuen schulischen Lernbereich des bilingualen Unterrichts aus allgemein didaktischer Sicht die Gefahr, Medium und Inhalt auf Sprachfach und Sachfach einfach aufzuteilen, besonders groß ist, damit aber die besonderen Bildungschancen dieses Lernbereichs verspielt würden (Mentz 2001). Darüber hinaus wird in der großen Zahl neuer Publikationen zum „Lernen lernen" gelegentlich der Anschein erweckt, daß das mechanische Anwenden und Üben bestimmter Techniken und Tätigkeiten bereits Fähigkeiten erzeuge, die transferfähig seien und zu dauerhaften Lernergebnissen führten (vgl. z.B. Klippert 1997; vgl. dagegen Guldimann 1996). Unabhängig davon ist gerade im Zusammenhang mit der Forderung nach Mehrsprachigkeit die Ermittlung von Lernstrategien im Sprachunterricht, die Einübung von Techniken und Methoden unabdingbar (vgl. Neuner 2002). Allerdings machen sie um sich nicht selbst den eben geäußerten Vorwürfen auszusetzen die Antwort auf die 4 Darüber hinaus bleibt anzumerken, daß z.B. viele verschiedene „Englishes" auf dieser Welt gesprochen werden, ebenso wie sich das 'fran~ais quebecois' von demjenigen Schwarzafrikas erheblich unterscheidet usw. JFLm, 31 (2002) 102 Frauke Stübig Sprachspezifik und auf die Unterschiede zwischen den jeweiligen Fremdsprachen erforderlich. „Breite, Art und Reihenfolge des Angebots sind für die Qualität von Lernerfahrungen nicht ohne Auswirkungen. Denn der Unterricht in einer jeden Fremdsprache führt zu eigenen Lernerfahrungen, die an dieser Fremdsprache als Lerngegenstand gewonnen werden können. Letztlich legen derlei Erfahrungen die Grundlage für die Fähigkeit des interlingualen Transfers. Deshalb ist es nicht gleichgültig, welche Sprache wann, wie und in welchem Umfang angeboten wird" (Meißner [et al.] 2001: 162). Zeitpunkt, Reihenfolge, Präsentationsform und Umfang sind demnach zu definieren. Was die Fremdsprachenfolge angeht, so wäre eine Klärung vonnöten, ob es eine bevorzugte Abfolge gibt, die sich aus der strukturellen Nähe oder der Distanz der Muttersprache zur Fremdsprache bzw. aus dem kulturellen Skript der Sprachen ableiten läßt. Weiterhin ist zu diskutieren, wie mit den möglichen Konflikten zu verfahren ist, die sich zwischen der Anwendungshäufigkeit der lingua franca und der regionalen Zugehörigkeit der Schülerinnen und Schüler etwa im Grenzbereich zu einer Zielsprache ergeben können. 5.3 Weiter oben war als Zielsetzung des Unterrichts die Erfahrung hervorgehoben worden, daß andere Menschen anders denken und handeln. Angesichts des Zusammenwachsens von Europa, der globalen Perspektiven der Weltgesellschaft und der multiethnischen Zusammensetzung unserer Gesellschaft sowie vieler unserer Schulklassen stellt sich die Frage nach dem Umgang mit fremden Kulturen noch einmal in einer anderen Perspektive: Heterogene Lerngruppen sind ohne jeden Zweifel eine Herausforderung an die Unterrichtenden. Deutliche Unterschiede in Lernbereitschaft, -fähigkeit und -geschwindigkeit der Schülerinnen und Schüler setzen ein erhebliches Repertoire an Differenzierungs- und Individualisierungsstrategien voraus, die weiter oben unter dem Stichwort „Lernen lernen" schon einmal angeklungen sind. Die verschiedenen ethnischen und sprachlichen Identitäten und Bezugssysteme der Schülerinnen und Schüler erhöhen die Anforderungen sowohl an die inhaltliche als auch an die soziale Gestaltung des Unterrichts. Sie können freilich auch als Bereicherung verstanden werden, wenn es gelingt, daß Schule und Unterricht sich für diese unterschiedlichen Personen öffnen und zwar nicht nur sprachlich, sondern quartierspezifisch. Die Welt der Kinder und Jugendlichen war noch nie so vielfältig wie heute; alle Themen, die ihnen und die für sie wichtig sind, kommen in aller Regel in mulikulturell zusammengesetzten Wohnquartieren vor. Und die Kinder und Jugendlichen selbst sind Experten ihrer Welt. Dieses ernst zu nehmen, kann für viele Unterrichtsfächer, nicht nur für den Fremdsprachenunterricht, bedeuten, daß die Konfrontation mit anderem Denken und Handeln hautnah und gewissermaßen alltäglich präsent ist. Sie müßte allerdings auch angenommen werden von Lehrerinnen und Lehrern sowie Schülerinnen und Schülern, den deutschen und denjenigen anderer Herkunft. In diesem Annehmen liegt die eigentliche Herausforderung. Sie könnte unterrichtspraktisch zur Folge haben, daß bilingualer Unterricht mit den Sachfachthemen des Quartiers nicht immer nur in Englisch und/ oder Französisch angeboten wird, sondern je nach ethnischer Zusammensetzung, in der Sprache der Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler nichtdeutscher Herkunft (vgl. auch Freudenstein 2002: 70). lFL111lL 31 (2002) Reicht kommunikative Kompetenz allein? ... 103 Der Hinweis auf diese Problematik macht deutlich, was mit der von Koch-Priewe geforderten Erweiterung der Allgemeinen Didaktik zu einer „Handlungswissenschaft vom Unterrichten" konkret gemeint sein könnte. Öffnung von Schule und Unterricht zum Quartier für den einzelnen und zu der Unterschiedlichkeit der einzelnen verlangt auch theoretisch neue analytische und deskriptive Facetten, einschließlich der sozialen und kommunikativen Prozeßkompetenzen, die weiter oben benannt worden sind. Mit diesen Überlegungen zeichnet sich noch ein weiterer Perspektivenwechsel ab, nämlich vom Lerninhalt „fremde Sprache" zu den Schülerinnen und Schülern, ihren Lerngelegenheiten und der Gegenwartsbedeutung von Fremdsprachenlernen aus ihrer Sicht. Una Dirks hat auf die unübersehbare Bedeutung von Englisch als „Symbol der modernen Popmusik und Jugendkultur in einem privaten, freizeitorientierten Teiluniversum" der Jugendlichen hingewiesen (Dirks 1997: 97). Sie fragt danach, ob es sich für die Fundierung der kommunikativen Kompetenz nutzen lässt? Dies ist möglicherweise zunächst „nur" eine Frage nach Unterrichtsmaterialien und Methoden. Allerdings ist an diesem Beispiel auch zu fragen ähnlich wie bei der heterogenen Zusammensetzung der Lerngruppen -, ob nicht jenseits einer anders gelagerten Alltagskultur darin auch Elemente eines anderen Denkens und Handelns aufspürbar sind. Das heißt, hier geht es aus anderer Sicht um den Ansatzpunkt von Fremd- und Selbstverstehen, der, weit über die Szene der Jugendkultur hinaus, die auf der Inhaltsebene weiter oben geforderte Konfrontation mit der fremden Kultur ergänzt und deswegen der Fremdsprachendidaktik in besonderem Maße aufgegeben ist. Er könnte an die Forderung von Bernhard, die „Theorie der Bildungsinhalte mit einer Theorie der Bildungssubjekte" zu verbinden (Bernhard 1999: 663), anschließendies allerdings mit der Maßgabe, die Fragen nach dem bildenden Beitrag des Faches, der Spezifik der jeweiligen Fremdsprache und dem Umgang mit Heterogenität mit der Theorie der Subjekte zusammenzufügen und von dort aus die Inhaltsfrage der Fremdsprachen neu zu durchdenken. Literatur BERNHARD, Annin (1999): "Neuere Grundlagenkritik an der Didaktik. Folgerungen für eine bildungswissenschaftliche Entwicklungsarbeit unter besonderer Berücksichtigung des Schulfaches Pädagogik". In: Zeitschrift für Pädagogik 45 .5, 649-666. 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Since only those who speak a language as their mother tongue can teach that language best for communicative purposes, foreign-language teaching should be handed over to native speakers who have been specifically trained for this job. This is done already whenever languages are being acquired rather than learned. In order to prepare European citizens for life in a multilingual society, native speakers should become regular language teachers at school. Study programmes should be designed in such a way that school teachers become qualified both to teach at primary and at secondary level. 1. Zur Einstimmung: Gedanken über einen Neuansatz Gesellschaftliche Veränderungen, bildungspolitische Ansprüche, neue inhaltliche Zielvorstellungen und vor allem die anhaltende Klage über unbefriedigende Ergebnisse schulischen Fremdsprachenunterrichts machen es notwendig, wieder einmal die Frage zu diskutieren, was auf welche Weise verändert werden müßte, um junge deutsche Europäer angemessen auf ihr Leben in einer mehrsprachigen Welt vorbereiten zu können. Im vergangenen Jahrhundert richteten sich solche Reformbemühungen in erster Linie auf didaktisch-methodische Erneuerungen. Doch weder audiolinguale Konzepte, neue Medien wie Sprachlabor und Computer oder alternative Lehr- und Lernformen haben es vermocht, befriedigende Veränderungen herbeizuführen und kritische Stimmen. zum Schweigen zu bringen. Auch die Fremdsprachenlehrerausbildung war in der Vergangenheit immer wieder Gegenstand eingehender Erörterungen. Dabei wurden allerdings stets nur Anpassungen historisch gewachsener Strukturen an jeweils notwendige aktuelle Bedingungen ausgehandelt. Neue Grundlagen für eine wirklich veränderte und verbesserte Ausbildungspraxis konnten auf diese Weise nicht gelegt werden. Darum geht es mir bei den folgenden Überlegungen nicht um Modifikationen an Bestehendem. Ich frage nicht danach, ob Magister- oder Diplomabschlüsse der richtige Weg zur Reform einer professionellen Berufsorientierung darstellen, und ich mache mir keine Gedanken darüber, welches wohl ein ausgewogener Anteil von Theorie und Praxis in einem auf Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Reinhold FREUDENSTEIN, Universitätsprofessor i.R., Institut für Erziehungswissenschaft der Philipps-Universität Marburg, Am Weinberg 72, 35096 WEIMAR/ Lahn, Fon & Fax: 06421/ 78431. Arbeitsbereiche: Fremdsprachendidaktik, Sprachenpolitik, Friedenserziehung. lFLllL 31 (2002) Ein Modell für Europa: Muttersprachler an die Front! 107 wissenschaftlicher Grundlage basierendem Studium darstellen könnte. Das, was ich vorzuschlagen habe, paßt in die gängigen Strukturen der seit alters überlieferten Ausbildungspraktiken nicht hinein. Ich glaube nämlich, daß wir nur dann den schulischen Fremdsprachenunterricht von Grund auf erneuern und optimieren können, wenn wir auf das Leitbild des Philologen als Sprachlehrer verzichten und es durch das eines professionell ausgebildeten Muttersprachlers ersetzen. Eine solche Forderung ist nicht populär und bisher kaum angedacht. Das läßt sich u.a. daran nachweisen, daß das Wort Muttersprachler im Register eines Standardwerks zum Fremdsprachenunterricht in Deutschland überhaupt nicht auftaucht (Bausch/ Christ/ Krumm 1995). Ich möchte deshalb versuchen, Anstöße für einen radikalen Neubeginn zu geben, der seine Wirksamkeit nur dann voll entfalten kann, wenn er sich nicht an dem zu orientieren braucht, was bisher war, sondern auf das schaut, was auf uns zukommt. Ich orientiere mich dabei nicht an ministeriellen Vorgaben von heute, sondern denke an europäische Dimensionen von morgen. Dabei bleibt die Frage nach der konkreten Umsetzung meiner Vorstellungen bei uns in Deutschland und in anderen Ländern der Europäischen Union bewußt ausgeklammert. Wenn man sich bei der Beschreibung möglicher neuer Wege in der Lehrerausbildung nur an dem orientiert, was bereits existiert, gerät man schnell in die Versuchung, lediglich Schwachstellen zu reparieren anstelle an einen Neubau zu denken. Mag sein, daß ich mich damit dem Vorwurf aussetze, die gegenwärtige Realität des Lehrerdaseins in Europa zu ignorieren. Das nehme ich in Kauf, denn mein Ziel ist es, zunächst einmal voraussetzungslos und ohne Rücksicht auf mögliche Einwände ein Modell durchzuspielen, über dessen Realisierung man sich erst dann Gedanken machen sollte, wenn ein Konsens über seine grundsätzliche Brauchbarkeit erreicht worden ist. 2. Über die Eignung von Muttersprachlern als Sprachlehrer Es gibt wohl kaum ein anderes Thema, das auf Fortbildungsveranstaltungen für Fremdsprachenlehrer auf heftigeren Widerstand stößt als der Vorschlag, das Lehren und Lernen fremder Sprachen denen zu überlassen, die sich im kommunikativen Umgang mit einer Sprache am besten auskennen: den Muttersprachlern. Zwar hat es schon immer Lehrer gegeben, die ihre Muttersprache als Fremdsprache unterrichtet haben. Sie waren in der Geschichte des institutionellen Fremdsprachenunterrichts jedoch zu keiner Zeit als vollwertige Mitglieder des Berufsstands akzeptiert, sondern blieben immer Ausnahmeerscheinungen. Darum stand ihre Eignung als reguläre Fremdsprachenlehrer nie ernsthaft zur Diskussion. Seit dem Beginn der Neuphilologie im 19. Jahrhunderts bis in unsere Tage hinein ist die Fremdsprachenlehrerausbildung ausnahmslos auf Lehrprogramme konzentriert, die sich an Studierende richten, die Sprachen unterrichten wollen, die sie selbst als Fremdsprache sprechen. Das geschieht aus Gründen der Wahrung einer philologischen Tradition, die das Lehren alter, d.h. toter Sprachen auf den Unterricht lebender Sprachen übertragen hatte, und es hat zugleich mit den Zielsetzungen des schulischen Fremdsprachenunterrichts zu tun, die sich seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts fest im Curriculum verankert haben. Zwar gab es auch um 1900 und um 1950 bereits StrölFLl.llL 31 (2002) 108 Reinhold Freudenstein mungen, die Fremdsprachen nicht mehr (nur) als Bildungsgut, sondern (zumindest auch) als Mittel zum Zweck der umgangssprachlichen Verständigung in der Schule verankert sehen wollten. Aber weder Vietor (1882) noch Lado (1964) verbanden mit ihren Reformbemühungen die Forderung, Lehrkräfte einzusetzen, die ihre Muttersprache unterrichten sollten. Das gilt übrigens auch für einen unbekannten Autor, der hundert Jahre nach Vietor unter einem Pseudonym eine „radikale Reform" eingefordert hat (Aliusque Idem 1986: 52), die auch er ohne Muttersprachler zu verwirklichen hoffte und die bis heute noch immer auf sich warten läßt. Inzwischen haben sich die Rahmenbedingungen in wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Hinsicht grundlegend verändert. Menschen, die andere Sprachen sprechen, sind längst keine „Fremden" oder „Ausländer" mehr; sie leben mitten unter uns. Die Europäische Union wächst zwar langsam, aber unaufhaltsam zu einer multikulturellen Staatengemeinschaft zusammen. In vielen Ländern bezahlen wir mit der gleichen Währung. Grenzen sind von Haltestellen zu Durchgangsstationen geworden. Eines jedoch ist geblieben und wird sich auch in Zukunft nicht ändern: Europa ist nicht nur mehr-, sondern vielsprachig. Damit ergeben sich neue sprachenpolitische Aufgaben, die bislang nur in Ansätzen wahrgenommen werden. In einer multilingualen Gesellschaft dürfen Sprachen, die in der Schule gelehrt und gelernt werden, nicht mehr vornehmlich ein Mittel zur Schulung formaler Bildung sein. Sie müssen ihre Auslesefunktion verlieren. Sie sind Grundfertigkeiten wie Lesen und Rechnen, auf die jedermann Anspruch hat, egal wo er lebt und welche Schule er besucht. Und in diesem neuen Umfeld müßte es zur Normalität des schulischen Alltags zählen, daß Sprachunterricht von Sprachkundigen und nicht von Sprachgelehrten erteilt wird. Solche Sprachkundigen können nur Menschen sein, die ihre Sprache als Muttersprache erworben haben. Es gibt für mich mehrere Gründe, warum Muttersprachler für den Sprachunterricht besser geeignet sind als herkömmlich ausgebildete Fremdsprachenlehrer. Wenn im Folgenden von „Muttersprachlern" die Rede ist, dann ist damit von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen nicht irgend jemand gemeint, der eine Sprache als Muttersprache spricht, sondern selbstverständlich nur ein native speaker, der eine nicht philologische Ausbildung als Sprachlehrer durchlaufen und erfolgreich abgeschlossen hat. Nur eine solche Muttersprachlerin und ein solcher Muttersprachler dürften am besten dafür geeignet sein, Sprachen als Mittel der umgangssprachlichen Kommunikation zu vermitteln. Ich vermeide es bewußt, in diesem Zusammenhang davon zu sprechen, daß sie eine Sprache „lehren" sollen. Im Sprachunterricht sollte es weniger um das Lehren und Lernen, sondern besser um das Vermitteln und Erwerben von Sprachen gehen. In der Fachliteratur kann man häufig lesen, ein Fremdsprachenlehrer sollte künftig zu einem „Lernberater", "Mediator" oder „Coach" werden. Nichts spricht dagegen, solange er sich in erster Linie als „Sprachvermittler" versteht. Und da man nur das gut vermitteln kann, was man perfekt beherrscht, ist der Muttersprachler ein idealer Helfer beim Erwerb einer fremden Sprache. Das sollen die folgenden Beispiele im Einzelnen belegen. lFllllL 31 (2002) Ein Modell für Europa: Muttersprachler an die Front! 109 2.1 Muttersprachler kennen und können ihre Sprache Diejenige Sprache, die Kinder zuerst und am besten lernen, wird ihnen von der „Mutter" beigebracht; darum ist sie ihre „Muttersprache". Nach Werner Bleyhl verfügen Mütter und Väter über diejenigen Voraussetzungen, die nahezu automatisch dafür sorgen, daß sich Kinder eine Sprache mühelos aneignen können: 1. Sie lieben ihre Kinder, 2. sie kennen und können die Sprache, mit der sie ständig umgehen, und 3. sie verwenden Sprache immer situationsadäquat, d.h. sinnvoll und interaktiv (PRAXIS 1999). Bleyhl meint, je näher diese Voraussetzungen auch von Lehrerinnen und Lehrern erfüllt würden, umso weniger brauchten wir uns um einen erfolgreichen Fremdsprachenunterricht Gedanken zu machen. Im schulischen Unterricht können die erste und die dritte der von Bleyhl angeführten Voraussetzungen allerdings nur ansatzweise verwirklicht werden. Wirklich „lieben" kann man nicht jedes von dreißig und mehr Kindern, die man jeweils nur ein paar Stunden lang in der Woche sieht, und Schule als Institution Schule verhindert mit einem grammatikorientierten Lehrbuchunterricht geradezu systematisch, Sprache frei und ungezwungen anwenden zu können. Was schulischen Sprachunterricht aber qualitativ verändern würde, wären Sprecher, die eine Sprache „kennen und können". Solche perfekten Sprecher haben wir seit mehr als 150 Jahren in der universitären Ausbildung nicht heranbilden können. In der Europäischen Union stehen sie als Muttersprachler, die ihren Arbeitsplatz frei wählen können, jederzeit zur Verfügung. 2.2 Muttersprachler kennen und vermitteln Sprechpraxis Wo immer das Lernziel der beruflichen Kommunikationsfähigkeit ernst genommen und nicht nur wie in schulischen Lehrplänen und Curricula als Lippenbekenntnis verwendet wird, sind Muttersprachler als Sprachlehrer gefragt. Das läßt sich bereits zu einem frühen Zeitpunkt nachweisen. "Bereits 1554 wird in Frankfurt ein französischer Schulmeister eingestellt, diesem Beispiel folgen weitere Städte und Universitäten sowie 1589 das Collegium Illustre in Tübingen, eine der frühesten Ritterakademien und Ausbildungsstätten für angehende Staatsdiener" (Lehberger 1995: 562). Wer heute beim Bundessprachenamt in Hürth vorbeischaut, wird erfahren, daß sich diese Tradition aus gutem Grund erhalten hat. Auch in anderen Institutionen, die sich die Vermittlung sprachpraktischer Fertigkeiten zum Ziel gesetzt haben, werden in der Regel Muttersprachler bevorzugt. Das gilt z.B. in der innnerbetrieblichen Sprachausbildung, wo „der Muttersprachler als Kursleiter hoch favorisiert wird" (Freudenstein 1982: 37), aber auch bei Volkshochschulen oder privaten Sprachschulen in Groß- oder in Universitätsstädten, in denen sich bei der Suche nach native speakers keine Probleme ergeben. 2.3 Muttersprachler entfalten ein originales fremdsprachliches Umfeld Jährlich reisen Tausende von Jugendlichen und Erwachsenen zu Sprachkursen ins Ausland. Sie tun dies, weil sie dort Muttersprachler als Lehrer erwarten dürfen. Niemand würde akzeptieren, in Frankreich von einer Lehrerin unterrichtet zu werden, die FranzölFILllL 31 (2002) 110 Reinhold Freudenstein sisch als Fremdsprache spricht. Wenn Sprachreiseveranstalter dennoch deutsche Lehrer anwerben, um Jugendliche im Ausland sprachlich zu betreuen, tun sie dies aus zwei Gründen. Sie gehen davon aus, daß Eltern eher Vertrauen in die Wirksamkeit einer teuren Sprachreise setzen, wenn sie davon ausgehen können, daß ihre Kinder von "kompetenten" Lehrern betreut werden, denn sie wissen, daß die besten umgangssprachlichen Fertigkeiten in der deutschen Schule nichts nützen, es sei denn, sie entsprechen den Erwartungen eines grammatikorientierten Lehrbuchunterrichts. Aber selbst unter ungünstigen Betreuungsvoraussetzungen gewinnen Schüler im Ausland dennoch sprachlichen Zuwachs. Er ergibt sich aus dem muttersprachlichen Umfeld, das sie umgibt und dem sie sich nicht entziehen können. Ein solches „Umfeld" kann in der deutschen Schule wenn überhaupt allein ein native speaker optimal entfalten. 2.4 Muttersprachler im Hochschulbereich Es ist sicherlich kein Zufall, wenn die sog. "sprachpraktischen Übungen" im Universitäts- und Hochschulbereich von Muttersprachlern durchgeführt werden. Lektoren und Assistenten, die auf diesem Gebiet arbeiten, werden nicht deshalb beschäftigt, weil sie als linguistische Experten gelten oder weil sie über sprachwissenschaftliches Detailwissen verfügen. Ihre erste und wichtigste Qualifikation ist ihre angeborene sprachliche Gewandtheit, die sie nicht erlernt, sondern erworben haben. Eine solche Gewandtheit läßt sich nicht durch ein differenziertes sprachwissenschaftliches Spezialwissen, über das nicht muttersprachliche Forscher im allgemeinen verfügen, ersetzen. 2.5 Muttersprachler sind Lektoren in Fremdsprachenverlagen Lehr- und Lernmaterialien für den fremdsprachlichen Unterricht werden in der Regel von Autorinnen und Autoren verfaßt, die im Lehrberuf stehen und die eine fremde Sprache selbst als Fremdsprache gelernt und studiert haben. Wirft man jedoch einen Blick auf das Impressum eines Schulbuchs, wird schnell deutlich, daß immer auch Muttersprachler der jeweiligen Sprache bei der Erarbeitung mitgewirkt haben. Sie sind es, die für die korrekte Verwendung der zur erlernenden Sprache zuständig sind, und in vielen Fällen handelt es sich bei ihnen nicht um ausgebildete Lehrer, sondern um Personen, die aufgrund ihrer Ausbildung sei es in den Geistes- oder Wirtschaftswissenschaften, sei es in sozialpädagogischen Berufsfeldern ein besonders ausgeprägtes Gefühl für Sprache entwickelt haben. In jedem Fall handelt es sich nicht um Philologen oder Linguisten. Aufgabe der Muttersprachler ist es, dafür zu sorgen, daß die Lernenden im Englischen, Französischen oder Spanischen mit einer Sprachverwendung konfrontiert werden, die der Lebenswirklichkeit im Alltag entspricht. Die deutschen Autoren haben dagegen für Kontinuität mit der (angeblich bewährten) fremdsprachendidaktischen Tradition und für die Übereinstimmung mit Richtlinien und Vorschriften zu sorgen, ohne die Lehrbücher keinen Eingang in die Schulstuben finden. lFlLILIL 31 (2002) Ein Modell für Europa: Muttersprachler an die Front! 111 2.6 Muttersprachler beim Tandemlernen Zu den alternativen methodischen Verfahren, die zunehmend als wirksames Instrument zum Fremdsprachenerwerb bezeichnet werden, gehört das Tandemlernen. Bei dieser Form der Partnerarbeit unterstützen sich Muttersprachler jeweils gegenseitig beim Erwerb der Sprache des Partners, indem sie miteinander sprechen und gemeinsam Aufgaben lösen, während sie sich gleichzeitig sprachlich korrigieren und verbessern. Dabei handelt es sich in der Regel um ganz normale Sprachschüler, die über keine besonderen Lehrfähigkeiten verfügen. Zwar arbeiten sie meist mit didaktisch aufbereiteten Materialien, sind aber keineswegs zuvor in sprachspezifischen Vermittlungspraktiken besonders geschult worden. Der traditionelle Lehrer hat bei dieser Lernform nur beratende und unterstützende Funktion. Offensichtlich gilt auch hier: wer eine Sprache als Muttersprache beherrscht, kann anderen, die diese Sprache lernen wollen, gut und wirksam dabei helfen. 2.7 Der Muttersprachler als „heimlicher Sprachlehrer" Daß das Hörverstehen beim Sprachenlernen eine nicht unbedeutende Rolle spielt, ist seit langem bekannt. Ich gehörte mit zu den ersten, die sich in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts dafür eingesetzt haben, Hörverstehensübungen zu entwickeln und einzusetzen, weil der Spracherwerb dadurch gezielt gefördert werden könne (Freudenstein 1970). Bis zu dieser Zeit waren Hörverstehensübungen als Bestandteile eines fremdsprachlichen Lehrgangs unbekannt. Zwar ist das Hörverstehen längst kein „Stiefkind" des Sprachunterrichts mehr, von einer systematischen Ausbildung dieser „passiven" sprachlichen Fertigkeit, die als Grundlage für darauf aufbauende „aktive" sprachliche Aktivitäten dient, kann aber beileibe nicht die Rede sein. Was die Schule bis heute nicht leistet, machen Radio und Fernsehen allerdings möglich. Kinder lernen Englisch, wenn sie sich die Sesamstraße im Original anschauen. Erwachsene frischen ihre Sprachkenntnisse auf, wenn sie die Originalfassung eines Films im Fernsehen oder im Kino sehen. Die BBC oder die Deutsche Welle haben unzähligen Menschen in aller Welt geholfen, über Funk Englisch und Deutsch zu lernen. Hier sind Muttersprachler so etwas wie „heimliche Sprachlehrer", die ganz entscheidend dazu beitragen, daß fremde Sprachen in der Wirklichkeit des uns umgebenden Alltags aufgenommen und verstanden werden können. 3. Warum es Vorbehalte gegen Muttersprachler gibt Die wenigen angeführten Beispiele zeigen bereits, daß es genug Argumente gibt, die dafür sprechen, darüber nachzudenken, ob man den schulischen Fremdsprachenunterricht nicht denen überlassen sollte, die über eine muttersprachliche Kompetenz verfügen. Warum dies nicht geschieht, hat viele Gründe. Da gibt es zum einen verwaltungstechnische und beamtenrechtliche Vorschriften, die eine Übernahme von Ausländern in den lFLl.llL 31 (2002) 112 Reinhold Freudenstein Schuldienst verhindern. Deutsche Lehrer verfügen über eine Facultas docendi für mindestens zwei Unterrichtsfächer, während in anderen Ländern nur ein Fach notwendig ist. Trotz der freien Wahl des Arbeitsplatzes innerhalb der Europäischen Union sind althergebrachte Denkstrukturen sowohl in der Bevölkerung a1s auch in den Amtsstuben noch längst nicht überwunden. Franzosen oder Italiener gelten nach wie vor als „Ausländer" und nicht·als Europäer aus Frankreich oder Italien. Zum anderen ist das Vorurteil weit verbreitet, Fremdsprachenlehrer müßten die Sprache ihrer Schüler genau kennen, weil sie nur dann Verständnis für deren Lernprobleme beim Erwerb einer Fremdsprache haben und ihnen helfen könnten, sie zu überwinden. Daß dies nicht stimmen kann, läßt sich leicht erklären. Seit jeher unterrichten Deutsche in unseren Schulen .fremde Sprachen, müßten also die Lernprobleme ihrer Schüler kennen; dennoch haben sie es bisher nicht vermocht, ihnen selbst nach sieben und mehr Jahren systematisch erteilten Unterrichts eine Fremdsprache als verläßliches Kommunikationsmittel beizubringen. Wie sprach- und hilflos sich Abiturienten beim ersten Auslandsaufenthalt vorkommen, hat Piepho einmal treffend formuliert, als er ausführte, daß man erst auf der Oberstufe der Realschule oder des Gymnasiums mit der Redebereitschafteiniger weniger Schüler rechnen dürfe, "denen eine natürliche Orientierungsfähigkeit im Sprachlichen, ein Auslandsaufenthalt oder häusliche Begegnungen mit Ausländern Anstöße, Motivation und die nötige Übung vermittelt hatte. Von einer systematischen oder zumindest geordneten Entfaltung der Sprechfähigkeit [während des Unterrichts in der Schule] konnte aber nie die Rede sein" (1974: 7 t). Dreißig Jahre später gilt diese Aussage noch immer. Anhand vieler Beispiele läßt sich nachweisen, daß möglicherweise gerade Lehrer, die die Sprache ihrer Schüler nicht kennen, am erfolgreichsten sind; verwiesen sei hier z.B. auf die international zusammengesetzten Lerngruppen in den Goethe~Instituten oder auf das Partnerlernen im Tandem. Vorbehalte gegenüber Muttersprachlern als reguläre Lehrkräfte im deutschen Schulwesen haben schließlich auch mit der traditionellen Ausbildung deutscher Fremdsprachenlehrer zu tun hat. Das läßt sich am folgenden Beispiel gut verdeutlichen. Vor etwa dreißig Jahren veröffentlichte ein Muttersprachler in der Rubrik Would you have marked it wrong? einer fremdsprachlichen Fachzeitschrift die englische Klassenarbeit eines (bilingualen) Jungen, der die siebte Klasse des Gymnasiums in einer deutschen Großstadt besuchte (Speight 1977). In dieser Arbeit waren von einem deutschen Lehrer vier Fehler angestrichen worden, die der (mlittersprachige) Vater des Jungen nicht als Fehlerbetrachtete und der darum die Note „befriedigend" in einem Brief an den Lehrer als „absolutely ridiculous" bezeichnete. Der Lehrer beantwortete dieses Schreiben, indem er seine Beurteilung unter Berufung auf formal-grammatische und pädagogische Gründe rechtfertigte, dabei die umgangssprachlich geläufigen und kommunikativ völlig richtigen Sprachgewohnheiten Englisch sprechender Menschen außer Acht ließ und folgerte: "Ich sehe mich nicht in der Lage, an den von mir bemängelten Stellen oder an der Gesamtzensur etwas zu ändern'' (Speight 1977: 157). Daß dieses Beispiel durchaus keine Ausnahme darstellt und sich auch heute noch auf ähnliche Weise in deutschen Schulen wiederholen kann, beweist der Bericht eines bilingualen Schülers, der über das Korrekturverhalten seiner deutschen Englischlehrerin schrieb: "What we wrote was right. She can't say it's FLUllL 31 (2002) Ein Modell für Europa: Muttersprachler an die Front! 113 a mistake just because she' d like to have it different" (Mader 1999: 9). Lehrer, die eine Fremdsprache auf der Grundlage grammatischer Regeln und formaler Kriterien lernen, die eine Ausbildung durchlaufen, in der Vorlesungen und Seminare von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen auf deutsch ablaufen und die weder in ihrer Studienzeit noch während ihres Berufslebens zu einem Auslandsaufenthalt verpflichtet sind solche Lehrer können kein Sprachgefühl entwickeln, das der lebendigen und sich stets wandelnden Wirklichkeit einer fremden Sprache entspricht. Muttersprachler hingegen besitzen ein solches Sprachgefühl und sind deshalb die besseren Sprachenkönner, die über ideale Voraussetzungen verfügen, es an andere weiterzuvermitteln. 4. Merkmale eines guten Fremdsprachenlehrers Als es in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts darum ging, das Lernziel "Kommunikationsfähigkeit" beim Lehren fremder Sprachen umzusetzen, wurden erstmals auch Interaktionsformen im Klassenraum wissenschaftlich analysiert. Auf der Grundlage eines Beobachtungssystems von N. A. Flanders versuchte man zunächst in den USA (Grittner 1969: 327 ff), das Unterrichtsverhalten von Fremdsprachenlehrern genauer kennenzulernen. Gertrude Moskowitz gehörte zu den ersten, die auf diesem Gebiet konkrete Ergebnisse vortragen konnte (Freudenstein 1976). Sie hatte zwei Lehrergruppen über einen längeren Zeitraum hindurch während ihres Unterrichts beobachtet und sowohl ihr verbales als auch ihr nichtverbales Verhalten anhand eines Analysesystems eingehend protokolliert. Dabei unterschied sie zwischen „typischen" und „überdurchschnittlich guten" (outstanding) Lehrkräften. Man mag sicherlich anhand der inzwischen weiterentwickelten Beobachtungsverfahren vielerlei Einwände gegen das von Moskowitz benutzte Forschungsdesign anführen können. So dürfte z.B. das von ihr angewandte Verfahren zur Auswahl der untersuchten Lehrer nicht unumstritten sein. Die Forscherin hatte mehrere Tausend Studierende gebeten, sich an ihre High- School-Zeit zu erinnern und dabei Französisch- und Spanischlehrer zu benennen, die einen besonders positiven Eindruck bei ihnen hinterlassen hatten; diese Lehrkräfte wurden dann als outstanding bezeichnet. Auch der von Flanders übernommene Beobachtungsrhythmus, bei dem das Lehrerverhalten alle drei Sekunden unter Beachtung von zehn Beobachtungskategorien gekennzeichnet werden mußte, dürfte heute nicht mehr uneingeschränkt akzeptiert werden. Dennoch sind das Anliegen und der Ansatz von Moskowitz realitätsnah, praxisbezogen und darum nach wie vor relevant, weil sich generelle Trends und Tendenzen abzeichnen, die internationale Gültigkeit besitzen dürften. Unter den Merkmalen, die den guten Fremdsprachenlehrer auszeichnen, greife ich im Folgenden nur diejenigen auf, die im Zusammenhang mit Ausbildungspraktiken von deutschen Lehramtsstudierenden fremdsprachlicher Fächer stehen. Was zeichnet nach Moskowitz gute Fremdsprachenlehrer aus? a) Sie benutzen im Unterrichtsgespräch mit den Schülern vornehmlich die fremde Sprache. b) Sie beherrschen die fremde Sprache sehr gut (excellent). lFLl.lL 31 (2002) 114 Reinhold Freudenstein c) Es geht ihnen vornehmlich um die Ausbildung der Sprechfertigkeit, weniger um stilles Lesen und schriftliche Aufgaben. d) Sie sprechen während des Unterrichts weniger häufig als ihre Schülerinnen und Schüler. e) Ihr nichtverbales und motorisches Verhalten ist stark ausgeprägt. f) Sie bemühen sich um ein entspanntes Lernklima, d.h. sie praktizieren einen sozialintegrativen Führungsstil. g) Sie sprechen ihre Schülerinnen und Schüler weniger häufig direkt, dafür umso mehr indirekt an. h) In methodischer Hinsicht sind sie einfallsreich und vielfältig. i) Sie benutzen weniger häufig (als die Schüler) die Tafel. j) Auf Schülerfehler reagieren sie sofort, geduldig und nachsichtig. Diese Merkmale können den folgenden Bereichen zugeordnet werden: 1. Sprachbeherrschung und Sprachgebrauch (vgl. die Merkmale a bis c), 2. Methodik und Didaktik (Merkmale d, e, g bis i), 3. Sozialverhalten (Merkmale f und j), wobei anzumerken ist, daß sich einige dieser Merkmale durchaus mehreren Bereichen zuordnen lassen. Betrachtet man den typischen Werdegang eines deutschen Fremdsprachenlehrers, wird schnell erkennbar, daß genau diesen drei Bereichen in den herkömmlichen Ausbildungsgängen keine zentrale Bedeutung zukommt. Die Sprachausbildung konzentriert sich in der Regel auf formal-grammatische Kenntnisse und historische Sprachwissenschaft; noch immer gilt das Übersetzen als ein wichtiger Nachweis für fremdsprachliche Kenntnisse, obwohl es sich um eine spezielle Fertigkeit handelt, die für Lehrer irrelevant ist, auch wenn sie in einigen Bundesländern dazu verpflichtet sind, Übersetzungsübungen mit ihren Schülern zu pflegen. Didaktik in der Hochschulausbildung beschränkt sich auf kurzfristige Praktika, die von Schulpraktikern und nicht von Hochschullehrern betreut werden. Vorlesungen und Seminare aus den Bereichen Erziehungswissenschaft und Psychologie sind zwar in vielen Universitäten 1m Curriculum von Lehramtsstudierenden obligatorisch verankert; die dafür nachzuweisenden Semesterwochenstundenzahlen schwanken jedoch in den einzelnen Bundesländern für die gesamte Ausbildungszeit zwischen zwei und zwanzig Stunden, und das inhaltliche Angebot orientiert sich in erster Linie an Arbeitsschwerpunkten von Hochschullehrern und Dozenten und nicht an notwendigen Orientierungshilfen für Studierende fremder Sprachen. So kann beispielsweise ein künftiger Französischlehrer an der Philipps-Universität in Marburg seine erziehungswissenschaftlichen Pflichtveranstaltungen mit Themen wie „Die sowjetische Pädagogik bis zum Beginn der Stalin-Ära", mit Analysen ausgewählter Werke von Pestalozzi, mit „Energie-Erziehung" als einem ökologischen Schlüsselproblem oder mit einem Vergleich von Schulreformkonzepten aus den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts abdecken. Verpflichtende Vorlesungen wie eine „Einführung in die Lernpsychologie", "Methodische Konzepte beim Lehren und Lernen fremder Sprachen" oder „Probleme der mündlichen Leistungsmessung" sind nirgends vorgeschrieben. Anders ausgedrückt: der Ausbildungsgang eines Fremdsprachenlehrers in Deutschland richtet sich an völlig anderen Inhalten aus, als es für ein erfolgreiches Berufsleben notwendig wäre. Orientiert lFILIJJlL 31 (2002) Ein Modell für Europa: Muttersprachler an die Front! 115 man sich an den Merkmalen eines guten Fremdsprachenlehrers, die bereits seit über zwanzig Jahren bekannt sind, schneiden pädagogisch geschulte Muttersprachler ohne Zweifel erheblich besser ab als Lehrer mit einem deutschen Staatsexamen. 5. Über die traditionelle Ausbildung fremdsprachlicher Lehrkräfte Versuche, die neuphilologische Ausbildung von Fremdsprachenlehrern zu verändern, sind in der Vergangenheit häufiger unternommen worden, haben jedoch die universitären Ausbildungsstrukturen, bei denen es um eine humanistische Bildung von Gelehrten und nicht um eine solide Ausbildung von professionellen Lehrern geht, bislang nicht in Frage stellen können. Das liegt nicht zuletzt daran, daß Reformbestrebungen stets bemüht waren, neue Aufgaben mit historisch überlieferten Inhalten zu verbinden, anstelle antike Vorstellungen über Bord zu werfen. So sprach sich z.B. vor etwa dreißig Jahren der Fachverband Moderne Fremdsprachen (FMF) für eine Professionalisierung des Lehrerberufs aus und beschrieb in diesem Zusammenhang Tätigkeitsmerkmale, für die Fremdsprachenlehrer (eigentlich) ausgebildet sein müßten. Schaut man sich die damals konzipierte Taxonomie im einzelnen an, ist rückblickend kaum zu verkennen, daß es weniger um ein grundlegend neues Konzept, sondern in weiten Teilen nur um die Perpetuierung herkömmlicher Praktiken unter Verwendung zeitgemäßer Terminologie ging (Hüllen 1973). In dem umfangreichen Katalog von Aufgaben, die Lehrer fremder Sprache zu erfüllen haben, ist z.B. nicht an einer einzigen Stelle zu lesen, daß die sprachliche Aus- und Fortbildung einen wichtigen Stellenwert einnehmen müßte. Dafür werden in mehr als 50 Punkten und Unterpunkten detaillierte Anforderungen aufgelistet, die traditionelle Unterrichtspraktiken aufgreifen und an keiner Stelle grundlegende Veränderungen signalisieren, z.B. das „Auswerten lehrrelevanter Strukturen", das „Verwenden von Lautschrift als Unterrichtshilfsmittel" oder die „fachwissenschaftliche Analyse von Texten". Neu war in diesem Zusammenhang eigentlich nur die Aufnahme von inzwischen verfügbar gewordenen neuen Lernmitteln (Sprachlabor) und Prüfverfahren (Testen). Im übrigen aber soll der Fremdsprachenlehrer nichts weiter tun, als "seine in Studium, Ausbildung und Praxis erworbenen fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Kenntnisse anhand neuer wissenschaftlicher Entwicklungen erweitern und überprüfen und für seinen Unterricht verfügbar machen. Er muß besonders Disziplinen erarbeiten, die zur Zeit seines Studiums wenig prominent waren, wie angewandte Linguistik, Textwissenschaft, Testkunde" (Hüllen 1973: 198). · Mit anderen Worten: Fremdsprachenlehrer sollen sich durch Kontaktstudien, Fernstudien, auf Kongressen, Tagungen und Lehrgängen nicht etwa deswegen Kenntnisse aneignen, weil sie das ihnen auf der Hochschule vermittelte Wissen aktualisieren würden, sondern einfach deshalb, weil sie damit während ihrer universitären Ausbildung überhaupt nicht in Kontakt gekommen sind. Die Diskrepanz zwischen dem, was die Universität vermittelt, und dem, was zur Bewältigung der täglichen Unterrichtspraxis notwendig ist, hat sich bis heute unverändert am Leben erhalten. Darum fordert Schröder lFlLlllL 31 (2002) 116 Reinhold Freudenstein (2001: 192), der Vorsitzende des FMF und einer der einflußreichsten Fremdsprachenpolitiker der Gegenwart, in einer Expertise für die Kultusministerkonferenz: "In der Ersten Phase der Lehrerbildung müssen die sprachpraktischen und fremdsprachendidaktischen Studienanteile erhöht werden; das Fremdsprachenstudium muß einen kulturwissenschaftlichen Kern erhalten, der nicht nur aus Literaturwissenschaft besteht; Auslandsaufenthalte müssen Pflichtbestandteil des Studiums werden; die praktizierenden Lehrerinnen und Lehrer müssen zur Fortbildung verpflichtet werden." Wenn Schröder Studienanteile erhöhen und nicht nur die Literaturwissenschaft als Teil der Kulturwissenschaften verstanden wissen will, so setzt auch er die unheilvolle Tradition fort, lediglich Modifikationen verwirklicht sehen zu wollen; eirie radikale Reform hält er offensichtlich für nicht durchsetzbar. Bei einer solchen Strategie bleibt die Unterrichtspraxis von Fremdsprachenlehrern jedoch weiter von dem bestimmt, was sie selbst als Schülerinnen und Schüler erfahren haben und was ihnen in der zweiten Ausbildungsphase von Praktikern auferlegt worden ist, nachdem sie im Studienseminar mit den Worten empfangen worden sind: "Nun vergessen Sie erst einmal alles, was Ihnen auf der Universität beigebracht worden ist." Daß sich an der Grundhaltung, existierende Strukturen zu erhalten und nkht grundlegend zu erneuern, bis heute nichts geändert hat, beweist eine Erklärung der 22. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts zur Ausbildung von Fremdsprachenlehrerinnen und Fremdsprachenlehrern. Sie wurde angesichts der aktuellen bundesweiten Diskussion um Fragen der Lehrerausbildung im März 2002 verfaßt und versteht sich als Vorankündigung künftiger konkreter Vorschläge für ein Lehramtsstudium im Bereich der neueren Fremdsprachen. Wie eine solche Ausbildung gestaltet . sein müßte, läßt sich aus den vorliegenden Formulierungen aber bereits in groben Zügen ablesen. Da wird z.B. gefordert, daß die Lehrerbildung auch weiterhin eine wissenschaftliche Ausbildung sein müsse, wogegen grundsätzlich nichts einzuwenden wäre, würde das Wort weiterhin nicht eine Fortführung der philologischen Tradition suggerieren. Weiter heißt es, die erste Ausbildungsphase dürfe nicht als bloße Vermittlung beruflich verwertbarer Fertigkeiten mißverstanden werden, sondern es müsse vielmehr die Fähigkeit zur theoriegeleiteten Reflexion des Sprachenlehrens und des Sprachenlernens in ihren historisch-politischen, gesellschaftlichen, institutionellen und individuellen Bedingungen entwickelt werden. Auch in dieser Erklärung ist nichts von guten bis perfekten Sprachkenntnissen zu lesen, ohne die ein Gespräch, eine Diskussion, schon gar nicht ein Diskurs in eitler fremden Sprache möglich sind. Mit anderen Worten: weiter so wie bisher hier und da andere Akzente, aber keine wirklich neuen Wege. 6. Fremdsprachenlehrkräfte in der Grundschule Meine Überzeugung, daß gute Fremdsprachenlehrer nicht durch die herkömmliche Ausbildung an der Hochschule dazu gebracht werden können, erfolgreichen Unterricht zu erteilen, sehe ich durch Aktivitäten im Bereich des Fremdsprachenfrühbeginns belFLuL 31 (2002) Ein Modell für Europa: Muttersprachler an die Front! 117 stätigt. Während des Internationalen Jahr des Kindes (1979), zu einer Zeit also, als zumindest in Deutschland - Fremdsprachenunterricht in der Grundschule kaum diskutiert wurde, veranstaltete die Federation Internationale des Professeurs de Langues Vivantes (FIPLV) ein Symposium in der Schweiz, bei dem es darum ging, das Fremdsprachenlernen im Kindesalter als ein wichtiges und notwendiges Arbeitsfeld der Zukunft zu erörtern. Damals bezeichnete ein ungarischer Wissenschaftler die Ausbildung von Fremdsprachenlehrerinnen, die Vorschulkurse unterrichten, als „sehr unterschiedlich: sie reicht vom Selbststudium über praktische Erfahrungen und kurze Fortbildungskurse bis hin zum engagierten, persönlichen Einsatz. Viele Lehrerinnen sind auf diese Weise erfolgreiche Erzieherinnen geworden" (Dezsö 1980: 83). Diese Kennzeichnung der damaligen Situation galt nicht nur für Ungarn, sondern in gleicher Weise für viele andere Länder und sie gilt uneingeschränkt bis heute. Deutsche Lehrerinnen, die in der Grundschule Fremdsprachen unterrichten, haben in den allerseltensten Fällen eine entsprechende Ausbildung an der Hochschule erfahren, und doch erteilen sie einen Unterricht, der dazu geführt hat, daß der Fremdsprachenunterricht in der Grundschule heute in den meisten Bundesländern flächendeckend eingeführt ist. Das ist das Ergebnis engagierter Praktiker, die sich für eine Sache einsetzen, die sie für lohnenswert halten, sei es mit oder ohne ministerielle Genehmigung. Erwarten sollte man Anstöße für derartige substantielle Veränderungen in der Bildungslandschaft eigentlich von der pädagogischen Forschung, speziell von der Sprachlehr- und Sprachlernforschung; sie hat bisher jedoch immer nur nachträglich auf bereits erfolgte Veränderungen reagiert, kritisch analysiert und damit in vielen Fällen Reformwillige eher verunsichert, als sie in ihrem Bemühen zu unterstützen. Ein Beispiel aus jüngster Zeit dürfte dafür die Untersuchung zum Stand des Fremdsprachenunterrichts im Primarschulbereich in verschiedenen Ländern der Europäischen Union sein (Blondin [et al.] 1998). Folgte man den darin formulierten Empfehlungen zum Fremdsprachenunterricht in der Grundschule, würde man seine Einführung eher verhindern als ihn gezielt fördern. Während des erwähnten FIPLV-Symposiums wurde u.a. die Notwendigkeit einer guten Sprachbeherrschung als Voraussetzung für einen effektiven Unterricht betont: „Ziel des praktischen Sprachunterrichts [für Lehrkräfte im Primarschulbereich] ist eine möglichst fließende Beherrschung der Fremdsprache" (Dezsö 1980: 84). Eine solche Sprachbeherrschung kann bei Muttersprachlern als gegeben vorausgesetzt werden. Studierende des Lehramts können ein solches Ziel kaum jemals erreichen. Darum sollten sie durch Pädagogen ersetzt werden, die das, was sie unterrichten, perfekt beherrschen. Eine derart radikaler Einschnitt in das Gefüge des Berufsstands der Lehrer ist natürlich nicht kurzfristig erreichbar. Für die gegenwärtige Situation habe ich darum einmal eine Rangliste für Fremdsprachenlehrende im Grundschulbereich erstellt, die drei Stufen umfaßt; mit entsprechenden Modifikationen halte ich sie auch für Lehrende im Sekundarschulbereich für richtig und angemessen, wenn wir das Lernziel „Kommunikationsfähigkeit" in allgemeinbildenden Schulen im Kontext einer Erziehung zur Mehrsprachigkeit umsetzen wollen: ~ JFLm, 31 (2002) 118 Reinhold Freudenstein "1. Die beste Lehrerwahl sind Muttersprachlerinnen mit einer abgeschlossenen Sprachlehrerausbildung und einem grundschulpädagogischen Wissen. [...] 2. Die nächstbeste Möglichkeit sind Grundschullehrer mit einer Lehrbefähigung zum Unterrichten einer Fremdsprache. [...] 3. Erst danach sollten die ,Enthusiasten' zum Zuge kommen dürfen, die Freude an einer Fremdsprache haben, die längere Auslandsaufenthalte nachweisen können und die sich regelmäßig an Fortbildungsveranstaltungen beteiligen. Ihre Arbeit sollte, wo immer möglich, in Teamarbeit mit Originalsprechern einer Fremdsprache erfolgen" (Freudenstein 2000). Grundschullehrer wissen, wie man kindgerecht unterrichtet; für den Fremdsprachenunterricht brauchen sie nur noch zu lernen, wie man dies auf Englisch, Französisch, Italienisch oder in irgendeiner anderen Sprache am besten machen kann. Wie Muttersprachler wirksam dazu beitragen können, andere sprachlich zu fördern, läßt sich gut an einem Beispiel aus dem Bereich Deutsch als Fremdsprache illustrieren. Aussiedler, Asylanten, Gastarbeiter und andere Personengruppen, die sich in Deutschland aufhalten, weil sie hier leben und arbeiten, stehen in sehr unterschiedlichen Situationen vor der Aufgabe, Deutsch zu lernen. Vor allem am Arbeitsplatz in einer Fabrik oder in einem mittelständigen Betrieb sind es dann oft deutsche Muttersprachler, etwa Vorarbeiter oder Meister, die plötzlich zum „Sprachlehrer" werden. Ihnen ist bis heute kaum Hilfe für diese Aufgabe geboten worden, sieht man einmal vom Projekt „Eurotrain" ab (Beneke 1995). Dabei handelt es sich um Qualifizierungsmodule für den berufsbezogenen Fremdsprachenunterricht in Klein- und Mittelbetrieben, bei denen es neben interkulturellem Lernen und fachsprachlicher Kompetenz auch um Methodik und Didaktik beim Gebrauch der deutschen Sprache am Arbeitsplatz geht (Freudenstein 1995). Solange der als professioneller Fremdsprachenlehrer ausgebildete Muttersprachler nicht flächendeckend zur Verfügung steht, halte ich solche Projekte für zeitgemäß und notwendig, um für eine einigermaßen fundierte sprachliche Ausbildung sorgen zu können. 7. Eckdaten für eine neue Lehrergeneration Die Forderung, künftig nur noch Muttersprachler als Fremdsprachenlehrer einzusetzen, ist ein hoch gestecktes Ziel, das sich nur bei langfristiger Planung in ferner Zukunft verwirklichen läßt, weil die dafür notwendigen Voraussetzungen nicht kurzfristig geschaffen werden können. Vor allem wird es zunächst darauf ankollllllen, sich einschränkungslos dafür einzusetzen, daß sich schulischer Fremdsprachenunterricht konsequent auf kollllllunikative Fertigkeiten und Fähigkeiten konzentriert, denn Muttersprachler sollen nur dann als Regellehrer in Betracht kollllllen, wenn es primär um die Ausbildung einer solchen Sprachkompetenz in Alltags-, Berufs- und Freizeitsituationen geht. Mehrsprachigkeit in Europa ist nur dann erreichbar, wenn vom schulischen Konzept der Langzeitkurse endlich und endgültig Abschied genollllllen wird. Beginnt der Fremdsprachenunterricht schon in der Grundschule und wird bilingualer Sachfachunterricht bereits auf der Sekundarstufe I zur Regel, können künftig unter Beibehaltung der für den Fremdsprachenunterricht heute zur Verfügung stehenden Stundenzahl mindestens drei Fremdsprachen als Regelangebot unterrichtet werden. Dabei gehe ich davon aus, daß lFlLllL 31 (2002) Ein Modell für Europa: Muttersprachler an die Front! 119 keine Sprache länger als vier Jahre auf dem Stundenplan steht. Das läßt sich verwirklichen, wenn man den Sprachunterricht auf den Erwerb einer umgangssprachlich relevanten Kompetenz konzentriert. Einblicke in Struktur und Wesen von Sprache, wie sie über den Grammatikunterricht erreicht werden sollen, können ebenso ausgespart bleiben wie literarische Textarbeit, die bisher den fremdsprachlichen Unterricht von Anfang an nicht nur am Gymnasium, sondern in allen Schulformen sowohl explizit als auch implizit belastet hat. Das bedeutet keinesfalls, daß das interkulturelle Lernen damit automatisch aus dem Aufgabenbereich des Fremdsprachenunterrichts herausgenommen würde. Im Gegenteil: nur dann, wenn eine Sprache im Umgang mit Muttersprachlern gelernt und auf dieser Grundlage gut beherrscht wird, kann auch Nähe und Ferne zur eigenen Muttersprache zur persönlichen Erfahrung werden ein Ziel, das sich im kopfgesteuerten Fremdsprachenunterricht nur annäherungsweise erreichen läßt. Der Vorwurf, daß damit eine bewährte Tradition deutscher Fremdsprachendidaktik verlassen wird, trifft nicht zu. Erstens hat sich diese Fremdsprachendidaktik nicht bewährt, da sie ihre Ziele in der Vergangenheit nicht erreicht hat. Zweitens war diese Zielsetzung für eine Schülerpopulation festgelegt worden, die heute nicht mehr existiert. Fremdsprachenunterricht wird auch am Gymnasium nicht mehr für eine auserlesene Elite erteilt, sondern ist ein gesamtgesellschaftliches Anliegen geworden, das alle Bevölkerungsschichten umfaßt. Die hehren philologischen Ziele von einst, die mit der Textarbeit auf der Oberstufe des Gymnasiums und mit den Prüfungsanforderungen im Abitur allen Schülerinnen und Schülern aufgezwungen werden, obwohl deren persönliche und berufliche Zukunft ganz andere Interessen nahelegen, sind in einer gewandelten Welt nicht mehr zeitgemäß. Ich plädiere keineswegs für eine ersatzlose Streichung der Textarbeit auf der gymnasialen Oberstufe, wehre mich aber dagegen, daß sie allen Schülerinnen und Schülern zwangsweise vorgeschrieben wird. Auch künftig sollen literarische Kurse das Oberstufencurriculum bereichern, aber nur für diejenigen, die daran Interesse haben oder deren Interesse daran vielleicht geweckt werden könnte. Für solche Kurse werden dann auch weiterhin Deutsche, die Fremdsprachenphilologie studiert haben, notwendig sein, denn muttersprachliche Kenntnisse sind für einen solchen Unterricht nicht erforderlich, weil es um andere Inhalte als um ein flexibles umgangssprachliches Verhalten geht. Solange sich die Inhalte des Fremdsprachenunterrichts auf der Sekundarstufe II nicht ändern, werden sehr viele Schülerinnen und Schüler weiterhin Fremdsprachen abwählen, obwohl sie Fremdsprachen nach dem Abitur brauchen werden. Zydatiß hat recht, wenn er die „Gretchenfrage" stellt: „In welcher Weise geht die Mehrzahl der heutigen Abiturienten mit der Zielsprache Englisch nach der Schule um? Sicherlich wird sich nur eine Minderheit im strengen philologischen (textanalytischen und -interpretatorischen) Sinne mit dieser Sprache weiter beschäftigen" (Zydatiß 2001: 217). Nur eine Minderheit? So gut wie niemand wird dies tun nicht auf englisch und schon gar nicht auf französisch. Für die Inhalte eines Fremdsprachenunterrichts, der die umgangssprachliche Kommunikation zum Ziel hat, die junge Menschen für ihr Berufsleben brauchen, sind keine Philologen notwendig, sondern Pädagogen, die die zu lernenden ]F]LllJllL 31 (2002) 120 Reinhold Freudenstein Sprachen sicher, natürlich, kompetent und differenziert beherrschen und: die gelernt haben, ihre Spracherfahrungen an andere weitergeben zu können. 8. Fünf Postulate für ein Ausbildungskonzept Ich glaube, daß nur eine völlige Trennung von bisherigen Praktiken einen neuen Lehrertyp prägen kann, den wir brauchen, um die sprachlichen Voraussetzungen für die Bürger einer multikulturellen und multilingualen Gesellschaft in Europa zu schaffen. Das erste Postulat lautet: MAN NEHME EINEN MUTTERSPRACHLER. Diese Muttersprachler sollten die Sprache, mit der sie aufgewachsen sind, in einer allgemein akzeptierten Variante beherrschen. Ihr Berufsziel sollte sein, ihre Muttersprache als Fremdsprache unterrichten zu wollen. Das zweite Postulat lautet: MUTTERSPRACHLICHE FREMDSPRACHENLEHRENDE WERDEN SO AUSGEBIWET, DASS SIE SOWOHL AUF DER PRIMARSTUFE ALS AUCH AUF DER SEKUNDARSTUFE I UNTERRICHTEN KÖNNEN. Diesem Postulat liegt die Überzeugung zugrunde, daß ein fließender Übergang von der Grundschule auf die Sekundarstufe I nur dann gewährleistet werden kann, wenn sowohl die institutionellen als auch die pädagogisch-psychologischen Bruchstellen zwischen beiden schulischen Ausbildungsabschnitten vermieden werden. Dies ist gewährleistet, wenn die Verantwortung für die Jahrgangsstufen 1 bis 10 einer Lehrerschaft übertragen wird, die für den diesen Unterricht gezielt ausgebildet worden ist. Eine solche strukturelle Konsequenz in Planungsüberlegungen für ein neues Ausbildungskonzept einzubeziehen ist sicherlich schwierig, weil es für viele undenkbar scheint, sich vom Philologen verabschieden zu müssen. Darum fehlen Ansätze dazu in der Fachdiskussion fast völlig. Lediglich bei Raasch sind Hinweise zu finden, die darauf schließen lassen, daß auch er einen solchen Weg für sinnvoll zu halten scheint, wenn er schreibt: „Es wäre im Sinne eines kontinuierlichen Lernens der Fremdsprache, daß die Ausbildung der Fremdsprachenlehrer auch in die Besonderheiten der jeweils anderen Lernphasen einführt; vielleicht wäre dies der geeignete Weg, die bestehende Kluft zwischen dem Fremdsprachenunterricht in der Grundschule und weiterführender Schule zu überbrücken; [...] Voraussetzung ist die institutionelle Zusammenarbeit der jeweiligen Ausbildungsstätten, die nicht immer nur strukturell getrennt sind" (Raasch 2001: 49 f). Das dritte Postulat lautet: DIE AUSBILDUNG KÜNFTIGER FREMDSPRACHENLEHRER ERFOLGT AUF WISSENSCHAFTLICHER GRUNDLAGE, ABER VON ANFANG AN BERUFSBEZOGEN. Die Ausbildung an einer Universität oder an einer Pädagogischen Hochschule sollte von Beginn an sowohl fachals auch berufsbezogen sein. Schwerpunkte sollten in den Bereichen der Grundschuldidaktik liegen und Methodik, Lernpsychologie und Evaluierungsverfahren für die Sekundarstufe I mit einschließen. Historische Linguistik und Literaturwissenschaft gehören nicht zum Kernbereich eines solchen Konzepts. Das vierte Postulat lautet: DIE AUSBILDUNG VON MUTTERSPRACHLERN ALS FREMDSPRACHENLEHRER ENTHÄLT EINE EINFÜHRUNG IN DIE UNTERSCHIEDLICHEN SCHULSYSTEME DER MITGLIEDS- STAATEN DER EUROPÄISCHEN UNION. Wenn Lehrer in anderen Ländern als denen, in denen sie aufgewachsen sind, unterrichten sollen, dann müssen sie mit den Arbeitsbedingungen ]F[,u]L 31 (2002) Ein Modell für Europa: Muttersprachler an die Front! 121 in den Schulsystemen dieser Länder vertraut sein. Dies bedeutet nicht, daß sie die Sprache ihrer künftigen Schüler lernen müßten; das ist schon allein aus dem Grund nicht möglich, weil niemand wissen kann, wo sein künftiger Arbeitsort einmal liegen wird. Überdies legen Erfahrungen aus dem Vorschulbereich nahe, daß der fremdsprachliche Erwerbsprozeß umso einfacher und schneller vonstatten geht, je weniger er durch die Muttersprache der Lernenden beeinflußt ist. Wenn Kinder wissen, daß sie nur in der Fremdsprache mit ihren Lehrern reden können, werden sie gar nicht erst den Versuch machen, es in ihrer Muttersprache zu versuchen. Das fünfte Postulat lautet: JEDER LEHRER ERWIRBT DIE FAKULTAS FÜR MINDESTENS EIN SACHFACH IM RAHMEN SEINER KÜNF- TIGEN UNTERRICHTSVERPFLICHTUNGEN AUF DER SEKUNDARSTUFE/ . Für den Unterricht ab Jahrgangsstufe I sollte jeder Lehrer mindestens ein Sachfach studieren, das er während seiner Berufszeit bilingual unterrichten kann. Ein zweites Sachfach kann im Rahmen einer Erweiterungs- oder Ergänzungsprüfung hinzugewählt werden. Eine solche Regelung übertragt die gymnasiale Tradition, nach der Lehrer sowohl auf der Sekundarstufe I als auch auf der Sekundarstufe II unterrichten können, auf eine zeitlich früher liegenden Zeitraum. Damit wird gleichzeitig dafür Sorge getragen, daß sich die berufliche Belastung beim Unterricht relativ junger Kinder einerseits und Jugendlicher in der schwierigen Phase der Pubertät einigermaßen gleichmäßig verteilt und den Lehrenden einen Arbeitsalltag vermittelt, der abwechslungsreich und weniger einseitig ausgerichtet ablaufen kann. Mehr als hundert Jahre lang ist der RufVietors Der Sprachunterricht muß umkehren! immer wiederholt und dennoch nicht erhört worden. Ich glaube, der Sprachunterricht hätte endlich eine erfolgreiche Chance zur Umkehr, wenn Sprachlehrer überall in Europa tatsächlich das lehren dürften, was sie wirklich können: ihre Muttersprache. Eine Utopie? Wer das glaubt, sei an ein Wort von Oscar Wilde erinnert, der einmal gesagt haben soll: "Progress is the realization of utopias." Literatur ALrusQUE IDEM (1986): Mister Knickerbocker und die Grammatik- oder warum der Sprachunterricht nicht umkehrt. München: Hueber. BAUSCH, Karl-Richard/ CHRIST, Herbert/ KRUMM, Hans-Jürgen (Hrsg.) (1995): Handbuch Fremdsprachenunterricht. Dritte Auflage. Tübingen: Francke. BENEKE, Jürgen (Hrsg.) (1995): Eurotrain. Manuskripte der Forschungsstelle für Interkulturelle Kommunikation Nr. 5 bis 10. Hildesheim: Universität. BLONDIN, Christiane [et al.] (1998): Fremdsprachen für die Kinder Europas. Ergebnisse und Empfehlungen der Forschung. Berlin: Comelsen. DEZSÖ, Laszl6 (1980): "Zur Ausbildung von Lehrerinnen für den frühen Fremdsprachenunterricht". In: FREUDENSTEIN, Reinhold (Hrsg.): Fremdsprachenlernen im Kindesalter. Fremdsprachenlernen im Vorschulalter und in den ersten Klassen der Grundschule. Dortmund: Lensing, 83-84. 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(Immanuel KANT, Kritik der reinen Vernunft) Die wissenschaftliche Einrichtung des Faches Deutsch als Fremdsprache (DaF) ist nach Henrici/ Koreik (1994: 3) in der Bundesrepublik Deutschland mit der Gründung des Heidelberger MA-Studiengangs „Deutsch als Fremdsprachenphilologie" im Jahr 1970 verbunden. Damit wurde der Sprachunterricht für Deutschlernende in den „Lehrgebieten" DaF an den Hochschulen um eine wissenschaftliche Komponente erweitert, der letztlich auch der Gedanke der Sprachverbreitungspolitik des Deutschen im Ausland zugrunde lag (vgl. Ammon 1991: 524 ff, Glück 1989). Während es ein Spezifikum des Heidelberger Magister-Studiengangs war und ist, daß ausländische Germanisten durch ein spezielles Studienangebot für eine Tätigkeit als Dozenten des Deutschen bzw. der Germanistik für ihre Heimatländer qualifiziert werden, lag der Schwerpunkt der DaF-Ausbildung an vielen deutschen Hochschulen zunächst auf der Ausbildung deutscher Muttersprachler für das Deutsche als Fremdsprache (DaF). Damit sollten Lehrkräfte ausgebildet werden, die DaF mit authentischer Sprach- und Kulturkompetenz im In- und Ausland vertreten können. Von den Studien her gesehen findet jedoch heute eine Differenzierung in Studien für deutsche und ausländische Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Rupprecht S. BAUR, Univ.