Fremdsprachen Lehren und Lernen
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
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2008
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Gnutzmann Küster Schramm(Fortsetzung umseitig) Th e m e n s c hw erpunkt: Le hre n und Lern e n mit literaris ch e n Te xte n E VA B URWITZ -M ELZER Zur Einführung in den Themenschwerpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 L OTHAR B REDELLA What Makes Reading Literary Texts Pleasurable and Educationally Significant ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 E VA B URWITZ -M ELZER Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 J OHN M C R AE What Is Language and What Is Literature ? Are They the Same Question ? An introduction to literature with a small ‘l’ and five skills English . . . . . . . . . . 63 A DELHEID S CHUMANN Transkulturalität in der romanistischen Literaturdidaktik. Kulturwissenschaftliche Grundlagen und didaktische Konzepte am Beispiel der littérature beur . . 81 W ERNER D ELANOY Transkulturalität und Literatur im Englischunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 D ANIELA C ASPARI Literarische Texte im Französischunterricht: Rückblick und Ausblick . . . . . . . . 109 G ABRIELE B LELL , C HRISTIANE L ÜTGE Filmbildung im Fremdsprachenunterricht: neue Lernziele, Begründungen und Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 W OLFGANG H ALLET Visual Culture und Literatur: Multimodale Romane, Literaturunterricht und Literaturdidaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 G ILLIAN L AZAR Some Approaches to Literature, Language Teaching and the Internet . . . . . . . . 154 37. Jahrgang (2008) Herausgegeben von Claus G NUTZMANN , Frank G. K ÖNIGS , Ekkehard Z ÖFGEN Koordination des Themenschwerpunktes Eva B URWITZ -M ELZER Internet: www.narr.de | < Z EITSCHRIFTEN | 37 (2008) E VA L EITZKE -U NGERER Akustische Inszenierung von Erzählungen und Gedichten im fremdsprachlichen Literaturunterricht. Hörspielarbeit mit französischen, spanischen und italienischen Texten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 L AURENZ V OLKMANN Drama und Kultur im Englischunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 E MER O’S ULLIVAN Kinder- und Jugendliteratur in der Ausbildung von Englischlehrern . . . . . . . . . 197 H ERBERT C HRIST Literatur und Sprachenwachstum. Zur Bedeutung literarischer Texte im Fremdsprachenunterricht in der Grundschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 A NN K IMES -L INK Verstehen literarischer Texte durch kreative Aufgaben ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 H ELENE D ECKE -C ORNILL , M ARC -P HILIP H ERMANN , B ETTINA K LEINER , S VEN R HEIN „Fällt Euch eigentlich auf, was hier gerade passiert? “ Literaturunterricht und Heteronormativität aus Lehrersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 L IESEL H ERMES Original und Bearbeitung: Literarische Texte in der Fremdsprachenlehrerausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 C LAIRE K RAMSCH , M ICHAEL H UFFMASTER The Political Promise of Translation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 B IRGIT S CHÄDLICH Reliterarisierung des schulischen Fremdsprachenunterrichts - was kann die Lehrerausbildung beitragen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 Pro und Contra: Qualität durch Bildung s standard s ? 312 Vors chau C Eing e g ang e n e Büch er 314 * Mein herzlicher Dank gilt Ann K IMES -L INK für die hervorragende redaktionelle Betreuung der Manuskripte und die Zusammenstellung der druckfertigen Fassung. Herrn Axel P OHL und Herrn Lars R OTHENPIELER danke ich herzlich für sorgfältiges Korrekturlesen. Den Herausgebern dieses Bandes möchte ich ausdrücklich und sehr herzlich dafür danken, dass sie diesen FLuL-Band zur Literaturdidaktik ermöglicht haben. 37 (2008) E VA B URWITZ -M ELZER Zur Einführung in den Themenschwerpunkt * Die Zeitschrift Fremdsprachen Lehren und Lernen erscheint in diesem Jahr im 37. Jahrgang und ist erstmalig dem Themenschwerpunkt „Literaturdidaktik“ gewidmet. Diese Tatsache ist umso erfreulicher, als die fremdsprachliche Literaturdidaktik seit der Einflussnahme des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens (E UROPARAT 2001) und der Nationalen Bildungsstandards (KMK 2003 und 2004) Gefahr läuft, als traditioneller Bildungsinhalt an den Rand der Inhalte des Fremdsprachenunterrichts gedrängt zu werden. Die wichtige Rolle beim Erlernen einer Sprache und der damit verbundenen Kulturen, die seit Mitte der neunziger Jahre durch das interkulturelle Lernen und eine verstärkte Hinwendung zur task-orientation neuen Rückenwind erhalten hatte, ist durch die bildungspolitisch forcierte Standardorientierung, eine vorschnelle Abkehr von Bildungszielen im schulischen Unterricht und eine ungebührlich enge Auslegung des Begriffs der Lesekompetenz angegriffen und geschmälert worden. Dabei war und ist in der hochschulpolitischen Landschaft in den letzten zwanzig Jahren eine erstaunlich rege Tätigkeit im Bereich der Literaturdidaktik zu verzeichnen gewesen. Dort hat die Literaturdidaktik sich in einschlägigen Publikationen, auf fremdsprachendidaktischen Kongressen und Konferenzen sehr wohl mit regelmäßigen und zentralen Beiträgen bemerkbar gemacht, die sie als eine feste Größe innerhalb der Fachdidaktiken etabliert haben. Die Themen, die in den Publikationen und Vorträgen behandelt werden, umkreisen seit 1990 vor allem drei Aspekte, die auch das Erkenntnisinteresse der Fachdidaktiken insgesamt spiegeln: Die Frage nach der Auseinandersetzung mit dem „Anderen“, die Kanonfrage, die nicht nur Inhalte und Materialien, sondern auch Zugänge und Methoden zu den Inhalten umfasst, und die Frage der empirischen Erforschung des Umgangs mit fremdsprachiger Literatur. Die Frage nach dem „Anderen“ und wie man lernen kann, es zu verstehen, ist eine der Grundfragen des Fremdsprachenunterrichts, die die Literaturdidaktik seit der Gründung des Graduiertenkollegs „Didaktik des Fremdverstehens“ näher zu ergründen versucht hat. Das Problem, andere Kulturen und die Mitglieder anderer Kulturen zu verstehen, stellt sich jedem Leser und jeder Leserin fremdsprachiger Literatur im unterrichtlichen Kontext auf besondere Weise und auf mehreren Ebenen: Beim Gebrauch der anderen Sprache und bei der Rezeption der zielsprachigen kulturellen Produkte oder medialen Repräsentationen Lehren und Lernen mit literarischen Texten 4 Eva Burwitz-Melzer 37 (2008) und beim direkten Kontakt mit Vertretern der Zielkulturen. Wenn Lehrkräfte Filme oder literarische Texte der Zielkulturen als unterrichtliche Gegenstände einsetzen, so fordern sie ihre Lernenden damit nicht nur auf, fremde Abenteuer und Schicksale aus einer anderen Welt mitzuerleben, sondern natürlich auch, diese zu diskutieren und näher zu analysieren. Verstehen ist immer auch ein schöpferischer Akt, weil wir erfahren und erahnen müssen, was der andere intendiert und meint […]. Daher ist das Verstehen in der Fremdsprache geeignet, zur Reflexion und zu kritischen Einsichten in Verstehensprozesse zu führen. Man kann sich zwar in der Kommunikation mit Fremden als Person nicht heraushalten, doch ist die Bereitschaft, zu sich selbst in Distanz zu treten, die Äußerungen des Fremden in einem anderen Bezugssystem zu deuten und damit das eigene zu relativieren, notwendigerweise größer. Insofern kommt es darauf an, dass eine Didaktik des Fremdverstehens die pädagogischen Möglichkeiten, die im Überwinden der sprachlichen und kulturellen Barrieren liegen, entfaltet. (B REDELLA / C HRIST 1995: 13) Heute stimmen die meisten Fremdsprachendidaktiker darin überein, dass unser Bemühen, „Andere“ verstehen zu wollen und dies im Fremdsprachenunterricht mit Hilfe medialer Repräsentationen aus der Zielkultur zu versuchen, ein lohnendes, wenn auch schwieriges Ziel des Fremdsprachenunterrichts darstellt, das aber in einer von Migration geprägten Welt einen unverzichtbaren Teil der Sozialisation ausmacht (B URWITZ -M ELZER 2003). Mit der Frage nach der Öffnung kultureller Grenzen ist in der Literaturdidaktik auch schon seit langem die Frage nach der Öffnung des literarischen Kanons verbunden. Bereits vor zwanzig Jahren stellten erste wissenschaftliche Arbeiten fest, dass zwar authentische literarische Texte im Fremdsprachenunterricht der gymnasialen Oberstufe gelesen werden, dass dies aber meist dieselben Texte sind, die die Lehrkräfte selbst bereits während ihrer Ausbildung gelesen hatten. Es war von einem „heimlichen“ Kanon die Rede, der nur Umwälzung, aber keine neueren Texte im Unterricht berücksichtige. Die Öffnung englischsprachiger und französischsprachiger Literaturen, die auch ehemalige Kolonialstaaten und andere Kulturen, in denen Englisch und Französisch gesprochen wird, berücksichtigte, setzt sich inzwischen aber auch im Fremdsprachenunterricht an Schule und Hochschule durch. Es ist erfreulich zu sehen, wie immer neue Bereiche des kulturellen Lebens heute ganz selbstverständlich für die Literaturdidaktik herangezogen und methodisch erschlossen werden. Mit der empirischen Erforschung des Literaturunterrichts hat man sich jahrzehntelang sehr schwer getan. Inzwischen liegen erste, auch umfangreichere Fallstudien vor, die belegen, dass durch eine aufwändige Methoden- und Datentriangulation Lernende und Lehrkräfte durchaus im Unterricht erforscht werden können, dass man sie aber auch selbst zur Sprache kommen lassen kann. Dies ermöglicht neue Aufschlüsse über Rezeptions- und Vermittlungsprozesse, die in Zukunft das unterrichtliche Geschehen maßgeblich beeinflussen können. Aber die empirische Forschung fremdsprachlicher Bildungsprozesse hat noch einen weiteren Grund; er liegt in der mangelnden Würdigung des Umgangs mit Literatur im Fremdsprachenunterricht durch die Bildungspolitik. Die Literaturdidaktik kann ihre große Bedeutung nur nachweisen, indem sie auch empirische Belege für ihre Funktion in Schule und Hochschule erbringt: Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 5 37 (2008) Die Fremdsprachendidaktik ist aufgerufen, die Leistungsfähigkeit und die Grenzen des real existierenden Fremdsprachenunterrichts empirisch aufzuzeigen: für die sprachlich-kommunikativen Kompetenzen, für das interkulturelle Lernen und die ästhetisch-imaginative Zielkategorie dieser Fächer. Wenn Fragen dazu kommen, sollten wir (empirisch gesehen) nicht nackt dastehen. Ich fürchte, die Literaturdidaktik und die Didaktik des Fremdverstehens müssen sich sehr bewusst auf das outputorientierte Denken einstellen, wenn sie ihre bisherige Rolle im fremdsprachlichen Curriculum halten wollen. (Z YDATI ß 2005: 279) Die drei grob umrissenen Schwerpunkte sind auch in diesem Band zu finden. Er präsentiert vieles von dem, was in den letzten Jahren in der literaturdidaktischen Diskussion als zentral angesehen wurde, und gibt einen Ausblick auf künftige wissenschaftliche Beschäftigungsfelder. Der vorliegende Band möchte sich aber nicht nur als aktuelle Bestandsaufnahme neuester literaturdidaktischer Forschung verstanden wissen, sondern stellt ganz bewusst auch einen konstruktiven Einspruch gegen die Reduzierung der literaturdidaktischen Unterrichtsinhalte im Fremdsprachenunterricht dar. Er zeigt sehr deutlich, dass in der Bundesrepublik und weit darüber hinaus die existenziellen Probleme der fremdsprachlichen Literaturdidaktik als dringend wahrgenommen werden und dass man ihnen mit neuen Ideen, Konzepten, Theorien und Methoden begegnet. Dabei ist auffällig, dass in den USA und Großbritannien ebenso wie der Bundesrepublik die Literaturdidaktik neue schlagkräftige Argumente für den Einsatz literarischer Texte im Fremdsprachenunterricht aller Bildungsinstitutionen anführen. Die Beiträge in diesem Band sind bei aller Unterschiedlichkeit ein eindeutiger Beweis für das Selbstbewusstsein und die zentrale Stellung, die die Literaturdidaktik im bildungspolitischen Kontext innehat, sie zeugen von ungebrochener Vitalität und setzen sich mit der Standardorientierung im Bildungssystem und anderen aktuellen Problemen auf vielerlei Weise auseinander. Der erste Themenblock befasst sich mit neuen Konzepten zur Theoriebildung und mit aktuellen Forschungsfragen der fremdsprachlichen Literaturdidaktik. Im Vordergrund stehen hier vor allem zwei Themenkomplexe, die Begriffsklärung der „literarischen Kompetenz“, die sich nach der Debatte um Bildungsstandards zwischen Operationalisierung von Lernzielen und persönlichkeitsbildenden Lernzielen neu verorten muss, und die Beziehungen zwischen Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik im Bereich des interkulturellen Lernens und der Transkulturalität. Drei Aufsätze beschäftigen sich mit den Kompetenzen, die heute oft unter dem Sammelbegriff „literarische Kompetenz“ zusammengefasst werden und doch höchst unterschiedlicher Natur sind. Problematisch ist in diesem Kontext vor allem, dass nicht alle Teilkompetenzen, die beim Lesen und Verstehen literarischer Texte erworben werden können, leicht operationalisierbar und damit auch messbar sind, dass aber gerade jene Teilkompetenzen, die sich einer gradlinigen Skalierung oder einfachen Bewertung entziehen, einen charakteristischen Teil der Lese- und Verstehensleistung ausmachen und einen großen Anteil an der Persönlichkeitsbildung von Lernenden haben. L OTHAR B REDELLA (Universität Gießen) geht in seinem Beitrag der Frage nach, warum sich Leser/ Lerner im Fremdsprachenunterricht überhaupt mit der Lektüre literarischer Texte beschäftigen sollen. Indem er die Unterschiede zwischen dem Verstehen und dem 6 Eva Burwitz-Melzer 37 (2008) Interpretieren von Literatur erkundet und das ästhetische Potenzial solcher Texte erforscht, kann er auch Rückschlüsse auf den heute oft zitierten Begriff der „literarischen Kompetenz“ ziehen. Er erhält in B REDELLA s Artikel neue Facetten, die Persönlichkeitsbildung und Interpretationskompetenz ebenso einschließen wie interkulturelle und moralische Kompetenz. Das Textbeispiel Gracey erläutert die aufgestellten Thesen und stellt B REDELLA s (bildungs-)politische Thesen in einen rezeptionstheoretischen Kontext. Im Aufsatz von E VA B URWITZ -M ELZER (Universität Gießen) geht es um einen Bereich der „literarischen Kompetenz“, der dem Lese- und Verstehensprozess quasi als eine Basis zugrunde liegt, dem Erleben von Emotionen beim Lesen literarischer Texte. Nachdem zunächst versucht wird, durch eine Begriffsbestimmung zu klären, was mit dem Begriff ‚Emotion‘ in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen gemeint ist, stellt sie danach die Relevanz und die Rolle von Emotionen bei der Lektüre von literarischen Texten dar und skizziert ihre unterschiedlichen Funktionen in der Unterrichtsarbeit. Im Anschluss belegt eine empirische Fallstudie, wie stark Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht tatsächlich präsent sind und was sie im Lese- und Verstehensprozess bei Lernenden bewirken können. J OHN M C R AE (University of Nottingham) lenkt in seinem Beitrag den Blick auf eine grundsätzliche Bestandsaufnahme der fremdsprachlichen Literaturdidaktik. Dabei entfernt auch er sich von den traditionellen, leicht operationalisierbaren, vor allem sprachlich orientierten skills und entwirft einen fünften Fertigkeitsbereich, den des processing and thinking. Dieser Fertigkeitsbereich ermöglicht ihm den Einbezug kultureller, interkultureller und kreativer Kompetenzen bei der Arbeit mit literarischen Texten, und stellt so einen deutlichen inhaltlichen und didaktischen Gewinn dar. Hand in Hand mit dieser Weiterentwicklung der Kompetenzbereiche gehen nach M C R AE eine methodische und eine Kanonöffnung, die vor allem auch der Überzeugung geschuldet sind, dass die Arbeit mit Literatur immer auch einen (inter-)kulturellen Lerngewinn erzielt. Gleich zwei Aufsätze sind dem Verhältnis von transkultureller Literaturwissenschaft und interkultureller Literaturdidaktik gewidmet, einem Thema, das kontrovers diskutiert wird und erst noch empirisch erforscht werden muss. A DELHEID S CHUMANN (Universität Siegen) und W ERNER D ELANOY (Universität Klagenfurt) erarbeiten dieses Thema aus der jeweiligen Fachdisziplin heraus, also einmal aus der Sicht der frankophonen Literaturen, einmal aus der Perspektive der anglistischen Literaturdidaktik. Dabei wird in beiden Aufsätzen ganz besonders Wert gelegt auf eine sorgfältige Differenzierung zwischen dem Einsatz landeskundlichen Wissens sowie sprachanalytischer und interkultureller Verfahren beim Umgang mit transkulturellen Texten. Beide Aufsätze zeigen in ihrer sich ergänzenden Unterschiedlichkeit, wie unumgänglich es im heutigen fremdsprachigen Literaturunterricht ist, die aktuelle Literatur der Zielkulturen in die Unterrichtsarbeit einzubeziehen und wie komplex eine solche Unterrichtsarbeit sich gestaltet, wenn man den transkulturellen Texten in ihren vielfältigen kulturellen Bezügen gerecht werden möchte. Der sechste Beitrag dieses Schwerpunkts lenkt den Blick auf eine ganz andere Thematik: Hier geht es um den Stellenwert der Literaturdidaktik in der Fachdidaktik der Romanistik. D ANIELA C ASPARI (Freie Universität Berlin) liefert in ihrem Artikel eine quantitative Analyse von fachdidaktischen Aufsätzen seit 1987, die sich in Fachzeitschriften, Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 7 37 (2008) Monografien und Sammelbänden mit dem Umgang mit literarischen Texten im Französischunterricht beschäftigen. Dabei arbeitet sie gleichzeitig ein zentrales Kapitel der Französischdidaktik auf, die anders als Germanistik und Anglistik in der Bundesrepublik Deutschland keine eigenständige Literaturdidaktik ausgebildet hat. Ihre umfassende, thematisch ausgerichtete Analyse zeigt ein lebendiges Forschungsfeld, das sich allen Fragen der aktuellen fremdsprachigen Literaturdidaktik widmet und darüber hinaus sehr gewinnbringend für andere literaturdidaktische Kontexte seine eigenständigen kulturellen Belange in die Diskussion einzubringen weiß. Der zweite Themenblock ist neuen Inhalten und innovativen Methoden in der fremdsprachigen Literaturdidaktik gewidmet; auch hier präsentiert sich das Untersuchungsfeld als ideenreich, variationsfreudig und lebendig. Vor allem im Bereich der Kanonerweiterung ist dies ablesbar: Etwa beim stärkeren Einbezug der visual culture bei der Filmarbeit oder multimodalen Romanen, akustischen Lernszenarien mit literarischen Texten oder dem gewinnbringenden Einbezug der Kinder- und Jugendliteratur. Die Nutzung des Internets im Zusammenhang mit der literarischen Unterrichtsarbeit und eine Aufwertung performativer Aspekte bei der Behandlung von Dramen bringen ungewohnte (inter-) kulturelle Aspekte, aber auch methodische Innovationen ins Spiel. G ABRIELE B LELL (Universität Hannover) und C HRISTIANE L ÜTGE (Universität Hildesheim) erarbeiten in ihrem Beitrag ein neues Konzept zur Filmbildung, das sie wegen seiner Vielschichtigkeit, seiner starken Prägung auf den Bildungsgedanken und des starken Einbezugs inter- und transkultureller Elemente bewusst von bereits existierenden Kompetenzmodellen absetzen wollen. Sie zeigen innovative Entwicklungslinien filmischer Textarbeit auf, die auf das Kino als Lernort setzt, emotionales Erleben in der Unterrichtsarbeit berücksichtigt und einen interkulturellen Begegnungsraum bei der Filmarbeit anstrebt. In W OLFGANG H ALLET s Artikel (Universität Gießen) geht es um ein neues Romangenre, das in den letzten zwanzig Jahren Verbreitung gefunden hat: den multimodalen Roman, der mit dem Einbezug graphischer Repräsentationen, Fotos, unterschiedlicher typografischer Stile und Transkripte die narrative Linearität der literarischen Texte aufbricht. Nachdem der Autor dieses neuartige Genre in einen aktuellen kulturellen Bezug gestellt hat, untersucht er drei Beispiele für multimodale Romane, die dem Bereich der fiktionalen Autobiographien zuzuordnen sind. Sie werden auf ihren speziellen Wert für den fremdsprachlichen Literaturunterricht hin analysiert und als neues Paradigma für intermediales und transmodales Lesen etabliert. G ILLIAN L AZAR (Middlesex University London) konzentriert sich in ihrem Beitrag auf die Frage, wie das Internet mit seinen vielfältigen Arbeitsbereichen und Einsatzmöglichkeiten die literarische Unterrichtsarbeit bereichern und erneuern kann. Dabei setzt sie lerntheoretisch bei den pädagogischen Prinzipien des scaffolding und der Reflexion von Lernprozessen an und erläutert, wie Hypertexte und fan fiction bei der Unterrichtsarbeit mit literarischen Texten eingesetzt werden können. Es werden didaktisch vielversprechende methodische Vorgehensweisen erläutert, die ihr Ziel darin haben, neben kulturellen Lernzielen und Sprachvermittlung auch Lern- und Sprachbewusstheit zu fördern. Um eine Kanonerweiterung und alternative methodische Impulse geht es auch im 8 Eva Burwitz-Melzer 37 (2008) Artikel von E VA L EITZKE -U NGERER (Universität Halle). Sie befasst sich mit kreativen Aufgabenstellungen bei der literarischen Textarbeit und konzentriert sich vor allem auf akustische Inszenierungen von Gedichten, um eine umfassende Auseinandersetzung mit den Originaltexten zu erreichen. Dazu entwickelt sie eine methodische Anleitung, die über erste Gestaltungsideen, die Skripterstellung mit Regieanweisungen unter Einbezug von Geräuschen und Musik bis zur Tonaufnahme alle Stadien der Planung einer Hörspielproduktion im fremdsprachlichen Unterricht anbietet. Die Textbeispiele, die aus dem Bereich der französischen, spanischen und italienischen Literaturen stammen, zeigen, wie sprach- und literaturdidaktische, interkulturelle und kreative Kompetenzen zusammenwirken müssen, um die komplexen Aufgabenkonstellationen zu lösen. Um neue Formen der Performanz geht es auch im Beitrag von L AURENZ V OLKMANN (Universität Jena): Er untersucht den Bezug zwischen Drama, Dramendidaktik und Kultur im Fremdsprachenunterricht, wobei er besonders auf inszenierte Kommunikationssituationen im Klassenzimmer zurückgreift und deren performative Qualität analysiert. Indem er die Auseinandersetzung mit Kultur als stets performativen Aushandlungsprozess im Fremdsprachenunterricht begreift, erlangt für ihn gerade die Textarbeit mit Dramen eine neue, verdichtete literaturdidaktische Aufgabe, nämlich die der Vermittlung kultureller und interkultureller Lerninhalte. Basierend auf dem rezeptionstheoretischen Vermittlungsmodell erarbeitet der Autor innovative sprachliche, genrespezifische und kulturelle Lernziele, die die Erfahrung kultureller Alterität hervorbringen. E MER O’S ULLIVAN (Universität Lüneburg) wendet sich in ihrem Beitrag der Kinder- und Jugendliteratur als neuem, und bisher kaum beachteten Textbereich der fremdsprachigen Literaturdidaktik zu. Sie wirbt für einen stärkeren Einbezug dieses vielfältigen Textmaterials in die Fremdsprachenlehrerausbildung, indem sie veranschaulicht, welche Argumente für den Einsatz dieser Texte sprechen, welche Kriterien für eine geeignete Auswahl von Kinder- und Jugendliteratur herangezogen werden können und wie es um den Einbezug adaptierter Texte steht. Das besondere Verdienst dieses Grundsatzartikels besteht vor allem in der Darstellung einer detaillierten Seminarplanung für angehende Lehrkräfte, die den Gegenstand Kinder- und Jugendliteratur gleichzeitig aus literaturwissenschaftlicher und literaturdidaktischer Perspektive darlegt. Der dritte Themenblock bietet sechs empirische Fallstudien aus der Schulbzw. Hochschulausbildung. Hier zeigt sich, dass es trotz des mit qualitativer empirischer Forschung verbundenen großen Aufwands heute durchaus nicht mehr ungewöhnlich ist, kleinere Studien aus der Praxis zu erstellen und sie in einen größeren literaturdidaktischen Forschungskontext einzuordnen. Während es bis vor etwa zehn Jahren in der Fremdsprachendidaktik kaum qualitative Studien zu verzeichnen gab, zeichnet sich nach einigen längeren Forschungsarbeiten insbesondere im Bereich der Literaturdidaktik eine Wende ab: Sowohl in der Schule als auch im Hochschulkontext werden Fallstudien dokumentiert und analysiert, die wichtige Aufschlüsse geben können über den Umgang mit fremdsprachiger Literatur, Einstellungen und Kompetenzentwicklung von Lernenden sowie methodische Vorgehensweisen. Die ersten drei Beiträge fokussieren den schulischen Fremdsprachenunterricht in den Fächern Französisch und Englisch und seine Arbeit mit literarischen Texten. Aus dem Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 9 37 (2008) Bereich des Französischunterrichts in der Grundschule liefert H ERBERT C HRIST (Universität Gießen) eine Studie, die sich mit dem Einsatz authentischer literarischer Bilderbücher im Französischunterricht beschäftigt. Der Autor schildert die Erarbeitung einer authentischen Erzählung im Unterricht einer 1. Klasse. Die systematische Stützung der Inhaltsvermittlung durch Bilder und Gestik wird dabei ebenso herausgestellt wie das Erfassen schwieriger grammatischer chunks und die spielerische Leichtigkeit, mit der die jungen Lernenden eine solche Geschichte verstehen und dann auch darstellen können. Ein zweiter Blick wird auf die unterstützende Bibliotheksarbeit im Grundschulunterricht Französisch gerichtet: Wahlweise als Vorleserunde oder als eigenständige Lektüre dürfen die Schülerinnen und Schüler zweimal in der Woche authentische Bilderbücher erkunden, wobei C HRIST unterschiedliche Zugänge der Kinder zu den Texten verzeichnen kann. Das Sprachwachstum, das C HRIST beim Einsatz von Bilderbüchern und Erzählungen beobachten konnte, belegt, warum gerade literarische Texte so erfolgreich bei jungen Lernenden eingesetzt werden können. Aus dem Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe legt A NN K IMES -L INK (Universität Gießen) eine Studie vor, die sich vor allem mit dem Einsatz produktionsorientierter, gestaltender Bearbeitungsformen beschäftigt. Sie beobachtet sehr detailliert das Verhalten der Lehrkraft in einem Leistungskurs der 13. Jahrgangsstufe, die im Zuge der Lektüre von Shakespeares Romeo and Juliet mehrere kreative Aufgaben stellt, und das der Lernenden, die sie lösen müssen. Transkripte des Unterrichtsgeschehens und eine Darstellung der Schülerleistungen bieten tiefe Einblicke in den Verstehensprozess der Lernenden. Dabei zeigt sich, dass produktionsorientierte Aufgabenstellungen sehr überlegt und unter Bereitstellung einer ausreichenden Arbeitszeit in die Unterrichtsarbeit integriert werden müssen, um optimale Erfolge zu zeitigen. In einem dritten empirischen Aufsatz zur Arbeit mit literarischen Texten in der Sekundarstufe I und II wird der Blick fast ausschließlich auf die Lehrkräfte gerichtet, und ihre Position bei der Unterrichtsarbeit erkundet. H ELENE D ECKE -C ORNILL (Universität Hamburg), M ARC -P HILIP H ERMANN , B ETTINA K LEINER und S VEN R HEIN wenden sich dabei einem Untersuchungsfeld zu, das bisher in der Literaturdidaktik noch völlig unbeachtet ist, dem der Auseinandersetzung mit Heteronormativität und ausgrenzenden Geschlechterverhältnissen im Literaturunterricht. In zwei Leitfadeninterviews mit Gymnasiallehrkräften, die in gleichgeschlechtlichen Beziehungen leben, geben diese Aufschluss über Bezüge zwischen ihrer Biografie und ihrem Fremdsprachenunterricht, sie charakterisieren ihre Lerngruppen und erkunden ihre eigenen Entscheidungen und Arbeitsprozesse im fremdsprachlichen Literaturunterricht. Dabei werden auch grundsätzliche Fragen zum Verhältnis von Literaturunterricht und Heteronormativität angesprochen, und es wird von den interviewten Personen dargelegt, welche Rolle der Literaturunterricht für die Thematisierung von Heteronormativität im Fremdsprachenunterricht spielen kann. Die letzten drei Beiträge konzentrieren sich auf qualitativ-empirische Studien im Bereich deutscher Pädagogischer Hochschulen, Universitäten und amerikanischer Colleges. Es werden Beispiele aus Englisch- und Französischseminaren für deutsche Lehramtsstudierende sowie aus einem Deutschseminar für amerikanische Studierende untersucht. 10 Eva Burwitz-Melzer 37 (2008) L IESEL H ERMES (Pädagogische Hochschule Karlsruhe) stellt dar, wie in einem Hochschulseminar der Englischdidaktik eine differenzierte Betrachtung von authentischer und bearbeiteter Literatur für jugendliche Lernende durchgeführt wurde. In der Lehrveranstaltung wurden zunächst die Begrifflichkeit der verschiedenen Bearbeitungsbzw. Kürzungsmöglichkeiten genau ergründet, die dann als Grundlage für einen Kriterienkatalog für die Analyse von Textbeispielen dienen sollte. Dabei sollten literaturwissenschaftliche, sprachdidaktische und literaturdidaktische Erwägungen eine Rolle spielen. Nach der Analyse der Beispiele wurde den Studierenden die Möglichkeit gegeben, selbst eine Textbearbeitung vorzunehmen. Es zeigte sich, wie wichtig diese Vorerfahrung für angehende Lehrkräfte ist, die mit ihrer Entscheidung über die Textsorte und den Grad ihrer Bearbeitung immer auch einen Eingriff in die Darstellung der Zielkultur vornehmen. C LAIRE K RAMSCH und M ICHAEL H UFFMASTER (beide University of California, Berkeley) beschäftigen sich in ihrem Beitrag mit einem Unterrichtsbeispiel aus einem Collegeseminar, in dem amerikanische Studierende im 4. Semester deutsche Kultur und Literatur studieren. Um die ‚translinguale Kompetenz‘ der Studierenden zu fördern, sollte in einer kurzen Unterrichtseinheit Goethes Gedicht „Ein Gleiches“ übersetzt werden. Dabei gingen die Lehrenden in minutiös abgestuften methodischen Schritten vor, die den Studierenden die kulturelle Komplexität und die sprachlichen Ambivalenzen des Gedichts vor Augen führen sollten. Nach der Übersetzung wurden die Studierenden aufgefordert, die unterschiedlichen methodischen Schritte noch einmal zu reflektieren und dabei ihren Lernprozess und ihre Leistungen zu evaluieren. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse wurde die ursprüngliche Aufgabenstellung etwas abgeändert, um eine besseren Förderung der ‚translingualen Kompetenz‘ zu gewährleisten. B IRGIT S CHÄDLICH (Paris) bezieht sich in ihrem Aufsatz auf die momentan deutlich spürbaren Widersprüche zwischen literaturwissenschaftlicher und literaturdidaktischer Ausbildung in französischen Seminaren für Lehramtsstudierende. Sie beklagt die falschen Signale, die von den eher pragmatisch und weniger ästhetisch ausgerichteten Bildungsstandards gerade an die literaturwissenschaftlichen Seminare gegeben würden, die mit dieser Ausrichtung eine Vermittlung schulisch relevanter literarischer Textgrundlagen und didaktischen Handlungswissens eher verhinderten als förderten. Ihren Ausführungen liegt eine umfassende qualitativ-empirische Studie über universitäre literaturwissenschaftliche Seminare zugrunde, die sie in diesem Kontext durch einige Seminarbeispiele noch einmal reflektiert und zu einer neuen These für die Reliterarisierung des schulischen Fremdsprachenunterrichts zusammenfasst. Literatur B REDELLA , Lothar / C HRIST , Herbert (1995): „Didaktik des Fremdverstehens im Rahmen einer Theorie des Lehrens und Lernens fremder Sprachen“. In: B REDELLA , Lothar / C HRIST , Herbert (Hrsg.): Didaktik des Fremdverstehens. Tübingen: Narr, 8-19. B URWITZ -M ELZER , Eva (2003): Allmähliche Annäherungen: Fiktionale Texte im interkulturellen Fremdsprachenunterricht der Sekundarstufe I. Tübingen: Narr. Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 11 37 (2008) E UROPARAT (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: Lernen, Lehren, Beurteilen. Berlin: Langenscheidt. KMK (= S EKRETARIAT DER STÄNDIGEN K ONFERENZ DER K ULTUSMINISTER DER L ÄNDER DER B UNDESRE - PUBLIK D EUTSCHLAND ) (2005): Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für den Hauptschulabschluss. Beschluss vom 15.10.2004. München: Luchterhand. KMK (2004): Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für den Mittleren Schulabschluss. Beschluss vom 4.12.2003. München: Luchterhand. Z YDATI ß, Wolfgang (2005): „Bildungsstandards für den Fremdsprachenunterricht in Deutschland: Eine hervorragende Idee wird katastrophal implementiert - oder: Von der Endkontrolle der Schüler zu strukturverbessernden Maßnahmen“. In: B AUSCH , Richard / B URWITZ -M ELZER , Eva / K ÖNIGS , Frank G. / K RUMM , Hans-Jürgen (Hrsg.). Bildungsstandards für den Fremdsprachenunterricht auf dem Prüfstand. Arbeitspapiere der 25. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr, 272-290. * Contact details: Prof. (retired) Dr. Lothar B REDELLA , Justus-Liebig-University Gießen, Department of English, Teaching English as a Foreign Language, Otto-Behaghel-Str. 10B, 35394 G IE ß EN . E-mail: Lothar.Bredella@anglistik.uni-giessen.de Areas of Work: Literary theory, teaching literature, intercultural learning. 37 (2008) L OTHAR B REDELLA * What Makes Reading Literary Texts Pleasurable and Educationally Significant? Abstract. The dominant model of foreign language teaching and learning is based on a narrow functional approach. The severe drawback of this model is that it provides no relevant content for worthwhile discussions and no motivation to read, speak and write in the foreign language. Literary texts present relevant content in such a way that reading, speaking and writing about them is pleasurable and educationally significant. Yet this is only true with a concept of literature which does not regard literary texts as self-referential objects that have nothing to do with the world of the reader. In my contribution I develop a concept of literature as dramatization which involves the readers cognitively and emotionally and encourages them to evaluate the world of the text and relate it to their own. Hence understanding literary texts is relevant to the readers’ self-understanding. In part 1, I outline the basic features of such a model. In part 2, I examine the concept of interpretation. It is educationally significant because we have to interpret situations constantly in the private and public sphere. In part 3, I discuss the relationship between affirmative and critical readings and argue that we need both in order to realize the aesthetic and educational potential of literary texts. In part 4, I discuss sense-making strategies which indicate that reading literary texts is an interactive process demanding the reader’s cooperation and participation. In part 5, I redefine literary competence in order to include the aspects which make reading literary texts pleasurable and educationally significant. In part 6, I refer to the young adult novel Gracey by the Australian author James Moloney and make some suggestions for teaching it. 0. Introduction Should we read literary texts in the foreign language classroom? The affirmative answer to this question is highly contested. In Great Britain after the Second World War, when foreign language learning became obligatory for all students, as Michael B YRAM and Veronica E SARTE -S ARRIES point out, a new justification for foreign language learning was needed. It could no longer be defended with the argument that the foreign language would enable students to read great literary and non-literary texts of the foreign culture. A practical and instrumental reason had to be found. Fortunately, after the Second World War, because of economic growth, a large part of the population in Great Britain could afford to travel abroad. This situation provided a new justification for foreign language learning: It should prepare students for their future role as tourists and enable them to survive linguistically in the foreign culture. B YRAM and E SARTE -S ARRIES speak of learning a “language for survival” (cf. B YRAM / E SARTE -S ARRIES 1991). It is obvious that What Makes Reading Literary Texts Pleasurable and Educationally Significant ? 13 37 (2008) this instrumental justification of learning a foreign language renders literary texts irrelevant. Tourists will rarely have to discuss literature in the foreign language. In post-war Germany we had a similar development. Traditional foreign language learning was criticized because it enabled students to read Shakespeare but not to order a meal in a restaurant. The functional and instrumental approach to foreign language teaching and learning was experienced as liberation, but it also led to a trivialization of its contents and ignored essential educational goals inherently connected with foreign language learning. But this approach also failed to live up to its own expectation. It could not increase the students’ motivation for foreign language learning because promising students that their learning will be useful five or six years later is not enough; learning a new language must be motivating and responsive to their present needs and interests in the classroom. Yet why could the attack of the functional approach on literary texts be so successful? One answer is that the teaching of literature (Literaturdidaktik) was based on formalism, which was ill prepared to justify reading literary texts in the foreign language classroom. Formalism stressed that literary texts have nothing to do with the world outside the text because they are self-referential. The matter of how literary texts affect their readers was banished as ‘affective fallacy’. Only naïve readers, it was argued, are emotionally involved in reading literary texts. The educated reader, however, studies the stylistic and structural features of literary texts for their own sake. This concept of literature, as indicated, was ill prepared for defending the significance of literature against the narrow functional approach to foreign language learning. Today we are experiencing a similar emphasis on instrumental foreign language learning. Two official publications underscore this development: The Common European Framework of Reference for Languages published by the C OUNCIL OF E UROPE (2001) and Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards published by the B UNDESMINISTERIUM FÜR B ILDUNG UND F ORSCHUNG (2003). The authors of The Common European Framework stress that language learning should not be separated from general educational goals such as tolerance and intercultural understanding, but when we look at the descriptors of the various levels of foreign language learning we see, as Werner D ELANOY (2007) points out, that the framework is only interested in linguistic skills. It is true that its authors write that their neglect of literary texts is not meant to signal that they do not appreciate them (cf. C OUNCIL OF E UROPE 2000: 56), but it is clear that literary texts cannot play an important role within the presuppositions of the framework. This is also valid for the Bildungsstandards, which are skill and output oriented: “Der Output wird somit zum entscheidenden Bezugspunkt für die Beurteilung des Schulsystems und für Maßnahmen zur Verbesserung und Weiterentwicklung” (BMBF 2003: 9). The fact that Bildung is a dialogical and interactive process which is distorted if it is standardized and reduced to objectively tested results is completely ignored. Yet today the teaching of literature (Literaturdidaktik) is better prepared to criticize the functional and instrumental approach to foreign language for two reasons. One is that formalism has been criticized within literary studies; the other reason is that we have a new concept of teaching literature. Its main task is no longer to transmit to students 14 Lothar Bredella 37 (2008) knowledge acquired by literary studies but to explore how readers respond to literary texts and how their cognitive, affective, and evaluative competences are activated in reading them and in speaking and writing about their reading experiences. In his illuminating book Becoming a Reader. The Experience of Fiction from Childhood to Adulthood, J. A. A PPLEYARD points out that the academic approach is interested in “how a poem works internally as a certain kind of linguistic structure” (A PPLEYARD 1990: 188) and makes clear that we have to go beyond this academic approach in order to explore what makes reading literary texts educationally significant: What falls through the cracks here [= the academic approach] is the reader’s sense of connection between his or her personal and emotional involvement with the work and the stance the work takes towards the world of ideas and their history, the debates about what men and women should or should not believe or value. (ibid.: 117) The teaching of literature has to highlight the readers’ personal and emotional involvement with the text and how they relate the world of the literary text to their own. In his book Actual Minds, Possible Worlds, Jerome B RUNER makes a similar point: If we want to understand the educational significance of literature, we must go beyond its characterization “in terms of its structure, its historical context, its linguistic form, its genre, its multiple levels of meaning and the rest” and must ask the question “how and in what ways the text affects the reader and, indeed what makes great stories reverberate with such liveliness in our ordinary mundane minds. What gives great fiction its power? What in the text and what in the reader? ” (B RUNER 1990: 4). In my contribution I want to give answers to these questions. In the first part, I shall outline a model that can explain why reading literary texts is pleasurable and educationally significant. In the following parts (2 to 4) I shall explore some further aspects of this model. In the fifth part I shall attempt a new definition of literary competence in a broader educational context. In the last part I shall leave the abstract level and refer to the young adult novel Gracey by the Australian author James M OLONEY . 1. Dramatization: A Model of Reading Literary Texts 1. 1 The Reader as Spectator In order to understand what is characteristic of art, the philosopher Richard S HUSTERMAN analyses the term ‘dramatization’. The English word ‘to dramatize’ and the German word ‘dramatisieren’ contain two different aspects which are essential for understanding art in general and literature in particular. One aspect of dramatization means “to put something on the stage”, “to take some event or story and put it in the frame of a theatrical performance or the form of a play or scenario” (S HUSTERMAN 2002: 233). Dramatization implies that something is taken out of its ordinary context so that we as spectators can watch it, respond to it and comment on it. This puts spectators in a special situation in which they can respond freely because they are relieved of certain constraints of everyday life: S HUSTERMAN says about the spectator’s experience: “Because art’s experience is What Makes Reading Literary Texts Pleasurable and Educationally Significant ? 15 37 (2008) framed in a realm alleged to be apart from the wearisome stakes of what we call real life, we feel much more free and secure in giving ourselves up to the most intense and vital feelings” (ibid.: 237). In a similar way Martha N USSBAUM describes the advantages of being a spectator: “Since the story is not ours we do not find ourselves caught up in the ‘vulgar heat’ of our personal jealousies or our angers or in the sometimes blinding violence of our loves” (N USSBAUM 1990: 48). This aspect is often ignored when we read literary texts in the classroom. We do not consider that something is put on the stage so that we as readers are encouraged to give ourselves up to the most intense and vital feelings. Rather we give the impression that the students should objectively register what they read. This has far reaching consequences for the teaching of literature. From the beginning we have to take into consideration that literary texts dramatize events in order to involve their readers. This becomes even clearer when we consider the second aspect of dramatization. 1.2 Dramatization: Exploring Reality and Responding to it Among the entries under ‘dramatize’ in the Chambers 21 st Century Dictionary S HUSTER - MAN finds as a second entry: To dramatize is “to treat something as, or make it seem, more exciting or important.” In the Duden Fremdwörterbuch he finds: “dramatisieren bedeutet, etwas lebhafter, aufregender darstellen, als es ist” (cf. S HUSTERMAN 2002: 234). This explains why reading literature is pleasurable. In his book Mimesis as Make-Believe the philosopher Kendall W ALTON asks why Lauren, a small girl who knows the fairy tale “Jack and the Beanstalk” by heart, wants to hear it again and again, and gives the following answer: “Lauren, listening to ‘Jack and the Beanstalk’ for the umpteenth time, long after she has memorized it word for word, may feel much the same excitement when the Giant discovers Jack and goes after him, the same gripping suspense that she felt when she first heard the story” (W ALTON 1993: 260). Yet we do not only identify with characters and feel with them. We also learn to reflect on how we are involved and what the literary text makes us do. There is a self-reflexive or meta-cognitive element in reading literary texts. This aspect has been highlighted by Louise M. R OSENBLATT . She introduces the distinction between two ways of reading: efferent and aesthetic reading. Efferent reading means that we read for information. Without the need for this information we would not read the text. Aesthetic reading, however, means that we do the reading because we enjoy it. Here it makes sense to speak of reading literary texts for their own sake. R OSENBLATT gives the following description of aesthetic reading: In the aesthetic transaction, the reader’s selective attention is focused on what he is living through during the reading event. He is attending both to what the verbal signs designate and to the qualitative overtones of the ideas, feelings, images, situations, characters that he is working out under the guidance of the text. (R OSENBLATT 1981: 21 f) It is important for the teaching of literature that we encourage students to direct their attention to the question of how the literary text affects them. This includes that they 16 Lothar Bredella 37 (2008) relate the world of the literary text to their own. With reference to Marcel P ROUST , N USSBAUM points out that we read literary texts in order to understand ourselves: In this way, the reader or spectator of a literary work is reading and watching the work, but at the same time reading the world, and reading her own self. The work is, in that sense, as Proust puts it, an ‘optical instrument’ through which the reader may focus on certain personal realities. (N USS - BAUM 2006: 243) Such a concept of literature raises two crucial questions. The first one runs: How should we conceive of the relationship between the world of the literary text and that of our own? Do we interpret the literary text first and subsequently apply what we have found out about it to our own world? Hans-Georg G ADAMER argues that such a belief would ignore that we bring our prior knowledge and prior experiences to the text and that we are already involved in understanding it. It would further ignore that a literary text addresses us and calls upon us to respond. Hence application is part of the interpretation. It is the misleading concept of objectivism that makes us assume that we as detached observers interpret a literary text first and apply the acquired knowledge for our subjective purposes later (cf. G ADAMER 1990: 307 ff). Now to the second question: How can we find out whether the literary text as ‘an optical instrument’ does not distort our world but illuminates it? In the last part of my contribution, I will show how the novel Gracey explores the tensions between Aboriginals and white people in Australia. How can we decide whether this presentation is distorting or illuminating? Some students in my classes would suggest that we must study the social and political reality in Australia before we can answer this question. But this would imply at best that literary texts could only confirm what we already know. Yet they do not copy reality but dramatize it and reveal something new which we could not know without them. Does this imply that we have to accept the revelations uncritically? G ADAMER uses the concept of recognition in order to evaluate what the text reveals. But what does it mean? We misunderstand it, he writes, if we only regard it as knowing something again that we know already - i.e., what is familiar is recognized again. The joy of recognition is rather the joy of knowing more than is already familiar. In recognition what we know emerges, as if illuminated, from all the contingent and variable circumstances that condition it; it is grasped in its essence. (ibid.: 114) A RISTOTLE formulates a similar insight: Poetry is more philosophical and more serious than history because it presents events and actions in such a way that they reveal something basic about human nature and our way of being in the world (cf. A RISTOTLE 2001: 29 f.). For N USSBAUM , the words “more philosophical than history” mean that literary texts do not present what has happened but acquaint us with what might happen (cf. N USSBAUM 1998: 92). And she points out that such a knowledge is educationally significant because it cultivates “capacities of judgment and sensitivity” (ibid.: 86). Two and a half thousand years later, the novelist Milan K UNDERA writes that literary texts do not copy reality but explore human possibilities: A historian tells us about events that have taken place. By contrast, Raskolnikov’s crime never saw the light of day. A novel examines not reality but existence. And existence is not what has oc- What Makes Reading Literary Texts Pleasurable and Educationally Significant ? 