-Prof., Universität Essen, Fachbereich Literatur- und Sprachwissenschaften, Lehrstuhl Deutsch als Zweit- und Fremdsprache, 45117 ESSEN. E-Mail: rs.baur@uni-essen.de Arbeitsbereiche: Methoden der Fremdsprachenvermittlung, Bilingualismus und Mehrsprachigkeit, Migration und Sprache, Phraseologie/ Parömiologie Marta KIS, M.A., Universität Essen, Fachbereich Literatur- und Sprachwissenschaften, Lehrstuhl Deutsch als Zweit- und Fremdsprache, 45117 ESSEN. E-Mail: marta.kis@uni-essen.de Arbeitsbereiche: Fremdsprachendidaktik ** Für Kritik und Anregungen sind wir Christoph Chlosta und Torsten Ostermann zu Dank verpflichtet. lFl.llL 31 (2002) 124 Rupprecht S. Baur, Marta Kis Studierende an den meisten Hochschulen nicht mehr statt. Die Studienangebote für DaF werden überwiegend von ausländischen und deutschen Studierenden gemeinsam wahrgenommen. Mit der Einführung von DaZ als einem Arbeitsfeldes, das sich auf die Arbeitsmigranten und ihre Kinder richtet (vgl. Mahler 1974, Meyer-Ingwersen [et al.] 1977), wurde das Fach erweitert, aber in gewisser Weise auch gespalten, da nun eine neue Adressatengruppe fokussiert wurde und da zusätzlich eine weitere Disziplin, nämlich die Pädagogik in Form der ,Ausländerpädagogik', die Verantwortung für die Ausbildung für die Lehrer/ innen von ausländischen Kindern mit übernahm (vgl. Helbig/ Götze/ Henrici/ Krumm 2001). Die Konzeption des Faches DaF, wie sie in den 70er Jahren insbesondere von Weinrich (1978) vertreten wurde, war an der philologischen Tradition des Faches Germanistik und der Sprachverbreitungspolitik des Auswärtigen Amtes orientiert. Die Tatsache, daß immer mehr Ausländer und Ausländerkinder in Deutschland lebten und in ihrem Sozialisationsprozeß sprachlich und pädagogisch unterstützt werden mußten, wurde von den Germanisten und DaF-Vertretern damals nicht als vordringliche Aufgabe ihres Fachs angesehen. Diese „Gastarbeiter-Linie", also das Fach Deutsch als Zweitsprache (DaZ), wurde in dieser Zeit hauptsächlich von Pädagogen im Rahmen des dort eingerichteten Fachs ,Ausländerpädagogik' betrieben, bevor sich auch die Germanistik in den 80er Jahren den linguistischen und sprachdidaktischen Inhalten von DaZ zuwandte. Die Benennungen der Zusatzstudiengänge können u. E. als Indikatoren auf die Sicht von DaZ in der Lehrerbildung gewertet werden. Im Jahr 1987 wurde beispielsweise an einigen Hochschulen in NRW der Zusatzstudiengang „Ausländerpädagogik einschließlich Deutsch als Fremdsprache/ Zweitsprache" eingerichtet. 1995 wurde der Zusatzstudiengang umbenannt in „Interkulturelle Pädagogik", im Jahr 2000 in „Deutsch als Zweitsprache/ Interkulturelle Pädagogik". Zunächst war der Zusatzstudiengang im Bewußtsein der einrichtenden Kultusadministration vornehmlich eine pädagogische Aufgabe, bei auch Anteile von DaZ dazu gehörten. 1 Mit dem Boom der „Interkulturellen Pädagogik" zu Beginn der 90er Jahre verschwand der sprachliche Anteil in der Benennung des Zusatzstudienganges ganz aus dem Namen. Dies ist ein Hinweis darauf, daß die Verantwortung der Interkulturellen Pädagogik für die Integration nicht-deutscher Kinder insgesamt als noch wichtiger angesehen wurde. Seit Ende der 90er Jahre wird das Bewußtsein für die sprachliche Seite der Integration wieder stärker. Das drückt sich auch in der Umbenennung in „Deutsch als Zweitsprache/ Interkulturelle Pädagogik" aus, in welcher der sprachliche Teil diesmal als DaZ deutlich markiert ist. Bis heute ist eine genaue Differenzierung der Angebote von DaF und DaZ allein von der Benennung her nicht möglich, da DaF häufig als Oberbegriff von DaF und DaZ benutzt wird, d. h. es ist durchaus möglich, daß ein Studium, das sich ausschließlich auf die Ausbildung von Lehrer/ innen für Kinder nicht deutscher Muttersprache bezieht, als "DaF"-Ausbildung bezeichnet ist. DaF und DaZ werden hier synonym verwandt, obwohl es sich inhaltlich gesehen eindeutig um DaZ handelt. lFLlllL 31 (2002) Lehrerausbildung in Deutsch als Fremdsprache und Deutsch als Zweitsprache 125 2. Deutsch als Fremdsprache und Deutsch als Zweitsprache: Unterschiede und Gemeinsamkeiten Aus der Sicht der Ausbildung von DaF- und DaZ-Lehrer/ innen stellt sich die Frage, inwiefern eine Trennung oder Verbindung von DaF und DaZ in der Ausbildung sinnvoll ist und inhaltlich gerechtfertigt erscheint. Im Handbuch ,Deutsch als Fremdsprache' werden die Unterschiede in der Ausbildung folgendermaßen charakterisiert: „Eine Ausbildung für Deutsch als Fremdsprache bezieht sich auf die Vermittlung des Deutschen im nichtdeutschsprachigen Ausland, während eine Lehrerausbildung in Deutsch als Zweitsprache auf einen Unterricht in deutschsprachiger Umgebung vorbereitet" (Neuner 2001: 31). 2 Wir meinen, daß die Trennung in dieser eindeutigen Zuweisung nicht existiert. Nachstehendes Schema soll die Anwendungs- und Ausbildungsfelder von DaF und DaZ veranschaulichen: Dt. Lehrer in dt. Auslandsschulen oder in ausi ländischen Schulen mit DaF (z.T. über ZfA) ~ alle Schulstufen einschließlich Frühbeginn und ] bilingualem Lernen J: Schulaustauschprojekte (Dt. Lehrer in ausländ. Partnerschulen, ausländ. Schüler in dt. Klassen im Inland) Sprachassistenten an Schulen im Ausland (z.T. über den PAD) Lehrer für Migrantenkinder in Schulen Vorschulische DaZ-Kurse 8 Propädeutische DaZ-Kurse Förderunterricht für Migrantenkinder außerhalb von Schule Sprachlehrer im Ausland an Hochschulen (z. T. über DAAD), Goethe- Instituten, Sprachenschulen, in Firmen Sprachenlehrer im Inland an Hochschulen, an Goethe-Instituten, Weiterbildungsinstitutionen, Sprachenschulen, in Firmen und Betrieben Sprachlehrer im Inland an Goethe-Instituten, Weiterbildungsinstitutionen, Sprachenschulen, in Firmen und Betrieben Tabelle 1: Tätigkeitsfelder von DaF und DaZ Ohne daß wir den Anspruch auf Vollständigkeit erheben wollten, zeigt die grobe Übersicht, a) daß DaF in starkem Maße auch im Inland angeboten wird und b) daß DaF durch Mobilität und Partnerschaften auch im schulischen Bereich an Bedeutung gewinnt (vgl. Baur/ Chlosta 2000), der gemeinhin als Domäne von DaZ angesehen wird. 2 Vgl. allerdings auch Reich (2001: 65), der im Handbuch DaF darauf hinweist, daß die Grenzen von DaF und DaZ fließend sind. lFJLlllL 31 (2002) 126 Rupprecht S. Baur, Marta Kis Es sei noch angemerkt, daß der Bereich der vorschulischen Sprachkurse für Migrantenkinder und der propädeutischen Kurse für Seiteneinsteiger qua definitionem zwar dem Bereich DaZ zugeordnet werden muß, aber trotzdem weitgehend den Prinzipien des frühen Fremdsprachenlernens folgt, da viele Kinder die Kurse ohne Vorkenntnisse in der deutschen Sprache besuchen. Damit kommt es zu weiteren differenzierenden Merkmalen, nämlich der Spracherwerbsituation, der Schichtzugehörigkeit und der sprachlichen Sozialisation, durch welche DaF- und DaZ-Lerner in der Fachliteratur unterschieden werden (vgl. Glück 1991, Neuner 2001). Das Unterscheidungskriterium Spracherwerbssituation (gesteuert vs. ungesteuert) gilt nur für die Sprachlehr- und -lernsituation im Ausland. Da DaF, wie wir festgestellt haben, auch im Inland von Bedeutung ist, spielt hier bei der einen wie der anderen Gruppe der Sprachkontakt zu Einheimischen und die Behauptung in kommunikativen Realsituationen, also das Ineinandergreifen von gesteuerten und ungesteuerten Erwerbskontexten, eine wichtige Rolle. Auch die Schichtzugehörigkeit (Mittel- und Oberschicht bei DaF-Lernern vs. untere soziale Schichten bei Arbeitsmigranten) läßt sich spätestens seit den 90er Jahren nicht mehr nach den Zuordnungen der Arbeitmigration der 70er und 80er Jahre beschreiben. Die größte Gruppe von Immigranten, nämlich die der Aussiedler und jüdischen Kontingentflüchtlinge, ist von den Bildungsvoraussetzungen her mit der Gruppe der ,klassischen' Arbeitsmigranten nicht mehr vergleichbar. Bei der sprachlichen Sozialisation der Kinder wird in der Literatur darauf hingewiesen, daß die Kinder der Arbeitsmigranten z. T. weder über altersgemäße Kenntnisse in ihrer Herkunftssprache noch in der Zweitsprache Deutsch verfügten. Während im Unterricht DaF altersgemäße Muttersprachenkenntnisse vorausgesetzt würden und ggf. darauf zurückgegriffen werden könnte, müßten im Unterricht DaZ mit ausländischen Kindern besondere Maßnahmen ergriffen werden, um muttersprachliche und zweitsprachliche Entwicklung aufeinander zu beziehen. Dieses Kriterium kann zur Unterscheidung von DaF und DaZ am ehesten Gültigkeit beanspruchen. Um die verschiedenen Adressatengruppen angemessen bedienen zu können, bedarf es in jedem Fall wichtiger Grundqualifikationen, über die DaF- und DaZ-Lehrer/ innen verfügen müssen. Schweckendieck/ Tietze (1994) nennen Kenntnisse und Fähigkeiten, die sie für DaZ-Kursleiter fordern: sprachsystematische Kenntnisse des Deutschen und methodische-didaktische Kompetenzen wie Fähigkeit zur Binnendifferenzierung/ Individualisierung beim Unterricht stark heterogenen Lernergruppen, Fähigkeit zur Durchführung von Sprachstandsanalysen und -diagnosen, Fähigkeit den Lernerlnnen Lernstrategien und Lerntechniken zu vermitteln, Fähigkeit zur Analyse und zum Herstellen von Unterrichtsmaterialien, Kenntnis der Zweitsprachenerwerbsmodelle, Fähigkeit, Übungs- und Sozialformen geeignet einzusetzen (auch Projektarbeit) und Fähigkeit didaktisch orientierte Sprachvergleiche durchführen zu können (Schweckendiek/ Tietze 1994: 39). Es ist sicher nicht möglich, in dieser Liste zwischen DaZ und DaF-spezifischen Fähigkeiten zu unterscheiden. In welcher Differenziertheit diese Gebiete jeweils adressatenspezifisch gefüllt werden müssen, ist eine Diskussion, die im Fach noch geführt werden muß. Bevor wir auf die Inhalte eines DaF/ DaZ-Studiums zurückkommen, wollen lFJLllL 31 (2002) Lehrerausbildung in Deutsch als Fremdsprache und Deutsch als Zweitsprache 127 wir zunächst eine Übersicht über die Studienangebote in Deutschland und Österreich geben. 3. Studienangebote DaF und DaZ in Deutschland 3 und Österreich 3.1 Übersicht zu den Studienangeboten DaF und DaZ 4 Deutsch als Fremdsprache 8 Sem. 32 SWS / 16SWS MA(HF/ NF) 0J) - Erweiterungsstudium DaZ 3 Sem. 54 SWS LA an Grund- und Hauptschulen, = .,Q Berufsschulen und Sonderschulen [/ J 0J) = ~ Zusatzqualifikation DaF/ 3 Sem. 12 SWS Zertifikat ohne Prüfungsabschluß DaZ neben einem Fachstudium 0J) Diplomstudiengang, 8 Sem. 110 SWS Abschluß: Diplomgermanist - ., .,Q Germanistik mit Schwer- (Germ. und DaF); § punktDaF 50 SWS (außergerm. NF) i: ,: : i ; l DaF/ lnterkulturelle Ger- 9 Sem. 72 SWS / 36 SWS MA(HF/ NF) = manistik ., - ,., c,s i: ,: : i .; ; ) Zusatzqualifikation DaF 3-6 Sem. 20 SWS Zertifikat nur im Zusammenhang r-. mit dem Staats- oder Magisterexa- ~ men (nach GS in neuerer Deut- ., i: ,: : i scher Literatur und Linguistik) Germanistische Linguistik 9 Sem. 80 SWS / 40 SWS MA .; ; ) mit Schwerpunkt DaF DaF-Anteil im HS: 8 SWS = ·= Zusatz- und Ergänzungs- 4 Sem. 20 SWS (+ 14 ,: ., studiengang DaF SWS germ. Linguistik für i: ,: : i Stud. anderer Fächer) = Deutsch als Fremdsprache 9 Sem. 40 SWS / 20 SWS Magisterteilstudiengang : =p t~ i: ,: : i "0 DaF 8 Sem. 70 SWS / 35 SWS BA+ Master - ~ Zusatzqualifikation DaZ/ 3 Sem. ca. 40 SWS Prüfung nach 1. LA-Examen; ~ ~ Interkulturelle Pädagogik Studium parallel zum LA-Studium möglich Unsere Übersichten beruhen in erster Linie auf Recherchen im Internet. Dabei mußten wir aber feststellen, daß die Internet-Präsentationen nicht immer alle Informationen enthielten, die wir auswerten wollten und auch nicht immer auf dem neuesten Stand sind. Wir haben uns darnm bemüht, zusätzliche Informationen einzuholen. 4 In Studiengängen, wo die Benennung DaF inhaltlich für DaZ steht, haben wir zur leichteren Orientierung in unserer Aufstellung DaZ in Klammern (DaZ) hinzugefügt. JF]Ll.! ]L 31 (2002) 128 Rupprecht S. Baur, Marta Kis Zusatzfach DaF (DaZ) 4Sem.20SWS Nur im Rahmen des Diplomstudienganges Erz.-wiss. mit Wahlpflichtfach Ausländerpädagogik Zusatzstudium DaZ 2Sem.40SWS Prüfung nach 1. LA-Examen; Studium parallel zum LA-Studium e möglich ~ Zusatzstudium DaF/ 2 Sem. 40SWS Zertifikat 0 Deutschunterricht im Ausl. i: i: l Sprachlehrforschung MA: 8 Sem. 80 SWS MA oder (u.a. DaF) BA: 6Sem. BA oder Master: 10 Sem. Master of Arts Schwerpunktstudium DaF mind. 2 Sem. 30 SWS Zertifikat/ Studium parallel zu a) als ergänzendes Studium einem Fachstudium oder nach = (parallel zum Fach Germ. einem Studienabschluß = oder and. neuphil. Fach) 0 i: i: l b) als weiterbildendes Studium (nach Abschl. eines neuphilolog. Studiums) ffi Spezialqualifiaktion DaZ 9 Sem. ca. 30 SWS DaF als Spezialisierungsmögliche keit innerh. des LA-Studiums ., Deutsch; 1. Staatsprüfung mit ... i: i: l Zusatzqualifikation DaF ,.; ; , e E-< Deutsch als Fremd- und 8 Sem. 36 SWS Magisternebenfach (NF) o; N Zweitsprache -= .... u ·= ': ; ; , DaF mit besonderer Benicht normiert Zertifikat nach Abschluß des Gere~ rücksichtigung der Fachmanistikstudium mit dem StudienoQ "0 ~ .s sprachen schwerpunkt Sprachwissenschaft "' Germanistik DaF 9 Sem. 72 SWS / 36 SWS MA(HF/ NF) : ; ; , E-< = Erweiterungsstudiengang 4Sem. 40SWS LA und andere Abschlüsse nach ., "0 ~ DaZ für LA an Grundu. dem GS / (DaZ als Drittfach); ... Mittelschulen, Gymnasien Kombination mit nicht-philog. ~ und berufsbild. Schulen Fächern möglich ' Zusatzqualifikation 2 Sem. 18 SWS / 14 SWS Zertifikat ,: i .... "' ... DaF / DaZ "'0 ~ "0 DaF 9 Sem. 80 SWS / 40 SWS MA(HF/ NF) i .... Erweiterungsstudium 4Sem.45 SWS LA an Grund-, Haupt-, Sonder- "' -= DidakikDaZ und Berufsschulen. Eine nachträgl. "" ~ Erw. durch Did. DaZ ist auch an Realschulen und Gymn. möglich lFlLlllL 31 (2002) Lehrerausbildung in Deutsch als Fremdsprache und Deutsch als Zweitsprache 129 .... Ergänzungsrichtung DaF 3 Sem. 15 SWS LA in Grund- und Regelschulen; - 'ES: (DaZ) Zertifikat als Bestandteils des r.i LA-Examens Germanistische Linguistik Dauer u. Umfang ist nicht Nur als Schwerpunkt innerhalb des Studienschwerpunkt DaF festgelegt; 12 SWS em- MA-Studiums Germanistische Lin- = pfohlen guistik "' ~ Erweiterungsstudium 3 Sem. 38 SWS Für Stud. aller Lehramtsfächer an = OS Didaktik des DaZ Grund-, Hauptu. Realschulen so- ,: : : r.i wie Gymnasien (das Studium ist parallel oder auch nach einem Abschluß möglich) DaF als Wahlschwerpunkt nicht normiert MA im Fach Germanistik = Zusatzausbildung DaF nicht normiert, 24 SWS Zertifikat "' "' "' r.i Zusatzstudium 3 Sem. ca. 40 SWS Prüfung nach dem 1. LA-Examen; DaZ / Interkult. Pädagogik Studium parallel zum LA-Studium möglich Deutsch als fremde Spra- 10 Sem. 22 SWS DaF als Wahlpflichtfach im ehe (DaZ) Diplomstudiengang Erziehungswissenschaft ~ - Deutsch als fremde Spra- 6 Sem. (BA: ) in S! Zinder- Diplomstudiengang im dt.-dän. = .c ehe (DaF) borg (Dänemark) Studiengang „Kultur- und Sprach- ~ s 4 Sem. in Flensburg mittler" Deutsch als fremde Spra- 6 Sem. 30 SWS / 26 SWS LA (Grund-, Haupt-, Real- und ehe (DaZ) + 8-10 SWS (Spr.) Sonderschule); 1. Staatsprüfung oder Erweiterungs-/ Zusatzprüfung e.n Deutsch als Fremdspra- 2-4 Sem. / nicht normiert Kein Studiengang, sondern Zusatz- = : S chenphilologie angebot für German.-studenten mit "' Zertifikat in MA oder LA f; a, e.n Deutsch als Fremdsprache 8 Sem. 66 SWS (Haupt- Schwerpunkt im Dipl.-Studiengang .E = fach), 28 SWS (Erg.-fach) "Dozent in Erwachsenenbildung" ·.; ~ Ausländerpädagogik/ Inter- 3 Sem. 40 SWS LA Ergänzungsstudium f; a, kulturelle Erziehung (DaZ) Deutsch als Fremdsprache 8 Sem. 36 SWS Magisternebenfach Aufbaustudiengang DaF 4Sem. 75 SWS Nach MA oder LA in german. HF = mit dem Abschluß Diplomsprach- "' QQ lehrerDaF "' c3 Zusatzfach DaF 4Sem. 60SWS Im Studiengang Neuere Fremdsprachen mit Abschluß Diplom- Sprachlehrer ]F[..IIIL 31 (2002) 130 Rupprecht S. Baur, Marta Kis Erweiterungsfach DaF 64 SWS (davon 20 SWS LA Gymnasien, 1. Staatsprüfung (Daz) didaktischer Anteil) Deutsch als Fremdsprache 8 Sem. 72 SWS / 36 SWS MA(HF/ NF) DaF als Beifach (DaZ) 2 Sem. 20SWS LA Zusatzqualifikation, mit dieser Ausbildung kann die 1. Staatsprüf. ~ aller Schultypen erworben werden DaF als Zusatzfach 2-4 Sem. 24 SWS LA Ergänzungsbzw. Aufbaustu- ~ ,/ ! l (DaF/ DaZ) (Fremdsprachenphil.) dium mit Zertifkat ·a: i 36 SWS (andere Fächer) .. t: .! I Deutsch als Fremdsprache 6 Sem. (dsavon 4 Sem. für BA Teilstudiengang das Fachmodul DaF) Deutsch als Fremdsprache Nur für ausländ. Studierende/ keine gesonderte Studienordnung Zusatzstudium DaF 4Sem. 30SWS Ergänzung zu einem LA o. MA, i als Wahlpflichtfach im Diplomstudiengang (Phil.); Zertifikat = DaF 1-2 Sem. 12 SWS German. Teilstudium für ausländ. Studierende Deutsche Sprache und 9 Sem. 52 SWS (davon MA Studienschwerpunkte Interkul- Literatur (DaF) 18 SWS DaF) turelle Literaturwiss. und DaF Zusatzqualifikation DaF/ Zertifikat im Rahmen des MA-Ab- Interkult. Literaturwiss. schlusses für HF „Dt. Sprache und ~ Lit. (IntLit/ DaF) bzw. SLF .. = Interkult. Literaturwiss. 8Sem. LA, DaZ als Studienschwerpunkt ,.Q 8 undDaZ im Fach Deutsch = = Zusatzausbildung von Leh- 4 Sem. 50 SWS (incl. LA (nach 1. Staatsprüfung) Zertifirern für Schüler versch. Schulpraktikum) kat und Prüfungszeugnis (Staat! . Muttersprachen (DaZ) Prüfiung) Sprachlehrforschung 6Sem. BA (im HF) (DaF/ DaZ) 9-10 Sem MA (im HF oder NF) = .. Deutsch als Fremd- und 6SWS Zusatzqualifikation ~ = .. = 0 Zweitsprache = ~ Deutsch als Fremdspra- 8 Sem. 80 SWS / 50 SWS MA (HF/ NF für Studierende nicht- .. ~ chenphilologie deutscher Muttersprache ~ "0 Kurzzeitstudium DaF 2 Sem. 22 SWS Zertifikat, für Studierende nicht- ·a: i = deutscher Muttersprache Auslangsgermanistik 9 Sem. 80 SWS / 40 SWS MA (HF/ NF) Studienschwerpunkt DaF/ DaZ in allen LA-Stud.-gängen Deutsch = = Ergänzungsstudium 2-6 Sem. 36 SWS für Studierende nicht-germanist. ~ ..., DaF/ DaZ (3-4 Sem. empfohlen) Fächer lFLIUllL 31 (2002) Lehrerausbildung in Deutsch als Fremdsprache und Deutsch als Zweitsprache 131 Zusatzstudium DaF/ DaZ 2-6 Sem. 30 SWS Zertifikat für Absolventen nicht- (3-4 Sem. empfohlen) germanist. Fächer Ergänzungsrichtung ca. 2-3 Sem. 16 SWS LA mit germ. Fach, LA-Prüfung DaF/ DaZ (DaZ) (Drittfach) im Rahmen der 1. Staatsprüfung ~ Aufbaustudium 4Sem. Diplom-Pädagoge -= = Ausländerpädagogik (DaZ) "' r/ J ,: : : Erweiterungsstudium 2-3 Sem. Erweit.-prüfung für das LA an = ~ Ausländerpädagogik (DaZ) Grund- und Hauptschulen Germanistik / DaF 32 sws / 16 sws MA/ DaF als Nebenfach oder Studienelement in Germanistik Master - Aufbaustudien- 3-4 Sem. 32 SWS gangDaF Ergänzungsstudiengang 2 Sem. 36 SWS oder DaF 4-5 Sem. berufsbegleitend öl Deutsch als Fremdsprache LA Erweiterungsprüfung r/ J r/ J = (DaZ) ~ Deutsch als Zweitsprache 2 Sem. oder Im Rahmen des Weiterbildungsstu- 4 Sem. berufsbegleitend dienganges „Interkult. Kommun." Deutsch als Zweitsprache Teilstudiengang LA Grundschule Weiterbild. Fernstudien- 8 Studieneinheiten Hochschulzertifikat DaF kurs „Fremdspr. Dt.-unterr. 16SWS in Theorie und Praxis" öl Deutsch als Fremdsprache 2 Sem. 14 SWS Zusatzstudium mit Zertifikat in ~ einem Sprachfach Zusatzstudium DaF/ Dauer ist nicht festegelegt Zusatzzertifikat DaF - .: . = Ausländerpädagogik (DaZ) ca. 4 Sem. / 40 SWS Ausländerpädagogik == DaF-Lehrer für Kinder mit 40SWS Ergänzungsstudium; Erweiterungs- ~ 1l ,.Q = fremder Muttersprache prüfung im Rahmen der 1. Staats- ~~ (DaZ) prüfung für das LA an Grund- und Realschulen ~ Zusatzstudium DaZ / 2 Sem. ca. 45 SWS Prüfg. nach 1. LA-Examen; Studi- ~ Interkulturelle Pädagogik um parall. zum LA-Studium mögl. Deutsch als Fremdsprache 9 Sem. 72 SWS / 36 SWS MA(HF/ NF) ·? t Deutschlandstudien / 6 Sem. 108 SWS B.A. nur für ausländ. Studierende .e- German Studies (DaF) ~ ~ Aufbaustudium DaF 3 Sem. 30SWS Zertifikat, postgradual N Zusatzqualifikation DaF 2-6 Sem. a) 18 SWS (HF) a) Deutsch/ Dt. Philologie = ·; b) 36 SWS (NF) b) andere sprach- und literaturwiss ~ Fächer FLllllL 31 (2002) 132 Rupprecht S. Baur, Marta Kis DaF 8 Sem. 36 SWS + 4 SWS Magisternebenfach (Fremdsprachen) IOJI DaF als Schwerpunkt 8 Sem28 SWS Im Magister-Hauptfach „Dt. Spra- ehe und Literatur" = ,f Diplom-Aufbaustudien- 4 Sem. S0SWS Teilzeitstudium (neben einer = ~ gang (DaF) Berufstätigkeit) Erweiterungsprüfung 4 Sem. 84 SWS insg. LA Sek. II Lehramtsexamen (DaZ) (20 SWS didakt. Anteil) (vorläufige Ordnung) DaF 8 Sem. 72 SWS / 36 SWS MA(HF/ NF) = ~ -= " Didaktik des DaZ 3 Sem.44SWS LA Erweiterungsstudium (oder = == studienbegleitend) nach dem 1. od. ~ 2. LA-Examen - Zusatzstudium DaZ / 3 Sem. ca. 40 SWS Prüfung nach dem 1. LA-Examen; ~ .... "' Interkulturelle Pädagogik Studium parallel zum LA-Studium = == möglich ~ DaF als Teilkomponente 9 Sem. - Anteil DaF ca. MA des Faches Germanistik sosws Interkulturelle Pädagogik 9 Sem. 96 SWS Diplomstudiengang IOJI (DaZ) - = ,.Q Ergänzungsstudium Inter- 4Sem. 60SWS LA = ~ kulturelle Pädagogik (DaZ) "0 ö Ergänzungsstudium für 4Sem. 60SWS LA mit Erweiterungsprüfung den Unterricht für Schüler (Voraussetzung: Staatsexamen) nicht-dt. Muttersprache interk. Dt.-unterr. (DaZ) Germanistische Linguistik 8 Sem. 80 SWS / 40 SWS MA (HF/ NF) Spezialisierung im e (DaF/ DaZ) DaF/ DaZ-Anteil: Rahmen des HFod. NP-Studiums = 12 SWS/ 8 SWS Germanistische Linguistik "0 "' .... Zusatzstudium DaF/ DaZ ca. 2-3 Sem. 18-20 SWS Zertifikat 0 ~ für Germanistik., 28 SWS für Nicht-Germanistik ' Zusatzausbildung Deutsch mind. 2 Sem. 20 SWS MA Dt. Philologie oder LA mit rf: l e.ii ~= als Fremdsprachenphilolo- Deutsch (auch andere Philologien, &! ,.Q gie Allgem. Sprachwissenschaft) ~ Beifach Deutsch als 3-4 Sem. 20 SWS LA, Abschluß im Rahmen der 1. " s Fremdsprache (als 3. Fach) Staatsprüfung (auch für Nicht- "' 0 DaZ Germanisten) .z: : lFL1lllL 31 (2002) Lehrerausbildung in Deutsch als Fremdsprache und Deutsch als Zweitsprache 133 Deutsch als Fremdsprache IOSWS MA 5 (Studieneinheit im 2. NF) ..: .: " DaF 46SWS MA (nicht offiziell verabschiedet) == '"' .c Aufbaustudiengang DaF 4Sem. 40SWS Nach Hochschulabschluß MA/ LA '"' <II <II in kulturwissenschaftl. Fächern rJ"J Master in DaF in Planung Postgraduales Studium '"' DaF 4Sem. 34SWS Magisternebenfach ... ·c ... Kurzstudium DaF 1 Studienjahr 26 SWS für ausländische Studierende .: . ~ Aufbaustudiengang DaF 4Sem. ,S s ~ .c .. Universitätslehrgang DaF 2 Sem. 28 SWS <II '"' " (DaF/ DaZ) Germanistik mit Schwer- 8 Sem. 8-14 SWS punkt DaF = Fächerkombination .s= ~ DaF/ DaZ Wahlfachangebot DaF/ DaZ DaF im Fachgebiet 8 Sem. / 10 Sem. Sprachwissenschaft ~ DaF als Ergänzungsfach '"' a) Sek.-stufe Dt. (SLD) 4Sem. = : 9 b) Sek.-stufe Frz. (DES) 8Sem. ... '"' (DaF/ DaZ) ... Großes Sprachdiplom DaF 4Sem. Abkürzungen: BA EF GS HF HS LA Bachelor Ergänzungsfach zu einem anderen Hauptfach Grundstudium Hauptfach Hauptstudium Lehramt lFLwL 31 (2002) Nur für ausländ. Germanisten mit abgeschlossenem Studium Im Rahmen der german. Ling. kann die Diplomprüfung im Themenbereich DaF absolviert werden Anstelle einer 2. Studienrichtung, nur bis z. Inkrafttreten eines neuen Studienplans für Germanistik Bestätigung (kein Zeugnis) LA Sekundarlehrerdiplom a) für deutsche Muttersprachler b) für nicht-dt. Muttersprachler Zusatzstudium für nicht-deutsche Muttersprachler für den Unterricht im Ausland MA Magister Artium NF Nebenfach PH Pädagogische Hochschule TU Technische Universität Uni/ 1. Universität/ Institution 134 Rupprecht S. Baur, Marta Kis 3.2 Anmerkungen zu den Studiengängen An 45 deutschen Hochschulen wird in irgendeiner Form ein Studium DaF/ DaZ angeboten. Damit sind seit der Aufstellung von Henrici/ Koreik im Jahr 1994 14 Studienstandorte hinzugekommen. Die Ausrichtung aufDaF, DaZ oder DaF/ DaZ verteilt sich folgendermaßen: Hochschulen mit Ausrichtung auf DaF 17 Hochschulen mit Ausrichtung auf DaZ 8 Hochschulen mit Ausrichtung auf DaF und DaZ 20 Tabelle 3: Ausrichtungen der Hochschulen Es zeigt sich, daß insgesamt an den meisten Hochschulen DaF und DaZ vertreten ist, wobei das Profil in einem Studiengang oder in verschiedenen Studiengängen repräsentiert sein kann. Nur wenige Studienstandorte bieten ausschließlich Qualifikationen in DaZ an. Damit überwiegt DaF im Angebot deutlich. Ein stärkeres Engagement im Bereich DaF zeigt sich auch, wenn man nicht die Ausrichtung der Standorte, sondern die Spezialisierung der Studiengänge an den Hochschulen auszählt: Studiengänge mit Ausrichtung auf DaF 53 Studiengänge mit Ausrichtung auf DaZ 34 Studiengänge mit Ausrichtung auf DaF und DaZ 9 Tabelle 4: Ausrichtungen der verschiedenen Studiengänge an den Hochschulen Dieses gegenüber DaF deutlich geringere DaZ-Angebot ist erstaunlich, da ein erheblicher schulischer Bedarf an einer Ausbildung in DaZ in der Lehrerbildung nachweislich existiert. Die Tendenz hin zu DaF ist noch deutlicher ausgeprägt, wenn man überprüft, wieviel neue Studienangebote im Bereich DaF oder DaZ seit der Aufstellung von Henrici/ Koreik (1994) hinzugekommen sind. Hier ergibt sich folgendes Bild: Studiengänge mit Ausrichtung auf DaF nach 94 31 Studiengänge mit Ausrichtung auf DaZ nach 94 17 Studiengänge mit Ausrichtung auf DaF und DaZ nach 94 3 Tabelle 5: Ausrichtungen der nach 1994 neu eingerichteten Studiengänge an den Hochschulen Interessant erscheint uns die Tendenz, daß an der Mehrzahl der Hochschulen (25 von 45) DaF- und DaZ-Studien innerhalb verschiedener Organisationsmodelle und Studiengänge parallel angeboten werden 5: Das bedeutet nicht, daß dafür auch immer unterschiedliche Veranstaltungen angeboten werden. Dieselben lFLd 31 (2002) Lehrerausbildung in Deutsch als Fremdsprache und Deutsch als Zweitsprache 135 20 2 11 3 7 4 4 5 2 7 Tabelle 6: Anzahl der an Hochschulen parallel angebotenen Studiengänge Fünf unterschiedliche Studienangebote existieren in Greifswald und Hamburg, in Kassel sind es sogar sieben. Durch differenzierende Studienangebote versucht man offensichtlich, gezielt bestimmte Adressatengruppen anzusprechen. In den Magisterstudiengängen gab es allerdings schon immer eine Tendenz, unterschiedliche Profilbildungen innerhalb ein und desselben Studiengangs zu ermöglichen. Indikatoren für diese breite Qualifizierung finden sich häufig in den Ausbildungszielen und Berufsperspektiven, die in der Studienordnung genannt werden. Als Beispiel mag hier der Magisterstudiengang DaF in Augsburg dienen. Als Berufsfelder, auf die der Studiengang vorbereitet, werden genannt: "- Mitarbeit in einem Verlag, der deutsche Literatur im Ausland vertreibt, der deutsche Fach- und Sachbücher für ausländische Leser aufbereitet o. dergl. - Autor von Lehrbüchern für „Deutsch für Ausländer". - Deutschlandreferent in einem ausländischen Industriebetrieb. - Personalberater in einem deutschen Unternehmen im Ausland. - Entwicklungshelfer, auch Kirchliche Hilfsdienste in der dritten Welt. - Auswärtiger Dienst, DAAD. - Mitarbeit im Goethe-Institut. - Sozialarbeit (mit Gastarbeitern), z.B. "Ombuds-Mann" für Ausländer in Deutschland. - Deutschlehrer an ausländischen Schulen bzw. an Volkshochschulen. - Mitarbeit in einem ausländischen Fremdenverkehrsbüro. usw." (www.philhist.uni-augsburg.de/ Faecher/ GERMANIS/ daf/ studium/ ordnung.html) Das Profil „Lehrer für DaF" steht in dieser Berufsfeldbeschreibung erstaunlicherweise nicht im Vordergrund, obwohl man das von den Inhalten des Studiengangs her (s.u.) am ehesten erwarten würde. Eine sich in solchen Beschreibungen andeutende Tendenz zu einer breiten beruflichen Qualifizierung wird sich wahrscheinlich mit der Einführung der B.A.-Studiengänge und der Modularisierung der Studien verstärken. 6 Damit sind für DaF zwei widerstreitende Tendenzen zu erkennen: Spezialisierung vs. Polyvalenz. Veranstaltungen können unterschiedlichen Studiengängen zugeordnet sein. 6 Vgl. z.B. die Beschreibung des neu eingeführten B.A. Sprachlehrforschung in Bochum. Vgl. zu dieser Diskussion auch Königs (1998: 199), der im Rahmen der Konturierungsdebatte für das Fach DaF auf die Gefahren einer zu weiten Definition der Tätigkeitsmerkmale hinweist. lFLlllL 31 (2002) 136 Rupprecht S. Baur, Marta Kis Einige Studienstandorte versuchen durch Spezialisierungen ein besonderes.Profil zu gewinnen. Bayreuth bietet z.B. einen Studiengang an, in dem Literaturforschung und Literaturlehrforschung, Fremdheitslehre (Xenologie) und interkulturelle Kommunikation sowie Kulturkomparatistik einen einzigartigen, in der Fachdiskussion nicht unumstrittenen Schwerpunkt bilden (vgl. Henrici 1990, Glück 1989). Heidelberg, Greifswald, Leipzig, Trier und Würzburg bieten Studien an, für die ausschließlich ausländische Studierende zugelassen werden. 7 hn Unterschied zu DaF ist die Domäne von DaZ das Angebot einer Zusatzqualifikation, die unterschiedlich benannt werden kann, wobei die Benennungen nicht unbedingt auf ein Spezifikum der Ausbildung verweisen, sondern synonym verwendet werden. 8 Solche Zusatzstudien können in manchen Studiengängen bereits parallel zum grundständigen Studium absolviert werden, z. T. ist die Aufnahme des Zusatzstudiums erst nach dem Ersten Staatsexamen möglich. Die Motivation für ein solches Zusatzstiidium kann aus der Erkenntnis erwachsen, sich „nachrüsten" zu müssen, um spezifischen Anforderungen des Unterrichts mit Schülern nicht-deutscher Herkunft gewachsen zu sein; die Motivation war aber iri den vergangenen Jahren bei vielen Lehramtsanwärter/ innen auch „instrumentell" gesteuert, indem sie sich mit einer solchen Zusatzqualifikation bessere Einstellungschancen versprachen. Gratifikationen (Bonuspunkte, Anerkennung als weiteres Fach, bevorzugte Einstellung, Freistellungen, bessere Bezahlung) werden aber von den Schulministerien der Länder für die Zusatzqualifikationen DaZ in der Realität nicht vergeben. 9 Man kann davon ausgehen, daß die Zusatzqualifikationen weniger erworben werden, wenn die Einstellungschancen von Lehrer/ innen sich generell verbessern. · In der nun folgenden Übersicht soll gezeigt werden, welche Inhalte von DaF oder DaZ in dem jeweiligen Studium abgedeckt sind. 7 Die Einrichtung des Heidelberger Magisterstudiengangs im Jahre 1970 bezeichnet, wie bereits Henrici/ Koreik (1992) festgestellt haben, einen Markstein in der Entwicklung des Faches Deutsch als Fremdsprache. Die Isolierung der ausländischen Studierenden .in einem eigenen Studiengang wird von Delmas/ Stenzig (1977) kritisiert. Daß gemeinsames Lernen von ausländischen und deutschen Studierenden eine wichtige Dimension ist, wird bei den Überlegungen zum Deutschen im europäischen Kontakt (DieK) von Baur/ Chlosta (2000) hervorgehoben. Genauere Angaben über die Organisation des Studiums in Greifswald, Leipzig und Würzburg liegen uns nicht vor. 8 Solche Benennungen sind z.B. Zusatzstudiengang, Zusatzfach, Zusatzangebot, Ergänzungsstudium, ErweiterungsstudiuJI]; Aufbaustudium u.a. 9 Ausnahmen bilden hier die Länder Bremen und Hamburg FLlllL 31 (2002) Lehrerausbildung in Deutsch als Fremdsprache und Deutsch als Zweitsprache 137 4. Inhalte der Ausbildungen in DaF und DaZ (l.) ..c: : g = ! 5.. 0 "' (l.) "fü ..c: : ..c: : g (.) ~ ~ ~ µ.. .... l 0.. 'i; i s = Ci'l .; ..c: : 0 (.) i ~ ! = "' .... ; .: i = (l.) (l.) (l.) ~ ·s "O ~ "' Ofj ~ "' "O "O s = ~ -~ ~ = ! El -~ § ] Ei ..c: : ~ "' ~ ~ ~ "' ß (.) ·3 (l.) ·; : : Ofj (l.) .... "O ..c: : "' = Ofj ~ B § %l g : : , .... = HOCHSCHULE <t: c., ; .: i <t: ; .: i ....: , µ.. F X X X X X z X X F/ Z F X X X X X F X X X X X F X X X X X F X X X F X X X F X X X X F X X X X X z X X z X X X X DaZ (ZS/ LA) z X X X X DaF/ DU Ausland (ZS) F X X X SLF DaZ/ DaF (BA)* 2 F X X X lFLl.llL 31 (2002) 138 Rupprecht S. Baur, Marta Kis <.) ..c: u oj ,: : : a 0 "' <.) ~ ..c: ..c: g g ~ µ.. .... ".; : : ) : : : Pa 'ti (/ J "' s ,: : : ·s fl 0 .; oJl ~ 0 -~ ,: : : "' ~ .... ; .: : i 5 ~ ~ <.) <.) <.) ,: : : --0 <.) "' ] oJl "' ~ --0 s : : : ~ ~ -'o -~ ,: : : a ".; : : ) ä ß a s oj ! '3 ..c: s "' ~ "' ~ ß u ·s <.J <.J <.) ·; : : ~ oJl <.) -~ .... --0 ..c: "' ; J oJl 5 ä ~ g HOCHSCHULE ~ 0 ,: : : <C ....: i ....: i µ.. F X X X X z X X X F/ Z X X X F X X F X X X X X z X X X F/ Z X X X X X X F X X X X X z X X z X X X F X X X z X X DaF (ZA) F X X X Ger./ Schwp. DaF (MA)* 1 F DaZ/ Inter. Päd. (ZS/ LA) z X X lFlLlllL 31 (2002) Lehrerausbildung in Deutsch als Fremdsprache und Deutsch als Zweitsprache 139 <l) ..e ~ '"' = p, 0 "' <l) ·a ..e ..e u u ~ "' "' ~ ~ '"' = -p, "' ~ s = Cl'.l ·s "' 0 "5 ..e 01) u 1 ~ ·-g = "' '"' ; .: : i = ~ <l) <l) ~ "Cl <l) "' <l) = 01) "' ~ "Cl s = ~ ~ .; -~ = .E a ! : i ~ 1 Ei Ei ·! ~ fü "' ß u ~ <l) ·r: : § <l) '"' '"' "Cl ..e "' = 01) E E a u ; : ; .... = HOCHSCHULE <i: C, ; .: : i <i: ; .: : i ; .: : i ...: i = d'.: z F X X X X X z X F F X X X X X z DaF (MA-NF) F X X X X X DaF (AS/ Dipl.) F X X X X X DaF (ZF/ Dipl.) F X X X X X DaF(EF/ LA) z X X X X DaF(MA) F X X X X X DaF (BF/ LA) z X X X X X DaF (ZF/ LA) F X X X X X DaF(BA) F X X X X X DaF f. Nichtmutterspr. * 3 F DaF (ZS) F X X X DaF (Germ. Teilstud.) F X X X lFlLl.lL 31 (2002) 140 Rupprecht S. Baur, Marta Kis ., ..c: al .... = 0.. 0 "" ., j ..c: ..c: CJ al CO ~ "'" ! : ,.. ~ ·s -- <Zl "' s = ~ -~ ..c: 0 CJ i ~ ·.g j "' .g = 'S ., ., ~ ~ "' bJl ~ ·1 "O "O j s = ~ ,3 = .E ·: g = .f.l 8 CO .... ~ ·i i,: : = "' .§ 0 CJ ~ ., ~ ·i: : ., jJ jJ "O "' = bJl 1ä j CJ HOCHSCHULE = .... ; .: : l = ; .: : l ; .: : l CO --< 0 --< ..-l "'" Int Lit/ DaF (MA) F X X X X Int Lit/ DaF (ZQ) F X X X X IntLit/ DaZ (LA) z X X X X DaZ (ZA/ LA) z X X X X SLFDaF/ DaZ FIZ X X X X z X F X X X X F X X X X Ausl.Germ.DaF/ DaZ(MA) FIZ X X X X X X DaF/ DaZ (ES) F/ Z X X X X X X DaF/ DaZ (ZS) FIZ X X X X X X DaF/ DaZ (ER/ LA) z X X X X X X X z X z X Ger./ DaF (MA-NF) F X X DaF (Master-AS) F X X X X X DaF (EG) F X X X DaF (LA / Erw.prüf.) z X DaZ/ Inter.Komm. (WS) z X X IFLl! L 31 (2002) Lehrerausbildung in Deutsch als Fremdsprache und Deutsch als Zweitsprache 141 0 ..c: : al = l: l 0 "' <l) ·..: i ..c: : ..c: : ~ al u g_ ~ ·s i; r., ~ --- "' s = Cl) ·s 0 ,! 5 ..c: : oJl u ,.s,j ~ -~ = "' ~ ; : l = ~ ~ 0 i ,ä "' .g oJl ~ "' "O s = ~ -~ : a = B ·..: i ä ~ ~ ] 1 8 ..c: : J "' ~ "' ~ u ·s <l) ·.: oJl 0 2 2 "O "' = oJl ä al HOCHSCHULE ~ ; : l = ; : l ; : l .E < ,-l i; r., DaZ (LA/ Grundschule)* 3 z F X X X X zz X X z X X F X X X X X F X X X X X F X X X F X X X X DaF(MA-NF) F X X X X DaF (Schwp. im MA-HF) F X X X X DaF (AS/ Dipl.) F X X X DaF (LA/ Erw.prüf.)* 5 z F X X X X X X z X X z X X IFLIIL 31 (2002) 142 Rupprecht S. Baur, Marta Kis <1) ..<: i <.l o; : : : a 0 "' <1) -~ ..<: i ..<: i <.l o; al ~ ,g D. .... ·.; : ; 0.. 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(ES/ LA) z X X X X X X X X X X X F X X X X z X X X X X F X X X X X F X X X X X F X X X X X F X X X X X X F X X X X F X X X F/ Z X X X X X X F/ Z X X X X X lFl.lllL 31 (2002) Lehrerausbildung in Deutsch als Fremdsprache und Deutsch als Zweitsprache 143 <! .) ..c: : g .... = p.. 0 "' <! .) ·.g ..c: : ..c: : <.) o: l <.) ~ ~ ~ ...: p.. ·.: , '%1 -- U'J ·S s = 45 ..c: : 0 oJj <.) i ~ ·.g = "' .... ; .: : s = ~ <! .) <! .) <! .) ..! : l "O <! .l "' oJj ~ "' "' "O "O ] s = ~ -~ ] = .s o: l ~ ! ß 1 Ei ..c: : Ei ·S ~ "' 0 <.) i ~ ~ ·.: : § oJj <! .) ~ "' = oJj = g HOCHSCHULE ~ ö ; .: : s ~ ; .: : s o: l ...: i - ~ F/ Z X X X X F X X X F X X X X Tabelle 7: Kennzeichnung der inhaltlichen Angebote in allen Studiengängen Abkürzungen: AS BA BF DES DFph Did. Aufbaustudium Bachelor Beifach Sekundarlehrerdiplom für nicht-deutsche Muttersprachler in der Schweiz (Diplome d'enseignement secondaire) Deutsch als Fremdsprachephilologie Didaktik Dipl. Diplom Dt.S.u.L. Deutsche Sprache und Literatur DU Deutschunterricht EF Erweiterungsfach EG Ergänzungsstudium ER Ergänzungsrichtung ES Erweiterungsstudium E-wiss. Erziehungswissenschaft Fachspr. Fachsprachen G. Ling. Germanistische Linguistik Ger. Germanistik HF Hauptfach Inter. DU Interkultureller Deutschunterricht Inter. Ger. Interkulturelle Germanistik Inter.Päd. Interkulturelle Pädagogik JF[,1.IL 31 (2002) LA Lehramt MA Magister NF Nebenfach Schwp. Schwerpunkt SLF Sprachlehrforschung Spez. Qual. Spezialqualifikation WS Weiterbildungsstudium ZA Zusatzausbildung Zert. Zertifikat ZS Zusatzstudium ZQ Zusatzqualifikation (x) kein Unterrichtspraktikum bzw. nicht obligatorisch (wird in der Gesamtauswertung nicht berücksichtigt) * 1 keine speziellen Vorgaben *2 BA löst den bisherigen MA-Studiengang ab *3 keine Angaben *4 Angaben zum Fernstudienkurs werden in unserer Aufstellung nicht berücksichtigt *5 vorläufige Ordnung 144 Rupprecht S. Baur, Marta Kis Im Unterschied zu der Recherche von Henrici/ Koreik (1994) geht es uns nicht darum, die "dominanten Ausrichtungen" der Studiengänge zu charakterisieren, sondern das Spektrum der inhaltlichen Schwerpunkte aufzuzeigen. 10 Die Häufigkeit der in den Studiengängen vorkommenden Studienelemente 11 verteilt sich folgendermaßen 12: 100 90 ,..., 80 '$. '-" 70 = ~ .... 60 = -< 1-, so ~ ... = 40 = .... = 30 ~ s 20 1-, ~ 10 0 M/ D LK Dt Gr Ling Spr.erw Prakt Lit.wiss n FS SLF Dt K int. KM EW Fa.spr Lit.did AL Diagramm 1: Häufigkeit der in den Studiengängen vorkommenden Studienelemente (N=9 I) Methodik/ Didaktik, Landeskunde, Linguistik und Grammatik stehen an der Spitze der Inhalte. Wenn man Linguistik und Grammatik als eine Kategorie zusammenfassen würde, rückte diese Kategorie an die erste Stelle. Die Differenzierung halten wir jedoch für sinnvoll, da die Beschäftigung mit linguistischen Fragestellungen und der Erwerb 10 Wo wir die Angaben dazu haben, wird das Volwnen der neu zu erlernenden Sprache in SWS angegeben. Präzise Angaben zu den anderen Studieninhalten sind im Rahmen einer solchen Übersicht nur schwer zu geben, da Schwerpunkte im Studium häufig über Wahl- oder Wahlpflichtveranstaltungen gesetzt werden können. 11 Folgende Abkürzungen werden in der Tabelle verwendet: M/ D = Methodik/ Didaktik, LK = Landeskunde, Dt Gr = Deutsche Grammatik, Ling = Linguistik, Spr.erw = Theorie des Spracherwerbs, Prakt = Praktikum, Lit.wiss = Literaturwissenschaft, n. FS = Erlernen einerneuen Fremdsprache, SLF = Sprachlehrforschung, Dt K = Deutsch im Kontrast, int. KM = Interkulturelle Kommunikation, EW = Erziehungswissenschaft, Fa.spr = Fachsprachen, Lit.did = Literaturdidaktik, AL= Angewandte Linguistik. 12 Die Gesamtzahl der von uns in Tabelle 2 und 6 aufgeführten Studiengänge beziffert sich aufN=96. Die Grundgesamtheit der inhaltlich ausgewerteten Studiengänge reduziert sich aufN=91, da einige Studiengänge ihre Einheiten nicht spezifizieren oder uns keine Angaben vorliegen. JFLl.llL 31 (2002) Lehrerausbildung in Deutsch als Fremdsprache und Deutsch als Zweitsprache 145 anwendungsbezogener Kenntnisse über die Deutsche Grammatik nicht gleichzusetzen sind. Wie aus Tabelle 6 (vgl. oben S. 135) ersichtlich ist, werden in vielen Studiengängen beide Inhalte verlangt, was generell wünschenswert wäre. Über die Gesamthäufigkeit des Vorkommens der Studienelemente hinaus läßt sich aus der Aufstellung aus Tabelle 6 auch erschließen, wie sich die inhaltlichen Kategorien in ihrer relativen Häufigkeit auf DaF oder DaZ verteilen. Diese Verteilung stellen wir in Diagramm 2 dar: 100 - 90 ,-., 80- 80 "! - : : : ; 70 ... i 60 ,< 80 ""' 50 -I-Dl~--- .2l ~ ,s 40 = ~ 30 e =-i 20 +-l...._ __ 64 10 - ---~---"- --ffl---11111['',i----l~- 0_L..lll'""'----....._""--L__"_ __ "-- 88i---------, Dt Gr Ling AL Dt K Lit.wiss Lit.did LK int. KM Fa.spr M/ D Spr.erw SLF EW n FS Prakt DaF (n=50) ~ DaZ(n=32) Diagramm 2: Relative Häufigkeit von Studieninhalten in Studiengängen (differenziert nach den Fachprofilen DaF und DaZ) Während sich Methodik/ Didaktik als wichtiger Inhalt in beiden Studienschwerpunkten behauptet, gibt es in anderen Inhalten erhebliche Unterschiede. Die Landeskunde ist aus verständlichen Gründen für DaF wichtiger als für DaZ. Sowohl Grammatik der deutschen Sprache als auch Linguistik sind stärker repräsentiert in den DaF-Studiengängen. Das Erlernen einer neuen Fremdsprache wird dagegen in DaZ erheblich häufiger verlangt als in DaF. 13 Selbst in der sprachkontrastiven Betrachtung liegt DaZ vorne. Ein Sprachlehrpraktikum wird in etwa der Hälfte beider Studiengänge verlangt. Durch das Angebot 13 In DaF-Studiengängen wird das Erlernen einer neuen Sprache häufig empfohlen, ist aber dann nicht obligatorischer Bestandteil des Studiums. Teilweise wird auch der Nachweis von Fremdsprachenkenntnissen als Studienvoraussetzung oder zum Studienabschluß verlangt. lFLwL 31 (2002) 146 Rupprecht S. Baur, Marta Kis von DaZ in den Lehramtstudiengängen findet sich hier eine starke Verbindung mit den Erziehungswissenschaften (Interkulturelle Pädagogik), die in DaF nur eine geringe Rolle spielen. Bemerkenswert ist sicherlich auch die Stellung der Literatur: Die Beschäftigung mit Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik überwiegt naturgemäß in DaF. Da die Vertretung der traditionellen Inhalte des Faches Deutsch in der Schule nicht die Hauptaufgabe der DaZ-Lehrer/ innen ist, sondern der Schwerpunkt auf der Förderung der deutschen Sprache liegt, gelten hier für DaZ andere Ausbildungsmaßstäbe als für DaF. Erstaunlich ist trotzdem, daß literaturwissenschaftliche Angebote erheblich häufiger vorkommen als literaturdidaktische. Hier dürfte sich die philologische Ausrichtung der Germanistik als Kooperationspartner der DaF-Studiengänge auswirken. 14 In Kap. 2 haben wir bereits Kenntnisse zur Theorie und Praxis des Lehrens und Lernens von DaF oder DaZ aus den Bereichen der Sprachlehr- und -lernforschung (einschließlich Theorien des Spracherwerbs), der Linguistik, der Landeskunde und der interkulturellen Kommunikation als Grundlagen eines Studiums DaF/ DaZ benannt. Unter dem Gesichtspunkt der Praxisnähe und der Professionalität einer Lehrerausbildung DaF und DaZ möchten wir abschließend einige Ausbildungsinhalte hervorheben, die wir für besonders wichtig halten: 1. Absolvieren eines Sprachlehrpraktikums. 2. Methodik und Didaktik der Sprachvermittlung (einschließlich Umgang mit Texten), 3. Erlernen einer dem Lerner noch unbekannten Fremdsprache und 4. Deutsch im Kontrast. Wir denken, daß eine Ausbildung, die durch ein Praktikum nicht den unmittelbaren Kontakt zur Praxis herstellt, mit einem Mangel behaftet ist 15 , ebenso gehören methodischdidaktische Anteile in die Ausbildung. Weniger selbstverständlich erscheinen vielleicht die Ausbildungsinhalte „Erlernen einer fremden Sprache" und „Deutsch im Kontrast". Durch die Selbsterfahrung beim Lernen einer fremden Sprache wird bei (künftigen) Lehrer/ innen sowohl die Lernerperspektive (Wie lerne ich? Wie fühle ich mich als Lernern in der Lerngruppe? Was für Schwierigkeiten habe ich? ) als auch die Lehrperspektive (Wie würde ich unterrichten? Was finde ich gelungen, was weniger gelungen? ) angesprochen. Diese bewußte Sprachlernerfahrung ist für DaF- und DaZ-Lehrer/ innen auch deswegen so wichtig, weil sie als Muttersprachler eine Sprache unterrichten, für deren Besonderheiten und Schwierigkeiten sie nicht sensibilisiert sind. 16 - In den meisten Ausbildungen ist der fremdsprachliche Teil der Ausbildung auf einen Nachweis über Fremdsprachenkenntnisse reduziert. Wir plädieren jedoch nachdrücklich für eine Selbsterfahrung, bei der Lernerperpektive und Methodemeflexion als Elemente der Ausbildung angesteuert werden (vgl. Baur 2000, Krumm bereits 1973). 14 Auch Neuner (1993) hat bereits eine stärkere Beschäftigung mit Literatur (Kurzprosa) unter didaktischer Perspektive gefordert. 15 Duxa (2001: 23) macht darauf aufmerksam, daß die methodischen Fähigkeiten nur durch die Integration von unterrichtspraktischen Erfahrungen vermittelt und erworben werden können. Diese würden in der universitären Ausbildung häufig vernachlässigt. - Die Qualität des Praktikums selbst kann an dieser Stelle nicht weiter diskutiert werden. Ein Praktikum sollte vorbereitet und begleitet werden. 16 Dies gilt natürlich nicht für Studierende, die das Deutsche als Fremdsprache erlernt haben, wohl aber durchaus für Lerner des Deutschen als Zweitsprache. JF]Ll.ll][, 31 (2002) Lehrerausbildung in Deutsch als Fremdsprache und Deutsch als Zweitsprache 147 Dem Erlernen fremder Sprachen und dem damit verbundenen Sprachkontrast verdanken wir die wichtigsten Einsichten über das, was die spezifischen Eigenschaften einzelner Sprachen sind. Für das Lehren einer fremden Sprache allgemein und für das Lehren der eigenen Muttersprache als Fremdsprache im Besonderen sind systematische Sprachvergleiche deshalb besonders nützlich. Nur wenn ein DaF-Lehrer für kategoriale Systeme von Sprachen verschiedenen Typs sensibilisiert ist, kann er die Transfermechanismen und Lernschwierigkeiten von Lernern verschiedener Herkunftssprachen verstehen. Auch dieser Einheit messen wir deshalb für die Professionalisierung einer DaF- und DaZ-Lehrerausbildung einen hohen Stellenwert bei. Um die gewünschten Reflexionsprozesse zu unterstützen, empfehlen wir, das Erlernen einer (neuen) fremden Sprache mit dem Führen eines Lernertagebuchs zu verbinden. In Tabelle 6 (_. S. 135) haben wir in der letzten Spalte "Kriterienpunkte") angegeben, in welchen Studiengängen vier oder drei dieser von uns als wichtig angesehenen Inhalte vorkommen. In 13 Studiengängen werden alle vier Inhalte angeboten, drei davon in 22 Studiengängen. Je nach dem, welchen der in den Studiengängen angebotenen Inhalte man Priorität beimißt, kann man hier zu unterschiedlichen Bewertungen kommen. 4. Schluß Die Tatsache, daß an den meisten Studienstandorten heute sowohl DaF als auch DaZ angeboten wird, kann als ein Anzeichen für die Einheit des Faches gesehen werden. Allerdings wird an vielen Orten die Trennung zwischen den Teilfächern inhaltlich aufrechterhalten, indem Ausbildungen angeboten werden, in denen DaF und DaZ als Profile voneinander abgegrenzt werden. DaF und DaZ können in unterschiedlichen Studiengängen und -formen angeboten werden. Dabei existiert DaF als grundständiges Studium, als Nebenfachstudium oder als Zusatzstudium, während DaZ als eigenes Profil fast ausschließlich in Zusatzstudien auftritt. Anteile von DaZ können nur an einigen wenigen Studienstandorten in der grundständigen Ausbildung im Fach Deutsch für Lehrämter an staatlichen Schulen (und hier besonders im Wahlpflichtbereich) absolviert werden. An diesen Studienstandorten können Lehramtsstudierende z. T. auch einen Schwerpunkt in DaZ setzen, indem sie linguistische, literaturwissenschaftliche oder fachdidaktische Veranstaltungen aus diesem Bereich wählen oder auch ihre Examensarbeit im Bereich DaZ schreiben. Die Fächer DaF und DaZ haben sich an den deutschen Hochschulen im Laufe der letzten 20 Jahre fest etabliert. Auch wenn es an einigen Hochschulen einerseits Tendenzen zu einer Spezialisierung gibt und sich andererseits durch die Einführung der B.A.- und Master-Studiengänge die Tendenzen zu einer polyvalenten Ausbildung verstärken, so bildet das Lehren und Lernen des Deutschen als Fremd- oder Zweitsprache doch weiterhin den Kernbereich des Studienangebots. Das insgesamt reichhaltige und beeindruckende Angebot sollte dennoch nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, daß im Hinblick auf eine professionelle Lehrerausbildung die Standards sehr unterschiedlich definiert sind. Das gilt sowohl im Hinblick auf die obligatorischen Studienanteile als lFJLllllL 31 (2002) 148 Rupprecht S. Baur, Marta Kis auch im Hinblick auf die Studienvolumina. Durch Festlegung essentieller Ausbildungsbereiche und eines Mindestumfangs des Studiums sollte versucht werden, Qualitätskriterien und Standards in der Lehrerausbildung von DaF und DaZ zu definieren. 17 Ein kaum erklärbares und nicht entschuldbares Versäumnis ist vor allem in der Lehrerausbildung DaZ zu konstatieren: Rund 40 Jahre nach Beginn der kontinuierlichen Einwanderung ausländischer Arbeitnehmer nach Deutschland bildet kein Bundesland Lehrer/ innen für deutsche Schulen aus, die das Fach Deutsch als Zweitsprache als obligatorisches Teilfach im Rahmen einer grundständigen Lehrerausbildung studieren. Wenn 15-30% der Schüler an deutschen Grundschulen heute nicht-deutscher Herkunft sind und wenn in Ballungsgebieten dieser Prozentsatz z. T. 50% übersteigt18, wenn in der PISA- Studie des weiteren festgestellt wurde, daß deutsche Lehrer/ innen nicht in der Lage sind, Defizite in der Lesekompetenz von Schüler/ innen zu diagnostizieren und geeignete Förderungsmaßnahmen zu ergreifen, dann liegt in der Vermittlung von DaZ-Kompetenzen der eigentliche Reformbedarf in der Lehrerausbildung im Fach Deutsch. Die Defizite der Lehrer/ innen auf diesem Gebiet können nur behoben werden, wenn in der grundständigen Lehrerausbildung Kernbereiche mit Studienanteilen von DaZ besetzt werden. Solche Anteile müssen durch eine inhaltliche Reform in der Lehrerbildung festgeschrieben werden, sonst wird das Fach DaZ in der Schule weiterhin ohne Wirkung bleiben eben ein ,Zusatz', aber nichts, was Lehrer/ innen können müssen. Literatur AMMON, Ulrich (1991): Die internationale Stellung der deutschen Sprache. Berlin, New York: de Gruyter. APELTAUER, Ernst (1996): Lernen aus Eifahrung. Baltmannsweiler: Schneider. BAUR, Rupprecht S. 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Relevant perspectives include student teachers' own images of teaching as derived from their biography, relevant published knowledge and the experiential knowledge of practising teachers. Conclusions are derived from a Iong-term leaming-to-teach study in which the author has researched the effects of leaming environments which foster a multiperspective view on knowledge development and which follow a research approach to teacher education. 1. Kontext Im Rahmen meiner Habilitationsstudie [künftig: Freiburger Studie] habe ich mich mit der Frage beschäftigt, wie angehende Fremdsprachenlehrer/ innen ausgebildet und damit angemessen auf die komplexen Anforderungen im kommunikativen und interkulturellen Fremdsprachenklassenzimmer vorbereitet werden können (Schocker-V. Ditfurth 2001). Die Studie steht damit im Zusammenhang einer lebhaft geführten Diskussion um die Reform der universitären Lehrerbildung, deren Ausbildungskonzepte in mancher Hinsicht unzeitgemäß scheinen. Denn die Grundlagen, auf denen derzeit die wissenschaftliche Ausbildung der Fremdsprachenlehrer/ innen betrieben wird, leiten sich nicht aus einer wissenschaftlich fundierten Analyse der erforderlichen Kompetenzen in den künftigen Tätigkeitsfeldern ab. Statt dessen legitimieren sie sich durch das traditionelle Selbstverständnis der entsprechenden universitären Disziplinen, die als relevante Bezugswissenschaften gelten (die Sprachwissenschaft, die Literaturwissenschaft, die Kulturwissenschaft); "in großen Teilen des Lehramtsstudiums [wird] gelehrt, was in den philologischen Disziplinen geforscht wird. Diese Inhalte sind nicht selten von einer Berufsferne, die für Lehramtsstudentinnen und -studenten selbst bei bestem Willen nicht mehr nachvollziehbar sind" (Zydatiß 1998: 9). Freeman drückt dies besonders pointiert aus, wenn er die Wissensbasis, auf der die Lehrerausbildung derzeit betrieben wird, mit dem Wahrheitsgehalt überlieferter Volksweisheiten vergleicht: Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Marita SCHOCKER-V. DITFURTH, Pädagogische Hochschule Freiburg, Institut für Fremdsprachen, Kunzenweg 21, 79117 FREIBURG. E-Mail: marita@schocker-ditfurth.de Arbeitsbereiche: Ausbildungsforschung, Neue Medien, Englisch in der Grundschule lFLl.llL 31 (2002) 152 Marita Schocker-V. Ditfurth "(A)lthough people have been learning to teach languages for a long time, few in our field have paid much attention to understanding how the processes of teacher learning actually unfold or the knowledge and experience that underlie those processes. Thus most conventional practices in language teacher education have operated like hand-me-down stories, folk wisdom shared as 'truths' of the profession with little other than habit and convention on which to base them" (Freeman 1996: 351). Dabei mangelt es nicht an konzeptuellen Vorschlägen und programmatischen Entwürfen für eine Reform der Lehrerbildung, die ihre Inhalte und Verfahren ausgehend von einer Analyse des berufsfeldbezogenen Wissens und der entsprechenden Kompetenzen ableitet, wohl aber an Versuchen, diese Anregungen systematisch in eine hochschuldidaktisch durchdachte Lernumgebung zu übertragen und die dadurch ausgelösten Lernprozesse zu erforschen. Dieser vernachlässigten Ausbildungsforschung widmet sich die Freiburger Studie. Dazu wurde zunächst die Frage nach der notwendigen Wissensbasis für Fremdsprachenlehrer/ innen diskutiert (Wodurch zeichnet sich qualitätsvolles Handeln in komplexen pädagogischen Feldern im allgemeinen und im Fremdsprachenklassenzimmer im besonderen aus? ), diese in ein Ausbildungsmodell übertragen (Wie können angehende Fremdsprachenlehrer/ innen angemessen auf dieses pädagogische Feld vorbereitet werden? ) und prozeßbegleitend die Lernerfahrungen erforscht, die Studierende in dieser Lernumgebung machen (Wie können diese Lernprozesse eiforscht werden, damit sie der Komplexität des Handlungsfeldes gerecht werden und sich mit den Ausbildungsinteressen der Studierenden verbinden lassen? ). Die Studie stellt damit gewissermaßen die Auseinandersetzung um die Frage, welche Lehrerbildung angemessen ist, vom Kopf auf die Füße, indem sie ihre Erkenntnisse ausgehend von der Beschreibung und der Analyse der Lernprozesse aus Sicht der Studierenden gewinnt. Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses stand die Auseinandersetzung mit dem beruflichen Selbstverständnis angehender Fremdsprachenlehrer/ innen: Welche Vorstellungen verbinden sie aufgrund jahrelanger eigener Erfahrungen mit den Lernmöglichkeiten im Fremdsprachenklassenzimmer? Wie ist dieses Erfahrungswissen beschaffen? Ist es für ihr Denken und Handeln im Klassenzimmer prägend? In welcher Beziehung steht dieses Wissen zu den Wissensbeständen, die sie in ihrer Ausbildung kennen lernen und wie verhält es sich zu dem Wissen, auf das sie treffen, wenn sie sich mit erfahrenen Lehrern, beispielsweise im Rahmen ihrer Schulpraktika, auseinandersetzen? Gelingt es ihnen, im Laufe ihrer Ausbildung ein berufliches Selbstverständnis und entsprechende Kompetenzen zu entwickeln, die den komplexen Berufsanforderungen im Fremdsprachenklassenzimmer angemessen sind? Es wird argumentiert, daß dies durch die Anleitung zu einem klassenzimmerbezogenen, forschenden Lernen gelingen könnte, das eine Auseinandersetzung mit dem eigenen beruflichen Selbstverständnis sowie relevanten publizierten Wissensbeständen einschließt. Was die Erforschung der Lernprozesse angeht, so haben sich Verfahren der ethnografischen Forschung angeboten, der es um eine möglichst ganzheitliche Perspektive auf ihre Forschungsgegenstände geht. Dazu nutzt sie verschiedene Verfahren der teilnehmenden Beobachtung, die gleichzeitig auch zentrale Elemente der pädagogischen Analyse sind (z.B. das pädagogische Tagebuch, die aufgabengeleitete UnterrichtsbeoblFJLlllL 31 (2002) Forschendes Lernen in der Fremdsprachenlehrerausbildung ... 153 achtung, die Analyse einer Videoaufzeichnung eigenen Unterrichts). Deshalb verwenden die Studierenden die Forschungsinstrumentarien als Reflexionsanlässe, durch die Aushandlungsprozesse angeregt werden, die eine persönliche ,produktive Auseinandersetzung' zwischen den verschiedenen Perspektiven auf das Klassenzimmer unterstützen. Die Verfahren dieses Forschungsansatzes können deshalb zu der notwendigen Entwicklung einer multiperspektivischen Sichtweise auf die Prozesse im Fremdsprachenklassenzimmer beitragen. 1 Ich werde zunächst die Relevanz des Konzeptes forschenden Lernens und damit verbunden die Entwicklung einer verstehenden, von verschiedenen relevanten Sichtweisen informierten Analyse fremdsprachlicher Lehr/ Lern-Prozesse begründen und erläutern [Multiperspektivität], um danach verschiedene Möglichkeiten darzustellen, wie dieses Konzept unter den gegebenen universitären Rahmenbedingungen zu realisieren ist. Anschließend werde ich die Erfahrungen mit diesem Lehrerbildungskonzept zusammenfassen und mit der Forderung nach notwendigen Entwicklungen verbinden, mit denen mein Beitrag schließt. 2. Das Prinzip forschenden Lernens in der fremdsprachlichen Lehrerbildung: Eine verstehende, multiperspektivisch informierte Sichtweise auf das Fremdsprachenklassenzimmer entwickeln Das Postulat einer wissenschaftlichen und berufsfeldbezogenen Lehrerbildung wird verstanden als die Entwicklung der Fähigkeit, Unterricht unter Einbeziehung verschiedener relevanter Perspektiven zu verstehen und notwendige Veränderungen unter Mitwirkung der Beteiligten zu erproben und gemeinsam zu reflektieren. Dazu wird den Studierenden ein forschender und damit verstehender Zugang zum Fremdsprachenklassenzimmer ermöglicht, der ihnen eine Auseinandersetzung mit den Sprachlernbedingungen in einem spezifischen institutionellen Sprachlernkontext ermöglicht. Welches sind die relevanten Perspektiven auf das Lehren und Lernen von Fremdsprachen in institutionellen Erwerbskontexten, die es dabei zu berücksichtigen gilt? Mit dieser Frage hat sich ein relativ junger Forschungszweig, die Lehrerwissensforschung, beschäftigt (z.B. Woods 1996). Ihr geht es darum, das berufsfeldbezogene Wissen der Lehrer/ innen zu verstehen, über das diese aufgrund ihrer jahrelangen Unterrichtserfahrung verfügen. Daraus folgt die Notwendigkeit einer Beschreibung von Unterricht und Lehrkompetenz, die über kognitive Aspekte hinausgeht und die biographisch geprägte Herausbildung persönlicher Vorstellungen sowie ein Wissen um die Bedingungen einer Unterrichtssituation einschließt. In einer solchen integrierten Sichtweise sind die Einstellungen, Annahmen und das Wissen von Lehrer/ innen unter drei Aspekten zu sehen, die in der Lehrerbildung berücksichtigt und aufeinander bezogen Für eine ausführliche Dokumentation des Forschungsprozesses siehe Schocker-V. Ditfurth (200 la; 2001 b). JFJLIIIL 31 (2002) 154 Marita Schocker-V. Ditfurth werden müssen, wenn sie tatsächlich zu einer wirksamen Qualifizierung der Lehrer/ innen beitragen will. Es sind dies: 1. ein biographisches Wissen, das beispielsweise die eigenen Schulerfahrungen, die Sprachlernerfahrungen im Ausland oder die Herausbildung persönlicher Wertvorstellungen im Bereich der Erziehung umfaßt; 2. ein Wissen um die Unterrichtssituation, die durch Komplexität, Unvorhersagbarkeit, Wertkonflikte, Unsicherheit und Simultanität der Ereignisse (Schön 1983) sowie die grundlegende Notwendigkeit, zu Schülerinnen und Schülern eine tragfähige persönliche Beziehung aufzubauen, gekennzeichnet ist; 3. ein spezifisch fachdidaktisches Wissen, dem nach wie vor neben dem, was traditionell als Fachwissen bezeichnet wird, also beispielsweise literatur-, sprach- oder kulturwissenschaftlicher Inhalte das Hauptaugenmerk der Lehrerausbildung gilt. Für die Lehrerausbildung folgt daraus, daß es nicht ausreicht, wenn sich die Studierenden lediglich mit fremdsprachendidaktischen Positionen und anderen relevanten publizierten Wissensbeständen auf einer kognitiven Ebene auseinandersetzen. Diese Perspektive muß mit der Reflektion ihrer biographisch geprägten Vorstellungen vom Lehren und Lernen einer Fremdsprache verbunden werden, um sie schließlich mit den Möglichkeiten zu vergleichen, die ein konkreter Handlungsraum für das Fremdsprachenlernen bietet (= eine multiperspektivische Sichtweise entwickeln). Dadurch soll einerseits die fremdsprachendidaktische Literatur als Erklärungswissen und als Zielperspektive ernst und zur Kenntnis genommen werden, die Studierenden sich aber gleichzeitig auch mit ihren eigenen lernbiographisch geprägten Unterrichtsbildern und Handlungsdispositionen auseinandersetzen, um anschließend gemeinsam mit anderen Strategien zur Schulentwicklung zu erproben, die auf das praktisch Machbare in einem spezifischen Spracherlernkontext abzielen. Die beiden nachfolgenden Kapitel stellen die Strukturierung entsprechender Lernprozesse vor und geben konkrete Beispiele für Lernumgebungen in der universitären Lehrerbildung, die diesen Anspruch einlösen. 3. Die Strukturierung des Lernprozesses in den Seminaren Unabhängig von den jeweiligen Inhalten und den spezifischen Organisationsformen der Seminare wird der Lernprozeß der Studierenden in vier Schritte gegliedert, die den Studierenden eine aufeinander bezogene aufgabengeleitete Auseinandersetzung mit den oben genannten Perspektiven ermöglicht. Die Begründungen für die einzelnen Schritte sind den Ergebnissen der Freiburger Lehrerausbildungsstudie entnommen. l. Themenbezogene Auseinandersetzung mit dem lembiographisch geprägten Erfahrungswissen der Studierenden Das berufliche Selbstverständnis der Studierenden gründet in erster Linie auf ihrem persönlichen Erfahrungswissen, das sich vor Beginn des Studiums entwickelt hat. Demgegenüber spielen publizierte Wissensbestände, denen sie in ihrer Ausbildung begegnen, IFLUJL 31 (2002) Forschendes Lernen in der Fremdsprachenlehrerausbildung ... 