17 37 (2008) curred, existence is the realm of human possibilities, everything that man can become, everything he’s capable of. Novelists draw up the map of existence . (K UNDERA 1990: 42) Criticizing formalist conceptions of literature, K UNDERA stresses that the presentation of human possibilities raises a claim to knowledge: “A novel that does not discover a hitherto unknown segment of existence is immoral. Knowledge is the novel’s only morality” (ibid.: 5 f). R ICŒUR taking up A RISTOTLE ’s concept of mimesis points out that mimesis “far from producing a weakened image of pre-existing things, […] brings about an augmentation of meaning in the field of action, which is its privileged field” (R ICŒUR 1991: 138). G ADAMER expresses a similar insight: The representation of a thing in art is more than the thing represented: “Homer’s Achilles is more than the original” (G ADAMER 1990: 114). If we apply this insight to the novel Gracey, we realize that we cannot answer the question whether the novel is distorting or illuminating by finding out whether or not it confirms our knowledge about the social and political reality in Australia. The protagonist Gracey is not the weakened image of a real person but presents a highly significant human possibility of being in the world. She has been created in order to reveal what a young Aborigine who lives between two cultures experiences. As S HUSTERMAN points out, literature as dramatization engages us in understanding a highly significant reality: Art’s fictions are therefore often said to feel far more vividly real than much of what we commonly take as real life. It is as if the bracketed diversion of art from ordinary realities allows us an indirect route to appreciate the real far more fully and profoundly by putting us in touch with a reality that is at least greater in its experiential depths of vivid feeling. (S HUSTERMAN 2002: 237) The writers I have quoted make clear that we misunderstand literary texts if we regard them as the confirmation of what we already know on the one hand or regard them as precious objects whose stylistic and structural features we admire in a detached stance on the other hand. A RISTOTLE ’s definition of tragedy makes convincingly clear that we can only understand tragedies adequately if we respond to them and feel fear and pity. These feelings presuppose another capacity, namely empathy. We can only feel fear and pity if we are capable of putting ourselves into the characters’ place. Hence empathy is an essential part of the aesthetic experience. In her book Reading Lolita in Tehran, Azar N AFISI writes about empathy: “If you don’t enter the world, hold your breath with the characters and become involved in their destiny, you won’t be able to empathize, and empathy is at the heart of the novel” (N AFISI 2003: 111). Such an insight forces us not only to reconsider literary competence that is based on a formalistic concept of literature but also makes us aware of the weakness of the narrow pragmatic approach to foreign language teaching and learning. This approach dismisses literary texts as irrelevant without considering how important they could be for understanding people who are different. For N USSBAUM , it is an essential educational goal “to cultivate in ourselves a capacity for sympathetic imagination that will enable us to comprehend the motives and choices of people different from ourselves, seeing them not as forbiddingly alien and other, but sharing many problems and possibilities with us” (ibid. 85). If we accept such a goal, literary texts become important because they give an insight into what people feel and think which we can rarely gain in everyday life: “Narrative art has the power to make 18 Lothar Bredella 37 (2008) us see the lives of the different with more than a casual tourist’s interest - with involvement and sympathetic understanding” (N USSBAUM 1998: 88). In this first part, I have outlined a concept of literature as dramatization that can explain why reading literary texts in the foreign language class can be pleasurable and educationally significant. They present relevant content in such a way that students are motivated to read, speak and write about them. In the following parts I examine some further implications of this concept of literature. 2. The Tensions between Understanding and Interpretation From a theoretical point of view we can say that all understanding is interpretation, but from a practical and pedagogical point of view it is necessary to distinguish between the two, although there are no clear-cut boundaries between them. Understanding means that we grasp things more or less automatically without conscious effort. For example, when we hear something in our mother tongue, we do not first hear the sounds and then attribute meanings to them but understand them immediately. When we are uncertain what the sounds mean, we begin to interpret them. We experience this kind of uncertainty in many ordinary and extraordinary contexts. Hence we need interpretative competence, and literary texts are well suited for developing it. According to S HUSTERMAN interpretation is an activity which “enlarges, validates, or corrects understanding” (S HUSTERMAN 2000: 131). It comes into play when we feel dissatisfied “with the understanding we already have - feeling it partial, obscure, shallow, fragmented or simply dull - and we want to make it fuller or more adequate” (ibid.: 132). This implies that interpretations are answers to our experiences of uncertainties which we can understand and which satisfy us. If this were not the case, we would ask for a further interpretation of the interpretation and would be involved in a vicious circle ad infinitum. This indicates that the distinction between interpretation and understanding is a significant one. We ask for interpretations in order to correct our “partial, obscure, shallow, fragmented or simply dull” understanding. During the process of interpretation we become aware of alternative interpretations which we have to consider and to evaluate. To a large extent, culture consists of such discussions about alternative interpretations in different spheres. Hence interpretive competence should play an essential role in education (Bildung) because it enables us to participate in public as well as in private life. In interpreting the novel Gracey I will highlight how this competence encourages students to develop different interpretations and to evaluate them. 3. Affirmative and Critical Reading of Literary Texts Postmodern concepts of reading often stress that students should no longer be the servants but the masters of the text and project into it whatever they want to see in it. Reading What Makes Reading Literary Texts Pleasurable and Educationally Significant ? 19 37 (2008) literary texts is not longer seen as an interaction but as an expression of self-creation, selfdetermination, and autonomy. R ORTY ridicules the ‘weak’ reader who attempts to understand the intended meaning of a text and praises the ‘strong’ reader who imposes his concepts and interests on the text (cf. B REDELLA / B URWITZ -M ELZER 2004: 130 f). However, this post-modern devaluation of the text in order to strengthen the significance of the reader is problematic. It is true literary texts do not have a fixed meaning but this does not mean that they have no meaning at all and that readers alone decide about their meanings (B REDELLA 2002: 36 ff). Literary texts could not challenge our views if we as readers were only to project our views into them. According to the Danish philosopher Knud L ØGSTRUP literary texts are significant because they convince us of a certain world view which we have to accept or reject (cf. L ØGSTRUP 1998: 73, 88). Here, we can take up the discussion of the question in part 1.2 regarding whether literary texts can raise a claim to knowledge or whether they are mere self-referential works of art which cannot comment and interpret the world outside the text. According to the literary scholar Wayne B OOTH , we should regard the literary text as a good friend who wants to persuade us of a certain world view. N USSBAUM takes up the metaphor of the text as friend and points out: The question now is, what does this friendship do to my mind? What does this new friend ask me to notice, to desire, to care about? How does he or she invite me to view my fellow human beings? Some novels, he [B OOTH ] argues, promote a cheap cynicism about human beings and lead us to see our fellow human beings with disdain. (N USSBAUM 1998: 100) Thus we must read literary texts critically but the critical reading presupposes an affirmative one. Without understanding what the texts says, there is no dialogue in which we can learn something new. With reference to Eliot and Adorno, S HUSTERMAN says about affirmative reading: “For unless we provisionally surrender ourselves to the world of the artwork, we shall be unable to get deeply involved in the work and thus fail to understand it fully enough to appreciate the power of the alternative vision” (S HUSTERMAN 2002: 156). The reader, in Adorno’s words “must enter into the work” and “give himself over to the work” (quoted in ibid.). According to John D EWEY , who strongly influenced R OSENBLATT ’s concept of aesthetic reading, the reception of a work of art is an interactive process in which we are changed: “For in order to perceive esthetically, he [the perceiver] must remake his past experiences so that they can enter integrally into a new pattern. He cannot dismiss his past experiences nor can he dwell among them as they have been in the past” (D EWEY 1958: 138). Reading is a dialogical process, which includes affirmative and critical reading. This insight is often forgotten in new concepts of teaching literature which no longer take the literary text seriously but only use it as a springboard for creative tasks. I do not argue against creative tasks but want to stress that reading literary texts is only pleasurable and educationally significant if it makes us see things in a new light and this presupposes that we attempt to understand the text. Otherwise we do not allow it to challenge our views. Hence teaching literature demands affirmative reading. What this means I will discuss in the next part. 20 Lothar Bredella 37 (2008) 4. Sense-Making Strategies Most of the tasks which test reading competence are right-or-wrong questions. These tasks convey the impression that reading means to register as many details as possible and that good readers are able to remember most of them. This concept of reading seems so convincing because it is supported by another one: If we get the details right, we can build up a reliable understanding of the text. Yet there is something basically wrong with this concept of reading because our understanding of the text does not begin with details but with the knowledge of what kind of text we are reading and what the text is about. Details only make sense in a larger whole. Hence understanding a text is based on the hermeneutic circle. a) The hermeneutic circle: It stresses the necessity of pre-understanding and the mutual interdependence between details and the whole. This is often neglected in teaching reading. The misleading concept of the text as container from which we pick bits of information lets us forget that we must bring an enormous amount of our prior knowledge and our prior experiences and our sense-making strategies to the text. The hermeneutic circle between the details and the whole makes aware of another central aspect in reading literary texts, and this aspect will become clearer when we consider reading as a performative act. b) Performatism: Reading as a performative act becomes obvious when we watch actors on the stage. But ordinary readers, too, perform. Jean-Paul S ARTRE calls reading “guided creation” (création dirigée), which implies that readers bring their prior knowledge to the text and put their emotions at the text’s disposal under the guidance of the text. When we feel the hatred of one character for another, it is our hatred which is aroused in us by the words of the text (S ARTRE 1964: 29). D EWEY writes: “Without an act of recreation the object is not perceived as a work of art” (D EWEY 1958: 54; cf. B REDELLA 2002: 170 ff). In a similar way Michail B AKHTIN points out that we must become active: So long as we simply see and hear something, we do not yet apprehend artistic form; one must make what is seen or heard or pronounced an expression of one’s own active, axiological relationship, one must enter as creator into what is seen, heard and pronounced. (B AKHTIN 1990: 305) Aesthetic reading is much more than enjoying formal structures; and it is pleasurable because it makes us active in the way S ARTRE , D EWEY and B AKHTIN describe the performative act of reading. Often we do not encourage students to interact with the text but rather encourage them to collect information about the text. Wolfgang I SER , who thoroughly analyzes the reading process, points out that there are gaps in a literary text which the reader must fill and bridge in order to understand it. The reader must supplement what the text left unsaid. S HUSTERMAN , discussing performatism, comes to the conclusion: “According to some versions of performatism, an artwork is a schematic object with various ‘gaps’ of indeterminacy that are filled in by interpretation” (S HUSTERMAN 2002: 41). And he quotes Margold Macdonald: “the task of the critic resembles those of the actor and executant rather than those of the scientist and logician” (quoted in ibid.: 41). The text is a kind of score which needs the reader as performer. What Makes Reading Literary Texts Pleasurable and Educationally Significant ? 21 37 (2008) If it is the task of teaching literature to make reading as a performative act possible, it has consequences for our concept of the exemplary reader. In his book The Literature Workshop. Teaching Texts and Their Readers, which I highly appreciate, Sheridan B LAU writes that the exemplary reader should be the English professor who rejoices when he is confronted with difficulties in texts because he can examine them and write books about them (cf. B LAU 2003: 22). I agree with B LAU when he writes that we should educate students to be able to deal with reading difficulties, but at the same time I would like to stress that the exemplary reader for students should not be the English professor. As long as Literaturdidaktik is understood as Vermittlungswissenschaft and transmits the knowledge of literary studies to students, the exemplary reader is necessarily the English professor who analyses the literary text as an object and celebrates reading difficulties which allow him to demonstrate his knowledge and interpretative abilities. When, however, we ask what makes reading literary texts pleasurable and educationally significant for students, we do no longer regard the literary text as an object but direct our attention to the interaction between literary texts and their readers and ask with A PPLEYARD and B RUNER how literary texts reverberate with such liveliness in the readers’ mind and how their aesthetic and educational potential can be realized in the classroom. We examine how the students as readers are involved in making sense of the literary text and how they relate its world to their own. Hence we must consider literary competence in a wider aesthetic and educational context. 5. Reconsidering Literary Competence Taking up what I have said in the preceding parts I attempt to list some aspects of literary competence which I regard as relevant: a) We read literary texts because they offer us models for understanding a foreign world as well as our own one. They help us to make sense of our lives and provide us with the vocabulary to speak and write about them. The American philosopher Alasdair M AC I NTYRE stresses this point emphatically when he writes: “Deprive children of stories and you leave them unscripted, anxious stutterers in their actions and in their words” (M AC I NTYRE 1981: 216). N USSBAUM , as we have seen in part 1.2, uses Proust’s term ‘optical instrument’ in order to indicate that readers use the world of the literary text to illuminate their own. We read literary texts because we hope that finding out how others live will help us find out how we should live. This is an essential aspect of literary competence which is necessary for promoting reading motivation. b) Reading literary texts promotes interpretive competence which makes an understanding less “partial, obscure, shallow, fragmented or simply dull” and enables us to compare and evaluate different interpretations. It is also necessary for being able to participate in a dialogue with others (for the significance of the dialogical competence for foreign language teaching and learning, cf. D ELANOY 2000: 2006). The interpretive competence which can be effectively developed with literary texts is needed in many ordinary and extraordinary situations outside of literature. 22 Lothar Bredella 37 (2008) c) It is an essential part of literary competence that students put their knowledge about actions and their feelings at the text’s disposal and that they are to respond to the world of the literary texts. Reading is a performative act or in S ARTRE ’s words ‘guided creation’. If students do not realize this dimension of literary competence they will not experience pleasure in reading literary texts. d) We have seen that for R OSENBLATT aesthetic reading means that the reader is focusing on “what he is living through during the reading event”. It is part of literary competence that we pay attention to how the text makes us respond. Hence the aesthetic experience comprises two dimensions: involvement and reflecting how we are involved. When we ask students to write about their reading experiences, we promote the competence to make explicit what is implicitly involved in the reading process. In his book The Explicit Animal. A Defense of Human Consciousness Raymond T ALLIS argues that the characteristic feature of human beings is to make explicit what determines them implicitly and thus allows them to gain a distance to these influences (for a more detailed discussion of the pre-knowledge about human actions and values B REDELLA 2007: 73 ff). f) Reading literary texts promotes the development of a common vocabulary. If one reader calls a character courageous, whereas another calls him a coward, they both will not only have to clarify how they understand the text but what these terms mean for them. K. A. A PPIAH asks why we read stories and care how we think and feel about them and answers: “[E]valuating stories together is one of the central human ways of learning to align our responses to the world. And that alignment of responses is, in turn, one of the ways we maintain the social fabric, the texture of our relationships” (cf. A PPIAH 2006: 29). I will refer to this competence in interpreting the novel Gracey. g) Literary texts develop a competence for evaluating complex ethical conflicts. In his comprehensive study Ästhetische Erfahrung und Moral Marcus D ÜWELL (2000) shows how literature is morally significant not so much because it prescribes how we should act but because it explores ethical conflicts from different perspectives and opens up new horizons for evaluating them (for the relationship between ethics and aesthetics cf. B REDELLA / B URWITZ -M ELZER 2004: 44 ff and the interpretation of Gracey in part 6). h) Story competence is needed to understand one’s own identity and those of others. According to M AC I NTYRE , I am part of the stories of others, “as they are part of mine. The narrative of any one life is part of an interlocking set of narratives ” (M AC I NTYRE 1981: 218). If I ask “What am I to do? ” I must answer the prior question “Of what story or stories do I find myself a part? (ibid.: 216). For Vera and Ansgar N ÜNNING (2007), understanding and telling stories are essential for developing identities. j) Literary competence promotes intercultural competence. According to Martha N USSBAUM , literary texts encourage their readers to put themselves into the position of others so that they can experience what these others think and feel: It is for that reason that literature is so urgently important for the citizen, as an expansion of sympathies that real life cannot cultivate sufficiently. It is the political promise of literature that it can transport us, while remaining ourselves, into the life of another, revealing similarities but also profound differences between the life and thought of that other and myself and making them comprehensible, or at least more nearly comprehensible. (N USSBAUM 1998: 111) What Makes Reading Literary Texts Pleasurable and Educationally Significant ? 23 37 (2008) In a similar way Richard R ORTY writes: Seen in this light, what novels do for us is to let us know how people quite unlike ourselves think of themselves, how they contrive to put actions that appall us in a good light, how they give their lives meaning. The problem of how to live our own lives then becomes a problem of how to balance our needs against theirs, and their self-description against ours. To have a more educated, developed and sophisticated moral outlook is to be able to grasp more of these needs and to understand more of these self-descriptions. (R ORTY 2003: 9) In reading literary texts we are constantly confronted with the question of balancing the inner perspective (how do the characters see themselves? ) and the outer perspective (how do we as readers evaluate them? ). i) It is an essential aspect of literary competence that the students are able to identify stylistic and structural features of certain genres. Without such knowledge we could not understand how literary texts work and could not speak and write about them. I have attempted to outline a broader concept of literary competence in order to explain why reading literature is pleasurable and educationally significant. In this attempt I am not alone. Eva B URWITZ -M ELZER (2007) and Werner D ELANOY (2007) have described similar aspects of literary competence and have indicated how they can be realized in the foreign language classroom. Literary texts have the advantage that they present complex dramatized events the students can explore and speak and write about. In the last part of my contribution I shall examine some of the dramatized events in the young adult novel Gracey and indicate what can be achieved in the foreign language classroom. 6. James Moloney: Gracey Gracey is the second novel in a trilogy which includes Dougy and Angela. In Gracey we have three personal narrators: Gracey, an Aboriginal girl, who won the hundred-yard championship of Queensland in Australia and is offered a grant at a prestigious college where she will be the only Aboriginal student among whites. The second narrator is her brother Dougy, who is slightly retarded and loves his sister, who is the most important person in his life. The third narrator is a white policeman in the Aboriginal community. What he thinks and feels, he records on his father’s tape recorder since he cannot reach him on the phone personally. This narrative device indicates that he is extremely lonely and isolated in the Aboriginal community. Besides these three narrators there are the voices of many other Aboriginals and white characters so that the reader is faced with many perspectives. Only a literary text can bring so many voices and tensions between Aboriginals and white Australians within one text into the classroom, and these voices and tensions are dramatized in such a way that they not only illuminate something about the social and cultural reality in Australia but also about the world of the reader. At the beginning of the novel Gracey is faced with the problem of whether or not she should accept the grant from the white college. The Aboriginal activists are against it and accuse her of betraying her Aboriginal culture if she accepts the grant. But her mother questions the belief that there is an Aboriginal identity which can be betrayed. For her, it 24 Lothar Bredella 37 (2008) is important that attending the college will enable her daughter to get a job and escape poverty. In order to engage students, one could ask them what they think Gracey should do and what they think Gracey will experience at the white school. In answering these questions the students have to take the foreign situation into consideration and must activate their prior knowledge about such things as betrayal, identity, discrimination and integration. They will look at these concepts from different perspectives. These activities will enrich their vocabulary and will help them understand their own reality. Understanding the foreign world has repercussions for understanding one’s own. A central event in the novel is the discovery of six skeletons with bullet holes in their skulls in the Aboriginal community. Even the national newspapers report about it and interpret it in different ways. If these skeletons are those of white people, the discovery implies that white people were killed while “civilizing the continent”. If they are those of Aboriginals, it will be a further proof of the brutalities of the whites who sought to exterminate the Aboriginals. Here the students can experience the significance of interpretation in everyday life and in politics. Gracey studies history books in order to find out what happened in the community when these six people were killed. During her studies she makes a discovery which changes her concept of integration and identity. The history books treat Aboriginals not as human beings but as obstacles to progress. She is so shocked that she leaves the school and returns to her community in order to fight for identity politics. In the Aboriginal community, however, she must learn that the activist Kevin O’Shean does not appreciate her commitment to the Aboriginal community because she as a woman should not be engaged in public affairs. When Gracey learns who killed the six Aboriginals and that the situation was more complicated than they thought, she tells Kevin what she knows. Yet he changes her story in order to make it more effective in attacking whites. Gracey severely criticizes his distorted story. He, however, argues that white people are always guilty even if they are not personally involved. They are guilty for being in Australia. How do we as readers respond to Kevin’s view? He does not regard white people as fellow human beings. In this respect he resembles the historians who regard Aboriginals as objects to progress and do not accept them as fellow human beings (for a comprehensive interpretation of Gracey and further tasks cf. B RE - DELLA / B URWITZ -M ELZER 2004: 172 ff). Let us imagine that one student says that Gracey betrayed her culture when she decided to attend the white college. This student does not only say something about Gracey but also expresses how he or she feels about her decision and implies how other students should feel about it. Another student might think that Gracey is courageous and an exemplary figure, however, because she takes her life in her own hands and allows neither the majority culture nor the minority culture to prescribe how she should think and feel. This student might further point out that people should not be accused of betraying their culture when they develop a new identity. Such an example makes clear that reading literary texts brings our own concepts into play and helps to builds up a common vocabulary. Summarizing, we can say that literary texts are relevant for foreign language learning and intercultural understanding because they can bring so many voices of the foreign What Makes Reading Literary Texts Pleasurable and Educationally Significant ? 25 37 (2008) culture into the classroom. They encourage us to put ourselves into the shoes of others and see the world through their eyes. In A PPIAH ’s words, literary texts “link us, powerfully to others, even strange others” (A PPIAH 2005: 257). They encourage us to understand their self-descriptions and to learn something from them for our own self-descriptions in the complex process of affirmative and critical readings and comparisons of different interpretations. This process cannot be standardized, but it can be assessed if we succeed in giving a detailed description of literary competence which allows us to evaluate what students achieve in reading literary texts and in speaking and writing about their reading experiences and their interpretations (cf. B URWITZ -M ELZER 2007). References A PPIAH , Kwame Anthoy (2005): The Ethics of Identity. Princeton: Princeton UP. A PPIAH , Kwame Anthoy (2006): Cosmopolitanism. Ethics in a World of Strangers. New York & London: Norton. A PPLEYARD , J.A. 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Cambridge: Harvard UP. * Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Eva Burwitz-Melzer, Justus-Liebig-Universität, Anglistik, Teaching English as a Foreign Language, Otto Behaghel-Str. 10, 35394 G IE ß EN . E-mail: eva.burwitz-melzer@anglistik.uni-giessen.de Arbeitsbereiche: Literaturdidaktik, Sprachlehrforschung. 37 (2008) E VA B URWITZ -M ELZER * Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht Abstract. As a reaction to the challenges of official guidelines like the National Educational Standards in Germany, research in the teaching of literature to second language learners has argued that standardisation and a grading of competences might be possible in this field, too. Not all aspects of the reading process, however, can be operationalised in this manner. Emotions, for example, which play a crucial role in reading processes and promote the understanding of literary texts, are difficult to describe and to assess. This article explores aspects in different theories of emotions as discussed by philosophers and cognitive psychologists. The second part of the article focusses on the role of emotions in the reading process. A third part explains the results of an empirical case study in an EFL classroom dealing with a US-American short story. Emotions do not only seem to be experienced by the learners while reading about the characters in the story; they are also verbalised and discussed and used for the exploration of the meaning of the text as well as for an evaluation of the learning process. 1. Über die Standardorientierung hinaus Die Festschreibung von Bildungsstandards für den Fremdsprachenunterricht hat in den letzten vier Jahren dafür gesorgt, dass die fremdsprachliche Literaturdidaktik innovative Konzepte für den Literaturunterricht entwickelt hat, die gesellschaftliche, kulturelle und interkulturelle Relevanz besitzen sowie eine sinnvolle Textarbeit im schulischen Unterricht ermöglichen sollten (vgl. z.B. B URWITZ -M ELZER 2006, 2007 und B REDELLA / H ALLET 2007). Obwohl die Bildungsstandards sich noch nicht in allen Klassenstufen, Schulformen und Abschlüssen niederschlagen, wurden bereits Vorschläge für eine Integration der Literatur in alle Jahrgangsstufen des Englischunterrichts vorgelegt. Dabei wurde in vielen Entwürfen auf eine größtmögliche Operationalisierbarkeit der Lernerkompetenzen geachtet, die sich jedoch, wie zahlreiche Fachdidaktiker einräumen mussten, nicht für alle Bereiche des literaturdidaktischen Handelns durchhalten ließ (vgl. hierzu vor allem D ECKE -C ORNILL / G EBHARD 2007: 13-16, 25-27; B REDELLA 2007; B URWITZ - M ELZER 2007: 136-146). Literaturdidaktische Lernziele, ein breit angelegter Bildungsbegriff und ein Testen der Kompetenzen, die im Literaturunterricht erreicht werden sollen, sind, so bescheinigen uns Literaturdidaktiker in den letzten Jahren immer wieder, nur schwer miteinander in Deckung zu bringen: Die Subjektivierung des Lese- und Verstehensprozesses, wie sie von der Rezeptionstheorie gefordert wird, und die sozialen Lernziele, die mit der Förderung des interkulturellen Lernens verbunden werden, stehen 28 Eva Burwitz-Melzer 37 (2008) einer objektiven Messung mancher Kompetenzen oder Lernziele im Literaturunterricht entgegen. In dem vorliegenden Artikel soll dieses Argument noch untermauert werden, indem ein weiterer Bereich der Literaturdidaktik untersucht wird, der nicht messbar und auch nicht operationalisierbar, und dennoch unauflöslich mit Lese- und Verstehensprozessen verbunden ist - das Erleben von Emotionen beim Lesen literarischer Texte. Emotionen sind im Zusammenhang des Fremdsprachenunterrichts wiederholt untersucht worden, sie zählen zu den so genannten affektiven Faktoren, die einen nicht geringen Einfluss auf das Erlernen einer Fremdsprache haben (vgl. z.B. G EISLER / H ERMANN - B RENNECKE 1997; R IEMER 2002: 72-77; D E L EEUW 1997; G ARDNER / L AMBERT 1972; S OLMECKE 1983; D ÖRNYEI 2001). Auffällig ist, dass im Kontext der Emotionen beim Fremdsprachenlernen einerseits fast immer die Brücke auch zur Motivation und damit zum Lernerfolg geschlagen wird und dass es in den meisten Studien andererseits zu einer Konzentration auf den Faktor ‚Angst‘ als negativem Faktor im Sprachlernprozess kommt (R IEMER 2002: 72-77; D E L EEUW 1997; S OLMECKE 1983; D ÖRNYEI 2001). In diesem Artikel jedoch werden ‚Emotionen‘ in ihrer gesamten Bandbreite in Betracht gezogen und in Zusammenhang mit dem literarischen Leseverstehen gebracht. Dieses Thema ist von einigen wenigen Literaturdidaktikern schon beschrieben worden (vgl. B REDELLA 2004, 2007), es erhält allerdings heute durch eine in den 1990er Jahren wieder belebte Diskussion in der Philosophie und der Psychologie eine neue Relevanz für den schulischen Literaturunterricht, indem wichtige Bezüge zur Psyche, zur psychologischen und sozialen Entwicklung der Lernenden sowie zu ihrer Lebenswelt hergestellt werden können. Im Rahmen der kompetenz- und outputorientierten Lehr- und Rahmenpläne gewinnt das Thema ‚Emotion und Literatur‘ aber noch einmal eine zusätzliche Brisanz, weil es einmal mehr vor Augen führt, dass eine durchgängige Messbarkeit von Lernprozessen im Literaturunterricht nicht durchführbar und ein ausschließlich auf Output konzentriertes Curriculum in diesem Kontext auch gar nicht wünschenswert sein kann, da es notwendigerweise zentrale Erlebens- und Verstehensprozesses beim Lesen außer Acht lassen müsste. Im Folgenden möchte ich in vier Schritten das Thema ‚Emotion und Literatur‘ entwickeln: Zunächst soll eine kurze Begriffsbestimmung klären, was mit ‚Emotion‘ heute in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen gemeint ist. Diese Theorien können im Zusammenhang dieses Aufsatzes natürlich nur in wenigen Aspekten nachgezeichnet werden. Danach soll die Relevanz des Begriffs für den fremdsprachlichen Literaturunterricht dargelegt werden. Abschließend wird eine empirische Fallstudie belegen, wie stark Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht präsent sind und was sie im Lese- und Verstehensprozess bewirken können. Die schlussfolgernden Betrachtungen zeigen einige notwendige Konsequenzen für den Literaturunterricht auf. 2. Was sind Emotionen? Wie wichtig Menschen die Auseinandersetzung mit Emotionen ist, lässt sich an der Jahrtausende alten Diskussion dieses Themas in der Philosophie erkennen. Bereits Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht 29 1 Während man heute sehr genau zwischen Emotion und Affekt unterscheidet, taucht in deutschen Übersetzungen von Aristoteles’ Rhetorik der Begriff „Affekt“ als Substitut für „Emotion“ auf. 37 (2008) A RISTOTELES versucht, dem komplexen Zusammenhang zwischen Stimulus, Emotion und Begründung der Emotion auf die Spur zu kommen 1 : Unter „Affekte“ verstehen wir das, durch dessen Wechselspiel sich die Menschen in ihren Urteilen unterscheiden und dem Kummer und Vergnügen folgen, z.B. Zorn, Mitleid, Furcht und so weiter, sowie das Gegenteil davon. Bei jedem einzelnen Affekt sind drei Aspekte zu trennen: Ich tue dies am Beispiel Zorn: In welcher Gemütsverfassung befinden sich Zornige? Wem zürnen sie gewöhnlich? Worüber sind sie erzürnt? Wenn wir nämlich eine oder zwei dieser Fragen zu beantworten verstehen, nicht aber alle drei, so können wir wohl unmöglich jemanden in Zorn versetzen. Ähnlich ist es auch bei den anderen Affekten. (A RISTOTELES 1999: 77) Deutlich wird hier zwischen einer Ursache für eine Emotion, einer Beurteilung einer Situation in der Lebenswelt durch den Menschen und seiner Emotion selbst unterschieden. A RISTOTELES geht davon aus, dass wichtige Bezüge zwischen Emotionen und kognitiven Urteilen des Menschen bestehen und - weit wichtiger - dass ohne die kognitiven Urteile keine Emotionen begründbar sind. A RISTOTELES ist es auch, der einen Zusammenhang betont zwischen Emotionen, den Künsten und der Entwicklung des Menschen: Wenn Oedipus Rex durch eleios und phobos eine katharsis im Leser heraufbeschwören kann, ist es auch möglich, dass wir durch diese Tragödie etwas über uns selbst und unsere menschliche Situation erfahren und lernen: Wir lernen, unsere Möglichkeiten und Grenzen anzuerkennen, und können wichtige Erkenntnisse aus der literarischen Welt übertragen in unsere alltägliche Lebenswelt (vgl. R OBINSON 2005: 154-155). In den vergangenen Jahrhunderten sahen viele Philosophen Emotionen und Kognition allerdings auch als voneinander unabhängige, oft sogar widerstreitende Kräfte an, wobei die Emotionen oft negativ besetzt und als zerstörerisch bewertet wurden: Sie müssten von rationalen Kräften im Zaum gehalten werden (vgl. R OALD 2007: 9-17). Diese binäre Vorstellung von Emotionen und Kognition war besonders im 18. und 19. Jahrhundert weit verbreitet. Erst im 20. Jahrhundert wurde dieses Konzept durch neuere Theorien, die sich vor allem auch auf Erkenntnisse der Psychologie stützten, ersetzt. William J AMES erkannte die zentrale Bedeutung der Emotionen für menschliches Urteilen und Handeln: If you can conceive yourself, if possible, suddenly stripped of all the emotions with which our world now inspires you, and try to imagine it as it exists, purely by itself, without your favorable or unfavorable, hopeful or apprehensive comment [...] no one portion of the universe would then have importance beyond another; and the whole character of its things and series of its events would be without significance, character, expression or perspective. (J AMES zitiert in R OALD 2007: 9) Hier spielen Emotionen keine zerstörerische Rolle, sondern sind der Grund für Imagination und Schaffenskraft des Menschen, wichtiges Element seines Bewusstseins und seiner Weltwie Selbstwahrnehmung. Die Ergründung des Zusammenhangs zwischen Emotion, physischer Reaktion und Kognition wurde verstärkt gegen Ende des 20. Jahrhunderts wieder aufgegriffen. In 30 Eva Burwitz-Melzer 37 (2008) neueren Studien zu Emotionen sind es wieder die Disziplinen Psychologie und Philosophie, die seit den Neunziger Jahren neue Erkenntnisse zutage förderten. Heute sind kognitive Emotionstheorien von Psychologen, etwa von Richard L AZARUS und Phoebe E LLSWORTH , und Philosophen, wie den Vertretern der judgment theory, Martha N USS - BAUM , Robert C. S OLOMON und Robert M. G ORDON , weit verbreitet. Trotz gravierender Unterschiede in den einzelnen Theorien ist den Vertretern der kognitiven Emotionstheorien eigen, dass sie Emotionen als Resultate der Informationsverarbeitung ansehen und deshalb den engen Zusammenhang zwischen Kognition und Emotion herstellen, indem sie betonen, dass eine Emotion stets eine Beurteilung einer bestimmten Situation sei oder sie zumindest enthalte oder dass einer Emotion solch ein Urteil vorangehe. Richard L AZARUS hält ein solches Urteil für den Kern einer Emotion und beschreibt diesen als „[a]ppraisal of the significance of the person-environment relationship“ (L AZA - RUS zitiert in R OBINSON 2005: 13). Ohne ein solches Urteil, so L AZARUS , gäbe es keine Emotion, ist eine solche Beurteilung aber einmal erfolgt, muss auch zwangsläufig eine Emotion daraus resultieren. Die Emotionen, die in diesem Kontext beschrieben werden, stammen in der Regel aus einem recht begrenzten Repertoire: L AZARUS zählt dazu „anger, anxiety, fright, guilt shame, sadness, envy, jealousy, disgust, happiness, pride, relief, hope, love and compassion“ (L AZARUS zitiert in R OBINSON 2005: 13). Allen kognitiven Emotionstheorien ist eigen, dass für sie Emotionen eine evaluierende Reaktion auf eine bestimmte Lebenssituation darstellen, in der diese Situation in Bezug gesetzt wird zu menschlichen Interessen, Werten oder Wünschen und Zielen. Wie sonst könnte man Angst haben, Freude empfinden oder sich schämen, wenn man eine bestimmte Situation nicht als unmittelbar bedrohlich oder sehr positiv oder eine eigene Leistung nicht als moralisch verwerflich eingeschätzt hat? Emotionen brauchen eine kognitive Einschätzung eines Ereignisses oder einer äußeren Situation, die als für uns selbst oder für uns wichtigen Menschen als bedrohlich, als lohnend oder auch als peinlich erkannt und beurteilt werden kann. Neurophysiologen wie Joseph L E D OUX und Psychologen wie Jenefer R OBINSON haben seit den 1990er Jahren noch einige neue Aspekte ins Spiel gebracht, die zum einen empirische Erkenntnisse über phylogenetische Entwicklungen aller Lebewesen beisteuern und es zum anderen nahelegen, dass insbesondere die judgment theory noch einmal überdacht werden müsste. Zunächst stützen sie sich auf den Einwand, dass man eine Situation sehr wohl in einer bestimmten Weise beurteilen kann, dies aber nicht immer zu einer passenden emotionalen Reaktion führt: First, the theory that says that emotions simply are judgements is false. We cannot define emotions in terms of judgements since however we describe the relevant judgment, it is always going to be possible to make the judgment yet fail to be in the corresponding emotional state: I can judge that you have wronged me or ‚see you as‘ wronging me without being angry. (R OBINSON 2005: 26) Wenn der Stimulus also sehr wohl zu einer Beurteilung führt, diese aber nicht zu der passenden emotionalen Reaktion führt, greift die judgment theory nicht ganz. Zweitens schenken die Vertreter der judgment theory den Fakten der physiologischen Reaktionen sehr wenig oder gar keine Beachtung. Es scheint aber nach empirischen Erkenntnissen, Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht 31 37 (2008) die mit verschiedenen Lebewesen gemacht wurden, durchaus notwendig, sich auch mit den physiologischen Reaktionen zu befassen, die eine Emotion begleiten. Der Neurophysiologe Joseph L E D OUX stellt in seiner 1996 erschienenen Studie The Emotional Brain (1996) die Behauptung auf, es gäbe kein einheitliches Phänomen ‚Emotion‘, sondern eher verschiedene Varianten von emotionalen Systemen. Dabei seien Emotionen keine spezifisch menschliche Erscheinung, sondern auch bei den meisten anderen Lebewesen zu fnden, basale emotionale Systeme fänden sich selbst bei niedrigen Lebewesen wie Insekten und Fischen. Die emotionalen Systeme, so L E D OUX , gehörten notwendig zur Ausstattung der Lebewesen, da sie es ihnen gestatten, fundamentale und lebenserhaltende Reaktionen auf Stimuli aus der Umwelt hervorzurufen. In seiner Studie, die sich insbesondere mit der empirischen Erforschung von Hirnreaktionen auf die Emotion ‚Angst‘ befasst, kommt L E D OUX schließlich zu dem Schluss: „[...] emotional responses can be rapidly initiated on the basis of crude stimulus properties prior to and independent of more complex stimulus transformation, such as those involved in the recognition of objects as semantic entities“ (L E D OUX 1996: 272). Dabei sieht er Emotionen und Kognition als unterschiedliche, aber miteinander interagierende Hirnfunktionen an, die es Lebewesen zum Beispiel ermöglichen, Umweltbedingungen, die sie bedrohen, wahrzunehmen und sehr schnell darauf zu reagieren. Empirische Erkenntnisse wie die von L E D OUX haben zu neuen Bestandsaufnahmen der Emotionsforscher geführt. Die Liste der Symptome, die für Emotionen übereinstimmend als wichtig erachtet werden, wurde um physiologische Reaktionen und eine revidierte Einschätzung des zeitlichen Ablaufs der Emotionen ergänzt. Zusammenfassend gibt es zentrale Punkte, die nach E KMAN , einem führenden Pionier der Emotionsforschung, heute von den meisten Vertretern der Emotionsforschung als Charakteristika von Emotionen angesehen werden: C There is a feeling, a set of sensations, that we experience and often are aware of. C An emotional episode can be brief, sometimes lasting only a few seconds, sometimes much longer. If it lasts for hours, it is a mood and not an emotion. C It is about something that matters to the person. C We experience emotions as happening to us, not chosen by us. C The appraisal process, in which we are constantly scanning our environment for those things that matter to us, is usually automatic. We are not conscious of what we are appraising, except when it is extended over time. C There is a refractory period that initially filters information and knowledge stored in memory, giving us access only to what supports the emotion we are feeling. The refractory period may last only seconds, or it may endure for much longer. C We become aware of being emotional once the emotion has begun, when the initial appraisal is complete. Once that we become conscious that we are in the grip of an emotion, we can appraise the situation. There are universal emotional themes that reflect our evolutionary history, in addition to many culturally-learned variations that reflect our individual experience. In other words we become emotional about matters that were relevant to our ancestors as well as ones we have found to matter in our own lives. C The desire to experience or not experience an emotion motivates much of our behaviour. C An affective signal - clear, rapid and universal - informs others of how the emotional person is feeling (E KMAN 2003: 216-217). 32 Eva Burwitz-Melzer 37 (2008) Es wird aus diesen Gemeinsamkeiten deutlich, dass Emotionen zwar stets mit Beurteilungen der Lebenswelt zu tun haben - und zwar immer dann, wenn eine Situation entstanden ist, die wir als für uns vorteilhaft oder als bedrohlich beurteilen -, dass sie aber nicht einfach identisch sind mit einer Beurteilung. Vielmehr stellt eine Emotion eine kürzere oder auch längere Folge von Ereignissen dar, es handelt sich also stets um einen emotionalen Prozess. Die erste Reaktion, eine Art affektive Einschätzung (affective appraisal) erfolgt sehr schnell auf einen bestimmten lebensweltlichen Stimulus, ist automatisch und hat physiologische Reaktionen zur Folge. Im nächsten Schritt wird entschieden, welche Bedeutung der Stimulus für uns hat. Ist er lebensbedrohlich für uns selbst oder Menschen, die eng mit uns verbunden sind, ist er positiv, ein Grund zur Freude für uns oder Menschen, die eng mit uns verbunden sind? Oder kann er ignoriert werden? Erst danach folgt eine genauere kognitive Bestandsaufnahme (cognitive appraisal or monitoring) und damit auch eine Beurteilung der Situation, die sich auf bereits vorhandene Erfahrungen mit ähnlichen Situationen stützt und sowohl allgemeine, evolutionäre wie auch kulturell gebundene, individuelle Erfahrungsmomente enthält. Diese zweite Beurteilung wird unser weiteres Verhalten in der Situation maßgeblich steuern. Jenefer R OBINSON hat in ihrer psychologischen Studie die Ergebnisse der Neurophysiologen und Psychologen der letzten fünfzehn Jahre vergleichend gegenübergestellt und ausgewertet; sie kommt zu dem Schluss, dass auch in einer sehr einfachen emotionalen Reaktion stets diese konsekutiven Schritte durchlaufen werden, die jedoch bei höheren Lebewesen auch ungleich komplexer ausfallen können: [...] there is (1) an initial affective appraisal of the situation that focuses attention on its significance to the organism and causes (2) physiological responses of various sorts [...] and motor responses, which get the organism dealing with the situation as very broadly appraised by the affective appraisal, and which gives way to (3) a further more discriminating cognitive appraisal or monitoring of the situation. In other words, emotion is not a thing or a response or a state or a disposition; it is a process, a sequence of events. (R OBINSON 2005: 59). In diesem prozesshaften Geschehen kommt nach R OBINSON dem emotionalen Gedächtnis zunächst in Phase (1), der ersten gefühlsmäßigen Einschätzung der Situation, eine besondere Rolle zu. Das emotionale Gedächtnis entscheidet darüber, ob eine Situation sehr schnell als gefährlich oder befremdlich, peinlich oder freundlich eingeschätzt wird. Dabei spielen erlernte oder auch angeborene Stimuli wahrscheinlich eine maßgebliche Rolle (R OBINSON 2005: 73). Richard L AZARUS betont aber, dass es nach den ersten Einschätzungen noch weitere „secondary appraisals“ gibt, die anzeigen, ob man die Situation meistern wird, was die weiteren Erwartungen, Hoffnungen und Befürchtungen sind, die man mit der Situation in Beziehung bringt (L AZARUS zitiert in R OBINSON 2005: 75-76). Damit ist gemeint, dass es zwischen Mensch und Umwelt zu einem stetigen Wechsel von zunächst affektiven Einschätzungen, Feedbacks, dann kognitiven Einschätzungen oder Beurteilungen kommt, die es uns erlauben, auch komplexe oder sich verändernde Situationen erfolgreich zu bewältigen. Damit wird deutlich, dass die unterschiedlichen Aspekte eines emotionalen Prozesses auch jeweils unterschiedliche Zeitspannen beanspruchen können; die physiologischen Symptome können zum Beispiel länger andauern als meine Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht 33 37 (2008) kognitive Einschätzung der Situation, d.h. ich empfinde immer noch Ärger, Wut oder Angst, obwohl ich längst entdeckt habe, dass ich nicht bedroht werde. Zu den späteren kognitiven Einschätzungen gehört es auch, dass Menschen ihre jeweilige emotionale Erfahrung mit umgangssprachlichen Beschreibungen zu kategorisieren versuchen. Diese Reflexion hat eine einordnende und oft auch abschließend bewertende Wirkung, sie wird in der Regel nach eigenkulturellen Konzepten in allgemein verständlichen Termini formuliert. But in ordinary life, people tend to appraise their own emotional experiences by applying generalized labels from commonsense or ‚folk‘ psychology. So I may think to myself: ‚I see now why I yelled at Bobby: I was jealous of Sue who had been monopolizing his attention‘, or ‚now I realize why I got so upset; I was angry with Bobby and resentful of Sue‘. In seeking a psychological explanation for my behaviour and for my physiological state, I label my experience with one of the emotion words available to me in my language, and I may also make some inferences about what it was that set off my ‚jealousy‘, ‚anger‘, or ‚resentment‘. […] in short, I reflect upon the stream of emotional responses and try to assess in folk-psychological terms what prompted them and how to categorize them. (R OBINSON 2005: 79-80) Dabei ist es zum einen wichtig zu wissen, dass unterschiedliche kulturelle Systeme durchaus auch unterschiedliche emotionale ‚Landkarten‘ besitzen können, die zum einen die Emotionen anders benennen können oder auch einige Emotionen aufweisen, die in anderen Kulturen gar nicht vorkommen mögen. Zum anderen muss ich mir dessen bewusst sein, dass meine abschließende Einschätzung auch durchaus fehlerhaft sein kann. Schließlich subsumiere ich den emotionalen Prozess unter den Gesichtspunkten, die mir als Individuum zugänglich sind. Ich stelle eine Hypothese auf über meine Reaktionen, obwohl mir wahrscheinlich nicht alle emotionalen Reaktionen, nicht alle Einschätzungen affektiver und kognitiver Art zugänglich sind. Gerade wenn die zugrundeliegende Situation ambivalenter Natur oder meine emotionale Reaktion eine sehr komplexe ist, können mir bei der abschließenden Kategorisierung Fehler unterlaufen. Jenefer R OBINSON schlägt deshalb als Alternative zu einer oft fehlerhaften (Selbst-)Diagnose ein anderes Untersuchungsfeld für Emotionen vor, das die Literatur uns bietet: But if we really want to understand emotions in all their uniqueness and individuality, if we want to follow the progress of an emotion process as it unfolds, if we want to understand how the different elements of the process feed into one another […] then we would do better to stay away from the generalizations of philosophers and psychologists, and turn instead to the detailed studies of emotion that we find in great literature. (R OBINSON 2005: 98-99) 3. Welche Rolle spielen Emotionen beim Lesen von Literatur? Nimmt man dieses letzte Zitat von R OBINSON ernst, so erscheint es fast lohnender, Emotionen mit Hilfe von Literatur zu beobachten und zu analysieren als emotionale Prozesse im eigenen Leben zu erforschen. Diese Behauptung kommt einer rezeptionstheoretischen Literaturdidaktik, die den individuellen, eben auch emotionalen Verstehensprozess des Lesers als zentralen Bestandteil ihrer Konzepte ansieht, entgegen. 34 Eva Burwitz-Melzer 37 (2008) Vor fünfzig Jahren noch hätten Vertreter des New Criticism eine solche Beziehung zwischen ästhetischer und emotionaler Erfahrung scharf kritisiert. Die Vertreter einer objektivierbaren, formalistischen Literaturdidaktik verurteilten die intentional fallacy auf Seiten des Autors ebenso scharf wie die affective fallacy, eine emotionale Wirkungsästhetik auf Seiten des Lesers: The affective fallacy is a confusion between the poem and its results (what it is and what it does)... It begins by trying to derive the standard of criticism from the psychological effects of the poem and ends by impressionism and relativism. The outcome [...] is that the poem itself as an object of specifically critical judgment tends to disappear. (W IMSATT / B EARDSLEY 1976: 21) Nach den Regeln des New Criticism war eine emotionale Reaktion des Lesers auf Inhalte literarischer Texte verpönt, es blieb dem Leser nur die Möglichkeit, das Wirken der verschiedenen ästhetischen Strukturelemente in ihrer höheren harmonischen Funktion nachzuvollziehen. Seine Reaktion auf den literarischen Text wäre vorhersehbar, immer orientiert an formalen Gesetzmäßigkeiten wie Rhythmus, Reim, Wortwiederholungen und Ton. Innerhalb des Leser-Text-Gefüges behielte der Text eine unantastbare, objektiv abgehobene Stellung, die der Rezipient nicht hinterfragen dürfte. W ELLEK und W ARREN formulierten diese Textauffassung so: The work of art, then, appears as an object of knowledge sui generis which has a special ontological status. It is neither real (physical, like a statue) nor mental (psychological, like the experience of light or pain) nor ideal (like a triangle). It is a system of norms of ideal concepts which are intersubjective. They must be assumed to exist in collective ideology, changing with it, [...]. (W EL - LEK / W ARREN 1973: 156) Es kann nicht verwundern, dass diese Methode der objektivierten Literaturbetrachtung besonders in den Schulen beliebt wurde, verband sie doch die ästhetische Betrachtung von Werken in der Mutter- oder Fremdsprache mit einer akribisch genauen, im Vorhinein festgelegten Methode der Analyse und einem überprüfbaren Regelwerk und Instrumentarium, das Schüler an Texten einüben und Lehrer relativ leicht beurteilen können. Im Deutsch- und im fortgeschrittenen Fremdsprachenunterricht war und ist die Kunst des close reading und der Beurteilung eines Textes nach der Anzahl seiner Reime, seiner Lautwiederholungen und seines Metapherninventars fester Bestandteil des Curriculums, auf den viele Lehrer - auch wegen der guten Operationalisierungsmöglichkeiten der Lerninhalte - nur ungern verzichten. Eine rezeptionstheoretische Literaturdidaktik, die sich auf neuere Erkenntnisse der Psychologie stützt und Emotionen ebenso wie Kognitionen im Rezeptionsprozess verankert sieht, vertritt aber eine grundlegend andere Auffassung vom Kunstwerk und vom literarischen Verstehen. Sie geht davon aus, dass die ästhetische Erfahrung des individuellen Lesers wichtig ist, weil sie lebensweltliche Bezüge herstellen kann und sich nicht nur auf eine formalistische Rezeption des Textes zurückzieht, sondern den Leser auch emotional anspricht und damit auch in ethischer und moralischer Hinsicht für ihn bedeutsam macht (vgl. B REDELLA 2004: 33-38). Wie kann das funktionieren, wenn es sich doch bei literarischen Texten nicht um lebensweltliche Erfahrungen handelt? Die Frage, ob emotionale Leserreaktionen auf die Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht 35 37 (2008) Gefühle oder Handlungen von Papier- und Zelluloidhelden echt sein können ist keine neue, doch sie lässt sich heute vielleicht etwas deutlicher beantworten als noch vor einigen Jahren: Bestimmt kann jede Leserin und jeder Leser dieses Artikels auf eigene emotionale, physiologische und kognitive Reaktionen zurückgreifen, wenn er oder sie an einen zurückliegenden Kinobesuch denkt. Wenn im Episodenfilm Crash die kleine Laura, die Tochter des mexikanischen Schlossers, vermeintlich von einem amoklaufenden Mann iranischer Herkunft, der sich ungerecht behandelt fühlt, erschossen wird, oder wenn in Jindabyne die weibliche Hauptfigur erfährt, dass ihr Mann, der mit seinen Freunden einen mehrtägigen Angelausflug gemacht hat, diesen nicht spontan abgebrochen hat, um die Polizei zu verständigen, als sie die entstellte Leiche eines Aborigine-Mädchens im Fluss fanden - alle diese Erfahrungen werden eine Gänsehaut, einen Schauder oder eine ähnliche physiologische Reaktion in uns hervorgerufen haben. Später, im weiteren Verlauf des Films, wird der emotionale Prozess dann vermutlich auch zu einer genaueren kognitiven Reflexion geführt haben. Es wurde uns klar, dass Laura nicht erschossen werden konnte, weil der Amokläufer ohne es zu wissen nur Platzpatronen benutzt hat, und damit eröffnet sich eine Kausalkette von Ereignissen, die ein genaues Abwägen der Schuld oder Unschuld Einzelner sehr schwierig macht, da fast alle dargestellten Schicksale in Crash sowohl den Stempel eines Opfers wie auch den eines Täters tragen. Im schichtartigen Abtragen des Plots von Episode zu Episode müssen unsere emotionalen Einschätzungen immer wieder korrigiert und differenziert werden, bis sich kaleidoskopartig ein Bild von unterschiedlichen Grautönen ergibt, das keinen der Protagonisten in diesem Drama des Fremdverstehens schuldfrei sein lässt. In Jindabyne erleben wir einen ganz anderen, gradlinigen Aufbau des Plots, aber auch hier entwickeln sich unsere Gefühle nach der ersten schockartigen Erkenntnis weiter; nach der ersten Reaktion: „Wie schrecklich - eine Leiche beim Angeln zu finden“ kommt die noch grausamere Erkenntnis: „Die Angler lassen die Leiche des Mädchens einfach anderthalb Tage lang liegen und binden sie sogar noch fest! “ Die sehr selbstsüchtigen Gründe werden uns erst allmählich offenbart, wenn wir feststellen, dass die angelnden Männer die tote junge Frau ‚ausblenden‘ und ihren Angeltrip richtig genießen können. Verstärkt wird die negative emotionale Reaktion dann noch einmal durch den Trick, die Tat aus einer anderen Perspektive beurteilt zu sehen: aus der Sicht einer der Frauen der Angler. Die Zweifel dieser Protagonistin an der Integrität und Menschlichkeit ihres Mannes, die verstärkt werden durch die Tatsache, dass sie ein zweites Kind von ihm erwartet, wechseln ab mit ihrer Loyalität zu ihm und ihrer kleinen Familie. Ihre spontane Abwehrreaktion gegenüber seiner Entscheidung („Wie konntest Du nur so lange warten, bis du die Polizei informiert hast, hättest du das auch getan, wenn es ein weißes Mädchen, oder ein Junge gewesen wäre? “) wird durch eine reflektiertere emotionale Reaktion abgelöst, die den Zuschauer in ihren Bann zieht („Wie kann ich als Frau der Familie des Mädchens dennoch meinen Respekt erweisen? “ und „Wie können wir als Gruppe weißer Familien dies tun? “). Zwar sind die Angler selbst unschuldig am Tod des Mädchens, doch wird ihr Vorziehen des eigenen Genusses im Angelurlaub ausgespielt gegen die rechtzeitige Information der Polizei, die zur Ergreifung des Täters hätte führen können. Ihre Schuld erscheint im Film genau so groß wie die des Mörders, eines Serientäters, der nicht 36 Eva Burwitz-Melzer 37 (2008) zuletzt wohl wegen der unterbliebenen rechtzeitigen Information der Polizei nicht gefasst werden kann. Psychologisch interessanter als die vier männlichen Angler jedoch sind die emotionalen Reaktionen ihrer vier Frauen, die von Gleichgültigkeit, Verdrängung der Schuld und Verteidigung der Männer bis zur tiefgreifenden Skepsis und Anklage reichen. Der Film erlaubt es den Zuschauern durch eine Präsentation der verschiedenen Perspektiven auf das Geschehen, die unterschiedlichen emotionalen Prozesse nachzuvollziehen. B REDELLA , der sich bereits 2004 ausführlich mit dem Verhältnis von Emotion, Kognition und Literaturdidaktik beschäftigt hat, argumentiert mit Aristoteles, dass es zwischen ästhetischer Welt und Lebenswelt keine scharfe Trennung gibt und dass deshalb die Emotionen, die wir empfinden, wenn fiktionale Protagonisten handeln, wir selbst aber nicht eingreifen können, echt seien, da literarische Texte als Modelle der Wirklichkeit fungieren: Die Auffassung, dass Emotionen bei der Rezeption literarischer Texte eine zentrale Rolle spielen, wird mit dem Hinweis in Frage gestellt, dass die Emotionen der Leser nicht echt sein können, weil die Charaktere gar nicht existieren, sondern nur aus Worten aufgebaut werden. Dagegen lässt sich einwenden, dass die Charaktere in Analogie zu Menschen konzipiert werden und dass der Leser sie nach den Wertmaßstäben beurteilt, mit denen er auch Menschen in der Lebenswelt beurteilt. Insofern sind die Charaktere ‚wirklich‘ und die Gefühle des Lesers ‚echt‘. (B REDELLA 2004: 79) Auch nach R OBINSONS ästhetischem Konzept dürfen wir davon ausgehen, dass wir durch die Beobachtung ästhetisch dargestellter emotionaler Prozesse in literarischen Texten Rückschlüsse auf lebensweltliche emotionale Prozesse ziehen dürfen. Aus dieser Annahme kann auch ein wichtiger Nutzen für den fremdsprachlichen Literaturunterricht entstehen, wenn wir durch die Lektüre von Texten etwas über eigene Emotionen und die der Anderen lernen, das wir an uns selbst so differenziert und langsam nicht beobachten können. Die Protagonisten in literarischen Werken durchleben zahlreiche emotionale Prozesse, die wir als Zeugen miterleben und nachvollziehen können. Die literarische Kunstform erlaubt es uns, den Prozess genau und immer wieder zu studieren, da wir erst allmählich durch die Struktur des Werks mit dem emotionalen Geschehen vertraut gemacht werden, es sich erst allmählich vor unseren Augen entfaltet. So kann sich auch unser Eindruck der geschilderten Emotionen langsam, unter Berücksichtigung aller miteinander konkurrierenden Aspekte allmählich entfalten: As we read we receive a series of impressions or points of view on the characters that are often conflicting, and it is not until all the evidence is in, as it were, that we acquire beliefs about them as opposed to entertaining multiple, often conflicting, and changing thoughts about them. […] We can pause and reflect after every page if we wish, but if we try to arrive at beliefs too quickly, before we are emotionally involved in the novel, we are likely to arrive at mistaken beliefs. (R OBINSON 2005: 155) Literarische Texte bauen also eine zweifache Reflexion von emotionalen Prozessen auf: Zum einen durchlaufen die Protagonisten diese Prozesse; ihre Wünsche, Bedürfnisse, Interessen und Blickrichtungen ändern sich und damit auch ihre emotionalen Einstellungen und Wertvorstellungen. Indem Leserinnen und Leser diese Entwicklungen beobachten und miterleben, erweitern sie selbst ihren emotionalen Horizont und lernen neue Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht 37 37 (2008) Aspekte der Emotionen kennen. R OBINSON nennt dieses Phänomen eine ‚emotionale Erziehung‘ (vgl. 2005: 176-177), die durchaus unterschiedliche Schwerpunkte und Akzentsetzungen bei verschiedenen Lesern haben darf. Damit nähert sich R OBINSON der Rezeptionstheorie an, die davon ausgeht, dass Leser auch ganz unterschiedliche emotionale und kognitive Reaktionen auf einen literarischen Text entwickeln können. If we are reading seriously and attentively, we become emotionally engaged with the characters and we experience a stream of changing emotions as we read. Our own emotional experiences evolve as we follow the evolving emotional experiences of the main characters. Different readers may have different experiences. Doubtless, too, the same readers will have different experiences on rereading the same novel. (R OBINSON 2005: 175) Indem R OBINSON feststellt, dass der implizite Autor durch Struktur und künstlerische Mittel die Aufmerksamkeit des Lesers lenkt, spricht sie ihm die Rolle eines verantwortlichen ‚Erziehers‘ zu. Im Episodenfilm Crash wird durch die Patchworkstruktur des Films das Geschehen allmählich enthüllt; dabei werden aber immer wieder kausale Zusammenhänge offen gelassen. So wird die emotionale Reaktion des Zuschauers immer wieder kontrolliert und ‚geradegerückt‘: Das emotionale Urteil über die Protagonisten muss also stets neu überdacht werden, neue Ursachen für Taten müssen entdeckt werden, immer wieder müssen neue Entschuldigungen für ein Fehlverhalten akzeptiert werden. Dieser emotionale Prozess weist große Ähnlichkeiten auf mit dem Ablauf emotionaler Reaktionen in unserer Lebenswelt. If I am right, the basic emotional process of appraisal and reappraisal is common to our experience of both art and life. […] The main difference between coping with life and with literature is that the author (or implied author) guides and helps us with our coping strategies by structuring the sequence of experiences […] that we make as we read. It follows that although we respond emotionally to literary works in a way very similar to the way we respond to people and events in real life, there is at least one major difference: in responding emotionally to literature, our responses are guided and managed - through the form or structure of a work - much more carefully than is possible in life, and this is an important source of pleasure in literature. (R OBINSON 2005: 228) Wenn wir R OBINSONS Argumenten folgen, bedeutet dies für die Unterrichtsarbeit mit literarischen Texten im Fremdsprachenunterricht, dass Lehrkräfte als Bewusstmacher, als Monitore für diese emotionalen Prozesse auftreten müssen. Sie sollten, um die emotionalen Lernprozesse, die ein solcher Text bieten kann, auszunutzen und auch auszureizen, die Emotionen der Protagonisten durch Fragen und Aufgabenstellungen für die Lernenden nach-vollziehbar machen. Dazu gehört es auch, den Lese- und Verstehensprozess zu verlangsamen oder zu wiederholen, wenn die emotionalen Reaktionen und die kognitiven Beurteilungen noch der schärferen Konturierung bedürfen. Wichtig ist jedoch, dass es durchaus Unterschiede in der emotionalen Reaktion und kognitiven Einschätzung eines Protagonisten, einer Handlung auf Seiten der Lernenden geben darf. Unterrichtsgespräche über literarische Texte, aber auch kreative Aufgabenstellungen eignen sich gleichermaßen zu einer solchen Fokussierung auf emotionale Reaktionen. Es gilt vorab auszuloten, welche Details im jeweiligen Text besonders im Zentrum der 38 Eva Burwitz-Melzer 37 (2008) Aufmerksamkeit stehen sollten. Manchmal kann es von Nutzen sein, Textstellen, in denen Emotionen der Protagonisten genannt oder erläutert werden, bei der ersten oder zweiten Lektüre anzustreichen. Dabei spielen in narrativen Texten oft Gesichtszüge, Gestik, Mimik und Körperhaltungen von Protagonisten eine besondere Rolle; in Gedichten können aber auch Zeichensetzung und Zeileneinteilung wichtige Hinweise enthalten (vgl. W ESLING 2008: 122-133). Auch sollte vorab mit den Lernenden ein ausreichend großes Inventar an Vokabular abgesprochen worden sein, so dass in umgangssprachlicher Art über die Emotionen der literarischen Figuren und auch über eigene Emotionen diskutiert werden kann. 4. Eine empirische Fallstudie: Emotionen verstehen, Emotionen ausdrücken Wenn Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht eine so große Rolle spielen, muss diese Funktion auch im Unterricht zu beobachten sein. Sie sollte sich - so lautet die Hypothese - erstens bei der Rezeption des Textes wiederfinden lassen, zweitens auf der Ebene des Unterrichtsgesprächs niederschlagen und drittens auf der Ebene des sprachlichen Handelns bei verschiedenen Aufgabenbearbeitungen deutlich werden. Die erste emotionale Reaktion, die sehr spontanen affektiven Einschätzungen gelesener Inhalte, lässt sich im Unterricht ohne Hilfsmittel meist nur indirekt beobachten: Die Rezeption eines literarischen Textes findet in den höheren Jahrgangsstufen eher zu Hause oder in einer Stillarbeitsphase im Unterricht statt und lässt sich nur schwer durch tatsächliche Äußerungen der Lernenden feststellen. Eine Ausnahme bilden Bilderbuchvorträge bei jungen Lernenden, die oft während des Umblätterns oder an einer besonders spannenden Stelle des Buchs eine spontane verbale oder auch nonverbale Äußerung machen. Hier findet vor allem eine erste physiologische Reaktion statt: Die Atemluft wird hörbar eingesogen, die Luft gespannt angehalten, ein leiser Ruf des Erstaunens begleitet diese Reaktion vielleicht. Rein physiologische Reaktionen - vielleicht bekommt ein Schüler eine Gänsehaut, wenn der Protagonist in Gefahr gerät - könnten nur mit Hilfsgeräten festgestellt werden. Generell müsste man gerade bei höheren Klassen, die wahrscheinlich spontane affektive Einschätzungen während des Lesens erleben, aber nicht laut kommentieren, diese ersten emotionalen Reaktionen durch spontane Aufzeichnungen der Lesenden selbst und spätere Interviews feststellen. Da diese ersten affektiven emotionalen Reaktionen auf die Protagonisten und den Plot aber zunächst noch nicht reflektiert werden, sondern erst im Laufe der Unterrichtsarbeit in einem emotionalen Prozess immer wieder bearbeitet und verändert werden müssen, steht besonders dieser Bearbeitungs- und Reflexionsprozess im Verlauf der Unterrichtseinheit im Fokus der Aufmerksamkeit. Wie geht dieser Prozess vor sich, wie werden uns die emotionalen Prozesse beim (wiederholten) Lesen bewusst, wie lassen sie sich fördern, wie können sie für das Verstehen des Textes genutzt werden? Spannend ist deshalb ganz besonders die Frage, ob und wie man im Literaturunterricht den Ablauf eines emotionalen Prozesses beobachten kann, also die längere kognitive Auseinandersetzung nach der ersten spontanen Reaktion, die ja durch Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht 39 37 (2008) ein Unterrichtsgespräch, durch passende Fragen zu den Problembereichen des Textes oder mit passenden Arbeitsaufgaben gefördert werden kann. Hier lautet die Hypothese, dass eine geschickte Aufgabenstellung, die emotionale Faktoren berücksichtigt, an das emotionale Gedächtnis appelliert und Form wie Inhalt des Textes erforschen lässt, einen emotionalen Prozess begünstigt und dass dieser im positivsten Fall auch im Unterrichtsgeschehen ablesbar wird. Im Folgenden soll ein Unterrichtsbeispiel zeigen, wie und an welchen Stellen ein emotionaler Prozess mit kognitiven Einschätzungen im Unterricht sichtbar wird und wie er durch geeignete Aufgabenstellungen und eine abschließende Reflexion der Unterrichtsarbeit gefördert werden kann. Die Videoaufzeichnung zu dieser Kurzgeschichte fand in einer 10. Gymnasialklasse der additiven Gesamtschule in einer Kleinstadt zwischen Frankfurt und Offenbach statt. Die G10 bestand aus 14 Jugendlichen, acht Jungen und sechs Mädchen, von denen eines jedoch nicht gefilmt werden wollte. Sechs der Jugendlichen waren nicht deutschstämmig, ihre Eltern stammten aus Eritrea, der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien. Die Klasse machte einen leistungshomogenen und recht leistungsstarken Eindruck. Die Jugendlichen waren zwischen 16 und 17 Jahre alt. Die authentische Kurzgeschichte mit dem Titel „The All-American Slurp“ wurde den Lernenden in der Originalform angeboten. Sie stammt von Lensey N AMIOKA , einer chinesischstämmigen Amerikanerin, die zahlreiche Immigrationsromane und Kurzgeschichten zu diesem Thema verfasst hat (N AMIOKA 1993). Es handelt sich bei der Kurzgeschichte um die Ich-Erzählung einer jugendlichen Chinesin, deren Familie in die USA eingewandert ist. Im Verlauf der Erzählung werden durch die vier Familienmitglieder vier verschiedene Einstellungen zum Problembereich Immigration angeboten. Während drei Perspektiven auf Vater, Mutter und Bruder der Hauptfigur schemenhaft bleiben, wird die Position der Protagonistin, die sich so schnell wie möglich integrieren will, sehr detailreich mit zahlreichen Einblicken in die Emotionslagen der Ich-Erzählerin dargestellt. Der Ton der Kurzgeschichte ist humorvoll und für jüngere Lernende geeignet: Ob es sich um eine Dinnerparty bei befreundeten Amerikanern oder um einen Besuch in einem luxuriösen Restaurant handelt, stets demonstriert die chinesische Familie ihre Unerfahrenheit mit amerikanischen Tischsitten, Essgewohnheiten und Nahrungsmitteln. Einen Höhepunkt stellt in diesem Zusammenhang eine Szene in einem französischen Restaurant dar: Zunächst studieren die Eltern mit äußerster Skepsis die Speisekarte. Als einige Familienmitglieder dann auch noch so geräuschvoll ihre Suppe schlürfen, dass das Harfenspiel unterbrochen wird, schämt sich das junge Mädchen, flüchtet sich auf die Damentoilette und kommt erst wieder heraus, als es Zeit ist, nach Hause zu gehen. Die Tochter der Familie Lin schildert die Gratwanderung ihrer Familie zwischen der Bewahrung eigenkultureller Sitten und der Anpassung an die neue Heimat in einem Erzählton, der emotional eingefärbt ist und viele Gefühlsnuancen von peinlicher Betroffenheit bis zu Ironie enthält; die Kurzgeschichte wird so für junge Erwachsene emotional leichter nachvollziehbar. Etliche Beispiele für mehr oder weniger erfolgreiche Anpassungsbemühungen werden gegeben, die idiomatischen Fehler der Mutter, die sportlichen Erfolge des Bruders und eine Beförderung des Vaters sind wichtige Meilensteine auf dem individuellen Weg zur Integration dieser Person in die US-amerikanische Gesellschaft. Nur die Hauptfigur wird 40 Eva Burwitz-Melzer 37 (2008) von großen Selbstzweifeln und Unsicherheiten geplagt. Erst als das junge Mädchen bemerkt, dass Anpassung in zweierlei Richtung vonstatten gehen muss, um zu glücken, dass eben auch amerikanische Freunde bei Einladungen zu einem chinesischen Essen völlig hilflos sind, chinesische Tischsitten nicht kennen und sich ‚durchwursteln‘ müssen, um satt zu werden, kann sie ihre eigene Position zwischen den Kulturen besser verstehen und tolerieren. 4.1 Der Unterrichtsverlauf Die Stunden der Einheit wurden zusammen mit der Lehrkraft geplant, die zahlreiche Ergänzungsvorschläge, Arbeitsmaterialien und Aufgabenstellungen vorschlug. Von den geplanten sechs aufeinander folgenden Unterrichtsstunden wurden die erste und die letzten drei mit der Videokamera aufgenommen. Danach wurden mit der Lehrkraft und einigen Schülern retrospektive Leitfadeninterviews geführt. 1. Stunde: Mit einer OHP-Folie wurden die Schülerinnen und Schüler auf das Thema USA eingestimmt. Die Folie zeigte auf dem Umriss der Vereinigten Staaten Symbole für Sehenswürdigkeiten, wie die Freiheitsstatue für New York, die Golden Gate Bridge für San Francisco, einen Spielautomaten für Las Vegas etc. Nach einem anfangs noch recht ungesteuerten „Where would you like to go? What would you like to see? “ gaben die Lernenden Wünsche für eine USA-Reise an, die in ein lebhaftes Gespräch über einzelne Sehenswürdigkeiten und Vorlieben mündeten. Die nächste Frage erforderte ein Umdenken und ein genaues Begründen der Antwort, sie lautete: „Where would you go, if you were an immigrant? Why? “ Die spontanen mündlichen Beiträge wurden dann in Gruppenarbeit ausgefeilt, wobei die Lernenden folgende Fragen beantworten sollten: „What will you do in America as a tourist / as an immigrant? “ Die Antworten auf diese Fragen warfen bereits einige Grundprobleme der Immigration auf und waren eine gute Vorbereitung auf die Thematik der Kurzgeschichte. Danach las die Lehrkraft die ersten zwei Sätze der Erzählung vor und ließ die Lernenden Hypothesen über deren Thematik aufstellen. Hausaufgabe der ersten Stunde war die Lektüre der Kurzgeschichte. Es wird also deutlich, dass es in diesem Fall nicht zu einer Beobachtung der ersten spontanen affektiven Reaktionen im emotionalen Prozess kommen konnte. Die weitere Bearbeitung des Textes lässt aber dennoch Schlüsse zu auf die emotionalen Prozesse, die die Lernenden bei der Lektüre durchlebten, insbesondere auf das kognitive monitoring, das sich auf unterschiedliche Art und Weise in den Lernenden während der Unterrichtsarbeit abspielte. 2. und 3. Stunde: In der Doppelstunde wurden zunächst unbekannte Wörter erklärt und einige Textpassagen sinnentnehmend gelesen, wobei sich die Lernenden bereits erstmalig in den Erzählduktus der Geschichte und die Figur des jungen Mädchens hineinversetzen mussten. Erste inhaltliche Fragen zum Text sowie wright/ wrong statements schlossen sich an, doch bleiben diese Fragen größtenteils auf der inhaltlichen Ebene. Zum Abschluss der Stunde erhielten die Schülerinnen und Schüler ein Vokabelblatt mit 55 Adjektiven, die die unterschiedlichsten Emotionen beschreiben können. Unter den Rubriken „She is..., she feels ...“ waren dort verschiedene Gefühlszustände von anxious bis uneasy, unwelcome, ill-mannered, isolated bis zu worried aufgeführt, die den Jugendlichen bei der anschlie- Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht 41 37 (2008) ßenden Textarbeit als Gesprächshilfe dienen sollten. Hausaufgabe der Doppelstunde war es, die Kurzgeschichte in Sinnabschnitte einzuteilen. 4. und 5. Stunde: Aufbauend auf der Hausaufgabe sollten die Schülerinnen und Schüler in dieser Doppelstunde gleich zu Beginn Titel für die Sinnabschnitte der Kurzgeschichte finden. Als kreative Aufgabenstellung war dann vorgesehen, die Restaurantszene als szenisches Bild nachzuspielen. Um auch einen Perspektivenwechsel mit den anderen Charakteren herbeizuführen, sollten die Lernenden sich im Anschluss an die Auswertung des szenischen Spiels eine fiktionale Figur aussuchen und schriftlich fixieren, wie sie sich wohl in den USA fühle, was sie dort erwarte, warum sie dorthin gekommen sei. Hausaufgabe der Doppelstunde war es, in die Figur des Sohnes oder der Tochter der chinesischen Familie zu schlüpfen und eine E-Mail nach Taiwan zu schicken. Adressat sollte ein Freund oder ein Verwandter sein, dem man vom ersten Jahr in den USA berichten sollte. 6. Stunde: Es wurden zunächst einige Schülerarbeiten gelesen und kritisch kommentiert. Die Lernenden hatten erfolgreich versucht, der fiktionalen Figur der Tochter bzw. des Sohnes Individualität und Originalität zu verleihen. Als Abschluss dieser Unterrichtseinheit war als letzte Aufgabenstellung eine Metaphase in der Zielsprache vorgesehen, eine Gesprächsrunde, in der die Lernenden noch einmal abschließend ihren Lernfortschritt und den Weg dorthin reflektieren sollten. 4.2 Schülerleistungen aus der 4. und 5. Stunde Nach der Einstimmung auf das Unterrichtsthema in der ersten Stunde und der Wortschatzarbeit am Text wurden in der 4. und 5. Stunde von den Lernenden mehrere kreative Aufgaben zur Kurzgeschichte bearbeitet. Nach einer Einteilung des Textes in Sinnabschnitte, die mit Titeln versehen wurden, erfolgte eine szenische Darstellung, die von drei Vierergruppen ausgeführt wurde. Während die Schülerinnen und Schüler einer jeden Gruppe die peinliche Restaurantszene am Tisch pantomimisch darstellten, versuchten die Beobachter, sich vor allem in die Hauptfigur, das junge Mädchen, hineinzuversetzen. Nach einer etwa zweiminütigen Aufführung des szenischen Bilds klebten die Beobachter der Hauptdarstellerin post-it Zettel auf den Rücken, auf denen die Gefühle notiert waren, die sie bei ihr vermutet bzw. beobachtet hatten. Die in der vorausgegangenen Stunde noch einmal wiederholten Emotionsadjektive halfen hier bei der Differenzierung verschiedener emotionaler Zustände. In Bezug auf die emotionalen Prozesse, die die Lernenden vollziehen sollten, waren es also verschiedene Aufgabenbereiche, die erfüllt werden sollten: 1. Eine Gruppe von Lernenden sollte die Emotionen und Handlungen der vier Protagonisten in der Restaurantszene nachvollziehen und pantomimisch nachspielen. 2. Der Rest der Klasse sollte diese Pantomime anschauen und mit den im Text geäußerten Gefühlen der Protagonisten in Zusammenhang bringen. Kleine Zettel mit einem Gefühlsadjektiv oder einer sehr kurzen Beschreibung der Emotion sollten nach der Darstellung auf den Rücken der Hauptdarstellerin geklebt werden. 3. Im Unterrichtsgespräch sollten dargestellte und von den Zuschauern beschriebene Gefühle verglichen werden. 42 Eva Burwitz-Melzer 37 (2008) Da drei szenische Darstellungen geplant worden waren, mussten die Pantomimen und die anschließenden ‚Zettelrunden‘ dreimal wiederholt werden. Gerade die Zettelrunde, bei der die ‚Schauspieler‘ einfach stumm dasaßen und der Rest der Klasse die Notizzettel auf den Rücken des jeweiligen Mädchens Lin klebte, gerieten in dieser dreimaligen Wiederholung etwas albern. Anschließend wurden die Ergebnisse besprochen, wobei die Gefühle des jungen Mädchens in jeder Gruppe mit den Aufschriften auf den selbstklebenden Zetteln verglichen und zusätzlich alle Darsteller zu den Gefühlen der jeweils von ihnen präsentierten fiktionalen Person befragt wurden. Die so entstandenen emotionalen Profile sollten für eine tiefere Auseinandersetzung der Jugendlichen mit allen fiktionalen Charakteren der Erzählung und für einen möglichen Perspektivenwechsel sorgen. Hier die Gespräche von zwei Gruppen. S CRIPT 1: A USWERTUNG DER G EFÜHLE DER H AUPTFIGUR IN EINER SZENISCHEN D ARSTELLUNG 12: 13 L Back to group one. S 5 , you were the girl. How did you feel? S 5 I think I felt . ashamed . and .. sad ... L How did the others see you? Take. S 5 (nimmt die Zettel vom Rücken, legt sie vor sich und liest vor) ashamed, ashamed ashamed . happy . happy . wants to go to the toilet . not because she is sad and . misunderstood L So . is there any comments? Is the person . are the persons who put these papers on the back . do they want to comment it? ... Yes, S 9 ? 12: 14 S 9 Yes, she laughed when she . go . when she went away S x (dazwischen) Ja . das war mit Absicht S 9 no . when you don’t know the . the text and you see the picture . it looked like she were happy . (leise) but she wasn’t. L S 5 , were you happy? S 5 Nein. No. L Why not? S 5 Because I was . I was . ashamed about my family, about the . Was heißt denn ‚die Haltung‘? L the attitude S 5 the attitude S x behaviour S 5 The behaviour of my family L Father. Who was father? (S 7 meldet sich) How did you feel? 12: 15 S 7 (zuckt die Schultern, lacht laut heraus) I did not feel anything . because (Rest unverständlich) L Mother. ... Mother? S 6 Ja . I felt . (grinst, lacht laut heraus) hungry! L Nothing but that? Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht 43 37 (2008) S 6 No . nothing. L Son. S 8 (alle S der Gruppe lachen und albern herum) I . couldn’t feel nothing because I eat my supper and I don’t realize that everybody is looks at me. L (Kommentar dazu unverständlich) Group two. Girl. How did you feel? S 11 I feel very ashamed because all people look at me . and at our family . and L Why did they look at you? S 11 because we are . when my mother and father eat they slurp . loud . and the other people don’t slurp. They . It was in a fine restaurant . and L Good . how did the others see you? S 11 (nimmt die Zettel vom Rücken und liest vor) the others? . worried . ashamed . she feels miserable . ashamed . she’s searching . she’s shy (hält den Zettel mit spitzen Fingern vor sich, grinst) schei... ! S x (Viele rufen herein, lachen) scheißen / das heißt suchen! suchen! L She’s searching . yes . hmhm. ... oh, she’s shy! 12: 16 S 11 (weiter unverständlich im Durcheinanderreden) L Any comments? Specially the person who wrote ‚searching’? (S reden weiter durcheinander) S 9 ? S 9 (steht auf, ahmt die Geste von S 11 im Spiel nach: vornübergebeugt, Hände neben den Augen wie Scheuklappen) Just a moment he made . so! (wiederholt die Geste) it looks like . if you search something . (blickt ernsthaft) to me . L And why did the girl . S 9 , you must know better! Why did the girl ... make this movement? (ahmt auch die Position nach) S n (reden immer noch durcheinander) S 9 12: 17 I . I know the text and so I know that she made this because she is . is search something. But I thought we should write the emotions and . without the text. L No . you can’t do that without the text because you know the text. (S stöhnen auf) You know the text. You can’t do it! You can’t pretend not knowing the text! Nevertheless ... Why . now you know . why did she do that movement? Why did she do that, S 9 ? S 9 Because she . or he was ashamed. L S 4 S 4 I’d say the same. Nobody wants . she wants nobody . to see it. L Father. How did you feel? S 4 erm . nothing because it’s my culture to slurp. L It’s your culture to slurp. And that’s OK. 12: 18 S 3 Oh, I felt good because . of . for Chinese people . It is normal to slurp soup. L And you wanted to show appreciation. S 3 Yes. (nickt) L The soup tasted (good) . and . good. S 9 (stimmt zu) Hm. 44 Eva Burwitz-Melzer 37 (2008) S 10 I feel nothing . but . I don’t realize that . the other persons . why they looked me . and L Why did you not .? S 10 Because it is a culture for us and I do not know why . why my sister go out . when I ate my supper. Tatsächlich sorgt die Aufgabenstellung dafür, dass die Emotionen, die die Lernenden in der szenischen Darstellung ausdrücken wollen, noch einmal genau unter die Lupe genommen werden. Allerdings bezieht sich dies fast ausschließlich auf die Person der Hauptdarstellerin und Ich-Erzählerin, die ohnehin schon sehr ausführlich im Text durch emotionale Zuschreibungen dargestellt wurde und auch hier wieder am deutlichsten konturiert und am schärfsten hinterfragt wird. Die Lehrkraft fragt zunächst die Darsteller der ersten Schülergruppe (S 5 = Chinese girl, S 7 = father, S 6 = mother, S 8 = son), wobei sie mit dem Mädchen beginnt. S 5 nennt ihre Gefühle, die einen Wechsel der Perspektive mit dem Mädchen andeuten: „I felt . ashamed and sad“ (12: 13) und liest dann die Zettel vor, die die Beobachter ihr angesteckt hatten. Erstaunlicherweise gibt es hier auch ganz abweichende Ergebnisse: Zwei Schüler haben happy notiert, einer, wohl nicht ganz im Ernst, „wants to go to the toilet not because she is sad“, die meisten haben sich für ashamed oder misunderstood entschieden (12: 13). S 9 hat einen kurzen Disput mit der Lehrerin: Er hat wohl die Aufgabenstellung nicht ganz verstanden und nur beurteilt, was er gesehen hat, hat aber die Pantomime nicht mit der Textstelle in Verbindung gebracht. So kam er zu dem Urteil, das junge Mädchen habe gelacht, sei also happy gewesen. Die Lehrerin befragt die Darstellerin selbst, die dieses Gefühl entschieden verneint und bei ihrer Argumentation in ihrer Rolle bleibt (12: 14). Danach werden die anderen drei Darsteller der Gruppe befragt, was sie gefühlt hätten. Sie scheinen sich alle drei nicht sehr ausführlich mit ihrer fiktionalen Figur auseinandergesetzt zu haben, die durchweg sehr oberflächlichen Antworten lauten: „I did not feel anything“ (S 7 , 12: 15), „I felt . hungry“ (S 6 ; 12: 15) und „I couldn’t feel nothing...“ (S 8 ; 12: 15). Aus diesen Antworten wird deutlich, dass die Jugendlichen sich fast ausschließlich auf die fiktionale Hauptfigur konzentriert hatten, ihre eigene Rolle nicht richtig ernst genommen haben und den emotionalen Prozess der anderen fiktionalen Charaktere nicht nachvollziehen konnten. Bei der zweiten Gruppe (S 11 = girl, S 4 = father, S 10 = mother, S 3 = son) sieht das Ergebnis ähnlich aus: Das zuerst befragte Mädchen zeigt mit der Aufzählung ihrer Emotionen und der Schilderung der Situation, dass sie einen Perspektivenwechsel vollzogen hat: „I feel very ashamed...“ (S 11 ; 12: 15). Die Emotionen, die die Beobachter notiert haben, zeigen ein differenziertes Bild, in dem die meisten, miserable, ashamed, shy angegeben haben. Auffällig ist wiederum die Notiz von S 9 , der „she’s searching“ notiert hatte und zum zweiten Mal in einen Disput mit der Lehrkraft gerät. Es wird jetzt ganz deutlich, dass er die Aufgabenstellung nicht richtig verstanden hat, die Lehrerin erklärt ihm noch einmal, dass Text und Darstellung zusammengehören. Die anderen drei Darsteller der Gruppe belegen mit ihren Antworten wie die erste Gruppe, dass der Fokus der Aufgabenstellung für die Schüler bei dem chinesischen Mädchen lag, und auch, dass die Nebenrollen der Kurzgeschichte den Jugendlichen viel weniger verständlich sind. Die Antworten weisen stereotype Floskeln auf, die den Text eigentlich nur wiederholen, nicht Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht 45 37 (2008) aber in die Figuren eindringen und einen emotionalen Prozess nachvollziehen. So sagt S 4 , er habe nichts gefühlt, „because it’s my culture to slurp“ (12: 18), S 3 gibt an „I felt good because . of . for Chinese people it is normal to slurp soup“ (12: 18), und S 10 meint „I feel nothing ... I do not know why my sister go out . when I ate my supper“ (12: 18). Zusammenfassend lässt sich nach dieser ersten kreativen Aufgabe feststellen, dass die szenische Darstellung keine wirklich überzeugenden neuen Einsichten in die Emotionen der Protagonisten erbracht hat. Es wurde zwar bestätigt, was in der Kurzgeschichte bereits ausführlich benannt worden war, doch bleiben die anderen Figuren in der emotionalen Ausführung flach. Um nun einen besseren Einblick in die Emotionen der anderen Charaktere zu bekommen, sollten die Lernenden sich im Anschluss an die Auswertung des szenischen Spiels eine der Figuren aus der Familie Lin aussuchen, ihre Perspektive einnehmen und in Stichpunkten festhalten, warum sie in die USA gekommen sei und wie sie sich dort fühle, besonders nachdem sie auf Schwierigkeiten gestoßen sei. Die Lernenden sollten dann im nächsten Arbeitsschritt in einem Interview ihre gewählte Figur vorstellen und auf Fragen aus der Klasse zu ihrer Person antworten. Aus der Auswertungsphase stammen die folgenden Gesprächsausschnitte. S CRIPT 2: A USWERTUNG DER G EFÜHLE ALLER P ROTAGONISTEN IN EINER S CHREIB - UND P RÄSENTA - TIONSAUFGABE 12: 33 L Who else is . the girl? .. S 9 ? S 10 OK . Me and my family go to America because my father gets a new job .. But it is difficult to live without my Chinese . without my boyfriend .in the new country . in America . And also the language is very difficult to learn .. But the culture is . very interesting . and . nice ... In America I think . I found new friends .. and .. adapt . yes . I found new friends. And I’m happy to live with my family there and not alone .. and to . to adapt is difficult. 12: 34 L Excuse me . what? S 10 to adapt L What is ... ? Oh, to adapt oneself is very difficult. Or the adaption . hm . hm. S 10 Also . sometimes I feel me ashamed . and shy like in the restaurant ... yes. L Any questions? S 10 (nimmt S 9 dran) S 9 Do you have contact with your old Chinese friends? S 10 No. S 9 Why. S 10 / S 9 (murmeln sich etwas Unverständliches zu, in dem das Wort telephone vorkommt) S 10 (laut) Why? . because I have new friends . in America. L louder please 12: 35 S 10 (wiederholt lauter) I have new friends in America. And so S 9 (lacht) Wouldn’t you prefer to have contacts with your old friends? 46 Eva Burwitz-Melzer 37 (2008) S 10 Yes . it’s good. L S 2 . S 2 has a question. S 2 No . no. L But I have a question. I mean . everybody can see that you are Chinese. I mean even if you wear jeans and if you wear sweatshirts . and . or sneakers . Everybody can tell that you are Chinese. Do you like that? That you are different? I mean . You can’t . you can never look like an American . I mean . not from the front. S 10 I think . it is good to be difficult (meint: different) because when everybody is the same . then (stockt, lacht, zuckt die Schultern) not good .. I don’t know . because ... L Can you imagine to have an American boyfriend? 12: 36 S 10 Yes, why not? S n (lachen wegen der homoerotischen Doppeldeutigkeit der Situation im Rollenspiel: S 10 ist ein Junge) L Yes . Why? . Why? S 10 Why not? L Do you think there is no difference between Chinese boys and American boys? S 10 (bezogen auf ersten Teil: ) Yes. (bezogen auf zweiten Teil: ) there is not. L There is a difference? S 10 No. S 9 (hat sich gemeldet, klopft S 10 jetzt auf die Schulter: ) I want to help him. (Schüler lachen) L Oh! (S n und S 9 lachen, murmeln) Yes. Help him! S 9 I think in America there are many different cultures and many .. Asian people. or much? L (dazwischen) many many . you can count it, ne? S 9 so I don’t think that everybody can see that you wasn’t born in . weren’t born in America . (leiser) (or out of) America. L OK. Yes. Thank you. 12: 37 L So . I want . that mother. There were three mothers, weren’t there? ... S 13 . were you a mother? S 13 No. L S 7 . (ironisch, da es wieder ein Junge ist) Mother S 7 ! S 7 12: 38 At the first time . at . when I / hi: rd/ (= heard) that we goed to . that we must go to America because my husband had a new . a new job there . I thought America . is a . is a very big . is one city and there are (mice? ) all over and so . but that . that wasn’t so . it was a normal city where we . where we lived. But they had . very different table manners, and so we had some problems with the table manners. . But from . But we . then we made a good job . and we learned the table manners of the Americans . and so we . so I think we . we became American in a few months. . In a few months I think noone can see that we are Chinese people. L Questions. S 7 ... Yes? S 2 And what about the language? Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht 47 37 (2008) S 7 The language is not so difficult in America. L So you speak English. S 7 Yes. L Hmhm. . But I can hear a slight Chinese accent. S 7 (lacht) Yes . The accent I think . the accent is gone away in thirty years. S n (lachen) L S 9 ? S 9 And what about the Chinese language? S 7 Ah . The Chinese language is very difficult and I think I can for . forget it . English. S 9 And . do you speak Chinese? 12: 39 S 7 (lacht) Oh, of course I speak Chinese. I’m forty years old! S 9 Example? An example! (lacht verschmitzt) S 7 / S 9 (liefert sich mit S 9 lachend ein leider unverständliches Wortgefecht) L But . at home . which language do you use at home when the three of you . or the four of you are . S 7 With my . with my husband I speak Chinese, but with my . son and my . daughter I speak English . because they have to learn the language. L And what about the food? S 7 Food? . I prefer the Chinese food, but the American food is also .. it’s OK. L What sort of diet are you offering at home? S 7 At home . we eat the Chinese food . much noodle and rice . and many sauces . L Do you eat with fork and knife or do you eat . do you use chopsticks? 12: 40 S 7 We started to eat with fork and knife. L Another mother. (argumentiert mit S 13 , die aber nicht kooperieren will und das Vorlesen verweigert; fragt S 3 , der aber auch ein Vater war.) No more mothers? OK. . Then . fathers. S 6 . S 6 OK. Since . since we are in America I feel very good . and . yes . first I was a little bit nervous because I don’t know how eat celery . and so it was a little bit . a shame for me . and . But after that I feel very good. S x (ruft etwas dazwischen, S 6 hält inne, sieht zu ihm hin, lacht, fährt dann fort) S 6 12: 41 Then I learned the language . and I had learned before we . we went to America and so I can speak a little bit .. but now I learn it . very well . I made lists with verbs and so I learned very quickly . L Verbs? I’m surprised! S 6 Yes . (lacht, andere S lachen auch) I like verbs! L (unverständlich, etwa: ) Why do you like them? S 6 Yes. (lacht wieder) Because it’s very nice to . learn them in the . perfect . or in the ,Plus . quam . perfect‘ or the future? L (dazwischen) pluperfect . past perfect . you can use that . 48 Eva Burwitz-Melzer 37 (2008) S 6 Yes . or in the future L (unverständlich) Do you have . (a car? ) S 6 12: 42 No, I don’t have any Schein ... Now I’m learning . now . then I had learned driving lessons for my driver . Führerschein . L driving licence S 6 driving lessons . S 7 / S 5 (hilft ein) driving licence S 6 ah . driving licence . and . and I got a good job and I earned much money and . because of this I had a good job and earned much money . and then I was promoted . (versichert sich bei S 7 ) promoted? . And we went to restaurant . my family and me, and there we eat soup, but don’t know how to eat . so . L You don’t know how to eat? S 6 12: 43 how to eat . soup! There was a spoon . and we don’t know how to use it. And so we slurped and (Lärm auf dem Gang und von der Straße verdeckt Teil der Aussage) drank it . and that (lacht) makes funny noises . and . my daughter was a little bit ashamed of it . but . next day was all right. L Oh, by the way . What about your daughter? Has she been (unverständlich)? S 6 (S n reden dazwischen, etwa: Haste schon eine? ) My daughter? . My daughter? About the soup? L No . I mean about being in America. S 6 Ah . First she was a little bit . a little bit (sieht auf seine Notizen) ... unhappy about it . to be . to be in America . but now she is going to like it. . Yes. Yes. L Do the others have questions? S 6 S 2 ? S 2 (sehr schnell und fast unverständlich) Where is it better to live, in China or in America? 12: 44 S 6 I think America is better because . now I have a job and . when I now went back to Chinese I think I can’t get a job . very quickly. ... (sieht sich um, nimmt S 8 dran, der sich meldet) S 8 But your grandfather and grandmother or your father and mother stay at . in Chinese L (wirft Korrektur ein) in China . in China S 8 in China and you go . in the holidays . are you going to China then . and visit them? S 6 Yes. (lacht) (...) 