155 für ihr berufliches Selbstverständnis kaum eine Rolle. Ihnen wird lediglich eine sehr geringe berufsrelevante Bedeutung zugesprochen. 2 Die Vorstellungen über adäquate Fremdsprachenerwerbsprozesse werden stets mit den eigenen biographisch geprägten Lernerfahrungen verbunden. Durch sie haben die Studierenden persönliche Wertvorstellungen davon entwickelt, welche Lehr/ Lern-Prozesse sie für angemessen und realisierbar halten. Deshalb ist auch ihr Unterrichtshandeln nicht theoriegeleitet. Statt dessen wird der Erfahrungsaustausch mit ehemaligen Lehrerinnen und Lehrern vorgezogen, der ihnen glaubwürdiger erscheint. Die Lehrangebote der Hochschule haben offensichtlich nicht dazu geführt, daß auch nur annähernd von gemeinsam geteilten Vorstellungen über das Lehren und Lernen einer Fremdsprache ausgegangen werden kann. Eine kognitiv orientierte Vermittlung fachdidaktischen Wissens scheint diese Vorstellungen kaum zu beeinflussen. Damit bestätigt die Freiburger Studie zum einen die Kritik am Transformationsmodell der Wissensverwendung, wonach es mit Hilfe wissenschaftlicher Theorien „allenfalls in besonderen, empirisch angebbaren Prozessen zu einer Revision der praktischen Handlungstheorien" kommen kann (Dewe [et al .. ] 1992: 74). Zum anderen werden die Ergebnisse bisheriger Studien zur Ausbildungsforschung bestätigt, wonach wissenschaftliches Wissen und praktisches Handlungswissen komplementär nebeneinander stehen können und sich nicht zwangsläufig wechselseitig bereichern müssen. So auch das Resümee einer der ersten deutschen Ausbildungsstudien: "Kaum einer Studentin gelingt es [...] überzeugend [...], Studienwissen mit eigenen Beobachtungen und praktischen Erfahrungen zu verknüpfen. Die meisten bleiben entweder im theoretischen Wissen hängen und referieren Themen, für die ihr Interesse während des Praktikums geweckt worden war, oder sie schildern sehr gefühlsbetont die Realität Schule, ohne nur ansatzweise professionell distanzierte Beurteilungskriterien anzuwenden" (Gabel 1997: 162 f). Die Einbeziehung des Erfahrungswissens der Studierenden ist auch deshalb unabdingbar, da in der Regel eine erhebliche Diskrepanz zwischen den eigenen Fremdsprachenlernerfahrungen am Gymnasium und zeitgemäßen spracherwerbsfördernden Lernumgebungen in einem kommunikativen und interkulturellen Fremdsprachenunterricht bestehen (vgl. Schocker-V. Ditfurth 2001: Kap. 4.3). Erst die Artikulation des Erfahrungswissens der Studierenden schafft die Voraussetzung dafür, daß es analysierbar, mitteilbar und damit reorganisierbar wird. Nur so kann es für sich selbst und für andere transparent gemacht, zur Diskussion gestellt und damit weiterentwickelt werden. 2. Personenbezagene Auseinandersetzung mit relevanten publizierten theoretischen Wissensbeständen Wie die Freiburger Studie nachgewiesen hat, kann das Interesse an theoretischen Wissensbeständen durchaus geweckt werden, wenn sie mit der Reflexion des eigenen Erfahrungswissens verbunden werden und wenn sie zur Problemlösung oder als Perspektive für die Verbesserung der Sprachlernbedingungen eines konkreten Handlungsraumes 2 Gabel (1997); vgl. auch die Auswertung der Lernerfahrungen der Studierenden, die sich an der Freiburger Studie beteiligt haben, in Schocker-V. Ditfurth (2001: Kap. 1.5). lf'LwL 31 (2002) 156 Marita Schocker-V. Ditfurth herangezogen werden. Diese Möglichkeit bietet ein forschendes Zugehen auf das Fremdsprachenklassenzimmer, durch das die Studierenden das Lernpotential eines spezifischen Fremdsprachenlernkontextes mit denjenigen Perspektiven verbinden, die fremdsprachendidaktische Wissensbestände für mögliche Weiterentwicklungen bieten. 3. Verstehende Auseinandersetzung mit dem Erfahrungs- und Praxiswissen der Lehrer/ innen und ihrer Schüler/ innen Fremdsprachenlehrer/ innen sind in erster Linie Vermittlungsexperten für das Fremdsprachenlernen und für interkulturelles Lernen in institutionalisierten Vermittlungskontexten. Deshalb geht das hier entwickelte Lehrerausbildungsmodell davon aus, daß die Schule als sozialer und kultureller Kontext, in dem institutionalisiertes Fremdsprachenlernen stattfindet, als Teil der zu reflektierenden Wissensbasis der Lehrerausbildung einzubeziehen ist (Breen 1985, Freeman/ Johnson 1998). Je nach Seminartyp bietet sich dafür entweder die direkte teilnehmende Beobachtung bei Unterrichtsbesuchen und eine darauf bezogene Befragung der am Unterricht Beteiligten an, möglich ist auch die Analyse von Fallstudien oder von Unterrichtsaufzeichnungen auf Video, die von der unterrichtenden Lehrerin kommentiert werden. 4. Anbahnen von Vermittlungswissen und -kompetenzen (Handlungsbezug) durch die Einbeziehung einer Klassenforschungskomponente in die Seminare Die Studierenden bearbeiten grundsätzlich ein Klassenforschungsprojekt im Team, dessen Inhalt und Umfang je nach Seminartyp sehr unterschiedlich sein kann (siehe untenstehende Beispiele). Zum einen lernen die Studierenden dadurch, die relevanten Perspektiven auf das Lehren und Lernen von Fremdsprachen aufeinander zu beziehen. Zum anderen ist es auch bereits in der ersten Phase der Lehrerbildung notwendig, daß die Studierenden angemessene Vermittlungskompetenzen entwickeln. Denn: den Studierenden sind aufgrund ihrer eigenen schulischen Lernerfahrungen die Handlungsmuster in einem lernerorientierten, kommunikativen Unterricht meist neu und deshalb fremd. Es versteht sich selbstredend, daß fremdsprachendidaktisch angemessene Handlungstypen erlernbar sind. Je nach Art und Weise der Vorerfahrungen der Studierenden, durch die sich entsprechende Handlungsdispositionen entwickelt haben, bedarf es jedoch einer längeren Phase der praktischen Erprobung, bis sie sich als automatisch verfügbare Verhaltensroutine im Klassenzimmer aktualisieren können. Die Seminare sollten deshalb so weit als möglich auch die Entwicklung entsprechender handlungssteuernder Vermittlungskompetenzen fördern. 4. Beispiele für mögliche Lehr/ Lern-Szenarien in der Lehrerausbildung, die nach dem Prinzip forschenden Lernens arbeiten Nachfolgend werden verschiedene Lernumgebungen skizziert, die die eben genannte Strukturierung des Lernprozesses auf unterschiedlichste Weise praktisch umsetzen. Dabei wird jeweils auf bereits vorliegende Publikationen verwiesen, in denen sowohl die IFLrutL 31 (2002) Forschendes Lernen in der Fremdsprachenlehrerausbildung ... 157 Konzeption als auch die Erfahrungen der Studierenden mit den Lernumgebungen ausführlich beschrieben werden. a) Das Fachpraktikum als 'organisierende Mitte' der Lehrerbildung Die weitreichendste Umsetzung des Prinzips forschenden Lernens findet im Rahmen des Fachpraktikums statt. Es ist nicht wie häufig üblich ein Anhängsel, das isoliert neben dem fachdidaktischen Veranstaltungsgebot besteht, sondern die einführende Didaktik/ Methodik-Veranstaltung; das Fachpraktikum und die das Praktikum begleitende Seminarveranstaltung sind inhaltlich und methodisch aufeinander abgestimmt und in einem Ausbildungsmodell integriert. Neu ist die konsequente Umsetzung der o.g. Prinzipien in einem hochschuldidaktischen Modell, das dem Fachpraktikum die zentrale Rolle in dieser Lernumgebung zuweist. Zunächst wird bei den Studierenden ein theoriegeleitetes Denken durch Aufgaben angebahnt, die die persönliche Auseinandersetzung mit grundlegenden fachdidaktischen Texten zum Lehren und Lernen fremder Sprachen anregen. Danach setzen sie sich mit dem entsprechenden Phänomen im Klassenzimmer auseinander, wobei ihre Aufmerksamkeit durch entsprechende Beobachtungsaufträge gesteuert wird. Schließlich bereiten sie Interviewleitfragen für die Lehrerin vor, die sich aus der Auseinandersetzung mit der Literatur und der Unterrichtsbeobachtung ergeben haben. Dadurch werden Diskussionsprozesse ausgelöst, in denen es beispielsweise um Begründungen für Diskrepanzen, um Zielperspektiven, um Fragen nach der Angemessenheit von Verfahren oder um das eigene berufliche Selbstverständnis geht. Fachdidaktische Wissensbestände werden nicht als präskriptives Anwendungswissen mißverstanden. Vielmehr wird durch die Aufgabenstellung eine persönliche, kritische Auseinandersetzung mit dem fachdidaktischen input angeregt, die der Entwicklung einer persönlichen Theorie über das Lehren und Lernen einer Fremdsprache zuträglich ist. Im letzten Drittel ihres Fachpraktikums erforschen die Studierenden, ausgehend von einer persönlich relevanten Fragestellung, die aus ihren Praxiserfahrungen hervorgegangen ist, einen Aspekt ihres Unterrichts und ziehen für die Klärung der Situation sowohl fachdidaktische als auch weitere, die Situation klärende, Wissensbestände heran. Danach entwickeln sie Handlungsstrategien, mit deren Hilfe sich ihr Anliegen praktisch umsetzen läßt. Unter Verwendung verschiedener Datenerhebungsmethoden werten sie dann ihre Unterrichtserfahrungen aus, wodurch ihre Fähigkeit zu einer distanzierten Reflexion gefördert wird. Die Datenerhebung hat immer die Perspektive der Schüler/ innen mit einzubeziehen. Abschließend präsentieren sie ihre Ergebnisse im Rahmen einer Diskussion zu Beginn des Folgesemesters für die neue Praktikumsgruppe. 3 b) Fremdsprachendidaktische Projektseminare mit einer unmittelbaren Forschungskomponente In fremdsprachendidaktischen Projektseminaren zu unterschiedlichsten Themen entwickeln die Studierenden Unterrichtsprojekte in enger Kooperation mit einer Lehrerin Für eine ausführliche Beschreibung sämtlicher Aufgaben, Themen und Forschungsprojekte siehe Schockerv. Ditfurth (1998; 2001). IFLwL 31 (2002) 158 Marita Schocker-V. Ditfurth und ihrer Schulklasse, führen diese Projekte in der Klasse durch, erheben prozeßbegleitend Daten zu einer Forschungsfrage, der sie nachgehen, werten diese abschließend aus und präsentieren und publizieren ihre Ergebnisse. Damit sind die fachdidaktischen Hauptseminare als Projektseminare angelegt und fördern dadurch bei den Studierenden ähnliche lerneraktivierende Prozesse, die sie bei den Schüler/ innen initiieren sollen: Die Studierenden arbeiten in themenbezogenen, arbeitsteiligen Projektteams und machen dadurch die Erfahrung selbstgesteuerten und kooperativen Lernens; Englisch ist die Arbeitssprache auf allen Ebenen des Austausches, d.h. der Seminardiskurs findet in der Zielsprache statt; schließlich werden die Studierenden dazu angeleitet, ihren Lernprozeß und das gemeinsame Lernprodukt selbst zu bewerten. Durch ihre Selbsterfahrung entwickeln sie gleichzeitig Handlungskompetenzen für die Praxis. Die Lehrveranstaltungen werden quasi „als didaktisch-methodisches 'Vorbild' für einen lerneraktivierenden Unterricht" gestaltet (Zydatiß 1998: 13; Hervorhbg. v. Autor). Damit wird der in Lehrerausbildungsstudien dokumentierten, weitverbreiteten Seminarpraxis entgegengearbeitet, wonach sich die Studierenden zwar mit fachdidaktischen Begriffen auseinandersetzen, ihnen jedoch die Vorstellung und die Anschauung der Praxis dieser häufig abstrakt bleibenden Begrifflichkeiten vorenthalten wird. Erkenntnisse der Lehrerausbildungsforschung aus unterschiedlichen Kontexten (Johnson 1992, 1994; Schocker-V. Ditfurth 2001) gehen übereinstimmend davon aus, daß die Ausbildungserfahrungen für angehende (wie auch praktizierende) Lehrer/ innen nur dann ein Anlaß zu einer Entwicklung, Differenzierung oder grundsätzlichen Neuorientierung derjenigen Vorstellungen sind, die sie mit dem Lernpotential des Fremdsprachenklassenzimmers verbinden, wenn eine Innovation anschaulich erfahrbar wird, also mit den strukturbedingten institutionellen Vorgaben, unter denen der Fremdsprachenunterricht stattfindet, vereinbar und dadurch glaubwürdig ist. 4 c) Fremdsprachendidaktische Projektseminare mit einer mittelbaren Forschungskomponente Bei dem eben beschriebenen Seminartyp ist die Arbeitsbelastung der Studierenden verglichen mit den Anforderungen traditioneller Fachdidaktikseminare sehr hoch. Auch ist nicht immer gewährleistet, daß die Schulbesuche mit den institutionellen universitären Vorgaben vereinbar sind. Eine Weiterentwicklung des Projektseminars besteht darin, daß die Studierenden keinen unmittelbaren Zugang zu einem Fremdsprachenklassenzimmer mehr haben, sondern sich mittelbar mit Daten auseinander setzen, die aus bereits durchgeführten Unterrichtsprojekten mit Klassen stammen. Es liegen umfangreiche Erfahrungen im Rahmen themenbezogener e-mail Projekte vor, die von den Hochschuldozenten und deren wissenschaftlichen Mitarbeiter/ innen gemeinsam mit interessierten Lehrerinnen vorbereitet, durchgeführt und ausgewertet wurden. Sämtliche Daten, die in diesem Zusammenhang entstanden sind oder erhoben wurden, also beispielsweise Lehrerinterviews, Schülerfragebögen, die Verschriftung von Gruppeninterviews mit Schülern, die 4 Ausführliche Beschreibung der Seminare sowie der Lernerfahrungen von Studierenden und Hochschuldozenten mit diesem Seminartyp in Legutke/ Schocker-v. Ditfurth (2001); Schocker-V. Ditfurth/ Legutke (2002). IFJL1.1][, 31 (2002) Forschendes Lernen in der Fremdsprachenlehrerausbildung ... 159 verwendeten Projektskizzen und Aufgabenstellungen und die entstandenen Schülertexte werden den Studierenden zur Verfügung gestellt. Auf diese Weise können sie das Praxiswissen als eine relevante Perspektive zur Bearbeitung ihrer Forschungsfrage einbeziehen (siehe Müller-Hartmann/ Schocker-V. Ditfurth 2002). d) Teilnehmende Beobachtung zu einer Forschungsfrage: direkt im Klassenzimmer oder unter Verwendung von Unterrichtsmitschnitten und einer begleitenden Reflexion durch die unterrichtende Lehrerin und ihrer Schüler/ innen Eine weitere Möglichkeit forschenden Lernens bietet die Einbeziehung von Unterrichtsbesuchen in den Seminaren zur aufgabengeleiteten Unterrichtsbeobachtung oder aber auch Unterrichtsmitschnitte, insofern als sie gleichzeitig die Perspektive der unterrichtenden Lehrerin und ihrer Schüler/ innen einschließt. Die Artikulation der eigenen Perspektive kann so mit den präsentierten Fallbeispielen verglichen und eine verstehende Unterrichtsbeobachtung durch die Einbeziehung der Perspektive der am Unterricht Beteiligten ermöglicht werden. Dazu werden derzeit vom Goethe-Institut Materialien für die DaF-Lehrerbildung entwickelt, das erste Modul liegt vor (Schocker-V. Ditfurth 2002). In allen Modulen kommentieren die Lehrerinnen, deren Unterricht auf Video zu beobachten ist, ihren Unterricht und geben über ihr berufliches Selbstverständnis und ihre Lernbiographie Auskunft. Gleichzeitig äußern sich auch ihre Schülerinnen zum Unterricht. Die Gegenüberstellung der eigenen Beobachtungen der Studierenden mit den Äußerungen der am Unterricht Beteiligten ermöglicht die Auseinandersetzung mit dem (eigenen und fremden) beruflichen Selbstverständnis. 5. Erfahrungen und notwendige Entwicklungen 5.1 Lehrerbildung als berufsidentitätsbildende Schlüsselerfahrung Ein Modell für die Fremdsprachenlehrerausbildung das so konzipiert ist, daß es die aufeinander bezogene Auseinandersetzung zwischen dem Erfahrungswissen der Studierenden, ausgewählten publizierten Wissensbeständen und den Lehr-Lern-Prozessen in einem Fremdsprachenklassenzimmer ermöglicht, bedarf im Idealfall eines Fachpraktikums als zentralen Ort einer praxisbezogenen Lehrerbildung, an dem dieser Verrnittlungsprozeß auf ideale Weise organisiert werden kann. Aber auch überschaubarere forschende Zugänge auf das Praxisfeld, die in die hochschuldidaktische Konzeption der Seminare einbezogen werden, vermögen dies in Ansätzen zu leisten. Für die Studierenden wird dadurch die praktische Entwicklung fachdidaktischer Wissensangebote sowie die aktiv forschende Weiterentwicklung der Praxis in ihrer Komplexität erfahrbar. Im Verlauf dieses Prozesses entwickeln die Studierenden ein reflektiertes berufliches Selbstverständnis, das ein mehrperspektivisch informiertes Wissen über die Bedingungen beinhaltet, die das Lehren und Lernen einer Fremdsprache in institutionellen Vermittlungskontexten charakterisiert. Wie gezeigt, werden dazu den Studierenden vielfältige Anlässe einer persönlichen Auseinandersetzung mit diesen relevanten Wissensbeständen geboten und damit die JFJLll! IL 31 (2002) 160 Marita Schocker-V. Ditfurth Voraussetzung für eine gegebenenfalls notwendige Neuorientierung ihres bisherigen Selbstverständnisses geschaffen. Es wird erwartet, daß dadurch nachhaltige Sozialisationswirkungen ausgelöst werden, die zur Entwicklung einer Berufsidentität beitragen. Das wird dann der Fall sein, wenn es gelingt, daß die Lernerfahrungen für die Studierenden zu einem critical incident bzw. einer critical period, einer berufsidentitätsbildenden Schlüsselerfahrung also, werden, die Measor wie folgt beschreibt: "(C)ritical incidents [...] are key events in the individual's life, [...] around which pivotal decisions revolve. These events provoke the individual into selecting particular kinds of actions, they in turn lead them in particular directions, and they end up having implications for identity. [...] As a result of the challenge [to a person's identity and image of seif, MS] [...s]ome parts of the identity are confirmed, others are renounced. In addition, the critical incident can involve a discovery about parts ofthe seif[... it] provokes a series of choices [ .. .it] changes the things an individual wants or sees as important. [ .. .I]t involves a reassessment of priorities. [...T]he individual chooses 'a way' and by doing so makes a seif' (Measor 1985: 61). Das hier diskutierte Lernmodell geht von der Vorstellung der Lehrerbildung als eines kontinuierlichen Prozesses der persönlichen und beruflichen Entwicklung aus, für den die Studierenden mitverantwortlich sind. Die Ausbildung initiiert und unterstützt diesen Entwicklungsprozeß durch entsprechende Angebote und Reflexionsräume und bietet Hilfen bei der persönlichen Verarbeitung der Erfahrungen an. Im anglo-amerikanischen Sprachraum wurde dafür der Begriff des teacher development eingeführt, um dieses Verständnis der Lehrerbildung als persönlichen Entwicklungsprozeß von der traditionellen Vorstellung einer Ausbildung als teacher training abzugrenzen: "The model [of teacher development, MS] is built on an 'asset' rather than a 'deficit' premise: teachers bring to their own development a whole host of skills and experiences that will serve them. Likewise, the process of learning is an active, not a passive one: the teacher is actively reflecting and exploring, not, as it were, 'being developed' by someone else whose job it might be to provide assessment and answers" (Wajnryb 1992: 9). Durch diese Fokussierung auf die Lehrerpersönlichkeit sind die Lernerfahrungen für die Studierenden zwar häufig eine Phase vermehrter Konflikte, aber auch eine Phase mit hohem Wachstumspotential. Sie erfahren in den hier konzipierten Lernumgebungen die professionelle Wertschätzung, die ihnen gebührt, jedoch nicht immer entgegengebracht wird, wie die Rückmeldungen der Studierenden zu ihren bisherigen Ausbildungserfahrungen in der Freiburger Studie gezeigt haben. Die prozeßbegleitende Auswertung der Lernerfahrungen der Studierenden hat wiederholt verdeutlicht, welchen Beitrag eine Lernumgebung, die sich an diesen Grundlagen orientiert, für die Entwicklung des beruflichen Selbstverständnisses angehender Fremdsprachenlehrer/ innen leisten kann. Für die meisten Studierenden wurden sie als Wendepunkt in ihrer beruflichen Entwicklung erfahren und hatten tatsächlich den Status einer Schlüsselerfahrung, die Anlaß zu einer Weiterentwicklung und Differenzierung bzw. einer grundsätzlichen Neuorientierung in ihrem beruflichen Selbstverständnis ist. 5 Für eine ausführliche Diskussion der Fallbeispiele wie auch der fallübergreifenden Auswertung siehe Schocker-V. Ditfurth (2001: Kap. 5) ]F]Lw., 31 (2002) Forschendes Lernen in der Fremdsprachenlehrerausbildung ... 161 5.2 Lehrerbildung als Kontinuum bisheriger Lernerfahrungen Gleichzeitig hat sich bestätigt, wie grundlegend die Auseinandersetzung der Studierenden mit den Lernerfahrungen ist, die vor Beginn ihres Studiums liegen: Sie wurden sich der prägenden Bedeutung dieser Erfahrungen auf ihr berufliches Selbstverständnis und ihr unterrichtliches Handeln bewußt und lernten durch den forschenden Zugang auf die Praxis, ihre Vorstellungen vom Lehren und Lernen einer fremden Sprache hinsichtlich seiner Angemessenheit zu bewerten. Dabei wurde zweierlei deutlich: Angehende Lehrer/ innen sind willens und dazu in der Lage, über ihr Erfahrungswissen Auskunft zu geben. Manche Unbeholfenheit im Ausdruck mag daher rühren, daß es für die Studierenden die erste Gelegenheit war, ihr Erfahrungswissen zu artikulieren und sich damit auseinander zu setzen. Zum anderen haben die Beiträge der Studierenden gezeigt, wie wichtig es ist, ihre Perspektive als eine relevante Wissensbasis in die fremdsprachendidaktische Auseinandersetzung einzubeziehen. Wenn beabsichtigt ist, daß Lehrer/ innen künftig ihr Erfahrungswissen nicht, wie bisher üblich, permanent destruieren, hat die Lehrerbildung die Studierenden von Anfang an dazu zu ermutigen, ihre Erfahrungen und ihr Wissen wert zu schätzen und es als eine Perspektive auf den Fremdsprachenunterricht ernst zu nehmen. 5.3 Fremdsprachendidaktische Fragestellungen im Zusammenhang eines pädagogischen Gesamtkonzeptes reflektieren und weiterentwickeln Es ist das ausdrückliche Ziel forschenden Lernens, die Studierenden dazu anzuleiten, ihr Erfahrungswissen zu verbalisieren, damit sie sich von ihrer Handlung distanzieren und über sie nachdenken können. Die Entwicklung dieser Fähigkeit der Reflexion über die Handlung ist vor allem auch in der Konzeption der Klassenforschungsprojekte angelegt, in denen die Studierenden dazu angeleitet werden, die relevanten Perspektiven auf das Lehren und Lernen einer Fremdsprache zu integrieren. Es geht dabei jedoch nicht um verkürzte fachdidaktische Anliegen, sondern um „eine persönlichkeitsfördernde Hinführung zur beruflichen Rolle des Pädagogen und Lehrers", die sich „vor allem in der individuellen Bereitschaft und Fähigkeit zeigt, über das Tätigkeitsfeld des Lehrers in fachlich strukturierter und pädagogisch-didaktisch verantwortlicher Form reflektieren zu können" (Zydatiß 1998: 283). Die Freiburger Studie hat gezeigt, daß eine angemessene Weiterentwicklung der schulischen Lernerfahrungen nicht durch ein isoliertes, ausschließlich an fremdsprachendidaktischen Kriterien orientiertem Curriculum erfolgen kann, das sich auf die Beschreibung, die Analyse, und die Weiterentwicklung der fremdsprachlichen Aspekte des Unterrichtsdiskurses beschränkt. Ein solches eingeschränktes Verständnis würde weder den Bedingungen gerecht, unter denen institutioneller Spracherwerb stattfindet, noch entspräche es einem beruflichen Selbstverständnis, das sich durch ein ernsthaftes Bemühen um pädagogisches Verstehen auszeichnet, d.h. das die Lerninhalte und -prozesse in den Zusammenhang ihrer Bedeutsamkeit für die Entwicklung des Selbst- und Weltverständnisses der Schüler/ innen stellt (Klafki 1988). Im Idealfall ist das Handeln des ]F[,IJIL 31 (2002) 162 Marita Schocker-V. Ditfurth Einzelnen jenseits der Grenzen eines Unterrichtsfaches Ausdruck einer pädagogischen Grundhaltung, die von den Lehrerinnen und Lehrern einer Schule gemeinsam getragen wird. Damit den Studierenden die Bedingtheit ihrer fachbezogenen Erfahrungen von den Rahmenbedingungen, welche die Schule als „pädagogische Gemeinschaft" (Meyer 1997: 25) ausmacht, bewußt werden, ist eine zeitlich längerfristige Auseinandersetzung mit einem schulischen Umfeld Voraussetzung. Dies ist natürlich in der ersten Phase der Lehrerbildung nur bedingt möglich, kann jedoch durch umfangreichere Folgeprojekte, die aus den Seminaren hervorgehen beispielsweise im Rahmen von Staatsexamensarbeiten oder von der Hochschule betreuter Blockpraktika weiter verfolgt werden. Ein solchermaßen pädagogisch orientiertes Berufsleitbild setzt maßgeblich die Fähigkeit zur Organisation schülerorientierter Lernprozesse voraus, die Voraussetzung dafür ist, daß die Schüler/ innen als eigenständige und ernstzunehmende Persönlichkeiten in den Lernprozeß einbezogen werden: "lt[ ... ] means providing pre-service teachers with knowledge about what students are like, to see students, not as 'faceless blobs' but as individuals with unique needs, interests, aptitudes, and personalities" (Johnson 1996: 47 f). Wie die Freiburger Studie nachgewiesen hat, spielen schülerorientierte Verfahren in den Fremdsprachenlernerfahrungen der Studierenden kaum eine Rolle. Dadurch fehlen ihnen anschauliche Vorstellungen davon, wie sie die Eigenverantwortlichkeit und -initiative der Schüler/ innen praktisch realisieren könnten. Die Fähigkeit, sie in gemeinsamer Verantwortung für die Lernprozesse anzuleiten, entlastet die Studierenden gleichzeitig und reduziert damit die komplexen Anforderungen der Unterrichtssituation. Das hohe Ausmaß an Kontrolle, das ein Merkmal fremdsprachlicher Interaktion ist, mag sich nicht nur aus den komplexen strukturellen Merkmalen der Unterrichtsituation ableiten, sondern verweist meines Erachtens auf Defizite der Lehrerausbildung, der es derzeit an der Entwicklung glaubwürdiger und praktikabler Alternativen eines pädagogisch kompetenten Umgangs mit Klassen mangelt. Es wird nur dann gelingen können, fachdidaktische Anliegen mit den situativen Anforderungen der Unterrichtssituation zu verbinden, wenn die Ausbildung diese integrierte Entwicklung ermöglicht. Dies ist bisher kaum der Fall. Es muß jedoch zu keiner Dichotomisierung zwischen fachdidaktischen Anliegen, persönlichen Vorlieben und Neigungen und den situativen Anforderungen der Unterrichtssituation kommen, wenn diese in gemeinsamer Auseinandersetzung weiterentwickelt werden. Es wäre deshalb angemessen, die Studierenden auch in anderen Fächern dazu anzuleiten, durch verschiedene Verfahren und auf verschiedenen Ebenen die Perspektive der Schüler/ innen als festen Bestandteil ihrer Arbeit im Klassenzimmer einzubeziehen. Dazu gehört auch, daß sie Möglichkeiten kennen lernen, den Unterricht in gemeinsamer Verantwortung mit den Schüler/ innen zu gestalten. IFILwL 31 (2002) Forschendes Lernen in der Fremdsprachenlehrerausbildung ... 163 5.4 Das Prinzip forschenden und reflektierten Erfahrungslernens mit dem Prinzip des· Modelllernens verbinden Die Freiburger Studie hat die Ergebnisse der Gabel-Studie bestätigt, wonach die Fachdidaktik Modelle des Lehrens und Lernens entworfen hat, die in der Universitätslehre nur selten umgesetzt werden und in den Schulen höchstens als Glücksfall anzutreffen sind. Dadurch fehlt den Studierenden die Vorstellung davon, wie sie an sich überzeugende Prinzipien und Konzepte in ein praktisches Lehr-Lernarrangement übertragen können. Vermutlich ist dies einer der Gründe dafür, daß die lernbiographischen Prägungen der Studierenden den Studieninhalten widerstehen. Die Beschäftigung mit allgemeinen Lerntheorien und mit Konzepten eines lernerorientierten Unterrichts in fachdidaktischen Seminaren, beeinflußt deshalb die auf ihren eigenen Erfahrungen beruhenden Unterrichtstheorien nicht. Bei der Konzeption der hier vorgestellten Lernumgebung wurde deshalb davon ausgegangen, daß diese langjährigen Prägungen einer Lernerbiographie nur dann wirkungsvoll kompensiert und weiterentwickelt werden können, wenn die Studierenden in ihrer Ausbildung überzeugenden Alternativen begegnen. Je anschaulicher diese Lehrangebote sind, desto glaubwürdiger und damit handlungsrelevanter werden sie sein. Diese Vermutung wird von Schulentwicklungsexperten unterstützt, welche die derzeit praktizierte Lehrerbildung für kritikwürdig halten, da diese in erster Linie auf vague conceptions basiere: die Lehrangebote bewegten sich meist auf der Ebene abstrakter Begriffe, die für die Studierenden Leerformeln seien, da sie damit keine entsprechenden Vorstellungen einer Realisation verbinden könnten: "The main reason for the failure of teacher education programs, is that they are based on extremely vague conceptions. Having an ideology is not the same as having conceptions and ideas of what should be done and how it should be done" (Fullan 1993: 109). Die Freiburger Studie hat bestätigt, daß die Lernerfahrungen, die im Zusammenhang eines kommunikativen und schülerorientierten Fremdsprachenunterrichts diskutiert werden, in ihren eigenen schulischen Lernerfahrungen kaum eine Rolle spielen und sich deshalb die Vorstellungen, die sie mit dem Lernpotential im Fremdsprachenklassenzimmer aufgrund ihrer eigenen schulischen Erfahrungen verbinden, grundsätzlich von denjenigen Prozessen unterscheiden, die einen kommunikativen und schülerorientierten Unterricht kennzeichnen. Deshalb kann den Studierenden ohne positive alternative Modelle eine Weiterentwicklung in die gewünschte Richtung nur schwer gelingen. Das lernbiographisch geprägte Erfahrungswissen der Studierenden wird dadurch zu einem weiteren Faktor, der zur Komplexität der Anforderungen im Klassenzimmer beiträgt, da sie während ihres Unterrichts kaum auf entlastende Handlungsroutinen zurückgreifen können. Gleichzeitig besteht eine Diskrepanz zwischen dem beruflichem Selbstverständnis, das in vielen Bereichen durchaus den Anforderungen an einen kommunikativen, schülerorientierten Unterricht entspricht, und den Verhaltensdispositionen und -routinen, die sich durch die bisherigen Lernerfahrungen ausgeprägt haben. Der Ausbildungsseite stellt sich deshalb dringend die Frage nach Kompensationsangeboten, durch welche diese Defizite ausgeglichen werden können. Man kann davon ausgehen, lFLlllL 31 (2002) 164 Marita Schocker-v. Ditfurth daß sich die Handlungsdispositionen und Verhaltensroutinen, die sich über Jahre hinweg herausgebildet haben, nur dann verändern werden, wenn die Studierenden glaubwürdigen Alternativmodellen begegnen. Dies scheint derzeit nicht der Fall zu sein ein Ergebnis, das sich durch Erfahrungen in anderen Lehrerausbildungskontexten bestätigt: "(I)f preservice teachers' beliefs are to shift at all, they must become cognizant of their own beliefs, have opportunities to resolve conflicting images within their own beliefs, have opportunities to resolve conflicting images within their own belief systems, have access to develop an understanding of and, more importantly, have successful encounters with alternative instructional practices and alternative images of teachers" (Johnson 1994: 451 ). Fachdidaktisches Wissen und dessen Übernahme durch die Lehrer/ innen ist an die Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft von Personen gebunden, die in der Lage sind, Vorschläge auch selbst praktisch umzusetzen (Appel 2000). Der derzeitige Fokus der ersten Lehrerbildungsphase auf einer reflektiven Auseinandersetzung mit Wissensbeständen verkennt, wie wichtig positive Rollenvorbilder für die berufliche Entwicklung sind: "(T)he current emphasis on reflective teaching draws attention to high level skills of analysis of teaching, with little attention being given to the numerous routes of professional growth by which student teachers might eventually become reflective. Much discussion of reflective teaching tends in fact to devaluate the modeling of routines which for student teachers rnight even be an essential stage in the process of becoming reflective about teaching" (Calderhead 1991: 534). Die Erfahrungen mit den hier skizzierten Lernumgebungen forschenden Lernens haben gezeigt, daß dieser berufliche Entwicklungsprozeß dann besonders günstig zu verlaufen scheint, wenn Phasen des Modellernens und des reflektierten Erfahrungslernens dem forschenden Lernen im Klassenzimmer vorausgehen bzw. es begleiten. So lange sich die eigenen schulischen Lernerfahrungen so erheblich von den Zielperspektiven unterscheiden, werden den Studierenden ohne die Bereitstellung adäquater Unterrichtsbilder keine glaubwürdigen Alternativen zur Verfügung stehen, an denen sie sich orientieren können. Letztlich werden wünschenswerte Weiterentwicklungen in diesem Bereich maßgeblich von dem beruflichen Selbstverständnis der an der Universität Lehrenden abhängen, die der Schulpraxis häufig nicht den zentralen Stellenwert einräumen, den sie verdient. Dazu zählt die dringende Aufwertung der Lehrkompetenz im universitären Bereich, die derzeit noch nicht genügend Berücksichtigung findet (vgl. dazu beispielsweise die Anregungen in McGrath, 1997). Gabel (1997: 175) kritisiert in diesem Zusammenhang zu Recht, daß die sorgfältige Ausübung der Lehrverpflichtungen zu keinen akademischen Meriten führe. Nach wie vor werden bei Stellenbesetzungen in der Regel ein Engagement in der Lehre und eine besondere pädagogische Eignung im Verhältnis zu der wissenschaftlichen Publikationsleistung nicht entsprechend honoriert. Fest stehtdas hat die Freiburger Studie nachgewiesen-, daß ein traditionell kognitiv ausgerichtetes Verständnis von Lehrerbildung einer Vorbereitung auf Unterricht als einer im wesentlichen personenzentrierten und von persönlichen Beziehungen lebenden Tätigkeit nicht gerecht werden kann. Fest steht aber auch, daß es entsprechenden Lehrerbildungsszenarien, die nach dem Prinzip forschenden Lernens arbeiten und die dabei alle lFL1UilL 31 (2002) Forschendes Lernen in der Fremdsprachenlehrerausbildung ... 165 relevanten Perspektiven auf das Lehren und Lernen fremder Sprachen respektieren und einbeziehen, durchaus gelingen kann, entsprechende Wirkungen zu erzielen. Literatur APPEL, Joachim (2000): Erfahrungswissen und Fremdsprachendidaktik. München: Langenscheidt- Longman. 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The article describes in what way one of the forms of open teaching, namely learning in stations, was tried out as part of a 'Hauptseminar' on the subject of dictionaries. 1. Neuere Entwicklungen in der Fremdsprachendidaktik und ihre hochschuldidaktischen Konsequenzen Wenn irgendwo von neueren Entwicklungen in der Fremdsprachendidaktik die Rede ist, so ist zunächst einmal zu klären, welche neueren Entwicklungen denn gemeint sind: Die Fremdsprachendidaktik ist, wie andere Disziplinen auch, heute eine derartig heterogene Disziplin, daß das, was als neuere Entwicklung wahrgenommen wird, zweifellos vom Standort und vom Blickwinkel des jeweiligen Betrachters abhängig ist neuere Entwicklungen in der Fremdsprachendidaktik sind sehr wahrscheinlich „different things to different people". Würde man etwa Fremdsprachendidaktiker befragen, die ihren Schwerpunkt in der Landesbzw. Kulturkunde (Cultural Studies) haben, so würden sie bezüglich der neueren Entwicklungen vermutlich auf all das hinweisen, was sich unter dem Stichwort interkulturelles Lernen zusammenfassen läßt. Für Fremdsprachendidaktiker, die einen Interessenschwerpunkt im Bereich des Medieneinsatzes haben, sind neuere Entwicklungen sicherlich in den Möglichkeiten zu sehen, die sich durch den Einsatz und die Nutzung von E-mail und World Wide Web bieten. Literaturdidaktiker würden vermutlich als eine der neueren Entwicklungen die Diskussion herausstellen, die um die Erweiterung bzw. Neubestimmung des Lektürekanons für den Englischunterricht in der Sekundarstufe II entstanden ist. Weitere neuere Entwicklungen, die auch schon deutlich wahrnehmbar den Unterrichtsalltag in vielen Schulen bestimmen, liegen in der verstärkten Einführung des sog. bilingualen Unterrichts sowie in der Fremdsprachenarbeit in der Grundschule. Bei den eben genannten Stichwörtern handelt es sich keinesfalls um eine vollständige Bilanz dessen, was sich an neueren Entwicklungen in den letzten zwei Jahrzehnten in der Korrespondenzadresse: Priv.-Doz. Dr. Jens BAHNS, Akademischer Oberrat, Englisches Seminar der Universität Kiel, Olshausenstr. 40, 24098 KIEL. E-Mail: bahns@anglistik.uni-kiel.de Arbeitsbereiche: Didaktik der englischen Sprache, Lexikologie/ Lexikographie, Hörverstehen. IFJLIIL 31 (2002) 168 Jens Bahns Fremdsprachendidaktik erkennen läßt es sind vielmehr einige wenige Punkte auf einer sehr langen, offenen Liste, die das Innovationspotential der Fremdsprachendidaktik, wenn auch nur ansatzweise, zeigen sollen. All die eben genannten Bereiche sind jedoch hier nicht gemeint; die neueren Entwicklungen, mit denen wir uns in diesem Abschnitt etwas näher befassen wollen, finden sicli in der fremdsprachendidaktischenFachliteratur häufig unter dem Stichwort Öffnung wieder. Geöffneter Unterricht, Öffnung des Unterrichts, Offener Unterricht sind Stichwörter, die für die Fremdsprachendidaktik wohl zu den neueren Entwicklungen gezählt werden dürfen; schaut man dagegen auf die Grundschuldidaktik (im Gegensatz zu Sek. I und II), so handelt es sich allerdings um etablierte Begriffe und Konzepte. Nach meiner Wahrnehmung sind diese Stichwörter und die mit ihnen verbundenen Konzeptionen und praktischen Unterrichtsvorschläge seit Beginn der 90er Jahre in zunehmend stärkerem Maße in der fremdsprachendidaktischen Literatur zu finden. Einer der Ausgangspunkte dieser Entwicklung scheint mir ein Beitrag von Otfried Börner aus dem Jahre 1990 zu sein, der den fast schon programmatischen. Titel trägt: "Auch der Fremdsprachenunterricht läßt sich öffnen". Sicherlich hat es auch vor 1990 schon Vorschläge für einen 'anderen' Fremdsprachenunterricht gegeben, die Merkmale eines geöffneten Unterrichts aufwiesen. Hierbei wäre z.B. zu denken an die Vorschläge zu einer projektorientierten Arbeitsweise im Englischunterricht (z.B. Legutke/ Thiel 1982) oder an die Vorschläge, im Fremdsprachenunterricht Ideen und Vorstellungen von Celestin Freinet umzusetzen (z.B. Dietrich 1979). Im Rahmen dieses Beitrages kann aus Platzgründen nicht in der wünschenswerten Ausführlichkeit auf die allgemeinpädagogischen Hintergründe der Konzeptionen von Offener Schule und Offenem Unterricht eingegangen werden. Für Wallrabenstein (1994: 54) ist Offener Unterricht ein „Sammelbegriff für unterschiedliche Reformansätze in vielfältigen Formen inhaltlicher, methodischer und organisatorischer Öffnung mit dem Ziel eines veränderten Umgangs mit dem Kind auf der Grundlage eines veränderten Lernbegriffs". Die in diesem Zusammenhang in der Literatur allgemein, aber auch speziell in der fremdsprachendidaktischen Literatur am häufigsten zu findenden Formen der Öffnung des (fremdsprachlichen) Unterrichts sind Projektarbeit, Freiarbeit, Wochenplanarbeit, Lernen an Stationen, Lernen in der (Fremdsprachen- )Lernwerkstatt, Autonomes (Fremdsprachen-)Lernen. Inwieweit diese Konzeptionen bereits im fremdsprachenunterrichtlichen Schulalltag umgesetzt werden, kann und soll hier nicht Gegenstand der Diskussion sein. Wir wollen unseren Blick gemäß unserer Thematik auf den Hochschulunterricht und speziell die universitäre Ausbildung von Englischlehrkräften lenken und uns zunächst fragen, wo es in diesem Kontext Ansätze zur Umsetzung der genannten Konzeptionen gibt. Am stärksten etabliert im Rahmen des (Fremdsprachen-)Lehrerstudiums scheinen die Formen Projektarbeit und Autonomes Lernen zu sein. Als Illustrationsbeispiel sei hier auf die neue schleswig-holsteinische Lehrerprüfungsordnung "Landesverordnung über die Erste Staatsprüfung der Lehrkräfte" vom 5. Okt. 1999) hingewiesen, in der als Voraussetzung für die Zulassung zur Prüfung der Nachweis der Teilnahme an einem Projekt festgeschrieben ist. Ähnliches wird vermutlich auch für andere Bundesländer lFlL1.lllL 31 (2002) Stationenlernen im Fremdsprachenlehrerstudium ... 169 gelten. Elemente des Autonomen Lernens dürften einen Großteil der sprachpraktischen Komponente der Fremdsprachenlehrerausbildung abdecken. Über erste Versuche, auch das Lernen an Stationen in die universitäre Ausbildung von Fremdsprachenlehrkräften einzubeziehen, berichten Ahlmann/ Bahns (im Druck). Dabei handelte es sich um Lehrveranstaltungen aus dem Studienbereich Fachdidaktik. Schritte zur Öffnung der universitären Lehre im Rahmen von fachdidaktischen Veranstaltungen durchzuführen, ist naheliegend, gerade wenn es um die Vermittlung von fachdidaktischen Inhalten wie autonomes Lernen und Öffnung von Englischunterricht geht. Selbstverständlich lassen sich diese Inhalte auch in Form von Vorlesungen oder „traditionellen" Seminaren vermitteln, aber um wie vieles effektiver wird es sein, wenn die Studierenden „am eigenen Leib" erfahren, was autonomes Lernen ist und wie z.B. Stationenlernen funktioniert. Doch Überlegungen zur Öffnung des Unterrichts an Hochschulen im Rahmen der Fremdsprachenlehrerausbildung sollten nicht nur für fachdidaktische Lehrveranstaltungen angestellt werden auchfachwissenschaftliche Inhalte sollten daraufhin geprüft werden, inwiefern sie sich für neue Formen der Vermittlung eignen. In der universitären Ausbildung von Fremdsprachenlehrkräften nehmen die Fachwissenschaften (Sprachwissenschaft, Literaturwissenschaft, Landeskunde/ Cultural Studies) immer noch den deutlich größeren Anteil ein, während der Anteil der Sprachpraxis vergleichsweise gering, derjenige der Fachdidaktik noch geringer ist. Methodische Neuerungen in der Lehre bzw. neue Veranstaltungsformen sollten daher nicht nur in fachdidaktischen, sondern ebenso in fachwissenschaftlichen Veranstaltungen ausprobiert werden. 2. Ein sprachwissenschaftliches Hauptseminar zum Thema " Wörterbücher" Wörterbücher sind unabdingbare Arbeitsmittel beim Erlernen einer Fremdsprache durch (schulischen oder außerschulischen) Unterricht. Ebenso ist ein Fremdsprachenstudium, egal mit welchem Berufsziel, ohne die (Be-)Nutzung von Wörterbüchern nicht denkbar. Wenn es nun um die Ausbildung von künftigen Fremdsprachenlehrkräften geht, die ja im Rahmen ihres Studiums ihre fachwissenschaftlichen Kenntnisse, ihre fachdidaktischen Kenntnisse und Fertigkeiten sowie ihre sprachpraktischen Fertigkeiten ausbilden sollen, so sind Kenntnisse über Wörterbücher in zweifacher Hinsicht relevant: Zum einen müssen die Studierenden solche Wörterbücher kennen und benutzen können, die für das eigene Studium nützlich sind, zum anderen sollen sie solche Wörterbücher kennen und kritisch beurteilen können, die für die Schülerhand konzipiert sind. Mit beiden Kategorien von Wörterbüchern sollten die Studierenden im Rahmen eines sprachwissenschaftlichen Hauptseminars bekannt gemacht werden. In dem Hauptseminar, das im SS 2000 an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel mit rund 20 Teilnehmer/ innen der Studiengänge Lehramt an Grund- und Hauptschulen sowie Lehramt an Realschulen stattfand, wurden zwei Sitzungen in Form des Lernens an Stationen durchgeführt. ]F][,i.tl, 31 (2002) 170 Jens Bahns Oben ist das Stationenlernen als eine Form der Öffnung von Unterricht bezeichnet worden. Genausowenig wie hier eine ausführliche Darstellung der Grundgedanken des Offenen Unterrichts gegeben werden kann, ist dies für das Lernen an Stationen möglich (vgl. dazu z.B. Hegele 1996). Wir beschränken uns hier auf eine einfache Begriffsbestimmung, die wir von Bauer (1997: 59) übernehmen. "Lernen an Stationen (oder auch Lernzirkel, Stationenlernen, Übungszirkel usw.) beschreibt jeweils das zusammengesetzte Angebot mehrerer Lernstationen, das die Lernenden im Rahmen einer übergeordneten Thematik (Unterrichtseinheit oder fächerverbindende Thematik) bearbeiten und unter Umständen teilweise selbst mitgestalten". Eine Lernstation ist nach Bauer „ein einzelner Arbeitsauftrag, ein einzelnes Angebot, welches den Schülerinnen und Schülern im Rahmen des Lernens an Stationen zur Verfügung gestellt wird" (ebd.). Das Hauptseminar wies folgende Grobstruktur auf: Bei den beiden in Form des Stationenlernens durchgeführten Sitzungen handelte es sich um die dritte und vierte Seminarsitzung des Semesters (vgl. unten, Abschnitt 3). Über die Ergebnisse der Stationenarbeit wurde in der fünften Sitzung berichtet. Nachdem zu Beginn der ersten Sitzung organisatorische Fragen (z.B. Bedingungen der Erteilung eines Leistungsnachweises) im Vordergrund standen, ging es anschließend darum, die „Wörterbuchbiographie" der Studierenden zu ermitteln bzw. eine Wörterbuchbestandsaufnahme durchzuführen. Die Studierenden sollten in dieser frühen Phase der Seminararbeit sich selber Rechenschaft ablegen über ihr Verhältnis zu ihren eigenen Wörterbüchern sowie über ihre Wörterbuchbenutzungsgewohnheiten. Der Arbeitsauftrag in diesem Zusammenhang lautete: "Machen Sie sich bitte Notizen zu folgenden Fragen: 1. Welches Wörterbuch / welche Wörterbücher (für Englisch) besitze ich? (Titel möglichst genau angeben) 2. Seit wann (ungefähr) besitze bzw. benutze ich welches Wörterbuch? 3. Wie oft (durchschnittlich) benutze ich ein Wörterbuch (während des Semesters)? 4. Bei welchen Fragen greife ich zum Wörterbuch? Wann benutze ich ein Wörterbuch? Was will ich vom Wörterbuch wissen? 5. Finde ich meist im Wörterbuch, was ich wissen will? Bin ich nach der Konsultation des Wörterbuchs 'schlauer' oder bin ich manchmal eher frustriert? Bin ich zufrieden mit meinem Wörterbuch? " Auf der Basis der individuellen Notizen entwickelte sich ein Plenumsgespräch, auf dessen Inhalt hier nicht näher eingegangen werden soll, abgesehen allerdings von einem Punkt, der für den Kenntnisstand der Studierenden in Sachen Wörterbuch bezeichnend zu sein scheint: Kaum jemand unter den Teilnehmer/ innen war in der Lage, den Titel des Wörterbuchs bzw. der Wörterbücher anzugeben, mit dem bzw. denen sie mehr oder weniger intensiv umgingen. Auf die Frage 1 des Arbeitsauftrages kamen als die häufigsten Antworten „Oxford" (gemeint war meist das Advanced Learner's Dictionary), "Langenscheidt" (gemeint war hier entweder eines aus der großen Vielfalt der zweisprachigen Wörterbücher des fraglichen Verlages oder das Longman Dictionary of Contemporary English, das in Deutschland von Langenscheidt vertrieben wird), und "Pons" (auch hier war eines der zweisprachigen Wörterbücher gemeint, die vom Klett- Verlag vertrieben werden). Im Anschluß an die Diskussion wurden die Studierenden mit den drei Wörterbuchtypen (sowie mit einigen Vertretern der genannten Kategorien) IFLllllL 31 (2002) Stationenlernen im Fremdsprachenlehrerstudium ... 171 bekannt gemacht, die für ihr eigenes Studium unabdingbar sind: Das einsprachige Wörterbuch für fortgeschrittene Lerner, das zweisprachige Wörterbuch von angemessenem Umfang, sowie das einbändige Wörterbuch für native speakers. In der zweiten Sitzung ging es dann darum, weitere Wörterbuchtypen vorzustellen bzw. kennenzulernen. Dazu wurde zunächst eine Reihe von Unterscheidungen eingeführt: einsprachiges Wörterbuch vs. zweisprachiges Wörterbuch; allgemeines Wörterbuch vs. Spezialwörterbuch; Wörterbuch für native speakers vs. Wörterbuch für Lerner (Lernerwörterbuch); gemeinsprachliches Wörterbuch vs. fachsprachliches Wörterbuch; historisches Wörterbuch vs. gegenwartsbezogenes Wörterbuch; Nachschlagewörterbuch vs. Lernwörterbuch; etc. Zusätzlich wurde eine Auswahl von Spezialwörterbüchern präsentiert, so z.B. das Kollokationswörterbuch und das Idiom-Wörterbuch als Beispiele für syntagmatische Spezialwörterbücher; das Synonymenwörterbuch als Beispiel für ein paradigmatisches Spezialwörterbuch; ein Slangwörterbuch als Beispiel für eine Varietätenwörterbuch sowie ein Aussprachewörterbuch und ein etymologisches Wörterbuch als Beispiele für Angabenwörterbücher. Im zweiten Teil der Sitzung erhielten die Studierenden photokopierte Beispielseiten aus 30 verschiedenen Wörterbüchern unterschiedlichster Prägung sowie eine Liste mit den Titeln dieser 30 Wörterbücher. Die Aufgabe, die in 3er- oder 4er-Gruppen zu bearbeiten war, bestand darin, Vermutungen darüber anzustellen, welche Beispielseitenkopie aus welchem Wörterbuch stammte. Mit der Vorbereitung aus diesen zwei Sitzungen, d.h. mit der Erkenntnis, daß es in Sachen Wörterbücher noch einiges zu entdecken gibt, gingen die Studierenden dann in die zwei Sitzungen der Stationenarbeit. 1 3. Stationenlernen im Rahmen des sprachwissenschaftlichen Hauptseminars In diesem Abschnitt soll ein Eindruck davon vermittelt werden, was die Studierenden in den beiden fraglichen Seminarsitzungen bei der Stationenarbeit „gelernt" haben. Dazu wird unten der für diese Sitzungen vorbereitete „Stationenlaufzettel" in der Form wiedergegeben, wie er den Studierenden als Orientierungshilfe zur Verfügung stand. Der Stationenlaufzettel enthieltnach einer erläuternden Vorbemerkung - Angaben zu den an den jeweiligen Stationen ausliegenden Arbeitsmaterialien (meist Wörterbücher) sowie die Arbeitsaufträge (AA). Der Text des Stationenlaufzettels ist unten in kleinerer Schrifttype wiedergegeben; unterbrochen wird dieser Text durch Kommentare (in größerer Schrifttype) zu den einzelnen Stationen, die jeweils Auskunft über die Lernziele sowie über die zu erarbeitenden Ergebnisse geben. Die restlichen Seminarsitzungen, d.h. 6. bis 12., verliefen in gewohnter Seminararbeitsweise, nämlich in Form von Präsentationen und Diskussionen studentischer Referate, die sich inhaltlich an den lexikographischen Kapiteln (Kap. 3 sowie Kap. 8-15) von Jackson (1988) orientierten. lFlLwL 31 (2002) 172 Jens Bahns "Stationenlaufzettel" Vorbemerkung: Für die Stationenarbeit im Rahmen unseres Hauptseminars sind zwei Sitzungen (4. und 11. Mai) vorgesehen. Sie sollen durch die Bearbeitung der Stationen einen (weiteren) Einblick in die verschiedenen Aspekte unseres Themas erhalten und die Gelegenheit haben, mit einer Reihe von Wbb und Wb-Typen persönlich 'Bekanntschaft zu machen'. Es sind für die zwei Sitzungen 12 Stationen (und 2 'Sonderstationen') vorhanden. Versuchen Sie, möglichst viele (alle? ) Stationen zu absolvieren. Die Reihenfolge ist beliebig. Sie können die Stationen allein oder in Partnerarbeit bearbeiten. [Für die Sonderstationen (am PC in meinem Büro) ist es evtl. sinnvoll, sie zu dritt zu absolvieren, damit möglichst alle Teilnehmer die Gelegenheit haben; Station 13 kann nur am 4. Mai, Station 14 nur am 11. Mai bearbeitet werden]. Außer diesem „Stationenlaufzettel" brauchen Sie noch Papier und Schreiber für Ihre Notizen bzw. Antworten. In det Sitzung am 18. Mai wollen wir die Arbeitsergebnisse vergleichen und besprechen. Station 1 Material: PONS Bildwörterbuch kompakt: Deutsch-Englisch Schauen Sie sich das Inhaltsverzeichnis (S. 4-5) an. Suchen Sie sich einen Sachbereich heraus, der Sie interessiert. Bevor Sie dort nachschlagen, a) überlegen Sie, welche englischen Wörter aus dem Sachbereich Sie bereits kennen; notieren Sie sich diese. b) überlegen Sie, welche Begriffe darüber hinaus Ihrer Erwartung nach zu diesem Sachbereich verzeichnet sein müßten und notieren Sie sich die entsprechenden deutschen Wörter. Schlagen Sie dann nach und vergleichen sie Ihre Erwartungen mit den vorgefundenen Begriffen. Hat Sie das Ergebnis zufriedengestellt / überrascht / enttäuscht / ......... ? An dieser Station sollten die Studierenden den Typus des zweisprachigen Bildwörterbuchs kennenlernen. Das Inhaltsverzeichnis des ausgelegten Wörterbuchs weist insgesamt dreißig Sachbereiche aus (wie z.B. Tierreich, menschlicher Körper, Kleidung, Schienenverkehr, Musik, Energie), die fast sämtlich weiter untergliedert sind (der Abschnitt Energie z.B. in Erdölförderung, Wasserkraft, Kernenergie, Sonnenenergie, Windenergie). Durch den AA sollten die Studierenden zu einem gezielten Nachschlagen veranlaßt werden, wobei es nicht darum ging, bestimmte Fachbegriffe zu ermitteln, sondern eine gewisse Erwartungshaltung aufzubauen, die dann durch Überprüfung des jeweiligen Sachbereiches bzw. Teilsachbereiches bestätigt oder 'enttäuscht' werden sollte. Gleichzeitig ergab sich für die Studierenden die Möglichkeit, ihren aktiven Wortschatz in dem fraglichen Sachbereich zu kontrollieren und ggf. zu revidieren bzw. zu erweitern. Eine korrekte Lösung des AA gab es hier selbstverständlich nicht. Station 2 Material: Kranz, Arbeitsmittel der Anglistik Reich! , Englische Sprachwissenschaft 1. Lesen Sie den Abschnitt „DA" über „Allgemeine einsprachige Wbb" (S. 121f.) in Kranz. Welche Arten von Informationen enthalten die hier vorgestellten Wbb normalerweise? 2. Anschließend (DAl - DA16) werden offenbar 16 allgemeine einsprachige Wbb vorgestellt. Unter ]F]Ll.11][, 31 (2002) Stationenlernen im Fremdsprachenlehrerstudium ... 173 welchen zwei Nummern sind jedoch Titel angeführt, die genau genommen nicht hierher gehören, da es sich nicht um dictionaries handelt? 3. Schauen Sie sich die Abschnitte „Wörterbücher der heutigen englischen Sprache" (Reich! , S. 221- 237) und „Wörterbücher" (Kranz, S. 119-148) an. Achten Sie auf die jeweils verwendete Wb- Typologie. Welche Wb-Typologie ist differenzierter? Weiche der fünf Kategorien von Kranz ist bei Reich! überhaupt nicht berücksichtigt? Das Material an dieser Station sind zwei Bände aus der Buchreihe Grundlagen der Anglistik und Amerikanistik (Erich Schmidt Verlag). Sowohl in Reichl (1993) wie in Kranz (1994) finden sich Abschnitte, in denen die Studierenden auf wichtige Wörterbücher zur englischen Sprache hingewiesen werden. Der entsprechende Abschnitt in der Bibliographie von Reichl hat die Form eines „Anhangs", für den Helmut Gneuss verantwortlich zeichnet. Der Abschnitt D bei Kranz ist den Wörterbüchern gewidmet und in fünf Abschnitte unterteilt: DA allgemeine einsprachige Wörterbücher; DB allgemeine zweisprachige Wörterbücher; DC historisch-kritische Wörterbücher; DD paradigmatische Spezialwörterbücher; DE Wörterbücher für ausgewählte Zielgruppen. Jeder dieser Abschnitte beginnt mit einigen allgemeinen Bemerkungen zu dem jeweiligen Wörterbuchtyp. Durch die Lektüre dieser Bemerkungen zum Abschnitt DA (AAl) sollten die Studierenden sich noch einmal vergegenwärtigen, welche Fülle von Informationen Wörterbücher dieses Typs dem Benutzer bieten. Kranz stellt hier heraus, daß gute Wörterbücher mehr vermitteln als Informationen zu „Wortbedeutungen, Orthographie, morphologischen Formen und Aussprache. Sie enthalten in der Regel auch Angaben zur Konstruktion von Strukturen und Sätzen, zu Kollokationen, zu Stilebenen, zum regionalen oder gar lokalen Gebrauch usw." (Kranz 1994: 121). AA2 sollte die Studierenden dazu bringen, Titel und Kurzkommentare zu den hier vorhandenen 16 Einträgen etwas genauer anzuschauen. Dabei war herauszufinden, daß zwei dieser Einträge (DA3 und DAS) sich nicht auf Wörterbücher selbst, sondern auf Dictionary Workbooks (zum DCE2 bzw. ALD4) beziehen. Wie oben bereits dargestellt, ist die Gliederung bei Kranz mit fünf Kategorien (DA bis DE) relativ grob, während im Anhang bei Reichl 12 Wörterbuchtypen unterschieden werden, wobei zwei der Kategorien noch weiter differenziert sind. Zur Illustration sei daraufhingewiesen, daß bei Reichl die allgemeinen einsprachigen Wörterbücher dreifach unterteilt sind "umfassend angelegte einsprachige Wörterbücher"; „große einsprachige Wörterbücher"; "einsprachige Wörterbücher für Englischlernende und Benutzer mit anderen Muttersprachen"). Im Sinne der Fragestellung von AA3 sollten die Studierenden bemerken, daß bei Reichl fachsprachliche Wörterbücher, die Kranz in seiner Kategorie DE "Wörterbücher für ausgewählte Zielgruppen") vorstellt, überhaupt nicht berücksichtigt sind. Station 3 Material: Langenscheidt Katalog. Englisch 2000 1. Notieren Sie jeweils Titel und Preis des kleinsten und des größten zweisprachigen Wörterbuchs aus dem vorliegenden Katalog. IFJL1UJIL 31 (2002) 174 Jens Bahns 2. Auf S. 5 wird als eine der „Neuheiten" das Millennium-Wörterbuch angepriesen und als „Völlige Neuentwicklung" bezeichnet. Warum ist dies eigentlich eine Irreführung des Kunden? 3. Auf S. 11 wird Langenscheidts Internet-Wörterbuch Englisch-Deutsch beschrieben; dabei wird die „einfache Lautschrift" hervorgehoben. Schauen Sie sich die Probeseite auf S. 12 an was halten Sie von dieser Neuerung? Hier ging es darum, die Studierenden dazu zu bringen, den aktuellen Katalog eines der führenden deutschen Wörterbuchverlage nicht ziellos durchzublättern, sondern bestimmte Informationen aus dem Katalog bewußt zur Kenntnis zu nehmen. Hinter AAI stand die Absicht, den Studierenden noch einmal bewußt zu m: achen, daß Langenscheidt nicht der Titel eines Wörterbuchs ist, sondern der Name eines Wörterbuchverlages (vgl. oben, Abschnitt 2). Zu identifizieren waren hier a) Langenscheidts Reisewörterbuch Englisch (8,90 DM) und b) Langenscheidts Enzyklopädisches Wörterbuch Der Große Muret- Sanders (4 Bände a 348 DM; Gesamtpreis demnach 1392 DM). AA2 sollte die Skepsis der Studierenden gegenüber Wörterbuchwerbung wecken. Während das Millennium- Wörterbuch einerseits als Neuheit und „völlige Neuentwicklung" angepriesen wird, findet der aufmerksame Leser im 'Kleingedruckten' den Hinweis, daß es sich um eine "Bearbeitung des bekannten und bewährten Langenscheidt Taschenwörterbuch Englisch" handelt. (Verglichen mit anderen „Tatbeständen", von denen bei Station 9 bzw. Station 12 die Rede sein wird, scheint diese „Irreführung" noch relativ harmlos.) AA3 sollte die Studierenden zu einer persönlichen Meinung bzw. Stellungnahme zu der „einfachen Lautschrift" bewegen, in der die Aussprache von z.B. adaptive answering ('anpassungsfähiges Antwortverhalten') bzw. ad click rate ('Werbeklickrate') in folgender Weise notiert wird: [adäpptiw ahnßaring] bzw. [äd klick reht]. Station 4 Material: Oxford Elementary Learner's Dictionary 1 1981 Oxford Elementary Learner's Dictionary 2 1994 Das Oxford Grundwörterbuch 1. Um was für einen Wb-Typ handelt es sich beim Oxford Elementary Learner's Dictionary (OELD)? 2. Vergleichen Sie die 1. und 2. Ausgabe miteinander. Notieren Sie so viele Unterschiede wie Sie finden. Welche der Unterschiede sind Ihrer Meinung nach wichtige Verbesserungen? 3. Um was für einen Wb-Typ handelt es sich bei Das Oxford Grundwörterbuch (DOG)? Erkennen Sie eine Verbindung zu einer der beiden Ausgaben des Oxford Elementary Learner's Dictionary? An dieser Station fanden die Studierenden einerseits den Typus des einsprachigen allgemeinen Lernerwörterbuchs (für Lerner auf einem vergleichsweise elementaren Niveau) (OELDI und OELD2) sowie andererseits einen Vertreter des Typus bilingualisiertes allgemeines Lernerwörterbuch (DOG). Die Verbindung zwischen DOG und OELD, auf die in AA3 abgehoben wird, besteht darin, daß das DOG eine mit deutschen Übersetzungen versehene Version des OELDl ist. Das DOG übernimmt die englischsprachige Erklärung des Stichwortes, gibt dann das deutsche Äquivalent des Stichwortes, übernimmt so vorhanden den englischen Beispielsatz, in dem das Stichwort verwenlFLllllL 31 (2002) Stationenlernen im Fremdsprachenlehrerstudium ... 175 det wird, und bietet anschließend eine deutsche Übersetzung des englischen Beispielsatzes; unübersetzt bleibt also die englischsprachige Bedeutungserklärung. Relativ einfach und schnell zu entdeckende Unterschiede zwischen OELDI und OELD2, nach denen AA2 fragt, sind z.B. a) die Anordnung der Illustrationen (OELDI enthält durchschnittlich 4 bis 5 Illustrationen aufjeder rechten Seite, rechts oben in der Ecke, während die Illustrationen in OELD2 im Text verstreut direkt beim jeweiligen Stichwort positioniert sind), b) OELD2 enthält 16 illustrierte Sonderseiten zu Bereichen wie Shapes and sizes, The Human Body, Words that go together (= Kollokationen) oder Telephoning; c) im OELD2 finden sich zu bestimmten Stichwörtern spezielle notes (grau unterlegt), die auf sprachliche oder landeskundliche Besonderheiten hinweisen (Beispiel pub: "In Britain, you can buy alcoholic drinks like beer and wine in a pub if you are over the age of 18. In a lot of pubs you can also buy food."). Station 5 Material: Lehnert, Rückläufiges Wörterbuch der englischen Gegenwartssprache 1. Lesen Sie das Vorwort. Notieren Sie sich, welche möglichen Benutzergruppen genannt werden. 2. Suchen Sie im Wörterbuch das Wort dictionary. Welches Wort kommt vor dictionary? 