12: 51 L No more questions? One more son . (S diskutieren, wer noch den Sohn bearbeitet hat) .S 2 . komm! . (ironisch, da S 2 ein Mädchen ist) S 2 , Son S 2 ! S 2 Erm .. We went to America because my father get a job in America. And I’m very happy to be there . to be here . because I have a lot of friends and I can play baseball . and I’m in a baseball team . The language that’s not a problem . not a big problem, because I speak very fast English. I make mistakes, but it’s not so terrible to make mistakes . nobody’s perfect . and .. I’m not ashamed when I makes . make some . something wrong. .. like .. in the restaurant or . or . at the dinner party by our neighbours. ... For the dress in the school I have jeans and T-shirts like the other boys . yes. Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht 49 37 (2008) 12: 52 L Questions? .. S 1 ? S 1 And . aren’t you sorry about your sister because . she . has problems to live in America . (lauter) to live in America and that she is unhappy? S 2 Yes, I am very sorry about my sister because she’s . it’s not good for she (lacht) for her . because . when she feel like I then . she has not problems. ... S 12 ? S 12 Do you have a girl-friend? S 2 No. S 12 Don’t you miss your old friends? 12: 53 S 2 Yes. S 12 Do you write them letters . or . ? S 2 Yes. ... S 11 ? S 11 . How it was to find new friends in America? S 2 It’s not a big problem because . I . I like to . I’m not shy . I like the life . I’m like them and I go speak to them . and they play baseball and they learn me to play baseball and so . S 11 But you cannot . you could not speak English before you came S 2 Yes . I learn in China English . in school I learn English and . all right, I not speak very well English . because I make mistakes of course, that’s not so terrible . to make mistakes. S 11 But how . how you can play baseball? S 2 My friends here in America . they learned me to play baseball. S 11 In China you don’t play . S 2 No . S 11 Hmhm. 12: 54 L What was your question, S 6 ? S 6 I want to ask what she (lacht) what he / du: s/ in his holidays? L What she will do in her next holidays or what she usually does in her holidays? . or he . S 2 ? S 2 I wanted to go in the next holidays to China . to visit my families . family and my friends there . Es lässt sich bereits vorab feststellen, dass es den Lernenden in diesen Gesprächsabschnitten besser als zuvor beim szenischen Spiel gelingt, die emotionale Lage der vier Protagonisten zu verstehen, nachzuvollziehen und zu analysieren. Dies liegt zum einen daran, dass die Jugendlichen inzwischen noch einmal neu über den Text nachgedacht haben, viele haben sich eine andere Identifikationsfigur gesucht als diejenige, die sie im szenischen Spiel dargestellt hatten. Zum anderen liegt es aber auch an der sehr komplexen Aufgabenstellung, die sich zunächst als das Sammeln von Stichpunkten noch recht einfach ausnimmt, in der mündlichen Präsentationsphase aber eine recht komplexe spontane Erweiterung erfährt. Genauer operationalisiert müssen die Lernenden tatsächlich fünf verschiedene Aufgaben bewältigen, die aufeinander aufbauen und dafür sorgen, dass 50 Eva Burwitz-Melzer 37 (2008) die einzelnen Charaktere auch emotional unter die Lupe genommen werden. Gerade für die flat characters der Kurzgeschichte wirkt sich dies im Rezeptionsprozess der Lernenden positiv aus. Die Schülerinnen und Schüler müssen 1. im Text erneut Stichpunkte sammeln zur Situation und emotionalen Lage der ausgewählten fiktionalen Person, 2. dafür in die Rolle der jeweiligen Figur schlüpfen und die Situation in den USA von seiner/ ihrer Warte aus beurteilen, 3. diese Stichpunkte zusammenhängend als kleinen Vortrag im Plenum vorstellen, wobei sie ihre Rolle zwar nicht spielen müssen, aber sich selbst als die jeweilige fiktionale Figur zu erkennen geben, 4. dem jeweils Vortragenden spontan sinnvolle Fragen zu seiner Person und Lage stellen, wobei sie ihn in seiner Rolle ansprechen, also auch die jeweiligen Emotionen der Charaktere berücksichtigen, 5. als die jeweils vortragende Person spontan in ihrer Rolle antworten und dabei nicht nur beweisen, dass sie die Kurzgeschichte genau kennen, sondern auch genug Phantasie haben, einzelne Charakterzüge oder Emotionen der Figur in Abstimmung mit dem Text auszumalen. Der erste Gesprächsabschnitt (12: 33 - 12: 37) zeigt den Schüler S 10 als chinesische Tochter. Da diese Figur und ihre Emotionen bereits mehrfach ausführlich besprochen wurden, enthält der kleine Vortrag des Schülers denn auch eine ganze Bandbreite von Gefühlen: Der Schüler lässt über den Text der Kurzgeschichte hinaus eine mehrdimensionale Figur entstehen, die plausibel agiert und emotional reagiert. So erwähnt er zunächst den Verlust des alten Freundes, spricht das Sprachenproblem an, zeigt Interesse an der fremden Kultur der USA, erwähnt neue Freunde, betont, wie glücklich die Tochter Lin nun sei, wenn ihr auch die Anpassung schwer gefallen sei. Es ergibt sich das Bild einer jungen Frau, die trotz vieler Befürchtungen und Unsicherheiten in den USA zurechtkommen möchte und wird, ein Portrait, das in Übereinstimmung steht mit dem Text der Kurzgeschichte. Der emotionale Prozess der Hauptfigur ist hier erfolgreich nachvollzogen, der Perspektivenwechsel gelungen. Mitschüler und Lehrkraft befragen S 10 noch zu Fremdheitserfahrungen und zu einem potenziellen ‚Freund‘. Hier zeigen sich Gewitztheit und schnelle Reaktion von S 10 , der zur Freude seiner Mitschüler - die den offensichtlichen Gegensatz des Geschlechts auf der Darstellungsebene mit dem tatsächlichen Geschlecht ihres Klassenkameraden lustig finden - mitspielt und meint, gegen einen amerikanischen boy-friend sei nichts einzuwenden. Rollenwechsel und lebensweltlicher Witz zeigen, wie gewandt die Klasse inzwischen mit diesen zwei Ebenen umgehen kann und wie entspannt die Arbeitsatmosphäre in der Klasse ist. Die Mutter der chinesischen Familie wird ebenfalls von einem Jungen dargestellt (S 7 , 12: 37 - 12: 40). Auch hier geht der Vortrag des Schülers gelegentlich etwas über die mageren Erkenntnisse aus der Kurzgeschichte hinaus. Es werden Emotionen hinzugefügt, die der Schüler für plausibel und vereinbar hält mit der Figur der Mutter. S 7 gibt in seinem kleinen Vortrag einen kurzen Überblick über die Gefühlslage der Frau, indem er zunächst ihre Sorge vor den großen Städten in den USA schildert, die sich nach der Ankunft gelegt Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht 51 37 (2008) hatte. Er berichtet, wie die fremden Tischsitten in der ersten Zeit Probleme bereitet hätten, betont dann aber, die Familie sei inzwischen zu guten Amerikanern geworden. Der Wille zur Integration, ja fast zur Überanpassung ist durchaus mit der Darstellung der Mutter in der Kurzgeschichte zu vereinbaren, der Nachvollzug der emotionalen Situation der Mutter und der Perspektivenwechsel mit ihr kann also als gelungen angesehen werden. Schülerin S 2 fragt nach dem Sprachenproblem, das im Text sehr deutlich angesprochen wird, indem die Mutter immer wieder unpassende Bemerkungen macht und ein idiomatisch korrektes Englisch nur sehr schwer lernt. Hier antwortet S 7 nicht ganz in Übereinstimmung mit dem Text, sondern behauptet, die Sprache bereits gut zu können. Witzig ist auch die spontane Bemerkung, dass sein chinesischer Akzent sich in dreißig Jahren gelegt haben wird. Spielerisch ergreift S 9 die Gelegenheit, S 6 als Chinesin um eine chinesische Sprachprobe zu bitten, die allerdings im allgemeinen Gelächter untergeht. Etwas ernster sind dann wieder die Fragen der Lehrkraft zum Sprachgebrauch und zu den Essgewohnheiten zu Hause. S 7 lässt sich hier plausible Antworten einfallen, die gut mit seiner Rolle als Mutter harmonieren: Mit den Kindern werde Englisch, mit dem Ehemann noch Chinesisch gesprochen, und die Tischsitten zeigen bereits multikulturelle Züge, da zwar chinesisch gekocht, aber mit Messer und Gabel gegessen werde. Auch in diesem Gespräch zeigt sich große Konzentration, ein sehr gutes emotionales Einfühlungsvermögen des Lernenden und ein entspanntes Arbeitsklima in der Klasse. Im dritten Gesprächsausschnitt (12: 40 - 12: 44) stellt der Schüler S 6 den Vater der Familie Lin dar. Auch hier stehen Emotionen unmittelbar im Vordergrund: Zunächst werden seine Unsicherheit mit fremden Tischsitten und fremdem Essen herausgestellt, da dies Erfahrungen sind, die ihn nervös gemacht haben; inzwischen hätten sich die Probleme allerdings gelegt. Dann geht S 6 auf das Verhältnis des Vaters zur Sprache ein, die im Text auch besondere Erwähnung findet: Er habe bereits in China begonnen, Englisch zu lernen, besonders die Verben mit ihren unterschiedlichen Zeiten hätten es ihm angetan. S 6 berichtet auch, dass er gerade den Führerschein mache und eine Beförderung erhalten habe. Er beschließt seinen Vortrag über den Vater mit dem Hinweis auf die Schwierigkeiten der Tochter im Restaurant, die er aber bereits am folgenden Tag für ausgeräumt hielt. Auch diese kleine Erfindung des Schülers passt gut und ist plausibel: Für den Vater war die peinliche Szene im Restaurant nicht zentral, aus seiner Perspektive war sie kurz darauf schon unwichtig geworden. Aber Eltern wissen manchmal nicht sehr viel über die emotionale Lage ihrer Kinder, welchen Stellenwert die Szene für seine Tochter wirklich hatte, hat der Vater in der Darstellung von S 6 nicht erkannt. Der Schüler zeigt hier ein sehr gutes emotionales Einfühlungsvermögen in die väterliche Figur, der die pubertierende und überangepasste Tochter ein Rätsel bleibt. An dieser Stelle hakt die Lehrkraft ein und möchte mehr zur emotionalen Lage der Tochter aus der sicht des Vaters wissen. Wieder antwortet S 6 seiner Rolle entsprechend sehr plausibel, am Anfang habe er ihr Unglücklichsein wahrgenommen, später dann habe sie Amerika gemocht. Weitere Fragen, die S 6 jeweils in Übereinstimmung mit seiner Rolle beantwortet, beziehen sich auf sein Verhältnis zu China bzw. die USA (S 2 ) und seine Besuche bei den alten Eltern (S 8 ). Auch hier liegt wiederum ein sehr gelungener Nachvollzug der Emotionen der Vaterfigur vor, der nicht nur die wichtigsten Details des Textes noch einmal aufgreift, sondern auch im 52 Eva Burwitz-Melzer 37 (2008) Kontext des Weltwissens und der emotionalen Erfahrung des Schülers S 6 über den Text hinaus weist. Als letzte Figur wird der Sohn der Familie Lin von S 2 , einem Mädchen, dargestellt (12: 51 - 12: 54). Auch sie fasst die wenigen Details, die die Kurzgeschichte zu dieser Figur anbietet, in ihrem Vortrag zusammen: Sie beginnt mit dem Grund für ihre Einwanderung und dem neuen Job des Vaters. Danach beleuchtet sie den Charakter und die Emotionen des Sohnes, indem sie ihn als unbekümmerten jungen Mann darstellt, der zufrieden ist, im Baseballteam so leicht neue Freunde gefunden zu haben und beim Erlernen der Sprache keine Probleme sehe. Wohl wissend, dass er zwar fließend, aber nicht fehlerfrei Englisch spricht, greift S 2 noch einmal den Hauptcharakterzug des chinesischen Jungen auf, seine Sorglosigkeit und sein Selbstbewusstsein. Deshalb stellten auch die kulturellen Missverständnisse, wie sie etwa beim Essen auftauchten, keine Schwierigkeit für ihn dar. Wichtig ist neben den neuen Freunden auch die Kleidung als Integrationsfaktor: Mit Jeans und Sweatshirts fühle er sich bei den Freunden wohl und sei nie negativ aufgefallen. Als S 1 in der Fragerunde noch einmal die unterschiedliche Problematisierung der interkulturellen Missverständnisse durch Bruder und Schwester aufgreift, geht S 2 über die dürftigen Informationen im Text hinaus und zeichnet ein differenzierteres Bild der emotionalen Lage der Geschwister: Er gibt zu, es bestehe ein großer Unterschied zwischen ihm und seiner Schwester, sie leide mehr unter diesen Dingen als er. S 12 , die nach einer festen Freundin und dem Verhältnis zu den alten Freunden in China fragt, bekommt ebenfalls eine schlüssige Antwort: Da er nicht schüchtern sei, habe er viele neue Freunde. Die Kontakte mit den alten Freunden würden durch Briefe und Ferienbesuche aufrecht erhalten. Auch hier gelingt es der Schülerin S 2 , plausible und einfühlsame Antworten zu finden, die in Übereinstimmung mit dem Text und der emotionalen Lage der Nebenfigur stehen. Sie dringt tiefer in den Charakter des Sohnes ein, gewinnt seinen Emotionen erheblich mehr Plastizität ab als dies in vorangegangenen Arbeitsschritten der Fall war und vollzieht einen gelungenen Perspektivenwechsel. Abschließend lässt sich feststellen, dass es sich gelohnt hat, die zentrale Aufgabenstellung zu den emotionalen Prozessen der Protagonisten doppelt zu vergeben. Die erste Aufgabe hat bereits bekannte Emotionen noch einmal genannt, hat aber den Lernenden nicht dazu verholfen, auch die anderen Protagonisten ausreichend ausführlich emotional zu entdecken. Ein Perspektivenwechsel war also nicht möglich. Erst die zweite Aufgabenstellung brachte eine genauere Bestandsaufnahme der in dieser Kurzgeschichte eher als Folien benutzten Charaktere und ihrer Emotionen. Die Lernenden haben durch ein genaueres, von der Lehrkraft sehr bewusst geplantes Vordringen in den Text die Figuren näher kennen gelernt und das Emotionspotenzial des Texts, die verschiedenen emotionalen Reaktionen auf die Immigrations- und Einbürgerungsproblematik viel genauer verstehen können. Den Abschluss der Unterrichtseinheit bildete ein Round table-Gespräch, eine Metaphase, in der die Jugendlichen über den Verstehensprozess, den interkulturellen Lernprozess und den Verlauf der Unterrichtseinheit nachdenken sollten. Im Mittelpunkt des Gesprächs standen die Fragen „What did this story teach you? “ und „How did you learn this? “ Erstaunlicherweise werden die Emotionen der Protagonisten in der Geschichte, aber auch Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht 53 37 (2008) die Emotionen der Lernenden bei der Unterrichtseinheit von den Schülern selbst ins Gespräch gebracht. S CRIPT 3: A USZUG AUS US TD G10 - T ASK 14 (R OUND TABLE ) 11: 51 L Now tell me: What did this story teach you? . S 9 , begin (please). S 9 The story there . is written . yes . about the Chinese family . and I think the . the emotions are very important. And I think I learned something about . the behaviour . how to . how to behave yourself in a foreign country . and . that you don’t have . to . forget your own culture. ... S 12 I think the same. 11: 52 L You can . you can say something a second time, if this is your opinion. S 12 (unverständlich: I think the same as S 9 )( S 12 meldet sich noch einmal, wird aber übergangen) L S 9 , please call someone else. S 9 .. S 4 . S 4 I think I learned that everbody has a . different culture . everybody is different form another person and it’s important to accept cultures from other persons. L OK. Then . tell me . how did you learn it. You said what you learned . and I . I’m sure you learned quite a lot. . But how did you learn it? Why is it that you learned it? S 1 11: 54 . When I read / ri: d/ the text . I thought about the things that are in the text, and about . the emotions from the girl. L And the others? S 1 S 9 . S 9 I thought . when I am in her situation . if I were in her situation . erm . how would I feel and . so I . yes . so I learned the . emotions and the . thoughts of the . girl . (blickt sich suchend nach Wortmeldungen um) L 11: 55 How did you learn it? . Think of S 9 . He said I thought of how I would feel if I were in her situation. ... What about the others? Did you also do that? ... Think of . what we did. S 6 , you learned a lot. I know. I can see that . I can see that from your eyes. .... How did you learn it? Or did you not learn anything? S 6 Yes . I learned something about the culture . of the Chinese. L How did you do that? How did you manage? S 6 Yes . By reading the text. . there are standing lots of things . L And how did you learn, S 11 ? S 11 Yes . I learned from the text . when I / rai/ . when I read . 11: 56 L If you want to have more information . I mean . it might be possible that the story was very interesting for you . you were very interested in the story . and you want to get more information . How can you get more information? . ... S 9 . S 9 At first I think I would ask the teacher . when you have a lot of . again of texts for the culture of . China . and America . and you give it to us and we can . read it . L Any other proposal? ... S 6 ? 54 Eva Burwitz-Melzer 37 (2008) S 6 You can read books about the culture of Chinese . Or you can go into the internet . with the computer . and so . you can . (unverständlicher Zwischenruf) Yes . so you can find something about the Chinese culture . (S x sagt noch etwas) S 11 . S 11 I would go to the / lib/ . / lib/ . L Library . to the library 11: 57 S 11 library . and there are many books about the cultures of the Chinese or American. S 9 . S 9 Erm .. Could you repeat your question, because I forgot my answer . L Hmhm. My question was . I hope you are interested in that kind of ... topic or theme . If you really are interested . How can you find more information? 11: 58 S 9 There are also other books . and we read already one . When Hitler stole the Pink Rabbit . and I think . yes . so you can also find out some things . about the emotions . about the time . L Can you find similarities between When Hitler stole the Pink Rabbit and the All- American Gulp (sic! )? (wendet sich an Beobachterin) You remember, when you introduced the story to me I told you . (lacht) . (zu S 9 ) Can you find some similarities, or would you ask someone else? Because maybe the question . S 9 S 4 . S 4 The family . in the other book . they had to go to . to different countries . to Switzerland . France and England . so . ähm . they learned many cultures . it’s like the Chinese family . they went all to America. . It’s the same. L Ask somebody else. S 4 S 8 ! S 8 I think in both stories . are the . (an L) Hauptpersonen? L main characters 11: 59 S 8 the main characters are . daughters . In Pink Rabbit was the daughter Anna, and in this story it was the daughter of the . Mr Lin . I don’t know her name. ... S 12 ! S 12 I think the stories are different because the Chinese culture is very different than the culture of . the girl . of the book of . Anna. Because . the Chinese culture is a very old culture . and (unverständlich) everything has another meaning . L Can you speak a bit more clearer? Because it’s difficult . S 12 Everything has got a different meaning . in Chinese . so . Anna would not slurp a soup or so . because she’s from Germany . and (unverständlich) L Good . there are so many others here. ... S 1 . 12: 00 S 1 I think they are different things . because the family of Anna . they . are . afraid about Hitler . and . from this Chinese family . the girl . are only ashamed of . all the situations which happened in America. And so they both are different stories. . S 2 . S 2 The Chin/ i: / girl has other problems like Anna . because . she has problems like the table manners in America . and . the dress . and the language . and Anna has the problem like the language . And she knew the . she knew the table manners and she’s not ashamed when she go in a restaurant . with her family . and . she . erm . the same dress like the other kids in the school . and . hm. ... S 8 . Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht 55 37 (2008) 12: 01 S 8 I think that. they both make the. not the same . but (unverständlich: not exactly) the same experience . because they must leave their country . their home . and must find new friends . learn a new culture . and learn to speak a new language . and I think . the both characters are also (fragend an L) gleich? L alike? S 8 alike, because both are . wants (to do) everything perfect. ... S 9 I wanted to say something to S 12 . . It’s right what you say that the characters are very different . but I think that the . was heißt Inhalt? L contents S 9 but I think the contents from the texts are really the same. because the persons . the two girls . are leaving her . her home . and have a new live (= life) in another country . and it’s very hard for them . S 12 Was? ! ... (unverständlich) S 9 Why? It’s only another country. 12: 02 S 12 No . because the . the . Grund? L reason S 12 No . because the reasons . why they changed the country are different. S 9 That’s OK, but I think that the two girls are the same. because they must found new friends . they have problems with the language and other things . S 11 It’s another thing to leave your country and to / flu: / L flee .. to escape S 11 from your country . to escape from your country. The one in America . she . Naomi? S 12 Anna S 11 12: 03 Anna . she didn’t know how . which country is the next . where she goes and Lin . know where she goes and . she could make . before she go to the country . and to . (zu L) sammeln? L to collect S 11 to collect informations about the country L or she could inform herself S 11 inform herself ... S 4 . S 4 I think Anna had bigger problems than Lin because she was a / ri: / . a refugee . a refugee . and Lin wasn’t . wasn’t a refugee . She wants to go to America because her father got a new job. That’s a big difference. (nickt zu S 9 ) S 9 12: 04 I think the situations are different . but they had to leave their country . yes . they must to leave their . Anna . her family . the whole family had to leave . Germany. But in the second . The American Slurp . there also . is only the father who has got a job and so the girl had to leave her country also .. and so I think the emotions have to be nearly the same. 56 Eva Burwitz-Melzer 37 (2008) S 2 I think Anna must change the countries . First she stays in Switzerland and then she begins a normal / live = life/ . and then must go to France and then to England . and . the Chin/ i: / daughter she stands in America and she begans a normal / live/ (L korrigiert) . life there . and . like an American girl . and Anna not . and when she began to . live normal then she must change the country. And this is a big problem for her. L A really difficult situation. . Yes . S 9 . 12: 05 S 9 But at the end she stayed in England and so . there she began her life . really . she learned the language . she went in England to school and so I think . L This might have been wishful thinking. We don’t know . how the story ended. ... It’s probably wishful thinking. Let’s cross fingers that she found a place where she could stay. S 12 . S 12 Anna has other wishes. She always had the hope in her . in her mind to return . when the war is over. L Aha. Come on. Say that . loud! S 12 It was loud. L No it was not loud. S 1 looks at you as if she didn’t understand it. S 12 Anna had always the hope in her . in her mind to return when the war is over. and . what was her name? L Ham wir nicht. 12: 06 S 12 the other girl . she . her . takes the country for all the time there to live. L Now . You must ask . S 12 (nimmt S 2 dran) S 2 I also think that Anna felt very lost because she . she hadn’t got really a home but . the Chinese girl she . she stayed in America and now she began there a new life and now there is her . home, but when Anna thought she . she could live in one country, she had to change it. . S 8 . S 8 12: 07 I think that . that the text . in the text it is not written that . what’s her name . the daughter of Mr Lin didn’t say that she don’t want . to go to China . Only persons (who are staying in the room? ) . are thought that she she don’t want to go to China . and in the text is not written . but I think . at first she want to go back to China because it’s very hard . and . yes . and if she has a . if . if it is possible to go back to China . she will . she would go back to China. L Do you think so? .. S 8 Yes. ... S 9 I agree with S 8 , because in . in the text isn’t written about the emotions of the girl . to . to China . and so you can’t say that she . don’t want or she want to . go back to China. L But I’ll interrupt this now, ... Um das Gespräch auf den Lese- und Verstehensprozess zu bringen, fragt die Lehrkraft zu Beginn, was die Jugendlichen aus der Kurzgeschichte gelernt hätten. S 9 verweist zunächst auf die Wichtigkeit der Emotionen in der Erzählung, fügt zweitens an, er habe etwas darüber gelernt, wie man sich in einem fremden Land verhalten müsse und drittens, dass man seine eigene Kultur nicht vergessen solle. Daraufhin führt S 4 aus, er habe gelernt, Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht 57 37 (2008) dass jeder durch seine Kultur anders geprägt sei und dass man diese Tatsache auch akzeptieren müsse - eine Bemerkung, die nicht nur auf eine große Sensibilität der Lernenden gegenüber ihren eigenen Emotionen beim Lesen schließen lässt, sondern auch auf eine wichtige interkulturelle Lernstrategie und auf eine lebensweltliche Bedeutung des Gelernten hinweist. Die nächste Frage der Lehrkraft ist schwieriger, sie möchte nun wissen, wie man dies denn gelernt habe. Die Antwort darauf fällt den Lernenden nicht leicht, zielt sie doch auf eine Bewusstwerdung des Lernprozesses selbst ab, der auf verschiedenen Ebenen, der sprachlichen, der literarischen, der emotionalen und der interkulturellen ablief. Eine Differenzierung dieser komplexen Bezüge im Unterrichtsgeschehen, die dazu noch in der Zielsprache beschrieben werden soll, ist für die Lernenden nicht leicht. S 1 versucht es mit einer phasenhaften Beschreibung: „When I read the text, I thought about the things that are in the text, and about . the emotions from the girl“ (11: 54). Damit zählt er neben den inhaltlichen Textelementen auch explizit die Gefühle der Protagonistin auf, die in ihm zu einer emotionalen Reaktion geführt und seinen Verstehensprozess in Gang gesetzt haben. Lesen, emotionale Reaktionen und eine Reflexion über die Emotionen sind hier zumindest ansatzweise als zwei miteinander verwobene Prozesse dargestellt, die sich gegenseitig ergänzen. Auch S 9 bezieht sich in seiner Antwort auf emotionale Prozesse, die nachvollzogen wurden: „I thought . when I am in her situation . if I were in her situation . how would I feel and so. yes . so I learned the . emotions and the thoughts of the . girl“. S 9 hat den Perspektivenwechsel mit der weiblichen Hauptfigur der Kurzgeschichte als Konsequenz aus dem emotionalen Reflexionspozess erkannt, beschrieben und als verantwortlich für das Verstehen dargestellt. Hier finden wir sogar ein bewusstes Nebeneinander von thoughts und emotions, die zusammen den reflektierten emotionalen Prozess beschreiben. Die Antworten belegen auch, dass die kreativen und analytischen Arbeitsschritte von dem Lernenden verstanden worden sind und dass ihr Zusammenwirken in der Unterrichtsarbeit als sinnvoll aufgefasst wird. Auch die Schüler S 6 und S 11 stimmen diesen Aussagen zu. Der folgende, zweite Gesprächsabschnitt weicht vom Thema der Emotionen ab und fokussiert die Problematik der Recherche bei interkulturellen Lerneinheiten, sie ist als Impuls zum Nachdenken über einen längerfristig angelegten interkulturellen Lernprozess gedacht. Am Ende dieser Gesprächsphase lenkt S 9 das Augenmerk auf andere fiktionale Texte, die im Englischunterricht bereits zu diesem Thema gelesen wurden, und die seiner Meinung nach auch zum intertextuellen Vergleich herangezogen werden können. Damit wird von den Lernenden selbst die dritte Phase der Diskussion eingeleitet, die sich mit dem Vergleich zwischen dem Jugendroman When Hitler stole the Pink Rabbit und der gelesenen Kurzgeschichte befasst. Viele Schülerinnen und Schüler können sich noch gut an den Roman aus ihrem Deutschunterricht erinnern, in dem eine deutsch-jüdische Familie während des Naziregimes zur Flucht nach Frankreich, England und in die Schweiz gezwungen wird. Sie steuern etliche Beiträge zu dieser Gesprächsphase bei, die sich sowohl auf inhaltliche Details, als auch auf literarische Aspekte, literaturwissenschaftliche Elemente und eine genaue Gegenüberstellung insbesondere der beiden weiblichen Hauptfiguren beziehen. Die Diskussion entzündet sich an der Frage, ob die Gemeinsamkeiten oder die Unterschiede zwischen den beiden Werken überwiegen. Ausgehend 58 Eva Burwitz-Melzer 37 (2008) von der grundlegenden Beobachtung, dass in beiden Texten jeweils die Töchter der emigrierenden Familien die Hauptfiguren sind, konzentrieren sich einige Lernende zunächst auf die Frage, welche oberflächlichen Unterschiede zwischen den beiden Texten zu finden sind. S 4 verweist auf die geographischen Differenzen: Die chinesische Familie zieht wegen eines beruflichen Wechsels in die USA, die deutsche Familie flieht in mehrere europäische Länder, und S 12 führt die unterschiedlichen Heimatkulturen der beiden Familien, China und Deutschland, an. Der Schülerin S 1 , die sich schon im ersten Teil des Gesprächs ausführlich und sehr ergebnisreich mit den Emotionen der Protagonisten beschäftigt hat, gelingt es, durch einen Nachvollzug der Emotionen der zwei Protagonistinnen während der Flucht bzw. nach der Immigration die Unterschiede zwischen beiden Texten präziser herauszuarbeiten: Während Anna vor der Vernichtung durch die Nationalsozialisten fliehen, also in existenzieller Angst handeln muss, empfindet das chinesische Mädchen Scham darüber, dass sie und ihre Familie sich anfänglich nicht dem US-amerikanischen kulturellen Kode gemäß benehmen können. Interessant ist an dieser Stelle des Gesprächs auch, wie andere Lernende sich auf eine genauere Identifikation des Emotioneninventars der Protagonistinnen einlassen und damit die Analyse der intertextuellen Beziehung zwischen beiden Textbeispielen vorantreiben: S 2 führt aus, die problematischen Gefühle der jungen Chinesin drehten sich vor allem um Tischsitten, Kleidung und die Sprache. S 8 versucht zwischen den verschiedenen Positionen zu vermitteln: Die Mädchen hätten nicht etwa identische Erfahrungen gemacht, aber doch ähnliche; sie hätten beide ihre Heimat verlassen und mit einer Migrationssituation fertig werden müssen, und außerdem seien sich die beiden Protagonistinnen vom Charakter her ähnlich, denn beide neigten zum Perfektionismus. S 9 stimmt dem zu, auch er findet die Situation, in der sich die Hauptpersonen befinden, sehr ähnlich, erntet allerdings den Widerspruch von S 11 , die noch einmal betont, auszuwandern sei doch etwas ganz anderes als aus Angst um das eigene Leben zu fliehen. Anna, die Heldin des Hitlerromans habe sich auf ihre neue Heimat nicht vorbereiten können wie das chinesische Mädchen, als Flüchtling sei alles für sie viel härter gewesen. S 2 gibt zu bedenken, dass Anna schließlich dreimal habe das Land wechseln müssen, immer wenn sie sich gerade eingewöhnt hatte, habe sie weiter fliehen und sich in einem anderen Land neu orientieren müssen, während die Situation für die Protagonistin der chinesischen Familie doch bedeutend einfacher gewesen sei. Es zeigt sich an dieser Stelle des Gesprächs sehr deutlich, wie die Emotionen der zwei Protagonistinnen von den Lernenden auf Gemeinsamkeiten und Differenzen abgetastet werden; vor der Folie des Hitlerromans, in dem es um eine existenzielle Bedrohung der Familie geht, erscheinen die emotionalen Probleme der Tochter der Familie Lin zwar relativiert, sie sind aber gleichzeitig auch besser im Detail wahrzunehmen. Das von den Lernenden selbst gewählte „Spiel der Texte“ (H ALLET 2002) wird an diesem Punkt zu einem bedeutungstragenden Spiel der Emotionen, das die Analyse der Kurzgeschichte entscheidend vorantreibt, aber auch das Einfühlungsvermögen der Schülerinnen und Schüler schärft. Der nächste Diskussionspunkt entzündet sich an dem Begriff der Heimat und den mit diesem Begriff verbundenen Gefühlen: S 12 und S 2 glauben, dass Anna immer gehofft habe, nach dem Krieg nach Deutschland zurückzukehren; das chinesische Mädchen dagegen Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht 59 2 Wie bereits oben erwähnt, konnte die erste spontane emotionale Reaktion nicht überprüft werden, da die erste Lektüre des Textes als Hausaufgabe gegeben wurde. Um diesen Faktor zu überprüfen müsste die Lektüre unter Beobachtung ablaufen und eventuell durch spontane Leseprotokolle, laute Denkprotokolle etc. sowie Videoaufzeichnungen gestützt werden. 37 (2008) hätte in den USA eine neue Heimat gefunden, die es nicht mehr verlassen wolle. S 8 und S 9 versuchen zum Schluss noch den Vergleich zwischen Annas Gefühlen für Deutschland und den Emotionen der Chinesin für ihre alte Heimat, müssen aber beide einsehen, dass die Kurzgeschichte sich dazu ausschweigt. Es wird dem Leser nicht verraten, wie die Protagonistin über China denkt, es werden ausschließlich ihre Emotionen in Bezug auf die neue Heimat dargestellt. In dieser Feststellung steckt nicht nur eine implizite Kritik an der Kurzgeschichte, sondern es lässt sich daran auch die Einsicht von S 8 und S 9 ablesen, dass ihre Behauptung, beide Texte seien einander sehr ähnlich, zum Teil zurückgenommen werden muss. Diese spontane und doch ausführliche Auseinandersetzung mit einem zweiten literarischen Text hat auf beeindruckende Weise gezeigt, wie tief die Lernenden in der Zielsprache in einen intertextuellen Vergleich eindringen können, mit welcher Vielschichtigkeit der emotionale Rezeptionsprozess zum Verstehen der Texte beiträgt und welch unterschiedliche Auffassungen von Auswanderung und Flucht Jugendtexte transportieren können. 5. Berücksichtigung emotionaler Aspekte in einem literaturdidaktischen Curriculum Die Fallstudie, die natürlich nicht repräsentativ ist, aber doch sehr interessante Ergebnisse in Bezug auf den starken Einbezug von Emotionen in den fremdsprachigen Literaturunterricht zeigt, lässt verschiedene Schlüsse zu: Die vorab aufgestellte Hypothese, dass sich emotionale Prozesse und die damit verbundenen kognitiven Prozesse erstens bei der erstmaligen Rezeption des Textes wiederfinden lassen, zweitens auf der Ebene des Unterrichtsgesprächs niederschlagen und drittens auf der Ebene des sprachlichen Handelns bei verschiedenen Aufgabenbearbeitungen deutlich werden, kann für den zweiten und dritten Teil bestätigt werden. 2 In Bezug auf die Textarbeit und die von den Lernenden vollzogenen emotionalen Prozesse ist mehr als deutlich geworden, dass Emotionen und Kognitivierung des emotionalen Prozesses eng zusammenwirken und der emotionale Prozess eine befruchtende Wirkung auf die Analyse des literarischen Textes sowie auch auf die Auseinandersetzung mit lebensweltlichen Erfahrungen hatte. Lernende sind sprachlich und intellektuell in der Lage, Emotionen von Protagonisten in literarischen Texten nachzuvollziehen und sich darüber auch im Unterricht zu unterhalten. Eine einfühlsame Unterrichtsplanung und -durchführung sowie unterschiedliche kreative oder analytische Aufgabenstellungen, die im Idealfall aufeinander aufbauend eingesetzt werden, unterstützten die Lerngruppe dabei, die Emotionen von Protagonisten herauszuarbeiten, zu beschreiben und für ihren Verstehensprozess nutzbar zu machen. Lernende 60 Eva Burwitz-Melzer 37 (2008) verstehen auch, dass es gerade die Emotionen der Protagonisten sind, die sie in die Lage versetzen, in einen Perspektivenwechsel mit den Protagonisten einzutreten und ihre Standpunkte nachzuvollziehen. Wird dieser Reflexionsprozess dann noch durch ein Gespräch auf der Metaebene gestützt, können sie meist auch lebensweltliche Bezüge herstellen, also verstehen, wieso das literarische Werk für sie persönlich auch im späteren Leben von Bedeutung sein kann. Eine solche bewusste Verankerung des erlebten emotionalen Lernprozesses wird ihnen vermutlich helfen, die emotionalen Reaktionen und die damit verbundenen Werturteile und coping mechanisms (R OBINSON 2005: 197-202) auch später in ihrem emotionalen Gedächtnis zu aktivieren. Was bedeutet ein solches Ergebnis für den fremdsprachlichen Literaturunterricht, der sich in einer Phase der Kompetenzorientierung neu definieren und positionieren muss? Wenn Schülerinnen und Schüler lernen, Emotionen in Texten nachzuvollziehen, sie zu reflektieren und lebensweltliche Schlüsse aus dem Gelernten zu ziehen, arbeiten sie nicht nur für die entsprechende Unterrichtsstunde, sondern sie arbeiten an ihrer Persönlichkeit. Sie üben eine Verstehensfähigkeit ein, die ihnen im späteren Leben von großem Nutzen sein wird, wenn sie im Umgang mit anderen Menschen und ihren Emotionen, sowie mit Situationen, die besonderes emotionales Geschick erfordern, zu tun haben werden (R O - BINSON 2005; B REDELLA 2007). Die im Literaturunterricht erworbenen Fähigkeiten, sich emotional auf Andere einzustellen, einen Wechsel der Perspektive zu vollziehen, eigene Emotionen genau zu reflektieren und geduldig zu analysieren, ist nicht nur für den Umgang mit anderen Kulturen ein unabdingbares Lernziel. Dass dieses Lernziel nicht leicht in einen standardorientierten Katalog einzuordnen ist, sehr wohl aber seine Berechtigung hat, wenn es um die Persönlichkeitsbildung von jungen Menschen geht und um ihre Vorbereitung auf eine Eingliederung in die heutigen gesellschaftlichen Verhältnisse, erscheint nicht bestreitbar. Parallel zu den in den Bildungsstandards bereits verankerten interkulturellen Kompetenzen, die dort allerdings nicht durch Musteraufgaben erläutert werden, sollten deshalb auch emotionale Kompetenzen als wichtige Bestandteile des (fremdsprachlichen) Literaturunterrichts angesehen werden, die sich sehr wohl durch einen Musteraufgabenkatalog erläutern und damit auch gezielt im Unterricht verankern lassen. Wie aus den obigen Beispielen ersichtlich, werden parallel zum emotionalen Lernprozess auch wichtige sprachliche und interkulturelle Lernziele umgesetzt, wenn die Lernenden die Emotionen der Protagonisten beschreiben, ihre eigenen Gefühle als Reaktionen auf den Text ausdrücken und sich mit beiden Emotionslagen durch eine genaue Analyse auseinandersetzen. Eine solche Auseinandersetzung braucht Zeit und Raum im Unterricht, denn es handelt sich um Lern- und Verstehensprozesse, die sich nicht auf Knopfdruck entfalten, sondern angeleitet und sorgfältig unterstützt werden müssen. Wenn wir eine sinnvolle Beschäftigung mit fremdsprachiger Literatur anstreben, dürfen wir die emotionalen Lernprozesse nicht ausgliedern, sondern müssen in unseren Aufgabenstellungen und analytischen Verstehensprozessen vor, während und nach der literarischen Unterrichtsarbeit ausreichend Freiraum und Zeit für diese elementaren Bedürfnisse vorsehen. Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht 61 37 (2008) Literatur A RITSTOTELES (1999): Rhetorik. Stuttgart: Reclam. B REDELLA , Lothar (2004): „Grundlagen für eine rezeptionsästhetisch orientierte Literaturdidaktik“. In: B REDELLA , Lothar / B URWITZ -M ELZER , Eva: Rezeptionsästhetische Literaturdidaktik mit Beispielen aus dem Fremdsprachenunterricht Englisch. Tübingen: Narr, 25-80. B REDELLA , Lothar (2007): „Die welterzeugende und welterschließende Kraft literarischer Texte: Gegen einen verengten Begriff von literarischer Kompetenz und Bildung“. 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W ESLING , Donald (2008): Joys and Sorrows of Imaginary Person Amsterdam, New York: Rodopi. W IMSATT , William K. / B EARDSLEY , Monroe C. (1954): The Verbal Icon: Studies in the Language of Poetry. (2. Aufl. 1976) Lexington: The University of Kentucky Press. * Contact details: Professor John M C R AE , School of English Studies, University of Nottingham, University Park, N OTTINGHAM NG7 2RD, UK. E-Mail: johnmcrae@tiscali.co.uk Areas of work: Study of literature, with a focus on language in literature studies; teaching of literature; Project Advisor to the British Council Literature Department. 37 (2008) J OHN M C R AE * What Is Language and What Is Literature ? Are They the Same Question ? An introduction to literature with a small ‘l’ and five skills English Abstract. Judit Z ERKOWITZ , a Hungarian linguist and scholar, recently asserted (2007: 157) that M C R AE signals a new era in language teaching which will be characterized by “the fuller integration of the text into teaching, the mixing of representational with referential, the development of language awareness concurrently with knowledge about language”. This article looks at what she means, and some of the background to her assertions. 1. The role of literature in language teaching The role of literature in language teaching, both in the foreign language teaching context (ESL/ EFL) and in the native-speaker English context, has been under discussion for nearly 25 years now, since the publication in Britain of several textbooks which introduced an integrated language and literature approach, initially for the English as a Foreign Language market in the 1980s, but later reaching widespread acceptance also in the first language market (B OARDMAN / M C R AE 1984; C ARTER / L ONG 1985; C OLLIE / S LATER 1987; M ALEY / D UFF 1990; D UFF / M ALEY 1990; M C R AE / P ANTALEONI 1990). There have, throughout, been theoretical approaches and practical ways of working, with the result that the published resources often fall into distinct categories. Some basic theoretical principles obviously go right back to the early twentieth century, as far back as S AUSSURE (1974, first ed. 1916) and the Russian Formalists (B ALDICK 1996), and I. A. R ICHARDS (1929), moving forward then to the work of Roland B ARTHES (1975, 1977), Wolfgang I SER (1974), Umberto E CO (1979, 2005), and Stanley F ISH (1981), and culminating in the work of L EECH and S HORT (1986). Others have moved from these theories into practical teaching applications (L AZAR 1993; B ASSNETT / G RUNDY 1993; M C R AE 1992, 1998; M C R AE / V ETHAMANI 1999). It may seem surprising, but many of the successful practical teaching textbooks in the subject area known as the language/ literature interface have remained in print for upwards of twenty years. From W IDDOWSON ’s (1975) ground-breaking work on to the textbooks mentioned above and later substantive theoretical work by, for example, Paul S IMPSON (1993, 1996, 2004) and Michael T OOLAN 64 John McRae 37 (2008) (1998), to name but a few, the work has been carried forward with a remarkable consistency of approach, as B REDELLA and D ELANOY (1996) bear out. From the outset there have been challenges, frequently based on the fact that ‘literary language’ is not what foreign language students need to learn, and that it does not fit with the skills they require in the modern world etc. (cf. E DMONDSON 1996) These notions require little rebuttal because they are based on patently false premises which tend to indicate some kind of fear of the aesthetic element, fear of a perceived ‘difficulty’ in literary texts, and a misconception as to what the role of literature and of imaginative materials in general might be in the context of the teaching and learning of a foreign language. These attitudes take literature to mean the classic ex cathedra teaching about texts, authors, and historical periods, together with the critical exegesis of aesthetics, rather than the more positive idea of hands-on work with relevant texts of all kinds which the integrated language/ literature approach encourages (S PERBER / W ILSON 1986). The other main debate has centred around what stylistics actually is and its value in textual study (M ACKAY 1999). It is concerned with how scientific stylistic approaches to text can be, but is in fact not so directly involved with the pedagogic aspects of the subject area, which is more our concern here. We will come back to one or two aspects of this question later. What is at issue here is largely a question of verbal literacy, with related questions of visual literacy. Students today are much more visually than verbally literate - they are often computer literate before they can actually read books and similar written texts (B ARON 2001). This suggests that the educational context has a great deal of work to do to bring some kind of verbal literacy back into their lives. The foreign language context is a privileged one from this point of view: not only are students fascinated by English in the contexts of society and its music, movies and popular culture. They actually want to acquire English as a language they can produce and use in the wider world. And the pleasure of the text, long lost from education, can enhance that developing language and cultural awareness and help it reclaim its rightful place in language teaching (C ARRELL [et al.] 1988; C AWS 1992; C OOK 2000; S TOCKWELL / C ARTER 2007; VAN P EER 1988, 2007). In seminars and workshops in many countries, time and again I have seen the scales fall from participants’ eyes as they realise how wide a range of imaginative materials literature with a small ‘l’ can offer. The area is open to every teacher in every teaching situation. Literature with a small ‘l’ (M C R AE 1991) can be used, and is indeed used, from primary through secondary to tertiary level, and in many specific contexts from airline pilots to business studies students, from lawyers, doctors and nurses, to diplomatic courses, to secretarial training. T. S. E LIOT , no less, famously said, “immature poets imitate, mature poets steal” (1950: 182). In the same way, the mature teacher is a magpie, and steals shamelessly any materials that might prove useful in any particular class in any particular context. That material can range, notoriously but excitingly, from bus tickets, to soft drink cans, to advertisements, to popular songs, newspaper articles, cartoons - and on to the more traditionally literary forms that might include extended prose, poems, plays, from any What Is Language and What Is Literature ? Are They the Same Question ? ... 65 37 (2008) period or any context. Anything that can be read can be grist to the mill. That is the range. Any kind of imaginative material that a reader can process is grist to the mill. The problems which teachers might have are more likely to be problems of their own resistance rather than problems of accessibility or of student resistance. C ARTER and L ONG ’s (1991) useful illustration of “clines of literariness” once and for all dispels the myth that there is such a definable thing as ‘literary’ language, and opens up the field of creativity in language use in ways that can never be gone back on. A good teacher will choose material that is suitable for the students; ‘difficulty’ is often only in the teacher’s own mind, and is part of the resistance. As soon as that resistance is broken down, the new convert frequently becomes the most enthusiastic proponent of work at the lang/ lit interface. This can happen at the institutional level just as much as it can at the individual level: governments and ministries of education which have proved resistant over the years are now seeing more and more the visible, verifiable benefit of working systematically with imaginative materials in the language classroom for all subject areas where English is required. This is not luxury teaching: its way of working is fundamentally in tune with how the human brain works. Recent developments in cognitive science have backed up what previously was imagined, to paraphrase William Blake (A ITCHISON 1998, 2002, 2007; B ODEN 2003; G OODMAN / O’H ALLORAN 2006; G OTT - SCHALL / W ILSON 2005; G RABE / S TOLLER 2001; H ALL 2005; L EHRER 2007; S ELL 2000). Because it is not a specialist historical or critical study, the use of representational literature materials in language teaching needs no literary background, no specialist knowledge. Any teacher who is methodologically aware and can teach language communicatively can teach Five Skills English. It is simply a question of going beyond the limitations of referential materials and traditional language teaching texts. Comprehension is a starting-point here, rather than a point of arrival. Intelligent content and relevant input are stimuli to thinking, and this leads on to spoken and written output. That this does produce more able readers and better users of the target language has now been the subject of a considerable body of academic study: Masters dissertations and doctoral theses in several countries over two decades. Both statistical and empirical results are overwhelmingly positive, and have given Ministries the confidence to implement representational or integrated language and literature programmes in many contexts. The critical mass is accumulating (F ABB 1997, 2002; F ULCHER / D AVIDSON 2007; H OLLI - DAY 2005; K ERN 2000; K RASHEN 2004; K RASHEN / S HIN 2007; P ARAN 2006; P ARKINSON / R EID T HOMAS 2001). An unexpected kind of resistance, but on a pretty small scale, has come from Literature teachers themselves, who might at first not appreciate how a linguistic approach to literary texts enhances and enriches the teaching/ learning experience. In a world where web access means teachers are no longer the only source of informational input about authors and periods, the teacher has more space to work directly with the text and encourage students to work autonomously on researching aspects which previously might have had to be given as input. Language awareness, text awareness and cultural awareness are now in the literature teacher’s standard armoury, just as literature is now becoming a more and more recognised part of the language teacher’s bank of resources (C OOK 1995). 