3. Suchen Sie einsilbige Reimwörter zu earn. (Bedenken Sie, daß auch andere Schreibweisen, z.B. -urn, als Reim in Frage kommen.) In der 2. Sitzung, in der die Studierenden mit 30 Fotokopien aus den verschiedensten Wörterbuchtypen konfrontiert worden waren (vgl. oben, Abschnitt 2), hatte die Kopie einer Doppelseite aus Lehnerts Rückläufigem Wörterbuch große Verwunderung und Erstaunen hervorgerufen und zu der Frage geführt, wozu denn ein solches Wörterbuch nützlich sein könnte. In seinem Vorwort erläutert Lehnert das Bauprinzip dieses Wörterbuchs und nennt die folgenden möglichen Benutzergruppen und die entsprechenden Benutzungszwecke: Philologen und Nachrichtenexperten "Entschlüsselung verschlüsselter und Ergänzung verstümmelter Texte"), Linguisten (Materialsammlung zur englischen Wortbildungslehre), Englischlehrer an Universitäten, Hoch-, Fach- und Oberschulen (Material für Wortschatzübungen, Wortfamilien, Produktivität bestimmter Wortbildungselemente), Sprach- und Informationsverarbeiter (Ausgangsmaterial für automatische Übersetzung), Dichter (Reimlexikon). AA2 und AA3 sollten die Studierenden noch einmal auf die Anordnungsprizipien eines rückläufigen Wörterbuchs aufmerksam machen, und zwar durch einfache Nachschlageaufträge. (Lösung zu AA2: Stichwort vor dictionary ist insurrectionary; Lösung zu AA3: learn, yearn; fern, hern, kern, tern, quern; firn, girn, kirn, pirn; urn, burn, cum, churn, spurn, turn). Station 6 Material: Wells, Longman Pronunciation Dictionary 1. Lesen Sie den Abschnitt „Acknowledgements" (pp. vi-vii). a) Welches andere berühmte Aussprachewörterbuch des Englischen erwähnt Wells als 'Vorbild'? b) Wofür hat er das Duden AussprachewörlFLllL 31 (2002) 176 Jens Bahns terbuch genutzt? c) Im vorletzten Absatz bedankt Wells sich bei „nearly three hundred native speakers of British English" wofür? 2. Hier sind ein paar Wörter, über die Sie Ausspracheinformationen einholen sollen. demonstrable: Betonung auf 1. oder 2. Silbe? - Eigenname Halley (der mit dem Kometen) integer (Fachbegriff der Mathematik: 'ganze Zahl') poor: Aussprache [po: ] oder [pua]? - Personen- und Ortsname Warwick - Markenname IKEA awry ('schief', 'krumm'). An dieser Station sollten die Studierenden ein Aussprachewörterbuch des Englischen kennen lernen. Das Langman Pranunciatian Dictianary von J.C. Wells steht seit seinem erstmaligen Erscheinen 1990 in unmittelbarer Konkurrenz zum English Pronauncing Dictianary von Jones, dessen 12., 13. und 14. Auflage (1963, 1967, 1977) Wells in seinen Acknawledgements als eine seiner Hauptquellen erwähnt (vgl. AAla)). AAlb) lenkt die Aufmerksamkeit der Studierenden darauf, daß das Duden Aussprachewörterbuch (Mangold 2 1974) "not only for German but also for information about proper names from a variety of foreign languages" benutzt worden ist. Ein besonderes Charakteristikum des Langman Pronunciatian Dictianary liegt darin, daß für rund 100 Wörter „of uncertain pronunciation" eine Befragung von 275 native speakers des Britischen Englisch durchgeführt worden ist, in der es um deren bevorzugte Aussprachegewohnheiten bezüglich dieser Wörter ging (vgl. AAlc)). Bei der Bearbeitung von AA2 stoßen die Studierenden auf zwei Ergebnisse dieser Umfrage: Für demanstrable ergab sie eine Präferenz von 63% für eine Betonung auf der zweiten Silbe gegenüber 37% für eine Betonung auf der ersten Silbe; für paar bevorzugten 57% der Befragten die Aussprache [po: ] gegenüber 43%, die das Wort [pua] aussprechen. Für die übrigen in AA2 gegebenen Lexeme finden die Studierenden folgende Ausspracheinformationen: Halley - " ... usually ['hreli] in educated speech, although some claim that only ['ho: li] is correct. There is also a popular pronunciation ['heili]"; integer - ['1nt1d3a]; Warwick - BrE [wonk], AmE [wo: rwlk]; IKEA - [a1'kia]; awry- [a'ra1] "jocularly also / 'o: ri/ "). Station 7 Material: The BBI Combinatory Dictionary of English. A Guide to Word Combinations Arbeitsbogen Kollokationswörterbücher wie das BBI sind Produktionswbb (Schreibwbb), die dazu dienen, passende Partner zu den Wörtern zu finden, die man in seinem Text benutzen will. Dabei kann es sich z.B. um passende Adjektive oder Verben zu Substantiven handeln, oder wie in der Übung auf dem Arbeitsbogen um passende Adverbien zu vorhandenen Adjektiven. Machen Sie die Übung auf dem Arbeitsbogen und ziehen Sie dafür das BBI zu Rate. Sinn und Zweck dieser Station war es, den Studierenden erste Erfahrungen im praktischen Umgang mit dem BBI zu ermöglichen. Hierzu lag ein Arbeitsbogen mit einer Übung aus Using the BBI (Benson/ Benson/ Ilson/ Young 1991) aus. Dieses Warkbaak soll JF[,IJlL 31 (2002) Stationenlernen im Fremdsprachenlehrerstudium ... 177 in die sachgemäße Benutzung des Kollokationswörterbuchs einführen und enthält insgesamt 32 Übungen in 7 Units. Eine detaillierte Beschreibung des Workbook findet sich in Bahns (1997: 102 f). Die auf dem Arbeitsbogen präsentierte Übung (4-D) besteht aus 12 Lückensätzen; zu suchen sind Adverbien, die mit den in den Sätzen enthaltenen Adjektiven kollokieren. In einem Satz wie The Tokyo area is _____ populated wären als passende Adverbien etwa densely oder heavily zu ergänzen; ein Adverb zu ashamed in You should be ______ ashamed of yourselfwäre thoroughly. Weitere hier mit Hilfe des BBI zu ermittelnde Kollokatoren zu den gegebenen Adjektivbasen sind u.a.: fiercely/ keenly (competitive); chronically/ hopelessly (addicted); eminently/ fully/ highly/ well ( qualified); bitinglbitter/ bitterly ( cold); dripping/ soaking (wet); stark (naked). Station 8 Material: Fremdsprachen Lehren und Lernen Band 23 (1994) Fremdsprachen Lehren und Lernen Band 26 (1997) 1. In den beiden Bänden der Zeitschrift Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL) findet sich jeweils ein Beitrag von Kurt-Michael Pätzold (Bd. 23, S. 13-64; Bd. 26, S. 184-218), in denen er neuere Wörterbücher bespricht. Welche Typen von Wbb und wie viele Vertreter des jeweiligen Typs untersucht er? Notieren Sie sich zusätzlich die Titel und Abkürzungen der in Teil 2 (Bd. 26) besprochenen Wbb. 2. Bd. 23 (1994) enthält außerdem einen Artikel von Käthe Henke-Brown (S. 120-148), in dem weitere Typen von Wörterbüchern besprochen werden. Welche vier Typen sind dies? Für welchen Typ unterscheidet sie drei Untertypen? Welche? Für welchen Typ bespricht sie nur zwei Vertreter? (Notieren Sie hier die Titel.) An dieser Station sollte den Studierenden ein erster Einblick in die Wörterbuchkritik gegeben werden. Ziel der Arbeit konnte jedoch verständlicherweise nicht die extensive Lektüre der in den AA genannten Beiträge sein; vielmehr sollten die Studierenden sich lediglich einen Überblick über die verschiedenen Wörterbuchtypen verschaffen, die hier behandelt werden. Pätzold behandelt in seinem zweiteiligen Beitrag (vgl. AAl) zunächst (1994) zweisprachige Wörterbücher, und zwar fünf Titel Deutsch-Englisch sowie fünf Titel Englisch-Deutsch, und anschließend monolinguale Wörterbücher für native speakers (Größenordnung „desk/ college dictionaries"), und zwar vier in den USA produzierte Wörterbücher und vier in Großbritannien produzierte. Im zweiten Teil des Beitrags (1997) geht es dann um den Typus des Produktionswörterbuchs (vertreten hier durch The BBI Combinatory Dictionary of English - BBI; Longman Language Activator - LLA; Oxford Learner's Wordfinder Dictionary - OLWD) sowie um die seinerzeit aktuellen Ausgaben der großen Lemerwörterbücher (Oxford Advanced Learner's Dictionary - ALD5; Longman Dictionary of Contemporary English - LDOCE3; Collins Cobuild English Dictionary - COBUILD2; Cambridge International Dictionary of English- CIDE). Henke-Brown (1994) behandelt phraseologische Wörterbücher/ Lexika (und zwar a) Idiom-Lexika, b) Sprichwort-Lexika, c) Zitaten-Lexika); Kulturwörterbücher; Aussprachewörterbücher; Schwierigkeitenwörterbücher. Bei den Aussprachewörterbüchern handelt es sich um die beiden wichtigsten Vertreter dieser Kategorie, nämlich lFLwL 31 (2002) 178 Jens Bahns das English Pronouncing Dictionary und das Longman Pronunciation Dictionary (vgl. Station 6). Station 9 Material: PONS Schülerwörterbuch (ab 1. Lernjabr) PONS Wörterbuchfürdie Weiterbildung 1. Bevor Sie die Wbb aufschlagen, überlegen Sie, worin sich die Wbb, die ja für deutlich unterschiedliche Benutzergruppen konzipiert sind, unterscheiden sollten/ könnten / müßten. 2. Auf den jeweils hinteren Buchdeckeln wird unter dem Stichwort „Hilfreich" auf Boxen mit kulturellen Informationen hingewiesen im Schülerwörterbuch auf die Beispiele Hallowe'en, high school, lollipop lady; im Wörterbuch für die Weiterbildung auf die Beispiele bachelor's degree, bank holiday, Caucus, Crown Court, front bench, Independence Day. Prüfen Sie, ob die genannten Boxen im jeweils anderen Wb auch vorhanden sind. 3. Worin unterscheiden sich die beiden Wbb tatsächlich? Das 'Lernziel' an Station 9 lag darin, daß die Studierenden erkennen sollten, in welcher Weise Wörterbuchverlage gelegentlich (mit m.E. unlauteren Mitteln) zu einer vermeintlichen adressatenspezifischen Differenzierung ihres Angebots beitragen. Die beiden hier ausliegenden zweisprachigen Wörterbücher, die der Klett-Verlag 1998 auf den Markt gebracht hat, sind ja, solange man den Wörterbuchtiteln Glauben schenkt, für durchaus unterschiedliche Benutzergruppen konzipiert: Zum einen für Schüler ab dem 1. Lernjahr, zum anderen für Erwachsene in der Weiterbildung. AAI geht nun eben genau von der naheliegenden Annahme aus, daß Wörterbücher für unterschiedliche Adressatengruppen auch Unterschiede bezüglich Konzeption/ Struktur/ Umfang etc. aufweisen. Über solche möglichen/ denkbaren/ sinnvollen Unterschiede sollten die Studierenden zunächst einmal selbständig nachdenken. Wer die Wörterbücher aufschlägt, erkennt sehr schnell, daß sie inhaltlich vollständig identisch sind (abgesehen von einem kleinen Teil im Anhang, s.u.). Die Studierenden sollten über AA2 zu dieser Einsicht geführt werden; die Identität beider Wörterbücher gilt auch für die „Boxen mit kulturellen Informationen", obwohl auf den hinteren Buchdeckeln durch die Angabe von unterschiedlichen Beispielen offenbar der Eindruck erweckt werden soll, hier bestünden inhaltliche Unterschiede. Bei den beiden Wörterbüchern handelt es sich um identische Neubearbeitungen von PONS Standardwörterbuch Englisch (21994), wobei der einzige Unterschied zwischen dem Schülerwörterbuch ab 1. Lernjahr und dem Wörterbuch für die Weiterbildung darin besteht, daß ersteres im Anhang einige Übungen zur Wörterbuchbenutzung enthält, während letzteres statt dessen zweisprachige Hilfen für die Privat- und Geschäftskorrespondenz bietet (vgl. AA3). Station 10 Material: McCaig/ Manser, A Leamer's Dictionary of English Idioms Gerbert/ Zimmermann, Idiomatische Redewendungen Englisch-Deutsch Engeroff/ Lovelace-Käufer, An English-German Dictionary of Idioms lF! LlllL 31 (2002) Stationenlernen im Fremdsprachenlehrerstudium ... 179 Sie wollen wissen, was die drei idiomatischen Wendungen drop a brick, grasp the nettle, pick s.o. 's brains bedeuten. Schlagen Sie zunächst im einsprachigen Wb nach und versuchen Sie, auf der Basis der dort gegebenen Erläuterungen deutsche Entsprechungen zu finden. Suchen Sie die drei Wendungen dann in den beiden zweisprachigen Wbb und überprüfen Sie so die Ergebnisse Ihres ersten Nachschlagens. Machen Sie sich nicht nur Notizen über Ihre Suchergebnisse, sondern auch über Ihre Suchwege. An dieser Station ging es darum, die Studierenden an die Problematik der Benutzung von Idiom-Wörterbücher heranzuführen, die ja bekanntlich vor allem darin liegt, daß Wörterbücher durchaus unterschiedlich verfahren, sobald es um den Ort des Verzeichnetseins von idiomatischen Wendungen geht. Die drei Beispielwendungen, die im AA genannt sind, bestehen alle drei aus einem Verb (drop, grasp, pick) und einem Substantiv in Objektfunktion (brick, nettle, brains). Im einsprachigen Wörterbuch (A Learner's Dictionary of English Idioms) finden sich alle drei Wendungen unter dem jeweiligen Verb verzeichnet. Die Bedeutung wird dort wie folgt erläutert: drop a brick/ clanger (informal) "say or do sth that causes embarrassment"; grasp the nettle „tackle sth, esp a difficult matter, firmly and boldly"; pick sb 's brain(s) "ask sb questions to obtain information, ideas etc which you can then use for yourself'. Ein Nachschlageversuch unter brick, nettle, brain bringt kein Ergebnis, auch keinen Querverweis. Die genau entgegengesetzte Praxis, idiomatische Wendungen aus V + N(obj) zu verzeichnen, weisen die beiden zweisprachigen idiomatischen Wörterbücher auf. In Idiomatische Redewendungen Englisch-Deutsch finden sich unter brick, nettle, brain die folgenden Einträge: drop a brick/ clanger <coll> "eine Taktlosigkeit/ einen Fauxpas begehen, ins Fettnäpfchen treten, etw. Unpassendes sagen"; grasp/ seize the nettle „eine Schwierigkeit mutig anpacken"; pick/ suck sb's brains „aus der Erfahrung/ dem Wissen eines anderen schöpfen, die Ideen eines anderen verwerten, geistigen Diebstahl begehen". Während der Benutzer hier unter den Verben vergebens nachschlagen würde, findet sich in An English-German Dictionary of Idioms eine der Wendungen (drop a brick) sowohl unter drop wie unter brick; die anderen beiden Wendungen sind auch hier nur unter dem Substantiv zu finden. Es werden folgende Übersetzungen gegeben: to drop a brick (sl.) "ins Fettnäpfchen treten"; to grasp the nettle „eine Schwierigkeit mutig/ beherzt anpacken"; to pick (to suck) a person's brains „die Ideen eines anderen verwerten". Station 11 Material: The Concise Oxford Dictionary of Current English (COD) Oxford Advanced Learner's Dictionary of Current English (ALD) 1. Vergleichen Sie die jeweiligen Artikel zu frantic in den beiden Wbb und notieren Sie Unterschiede bzgl. Umfang, Verständlichkeit, Beispielen und sonstigen Informationen. 2. Schauen Sie sich die auffrantic folgenden 20 Stichwörter im COD an und notieren Sie diejenigen, die hier, aber nicht im ALD aufgenommen sind. 3. Blättern Sie vor allem im COD (mit dem ALD bzw. anderen Lernerwbb sind Sie ja vertraut) und versuchen Sie, weitere Unterschiede zwischen einem Wb für native speakers (COD) und einem Lernerwb (ALD) herauszufinden. lFLllL 31 (2002) 180 Jens Bahns Hier sollten sich die Studierenden mit den Unterschieden zwischen einem einsprachigen Wörterbuch für native speakers (COD) und einem in der Größe vergleichbaren Lernerwörterbuch (hier ALD) beschäftigen. Ein Vergleich der beiden Artikel zufrantic (vgl. AAl) läßt beispielsweise sehr schnell erkennen, daß das Lernerwörterbuch großen Wert legt auf Verwendungsbeispiele für das fragliche Stichwort, während das COD auf derartige Verwendungsbeispiele vollständig verzichtet. Ebenso ins Auge fallend sind die etymologischen Angaben im COD, die man in einem Lernerwörterbuch vergeblich suchen würde. Ein dritter an diesem Beispiel erkennbarer Unterschied liegt in der Art der Bedeutungserklärung: Während das COD fast ausschließlich mit Bedeutungserklärungen in der Form von Synonymen operiert (wildly excited, frenzied; desperate, violent; extreme, very great), finden sich im Lernerwörterbuch ausführlichere Bedeutungsumschreibungen, wobei in der Erläuterung unter Ziffer 2 auch noch Gründe für die 'Hektik' genannt werden. Bei Bearbeitung von AA2 sollten die Studierenden erkennen, daß die beiden Wörterbücher Unterschiede in der Menge der Stichwörter aufweisen: Von den im COD auf frantic folgenden 20 Stichwörtern sind frap, frappe, frass, Frau, Fräulein, Fraunhofer Lines, fraxinella, frazil im ALD nicht verzeichnet. AA3 schließt in gewissem Sinne an AAl an und sollte die Studierenden dazu führen, weitere Spezifika der beiden Wörterbuchtypen und damit Unterschiede zwischen ihnen festzustellen. Zu denken wäre hier beispielsweise an das Fehlen jeglicher Abbildungen/ Illustrationen im COD; an die leichtere Verständlichkeit der Bedeutungserklärungen in Lernerwörterbüchern; an die Angaben in Lernerwörterbüchern, die für Produktionsbzw. Enkodierzwecke nützlich sein können (vgl. auch Bahns 1996: 35). Station 12 Material: Super Maria Super Englisch. Langenscheidt Wörterbuch für Kids Langenscheidts Universal-Wörterbuch Englisch 1. Überfliegen Sie im Super Maria die Stichwörter im Teil E-D unter dem Buchstaben „V" (oder ca. 6-7 andere aufeinanderfolgende Seiten). Sind dort Wörter verzeichnet, deren Aufnahme in ein "Wörterbuch für Kids" Sie eher überrascht/ erstaunt? 2. Vergleichen Sie die eben überflogenen Seiten mit den entsprechenden Seiten im Universalwörterbuch - Ergebnis des Vergleichs? 3. Welche sprachlichen Phänomene/ Probleme werden im Super Maria Wb auf den farbigen Sonderseiten erläutert? Wie schon bei Station 9 war es auch hier das Ziel, die Studierenden mit der Erkenntnis zu konfrontieren, daß Wörterbuchverlage sich nicht scheuen, die Käufer und Benutzer ihrer Wörterbücher zu täuschen. AAl forderte die Studierenden auf, ihre Erwartungen an ein „Wörterbuch für Kids" (vgl. Untertitel) mit dem tatsächlichen Inhalt dieses Wörterbuches zu vergleichen. Hintergrund dieses Arbeitsauftrages war die Vermutung, daß große Teile des aufgenommenen Wortschatzes kaum in einem „Wörterbuch für Kids" zu erwarten sind. Unter dem in AAl für die Überprüfung vorgeschlagenen Buchstaben 'V' sind dies u.a. die folgenden Stichwörter: vagary ('Laune), valerian ('Baldrian'), valet ('KamlFlL1.llL 31 (2002) Stationenlemen im Fremdsprachenlehrerstudium ... 181 merdiener'), varicose vein ('Krampfader'), venal ('käuflich'), veneer ('Furnier'), vestry ('Sakristei'), vigil ('Nachtwache), vindicate ('rechtfertigen, rehabilitieren'), voluptuous ('sinnlich, üppig'), etc. Der Vergleich mit dem Universal-Wörterbuch (AA2) zeigt dann, daß die beiden Wörterbücher im englisch-deutschen wie im deutsch-englischen Wörterverzeichnis inhaltlich völlig identisch sind. Unterschiede zwischen den beiden Wörterbüchern sind das etwas größere Format von Super Mario Super Englisch sowie die folgenden zwei Charakteristika, auf die auf der Umschlagrückseite hingewiesen wird: "Mit lustigem Super Mario Daumenkino für Rechts- und Linkshänder" sowie „Farbige Super Mario Specials zu Redensarten, Sprichwörtern und Stolpersteinen". Hierbei handelt es sich um farbige Sonderseiten, die u.a. folgende Informationen enthalten: Unterschiede im Wortschatz zwischen britischem und amerikanischem Englisch; Differenzierung mehrerer Übersetzungsalternativen für ein deutsches Wort (z.B. glücklich= happy oder lucky? Fehler= error oder mistake oder fault? ); Hinweise auffalsefriends ('Stolpersteine'). "Sonder-")Station 13 (nur am 4. Mai) Material: Internet Auf der YAHOO-Startseite findet sich die Kategorie / Rubrik Reference Libraries, Dictionaries, Quotations ... Standort: PC im Büro Bahns Klicken Sie auf Dictionaries und begeben Sie sich von dort aus auf eine Reise durch das Internet. Notieren Sie sich stichwortartig, welche Sites Sie besucht haben und was dort zu finden ist. "Sonder-")Station 14 (nur am 11. Mai) Material: C0LLINS C0BUILD on CD-ROM Standort: PC im Büro Bahns Machen Sie sich (mit Hilfe des User's Guide und Ihrer allgemeinen PC-Erfahrung) mit diesem Beispiel eines „elektronischen Wörterbuchs" ein wenig vertraut. Überlegen Sie sich in Ihrer Kleingruppe 3 oder 4 konkrete kleine 'Probleme', bei deren Lösung Ihnen C0LLINS C0BUILD on CD-ROM helfen soll. Notieren Sie sich Ihre Fragen an das Programm und die Antworten, die Sie (hoffentlich) erhalten. Ziel dieser beiden Sonderstationen war es, den Studierenden erste Erfahrungen mit elektronischen Wörterbüchern zu verschaffen. Da die Printwörterbücher inzwischen erhebliche Konkurrenz in Form von CD-ROM Wörterbüchern und Internetwörterbüchern erhalten haben, sollte auch im Rahmen des beschriebenen Hauptseminars zumindest ansatzweise auf diese neueren Entwicklungen eingegangen werden. Die Arbeitsaufträge waren hier sehr offen formuliert, so dass den Studierenden Gelegenheit blieb, ihre eigenen Fragen zu stellen und ihre eigenen Wege zu beschreiten. lFJLIIL 31 (2002) 182 Jens Bahns 4. Schlußbemerkung Die Erfahrungen, die in diesem fachwissenschaftlichen Hauptseminar für angehende Englischlehrkräfte mit der Form des Stationenlernens gemacht wurden, stimmen weitgehend mit denen überein, über die Ahlmann/ Bahns (im Druck) berichten: Die beiden Seminarsitzungen, die für das Stationenlernen vorgesehen waren, wurden von den Studierenden zu diesem Zweck auch in voller Länge genutzt. Von einigen Teilnehmer/ innen kam sogar die Frage, ob wir denn nicht auch noch eine dritte Sitzung in dieser Form machen könnten. Zu Beginn der 'Auswertungssitzung' äußerten sich die Studierenden durchweg positiv zu dieser für sie neuen Form der Seminararbeit. Mehrfach wurde darüber berichtet, daß man während der Sitzungen erstaunt war, wie schnell die Zeit verging und wie lange man sich doch an den einzelnen Stationen 'festgearbeitet' hatte. Der Dozent stand während der beiden Sitzungen für Rückfragen zu Verfügung. Da sich solche Rückfragen aber eher selten ergaben, hatte er ausreichend Zeit, das Geschehen zu beobachten: Die Studierenden vermittelten den Eindruck, mit Neugier und Interesse an die Sache heranzugehen, intensiv zu arbeiten und sich dabei auch noch wohl zu fühlen. Bei universitären Lehrveranstaltungen besteht leicht die Gefahr, dass sie eintönig werden, sei es durch die Zentrierung auf den Dozenten/ die Dozentin, sei es durch (zu) viele lange Referate der Studierenden. Deshalb ist es dringend geboten, über alternative Formen der Seminargestaltung nachzudenken, durch die die Eigenaktivitäten aller Studierenden gefördert und gestärkt werden können. In Rampillon (1998) wird anschaulich die schrittweise Hinführung zum offenen Lernen in der Lehrerfortbildung demonstriert. Im Rahmen universitärer Lehrveranstaltungen erscheint mir insbesondere das Stationenlernen als Einstieg geeignet, um die Studierenden zu offeneren Lernformen hinzuführen und sie autonome Lernprozesse erleben zu lassen. Das hier skizzierte Beispiel soll als Anregung dienen und zum Ausprobieren neuer Unterrichtsformen ermuntern, und zwar nicht nur im Bereich der Lehrerfortbildung und der zweiten Phase der Lehrerausbildung, wo es schon erfreuliche Ansätze gibt, sondern auch bereits in der ersten Phase der Ausbildung an der Universität. Literatur A. Zitierte Literatur AHLMANN, Johanna / BAHNS, Jens (im Druck): "Stationenlemen im Fremdsprachenlehramtsstudium". In: Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 36, Heft 57/ 58. BAHNS, Jens (1996): Kollokationen als lexikographisches Problem. Eine Analyse allgemeiner und spezieller Lernerwörterbücher des Englischen. Tübingen: Niemeyer. BAHNS, Jens (1997): Kollokationen und Wortschatzarbeit im Englischunterricht. Tübingen: Narr. BAUER, Roland (1997): Schülergerechtes Arbeiten in der Sekundarstufe I: Lernen an Stationen. Berlin: Comelsen Scriptor. BENSON, Morton/ BENSON, Evelyn/ lLSON, Robert/ YOUNG, Richard (1991): Using the BBI. A WorklFILIIIL 31 (2002) Stationenlemen im Fremdsprachenlehrerstudium ... 183 book with Exercises for the BBI Combinatory Dictionary of English. Amsterdam/ Philadelphia: Benjamins. BÖRNER, Otfried (1990): "Auch der Fremdsprachenunterricht läßt sich öffnen! " In: Derfremdsprachliche Unterricht 24, Heft 100, 14-20. DIETRICH, Ingrid (1979): "Freinet-Pädagogik und Fremdsprachenunterricht". In: Englisch Amerikanische Studien l, 542-563. REGELE, Irmintraut (Hrsg.) (1996): Lernziel: Stationenarbeit. Eine neue Form des offenen Unterrichts. Weinheim: Beltz. HENKE-BR0WN, Käthe (1994): "Neuere phraseologische Wörterbücher und andere Nachschlagewerke für Anglisten ein Überblick". 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W ALLRABENSTEIN, Wulf (1994): Offene Schule - Offener Unterricht. Ratgeber für Eltern und Lehrer. Reinbek: Rowohlt. B. Wörterbücher 2 Collins C0BUIW on CD-ROM. Findon, Worthing: HarperCollins (ATTICA Cybernetics) 1994. Das Oxford Grundwörterbuch English-German Deutsch-Englisch. Lexikographische Bearbeitung: Janette Brown u.a. Deutsche Übersetzung: Helga Holtkamp. Oxford: Oxford University Press 1990. ENGEROFF, Karl/ LOVELACE-KÄUFER, Cicely: An English-German Dictionary of Idioms. 2., erweiterte Auflage. München: Hueber 1967. GERBERT, Manfred/ ZIMMERMANN, Peter: Idiomatische Redewendungen Englisch-Deutsch. Leipzig: Verlag Enzyklopädie 1987. Langenscheidts Universal- Wörterbuch Englisch. Bearbeitet von Holger Freese u.a. Vollständige Neubearbeitung. Berlin: Langenscheidt 1992. LEHNERT, Martin: Rückläufiges Wörterbuch der englischen Gegenwartssprache. Leipzig: Verlag Enzyklopädie 1971. MCCAIG, Isabel/ MANSER, Martin H.: A Learner's Dictionary of English Idioms. Oxford: Oxford University Press 1986. Oxford Advanced Learner's Dictionary of Current English. Fifth Edition. Edited by Jonathan Crowther. Oxford: Oxford University Press 1995. Oxford Elementary Learner's Dictionary of English. Edited by Shirley Burridge. Oxford: Oxford University Press 1981. 2 Hinweis: Dieser Teil des Literaturverzeichnisses enthält nur die bibliographischen Angaben zu den an den Stationen ausliegenden Wörterbüchern, nicht jedoch zu den sonstigen in den Konunentaren erwähnten Wörterbüchern. lFlLl.lL 31 (2002) 184 Jens Bahns Oxford Elementary Learner's Dictionary. Second Edition. Edited by Angela Crawley. Oxford: Oxford University Press 1994. PoNS Bildwörterbuch kompakt: Deutsch-Englisch. Autoren franz. Orig.-Ausg. Jean-Claude Corbeil; Ariane Archambault. Dt. Text Hugh Keith u.a. Engl. Text Alexandra Clayton. Stuttgart: Klett 1994. P0NS Schüle,wörterbuch Ab 1. Lernjahr Englisch. Bearbeitet von Veronika Schnorr u.a. 3. vollständig neubearbeitete Auflage. Stuttgart: Klett 1998 P0NS Wörterbuch für die Weiterbildung Englisch. Bearbeitet von Veronika Schnorr u.a. 3. vollständig neubearbeitete Auflage. Stuttgart: Klett 1998. Super Mario Super Englisch. Wörterbuch für Kids. Berlin: Langenscheidt 1993. The BBJ Combinatory Dictionary of English: A Guide to Word Combinations. Compiled by Morton Benson, Evelyn Benson and Robert Ilson. Amsterdam/ Philadelphia: Benjamins 1986. The Concise Oxford Dictionary of Current English. Eighth Edition. Edited by R.E. Allen. Oxford: Clarendon Press 1990. WELLS, John Christopher. Longman Pronunciation Dictionary. London: Longman 1990. lFJLl.lL 31 (2002) Christoph Edelhof! * Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer in den N eueren Sprachen Abstract. The article deals with teacher education and training from an institutional in-service angle. lt argues that INSETT is part of a continuing, life-long process of professional growth and, even though run by State institutions, should be seen and ·organised as partner in a network of University-based teacher preparation (phase 1 of teacher education and training), State seminar-based teacher training (phase 2) and in-service school and teacher development support (phase 3). Emphasis is put on professionalisation, experiential and intercultural leaming. Critically, it is maintained that the present roles and performances of the agencies involved in teacher education and training, especially the university-based part, is not contributing enough to assisting the school system in tackling the demands of societal changes, international competition and globalisation. 1. PISA-Schock und Lehrerfortbildung Lehrerfortbildung ist erneut ins Blickfeld geraten wie immer wenn Mängel am Schulwesen oder besondere gesellschaftliche und pädagogische Herausforderungen konstatiert werden. Vordergründig sind es diesmal die Befunde internationaler Vergleichsstudien wie TIMSS und PISA, bei denen Deutschland schlecht abgeschnitten hat. Schon die internationale TIMS-Studie (The Third International Mathematics and Science Study) hatte 1995 und 1999 ergeben, daß deutsche Schüler im Mathematik- und Naturwissenschaften-Unterricht, verglichen mit 42 bzw. 38 Ländern, zurückliegen, und zwar vor allem im Bereich des angewandten mathematischen und naturwissenschaftlichen Wissens und Problemlösens. Ziel von PISA (The OECD Programmefor International Student Assessment}1 ist es, vergleichbare Daten über die Leistungsfähigkeit der Bildungssysteme der einzelnen Staaten zu liefern. PISA soll die Stärken und Schwächen von 15-jährigen Schülerinnen und Schülern erfassen und klären, wie gut die Jugendlichen auf die Anforderungen einer modernen Wissensgesellschaft vorbereitet sind. Im Mittelpunkt von PISA 2000 stehen nicht die curricularen Fähigkeiten, sondern die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler. Konkret bedeutet das: PISA testet die Lesekompetenzen, die mathematische und Korrespondenzadresse: Christoph EDELHOFF, Studiendirektor a.D., Wilhelm-Vesper-Str. 27, 34393 GREBENSTEIN. E-Mail: chrisede@t-online.de Arbeitsbereiche: Didaktik und Methodik des Fremdsprachenunterrichts, Interkulturelle Bildung, Didaktik der Lehrerfortbildung. Herausgeber von Englischlehrwerken für die Sekundarstufe I des Schroedel Schulbuchverlages und des Moritz Diesterweg Verlages, sowie der Zeitschrift Forum Lehre,fortbildung des DVLfB. 1 Jürgen Baumert [et al.] (Hrsg.): PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich. Opladen: Leske + Budrich 2001. lFlLl.! L 31 (2002) 186 Christoph Edelhoff naturwissenschaftliche Grundbildung sowie fächerübergreifende Fähigkeiten. Bei der Ermittlung des Ist-Zustandes will PISA aber nicht stehen bleiben und nicht nur Problembereiche, sondern auch Ansatzpunkte für Verbesserungen im Schulwesen aufzeigen. Für den Sprachunterricht interessiert vor allem der Kompetenzbereich der Reading Literacy. Gemeint ist mehr als das traditionelle „Lesen-und-Schreiben"-Können. Es geht um Umgang mit Text und Verstehen als Grundlage aller Aufgabenstellungen in der Schule (auch der anderen Fächer). Den 15-Jährigen (aller Schulformen) wurden Aufgaben vorgelegt, aus verschiedenen Texten von der Kurzgeschichte, einem Internet- Brief bis zur Informationsgrafik spezielle Informationen zu entnehmen, zu deuten, zu bewerten und anzuwenden. Und genau da hapert es quer durch die Schulformen in Deutschland. Nicht nur werden die leistungsschwächeren Schüler nicht an international vergleichbare Niveaus herangeführt, auch die Leistungsstärkeren liegen hinten. Wenn erst DESI als zusätzliche deutsche Untersuchung Aussagen über Deutsch und Englisch im Ländervergleich liefert (ab 2003), gerät mit der fremdsprachlichen Lernerleistung auch die Lehrerleistung ins Visier der.öffentlichen Diskussion. Dabei ist die (Fächer-)Leistung der Schule nur eine der großen Herausforderungen an die Schule in unserer Zeit. 2. Herausforderungen durch gesellschaftliche und pädagogische Veränderungen2 2.1 Gesellschaftlich-politische Veränderungen In und mit der Jugend, die in die Konsum-, Entertainment- und Mediengesellschaft hineingeboren wird, verändern sich Erfahrungen und Werthaltungen. Die ungleichen Partner Spaß und Zukunftsangst gehen eine Verbindung ein. Die Schere zwischen Arm und Reich, angepaßt oder draußen vor, interkulturell akzeptiert oder gettoisiert, geht immer weiter auf. Der Ausgleich zwischen Ost und West ist offenkundig noch lange nicht geschafft. Schüler und Lehrer lernen und arbeiten in Deutschland in unterschiedlichen Verhältnissen, gehen unterschiedlich lange zur Schule, haben unterschiedliche Lebens- und Berufschancen; werden unterschiedlich bezahlt. Europäisierung, Internationalisierung, Globalisierung und Mediatisierung schreiten fort und verändern Lehren und Lernen in rasanter Geschwindigkeit. Im Zeitalter der Internet-Verbindungen ist es zum Beispiel längst keine Frage mehr, ob authentische Texte (und ungefilterte) landeskundliche Sachverhalte in den fremdsprachlichen Unterricht einbezogen werden, sondern nur noch das Wie. Das globale Verständigungsmittel Englisch fordert seinen Tribut. 2 Vgl. R. Messner: ,; Lehrerfortbildung und Modernisierungsprozeß - Konsequenzen für Aufgaben, Inhalte und Formen". In: Forum Lehrerfortbildung 34 (2000), 22-32. lFLuL 31 (2002) Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer in den Neueren Sprachen 187 2.2 Pädagogische Veränderungen Schulen entwickeln sich in wachsender Selbständigkeit "selbstwirksame Schule"; vgl. Risse/ Schmidt 1999), und Schulentwicklung als (Selbst-)Entwicklung im Rahmen der staatlichen Zielsetzungen (mit Schulprogramm und von außen gesetzten Standards) wird zum tragenden Konzept der Steuerung, während die klassischen Steuerungsinstrumente (die staatlich-bürokratische Schulaufsicht, Lehrpläne und Lehrmittelkontrolle, Prüfungsordnungen und Berechtigungswesen, die beamtenrechtliche Lehrerkontrolle und die Aufsicht über ihre Aus- und Fortbildung) immer weniger effizient zu sein scheinen (vgl. Altrichter/ Schley/ Schratz 1998). Während staatliche Schulaufsicht immer mehr auf Selbstentwicklung zu setzen scheint, wachsen die Qualitätsanforderungen und erschallt der Ruf nach Standards: Allerorten wird an einem nationalen Kerncurriculum gearbeitet und werden Schulen zu Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung angehalten; zu den internationalen treten die länderbezogenen und länderübergreifenden Leistungsvergleiche (Edelhoff2001). Im Westen Deutschlands, wo die Alterspyramide aus dem Gleichmaß geraten ist, reagieren große Teile der alternden Lehrerschaft ablehnend bis ausweichend, während Lehrkräfte im Osten trotz jüngeren Alters mit dem Kopieren des Westens und Nachqualifizierung beschäftigt sind und bei sinkenden Schülerzahlen um ihre Zukunft kämpfen. 2.3 Inhaltliche Veränderungen in der Schule 3 In der Schule vollziehen sich erhebliche inhaltliche Veränderungen: neue Fächer (wie z.B. Fremdsprachen in der Grundschule) verlangen neue Expertise, Qualifikationen und Ressourcen; alte Fächer werden neu gefüllt (z.B. in den Fremdsprachen durch die Kompetenzziele des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens 4 und die Entwicklung einer neuen Evaluationskultur mit dem Europäischen Sprachenportfolio). Fächerverbindende und fächerübergreifende Inhalte und Aufgabenstellungen (Bi-lingualer Unterricht, Sach-Fachunterricht in der Fremdsprache; Arbeitssprache Fremdsprache), neue Curriculumkonzepte (Mehrsprachigkeit; Language Awareness) und neue Vermittlungs- und Lernstrategien (offener Unterricht, kreative Methoden, gruppenunterrichtliche Verfahren, Projekte) im Rahmen allgemeiner schulpädagogischer Anforderungen des sozialen, des praktischen und des Methoden-Lernens stellen Lehrkäfte und die innere Organisation der Schule vor Aufgaben, für die sie nicht gerüstet sind. Schulen sollen an ihrer inneren Entwicklung arbeiten und Schulprogramme oder Schulprofile entwickeln und sich der internen und externen Evaluation stellen. Zum folgenden Christoph Edelhoff (Hrsg.): Neue Wege im Fremdsprachenunterricht. Qualitätsentwicklung. Erfahrungsberichte. Praxis. Hannover: Schroedel Verlag (Perspektiven) 2001. 4 Council of Europe 2001 (1996): Common European Framework of Reference for Languages: Learning, teaching, assessment. Strasbourg & Cambridge: Cambridge University Press [Deutsche Fassung bei Langenscheidt, München]. lFILillllL 31 (2002) 188 Christoph Edelhof! 2.4 Veränderungen in der Lehrerbildung Auch über Lehrerbildung wird wieder diskutiert5; zwar empfiehlt auch das Terhart- Gutachten für die Kultusministerkonferenz 6 die Beibehaltung der traditionellen drei Phasen der Lehrerbildung, mit Hochschulstudium, Studienseminar und Fortbildung, fordert aber die Neugestaltung des Theorie-Praxis-Verhältnisses und die Einrichtung einer Berufseinführungsphase; darüber hinaus wird die Notwendigkeit betont, daß die Träger der Lehrerbildung der verschiedenen Phasen intensiv zusammen arbeiten und Professionalität als lebenslanges berufliches Lernen fördern. Hochschule, Studienseminar und Institutionen der Lehrerfortbildung sollen gemeinsam Berufsvorbereitung, Berufseinführung und Berufsbegleitung als Etappen lebenslangen (beruflichen) Lernens gestalten. Die Meißener überregionale Fachtagung für Lehrerfortbildung 2002 füllt diese Anregungen mit konkreten Vorschlägen und spricht dabei auch die Isolierung des universitären Teils der Lehrerbildung an. 7 In der Beschreibung der Ist-Situation führen die Experten für Lehrerfortbildung aus: „Professoren sind weit weg von der Schulrealität. Studis haben keine Ahnung vom Lehrerarbeitsplatz und Alltag in der Schule. In Seminaren sammeln sie Wissen wie in Containern, die abgeschlossen sind und nichts miteinander zu tun haben. Es besteht das Bild, daß Studis für ihre ,Wissenspakete' keine ,Regale' bauen können, in die sie ihre Erkenntnisse einordnen können im Sinne kategorialer Bildung. Zu 150 Stunden Fachwissenschaft kommen bei Gymnasiallehrern 10 Stunden Fachdidaktik und 4 Stunden Pädagogik! ... Der Fächerkanon und das Schulwissen einerseits und die Seminarangebote der Uni andererseits sollten auf den Prüfstand mit folgenden Leitfragen: • Was ist totes Wissen? • Was sind lebendige Fragestellungen? • Wann lohnt sich Wissen? • Wie sieht verständnisintensives Lernen aus? • Wie geht man mit Lernzielen um, so daß die Studis später mal in der 3. Phase wieder erkennen, was sie in der 1. Phase schon mal gehört haben? " Und als Leitbild wird formuliert: "Lehrkräfte mit einer reflektierten Persönlichkeit können Lernen authentisch initiieren und begleiten: • Lernen an der eigenen Biografie • Lernen in Vernetzung • Wissenschaftlich geleitete und begleitete Praxis mit dem Ziel, Eigenverantwortung auf allen Ebenen und in allen Phasen zu stärken. J. Oelkers: "Ruine Lehrerbildung: Abriss oder Neuaufbau? " Vortrag am 24.5.02 auf der überregionalen Fachtagung zur Lehrerfortbildung des DVLfB in der Sächsischen Akademie für Lehrerfortbildung Meißen. In: www.lehrerfortbildung.de (Stichwort Fachtagung 2002). 6 E. Terhart (Hrsg.): Perspektiven der Lehrerbildung in Deutschland. Abschlußbericht der von der Kultusministerkonferenz eingesetzten Fachkommission. Weinheim: Beltz Verlag 2000. Siehe auch: J. Keuffer, J. Oelkers (Hrsg.): Reform der Lehrerbildung in Hamburg. Abschlußbericht der von der Senatorin für Jugend, Schule und Berufsbildung und der Senatorin für Wissenschaft und Forschung eingesetzten Hamburger Kommission Lehrerbildung. Weinheim: Beltz Verlag 2001. 7 Im folgenden werden die Ergebnisse der entsprechenden Arbeitsgruppen paraphrasiert bzw. wörtlich zitiert. Siehe: www.lehrerfortbildung.de (Stichwort: Fachtagung 2002). lFILIIL 31 (2002) Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer in den Neueren Sprachen 189 V erknOpfung und Ausgestaltung der Phasen der Lehrerbildung Studienbegleitende Beratung (durch Teams aus allen 3 Phasen) Hoher Anteil an wissenschaftlich geleiteter und begleiteter Praxis Die Referendarin/ der Referendar steuert Ausbildungszeit, Inhalte und Abschluss selbst. • Enge zeitliche, inhaltliche und organisatorische Verknüpfung von Aus- und Fortbildung • 2. Phase besteht aus Modulen mit Wahlpflichtanteilen • begleitende Beratung durch Planungs- und Entwicklungs-Gespräch für den Berufsfindungsprozeß Sensibilisierung und Qualifizierung von: • Schulleitung • Steuergruppen • Kollegien mit dem Ziel schulische Unterstützungssysteme zu entwickeln; •Mitarbeiter-und Entwicklungsgespräche • Auf Berufsanfänger bezogene Fortbildungsangebote Pflicht zur Fort- und Weiterbildung Portfolio als begleitendes Dokument der Komperenzentwicklung Zur Vision gehört: • Organisatorische Räume schaffen, in denen die in den Unterstützungssystemen Arbeitenden miteinander kommunizieren: Universität, Studienseminar, Lehrerfortbildung, Schule; Regionalisierung der Zusammenarbeit, damit jeweils eine Hochschule mit den anderen Kooperations-Partnern zusammenarbeiten kann; • Persönliches Kennen ist der „Türöffner" für ein gemeinsames Verständnis des Lehrerleitbildes und des Kemcurriculums, sowie der Rolle der Schule als Ausbildungsort der Lehrer/ innen. Zur Verbindung der drei Phasen der Lehrerbildung setzt die Gruppe den Akzent auf die Innovation der 1. Phase, um sie besser an die 3. anbinden zu können. Ihre Fragestellung lautet: Wie kann in der ersten Phase der Lehrerbildung schon Handlungskompetenz Grund gelegt werden, so daß später darauf aufgebaut werden kann? Welche Verbindungen mit der 3. Phase können auf- und ausgebaut werden? " Die Fortbildungsfachleute fordern einen Grund-Pflicht-Katalog für alle Lehramtsstudierenden, um sie in die Grundfragen des Lehrberufes einzuführen. Alle Lehrenden an der Uni sollten in ihrer Lehre sichtbar machen, warum sie welche Themen anbieten und welche Bedeutung sie für den späteren Beruf haben. Dabei sollten Fragehaltungen grundgelegt werden, die sich auf Begrifflichkeiten, Zusammenhänge und alternative Sichtweisen beziehen. "Polaritäten sollten in die Lehre 'eingebaut' werden, die Perspektivwechsel ermöglichen: Theorie-Praxis, Mann-Frau, Alt-Jung, Europa-Nicht-Europa, um JFJLWL 31 (2002) 190 Christoph Edelhof! die Zentrierung auf eine Sichtweise und einen Tunnelblick zu vermeiden". Schule solle an der Universität immer mitgedacht werden. „Alle Fachdisziplinen sollten ihr Wissen anschlußfähig zu anderen Seminaren und zu Schule machen in dem Sinne: 'Ich mache Brecht für eine 8. Hauptschulklasse, weil .... '. oder 'Das Thema Dinosaurier ist in der Grundschule wichtig, weil .. .'. Personalkompetenz sollte neben Fach-, Methoden- und Sozialkompetenz auch schon an der Uni angestrebt werden, um gerade dem Trend nach PISA zu einem engen fachbezogenen Leistungsbegriff entgegenzuwirken. Ziel sollte nicht die Ansammlung von abprüfbarem Wissen sein, sondern die Entwicklung von Handlungskompetenz in den verschiedenen Phasen der Lehrerbildung." 3. Profil und Aufgaben der Fortbildung im Kontinuum der Lehrerbildung 8 3.1 Fortbildung und Fortbildungsanbieter Zunächst ist Fortbildung als ein individueller Bildungsbegriff zu verstehen und hat noch nichts mit „Veranstaltung" zu tun: Fortbildung als das Weiterlernen der erwachsenen Berufstätigen, die jedoch nicht nur allein, sondern oft zusammen mit anderen Gleichartigen lernen, die auch ihren Beruf in der Schule haben. Das darf nicht aus dem Blick geraten, bevor man dann über verschiedene Inhalte, Träger, Arbeitsformen und Veranstaltungen und generell über Institutionalisierung redet. Ich spreche deshalb stets von einem Ensemble persönlicher, individueller und berufsbiographischer Fortbildung, d. h. von persönlichem Wachsen, welches nicht normierbar ist, aber eine besondere Qualität durch veranstaltete Lehrerfortbildung gewinnen kann, die von einzelnen staatlichen oder kommunalen Agenturen, freien Trägern und Kooperationspartnern des Bildungsbereichs angeboten und gefördert wird. Seit einigen Jahren öffnet sich der bislang eher enge staatliche Rahmen von Fortbildungsanbietern in der Form staatlicher Landesinstitute (vgl.dazu die Liste in: www. lehrerfortbildung.de), die zunehmend zu Unterstützungsagenturen für Schulentwicklung und Steuerungsinstrumenten der Länder umorganisiert werden - und schließt Lehrerverbände, Fachverbände, Verlage, Einrichtungen der Wirtschaft, Auslandskulturmissionen, Hochschulen, die Kirchen in ihren allgemeinen Fortbildungsinstitutionen und freie Akademien ein nicht zuletzt deshalb, weil einerseits der Fortbildungsbedarf steigt, andererseits dem Staat (in der föderativen deutschen Republik: den Ländern) das Geld auszugehen scheint. Überregional in der Bundesrepublik und in anderen Ländern Europas gibt es inzwischen Gemeinsamkeiten und kooperative professionelle Entwicklungen, wie sie u.a. in den Veranstaltungen und dem Schrifttum des Deutschen Vereins zur Förderung der Lehrerinnen- und Lehrerfortbildung (DVLfB) manifest sind (vgl. dazu www .lehrerfortbildung.de). Vgl. Symposium zur Lehrerfortbildung in den Neueren Sprachen. Goethe-Institut München 1994. lFLllllL 31 (2002) Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer in den Neueren Sprachen 191 3.2 Brennpunkte der Fortbildungsentwicklung Drei Punkte sind im Zusammenhang mit der Fortbildung für Lehrkräfte der neueren Sprachen hervorzuheben: Der erste betrifft ganz allgemein Fragen der Professionalisierung und Professionalität, der zweite näher am Sprachunterricht - Handlungsorientierung und der dritte, speziell für den Fremdsprachenunterricht, Interkulturalität und Internationalität als inhaltliche Orientierungen. 3.2.1 Professionalität und Kompetenzzentren Professionalität wird von Schulen und Lehrkräften gefordertim Gegensatz zu Laientum und Amateurhaftigkeit. Lehrer sind professionell tätig, d. h. überprüfbar nach offen liegenden Kriterien. Sie sind nicht allein da, sondern handeln in einem höheren ideellen Zusammenhang. Demnach speist sich Professionalität nicht nur aus fachlicher Kompetenz, sondern heißt immer, den Lehrerberuf als ein Wechselspiel zwischen Erziehung und Bildung, allgemeiner Bildung und Fachbildung zu verstehen. Professionalisierung bezeichnet dann den Vorgang und Prozeß, der dazu erforderlich ist. Es gibt immer wieder Anlaß, dieses zu betonen, da doch zu viele Amateure - und manche Leute sagen: Dilettanten (auch in der Fortbildung) am Werke sind. In der veranstalteten Fortbildung gibt es eben auch, was man abschätzig „ambulante Hotelfortbildung" nennt: aus dem Kofferraum des reisenden Experten, Missionars oder Verkäufers heraus, mal hier eine Veranstaltung, mal dort eine in der Punktualität eines Fortbildungsambulatoriums. Fortbildung, die professionell arbeiten will, muß deshalb als Ressourceninstitution ausgestattet sein. Ressource ist freilich nicht nur materiell zu verstehen, ist nicht nur Verfügung über Tagungskapazität und Lehrerstunden, besteht nicht nur in Haushaltsstellen, ist nicht nur Bereitstellung von Materialien und Druckschriftenreihen und dergleichen, sondern Ressourcen sind zu allererst Personen, Ideen und Sachzusammenhänge. Diese müssen im Netzwerk entwickelt werden und nicht irgendwo allein im schützenden Getto eines bestimmten Ortes. Ressource ist immer vor allem personelle Ressource: mit Menschen, die sich miteinander in einem Seminar (Kurs, Lehrgang, Workshop) fortbilden, wobei die einen dafür etwas mehr Zeit einsetzen können und Dienste leisten, während die anderen sie mit der Praxis verbinden, in der sie täglich stehen. In der neueren Diskussion wird hierfür auch der Begriff des „Kompetenzzentrums" gebraucht. 9 Dies alles ist deshalb so schwierig, weil Fortbildung veranstaltete Fortbildung in einem Schnittfeld von Interessen steht (vgl. Edelhoff 1988b). Es sind nicht nur Interessen eines Faches, sondern auch Interessen, die von Öffentlichkeit allgemein vorgebracht werden; es sind die Interessen der Bildungsverwaltung und der Bildungspolitik; es ist das Interesse der Lehrerkräfte im Arbeitsfeld der Schule; es sind Interessen von Eltern und nicht zuletzt ihrer Kinder; und es sind auch Interessen und Richtungsangaben von Wissenschaften und Disziplinen, die hinter Schulfächern stehen. Siehe Positionspapier des DVLfB „Lehrerfortbildung im Wandel", Entwurf Mai 2002, in: www.lehrerfortbildung.de IFLl.1JL 31 (2002) 192 Christoph Edelhaff Der Raum, in dem sich alle begegnen, ist das Schnittfeld, in dem Lehrerfortbildung angesiedelt ist. Man muß darauf achten, daß dieses Feld nicht nur von einer einzelnen Interessengruppe in Anspruch genommen wird, und zwar weder von Staat und Bildungsverwaltung, noch etwa einer Auslandskulturmission, noch von den Wissenschaften und Hochschulen, noch von den Lehrkräften (und ihren Verbänden), noch von den Eltern und Abnehmern. Es geht um Kooperation und diskursiven Austausch, wenn Professionalität erreicht werden soll. 3.2.2 Handlungsorientierung An zweiter Stelle soll betont werden, daß professionelle Lehrerfortbildung handlungsorientierte Erwachsenenbildung ist, ob man sie nun als dritte Phase der Lehrerbildung organisiert oder nicht. Entscheidend ist, daß sie stets auf Erfahrungen im Lehrerberuf bezogen ist, und zwar auf die täglichen Erfahrungen und auf die Berufserfahrungen über längere Zeiträume hinweg. Sie hat nichts zu verkünden, und sie kann auch nicht „Transmissionsriemen" einzelner Interessengruppen sein (etwa als langer Arm der Bildungspolitik und Bildungsverwaltung), sondern sie hat zusammen mit den Lehrkräften, den Wissenschaftlern und Didaktikern handelnde Theorie begreifbar und erlebbar zu machen·. Zu Handlungsorientierung des Unterrichts einerseits und Handlungsorientierung der Fortbildung andererseits gibt es schon seit längerer Zeit umfassende Konzepte sowie dokumentierte und evaluierte Erfahrungen (Bach/ Timm 1989 (1996); Edelhoff 1989 (1996); Legutke/ fhomas 1991). Es kann also nicht um die unreflektierte Fortsetzung einer universitären Ausbildung gehen, nach dem Motto: "Man lade einen Professor ein, lasse ihn vor Lehrern reden, die hinterher ein paar Fragen stellen dürfen, und abends wird fröhlich gezecht". Es besteht Grund dies zu erwähnen, weil Handlungsorientierung sowohl die Inhalte als auch die Veranstaltungs- und Arbeitsformen, die Auswahl und Fortbildung der mitarbeitenden Personen, die Orte und die Materialien betrifft. 3.2.3 Interkulturalität und Internationalität als grundlegende Zielebenen Als zentrale These gilt seit den Bemühungen des Europarats (im Modern Languages Project) und der Robert-Bosch-Stiftung bereits seit Ende der 70er Jahre der Grundsatz, daß Lehrkräfte, die interkulturelles Lernen im und durch Fremdsprachenunterricht bewirken wollen, selbst interkulturelle Lerner sein und dabei von der institutionalisierten Lehrerfortbildung unterstützt werden müssen (Edelhoff 1987). Nach diesem Verständnis geht es im Fremdsprachenunterricht nicht mehr nur um die Vermittlung des Systems der fremden Sprache, gleichsam um über die Buchstaben, Laute, Wörter, Sätze und Texte in die Kultur und Seele eines anderen Volkes einzudringen, sondern darum, daß Interkulturalität und Internationalität gelebte Konzepte sind und für Generationen werden müssen. Fremde Sprachen werden in diesen Lebenskonzepten als Grundqualifikationen eines jeden Menschen angesehen, und Schule und Ausbildung, Unterricht und Lehrerfortbildung hätten dem zu dienen. Mehrsprachigkeit und Sprachendiversifizierung genießen inzwischen im europäischen Bildungsentwurf Priorität, und das Weißbuch der Europäi- JF[,1]][, 31 (2002) Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer in den Neueren Sprachen 193 sehen Union fordert schon 1996, daß alle europäischen Bürger drei Sprachen lernen sollen. 10 Sinnfällig wird dies durch die Schaffung des europäischen Binnenmarktes und durch die Öffnung des Ostens. Wenn Unterricht und Fortbildung unter diesen Zielstellungen begriffen wird, so müßte bei aller fachlichen Spezifizierung auch fremdsprachenübergreifend gearbeitet und dabei erfahrungsorientiert vorgegangen werden: Lehrerfortbildung muß Erlebnisse der Internationalität verschaffen und theoretisch durchdringen (Ehlers/ Legutke 1998). Konkret bedeutet dies, daß die vielen fachlichen Fortbildungsveranstaltungen deutlich internationalisiert werden müssen. Lehrer müssen in Fortbildungsveranstaltungen selbst erleben können und verarbeiten lernen, was es mit einer fremden Sprache und Interkultur auf sich hat. Das gilt natürlich besonders für Auslandskurse erlebter Landeskunde, für alle Fortbildungsbemühungen um eine « pedagogie des echanges » und für Tandemkurse mit Lehrkräften aus den Ländern der Zielsprache. Dabei geht es nicht nur um sprachlichkommunikative Übungen vor Ort oder landeskundliches Wissen, sondern um das Ensemble von attitudes, knowledge und skills, also Einstellungen, Wissenserwerb/ Wissenserweiterung im sprachlichen, landeskundlichen und kommunikativen Sinne und sprachliche Fertigkeiten, d.h. um ganzheitliche, auf die Person der Fortzubildenden zu beziehende Erfahrungszusammenhänge vom Ausgangspunkt des Berufs (dem Unterricht) her und hin auf eine Veränderung der Berufspraxis, die Schüler zu Erfahrungslernen und Interkulturalität führt. Für das Arrangement der Fortbildungsveranstaltungen folgt daraus, daß Lehrkräften in Land und Gesellschaft der Zielsprache Gelegenheit und Anleitung geboten werden muß, durch Selbsterfahrung, handlungsorientierte Recherche, Übung zu Sichtwechsel und kritischer Reflexion von eigenen und fremden Deutungsmustern Fortbildungserlebnisse intellektueller, affektiver und praktischer Art zu haben. Diese Prozesse „erlebter Landeskunde" oder der „Landeskunde zum Anfassen" (Edelhoff 1984a), wie sie auch genannt werden, müssen in kontinuierliche Begleitfortbildung eingebettet sein, d.h. in verketteten Veranstaltungen regionaler und lokaler Organisation im eigenen Land, damit das Fortbildungserlebnis interkultureller Landeskunde nicht im luftleeren Raum stehen bleibt. Vielfach werden hierzu unterrrichtsbezogene Materialien entwickelt, die die selbst erhobenen Daten und authentischen Texte als thematische Dossiers in allen Medien (Audio, Video, Print) in einen Benutzerzusammenhang bringen. In der Praxis etlicher Fortbildungsinstitutionen (auch des Goethe- Instituts) haben sich inzwischen verschiedene Kurstypen entwickelt, die den einmaligen „Lehrgang" variieren (Tandems, Hast Programmes; Intensivphasen) (vgl. Goethe-Institut 1999). Dabei spielt die Zusammenarbeit mit den Auslandskulturmissionen und die Kooperation in Netzwerken eine bedeutsame Rolle. Netzwerke können freilich nicht von einer einzelnen (etwa staatlichen) Institution allein geschaffen werden, sondern erfordern die Zusammenarbeit verschiedener Agenturen und Partner, wozu seit Jahren Konzepte und evaluierte Erfahrungen vorliegen (Edelhoff 1984a, 1985; Edelhoff/ Mon'ow 1990). 10 Europäische Union: Teaching and Leaming. Towards the leaming society. Brüssel 1996. IFLllllL 31 (2002) 194 Christoph Edelhof{ 4. Inhalte und Arrangements neusprachlicher Lehrerfortbildung Was also sollen Lehrer lernen? Reicht das Konzept des umfassend wissenschaftlich ausgebildeten Fachlehrers (des Neuphilologen, in unserem Fall) noch aus? Welche Qualitäten und Qualifikationen sind vonnöten? Und wie können sie erworben werden: berufsvorbereitend, berufseinführend und berufsbegleitend? 4.1 Lehrerfortbildung als lebenslanges berufliches Lernen Wenn Lehrkräfte kontinuierliche Lernprozesse in Richtung auf kommunikative Kompetenz, insbesondere kommunikative Mündlichkeit (Schröder), Interkulturalität, Sprachbewußtsein und Mehrsprachigkeit initiieren und unterstützen sollen, so muß ihnen Gelegenheiten geboten werden, immer wieder auch selbst in diesen Bereichen lernen zu können, sie wissenschaftlich zu durchdringen und für ihre schulische Arbeit aufzubereiten. Leitbild ist das des reflective practitioner (Schön 1983, 1987; Ehlers/ Legutke 1998), der die eigene berufliche Erfahrung über den Tellerrand der subjektiven Theorien hinaus auf intersubjektiven Austausch und professionellen Theoriebezug zu heben weiß. Auslandskurse, internationale Projekte, Residenztagungen, regionale und schulinterne Veranstaltungen, die institutionell gestützt werden, sind dafür unverzichtbar. Angesichts der unzureichenden Ausbildungsmöglichkeiten in der 1. und 2. Phase der Lehrerbildung in diesem Bereich sowie der allgemein zu beobachtenden Kürzungen von personellen und sächlichen Ressourcen staatlicher Lehrerfortbildung muß darauf aufmerksam gemacht werden, daß es besonderer Anstrengungen und Investitionen bedarf, wenn die genannten Zielbereiche wie sie sich auch im Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen niedergeschlagen haben als Bildungsprogramm Bedeutung erlangen und internationale Leistungsvergleiche für Deutschland günstiger als bisher ausfallen sollen. 4.2 Qualitätsbereiche der Lehrer(fort)bildung in den neuen Sprachen Aus der fortbildungsdidaktischen Entwicklung des Fachbereichs Neue Sprachen im Hessischen Institut für Lehrerfortbildung (HILF) 11 wurden bereits in den 80er Jahren die folgenden Inhalts- und Qualitätsbereiche für die neusprachliche Lehrerfortbildung formuliert und einer systematischen Veranstaltungsplanung von residentiellen Wochenkursen zu Grunde gelegt (Edelhoff 1988a: 55): 11 Das traditionsreiche HILF mit Sitz des Fachbereichs Neue Sprachen in der Reinhardswaldschule ih Fuldatal bei Kassel hat bis zum Jahr 1998 bestanden und wurde dann vom Hessischen Landesinstitut für Pädagogik (HeLP) abgelöst. Nach mehreren Organisationsänderungen gibt es inzwischen keine Fachbereiche (oder Vergleichbares) mehr. Vielmehr erfolgt die schulische Entwicklungsunterstützung und die darauf abgestellte Lehrerfortbildung nur mehr in „Projekten" (vgl. R. Messner: "Management statt Bildung? Anmerkungen eines Erziehungswissenschaftlers zur Umorganisation der hessischen Lehrerfortbildung". Hessische Lehrerzeitung, Frankfurt/ M. 2001). lFJLlJIL 31 (2002) Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer in den Neueren Sprachen 195 Interkulturelle Einstellungen und Wissenszusam- Arrangements für interkulturelle Erfahrungen menhänge "erlebte Landeskunde"), Wissensaufnahme und -deutung (Einordnung in die Berufstätigkeit) Umgang mit der Zielsprache als persönliches und berufliches Kommunikationsmittel Fachwissenschaftliche Qualifikationen (angewandte Sprachwissenschaften, Textwissenschaften, Kultur- und Literaturwissenschaften) Curriculare Qualifikationen, Textqualifikationen (Auswahl, Bearbeitung, Stufung, Anordnung von Texten in allen Übermittlungsweisen und Aneignungsformen) Fachdidaktische Qualifikationen (einschließlich fachmethodischer Qualifikationen) Sprach- und Kommunikationstraining in angewandten, d.h. berufsrelevanten Situationen Angewandte Fragestellungen aus berufsrelevanten Situationen und auf berufsrelevante Texte bezogen Curriculumentwicklung als Lehrplan- und Lehrwerkanalyse sowie -manipulation und als schulbezogene Materialerstellung Aufnahme von neuen Theorien und Praxisvorschlägen bei gleichzeitiger Befähigung zu Bewertung und Einordnung derselben; Erprobung neuer (modifizierter) Unterrichtsverfahren und der Evaluation Diese Inhalts- und Qualitätsbereichewurderrnicht aus einer fachdidaktischeii Systematik entwickelt, sondern aus dem Spannungsfeld von Bedarf und Bedürfnissen kontinuierlicher Fortbildungsnachfrage gewonnen. Im Vordergrund jeder Fortbildungsnachfrage stehen stets die konkreten unterrichtlichen und schulentwickelnden Notwendigkeiten und Defizite, wie sich auch aus einer kürzlichen Abfrage von Fortbildnerinnen für Deutsch als Fremdsprache aus mittelosteuropäischen Ländern ablesen läßt: "Themen für die Lehrerfortbildung: • Erziehung zur Demokratie und zu Toleranz • Persönlichkeitsentwicklung • Lehrerrolle im Unterricht (---> schülerorientierter Unterricht) • Lerntheorien und Bildungsphilosophien (Beispiel Konstruktivismus) • Erfahrungslernen • Referenzrahmen und Europäisches Sprachenportfolio • Rechtschreibreform • Deutsch in der Primarstufe • (neue) Medien und Internet • Arbeits-/ Zielsprache Fremdsprache "bi-lingualer" / Sach-Fachunterricht in der Fremdsprache) • Binnendifferenzierung • Leistungsmessung und -bewertung (Selbsteinschätzung) • DaF für lernschwächere, gestörte oder Kinder mit besonderen Bedürfnissen • Offene Unterrichtsformen (Stationenlernen, Projektlernen) • Interkulturelle/ erlebte Landeskunde (einschl. interkultureller Lehrwerkkritik) • Lehrwerkanalyse (Analyse und Aufbereitung für den kommunikativen DaF-Unterricht; Regionalisierung) f]Lm, 31 (2002) 196 Christoph Edelhoff • Integrierte Fertigkeiten • Visualisierung und andere aktivierende Methoden" 12 4.3 Fortbildungspersonal: Qualifikation und Professionalisierung von Fortbildnerinnen und Fortbildnern Michael Schratz hat jüngst wieder darauf hingewiesen, daß Schulentwicklung komplementär Personalentwicklung benötigt. 13 Die Veranstaltungen der Lehrerfortbildung in staatlicher oder freier Trägerschaft werden in hohem Maße von nebenamtlichen Mitarbeitern getragen, die überwiegend aus der Schule selbst kommen. Damit soll sichergestellt werden, daß der Zusammenhang mit der Berufspraxis, d.h. Erziehung und Unterricht in der Schule, systematisch hergestellt und rückgekoppelt wird. Neben der eigenen Unterrichts- und Schulerfahrung erwerben Lehrkräfte als Fortbildner/ innen im Prozeß der Fortbildungstätigkeit besondere überfachliche erwachsenenpädagogische Einstellungen, Kenntnisse und Handlungskompetenzen, die bereits 1984 vom DVLfB formuliert wurden: "• Einfühlungsvermögen und die Bereitschaft, auf andere einzugehen (Empathie), sowie Kooperationsbereitschaft; • die Fähigkeit, Wissen und Erfahrung in rezipierbarer Form weiterzugeben; • die Bereitschaft und Fähigkeit, eigenen Erfolg mit anderen zu teilen und den Erfolg beim Lernen der Teilnehmer vor den eigenen Gewinn an der Lehrerfortbildungsveranstaltung zu stellen. Hinzu kommt eine Reihe von instrumentellen und organisatorischen Fertigkeiten und Arbeitstechniken etwa der Informationsoptimierung, der Mediennutzung, der Gesprächsführung und der Gruppenleitung."14 Zusammenfassend werden die erforderlichen Qualifikationen als pädagogische, kommunikative, wissenschaftliche, curriculare und organisatorische bezeichnet. „Trotz der unbestreitbaren grundlegenden Wichtigkeit von nebenamtlichen Fortbildnern und ihrer Teams zur Leitung von Fortbildungsveranstaltungen ist zur Planung, Durchführung und Auswertung stets auch hauptamtliches Personal erforderlich, dessen Qualifikationen in gleicher Weise beschrieben werden können, wenngleich seine Praxis nicht mehr die tägliche Unterrichtspraxis ist, sondern eine Tätigkeit im Schnittfeld der erwähnten Interessen- und Arbeitsfelder, also der in Politik und Bildungsverwaltung Tätigen, der von Schule Betroffenen (Schüler, Eltern, Abnehmer) und in der Schule Arbeitenden (pädagogisches und nicht-pädagogisches Personal) und der Wissenschaft. Als Angehörige einer Serviceinstitution haben Lehrerfortbildnerlnnen die Aufgabe, ein Forum für die Interessen und Rollen herzustellen und zum professionellen Lernen der Lehr- 12 Aus dem Protokoll des Verfassers als Seminarleiter der Maßnahme „Fortbildung der Fortbildner" des Goethe-Instituts-Internationes / Kulturkontakt Österreich, Budapest Juli 2002. 13 M. Schratz: "Lehrerfortbildung und Personalentwicklung. Professionalisierung im Spannungsfeld zwischen ,Wollen' und ,Sollen'".Vortrag am 24.5.02 auf der überregionalen Fachtagung zur Lehrerfortbildung des DVLfB in der Sächsischen Akademie für Lehrerfortbildung Meißen. In: www.lehrerfortbildung.de (Stichwort: Fachtagung 2002). 14 „Der nebenamtliche Fortbildner". Positionspapier des Deutschen Vereins zur Förderung der Lehrerfortbildung und Lehrerweiterbildung, Informationen 7 / 1984, Bremerhaven. lFLIIL 31 (2002) Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer in den Neueren Sprachen 197 kräfte Voraussetzungen zu schaffen, Anregungen und Hilfestellungen zu geben und für praxisorientierte, theoriegeleitete Moderation zu sorgen, die Hilfe zur Selbsthilfe bringt" (vgl. Anm. 14 ). Es liegt auf der Hand, daß zur Erfüllung dieser Aufgabe keiner der Interessenten in dominanter Weise auf die hauptamtlichen Fortbildner/ innen Zugriff haben darf, wenn die integrative Funktion gelingen soll. Fortbildungsinstitutionen benötigen deshalb innerhalb einer von den Betroffenen und den Auftraggebern in gleicher Weise mitgestalteten und mitbestimmten Rahmensetzung eigene Spielräume der inhaltlichen und organisatorischen Entfaltung. Von hauptamtlichen Fortbildner/ innen ist mehr zu verlangen als etwa nur eine schulaufsichtlich untergeordnete Erfüllungsaufgabe. Als Erwachsenenbildner/ innen sind sie auf die Zustimmung und freiwillige Kooperation der Fortzubildenden angewiesen und müssen deshalb als Sachwalter/ innen von Lehrerinteressen und -bedürfnissen vor allem das Vertrauen der Lehrkräfte erwerben, was in hierarchisch gegliederten Rollen- und Aufgabenarrangements, gleichsam als Fortsetzung der „verwalteten Schule", nur schwer gelingen kann. Ähnliches gilt für den wissenschaftlich-theoretischen Aufgabenbereich. Auch hier dürfen sie nicht nur Abnehmer sein, sondern müssen an der konstruktiven Gestaltung des Praxis-Theorie-Praxis-Zusammenhangs aktiv mitwirken können, sei es im fachdidaktischen, sei es im erziehungswissenschaftlichen und schulpädagogischen Felde. Schließlich können sie ihre integrative Aufgabe besser erfüllen, wenn sie auch Vermittlungen zur außerschulischen Öffentlichkeit und Erfahrung mitgestalten, das heißt aktiv an Kultur und Umfeld der Schule beteiligt sind. In engen fachlich-dienstlichen Rollen- und Aufgabenbeschreibungen für die Lehrerfortbildner/ innen, eingezwängt in administrativ-bürokratische Rahmen und vielfach in viel zu kurzen Zeiträumen, findet Professionalität kaum einen Platz und wird Professionalisierung nur schwer gelingen. 5. Folgerungen: Empfehlungen des Forums Sprachprogramm und Lehrerbildung der Weilburger Konferenz (2001) 15 Das europäische Jahr der Sprachen 2001 hat allerorten zu konzeptuellen und praktischen Aktivitäten geführt, so auch in Hessen mit einer bundsweiten und internationalen Konzepttagung für den Sprachunterricht. Im folgenden wird der Forderungskatalog einer Arbeitsgruppe wiedergegeben, die sich im Forum Sprachprogramm mit der Lehrerbildung beschäftigte: "1. Lehrer/ innen sind Experten für Sprachlernprozesse und für interkulturelles Lernen. Die Lehrerbildung hat diesem Leitbild Rechnung zu tragen, indem sie die Fremdsprachendidaktik und Landeskunde als eigenständige Wissenschaftsbereiche eta- 15 Die vollständigen Ergebnisse und Arbeitspapiere sind zugänglich unter: http: / / lernen. bildung. hessen.de/ interkulturell/ euro-sprachen JF[,1JlL 31 (2002) 198 Christoph Edelhof! bliert. Dazu benötigen sie mehr Raum, Zeit und Ressourcen. Inhalte und Prozesse der Lehrerbildung haben sich an diesem Leitbild zu orientieren. Im einzelnen müssen besondere Berücksichtigung finden: • Qualifizierung für bilingualen Unterricht/ Sachfachunterricht in zwei Sprachen • Qualifizierung für einen pädagogisch begründeten kritischen Umgang mit neuen Medien • Methodenvielfalt zur Einübung unterschiedlicher sprachlicher Kommunikationssituationen • Orientierung des Unterrichts am Europäischen Referenzrahmen und Portfolio • Kenntnis unterschiedlicher Evaluationsverfahren unter Verwendung europäischer Abschlüsse (Europäische Sprachenzertifikate, Cambridge Certificates, DELE usw.) • Entwicklung von Methoden der Planung, Durchführung und Evaluation internationaler sprachlicher Bildungsprojekte (z.B. Comenius) • Entwicklung personaler Kompetenz im Sinne von diskursiver und kommunikativer Kompetenz der Lehrkräfte als Deutungshelfer im Prozeß sprachlicher Bildung • Erwerb von strategischen Kompetenzen zum (lebenslangen) Sprachenlemen 2. Die Ausbildung von Sprachlehrkräften stellt sicher, daß sie selbst über Fähigkeiten verfügen, die sie von ihren Schüler/ innen erwarten; also Europa-Kompetenz, d.h. die Fähigkeit, sich in drei EU-Sprachen zu verständigen und sich in Europa kulturell, politisch, ökonomisch und historisch zurechtzufinden. 16 3. Zu einer modernen und sachgerechten Ausbildung von Lehrkräften für den Fremdsprachenunterricht gehören grundlegende Kenntnisse in der Evaluation und Qualitätsentwicklung ihres Unterrichts sowie nationaler und internationaler Sprachenzertifikate. 4. Lehrkräfte für den Fremdsprachenunterricht machen sich in ihrer Ausbildung mit den Grundprinzipien des interkulturellen Lernens und der interkulturellen Kommunikation sowie der Planung, Durchführung und Evaluation grenzüberschreitender Projekte und Vorhaben vertraut. Sie sind verpflichtet, während eines längeren berufsvorbereitenden Auslandsaufenthaltes ihre eigene Mehrsprachigkeit und die Fähigkeit zur interkulturellen Kommunikation zu vertiefen und zu erproben. 5. Aus-, Fort- und Weiterbildung müssen die Sprachenlehrkräfte darauf vorbereiten, daß sie durch die schon jetzt gesetzlich garantierte Freizügigkeit auf dem europäischen Arbeitsmarkt zunehmend in Konkurrenz zu Kolleginnen und Kollegen aus anderen europäischen Ländern treten werden. 16 Zum Stichwort Europakompetenz oder Europafiihigkeit in W. H. Mickel (Hrsg.): Handlexikon der Europäischen Union. Köln 1998, S. 224: "Damit kann die Fähigkeit bezeichnet werden, sich in Europa kulturell, politisch, ökonomisch, historisch usw. zurechtzufinden, d.h. die.in den genannten und in anderen Bereichen erforderlichen Kompetenzen zu besitzen und sie zu problemorientierten Einsichten verknüpfen zu können. Dazu gehört u.a. ein grenzüberschreitendes, integrationsgerichtetes, vernetztes Denken, der Perspektivenwechsel in Gestalt der Problemsicht aus dem Blickwinkel anderer Völker und Nationen." Zur Europaorientierung siehe z.B. www.uni-marburg.de/ zv/ news/ archiv (Frank G. Königs), www.fb3.uni-siegen.de/ romanist, www.ph-karlsruhe. de, www.femuni-hagen.de/ FEU/ Studium, www.europa-institut.uni-sb.de, www.sfs-dortmund.de lFILwL 31 (2002) Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer in den Neueren Sprachen 199 6. Für den Fremdsprachenunterricht in der Grundschule ist ein besonderes Qualifikationsbild erforderlich, dem die Studiengänge an den Hochschulen und Fortbildungsmaßnahmen gerecht werden müssen. Die Aus- und Fortbildung und insbesondere die Nachqualifizierung von Lehrkräften muß sowohl sprachliche als auch didaktisch-methodische Komponenten haben. Lehrkräfte müssen in hohem Maße (annähernd Niveau C 1 des Europäischen Referenzrahmens) über Kenntnisse in der jeweiligen Fremdsprache verfügen. Weiterhin müssen sie gründlich mit den Prinzipien eines grundschulgemäßen Sprachenunterrichts vertraut sein. Das bedeutet unter anderem, dass sie über eine Wahrnehmungs- und Diagnosefähigkeit zum Sprachwachstum verfügen. 7. Im Kontinuum lebenslangen Lernens sprachlicher Bildung verdienen Fortbildung und Weiterbildung besondere Aufmerksamkeit. Wenn Lehrkräfte kontinuierliche Lernprozesse in Richtung aufMehrsprachigkeit initiieren und unterstützen sollen, so muß ihnen Gelegenheiten geboten werden, immer wieder auch selbst Mehrsprachigkeit zu erleben, wissenschaftlich zu durchdringen und für ihre schulische Arbeit aufzubereiten." 17 Literatur ALTRICHTER, Herbert/ SCHLEY, Wilfried / SCHRATZ, Michael (1998): Handbuch der Schulentwicklung. Innsbruck: Studien-Verlag. BACH, Gerhard / T! MM, Johannes-Peter (Hrsg.) (1989 ([1996]): Englischunterricht. Grundlagen und Methoden einer handlungsorientierten Unterrichtspraxis. Tübingen: Francke (UTB). BAUMGRATZ, Gisela/ STEPHAN, Rüdiger (Hrsg.) 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David Little, Professor for Applied Linguistics at Trinity College Dublin, states categorically „tliat all successful learning is in the end autonomous". If we accept this as true, then it must surely follow that autonomy should be a basic requirement for all learners, at whatever level. On the basis of recent findings of neurobiology and cognitive psychology the author proposes that an activity-led and partner-oriented approach should be adopted for such courses. His approach encourages non-linear, eooperative learning using a series of materials-based work-stations which allow a variety of pathways and options. Teachers construct new classroom procedures through experimenting with authentic and complex environments. The single-track, input-output approach is replaced by an open-ended, multidimensional one. A complete blue-print for a teacher training course demonstrates how this approach can be implemented in practice. 0 glücklich, wer noch hoffen kann Aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen! Was man nicht weiß, das eben brauchte man, Und was man weiß, kann man nicht brauchen. (Faust, V. 1064ff) Wer von Lehrerfortbildung redet, der befaßt sich mit einem ungeliebten Thema: ungeliebt bei den Kultusverwaltungen (Lehrerfortbildung kostet Geld! ), ungeliebt auch bei Schulleitungen und Elternvertretungen (denn Lehrerinnen und Lehrer werden durch Lehrerfortbildungs-Veranstaltungen aus dem normalen Unterricht abgezogen), ungeliebt schließlich auch bei den meisten Lehrern (denn sie wird als zusätzliche Belastung sowohl vonseiten der Teilnehmer wie vonseiten der Daheimgebliebenen empfunden, die Vertretungen wahrnehmen müssen) (Christ 1994: 276). 1. Der Lehrer als Lerner Wenn wir Autonomie als conditio sine qua non erfolgreichen Lernens statuieren, so inhäriert diesem Postulat eine Allgemeingültigkeit, die für alle Lerner gefordert wird. Es wäre also ein Widerspruch, wenn wir in der Schule in einem schüler- und erfahrungsorientierten Unterricht eine relative Selbstbestimmung der Lern- und Arbeitsprozesse praktizierten, während in der Erwachsenenbildung oder in Lehrerfortbildungen (LFB) in einem dozentenzentrierten professoralen Vortragsstil gelehrte Diskurse wie durch den Korrespondenzadresse: Dr. Manfred ÜVERMANN, Studienrat a.e.H., Pädagogische Hochschule Ludwigsburg, Fakultät für Kultur-und Naturwissenschaften (II), Abt. Französisch, Postfach 220, 71602 LUDWIGSBURG. E-Mail: overmann_manfred@ph-ludwigsburg.de Arbeitsbereiche: Multimediales Fremdsprachenlernen, Literaturdidaktik, Lehrerfortbildung. JF[,11.l]L 31 (2002) Handlungs- und partnerorientierte Lehrerfortbildung aus konstruktivistischer Sicht ... 203 Nürnberger Trichter oder Poppers Kübel-Theorie in die Gehirne der Kollegen abgefüllt werden sollten. Das menschliche Hirn ist dern des Schimpansen sehr ähnlich, und auch das Gehirn eines Lehrers wird sich von dern seiner Schüler nur dadurch unterscheiden, daß die Neuronen unterschiedlich feuern. Auch in einem Lehrergehirn, solange dieses nicht zu einer anderen Spezies mutieren sollte, wird die Wirklichkeit nicht objektiv abgebildet und werden keine fertigen Informationen oder Bilder wie in eine Wachstafel eingraviert, urn durch klassische Konditionierung das weiße Blatt mit einem Tintenfaß der Gelehrsamkeit zu beschreiben. Der Lerner, so Foerster, "ist keine leere Kiste, kein Container, in den eine staatlich legitimierte Autorität (ein Lehrer, oder ein großer weiser Professor) Fakten und Daten und seine enorme Weisheit hineinfüllt" (1999: 70). Wir leiden ebenso wie unsere Schüler unter chronischer Überforderung, wenn völlig neue Fortbildungsinhalte nur einkanalig, rein kognitiv vorgetragen werden und das lyrnbische Gehirnarsenal keine emotionale Anknüpfung finden kann, urn das neue Wissen gemäß der Plastizitätsvorstellung vorn Gehirn ganzheitlich über Axone und Synapsen netzwerkartig mit unserem Vorwissen zu verbinden und durch Assimilation an den zirkulären Kreislauf unserer Schaltzentrale anzubinden. Nach Multhaup sind dern dreigliedrigen Aufbau des Gehirns zwar prinzipiell unterschiedliche Funktionen zugeordnet, aber alle Areale sind untereinander vernetzt: a) das Starnrnhirn regelt die vegetativen Funktionen des Organismus, b) das lyrnbische System ist für die Regelung emotionaler Bedürfnisse verantwortlich und c) die beiden Hälften des Neokortex steuern die höheren kognitiven Funktionen (Multhaup 1997: 78). Von Interesse ist in diesem Zusarnrnenhang vor allem die Feststellung, daß nicht nur bestirnrnte Regionen des Neokortex untereinander korrespondieren, sondern vor allem auch das lyrnbische System durch die Aussendung von Nervenbotenstoffen Erregungszustände irn Neokortex auslöst. Rationale Operationen irn Neokortex sind also geradezu auf die aufrnerksarnkeitssteuernden Botenstoffe des lyrnbischen Systems zur Assimilation von Lerngegenständen angewiesen. Der Lernprozeß rnuß daher durch die Aktivierung von erlebtem Vorwissen von den Aufrnerksarnkeit auslösenden Rezeptionsprozessen der Lerner ausgehen, damit neue Lerngegenstände angekoppelt werden können. Der konventionelle Standpunkt vorn Lernenden als Informationsschlucker (Foerster 1999: 70) und der Glaube, daß sich bei einer detailliert kausalanalytischen Inputaufbereitung das Wissen sozusagen wie von selbst als Datenübertragung in den Lernerhirnen einstellte, entspricht nicht den Erkenntnissen der neueren Kognitionspsychologie und Neurobiologie (Overrnann 2002a). Lernen ist gehirnphysiologisch ein Konstruktionsprozeß der kognitiven und emotionalen Operationen des tätigen Subjekts, das in der Interaktion mit der Umwelt versucht, die durch die Sinne aufgenornrnenen unspezifischen neuronalen Reize auf der Grundlage seiner persönlichen Erfahrungen und seines Weltwissens so zu verarbeiten, daß irn Äquilibrationsprozeß zwischen Strukturerhaltung (Assimilation) und Urnweltanpassung (Akkomodation) eine möglichst stabile, sinnstiftende, viable Wirklichkeitskonstruktion entsteht. Der Lerner erschafft seine Welt durch die Anbindung der ihn perturbierenden Urnweltphänornene an seine persönlichen Erfahrungen. Demnach wäre der Versuch, LernlFLwL 31 (2002) 204 Manfred Overmnann gegenstände vermitteln zu wollen, die in keinerlei Beziehung zu den Wirklichkeitskonstruktionen des Lernenden ständen, a priori zum Scheitern verurteilt und die bereits erwähnte These der Lernerautonomie als option methodologique incontournable (Narcy 1994: 443) innerhalb der lerntheoretischen Prämissen des Konstruktivismus bestätigt. Wenn der Lernende sich kognitions- und perzeptionstheoretisch als aktiver Konstrukteur erweist, der Wissen nur selbsttätig generieren kann, muß Unterricht/ Fortbildung die Umstände herstellen, in denen die Prozesse der Generierung und Kreation ermöglicht werden. Dabei kann das Lernen zwar durch die Perturbationen einer multidimensionalen Lernumgebung angeregt, aber niemals monokausal als Transfer von Wissen gesteuert werden. Wir Lehrer sehen, daß die Lerner nichts wissen bzw. wir ihnen nichts vermitteln können, was sie nicht aus eigenem Forscherdrang konstruieren möchten. Die Erkenntnismöglichkeit fehlt uns wie dem Brotgelehrten Wagner in Goethes Faust, Der immeifort an schalem Zeuge klebt,/ Mit gier'ger Hand nach Schätzen gräbt/ Und froh ist, wenn er Regenwürmer findet! (Faust, V. 603 ff), solange wir in der Druckerschwärze der Buchstaben Sinn suchen und nicht aus dem Innersten unserer Seele (Gehirn! ) selbsttätig Wissen aufbauen. Das Pergament, ist das der heil'ge Bronnen,/ Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt? / Erquickung hast du nicht gewonnen,/ Wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt. (Faust, V. 566 ff) Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen,/ Wenn es nicht aus der Seele dringt (Faust, V. 534 f). Wir konzedieren zwar, daß die positive Erwartungshaltung des Fortbildungsleiters, sofern dieser selber Lehrer ist, endlich einmal mit einer homogenen, disziplinierten, lernwilligen, hochmotivierten und intelligenten Lerngruppe konfrontiert zu werden, die bereit wäre, ihm stundenlang mit Anstand geduldig zu lauschen, diesen mit euphorischen Flügeln in elyseeische Gärten versetzt und wie Wagner denken läßt Allein der Vortrag macht des Redners Glück (Vers 546), allein die Partizipanten werden sich bald, immer unruhiger werdend und auf den Stühlen hin und her rutschend, die Frage stellen, wie die bedauernswerten Schüler diesen physischen und psychischen Schmerz der Inertie über Stunden, Tage, Wochen, Monate und Jahre hinweg ohne merkliche Schäden überstehen können. Die traditionelle Vorstellung vom reinen Wissenstransfer mag zwar leichter zu handhaben sein als Methodenpluralismus und binnendifferenzierte, individualisierte Anleitung zur Wissenskonstruktion, allein entspricht diese Universalmethode als kausale Triade von Input - Operation - Output keiner neurobiologischen Wirklichkeit. Die Annahme, daß wir Lehrer während einer Fortbildung prinzipiell anders lernten als unsere Schüler, scheint uns daher vielmehr das schimärische Produkt eines simplifizieren wollenden Desiderates zu sein. Lehrerfortbildungen sollten daher denselben fachdidaktischen Vorstellungen und Schlüsselbegriffen unterstehen wie der neokommunikative Fremdsprachenunterricht 1 seit der konstruktivistischen Wende in den 80er und 90er Jahren. Im Anschluß an die kom- Zum Begriff des neokommunikativen Fremdsprachenunterrichts vgl. Reinfried (1999: 336). IFJLILllL 31 (2002) Handlungs- und partnerorientierte Lehreifortbildung aus konstruktivistischer Sicht ... 205 munikative Pragmadidaktik (Piepho), die Sprechakttheorie (Searle) und die Habermassche Universalpragmatik des kommunikativen Handelns zu Beginn der 70er Jahre ordnet sich die heutige Fremdsprachendidaktik mit der Forderung nach einem interaktiven Fremdsprachenunterricht (Schiffler 1980, Meißner 1997), nach handlungs- und partnerorientiertem Lernen (Puchta/ Schratz 1984, Schiffler 1998), der Autonomiediskussion (Holec 1988, Little 1991, 1994) und dem Paradigmenwechsel Instruktivismus versus Konstruktivismus (Wolff 1994; Overmann 2002a)2, auch in Verbindung mit den Neuen Technologien (Overmann 1999a-c/ 2002b), unter folgenden Begriffen ein, die auch in der LFB als wesentliche Aspekte der Faktorenkomplexion in den Lernprozeß integriert werden sollten: Handlungs-, Lerner-, Aufgaben-, Problem-, Erfahrungs- und Prozeßorientierung, Autonomie, Selbstverantwortung, Selbststeuerung, situatives Lernen, Authentizität, Interkulturalität, Interaktivität, Ganzheitlichkeit, Freiarbeit, Projektunterricht usw. Das Studienseminar Krefeld unter Leitung von Armin Volkmar Wernsing gelangt in der Antwort auf die Frage Kann man „ offen unterrichten" lernen? Offener Französischunterricht in der Lehrerausbildung zu der gleichen Konklusion: "Es ist überhaupt nicht einzusehen, daß sie [ = die Lehrerausbildung] einer anderen Logik folgen sollte als die skizzierte Pädagogik für Schüler. Abgerichtete Lehrer produzieren unselbständige Schüler. Die innovative Funktion des Seminars kann sich nur dann auswirken, wenn sie nicht gleich durch dreißig Jahre Berufspraxis blockiert wird. Eine neue Generation von offen ausgebildeten Lehrern ist am Zuge" (Wernsing 1998: 272). Wie Ute Rampillon (1998: 288) feststellt, ist „offenes Lernen in der Lehrerfortbildung [... ] heute jedoch keineswegs die Regel. Verschulte Lernformen stellen eher die Norm dar." Da die Lehrerfortbildner meistens aus dem eigenen Lager kommen, muß die Planung, Durchführung und Auswertung der Fortbildungen neben dem alltäglichen Unterrichtsstress stattfinden, ohne daß es hierfür eine realistische Entlastung gäbe. Dasselbe gilt für die Kollegen, die an Fortbildungen teilnehmen. Wenn wir trotz hoher Motivation überhaupt noch während des Dienstes für eine Fortbildung freigestellt werden, ist der Zeitaufwand mit Vor- und Nachbereitung im allgemeinen so groß, daß die meisten Kollegen aus verständlichen Gründen immer mehr davor zurückschrecken. Hinzu kommt, so Rampillon, daß die sich in einem relativ hohen Durchschnittsalter befindenden Kollegen und unterschiedlichen Lerntypen die LFB-Veranstaltungen häufig als Zugeständnisse eines Defizits betrachten, tradierte Verfahrensweisen aufgrund ihres Vorwissens, Fachwissens und ihrer Erfahrungen nicht aufgeben wollen und Innovationen als Verunsicherung empfinden. Wenn wir diese Schilderung darüber hinaus vor dem Hintergrund betrachten, daß in NRW zum Beispiel das Stundendeputat der Lehrer um zwei volle Unterrichtsstunden erhöht worden ist, die Schülerzahl auf 30 bis 35 Schüler pro Klasse ansteigt und die außerunterrichtlichen Verpflichtungen, insbesondere an Gesamtschulen (Lehrer- und 2 Eine ausführliche Literaturliste zu den Neueren Tendenzen der Französischmethodik findet sich bei Reinfried, (1999: 342-345); eine ausführliche Literaturliste zur multimedialen Fremdsprachendidaktik findet sich in Overmann (2002b). JFLIIL 31 (2002) 206 Manfred Overmnann Klassenkonferenzen, Teamsitzungen, Gremien, usw.), vor Ort mindestens 3 bis 5 Stunden pro Woche zusätzlich betragen dürften, vom Ganztagsbetrieb ganz abgesehen, müssen wir uns fragen, ob die Forderungen in den neuen Richtlinien 3 und die Aufforderung der Kultusministerien an die Kolleginnen und Kollegen neben einer mittlerweile chronischen Überlastung mit der Gefahr des Rum-out-Syndroms (Husmann 1994: 281) auch noch, und am besten privat, ein Studium der Neuen Technologien durchführen zu sollen; nicht illusionistisch anmuten darf. Selbst die Fachleiter sind häufig überfordert, um die Lehramtsanwärter in die Technik und Didaktik der neuen Medien einzuführen. Hinzu kommt noch, so Husmann (1994: 281), daß die Lehrer sich konfrontiert sehen „mit abnehmender Lernfähigkeit und sinkender Lernbereitschaft, mit einer wachsenden Zahl verhaltensauffälliger Schüler bei gleichzeitigem Fehlen von Ansprechpartnern in der Familie, die als ein die Gesellschaft mittragendes Strukturelement zunehmend in Auflösung begriffen ist." Auf Dauer dürfte der Wunsch allein das Desiderat des Ministeriums nicht einlösen, zumal wenn wir den Eindruck haben, daß eine innovative Pädagogik des offenen Unterrichtens unter dem Rotstift des Finanzministeriums nicht keimen kann. Die didaktische und methodische Befreiung des Lehrers aus der monokausalen Linearität der Lehrwerke ist darüber hinaus mit sehr viel mehr Vorbereitungszeit verbunden. Ohne in eine Publikumsbeschimpfung a la Handke verfallen zu wollen, stimmen wir W ernsing in seinem Urteil vollends zu, daß sich „unter solchen Auspizien[...] die diversen politischen Maßnahmen zur Verlängerung der Lehrerarbeitszeit als ausgesprochen kontraproduktiv" erweisen müssen (Wernsing 1999: 333). Es möchte kein Hund so länger leben (Faust, V. 376), drum haben wir uns dem Internet ergeben! 2. Methodenreflexion - Lernen durch Lehren in heterarchischen Strukturen Wir postulieren, daß auch in LFB die Öffnung der Veranstaltungsformen im Sinne von multiplen Lernarrangements, ein pragmadidaktischer Methodenpluralismus und die Natur der Interaktionen für den Lehr- und Lernerfolg entscheidend sind. Geschlossene Methoden, die auf der Mikro-, Meso- und Makroebene (Reinfried 1999: 330) sowohl die konkreten Unterrichtsverfahren und auch Lehr- und Lerntechniken, Interaktionsmuster und Übungsformen, als auch die Unterrichtsgliederung in Lernziele, Lehr- und Lernkonzepte sowie den theoretischen didaktischen Überbau genau festlegen, berücksichtigen nicht die verschiedenen Lernfähigkeiten, -modalitäten und -motivationen einer in LFB im allgemeinen ebenfalls heterogenen Kollegengruppe. Zum Interneteinsatz im Spiegelbild der neuen Richtlinien Französisch für die Sek. II vgl. Overmann (1999a: 209f). Zur Einbringung aktueller fremdsprachendidaktischer Paradigmen in den neuen Richtlinien vgl. auch Pütz (1999). ]F[,lll, 31 (2002) Handlungs- und partnerorientierte Lehrerfortbildung aus konstruktivistischer Sicht ... 207 In LFB kann idealiter das von dem Eichstätter Französisch-Didaktiker Jean-Paul Martin seit den achtziger Jahren zunächst für den Unterricht im Rahmen der Aktionsforschung entwickelte LdL-Projekt (Lernen durch Lehren) integriert werden, das mittlerweile als Fortbildungs- und Unterrichtsforschungsstruktur mit Erfahrungsberichten und Anleitungen in einem breiten Kontaktnetz mit über 500 Teilnehmern interaktiv zur Verfügung steht. 4 Martin geht von der These aus, daß die Schüler/ Lerner im Lernprozeß einzeln oder in Gruppen bei entsprechender durch den Lehrer betreuter konzeptioneller Vorbereitung phasenweise den Unterricht selbständig leiten und Funktionen des Lehrers übernehmen können. Die Arbeitsaufträge zur Vorbereitung von Übungen, zur Erstellung und Aufbereitung von Materialien oder zur Einführung von neuer Lexik und Grammatik werden vom Lehrer unter zeitlichen Vorgaben an die Schüler verteilt, mit ihnen besprochen und die schriftlichen Vorlagen vor dem Unterrichtseinsatz in einem Gespräch verifiziert und korrigiert. Durch diese Integration des Schülers/ Lerners in den Wissenskonstruktionsprozeß entsteht ein schülerzentrierter Unterricht oder teilnehmerzentriertes Fortbildungsseminar, in dem der Lerner einen Aktionsanteil von bis zu 80% selbsttätig steuert. Von Vorteil ist insbesondere auch der Perspektivenwechsel, der in schwierigen Stoffsequenzen vom Lerner aus erkundet und hinterfragt wird und prinzipiell zu einer Intensivierung und Multiplikation der Betrachtungsweise führt. Darüber hinaus sinkt die Hemmschwelle, um Unverständlichkeiten zu artikulieren und kooperatives soziales Lernen wird gefördert. In LFB tritt der interkollegiale Austausch in Form von kollegialen Selbstlern- und Unterstützungsgruppen in den Vordergrund und Autonomie und Interaktivität bei der Wissenskonstruktion werden gefördert. Der Lerner/ Lehrer tritt wahlweise als Fortzubildender oder Fortbilder auf, und der Seminarleiter erhält Zeit und Gelegenheit, durch Beobachtungen und konkrete Gespräche Probleme zu erkennen und individuell darauf zu reagieren. Da es sich bei LFB um die professionalisierte Klientel unserer Kollegen handelt, dürfte die Delegation von phasenweisen Lehrfunktionen im allgemeinen kein Problem darstellen, wenn wir psychologisch untereinander auch anders reagieren mögen als in der Klasse, denn Der kleine Gott der Welt bleibt stets vom gleichen Schlagl Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag./ Ein wenig besser würd er leben,/ Hättst du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben; er nennt's Vernunft und braucht's allein, Nur tierischer als jedes Tier zu sein (Mephisto, V. 281 ff). Es soll sich weniger darum handeln, daß die einzelnen Kollegen ihre Kompetenzen darstellen, um damit zu brillieren, als vielmehr anderen da zu helfen, wo die eigenen Kenntnisse und Fähigkeiten sinnvoll eingesetzt werden können, um wiederum selber Hilfe in den Teilgebieten in Anspruch zu nehmen, in denen wir Wissen erwerben möchten. "Unser Wissen", so Heinz Foerster (1999: 62), "das wir von der Welt besitzen, erscheint mir als die Spitze eines Eisberges. Es ist wie das winzige Stückchen Eis, das aus dem Wasser ragt, aber unser Unwissen reicht hinunter bis in die tiefsten Tiefen des 4 Zum Thema Lernen durch Lehren vgl. insbesondere die vorläufige Bilanz von Martin (1996), des weiteren Bönsch (1998) sowie die hervorragende Diplom-Arbeit von Wittwer (1995). FlLl! lL 31 (2002) 208 Manfred Overmnann Ozeans." Unter dem Postulat der konstruktivistischen Wahrheitsnegation und skeptizistischen Grundhaltung erweist sich die Darstellung des Unwissens - Und sehe, daß wir nichts wissen können! (Faust, V. 364) als beste Voraussetzung für eine relative Wissenskonstruktion und den daraus resultierenden ethischen Imperativ der Toleranz. Wir lernen um so mehr, je weniger wir wissen. Wissen und Unwissen stehen in einem dialektischen Verhältnis und expandieren proportional zueinander, weil mit dem Wissen auch das Wissen um das Nicht-Wissen wächst. Je mehr wir also wissen, was wir nicht wissen, desto mehr können wir lernen. Das potentielle Eingeständnis des Unwissens Es irrt der Mensch, solang er strebt (Der Herr, V. 317), verbunden mit einem Faustischen Forscherdrang oder einer Neugierologie (Foerster 1999: 43), ist somit die beste Voraussetzung für eine erfolgreiche Teilnahme an einer Fortbildungsmaßnahme, in der hierarchische Strukturen der Wissensvermittlung aufgelöst werden. Wie Heinz von Foerster, einer der Väter des Konstruktivismus, obwohl er diesen Begriff als Etikette für seine Denkungsart ablehnt, in seinem Buch Wahrheit ist die Eifindung eines Lügners. Gespräche für Skeptiker (1999) in dem Kapitel über das Management ausführt, sind hierarchische Kommandostrukturen, die von der aristotelischen Vorstellung eines Summum bonum ausgehen, ineffizient, weil „die Kommunikation nur in eine Richtung abläuft und Fehler, die an der Basis erkannt werden, nicht das Verhalten der Oberen verändern" (Foerster 1999: 83 ff), weil die Basis gar nicht konsultiert wird. Deren Feedback ist aber geradezu entscheidend, wenn wir auch in pädagogischen Kontexten postulieren, das jeder Lerner/ Arbeiter in seiner Welterfindung ein Spezialist ist. Wer weiß besser als der Schüler im Unterricht oder der Kollege in einer Fortbildung, der Mitarbeiter in einem Betrieb oder der Mann an der Drehbank, welches die Interessen und Probleme bei der Bewältigung eines Arbeitsauftrages sind. Aus dieser Sicht entsteht nicht nur eine psychologische Befreiung des Untertans, sondern eine positive Organisationsstruktur als Selbstorganisation von unten, die Foerster mit dem Begriff der Heterarchie umschreibt (1999: 89). Jeder ist für seinen Ausschnitt von Welt verantwortlich, und die heterarchischen Inseln der Teams und Gruppen schließen sich in einem kommunikativen Modus zu einem harmonisch-kooperierenden Netzwerk zusammen. „Ähnlich wie in der Wirtschaft vollzieht sich auch im System Schule ein Wandel von bürokratischen Organisationsformen zu organischen, also von positionaler Autorität[...] zu funktionaler Autorität, flacheren Organisationsstrukturen, Flexibilisierung und Anpassungsfähigkeit" (Weskamp 1999: 157). Durch die Dekonstruktion der autoritären Hierarchien gelangen wir zu einer nichtstatischen, dynamischen, ganzheitlichen Betrachtungsweise der Organisation von Lernprozessen, in denen der Leiter als primus inter pares, d.h. als Koordinator, Moderator, Mediator, Manager oder Coach die Organisation der Selbstorganisation betreut. Er trägt Sorge dafür, daß die einzelnen Lerner und Gruppen sich organisieren, miteinander kommunizieren, daß jede Stimme gehört wird und in einem regen Austausch zur permanenten Veränderung der Standpunkte führt. Ziel einer Fortbildung ist nicht die Homogenisierung, sondern die jeweils individuelle und multidimensionale Verstärkung der Komplexität auf Mikro-, Meso- und Makroebene. "Der Teufel", so Foerster, "ist für mich lFLllllL 31 (2002) Handlungs- und partnerorientierte Lehrerfortbildung aus konstruktivistischer Sicht ... 209 nicht der große Verwirrer, sondern der große Vereinheitlicher. Er versucht die verschiedenen Ansichten zu homogenisieren, bis alle dasselbe denken, glauben und tun [...]. Der Verwirrer erweitert hingegen das Blickfeld, er eröffnet neue Möglichkeiten und Macht die Fülle sichtbar" (1999: 35). Lehrerfortbildungen verstehen wir als offenes, nicht-lineares Projektmanagement 5 in dezentralen Entscheidungseinheiten, wobei das projectum ein Vorhaben bezeichnet, an dessen Verwirklichung eine Gruppe gemeinsam zu arbeiten intendiert. Der Grund der Zusammenkunft besteht in dem Interesse, etwas Neues als motivierende Herausforderung erleben und in kooperativer Interaktion proaktiv gestalten zu wollen. Ebenso wenig wie die Schüler wollen die Kollegen mit fertigen Menüs abgefüttert und endgültigen Wahrheiten indoktriniert werden. Die LFB bietet vielmehr eine Chance der interkollegialen Entwicklung und Erprobung innovativer Ideen, der Problematisierung von Arbeitshypothesen sowie dem Entwurf individueller Lösungsstrategien. Projektarbeit bedeutet Entwicklungsarbeit und Entwicklung inhäriert Lernen. Die Selbstorganisation und Selbstkontrolle der Fortbildung trägt durch kreatives Schaffen, Herstellen und gemeinsames Gestalten nicht nur zur Konstruktion des Selbst als reflexives Projekt (Weskamp 1999: 157) der persönlichen Sinnfindung bei, sondern führt durch Empathie und positive Emotionalisierung in der Interaktion auch zur Lust am selbstgeschaffenen Produkt im Lernprozeß. Darüber hinaus wird das Bedürfnis geweckt, die neuen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten in der Schule ausprobieren zu wollen, so daß die Zirkularität des Lernens garantiert wird, weil der Endpunkt der Lernschleife wieder zum neuen Ausgangspunkt des Lehrens/ Lernens wird. 3. Autonomes Lernen in der Lernwerkstatt nach eigenem Arbeitsplan als prozedurales Lernen an Stationen im Büffet-Modell Van der Lehre zum Lernenden (Foerster 1999: 70). Unser heterarchisches Konzept der Lehrerfortbildung steht unter dem Primat der Individualisierung des Lernens in autonomen Lernsituationen, die in ihrer Multidimensionalität, Heterogenität und Eindrucksvielfalt vernetzt sind und entsprechend den Prinzipien der konstruktivistischen Lerntheorie einen interaktiven und generativ-zirkulären Lernprozeß initiieren. Der Lerner wird bei der explorativen Erkundung der multiplen Lernsituationen entsprechend seinen individuellen Vorkenntnissen und Wünschen zum Prometheus seiner eigenen Wissenskonstruktion. Die Fortbildung beginnt mit der schrittweisen Ankunft der Teilnehmer und ihrem Bummel durch eine offene Lernwerkstatt 6, in der sich multiple Anreizstrukturen zur Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand befinden. Das Beschnuppern und die Zur Projektarbeit vgl. den exemplarischen Aufsatz von Anne Sliwka (1999) in der Startausgabe der neuen bildungsreformatorischen Zeitschrift Lernwelten. 6 Vgl. hierzu die von Weskamp (1999: 158 und 160 f) verwendete Metapher und konstruktivistische Begründung des Klassenzimmers als Legohaus. IFLd 31 (2002) 210 Manfred Overmnann multisensorische ganzheitliche Wahrnehmung der Materialien sowie die ersten Gespräche mit Kollegen und Kolleginnen dürften eine variable Inkubationszeit in Anspruch nehmen, und das Seminar hat begonnen, noch bevor man es bemerkt hat. Die Teilnehmer stellen einen Bezug zu ihren Erfahrungen, Kenntnissen, Fertigkeiten und Wünschen her, und es entsteht ein intrinsischer Handlungsbedarf, der auf natürliche Weise zum Kontakt mit den anderen Teilnehmern führt und zum interkollegialen Lernaustausch durch legitime Fragen. Während wir nach Foerster die meiste Zeit im Unterricht darauf verwenden, illegitime Fragen zu stellen, d.h. Fragen, auf die es nur eine Antwort gibt, die der Lehrer bereits kennt, muß die Antwort auf legitime Fragen erst noch erarbeitet werden (1999: 73) und bezeichnet die Neugierde am Lerngegenstand, der zu erforschen ist. Sinnvolle Antworten können wir nur auf Fragen geben, die wir selber stellen und mit Einsicht beantworten, da nur der Fragende selber lernt. Wo keine Fragen gestellt werden, können Antworten hingegen nicht verstanden werden. Der Computerraum wird für die Fortbildung in eine Lernstationswerkstatt zur materialgeleiteten Freiarbeit umgewandelt. Der Grundgedanke des Stationenlernens stammt aus der Grundschule und wurde als flexibles methodisches Instrument zum Zwecke des individualisierten Lernens unterschiedlich begabter Schüler entwickelt. Mittlerweile wird diese handlungsorientierte Methode auch in der Mittelstufe (Bauer 1997) und gymnasialen Oberstufe erfolgreich eingesetzt, und zwar nicht nur zu binnendifferenzierten Übungsformen, sondern auch zur problem- und aufgabenorientierten Erarbeitung neuer Themen. Durch die aktive Auseinandersetzung der Lerner mit dem Themenmaterial wird das traditionelle lehrergelenkte fragend-entwickelnde Unterrichtsverfahren umgekehrt, so daß in einem Perspektivenwechsel der Lerner zum Subjekt des Handelns wird. Besonders geeignet für das Lernen an Stationen sind auch komplexe Lerngegenstände. Die Thematisierung des Internetunterrichts haben wir für die LFB in Einzelthemen aufgeteilt, die unterschiedlichen Fähigkeiten und Kenntnissen entsprechen. Die unterschiedlichen Baustoffe ermöglichen es den Teilnehmern, jeweils ihr eigenes Haus zu entwerfen, wobei nicht die Größe der Konstruktion, sondern die Solidität der Bauweise in den Vordergrund rückt. Da die Materialien in Form eines Büffets angeboten werden, besteht ein Überangebot an Lehrnahrung. Je nach Appetit stellen die Lerner eigenverantwortlich ihr Menü zusammen, treffen Entscheidungen hinsichtlich ihres Lernweges, selektieren die Informationen nach Inhalt, Bedeutung und Nutzen, bewerten nach Relevanz, Gültigkeit und Brauchbarkeit und gestalten die Vernetzung ihres lernorganisatorischen Rahmens in wechselweiser unterstützender Kooperation mit ihren Kollegen im Helfersystem, wobei die handlungsorientierte Interaktion in der Gruppe auch die sozialpsychologische Dimension des Lernens fördert. Die Interaktivität in der Gruppe besteht darin, daß Lernprobleme gemeinsam explorativ erkannt oder erfahren werden und man in einer realen Kommunikationssituation problemorientiert versucht, nach Lösungsstrategien zu suchen. Die Arbeitszeit, die Reihenfolge und Anzahl der zu durchlaufenden Stationen sowie der Wechsel von Selbstlern- und Soziallernphasen und die Intensität der Erarbeitung unterstehen der lFJLd 31 (2002) Handlungs- und partnerorientierte Lehrerfortbildung aus konstruktivistischer Sicht ... 211 Wahlfreiheit der Partizipanten als Wissensmanager. Auf diese Art und Weise werden Selbstvertrauen, eigenes Urteilsvermögen, Identitätsfindung, soziale Erfahrung und Verantwortung sowie problemlösendes Verhalten gefördert. 4. Materialpräsentation und Lernstationen Es gibt nichts Gutes, außer man tut es (Erich Kästner) Multiple hypertextartige Internetstationen: Vorstellung der Internetstätten Les bonnes adressesfrancophones sur le Net 1-5 mit Hilfe eines Beamers. Nach einer offenen Phase des Kennenlernens von Materialien, Kollegen und Kolleginnen stellt der Seminarleiter die Hypertextinternetseiten als Experimentierfeld praktischen Handelns für die Fortbildung vor (-t Anhang 1, S. 215 f) 1: Les principaux moteurs de recherche 2: Les serveurs culturels et les pages pratiques 3: Les sites didactiques de frarn; ais langue etrangere 4: Cours a exploiter en classe 5: Publications Die Inhalte aller Internetstätten sind durch zusammenfassende Kommentare oder überblickhafte Inhaltsverzeichnisse erläutert und mit einem direkten Link als Zugang ins Netz versehen. Arbeitsblätter und Anweisungen liegen für das Experimentieren mit den Suchmaschinen sowie den kulturellen, praktischen und didaktischen Internetstätten aus (-t Anhang 2, S. 217f). Fertige Internetunterrichtsmodule können ebenfalls ausprobiert werden; die Aufsätze können bei vorhandenem Interesse als didaktische Zusatzinformationen auch in Printversion gelesen werden. Station I: Die im Netz vorgestellten Internetseiten sind mit ihren Kommentaren auch vollständig in gedruckter Fassung in mehreren Ordnern und Heftern einsehbar. Wer lieber blättert als „klickt", kann sich den Inhalt zunächst in aller Ruhe im gewohnten schriftlichen Medium vor Augen führen. -An dieser Station befinden sich auch die Internetarbeitsblätter (----> Anhang 2, S. 217). Die Materialien können wahl- und wechselweise in Einzel-, Partner oder Gruppenarbeit an Hand von Hypothesen, Behauptungen oder Fragen bearbeitet werden. Die potentiellen Antworten werden durch die Versuche im Netz oder die Kollegen in den Lernstationen verifiziert oder falsifiziert. Nicht-Verstandenes wird zum Anlaß für Auseinandersetzung und Nachfrage. Station II: Multimediale Lernprogramme von Klett und Cornelsen zum Ausprobieren mit authentischen Bild- und Tonelementen sowie motivierenden interaktiven Animationen zum Hören, Lesen und Sprechen. Die Prograrmue sind äußerst komplex: (W) Wortschatzarbeit, (A) Aussprache, (H) Hörverstehen, (G) Grammatik, (R) Redeintention, (T) Textarbeit, (Ü) Übersetzung, (S) Syntax und (Z) Zuordnungsübung. Dem Petit Prince begegnen wir in einem dreidimensionalen Universum und aus lustigen Bildergeschichten entstehen interaktive Dialoge, in denen die eigene Stimme in den Originaldialog eingebunden wird. Eine ausgereifte Sprachanalysefunktion vergleicht und bewertet die Aussprache des Lernenden mit der akzentfreien Aussprache eines Muttersprachlers. lFLlllllL 31 (2002) 212 Manfred Ovennnann Zwei Aufsätze zur Beschreibung von Lernsoftware unter der Angabe methodisch-didaktischer Kriterien für ihren Einsatz im Fremdsprachenunterricht (Overmann 1999b/ c) sowie Inhaltsangaben, Gebrauchsanweisungen und ausgedruckte Beispiele befinden sich in ausliegenden Materialmappen an der Lernstation. Anfänger treffen sich hier mit fortgeschritteneren Lernern, um die Materialien auszuprobieren. Station III: Hypertexteinführung und praxisorientierte Basisqualifikation für Anfänger im Netz, "Mausphobien", technisches Operieren, Arbeitsmaterialien und Hilfe werden zur Verfügung gestellt. Station IV: Aufsatzsammlungen zur Thematik sowie didaktisierte Internetunterrichtsmodule zum Erproben. Station V: Hilfe! - Kommunikationstisch, Assistenzsystem zu den Arbeitsblättern: Hier können Fragen gestellt und Antworten diskutiert werden. Schriftliche Hilfe kann auf einem Anfrageblatt mit Namen angefordert werden; die Kollegen werden sich melden! Station VI: Sicherung der Lernergebnisse, Evaluation, Probleme, Kritik und Perspektiven im Gesprächskreis. Auslage und Diskussion der zweiunddreißig guten Gründe für den Interneteinsatz im Französischunterricht (Overmann 1999a: 208 f). Station VII: Produktorientierte Vorschläge und Initiativen zur Ausarbeitung einer Internetunterrichtseinheit; Initiation von prozeßorientierten Arbeitsgemeinschaften als kooperativ organisierte interkollegiale Vernetzung in Folge von LFB. 5. Prinzipien des Unwissens Was wir nicht wissen. Die Fortbildung könnte nach der Vorstellung der Materialien damit beginnen, daß die Teilnehmer in Form von brainstorming schriftlich auf Zetteln formulieren, was sie zum Thema alles nicht wissen. "Brillieren" können hier diejenigen Teilnehmer,. die paradoxerweise ein breites Unwissen akkumuliert haben. Und genau dieses ist zunächst der Gegenstand der Betrachtung: die Bewußtmachung dessen, was man nicht weiß, wobei auch das Unwissen eine Art Wissen vorauszusetzen scheint, nämlich dasjenige Wissen, das die Erkenntnis des Unwissens bedingt. Nicht zu wissen, wie ein Computer funktioniert, setzt das Wissen voraus, daß es Computer gibt. Die Grenzen zwischen Unwissen und Wissen werden fließend, wobei die Thematisierung des Unwissens die Hemmschwellen der Teilnehmer in ihrer Dialektik umkehren soll und das Unwissen zur Quelle der Erkenntnis wird. Kompromittiert wäre bestenfalls derjenige, der kein Unwissen vorzutragen hätte etwa ein schlechter Seminarleiter ohne Unwissen! Jeder Teilnehmer, der möchte, trägt seine Ergebnisse unaufgefordert im Plenum vor, so daß die unterschiedlichen Vorkenntnisse transparent gemacht werden und die Kollegen in der Folge untereinander eine bessere Orientierung zum Informationsaustausch im Assistenzsystem finden können Was wir wissen möchten. Nachdem das Unwissen im Plenum gewachsen ist, mögen die Teilnehmer sich bewußt vor Augen führen, an welchem Teil des erkannten Unwissens sie arbeiten möchten, welche Wünsche und Erwartungen sie haben, mit welchen lFb! lL 31 (2002) Handlungs- und partnerorientierte Lehreifortbildung aus konstruktivistischer Sicht ... 213 Problemen sie sich fragend auseinandersetzen wollen. Für den Lerner ist es wesentlich festzustellen, was er lernen möchte, da er unmöglicherweise sein ganzes Unwissen in Wissen verwandeln kann, zumal Wissen immer nur Hypothese ist, die falsifiziert aber niemals im Sinne von sicherer Erkenntnis verifiziert werden kann. Das Unwissen sowie das Wissen als Vermutung bleibt ein integrativer Bestandteil eines jeden Lernprozesses, und es ist für die Persönlichkeitsstruktur wichtig, sich dazu zu bekennen. So muß der Lehrer vor den Schülern immer wieder seine Unkenntnis bzw. seine Fehler eingestehen und sein Wissen als vermeintliches Wissen der kritischen Überprüfung zur Disposition stellen. Durch Fehler wachsen nicht nur die Erkenntnis, sondern auch das Ansehen, und Wissensdünkel und Anmaßungen von Autorität werden vermieden. -Auf Zetteln werden persönliche Lernziele formuliert, die im Plenum vorgelesen und bei Station V mit Namen oder Pseudonym deponiert werden. Einrichtung eines Helfersystems. Was wir zu wissen glauben. Die Teilnehmer formulieren Kenntnisse, Fertigkeiten, Erfahrungen, die sie bereit wären, einem anderen Kollegen als hypothetisches Wissen zu vermitteln. - Im Verlaufe der LFB können sich die Kollegen mit ähnlichen Interessengebieten, Erwartungen und Erfahrungen auf der Grundlage der Informationszettel zu komplementären Lern- und Lehrteams zusammenfinden. Man kann namentlich einen Spezialisten aufsuchen oder Kollegen zum gemeinsamen Experimentieren ansprechen. 6. Schlußfolgerung Die Erkenntnisse der Kognitionspsychologie sowie die Methodenfrage und das didaktische Relevanzsystem gelten für die Lehrer als Lerner in demselben Maße wie für ihre Schüler. Lehrerfortbildungen sind im Rahmen der Professionalisierung eines reflektivevaluativen Selbstkonzeptes als fortwährende, spiralförmige Lern- und Arbeitsprozesse zu verstehen, in denen multidimensionale Ausgangsqualifikationen erprobt, hinterfragt, evaluiert und innovativ modifiziert werden. Sie dienen nicht vorrangig der Addition von Wissen, sondern dem interkollegialen Austausch von Erfahrungen, Einstellungen und Dilemmata. Die Teilnehmerorientierung, d.h. die Ausrichtung an den Bedürfnissen und Erwartungen der Lerner auf dem Hintergrund ihrer beruflichen Biographie ist daher ein grundlegendes Prinzip der LFB. Der Lehrer als Lerner ist genauso wenig wie seine Schüler ein Ausführender präskriptiver Grundsätze, sondern ein reflektierend selbständig Handelnder. Daher sollten LFB nicht mehr als teacher training konzipiert werden, das durch den Transfer von Fertigkeiten und Wissen zur Automatisierung von Lehrerverhaltensweisen führte, sondern als reflektive Lehrerbildung (reflective model) (Duxa 1999: 8 t). Durch die kritische Analyse und Evaluation der eigenen Unterrichtspraxis ihres erfahrungsgebundenen Wissens reflektieren die Lehrenden in interkollegialem Austausch ihre Probleme und suchen nach eigenen Lösungsstrategien, die nicht das Resultat, sondern den subjektiven Prozeß in den Vordergrund stellen. Die LFB erfährt dadurch eine Umkehr von behavioristisch-quantitativ orientierten Lernzielvorstellungen zu einem Prozess-Produkt-Lernen und kollaborativ-explorativem Handeln in einer situations- und lFLlllL 31 (2002) 214 Manfred Overmnann personenspezifischen Faktorenkomplexion. Es findet keine passiv-reaktive top down Transmission von oben oder außen statt, sondern eine durch reziprokes voneinander Lernen ausgelöste Innenansicht des Lernprozesses auf der Grundlage von Freiwilligkeit, Transparenz, Vertrauen und Partnerschaftlichkeit in einer möglichst harmonisch sozialaffektiven Atomsphäre. Literatur BöNSCH, Manfred (1998): "Lernen durch Lehren. Eine Variante handlungsorientierten Unterrichts." In: Fremdsprachenunterricht 2, 81-85. CHRIST, Herbert (1994): "Lehrerfortbildung als dritte Phase der Lehrerbildung." In: französisch heute 25.3, 276-280. DUXA, Susanne (1999): "Fortbildung von Fremdsprachenlehrenden im Weiterbildungsbereich: konzeptuelle und forschungsmethodische Fragen zur Ermittlung von Wirkungsfaktoren." In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 10.1, 1-27. FOERSTER, Heinz von (31999): Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners. Gespräche für Skeptiker: Heidelberg: Carl-Auer Systeme Verlag. HERMES, Liese! (Hrsg.) 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Anhang 1: Überblick über die Internetseiten zur Fortbildung Les bonnes adresses francophones sur Je Net (1): Les principaux moteurs de recherche http: / / www.ph-ludwigsburg.de/ franzoesisch/ overmann/ bafl/ Les bonnes adresses francophones sur Je Net (II): Les serveurs culturels et ! es pages pratiques: http: / / www.ph-ludwigsburg.de/ franzoesisch/ overmann/ baf2/ • Les serveurs web culturels • Les serveurs web administratifs et politiques • Les pages pratiques • Apprendre Je fran9ais • Commander des livres fran9ais • Dictionnaires utiles • Bibliotheques virtuelles • L'hyperlitterature sur Je Web Les bonnes adresses francophones sur Je Net (III): Les sites didactiques de fran9ais langue etrangere http: / / www.ph-ludwigsburg.de/ franzoesisch/ overmann/ baf3/ • Internet - Formation a l' utilisation de ressources multimedias • Grammaire • Civilisation fran9aise JF[,1JIL 31 (2002) 216 Manfred Overmnann • Quiz • Repertoire de poesie et de litterature • Sites de lecture • Chansons • Auteurs didactises • Bandes Dessinees • Les medias • Echanges, correspondants, mel, forum de discussion • Sites pedagogiques generaux Les bonnes adresses francophones sur le Net (IV): Cours a exploiter en classe http: / / www.ph-ludwigsburg.de/ franzoesisch/ overmann/ baf4/ • Un ordinateur: introduction du vocabulaire et composition d'un petit texte sur son utilisation. Niveau: 2eme annee • Cours de civilisation sur la geographie de la France: 3eme/ 5eme annee • Cours de civilisation sur le bulletin meteo: 2eme/ 4eme annee • La promenade du virtuo-touriste a travers le Paris virtuel d'Internet. Niveau: 2eme a 6eme annee de frans; ais • Travailler a partir d'nne sequence video ou d'un film - Claude Chabrol: Au creur du mensonge - Niveau: Conversation • Le phenomene rap (I) • Le phenomene rap (II) • Le phenomene ra'i • Balade virtuelle a travers la Provence - Niveau: 3eme a 6eme annee • Voyage en francophonie (version eleve) • Voyage en francophonie (version professeur) • Modules elabores par les etudiants de la faculte de Ludwigsburg Les bonnes adresses francophones sur le Net (V): Publications http: / / www.ph-ludwigsburg.de/ franzoesisch/ overmann/ baf5/ • L'emergence de l'Internet a l'ecole: le plan d'action gouvernemental • Plädoyer für den Interneteinsatz in einem autonomeren Französischunterricht. Lost in Cyberspace oder Gelehrsamkeit per Mausklick? • Per Tastendruck zum Lernerfolg? - Beschreibung von Lernsoftware und methodisch-didaktische Kriterien für ihren Einsatz im Fremdsprachenunterricht • Non scholae sed vitae discimus - Lernsoftware Französisch: Inhaltliche Darstellung und Produktliste • Konstruktivistische Prinzipien der Lerntheorie und ihre didaktischen Implikationen • Der Internetfremdsprachenunterricht als Paradigma einer konstruktivistischen Didaktik • Fremdheitserziehung und Medienpädagogik: Apprendre et enseigner avec TV5 • Multimedia interactif et apprentissage multimodal • La chanson frans; aise : Paroles de clips lFLlllL 31 (2002) Handlungs- und partnerorientierte Lehrerfortbildung aus konstruktivistischer Sicht ... Anhang 2: Arbeitsblätter A) Les bonnes adresses francophones sur le Net (I) .L. Les principaux moteurs de recherche: http: / / www.ph-ludwigsburg.de/ franzoesisch/ overmann/ bafl/ 217 I. Entrez un mot-cle dans Je cadre prevu et lancez une recherche avec un moteur de recherche de votre choix. Voila quelques exemples: a) Provence b) Maghreb c) Nancy d) bilinguisme II. Essayez de trouver a) des renseignements sur Charles Baudelaire en utlisant Je moteur de recherche „Nomade" ainsi que des extraits des Fleurs du Mal et Le proces des Fleurs du Mal de Baudelaire avec Yahoo. Notez ! 'URL. b) Le Club de Boomerang de Montreal - Notez quelques particularites. c) Le „Museum für Gegenwartskunst in Basel" et indiquez quelles expositions y ont lieu actuellement Amusez-vous a consulter quelques moteurs de recherche et tirez-en une conclusion. Quelles sont vos observations? B) Les bonnes adresses francophones sur Je Net (II) b Les serveurs culturels: http: / / www.ph-ludwigsburg.de/ franzoesisch/ overmann/ baf2/ Naviguez dans differents sites culturels et presentez-en un. Puis repondez aux questions suivantes: 1. Quel temps fera-t-il demain a Marseille? 2. Indiquez une exposition temporaire au Louvre ainsi que les tarifs des billets et les heures d'ouverture du musee. 3. Quand est-ce qu'il y a des departs de train de Paris pour Cologne? 4. Proposez un sejour linguistique en France en precisant ! es conditions: Ja ville, la duree des cours, ! es prix, l'hebergement etc ... 5. Trouvez les codes postaux des villes suivantes a) Rennes, Monterfil, Avignon... 6. Trouvez Je numero de telephone d'un/ une ami(e) que votre voisin/ voisine vous indiquera dans les Pages Blanches de l' annuaire electronique; puis Je numero, Je nom de la rue et Je prenom de Madame Le Lostec, a Monterfil en Bretagne (35) ainsi que Je numero de telephone, Je nom de Ja rue et Je code postal de Monsieur Pascal Deloche a Ludres. 7. Essayez de trouver un hötel a Paris qui ne soit pas trop eher. Marquez Je nom de l'hötel, l'adresse ainsi que les prix. 8. Allez a la FNAC et renseignez-vous sur ! es livres de Marie Darrieussecq. Notez les titres, les prix, ! es editions ... 9. Trouvez ! es auteurs des titres suivants: Deux et deux font trois, ll etait un piano noir... memoires interrompus, L'Alchimiste et de La Maladie de Sachs 10. Consultez un dictionnaire et definissez ! es termes suivants: a) thurifäraire b) fauve c) opportunisme 11. Cherchez des CD de a) Gil Caplan b) Henri Salvador, Blouse du dentiste, compositeur Boris Vian c) Louis Chedid. Notez Je 9eme titre du CD de Chedid „Ainsi soit-il", le prix et Ja refärence. lFILwL 31 (2002) 218 Manfred Overmnann 12. Cherchez les paroles de Ja chanson de Boris Vian, Le deserteur et de Patricia Kaas Je voudrais la connaftre 13. Faites traduire Ja phrase suivante par un service de traduction automatique de textes en anglais et en frarn; : ais: Nach der Schule gingen die Kinder nach Hause. Experimentez avec d'autres phrases. C) Les bonnes adresses francophones sur le Net (III) .1. Les sites didactigues de francais langue etrangere: http: / / www.ph-ludwigsburg.de/ franzoesisch/ overmann/ baf3/ 1. Naviguez dans un site de votre choix et presentez vos observations. 2. Des activites pedagogiques sur la civilisationfram; aise font partie de modules multimedia WWW. Servez-vous des differents dossiers qui sont mis a votre disposition et jugez de leur utilite pedagogique pour ! es cours de frans; ais. 3. Faites un voyage virtuel a partir d'une carte geographique interactive de la France 4. Visitez les monuments de Paris et les dossiers sur la France 5. Faites un exercice grammatical dans le site de Ja „Grammaire interactive" Emploi des pronoms II ou dans le site „Friedman's Little Interactive Quizzes" Les expressions de quantite; ensuite testez vos connaissances au „CIEL-Centre International d'Etude des Langues" en faisant l'exercice du niveau "intermediare". 6. Maintenant lancez-vous dans l'exploitation des autres sites de grammaire et presentez un exercice que vous souhaiteriez faire en classe. Discutez ! es avantages et ! es inconvenients. 7. Pour vous detendre vous allez faire le quiz „La France en Chiffres", puis experimentez avec Quizzweb des dizaines de quiz sur la civilisationfrant; aise et l'Europe ou naviguez du cöte des Guignols. 8. Un peu de poesie: Lancez-vous a Ja recherche d'un poeme que vous voudriez faire decouvrir a votre collegue et recitez-le a haute voix. 9. Essayez de trouver des textes de Flaubert ainsi que des renseignements sur l' auteur que vous pourriez utiliser en classe de frans; ais. 10. Amusez-vous a envoyer une poesie electronique que vous composerez vous-meme a un de vos ami(e)s dont vous connaissez Je mel. 11. Decouvrez dans la „Boite il outils" Je site de Ja Lecture interactive d'un petit texte avec des exercices de comprehension et d'expression. Verifiez et discutez l'utilite pedagogique de ce site. 12. Exploitez Ja Lecture interactive d'unjournal et discutez ! es possibilites d'exploitation pedagogique en classe. 13. Recherchez ! es joumaux suivants: 1. Ouest-France, 2. Le Midi Libre, 3.L'Humanite, 4. Liberation et notez quelques „grands titres". Est-ce qu'il y a des trouvailles que vous voudriez faire decouvrir aux autres collegues? 14. Allez voir „Le Petit Prince" de Saint-Exupery et racontez-nous votre histoire! 15. Visitez Je Site Asterix non officiel et citez un extrait qui pourrait nous faire rire! lFLlllL 31 (2002) 1..-, _____ N_ic_h_t_-t_h_e_m_a_t_i_s_c_h_e_r_T_e_il _____ __.l Dieter Seelbach * Kollokationen und expressions figees Abstract. This article gives an overview on recent research conceming the topics 'collocations' and 'expressions figees'. lt considers mainly the results found within two frameworks: the meaning-textmodel of ! GOR MEL'CUK and the lexicon grammar of MAURICE GROSS and GASTON GROSS, which is based on ZELLIG S. HARRIS' Operator Grammar. lt also briefly introduces both approaches to the reader and compares their findings. The author' s main contribution consists in a systematic comparison between the values of lexical functions for some corresponding French and German keywords and in detailed French-German contrastive lexicon-grammatical descriptions leading to prototypical lexical entries for bilingual dictionaries. Attention is also drawn on a 'new' type of collocation that is to be studied and lexicalised more exhaustively: operators, especially verbs, with their proper adverbs. The proposed entries can be used for both foreign language teaching/ leaming and automatic language processing, especially for computer-aided translation. 1. Einleitung Die moderne Kollokationsforschung ging von PORZIG und FIRTH aus. E. COSERIU hat einige der hierher gehörenden Phänomene als syntagmatische lexematische Strukturen oder lexikalische Solidaritäten beschrieben. F. J. HAUSMANN und 1. MEL'CUK haben in entscheidender Weise die Kollokationsforschung in den 80er Jahren geprägt. Seit dieser Zeit wurden die hierher gehörenden Phänomene sowie die expressions figees auch im Rahmen der Lexikongrammatik durch M. GROSS, G. GROSS und andere beschrieben, wobei deren Tragweite im Bereich des Lexikons (und der Texte) zutage trat. Kollokationen wie faire une conference einen Vortrag halten assumer la responsabilite die Verantwortung übernehmen sind strikt zu trennen von freien Kombinationen einerseits und Idiomen andererseits, wie laver la tete a qn jm den Kopf waschen Diese haben bisweilen wie im vorliegenden Fall neben der idiomatischen Lesart, die immer zuerst in den Sinn kommt, eine zweite Interpretation als freie Kombination. Sie können, wie hier, verbaler, aber auch nominaler, adjektivaler oder adverbialer Natur sein Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Dieter SEELBACH, Univ.