66 John McRae 37 (2008) There is a process of democratization at work here - literature of all kinds is becoming more and more accessible to a wider range of readers. This is where intelligent content comes in to the processes of language teaching and learning. And this is where the concept of literature with a small ‘l’ is vital to the entire education system, because it must equip learners to read the world around them as text, just the way they would read a simple written text. Figurative language is everywhere, and much of our perception of the world is constructed in metaphors, as the work of L AKOFF and J OHNSON (1980) amply demonstrated. Applying this to the reading context and the educational situation L ITTLEMORE and L OW ’s words (2006: 134) become important: “to produce figurative language is very different from working out a reasonable interpretation of what an expression means when someone else uses it.” So we are more concerned with reception than production - this much must be obvious. As Mick S HORT reminds us, we are not in the business of coming up with unusual interpretations either: […] let us make sure we know which critical ‘game’ we are playing. Stylistic analysis, unlike more traditional forms of practical criticism, is not interested primarily in coming up with new and startling interpretations of the texts it examines. Rather, its main aim is to explicate how our understanding of a text is achieved, by examining in detail the linguistic organisation of the text and how a reader needs to interact with that linguistic organisation to make sense of it. Often, such a detailed examination of a text does reveal new aspects of interpretation or helps us to see more clearly how a text achieves what it does. But the main purpose of stylistics is to show how interpretation is achieved (author’s emphasis). (S HORT 1995: 53) This is the best description of the discipline and its techniques and objectives that I know, but the emphasis, as in so much the field of stylistics and of cognitive poetics, is on a critical practice, one which, I believe enhances our pedagogic aims, but is not an end in itself. We do indeed need help “to explicate how our understanding of a text is achieved”, and occasionally new revelations do emerge, as happened to me in a well-documented classroom situation in Bangladesh while teaching Wordsworth (M C R AE 1998: 33-35) and on a wider scale with the pedagogically guided reading of the Edith Wharton novel The Custom of the Country (M C R AE 2000). But taking a text to pieces is no help at all unless it teaches the reader something about the text and how it works: then it has to be put back together, and the reading process continued beyond the analytical moment. How a text works, how a poem works, how an advertisement works, how a story is told - these are the pedagogic interests at the heart of all this. And where the learning takes us beyond that individual textual experience is the building up of a wider reading frame of reference, which becomes the student’s own intellectual baggage, his or her range of reading experience (C HAMBERS / M ARSHALL 2006; S HOWALTER 2002). Stories are at the heart of all our perceptions of the world around us. Readers learn to read stories, to think in stories, and to recount stories, as part of their social interaction and their social being (F ISHER 1997; N ASH 1998; G OTTSCHALL / W ILSON 2005; S PIRO 2007). And this is not solely the province of ‘humanities’ students. Some of the most successful implementations of the five skills approach have been with students in a range of What Is Language and What Is Literature ? Are They the Same Question ? ... 67 37 (2008) disciplines from business studies to medicine and law, from aircraft engineers and pilots to archaeologists to chefs and West Point cadets (C HOO 2005; D ÖRNYEI 2001; D UANG - SAMOSORN 1995; G OODMAN [et al.] 2003; G RABE / S TOLLER 2001; H ASAN 1989; K AROLI - DES 1992; K ERN 2000; N UTTALL 1982; P RESTON 2003; S AMET 2007). At the heart of any approach which encourages an awareness of language, and the development of critical thinking skills must lie the basic awareness that language, any language in the universe, is mostly representational. In large part, the language system that is taught in the four skills approach focuses on referential language. This is language which means exactly what it says, where one word has one meaning, and where grammar and syntax follow the accepted rules. It is a rulebased approach, and usefully gives a basis for language use, a linguistic skeleton which learners can move on to fleshing out. However, the four skills approach frequently ignores representational language. That is language which is open to interpretation, contains plurality of meaning potential rather than one single denotational meaning, and requires negotiation and judgment by its receiver in order to be fully understood. No living language in the world can remain only at the referential level for very long. Every language in use is hugely representational, and perhaps no language more so than English (M C R AE 1991; C ARTER / N ASH 1990; B URNS / C OFFIN 2001; J AMES / G ARRETT 1991). Recent work on corpora of spoken English (A DOLPHS 2006; H OOVER [et al.] 2006; S EMINO / S HORT 2003) goes a long way to confirming that language in use is rarely as prescriptive and definitive as the kind of language usually learned through the recognised communicative methodology. English in use is hedged about with modality, with vague language (C HANNELL 1994; C UTTING 2007), with hesitations and lack of commitment, whereas learners of English are usually encouraged to use definite verbs, assertion, bland unqualified affirmation. In the simplest possible terms, the use of ‘may’ or ‘might’ is not sufficiently widespread in current language teaching: that would be the first major step towards a mastery of the enabling language required for discussion, the statement of views, opinions etc. It is this that leads to the necessity for a fifth skill to be incorporated into the currently widespread four skills communicative approach to language teaching and learning in order to enhance and develop the four basic skills (C ARTER / M C R AE 2001). The fifth skill is thus the skill of processing and thinking. Any text spoken, written, or heard has to be processed and thought about in order that its implications be decoded, its frame of reference understood, its context and connotations assimilated, its ideological standpoints assessed, where it is coming from and who it is directed at, all being incorporated into the overall understanding. Comprehension is widely perceived, especially by learners, as the ultimate aim, the point of arrival, the main target of learning achievement. This is a misapprehension both of how language works and of what language acquisition and proficiency are all about. Where the four skills approach has tended to focus on comprehension as a testable aim, 68 John McRae 37 (2008) the five skills approach sees comprehension as a starting-point, point zero in the processing of the text, whether it be spoken or written (C ARTER / M C R AE 1996). Five skills offers, as we have said, a process-based rather than a product-based approach. Experience of the language and how it works is frequently seen as more significant than information. Of course, information transfer on a purely referential level is vitally important in many fields of communication and language use. But it is limited in its applications to specialised areas of, particularly, professional language use. 2. Referential texts and representationality: texts with attitude Even a text which purports to be referential, such as a dictionary entry, lends itself to fruitful processing. The following text is, as the graphology shows, a dictionary entry (N ATION 1991): Beans on toast is a popular snack, eaten at any time of the day. Heinz, the most popular brand of baked beans, originally canned beans in tomato sauce in 1895, and when they were imported into Britain a few years later they were sold as an expensive luxury. Everyone can afford their beans now and many companies sell them. Heinz alone sells approximately 2,500,000 cans every day. See Snack. What students can be invited to see in this text is some sort of ideological construct: who is writing and to whom becomes a highly useful question. The apparatus would concentrate on where the text’s frame of reference covers (it is wholly British-centred), how much information is given for anyone who knows nothing about the subject (colour, size and type of beans are not mentioned, toast is never mentioned). Frequently students read this as a veiled advertisement for Heinz, as it seems to stress the brand name more than might seem necessary. Questions such as “who is ‘everyone’? ” also reveal something about the assumptions the text (and possibly its producer) make. The fact that at current supermarket prices in the UK Heinz beans cost three times the price of a supermarket’s own economy brand might give another insight to the question. Contrasting that text with a genuine advertising slogan for the same company and product illuminates useful differences in graphology, syntax, semantics and function: BEANZ MEANZ HEINZ Students need encouragement to ‘see through language’ in this way, but as soon as they realise that it is fruitful and indeed fun, they take to it rapidly and can be encouraged to read any text, from newspapers to text-books, from the non-literary text through any kind of literature (with a small ‘l’ or a large ‘L’) with a healthy questioning attitude. With wellwritten texts this will of course lead to a greater appreciation of the text’s qualities and the effects it achieves. This works with any kind of text and discourse: advertising is widely used in language teaching; newspapers which present widely different perspectives on the same story, What Is Language and What Is Literature ? Are They the Same Question ? ... 69 37 (2008) political discourse, agony aunts - any text that might represent a point of view, or have an agenda, or want to influence the reader in some way (C OOK 1995, 2007; G ODDARD 1998; H ILLIER 2003; M ILROY / M ILROY 1998). Any and all of these and many more are grist to the mill, because they represent the reader with a challenge, with something to find out - these are all texts with attitude. The development of the fifth skill, and the acquisition of processing skills, involves a refining of three levels of awareness in cognitive terms: language awareness text awareness cultural awareness The fifth skill is in itself nothing new: it effectively embodies the three ways of learning language originally outlined by H ALLIDAY (1978) when he suggested that a three-part structure is needed for discussions of language learning: learning language learning through language learning about language The most innovative recent textbooks and the best practice over recent years have implicitly, and occasionally explicitly, been incorporating materials which require interpretation skills and which expand cultural awareness as well as developing the basic language skills. What is to be learned is twofold: the mechanisms of the syntax of the target language are a more or less closed system, with not too many variables, a system of syntax which has more or less clear rules of use and usage. Then there is the much more open system of lexis and register, which necessarily involves choice on the part of the producer of the language and a capacity to evaluate and respond to that series of choices on the part of the receiver. The factors which condition such choices are of course manifold: they are social, cultural, linguistic, ideological, historical, local, personal, affective, and can indeed be as idiosyncratic as the individual speaker. Communicative language teaching and learning have, almost by necessity, avoided too much consideration of these factors, in a justifiable attempt to streamline the learning to what is quantifiable, and can be standardised. At various times there have been debates on linguistic competence, fluency versus accuracy, the differences between written and spoken English and the vexed question of standard and non-standard English. These will no doubt continue. Their relevance to the present discussion is considerable. Homelands for English have become more and more ‘imaginary’, as the language becomes more of a lingua franca and less a language whose ownership is in some way predetermined (C RYSTAL 1997; G OODMAN / G RADDOL 1996; G RADDOL 1997, 2006; K ACHRU 2005; K ACHRU [et al.] 2006; K ING 2005; K IRKPATRICK 2007; M OORE 1999; P ARAKRAMA 1996; P ENNYCOOK 1994, 2006; P HILLIPSON 1992; P RODROMOU 2008; R USHDIE 1991; S AID 1979, 1984, 1993; W ILSON 2003). The new element which Five Skills English brings to bear on these debates is the concentration on how the language works rather than what it says: on how it means, in 70 John McRae 37 (2008) whatever dialect or variety or local English it is expressed, rather than simply on what it means. In order for such a system to be implemented teachers and administrators have to see the potential skills development that can be achieved. This might be done by listing in advance a series of potential goals/ skills/ sub-skills to be targeted, but in my experience in various countries where variations on this approach are being or have been implemented, using the general over-arching five skills approach and then developing such sub-skills as discussing opinions, contrasting arguments to reach a conclusion, processing the meaning potential of texts, and a host of further related activities, makes these goals more reachable (C ULPEPER 1998; H OEY 1991; L AZAR 1999; M C G UINNESS [et al.] 2008; S ARACENI 2003; S HORT 1989, 1996; T HORNBORROW / W AREING 1998). Basically we want to help our students become better readers, as Jonathan C ULLER (1977: 64) put it, many years ago, in his essay “Structuralism and Literature”, “Our examinations are designed not to test whether or not students have read and remembered certain texts, but to evaluate his or her progress as a reader of literature”. This opens up two areas of vital interest: firstly the vexed question of testing and evaluation. The distinction to be drawn between testing and evaluation of learners’ progress is immensely important. Testing suggests a closed system of right/ wrong, starting with a concept of all correct answers and taking marks off, whereas evaluation implies a more open system, perhaps starting from zero and rewarding the candidate (B LACK [et al.] 2004; S ALAZAR N OGUERA 2002). For students to make significant ‘progress as readers’ (and notice C ULLER 1977 uses the small ‘l’) we have to begin an evaluative process which is continuous, and is processbased rather than product-centred. C ULLER ’s basic thrust is very significant and merits reflection on the question of what actually constitutes progress as a learner of language, as well as progress as a reader of literature or of any other material, and the abilities and skills that are required of language learners after the so-called communicative language teaching ‘revolution’. We have mentioned the basic reading skill, but immediately we go into areas of inference, interpretation, connotations, culture, and it becomes clear that the enabling language required has to be based on modality rather than assertion - ‘it might be’ rather than ‘it is’. Our students are not trained to use modality in English nearly enough, yet it is what constitutes the greatest part of the language of opinion-sharing, discussion, and cultural interaction, as recorded in recent corpus work. Grammar rears its ugly head here. Literature is language in action - grammar is everywhere. And the teaching of grammar has undergone significant changes in recent years: Creativity has become a buzzword, and ways of studying descriptive grammar rather than prescriptive grammar have flourished (C ARTER / M C C ARTHY 1997, 2006; C AMERON 2007; G ERNGROSS [et al.] 2007; H UGHES 2005). The link between a lexical approach and this development in grammar teaching and learning is self-evident (L EWIS 1993, 1997; N AT - TINGER / D E C ARRICO 1992). This is a sea-change in perceptions of how language is learned - the cultural and interactional elements thus begin to take over from the referential and purely transactional What Is Language and What Is Literature ? Are They the Same Question ? ... 71 37 (2008) elements. Language learning benefits from imaginative intelligent content, learner response and creativity benefit from having something to think about, to process, to evaluate - and there are very few correct answers! The ability to think critically about language and text has come to be recognised as an integral part of language education. Critical thinking and its terminology are now applied in many areas - asking the right questions, evaluating issues and formulating responses are part of a great many intellectual and educational disciplines (B ROWNE / K EELEY 2004). The use of representational materials in language teaching is, I would suggest, a practical application of critical thinking methods. Advocates of critical thinking strongly believe that there is an intimate relationship between language, identity, power and intercultural relations. The belief is that language and reality construct each other, that language creates ideas and values and it changes dynamically according to different contexts. Therefore, the analysis of the language of the text and of how meaning is created by words is fundamental to the making of meaning of the text; and similarly vital is the analysis of how texts are read by individuals and groups in their contexts (A ITCHISON 1998, 2002, 2007; A NDREWS 2007; C AMERON 1995; C ARTER [et al.] 1997; F AIRCLOUGH 1995; M ONTGOMERY [et al.] 1992; R EAH 1998; S TOCKWELL 2002). Emotions, and the affective element must obviously be brought to bear on the reading process here (A RNOLD 1999; S TEVICK 1990, 1998). A lot of recent research, culminating in two major books by Ronald C ARTER (2004) and Rob P OPE (2005), has emphasized how creativity has come to be seen as a natural part of language use. This is something that seems to be an inbuilt human capacity, and ties in with the work of popular academics like Steven P INKER (1995, 2007). We will look more deeply into this in the next section. However, in many ways language teaching has been conditioned by how language learning is tested. With the five skills approach there are many more areas which can be evaluated over and above the language or vocabulary acquired. The famous checklist proposed in Literature with a small ‘l’, as long ago as 1991, (M C R AE 1991: 95-96, M C R AE 1996, M C R AE / V ETHAMANI 1999: xii) has now been used by thousands of teachers and learners worldwide and seems to have proved wholly adequate to the task of moving students away from the ‘tip of the iceberg’ preoccupations with vocabulary and syntax and leading them on to areas which allow them to explore the richness of the movement of the text, its cultural and historical influences, its possible effects and its actual impact. The checklist headings (after lexis and syntax), cohesion, phonology, graphology, semantics, dialect or varieties of English(es), register, period and function all come together to give a reading of what constitutes or goes to make up ‘style’ in what has come to be seen by many as a realistic pedagogy of stylistic approaches to reading. The indefinable ‘style’, the Holy Grail of so much study, is encapsulated in these headings, the chimera catchable, albeit within the context of the single piece of text. Some have even gone as far as to call this ‘pedagogic stylistics’, although I find the term rather too heavily jargon for my own taste. The question arises, pace Mick S HORT above, are we ‘doing stylistics’? And the answer has to be, if that is what we want to call it, let’s not fight shy of the word. It seems 72 John McRae 37 (2008) to me that the earliest stages in reader development using the Five Skills approach is the basic grounding in language awareness and text awareness that any reader needs to proceed confidently into the area of stylistic analysis - as with any academic discipline there are many levels at which the subject can be tackled. A great many very good applications of stylistics are entirely appropriate to the context of Five Skills English, and the progress currently being made in cognitive poetics and similar areas of study such as Text World Theory, amply show how the area of ‘creative reading’ is growing (B EX [et al.] 2000; B LACK 2006; C LARK 1996; G AVINS 2007; G AVINS / S TEEN 2003; G OATLY 2000; L AMBROU / S TOCKWELL 2007; S PIRO 2004, 2007; W ATSON / Z YNGIER 2007). It must be encouraged to grow and develop from the bottom up rather than from the top down if it is to be pedagogically useful. We are moving away from a world wherein there is a language called English to be taught in a prescriptive manner. There are (and I would argue there have always been) Englishes, a range and variety of uses of the language, almost as infinite as the range of discourses and typologies available to users of the language in speech and writing (C OOK 1995; C RAWFORD 1992, 1998; G RADDOL 1997, 2006; F OWLER 1975, 1981, 1997; M OORE 1999). Reading in English should not only involve referential, transactional, textbook language - it has to go beyond that purely black and white mode. Language is culture, not just a mechanism for transactional communication (B YRAM / G RUNDY 2002; B YRAM / F LEMING 1998; C ORBETT 2003; G ERBIG / M ÜLLER -W OOD 2006; K RAMSCH 1993, 1998; R EICHL 2006). And culture demands some kind of cross-cultural understanding in today’s world, bridge-building rather than stressing difference. We ignore the thinking skill at our peril. Of course it can be unsettling for learners to be deprived of the security blanket of there being only a right or a wrong answer - but moving beyond that restricted referential level is a vital step forward in progress as a language learner. The analogy is of a driver learning to drive and never moving out of first gear. Until recently the jump from referential language learning to an awareness of representationality in the language teaching context has been left to a late stage in the proceedings, if it has been faced at all. Teachers have to begin the awareness raising process as early as possible in the language learning career of the student: left too late, bridging that gap becomes progressively more difficult. If representational materials are introduced from the very earliest stages of language learning, the learner’s imagination is called into play, there is an awareness that judgment and response are part of language development, and a confidence is built that the learner does have something worth saying, something to bring to the text, some personal contribution to offer, rather than simply being at the mercy of the materials and the teaching of an unknown subject. Visual texts are a vital part of these early stages of reader development, and learners can rapidly move onwards and upwards into the wider range of texts available in the current range of teaching materials (A LBERS 2007; H OLMES / M OULTON 2001; M UTH / K ITALONG 2004; S AYRE 2003; S TYLES / A RZIPE 2002). Around the world now, in the context of language-teaching textbook research and What Is Language and What Is Literature ? Are They the Same Question ? ... 73 37 (2008) writing, several areas have already emerged where process-based representational methodology can be applied. All the genres are now being included in this approach, and it is even usefully applied to the reading of canonical and historically significant texts (A L - MOND 2005; B AMFORD / D AY 2004; C HAMBERS / G REGORY 2006; H OLLIDAY 2005; M AR - TIN 2006; M C R AE / C ARTER 2004; T HORNBURY 1997; T OMLINSON 2008; T YSON 2001; W IDDOWSON 2004). These applications and points to consider might go on to include: - materials selection: where texts come from, when they were written; - are they examples of current English? Spoken or written, or a mix of registers? - are they British, American or another local English? - techniques of reading such as the finding of binaries and opposites; and following through of verb tenses to find the movement of the text, individual cohesive features which create phonic flow, etc.; - if translation is used, how does the text translate into the learner’s own current language, or back from that language into current English? Contrastive language awareness of how both languages work is fundamental to process-based methodology; - continuous variation of question-types is necessary: from lower-order to higher-order questions, and with as much variation in question-types as possible, according to the requirements of the individual text; - formulation of questions for open response rather than pre-determined correct answers; - perceptions of interpretation, ideology and ‘spin’ contained within the text; - implicatures and cultural assumptions; - evaluation of lexical choice, rather than an emphasis on vocabulary acquisition - consideration of how frequently usable a new lexical item might be, for example; - learner awareness of teaching/ learning outcomes; - perception of the text-book as a starting-point rather than an end-point; - the importance of graphology, layout and visual stimuli as part of the process of meaning creation and response; - the question of thoroughness versus flexibility, standardisation versus individuality; - the evaluation of appropriateness of response: best answers rather than a single possible right answer; - the contextualisation of closed and open choices. Clearly all these areas merit considerable reflection and research, and there will be many more which will emerge as work on Five Skills methodology expands. All four currently recognised skills will require separate work on process-based approaches, and a priority will be the testing and evaluation system and the need to overcome and go beyond its rather inflexible approach to presumed ‘correctness’ of response - there is, as we have seen, in the discussion of representational texts hardly ever one ‘correct’ answer. Robert Louis S TEVENSON (1885), as a reflective practitioner, expressed the whole problematic in glowing late-Victorian terms when discussing what might be meant by style and by how a text ‘works’. What he was saying is as true today as it was when he wrote it over a century ago. Only now we have the creative educational tools, the ways and means to do it for ourselves: Conclusion.- We may now briefly enumerate the elements of style. We have, peculiar to the prose writer, the task of keeping his phrases large, rhythmical, and pleasing to the ear, without ever allowing them to fall into the strictly metrical: peculiar to the versifier, the task of combining and contrasting his double, treble, and quadruple pattern, feet and groups, logic and metre - har- 74 John McRae 37 (2008) monious in diversity: common to both, the task of artfully combining the prime elements of language into phrases that shall be musical in the mouth; the task of weaving their argument into a texture of committed phrases and of rounded periods - but this particularly binding in the case of prose: and, again common to both, the task of choosing apt, explicit, and communicative words. We begin to see now what an intricate affair is any perfect passage; how many faculties, whether of taste or pure reason, must be held upon the stretch to make it; and why, when it is made, it should afford us so complete a pleasure. From the arrangement of according letters, which is altogether arabesque and sensual, up to the architecture of the elegant and pregnant sentence, which is a vigorous act of the pure intellect, there is scarce a faculty in man but has been exercised. We need not wonder, then, if perfect sentences are rare, and perfect pages rarer. S TEVENSON (1885: web source) I will end by quoting Clifford G EERTZ : Believing with Max W EBER , that man is an animal suspended in webs of significance he himself has spun, I take culture to be those webs, and the analysis of it to be, therefore, not an experimental science in search of law but an interpretative one in search of meaning. G EERTZ (1977: ? ? ? ) With authorities such as these behind us, and decades of practical teaching work to encourage us, the world of language teaching previewed by Judit Z ERKOWITZ (2007: 157) in the epigraph to this article seems not some distant prospect, but one which can readily be realised and brought to fruition. 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F EBEL / S TRUVE / U ECKMANN (2007: 13). 37 (2008) A DELHEID S CHUMANN * Transkulturalität in der Romanistischen Literaturdidaktik Kulturwissenschaftliche Grundlagen und didaktische Konzepte am Beispiel der littérature beur Abstract. Since the 1990s transcultural literary texts by Maghrebian immigrants (littérature beur) are an integral part of the French language curriculum. They offer insights into the mixed cultures (métissage culturel) of the Maghrebian youth living in the France of today and are therefore usually integrated into cultural study units on migration and Francophone cultures. Intercultural practices in the teaching of literature such as empathic, intertextual, aesthetic-formal and cultural reading are suitable to support the understanding of transcultural texts. 1. Transkulturelle Konzepte in Frankophonen Kulturen 1.1 Die Begriffe des métissage culturel Transkulturelle Konzepte haben in den frankophonen Kulturen eine lange Tradition. Als in den 1930er Jahren schwarzafrikanische Studenten in Paris (Senghor; Césaire; Damas) die Négritude-Bewegung ins Leben riefen, ging es ihnen in erster Linie darum, sich gegen die koloniale kulturelle Vereinnahmung Frankreichs zur Wehr zu setzen, die eigene Geschichte und Kultur wieder zu entdecken und afrikanische Werte und Traditionen ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit zu heben. 1 Diese Rückbesinnung auf die eigene Kultur der Négritude ging jedoch nicht einher mit einer Zurückweisung der Europäischen Einflüsse und der Forderung nach kultureller Reinheit und Wiederherstellung präkolonialer Zustände. Im Gegenteil: Der kulturelle Dialog zwischen Europa und Asien wurde ausdrücklich bejaht, und die kulturelle Mischung bis hin zur Akzeptanz der französischen Sprache als einem privilegierten Medium afrikanischer Kultur begrüßt. Das Konzept der Négritude wurde als ein erster Entwurf afrikanischer Identitätsbestimmung gewertet, als 82 Adelheid Schumann 2 Beur ist ein Begriff des Verlan, eine in der französischen banlieue entstandene Jugendsprache, die mit Silbenverdrehungen arbeitet, und bedeutet Arabe. Zur Geschichte und Literatur des mouvement beur vgl. S CHUMANN (2002a), zu neueren Entwicklungen vgl. S TRUVE (2007). 3 L ÜSEBRINK (1995) spricht von „Identités mosaïques“. 4 Zum Leben zwischen den Kulturen vgl. S CHUMANN (2002a: 134 ff). Die Metapher des Dazwischen in transkulturellen Texten wird in letzter Zeit auch in anderen kultur- und literaturwissenschaftlichen Kontexten verwendet, vgl. E TTE (2005). 37 (2008) prise de parole der Kolonisierten und als ein Versuch, die verloren gegangene Würde wieder herzustellen. Auch die Konzepte der Antillanité (G LISSANT 1981) und der Créolité (C HAMOISEAU / B ERNABÉ / C ONFIANT 1989), die in den 1980er Jahren in der französischen Karibik entstanden (L ÜSEBRINK 1992; F EBEL / S TRUVE / U ECKMANN 2007: 15), bedienten sich der französischen Sprache und integrierten französische Kultur und Lebensweise, gingen dabei jedoch weit über das Dialogkonzept der Négritude hinaus und erklärten die kulturelle Hybritität zur Norm in postkolonialen Kulturen und zur Grundlage ihrer eigenen Identität: „De plus en plus émergera une nouvelle humanité qui aura les caractéristiques de notre humanité créole: toute la complexité de la créolité [...], l’ambiguité torrientielle d’une identité mosaïque“, schreibt C HAMOISEAU in seinem Werk Eloge de la créolité (C HAMOISEAU / B ERNABÉ / C ONFIANT 1989: 53). Im Begriff der identité mosaïque wird die Vorstellung von einer die Biografie und Lebensweise nachhaltig prägenden kulturellen Mischung sichtbar, die transkulturelle Existenzformen als die logische Folge von Kolonialismus und weltweiter Migration begreift. Als jüngste Vertreter eines transkulturellen Lebenskonzeptes sind die Autoren der littérature beur zu nennen. 2 Unter dem Eindruck eines aus der Migration erwachsenen irreversiblen métissage culturel beschreiben diese Nachkommen maghrebinischer Immigranten in Frankreich seit den 1980er Jahren ihre transkulturellen Entwicklungsprozesse und Lebensweisen in autobiographischen Romanen und thematisieren die sozialen Konsequenzen kultureller Hybridität als Kampf um Anerkennung und Gleichstellung. 3 Ihre Werke sind Teil einer politischen und sozialen Aufbruchbewegung, mit der die Jugendlichen insbesondere in den 1980er und 1990er Jahren gegen den alltäglichen Rassismus in Frankreich und für ihre kulturelle Anerkennung kämpften. Egalité et différence, rechtliche und soziale Gleichstellung bei kultureller Differenz, so lauteten die Schlüsselbegriffe ihrer Integrationsforderungen (S CHUMANN 2002: 37). Das Identitätskonzept der beurs ist geprägt von Erfahrungen der Marginalisierung und Ausgrenzung, von einem Leben zwischen den Kulturen. 4 Sie fühlen sich weder der maghrebinischen Kultur der Eltern noch der der französischen Lebenswelt zugehörig und erleben ihre kulturelle Mischung als ein soziales Defizit, das es zu überwinden gilt. In ihren literarischen Werken, die in neuester Zeit auch als écritures transculturelles bezeichnet werden (F EBEL / S TRUVE / U ECKMANN 2007), beschreiben sie ihren langen konfliktreichen Weg von den ewig Ausgegrenzten bis zur Akzeptanz ihres métissage culturel und ihres Lebens auf und zwischen kulturellen Grenzen. Ttranskulturalität in der romanistischen Literaturdidaktik ... 83 5 Die Didaktik des Fremdverstehens wurde im Rahmen des Giessener Graduiertenkolleg „Didaktik des Fremdverstehens“ (1991-2000) entwickelt und von den Professoren und Kollegiaten maßgeblich geprägt. Besonders hervorzuheben sind die Arbeiten von Lothar B REDELLA , Herbert C HRIST und Ansgar N ÜNNING . 37 (2008) 1.2 Die Konzepte von Transkulturalität und Interkulturalität Transkulturalität bezeichnet in den drei genannten Beispielen aus frankophonen Kulturräumen jeweils ein Identitätskonzept, das die koloniale Vergangenheit mit einer multikulturellen Gegenwart zu versöhnen versucht und die kulturelle Mischung nicht nur als eine unwiderrufliche Gegebenheit akzeptiert, sondern als eine Chance für kulturelle Offenheit und kulturellen Wandel begreift. Der Begriff der Transkulturalität, der in der kulturwissenschaftlichen Diskussion neben den der Interkulturalität getreten ist und auf kulturelle Vernetzungsprozesse verweist, die die Grenzen zwischen Eigen- und Fremdkultur aufheben (W ELSCH 1999; K ÜSTER 2003b; W INTERSTEINER 2006; F EBEL / S TRUVE / U ECK - MANN 2007; H ALLET 2007) zielt auf eine prozessorientierte Form der Kulturbetrachtung. Kultur wird als ein im einzelnen Individuum und in der Gesellschaft sich vollziehender Prozess der Verknüpfung verschiedener kultureller Wertvorstellungen verstanden, der sich im Zusammenleben von Menschen aus unterschiedlichen Traditionen entwickelt und neue Wertsetzungen hervorbringt. Transkulturelle Identitäten bilden diejenigen aus, die sich diesem Prozess öffnen und mit ihrer Lebensweise zum métissage culturel, dem Vermischen und Verknüpfen kultureller Normen verschiedener Herkunft, beitragen. Der Begriff der Interkulturalität ist im Gegensatz zu dem der Transkulturalität auf den Verständigungsprozess zwischen differenten Kulturen gerichtet und transportiert die Vorstellung von Grenzüberschreitung durch Kommunikation. Bei Interkulturalität geht es um Verständigung über bestehende Grenzen zwischen Eigen und Fremd hinweg, um Fremdverstehen, wie es im fremdsprachendidaktischen Diskurs heißt 5 , während dem Begriff der Transkulturalität die Vorstellung von einer Verwischung der Grenzen innerhalb der eigenen Identität zu Grunde liegt, sodass Eigen und Fremd als Kategorien aufgehoben werden und das Fremde mit dem Eigenen zu einer neuen Einheit verschmilzt. Bei der Beschäftigung mit transkulturellen Literaturen und Schreibweisen stößt man auf die Beschreibung von Identitätsprozessen und Lebensweisen, die sich nicht eindeutig im Sinne von nationalkulturellen Vorstellungen zuordnen lassen, und man lernt dabei die schmerzhaften Verwerfungen und konfliktreichen Aushandlungsprozesse kennen, die diese Entwicklungen begleiten. Um transkulturelle Lebensformen in ihrer Komplexität verstehen zu können, bedarf es der Entwicklung von Empathie, des Aufbaus eines kulturspezifischen Hintergrundwissens und kulturvergleichender Verfahren des Perspektivenwechsels, Verfahren, die im Allgemeinen als interkulturelles Verstehen bezeichnet werden und den affektiv und kognitiv gesteuerten Kommunikationsprozess zwischen Text und Leser betreffen. Es handelt sich bei den Begriffen Transkulturalität und Interkulturalität also weder um Gegensätze noch um Synonyme, sondern vielmehr um zwei sich komplementierende Vorstellungen. Für den Umgang mit transkulturellen literarischen Schreibweisen braucht man interkulturelle Verstehensweisen, wobei die Transkulturalität den Gegenstand der Erkenntnis und die Interkulturalität das Verfahren der Erkenntnis 84 Adelheid Schumann 37 (2008) darstellt. In diesem Sinne verstehe ich Transkulturalität als eine Lebensweise von Personen mit Migrationshintergrund, aus postkolonialen Kulturen oder anderen multikulturellen Lebensumständen, sowie als Charakteristikum einer diese kulturellen Überschneidungssituationen widerspiegelnden literarischen Schreibweise, während Interkulturalität den Prozess der Auseinandersetzung mit transkulturellen Texten betrifft und die Erfahrungen und Vorstellungen des Lesers in Form seiner Eigenperspektive mit einbezieht. 2. Transkulturalität als Thema des Französischunterrichts 2.1 Der literarische Kanon für den Französischunterricht Von der Literaturdidaktik wurde die auf transkulturellen Lebensweisen basierende frankophone Literatur lange Zeit nicht wahrgenommen, wenn nicht sogar bewusst ignoriert. Im schulischen Französischunterricht wurden, wie eine empirische Studie von Franz Rudolf W ELLER belegt (W ELLER 2000), bis Ende der 1990er Jahre fast ausschließlich Autoren der französischen Klassik (Molière), des Realismus und Naturalismus (Flaubert; Balzac; Zola), des Existentialismus (Camus; Sartre; Anouilh) oder des Absurden Theaters (Ionesco) gelesen, kaum aber zeitgenössische Autoren und schon gar keine Literatur aus frankophonen Ländern oder von maghrebinischen, schwarzafrikanischen oder karibischen Migranten, die in Frankreich leben. Das änderte sich erst, als sich im Zuge der Entwicklung interkultureller Zielvorstellungen und der Ausprägung des Lernziels ‚Interkulturelle Kompetenz‘ als Leitkonzept fremdsprachlichen Lernens die Einsicht in den didaktischen Wert transkultureller Schreibweisen herauskristallisierte und literarische Texte nicht mehr in erster Linie als repräsentative Werke der französischen Nationalkultur ausgewählt wurden, sondern nach Kriterien der Lernerorientierung und Lernermotivation. Dabei rückten die jugendlichen Lerner mit ihren Interessen und Themenschwerpunkten zunehmend in den Mittelpunkt, und es gerieten aktuelle literarische Texte der Migrantenkultur, die Prozesse und Probleme der interkulturellen Verständigung in multikulturellen Gesellschaften thematisieren, insbesondere diejenigen der Jugendkultur in der banlieue, in den Blickpunkt. Die Aufwertung der postkolonialen Literatur und ihre Einbeziehung in fremdsprachendidaktische Kontexte hängt natürlich einerseits mit dem aktuellen, gesellschaftspolitisch motivierten Interesse an transkulturellen Lebensformen zusammen, die im Zuge von weltweiter Migration und Internationalisierung entstanden sind und das Leben in den großen Industrienationen heute maßgeblich prägen. Andererseits hängt die Aufwertung mit einer grundlegenden Neubewertung der Rolle von Literatur im schulischen Fremdsprachenunterricht zusammen und mit der Erkenntnis, dass der Literatur und dabei insbesondere der Literatur von Minderheiten und Randgruppen beim Erwerb von Interkulturellen Kompetenzen eine zentrale Funktion zukommt: C Literatur bietet vielfältige Möglichkeiten zur Begegnung mit dem Fremden. Sie ermöglicht sprachliche und kulturelle Fremdheitserfahrungen und fordert durch die fiktionale Verfremdung der Wirklichkeit zur Auseinandersetzung mit dem Fremden heraus. Ttranskulturalität in der romanistischen Literaturdidaktik ... 85 6 Zu den autobiographischen Romanen der Beur-Autoren liegen eine Reihe von Einzelinterpretationen vor (vgl. S CHUMANN 2002a; S CHUMANN 2002b; S TRUVE 2007). 7 Marie F ÉRAUD : Anne ici-Sélima là-bas; Jean-Paul N OZIÈRE : Maboul à Zéro, Didier V AN C AUWELAERT : Un aller simple, Eric-Emmanuel S CHMITT : Monsieur Ibrahim et les fleurs du Coran, u.a. 37 (2008) C Literatur eröffnet einen affektiven Zugang zur Fremdkultur. Sie verfügt in Gestalt fiktiver Personen über ein hohes Maß an Identifikationspotential und fördert auf diese Weise das Einfühlen in fremde Wahrnehmungs- und Deutungsmuster. C Literatur konfrontiert den Leser mit wechselnden Perspektiven. Sie eröffnet ihm damit Einsichten in die grundsätzliche Perspektivität von Wahrnehmung und fördert die Reflexion über den Konstrukt- und Prozesscharakter von Kultur. Sie trägt auf diese Weise zur Ausbildung einer allgemeinen Kulturbewusstheit bei (S CHUMANN 2007a: 166). Literarische Texte, in denen Prozesse des Fremdverstehens auf der Ebene der fiktiven Figuren thematisiert werden, beispielsweise als Begegnung von Personen aus verschiedenen Kulturen, als interkulturelle Aushandlungsprozesse oder als transkulturelle Identitätskonstruktionen, eignen sich besonders für die Auseinandersetzung mit eigenen Fremdheitserfahrungen (V OLKMANN 2000; N ÜNNING 2001; K ÜSTER 2003a). Der Beitrag von Literatur zum interkulturellen Verstehen im Fremdsprachenunterricht besteht also vor allem darin, dass sie den Lerner mit ungewohnten Wahrnehmungsprozessen konfrontiert und ihn zu einem In-Frage-Stellen und Relativieren eigener Sinngebungsprozesse anleitet, sowie darin, dass sie zur Reflexion über die Multiperspektivität von Wahrnehmung und Wertung anstiftet. 2.2 Die Entdeckung von Migration und Frankophonie als Themen des Französischunterrichts Seit Mitte der 1990er Jahre tauchten in den Lehrwerken für die Oberstufe verstärkt die Themenbereiche Immigration und Frankophonie auf und erschienen in den Lektürereihen für den Französischunterricht zunehmend Werke frankophoner Autoren aus dem Maghreb oder aus Schwarzafrika, wie z.B. Tahar B EN J ELLOUN , Leila S EBBAR oder Autoren aus der Zweiten und Dritten Migrantengeneration in Frankreich wie z.B. Azouz B EGAG , Mehdi C HAREF , Soraya N INI , Paul S MAÏL , D JURA , Nina B OURAOUI etc. 6 Hinzu kamen Jugendbücher von französischen Autoren, die sich mit Migrationsthemen und Prozessen kultureller Mischung beschäftigten und deshalb in den schulischen Lektürekanon aufgenommen wurden. 7 Wenn man sich die Themenschwerpunkte für das Zentralabitur Französisch aus dem Jahre 2007 ansieht, so stellt man fest, dass die französische Migrantenliteratur in Deutschland mittlerweile im Zentrum der schulischen Literaturbetrachtung angekommen ist. In Nordrhein-Westfalen befassen sich zwei von insgesamt fünf der vorgeschlagenen literarischen Texte mit den Identitäts- und Integrationsproblemen jugendlicher beurs (Marie F ÉRAUD : Anne ici- Sélima là-bas und Tahar B EN J ELLOUN : Les Raisins de la galère). Hinzu kommen die landeskundlichen Themen Le port du foulard und Racisme. In Baden- 86 Adelheid Schumann 8 Le Thé au Harem d’Archimède 1985, Hexagone 1994, La Haine 1996, Le Gone du Châaba 1997, Samia 2000, Vivre me tue 2004, L’esquive 2005, Raï 2006. Zu Didaktisierungsvorschlägen für einige der Filme vgl. die Themenhefte Cinéma et littérature beur (8/ 1992), Spielfilme (62/ 2003) und Le cinéma (91/ 2008) der Zeitschrift Der Fremdsprachliche Unterricht Französisch. 37 (2008) Württemberg werden unter dem Titel Au carrefour des cultures vier Migrationsthemen angegeben, darunter ebenfalls Le port du foulard und Racisme, sowie die Identitätsprobleme von jungen Mädchen maghrebinischer Herkunft, die auf der Grundlage literarischer Texte und Filme erarbeitet werden sollen (Marie F ÉRAUD : Anne ici - Sélima là-bas und Soraya N INI : Ils disent que je suis une beurette bzw. Samia als Verfilmung des Romans). Hinzu kommt in Baden-Württemberg als aktuelles Thema Les violences dans les banlieues. Diesen Themenbereich findet man auch an erster Stelle in den Abiturvorschlägen für Brandenburg, wobei der Film La Haine von Matthieu K ASSOVITZ als fiktive Verdichtung der Problematik die Grundlage liefert. In Brandenburg zählen darüber hinaus die frankophonen Länder Afrikas zu den landeskundlichen Themenschwerpunkten. Die Beschäftigung mit Problemen des multikulturellen Zusammenlebens und der Entwicklung transkultureller Lebensformen hat sich, wie man sieht, inzwischen als Thema des Französischunterrichts durchsetzen können, wobei vor allem die in Frankreich lokalisierten kulturellen Überschneidungssituationen und Prozesse kultureller Mischung Beachtung finden. Dabei liegt der Schwerpunkt einerseits auf den sozialen und kulturellen Problemen, die sich aus der Anwesenheit einer stetig wachsenden Migrationsbevölkerung in Frankreich ergeben, und andererseits auf den Identitätsprozessen, die die Jugendlichen maghrebinischer oder schwarzafrikanischer Herkunft bei der Suche nach Eigenständigkeit und Unabhängigkeit durchlaufen und die sie zur Ausbildung transkultureller Lebensformen führen. 2.3 Die Verbindung von Literatur und Landeskunde bei der Bearbeitung transkultureller Themen Im ersten Fall werden die literarischen Texte in der Regel in landeskundliche Themenbereiche eingebunden und mit anderen Textsorten zu einem interkulturellen und intermedialen Geflecht verknüpft, das vor allem der Bearbeitung des soziokulturellen Interessenschwerpunktes dient (vgl. S CHUMANN 2007b). Die littérature beur liefert in diesem Fall authentische Zeugnisse und Deutungsmuster für die sozialen und kulturellen Probleme der Migrantenjugend und bietet im Zusammenspiel der Texte Einblicke in die Innenperspektive der Betroffenen. Die Texte werden als Teil des gesellschaftlichen Diskurses behandelt und ausschließlich im Hinblick auf ihren Beitrag zum thematischen Interessenschwerpunkt ausgewertet. Dabei geht es meist weniger um die interkulturellen Konflikte und transkulturellen Prozesse der Jugendlichen, sondern vielmehr um ihre sozialen Lebensumstände in der banlieue. Neben der littérature beur kommen dabei auch eine Reihe von Filmen über das Leben in der banlieue zum Einsatz. Genannt seien neben den Verfilmungen der Romane von Mehdi C HAREF , Azouz B EGAG , Paul S MAÏL und Soraya N INI 8 , insbesondere die Filme Raï, Héxagone, L’Esquive und La Haine. Ttranskulturalität in der romanistischen Literaturdidaktik ... 87 37 (2008) Der marginalisierte Raum der banlieue, sozialer Brennpunkt und multikultureller Treffpunkt zugleich, rückt aus landeskundlicher Perspektive in den Mittelpunkt der Betrachtung. Er ist der Ort zwischen den Kulturen, an dem die beurs Ausgrenzung und Marginalisierung erfahren, ein kulturelles Niemandsland, das zur Entwicklung neuer und eigenständiger kultureller Ausdrucksformen zwingt. Wenn man die Entstehung der französischen banlieue rund um die großen Städte Paris, Lyon, Marseille in historische und politische Zusammenhänge wie die koloniale Vergangenheit Frankreichs, den Algerienkrieg und die französische Integrationspolitik einordnet, dann wird deutlich, welche Rolle die banlieue für die Herausbildung transkultureller Lebensformen spielt: Sie ist der Ort, wo interkulturelle Gegensätze aufeinander prallen und soziale Konflikte ausgetragen werden, wo Aushandlungsprozesse nicht selten gewaltsam ablaufen und jeder gezwungen ist, sich mit seinen eigenen Wertsetzungen und Überzeugungen auseinander zu setzen, um sich gegenüber anderen Normvorstellungen behaupten zu können und seinen eigenen Weg zu finden. Bei einer landeskundlich orientierten Lektüre der littérature beur wird man die banlieue als einen Ort des Widerstandes und der Entscheidungen, der interkulturellen Konflikte und des individuellen Aufbruchs kennen lernen und dabei indirekt die Identitätsprozesse der Protagonisten nachvollziehen können. 