-Prof., Institut für Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft, Welderweg 18, 55099 MAINZ. E-Mail: seelbach@uni-mainz.de Arbeitsbereiche: Computerlinguistik, Grammatik und Lexikon, Sprachvergleich IFLIIIL 31 (2002) 220 Dieter Seelbach und werden in der Terminologie der romanistischen Linguistik grosso modo zu den expressions figees (erstarrte oder fixierte Ausdrücke) gezählt (cf. 4.6). 2. Kollokationen bei F. J. Hausmann In der part-of-speech-orientierten Systematik der Kollokationen von Hausmann (1989) gibt es sechs Zweierkombinationen (cf. Abb. 1), die jeweils aus einer Basis und einem Kollokator bestehen. Die Basis bestimmt den Kollokator oder, anders ausgedrückt, dessen Auswahl hängt von der Basis ab, und nicht umgekehrt. l) confirmed bachelor eingefleischter Junggeselle celibataire endurci 2) his anger falls Zorn verraucht la colere s 'apaise 3) to withdraw money Geld abheben retirer de l'argent 4) it is raining heavily es regnet in Strömen il pleut a Verse 5) seriously injured schwer verletzt grievement blesse 6) a gust of anger Wutanfall une bouffee de colere Abb. 1: Beispiele für die sechs Typen von Kollokationen (Hausmann 1989) In Nomen-Adjektiv-Kollokationen (Typ 1) und Nomen-Verb-Kollokationen ist das Nomen als Basis anzusehen, unabhängig davon, ob es in Subjektposition (Typ 2) oder in Objektposition (Typ 3) erscheint. In einer Kollokation, die aus einem Verb und einem Adverb besteht (Typ 4), ist das Verb die Basis und bei Adjektiv-Adverb Kollokationen das Adjektiv (Typ 5). Bei Kollokationen vom Typ Nomen(+ Präposition)+ Nomen (Typ 6) ist das determinierte Nomen, welches unabhängig und ohne Bezug zum determinierenden definiert werden kann, die Basis (= colere). Der Kollokator gehört hier zur Klasse der typischen nominalen Determinierer ( « determinants nominaux appropries ») in der Terminologie der Lexikongrammatik (cf. 4.5). Die Ideen von Hausmann wurden in ihren Grundzügen im Kontextwörterbuch Französisch-Deutsch von Ilgenfritz/ Stephan-Gabinel/ Schneider (1989) in die lexikographische Praxis umgesetzt. 3. Idiome und Kollokationen bei I. Mel'cuk Die theoretische Grundlage für das Verständnis der Kollokationen bei Mel' cuk und für das Dictionnaire Explicatif et Combinatoire (DEC) (Mel'cuk [et al.] 1984, 1988 und 1992) bildet die Meaning-Text Theorie (z.B. Mel'cuk 1976 und 1995). Im idealen Fall erfaßt dieses Modell die Beziehung zwischen einer bestimmten Bedeutung und allen synonymen Texten, die dieser Bedeutung zugeordnet werden können. Dabei hat Mel' cuk immer die Textproduktion im Auge, bei der, ausgehend von einer abstrakten semantilFLllllL 31 (2002) Kollokationen und expressions figees 221 sehen Repräsentation sämtliche syntaktische Realisierungsmöglichkeiten mit einem übereinzelsprachlichen Beschreibungsinventar kodiert werden sollen. "Generally speaking, for a representation of a deeper level quite a few representations of a closerto-surface level can be obtained: extremely rich (quasi-)synonymy of texts is typical of natural language" (Mel'cuk 1995). Die drei Komponenten der natürlichen Sprache im Sinne Mel' cuks, welche durch das Meaning-Text-Modell erfaßt werden, sind folgende: {Sem(antisch)RJ = {Synt(aktisch)Rk} = {Morph(ologisch)R 1} = {Phon(ologisch)Ri} ------------ ~ ~ 1. Semantik 2. Syntax 3. Morphologie + Phonologie Analog dazu unterliegt auch das Konzept eines sprachlichen Zeichens X der Dreiteilung: X= <'X', IX! , Lx> wobei 'X' die semantische Ebene (signifie'), IX! die formale (morphologisch-phonologische) Ebene (signifiant) und Lx die syntaktische Ebene (syntactics, d. h. alle nötigen Daten für die Kookkurenz des Zeichens, also sämtliche kombinatorischen Eigenschaften) repräsentiert (vgl. Mel'cuk 1976, 1981 und 1995). In diesem Rahmen untersucht Mel' cuk die Phrasen einer Sprache L. Dazu ist anzumerken, daß er unter Phrasen nur Ausdrücke mit zwei Konstituenten versteht, bzw. nur solche in seine Beschreibung miteinbezieht. Die erste Dichotomie, welche er aufstellt, ist die zwischen freier Phrase (free phrase) entsprechend den freien Kombinationen und Phrasemen (phraseme, set phrase). Die (semantischen) Phraseme teilen sich dann auf in Idiome und Kollokationen (und Quasi-Idiome). Einern Idiom oder idiomatischen Ausdruck AB liegt eine Bedeutung 'C' zugrunde, die sich aus keiner der beiden Konstituentenbedeutungen ('A' oder 'B') ergibt. So kann z.B. die Bedeutung 'sterben'/ 'mourir' durch die Ausdrücke ins Gras beißen/ mordre la poussiere realisiert werden. Trotzdem sind weder die Bedeutungen des Elementes A ('Gras'/ 'mordre') noch die Bedeutungen des Elementes B ('beißen'/ 'poussiere') in der Bedeutung 'C' des Gesamtausdrucks enthalten. Im Rahmen der Meaning-Text Theorie wird dies formal folgendermaßen ausgedrückt: AB =<'C'; / A EB BI> 1'C' -: p 'A' & 'C' -: p 'B' 1 Weitere Beispiele für verbale Idiome sind prendre le Zarge (das Weite suchen), prendre la tangente (Leine ziehen), auf die Zähne beißen (serrer les dents ), Witze machen (faire de l'esprit, raconter des histoires ). Beispiele für nominale Idiome sind cordon bleu oder kalter Kaffee. Das Symbol EJJ steht für linguistische Vereinigung (linguistic union, Mel' cuk 1995: 174) der beiden Komponenten einer Phrase aufgrund der Standardregeln der Grammatik der Sprache L und deren Syntax oder deren Semantik. Die weitere Notation entspricht den oben erwähnten Konventionen: Hochkommata(') kennzeichnen die semantische, Schrägstriche ({) die formale Repräsentation. lFLlllL 31 (2002) 222 Dieter Seelbach Statt der bei einer freien Kombination AB zugrunde liegenden Bedeutung 'A EB B ', einem Produkt aus den Bedeutungen 'A' und 'B', hat ein Idiom AB die Bedeutung 'C'. Der zentrale Typ von semantischen Phrasemen ist die Kollokation. In einer Kollokation AB kommt zu der Bedeutung einer Konstituente (z.B. 'B') eine weitere, mehr oder weniger volle Bedeutung 'C' hinzu, die zwar von der Konstituente A ausgedrückt werden kann, der Semantik von A aber nicht entsprechen muß. Das Lexem A drückt 'C' in Abhängigkeit von B aus. Die lexikalische Einheit, welche die Auswahl des Ausdrucks für 'C' determiniert in unserem Beispiel B nennt Mel"cuk keyword (1995: 184) (Bsp.: prendre PEUR; Keyword: PEUR). In der Kollokation einen Wnz reißen wird die dominante Bedeutung des Elementes A ('Witz') auch im Ausdruck selbst realisiert und bestimmt die Auswahl der zweiten Konstituenten. Deren Bedeutung 'C' ('von sich geben,formulieren') wird durch das Lexem B (reißen) realisiert. Dieselbe Bedeutung kann nur durch bestimmte lexikalische Einheiten ausgedrückt werden, z. B. auch durch erzählen, andere eignen sich dafür nicht, z. B: *sagen, *sprechen, *zerren. Formal: AB= <'Aa, C'; IA EB BI> 1 'C' wird durch B solchermaßen ausgedrückt, daß IAEB BI nicht uneingeschränkt konstruiert werden kann. Die komplette Kollokationsdefinition, die Mel' cuk daraus entwickelt, lautet: "Eine Kollokation AB ist ein semantisches Phrasem der Sprache L, dessen signifie 'X' aus dem signifiant von einem der beiden konstituierenden Lexeme (z. B: A) und einem signifie 'C' [so daß 'X' = 'A EB C'] konstruiert werden kann. Das Lexem B drückt 'C' in Abhängigkeit von A aus." Die Abhängigkeitsbeziehung läßt sich in vier Klassen unterteilen, d. h. es gibt vier Haupttypen von Kollokationen, die folgendermaßen zu unterscheiden sind: 1. entweder 'C' * 'B', d. h. B hat im Lexikon nicht das entsprechende signifie und a. 'C' ist leer, d. h. das Lexem Bist, sozusagen, ein Semi-Hilfsverb (besser: neutrales Stützverb, um ein prädikatives Nomen zu stützen, (cf. 4.2) oder b. 'C' ist nicht leer, das Lexem B drückt aber 'C' nur in Kombination mit A aus. 2. oder und oder 'C' = 'B', d. h. B hat im Lexikon (möglicherweise neben anderen Lesarten) das entsprechende signifie a. 'B' kann nicht durch ein mögliches Synonym ausgedrückt werden b. 'B' beinhaltet (ganz oder in einem wesentlichen Aspekt) das signifie 'A', d. h. es ist absolut spezifisch. Die folgenden englischen Beispiele für die Kollokationstypen stammen von Mel' cuk, die übrigen wurden von uns zur weiteren Illustration hinzugefügt. Das in KAPITÄLCHEN gesetzte Wort ist das jeweilige keyword der Kollokation: la: [to] give a LOOK, eine ENTSCHEIDUNG fällen, porter un JUGEMENT, llevar una INVESTIGACIÖN lb: black COFFEE, schwarzer KAFFEE, du CAFE noir, CAFE solo ('C' = 'ohne Milch') 2a: strong <*poweiful> COFFEE; heavy <*weighty> SMOKER, deeply <*profoundly> MOVED; IFILIJIL 31 (2002) Kollokationen und expressions figees gravement <*lourdement> MALADE; grievement <*gravement> BLESSE; bittere <*herbe> KÄLTE; feste <*harte> ÜBERZEUGUNG; 223 schwere <'gewichtige> VERLUSTE, de [ourdes <*graves> PERTES, graves PERDIDAS, PERDIDAS <*pesadas>; starker <*kräftiger> KAFFEE; eine kräftige <*starke> BRÜHE; un CAFE fort <*puissant>; un LAIT frappe <*battu>, du FROMAGE battu <*frappe> 2b: rancid BUTTER, schütteres HAAR, un NEZ aquilin Im Unterschied zu Hausmann entwickelt Mel' cuk seine Kollokationsdefinition aufgrund von semantischen Kriterien und erreicht eine semantische Differenzierung über Approximationen, die in einem einheitlichen Formalismus darstellbar sind, die lexikalischen Funktionen (LF). Diese entsprechen der Bedeutung 'C' aus der obigen Kollokationsdefinition. Eine LF ist eine abstrakte Bedeutung (wie „Intensität", "Beginn", usw.), die durch eine Menge unterschiedlicher Lexeme ausgedrückt werden kann und deren sprachliche Realisierung vom jeweiligen Keyword abhängt, auf das sie angewendet wird. Kollokationen bestehen somit aus einem Keyword und dem Wert einer LF. Formal kann man eine LF auch als eine 'Funktion' im mathematischen Sinne ansehen (cf. y=f(x)), mit der Form: "f(B)=A" (Bsp.: Magn(KAFFEE)=stark), wobei f die LF ist, B ihr Keyword und A der Wert der LF f für dieses Keyword, d. h. die Menge der sprachlichen Ausdrücke, die die durch fbezeichnete Bedeutung (in Bezug auf B) ausdrücken können. f ist eine semantische Konstante, unabhängig von der individuellen Sprache, während B und A lexikalische Einheiten einer bestimmten Sprache sind. Man vergleiche die folgenden Beispiele aus dem Französischen für die Magn-Funktion: Magn(amour)=ardent, fou Magn(fidele)=comme un chien Magn(fievre)=de cheval Magn(peur)=bleue Magn(boire)=comme un trou Magn( souffrir)=atrocement Magn( contröler)=minutieusement Magn(pleurer)=comme une Madeleine Daneben gibt es verbale lexikalische Funktionen deren Werte neutrale Stützverben sind (cf. 4.2). Das sind die lexikalischen Funktionen Operi, Funci und Labori.i, mit denen ein nominales prädikatives Keyword und seine semantischen Aktanten in Beziehung gesetzt werden. Keyword und Aktanten können in der durch das Keyword ausgedrückten Situation als Subjekt, direktes Objekt und indirektes oder präpositionales Objekt erscheinen. Die drei LF werden zunächst durch die unterschiedlichen grammatischen Funktionen (GF) definiert, in denen das Keyword steht: Operi nimmt das Keyword als direktes Objekt (faire (une) erreur), Funci nimmt es als Subjekt (Cet ordre vient de... ) und Laborii nimmt es als indirektes Objekt (soumettre ... a une analyse). Der Zahlenindex dieser LF ergibt sich aus den semantischen Aktanten, die in der Situation, die das Keyword beschreibt, zusammen mit diesem im Spiele sind. Deren Reihenfolge in der Situation, die das Keyword ausdrückt, ist ein für alle Mal festgelegt. In der Befehl-Situation ist derjenige, der befiehlt, der erste semantische Aktant (1) und derjenige, dem befohlen wird, der zweite (II): Oper i(Befehl)=erteilen, geben Oper i(Befehl)=bekommen f[,l]][, 31 (2002) 224 Dieter Seelbach Der Index I bezieht sich auf den ersten (tiefenstrukturellen oder semantischen) Aktanten I (der vom Keyword ausgedrückten Situation), der Index 2 auf den zweiten Aktanten II und der Index O signalisiert, daß kein (semantischer) Aktant im Spiel ist: Funco(Tor)=fallen Funco(Entscheidung)=fallen Man vergleiche: GF SUBJ LF Oper 112 I/ II Func 01112 Ko Labor12121 I / II Hier sind weitere Beispiele: DIR-OBJ INDIR-OBJ oder PREP-OBJ Ko II / I -/ I/ II II / I II/ I Ko Abb.2 Oper 1(erreur)=faire Func1(ordre)=venir [de N] Oper.( ordre)=donner [~ a N] Oper i( ordre)=recevoir [~ de N] Oper 1(decision)=prendre Func1(danger)=menacer [N] Labor 12 (analyse)=soumettre [Na ART~] Labor 21 (Freude)=erfüllen [Nakk mit ~] 2 Funco( silence)=regner Oper 1(Entscheidung)=fällen, treffen In der Kritik-Situation ist derjenige, der kritisiert, der erste semantische Aktant (1) und die Person oder die Sache, die kritisiert wird, der zweite (II): Oper 1 (Kritik)=üben [an N] Func 1 (Kritik)=ausgehen, kommen [von N] Oper i(Kritik)=erfahren [~ durch N] Funci(Kritik)=betreffen [N], gelten [Nctarl Labor 1i(Kritik)=unterwerfen, unterziehen, aussetzen Die phasischen lexikalischen Funktionen, die Anfang, Ende und Dauer von Handlungen, Ereignissen oder Zuständen ausdrücken, sind Incep, Fin und Cont. Sie sind, angewendet auf prädikative Nomina, immer mit anderen LF zu kombinieren, z. B. mit denen, deren Werte neutrale Stützverben sind. Ausgehend von avoir L'ESPOIR [de ...] (Oper 1 ): IncepOper1(espoir)=prendre [ART~] ContOper1(espoir)=garder [ART~] FinOperi(espoir)=perdre [tout ~] Cont0per 1(avance)=maintenir [ART~] Die LF Real und Fact werden durch semantisch volle Verben ausgedrückt und haben grosso modo die Bedeutung „Realisierung der inhärenten 'Ziele' der mit dem Keyword bezeichneten Sache oder des Sachverhalts": 2 Die in den eckigen Klammern enthaltenen Informationen bilden die "government patterns". Sie enthalten für Anwendungen wichtige Angaben zu den Präpositionen, Determinierem und zu weiteren Ergänzungen, die leider im Vergleich zur lexikongrammatischen Beschreibung zu unpräzise sind. (vgl. 4.4) lFlLIIL 31 (2002) Kollokationen und expressions figees 225 Real 1 (Wut)=auslassen [an Ndarl Real 1 ( appui)=offrir Real 1 (peine [jur.l)=imposer, infliger [ART~ a N] Realz(ordre)=executer [ART~] Realz(peine [jur.l)=purger [ART~] Realz(Befehl)=ausführen [ART~] Realz(Kritik)=beherzigen [ART~ von N] Facto(reve)=se realiser Facto(dream)=come true Reali nimmt das Keyword als direktes Objekt, Facti nimmt es als Subjekt, analog zu Operi und Funci. Caus repräsentiert Verben, die eine Verursachung ausdrücken und Liqu solche, die das Beenden einer Situation bezeichnen. Verbale lexikalische Funktionen, die Pred enthalten, haben prädikative Verben (Vollverben) als Werte. Hier sind die Werte von einigen verbalen lexikalischen Funktionen (i. e. die Kollokatoren von Nomen-Verb-Kollokationen im Sinne F. J. Hausmanns) für die Keywords fr: PEUR und dt: ANGST. [Die semantischen Aktanten der Angst-Situation sind l=Experiencer und Il=Stimulus.]: peur Angst Oper 1 : avoir [~]; eprouver, res- Oper 1: haben, empfinden, fühlen, sentir [ART (ADJ) ~] verspüren [(ADJ) ~] Oper 2: faire [~ a N], provoquer Oper 2: machen [Ndat (ADJ) ~akk] [ART ~ chez N] IncepOper 1: prendre [~] lncepOper 1 : bekommen [(ADJ) ~] ContFunc 1: tenir [N] Func 1: erfüllen [N akkl FinFunc 1 : quitter [N] Labor 21 : erfüllen [Nakk mit~] lncepPredMinus: s'attenuer, diminuer, de- IncepPredMinus: nachlassen croitre lncepPredPlus: augmenter, s'accroitre, IncepPredPlus: sich vergrößern, sich steimonter, grandir gern, sich erhöhen IncepFunc 0 : surgir lncepFunc 0 : aufkommen Magn+IncepFuuc 1: saisir, envahir, submerger Magu+lucepFuuc 1 : packen, erfassen, überkom- [N], s'emparer [de N] men, überwältigen, ergreifen [Nakk] FiuFuuc 0 : s'evanouir, disparaitre, FiuFunc 0 : sich legen, verfliegen passer, cesser, se dissiper CausPredPlus: augmenter, accroitre CausPredPlus: steigern [Art~ bei Ndarl [ART~] CausPredMiuus: diminuer [ART~] CausPredMiuus: abschwächen [Art~ bei Ndarl Liqu 1 Fuuc 0 : vaincre [ART~]; se libe- Liqu 1 Fuuc 0 : überwinden, verlieren rer [de ART~] [PRONnos/ ART ~akkl Magu+Oper 1: mourir [de~] Magn+Oper 1 : sterben [vor~] Caus( 2 iFunc 1: causer, eveiller, declen- Caus( 2 JFuuc 1: machen, einjagen [Ndarl; hereher, susciter [ART~ vorrufen [~bei Ndarl chez N] Real 1: etre sous l' empire <l' emprise> [de ART~], etre en proie [a ART ~] lFLlllllL 31 (2002) 226 Dieter Seelbach peur Angst Perm 1 Facto: s'abandonner, ceder, se laisser aller [a ART~] CausContFunc 1: schüren [in Ndat ~akk] Abb.3 Einen bemerkenswerten Versuch der Popularisierung des Konzepts der lexikalischen Funktionen macht Polguere (2000), indem er deren Namen aus dem DEC in für den Nichtlinguisten verständliche Ausdrücke übersetzt. Der folgende Auszug enthält die Kollokationsinformationen zum Eintrag meurtre in dem in Entwicklung befindlichen Lexique Actif du Franr; ais (LAF). Die LF Magn wird beispielsweise bei meurtre durch TRES CHOQUANT übersetzt. Die LF Oper 1 (deren Werte sind neutrale Stützverben, die das Keyword in der direkten Objektposition „stützen") durch FAIRE UN M 3 : MEURTRE, nom, masc [ ... ] TRES CHOQUANT: atroce, affreux, brutal, horrible, inqualifiable, odieux Qm A ETE PREPARE: avec premeditation, premedite I postpos / / assassinat TEL QU'IL Y A DEUx/ TROIS/ QUATRE Y: double / triple / quadruple I antepos [Les victimes de ce double meurtre sont un pere de famille et sonfils de 15 ans.] FAIRE UN M.: accomplir, commettre, perpetrer [ART~]; tremper [dans ART~] [ll a refuse de tremper dans ce meurtre odieux.] CAUSER QUE X FASSE UN M.: pousser [Nx au~] RAISON D'UN M.: mobile [de ART~] S'OCCUPER D'UN M.: enqueter [sur ART~]; elucider [ART~]; trouver l'auteur [de ART~]; punir, chätier [ART ~]; venger [ART ~] [...] PREPARER UN M.: premediter, preparer [ART ~] / / comploter. ESSAYER DE FAIRE CROIRE QU'UN M. EST UN N: maquiller [ART~ en N] [11 a maquille ce meurtre en accident/ suicide.] FAIT DE TENTER UN M.: tentative [de~]. [...] Die Kollokationen von meurtre bilden zusammen mit dessen semantischen Ableitungen die zentralen Informationen des Lexikoneintrags, der unseres Erachtens noch durch typische Adverbiale zu ergänzen wäre: z. B. für die Tötungsart F A<; : ON DE FAIRE UN M.: a l'arme blanche, au pistolet, a l'arsenic [...] (cf. 5.), wobei Objektklassen für die Nomina wie <Stichwaffen> <Feuerwaffen>, <Gift> ins Spiel kommen (cf. 4.3 und 5.). Die semantischen Aktanten X und Y (NOM POUR X: auteur [de ART~]/ / meurtrierN sowie NOM POUR Y: victime [de ART~]) werden neben den Synonymen, Konversen, Antonymen, Hypemymen und den semantisch entsprechenden verbalen und adjektivalen Ableitungen (im Falle von meurtre: VERBE: tuer und ADJECTIF: meurtrierAdi) zu den semantischen Ableitungen gezählt. Problematisch ist bei diesem Versuch der Popularisierung, daß das für actions als prototypisch geltende (und hier sowohl metaals auch objektsprachlich verwendete) Stützverb faire bei einigen noms d 'action gerade nicht akzeptiert wird oder stark familiär ist: cf. (donner + porter + *faire) un coup a qn; (emettre + pousser + *faire) un cri; (donner + passer + *faire) une gifle a qn, etc. Die popularisierten Umschreibungen für die Namen der LF sind fettgedruckt. Der Doppelslash (/ / ) zeigt die Fusion des betreffenden Wertes der lexikalischen Funktion mit ihrem Keyword zu einem Einwortlexem an, das zugleich eine semantische Ableitung (z.B. ein spezifischeres Synonym oder ein Hyponym) des Keywords sein kann, z. B. Magn(meal)=big, huge II feast; Syn: : i(meal)=feast. lFLllllL 31 (2002) Kollokationen und expressions figees 227 Reichhaltige Kollokationsinformationen im Sinne Mel' cuks, allerdings ohne Differenzierung in lexikalische Funktionen, enthält das korpusbasierte und multilinguale Dictionnaire d'Apprentissage du Franrais des Affaires (Binon [et al.] 2000). 4. 'Kollokationen' und expressions figees in der Lexikongrammatik Da im Rahmen der Lexikongrammatik einerseits nominale Prädikate und deren (typische) Stützverben, andererseits Nomina, die Objektklassen angehören können, mit deren typischen Prädikatsausdrücken, und Nomina mit deren typischen nominalen Determinierern sowie in jüngster Zeit Prädikatsausdrücke mit deren typischen Adverbialen systematisch untersucht und in großen Mengen lexikalischer Einheiten gesammelt werden, standen und stehen Kollokationsphänomene gewissermaßen im Zentrum des Forschungsinteresses, ohne als solche bezeichnet zu werden. Darüber hinaus konnten mit der Methode der Lexikongrammatik, die schon sehr früh computer- und korpuslinguistische Werkzeuge einbezogen hat, systematische syntaktische Beschreibungen und Klassifizierungen sowie vollständige Listen von expressions figees erarbeitet werden, die heute in umfangreichen Dateien verfügbar sind. Hierbei handelt es sich insbesondere um nominale (Mathieu-Colas 1996), verbale (M. Gross 1982), adjektivale (G. Gross 1991) und adverbiale (M. Gross 1986) Mehrwortausdrücke. Wir werden deshalb zunächst die Grundzüge und einige Ergebnisse der Lexikongrammatik vorstellen und insbesondere die erwähnten Fachtermini verständlich machen. 4.1 Grundzüge Die unter der Leitung von M. Gross und G. Gross entwickelte Lexikongrammatik geht auf die Arbeiten von Z. S. Harris (u. a. 1978) zurück, der die in Sätzen vorkommenden Wörter in Operatoren und Argumente aufteilt. Operatoren sind die Prädikatsausdrücke einer Sprache, von denen jeder Satz mindestens einen in einfacher Form (als 'mot simple') oder in Form eines 'mot compose' oder Mehrwortausdrucks (=MWA) enthält. Diese enthalten immer mindestens ein Blank. lFLllL 31 (2002) 228 Dieter Seelbach Prädikatsausdruck französisches Beispiel deutsches Beispiel Vsimple donner (qch a qn) (im etwas) geben [einfaches Verb] (Vsup) Npred (donner) une gifle a (=gifler qn) jm eine Ohrfeige (geben) (=jn ohrfei- [einfaches Nomen] gen) (faire) confiance a( *Confier) Vertrauen ((haben) zu+ (setzen) in) (avoir) confiance dans (=jm vertrauen) (Vsup) Adjpred (etre) patient (=patienter) geduldig (sein) [einfaches Adjektiv] (etre) confiant dans (,sconfier) (=jm vertrauen) Vcomp casser sa pipe (=mourir) das Zeitliche segnen (=sterben) [verbaler MWA] den Löffel (abgeben+ weglegen) (fam.) (Vsup) Npredcomp (donner) (Je+ son) feu vert a jm grünes Licht geben [nominaler MWA] (Vsup) Adjpredcomp (etre) au courant de im Bilde (sein) über [adjektivaler MWA] Abb.4 Einfache Sätze haben die Form N 0 Prädikatsausdruck (W), wobei N 0 das Subjekt und W die Ergänzungen vom Typ (Prep) N 1, N 2, etc. sind. Die Verwendung eines Prädikatsausdrucks ergibt sich aus seiner Argumentdomäne oder seinem Argumentschema, bestehend aus einer distributionellen Grundstruktur, einer Spezifizierung der Argumente durch semantische Klassen oder Objektklassen, (transformationell) ableitbaren Konstruktionen und aus weiteren Eigenschaften des Prädikatsausdrucks wie seiner Aktualisierung, seiner Aktionsart, seiner 'Register' -Differenzierung sowie der Domäne, in die er gehört (vgl. G. Gross 1998 und Seelbach 1999a): Bsp. flirter: distributionelle Grundstruktur: sem. Klassen oder Objektklassen: Argumentschema: ableitbare Konstruktion: Metapher: N 0 flirte avec N 1 N 0 =: <hum>, N 1 =: <hum> N 0 <hum> flirter avec N 1 <hum> N 0 etN 1 V: N 1 =: N-hum Paul flirte avec Marie Paul et Marie flirtent Paul flirte avec Ja poesie *Paul et Ja poesie flirtent Flirter ist syntaktisch und semantisch verbindbar mit dem einfachen Nomen flirt. Sie unterscheiden sich jedoch bei der Aktualisierung. Das prädikative Nomen wird über ein Stützverb (Vsup) aktualisiert (cf. 4.2): No Prädikatsausdruck avec N 1 Paul flirte (Vsimple) avec Marie Paul a un flirt avec Marie VsupNpred Paul et Marie flirtent (Vsimple) - II y a un flirt entre Paul et Marie VsupNpred Abb.5 lFLlllL 31 (2002) Kollokationen und expressions figees 229 Man kannflirt als eine über Transformationen beschreibbare (morphologisch bedingte) semantische Ableitung vonflirter bezeichnen (oder umgekehrt), da die Kombinatorik der Argumente (jeweils) gleich bleibt. Außerdem lassen sich die komplexen Nominalgruppen le flirt de Paul avec Marie und le flirt entre Paul et Marie mit den jeweiligen Sätzen, die Stützverben enthalten, in Verbindung bringen (cf. 4.2). Insofern ist die Verwendung von flirt undflirter (jeweils) identisch. Lexikoneinträge haben immer die Form von kanonischen Sätzen. Sie sind immer auch in einer Matrix- oder Tabellenform kodiert, die die Akzeptierbarkeit oder Nicht-Akzeptierbarkeit einer Lexikoneinheit in ihren syntaktischen Umgebungen oder in Bezug auf ihre semantische Distribution angibt. Eine der wichtigsten Grundannahmen ist, daß grammatische Erscheinungen und Grammatikregeln in hohem Maße lexikalisch bedingt sind. Hier werden Syntax, Semantik und Lexikon aufeinander bezogen und als Einheit angesehen. Ein Ziel dieser seit Anbeginn (M. Gross 1969) lexikonorientierten Grammatikkonzeption ist es, die Gesamtheit der möglichen Formen von Sätzen um einen oder mehrere Prädikatsausdrücke herum generieren und die Mehrfachverwendungen von Prädikatsausdrücken und Argumenten in Abhängigkeit von ihrer syntaktischen und semantischen Umgebung unterschiedlich interpretieren zu können. Einen Überblick über die Methode und die am Französischen erzielten Ergebnisse der Lexikongrammatik geben M. Gross (1994), unter dem Aspekt der kontrastiven romanistischen Linguistik und der Semantik Vives (1998) und aus der Perspektive des Vergleichs mit dem Deutschen Seelbach (2000). 4.2 Prädikative Nomina und Stützverben Stützverben aktualisieren die nominalen Prädikate. Nominalgruppen mit prädikativen Nomina als Köpfen sind über Tilgung des Stützverbs zu beschreiben: Luc afait une visite a ses parents; la visite que Luc afaite a ses parents; la visite de Luc a ses parents. Hier haben wir im letzten Fall im Grunde auch einen "Satz", dem allerdings die Aktualisierung fehlt. Die Nominalisierungsfunktion, die man Stützverben bisweilen zuschreibt, ist keine definitorische Eigenschaft, denn es gibt fast doppelt so viele autonome nominale Prädikate wie 'deverbale'. Autonome prädikative Nomina sind bisweilen morphologisch, aber niemals semantisch mit Verben oder Adjektiven in Verbindung zu bringen, wie z.B. fr: visite in seiner Verwendung 'Besuch', dt.: Erfolg oder Appetit im Gegensatz zu Besuch bzw. Hunger. Sie unterscheiden sich in der Verwendung von möglicherweise etymologisch oder nur morphologisch verwandten prädikativen Verben oder Adjektiven. Sie haben folglich keine (morphologisch bedingten) semantischen Ableitungen in Form von Verben oder Adjektiven, oder, anders ausgedrückt, keine verbalen oder adjektivalen morphologischen Varianten (im Sinne ihrer Verwendung).- Im Rahmen ihrer Aktualisierungsfunktion können Stützverben zusätzlich auch semantische Funktionen (vgl. G. Gross 1996a und M. Gross 1998) übernehmen, in erster Linie zur Spezifizierung von Aktionsarten. Häufig sind auch diastratische Varianten von Stützverben und konverse Stützverben (G. Gross 1989) sowie kausative Stützverben. lFLwL 31 (2002) 230 Dieter Seelbach Nachfolgend Beispiele für prädikative Nomina des Französischen, Deutschen und Spanischen mit ihren neutralen (und einigen konversen) Stützverben: dresser une liste eine Liste erstellen confeccionar una lista apporter une aide Hilfe bringen proporcionar ajuda caresser un espoir die Hoffnung hegen concebir una esperanza developper un cancer Krebs bekommen desarrollar un cancer dispenser un enseignement Unterricht erteilen impartir una clase ecoper d'une punition (eine) Strafe bekommen (recibir + sufrir) un castigo emettre un cri einen Schrei ausstoßen pegar un grito faire des demarches Schritte unternehmen hacer gestiones prendre des mesures Maßnahmen ergreifen tomar medidas faire des recherches Nachforschungen anstellen llevar una investigaci6n mener une enquete Ermittlungen durchführen llevar una investigaci6n faire exception eine Ausnahme bilden constituir una excepci6n faire l' objet d'une condammnation eine Verurteilung erfahren sufrir una condena faire une conference einen Vortrag halten dar una conferencia faire un sourire ein Lächeln schenken dedicar una sonrisa porter un accent einen Akzent haben teuer acento passer un contrat einen Vertrag schließen firmar un contrato passer un coup de fil einen Anruf tätigen hacer una llamada porter interet a Interesse (zeigen + haben) an tener interes en porter un jugement sur ein Urteil fällen über emitir un juicio sobre porter une blessure a jm eine Verletzung zufügen infligir una herida a poser une question eine Frage stellen (hacer + plantear) una pregunta prendre une douche eine Dusche nehmen darse una ducha subir une defaite eine Niederlage erleiden encajar una derrota Abb.6 Am Beispiel der prädikativen Nomina fr: visite und dt: Besuch sei gezeigt, wie deren Argumente mit deren unterschiedlichen Stützverben und Determinierem jeweils interagieren, was bei der Übersetzung zu berücksichtigen ist: Luc (besucht+ macht einen Besuch bei) seine(n) Eltern Max bekam <E> Besuch von seinen Eltern Max (besichtigt den + macht eine Besichtigung des) Dom(s) von Mainz Luc (fait une + rend <.E>) visite a ses parents Max a eu la visite de ses parents Max (visite + fait la visite de) la cathedrale de Mayence In seiner Verwendung 'Besuch' hat visite keine (morphologisch bedingte) verbale semantische Ableitung, wohl aber in seiner Verwendung 'Besichtigung'. Man beachte das sowohl für den Lerner des Französischen als auch für den Entwickler von elektronischen Übersetzungshilfen entscheidende Zusammenspiel der Stützverben mit den Determinie- ]F[,l.JL 31 (2002) Kollokationen und expressions figees 231 rern in Abhängigkeit von den Verwendungen. Dies geht auch aus den folgenden vereinfachten Einträgen aus einem elektronischen Lexikon hervor, die in Anlehnung an die Beschreibung der Form des einfachen Satzes in 4.1 die allgemeine Form haben: Prädikatsausdruck (NO, Nl, ...) oder für nominale Prädikate: Npred(NO, Nl, ...) / Vsup: ... / Det: ... 4 visite #1 NO: <hum> / Nl: a <hum> / Vsup: faire/ Det: Dindef / / Vsup: rendre / Det: E 5 Dt 1: Besuch/ NO: <hum> / Nl: bei <hum> / Vsup: machen/ / Nl: <hum>Dat / Vsup: abstatten/ Det: Dindef Dt 2: Vsimple: besuchen NO: <hum> / Nl: de <hum> / Vkonv: (recevoir + avoir) / Det: Ddef Dt 1: Besuch/ NO: <hum> / Nl: von <hum> / Vkonv: bekommen/ Det: E Dt 2: Vsimple: besucht werden visite#2 NO: <hum> / NI: de <attraction touristique> / Vsup: faire/ Det: Ddef Dt 1: Besichtigung/ Nl: (von+ DetGen) <Sehenswürdigkeit>/ Vsup: machen Dt 2: Vsimple: besichtigen visite#3 NO: <guide> / Nl: de <attraction touristique> / Vsup: faire/ Det: Ddef Dt 1: Führung/ Nl: durch <Sehenswürdigkeit> / Vsup: machen Dtz: VsimpJe: führen visite#4 NO: <medecin, clinicien> / NI: de <malade>/ Vsup: faire/ Det: Ddef NO: <medecin, clinicien> / Vsup: faire/ Det: POSSO Dt: Visite / NO: <Klinikarzt>/ Vsup: machen/ Det: Ddef+POSSO Besuch NO: <hum> / Nl: bei <hum> / Vsup: machen/ / NI: <hum>Dat / Vsup: abstatten/ Det: Dindef NO: <hum> / NI: von <hum> / Vkonv: bekommen/ Det: E Fr: visite / NO: <hum> / Nl: a <hum> / Vsup: faire / Det: Dindef NO: <hum> / NI: de <hum> / Vkonv: (recevoir + avoir) / Det: Ddef Die Verwendungen #3 und #4 von visite seien durch die folgenden Satzpaare illustriert: Luc (macht die Führung+ führt) durch den Dom von Mainz Luc fait Ja visite de Ja cathedraJe de Mayence Der Chefarzt macht (die+ seine) Visite Le medecin-chef fait (Ja visite de ses patients + sa visite) 4 Dabei gilt als Default für die folgenden Einträge: Npred hat die direkte Objektfunktion inne. Die in spitzen Klammem enthaltenen Angaben bezeichnen Objektklassen (vgl. 4.3). 5 Hier bedeuten: Npred = prädikatives Nomen, Ddef = definiter Determinierer, Dindef = indefiniter Determinierer, POSS = possessiver Determinierer, E = Nulldeterminierer, Vsup =Stützverbund Vkonv = konverses Stützverb. Durch den Doppelslash (/ / ) werden diejenigen Varianten von Stützverben getrennt, bei denen es Auswirkungen auf andere Parameter gibt, z.B. auf Det. IFLd 31 (2002) 232 Dieter Seelbach 4.3 Objektklassen und typische Prädikatsausdrücke Elementare Nomina, einfach und als nominale MWA, können Elemente von semantischen Klassen sein, die man Objektklassen nennt. Diese sind über die Syntax definierbar und kontrollierbar. Der Terminus wurde von G. Gross (1992 und 1994) eingeführt. Ein Ansatz für eine Definition bilden die Fragen: "Wozu ist X zu gebrauchen? " und „Wie kommt X zustande? " Diese zielen auf die telische und agentive Rolle von elementaren Nomina ab. Objektklassen werden im Rahmen einer zukünftigen Computerlexikographie auch über die Menge ihrer typischen Prädikatsausdrücke (operateurs appropries) und extensional über die Menge ihrer Elemente definiert. Prädikatsklassen, denen prädikative Nomina angehören, sind auch über typische Stützverben (verbes supports appropries) zu finden (cf. 4.4). In einer ersten Annäherung gehört ein Nomen beispielsweise zur Klasse der <voies (de communication)> ((Verkehrs)wege), wenn es mit folgendem Bündel von typischen Prädikatsausdrücken vorkommen kann (Mathieu-Colas 1998): Nhum aller quelque part par <voies>: Nhum prendre <voies> (pour aller quelque part) <voies> etre impraticable Luc va a Marseille par 1' autoroute Luc prend 1' autoroute pour aller a Marseille Cette autoroute est impraticable Im Einzelnen sprechen die folgenden Erscheinungen für die Annahme von Objektklassen: 1. Distributionelle Unterschiede bei einfachen Verben "Semantische" Distribution) Bei einer systematischen Untersuchung von Verben, die in die distributionelle Grundstruktur NOhum V NI passen, fand man zahlreiche Restriktionen auf Nl: ressemeler erlaubt in dieser Position ausschließlich Nomina, die in die Klasse <Schuhwerk> gehören. Weniger extrem, aber noch immer stark eingeschränkt ist die Semantik von Nomina in dieser Position bei Verben wie manier <outil>... , embouteiller <boisson>, rediger <texte>, epeler <mot>, amnistier <condamne>, torrefier <grains> und vielen anderen. 6 Betrachten wir noch die Struktur NOhum elire N1hum N2. Hier können in der Position N2 nur Nomina vom Typ hum: <fonction> eingesetzt werden: On a elu Luc (president + doyen + depute + ... ) Les joueurs ont elu Didier Dechamps capitaine Dagegen würde in Luc est passe (capitaine + maftre de conferences) dasselbe Nomen in der Position Nl nicht mehr als <(Ehren)Amt>, sondern als <militärischer (oder universitärer) Titel> (<grade>) verstanden werden. Betrachten wir noch die folgenden Strukturen, mit denen <Berufe> im Deutschen, Französischen und Italienischen zu definieren sind: Vgl. insbesondere die Verben der Tabelle 32R3 (Guillet 1986 und Leclere 1990). ]F[,l,ll]L 31 (2002) Kollokationen und expressions figees Nhum exerce (le metier + la profession) de N<Beruf> Nhum (betätigt sich+ ist tätig+ übt eine Tätigkeit aus) als N<Beruf>, <Amt> Nhum fare DdefN<Beruf> Nhum (fare + esercitare + praticare) (il mestiere + la professione) di N<Beruf> Die gefundenen Klassen sind Unterklassen von <hum>. 2. Telische und agentive Rolle von Nomina 233 Gehen wir aus von Luc a regarde ce sapin. In der verbzentrierten Mainstream-Linguistik der letzten Jahre wird regarder durch seine Valenz und/ oder Selektionsbeziehungen definiert, nämlich dadurch, daß es ein menschliches Nomen in der Subjektposition und ein konkretes, (un)belebtes, usw. Nomen in der Objektposition und die Rollenkonstellation Agens/ Thema aufweist. Diese Beschreibung würde aber auch auf planter in Luc a plante ce sapin zutreffen. Es ist nun offensichtlich, daß die Beziehungen zwischen regarder und sapin einerseits und planter und sapin andererseits unterschiedlicher Natur sind. Man weiß wesentlich mehr über die Semantik und Pragmatik von sapin, wenn dieses mit dem Prädikatsausdruck planter verknüpft ist als mit dem Prädikatsausdruck regarder. Wenn wir sapin außer über planter auch über abattre definieren (Luc a (plante+ abattu) ce sapin), wird deutlich, daß nur Nomina, die <Bäume> bezeichnen, zugleich in die Umgebung von planter und abattre passen. Dieses „zugleich" ist wichtig, denn man könnte einwenden, daß planter und abattre auch andere Nomina als Argumente zulassen, die eine ganz andere Semantik aufweisen: Luc a plante un clou dans le mur Luc a plante des choux dans son jardin Max a abattu un agneau Max afait abattre sa maison Clou oder choux können zwar Argumente von planter sein, agneau und maison Argumente von abattre; clou und choux sind jedoch nie Argumente von abattre: On arrache le clou ou les choux et on recolte les choux Ebensowenig können agneau oder maison Argument von planter sein: On eleve un agneau et on f ait construire une maison Im Grunde stellt man sich ausgehend von einem Basic-Level-Nomen X die Fragen: Wie kommt X zustande? (agentive Rolle). Wozu ist X zu gebrauchen? Was macht man normalerweise mit X? (telische Rolle). Die agentive Rolle von Kuchen ist backen und die telische essen (cf. Pustejovsky 1991). So erklärt sich die Zugehörigkeit von Kuchen zu den beiden Objektklassen <Backwaren> und <Speisen>. Hier besteht durchaus eine Parallele zu den lexikalischen Funktionen Real und Fact bei Mel' cuk. Mit der telischen und agentiven Rolle der Nomina und dem Abweichungssignalisierungsprinzip der Prototypensemantik zusammenhängend ist das Kriterium der Tilgbarkeit von Objektklassen oder deren Elemente in der (grammatischen) Objektposition. In Max mange et Luc lit sind die Objektklassen <aliment> respektive <texte> mit verstanden. Je typischer die Beziehung zwischen Prädikatsausdruck und Argument ist, desto lFLllL 31 (2002) 234 Dieter Seelbach häufiger ist dieses tilgbar und Element einer Objektklasse. Bei diesem letzten Definitionskriterium von Objektklassen entsteht allerdings ein Polaritätsproblem: Pol boit würde auf eine Klasse <alkoholische Getränke> schließen lassen (die es natürlich gibt). Es würden jedoch die übrigen <Getränke>, die in der Position Nl von boire selbstverständlich auftauchen, ausgeklammert werden. 4.4 Prädikatsklassen und typische Stützverben Stützverben tragen zur Definition von Prädikatsklassen bei. Prototypisch für die Klasse der <actions> ist faire/ machen, für die <etats> avoirlhaben und für die <evenements> il y a/ es gibt und avoir lieulstattfinden. Das prädikative Nomen Ganghatz. B. mindestens vier unterschiedliche Verwendungen: Er macht noch einen Gang (zur Behörde) Er hat einen (aufrechten+ aufregenden) Gang Es gibt noch einen Gang (beim Essen) Die Sache nimmt ihren Gang <action> <etat> <evenement> <processus> N<medecin> (faire+ pratiquer + proceder a) un(e) N<examen + operation chirurgicale + traitement> N<patient> (avoir + manifester+ presenter + etre atteint de) N<maladies + affections + pathologies> (vgl. auch einen Besuch machen vs. Besuch haben). Einzelne oder Bündel von Stützverben können auch die folgenden Prädikatsklassen ausgrenzen: On (donne + re<; oit + prend) des N<coups> On (fait + commet) des N<fautes> Des N<evenements> ont lieu a une N<date> Des N <evenements fortuits> se produisent On contracte une N<blessure>; (contracter + attraper) une N <maladie infectieuse> Des N<crimes ouforfaits> sont perpetres par qn On (apporte + porte + prodigue) son N <aide> a qn On (pousse + lance + emet) des N<cris> N <Schläge> (versetzen + mitbekommen) N <Fehler>, N <Fouls> begehen N <Ereignisse> finden statt N <zufällige Ereignisse> ereignen sich sich N <Verletzungen> (zuziehen+ zufügen); sich N <Infektionskrankheiten> zuziehen N< (Schwer)Verbrechen> verübt man Des N<titres> enregistrent un N<mouvement ou variation> (Domäne: Börse) Des N<titres> (enregistrent + subissent) un N<mouvement vers le bas> (cf. Seelbach 1998/ 99) Man (empfindet+ fühlt+ verspürt) ein N<Gefühl>; Man erregt ein N<reaktives Gefühl>; Man gerät in N<temporäre Gefühle>; N<aufregende und unangenehme Gefühle> überwindet man; N<gerichtete Gefühle> (geltenjm + richten sich gegenjn); N<permanente Gefühle> hat man; N<Gefühle mit Verlust der Selbstkontrolle> überkommen einen; N<attitudinale Gefühle> (bringt manjm entgegen+ hegt man (für + gegen) jn); N<in die Zukunft gerichtete Gefühle> (hegt + nährt) man, on (caresse + nourrit) N<des sentiments diriges vers l'avenir> <reaktives Gefühl> =: Entsetzen, Entzücken, Scheu, Freude, Staunen, Panik, Angst, ... <manifestiertes Gefühl> =: Begeisterung, Panik, Verzweiflung, Wut, ... <attitudinales Gefühl> =: Achtung, Liebe, Mitleid, Zuneigung, .. . <gerichtetes Gefühl> =: Empörung, Groll, Leidenschaft, Ärger, .. . <permanentes Gefühl>=: Trauer, Verachtung, Zuneigung, ... <temporäres Gefühl> =: Aufregung, Entzücken, Staunen, ... <aufregendes und unangenehmes Gefühl>=: Angst, Eifersucht, Schreck, Verdruß, ... IFLi.nL 31 (2002) Kollokationen und expressions figees 235 <Gefühl mit Verlust der Selbstkontrolle>=: Leidenschaft, Panik, Wut, .. . <in die Zukunft gerichtetes Gefühl>=: Illusion, Hoffnung, Voifreude; .. . illusion, espoir, esperance, desir... (cf. Mel'cuk/ Wanner 1996 und Seelbach 1998/ 99) 4.5 Lexikongrammatische Ansätze zur Repräsentation von Kollokationsphänomenen Zusammenfassend seien die Mehrfachverwendungen von fr. juste mit dem Werkzeug der Objektklassen in einem auf der Grundlage der Lexikongrammatik in der Entwickelung befindlichen elektronischen Wörterbuch beschrieben (in Anlehnung an Vorarbeiten von G. Gross und Mathieu-Colas am« Laboratoire de Linguistique lnformatique » in Paris): ; uste (1) Monsieur X estjuste (2) Monsieur X n 'etait pas juste avec moi (3) Cette punition etait juste (4) Ce calcul n 'est pas juste (5) Ce pull est un peu juste (6) Cette balance est juste (7) Ce violon est juste juste #1 / NO: <hum> / Sy: droit, honnete / Dt: aufrecht, aufrichtig/ M : Adjpredsimple 7 juste #2 / NO: <enseignant>, <patron> / Nl: avec <apprenant>, <employe> / Sy: equitable / Dt: gerecht, fair (gegenüber Nl) / M: Adjpredsimple juste #3 / NO: <recompense, punition> / Sy: legitime, fonde / Dt: gerecht(fertigt), legitim, berechtigt/ M : Adjpredsimple juste #4 / NO: <calcul, deduction> / Sy: correct, exact / Dt: richtig, korrekt, (fehlerfrei) / M: Adjpredsimple (Adjpredkomp) juste #5 / NO: <vetement> / Sy: serre, etrique / Dt: eng sitzen/ M: Advsimpleprop Vsimple (vgl. 5.) juste #6 / NO: <instrument de mesure> / Sy: exact, precis / Dt: richtig gehen / M: Advsimpleprop Vsimple juste #7 / NO: <instrument a cordes> / Sy: accorde / Dt: stimmen/ M: Vsimple/ gestimmt (sein)/ M: ge-V Diese Darstellung ist auch als eine präzise Ausformung bestimmter nämlich der auf prädikative Adjektive beschränkten - Typen von Nomen-Adjektiv Kollokationen (Typ 1 bei Hausmann) zu lesen. In Anlehnung an dessen Terminologie wird hierjuste als (polysemer) Kollokator von verschiedenen nominalen Basen beschrieben, die Elemente unterschiedlicher Objektklassen sind. Die „Kollokatoren" des prädikativen Nomens Angst können im Rahmen der Lexikongrammatik durch den folgenden Eintrag explizit gemacht werden. Dieser Eintrag in ein bilinguales elektronisches Lexikon Deutsch-Französisch möge die Behandlung von Kollokationsphänomenen ergänzend illustrieren und zugleich Parallelen und Unterschiede zu Mel'cuk deutlich machen (cf. Abb. 3) 8: Hier bedeuten Sy = Synonym und M = morpho-syntaktische Klasse. Default: Das Npred Angst/ peur befindet sich in der Funktion des direkten Objekts. Hier bedeuten C=Objektklasse, Dpar=partitiver Determinier (du, de la, des), Modif=Modifizierer, Vsup,ach =inchoatives Stützverb, V supcau,=kausatives Stützverb, Vsupdu,=duratives Stützverb, V supie,m=terminatives Stützverb. Durch Doppelslash (/ / ) werden diejenigen Varianten von Stützverben getrennt, bei denen es Auswirkungen auf andere Parameter gibt, z.B. auf Det. JFLIIIL 31 (2002) 236 Angst M: Npred I ... I C: <reaktives Gefühl, manifestierbar> Fr: peur I ... I #1: NO: <hum> I NI: vor <Stimulus> I Vsup: haben, empfinden, fühlen I Det: E Dieter Seelbach Fr: NO: <hum> I NI: (de + devant) <stimulus> I Vsup: avoir I Det: E, Dindef-Modif II Vsup: eprouver, ressentirl Det: Dpar, Dindef-Modif #2: NO: <hurn> I Nl: um Nnr I Vsup: haben I Det: E Fr: NO: <hum> I NI : pour Nnr IV sup: avoir I Det: E BEGIN: NO: <hum> I Vsupinch: bekommen I Det: E Fr: NO: <hum> IV supinch: prendre I Det: E NO: Angst I NI: <hum> IV supinch: erfassen, überkommen, packen I Det: E Fr: NO: peur I Nl: <hum> I Vsupinch: saisir, gagner, envahir I Det: Ddef I NO: peur I Nl: de <hum> I Vsupinch: s'emparer I Det: Ddef NO: Angst I NI: bei <hum> I Vsupinch: aufkommen I Det: E Fr: NO: peur I Nl: en <hum> I Vsupin,h: surgir I Det: Ddef CAUSE: NO: <Stimulus> I NI: bei <hurn> I Vsup,au,: auslösen, erregen, hervorrufen, wecken I Det: E, (Dindef) Modif - Fr: NO: <stimulus> I Nl: chez <hum> I Vsup,.u,: declencher, susciter, provoquer, eveiller I Det: Dpar, Dindef-Modif NO: <stimulus> I NI : <hum>Dat IV sup,au,: machen, einflößen, einjagen I Det: E Fr: NO <Stimulus> I NI: a <hum> IV SUP,au,: faire I Det: E II V SUP,aus: inspirer I Det: Dpar, Dindef- Modif CAUSE + CONT: NO: <stimulus> I NI: bei <hum> I Vsupcaus+du,: schüren I Det: E Fr: NO: <Stimulus> I NI: chez <hurn> IV SUP,aus+du,: entretenir I Det: Ddef CAUSE + END: NO: <hum> I NI: <hum>Dat IVsup,ause+term: nehmen I Det: Ddef, POSSl Fr: NO: <hum> I NI: <hum> IV sup,ause+tenn: liberer de I Det: POSS 1 DECREASE: NO: Angst I NI: bei <hum> IV simple: nachlassen I Det: Ddef Fr: NO: peur I NI: chez <hum> IV simple: diminuer, s'attenuer, decroitre I Det: Ddef DECREASE + END: NO: Angst I NI: (bei + von) <hum> I V sup,enn: sich legen, verfliegen I Det: Ddef Fr: NO: peur I NI: chez <hurn> IV sup,e,m: s' estomper, se calmer I Det: Ddef END: NO: <hum> I Vsup,enn: überwinden, verlieren I Det: POSSO, DindefModif- Fr1: NO: <hum> I Vsuptenn: surmonter, maitriser, dorniner I Det: POSSO, Dindef-Modif Fr 2: NO: peur I NI: <hum>I Vsupte,m: quitter I Det: Ddef Man sieht, wie die Stützverben und die Determinierer und insbesondere die Kombinatorik der Determinierer mit den unterschiedlichen semantischen Funktionen der Stützverben die aktionsartenspezifisch zu trennenden Verwendungen dieses nominalen Prädikats unterscheiden. Die detaillierte und präzise Beschreibung der Determination erlaubt es, diejenigen Fälle, bei denen der Nulldeterminierer dem Teilungsartikel im Französischen entspricht (a-c), von den parallelen Verwendungen der Determinierer, die sich teilweise historisch erklären (d-h), zu unterscheiden und schließlich die Fälle unterschiedlicher Verwendungen von Determinierem (i-1) deutlich zu machen: a. Angst (haben + fühlen) : Max eprouve de la peur b. Angst einflößen : Cet homme inspire de la peur a Max c. Angst hervorrufen: Le chien (provoque + suscite + eveille) de la peur lFLlllL 31 (2002) Kollokationen und expressions figees 237 d. Angst (haben + bekommen) : Max (a + prend) peur e. Angst haben um : Luc a peur pour Marie f. jm Angst machen : Cet homme fait peur a Max g. die Angst seines Lebens haben : Marie a eu la peur de sa vie h. eine Heidenangst haben : Marie a eu une peur bleue i. Angst schüren : Luc entretient la peur chez Max j. jm (seine+ die) Angst nehmen: Luc libere Marie de (sa peur + la peur qu'elle a eu) k. Angst hat Luc (gepackt + überkommen) : La peur s'est emparee de Luc 1. Angst ist bei Luc aufgekommen: La peur a surgi en Luc (cf. Seelbach 2001) Der folgende Ausschnitt aus einer Tabelle von Labelle (1986), in der die N<maladies> beschrieben werden, diene als Beispiel für die Behandlung von Kollokationsphänomenen im Rahmen der Lexikongrammatik Mitte der 80er Jahre: EXTRAITS DE LA T ABLE ANM ex.: avoir une bronchite (326 expressions) DETERMINANTS Nmal VERBES SUPPORTS OPERATEURS CAUSATIFS CURATIFS u L D No No No No No N E u No No No No No No hum nr ~ ~ A A F C T s s D D C G ~ s + T + + T A 0 R E 0 0 0 0 TJ 0 T T I u ~ u N N L E B I u A L D R R V I T F N N L R A G N Q A E A E E N A F E E E I R N E u p R E p R R R R R R E E L E R E I + A R A R R R Poss* Nmal F Nl s L s N, D D a A D E E E N E R p Q 0 N, u Nmal Nl u E R R DE Nmal Nmal Nmal Nmal Nmal Nmal Nmal aN 2 Nmal Nmal Nmal + + + - APPENDICITE + + + + + + - + + + + + + + - + BRONCHITE + + + + + + + + + + + + + - - + CIRRHOSE + + - + + + - + + + + + Abb.7 In der 2. Spalte wird ein typischer nominaler Determinierer für N<maladies>, nämlich une attaque de, untersucht. Man hat bis heute etwa 3000 nominale Determinierer im Französischen gefunden, von denen zahlreiche für nur ganz bestimmte oder sehr wenige Nomina, die Objektklassen bilden können, typisch sind (Buvet 1998, M. Gross 2001): une attaque de bronchite une grappe de raisins une pluie de medailles un regime de bananes un train de mesures une montagne de f autes fl,w[, 31 (2002) ein Hustenanfall ein Pergel Trauben eine Flut von Medaillen eine Staude Bananen ein (Paket + Katalog) von Maßnalimen (ein Haufen + eine Fülle) von Fehlern 238 Dieter Seelbach Derartige Kombinationen entsprechen dem Typ 6 in der Klassifikation der Kollokationen in Hausmann (1989) (cf. 2). Nomen-Verb Kollokationen vom Typ 3 bei Hausmann, mit dem Stützverb donner (als Kollokator) und nominalen Prädikaten (als Basis), enthalten die Tabellen in G. Grass (1989). Als ein Nebenprodukt daraus hat sich die folgende Liste von „Nomen-Stützverb Kollokationen" mit donner und dessen (diastratischen) Varianten ergeben: aide (donner, apporter) allocation (donner, accorder, adresser) approbation (donner, accorder) appui (donner, preter, apporter) assistance (donner, preter, apporter) augmentation (donner, faire, octroyer) autorisation (donner, accorder) avantage (donner, apporter, octroyer) blame (donner, infliger) chätiment (donner, infliger, prononcer) concours (donner, apporter) conseil (donner, accorder, adresser) convocation (donner, faire, adresser) cotation (donner, faire, apporter, attribuer) coup (donner, flanquer, porter, assener) coup de telephone (donner, passer) decoration (donner, accorder) dedommagement (donner, accorder, apporter) definition (donner, apporter) degrevement (donner, faire) dementi (donner, apporter) detaxe (donner, faire) dipl6me (donner, accorder) direct du gauche (donner, flanquer, decocher) encouragements (donner, adresser, apporter) fälicitations (donner, faire, accorder) fessee (donner, ficher, flanquer) gifte (donner, passer, flanquer, coller) gratification (donner, accorder, apporter) ordre (donner, adresser) preuve (donner, apporter, fournir) punition (donner, adresser, infliger, passer) rendez-vous (donner, accorder, passer) replique (donner, faire, adresser) semonce (donner, faire, passer, adresser) Hilfe Zulage, Beihilfe Genehmigung, Zustimmung Unterstützung Beistand Gehaltserhöhung Erlaubnis Vorteil, Bevorteilung Tadel, Rüge Strafe Beitrag Rat Einberufungsbefehl, Gestellungsbefehl Kursnotierung Schlag Anruf Auszeichnung Entschädigung Definition Steuerentlastung Dementi Gebührenerlaß, Steuerermäßigung Diplom ein linker Haken Ermutigung, Zuspruch Glückwünsche Abreibung Ohrfeige Gratifikation Befehl Beweis Strafe Termin Antwort Verweis Diese Liste ist im muttersprachlichen Französischunterricht durchaus gut verwertbar. Es gilt jedoch, folgendes zu beachten: Donner ist hier bisweilen als neutrales und bisweilen als kausatives Stützverb verwendet: Max a donne une gifle ii Luc Max afait quelque chose *Luc a une gifle Aber: Luc a re<; u une gifle de Max (konverses Stützverb) IFlLIJllL 31 (2002) Kollokationen und expressions figees 239 Max a donne un avantage a Luc Max afait quelque chose Luc a un avantage Aber: *Luc a rei; u un avantage de Max Um diese Liste im Fremdsprachenunterricht oder für die Computerlexikographie mit Erfolg einsetzen zu können, fehlen noch die Präzisierungen der Determinierer und die restlichen Angaben zu den Argumentschemata: donner de l'aide a qn donner une allocation a qn preter (son) assistance a qn donner une cotation a un titre ( a la bourse) vs. apporter son aide a qn vs. donner son approbation a( qn + qc) vs. preter son appui a( qn + qc) vs. *donner une cotation a qn Die aufgeführten prädikativen Nomina können auch typische prädikative Verben als „Kollokatoren" haben. Auf diese Weise entstehen Verb-Argument Verbindungen oder "Nomen-Verb Kollokationen", deren Verben keine Stützverben sind, vom Typ: verser une allocation refuser son approbation offrir son appui ceder une augmentation (demander + obtenir) une autorisation (remettre + emettre) une convocation eviter un coup decerner (une decoration + un diplome) verser un dedommagement formuler une definition consentir (une detaxe + un degrevement) payer une gratification executer un ordre (fixer+ rater) un rendez-vous imposer une punition preparer une replique Hier sind die nominalen Prädikate zugleich auch Argumente und es gibt keine morphologischen Varianten oder zielsprachliche Entsprechungen in Form von einfachen prädikativen Verben, wie dies in der ersten Liste häufig der Fall ist. 4.6 'Expressions figees' und 'degres de figement' Elementare und prädikative Nomina sowie Verben, Adjektive, Adverbien, Konnektoren, Determinierer, Konjunktionen und Präpositionen können die Form vom Mehrwortausdrücken (MWA) haben, 'mots composes' in der Terminologie der Lexikongrammatik: noms composes (nominale MWA), z. B. une table rande (ein Gespräch am runden Tisch), adverbes composes (adverbiale MWA), z.B. en premier lieu (in erster Linie+ an erster Stelle), verbes composes (verbale MWA oder verbale idiomatische Ausdrücke), z.B. prendre le Zarge (das Weite suchen), oder adjectifs composes (adjektivale MWA), z.B. (etre) de banne humeur (gut gelaunt (sein)), connecteurs composes (Mehrwortkonnektoren), z.B. en taut cas, en ce cas, de taute far; an, usw. Diese bilden sehr zahlreiche (morpho-)syntaktische Klassen und Unterklassen und wurden am LADL (Laboratoire d' Automatique Documentaire et Linguistique) und am LLI (Laboratoire de Linguistique Informatique) in derselben Weise wie einfache Wörter in Form von Tabellen oder elektronischen Lexika erfaßt. Sie enthalten immer mindestens ein Blank. 'Expressions figees' unter besonderer Berücksichtigung der nominalen werden in G. Gross (1996b), der adverbialen in M. Gross (1986) zusammenfassend behandelt. Hier gibt es weniger Probleme mit den Mehrfachverwendungen als mit dem unterlFJLd 31 (2002) 240 Dieter Seelbach schiedlichen Grad der Fixiertheit, dem 'degre de figement'. Eine große Anzahl der sprachlichen Ausdrücke sind zwar 'formulas' (Jespersen) oder 'wiederholte Rede' (Coseriu), sie sind aber eben gerade nicht absolut 'figes', sondern mehr oder weniger veränderbar oder flexibel. Flexibilität bedeutet hier in erster Linie Variabilität, d. h. es gibt zahlreiche morpho-syntaktische Varianten. Wir wollen uns im Folgenden auf 'expressions figees', die einfache Verben enthalten, beschränken, und dabei Konnektoren wie tu sais, penses-tu, tu penses, die konjugierte Verben enthalten, einmal ausklammern. Man spricht bei verbalen MWA von 'figement', wenn mindestens zwei Elemente eines Satzes oder eines Ausdrucks fixiert sind, in unserem Fall das Verb und mindestens ein Nomen oder eine Nominalgruppe in der Subjekt-, in einer der Objektpositionen oder in der Funktion der Adverbialen. Ein weiteres Definitionskriterium ist die relativ starke Restriktion auf dem Determinierer. Max a casse sa pipe On va tous casser notre pipe un jour gegenüber: Luc a casse (ma + ta + une + la) pipe Max a casse sa bouffarde Pol a brise sa pipe, usw. Flexibler aufgrund der Existenz von mehr oder weniger zahlreichen Varianten sind Ausdrücke wie: Max a (rate + loupe + manque) le coche Pol a perdu (la tete + la boule + ! es pedales) Luc hat (mit der Faust) auf den Tisch (geschlagen + gehauen) Luc a frappe (du poing) sur Ja table Max s'est tordu (! es cötes) (de rire) Am LADL wurden die folgenden definierenden Grundstrukturen für 'expressions figees' mit fixiertem Verbelement vorgeschlagen (Verb * avoir) und jeweils in Tabellen beschrieben (cf. Abb. 8). 9 Tab.-name Anzahl defin. Grundstruktur Beispiel CO CO 432 covw Une nouvelle vie attend N (Ein neues Leben erwartet N) C0l 574 CO V Cl Sa reputation depasse ! es frontieres (Er ist über die Grenzen hinweg bekannt) C0PN 840 C0VPrepN La faute incombe a N (Der Fehler liegt bei N) C0PlPN 651 CO V Prep Cl Prep N Le vin monte a la tete (de+ a) N (Der Wein steigt N zu Kopfe) C0Q 433 C0VWQuS Les circonstances font que S (Die Umstände ergeben, daß S) Cl cm 2001 N0VDdefCl NO nage Ja brasse (NO schwimmt Brust) ClDPN 624 NO V DdefCl Prep N NO facilite ! es choses a N (NO ebnet N den Weg) 9 N: nominales variables Argument, S: satzförmiges variables Argument, C: konstantes oder fixiertes Argument, Vinf: Verb im Infinitiv und W: eine beliebige Folge von Argumenten, que S: 'que' + Satz, Ddef: definiter Determinier, Poss: possessiver Determinierer, Dindef: indefiniter Determinierer., Det0: Nulldeterminierer. lFLWL 31 (2002) Kollokationen und expressions figees 241 Tab.-name Anzahl defin. Grundstruktur Beispiel CIG 806 NO V Poss Cl NO a casse sa pipe (NO hat das Zeitliche gesegnet) CIGPN 480 NO V Poss Cl Prep N NO decharge sa bile sur N (NO lädt seinen Zorn auf N ab) CU 2280 NO V Dindef Cl NO grille un feu rouge (NO fährt bei Rot durch) ClIPN 1310 NO V Dindef C1 Prep N NO taille une bavette avec N (NO hält ein Schwätzchen mitN) CIP2 1582 NO V Cl Prep C2 NO tire ! es marrons du feu (NO holt die Kastanien aus dem Feuer) CIR 769 NOVDetCl NO plie bagages (NO packt (seine Sachen zusammen+ (Restmenge) ein)) CIRPN 601 NOV Cl PrepN NO fait fi de N (NO mißachtet N) (Restmenge) CAN 993 NO V Cl a,de N (lui) NO a delie la langue (de + a) Max (NO hat Max die Zunge gelöst) CDN 1183 NOV Cl deN NO se paye la tete de Luc (NO nimmt Luc hoch) CP CPlD 1048 NO V Prep DdefCl NO tranche dans le vif (NO greift energisch durch) CPIZ 875 NO V Prep DetO Cl NO entre en scene (NO tritt auf den Plan) CPlR 764 NO V Prep Det Cl NO danse sur un volcan (NO tanzt auf dem Vulkan) (Restmenge) CPN 524 NOVPrepCl deN NO saute au cou de N (NO fällt N um den Hals) CPP 317 NO V Prep Cl Prep C2 NO frappe du poing sur la table (NO schlägt mit der Faust auf den Tisch) CPPN 516 NOV Cl PrepNPrepN NO fait cause commune avec N contre N (NO macht mit N gemeinsame Sache gegen N) CPPQ 505 NOVC1PrepC2QuS NO met sa main au feu que S (NO legt seine Hand dafür ins Feuer, daß S) CPQ 649 NO V Cl (Prep) Qu S NO tient compte de ce que S (NO trägt der Tatsache Rechnung, daß S) CNP CNP2D 888 NO V Nl Prep Ddef C2 NO prend N a la legere (NO nimmt N auf die leichte Schulter) CNP2Z 828 NO V Nl Prep DetO C2 NO tire Nd' affaire (NO hilft N aus der (Patsche + Verlegenheit)) CNP2R 680 NO V Nl Prep Det C2 NO raye N d'un trait de plume (NO löscht N mit einem (Restmenge) Federstrich aus) CS,6,7,8 CS 253 QuS VPrepCl Que S milite en sa faveur (Daß S spricht für N) C6 392 NO V Qu S Prep C2 NO a pris du bon cöte que S (NO hat es gut aufgenommen, daß S) C7 195 NOV Cl aceQuS NO a dit non a ce que S (NO hat dagegen protestiert, daß S) C8 417 NO V Cl de ce Qu S NO se mord ! es doigts de Vinf W (NO bereut zutiefst, W ge-V zu haben) Autres CV 573 NOVVinfC NO entend pousser ! 'herbe (NO hört das Gras wachsen) Abb.8 JFL1Ul1L 31 (2002) 242 Dieter Seelbach Mit den unterschiedlichen Graden der Flexibilität oder Fixiertheit korreliert eine Skala der 'semantischen Fixiertheit': geringer fixierte und flexiblere Ausdrücke sind relativ motiviert und über die Semantik ihrer Bestandteile bis zu einem gewissen Grad 'interpretierbar', absolut fixierte sind oft semantisch opak: jm (Honig+ Brei) um (den Mund+ das Maul+ den Bart) (schmieren+ streichen) jm (fest) (den+ die) Daumen (halten+ drücken) (se mettre + etre) i: t table [anfangen zu+ <E> essen] vs. jm durch die Lappen gehen vs. jm die Stange halten vs. se mettre i: t table [gestehen, singen (fam.)] Größere Motiviertheit geht auch mit einer größeren Beweglichkeit in der Syntax einher, dies gilt für verbale, nominale und adjektivale Mehrwortausdrücke: tourner la page Cette page va etre definitivement tournee La page semble etre tournee ll faut tourner cette page de notre histoire C'est une page que nous avons tournee Jm. Steine in den Weg legen Die Steine, die man ihm in den Weg legte, waren riesig Jm. den Kopf waschen Lea wurde von Max der Kopf gewaschen ein grüner Politiker dieser Politiker ist grün ein grüner Politiker ist ein Politiker das ist ein (grüner+ gelber+ roter) Politiker das ist ein grüner, aber vernünftiger Politiker starker Kaffee sehr starker Kaffee gut gebaut sein besser gebaut sein als vs. prendre (le Zarge + la tangente) * Le Zarge va etre pris *La tangente semble etre prise * ll faut prendre une tangente definitive *C'est une tangente que nous avons prise vs. Bei jm. einen Stein im Brett haben *Der Stein, den er bei ihm im Brett hat, ist enorm groß. vs. Jm. einen Korb geben *Lea wurde von Max ein Korb gegeben vs. eine grüne Witwe *diese Witwe ist grün *eine grüne Witwe ist eine Witwe *das ist eine (grüne + rote + gelbe) Witwe *das ist eine grüne, aber einsame Witwe vs. kalter Kaffee * sehr kalter Kaffee vs. schief gewickelt sein *schiefer gewickelt sein als Kontrastive Aspekte Frz.-Dtsch. von 'expressions figees' auf verbaler und adjektivaler Basis werden in Seelbach (1998, Abschn. 4) und in Seelbach (1999b) behandelt. 5. Ausblick: Prädikatsausdrücke und typische Adverbiale Bisweilen gibt es ganze Familien von typischen Adverbialen für eine kleine Klasse von semantisch homogenen Verben: Luc vous transmettra cette information (par le WEB+ par lefax + ... ). Ils ont elu Pol president (i: t la majorite simple+ au scrutin secret + ... ). Bei den mit transmettre charakterisierbaren Transferverben wird das Übertragungsmittel, bei den mit elire paraphrasierbaren Verben der Wahlmodus adverbial ausgedrückt. Derartige 'Kollokationsphänomene' sind weder von den Grammatiknoch von den Kollokationsforschern bisher systematisch untersucht worden. Die betreffenden KollokalFLlllL 31 (2002) Kollokationen und expressions figees tionen transmettre par le WEB und elire a la majorite simple sind mit Vsimple Advcompprop zu etikettieren. 243 Hierbei handelt es sich um die eingeschränkte Kombinierbarkeit von (semantisch homogenen) Prädikatsausdrücken in Form von Einzelwörtern oder MWA mit deren typischen Adverbien oder adverbialen MWA (adverbes appropries oder proper adverbs, notiert als Advsimpleprop bzw. Advcompprop), die Familien bilden können: Vsimple Advsimpleprop Advsimpleprop Adjpredsimple / V-e reussir pleinement, insister lourdement gravement malade, manuellement habile Vsimple Advcompprop Adjpredsimple / V-e Advcompprop payer par acomptes, arriver sur les lieux bien dans sa peau, fort du pied gauche (foot) Advsimpleprop Vcomp 10 Advsimpleprop Adjpredcomp 10 rapidement casser sa pipe toujours a la mode, constamment hors-jeu Advcompprop Vcomp Advcompprop Adjpredcomp prendre les choses en mains d'entree de jeu a la fois juge et partie Advsimpleprop Npredsimple Advsimpleprop Npredcomp porter finalement ses fruits prendre (rapidement + vite) son petit dejeuner Npredsimple Advcompprop Npredcomp Advcompprop faire une demande en bonne et due forme prendre son petit dejeuner a la va vite Advsimpleprop Vsimple Advsimpleprop Adjpredsimple / ge-V herzlich gratulieren, schnell kapieren frei verkäuflich, gut haltbar Advcompprop Vsimple Advcompprop Adjpredsimple / ge-V im Voraus bezahlen, an Ort und Stelle eintreffen auf der Stelle tot, mit den Händen geschickt Advsimpleprop Vcomp Advsimpleprop Adjpredcomp sich heimlich aus dem Staub machen hoch in Schulden, schwer auf Draht (fam) Advcompprop Vcomp Advcompprop Adjpredcomp Hals über Kopf das Weite suchen voll und ganz im Recht Advsimpleprop Npredsimple Advsimpleprop Npredcomp 10 rechtzeitig Einspruch erheben beruflich großen Erfolg haben Advcompprop Npredsimple Advcompprop Npredcomp in aller Form Klage erheben ohne Konzept eine große Rede halten Advsimpleprop Vpart Advcompprop Vpart 10 erleichtert aufatmen, etwas konzentriert durchlesen im Prinzip zustimmen, bei Rot durchfahren Abb.9 Zielsprachliebe Entsprechungen sowie morphologische Varianten in Form von Mehrwortausdrücken (und Komposita) und bisweilen sogar von einfachen Prädikatsausdrücken rechtfertigen die systematische Aufnahme von Operator-Adverb Kombinationen in das (elektronische) Kollokations-Lexikon: 10 Vcomp sind verbale MWA (Cl, CP und CNP und deren Unterklassen sowie CS, C6, C7 und C8); Adjpred comp sind prädikative adjektivale MWA (vgl. G. Gross 1991 und Seelbach 1999b), die durch die Kopula „gestützt" werden; Vpart sind deutsche Partikel- oder Präfixverben mit separabler Partikel oder separablem Präfix; Npredcomp sind (prädikative) nominale MWA; Npredkomp Nominalkomposita. lFLllllL 31 (2002) 244 Dieter Seelbach Operator-Adverb-Verbindung Einwort- und Mehrwortausdruck mit Abblendlicht fahren etre en code Adjpredcomp travailler a mi-temps etre a mi-temps Adjpredcomp reussir pleinement vollen Erfolg haben Npredcomp jm Auge in Auge gegenüberstehen avoir un face a face avec qn Npredcomp mit der Lichthupe ein Zeichen geben faire des appels de phares Npredcomp sich Hals über Kopf verlieben in avoir Je coup de foudre pour Npredcomp schlecht sehen avoir une mauvaise vue Npredcomp unter Vorbehalt zusagen eine Zusage unter Vorbehalt (geben+ machen) Npredcomp nebenher tätig sein als eine Nebentätigkeit ausüben als Npredkomp sich nebenher betätigen als mit dem Kopf treffen einen Kopfballtreffer erzielen Npredkomp mit dem Kopf ein Tor machen ein Kopfballtor machen Npredkomp auf den Händen stehen einen Handstand machen Npredkomp getrennt schlafen faire chambre a part Vcomp energisch durchgreifen trancher dans Je vif Vcomp bei Rot durchfahren griller un feu rouge Vcomp stark loslegen partir tambour battant Vcomp (monter + traverser) un N<cours ein N<Gewässer> (hochschwimmen + durch- Vpart d'eau> a Ja nage schwimmen) se tuer dans un accident umkommen Vpart mettre un N<couvre-chef> sur sa tete eine N<Kopfbedeckung> aufsetzen Vpart partir a toute allure losrasen Vpart mit der Fernlenkung steuern teleguider Vsimple auf dem Mond landen alunir Vsimple N<Pferd> (vom hochgehen+ sich N<cheval> se cabrer Vsimple auf die Hinterbeine stellen) Abb.10 Verb-Adverb Verbindungen müssen von „expressions figees", die adverbiale Elemente enthalten, unterschieden werden, wie z.B. (chanter + rire) a gorge deployee, chanter accappella, (apprendre + savoir) qc. par C(l! Ur, crier a tue-tete, ( auf frischer Tat + in flagranti) (ertappen + erwischen + überraschen), wo eine oder zwei Adverbiale nur mit einem oder zwei Verben gemeinsam vorkommen (cf. 4.6). Verb-Adverb Verbindungen und die am Ende von Abschn. 4.5 erwähnten Verb-Argument Verbindungen eröffnen weite Felder für eine auch mit korpuslinguistischen Werkzeugen arbeitende (Computer)Lexikographie, die von den hier vorgestellten Ergebnissen ausgehend sowohl für den Fremdsprachenunterricht als auch für die (rechnergestützte) Übersetzung verwertbar sein wird. IFlLulL 31 (2002) Kollokationen und expressions figees 245 Literatur BINON, Jean/ VERLINDE, Serge/ VAN DYCK, Jan/ BERTELS, Ann (2000): Dictionnaire d'apprentissage dufranr; ais des affaires. Paris: Didier. BÖHMER, Reiner (1994 ): Komplexe Prädikatsausdrücke im Deutschen und Französischen - Theoretische Aspekte, kontrastive Aspekte und Aspekte der Anwendung. 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Als der Langenscheidt-Verlag 1979 den noch fehlenden Teil I des Großwörterbuchs Französisch veröffentlichte und damit der „alte" Sachs-Villatte mehr als ein halbes Jahrhundert nach seiner letzten, in den Jahren 1917 und 1921 fertiggestellten revidierten Ausgabe in einer kompletten Neubearbeitung vorlag, war die Kritik zu Recht voll des Lobs und feierte sie als das beste zweisprachige Wörterbuch für die Sprachen Deutsch und Französisch. 1 Daß sich dieser Erfolg nicht wie gewünscht in den Verkaufszahlen niederschlug, ist einerseits auf den horrenden, leider auch Studierende des Faches Französisch abschreckenden Preis von z. Zt. 129 € pro Band zurückzuführen. Andererseits dürften sich die extrem langen Bearbeitungszeiten nicht gerade absatzfördernd auswirken. Inzwischen ist nicht nur der erstmals 1968 veröffentlichte deutsch-französische Teil (der bereits beim Erscheinen seines frz.-dt. Gegenstücks nicht mehr auf dem aktuellen Stand war), sondern auch der frz.-dt. Band in die Jahre gekommen und partiell hoffnungslos veraltet. Und dies gilt unbeschadet der Tatsache, daß das Großwörterbuch nach wie vor sowohl in puncto Vollständigkeit als auch hinsichtlich Präzision der Äquivalente und der übersetzten Beispiele als vorbildlich bezeichnet werden kann. Vor diesem Hintergrund ist unverständlich, warum es immerhin 16 bzw. 27 Jahre dauerte, bis das von Umfang und Preis auf breitere Käuferschichten hin zugeschnittene Handwörterbuch (bzw. das mit diesem textidentische Große Schulwörterbuch), das letztlich auf einer Bearbeitung aus dem Jahre 1963 beruhte und das aufgrund methodischer Mängel und sprachlicher Unzulänglichkeiten eigentlich das Prädikat „nicht empfehlenswert" verdient hätte, im Jahre 1995 endlich durch eine auf der Basis des neuen Sachs-Villatte erstellte Fassung abgelöst wurde. Für ein Fünftel des Preises vom Sachs-Villatte hatte diese grundlegende Neubearbeitung Erstaunliches zu bieten: an Modernität und Aktualität übertraf sie den größeren Bruder; an Zuverlässigkeit lag sie auf gleich hohem Niveau. 2 Sechs Jahre später legt nun die Langenscheidt-Redaktion eine weitere Neubearbeitung vor: im April 2001 erschien das Handwörterbuch; im September 2001 folgte das durch Neuaufnahme von Lemmata wie etwa @ (frz. arobas) weiter aktualisierte, im übrigen aber inhaltsgleiche Große Schulwörterbuch [fortan: GSw]. Von den Veränderungen gegenüber der erwähnten Bearbeitung aus dem Jahre 1995 seien vor allem die folgenden erwähnt, wobei die jeweils angeführten Beispiele zwangsläufig exemplarischen Charakter haben. (1) Empirische Untersuchungen belegen, daß Wörterbuchbenutzer eine ausgeklügelte, linguistische durchdachte Organisation der Mikrostrukturen vor allem deshalb ignorieren, weil sie die damit in der Regel verbundene lange Einarbeitungszeit scheuen. Für sie zählt vor allem, wie schnell man die gesuchte Information durch Überfliegen des Artikels auffindet. Und dazu trägt die 1995 eingeführte typographische Gestaltung insofern erheblich bei, als die übersetzten Kontexte sublemmatisch adressiert sind, d.h. durch halbfette Schriftart so behandelt werden, als gehörten sie zur Makrostruktur. Für noch mehr Transparenz und Übersichtlichkeit sorgt die neue, aus den POWER- Wörterbüchern bekannte blaue Hervorhebung der Hauptstichwörter. (2) "Special entries" für die Art und Weise, in der 'concepts' wie age, date, measurement oder money versprachlicht werden, "usage notes" zur pragmatisch angemessenen Verwendung von Wörtern wie Vgl. exemplarisch die Rezensionen von Franz Josef Hausmann zu Teil I (in: / RAL XX.1 (1982), 73-74) sowie zu Teil I + II (in: Lexicographica 3 (1987), 257). 2 So Franz Josef Hausmann in seiner Besprechung der Neubearbeitung des Handwörterbuchs (in: Fremdsprachen Lehren und Lernen 25 (1996), 241). JF]LlJl]L 31 (2002) 248 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel actually, surely, usw. sowie „pragmatic topics" zu APOLOGIES; ADRESSING PEOPLE, u.a. gehören seit geraumer Zeit zum festen Bestandteil der einsprachigen (englischen) Lernerlexikographie. Die offensichtlich in diesem Kontext entwickelte erstmals im Konzept der Power-Wörterbücher umgesetzte - Idee, die (wenig attraktive) Makrostruktur eines zweisprachigen Wörterbuchs mit Hilfe von (insgesamt rund 200 blau unterlegten) Info-Fenstern zu orthographischen Besonderheiten, zur Grammatik, zu Wortschatz, zur Wortbildung, zu interlingualen 'faux amis' oder zur Landeskunde aufzulockern, ist deshalb durchaus zu begrüßen. Der thematische Fächer reicht im frz.-dt. Teil von Informationen zu anglicisme, über Hinweise auf feste Verbindungen (Kollokationen) s.v. but bis hin zu Ausflügen in die Landeskunde etwa unter den Stichwörtern departement, dolmen, galette, francophonie oder marseillais (La Marseillaise); im dt.-frz. Teil geht die Bandbreite von lexikalischen Interferenzen, für die die kontrastive Linguistik den Terminus Divergenz geprägt hat (z.B. bekommen: recevoir obtenir, leihen: emprunterpreter oder wählen: choisirvoter) über diverse 'centres d'interets' bis hin zur Darstellung der Unterschiede zwischen dt. und frz. Passiv sowie dem Abdruck eines ausformulierten Feriengrußes s.v. Postkarte. Zwanzig Musterbriefe mit deutscher Übersetzung im Anhang dürften für die anvisierte Zielgruppe (Schüler der gymnasialen Oberstufe und Studenten) zudem eine willkommene Hilfe beim Formulieren der Korrespondenz sein. Wie so oft steckt allerdings auch hier der Teufel im Detail. Da man eine Auflistung der im einzelnen behandelten Themen vergeblich sucht, können selbst die grammatisch relevanten Info-Fenster nur über das entsprechende nicht selten objektsprachliche - Stichwort erschlossen werden: so etwa Erläuterungen zum richtigen Modus nach unpersönlichen Ausdrücken nur über certain, Hinweise auf Besonderheiten der Adverbbildung nur über profondement. Auch die Berücksichtigung wichtiger 'falscher Freunde' ist in der vorliegenden Form nicht unproblematisch. Gemäß der empirisch gestützten Hypothese, nach der „nicht bei wachsendem Kontrast die Lernschwierigkeiten größer werden, sondern bei wachsender Ähnlichkeit" 3 kann auf die Exemplifizierung von interlingualer Homonymie, also auf die Gegenüberstellung von begrifflich weit auseinanderliegenden und kaum interferenzgefährdeten Lexemen wie sortir * sortieren (S. 571 und 1116 [im dt. frz.-Teil]), nicht zuletzt wegen der damit verbundenen unliebsamen Konsequenzen, verzichtet werden. Vollständig erfaßt werden sollten dagegen die besonders fehlerträchtigen Fälle von interlingualer Polysemie, wie sie bei weder im frz.-dt. noch im dt.-frz. Teil als 'faux arni' markiertemacademicien * Akademiker oder impotent* impotent vorliegt. Was schließlich den hohen Anteil an landeskundlicher Information angeht4, so gibt es dafür angesichts der intensiv geführten Diskussion um interkulturelles Lernen sicher gute Argumente. Erklärungsbedürftig ist allerdings die getroffene Auswahl. Warum, so fragt man sich, wurde Quebec eines weiterführenden Kommentars für würdig befunden, nicht hingegen Belgique, wo uns das POWER Wörterbuch Französisch (1999) nicht im Stich läßt und uns im übrigen auch zu Academie franc; aise die nötige Hintergrundinformation liefert? Was mag die Redaktion bewogen haben, Namen wie Balzac, Rabelais oder Stendhal zu lemmatisieren und Fran<; ois Villon gar einen vergleichsweise langen (literaturgeschichtlichen) Kommentar zu widmen, während nicht weniger bedeutende französische Autoren wie Baudelaire, Camus, Flaubert, Sartre oder Voltaire in der Makrostruktur nicht auftauchen? Solange diese und andere Fragen unbeantwortet bleiben, kann über den didaktischen Nutzen von aleatorisch in die Makrostruktur eingestreuten ('lernerrelevanten') Informationen allenfalls spekuliert werden. (3) Aus der Wörterbuchbenutzungsforschung wissen wir, daß die Zahl der Einträge und die Aktualität des Wortschatzes eine wichtige Rolle beim Kauf eines (zweisprachigen) Wörterbuchs spielen. Hatte man das Handwörterbuch von 1995 „in der Nachfolge des Sachs-Villatte [...] vom Ballast des Fachwortschatzes befreit" (so Hausmann in seiner in Anm. 2 zitierten Rezension), um den zentralen Wortschatz Bernd Kielhöfer: Fehlerlinguistik des Fremdsprachenerwerbs. Linguistische, lernpsychologische und didaktische Analyse von Französischfehlern. Kronberg/ Ts. 1975, 127. 4 Überblicksartige Darstellungen zu den Departements, dem politischen System Frankreichs, dem französischen Schulsystem und der Verbreitung der französischen Sprache im Anhang des frz.-dt. Teils legen davon beredtes Zeugnis ab. lFllllL 31 (2002) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 249 mit treffenden Übersetzungen so vollständig und exakt wie möglich zu erfassen5, so konzentrierten sich die Anstrengungen dieses Mal darauf, durch Aufnahme von (grob geschätzt rund 2000) Neuwörtern die jüngste Entwicklung in den beiden Sprachen abzubilden, wobei ein Schwerpunkt ersichtlich im fachsprachlichen Bereich lag (hierzu gehören vor allem: Computer und Internet, Neue Technologien, Wirtschaft, Medizin und Pharmazie sowie Sport und Spiel). Da mit einer Neubearbeitung des Sachs-Villatte in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist, weiß man sicher zu schätzen, daß einerseits Begriffe wie banque en ligne oder covoiturage im frz.-dt. Teil begegnen und daß andererseits Übersetzungsäquivalente für inzwischen so gebräuchliche Wörter wie Fettabsaugung oder skaten angeboten werden, die bislang in keinem anderen zweisprachigen Wörterbuch verzeichnet sind. Schade nur, daß den verantwortlichen Redakteuren die im Sachfeld 'Politik und Gesellschaft' angesiedelte Redewendung mouiller sa chemise offensichtlich entgangen ist. Von der zweisprachigen Lexikographie nicht zur Kenntnis genommen, ist sie wie nicht zuletzt die mehr als zwei Dutzend Belege im Le Monde Corpus (1995 bis 1998) dokumentieren auch in den Medien recht verbreitet6 und hat folgerichtig 1993 Eingang in die einsprachigen Wörterbücher gefunden. 7 Von einem Schulwörterbuch kann man schlechterdings nicht erwarten, daß es alles Wünschenswerte enthält, wenngleich die eine oder andere Formulierung im Vorwort (insbesondere der Begriff Vollständigkeit) dies zu suggerieren scheint. Tauchen demnach bei der Lektüre folgender Sätze aus der Lettre d'information N° 33 von TV 5 vom 15.12.2001 Verstehensprobleme auf, so ist man nach wie vor auf die Hilfe von Langenscheidts Großwörterbuch angewiesen: Un court-metrage en noir et en blanc qui raconte l'histoire intemporelle d'Amadime, unjeune gargon de douze ans. Dans son village la secheresse asseche les marigots et sa famille detient le fetiche qui pourra faire tomber la pluie. Lücken wie die durch Unterstreichung markierten intemporel und marigot sind im Blick auf den begrenzten Umfang kein wirkliches Manko. Irritierend ist jedoch, daß das zum gleichen 'Register' gehörige griot (Au Mali, on les appelle les Djelis. L'Occident a baptise griots cette caste de maftres de la parole, ... [a.a.O.]) den notwendigen Beschränkungen der Makrostruktur nicht zum Opfer fiel. Und insofern stellt sich erneut die Frage, welche Selektionskriterien solchen Entscheidungen zugrunde liegen. Nach diesen Klarstellungen braucht nicht eigens betont zu werden, daß das GSw auch in puncto Vielfalt der übersetzten Kontexte dem Vergleich mit einem Wörterbuch von der Qualität des PONS Größwörterbuch Französisch (1996) nicht standhält. Unter dem Eintrag Figur vermissen wirum nur ein Beispiel zu geben-die Wendung aufseine Figur achten (müssen) und damit das in dieser Bedeutung nur im Artikel Linie aufgeführte Übersetzungsäquivalent ligne (vgl. dagegen im PONS Großwörterbuch: ich muß etwas für meine Figur tun je dois faire quelque chose pour maligne und jd achtet auf seine~ qn fait attention a sa ligne). Bei genauer Analyse der Mikrostrukturen von Artikeln wiefoisonner, prendre oder vendre im GSw und im Sachs-Villatte zeigt sich im übrigen, wie stark im Einzelfall die Zahl der Anwendungsbeispiele begrenzt werden mußte. (4) Nicht ohne Grund wird an moderne zweisprachige Wörterbücher die Forderung gestellt, sie sollten „sich für die Übersetzung in die eigene wie in die fremde Sprache gleichermaßen eignen und für Sprecher beider Sprachen gleichermaßen aktiv anwendbar [sein]". Bezeichnenderweise fehlt dieser aus dem Vorwort zur Neuausgabe des Handwörterbuchs von 1995 zitierte Hinweis im GSw des Jahres 2001. Vielleicht hat der Verlag eingesehen, daß man selbst mit der beeindruckenden Fülle von glossierten Daß man dabei die Umgangssprache nicht vernachlässigte, unterstreicht die makrostrukturelle Berücksichtigung von Wörtern wie enculer, das im Sachs-Villatte fehlt. 6 Diesen Hinweis verdanke ich dem Beitrag von Stefan Ettinger: " Vom Lehrbuch zum autonomen Lernen. Skizze eines phraseologischen Grundkurses für Französisch". In: Martine Lorenz-Bourjot, Heinz-Helmut Lüger (Hrsg.): Phraseologie und Phraseodidaktik. Wien: Edition Praesens 2001 (Beiträge zur Fremdsprachenvermittlung, Sonderheft 4 ), 100 f. 7 Vgl. Petit Robert (3' edition 1993) s.v. mouiller (« ne pas menager sa peine ») sowie Alain Rey, Sophie Chantreau: Dictionnaire des expressions et locutions. Nouvelle edition. Paris 1993 (« se donner du mal»). JF[,1.IlL 31 (2002) 250 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel Äquivalenten, die die halbfett gesetzten ca. 210 000 Bearbeitungseinheiten ergänzen und die das Lemma noch stärker kontextualisieren als die Anwendungsbeispiele, dem erhobenem Anspruch auf Bidirektionalität letztlich nicht gerecht wird ganz abgesehen davon, daß nicht einmal die dafür unerläßliche Grundvoraussetzung erfüllt ist, nämlich die vollständige Parallelität des frz.-dt. und des dt.-frz. Teils (vgl. z.B.flasher sur qn, qc F auf j-n, etw abfahren/ / auf etw, j-n (voll) abfahren s'emballer pour qc, qn [ ... ]). Der hohe (praktische) Nutzen jener in der Ausgangssprache des Hinübersetzers formulierten Glossierungen bleibt davon selbstverständlich unberührt. Dies um so mehr, als die Glossierung in der Regel über die Kollokationspartner erfolgt (Paradebeispiel: faux) und nur in Ausnahmefällen über das Synonym (vgl. unter agacer 1., alpage oder cochonnerie). Die Grenzen dieses Verfahrens werden jedoch bereits bei Kollokationen wie une critique implacable oder un comique echevele sichtbar, auf die wir in der mehrfach zitierten Lettre l'information de TV5 stoßen und für die das GSw kein (normgerechtes) Übersetzungsäquivalent beim jeweiligen Adjektiv zur Verfügung stellt. Findet der Benutzer die treffende Übersetzung dann wenigstens mit Hilfe der syntagmatischen Angaben (implacable: [...] logique unerbittlichechevele: [...] passion heftig; zügellos)? Dem germanophonen Herübersetzer mag dies dank seiner muttersprachlichen Kompetenz gelingen; dem frankophonen Hinübersetzer dürften die (kursiv erscheinenden) Glossierungen hingegen kaum weiterhelfen. Für letzteren besonders problematisch ist die Kumulierung von Äquivalenten wie etwa bei chagrin I adj: 1. (triste) bekümmert; bedrückt; betrübt; 2. litt (morose) griesgrämig; verdrießlich; grämlich (oder bei dem von Hausmann 1996, 242 (vgl. Anm. 2) entsprechend kommentierten baroque). Für welches Äquivalent wird er sich bei der Übersetzung der folgenden Passage entscheiden, bei der selbst ein intensives Nachschlagen im dt.-frz. Teil keinen Erkenntnisgewinn bringt: si habitue soit-on ii ces reussites, on ne s'attendait pas ii tant de Gauguin, et de si beaux, et si rares [...]. Assurement, dirait un esprit chagrin, il n 'y a pas ii Martigny tous les Gauguin historiques, ni La Vision apres le sermon, ni [...] (Le Monde vom 18.7.1998, S. 30)? Gesamturteil: Langenscheidt beweist zum wiederholten Mal, daß man Gutes noch besser machen kann. Die Neuerungen sind allerdings weit weniger spektakulär, als es uns der werbewirksame Slogan „mit wesentlichen Merkmalen des revolutionären POWER-Konzeptes" weismachen möchte. Hinzu kommt, daß auch mit dieser Neubearbeitung der (zusätzliche) Besitz eines Großwörterbuchs vom Umfang und von der Güte eines PONS oder eines Sachs-Villatte keineswegs zum überflüssigen Luxus geworden ist. Bielefeld Ekkehard Zöfgen PONS Lexiface professional. Elektronisches Wörterbuch Deutsch-Französisch, Französisch-Deutsch. CD-ROM. Stuttgart: Klett 2001 [79 €] Die Zahl der elektronischen Wörterbücher ist in den letzten Jahren sprunghaft gestiegen. Längst haben sich die mit dieser neuen Technologie verbundenen Vorteile herumgesprochen, die es dem Benutzer erlaubt, schnell und komfortabel große Datenbestände zu durchsuchen. Nicht wenige der in der metalexikographischen Literatur intensiv diskutierten Probleme (z.B. die Frage, ob Kollokationen unter der Basis oder unter dem Kollokator lemmatisiert sind und ob das Wörterbuch demnach auch in Situationen der Sprachproduktion gute Dienste leistet) verlieren nunmehr an Relevanz. Wer einmal mit der CD- ROM-Version des ZINGARELLI (1996) oder des PETIT ROBERT (1996) gearbeitet hat, möchte die dadurch sich eröffnenden vielfältigen Retrieval-Möglichkeiten (u.a. Volltextabfragen oder Suche nach verschiedenen Kriterien, und zwar einzeln oder kombiniert) nicht mehr missen. Mit ProfiLine, der elektronischen Version von Langenscheidts Handwörterbuch, hat 1997 diese Technik (komplexe Abfragen durch Verknüpfung mehrerer Suchbedingungen, gezielte Suche nach Mehrworteinträgen, usw.) für das Sprachenpaar Deutsch-Französisch Einzug in die zweisprachige Lexikographie für semi-professionelle Ansprüche gehalten. Es war deshalb nur eine Frage der Zeit, bis auch der Klett-Verlag den Datenbestand seiner neu entwickelten PONS Großwörterbücher in elektrolFLlllL 31 (2002) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 251 nischer Form präsentieren würde. Im (Spät-)Sommer vergangenen Jahres erschienen unter dem Namen PONS Lexiface professional die lang erwarteten CD-ROM Fassungen für die Sprachen Englisch, Französisch und Spanisch. Installation: Laut Hersteller ist Lexiface (Französisch) für die Windows Betriebssysteme 95, 98, ME, NT 4.0 und 2000 ausgelegt 8, wobei sich die Hardware-Anforderungen im Rahmen des Üblichen bewegen (IBM kompatibler PC mit der Prozessorleistung eines Pentium 75 oder höher, mind. 16 MB RAM, 30 MB freier Festplattenspeicher, Grafikkarte mit einer Auflösung von 800x600 oder mehr sowie CD-ROM Laufwerk). Um Lexiface benutzen zu können, muß außerdem der Internet Explorer von Microsoft in der Version 4.0 oder höher installiert sein. 9 Nach (problemlos) erfolgter Installation signalisiert das (rote) i-Finger-Symbol auf der Taskleiste, daß die Anwendung gestartet ist und unter bestimmten Bedingungen (vgl. unten) automatisch die richtige Übersetzung anzeigen würde. Konfiguration und Benutzerüberfläche: Über das Menü, das beim Anklicken des i-Finger-Symbols aufklappt, können u.a. bestimmte Konfigurationseinstellungen verändert werden. So ist es beispielsweise möglich, die installierten Wörterbücher einzeln zu aktivieren oder zu deaktivieren, den Modus 'Schlafen' zu wählen und damit Lexiface nicht nach Übersetzungen suchen zu lassen oder aber einer anderen Tastenkombination als der voreingestellten die Suchfunktion zuzuweisen. Nicht beeinflussen läßt sich leider das Erscheinungsbild des Suchfensters, das sich beim Klick auf den entsprechenden Menüpunkt oder aber beim Doppelklick auf das i-Finger-Symbol öffnet. Dies ist um so bedauerlicher, als die Benutzeroberfläche optisch wenig ansprechend gestaltet ist und vor allem im Hinblick auf die Lesbarkeit der Benutzereingaben zu wünschen übrig läßt. Die völlig unzureichende Dimensionierung der Suchzeile führt sogar dazu, daß trotz (extrem) kleinem Schrifttyp lemmatisierte Komposita wie Nacht-und-Nebel- Aktion abgeschnitten werden. Suchfunktionen: Entscheidend für die Beurteilung der Qualität der Software ist natürlich die Frage, welche Suchfunktionen das Programm zur Verfügung stellt. Und in diesem Punkt kann Lexiface die Erwartungen bei weitem nicht erfüllen. Offenbar bestand die Aufgabe der Entwickler einzig und allein darin, für einzelne Lexeme schnell und einfach ein Übersetzungsäquivalent auf den Bildschirm zu bringen. Dieses in der Werbung als Pop-up-Funktion bezeichnete Nachschlagen per Mausklick hat allerdings eine Reihe gravierender Nachteile; weder erlaubt es ein Blättern im Wörterbuch oder gar ein Springen von Artikel zu Artikel, noch können damit komplexe Suchabfragen formuliert werden. Im Klartext bedeutet dies, daß zum einen auf Volltextrecherche verzichtet werden muß und daß zum anderen nur die Hauptstichwörter 10 sowie die Sublemmata (etwa Nachtwache, Nachtwächter, Nachtzeit, Nachtzuschlag s.v. Nachtvogel), nicht hingegen die nicht-lemmatisch adressierten mehrgliedrigen Ausdrücke in die Suchfunktion einbezogen sind. Gibt man Kompositeme wie Tausendundeine Nacht, (lexikalisierte) Kollokationen wie reportage photographique oder (qc) pose un probleme, Phraseologismen wie ne pas savoir sur quel pied danser, Konnektiva wie tout compte fait oder Adverbien wie pour le moins bzw. par-dessus le marche, die in der Papierversion ausnahmslos verzeichnet sind, dennoch ein, so erhält man die Meldung „iFinger konnte bei der Suche nach' ..... ' nichts finden". Bedauern wird man ebenso, daß die Verwendung von Platzhaltern (Wildcards) nicht vorgesehen ist. Bei der Eingabe muß deshalb die genaue Schreibweise beachtet werden. Als Positivum kann Lexiface zweifellos für sich verbuchen, daß der Suchalgorithmus auch flektierte Wortformen verarbeitet und daß daneben großer Wert auf die nahtlose Einbindung in unterschiedliche Programm-Umgebungen gelegt wurde. Aktivieren läßt sich die Suchfunktion auf dreierlei Weise, Auf einwandfreie Funktion wurde das Produkt vom Rezensenten allerdings nur unter Windows 98 und Windows ME getestet. 9 Die Installation kann man mit der Option „Internet Explorer installieren" direkt vom Installationsprogramm ausführen lassen. 10 Aus unerfindlichen Gründen ist ein Zugriff auf bestimmte lemmatisierte Mehrwortgefüge (wie z.B. Tante- Emma-Laden) dennoch nicht möglich. IFJLl]l, 31 (2002) 252 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel nämlich (1) durch Öffnen des Suchfensters per Mausklick, (dabei kann das Suchfenster immer im Vordergrund gehalten werden), (2) im Zusammenspiel mit dem Internet Explorer (in diesem Fall werden Übersetzungsäquivalente automatisch angezeigt, sobald man mit dem Mauszeiger über ein Wort fährt) sowie (3) in jeder anderen Windows-Anwendung durch Nachschlagen per Hotkey eines zuvor markierten Wortes. Doch auch hier so ist man versucht zu sagen ist längst nicht alles Gold, was zu glänzen scheint. So erkennt das Programm zwar automatisch, daß es sich beij 'acquiers, (il a) tenu oder (je) vais um flektierte Formen von acquerir, tenir bzw. aller handelt; atteinte, tenue oder mise werden hingegen nicht als weibliche Form des participe passe identifiziert und führen demzufolge nur zum jeweiligen Nomen (ohne Hinweis auf den Infinitiv der zugehörigen Verben). 11 Unbefriedigend ist ebenso die Trefferquote bei der Suche nach einem Übersetzungsäquivalent. Abgesehen davon, daß uns Lexiface vor allem bei zusammengesetzten Wörtern oder bei Kollokationen 12 häufig im Stich läßt, ist der „clevere Klick ins Wörterbuch" auch in anderen Fällen alles andere als ein Vergnügen. Wer sich bei Sätzen wie ce film a passe a la tele oder il tient de son pere schnelle Hilfe von Lexiface erhofft, der wird sich damit abfinden müssen, daß man erst nach längerem, manchmal recht mühsamen Scrollen durch den Wörterbuchartikel fündig wird. Programmbedingt gilt dies dann auch für die Sprachrichtung deutsch-französisch, wo dem Benutzer etwa bei (eine Datenbank) einrichten zunächst amenager angeboten wird. Benutzerwörterbücher: Praktisch und auf den ersten Blick vielversprechend ist die Möglichkeit, Benutzerwörterbücher aus einzelnen Wörtern mit deren Übersetzungen oder sogar aus importierten (als Textdatei vorliegenden) Wortlisten aufzubauen. Über das Suchfenster kann man auf die selbst erstellten (alphabetisch geordneten) Einträge allerdings nicht zugreifen. Umfangreiche Benutzerwörterbücher wird man deshalb kaum anlegen wollen, da deren Handhabung sehr umständlich wäre. Einen Befehl „Suchen", wie wir ihn aus jeder Textverarbeitung kennen und mit dem sich auch in großen Benutzerdateien Lemmata bequem aufspüren ließen, gibt es nämlich ebensowenig. Kopierfunktionen: Erfreulich ist dagegen, daß nicht nur einzelne Übersetzungen, sondern auch ganze Artikel oder markierte Teile davon einschließlich der darin enthaltenen Abbildungen in andere Windows- Anwendungen per drag&drop kopiert werden können, wobei dies im Hinblick auf Einzelelemente auch in umgekehrter Richtung (d.h. aus einem Windows-Programm in das Suchfenster) funktioniert. Die Kommunikation zwischen Lexiface und Microsoft-Produkten sowie der Freetext-Datenbank Asksam (Version 4) gibt keinerlei Anlaß zur Klage. Lediglich die (zugegebenermaßen) immer kleiner werdende Fan-Gemeinde von WordPerfect (Version 8.0 und 9.0) muß gewisse Einschränkungen in Kaufnehmen. Denn zum Kopieren ist der Umweg über die Zwischenablage zwingend erforderlich. Abbildungen werden dabei nicht importiert und stehen somit unter WordPerfect nicht zur Verfügung. Fazit: Gelegentlich wird darüber spekuliert, daß elektronische Wörterbücher mit entsprechend innovativem Potential „die papierorientierten in absehbarer Zeit verdrängen werden" 13 • Vom PONS Lexiface- Wörterbuch (Französisch) wird man das kaum behaupten können. Denn trotz einfacher und problemloser Bedienung weist es in bezug auf Präsentation und Recherche-Optionen unübersehbare Schwächen auf, die z.T. mit der Philosophie der (i-Finger) Nachschlage-Software zusammenhängen. Jedenfalls hat die (wenig durchdachte) Beschränkung der Zugriffsmöglichkeiten auf das Wörterbuch, die es dem Benutzer u.a. nicht erlaubt, den Datenbestand nach bestimmten Kriterien gezielt abzusuchen und die Lexiface gegenüber der Benutzung der Papierversion lediglich einen Geschwindigkeitsvorteil verschafft, den Rezensenten nicht zu überzeugen vermocht. In dieser Einschätzung fühlt er sich im übrigen bestärkt 11 Nicht zu erklären ist, warum dagegen sowohl die Eingabe tfcrite als auch tfcrit zum Artikel tfcrit (n.m.) führt und nicht zu tfcrire. 12 Besonders deutlich wird dies u.a., wenn die 'Hilfe' bei aktivierter Suchfunktion aufgerufen wird oder wenn man nacheinander die Kollokationspartner von Bedeutung gewinnen anklickt. 13 Andrea Lehr: "Zur neuen Lexicographica-Rubrik 'Electronic Dictionaries"'. In: Lexicographica 12 (1996), 316. lFLl.llL 31 (2002) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 253 durch den direkten Vergleich mit Konkurrenzprodukten, insbesondere mit Langenscheidts Pop-up Technologie, die bei den XL Wörterbüchern Englisch insofern kaum Wünsche offenläßt, als sie blitzschnelles Nachschlagen per Mausklick in praktisch jeder Computer-Arbeitsumgebung mit einer beeindruckenden Fülle von Suchfunktionen und individuellen Einstellungsmöglichkeiten verbindet. Bielefeld Ekkehard Zöfgen Frank G. KÖNIGS (Hrsg.): Impulse aus der Sprachlehrforschung. Marburger Vorträge zur Ausbildung von Fremdsprachenlehrerinnen und -Lehrern. Tübingen: Narr 2001, 185 Seiten [19,90 €] Im Sommersemester 2000 fand an der Philipps-Universität Marburg eine Vortragsreihe statt, in der Vertreter unterschiedlicher Sprachen und Positionen innerhalb der Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung ihre Vorstellungen von einer angemessenen Ausbildung von Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrern darlegten. Der vorliegende Band vereinigt diese insgesamt 7 Beiträge, ergänzt um ein Positionspapier zur Fremdsprachenlehrerausbildung, das im Frühjahr 2000 auf einer Reflexionstagung in Rauischholzhausen entstanden ist. Die Beitragenden sind (in der Reihenfolge der Artikel) Frank G. Königs, Albert Raasch, Dieter Wolff, Dietmar Rösler, Clans Gnutzmann, Franz-Joseph Meißner und Eike Thürmann. Das Anliegen dieses Bandes besteht darin, zu den derzeit in der Bildungspolitik diskutierten strukturellen Neuorientierungen in der Fremdsprachenlehrerausbildung Stellung zu beziehen, wie auch auf inhaltlicher Ebene innovative Akzente für ein zukünftiges Curriculum zu setzen, das gezielt auf den Beruf Fremdsprachenlehrer/ -lehrerin vorbereitet. Im strukturellen Bereich geht es in erster Linie um die gestufte Lehrerbildung im Kontext der Internationalisierung der Studiengänge, den Berufsfeldbezug sowie das Selbstverständnis und die Funktion der Fremdsprachendidaktik/ Sprachlehrforschung innerhalb einer organischen Verzahnung zwischen Fachwissenschaften und Erziehungswissenschaft. Insbesondere der einleitende Beitrag von Frank G. Königs "Aufbruch zu neuen Ufern? -Ja, aber wo geht's da lang? Überlegungen zur Neustrukturierung der Ausbildung von Fremdsprachenlehrern") diskutiert diese Fragen und bezieht kritisch Stellung zu den zur Zeit in der Diskussion befindlichen Modellen. Im Kontext der Internationalisierungsdebatte geht es um die Anpassung der Lehrerausbildung an die Bachelor-Master-Studiengänge mit den bekannten Argumenten, Studienzeiten zu verkürzen, internationale Vergleichbarkeit herzustellen sowie Bachelor- Absolventen flexibler auf dem Arbeitsmarkt einsetzen zu können. Königs sieht jedoch für die Lehrerausbildung hier große Nachteile: Am Beispiel der in NRW geplanten gestuften Lehrerausbildung, die während der BA-Phase ein rein fachwissenschaftliches Studium vorsieht und dann, in der MA-Phase in zwei Semestern erziehungswissenschaftliche und fachdidaktische Inhalte vermittelt, zeigt er auf, wie so die bislang angestrebte und auch in weiten Teilen praktizierte Verzahnung von fachlichen Inhalten mit Unterrichtskompetenzen, die den Kern professionellen Lehrerhandelns ausmacht, konterkariert wird. Das andere umstrittene bildungspolitische Thema ist der sogenannte Berufsfeldbezug: Hier geht es um das Verhältnis von den Fachwissenschaften, die ein grundsätzlich wissenschaftlich orientiertes Studium wünschen, und andererseits der Notwendigkeit, für zukünftige Lehrerinnen und Lehrer eine berufsorientierte Wissenschaftlichkeit anzustreben. Letzteres bedeutet keinesfalls eine Anwendungsübung im praxeologischen Sinn, sondern eine systematische Entwicklung von Schlüsselqualifikationen auf der Basis aller dafür relevanten an der Universität gelehrten Fächern, den Fachwissenschaften, den Erziehungswissenschaften wie den Fachdidaktiken. Eine Funktionalisierung der fachwissenschaftlichen Inhalte im Hinblick auf das spätere Tätigkeitsfeld muß gewährleistet sein. Im folgenden entwickelt Königs die zentralen Aufgaben dieser drei Säulen einer zukunftsorientierten Lehrerausbildung: Den Beitrag der Erziehungswissenschaften sieht er vor allem in der Bereitstellung eines Theorierahmens, in dem Sichtweisen über Unterricht, Alltagswissen über Lehrerhandeln sowie eigene erste Praxiserfahrungen theoretisch angeleitet ins Blickfeld genommen werden können. Historisch-politische, gesellschaftliche, institutionelle und individuelle Bedingungen pädagogischen Handelns müssen verbunden mit dem JFLIJIL 31 (2002) 254 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel Erwerb eines Methoden- und Kenntnisrepertoires als Voraussetzung systematischer Beobachtung und empirisch begründeter Reflexion durchdacht werden. In Bezug auf die Rolle der Fremdsprachendidaktik innerhalb der Lehrerausbildung diskutiert Königs die Frage, in welchem vor allem auch quantitativen Verhältnis die Elemente der Fachwissenschaften (Linguistik, Literatur, Landeskunde, Sprachpraxis), der Fachdidaktik und den Erziehungswissenschaften innerhalb der Lehrerausbildung stehen. Ziel müßte in diesem Kontext eine organische Vernetzung der einzelnen Ausbildungskomponenten sein. Fremdsprachendidaktik versteht sich dabei keineswegs als lediglich bestimmte Fertigkeiten antrainierende Praxis. Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung haben im Gegenteil ein ausgeprägtes Wissenschafts- und Selbstverständnis entwickelt: Es geht um theoriebasierte Ansätze für das Lernen und Lehren von Sprachen auf der Basis gegenstandsspezifischer Forschungsmethoden. Fremdsprachendidaktik nimmt somit eine Brückenfunktion zwischen Fachwissenschaften und Allgemeiner Didaktik ein. Ein besonderes Problem liegt darin, daß die Fachwissenschaften bislang wenig bereit waren, ihre Inhalte im Kontext der Lehrerausbildung zu reflektieren. Insbesondere der Bereich Sprachpraxis stellt dabei ein Problem dar: Im Hinblick auf Lehrerausbildung müßte gerade dieser Bereich effektiviert, ausgedehnt und auf den Lehrerberuf funktionalisiert werden. Wichtige Punkte im diesem Kontext sind: Anbindung der Sprachpraxisausbildung an Zertifizierungssysteme, Kooperationen zwischen „Sprachpraktikern" und Fremdsprachendidaktikern, Abstimmung mit Austauschprogrammen, Ausrichtung hin auf eine Didaktik der Mehrsprachigkeit. Königs schlägt im folgenden vor, wie die unmittelbar fremdsprachendidaktischen Ausbildungselemente ausgerichtet sein sollten. Ein entscheidender Punkt ist der Faktor der Vernetzung: Wünschenswert wären gemeinsame Lehrveranstaltungen zwischen Vertreterinnen und Vertretern der Fachwissenschaften und Fremdsprachendidaktiken sowie Verknüpfungen zwischen Fremdsprachendidaktik und Allgemeiner Didaktik. Ziel sind integrative Ausbildungskonzepte, die sich nicht von Fachegoismen leiten lassen, sondern die das Ziel der Ausbildung fest in den Blick nehmen. Auf der inhaltlichen Ebene wird .in dem Band eine breite Palette von innovativen Vorschlägen präsentiert. Ich gehe hier nur auf diejenigen ein, die besonders im Vordergrund stehen. So ist Mehrsprachigkeit eines der Hauptthemen des Bandes. Fast alle Autoren sprechen dieses Thema an, insbesondere Albert Raasch "Was man sich für die Ausbildung von Lehramtsstudierenden wünschen könnte, nein: Was man fordern muß"), Franz-Joseph Meißner "Mehrsprachigkeitsdidaktik im Studium von Lehrenden fremder Sprachen") und Eike Thürmann "Schule im Wandel - und was daraus für die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern für den Fremdsprachenunterricht folgt"). In diesem Kontext wird kritisiert, daß zur Zeit zukünftige Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer ein stark ausgeprägtes zielkulturelles und zielsprachliches berufliches Selbstverständnis haben und dadurch den traditionell der Fremdsprachendidaktik zugrunde liegenden Monolingualen Habitus (Ingrid Gogolin) perpetuieren. Gefordert wird dagegen, Lehrerinnen und Lehrer von vornherein mehrsprachig auszubilden und vor allem auch die DaF-Perspektive grundsätzlich mit einzubeziehen. Sie sollen damit in die Lage versetzt werden, sprachenübergreifende Aspekte im Sinne einer.Didaktik der Mehrsprachigkeit vermitteln zu können, z.B. Aspekte individueller und gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität, sprachlich-kulturelle Pluralität, Vermitteln in mehrsprachigen Situationen und Sensibilisierung für die „komplexen Sprachenlandschaften" (Eike Thürmann) in den Köpfen der Lernenden. Ziel ist ein mehrsprachiger Habitus. Im Zusammenhang damit steht die Forderung nach verstärkter Akzentuierung einer innovativen Landeskunde-Didaktik wie auch Interkulturellem Lernen. Zwar ist, so z.B. Raasch, generell akzeptiert, daß Landeskunde zum Kanon der Ausbildung gehört; es sei aber noch ein weiter Weg, bis dieser letztlich politisch zu verstehende - Handlungsaspekt hinreichend einbezogen sei. Überhaupt sei das Bewußtsein über die sprachenpolitische Bedeutung fremdsprachlichen Handelns bei zukünftigen Lehrerinnen und Lehrern zu schärfen. Die Rolle und Bedeutung europäischer Sprachenpolitik (z.B. Europarat, Sprachenportfolio, Europäischer Referenzrahmen) sollte mehr Gewicht erhalten. Daneben sollten aber auch globale Fragen der Sprachenökologie, des Spracherhalts und des Sprachimperialismus angesprochen werden. Gerade den letzten Aspekt thematisiert Clans Gnutzmann in seinem Beitrag „English as a global language. Zu einigen möglichen Konsequenzen für den Englischunterricht und die Englischlehreraus- IFLwL 31 (2002) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 255 bildung". Zum einen sollte nach Gnutzmann die Ambivalenz der Globalisierung des Englischen sowie die Funktion und Rolle der unterschiedlichen Englishes zum Thema gemacht werden. Der Autor fordert ein ergänzendes Nebeneinander von ENL (English as a native language), ELF (English as lingua franca) und EFL (English as a foreign language). Auch er wünscht sich mehr interdisziplinäre Projektveranstaltungen für die Englischlehrerausbildung, in denen den politischen, wirtschaftlichen, linguistischen und kulturellen Implikationen genüge getan wird. Ein weiterer Punkt, der bei Raasch, Thürmann wie auch bei Dietmar Rösler "Fachwissen, Neue Medien und Projektarbeit in der Ausbildung von Fremdsprachenlehrern - Impulse aus dem Fach Deutsch als Fremdsprache") und Dieter Wolff "Neue Technologien und die Ausbildung von Fremdsprachenlehrern") angesprochen wird, ist die Fähigkeit, Sprachlernkompetenz zu vermitteln. Zukünftige Sprachlehrerinnen und -lehrer müssen lernen, auf nachschulisches Sprachenlernen dezidiert vorzubereiten: Vermittlung von Lernstrategien, Autonomes Lernen und language learning awareness sollten einen angemessenen Platz in der Ausbildung erhalten. Insbesondere Wolff und Rösler betonen das Potential der Neuen Medien für den Fremdsprachenunterricht und fordern mehr Gewicht für die Mediendidaktik in der Ausbildung. Zukünftige Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer sollten computer literacy erlangen und in der Lage sein, virtuelle Lernumgebungen zu gestalten, z.B. Formen des Distance learning wie E-mail Tandem oder MOO-Umgebungen. Fazit: Aufgrund von Globalisierung, Migration, zunehmender lebensweltlicher Mehrsprachigkeit und medialer Entwicklungen das macht der vorliegende Band deutlich sind lange Zeit etablierte Leitziele und Prinzipien der Fremdsprachenlehrerausbildung kritisch in einem neuen Licht zu sehen und zu reformieren. Gleichzeitig wird deutlich: Mehrsprachigkeit und kulturelle Weitsicht werden immer mehr zu Schlüsselkompetenzen. Bleibt zu hoffen, daß die reflektierten und nachhaltigen curricularen Vorschläge für die Fremdsprachenlehrerausbildung nicht durch kurzsichtige Sparmodelle an den Massenuniversitäten torpediert werden. Hamburg Adelheid Hu Mathilde HENNIG unter Mitarbeit von Carsten HENNIG: Welche Grammatik braucht der Mensch? Grammatikenführer für Deutsch als Fremdsprache. München: iudicium 2001, 216 Seiten [25,- €] Unter Grammatik wird in der vorliegenden Publikation eine linguistische oder didaktische Referenzgrammatik verstanden, also ein Nachschlagewerk, das sich zum prinzipiellen Ziel setzt, die Gesamtheit der sprachlichen Regeln einer Sprache zu beschreiben, nach denen Sprecher dieser Sprache morphosyntaktisch korrekte wie auch der Kommunikation angemessene Sätze verstehen und produzieren. Faktisch kann ein Handbuch dieser Art - und das gilt auch für linguistische Referenzgrammatiken diesen Anspruch nicht einlösen. Im allgemeinen findet eine Eingrenzung der sprachlichen Varietäten zugunsten der Standardvarietät statt, und die Beschreibung der granunatischer Phänomene erfolgt in unterschiedlicher Breite und Tiefe, jeweils nach Anlage, Zielsetzung und Umfang einer Grammatik. Die Frage, inwieweit die Standardsprache aufgefaßt wird als eine funktional differenzierte Varietät im Hinblick auf eine Unterscheidung zwischen gesprochener und geschriebener Sprache sowie zwischen verschiedenen Graden von Formalität wird von den Referenzgranunatiken unterschiedlich beantwortet. Wenn man wie Hennig der Überzeugung ist, wofür es gute Gründe gibt, daß Grammatiken in der von ihr verwendeten Bedeutung eine Verbindung zwischen linguistischer Forschung und fremdsprachlicher Praxis herstellen, dann sind sie untersuchenswert hinsichtlich ihrer Leistung für den Bereich Deutsch als Fremdsprache und somit legitimer und notwendiger Gegenstand einer „Grammatikendidaktik" (5). Das Buch besteht aus fünf Teilen: 1 Einleitung, 2 Die Kriterienkataloge, 3 Die Grammatiken, 4 Rezensionsverzeichnis, 5 Auswahlbibliographie. In der Einleitung werden Anliegen, Zielgruppe, Aufbau des Buches und die Kriterien für die Auswahl der untersuchten Granunatiken behandelt. Da die „Grammatikenlandschaft" seit Ende der achtziger Jahre vielfältiger, aber auch unüberschaubarer geworden ist, JFILIDJJL 31 (2002) 256 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel ist es das Bestreben des „Grammatikenführers", einen Überblick über die derzeit kommerziell vertriebenen Grammatiken des Deutschen mit Bezug auf die jeweiligen Zielgruppen und Anwendungen zu liefern. Es wird zu Recht darauf hingewiesen, daß es die „beste Grammatik" nicht geben kann; denn "Grammatiken können nur im Zusammenhang mit ihren Benutzern eingeordnet und bewertet werden" (8). Adressaten des Buches sind alle, die sich im weitesten Sinne mit Deutsch als Fremdsprache beschäftigen, vor allem wendet es sich an Lehrende und Studierende des Faches Deutsch als Fremdsprache. Die nicht unproblematische, aber im Kontext der vorliegenden Untersuchung nachvollziehbare Unterteilung in linguistische und didaktische Grammatiken erfolgt aufgrund eines pragmatischen Abgrenzungskriteriums: Als didaktische Grammatiken werden solche klassifiziert, deren Autoren den Anwendungsbereich DaF explizit benennen. Wenn (auch) andere Zielgruppen genannt werden, handelt es sich um linguistische Grammatiken. Linguistische Grammatiken sind von der Autorin in die Untersuchung aufgenommen worden, weil didaktische Grammatiken nicht immer die Informationen enthalten, die zukünftige DaF-Lehrer benötigen. Die Beschreibung der insgesamt 22 Grammatiken beginnt immer mit einer Zusammenfassung, in der die spezifischen Leistungen der jeweiligen Grammatik und die Möglichkeiten ihres Einsatzes aufgeführt werden. Die ausführlichere Verortung geschieht mit Hilfe von zwei, sich größtenteils überlappenden Kriterienkatalogen zu linguistischen und didaktischen Grammatiken. Dabei ist der Hinweis, daß „Kriterienkataloge Objektivität vorgaukeln" angesichts der expliziten und impliziten Ansprüche mancher solcher Kataloge in der Vergangenheit durchaus passend, ebenso wie die Einlassung, "daß sowohl die Erstellung der Fragen als auch ihre Beantwortung durch unsere subjektiven Erfahrungen und Einstellungen zu Grammatiken geprägt sind" (11). Fragen wie "Sind die Beispiele authentisch oder konstruiert? " können beispielsweise im Kontext einer korpusorientierten Grammatikbeschreibung eine Wertung zugunsten authentischer Beispiele suggerieren. Wenn sich Lernende hingegen über ein grammatisches Phänomen zunächst in seinen Grundzügen informieren wollen, so kann eine Exemplifizierung desselben durch ein möglicherweise komplexes, schwer verständliches authentisches Beispiel in diesem Fall eher hinderlich und demotivierend sein, im Vergleich etwa zu einem konstruierten, aber dafür vielleicht witzigen und einleuchtenden. Für die Auswahl der untersuchten Grammatiken wurden die folgenden Kriterien herangezogen: auf dem deutschen Markt verfügbar, keine Stichwortgrammatiken oder tabellarische Übersichten, keine Einzelsondern Gesamtdarstellungen, keine grammatischen Übungsbücher, keine sich ausschließlich an deutsche Schüler richtende Grammatiken, keine kontrastiven Grammatiken. Das zweite Kapitel beginnt mit meiner Auflistung von Arbeitsfragen zur Einordnung und Bewertung von didaktischen und linguistischen Grammatiken. Beide Kriterieukataloge enthalten Fragen zu Konzeption, Aufbau, Darstellungsweise, Beispielen sowie zu Bewertung und Einordnung der Grammatiken. Als für didaktische Grammatiken spezifische Kriterien werden Didaktisierung und Layout, als für linguistische Grammatiken spezifische Kriterien werden Umsetzung und Wissenschaftlichkeit berücksichtigt. Zum besseren Verständnis seien im folgenden einige Fragen beispielhaft aufgelistet: Konzeption (Welche Zielgruppe spricht die Grammatik an? Bezieht sich die Grammatik ausdrücklich auf einen bestimmten linguistischen Ansatz? ), Aufbau (Welche Teile enthält die Grammatik? Wie sind sie angeordnet? Welche Teile gehen über den traditionellen Kern einer Grammatik hinaus? ), Darstellungsweise (Was für Termini werden verwendet? Finden Besonderheiten der gesprochenen Sprache Eingang in die Grammatik? Ist die Grammatik eher normativ-präskriptiv oder deskriptiv? ), Beispiele (Werden Satz- oder Textbeispiele angeführt? Entstammen die Beispiele der gesprochenen und/ oder der geschriebenen Sprache? ) Bewertung und Einordnung (Ist die Grammatik für die angesprochene Zielgruppe geeignet? Stehen grammatischer Inhalt und didaktische Vereinfachungen bzw. Auflockerungen in einem angemessenen Verhältnis? bzw. bei linguistischen Grammatiken: In welchem Verhältnis stehen Verständlichkeit und Wissenschaftlichkeit der Darstellung? ). Das Kriterium der Didaktisierung wird durch die folgenden Fragen operationalisiert: Auf welche Weise wird berücksichtigt, daß es sich um eine didaktische Grammatik handelt? Werden aus didaktischen Gründen - Vereinfachungen vorgenommen? Inwiefern wird versucht, den Stoff verständlich und evtl. auch angenehm darzubieten? Für das Kriterium Wissenschaftlichkeit werden die folgenden Fragen aufgeführt: Werden Hinweise zur Behandlung des lFJLwL 31 (2002) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 257 jeweiligen Problems in der linguistischen Forschung gegeben? In welcher Form erfolgen die Hinweise? Wird eine „Regel" präsentiert oder werden mehrere Ansätze nebeneinander dargestellt? Gibt es ein Literaturverzeichnis? Welchen Umfang hat es? Das 3. Kapitel "Die Grammatiken") ist das Kernstück des Buches. In ihm werden auf der Grundlage der Kriterienkataloge die folgenden didaktischen, in drei Schwierigkeitsstufen unterteilte Grammatiken analysiert. Grundstufe: Fandrychffallowitz, Häussermann/ Kars, Reimann; Mittelstufe: Dreyer/ Schmitt, Gloyer, Latour, Rug/ Tomaszewski; Oberstufe: Buscha [et al.], Engel/ Tertel, Hall/ Scheiner, Helbig/ Buscha, Heringer, Schauen. Linguistische Grammatiken: Drosdowski, Eisenberg, Engel, Flämig, Götze/ Hess-Lüttich; Hentschel/ Weydt, Sommerfeldt, Weinrich, Zifoun. Die Analysen und Bewertungen der einzelnen Grammatiken zeichnen sich trotz der aus dem Charakter der Untersuchung ergebenden notwendigen Kürze durch einen hohen Grad an Informativität und Differenziertheit aus, sie sind zweifelsohne hilfreich für diejenigen Lehrenden und Lernenden, die sich auf der Suche nach einer ihren spezifischen Ansprüchen genügende didaktischen oder linguistischen Grammatik befinden. Das von der Verfasserin gesteckte Ziel, interessierten Lesern praktische und begründete Entscheidungshilfe bei der Wahl einer geeigneten Grammatik für ihre jeweiligen Anwendungen zu liefern, erfüllt das Buch zweifellos. Es ist verständlich geschrieben und klar strukturiert, die Kriterienkataloge sind plausibel und von der anvisierten Zielgruppe des Buches gut handhabbar. Aber das Buch könnte noch mehr leisten: Zum Beispiel wäre es möglich, wenn man der Publikation eine stärkere theoretische Fundierung geben möchte, die Kriterien mit Bezug auf theoretische Konzepte linguistischer und didaktischer Grammatiken herzuleiten und zu legitimieren. Auch die derzeit anvisierte Leserschaft wäre sehr wahrscheinlich in der Lage, dieses theoretische Additum zu verkraften. Für eine wünschenswerte weitere Auflage sollte das Buch um eine Zusammenschau der Einzelanalysen bereichert werden. Wenn es gelänge, in diesem Kapitel, die wichtigsten Ergebnisse der Einzelanalysen zusammenzutragen und zu verallgemeinern, dann wäre hiermit zusätzlich ein bisher noch ausstehender Beitrag zu einer empirisch fundierten Unterscheidung von linguistischer und didaktischer Grammatik geleistet. Es würde sich in diesem Fall sehr wahrscheinlich auch zeigen, daß diese Unterscheidung sich in vielen Fällen lediglich als eine idealtypische und empirisch nicht immer haltbare erweist. Insbesondere für das von der allgemeinen Linguistik ausgegebene Credo der Deskriptivität würde sich zeigen, daß auch so genannte wissenschaftliche Grammatiken vielfach präskriptive Züge zeigen. Diese manifestieren sich in der Auswahl der zugrunde gelegten Varietät(en), aber auch in der selbst für ein grammatisches Handbuch notwendigen Reduktion der grammatischen Komplexität der behandelten Phänomene. Insofern wäre es wahrscheinlich angemessener, den Gegensatz deskriptiv-präskriptiv nicht als Ausschlußbeziehung, sondern als eine Beziehung des Mehr-oder-Weniger zu betrachten. Diese Entwicklung wird von der Verfasserin durchaus erkannt, wenn sie beispielsweise der Grammatik von Helbig/ Buscha attestiert, "den „didaktischen Filter" und Wissenschaftlichkeit zu vereinen, so daß ihre Grammatik sowohl didaktische als auch linguistische Grammatik" (101) ist. Insgesamt handelt es sich bei dem „Grammatikenführer" um ein seiner Zielsetzung voll gerecht werdendes Buch, dessen Potential für eine empirische Erforschung der Beziehung von linguistischer und didaktischer Grammatik noch weiter genutzt werden könnte. Braunschweig Claus Gnutzmann Käthe HENSCHELMANN: Problem-bewußtes Übersetzen: Französisch-Deutsch. Ein Arbeitsbuch. Tübingen: Narr 1999 (Narr Studienbücher), 261 Seiten [17,40 €] Arbeitsbücher auf dem Gebiet der deutsch-französischen Übersetzung, die die Erkenntnisse übersetzungstheoretischer Forschung der letzten vier Jahrzehnte didaktisch umsetzen, sind seit langem ein Desiderat, das auf Grund mangelnder Wirtschaftlichkeit (so die Antwort eines Verlegers auf einen entsprechenden Vorschlag) wohl nicht so schnell erfüllt werden wird. Schon allein aus diesem Grund ist das vorliegende Arbeitsbuch willkommen zu heißen. Gegenüber den bisher bekannten Vertretern dieser Gattung im deutsch-französischen Bereich beschränkt es sich nicht auf das klassische Muster 'ausgangslFLl.llL 31 (2002) 258 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel sprachlicher Text - Musterübersetzung - Anmerkungen (hauptsächlich grammatikalischer und synonymischer Art)', sondern verarbeitet Forschungsergebnisse der letzten vier Jahrzehnte in den „Einführungen" zu den jeweiligen Punkten, auf die dann ein oder mehrere Texte mit Übersetzung und Kommentaren folgen. Anregungen zu nachbereitenden Aufgaben, mit denen u.a. erfreulicherweise auch die für das übersetzerische Handeln so wichtige Formulierungskompetenz trainiert werden kann und die das Bewußtsein für die jeweils angesprochene Problematik schärfen, vervollkommnen den didaktischen Ansatz. Die zahlreichen Literaturhinweise liefern dem Lehrenden eine ausführliche Dokumentation zur Vorbereitung seiner Veranstaltung. Dieser Dokumentation bedarf es allerdings kaum, da es sich bei den durchschnittlich fünfzehn Seiten langen „Einführungen" um regelrechte Abhandlungen zur jeweiligen Thematik handelt, in denen die dazugehörige Fachliteratur (bis hin zu kontrastiv angelegten Listen mit den in beiden Sprachen zur Verfügung stehenden lexikalischen oder grammatikalischen Möglichkeiten) didaktisch aufbereitet ist. Dies gilt vornehmlich für den ersten, auf sprachliche Strukturen abgestimmten Teil, wobei unter grammatikalischen Elementen selbstverständlich auch makrostrukturelle Gliederungselemente und neuere Erkenntnisse der Textlinguistik (z.B. Fragen der ebenfalls kontrastiv behandelten Textkohärenz) mit einbezogen werden. Gegenüber anderen Arbeitsbüchern, vor allem aus dem deutsch-englischen Übersetzungsbereich, die ebenfalls übersetzungswissenschaftliche Erkenntnisse neueren Datums verarbeiten, zeichnet sich das vorliegende Werk durch die systematische Behandlung mikrostruktureller Probleme aus, die der zweisprachige routinierte Übersetzer sicher intuitiv löst, die den Lerner jedoch immer wieder zu interferenzbedingten stilistischen Fehlern verleiten. Es handelt sich um die aus der Unterrichtspraxis bekannten Alltagsprobleme, wie etwa den semantischen Wert des Numerus, z.B. Plural als Steigerung oder Intensivierung (la lenteur die Langsamkeit vs. les lenteurs de l 'administration die Schwe,fälligkeit). Auch wenn die Vfin. immer wieder vor klischeehaften Vorstellungen, wie „Abstraktheit der französischen Sprache" (68, 109) warnt, sieht sie diese einzelnen Phänomene vor dem Hintergrund allgemeiner richtungweisender Tendenzen, die beim Übersetzen aus dem Französischen ins Deutsche im Auge behalten werden sollten. So wird die Übersetzung von information durch Berichterstattung einem im Deutschen stärker ausgeprägten Charakterisierungsbedürfnis zugeschrieben "Charakterisierungsschub", 108), welches zu Übersetzungen wie forets - Waldbes(and, industries - Industriezweige, usw. führt. Auch Begriffe aus der 'Stylistique comparee' werden wieder aufgegriffen, wie z.B. 'animisme"Innenschau") des Französischen vs. "Außenschau" des Deutschen (si le temps le permet bei günstiger Witterung). Manchmal ist die Darstellung dieser allgemeinen Tendenzen jedoch widersprüchlich. Einerseits werden Behauptungen bezüglich der „naiven These von der 'Abstraktheit der franz. Sprache"' (109) oder das von der 'Stylistique comparee' beschriebene französisch-deutsche „Implizitäts-Explizitäts-Gefälle" (123) verurteilt. Andererseits ist im Kapitel 'Abstraktionshierarchie der Kulturvermittlung' zu lesen: "Der Druck (Kommunikationsgewohnheiten des Durchschnittssprechers) weist im Französischen eher in Richtung Abstraktion/ Reduktion, im Deutschen eher in Richtung Konkretisierung/ Charakterisierung (vgl. Einführung Text 4)" (142). Der Querverweis auf die Einführung zu Text 4 bestätigt nur diesen Widerspruch, denn offensichtlich bezieht er sich auf die Passage, in der die Vfin. die oben dargestellte Dichotomie der 'Stylistique comparee' "Innenschau (frz.)