2.4 Die Behandlung transkultureller Themen aus der literarischen Innenperspektive Zum zentralen Thema wird Transkulturalität, wenn die in der littérature beur dargestellten Identitätsprozesse der Jugendlichen maghrebinischer oder schwarzafrikanischer Herkunft direkt in den Blick genommen werden und die Brüche in ihren Biografien sichtbar werden. Die autobiografischen Werke der littérature beur enthalten eine Fülle von Entwürfen für eine identité métisse und beschreiben die Bedingungen, unter denen transkulturelle Lebensweisen entstehen und erfolgreich verlaufen (S CHUMANN 2002a: 228 f), sodass sich die Lektüre dieser Romane zur Auseinandersetzung mit Transkulturalität besonders eignet. Es sind vor allem drei Formen von Identitätskonstruktionen, die häufig thematisiert werden: C die losgelöste Identität: eine Selbstkonstruktion, die sich aus allen Bindungen befreit und sich in einer Zwischenwelt einrichtet, C die gespielte Identität: eine wechselnde Anpassung der Identität an die jeweiligen Gegebenheiten und ein Spiel mit verschiedenen Masken, C die doppelte Identität: eine Mischung der verschiedenen kulturellen Prägungen zu einer neuen transkulturellen Identität. Die losgelöste Identität wird beschrieben als Leben in einer Zwischenwelt, die die beurs sich selbst aufbauen müssen. Mehdi C HAREF sieht seinen Helden in einer solchen Situation: „Il n’est ni arabe, ni français depuis bien longtemps. Il est fils d’immigrés, pommé entre deux cultures, deux histoires, deux langues, deux couleurs de peu, ni blanc, ni noir, à inventer ses propres racines“ (C HAREF 1983: 14). Sich seine Identität selbst konstruieren, „s’inventer ses propres racines“, das erscheint als einziger Ausweg aus dem Konflikt 88 Adelheid Schumann 37 (2008) zwischen den Kulturen, doch führt diese Identitätskonstruktion in allen in den Romanen gestalteten Fällen zum Scheitern, weil es eine Flucht vor der Realität bedeutet. Die gespielte Identität erscheint dagegen als eine Verkörperung der Ambivalenz: Die beurs müssen sich verschiedene Gesichter zulegen und ihre Identität nach Bedarf wechseln können, um in der Situation des Kulturkonfliktes im Elternhaus, in der Schule, bei der Stellensuche bestehen zu können. Paul S MAÏL bekennt sich zu diesem Spiel der wechselnden Identitäten: „Le seul moyen d’exister est de jouer un personnage. On ne te demande pas ta vérité en ce monde, mais de ressembler le mieux possible à l’image toute faite qu’on a de toi“ (S MAÏL 1997: 21), doch es schwingt ein bitterer Unterton mit und Zweifel daran, ob sich dieses Spiel lohnt, da das Fremdbild ohnehin unveränderbar erscheint. Aber die Verlockung, sich als ein anderer auszugeben und die ungeliebte Identität wenigstens für kurze Zeit abzustreifen, ist dennoch groß und spiegelt sich in den Romanen der littérature beur in zahlreichen Spielen mit dem eigenen Namen wieder. Paul S MAÏL z.B. braucht seinen Namen nur ein wenig englisch auszusprechen, um seiner arabischen Identität scheinbar zu entkommen: „D’ordinaire, je triche un peu, je prononce à l’anglaise, avec chic en souriant: Smile. A quoi cela tient! Il me semble alors qu’à l’autre bout du fil l’employeur sollicité sourit aussi“ (S MAÏL 1997: 11). Auch die Protagonistin des Jugendromans Anne ici - Sélima là-bas bedient sich dieses Namenspiels. Sie legt sich für die Schule den Namen Anne zu, um als Französin à part entière akzeptiert zu werden und gebraucht ihren eigentlichen Namen Sélima nur im Kreise der Familie und Verwandtschaft. Die doppelte Identität wird als einzige der Identitätskonstruktionen als gelungen präsentiert, als das Ergebnis eines Prozesses der Durchdringung und Aneignung verschiedener kultureller Einflüsse. Nur wenigen beurs scheint es zu gelingen, zu solch einer positiven Definition ihrer Identität zu kommen und sich weder im Raum zwischen den Kulturen, noch im Spiel mit wechselnden Masken, sondern im realen Raum Frankreich als eine Person mit mehreren Kulturen, als transkulturelle Identität zu konstituieren und sich zu ihrer identité métisse zu bekennen. D JURA , eine erfolgreiche Sängerin gehört z.B. dazu. Sie schreibt in ihrem autobiographischen Roman: „J’étais au carrefour de deux cultures, je pouvais enrichir mes créations de ces deux réalités“ (D JURA 1990: 139). Die beurs und beurettes, die zu einem Frieden mit den verschiedenen Elementen ihrer kulturellen Identität finden und ihre Transkulturalität akzeptieren, verstehen es, einerseits das kulturelle Erbe der Eltern als Quelle der Inspiration und Stärkung der Persönlichkeit zu nutzen und andererseits gleichzeitig die Möglichkeiten, die die französische Kultur ihnen bietet, zu ergreifen, doch die Texte der littérature beur zeigen auch, dass der Weg zu diesem Gleichgewicht in der Identitätskonstruktion lang und schwierig ist und nur wenigen gelingt. In den meisten Werken der littérature beur werden verschiedene Identitätskonstruktionen gestaltet, sodass im Unterricht durch Vergleich herausgearbeitet werden kann, welche Lebensumstände zur Ausbildung von transkulturellen Identitäten führen und welche das verhindern. In dem Roman Les Raisins de la galère von Tahar B EN J ELLOUN , der zu Zeit in Nordrhein-Westfalen zu den empfohlenen literarischen Werken für den Französischunterricht in der Oberstufe gehört (vgl. H ABERKERN 2006), gibt es z.B. drei verschiedene Ttranskulturalität in der romanistischen Literaturdidaktik ... 89 9 H ALLET beschreibt als kulturwissenschaftliche Ansätze bei der Arbeit mit literarischen Texten fünf verschiedene Arten des Lesens und Lernens: Ästhetisches Lesen, Soziales Lernen, Generisches Lernen, Kulturelles Lesen, Kulturelles Lernen (vgl. H ALLET 2007). 37 (2008) Typen von jungen Mädchen algerischer Herkunft, die unterschiedliche Identitäten ausbilden. Allein Nadia, der Protagonistin, gelingt es, ihre gegensätzlichen kulturellen Prägungen miteinander zu vereinen und zu einer transkulturellen Lebensweise zu finden, indem sie sich sozial und politisch engagiert und zu eigenständigem Handeln findet. Ihre Freundin Naïma entspricht dem Typ der losgelösten Identität. Sie bricht mit der Familie und ihrem persönlichen Umfeld und zerstört hinter sich alle Brücken, um in Italien ein alternatives Leben zu beginnen. Die Schwester von Nadia, Zohra, repräsentiert einen anderen Typ, den der maghrebinischen Frau, die sich strikt an die kulturellen Normen ihrer Eltern und ihres Gatten hält und jegliche kulturelle Mischung verweigert. Sie lebt in Frankreich in dem kulturellen Gefängnis einer algerischen Kultur, die sie selbst in der Realität nie kennen gelernt hat. Der Roman, der aus der Innenperspektive der Protagonistin Nadia geschrieben ist, bietet einen guten Einblick in die Konflikte und Niederlagen, die die beurs zu bestehen und zu überwinden haben, um eine eigenständige Persönlichkeit ausbilden zu können. 3. Transkulturelle Schreibweisen als Ausgangspunkt für interkulturelle Lernprozesse 3.1 Interkulturelle Verfahren beim Umgang mit transkulturellen Texten Wie oben bereits beschrieben, dienen interkulturelle Verfahren in der Literaturdidaktik der Herstellung einer erfolgreichen Kommunikation zwischen Leser und Text. Ziel der Beschäftigung mit Texten der littérature beur oder anderen Werken der écriture transculturelle ist es, die literarisch gestalteten Prozesse kultureller Sinngebung aufzudecken und ihre Konstruktionsmechanismen zu durchschauen, um auf diese Weise die Entwicklung transkultureller Lebensformen nachvollziehen zu können. Dabei sind einerseits Verfahren des empathischen Lesens von Nutzen, andererseits Verfahren des intertextuellen Lesens (H ALLET 2002; H ALLET 2007). 9 Verfahren des empathischen Lesens sind unter dem Begriff des Fremdverstehens (B REDELLA 2007; N ÜNNING 2001; V OLKMANN 2000) schon häufig beschrieben worden. Es geht darum, sich durch Perspektivenwechsel in die Probleme und Konflikte der Protagonisten einzufühlen, ihre Handlungen und Entscheidungen aus der Innenperspektive nachzuvollziehen und auf diese Weise die beschriebenen Identitätsprozesse zu verstehen. Anschließend werden die aus der Innenperspektive gewonnenen Erkenntnisse einer kritischen Prüfung unterzogen und den eigenen Positionen und Wertsetzungen gegenübergestellt, d.h. auf den Schritt des Sich-Einlassens auf die Perspektive des Erzählers folgt der Schritt der Distanzierung, Reflexion und Einordnung. Bei der Lektüre transkultureller Texte erlaubt dieses Verfahren ein sehr genaues Nachvollziehen des 90 Adelheid Schumann 37 (2008) Entwicklungsprozesses der Protagonisten und ein Aufspüren der Bedingungen und Lebensumstände, die kulturelle Mischidentitäten hervorbringen. Es ist in der Regel verbunden mit einer Aktivierung des Vorwissens der Lerner und einer Reflexion ihrer eigenen Wahrnehmungsperspektiven. Verfahren des intertextuellen Lesens (H ALLET 2002) stellen den literarischen Text dagegen in einen größeren Kontext und werten ihn als Teil eines gesellschaftlichen Diskurses. Sie konfrontieren ihn mit anderen Perspektiven und differenten Textsorten. Dabei geht es nicht nur darum, ein kulturelles Kontextwissen aufzubauen, wie der oben beschriebene landeskundlich orientierte Zugang zu den Texten der littérature beur es nahe legt, sondern vor allem um das Aufdecken von Bezügen im gesellschaftlichen Diskurs, um das Herausfiltern der kommunikativen und medialen Verflechtungen, die die Entwicklung transkultureller Lebensformen begünstigen. Für die Beschreibung ihrer identité métisse bedienen sich die beurs sowohl der Diskurse ihrer Herkunftskultur als auch derer ihrer französischen Lebensumwelt. Das Verfahren des intertextuellen Lesens ermöglicht es, die Differenzen in den Diskursen aufzudecken und in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Die gesellschaftlichen Diskurse, die für das Verständnis der littérature beur relevant sind, betreffen die Immigrations- und Integrationsdebatten in Frankreich seit den 1980er und 1990er Jahren und die im Front National sich konzentrierende Ausländerfeindlichkeit, die politischen Auseinandersetzungen um die Islamisierung der banlieue, den Umgang mit den Jugendkrawallen in der banlieue und der multikulturellen Vorstadtjugend, der jeunesse black-blanc-beur, sowie die Debatten um den Verlust der republikanischen Werte (S CHUMANN 2002: 259 f). 3.2 Sprachanalytische und kulturanalytische Verfahren zum Aufdecken kultureller Codes In der Sprachwissenschaft ist von code switching die Rede, wenn die sprachliche und kulturelle Mischung jugendlicher Migranten beschrieben wird. Unter Codes werden dabei zunächst einmal die verschiedenen Sprachen verstanden, derer sich die Jugendlichen bedienen und die sie je nach Bedarf mitten im Satz wechseln können. Unter Codes werden in der Kulturwissenschaft darüber hinaus Kulturstandards verstanden, die im Verlauf der Sozialisation in Elternhaus und Schule erworben werden und als fest verankerte anthropologische Vorstellungen die Konstrukte kultureller Identität und das gesellschaftliche Wertesystem nachhaltig prägen. Transkulturelle Persönlichkeiten verfügen über mehrere kulturelle und sprachliche Codes, die sie nicht nur im Alltag miteinander vermischen, sondern die auch in Gestalt eines Spiels mit Mehrsprachigkeit und Plurikulturalität ihre Schreibweise charakterisieren. In den Texten der littérature beur findet man eine Fülle von sprachlichen und kulturellen Mischungen, die auf die identité métisse ihrer Autoren verweisen. Sie in den Texten aufzuspüren bedeutet, die Zeichen für transkulturelle Verflechtungen zu erkennen und interpretieren zu können. Dazu bieten sich die Verfahren des ästhetisch-formalen Lesens und des kulturellen Lesens an. Verfahren des ästhetisch-formalen Lesens gelten dem Aufspüren sprachlicher Mischungen und narrativer Elemente, die den kulturellen métissage der Autoren wider- Ttranskulturalität in der romanistischen Literaturdidaktik ... 91 37 (2008) spiegeln. Es sind vor allem zwei sprachliche Elemente, die die Werke der littérature beur charakterisieren: oralité, d.h. die Verwendung von Umgangssprache und Sprachmischungen des alltäglichen Lebens und ironie, d.h. die Distanzierung vom Sprachgebrauch der Umgebung. Mit der oralité erzeugen die Autoren Nähe. Sie ziehen den Leser hinein in den Alltag der beurs in der banlieue und lassen ihn teilhaben an der sprachlichen Vielfalt dieses Lebens. Mit der ironie hingegen schaffen sie Distanz zu ihren eigenen Lebensgeschichten und enthüllen die kulturelle Ambivalenz ihres Migrantendaseins. In jedem der autobiographischen Werke sind in mehr oder weniger ausgeprägter Weise vier verschiedene Sprachschichten anzutreffen: C die französische Schriftsprache als Grundlage des Erzähltextes, C die verschiedenen diatopischen, diastratischen und diaphasischen Sprachvarietäten der gesprochenen Sprache der banlieue, C die Herkunftssprache der Eltern als Kommunikationsmittel innerhalb der Familien, C die ironische Entstellung und Verdrehung der verschiedenen Sprachvarietäten. Jede Sprachschicht hat ihre spezifische Funktion im Erzählprozess und ist symbolischer Ausdruck der Positionierung der beurs zwischen den Kulturen. Mit der französischen Schriftsprache als Grundlage des Erzähltextes verorten die beurs sich innerhalb der französischen Literatur, mit den verschiedenen lokalen und schichtenspezifischen Sprachelementen geben sie sich als Angehörige eines bestimmten Stadtviertels zu erkennen, mit der Verwendung einzelner Worte und Begriffe aus der Sprache der Eltern verweisen sie auf die kulturelle Herkunft der Familie und mit Hilfe der ironischen Brechungen der sprachlichen Besonderheiten ihres Milieus distanzieren sie sich wieder von ihren kulturellen Grundlagen und stellen sich außerhalb dieser Gemeinschaft. Mit der Verwendung verschiedener Sprachschichten und unterschiedlicher Sprachen, mit dem Spiel zwischen Nähe und Distanz, oralité und ironie, schaffen die beurs sich ihre eigenen, ihrer transkulturellen Lebensform angemessenen Stilmittel, die ihre kulturellen Suchprozesse zwischen französischer und maghrebinischer Kultur abbilden. Das Verfahren des kulturellen Lesens gilt der Suche nach Spuren der kulturellen Verortung in literarischen Texten in Form von Auseinandersetzungen mit den kulturellen Werten der Herkunfts- und der Zielkultur oder einer subjektiven Aneignung bzw. Umdeutung kollektiver Mythen. Von Interesse für eine Analyse sind bei diesen kulturellen Aneignungsprozessen vor allem die Verfahren der Wertung und der Selektion, die von den Autoren im Sinne ihrer transkulturellen Identitätskonstruktion vorgenommen werden. Die Mythen werden beispielsweise so umgedeutet, dass sie in ein neues, aus verschiedenen Kulturen zusammengesetztes Wertekonzept passen. Auch für eine solche Spurensuche bietet die littérature beur eine Fülle von Beispielen, wobei nicht nur die autobiografischen Romane als Grundlage dienen können, sondern auch die Chansons und Raps der beurs. In ihnen werden verschiedene kollektive Mythen Frankreichs, wie z.B. die Vorstellung von der ,Douce France‘ als einem Ort traditionellen französischen Lebens, das Konstrukt des ,Hexagone‘ als gleichmäßig geformtem französischen Territorium oder der republikanische Slogan ,Liberté, Egalité, Fraternité‘, um nur einige Beispiele zu nennen, einer kulturellen Umdeutung unterzogen, die den Prozess des 92 Adelheid Schumann 10 Eine genaue Analyse solcher Umdeutungen von kollektiven Mythen Frankreichs habe ich in folgenden Aufsätzen vorgelegt: „‚Douce France‘: Die Aneignung der mémoire collective Frankreichs durch die Immigranten der zweiten Generation“. In: Frankreich Jahrbuch 2000, Opladen; „Multikulturelle Farbspiele im Französischunterricht: Black-Blanc-Beur gegen Bleu-Blanc-Rouge“. In: Fremdsprachenunterricht: Multi-Culti im Fremdsprachenunterricht, Sonderheft 2003, 62-67; „Allons enfants de la patrie. Die Marseillaise als Ort der Aushandlung von nationaler Identität und Zugehörigkeit zu Frankreich“. In: Französisch heute 3/ 2003, 238-253; „L’Hexagone. Vom Kollektiven Mythos zum Markenzeichnen“. In: T HOMA / R ÖSEBERG (Hrsg.) (2008): Interkulturalität und wissenschaftliche Kanonbildung. Frankreich als Forschungsgegenstand einer interkulturellen Kulturwissenschaft. Halle: Logos, 179-187. 37 (2008) métissage culturel deutlich erkennen lässt. So wird die ,Douce France‘ zur süßen Heimat der beurs erklärt, das ‚Hexagone‘ zum Symbol der Migrantenjugend hochstilisiert und der französische Slogan ‚Liberté, Egalité, Fraternité‘ um den Begriff der ,Diversité‘ erweitert. 10 Aber auch kollektive Mythen der maghrebinischen Kultur der Eltern werden von den beurs einer Re-Lektüre unterzogen und für die eigene Identitätskonstruktion genutzt. Als Beispiele sind der mythe du retour zu nennen, der von den beurs widerlegt wird, oder die Gestalt der algerischen Berberkönigin Kahina, deren Rebellion gegen die traditionelle Rolle der Frau in arabischen Gesellschaften von einer beurette für das eigene Aufbegehren gegen die männliche Dominanz in der Familie genutzt wird (S CHUMANN 2002: 137 und 182). Die Auseinandersetzung mit den kollektiven Mythen führt in jedem Fall dazu, dass die im kulturellen Gedächtnis der Gesellschaft verankerte ursprüngliche Bedeutung aufgehoben wird und die Mythen neu kodiert werden für eine Identität zwischen den Kulturen. Während die interkulturellen Verfahren auf ein perspektivisches und kontextualisierendes Lesen der transkulturellen Texte zielen, geht es bei den sprach- und kulturanalytischen Verfahren um ein selektives Lesen, bei dem die Aufmerksamkeit des Lesers auf sprachliche und kulturelle Zeichen gerichtet ist, die den métissage des Textes belegen. Im Umgang mit transkulturellen literarischen Texten sind verschiedene Zugänge notwendig, um einerseits eine lernerorientierte subjektive Rezeption zu ermöglichen, die es dem Lerner erlaubt, über die Auseinandersetzung mit der Identitätssuche der Protagonisten eigene Identitätsprozesse zu reflektieren, andererseits enthalten die Texte eine Fülle von kulturellen Zeichen, die einen analytisch-kognitiven Zugang erfordern und zu einem Aufspüren kultureller Verflechtungen, Hybridisierungen und Grenzverschiebungen, d.h. zum Verstehen der Transkulturalität des Textes, einladen. Literatur B REDELLA , Lothar (2007): „Grundzüge einer interkulturellen Literaturdidaktik“. In: H ONNEF -B ECKER , Irmgard (Hrsg.): Dialoge zwischen den Kulturen. Interkulturelle Literatur und ihre Didaktik. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 29-46. C HAMOISEAU , Patrick / B ERNABÉ , Jean / C ONFIANT , Raphael (1989): Eloge de la créolité. Paris: Gallimard. E TTE , Ottmar (2005): ZwischenWeltenSchreiben. 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Eine weitere Definition findet sich in der Soziologie bei B ECK - G ERNSHEIM (2007: 151), wobei Transkulturalität hier Phänomene bezeichnet, die verschiedene Kulturen betreffen. Nun ist Transkulturalität auch für W ELSCH ein kulturübergreifendes bzw. globales Phänomen, doch meint B ECK -G ERNSHEIM damit nicht bloß Vermischung, sondern verschiedenste, über Kulturen hinweg geteilte Praktiken. 37 (2008) W ERNER D ELANOY * Transkulturalität und Literatur im Englischunterricht Abstract. This article concerns the concept of transculturality and some of its implications for literature teaching in EFL-contexts. In the first part the focus is on Wolfgang W ELSCH ’s definition of the term. According to W ELSCH , transculturality stands for cultural hybridisation in a globalised world. For him, the concept is a highly productive new paradigm which should help overcome nationalist concepts of culture. Also, he has placed his approach in opposition to interculturality, which he views as an outmoded paradigm still clinging to the notion of cultures as closed and homogeneous entities. However, from an intercultural-learning perspective such assessment is problematic, since interculturality also includes a transcultural dimension. Thus, W ELSCH ’s opposition will be deconstructed to give both approaches due credit for their work on culture formation and to encourage a dialogue between the two. Moreover, attention will be drawn to the limitations of W ELSCH ’s understanding of transculturality to make the concept more inclusive of the diverse and manifold modalities of cultural mixing. As a result, a differentiated concept of transculturality will be introduced. In the second part this concept will be linked to literature and literature teaching. First, the focus is on how literary texts have dealt with issues related to transculturality. Secondly, the concept will be discussed as an invitation to bring English Studies and ELT up-to-date with the global and multilingual dimension of anglophone literatures. Finally, my concept of reader response will be compared to W ELSCH ’s notion of transculturality. As will be shown, the two share important convictions. Moreover, an aesthetic text approach as suggested by reception aesthetics is rich in potential for reflective and insightful cultural mixing. 1. Überlegungen zum Begriff der Transkulturalität Der Begriff der Transkulturalität wird in aktuellen Fachdebatten insbesondere mit Wolfgang W ELSCH s Definition in Verbindung gebracht (W ELSCH 1999). Hierzu sei angemerkt, dass derselbe Begriff in den Kulturwissenschaften auch anders verwendet wurde bzw. wird. 1 Dazu kommt, dass jene Problembereiche, die W ELSCH unter Transkulturalität zusammenfasst, auch mit Hilfe anderer Oberbegriffe diskutiert werden. So sprechen in 96 Werner Delanoy 37 (2008) diesem Zusammenhang etwa H ANNERZ (1996) oder B ECK -G ERNSHEIM (2007) von Transnationalität, während W ERBNER (1997) oder L OOMBA (1998) Hybridität als übergeordneten Begriff bevorzugen. Ferner ist W ELSCH keineswegs der erste, der sich mit solchen Phänomenen in den Kulturwissenschaften befasst hat. W ELSCH s Position knüpft an postkoloniale Positionen und Globalisierungsdebatten an, wobei er - anders als viele seiner Kolleginnen und Kollegen - einen Ansatz vertritt, der den Machtaspekt bzw. eine Globalisierungskritik nur am Rande berücksichtigt. Auch sei darauf verwiesen, dass in der Fachliteratur Transkulturalität bzw. dem Begriff zugeordnete und verwandte Problembereiche sehr unterschiedlich beurteilt werden. Während sie für W ELSCH ein grundsätzlich positives Phänomen darstellen, haben sich andere Arbeiten (z.B.: F RIEDMAN 1999; W ACHINGER 2003) auch mit deren problematischen Aspekten auseinander gesetzt. Schließlich liegen auch zur historischen Verortung von Transkulturalität unterschiedliche Auffassungen vor. Während W ELSCH dieses Phänomen mit der gegenwärtigen Globalisierung von Kulturen in Verbindung bringt, betrachten es andere Forscher (z.B. F RIEDMAN 1997: 80) als eine Dimension kultureller Entwicklung, die postmoderne, moderne und vormoderne Gesellschaften betrifft. 1.1 Wolfgang W ELSCH s Vorstellung von Transkulturalität Für W ELSCH (1999) steht Transkulturalität für Formen kultureller Vermischung und Durchdringung in einer global vernetzten Welt. Er gibt seinem Begriff klare Konturen, indem er ihn in Opposition zu anderen Kulturkonzepten stellt. Zum einen unterscheidet W ELSCH (ibid.: 195) Transkulturalität von Herders Begriff der Nation, der Kulturen als intern einheitliche und nach außen abgegrenzte Größen denkt, wobei hier die Grenzen einer Einheitskultur mit jenen eines Nationalstaates zusammenfallen. Für W ELSCH ist dieser Nationenbegriff ein Kulturkonzept, das sich im 19. und 20. Jahrhundert als dominantes Kulturmodell durchgesetzt hat, das aber in Anbetracht seiner Enge und Gefährlichkeit (z.B.: gewaltsame Eliminierung interner Differenz und Abwehr von Außeneinflüssen), sowie im Lichte veränderter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen durch ein neues Paradigma ersetzt werden muss. Dieses neue Paradigma ist nun jenes der Transkulturalität, das innerkulturelle Vielfalt anerkennt, eine vielfältige Verflechtung nach außen hin hervorhebt und für Vermischung in verschiedenster Hinsicht offen ist. Dabei verweist W ELSCH auf die Bedingungen für Kulturentwicklung in einer globalisierten Welt, die geradezu nach einem solchen Paradigma verlangen. Damit meint W ELSCH den vielfältigen Austausch innerhalb und zwischen Kulturen in Anbetracht von Migration, global vernetzter Kommunikationssysteme sowie transnationaler wirtschaftlicher und politischer Interdependenz. Zum anderen stellt W ELSCH (ibid.: 196) seinen Begriff in Opposition zu den Theorien der Multi- und Interkulturalität. Beiden bescheinigt er ein Bemühen, kulturelle Vielfalt anzuerkennen (Multikulturalität), bzw. ein friedliches Neben- und Miteinander von Kulturen fördern zu wollen (Interkulturalität). Beiden wirft er aber vor, dass sie an der Vorstellung festhalten, Kulturen als abgrenzbare und einheitliche Größen zu denken, weshalb sie ein traditionelles Kulturverständnis nur ungenügend überwinden helfen. Ich Transkulturalität und Literatur im Englischunterricht 97 2 Zu den „many faces of transculturality“, vgl. D ELANOY (2006: 236-239). 37 (2008) habe bereits a.a.O. (vgl. D ELANOY 2006: 239 ff) darauf verwiesen, dass mir diese Abgrenzung aus dem Blickwinkel der Interkulturalitätsdebatte in der Fremdsprachendidaktik als problematisch erscheint, weil dort Vermischung und Veränderung im Lichte des/ der Anderen (vgl. K RAMSCH 1993), veränderte Bedingungen für kulturelle Entwicklung in einer global vernetzten Welt (vgl. V OLKMANN 2000) und kulturelle Binnendifferenzierung (vgl. H U 1999) sehr wohl eine wichtige Rolle spielen. Diese Dimension von Interkulturalität findet in der aktuellen Transkulturalitätsdebatte durchaus Erwähnung, wobei H UGGAN (2006: 57-58) Interkulturalität als „premised on a mutually transforming, usually enriching relationship with the cultural other“ charakterisiert. Damit scheint der bei W ELSCH formulierte Gegensatz überwunden. H UGGAN (ibid.: 58) wirft den Vertreterinnen und Vertretern des interkulturellen Paradigmas in den Folgesätzen aber vor, dass sie nach wie vor an einem essentialistischen Kulturverständnis - er spricht von einem „back-door cultural essentialism“ - festhalten, das kulturelle Grenzen aufrecht erhält, bestehende Machtverhältnisse perpetuiert, Fremdes im Bereich des Exotischen belässt und somit an einer Vermischung und Verflechtung von Kulturen nicht wirklich Interesse zeigt. Laut H UGGAN ist das Bekenntnis zu Vermischung im interkulturellen Diskurs daher nur leere Rhetorik. Es ist hier nicht der Platz, H UGGAN s Aussage im Detail zu begegnen. Es sei aber festgehalten, dass sich in der interkulturellen Fremdsprachendidaktik eine Reihe von Positionen finden, die ein essentialistisches Kulturverstehen entschieden ablehnen und bestehende Machtverhältnisse im Interesse einer gerechteren Gesellschaftsordnung verändern möchten (vgl. D ELANOY 2005; oder K RAMSCH s [1993: Kapitel 8] Vorstellung vom dritten Ort). Problematisch finde ich an den Konzepten von H UGGAN und W ELSCH , dass Interkulturalität als einheitliches Paradigma abqualifiziert wird, um dem eigenen Begriff klare Konturen zu geben. H UGGAN und W ELSCH handeln damit in einer Form, die ihren Grundsätzen von Transkulturalität widerspricht, nach denen kulturelle Vielfalt anerkannt und klar trennende Grenzen vermieden werden sollen. Mit anderen Worten, die Heterogenität von Interkulturalität wird eliminiert, um eine klare Grenze zum anderen Fachdiskurs zu ziehen. Dazu kommt bei W ELSCH auch eine Homogenisierung von Transkulturalität, die bei seinem Ansatz grundsätzlich als positives Phänomen vorgestellt wird, wobei er Hybridisierung mit kulturellem Fortschritt gleichsetzt und Globalisierung als zentralen Motor für Kulturvermischung denkt. W ELSCH s Auffassung von Transkulturalität ist keineswegs unumstritten. So verweist B AUMAN (1998: 67, 75 ff) auf die ungleichen Machtverhältnisse und Freiheitsverluste bei gegenwärtigen Globalisierungspraktiken (vgl. B AUMAN 1998: 67, 75 ff). Ferner wird in der postkolonialen Kulturkritik auf „the diverse modalities of hybridity“ verwiesen, die von den Betroffenen sehr unterschiedlich erfahren (S HOHAT 1993: 110) und per se nicht als „progressive position“ bewertet werden können (vgl. L OOMBA 1998: 183). 2 W A - CHINGER (2003: 149) warnt daher vor einer „celebratory rhetoric“ , die den Blick auf die Vielfältigkeit und Ambivalenz transkultureller Phänomene verstellt. L OOMBA (1998: 181) und W ACHINGER (2003: 143) plädieren deshalb für eine differenzierte und kontextspezi- 98 Werner Delanoy 3 Eine ähnliche Forderung findet sich bei D ELANOY (2006: 241-243), der aus der Position einer interkulturellen Hermeneutik für einen vergleichbaren Dialogbegriff als gemeinsamen Bezugsrahmen argumentiert. 37 (2008) fische Betrachtung transkultureller Phänomene, um genauer verstehen zu können, was sie für wen in welchen Zusammenhängen bedeuten. Will ich W ELSCH s Idealbild von Transkulturalität auch relativieren, so ist es nicht meine Absicht, dessen Relevanz für die Kulturwissenschaften und ihre Didaktik in Abrede zu stellen. Kulturelle Hybridität bzw. eine Verflechtung von Kulturen haben in Anbetracht einer zunehmend globalisierten Welt zweifellos an Bedeutung gewonnen, wobei ich wie A NTOR (2006b: 30) meine, dass ein Bewusstsein für diese Form von Kulturentwicklung noch nicht ausreichend gegeben ist. Auch leistet W ELSCH s Definition einen wichtigen Beitrag, um einen ausschließenden Nationenbegriff überwinden zu helfen und kulturelle Vielfalt sowie damit verbundene Vermischungs- und Entwicklungsmöglichkeiten gebührend anzuerkennen. Schließlich ist W ELSCH zuzustimmen, dass Kulturkonzepte „operativ“ wirken, d.h., dass sie Wirklichkeit in einer bestimmten Hinsicht wahrnehm- und gestaltbar machen (vgl. W ELSCH 1999: 200). So lassen sich mit einem positiven Bild von Transkulturalität Stereotype in Frage stellen und korrigieren, die kultureller Hybridität dort entgegen gebracht werden, wo die Vorstellung einer Leitkultur die Wahrnehmung von Menschen nach wie vor prägt. B ECK -G ERNSHEIM (2007: 88 ff) verweist in diesem Zusammenhang auf die Annahme, dass Hybridität in erster Linie Menschen am Rande einer Gesellschaft betrifft. Dem ist entgegen zu halten, dass kultureller Vermischung schon in Anbetracht einer wachsenden Bevölkerungszahl mit Migrationserfahrung eine zunehmend zentrale gesellschaftliche Bedeutung zukommt. Ferner stellt B ECK -G ERNSHEIM (2007: 98-100) die Vorstellung in Frage, dass Menschen mit Bindestrichidentitäten nirgends zu Hause sind. Sie verweist hier auf Fallstudien, die belegen, dass dies zutreffen kann, dass aber vielen Menschen ein Heimischwerden in mehreren Kulturen und neu geschaffenen hybriden Kulturräumen durchaus gelungen ist. 1.2 Für einen Dialog zwischen Trans- und Interkulturalität Bei W ELSCH markieren Trans- und Interkulturalität noch gegensätzliche Konzepte, die einander ausschließen. In der aktuellen Diskussion finden sich aber Bemühungen, Brücken zwischen den beiden Ansätzen zu bauen. An der Universität Köln etwa wurde ein Zentrum für Inter- und transkulturelle Studien (CITS) eingerichtet, das die Leistungen beider Diskurse anerkennen und miteinander verknüpfen möchte (vgl. A NTOR 2006a: 9 ff). Dabei werden beide Zugänge zu einem Dialogbegriff in Beziehung gesetzt, der ihnen einen bestimmten Referenz- und Zielrahmen vorgibt. Dieser Dialogbegriff ist so konzipiert, dass er absolute Standpunkte ausschließt, „die Menschenwürde und Menschenrechte eines jeden Einzelnen [anerkennt]“ und eine kritisch-reflektierende Auseinandersetzung mit eigenen und anderen Ansichten vorsieht (vgl. A NTOR 2006b: 32, 38). 3 Trans- und Interkulturalität werden dabei an das Entwickeln eines (selbst)kritischen Bewusstseins geknüpft, das ein gutes und gerechtes Leben für möglichst viele Menschen anstrebt. Transkulturalität und Literatur im Englischunterricht 99 37 (2008) Mit A NTOR s Vorschlag wird eine wichtige Grundlage für das Einbeziehen beider Fachdiskurse geschaffen. A NTOR (ibid.: 29) hält aber an einer prinzipiellen Unterscheidung zwischen Inter- und Transkulturalität fest, da für ihn „viele Interkulturalitätsforscher“ noch „von konzeptuelle[n] Grenzen“ zwischen Kulturen ausgehen, während bei Transkulturalität „die Grenzen zwischen Kulturen soweit aufgelöst [sind], dass diese nicht mehr als getrennte Entitäten zu denken sind“. Interkulturalität wird somit vorrangig mit klarer kultureller Abgrenzung in Verbindung gebracht, während Transkulturalität den Blick auf kulturelle Vermischung lenkt, wobei A NTOR s Transkulturalitätsbegriff auf jenem von W ELSCH aufbaut. Dieser Unterscheidung ist zweierlei entgegen zu halten. Zum einen beruft sich die interkulturelle Fremdsprachendidaktik hermeneutischer Prägung auf einen Verstehensbegriff, der ein Auflösen von Grenzen durch Vermischung mit anderen Sichtweisen sehr wohl einschließt. Dieser Verstehensbegriff sieht ein Einlassen auf andere Perspektiven auf der Grundlage einer (selbst)kritischen Prüfung eigener und anderer Sichtweisen vor. Dabei will das Verstehenssubjekt seine Begrenztheiten über die Konfrontation mit anderen Standpunkten erweitern, um sich im Lichte des Gegenübers weiter zu entwickeln. Das ,Inter‘ in Interkulturalität steht daher für einen Zwischenraum, wo verschiedene Elemente einander begegnen und sich vermischen können. Dabei werden in neuen Arbeiten die aufeinander treffenden Standpunkte keineswegs als einheitliche und klar trennbare Entitäten betrachtet. Vielmehr sind sie an die spezifischen Biographien von Verstehenssubjekten gebunden, die von Mehrfachzugehörigkeiten, Brucherfahrungen sowie diversen Vermischungs- und Abgrenzungspraktiken geprägt sind (vgl. dazu: D ELANOY 2007; H U 1999; K ÖGLER 2003). Zum anderen spielen Grenzen und Abgrenzung auch bei W ELSCH eine wichtige Rolle. Für W ELSCH (1999: 66) ist Transkulturalität ein offener und sich fortsetzender Prozess, der immer auf einem Wechselspiel zwischen Grenzüberschreitung durch Vermischung und erneuter Grenzziehung beruht. W ELSCH denkt hierbei an eine Progression, bei der in einer ersten Phase nationale Kulturvorstellungen durch Vermischung überschritten werden. Dabei sind die betroffenen Menschen aber auch darum bemüht, eine eigene Identität zu bewahren bzw. zu entwickeln, die sie von anderen unterscheidet. Ja, W ELSCH sieht in der Abgrenzung ein legitimes Interesse von Menschen, um der Gefahr globaler Uniformität entgegen zu wirken. Für W ELSCH unterscheidet sich diese neue Grenzziehung von den ‚alten‘ Grenzen dadurch, dass nun Vermischung in die neuen Identitäten bereits Eingang gefunden hat. Dieser Prozess setzt sich in der Folge fort und bewirkt eine fortschreitende Hybridisierung von Identität. Diesen Prozess denkt W ELSCH als Zuwachs an kultureller Heterogenität, da die unterschiedlichsten Kombinationen verschiedenste Positionen entstehen lassen. Gleichzeitig sieht er darin eine günstige Entwicklung für mehr Toleranz füreinander, weil trotz Differenz Anteile von vielen Kulturen sich auch in die eigene zunehmend einschreiben. Ich möchte W ELSCH s Vorstellung von Kulturprogression hier nicht kommentieren, sondern nur hervorheben, dass auch bei seinem Transkulturalitätsbegriff Vermischung immer in Verbindung mit Abgrenzung gedacht wird, wobei Grenzziehung dem Entwickeln eigener Standpunkte dient. Hierzu sei angemerkt, dass auch A NTOR (2006b: 34) die 100 Werner Delanoy 37 (2008) Bedeutung einer eigenen Positionalität unterstreicht, die erst das Artikulieren eigener Interessen sowie ein Bewusstwerden von und Nachdenken über Differenzen und Gemeinsamkeiten ermöglicht. Wenn Abgrenzung einen wesentlichen Bestandteil transkultureller Positionen ausmacht und umgekehrt Vermischung für interkulturelle Ansätze eine zentrale Rolle spielt, so macht es wenig Sinn, die beiden Fachdiskurse je einem Pol zuzuordnen. Es ist vielmehr an der Zeit, auch Überschneidungen gebührend anzuerkennen. Ist dies nicht der Fall, so besteht die Gefahr, dass die Gegenüberstellung von Trans- und Interkulturalität als operatives Konzept wirkt und vor allem das Trennende zwischen den beiden in das Blickfeld rückt. Damit wird ein konstruktiver Austausch zwischen den beiden Fachdiskursen behindert und einer Vermischung der beiden Fachdiskurse ein Riegel vorgeschoben, wodurch beiden Möglichkeiten zur Weiterentwicklung im Lichte des Gegenübers genommen werden. Ich möchte daher für einen offenen Dialog zwischen inter- und transkulturellen Debatten im Interesse eines differenzierten Kulturverstehens plädieren, wo beide Fachdiskurse ihre Potentiale zum Verstehen verschiedenster kultureller Vermischungs- und Abgrenzungsphänomene einbringen, kritisch überprüfen und weiterentwickeln können. Eine solche Theoriebasis ist um ein differenziertes Verstehen von Transkulturalität und damit verbundenen Phänomenen bemüht. Eine solche Position erscheint mir auch dem Diskursbereich Literatur gegenüber als notwendig, der aus der Sicht der Kultur- und Literaturwissenschaft Transkulturalität in ihrer Komplexität zur Diskussion gestellt hat. 2. Transkulturalität und Literaturunterricht im Fachbereich Englisch Im Folgenden gilt mein Augenmerk zunächst den Fragen, wie Literatur - allgemein betrachtet - sich mit Transkulturalität befasst hat, und welche Anforderungen sich daraus an den Literaturunterricht ergeben. Ferner wende ich mich den anglophonen Literaturen zu, deren Gegenstandsbereiche sich im Lichte von Transkulturalität beträchtlich erweitern können. Schließlich wird Transkulturalität mit meiner literaturdidaktischen Position verglichen. Dabei handelt es sich um einen rezeptionsästhetischen Ansatz, der das Lesen von Literatur als vom Text gelenktes Schaffen ästhetischer Bedeutungen denkt. Hier wird der Frage nachgegangen, wie sich dieser Ansatz in seinen Grundfesten zu W ELSCH s Vorstellung von Transkulturalität verhält, wobei die beiden Positionen aus meiner Sicht wichtige Grundüberzeugungen teilen. 2.1 Literatur und Transkulturalität In der Fachdebatte fällt auf, dass wiederholt unterschieden wird, wie Literatur und einige Kulturwissenschaftler mit dem Problemkomplex Transkulturalität umgehen. Hierbei wird Hybriditätsbefürwortern vorgeworfen, dass sie ein einseitig positives Verständnis von Transkulturalität über den Verweis auf literarische Texte konstruieren, obwohl sich ein solches Vorgehen anhand von Literatur nicht rechtfertigen lässt. In der Ethnologie spricht Transkulturalität und Literatur im Englischunterricht 101 4 F RIEDMAN (1999: 251) verweist dabei auf seine eigene Feldforschung, die belegt, dass Transkulturalität von vielen Menschen als „field of contradictory forces, of misconstruals, and anxieties“ erfahren wird. 37 (2008) z.B. F RIEDMAN (1999: 247) von „hybrid ideologues“, die sich ‚in die Literatur flüchten‘, um dort Bestätigung für ihre Annahmen zu finden. Seine Kritik gilt aber diesen Denkern und nicht den ins Spiel gebrachten literarischen Texten, die aus seiner Sicht sehr wohl „open to alternative interpretations“ sind (ibid.). 4 In der Argumentation durchaus vergleichbar fällt die Kritik des Literaturwissenschaftlers W ACHINGER (2003: 156) aus. Für ihn sind „multicultural diversity and visions of productive intermingling […] not in the least as favourably represented in fiction [...] as the theoretical debate and some writers’ mediatised statements suggest“, wobei letztere Aussage auf Kommentare von Salman Rushdie bezogen ist, die der Autor in theoretischen Schriften sowie Interviews vorgestellt hat. Schließlich unterstreicht S OMMER (2000: 190) die Komplexität von Literatur bei der Beschäftigung mit Transkulturalität, wobei er auf die sehr unterschiedlichen Erfahrungen damit in der von ihm erforschten Migrationsliteratur verweist. Diesen Aussagen folgend lässt sich Literatur als Diskursbereich denken, der Transkulturalität in ihrer Komplexität und Polyvalenz zur Diskussion stellt. Diese Auffassung überschneidet sich mit einem rezeptionsästhetischen Literaturbegriff, wie er von B REDEL - LA vertreten wird. Für B REDELLA (2002: 56) thematisieren literarische Texte Problembereiche „in ihrer unauflöslichen Gebundenheit an komplexe konkrete Situationen und Erfahrungen“. Konkrete Erfahrungen sind an Menschen gebunden, weshalb Literatur am konkret Menschlichen ansetzt, um sich mit Wirklichkeiten auseinander zu setzen. Dazu kommt, dass Literatur aufgrund ihrer ästhetischen Distanz zu Primärwelten ein relativ sanktionsloses Experimentieren mit Vorstellungen erlaubt. Die Stärken von Literatur liegen somit in einer konkreten Komplexität und im ästhetischen Spiel mit Gedanken, wobei auf den Ästhetikaspekt noch zurückzukommen sein wird. Im Hinblick auf Transkulturalität kann Literatur somit im konkret Menschlichen verortete, komplexe und vom Druck der Primärwelt entlastete Zugänge zu diesem Problembereich eröffnen. Welche Folgen hat ein solches Literaturverständnis für die Beschäftigung mit Transkulturalität im Literaturunterricht? Zum einen setzt es eine bestimmte ästhetische Erfahrungshaltung gegenüber Literatur voraus, auf die ich noch zurückkommen werde. Zum anderen ist bei der Textauswahl darauf zu achten, dass ein komplexer Zugang zu diesem Problembereich möglich wird. Hierbei kann D ECKE -C ORNILL s (1994) Vorstellung vom „didaktischen Text“ als Leitidee dienen, wobei ich ihren Begriff insofern offener verwende, als ich ihn nicht nur auf Textarrangements sondern auch auf Einzeltexte beziehe. So verstanden steht der Begriff für Texte bzw. Textreihen, die für den Unterricht ausgewählt und zusammengestellt werden. Diese Texte bzw. Textreihen zeichnen sich dadurch aus, dass sie kontroverse und komplexe Perspektiven zur Darstellung bringen. Dadurch werden die Lernenden eingeladen, ein differenziertes Verstehen zu entwickeln, das in verschiedene Richtungen denken lässt und für weitere Beschäftigung offen bleibt. Ich möchte dieses Konzept kurz anhand eines Beispiels illustrieren. Dabei handelt es sich um den Film East is East (2000), in dem das Leben einer britisch-pakistanischen Familie in den frühen 1970er Jahren zur Darstellung kommt. Der Film zeigt, wie unter- 102 Werner Delanoy 5 Die Textstelle lautet: „I will never let my daughters marry into this jungli family of half-breeds“, wobei diese Aussage von Mrs. Shah gemacht wird, deren Töchter zwei der Söhne der Familie Khan heiraten sollen. 37 (2008) schiedlich die Eltern und ihre sieben Kinder ihre Identitäten konstruieren und wie ihr Selbstverständnis sich im Lichte bestimmter Themen ändert und von bestimmten Ereignissen beeinflusst wird. Besonderes Augenmerk verdient die Person des Vaters (George Khan), der Pakistan verlassen und in GB eine weiße Britin geheiratet hat. George findet sich in einer prekären Situation, da er sowohl in der englischen Gesellschaft als auch in der pakistanischen Diasporagemeinschaft auf Ablehnung stößt, aber gleichzeitig auch in beiden eine Heimat gefunden hat. Je nach Thema (z.B. Heirat der Kinder; Mann- Frau Beziehung) und Ereignis pendelt George zwischen Positionen, wobei er sich als Despot, besorgter Vater, Patriarch, aber auch als aufgeschlossener Ehepartner präsentiert. Vermischung und Abgrenzung spielen hierbei eine zentrale Rolle, zumal die Familie beständig mit ihrer kulturellen Mehrfachverortung konfrontiert ist. Dazu kommt, dass ihre Umgebung der Bindestrichidentität der Familie nur begrenzt positiv gegenüber steht, wobei die am stärksten formulierte Kritik innerhalb der pakistanischen Diasporagemeinschaft geäußert wird (vgl. K HAN -D IN 1999: 115). 5 Was diesen Film zu einem ‚didaktischen Text‘ macht ist die Vielfalt der gezeigten Standpunkte. Ferner werden die zentralen Charaktere und auch die Kollektive, in denen sie sich bewegen, divers und differenziert gezeichnet. Schließlich bleibt offen, wie sich das Leben der Protagonistinnen und Protagonisten weiter entwickeln wird. Dadurch können kulturelle Hybridität, aber auch Wünsche nach Assimilation sowie ein Beharren auf Tradition in einem konkreten und komplexen Kontext erfahren und zur Diskussion gestellt werden. 2.2 Transkulturalität und anglophone Literaturen Die anglistische Literatur- und Kulturwissenschaft hat in den letzten Jahrzehnten eine beträchtliche Erweiterung ihrer Gegenstandsbereiche erfahren. Neben den etablierten Literaturen Großbritanniens, Irlands und Nordamerikas wurden postkoloniale bzw. ‚neue‘ Literaturen (New Literatures) in die Fachdiskussion einbezogen. Dabei ist ein zunehmendes Berücksichtigen kultureller Hybridisierung zu vermerken, das sowohl die Literaturen in den ‚Kernländern‘ als auch jene in weiter reichenden Kontexten betrifft. So sind über die fictions of migration (S OMMER 2000) Texte in das Zentrum der Diskussion gerückt, die sich häufig mit Diasporaerfahrungen in GB und Nordamerika befassen. Ferner hat sich die Anglistik verstärkt mit Literaturen befasst, in denen kulturelle Hybridität per traditionem eine besondere Rolle gespielt hat. S CHULZE -E NGLER (2002: 75) verweist hier auf die karibische Literatur, die er als „bevorzugte[n] Ort der unterschiedlichsten Kreolisierungen und Synkretismen“ charakterisiert. Ähnlich argumentiert B ASSNETT (1993: 78-79) mit ihren Hinweisen auf die Literaturen der Karibik und der Chicanos. Aus ihrer Sicht teilen Gesellschaften, die in diesen Kulturräumen leben, eine „cultural and racial hybridization“ sowie Bi- und Multilingualität. Letzterer Aspekt impliziert, dass Autorinnen und Autoren in diesen Kulturräumen sich auch mehrerer Sprachen bedienen und Transkulturalität und Literatur im Englischunterricht 103 6 M ATAR (2006: 248) äußert sich in einem Interview dazu wie folgt: „I am aware of an Arab hum in my prose“. 37 (2008) diese zum Teil mischen. Eine Anglistik, die sich im Lichte von Transkulturalität neu bestimmen möchte, ist daher auch aufgefordert, sich mit neuen Varianten des Englischen zu befassen und in Richtung Mehrsprachigkeit zu öffnen. Ein zentrales Charakteristikum von Transkulturalität ist eine De-Territorialisierung von Kultur (vgl. W ERBNER 1997: 8 ff). Damit ist gemeint, dass sich Kulturen immer weniger mit den Grenzen bestimmter Nationen und Regionen decken, sondern sich vielmehr über solche Grenzen hinweg vernetzen und weiter entwickeln. In diesem Sinne lässt sich auch von einer zunehmenden De-Territorialisierung anglophoner Literaturen sprechen. So ist in den letzten Jahren ein Zuwachs an Texten zu beobachten, die auf Englisch geschrieben werden, deren Autorinnen und Autoren sich aber weder mit englischsprachigen Ländern befassen noch englischsprachiger Herkunft sind. Ich denke hier etwa an Khaled H OSSEINI , der sich in A Thousand Splendid Suns (2007) mit sozio-kulturellen Entwicklungen im Afghanistan der letzten 30 Jahre beschäftigt, oder an Hishan M ATAR s In the Country of Men (2006), das in Libyen zur Zeit der Machtübernahme Gaddafis spielt. Beide Autoren sind zunächst in ihren Herkunftsländern aufgewachsen und später in die USA bzw. nach Großbritannien ausgewandert, wo sie heute leben und schreiben. Handelt es sich bei diesen Texten um eine afghanische oder libysche Exilliteratur oder fallen die beiden in den Gegenstandsbereich der anglophonen Literaturen? Die Beschäftigung mit den jeweiligen Herkunftsländern legt eine Zuordnung zur Exilliteratur nahe. Andererseits leben diese Autoren seit Jahrzehnten in englischsprachigen Ländern, weshalb ihr Blick auf ihre Herkunftsländer auch von den Diskursen geprägt ist, die sie in den USA und in Großbritannien kennen gelernt haben. Dazu kommt, dass Englisch zu ihrer ersten Sprache geworden ist, dieses Englisch aber auch eine Qualität der Vermischung auszeichnet. 6 Schließlich sind in Anbetracht der Weltmachtpolitik der USA Länder wie Afghanistan Teil ihrer Einflusssphäre geworden, wobei H OSSEINI s Roman im Unterschied zu medial vermittelten Stereotypen ungleich differenziertere Einblicke in das Leben der Menschen in Afghanistan gewährt. Solche Texte sind daher für die englischsprachige Welt, ja für ein kosmopolitisches Publikum insgesamt von Bedeutung. Geht man von einer global vernetzten Welt aus, so lässt sich argumentieren, dass alle Texte, die auf Englisch bzw. teilweise in dieser Sprache verfasst werden, in den Bereich der Anglistik fallen. Dabei stellt sich die Frage, wie weit der Begriff des Englischen hier gefasst ist, d.h. welche Varianten er einbzw. ausschließt. Wie schon erwähnt, ist Englisch für H OSSEINI oder M ATAR zur Erstsprache geworden, wobei sich beide einer Standardvariante bedienen. Anders verhält sich der Sachverhalt etwa bei der chinesischen bzw. chinesisch-britischen Autorin Xiaolu G UO , die seit 2002 in London lebt und seit kurzem auch auf Englisch schreibt. Im Roman A Concise Chinese-English Dictionary for Lovers (2007) beschreibt sie in einer Lernersprache des Englischen die Erfahrungen einer jungen chinesischen Frau, die ein Jahr in GB bzw. Europa verbringt und dann wieder nach China zurückkehrt. Dabei spielen sowohl kulturelle Hybridisierung als auch eine Abgrenzung von neuen Einflüssen und ehemaligen Überzeugungen eine zentrale Rolle. 