/ Außenschau (dtsch)"] übernimmt und somit dieses Paar praktisch dem Paar „Abstraktheit (frz.) - Konkretheit (dtsch)" gleichstellt. Auch Sätze wie „Das Phänomen der Verweisung und Gliederung mittels Abstrakta [...] ist nur ein Teilaspekt dessen, was ohnehin französische Sprechergewohnheit ist" (107), oder Formulierungen wie „Präferenz des Deutschen zur Präzisierung" (150) tragen insofern zur Unklarheit bei, als sie die Vorstellung von der Abstraktheit des Französischen noch verstärken. Der von Vfin. geprägte Begriff eines „taciteischen Stiiideals" (108), mit dem sie das „jahrhundertealte kulturelle Ausdrucksideal der Sparsamkeit" (107) bezeichnet, das sie dem Französischen zuschreibt, geht in die gleiche Richtung. Inwiefern sich allerdings die verallgemeinernde Vorstellung eines derartigen taciteischen Stilideals mit der im Bereich der Satz- und Textverknüpfung festgestellten „größeren Präferenz für die Unterordnung" im Französischen vereinen läßt, wird nicht erklärt; es heißt nur: "Die mehr unterordnende Sinnverknüpfung im Französischen steht der mehr ]F]Lw, 31 (2002) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 259 gleichordnenden Sinnverknüpfung [im Deutschen] gegenüber" (124). Entspräche da nicht die von der Vfin. dem Deutschen zugeschriebene Parataxe eher dem Verständnis des taciteischen Sparsarnkeitsideals, so wie sie es verstanden haben will? Sowohl der den sprachlichen Mikro- und Makrostrukturen (32-138) als auch der den Aspekten des Kulturkontextes gewidmete Teil (138-194) erweisen sich durch die zahlreichen Beispiele als ein wertvoller Führer auf dem Weg zur Bewußtmachung der durch die kulturelle Markiertheit von Texten aufgeworfenen Übersetzungsprobleme. Allerdings herrscht erneut Unklarheit, wenn es ums Grundsätzliche geht. Bekanntlich stehen sich in der Übersetzungswissenschaft die Anhänger von zwei diametral entgegengesetzten Überzeugungen gegenüber: diejenigen, die sich dem Ausgangs-Text verpflichtet fühlen, und diejenigen, die empfängerbezogen übersetzen, 'sourciers' und 'ciblistes' (in der Terminologie von J.-R. Ladmiral). Die Vfin. liefert uns in dieser Beziehung keine klaren Entscheidungskriterien. Nachdem sie textimmanente Funktionstypen herausgearbeitet hat, die als Steuerungselemente "intertextuelle Filter") bei der Übersetzung richtungweisend sein sollen (196, 207), setzt sie diese teilweise wieder außer Kraft, indem sie sie als „nichts als eine Orientierungsgröße für die zu fällende Grundsatzentscheidung: Festhalten am Primat der zielkulturellen Normen oder am Primat der ausgangskulturellen Normen" (205) darstellt. Unsicherheit zeigt sich auch in Sätzen wie: "Wohl aber neigt sich das Pendel bei der Wahl der Übersetzungsverfahren immer häufiger vom Primat der Ausgangssprache[ ... ] zum Primat der Zielsprache" (151). Daneben wird immer wieder auf den Zielempfänger verwiesen, für den die Übersetzung „nachvollziehbar" sein muß (148, 149, 153). Wäre es da nicht sinnvoll, die Prinzipien der Skopostheorie darzulegen, die vom Auftraggeber ausgeht und „Wirkungsgleichheit" bei gleichbleibender Funktion fordert, aber auch Funktionsänderung durch den Auftraggeber zuläßt? Die von Vfin. aufgeworfene Problematik der ausgangstextbzw. zieltextorientierten Übersetzung würde damit in einen größeren Rahmen gestellt, der auch die Entscheidungskriterien liefert. Damit würde auch die in ihrer Verallgemeinerung irreführende Behauptung, daß bei der Übersetzung von Urkunden das „Primat der ausgangssprachlichen Normen" gilt (206), hinfällig. Damit eine Urkunde Rechtskraft erlangt, ist häufig eine Anpassung an die zielsprachliche Norm zwingend erforderlich; beispielsweise wäre die evozierte „Destandardisierung" (206) bei der Übersetzung von notariellen Urkunden zu Immobilienkäufen aus dem Französischen ins Portugiesische fehl am Platz. Eine stärkere Fokussierung der sprachlich-kulturellen Information auf die das jeweilige Kapitel bestimmende Thematik in den sehr ausführlichen einführenden Bemerkungen sowie im abschließenden Übersetzungsbeispiel würden zur Schärfung des Problembewußtseins des autonomen Lerners beitragen, der manchmal klare, allgemein richtungweisende Übersetzungsprinzipien vermissen wird (wie z.B. im oben erwähnten Fall der ausgangs- oder zieltextorientierten Übersetzung). Statt dessen finden wir zahlreiche Listen von mikrostrukturellen Entsprechungen zwischen beiden Sprachen, deren Nutzen als Problemlösungsverfahren auf mikrostruktureller Ebene unbestritten ist, die aber Gefahren bergen: Paarweise Zumdnungen (wie z.B.: en outre des weiteren neben ensuite darüber hinaus, S. 125) erwecken beim Lerner, der aufgrund seiner „Übersetzungsmaximen" ausgangssprachlichen Wörtern zielsprachliche feste Entsprechungen zuordnet, den Eindruck, als handele es sich hier um zwei semantisch unterschiedliche Verknüpfungselemente. Besser wäre eine Darstellung in Form von Thesauri, wie sie Dobrovol'skij für die kontrastive Darstellung von Phraseologismen empfiehlt. Sinnvoll wäre auch eine soziolektale Markierung sowie Frequenzangaben (nach Möglichkeit mit einem kontextualisierten Beispiel). Leider finden sich (auch) in den französischen Texten zahlreiche (Druck-)Fehler. Bei einer Neuauflage sollten zumindest die folgenden ausgemerzt werden: V.T.T. = velo a tout transporter (154)-+ velo tout terrain bzw. velo tous terrains, avoir quelque chances de (91)-+ avoir quelque chance de,faire le point de qch. (226) -+ faire le point sur qch., concuire (239) --+ conduire,fait leve (88) -+ fait lever, gfcle (101)-+ gicle, ma"itresse (148, zweimal)-+ maftresse, reconna"itre (156, dreimal)-+ reconnaitre, on (103,4)-+ ont,foret (211) -+ foret, decentralisaiton (171) -+ decentralisation, noyan (38)-+ noyau, les collecitvites locales (169)-+ ! es collectivites locales, enegie (64) -+ energie. Schließlich: Les eleves se ruent dehors la classe zur Übersetzung von Die Schüler rennen in die Pause (238) klingt sehr archaisch. Besser wäre: se ruent dans la cour de recreation. FILI.IL 31 (2002) 260 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel Fazit: Trotz der erwähnten Schwächen ist das Buch als Übungsbuch zu empfehlen. Einerseits gibt es dem Lerner ein Instrumentarium an die Hand, das das einschließt, was Wilss „Fertigkeiten" nennt, und mit dem sich Routineprobleme lösen lassen; auf einer höheren Ebene vermittelt es ihm andererseits Problembewußtsein und versetzt ihn dadurch in die Lage, seine Übersetzungsvorschläge theoretisch zu untermauern und mit Hilfe der dargestellten kontrastiven Analysen auch empirisch zu fundieren. Wer allerdings Asterix übersetzen will und nach Kreativität sucht, der sollte sich mit der halben Seite, die hier der Intuition gewidmet ist, nicht zufriedengeben. Bielefeld Bernd Stefanink Gisela THOME, Claudia GIEHL, Heidrun GERZYMISCH-ARBOGAST (Hrsg.): Kultur und Übersetzung. Methodologische Probleme des Kulturtransfers mit ausgewählten Beiträgen des Saarbrücker Symposiums 1999. Tübingen: Narr 2002 (Jahrbuch Übersetzen und Dolmetschen 2/ 2001), X+ 349 Seiten [49,- €] Das im Titel dieses Bandes angesprochene Thema verspricht Antworten auf hochaktuelle Forschungsfragen. Insofern kommt den Aufsätzen von Klaus Mudersbach [= K. M.] (mit fast 60 S.) und Georgio Floms [= G. F.] (20 S.), in denen ein für den Übersetzer relevantes Konzept von Kultur inklusive theoretischer Begründung und methodologisch fundierter Gebrauchsanwendung (Mudersbach) sowie beispielhafter Praxisanwendung (Floms) dargestellt wird, eine zentrale Bedeutung zu (S. VII). K. M. präsentiert eine elaboriertere Form seines bereits in Ansätzen bekannten Konzepts der die verschiedenen Lebensbereiche einer Kulturgemeinschaft strukturierenden Kultursysteme. Diese Kultursysteme sollen das Hintergrundwissen darstellen, das der Verfasser und der Rezipient des ausgangssprachlichen Textes besitzen und von dem jeweils nur einzelne Elemente im Text aktualisiert sind. G. F. nennt die so auf der Textebene aktivierten kulturellen Elemente die „kulturelle Konstellation" des Textes. Laut K. M. und G.F. beruht das Textverständnis auf diesem Kohärenz stiftenden Hintergrundwissen. G. F. versucht, dies an einem Beispiel deutlich zu machen. Es handelt sich um einen Werbetext für die "Lufthansa Card": Wer mit dieser Card seinen Flug bucht, kann sicher sein, daß ihm keine „Meilen" (etwa aus Unachtsamkeit) verlorengehen. Nach meinem Verständnis ist dies eigentlich das zu übersetzende «Rhema» des Textes. 14 Das Hintergrundwissen, das im einführenden Satz dieses Werbetextes - "Was bringt der Euro? Meilen! " angesprochen wird, ist die Unsicherheit, die die Eurobenutzer verspüren, wozu die Sicherheit, die ihnen dagegen die Lufthansa Card bietet, im Kontrast steht. Dies wird im abschließenden zentralen Satz durch das Englische noch unterstrichen deutlich: Buy now, fly later. Dieser Satz muß selbstverständlich als ein Pastiche des in der Werbesprache bereits als Phraseologismus eingebürgertem Buy now, pay later verstanden werden; er stellt eine werbeträchtige 'connivence' mit Meilen hortenden Vielfliegern her, denen das Englisch dieser Werbesprache und der entsprechende Werbeslogan geläufig sind. Die appellative Wirkung dieser 'connivence' soll zum Kauf animieren. Soweit mein Verständnis dieses Textes und die Aspekte, für die der angehende Übersetzer eines solchen Textes sensibilisiert werden müßte. G. F. erwähnt diese Aspekte mit keinem Wort. Sein einziger Kommentar zu diesem Satz, nachdem er das Buy now aus der phraseologischen Struktur herausgelöst hat: Buy now ist die Aktualisierung des Aspektes „Offizielles Zahlungsmittel", der sich aus dem Kultursystem zum Lebensbereich „Euro" ergibt. In Anwendung der Mudersbachschen Methode hat G. F. nämlich das Wort „Euro" zum Anlaß genommen, eine elaborierte Darstellung des 'Kultursystems' "Europäische Währung" vorzunehmen, in der mit etwa 20 Elementen alle Aspekte angeführt werden, die auch nur im entferntesten mit dem Euro zu tun haben: von der Geschichte der Einführung des Euro (1. Phase, 2. Phase, Vorläufer ECU, usw) bis hin zu den Beziehungen der an diesem Währungssystem beteiligten Staaten zueinander. Der Bezug zum Rhema und zur Funktion des Textes geht dabei unter. Inwieweit ist 14 Vgl. hierzu Bernd Stefanink: « Traduire le rheme ». In: In Memoriam Emilia-Rodica Iordache. Craiova: Analele Universitatii din Craiova 1999 (Seria "Langues et Litteratures Romanes" An III, Nr. 4), 122-136. lFILtU! L 31 (2002) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 261 die Information „offizielles Zahlungsmittel" für die Textkohärenz unerläßlich? Warum soll sich der Übersetzer mit dem Aspekt „offizielles Zahlungsmittel" des Euro befassen, von dem man aufgrund des Kontextes mit Sicherheit annehmen kann, daß er weder beim Textverfasser noch beim ausgangssprachlichen Textrezipienten präsent ist? Wissen wir nicht spätestens seit der Prototypensemantik, daß es in semantischen Kategorien Elemente gibt, die für die Kategorie repräsentativer sind als andere? Sie haben so könnte man sagen eine stärkere semantische Dichte. Darüber hinaus hat uns Ronald Langacker mit seinem Begriff des "Figure/ Ground alignment" auf die einer derartigen Kategorie innewohnende potentielle Dynamik aufmerksam gemacht. Dies berücksichtigt die Mudersbachsche Methode nicht, in der alle Elemente gleichwertig nebeneinandergestellt werden. Die Berufung von K. M. auf den (statischen) "Valeur"-Begriff Saussures zur Kennzeichnung des durch seinen „Zweck" bestimmten (und somit dynamisch ausgerichteten) Holems (174) bestätigt diesen Eindruck einer fundamental strukturalistischen Sicht, die dem Textverständnis nicht gerecht wird. Von diesen theoretischen Bedenken abgesehen ist eine Darstellung sämtlicher Kultursysteme, die für die im Text angesprochenen Lebensbereiche zuständig sind, kaum durchführbar. So ist z.B. das von G. F. zu diesem kurzen Werbetext dargestellte Kultursystem „Europäische Währung" nur eines unter vielen. Darüber hinaus läßt der Text „eine Fülle von weiteren Kultursystemen erkennen (Kommunikation, Kreditkarten, Werbung), die aber hier aus Platzgründen nicht entwickelt werden können" (85), wie der Vf. selbst schreibt.« Vaste programme! », comme disait le General de Gaulle, quand quelqu'un, dans la foule, a crie « Mort aux cons ! ». Man stelle sich die Aufgabe des Übersetzers vor, der einen längeren Text zu übersetzen hat! Dies um so mehr als G. F. hinter dem letzten ltem seiner Aspektaufzählung auch noch drei Pünktchen folgen läßt, die darauf hindeuten, daß er seine Liste nicht für erschöpft hält. Was 'bringt' nun diese aufwendige Analyse falls sie überhaupt durchführbar wäre für den Übersetzer. Konkret auf diesen Text bezogen fällt die Antwort von G. F. bescheiden aus, nämlich daß es „im Fall einer Übersetzung ins Englische für den amerikanischen Sprachraum nicht aus[reicht], wenn der Übersetzer 'Euro' mit 'Dollar' ersetzt" (90). Als ob man diesen Text, der so spezifisch auf die Verunsicherung des Europäers bezüglich der neuen Währung aufbaut, überhaupt 'übersetzen' und diese Werbung nicht dem kulturellen Hintergrund angepaßt neu gestalten würde! G. F. ist allerdings von der Möglichkeit einer derartigen Übersetzung als „Übersetzungsauftrag" überzeugt, so wie er auch meint, daß seine Darstellung für den „nichtmuttersprachlichen Übersetzer hilfreich" sein dürfte (90). Ein weiteres Problem ist die Frage nach dem „Kulturkenner", auf dessen Schultern die gesamte Verantwortung für die so fundamental wichtige Abgrenzung der einzelnen Lebensbereiche liegt. Wie kann er, bei der Beantwortung des langen Fragenkatalogs, mittels dessen die einzelnen Lebensbereiche kulturell strukturiert werden sollen, subjektive Beurteilungen vermeiden? Statt sich mit derartigen erschöpfenden strukturellen Erfassungen ganzer Kultursysteme abzugeben, sollte der Übersetzer für das (protoypisch) für das Textverständnis Relevante sensibilisiert werden! Taucht dabei ein Problem aufgrund kultureller Unterschiede auf, sollte er problemrelevant vorgehen und auf die für die Lösung dieses Problems relevanten kulturellen Hintergründe eingehen. "Problemrelevante" Textanalyse an Stelle von erschöpfender Erfassung von Kultursystemen! 15 Dazu bedarf es keiner terminologischen Überfrachtung (auf französisch würde ich von einemfatras terminologique sprechen), wie sie für K. Ms. Darlegung charakteristisch ist. 16 15 Mehr dazu in Bernd Stefanink: " 'Esprit de finesse' - 'Esprit de geometrie': Das Verhältnis von 'Intuition' und 'übersetzerrelevanter Textanalyse' beim Übersetzen". In: Rudi Keller (Hrsg.): Linguistik und Übersetzen. Tübingen: Narr 1997, 161-183. 16 So z.B. wenn die Termini Kantifizierung und Dekantifizierung in Ableitung von I. Kant gebildet werden und auf Kants „Auffassung, daß wir als erkennende (rezipierende) Subjekte unsere Kategorien und Schemata mitbringen und über das zu Erkennende strukturierend darüber legen" (177) zurückgeführt werden, um den viel allgemeineren Prozeß der Explizierung von Impliziten, für den Rezipienten bzw. das Weglassen von Impliziten seitens des Verfassers zu beschreiben. Die Termini Halon und Holem (dem Mudersbachspezialisten bereits aus früheren Publikationen bekannt) fügen den Erkenntnissen der Skopostheorie nichts wesentlich Neues hinzu. lFILlllL 31 (2002) 262 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel Vom didaktischen Standpunkt mag es sinnvoll sein, sich zusammen mit angehenden Lernern mit diesem Modell auseinanderzusetzen. Aus übersetzungspraktischer Perspektive kann jedoch nicht ernsthaft mit G. F. angenommen werden, daß „nichtmuttersprachliche Übersetzer" (90) mit derartig 'fleischlosen' Schemata, die nicht auf die relevanten Textstellen bezogen sind und die nicht zum Textverständnis beitragen, etwas anfangen könnten vorausgesetzt, sie ließen sich aufgrund des Aufwands mehr als exemplarisch realisieren. Diese nicht-muttersprachlichen Übersetzer können mit den Antworten auf die Fragenkataloge vorausgesetzt man findet den „Kulturkenner", der sie professionell beantworten kann genauso wenig Kultur lernen, wie man Sprache mit dem Wörterbuch lernen kann. Für eine ausführlichere Besprechung der weiteren, zum Teil sehr interessanten Beiträge fehlt der Platz. Werner Koller untersucht die wachsende Rolle, die die Kultur seit den siebziger Jahren in der Übersetzungswissenschaft gespielt hat, wobei er an Kritik gegenüber seiner früheren Auffassung nicht spart. Albrecht Neubert macht auf eine Reihe anderer Kontexte aufmerksam, die neben dem kulturellen Kontext ebenfalls für das Übersetzen relevant sind. David Horton zeigt auf, welche kulturelle Dimensionen bei der Übersetzung von Alice in Wanderland zu berücksichtigen sind und zu welchen mehr oder minder kreativen Lösungen die verschiedenen Übersetzer gekommen sind. Gisela Thome präsentiert eine Reihe von „Methoden des Kompensierens in der literarischen Übersetzung". W eitere Artikel setzen sich mit Einzelproblemen auseinander, von der vergleichenden Metaphernkonstitution im Text bis hin zu den Dolmetschproblemen in der Videokonferenz. Ein Buch, mit dem eine Auseinandersetzung aufgrund der Vielfalt der sowohl auf praktischer als auch auf theoretischer Ebene angesprochenen Probleme sicher lohnt, auch wenn die übersetzungswissenschaftliche Argumentation nicht immer zu überzeugen vermag. Bielefeld Bernd Stefanink Stephan GRAMLEY: The Vocabulary ofWorld English. London: Arnold & New York: Oxford University Press 2001 (The English Language Series), xiv + 323 Seiten [17.99 J: : ] Ten years ago, Stephan Gramley co-authored an excellent introductory contribution to English studies, namely, Survey of Modern English (London: Routledge 1992). With the present publication he has come back alone (though his Bielefeld colleague Kurt-Michael Pätzold cooperated in its early phase) with another admirable survey, this time, however, focussing on a specific linguistic field, lexicology. In line with the design of The English Language Series, he has, moreover, taken into account the global role of English in its many shapes and forms; furthermore, the book is first and foremost a contribution to language leaming and teaching. And finally, in spite ofhis didactic approach, the author has managed to strike a balance between a compilation of empirical material and an explanation of linguistic concepts, some of them basic and traditional, others admirably innovative. Grarnley reveals a wide understanding oflexicology. The first chapter, it is true, deals with traditional (structuralist) issues of lexicology, such as "the mental lexicon", and dictionary entries (with a very useful description of English dictionaries and a brief look at, and critical assessment of, thesauri). But Gramley then also emphasises the importance of encyclopedic knowledge and "cultural literacy" (p. 17) and generally sees vocabulary as conditioned by various factors, including those non-systemic ones of history and usage. These factors, which the author keeps returning to in the rest of the book, are: Meaning, Word Formation, Pronunciation, Use (by which Gramley covers style, field, function, medium, domain, and speech acts), Spelling, User (e.g. age, ethnicity), Grammar, and History. In line with this extremely wide concept of lexicology, the book covers a surprising amount of fascinating material which at first sight occasionally, however, seems far-fetched, for example, in the case of animal sounds in different (even non-English) languages, or the proper terms for British and non- British systems of education, or favourite types of word formation in selected New Englishes, or the different connotations of the colour-term "blue" in different English-speaking cultures. lFlLIIL 31 (2002) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 263 The inclusion of dozens of English varieties, mainly regionalects, gives the present book its admirable global touch. While most of its results are bound to be second-hand, the author's own expertise and knowledgeable application of the data for whatever point he is making are still obvious and most impressing; they suggest many years ofkeen preparatory work before this book was written. With all this the author always reveals sound arguments and a well-balanced critical attitude towards his sources, when, for example, he discusses the Catholic vs. Protestant attitude in selected Ulster proverbs (p. 147 t). All in all, the book is a treasure house of linguistic and cultural information, probably too much for any student to grasp in one sitting, but given the fact that the list of topics includes even the "language of the drug culture", typical terms of rap lyrics and ESP examples such as military jargon and that of air traffic control, the book no doubt offers something to everybody. The final "Glossary and Index", a combinaton of definitions of the main technical terms and of references to chapters and sub-chapters (why not pages? ), allows the reader to trace the details. In view of the frequent references to secondary sources it would, however, have been helpful for the reader to find an additional index of proper names. The book would also have profited from a list of words discussed. But these are minor points. The main strengths of the book under review are its didactic ambition and achievement and yet its high scholarly level. Since the book is intended as an introduction, all the chapters except the introductory one and the last one, which offers a summary and an outlook, have careful initial announcements of the scheduled investigation and also helpful summaries at the end. Moreover, the reader is regularly encouraged to go through exercises and project work. Additionally, a good number of areas dealt with have been given special treatment in the form of case studies: a large number of concrete problems, such as the functioning of auxiliary have or shall, should and must (pp. 43-45), are discussed to illustrate the validity of a theoretical linguistic point, in this case the use theory of meaning. I have always found the author' s linguistic reasoning sound and convincing. And the book, intentionally written in "plain English" (p. XIII), is no doubt suitable for use in introductory work in language studies, as intended. The book's overall structure reveals its ambitious aims. There are nine chapters altogether. Chapters 2-4 and 6--8 are dedicated to one particular type of English (native or first language, second language, foreign language, and international). Chapter 5 is a pivotal point, offering an introduction to usage categories and problems of language contact. In addition to the pursuit of these general purposes, each chapter raises a particular question that refers to the study of the lexicon: ( 1) resources, (2) the sources of words and meaning, (3) the comparison of words and of meaning, (4) change in vocabulary and meaning, (5) language contact and usage variation, (6) influence ofthe linguistic background, and (7) and (8) social and pragmatic aspects of vocabulary use. The last chapter (9) offers a concluding short discussion of the question oflanguage policy, namely whether, under the influence ofthe present globalisation, English is now on its way to convergence or divergence and the answer is that it is moving in both directions. Such a comprehensive discussion of international English vocabulary may be seen by specialised fellow researchers as fragmentary, shallow or "impressionistic", as the author himself suspects on one occasion when commenting on English word formation in the southern hemisphere (p. 91). A book of 323 pages is also bound to have a few mistakes. 17 Personally I think that Gramley, an Arnerican native speaker by background with many years of European experience, may occasionally overburden even the benevolent reader by ignoring the foreigner' s language barrier and, above all, by trying to cover too many topics at a time. For example, a subchapter like that on proverbs, interesting as it is, seems to carry the domain of lexicology a bit too far, at the cost of argumentative depth. Lack of depth will also be noticed by the reader, when, for example, he is factually informed about the influence of AmE on Liberian English the historical reasons for this influence under President Monroe are not topicalised. Perhaps here Gramley has taken the readers' farniliarity with Arnerican history too much for granted. 17 p. 35: eponoymous-> eponymous; p. 121: lbgo-> lgbo; p. 122, fn.4: grown-> grow; p. 155, 4th line of text: delete or; p. 193, line 15: expression(s), delete the s; p. 204, 5th line from bottom: and the, delete the. FlLi.nlL 31 (2002) 264 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel But all in all the book is a successful and admirable compromise between factual information, linguistic reasoning and didactic adaptation. Thanks to its wealth of examples, the international breadth of its horizon, and, above all, its ambitious linguistic problem-raising, Gramley's book, even though an introduction, is still quite challenging to ambitious students of English linguistics, and both instructive and entertaining for university and school teachers ofEnglish world-wide. The exercises are very suitable for classwork. While the general arrangement of the book, due to its complex concept of what lexicology means, is not so obvious at first sight, the author' s argumentation is always competent, fundamentally convincing and great fun to read. Grarnley' s book will probably seil weil. lt definitely deserves to do so. Innsbruck Manfred Markus Torsten SCHLAK: Adressatenspezifische Grammatikarbeit im Fremdsprachenunterricht. Eine qualitativethnographische Studie. Hohengehren: Schneider Verlag 2000 (Perspektiven Deutsch als Fremdsprache; 14), 291 Seiten [17,50 €] Ausgebend von der Erkenntnis, daß es globale Methodenkonzepte oder gar eine optimale Methode des Fremdsprachenlehrens und -lernens nicht gibt, vertritt Torsten Schlak in seiner bei Gert Henrici an der Universität Bielefeld durchgeführten Dissertation das Konzept einer „zielgruppenorientierten Methodikforschung". Dieses zumindest in der deutschen Forschung bisher nur wenig angewandte Konzept wird im 1. Kapitel der Arbeit komprimiert und gut verständlich dargestellt. Die zielgruppenorientierte Methodikforschung, die der ethnographischen Forschungstradition zugerechnet wird, ist der Idee der Faktorenkomplexion verpflichtet und basiert darüber hinaus auf den theoretischen Annahmen des Konzepts subjektiver Theorien, der individuellen Lernstile sowie der Bedarfsanalysen im Kontext von Curriculumentwicklung. Zielgruppenorientierte Methodikforschung versucht, "den aktuellen Forschungsstand zu einem didaktisch/ methodischen [sie] Problembereich mit Blick auf den spezifischen Lernkontext einer konkreten Zielgruppe (empirisch) zu bewerten" (7). Aufgrund dieser Bewertung können dann Empfehlungen im Sinne von Handlungsvorschlägen bzw. Handlungsalternativen „für die Unterrichtspraxis mit dieser [Hervorhebung C.G.] Zielgruppe" (7) abgeleitet werden. Weiterhin heißt es, daß sich die gewonnenen Ergebnisse auf vergleichbare Kontexte übertragen lassen: "Je ähnlicher sich zwei Kontexte sind, desto eher können in dem einen Kontext ermittelte Ergebnisse auf den anderen transferiert werden" (11). Nach welchen Kriterien die Vergleichbarkeit ermittelt werden kann, wird allerdings nicht expliziert. Sie beruht sehr wahrscheinlich auch weniger auf objektivierbaren Kriterien; denn qualitativ-ethnographische Forschung unterliegt der „Subjektivität, den persönlichen Werten, Einstellungen, Interessen, Normen und Orientierungen der forschenden Personen" (64). Ein wichtiges Charakteristikum qualitativ-ethnographischer Forschung besteht darin, daß die Forschenden eine Innenperspektive einnehmen, um „den Zielkontext aus der Perspektive derer, die in ihm agieren, beschreiben und verstehen zu können" (13). Die Tatsache, daß qualitativ-ethnographische Forschung longitudinal angelegt ist, bedeutet für die Erforschung von Fremdsprachenunterricht, daß sich Forscher in der Regel über „ein Semester" (13) in ihrem Forschungskontext aufhalten sollten; die Zeitangabe unterstreicht im übrigen, daß die Erforschung von Sprachlehr- und -lernprozessen in den USA vorrangig im Universitätsbereich stattfindet. Nur durch diesen Aufenthalt im Forschungskontext sei es möglich, eine vertrauensvolle Atmosphäre mit den „Forschungsteilnehmern" (nicht mehr „Probanden") wie Lehrenden und Lernenden aufzubauen, Fehlinformationen zu entdecken und die Glaubwürdigkeit einer Untersuchung zu erhöhen. Letzteres werde vor allem durch Triangulation im Hinblick auf Methoden und Techniken der Datenergebung und durch Theorietriangulation, i.e. durch die „Interpretation eines Datensatzes aus verschiedenen theoretischen Perspektiven" erreicht (13). Warum sich insbesondere in der deutschen Literatur (z.B. Grotjahn 1995) 18 das nominale Derivat von „triangulär" (dreieckig) zum 18 Rüdiger GROTJAHN: "Empirische Forschungsmethoden: Überblick". In: BAUSCH, Karl-Richard/ CHRIST, ]F][,w., 31 (2002) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 265 Ausdruck von „mehr als eins" etabliert hat, bleibt für einen Leser, der die Verwendung fachsprachlicher Begriffe auch im Kontext ihrer sprachlichen Entwicklung verstehen möchte, offen. Wäre es nicht vielleicht günstiger, von einem Prinzip der Triangulation, wie Ellis (1990: 69) 19 es tut, zu sprechen und darunter die (drei) unterschiedlichen Sichtweisen auf Sprachlernprozesse von Lehrenden, Lernenden und Forschenden zu verstehen und in der Folge im Hinblick auf Daten, Methoden, Theorien etc. von mehrperspektischen Zugriffen o.ä. zu sprechen? Die theoretische Zielsetzung einer qualitativ-ethnographischen, die mehrschichtigen Erfahrungen, Einstellungen etc. von Lehrenden und Lernenden einbeziehenden Studie, einer sog. "thick description", hebt weder auf Erklärung noch Vorhersage ab, sondern zielt auf „Interpretation" (20). Dies ist wohl auch der Grund, warum im Kontext eines solchen Forschungsansatzes lieber von „Transferierbarkeit" als von „Generalisierbarkeit" von Ergebnissen gesprochen wird (11). Angesichts einer solchen Ausgangslage erscheint allerdings die Frage, inwieweit die Ergebnisse qualitativ-ethnographischer Untersuchungen in den untersuchten Lerngruppen überhaupt zum Tragen kommen können, schon aus rein praktischen Gründen bedenkenswert, dauert es doch erfahrungsgemäß nach der Erhebung der Daten eine nicht unerhebliche Zeit, diese zu beschreiben, zu analysieren und auszuwerten. Dabei wird mit hoher Wahrscheinlichkeit sogar davon auszugehen sein, daß in den allermeisten Fällen die untersuchte Lerngruppe, auf der die Studie basiert und für die sie vorrangig durchgeführt wurde, gar nicht mehr existiert, zumindest im Hochschul- und Weiterbildungsbereich. Wenn die Fremdsprachunterrichtsforschung richtigerweise vom Prinzip der Methodenoptimierung Abschied genommen hat, wenn außerdem die Generalisierung bzw. Transferierbarkeit von im Rahmen eines qualitativ-ethnographischen Ansatzes gewonnenen Forschungsergebnissen nur in sehr eingeschränkter Form gegeben ist und die Anwendung dieser Ergebnisse für die untersuchte Zielgruppe erheblichen praktischen Beschränkungen unterliegt, dann wird hieran die Schwierigkeit der wissenschaftlichen Erforschung von Sprachlehr- und -lernprozessen besonders augenfällig. In Kap. 2 werden Fragestellungen, Methodologie und Datengrundlage der Arbeit vorgestellt. Die Untersuchung basiert auf zwei an der Universität Hawaii im „Frühlingssemester" 1997 von amerikanischen Lehrenden unterrichteten Deutschkursen, die von Schlak „beobachtet" wurden. Bei den Sprachkursen handelt es sich um den Kurs „Business German" (14 Teilnehmer) und um die auf diesen Kurs vorbereitende Veranstaltung „Intermediate German" (9 Teilnehmer). Das dem empirischen Teil der Untersuchung vorangehende „Herbstsemester" wurde gemäß den Erfordernissen einer ethnographischen Studie vom Verfasser dazu genutzt, um „Zugang zum Forschungsfeld zu erlangen, das Forschungsfeld und seine wichtigsten Akteure kennenzulernen, Vertrauen mit den Forschungsteilnehmern aufzubauen und eine Pilotstudie durchzuführen" (59). Das Kapitel enthält eine Reihe recht aufschlußreicher Informationen zum Hintergrund der Untersuchung, wie etwa zur ökonomischen und soziokulturellen Situation Hawaiis und zur Stellung des Fremdsprachenlernens in den USA allgemein. Für den kontinentaleuropäischen Leser, der nicht bereits über die Verhältnisse informiert ist, wird die Feststellung überraschend sein, daß in den Jahrgangsstufen 7-12 nur 35,2% und in der Jahrgangsstufe 1-6 sogar lediglich 4,5% der Schüler eine Fremdsprache erlernen. Angesichts solcher Zahlen entbehren im europäischen Kontext gültige Prinzipien wie „Fremdsprachenunterricht für alle! " oder gar „Mehrsprachigkeit" jeglicher Grundlage, von einer Realisierung derselben ganz zu schweigen. Die weitaus überwiegende Mehrheit der Lernenden wird also das erste Mal während ihres Studiums mit einer Fremdsprache konfrontiert, so auch auf Hawaii, wo dann erst an der Universität der Fremdsprachenunterricht in Form eines zweijährigen „language requirements" obligatorisch ist. Der Verfasser war überrascht vom „konservativ erscheinenden Deutschunterricht" und zunächst ebenso von der „Ablehnung der 'Entgrammatisierung' des Deutschunterrichts", die ihn schließlich zu der Herbert/ KRUMM, Hans-Jürgen (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 3. Auflage Tübingen/ Basel: Francke 1995, 457-461. 19 Rod ELLIS: lnstructed Second Language Acquisition. Oxford: Blackwell 1990. IFlLlllL 31 (2002) 266 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel· Frage führte, "ob es denn überhaupt Sinn machte, gegen Meinungen und Einstellungen der Lehrenden und Lernenden anzukämpfen" (36). Da gegen die „deutliche Grammatikbetonung" nichts auszurichten war, "entstand die Idee, spezifische methodische Vorschläge für die Grammatikarbeit im Wirtschaftsdeutschunterricht an nordamerikanischen Colleges zu entwickeln" (36). Die folgenden Fragestellungen stellten sich im Laufe des Forschungsprozesses als die zentralen heraus (36): 1. Welches Modell für den Wirtschaftsdeutschunterricht eignet sich für die ausgewählte Zielgruppe? 2. Welcher Grammatikbegriff sollte dem Unterricht zugrunde gelegt werden? 3. Ist explizite Grammatikvermittlung für den Unterricht zu empfehlen? 4. Welche grammatischen Phänomene sollten vermittelt werden? 5. (Wie) sollte der Zielgruppe Grammatik im Unterricht erklärt werden? 6. Sollte Grammatik induktiv oder deduktiv vermittelt werden? 7. (Wie) kann autonomes Lernen, insbesondere die Vermittlung von Lernstrategien für die Grammatikarbeit, mit der Zielgruppe realisiert werden? In Kap. 3 werden die Ergebnisse der Arbeit, i.e. die Antworten auf die sieben Fragen, präsentiert. Hierzu wird zunächst die für die jeweiligen Fragestellungen einschlägige Forschungsliteratur herangezogen und so der aktuelle Forschungsstand ermittelt. Die Darstellung und Auswertung der Forschungsstände zu den verschiedenen Fragestellungen dokumentiert die hervorragende Literaturkenntnis des Verfassers wie auch seine Fähigkeit, Forschungsergebnisse in ihrer Genese und in ihren potentiellen Anwendungen zu perspektivieren. Allerdings verhält es sich im Rahmen des qualitativ-ethnographischen Ansatzes nicht so, daß der jeweilige erreichte Stand der Forschung als das maßgebliche Analyse- und Bewertungsinstrument für den erteilten Fremdsprachenunterricht herangezogen wird. Vielmehr liefern die verschiedenen Datensätze, die zur Beschreibung des Unterrichtsgeschehens erhoben worden sind, eine ebenso wichtige Grundlage, um aus der Innenperspektive des beobachteten Fremdsprachenunterrichts Handlungsalternativen für Lehrende und Lernende anzubieten, auf deren Zusammenfassung hier allerdings verzichtet werden muß; denn die im Detail beschriebenen und begründeten Handlungsalternativen „zu den einzelnen Fragestellungen dieser Arbeit sind nur schwer zu komprimieren" (226). Die von Schlak durchgeführten Unterrichtsbeobachtungen wurden ergänzt durch die Heranziehung einschlägiger „Dokumente" (Stellungnahmen von Verbänden, WWW-sites fremdsprachlicher Abteilungen in den USA, Statistiken etc.) sowie durch Interviews, die er mit Lehrenden und Lernenden durchführte. Hierdurch sind umfangreiche und wertvolle Untersuchungsmaterialien gewonnen worden, die aufgrund ihrer unterschiedlichen Erhebungstechniken und Aufbereitungen und der sich daraus ergebenden multiperspektivischen, sich gegenseitig komplementierenden Zugriffe interessante Einblicke in den Ablauf der stattfindenden Lehr- und Lernprozesse bereitstellen können. Zweifellos ist es Schlak mit dem von ihm gewählten Ansatz in sehr überzeugender Weise gelungen, die Komplexität der Lehr- und Lernprozesse sowie die diese intern und extern beeinflussenden Faktoren in den von ihm untersuchten Lerngruppen deutlich zu machen. Im Gegensatz zu globalen Methodenkonzepten will qualitativethnographische Forschung den Fremdsprachenunterricht nur allmählich und von innen heraus verändern. Das Ziel einer "thick description" und ihrer Interpretation besteht somit darin, methodische Handlungsempfehlungen und -alternativen zu entwickeln, "die mit den Bedürfnissen der Lehrenden und Lernenden und den spezifischen Rahmenbedingungen des untersuchten Fremdsprachenunterrichts harmonieren" (226). Das hat zur Folge, daß sich Fremdsprachenunterricht im Kontext des qualitativethnographischen Ansatzes durchaus von allgemein anerkannten und theoretisch begründeten Prinzipien abwenden kann, ja sogar muß, wie dies Schlak im Hinblick auf die Frage des zugrunde zu legenden weiten oder engen - Grammatikbegriffs vorschlägt. Schlak kommt hier zu dem Ergebnis, daß trotz "überzeugender theoretischer Argumente für die Berücksichtigung eines weiten Grammatikbegriffs ... aufgrund der verwendeten Lehrmaterialien und der Lernerfahrungen der Lehrenden und Lernenden eine Umstellung des Unterrichts auf einen weiten Grammatikbegriff nicht unproblematisch wäre" (226). Die vorliegende Arbeit kann all denjenigen Lesern nachdrücklich empfohlen werden, die sich über den aktuellen Forschungsstand des Grammatikunterrichts informieren möchten. Sie ist darüber hinaus JFJLIUIL 31 (2002) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 267 von hohem forschungsmethodologischen Interesse, weil sie eine komprimierte, aber gleichzeitig fundierte Darstellung der qualitativ-ethnographischen Methode liefert und diese exemplarisch an zwei amerikanischen Lerngruppen aus dem Bereich Wirtschaftsdeutsch empirisch untersucht. Braunschweig Claus Gnutzmann Marcel PERENNEC: Elements de traduction compareefram; ais-allemand. Paris: Nathan 1993 (Langues 128), 128 Seiten [49,- FF] Si je me permets d'attirer l'attention sur ce livre malgre la date de publication relativement ancienne, c' est qu' il est peu connu en Allemagne. Et pourtant, Perennec nous fournit une parfaite demonstration de l'utilite de la stylistique comparee appliquee au fram; : ais et a l'allemand et vient ainsi apporter un complement precieux a la formation de l'etudiant allemand qui prepare son « Staatsexamen » de langue fran1raise. En effet, alors que la traductologie allemande n'a prete qu'une attention passagere aux retombees traductologiques de la stylistique comparee pour se vouer aux apports de la pragmatique et de la linguistique du texte, voire aux recherches sur la creativite, la traductologie fran1raise a su exploiter bien plus intensement les apports de la linguistique au niveau micro-structural, tels qu'ils ont ete introduits dans 1' approche mise en reuvre par Vinay et Darbelnet. Apres nous avoir mis en garde contre le malentendu qui consisterait a croire qu'apprendre a traduire se reduirait a maitriser les « techniques de transposition » qu'il nous presente, Perennec nous apprend a analyser contrastivement les structures linguistiques du fran1rais et de l' allemand, nous permettant ainsi de justifier un certain nombre de nos choix traduisants par des explications grammaticales tres pertinentes. Chacun de ces phenomenes grammaticaux est illustre par de nombreux exemples et chaque chapitre est suivi d'exercices de reemploi, permettant de tester et de fixer l'acquis. Les corriges de ces exercices, a la fin du livre, en font un outil parfait pour un auto-apprentissage de ce que Wilss a appele des« Fertigkeiten » elementaires, permettant de ne pas se perdre dans le dedale des problemes grammaticaux pour mieux se consacrer aux problemes fondamentaux faisant appel a la creativite du traducteur. Aucun bilingue n' etant a l' abri des interferences, on en trouvera aussi chez Perennec : « Am Himmel folgten sich Dunst, Hitze und Regen» (110) est certainement du au fran1rais « La brume, 1a chaleur et la pluie se succederent dans le ciel ». Malgre cet appel a la vigilance, en ce qui conceme le caractere idiomatique des exemples allemands (qui ne representera cependant pas un probleme majeur pour le locuteur natif allemand), cet ouvrage est a recommander pour l'entrainement a la traduction du point de vue micro-structural autant pour l'autoapprentissage que pour l' utilisation en salle de classe. Bielefeld Bernd Stefanink lFLIDIL 31 (2002) 268 Neuerscheinungen • Eingegangene Bücher Eingegangene Bücher • ANTIA, Bassey Edern: Terminology and Language Planning. An alternativeframework ofpractice and discourse. Amsterdam/ Philadelphia: Benjamins 2000 (Terminology and lexicography research and practice; 2), xxiv + 264 Seiten. (**) BERNECKER, Walter L. / VENCES, Ursula (Hrsg.): Von der traditionellen Landeskunde zum interkulturellen Lernen Berlin: ed. tranvia, Verl. Frey 2001 (Theorie und Praxis des modernen Spanischunterrichts; Band 3), 241 Seiten. BRECHT, Berthold: Leben des Galilei. Audio Book, 2 MC. Berlin: Cornelsen 2001 (Litera Media). CARAVOLAS, Jean A.: Histoire de la didactique des langues au siecle des lumieres. Precis et anthologie thematique. Montreal: Presses de l'Universite & Tübingen: Narr 2000, XVI+ 549 Seiten.(**) GRAMLEY, Stephan: The Vocabulary ofWorld English. London: Arnold (Tue English Language Series), xiv + 323 Seiten. (*) Hauptsache ICH. Erzählprosa nach 1990. Texte und Materialien ausgewählt und bearbeitet von Helmut · Flad. Berlin: Conielsen 2002 (Klassische Schullektüre), 144 Seiten. Langenscheidts Großes Schulwörterbuch Französisch-Deutsch. Berlin [usw.]: Langenscheidt 2001, 1440 Seiten. Langenscheidts Großes Schulwörterbuch Deutsch-Französisch. Berlin [usw.]: Langenscheidt 2001, 1521 Seiten.(*) LEOPOLD, Eynar: Französisch unterrichten. Grundlagen • Methoden • Anregungen. Seelze-Velber: Kallmeyersche Verlagsbuchhandlung 2002, 456 Seiten.(**) MERTENS, Jürgen: Die sogenannten faux ·amis in schriftlichen Textproduktionen von Lernern des Französischen der Sekundarstufe I. Sprachwissenschaftliche und didaktisch-methodische Überlegungen. Frankfurt/ M. [etc: ]: Lang 2001 (Freiburger Beiträge zur Erziehungswissenschaft und Fachdidaktik; Band 10), 484 Seiten. (**) MlCHLER, Christine (Hrsg.): Ziele und Inhalte des Französischunterrichts in Deutschland. Buts et con- . tenus de l'enseignement du franr; ais en.Allemagne. Kolloquium anlässlich des 60. Geburtstages von Fritz Abel am 7. Dezember 1999. München: Vögel 2002 (Schriften der Philosophischen Fakultät der Universität Augsburg: Nr. 63), 176 Seiten. (**) PONS Lexiface professional. Elektronisches Wörterbuch Deutsch-Französisch, Französisch-Deutsch. CD-ROM. Stuttgart: Klett 2001. (*) SCHMENK, Barbara: Geschlechtsspezifisches Fremdsprachenlernen? Zur Konstruktion geschlechtertypischer Lerner- und Lernbilder in der Fremdsprachenforschung. Tübingen: Stauffenburg (Forum Sprachlehrforschung; Band 4), 286 Seiten.(**) THOME, Gisela/ GIEHL, Claudia/ GERZYMISCH-ARBOGAST, Heidrun (Hrsg.): Kultur und Übersetzung. Methodologische Probleme des Kulturtransfers mit ausgewählten Beiträgen des Saarbrücker Symposiums 1999. Tübingen: Narr 2002 (Jahrbuch Übersetzen und Dolmetschen 2/ 2001), X+ 349 Seiten. (*) Vom Umgang mit dem Schrecken. Literarische Texte und Materialien zum Terrorismus. Ausgewählt und bearbeitet von Herbert Fuchs, Ekk: ehart Mittelberg und Klaus Peter. Berlin: Cornelsen 2002 (Klassische Schullektüre), 144 Seiten. Das Sternchen(*) hinter einem Buch verweist auf den Rezensionsteil. Ein doppeltes Sternchen(**) deutet an, daß eine Besprechung für den Jahrgang 32 (2003) vorgesehen ist. lF! LuL 31 (2002) ________ I_n_f_o_r_m_a_t_i_o_n_e_n __ •_V_o_r_s_c_h_a_u _______ .... l Erklärung zur Ausbildung von Fremdsprachenlehrern/ -lehrerinnen durch die Teilnehmer an der Friihjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts Die Teilnehmer/ -innen der 22. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts erklären zur gegenwärtigen Diskussion über die Lehrerausbildung: 1. Auch in Zukunft ist eine grundständige, an wissenschaftlichen Hochschulen erteilte Lehrerbildung als Voraussetzung für die Ausübung des Lehrberufs notwendig, um den vielfältigen Anforderungen des Lehrens und Lernens von Sprachen in einem vielsprachigen Europa gerecht zu werden. Die hohen Anforderungen bedingen, daß die Lehrerausbildung auch weiterhin eine wissenschaftliche Ausbildung sein muß. 2. Konsekutive Studiengänge, die in der BA-Phase nur einen Fachbezug, nicht aber einen Berufsbezug aufweisen, erschweren die Entwicklung einer beruflichen Kompetenz, die am besten durch ineinander greifende sprachpraktische, fachwissenschaftliche, fachdidaktische und erziehungswissenschaftliche Ausbildungsmodule von Anfang an erreicht werden kann. 3. Fremdsprachenunterricht auf der Primarstufe erfordert eine hohe sprachpraktische, fachwissenschaftliche, fachdidaktische und pädagogische Kompetenz auf Seiten der Lehrerinnen und Lehrer die Ausbildung für diese Aufgabe ist daher in gleichem Maße als eine wissenschaftliche Ausbildung anzulegen. 4. Die Forderung nach einem Berufsfeld- und Praxisbezug der Lehrerausbildung darf nicht als bloße Vermittlung beruflich verwertbarer Fertigkeiten mißverstanden werden. Die erste Ausbildungsphase muß vielmehr die Fähigkeit zur theoriegeleiteten Reflexion des Sprachenlehrens und -Jemens in seinen historisch-politischen, gesellschaftlichen, institutionellen und individuellen Bedingungen entwickeln. Fremdsprachendidaktik und Sprachlehr- und -Iernforschung bilden daher ein unverzichtbares Element dieser Ausbildung. Kontaktadressen: Prof. Dr. FRANK G. KÖNIGS, Philipps-Universität Marburg, Informationszentrum für Fremdsprachenforschung, Hans-Meerwein-Straße, D-35032 Marburg - E-Mail: koenigs@mailer.uni-marburg.de Prof. Dr. HANS-JüRGEN KRUMM, Universität Wien, Institut für Germanistik, Deutsch als Fremdsprache Dr. Karl-Lueger-Ring 1/ Stg. VII, A-1010 Wien - E-Mail: hans-juergen.krumm@univie.ac.at Bafög-Zuschüsse für Schuljahr in USA Deutsche Schüler zwischen 15 und 18 Jahren, die an einem High-School-Year in den USA teilnehmen, haben unter Umständen Anspruch auf einen Zuschuß nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz, der maximal 350 € pro Monat beträgt und für die Zeit des tatsächlichen Schulbesuchs in Amerika fällig wird. Die Beantragung muß vor dem Antritt des Auslandsjahres erfolgen; eine rückwirkende Förderung ist nicht möglich. Formulare sind erhältlich beim Studentenwerk Hamburg, das bundesweit für die Förderung von Ausbildung in den USA zuständig ist: Studentenwerk Hamburg, von-Melle-Park 2, 20146 Hamburg Informationen sind abrufbar unter http: / / www.studentenwerk-hamburg.de Weitere .Ratschläge und wichtige Informationen zu Schuljahren im Ausland enthält eine für 2,50 € erhältliche Infobroschüre des Deutschen Fachverbands High School (DFH), die auch die strengen Qualitätsrichtlinien des DFH enthält: DFH, Raiffeisenstr. 17, 51503 Röösrath. Tel. (0 22 05) 91 33 57, Fax (0 22 05) 91 33 59 http: / / www.highschool.de lFLlllllL 31 (2002) 270 Informationen • Vorschau Das Göttinger Dokumentations- und Informationssystem zu Spracherwerb und Sprachvermittlung fremder Sprachen (GöDISS) eröffnet dank des Internets neue Perspektiven für Forschende, Lehrende und Studierende. Seit dem Sommersemester 2002 steht GöDISS nicht nur den mit Fremdsprachen befaßten Studierenden und Lehrenden der Georg-August-Universität in Göttingen zur Verfügung, sondern ist über seine Homepage von allen an Fremdsprachenerwerb und -vermittlung Interessierten überregional nutzbar. ► WAS IST GöDISS? GöDISS ist ein gemeinsames Projekt des Sprachlehrzentrums und des Seminars für Romanische Philologie der Universität Göttingen, das 1974 am Sprachlehrzentrum mit der Katalogisierung sprachdidaktischer Zeitschriftenaufsätze begonnen worden ist und seit 1990 in seiner aktuellen Organisationsform besteht. Es wird von Prof. Dr. Henning Düwell (Romanisches Seminar) und von Dr. Klaus Vogel (Sprachlehrzentrum) geleitet. ► WAS WILL GöDISS? GöDISS bietet eine Datenbank, die ausgewählte Aufsätze aus ca. 70 Fachzeitschriften und Sammelbänden sowie Rezensionen zu Lehrwerken und Monographien enthält, und ermöglicht Online-Literaturrecherchen in den Bereichen der Spracherwerbsforschung sowie der Didaktik und Methodik des Fremdsprachenunterrichts. Die GöDISS -Datenbank umfaßt gegenwärtig hierzu ca. 26.000 Einträge. Außer dem Schwerpunkt romanische Sprachen werden auch weitere Sprachen wie Englisch, Russisch und Deutsch als Fremdsprache berücksichtigt. ► WIE FUNKTIONIERT DIE GöDISS-DATENBANK? GöDISS ermöglicht Literaturrecherchen nach Autor, Titel und Erscheinungsjahr. Eine Besonderheit von GöDISS ist die Suche von Fachartikeln mit Hilfe von Schlagwörtern, die auf der Internetseite in einem speziellen GöDISS-Katalog angeboten werden. Dort befindet sich auch eine Liste mit den ausgewerteten Fachzeitschriften. Die GöDISS-Datenbank ist kostenlos und auf ihrer Online-Seite überregional verfügbar. Sie wird ständig aktualisiert. ► AN WEN RICHTET SICH GöDISS? GöDISS wendet sich an Forschende, Lehrende und Studierende, die gezielt und themengesteuert Zugang zu Fachliteratur für Fremdsprachenerwerb und Fremdsprachenvermittlung suchen. Damit versteht sich GöDISS als wichtiges Arbeitsinstrument für die Erforschung, die Lehre und das Studium fremder Sprachen. ► So ERREICHEN SIE GöDISS: Im Internet: www.gwdg.de/ ~goediss Anfragen, Kritik und Anregungen an: goediss@gwdg.de Sprachlehrzentrum der Universität Göttingen, Weender Landstraße 2, 37073 Göttingen Tel. 0551/ 39-5484, E-Mail: slzsek@gwdg.de JF[,lllL 31 (2002) Infonnationen • Vorschau 271 Vorschau auf Jahrgang 32 (2003) von FLuL Der von KARIN AGUADO, OLAF BÄRENFÄNGER und SABINE BEYER (alle Universität Bielefeld) koordinierte Themenschwerpunkt für Jahrgang 32 (2003) heißt „Mündliche Produktion in der Fremdsprache". Er reflektiert im wesentlichen den aktuellen Forschungsstand bezüglich der an der mündlichen L2- Produktion beteiligten kognitiven Prozesse Aufmerksamkeit, Monitoring und Automatisierung. Ein inhaltlicher Schwerpunkt ist die Frage, mit welchen Methoden mündliche Sprachproduktion erforscht werden kann und welche Maße dabei sinnvollerweise anzulegen sind. Ferner widmet sich der Themenband der Fragestellung, wie Theorien der Sprachproduktion und des Spracherwerbs miteinander verzahnt werden können. Diese Einzelerkenntnisse bilden die Grundlage für die Erstellung eines L2-erwerbsspezifischen. Sprachproduktionsmodells. Aus der Kooperation von Fachvertretern unterschiedlicher Disziplinen ergibt sich eine differenzierte Sichtweise auf den Themenbereich aus spracherwerbsspezifischer, kommunikationswissenschaftlicher, neurobiologischer und kognitionswissenschaftlicher Perspektive. Bei Redaktionsschluß lagen Zusagen für folgende Beiträge vor: Karin AGUADO: Aufmerksamkeit, Monitoring und Automatisierung als kognitive Konstituenten mündlicher Produktion in der Fremdsprache. Olaf BÄRENFÄNGER: Mündliche Produktion in der Fremdsprache: Ein psycholinguistisches Experiment. Sabine BEYER: Mündliche Produktion und Fremdsprachenerwerb. Eine exemplarische Analyse longitudinal erhobener Interviewdaten. Kees DE BOT: Modelling L2 speech. Ulrich DAUSENDSCHÖN-GAY: Zur Bedeutung von Interaktion für Sprachproduktionsprozesse. Willis EDMONDSON: Output als autonomes Lernen: Spracherwerb und Sprachproduktion aus kognitiver Sicht. Ulrike GUT: Prosody iri second language speech production: The role of the native language. Judit KORMOS: A qualitative analysis of the role of attention in monitoring second language speech. Horst M. MÜLLER: Neurobiologische Aspekte des Fremdsprachenlernens. Manfred RAUPACH: Variabilität psycholinguistischer Variablen. Zur Interpretation mündlicher L2- Produktion. Claudia RIEMER: Triangulation in der Erforschung fremdsprachlicher Produkte und Prozesse. Ulrich SCHADE: Monitoring-Prozesse und ihre Rolle für die fremdsprachliche Produktion. Jan STEVENER: Aufmerksamkeit, Automatisierung und Monitoring: Zur Forschungsmethodik. Geplanter Themenschwerpunkt für Jahrgang 33 (2004) von FLuL Wortschatz - Wortschatzerwerb - Wortschatzlernen (koordiniert von Erwin Tschimer) lFlLlJIL 31 (2002) Paul Georg Meyer et al. Synchronie English Linguistics An lntroduction narr studienbücher, 2002, XIV, 229 Seiten, div. Abb. u. Tab., € 17,90/ SFr 30,50 ISBN 3-8233-4981-3 This is the first introduction to linguistics for students of English which is (a) written in English and (b) especially designed for students with a German-speaking background. lt concentrates on the traditional core areas of linguistics, such as syntax, morphology, phonology and semantics, without neglecting interdisciplinary and applied branches such as pragmatics, socioand psycholinguistics. Students participated in writing it to ensure maximal readability. Most of the text has been used and tested in linguistics classes for several years and at different universities. The usefulness of this introduction is enhanced by a structured bibliography, a subject index and exercises. Leonhard Lipka English Lexicology Lexical structure, word semantics and word-formation narr studienbücher, 2002, XXIV, 243 Seiten, div. Abb. u. Tab., € 17,90/ SFr 30,50 ISBN 3-8233-4995-3 This book aims to provide a modern, comprehensive, interdisciplinary survey of all relevant aspects of English and general lexicology. On the basis of the thoroughly revised former Outline of English Lexicology it represents the state of the art in 2002. As an introduction tobe used in university courses it gives an up-to-date survey of approaches to all aspects of words and their functions and to the English vocabulary. In particular, the book stresses the productive processes in the lexicon, i.e. dynamic lexicology, and offers new and so far neglected perspectives. Besides discussing lexical structure, word semantics and word-formation, English Lexicology offers new directions in going beyond a purely language-immanent, structuralist approach. ~~ Gunter Narr Verlag Tübingen Postfach 2567 • D-72015 Tübingen • Fax (07071) 75288 Internet: http: / / www.narr.de • E-Mail: info@narr.de Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL) T hemenschwe rpunkte (1987 -2004 )! ' Jg. 16 (1987): Wortschatz und Wortschatzlernen (hrsg. von Ekkehard Zöfgen) [*] Jg. 17 (1988): Übersetzung und Übersetzen (hrsg. von Ekkehard Zöfgen) [*] Jg . 18 (1989): Historische Sprachstufen (hrsg . von Kurt Otto Seidel) Jg. 19 (1990): Fachsprachen und ihre Vermittlung (hrsg. von Gert Henrici und Ekkehard Zöfgen) Jg. 20 (1991): Grammatik und Grammatiklernen (hrsg. von Ekkehard Zöfgen) Jg. 21 (1992): Idiomatik und Phraseologie (hrsg. von Ekkehard Zöfgen) Jg. 22 (1993): Fehleranalyse und Fehlerkorrektur (koord. von Gert Henrici und Ekkehard Zöfgen) Jg. 23 (1994): Wörterbücher und ihre Benutzer (koord. von Ekkehard Zöfgen) Jg. 24 (1995): Kontrastivität und kontrastives Lernen (koord. von Claus Gnutzmann) Jg. 25 (1996): Innovativ-alternative Methoden (koord. von Gert Henrici) Jg . 26 ( 1997): Language Awareness (koord. von Wi lJ is J. Edmondson und Juliane House) Jg. 27 (1998): Subjektive Theorien von Fremdsprachenlehrern (koord. von Inez De Florio-Hansen) Jg. 28 (1999): Neue Medien im Fremdsprachenunterricht (koord. von Erwin Tschimer) Jg . 29 (2000): Positionen (in) der Fremdsprachendidaktik (koord. von Frank G. Königs) Jg. 30 (2001): Leistungsmessung und Leistungsevaluation (koord. von Rüdiger Grotjahn) Jg . 31 (2002): Lehrerausbildung in der Diskussion (koord. von Frank G. Königs und Ekkehard Zöfgen) Jg. 32 (2003): Mündliche Produktion in der Fremdsprache (koord . von Karin Aguado, Olaf Bärenfänger und Sabine Beyer) [i.V.] Jg. 33 (2004) Wortschatz - Wortschatzerwerb - Wortschatzlernen (koord. von Erwin Tschimer) [geplant] * Bis Jg . 1 S ( 1986) einschließlich wurde die Zeitschrift unter dem Titel Bielefelder Beiträge zur Sprachlehrforschung vertrieben. Die mit [ *] gekennzeichneten Hefte sind vergriffen. Hinweise zu Beiträgen für FLuL FLuL begrüßt Beiträge zu Forschung und Unterricht aus allen für den Fremdsprachenunterricht an der Hochschule relevanten Bereichen sowie zum Fremdsprachenlehren/ -lemen im Ausland. Grundlage für jeden Beitrag sollte eine ausreichende wissenschaftliche Fundierung mit unmittelbarer oder mittelbarer Relevanz des Gegenstandes für die fremdsprachenunterrichtliche Tätigkeit an der Hochschule sein . Beiträge, die den schulischen Fremdsprachenunterricht zusätzlich zur Reflexionsgröße erheben, sind gleichermaßen wilJkommen. Einzelheiten zur Gestaltung der Manuskripte sind dem ausführlichen ' style sheet' zu entnehmen, das bei der Redaktion (Anschrift siehe 2. Umschlagseite) angefordert werden kann. Fremdsprachendidaktik Werner Delanoy Fremdsprach Iicher Literaturunterricht Theorie und Praxis als Dialog Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik, 2002 , 224 Seiten, € 24,- / SFr 40 ,50 ISBN 3-8233-5321-7 In diesem Buch wird eine unterrichtsbezogene Theorie fremdsprachlichen Literaturunterrichts (FLU) für den Englischunterricht vorgestellt. Diese Theorie ist hermeneutisch fundiert und dialogisch ausgerichtet. Ihre Dialogizität ist auf zwei Ebenen angesiedelt. Zum einen wird ein Dialog zwischen literatu rdidaktischer Theoriebildung und konkreter Praxis angestrebt. Zum anderen sieht der hier gewählte Ansatz einen Dialog zwischen unterschiedlichen Theorien vor. So wird die hermeneutische Ausgangsposition zur aufgabenorientierten Fremdsprachendidaktik und zu ideologiekritischen Ansätzen in Beziehung gesetzt. Besondere Beachtung wird dabei der Lehrerperspektive geschenkt. Das Buch entwirft ein Prozeßmodell, das Lehrerinnen bei ihrer komplexen Arbeit im FLU unterstützt. Reinhild Fliethmann Weibliche Bildungsromane Genderbewusste Literaturdidaktik im Englischunterricht Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik , 2002 , 342 Seiten , € 38,- / SFr 62,80 ISBN 3-8233-5324-1 Die Reflexion auf die Kategorie "Geschlecht" auf allen Ebenen der Bildung tut Not, will man die immer noch bestehenden Geschlechterrollenfixierungen und Geschlechterhierarchien durchbrechen. Auch der Englischunterricht stützt sich auf einen Lektürekanon, der Mädchen und ihre Erfahrungswelt weithin vernachlässigt; die genderbewusste Lektüre-Vermittlung in der Schule steckt noch in den Anfängen. Die Arbeit stellt sich diesem Defizit, indem sie vor dem Hintergrund sozialwissenschaftlicher Identitätstheorien für die Erweiterung des schulischen Lektürekanons durch weibliche Bildungsromane plädiert. An Beispielen moderner kanadischer und US-amerikanischer Bildungsromane wird dargestellt, wie diese Werke im Unterricht behandelt werden können, um zu einem Faktor im Prozess der immer auch geschlechtlichen - Identitätsbildung von Jugendlichen zu werden. Gunter Narr Verlag Tübingen ISSN 0932-6936 ISBN 3-8233-4590-7 Postfach 2567 • D-72015 Tübingen - Fax (07071) 75288 Internet: http: / / www.narr.de - E-Mail: info@narr.de