104 Werner Delanoy 37 (2008) Dazu kommt eine kunstvoll gestaltete Lernersprache, die sich im Verlauf des Auslandsaufenthaltes der Protagonistin vielfältig entwickelt. Bezieht man Texte wie jene G UO s in die Anglistik ein, so hat dies zur Folge, dass auch jene Varianten und damit verbundenen Lebenswelten in den Gegenstandsbereich der anglophonen Literatur- und Kulturwissenschaften fallen, in denen Englisch als Lingua Franca bzw. Lernersprache verwendet wird. Ich habe bereits zuvor auf mehrsprachige Literaturen verwiesen und sehe sie insofern als transkulturelles Phänomen, als hier die Vorstellung aufgebrochen wird, dass die Grenzen einer Kultur mit den Grenzen einer Sprache zusammenfallen. Ich möchte anhand dreier Filmbeispiele zeigen, dass die Anglistik auch in diesem Kontext unterschiedlich gefordert ist, über bestehende Fachgrenzen hinaus zu gehen. Eine Variante, die noch stark in den ‚Kernländern‘ der Anglistik verortet ist, betrifft mehrsprachige Filme, die sich mit Menschen mit Migrationshintergrund z.B. in Großbritannien oder den USA befassen. In diese Kategorie fällt etwa Gurinder C HADHA s Film Bhaji on the Beach (1993), der in England spielt und produziert wurde, wobei überwiegend auf Englisch kommuniziert wird und in einzelnen Passagen Hindi als Sprache Verwendung findet. Eine größere Distanz zu den ‚Kernländern‘ findet sich in Mira N AIR s Film Monsoon Wedding (2002), der in Indien spielt und die mehrsprachige Lebenswelt der Textcharaktere zur Darstellung bringt. Lässt sich dieser Film in einem bereits anerkannten anglistischen Gegenstandsbereich (d.h. in den postkolonialen Kulturen) ansiedeln, so werden beim folgenden Beispiel bestehende Fachgrenzen stärker in Frage gestellt. Bei Swimming Pool (2002) handelt es sich um eine Produktion des französischen Regisseurs Francois O ZON . Der Film spielt sowohl in Großbritannien als auch in Frankreich, wobei in der Originalversion beide Sprachen Verwendung finden. Dazu kommt, dass der Regisseur im Hinblick auf Großbritannien und Frankreich mit kulturellen Stereotypen arbeitet, die er über die beiden weiblichen Hauptcharaktere, die jeweils beide Sprachen sprechen, miteinander verknüpft. Aufgrund seiner Mehrfachverortung kann dieser Film mehreren Fächern zugeordnet werden. Aufgrund der Verwendung des Englischen und der Bezüge zu Großbritannien ist er für die Anglistik von Relevanz, wobei diese Argumente umgekehrt auch für die Romanistik gelten. Der Text bietet aber auch Möglichkeiten für fächerübergreifende Kooperationen und eine Komparatistik, die sich mit kultureller Mehrfachverortung und damit verbundenen Phänomenen befasst. Die hier skizzierten Entwicklungen eröffnen dem Literaturunterricht im Fach Englisch eine Reihe von Möglichkeiten zur Erweiterung seiner Gegenstandsbereiche. Vor allem gewinnt die globale Dimension englischsprachiger Literaturen an Bedeutung, wodurch eine Reihe neuer Texte in den Englischunterricht Eingang finden und verschiedenste Kulturräume in das Blickfeld des Englischunterrichts rücken. Es ergeben sich daraus aber auch neue Verantwortungen. Englischunterricht übernimmt so verstanden verstärkt die Aufgabe einer globalen Bildung. Das Fach Englisch ist aber mit einer kolonialen Vergangenheit und damit verbunden mit westlichen Hegemonialbestrebungen belastet. Dazu kommen die globalen Macht- und Kulturinteressen der Weltmacht USA (vgl. C HOSSU - DOVSKY 2002). Das Fach Englisch ist daher gefordert, globale Bildungsansprüche mit machtkritischen Positionen zu verknüpfen. Das Fach Englisch verfügt über gute Ressourcen, um sich dieser Aufgabe zu stellen. Über postkoloniale Debatten hat es ein reiches Transkulturalität und Literatur im Englischunterricht 105 7 Ich habe hier eine Rezeptionsästhetik vor Augen, die ihre dialogischen Grundlagen im Lichte der Ideologie- und Machtkritik weiterentwickelt hat (vgl. D ELANOY 2007). 37 (2008) Instrumentarium zur Machtkritik und zum Verstehen transkultureller Phänomene entwickelt. Ferner können Fachwissenschaft und Fachdidaktik auf eine dialogische Tradition zurückgreifen, wobei ich über A NTOR (2006b) bereits auf jenen Dialogbegriff verwiesen habe, den ich als allgemeinen Zielrahmen für dieses Projekt vorschlagen möchte (vgl. D ELANOY 2005/ 2007). Schließlich bieten sich dem Fach Englisch über seine ‚alten‘ und ‚neuen‘ Literaturen vielfältige Möglichkeiten, um ein komplexes Verstehen transkultureller Phänomene in verschiedensten Kulturräumen zu fördern. 2.3 Transkulturalität und die rezeptionsästhetische Literaturdidaktik Als Vertreter einer rezeptionsästhetischen Literaturdidaktik 7 stellt sich mir schließlich die Frage, wie sich dieser Ansatz in seinen Grundstrukturen zum Konzept der Transkulturalität verhält. Dabei gilt mein Augenmerk zwei zentralen Aspekten dieser Rezeptionsästhetik, nämlich (a) ihrem Modell vom Zusammenspiel von literarischem Text und Leser/ in und (b) ihrer Vorstellung von einer ästhetischen Textlektüre. Die hier vertretene Rezeptionsästhetik ist dem interaktiven Paradigma verpflichtet. Diese Position baut auf I SER s (1976), R OSENBLATT s (1994) und B REDELLA s (2002) Vorstellungen vom Leseprozess auf. Das Lesen von Literatur wird hierbei als vom Text gelenktes Schaffen von Bedeutungen betrachtet. Dabei vermischen sich Leserbewusstsein und Textanlage in einem offenen und sich fortsetzenden Leseprozess. Daraus resultieren gemeinsam geschaffene Bedeutungen, die sich weder einseitig dem Text noch dem/ der Leser/ in zuordnen lassen, da der Text stets im Lichte eines bestimmten Leservorverständnisses zum Leben gebracht wird. Trotz Vermischung ist es aber möglich, Text- und Leserbeiträge - wenn auch nur begrenzt - auseinander zu halten, zumal beide auf der Grundlage spezifischer Anlagen miteinander interagieren. Dabei wird Literatur aufgrund ihrer komplexen Beschäftigung mit Wirklichkeit die Kraft zugestanden, den/ die Leser/ in zu neuen Sichtweisen bzw. zum Überschreiten bestehender Verstehensgrenzen anzuregen. Diese Vorstellung überschneidet sich in wesentlichen Belangen mit W ELSCH s und A NTOR s Konzeption von Transkulturalität. Auch dort geht es um Interaktion und Grenzüberschreitung durch Vermischung der ins Spiel gebrachten Positionen. Auch dort werden Grenzen zwischen den beteiligten Partnern so weit aufgelöst, dass neu Entstehendes nicht nur einer Seite zugesprochen werden kann. Schließlich ist das Verstehenssubjekt auch bei W ELSCH und A NTOR aufgefordert, eine eigene Position von anderen weiterhin unterscheiden zu können. Aber auch der Ästhetikbegriff dieser Rezeptionsästhetik schafft günstige Bedingungen für Entwicklung in Richtung Transkulturalität. B REDELLA (2002: 154-163) bekennt sich zu einem Ästhetikkonzept, das auf Mukarovskis Vorstellung von Kunst als ‚dialektischer Negation der praktischen Funktion‘ zurückgeht. Damit ist gemeint, dass Menschen bei ihrer Begegnung mit Kunst bzw. Literatur lebenspraktische Zwänge vorübergehend aufheben und sich in eine fiktionale Welt begeben. Dabei wird die Primärwelt aber nicht 106 Werner Delanoy 37 (2008) verdrängt oder aus dem Denken eliminiert. Vielmehr stellt das Verstehenssubjekt eine Distanz zu ihr her und stellt sich aus dieser Distanz die Frage, was das im Text Gesagte für seine/ ihre Primärwelt insgesamt bedeutet. Mit anderen Worten, es wird ein sehr offener Erfahrungsfokus gewählt, der Texte keinem engen Erkenntnisinteresse unterordnet, sondern vielmehr zum Herstellen verschiedenster, quer über Grenzen hinweg reichender Verknüpfungen zwischen dem literarischen Text und der jeweiligen Primärwelt anregen möchte. Ferner wird mit Gedanken und Gefühlen experimentiert, zumal die Sekundärwelt einen Ort relativer Sicherheit markiert. Ein in dieser Form offen gehaltener Fokus erlaubt mannigfaltige Vermischung und Veränderung im Lichte eines Gegenübers. Dazu kommt, dass die rezeptionsästhetische Literaturdidaktik ästhetische Erfahrung als (selbst)kritischen Akt denkt. Ein ästhetischer Textzugang schließt die Aufforderung zu einer kritischen Prüfung eigener Sichtweisen im Lichte des jeweiligen Textes ein. Er sieht aber auch eine kritische Betrachtung der Textanlage vor, um zu prüfen, ob, wie weit und in welcher Hinsicht ein Text ein kritisches Verstehen behindern kann (vgl. D ELANOY 2002: insb. Kapitel III). Eine solche Position will daher - wie auch A NTOR (2006b: 34) - einen (selbst)kritischen Umgang mit dem Problemfeld Transkulturalität fördern. Die rezeptionsästhetische Literaturdidaktik beschäftigt sich als leserorientierter Ansatz mit der Literaturrezeption realer Lernender als Leser und Leserinnen von Literatur. Auf Transkulturalität bezogen stellt sich hier die Frage, welche Erfahrungen das jeweilige Lernerpublikum mit kultureller Mehrfachverortung und Hybridität bereits gemacht hat und daher in den Lektüreprozess einbringen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass kulturelle Hybridität und Mehrfachverortung den Schulalltag in deutschsprachigen Ländern bereits nachhaltig beeinflussen. Ferner ist zu klären, wie bestehende Lernervorstellungen gegenüber Transkulturalität im Lichte literarischer Texte herausgefordert und weiter entwickelt werden können. Es sind mir keine Arbeiten bekannt, die sich mit diesen Problembereichen im Kontext Englisch- und Literaturunterricht befasst haben. Die Literaturdidaktik für das Fach Englisch ist somit aufgefordert, sich einem Problemfeld verstärkt zuzuwenden, das für die gegenwärtige Kulturentwicklung von zentraler Bedeutung ist. Literatur A NTOR , Heinz (2006a): „Inter- und Transkulturelle Studien in Theorie und Praxis: Eine Einführung“. In: A NTOR , Heinz (Hrsg.): Inter- und Transkulturelle Studien. Theoretische Grundlagen und interdisziplinäre Praxis. Heidelberg: Carl Winter, 9-24. A NTOR , Heinz (2006b): „Multikulturalismus, Interkulturalität und Transkulturalität: Perspektiven für interdisziplinäre Forschung und Lehre“. In: A NTOR , Heinz (Hrsg.): Inter- und Transkulturelle Studien. 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Auf der Suche nach der verlorenen(? ) Literatur „Wo bleibt die Literatur? “, „Verraten Sie mir mal, was Französischunterricht jetzt noch mit Bildung zu tun hat.“, „Jetzt kann ich gar keinen Literaturunterricht mehr machen! “ So oder so ähnlich haben sich viele Lehrerinnen und Lehrer geäußert, als 2005 in Berlin nach 26 Jahren ein neuer, vorläufiger Rahmenlehrplan für die gymnasiale Oberstufe in Kraft trat (S ENATSVERWALTUNG 2005). Sie empfanden den neuen, kompetenzorientierten Rahmenlehrplan als Verarmung, weist er doch für die vier Halbjahre relativ allgemein gehaltene Themen aus (Espaces de vie, Conflit et coopération - marginalisation et intégration, Parcours de vie, L’individu et la société). Zuvor hatten sich die Halbjahre zumeist an literaturwissenschaftlichen Kategorien ausgerichtet (z.B. Poésie et chansons, Le théâtre, Fables, contes et nouvelles, La littérature du XX e siècle). Ganz im Sinne dieses alten Rahmenplans bestand die wichtigste Zielsetzung im Umgang mit literarischen Texten für die Lehrerinnen und Lehrer in der Kenntnis bestimmter literarischer Werke und der Einübung textanalytischer Fertigkeiten, so wie es in der Textaufgabe im Abitur verlangt wurde. Obwohl auch der neue Rahmenplan den Einsatz literarischer Texte ausdrücklich vorsieht (vgl. hierzu auch die Textvorschläge in den Handreichungen des B ERLINER L ANDESINSTITUTES von 2005), erschien vielen Lehrern der Einsatz literarischer Texte in einem themen- und kompetenzorientierten Unterricht als Instrumentalisierung, mit der man ihrem literarischen Eigenwert und dem gymnasialen Bildungsauftrag nicht gerecht werden könne (vgl. C ASPARI / S CHINSCHKE 2007: 88 f). In diesem Beitrag möchte ich der Frage nachgehen, ob diese Haltung durch die fachdidaktische Literatur für den Französischunterricht gestützt wird. Wie hat sich der Diskussionsstand in Bezug auf literarische Texte in den letzten 20 Jahren entwickelt? Welche 110 Daniela Caspari 1 W ELLER kommt aufgrund einer Untersuchung in Nordrhein-Westfalen zu dem Schluss, dass „es in den letzten 30 Jahren bezüglich der am meisten gelesenen Autoren und Werke kaum auffällige Veränderungen gibt, allenfalls Platzwechsel in der Reihenfolge“ (W ELLER 2000: 150). 2 Ich danke Frau Krist vom ifs herzlich für ihre Unterstützung. 3 Zu den Besonderheiten des schulischen Französischunterrichts in Deutschland zählen: Überwiegend 2. 37 (2008) Zielsetzungen und Methoden werden diskutiert? Welche Alternativen zum klassischen textanalytischen Umgang mit Texten werden vorgeschlagen? In Befragungen (z.B. W ELLER 2000) wurde festgestellt, dass Lehrerinnen und Lehrer trotz großer Freiheit bei der Auswahl der Texte immer wieder dieselben, wenigen Texte unterrichteten. 1 Findet sich dieser ‚heimliche Kanon‘ auch in der fachdidaktischen Literatur? Welche Gattungen und welche Texte werden dort für unterrichtliche Zwecke präsentiert? Sind im Laufe der Zeit Veränderungen festzustellen? 1.1 Zum methodischen Vorgehen Unter ‚fachdidaktischer Literatur‘ verstehe ich Publikationen zum Einsatz literarischer Texte im schulischen Französischunterricht, die in Deutschland leicht zugänglich sind. Es handelt sich dabei in erster Linie um Beiträge in Fachzeitschriften, z.B. Die Neueren Sprachen, Französisch heute, Der Fremdsprachliche Unterricht Französisch, Neusprachliche Mitteilungen aus Wissenschaft und Praxis, Praxis Fremdsprachenunterricht usw. inklusive ihrer Vorläufer. Zur fachdidaktischen Literatur zähle ich ebenfalls Monographien, Sammelbände und die Loseblattsammlung Raabits, die sich ganz oder teilweise mit literarischen Texten für bzw. im Französischunterricht beschäftigen. Außerdem beziehe ich die Zeitschrift Le Français dans le monde ein, die sich an Französischlehrende in aller Welt richtet und auch in Deutschland relativ weit verbreitet ist. Zur fachdidaktischen Literatur zähle ich dagegen nicht die in Schulbuchverlagen herausgegebenen mehr oder weniger bearbeiteten Textausgaben literarischer Texte mit Aufgabenapparaten, weil diese sich in erster Linie an Schülerinnen und Schüler richten. Auch die von Landesinstituten herausgegebene ‚graue Literatur‘ beziehe ich nicht mit ein, weil sie regional sehr unterschiedlich verbreitet ist. Grundlage dieser Untersuchung sind 753 Seiten Literaturangaben mit Knapptexten aus der Datenbank des Informationszentrums für Fremdsprachenforschung (ifs) in Marburg vom Februar 2008. 2 Erfasst wurden alle Titel zu ‚Französisch FU‘ und ‚Literaturdidaktik‘, die von 1987 bis 2007 erschienen sind und in diese Datenbank eingegeben wurden. Nicht erfasst sind somit sprachenübergreifende Beiträge, die sich nicht speziell auf den Französischunterricht beziehen. Nicht erfasst sind ebenfalls Beiträge aus der Englisch- und Deutschdidaktik, obwohl beide nach wie vor großen Einfluss auf die Französischdidaktik bzw. auf den Französischunterricht haben. Auch wenn es im deutschsprachigen Raum keine eigenständige französische Literaturdidaktik gibt (s. Abschnitt 3), so dürfte es aufgrund der spezifischen Situation des Französischen als Schulfach doch einige Besonderheiten in der Didaktik und Methodik literarischer Texte für den Französischunterricht geben, die durch eine weiter gefasste Suche nicht hätten erfasst werden können. 3 Literarische Texte im Französischunterricht: Rückblick und Ausblick 111 Fremdsprache mit Beginn in Klasse 7 bzw. neuerdings Klasse 6, Lehrwerk als Leitmedium des Mittelstufenunterrichts, größtes Lernerkontingent am Gymnasium, Lehrkräfte zumeist für das Gymnasium ausgebildet, hohe Abwahlquoten nach Klasse 11, zurückgehende Anzahl an Grund- und Leistungskursen etc. (vgl. C ASPARI 2008). 37 (2008) Für die Analyse habe ich den Datenkorpus weiter eingeschränkt und Lieder/ Chansons sowie Drehbücher und Spielfilme ausgeschlossen, weil beide Gattungen bislang nur sehr selten im Abitur zugelassen waren und in erster Linie Kompetenzen des Hör- und Hör- Seh-Verstehens verlangen. Auch Kinder- und Jugendbücher fehlen in der folgenden Analyse, weil ich zu diesem literarischen Subsystem bereits einen eigenen Forschungsüberblick verfasst habe (C ASPARI 2007). Die vom ifs zugeschickten Titel habe ich in zwölf datengeleitet entwickelte Kategorien eingeteilt und dort nach Erscheinungsdatum sortiert. Für die Analyse habe ich diese zwischen zwei Seiten (didaktische Überlegungen Primarstufe) und sechzig Seiten (Unterrichtsvorschläge Oberstufe) langen Dateien wiederum datengeleitet wesentlich feiner sortiert, die „Unterrichtsvorschläge Oberstufe“ z.B. nach sieben Zielsetzungen, zwölf Gattungen bzw. literarischen Formen und acht Methoden der Textarbeit. Innerhalb jeder dieser Kategorien habe ich die zugeordneten Titel, gegebenenfalls nach weiteren Unterkategorien, gezählt, die Kurzgeschichten/ Novellen z.B. nach Gattungsfragen, Autoren des 19. und 20. Jahrhunderts sowie Subgattungen wie Science-Fiction- und Kriminalnovelle. Zusätzlich habe ich zentrale Ziele und Unterrichtsmethoden der Unterrichtsvorschläge notiert. Jeder Text wurde aufgrund der Schlüsselbegriffe im Titel, der aus dem Abstract erkennbaren Fokussierung des Beitrags und ggf. der vergebenen Schlagwörter einer einzigen Kategorie zugeordnet. Dies hat den Nachteil, dass Texte mit mehreren Fokussierungen (z.B. „frankophone Literatur“ und „landeskundliche Zielsetzung“ und „Textvergleich“ und „kreatives Schreiben“) nur einem Schwerpunkt zugeordnet wurden. Da die Knapptexte aber unterschiedlich lang sind und von vielen verschiedenen Personen verfasst worden sind, gibt es kein einheitliches Vorgehen, das markiert, welche Aspekte im jeweiligen Beitrag wie wichtig sind. Nur durch die Beschränkung auf eine Zuordnung kann daher sichergestellt werden, dass der aus einem knappen Abstract erkennbare eine zentrale Aspekt genauso hoch gewichtet wird wie die in einem langen Abstract zusätzlich aufgeführten, nicht zentralen Aspekte. Ansonsten würde die Gesamtaussage enorm verfälscht. Um das Manko einer möglicherweise falschen Zuordnung auszugleichen, werden, wie oben dargestellt, der zweite und ggf. dritte Schwerpunkt eines Beitrags auf der nachgeordneten Analyseebene erfasst. Das beschriebene Vorgehen deutet die Grenzen der Aussagekraft dieser quantitativen Analyse bereits an. Da mir für die Zuordnung der Beiträge zu den einzelnen Kategorien zumeist nur die Angaben im Titel, die Schlagwörter und der Knapptext zur Verfügung standen, war ich für die Zuordnung von deren Aussagekraft abhängig. Da ich aber auch bei mir bekannten Beiträgen auf der Basis der Angaben des ifs die gleiche Zuordnung vornahm wie aufgrund meiner Textkenntnis, gehe ich davon aus, dass die Quote solcher fehlerhafter Zuordnungen gering ist. Die mehrfache Durchsicht der einzelnen Datensätze für die Grob- und Feinzuordnungen stellt sicher, dass ich alle Angaben mehrfach und detailliert gelesen habe. Eine andere mögliche Einschränkung der Aussagekraft ergibt sich 112 Daniela Caspari 4 Ein konkretes Beispiel: Obwohl die Autoren des zwischen 1992 und 1995 im Cornelsen-Verlag erschienenen Lehrwerks Réalités das „vorwiegend an Sach- und Gebrauchstexten orientierte Repertoire des Sprachunterrichts der ersten Lernjahre erweitern“ wollten (M ARTIN -W ERNER 1994, Lehrerhandbuch zu Band 2: 82) und anspruchsvolle Ziele im Bereich des Leseverstehens und der Sensibilisierung für literarische Texte formulieren, finden sich in den vier Bänden insgesamt ein authentisches Chanson und vier Gedichte. An literarisierenden, für das Lehrwerk verfassten Texten gibt es insgesamt eine modernisierte Fabel, zwei Bandes Dessinées, vier Chansons und ein Jugendgedicht. 37 (2008) dadurch, dass das ifs Monographien und Sammelbände nicht selbst anschafft, sondern von den Verfassern bzw. Herausgebern zugeschickt bekommt, so dass hier Titel fehlen mögen. Ebenfalls problematisch ist die Tatsache, dass in den einzelnen Kategorien oft nur wenige Titel zu finden sind, so dass einzelne besonders aktive Autoren einen Schwerpunkt schaffen, der jedoch nur von ihnen vertreten wird. Auch die Tatsache, dass in Themenheften immer mehrere Beiträge zu einem Aspekt zu finden sind, könnte einen Trend vorgaukeln, der keiner ist. Daher habe ich bei den unterrichtsbezogenen Beiträgen immer besonders aufmerksam darauf geachtet, diese Texte nicht pauschal dem Thema des Heftes zuzuordnen, sondern gezielt nach möglicherweise eigenen zentralen Aspekten zu suchen. Trotz dieser Einschränkungen, zu denen auch die teilweise geringe Trennschärfe zwischen Zielsetzung und Methode gehört („kreatives Schreiben“ z.B. kann gleichzeitig ein Ziel wie ein Unterrichtsverfahren sein), macht diese quantitative Analyse erstmals tendenzielle Schwerpunkte und Entwicklungen innerhalb des großen Gebietes der Didaktik und Methodik literarischer Texte im Französischunterricht sichtbar. 2. Rahmenbedingungen des Französischunterrichts in der Bundesrepublik Deutschland In den 1970er Jahren wurde im Zuge der pragmatisch-kommunikativen Wende die Beschäftigung mit literarischen Texten weitgehend in die gymnasiale Oberstufe verdrängt. Für die Spracherwerbsphase von Klasse 7 bis einschließlich Klasse 10 stellten die Lehrwerke, die so gut wie keine literarischen Texte mehr enthielten, das Leitmedium dar (vgl. im Folgenden C ASPARI 2002). In der Regel beschränkte sich das Angebot auf wenige Lieder, Gedichte und Cartoons im fakultativen Anhang. Erst für die ab Mitte der 1990er Jahre erschienenen Lehrwerke für Französisch wurden zunehmend Lehrwerktexte im Stil literarischer Genres verfasst (insbesondere in Form von Erzählungen, Fabeln, Bandes dessinées oder Jugendgedichten), authentische Texte sind jedoch nach wie vor sehr selten. 4 Als Zusatztexte wurden auf den sprachlichen Stand der Schüler abgestimmte didaktisierte Lektüren oder vereinfachte Fassungen französischer Jugendromane (sog. Easy Readers) empfohlen (z.B. L ÜBKE 1994), was wegen der Stofffülle des Lehrwerks i.d.R. jedoch nur schwer zu realisieren war bzw. ist (vgl. H AAR 2001). In der ‚Übergangsstufe‘ in Klasse 11 sowie in den landeskundlich orientierten Halbjahren in der gymnasialen Oberstufe wurde seit ca. Mitte der 1970er Jahre häufig mit Dossiers gearbeitet. Dies sind Textsammlungen zu einem bestimmten Thema (z.B. Les rapports franco-allemands, Literarische Texte im Französischunterricht: Rückblick und Ausblick 113 5 Zur Definition vgl. C ASPARI (1994: 167). Zu weiteren Einflussfaktoren auf die Herausbildung kreativer Verfahren s. ibid. Kap. 5.3. 37 (2008) La Francophonie, La condition de la femme), die i.d.R. zahlreiche Sachtexte und einzelne literarische Texte, zumeist Chansons, Karikaturen, Bandes Dessinées oder Ausschnitte aus Erzählungen oder Romanen enthalten. Alle Texte sind mit Wortschatzerklärungen und Aufgabenapparaten versehen, dazu gibt es oft Zusammenstellungen von Wortfeldern oder Besprechungs- und Diskussionswortschatz. Besonders viele dieser Sammlungen erschienen Mitte der 1980er Jahre, sie könnten mit der Umstellung auf themenbezogene Oberstufenkurse heutzutage möglicherweise eine Renaissance erleben (vgl. als neueres Beispiel B ECKMANN [et al.] 2002). In Klasse 11 wurde der Übergang von den Lehrwerkstexten auf die ersten authentischen literarischen Texte, i.d.R. Märchen, Fabeln oder Kurzgeschichten, von den Schülerinnen und Schülern häufig als „Literaturschock“ (L EFÈBVRE 1992) erlebt. Zur Abmilderung dieses „Literaturschocks“ sowie aufgrund der Erkenntnisse der Leseforschung und Rezeptionsästhetik erfuhren in den 1990er Jahren in der Fachliteratur Vorschläge und Begründungen für schüler- und prozessorientierte Verfahren im Umgang mit literarischen Texten, sog. kreative Verfahren 5 , einen bis heute anhaltenden Boom (vgl. C ASPARI 2005). Formen der „kreativen Textanalyse“ sind seit den Einheitlichen Prüfungsanforderungen für das Abitur von 2003 als dritter Teil der Abituraufgabe zugelassen. Bis dahin orientierte sich die abiturrelevante Textarbeit ausschließlich am „commentaire dirigé“, der aus den drei Teilen „compréhension“, „analyse“ und „commentaire personnel“ besteht. Auf der anderen Seite wurde seit ca. Mitte der 1990er Jahre zunehmend für den Einsatz authentischer Texte bereits in der Sekundarstufe (Sek.) I plädiert, zumeist in Form von Texten der Kinder- und Jugendliteratur. Beide Tendenzen sind inzwischen in die Rahmenlehrpläne der Sek. I und Sek. II eingegangen. 3. Zur Situation der französischen Literaturdidaktik in Deutschland In Deutschland hat sich keine eigenständige Literaturdidaktik bzw. -methodik für den Französischunterricht herausgebildet. Anders als für das Deutsche (z.B. P AEFGEN 1999) und Englische (z.B. B REDELLA 1976; N ÜNNING / S URKAMP 2006) liegt für das Französische keine deutschsprachige Einführung bzw. kein eigenes Lehrbuch zur französischen Literaturdidaktik bzw. -methodik vor. In Frankreich erschienene Didaktiken (z.B. G OL - DENSTEIN 1990; S EOUD 1997) werden bis auf den engagierten Essai von P ENNAC (1992) nach meiner Beobachtung in Deutschland wenig rezipiert. Die Zahl der Forschungsarbeiten zur französischen Literaturdidaktik ist sehr gering. Im untersuchten Zeitraum seit 1987 sind lediglich neun Studien erschienen, die sich mit literarischen Texten im Kontext des Französischunterrichts beschäftigen (B RÜTTING 1986; C ASPARI 1994; F ÄCKE 2006; K ÜSTER 2003; P ÜTZ 1997; R ATH 1997; S CHINSCHKE 1995; S CHRADER 1996; W ERNSING 1995). Auch außerhalb dieser Qualifikationsarbeiten gibt es nur ganz wenige Monographien und Sammelbände, die schwerpunktmäßig literaturdidak- 114 Daniela Caspari 6 Leider würde die Nennung der entsprechenden Beiträge einschließlich ihrer bibliographischen Angaben den Umfang dieses Beitrags bei weitem sprengen. Im Folgenden kann ich daher nur noch punktuell Belege liefern. Bitte wenden Sie sich an mich, falls Sie die Belege einsehen möchten. 37 (2008) tische Fragen in Bezug auf den Französischunterricht behandeln (F RICKE / G LAAP 1990; M UMMERT 1987; R ATTUNDE 1990; S CHUMANN 2005). Da somit regelmäßige Forschungsüberblicke fehlen, sind Auswahlbibliographien (z.B. P ÜTZ 2000) für interessierte Leser eine große Hilfe. In Bezug auf empirische Untersuchungen sieht es ähnlich aus: Im gesamten Zeitraum erschienen gerade acht Studien (A LBES 1993; C ASPARI 1994; F ÄCKE 2006; K ÄSEBIER 2000; R IEGER 1988; S CHRADER 1996; W ELLER 2000), von denen die neueste der Kinder- und Jugendliteratur gewidmet ist (B OBERG 2007). So konzentriert sich die didaktische und methodische Diskussion im Wesentlichen auf die o.g. Zeitschriften. Da sie sich in erster Linie an Lehrerinnen und Lehrer richten, enthalten sie in der Regel vor allem unterrichtsbezogene Beiträge. Auch eher konzeptionelle Beiträge müssen normalerweise praktische Beispiele enthalten, so dass die Trennung zwischen eher didaktisch und eher unterrichtsmethodisch orientierten Beiträgen problematisch ist. Um literaturdidaktische Schwerpunkte und Tendenzen auszumachen, habe ich trotzdem zwischen den 250 primär unterrichtspraktisch ausgerichteten Beiträgen (allein 175 für die gymnasiale Oberstufe) und den eher literaturdidaktisch ausgerichteten Beiträgen unterschieden. Kriterium für eher literaturdidaktisch ausgerichtete Beiträge ist, dass sie allgemeine, grundsätzliche Betrachtungen zu Literaturdidaktik und zum unterrichtlichen Einsatz von literarischen Texten enthalten bzw. sich ausführlich mit Einzelaspekten der Literaturdidaktik und des Literaturunterrichts beschäftigen (mit oder ohne praktische Beispiele). Dazu zähle ich ebenfalls Beiträge, die an einem konkreten Beispiel allgemeine, weiter reichende Betrachtungen anstellen oder zu Schlussfolgerungen über das konkrete Beispiel hinaus gelangen. Im Datenkorpus des ifs sind insgesamt 209 solcher Beiträge aufgelistet. 101 davon sind allgemein gehalten oder beziehen sich auf mehrere Schulstufen, fünf auf die Primarstufe, 28 auf die Sekundarstufe I und 75 auf die Sekundarstufe II. 3.1 Themen der Beiträge Auffällig ist, dass im ifs-Korpus Grundsatzüberlegungen zu Stellenwert, Rolle und Funktion literarischer Texte speziell für den Französischunterricht fast vollständig fehlen, ich habe dazu lediglich acht Beiträge gefunden. 6 Daher ist es erfreulich, dass in jüngster Zeit zumindest ein programmatischer Beitrag erschien (M ORDELLET -R OGGENBRUCK 2006). Im Bereich der Zielsetzungen im Umgang mit literarischen Texten werden sowohl in den eher literaturdidaktisch wie unterrichtspraktisch ausgerichteten Beiträgen insbesondere folgende Zielsetzungen thematisiert: Die Verbindung von Text- und Spracharbeit, die Fertigkeit bzw. Kompetenz „Leseverstehen“, „Landeskunde, interkulturelles Lernen, Fremdverstehen“, gelegentlich auch erzieherisch-moralische Ziele. Literarische Texte im Französischunterricht: Rückblick und Ausblick 115 37 (2008) 3.1.1 Die Verbindung von Text- und Spracharbeit Die Verbindung von Text- und Spracharbeit wird als zentrales Problem bzw. als zentrale Herausforderung betrachtet. Da der Spracherwerb nach der Lehrwerksphase nicht abgeschlossen ist, die alten Oberstufenlehrpläne jedoch die inhaltlich-thematische Arbeit in den Mittelpunkt rückten, wurde die breite, systematische Förderung der rezeptiven und produktiven Fertigkeiten bzw. Kompetenzen leicht vernachlässigt. W ALTHER (1988) erklärt dies damit, dass die im Abitur dominante Prüfungsform der Textaufgabe dem Lehrer nur wenig Spielraum für sprachpraktische Arbeit lasse. Allerdings konzentrieren sich die meisten Vorschläge zur Spracharbeit nicht auf die Entwicklung von Kompetenzen, sondern auf den Erwerb sprachlicher Mittel, teilweise völlig losgelöst von inhaltlichinterpretatorischer Arbeit (z.B. S AINT -L OUIS 1991). Hier könnte ein weiterer Grund für die untergeordnete Rolle der Spracharbeit liegen, dass nämlich ihre Betonung als ‚Instrumentalisierung‘ der literarischen Texte für Zwecke des Spracherwerbs betrachtet werden könnte. Der mit diesem Argument verbundene Anspruch der ästhetischen und literarischen Bildung könnte auch der Grund dafür sein, dass in der gymnasialen Oberstufe systematische Spracharbeit eher ‚neben‘ dem Umgang mit literarischen Texten stattfindet (z.B. in eigenen Stunden zur Wiederholung von Grammatik oder zur Erweiterung von Wortschatz). Nur ausnahmsweise wird die Spracharbeit so in die Textarbeit integriert, dass die am Text neu erworbenen Sprachmittel als Hilfe für die Interpretationsarbeit genutzt werden können (S CHUMANN 2004). Eng zusammen mit der Frage nach dem Spracherwerb hängt die Diskussion um Textauswahl und Textausgaben (s. Abschnitt 3.2). Auch der oben bereits erwähnte Siegeszug kreativer Verfahren findet einen wesentlichen Motor darin, dass die Produktionsaufgaben viele Sprech- und Schreibanlässe bereitstellen (vgl. C ASPARI 1994: 42). Der in vielen aktuellen Rahmenlehrplänen vorgesehene Einsatz authentischer, auch literarischer Texte bereits in den ersten Jahren des Spracherwerbs müsste in Zukunft eigentlich dazu führen, dass die Frage nach der Integration von Sprach- und Textarbeit mit stärkerem Nachdruck gestellt wird. Bislang konzentriert sich die entsprechende Diskussion im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur vor allem auf den Erwerb von Lese- und Schreibkompetenzen, der Erwerb sprachlicher Mittel wird selten thematisiert (vgl. C ASPARI 2007). Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass der ‚eigentliche‘ Spracherwerb in der Sekundarstufe I weiterhin über das Lehrwerk erfolgt und Texte der Kinder- und Jugendliteratur vor allem zusätzlich gelesen werden. 3.1.2 Die Kompetenz Leseverstehen Der Bereich des Leseverstehens ist ebenfalls als ein Schwerpunkt der Diskussion auszumachen. Die meisten Beiträge beschäftigen sich im Kontext von Überlegungen zur Rezeptionsästhetik und Schülerorientierung mit leserbzw. lernerorientierten Unterrichtsverfahren (z.B. S CHRADER 1996; N IEWELER 1998; W ERNSING 1999). Diese Überlegungen stellen eine Grundlage für die kreativen Verfahren im Umgang mit literarischen Texten dar. 116 Daniela Caspari 37 (2008) In den Publikationen zum Leseverstehen ist ebenfalls zu bemerken, dass die Integration von literarischen Zielsetzungen und Kompetenzentwicklung als besondere Herausforderung betrachtet wird (vgl. G EIGER 2000). Daher erstaunt, dass dem in der Mittelstufe bislang vernachlässigten Aspekt der Ausbildung verschiedener Lesestile praktisch keine Aufmerksamkeit gewidmet wird, lediglich zwei Beiträge rücken die Schulung extensiven bzw. kursorischen Lesens in den Mittelpunkt (B ECKER 1992; M ÜLLER / Z OCH 1991). Dies könnte damit zusammenhängen, dass Aufgaben zur Texterschließung und zur Entwicklung von Lesestrategien häufiger an Sachtexten bzw. an Texten der Kinder- und Jugendliteratur als an Texten der allgemeinen Literatur vorgeschlagen werden (vgl. B LÜMEL - DE V RIES / N IEWELER 2003; W ILD 2005). Es erstaunt ebenfalls, dass (zumindest laut Knapptext des ifs) nur zwei Beiträge das eigenständige, individuelle Lesen eines ganzen Textes thematisieren (B ECKER 1992; M IKLITZ -K RAFT 2004 in Bezug auf Kleingruppen), während diese Methode im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur schon seit längerem erprobt wird. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass das individuelle häusliche Lesen von Kapiteln eines literarischen Werkes eine seit langem übliche Praxis im Fremdsprachenunterricht der Sekundarstufe II darstellt und Voraussetzung für die weiterführende Analyse- und Interpretationstätigkeit ist. Dass verschiedene Texte gelesen werden, scheint dagegen (noch) nicht üblich zu sein, vermutlich weil seit Jahrzehnten die gemeinsame Analyse und Interpretation eines Klassentextes die Norm ist. Die Lektüre unterschiedlicher Texte zu einem Thema würde durch die neuen Rahmenpläne jedoch gestützt. Bislang ist in literaturdidaktisch ausgerichteten Publikationen das Testen des Leseverstehens noch kein Thema (außer V ALDERRANIA 1994). Die heftige Kritik der literarischen Testaufgabe im Rahmen der Bildungsstandards (vgl. B ERGFELDER 2007a) und die angekündigten Bildungsstandards für die Oberstufe dürften jedoch dazu führen, dass diese Thematik in Kürze auch für den schulischen Französischunterricht wichtig wird, zumal die Aufgaben und Erwartungshorizonte der ersten Zentralabiturprüfungen Französisch die Problematik der Überprüfung literarischer Kompetenzen ins Bewusstsein gehoben haben (vgl. auch W ERNSING 2007). 3.1.3 Landeskunde und interkulturelles Lernen Als weitere Zielsetzungen konnte aufgrund der ifs-Angaben der Beitrag des schulischen Umgangs mit literarischen Texten zu erzieherisch-moralischen Zwecken ausgemacht werden (z.B. S CHIFFLER 1991). Diese Zielsetzung wird heutzutage häufig als Teilziel im Bereich des interkulturellen Lernens aufgefasst. Da nach F RICKE (1990) Literatur durch das Leitziel interkulturelles Lernen eine neue Legitimation im Fremdsprachenunterricht erfahren habe und interkulturelles Lernen seit Mitte der 1990er Jahre zum Leitziel der deutschen Schule avancierte, überrascht es sehr, dass sich vergleichsweise wenige Publikationen mit diesem Aspekt beschäftigen. Unter didaktischer Perspektive habe ich lediglich acht Beiträge zählen können, die sich ausführlicher mit dieser Thematik beschäftigen. Dies kann natürlich an den vom ifs vergebenen Schlagwörtern und den von ihnen erstellten Knapptexten liegen. Es könnte auch daran liegen, dass interkulturelles Lernen Literarische Texte im Französischunterricht: Rückblick und Ausblick 117 37 (2008) häufig im Zusammenhang mit Lehrwerken, Chansons und Filmen thematisiert wird. Es könnte jedoch auch darin begründet sein, dass, wie C ASPARI / S CHINSCHKE (2007: 88f.) vermuten, der Begriff bzw. das Konzept interkulturellen Lernens bei Lehrerinnen und Lehrern wenig Beachtung gefunden hat. Für viele scheint die Anforderung interkulturellen Lernens bereits durch die Tatsache erfüllt zu werden, dass eine fremde Sprache und eine fremde Kultur Gegenstand ihres Unterrichts sind. Andere setzen ‚interkulturelles Lernen‘ mit ‚Landeskunde‘ gleich. Dies könnte erklären, dass im Bereich der Unterrichtsvorschläge, die häufig von Lehrerinnen und Lehrern verfasst werden, wesentlich mehr Beiträge auf landeskundliche Zielsetzungen hin orientiert sind als auf „interkulturelles Lernen“ bzw. „interkulturelle Kommunikation“ (so lauten die entsprechenden Schlagwörter des ifs). Ein weiterer Grund für die Vorherrschaft der Landeskunde könnte darin begründet sein, dass erst Mitte der 1990er Jahre eine „Rückbesinnung“ (H UDA 1994) stattfand. Wurden zuvor literarische Texte i.d.R. erst nach entsprechender landeskundlicher Vorbereitung zur ‚Exemplifizierung‘ oder ‚Individualisierung‘ der entsprechenden Problematik eingesetzt (vgl. z.B. die Reihenfolge der Texte in den o.g. Dossiers sowie D UBOIS 1994), so wurde jetzt die Vermittlung von Landeskunde durch literarische Texte (H UDA 1994) bzw. die Integration von literarischen und landeskundlichen Texten (z.B. H AGGE 1992; K RAMER 1992) propagiert. S CHINSCHKE (1995) stellt in ihrer Dissertation am Beispiel frankokanadischer Romane ausführlich dar, wie Literatur und Landeskunde für interkulturelle Lernprozesse verbunden werden können. F ÄCKE propagiert ebenfalls Texte der frankophonen Literatur, insbesondere Texte der littérature beur, um Prozesse des interbzw. transkulturellen Verstehens anzustoßen (z.B. F ÄCKE 2002). In ihrer Habilitationsschrift (F ÄCKE 2006) untersucht sie zudem die unterschiedlichen Rezeptionsprozesse dieser Literatur bei mono- und mehrkulturell aufgewachsenen Schülerinnen und Schülern. 3.2 Gattungen und Texte Anders als in den Befragungen von W ELLER (2000), A LBES (1993) und R IEGER (1988) zu den im Unterricht tatsächlich gelesenen Texten ist sowohl in den eher didaktischen Überlegungen als auch in den Unterrichtsvorschlägen eine große Bandbreite an Gattungen und Texten festzustellen. Neben den Großformen Lyrik, Theater, Roman sowie Novellen/ Erzählungen werden sehr häufig Märchen und Fabeln und Bandes dessinées thematisiert. Als Gattungen haben sich zumindest in der didaktisch-methodischen Literatur ebenfalls Kriminalliteratur sowie frankophone Literatur, insbesondere die littérature beur, etabliert (die ersten Vorschläge stammen jeweils aus den späten 1980er Jahren). Außerdem gibt es Beiträge zur Autobiographie und Science-Fiction, zu Collage und Cartoon sowie zum Sketch und Kurzdrama. Bis auf die Vorschläge zur Behandlung von Lyrik in der Sekundarstufe I, die sich fast vollständig auf Jacques Prévert konzentrieren, ist ebenfalls eine große Bandbreite an Autoren festzustellen. Zwar gibt es nach wie vor Vorschläge zu den Fabeln La Fontaines, den Märchen Perraults und zu Novellen des 19. Jahrhunderts. Es finden sich auch Unterrichtsbeispiele zu den Klassikern der Moderne wie Anouilh und Ionesco. In fast allen Gattungen ist der Anteil an Unterrichtsvorschlägen 118 Daniela Caspari 7 Ich verwende im gesamten Beitrag einen weiten Methoden-Begriff, der verschiedene Komplexitätsgrade umfasst. 37 (2008) zur Gegenwartsliteratur jedoch so hoch, dass F RICKE (1995) das Verschwinden älterer Literatur aus dem Fremdsprachenunterricht beklagt, weil dies zu einer sprachlichen und kulturellen Verarmung führe. Außer in der Oberstufe, für die die meisten Unterrichtsvorschläge zu Romanen vorliegen, ist eine Tendenz zu kurzen Formen festzustellen. Begründet wird dies z.B. von B URGHARDT (1989) am Beispiel der Science-Fiction-Erzählung damit, dass durch eine überschaubare Anzahl von Personen und Orten, durch einen begrenzten Zeitraum und durch geringere sprachliche Probleme die Freude der Schüler am Lesen erhalten bleibe. Im Vergleich zu meinem Einblick in die Unterrichtsrealität überrascht die große Anzahl an didaktischen Überlegungen und methodischen Vorschlägen zu Gedichten. Schon lange beschäftigt die Didaktik die Frage nach den Vor- und Nachteilen didaktisierter, d.h. gekürzter und bearbeiteter Ausgaben von literarischen Texten. Hier ist die Meinung nach wie vor gespalten. C OLLÈS (2002) z.B. kommt nach Abwägung der Vor- und Nachteile für die Mittelstufe zu dem Schluss, dass die Vorteile von didaktisierten Textausgaben für die ersten Lernjahre überwiegen. Dagegen wird für den Einsatz von Kinder- und Jugendliteratur auch für höhere Lernjahre, z.B. für den Prix des lycéens (vgl. B OBERG 2007), damit argumentiert, dass diese Texte in der Originalausgabe gelesen werden könnten. Im Zusammenhang mit der Frage nach ‚Klassikern‘ vertritt T ESCH (1999) die Auffassung, dass man zuerst für Schüler interessante Themen auswählen und erst danach zu diesen Themen passende Ausschnitte aus literarischen Texten suchen solle. Dieser, jetzt auch von den Rahmenplänen geforderte Ansatz wird von den untersuchten Beiträgen bisher allerdings kaum vertreten. Es gibt im Vergleich zu der großen Menge an Vorschlägen zu bestimmten Texten oder Gattungen nur ganz wenige Beiträge, die auf ein bestimmtes, zumeist landeskundliches, Thema ausgerichtet sind. Noch seltener wird, wie von T ESCH (1999) gefordert, ein bestimmtes Thema anhand literarischer Texte bearbeitet. Von den 175 Unterrichtsvorschlägen für die gymnasiale Oberstufe tun dies gerade einmal fünf Beiträge. 3.3 Methoden 7 des Umgangs mit literarischen Texten In den untersuchten Zeitraum fällt die Auseinandersetzung zwischen Anhängern einer traditionellen Textanalyse und Verfechtern eines rezeptionsorientierten Unterrichts. V OLKER sieht schon 1987 die Literaturdidaktik in die Lager „Textanalyse“ und „Rezeptionsgespräch“ gespalten. Dass die Verbreitung rezeptionsorientierter bzw. kreativer Methoden des Textumgangs sehr unterschiedlich schnell verlaufen sein dürfte, darauf weist der 2001 erschienene Beitrag von T HOLEMA hin. Sie wählt den Titel „Textarbeit in der Oberstufe - einmal anders“, um verschiedene kreative Verfahren zu einer Kurzgeschichte vorzustellen. Ein Jahr später erschien ein Beitrag (S CHLINGLOFF 2002), der grundlegende Überlegungen zur Planung einer Unterrichtsreihe anstellt und sich metho- Literarische Texte im Französischunterricht: Rückblick und Ausblick 119 37 (2008) disch auf Verfahren der konventionellen Textanalyse konzentriert. Sowohl in eher didaktischen als auch in schwerpunktmäßig methodischen Beiträgen nimmt jedoch seit Ende der 1980er Jahre der Anteil der Beiträge stark zu, die die verschiedenen Formen kreativen Textumgangs propagieren. Dabei stehen sich die Verfechter der unterschiedlichen Ansätze schon längst nicht mehr unversöhnlich gegenüber, sondern propagieren eine Integration beider Ansätze. Problematisch erscheint mir dabei, dass bei der Kombination kreativer und analytischer Verfahren häufig die während der kreativen Phase gewonnenen, teilweise impliziten Analyse- und Interpretationsansätze nicht weitergeführt werden. Trotz dieses und weiterer Probleme (vgl. C ASPARI 2005) ist der Erfolg der Verbreitung kreativer Verfahren nicht gering zu schätzen. Neben den vielen Vorteilen für den Unterricht (vgl. C ASPARI 1994), zeigt sich in ihnen auch ein neues Didaktik-Verständnis. Anstatt sich weiterhin am Modell eines Literaturwissenschaftlers zu orientieren, rückt die Literaturdidaktik mit den kreativen Verfahren erstmals nicht den Text, sondern den Schüler als Lerner in den Mittelpunkt und sucht nach Möglichkeiten der Vermittlung zwischen beiden Instanzen. Dass dies ebenfalls ein neues Lehrer-Selbstverständnis erfordert, habe ich an anderer Stelle an verschiedenen Fallbeispielen dargestellt (C ASPARI 2002a). Als zweite große methodische Neuerung fallen Verfahren des szenischen Spiels und der Dramenpädagogik auf. Während die Aufführung von, auch fremdsprachlichen, Theaterstücken auf eine lange schulische Tradition zurückblicken kann, fanden diese prozessorientierten Verfahren zum Zweck der interpretativen Aneignung nicht nur theatraler literarischer Texte erst vor gut 15 Jahren Eingang in die Diskussion. Die ersten Beiträge aus dem ifs-Korpus stammen aus den frühen 1990er Jahren (z.B. B ERGFELDER - B OOS / M ELDE 1991). Weitere methodische Neuerungen betreffen den Einsatz von Medien, insbesondere von Filmen, neuerdings auch Hörbüchern, während der Gebrauch von Hypertexten oder Podcasts für die Arbeit mit literarischen Texten im Französischunterricht dagegen erst selten vorgeschlagen wird. 4. Fazit und Ausblick Auch wenn sich die Analyse des ifs-Korpus in diesem Beitrag auf das Nachzeichnen großer Linien beschränken musste, wird deutlich, dass in den letzen 20 Jahren bedeutende Veränderungen in der literaturdidaktischen und -methodischen Diskussion zu verzeichnen sind. Gleichzeitig wird deutlich, dass es teilweise sehr lange dauert, bis sich Veränderungen selbst innerhalb der fachlichen Diskussion weitgehend oder gar endgültig durchsetzen. So ist die zu Beginn des Beitrags geschilderte Reaktion von Berliner Lehrerinnen und Lehrern nicht überraschend - enthielt der neue Rahmenlehrplan im Vergleich zum alten viele und grundlegende Neuerungen. Insbesondere die Auswahl literarischer Texte unter thematischen Gesichtspunkten ist, wie gezeigt wurde, auch innerhalb der fachdidaktischen Diskussion bislang nicht weit verbreitet. Auch in Zukunft werden sich nicht nur die Berliner Lehrerinnen und Lehrer an grundlegende Veränderungen im Bereich der literarischen Texte im Französischunterricht 120 Daniela Caspari 37 (2008) gewöhnen müssen. Die ersten Ansätze zu einem Modell literarischer Kompetenzen (B ERGFELDER 2007; B LUME 2007) machen deutlich, dass die vielen Dimensionen des Kompetenzerwerbs im Umgang mit literarischen Texten erst in Ansätzen analysiert worden sind. Der Entwurf eines umfassenden, im Idealfall empirisch begründeten Kompetenzmodells wie auch neue Ansätze seiner unterrichtlichen Umsetzung benötigen jedoch deutlich mehr konzeptionelle und empirische Forschung als bislang im Bereich der französischen Fachdidaktik geleistet wurde. Literatur A LBES , Wolf-Dietrich (1993): „Der Literaturkanon im Französischunterricht der gymnasialen Oberstufe: Ergebnisse einer Umfrage unter Romanistikstudienanfängern an westdeutschen Hochschulen im Wintersemester 1990/ 1991“. In: Französisch heute 24.3, 251-257. B ECKER , Norbert (1992): „Kursorisches Lesen im Französischunterricht: Vorbereiten und Einüben einer wichtigen Fertigkeit“. 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E-mail: luetge@uni-hildesheim.de Arbeitsbereiche: Film- und Literaturdidaktik, Interkulturelles Lernen, Lehrerbildung. 37 (2008) G ABRIELE B LELL , C HRISTIANE L ÜTGE * Filmbildung im Fremdsprachenunterricht: neue Lernziele, Begründungen und Methoden Abstract. Recent publications on film literacy stress the importance of learner-oriented approaches with a view to emotional, creative and individual aspects focussing on ‚viewer response‘. In this article we outline a model of film education for the EFL classroom that integrates different streams of discussion from media pedagogy, foreign language didactics and Cultural Studies. We argue in favour of an integration of film-analytical and subject-oriented methods that take into account the intercultural potential of films and contribute to the development of an all-encompassing model of film education transcending conventional approaches towards films in the EFL classroom. 1. Film in curricularen Dokumenten zum Englischunterricht Vergleicht man aktuelle Rahmenrichtlinien für den Englischunterricht aus diachroner Sicht, so ist auffällig, dass die Zahl der Bundesländer, die insbesondere im Sekundarbereich II den Einsatz von Filmen thematisieren, sich sukzessive erhöht. Film als freizeitweltorientiertes Medium sowie Filmbildung und die Entwicklung von Sehverstehen werden mittlerweile, wenngleich langsam, als konstitutiv für das Sprachlernen anerkannt (erstmals S CHWERDTFEGER 1989) und in verschiedensten formalen Bildungskontexten gefördert. War die Arbeit mit Filmen 2004 noch vorrangig in der Sekundarstufe II verankert (vgl. B LELL / L ÜTGE 2004), obwohl auch dort in unterschiedlicher Zielpräzisierung, ergab eine 2007 erhobene Analyse aller bundesdeutschen curricularen Vorgaben für den Englischunterricht in der Sekundarstufe I (Bildungsstandards, Rahmenrichtlinien, Kerncurricula, Bildungspläne) auch eine zunehmende Verankerung in diesem Bereich (H EINECKE 2007). H EINECKE verweist jedoch in ihrer Analyse gleichzeitig auf die dabei noch bestehenden sehr großen Unterschiede zwischen den Bundesländern. Die Bandbreite reicht dabei von Ländern, die ‚Film‘ als Textsorte noch nahezu ausblenden (z.B. Saarland, Schleswig-Holstein) bis hin zu Bundesländern, in denen Film zum regelmäßigen Bestandteil des Englischunterrichts (über fünf oder sechs Schuljahre) in der Sekundarstufe I erklärt wird (z.B. Berlin, Bremen, Sachsen-Anhalt) (H EINECKE 2007: 39). Filmbildung im Fremdsprachenunterricht: neue Lernziele, Begründungen und Methoden 125 1 Vgl. B UNDESZENTRALE FÜR POLITISCHE B ILDUNG (2003): Film ist in unserer von Medien dominierten Welt ständig präsent. Gerade für Kinder und Jugendliche ist ein bewusster Umgang mit Film unverzichtbar. Deshalb ist es wichtig, Filmerziehung in deutsche Lehrpläne zu integrieren. Filmkompetenz ist unerlässlich - darüber waren sich die Kongressteilnehmer/ innen einig. Film muss in jedem Unterrichtskontext seinen Platz finden - über den Fach begleitenden bzw. den Unterricht ergänzenden Einsatz hinaus. 37 (2008) Die unterschiedliche Wertschätzung und Ausbildungsintensität in den Dokumenten geht dabei einher mit genauso unterschiedlichen Schwerpunktzielsetzungen. Nur einige seien an dieser Stelle genannt: Film zur Entwicklung kommunikativer Kompetenz (Konsens in nahezu allen Dokumenten) sowie zur Schulung des Hör-/ Sehverstehens (Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Bremen, Niedersachsen, Baden-Württemberg) (vgl. auch T HALER 2007: 13) bzw. des Sehverstehens (Baden-Württemberg); Film zur ästhetischen Bildung (Berlin); Film als authentisches Kulturprodukt und Schulung eines kritischen und selbstbestimmten Umgangs damit (Nordrhein-Westfalen); Filmarbeit lernfeldübergreifend (fächerübergreifend und externe Lernräume einbeziehend wie z.B. Filmstudios) (Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz) sowie produktorientierte Filmarbeit (Sachsen) (vgl. H EINECKE 2007: 25 ff). Die relativ große Variationsbreite bezüglich curricularer Zielsetzungen mag nicht nur eine der Ursachen für eine noch vielerorts zu beobachtende „Unsicherheit der Lehrkräfte“ bei der methodisch-didaktischen Arbeit mit Filmen sein (H EINECKE 2007: 35), sondern weist genauso dringlich auf die Notwendigkeit wissenschaftlicher Ausdifferenzierung aus verschiedenen Perspektiven hin. Damit fordert das Ergebnis die Entwicklung einer ‚Filmdidaktik‘ ein, die sowohl Lehrenden als auch Bildungsplanern notwendige Orientierungen und Sicherheit bieten kann, eine systematische Entwicklung von Filmbildung voranzutreiben. 2. Aktuelle und zukünftige Lernziele der Filmbildung aus theoretischer Sicht In der theoretischen Diskussion scheint man sich derzeit hingegen aus verschiedenen - politischen, medienpädagogischen, filmwissenschaftlichen und -pädagogischen sowie medienbzw. fremdsprachendidaktischen Positionen - kritisch anzunähern und die Debatte im Sinne eines zu erfüllenden Bildungsauftrags für die Schule kritisch-produktiv voranzutreiben. 2.1 Allgemeine Ziele In der „Filmkompetenzerklärung“ des Berliner Kongresses „Kino macht Schule“ von 2003 1 wird die Schulung filmisch gebildeter, autonomer und kritischer Seher klar als primäres Ziel der gesamten schulischen Filmbildung formuliert. „Bildungsziel ist es, zu lehren und zu lernen, die Codes bewegter Bilder zu dechiffrieren - und das quer durch die Disziplinen und Fächer“ (W ALBERG 2007: 32). 126 Gabriele Blell, Christiane Lütge 2 D ECKE -C ORNILL / L UCA (2007b: 14 ff) geben einen umfassenden Überblick über die bestehenden analytischen Ansätze: medienkritisch, filmästhetisch und rezeptionsästhetisch, die jedoch dem Rezipienten unterschiedliche Rollen zuweisen. 3 Mittlerweile gibt es jedoch verstärkte Anstrengungen, auch affektive und attitudionale Komponenten in einem (literarischen) Lesekompetenzmodell zu verankern (z.B. B URWITZ -M ELZER 2006; B LUME 2007; die Sektion „Literaturunterricht, Kompetenzen und Bildung“ auf dem 22. DGFF-Kongress in Gießen.) 37 (2008) Besonderes Gewicht wird gelegt auf die zielgerichtete kenntnis- und kompetenzorientierte Schulung eines analytisch-semiotischen Handwerkszeugs im Umgang mit Filmen, um ein kritisches Filmverstehen zu ermöglichen, auch andere filmische Randerscheinungen (z.B. Merchandisestrategien, Filmgeschichte) eingeschlossen (W ILLIG 2006: 132). W ALBERG weist jedoch mit Recht darauf hin, dass eine ausschließliche „Konzentration auf Analyse und Verstehen [...] Bildungsprozesse verhindern“ kann (W ALBERG 2007: 34). Um vorschnelle, ausschließlich analytisch-objektivierend hergeleitete „Verstehens- Kurzschlüsse“ zu verhindern 2 , die im ungünstigsten Fall schon ‚zementierte‘ (auch visuelle) Selbst- und Weltbilder stabilisieren helfen, ist eher ein pädagogisch-didaktisches Herangehen angebracht, das ganz bewusst Differenzen, Irritationen und Reibungen zwischen Rezipient und Film, aber auch zwischen Rezipient und Rezipient offen hält. P AULEIT fordert in diesem Zusammenhang einen „mehrstimmigen Unterricht“ (P AULEIT 2004: 18). Diese Mehrstimmigkeit sollte jedoch das „subjektive Filmerleben“ der Kinder und Jugendlichen (B ARG / N IESYTO / S CHMOLLING 2006: 7, auch M AURER 2006), ihre durch die „suggestive Kraft des Filmes“ (D ECKE -C ORNILL / L UCA 2007b: 19) ausgelösten Emotionen und Faszinationen genauso ernst nehmen und sie in aktive Medienarbeit (Szenen- und Textgestaltung) ‚umwandeln‘ wie eine nur zweckrational-objektorientierte Vorgehensweise bei der Filmbearbeitung. D ECKE -C ORNILL / L UCA ist an dieser Stelle uneingeschränkt zuzustimmen, die Filmbildung als eine „Filmpädagogik“ verstehen, „die es sich zum Anliegen macht, zwischen Personen und Sache, zwischen Objekt und Subjekt zu vermitteln“ (D ECKE -C ORNILL / L UCA 2007b: 27). Nur mit einem pädagogischen Ansatz, der dem Lerner eine permanente, aktiv-erlebende und erkennende Auseinandersetzung mit medialer und realer Welt ermöglicht, kann der theoretisch immer wieder bediente ‚Dualismus von Filmobjekt und Zuschauersubjekt‘ überwunden werden. 2.2 Filmbildung im Fremdsprachenunterricht Basierend auf diesen Überlegungen erachten wir es als angebracht, in pädagogischdidaktischen Kontexten eher von ‚Filmbildung‘ als von ‚Filmkompetenz‘ zu sprechen. Der von Humboldt wesentlich geprägte Bildungsgedanke, von K ÜSTER als „diskursive [auch sprachliche - Anm. d. Verf.] Herstellung eines reflexiven Verhältnisses zum Selbst und der Welt“ präzisiert (K ÜSTER 2004: 159), scheint weitaus besser geeignet, um gegenüber kompetenzorientierten, vorrangig kognitiven ‚Machbarkeitsvorstellungen‘ eine gesunde Skepsis wach zu halten (vgl. auch H ELLWIG 2008). Obwohl der Kompetenzbegriff sowohl (kognitive) Kenntnisals auch Könnensdispositionen umfasst, werden mit ihm affektive Leistungsdispositionen nicht unmittelbar erfasst (K LIEME 2004: 11). 3 Aber auch Gefühle sind, in Anlehnung an Erkenntnisse der Gestalttherapie, „Mittel des Erken- Filmbildung im Fremdsprachenunterricht: neue Lernziele, Begründungen und Methoden 127 37 (2008) nens“ (B ÜRMANN 1998: 322) und binden uns nicht unwesentlich an kulturell-reale und medialisierte Welten (auch S EIDL 2007: 5). Ähnlich verhält es sich mit dem Literacy- Begriff, der einerseits den Literalitäts-, andererseits auch den Kompetenzbegriff berührt. In seiner diskursiven Ausrichtung ist er jedoch auch soziokulturell dimensioniert und trägt damit stärker erlebensorientierte und affektive Dispositionen, wie z.B. „ways of behaving, interacting, valuing, thinking, believing ... by specific groups of people“ (G EE 1996: viii). Becoming literate is [...] a matter of engaging in the ever-developing process of using reading and writing [z.B. einen Film ‚lesen‘ oder Sequenzen produzieren - Anm. d. Verf.] as tools for thinking and learning, in order to expand one’s understanding of oneself and the world. (K ERN 2000: 39 f) Wir halten jedoch an dieser Stelle den Begriff der Filmbildung für noch umfassender und vielschichtiger, um den vielfältigen, insbesondere auch aus den Cultural Studies kommenden, kulturellen und medialen ‚Sinnstiftungsprozessen‘ gebührend Rechnung zu tragen, die häufig eher zum kritischen Neu- und ‚Querdenken‘ provozieren, denn (vor-)schnell Verstehen herbeizwingen. In Fortführung der skizzierten Argumentation sowie in Anlehnung an unseren Beitrag von 2004 und ähnlich ausgerichtete Überlegungen zu Zielsetzungen im Umgang mit Filmen im Fremdsprachenunterricht (S URKAMP 2004a/ b; B ARG / N IESYTO / S CHMOLLING 2006; T HALER 2007; S EIDL 2007; Z ERWECK 2007; W ALBERG 2007) plädieren wir somit für einen multifunktionalen, handlungs- und prozessorientierten Filmbildungsansatz, der im Wesentlichen durch fünf Teilbildungsziele getragen wird, die jedoch in der unterrichtspraktischen Realisierung nur in gegenseitiger Wechselwirkung und -ergänzung zum Tragen kommen können. Die von Z ERWECK (2007: 361) beschriebenen Dimensionen von TV literacy: produktionsorientierte, semiotische, kulturdidaktische und sprachdidaktische Aspekte (Z ERWECK 2007: 361) werden dabei immanent in diesem Modell gespiegelt und um erlebnisorientierte Aspekte erweitert, wie sie D ECKE -C ORNILL / L UCA sowie M AURER fordern (D ECKE -C ORNILL / L UCA 2007b: 21; M AURER 2006). Darüber hinaus scheint es uns wichtig, Sehverstehens- (S CHWERDTFEGER 1989/ 2003; B LELL / L ÜTGE 2004; S UR - KAMP 2004a; S EIDL 2004 - Visual literacy) und Hör-Sehverstehens-Aspekte (T HALER 2007) getrennt zu benennen und akzentuiert zu entwickeln. Die Entwicklung von Sehverstehen ist dabei nicht nur aus wahrnehmungs- und kognitionspsychologischer Perspektive konstitutiv für die Konstruktion von Subjektivität und Identität. Sehen, kulturelles Sehen ist genauso zentral „für unser Verständnis von kultureller Differenz“ (S EIDL 2007: 4). Aktive Bildwahrnehmung und -differenzierung erfordert weitaus vielschichtigere Sinnbildungs- und Verstehensprozesse als alltägliche Praktiken des Sehens und muss demzufolge entwickelt werden. T HALER belegt einen ähnlichen Anspruchsgrad für die Ausbildung simultanen und sukzessiven Hör-Seh-Verstehens (T HALER 2007: 13). In Abb. 1 ( ( S. 128) folgen die Teilbildungsziele einer Art wechselseitig bedingender ‚Progression‘ von Filmerleben, über eine eher kognitive (aber auch immer affektive) Verarbeitung von Film bis hin zu (inter-)kulturellem Sehverstehen, das im Spannungsfeld bildproduzierender und bildrezipierender Kulturen verortet ist. Gleichzeitig bildet das Endziel die Klammer für eine generell an Prinzipien der Cultural Studies orientierte Film- Bild-Bildung. 128 Gabriele Blell, Christiane Lütge 37 (2008) Filmbildung im Fremdsprachenunterricht als Befähigung zu einem aktiv-erlebenden, kritisch und differenzierend-wahrnehmenden, (inter)kulturell-sehenden und hörenden, selbstbestimmten und fremdsprachlich-kreativen interkulturellen Handeln mit Filmen Hör-/ Sehverstehen Fähigkeit, fremdsprachliche Inhalte bildgestützt verstehend zu hören und zu sehen und sie sprachhandlungsorientiert zu verarbeiten Fähigkeit, Film als (populär)kulturelle Artefakte zu lesen und sie im Wechselspiel eigen- und fremdkultureller Bezugskulturen zu interpretieren (Inter-)Kulturelles Sehverstehen & Interkulturelles Lernen Filmanalyse/ -kritik Fähigkeit, bewegte Bilder semiotisch zu analysieren u. interpretierend verstehen Sehverstehen Fähigkeit, bewegte (und statische) Bilder (aktiv) wahrzunehmen und differenzierend zu verstehen sowie sprachhandlungsorientiert zu verarbeiten Angestrebte Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Haltungen (kognitiv und affektiv) Filmerleben - Befähigung zu emotionalen nonverbalen/ verbalen Reaktionen und persönlichen Stellungnahmen - Befähigung, Filmerleben in kreativ-aktive Medienarbeit (alle Medien) zu überführen Sehverstehen - Schulung und Bewusstmachung von Prozessen intentionalen Sehens für Sprach- und Sinnbildung - Aneignung grundlegenden Filmizitätswissens zur Unterstützung von Rezeption und Produktion - Entwicklung einer Haltung kritischer Aufmerksamkeit gegenüber der Beeinflussung/ Manipulation von Wahrnehmen, Denken und Handeln Hör-/ Sehverstehen - Förderung der Wahrnehmung, Speicherung, Verarbeitung simultaner o. sukzessiver Ton-Bild- Beziehungen - Förderung sprachrezeptiver und -produktiver Selbstständigkeit in der Fremdsprache - die Entwicklung narrativer Kompetenz (Geschichtenwissen, Wissen um typische plots etc.) ( Filmerleben Fähigkeit, Film intuitiv und assoziativ zu erleben und sprachhandlungsorientiert zu verarbeiten Filmbildung im Fremdsprachenunterricht: neue Lernziele, Begründungen und Methoden 129 37 (2008) Abb. 1: Filmbildung im Fremdsprachenunterricht: Bildungsziele 3. Neue Konzepte und methodisch-didaktische Verfahren: Entwicklungslinien filmischer Textarbeit 3.1 Filmverstehen und Filmerleben Die zurzeit zu beobachtenden grundlegenden konzeptionellen Zugangsweisen (vgl. Abb. 2 [ ( S. 132]): eher filmbezogene Konzepte (Filmanalyse bzw. Filmverstehen) sowie eher subjektbezogene Konzepte (Filmerleben) nehmen in ganz unterschiedlicher Weise Einfluss auf den Einsatz von Filmen im Fremdsprachenunterricht, jedoch immer darauf abzielend, Filmarbeit letztendlich sowohl affektiv als auch kognitiv einzubetten. Als audiovisuelle Texte weisen Filme durch ihre plurimediale Darstellungsform, d.h. die Verknüpfung sprachlicher, außersprachlich-akustischer und optischer Codes, ein spezifisches Wirkungs- und Funktionspotenzial auf, das für den Fremdsprachenunterricht auf vielfältige Weise nutzbar gemacht und insbesondere über die Fertigkeit des Hör- Sehverstehens (vgl. S CHWERDTFEGER 1989) erschlossen werden kann. Durch die hohe Reizdichte von akustischen und visuellen Wahrnehmungsimpulsen werden allerdings hohe Anforderungen an die Verarbeitungsleistungen der Adressaten gestellt, die sich im fremdsprachlichen Unterricht nochmals verstärkt (vgl. K ÜSTER 2003). Diskurse über die Zeichenhaftigkeit kinematographischer Wirklichkeitsrepräsentationen haben in der Filmästhetik und Filmtheorie eine lange Tradition und den Begriff der „Filmsprache“ geprägt, der konzeptionell auch Eingang in didaktische Publikationen gefunden hat (vgl. B ARG 2006; M ONACO 2000). Die Fähigkeit, fremdsprachliche Filme ‚lesen‘ zu können, wird dabei in jüngster Zeit stark eingefordert. H ILDEBRAND spricht in diesem Kontext von der „Filmlesekompetenz“ (H ILDEBRAND 2006). Nicht immer wird dabei ganz deutlich, worum es beim ‚Filmlesen‘ eigentlich gehen soll, da der Begriff zumeist auf ein globales Verstehen spezifisch filmsprachlicher Mittel abzuzielen scheint, die sich in der Schnittmenge visueller und auditiver Sinneseindrücke begegnen. Im Rahmen der Forderungen nach visueller Alphabetisierung (vgl. D OELKER 1997) steht hier das Filmverstehen als eher kognitiv-konzeptuale Fähigkeit im Vordergrund. Analytisch-distanzierendes Filmverstehen knüpft dabei einerseits an traditionell analytische Verfahren des Literaturunterrichts an mit einer starken Betonung formal-strukturalistischer Aspekte. Andererseits reflektiert es aber auch me- Filmanalyse und Filmkritik - Schulung der Fähigkeit zur ästhetischen und kritischen Analyse und Bewertung filmischer Inhalte - Schaffung eines Bewusstseins für manipulative Effekte filmischer Darstellungsformen (Inter-)Kulturelles Sehverstehen & Interkulturelles Lernen - Befähigung zur Analyse filmischer Vermittlung kultureller u. gesellschaftlicher Gegebenheiten eigener und fremder visueller Kulturen - Entwicklung von kulturellem Sehverstehen im Spannungsfeld der Visualität bildproduzierender und bildrezipierender Kulturen & Förderung des Fremdverstehens 130 Gabriele Blell, Christiane Lütge 37 (2008) dienkritische bewahrpädagogische Positionen, die der medialen Reflexion in erster Linie eine Schutzfunktion zuweisen. Häufig lassen sich hier ‚genussfeindliche‘ Tendenzen feststellen, die R OSEBROCK in den medienpädagogischen Debatten der letzten Jahrzehnte identifiziert: In der Tradition der ästhetischen Theorie der Frankfurter Schule wurde eine kritisch-analytische, distanzierte Haltung bei der Medienrezeption gewissermaßen als Grundbedingung allen ästhetischen Erfahrens angesehen, und Genuss wurde leicht mit bewusstloser Identifikation und Affirmation in eins gesetzt. (R OSEBROCK 2004: 113) Es sei davor gewarnt, die Suggestivität der Medien ausschließlich kritisch zu betrachten und den Aspekt der Faszination auszublenden. Affektive Zugänge, die Emotionalität und Genussfähigkeit als zentrale Kriterien für ästhetische Kategorienbildung begreifen, sowie die handlungs- und interaktionsorientierte Medienpädagogik (B AACKE 1992) haben dazu beigetragen, einen veränderten Blick auf die Filmrezeption der (jugendlichen) Zuschauer zu werfen. Unter dem Einfluss handlungs- und produktionsorientierter Verfahren, wie sie sich in der Literaturdidaktik etabliert haben, sowie aktueller medientheoretischer Diskussionen treten nun die stärker subjektbezogenen Ansätze (vgl. N IESYTO 2006a) in der Filmdidaktik deutlicher hervor, die dem Filmerleben einen größeren Raum zuweisen. D ECKE - C ORNILL / L UCA (2007b: 19) stellen diesen Begriff als zentrale Kategorie traditionell filmanalytischen Zugängen gegenüber: Der Begriff ‚Filmerleben‘ betont gerade nicht die belehrende Seite der Filmbetrachtung, sondern nimmt das in den Blick, was von den Pädagogen zunächst mit großer Skepsis betrachtet wurde: die suggestive Kraft des Films, die Faszination, die von den bewegten Bildern ausgeht. (D ECKE - C ORNILL / L UCA 2007b: 19) Subjektorientierende Konzepte (vgl. D ECKE -C ORNILL / L UCA 2007b: 12) verstehen die Wirkung von Filmen auf ihr Publikum nicht länger deterministisch, sondern als interaktiven Vorgang, wie auch H ICKETHIER ausführt: Zuschauen bedeutet eine kognitive und emotionale Mitarbeit des Rezipienten. Nur durch Verstehensleistungen der Zuschauer wird aus der Vorführung eines belichteten Filmstreifens ein kommunikativer Vorgang. (H ICKETHIER 2001: 6) 3.2 Rezeptionsästhetische Filmdidaktik B REDELLA (2004) argumentiert ähnlich im Sinne einer rezeptionsästhetischen Filmdidaktik. Wenn man die Tätigkeit des Zuschauers auf das Wahrnehmen von Bildern reduziert, verkennt man dabei einige wichtige Aspekte, nämlich die Herstellung von Verbindungen zwischen dem Gezeigten und die Ergänzung von Nichtgezeigtem. Filmzuschauer sind somit auch immer Mitspieler im Rezeptionsprozess (B REDELLA 2004: 28 f), der nicht als eine bloße Abfolge von Bildern abläuft, sondern die Betrachter zur aktiven Sinnkonstruktion anregt. Ebenso betont B REDELLA aber die Funktion des Rezipienten als bewertendem Zuschauer, der in der Lage ist, zwischen dem Text und dem Ergebnis der Interaktion von Text und Rezipient zu differenzieren (ibid.: 29); dies geschieht in Anleh- Filmbildung im Fremdsprachenunterricht: neue Lernziele, Begründungen und Methoden 131 37 (2008) nung an John Deweys Unterscheidung zwischen dem „art product“ und dem „work of art“. Bei der Beschäftigung mit literarischen Texten und Spielfilmen ist einerseits die Bewertung des Dargestellten und andererseits der Vergleich unterschiedlicher Werturteile von besonderer Bedeutung, wie B REDELLA (2004: 30) aufzeigt. Die Wertvorstellungen der Rezipienten treten somit wiederum in einen konstruktiven Dialog mit den Angeboten, die der Film macht. Gleichzeitig fungiert der Rezipient auch als Kritiker, der aus dem Rezeptionsprozess heraustritt, um über diesen zu reflektieren. Dies ist ein wichtiges Lernziel im Sinne einer rezeptionsästhetischen Filmdidaktik, damit deutlich wird, dass und auf welche Weise Rezipienten in Sinnbildungsprozesse involviert sind. D ECKE -C ORNILL / L UCA (2007b: 18) gehen noch einen Schritt weiter. Sie beklagen, dass schulische Filmarbeit eher gegenstandsals subjektorientiert sei. Auch rezeptionsästhetische Positionen, die immerhin den Blick um eine subjektorientierte Position erweitern und damit die kognitive und affektive Involviertheit bei der Filmbetrachtung thematisieren, kreisen dennoch „vor allem um die Frage, wie die Betrachter/ innen in den Film eingeschrieben sind - nicht um die persönliche, individuelle Bedeutsamkeit“, so dass auch sie letztlich „eher gegenstandsorientiert sind“ (ibid.: 19). Zentral für ihren Ansatz ist die Betonung der emotionalen Beteiligung der Lerner am Film, die häufig pauschal mit dem Begriff „Ganzheitlichkeit“ in Verbindung gebracht wird. Statt dessen fordern sie, die Emotionalität der Lerner in den Blick zu nehmen, „ohne dabei ihr Komplement, die Rationalität aus dem Blick zu verlieren“ (ibid.: 22). Als Träger von Symbolen können Filme eine Brückenfunktion zwischen innerem Erleben und der Realität übernehmen. Sowohl für die filmdidaktische Forschung als auch für die schulpraktische Umsetzung muss es darum gehen, wie diese Brückenfunktion erfasst und gefördert werden kann, wie die emotionale Erfahrung mit einem Film umgewandelt werden kann in bewusstes Denken und/ oder Handeln. Filmbildung wird hier immer im Kontext der „Überwindung des Dualismus von Filmobjekt und Zuschauersubjekt“ gesehen (D ECKE -C ORNILL / L UCA 2007b: 25). Im Rahmen lernerorientierter Ansätze in der Filmdidaktik wird Handlungs- und Produktionsorientierung besonders betont (vgl. S URKAMP 2004a). Häufig genug findet diese aber im Medium Film lediglich ihren kommunikativen, inhaltlichen sowie sprachlichen Ausgangspunkt und führt nicht zur Eigenproduktion audiovisueller Werke. Für N IESYTO umfasst aber Filmkompetenz neben rezeptiven auch produktive Aspekte, nämlich „die Fähigkeit, selbst Filme für unterschiedliche Verwendungszwecke zu produzieren und sie in verschiedenen sozialen und medialen Kontexten zu präsentieren“ (N IESYTO 2006b: 197). Didaktische Konzepte für die Eigenproduktion filmischer Produkte sind bisher nur in Ansätzen sichtbar (vgl. Vorschläge für die Grundschule von B AUER 2006 und C ICHLINSKI 2006) und bedürfen weiterer Entwicklung im Rahmen einer umfassenden Förderung der fremdsprachlichen Filmbildung. 132 Gabriele Blell, Christiane Lütge 4 Das scheint u.a. wichtig, um immer noch ungeklärte Copyright-Fragen bei Filmvorführungen und Nutzung von Filmbildmaterial in schulischen Lernräumen teilweise zu lösen. Hier sollten Bildungs- und Kultusministerien der Länder stärker die Zusammenarbeit mit Filmproduktion und -verleih suchen. 37 (2008) 3.3 Das Kino als Lernort In diesem Zusammenhang wird auch das Kino als (fremdsprachlicher) Lernort wiederzuentdecken sein, da hier emotionale Aspekte des Filmerlebens mit einer kulturell etablierten Rezeptionspraxis zusammentreffen. Die Dimensionen kinematographischer Audiovisualität sind dabei besonders geeignet, den Kinosaal zum „magische[n] Ort der Wandlungen“ zu machen, wie Katharina E RNST (2000) betont. Als „Emotionengeneratoren“ können sie dabei ihr volles Potenzial in verdunkelten Räumen entfalten, so dass der „Lernort Kino“ selbst auch zum Gegenstand medien- und filmdidaktischer Reflexionen gemacht werden kann (vgl. L ÜTGE 2008). Darüber hinaus wird auch der private häusliche ‚Sehraum‘ verstärkt in didaktische Überlegungen einbezogen werden müssen (vgl. 5). 4 Dabei kann die Faszination, die für den medialen Genuss mitverantwortlich ist, „zum Ausgangspunkt für die Erkundung von Kinowelten“ (L ÜTGE 2008) gemacht werden und einen audiovisuellen Gegenpol zur Fernsehrezeption einerseits und der didaktisierten Variante fremdsprachlicher Filmrezeption im Klassenzimmer andererseits bilden. Abb. 2: Filmbildung im Kontext der Cultural Studies Cultural Studies: außerschulischer Lernraum: Kino, Fernsehen schulischer Lernraum: Film im FU Filmbildung Subjektbezogene Konzepte: Filmerleben, Filmproduktion Filmbezogene Konzepte: Filmanalyse, Filmverstehen Filmsehen Filmarbeit Filmbildung im Fremdsprachenunterricht: neue Lernziele, Begründungen und Methoden 133 37 (2008) 4. Kulturdidaktische Dimension: Cultural Studies und Filmarbeit im EFL classroom Der Einfluss kulturwissenschaftlicher Ansätze im Forschungsbereich Lehren und Lernen von Sprachen hat seit Ende der 1990er Jahre einen erheblichen Aufschwung erfahren (vgl. Überblick H U 2007: 13). Wie H ALLET (2007: 31) darstellt, ist es kein Zufall „dass in Zeiten rasanten kulturellen und gesellschaftlichen Wandels kulturwissenschaftliche Konzepte in die Fremdsprachendidaktik Einzug halten“. Ein ganzheitlicher medialer Leseansatz, wie ihn auch die New London Group in ihrem Multiliteracies-Konzept fordert, stellt dabei ein Beispiel für die Integration von kulturwissenschaftlicher Beschreibung und didaktisch-pädagogischem Zukunftsentwurf dar. Berührungspunkte zwischen Cultural Studies und Filmdidaktik sehen wir auf mehreren Ebenen, die aus unterschiedlichen Perspektiven Impulse für die Weiterentwicklung einer fremdsprachlichen Filmbildung/ film literacy mit kulturdidaktischem Fokus hervorbringen können. 4.1 Film im Spannungsfeld von Intertextualität, Visualität und Performativität Intertextualität als Paradigma einer kulturwissenschaftlichen Didaktik, wie H ALLET (2002) sie vertritt, fußt auf einem weiten Textbegriff und bezieht sich dabei auf eine kulturwissenschaftlich orientierte Texttheorie (vgl. B ACHMANN -M EDICK 2007), die auch Film mit einbezieht. Paradigmenwechsel in den Kulturwissenschaften - sichtbar an den so genannten turns - haben immer auch erheblichen Einfluss auf eine theoretische Standortbestimmung audiovisueller Medien. Während der linguistic turn den Kulturwissenschaften den erweiterten Textbegriff brachte, lenkt der iconic turn den Blick auf die dialektische Beziehung zwischen biologisch bestimmter Sinneswahrnehmung und kulturellen Sehgewohnheiten (vgl. S EIDL 2007: 3). Die Visual Culture geht von der kommunikativen Relevanz des Visuellen als „bedeutungsstiftende, bedeutungstragende und bedeutungsvermittelnde Instanz“ aus. In einer an den Prinzipien der Cultural Studies ausgerichteten „Bild-Medien-Bildung“ spielen Emotionen eine wichtige Rolle, denn Bilder unterhalten, verschaffen Genuss und können Aktionspotenziale freisetzen, die im Fremdsprachenunterricht genutzt werden können und durch positiv affektive Prozesse als Stimuli für Sprechanlässe dienen (S EIDL 2007: 5). Auch das kulturwissenschaftliche Konzept der Performativität wird in seinem Verhältnis zur Textualität untersucht und vermag dem filmdidaktischen Diskurs weitere Impulse zu verleihen (H UBER 2004). Im Rahmen des performative turn wird dabei eine weitere Neuorientierung für die Kulturwissenschaften sichtbar, die sich abwendet vom Strukturbegriff und stattdessen die „Leitvorstellung des sozialen Prozesses“ betont, in dem Darstellungs- und Inszenierungsaspekte einer „Kultur als Performance“ auch visuell eine Rolle spielen (B ACHMANN -M EDICK 2007: 104). 134 Gabriele Blell, Christiane Lütge 37 (2008) 4.2 Film im Kontext mediensoziologischer Ansätze Im Bereich der Medienanalyse gehen von den Cultural Studies wichtige Impulse aus, die insbesondere durch John F ISKE und den von ihm geprägten Begriff des Medienereignisses (media event) gekennzeichnet sind. Seine Konzeption (F ISKE 1992) geht von der These aus, dass das Publikum nicht verpflichtet ist, sich an eine intendierte Lesart von Filmen zu halten, sondern sich durch einen Akt der appropriation im Sinne der Cultural Studies in Richtung einer neuen Bedeutungszuschreibung bewegen kann. Wichtig ist in diesem Kontext die Entwicklung von „critical literacy“ (vgl. T ESKE 2006: 27). Die Cultural Studies eröffnen so vielfältige kulturelle und mediale ‚Sinnstiftungsprozesse‘, vor allem auch im Bereich des Populären, hier insbesondere in den Zusammenhängen von Alltagskultur und den Medien. 4.3 Film als inter- / transkultureller Begegnungs- und Diskursraum Konzepte wie Kultur und Multikultur, die kulturelle Begegnungen, so genannte crosscultural encounters, umfassen, sowie in deren Folge die Beschäftigung mit den Großkonzepten Inter-und Transkulturalität prägen die Cultural Studies in thematischer Hinsicht in besonderer Weise. Mit Blick auf die Textsorte Film ergeben sich daraus eine Reihe von Konsequenzen. So hat eine Begründung für den Einsatz von Filmen im Fremdsprachenunterricht mit den Einblicken „in die für eine Kultur zentralen Auseinandersetzungen und Konflikte“ (B REDELLA 2004: 28) zu tun. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass Filme als authentische Kulturprodukte vielfältige Anknüpfungspunkte für die Reflexion über eigenkulturelle und fremdkulturelle Phänomene bieten. Die „Erfahrungshaltigkeit“ fremder „Lebensweisen, Werte, Normen und Weltsichten“ wird dabei häufig genannt (vgl. S URKAMP 2004a: 3), denn durch die Beschäftigung mit ihnen erhalten die Lernenden Einblicke in fremdkulturelle Lebenswelten, die auch Unterschiede zu eigenkulturellen Verhaltensweisen erfahrbar machen (vgl. B LELL / L ÜTGE 2004). Interkulturelles Lernen mit Filmen im Fremdsprachenunterricht kann z.B. dort stattfinden, wo das kulturelle Selbstverständnis einer Gesellschaft untersucht wird, der multikulturelle oder multilinguale Kontext thematisiert wird. Allerdings werden hier auch zuweilen vorschnelle Schlüsse gezogen. K ÜSTER (2003: 210) weist darauf hin, dass sich allen literaturwissenschaftlich fundierten Warnungen vor einer platten Gleichsetzung fiktionaler und empirischer Wirklichkeit zum Trotz in fremdsprachendidaktischen Schriften die Auffassung hält, „dass Spielfilme einen unmittelbaren Zugang zu Fremdkulturen bieten könnten“. K ÜSTER plädiert für eine Förderung entdeckenden Lernens als einem „Weg des Weltaufschlusses“ und zeigt dies exemplarisch am Film Le fabuleux destin d´Amélie Poulain. Mit der Verbindung der Behandlung innerer Bilder und medial vermittelter Vorbilder wird eine Verbindung interkulturellen und medialen Lernens angestrebt, bei der auf einer übergreifenden Ebene die Auseinandersetzung mit Fragen der Wirklichkeitskonstruktion stattfindet (vgl. K ÜSTER 2003: 214). Dabei geht es auch um eine Abkehr vom naiven Verständnis, dass Filme die ‚andere Kultur‘ zeigen. Verbunden damit ist möglichst eine Einsicht in die Problematik der Opposition eines simplifizierenden ‚them‘ and ‚us‘. Filmbildung im Fremdsprachenunterricht: neue Lernziele, Begründungen und Methoden 135 37 (2008) Dies lässt sich am Episodenfilm Crash (2004) deutlich machen, bei dem unterschiedliche Handlungsstränge auf der Ebene der Figuren über die Thematik multikulturellen Miteinanders kunstvoll miteinander verbunden werden. Im Film werden Menschen verschiedener Hautfarbe und Herkunft und mit unterschiedlichem sozialem Status präsentiert, deren Wege sich mehrfach kreuzen, so dass in sehr facettenreich ausgestalteten Begegnungen verschiedene Perspektiven auf interkulturelle Begegnungen möglich werden. Nicht nur das Entstehen von Vorurteilen und Stereotypen, sondern insbesondere die Konstruktion und Dekonstruktion von Hybridität in der Darstellung der Figuren trägt dazu bei, die Zuschauer immer wieder unerwartete neue Sichtweisen einnehmen zu lassen. Regisseur Paul Haggis spielt dabei bewusst mit Stereotypisierungen, die in einer Mischung aus humorvollen und emotional berührenden, immer aber völlig unerwarteten Situationen aufgebrochen werden und damit zur Reflexion der eigenen Überraschtheit herausfordern. Fremdsprachliche Redeanlässe werden hier regelrecht provoziert und laden ein zu einer Beschäftigung mit kultureller Differenz. Generell sei angemerkt, dass die Cultural Studies mit Herangehensweisen arbeiten, die mit denen des Fremdsprachenunterrichts korrespondieren, insbesondere mit dem Konzept der critical cultural awareness (vgl. T ESKE 2006: 31). Ansätze kulturwissenschaftlicher Filmanalyse, die sich mit medialen Inszenierungen zentraler Kulturthemen auseinandersetzen, sind bereits sichtbar. Z ERWECK präsentiert ein Beispiel anhand des Films The Big Lebowski und zeigt dabei auf, wie durch die mediale Vermittlung von Wirklichkeit und ihrer Sichtweisen „Einblicke in Geschichte und Mentalitäten einer Bezugskultur“ (Z ER - WECK 2004: 40) hergestellt werden können. Wir halten hier insbesondere das Potenzial kontrastiver Filmanalyse für kaum genutzt. Tatsächlich ist aber der ‚Blick‘ auf mehrere thematisch verwandte Filme dazu angetan, die Perspektivenvielfalt deutlich zu machen und eine essentialistisch reduzierende Abbilddidaktik der Realität ‚wie sie wirklich ist‘ durch Vergleiche zu vermeiden. Die Kontrastierung von Filmen, denen pauschal ein großes Potenzial für interkulturelles Lernen zugeschrieben wird (z.B. Bend it like Beckham, East is East, Crash), scheint dazu angetan, die Perspektivenvielfalt auf inter- und transkulturelle Diskurse näher zu beleuchten und für den Fremdsprachenunterricht fruchtbar zu machen. 5. Film-Selbstlernen online Bildung und damit auch Filmbildung ist mit Humboldt nach wie vor wesentlich als Selbstbildung zu verstehen. In unserer Argumentation ist an verschiedenen Stellen die Entwicklung eines selbstbestimmten und selbstständigen Film-Sehers und fremdsprachlich Handelnden hervorgehoben worden. Film als ein Medium, das im Grenzbereich Freizeit und Schule oszilliert, eignet sich insofern gut, um Filmarbeit insbesondere auch im Selbstlernbereich zu unterstützen und damit interne (schulische) und externe (häusliche) Lernräume effektiv miteinander zu verbinden (H ORSTKEMPER / B ECK 2005: 5). Im Rahmen von ELAN III, einem niedersächsischen Förderprogramm zur Implementierung von eLearning an niedersächsischen Hochschulen, wurde von der Didaktik des 136 Gabriele Blell, Christiane Lütge 5 Das Selbstlernmodul ist in seiner CD-ROM Fassung in Gymnasien der 11. und 13. Klasse (Niedersachsen und Brandenburg) getestet worden (vgl. B LELL / H EBLER 2008). Schwächen sind in der online-Version verbessert worden. 6 Voraussetzung ist jedoch das Vorhandensein der DVD und ein Computerarbeitsplatz im häuslichen Lernraum. Die Verhandlungen mit ARSENAL-Film, Szenenausschnitte im Lernmodul zu verankern, sind derzeit noch nicht abgeschlossen. 37 (2008) Englischen in Hannover eine ‚Film-Seh-Schule‘ entwickelt, die in Kürze Lernenden in Niedersachsen als eLearning-Modul zur Verfügung gestellt werden kann (vgl. B LELL / H EBLER 2008). 5 Basierend auf dem Film The Rabbit Proof Fence (2001) von Phillip Noyce wurde ein online-Modul entwickelt, das eine kombinierte schulische und häusliche Beschäftigung mit dem Film ermöglicht. 6 Aufgaben/ Übungen, die die Lernenden aus einem Aktivitäten-Pool wählen können, sind größtenteils so konstruiert, dass sie jeweils einen notwendigen Wissensinput liefern, der dann mit einer entsprechenden kognitiven oder kreativen Film-Aktivität verknüpft wird. Beide, kognitive wie kreative Zugangsformen werden dabei als gleichberechtigte „Mittel zur Erkenntnis fördernden Filmanalyse und zur Ausbildung von film literacy“ gesehen (S URKAMP 2004b: 290). Nach einer relativ lehrergesteuerten Einführung in das Thema (ca. 4-5 Stunden) wird die Arbeit dann größtenteils in Gruppenbzw. Partnerarbeit im Selbststudium, zu Hause oder im Medienraum der Schule, fortgesetzt (ca. 15 Stunden). Schulische Kontaktphasen sollen garantieren, dass sich die Lernenden zu ihren Zwischenergebnissen austauschen (blended learning-Format): Das Modul (B LELL [et al.] 2008: http: / / ilias.uni-hannover.de/ goto_ client01_lm_1296.html) besteht aus verschiedenen Modulteilen, die den Lehrenden und Lernenden in unterschiedlichem Umfang und Zugangsberechtigungen zur Verfügung stehen (vgl. Abb. 3 [ ( S. 137]). Zusammenfassend soll noch einmal betont werden, dass eine systematische Entwicklung von Filmbildung der Ausbildung verschiedener Teilbildungsziele sowie eines integrativen subjektiv- und objekt(film)bezogenen Herangehens bedarf. Eine stufenspezifische Ausdifferenzierung steht noch aus. Der institutionelle Lernort Schule sollte bei der Arbeit mit dem genuin freizeitweltorientierten Medium Film durch blended learning- Formate und andere Lernräume (Kino, häuslicher Lernraum) ergänzt werden. Generell muss es gelingen, den Film im Fremdsprachenunterricht zu einem inter- und transkulturellen Diskursraum zu machen, der weit über traditionell landeskundlich ausgerichtete Konzeptualisierungen hinaus einen Beitrag zu einer umfassenden Filmbildung liefert. Filmbildung im Fremdsprachenunterricht: neue Lernziele, Begründungen und Methoden 137 37 (2008) Abb. 3: Screenshot aus dem eLearning-Modul The Rabbit Proof Fence Literatur B AACKE , Dieter (1992): „Handlungsorientierte Medienpädagogik“. 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In the novels that are investigated here, graphics, photographs, diagrams and drawings, but also (the reproduction of) non-novelistic texts like newspaper articles, advertisements, obituaries, handwritten letters or lists and tables form an integral part of the narrative. The visual elements in particular can be regarded as importing visual culture into a conventional literary genre. The essay argues that the multimodal novel mirrors common cultural and signifying practices and that it challenges traditional ways of reading and teaching literary texts in the classroom. Multimodal novels enrich the literary classroom, but reading and teaching them also requires the integration and education of visual, intermedial and transmodal competencies. 1. Der multimodale Roman Seit Jahrhunderten ist die Vorstellung von Literatur und besonders vom Roman mit dem Medium der Schriftsprache und dem rezipierenden Akt des Lesens verbunden. Es erschließt sich daher nicht auf Anhieb, dass, wie im Titel suggeriert, visual culture und Literatur eine Symbiose eingehen. Am verbreitetsten und am populärsten sind in dieser Hinsicht comics, photo-stories oder graphic novels, wobei letztere alle Merkmale von comics aufweisen, aber durch die generische Bezeichnung novel auf ihren Charakter als Einzelwerk verweisen, ihre diesbezügliche Verwandtschaft zum herkömmlichen Roman betonen und sich vom seriellen Charakter der comics abheben. Im Mittelpunkt dieses Beitrags soll aber eine Romangattung stehen, die Weniges mit der graphic novel, dafür aber vieles mit dem herkömmlichen Roman gemein hat und sich dennoch in auffälliger Weise von ihm unterscheidet: Der multimodale Roman. Er hat sich in den letzten zwanzig Jahren in beachtlicher Anzahl herausgebildet, stellt insofern eine erzählerische Innovation und daher auch für die Literaturdidaktik eine Herausforderung dar. Da es sich hierbei in der Literaturwissenschaft und in der Narratologie nicht um einen eingeführten Gattungsbegriff handelt, soll am Anfang dieses Artikels zunächst eine phänomenologische Annäherung stehen: Multimodale Romane verwenden zwar ebenfalls die traditionelle Sprache des Romans mit der Entwicklung einer Erzählung in der Schrift- 142 Wolfgang Hallet 37 (2008) sprache, gleichzeitig aber integrieren sie eine große Bandbreite nonverbaler symbolischer Repräsentationen und nicht-narrativer semiotischer Modi. In solchen Romanen begegnen uns also neben dem verbalen Erzähltext z.B. Fotos, alle Arten von graphischen Repräsentationen, Reproduktionen nicht-narrativer Texte und Genres, Texte in unterschiedlichen Schriftarten und typographischen Stilen, Reproduktionen gedruckter Texte aus anderen Quellen und Dokumente, die verschiedensten Formen nonverbaler Symbole, verschiedene diskursive Modi, etwa Transkriptionen von Konversationen, Dialogen oder Telefongesprächen, und viele andere Formen menschlicher Kommunikation. Das Bemühen in multimodalen Romanen geht dahin, die ursprüngliche symbolische Gestalt nichtnarrativer Formen der Kommunikation weitestgehend (wenngleich natürlich druckgraphisch reproduziert) zu erhalten und sie so auch aus dem linearen Fluss der verbalen Erzählung herauszuheben. Weitere Beispiele für ‚romanfremde‘ und nonverbale Elemente reichen daher vom Einschub persönlicher Briefe (genauer: deren druckgraphischer Reproduktion) oder von Zeitungsartikeln bis hin zu einer vollständigen Collage von Bildern und Fotografien, Reproduktionen von Dokumenten und verschiedenen textuellen Elementen und Gestaltungsmitteln, die es manchmal schwierig machen, einen Text überhaupt als Roman im traditionellen Sinne zu identifizieren. Denn traditionelle Romane würden keine nichtnarrativen Modi integrieren, die deutliche Kennzeichen anderer Gattungen aufweisen. So sind Fußnoten z.B. ein eindeutiges Merkmal akademischer Schreibweise im argumentativen Modus. Ebenso würde man eine Reihe von Familienfotos eher in einem Familienalbum oder einem Sachbuch mit dokumentarischem Charakter erwarten. Neben visuellen Elementen können in einem multimodalen Roman verschiedene Formen von Listen und Tabellen, kartographische Darstellungen in unterschiedlichen Ausprägungen, Diagramme und Statistiken, ja sogar wissenschaftsspezifische Symbolsprachen wie mathematische Formeln oder Algorithmen vorkommen. Außerdem kann der Leser eines multimodalen Romans ganzen Passagen von - identifizierbar unabhängigen Texten - begegnen, die in einer anderen Sprache verfasst sind, sodass Inhalt und Bedeutung im Modus einer Fremdsprache kommuniziert werden und ein Roman zu einem mehrsprachigen Textensemble werden kann. Insgesamt muss die Romanerzählung bei dieser Romanart als die Integration anderer geschriebener und verschiedener nonverbaler Modi in den narrativen Modus des Romans angesehen werden. Die auffälligsten nicht-narrativen Elemente sind aber gewiss visueller Natur, also Fotos, Zeichnungen oder Grafiken, die die Leserin oder den Leser eines Romans mit der Aufgabe konfrontieren, nun sowohl den jeweiligen ‚visuellen Text‘ zu lesen als auch dessen Verbindung mit dem Erzähltext zu verstehen. Auf unerwartete Weise hält so die visual culture Einzug in die Jahrhunderte alte Kultur der verbalen Narration, und der Akt des Lesens wird unversehens mit einem Akt des Sehens und des sehenden Verstehens verbunden, ja vielleicht sogar, wie einige Beispiele im Folgenden zeigen sollen, von diesem abhängig. Diese Verwendung von nonverbalen und nicht-romanhaften Elementen in einem Roman kann, anders als bei herkömmlichen Formen der Illustration oder Bebilderung, nicht als redaktionelle Beigabe verstanden werden, die ein Autor beigefügt hat oder die Visual Culture und Literatur: Multimodale Romane, Literaturunterricht und Literaturdidaktik 143 37 (2008) mit seiner Erlaubnis in einer Romanausgabe oder auf einem Buchcover erscheint. Andererseits kann auch der gelegentliche Gebrauch von Bildern und anderen Formen nonverbaler Repräsentationen oder nicht-romanhafter Modi an sich nicht als ein neues Phänomen angesehen werden. Vielmehr besteht der entscheidende Unterschied in der systematischen und wiederholten Integration nonverbaler und nicht-narrativer Elemente in die Romanerzählung. Dieser systematische Unterschied ist der Grund dafür, warum es sich lohnt, sich mit einem Korpus von Romanen zu beschäftigen, in denen Fotos und alle Arten von visuellen und graphischen Repräsentationen integrative Elemente des narrativen Diskurses sind. In Abschnitt 2 soll an einigen Romanbeispielen näher dargestellt werden, wie sich die Integration visueller und anderer Modi in die Romanerzählung im Einzelnen gestaltet. Zuvor soll noch kurz der Begriff der Multimodalität geklärt werden. Er entstammt einem semiotischen und diskurstheoretischen Ansatz und referiert darauf, dass diskursive Bedeutung stets im Zusammenspiel verschiedener Zeichensysteme und semiotischer Modi entsteht, von denen die verbale Sprache nur einen darstellt und selbst immer nur in einem bestimmten Modus und in einem bestimmten Medium - gesprochen, gedruckt, handschriftlich usw. - realisiert wird. Als prominente Beispiele für kulturell verbreitete multimodale textuelle oder mediale Designs können Illustrierte, Firmensprospekte oder Webseiten gelten, die verschiedene semiotische Modi in einem einzigen textuellen oder medialen Produkt integrieren. Im Gegensatz zu ‚Medium‘ als einem physischen Mittel des Eintrags, der Übermittlung oder der Distribution kommunikativer Inhalte werden als Modi semiotische Ressourcen bezeichnet, die simultan in einem einzigen diskursiven oder sozial-interaktiven Akt realisiert werden können. Solche semiotischen Ressourcen sind sowohl basale Modi wie z.B. Farben oder musikalische Töne als auch textuelle oder mediale Genres und kulturelle Artefakte wie Möbel und andere Objekte, aber auch ganze Räume und alle Arten von sozialen Praktiken (vgl. zu allem: K RESS / VAN L EEUWEN 2001: 21-28, sowie ausführlich H ALLET 2008b und H ALLET 2008c). Hier wird bereits sichtbar, dass sich die in Frage stehenden Romane als diskursive und kommunikative Akte allgemeinen kulturellen Signifikationspraktiken annähern, indem sie die dort geläufige Integration verschiedener Medien und semiotischer Modi in die Generierung kultureller Bedeutung fiktional-narrativ imitieren und modellieren. 2. Beispiele für multimodale Romane: Fictional Autobiographies Prinzipiell unterliegt der multimodale Roman hinsichtlich der gattungstypologischen Bandbreite keinerlei Einschränkungen, sodass also sowohl der Liebesals auch der Kriminal- oder der historische Roman multimodal sein können. Allerdings ist eine gewisse Nähe dieses Romantypus zur biographischen oder autobiographischen Romanerzählung beobachtbar, wenn auch nicht empirisch belegbar. Für den Literaturunterricht ergibt sich aber daraus ein besonderes Augenmerk für den Identitäts- und den Adoleszenzroman, der die Geschichte der Hauptperson und ihres familiären und sozialen Umfeldes nicht nur verbal, sondern auch, quasi nach Art des Familienalbums, visuell erzählt, 144 Wolfgang Hallet 37 (2008) sodass Begebenheiten und ganze Biographien nicht nur erzählt, sondern auch ‚präsentiert‘ werden. Zudem sind diese Beispiele Indizien dafür, dass sich Identitätsprozesse auch in der Lebenswelt nicht nur auf verbale Narration, sondern zu einem erheblichen Teil auch auf andere Modi und vor allem auf visuelle Repräsentationen und (Selbst-)Darstellungen stützen (vgl. genauer H ALLET 2008a). Darauf soll unten in Teil 3 noch näher eingegangen werden. Für den vorliegenden Zweck wurden Beispiele ausgewählt, die dies besonders eindrücklich belegen, die aber auch, wegen der in ihnen enthaltenen Adoleszenz- und Eltern-Kind-Geschichten, für den schulischen Literaturunterricht besonders interessant sind. Aus Copyright-Gründen können die entsprechenden Beispiele für Buchseiten mit Fotos und Bildern hier leider nicht wiedergegeben, sondern nur - auf offensichtlich eher inadäquate Weise - beschrieben werden. 2.1 Michael O NDAATJE : Running in the Family (1982) Michael O NDAATJE s Roman Running in the Family (1993, zuerst 1982) erzählt die Geschichte von der Reise des Erzählers zurück in sein Heimatland Ceylon auf der Suche nach Erinnerungen an seinen toten Vater, den er kaum kannte. In dieser fiktionalen Autobiographie entsteht die Identität des Erzählers aus einem schmerzhaften archäologischen Prozess des Auffindens von Quellen und Zeugen, die Zeugnis geben können von der Vergangenheit des Erzählers und seiner Familie. Es stellt sich jedoch als unmöglich heraus, aus den verschiedenen Hinweisen, Geschichten und Versionen, die dem Erzähler angeboten werden, eine kohärente Erzählung zu konstruieren. O NDAATJE s Roman setzt sich so nicht nur aus einer Vielzahl von mehr oder weniger autonomen Episoden in Form von Kapiteln zusammen, sondern im Lauf seiner Nachforschungen werden dem Erzähler auch verschiedene Versionen der gleichen Geschichte angeboten, die manchmal sogar als eigenständige Erzählungen mit eigenen Erzählern im Roman enthalten sind. Im Fall von O NDAATJE s Roman jedoch bezieht der Erzähler nicht nur die Erzählungen anderer in seine Ich-Erzählung ein, sondern darüber hinaus gibt es eine Vielzahl anderer Modi und Medien, die im Roman präsentiert und in diese fiktionale Autobiographie einbezogen werden, und zwar durch einen Erzähler, der sich selbst eher als Sammler von Belegen und Hinweisen denn als Geschichtenerzähler sieht: Zeitungsausschnitte, Fotos, Gedichte, Lexikonartikel, eine Karte, Transkriptionen von Dialogen, historische Dokumente und unzählige intertextuelle Referenzen oder Zitate aus literarischen oder historiographischen Werken - all diese Elemente sind in seine Selbst-Erzählung integriert (vgl. N EUMANN 2005: 454-455). Ein Blick auf eines der Fotos, das als zentral für die Rekonstruktion der Familiengeschichte anzusehen ist, kann dieses multimodale Verfahren illustrieren. Das Foto trägt den Titel „What we think of married life“ (O NDAATJE 1993: 163) und zeigt die Eltern des Erzählers als Brautpaar in einem Fotostudio, „soberly dressed“ (ibid.: 161). Doch anstatt in angemessener Weise und Würde für ein Hochzeitsfoto zu posieren, sieht man das Paar mit „hideous faces“; das Gesicht des Vaters zeigt „a groan that is half idiot, half shock“, und seine ganz in weiß gekleidete Mutter „has twisted her lovely features and stuck out her upper lip so that her profile is in the posture of a monkey“ (ibid.: 161). An diesem Visual Culture und Literatur: Multimodale Romane, Literaturunterricht und Literaturdidaktik 145 37 (2008) Foto, eines von mehreren im Roman, lässt sich die Bedeutung visueller Elemente in einer Romanerzählung gut verdeutlichen. Zunächst ist bemerkenswert, dass die bildbezogene Beschreibung des Erzählers eher faktenbezogen und deskriptiv ist; abgesehen von einer kurzen Bemerkung unterlässt er es, eine Interpretation oder Bewertung zum Inhalt oder Stil des Fotos zu geben. Die Deutung (besser: Voraus-Deutung) des Fotos wird der Leserin oder dem Leser überlassen. Ein paar Seiten später, in dem Kapitel, das den gleichen Titel trägt wie das Foto, erfährt der Leser, dass die Mutter sich scheiden ließ, ihren Mann und die Familie verlassen hat und nach England gegangen ist. Was also auf den ersten Blick wie ein humorvoller, ironischer Kommentar zur Institution der Ehe aussieht, antizipiert in Wirklichkeit die düstere Zukunft der Beziehung des frisch vermählten Paares und dessen zweifelnde Vorahnung. Zweitens macht das Bild den Bericht des Erzählers über seine Familiengeschichte in einer Weise authentisch, wie es kein verbaler Text kann: Fotos beglaubigen indexikalisch sowohl die ‚wirkliche‘ Existenz der abgebildeten Personen als auch des Fotografen, der sie aufgenommen hat. Das Hochzeitsfoto teilt also dem Leser mit: Diese Menschen haben wirklich gelebt, so haben die Eltern des Erzählers ausgesehen, und das Foto selbst hat eine Geschichte und einen Urheber. Fotos in Romanerzählungen siedeln also die literarischen Figuren eines Romans ‚sichtbar‘ in einer identifizierbaren historisch-realen Welt an und machen so den Erzähler und den Leser gleichermaßen zu ‚Augenzeugen‘: Beide nehmen die gleiche Rolle eines Betrachters ein und sind mit ein und demselben Bild konfrontiert, das der erzählten Welt der Romanfiguren zugehört. Deshalb kann die Fotografie als eines der Elemente angesehen werden, die die Grenze zwischen Realität und Fiktion verschwimmen lassen (vgl. N EUMANN 2005: 455-456). Drittens kann der holistische, direkte Einfluss eines Bildes auf den Leser kaum durch die verbale Erzählung imitiert oder substituiert werden, etwa durch eine im konventionellen Roman häufig zu findende ekphrastische Beschreibung. Bilder und Fotografien im Besonderen bringen Körperlichkeit, Formen, Aussehen, Proportionen und - beim vorliegenden Hochzeitsfoto besonders wichtig - Posen und Körpersprachen ganz anders und unvermittelter zur Geltung als eine noch so subtile verbale Beschreibung es könnte. Bilder und Fotos sind daher mit modus- und medienspezifischen semiotischen Zuschreibungen verbunden. Die Inszenierung kultureller Praktiken und Rituale ebenso wie der Fotografie selbst als bedeutender, seit ihrer Erfindung allgegenwärtiger kultureller Praxis kann in verbaler Form nicht annähernd adäquat kommuniziert werden. Es sollte deutlich geworden sein, dass ein Bild vollständig in die Romanerzählung integriert sein kann, ohne selbst ein narrative zu sein. Dieses Merkmal trifft auch auf alle anderen Modi und medialen Repräsentationen zu, die in dieser Autobiographie enthalten sind. Dadurch inszeniert der Roman einerseits den Versuch des Erzählers, in den Besitz aller nur möglichen Hinweise und Belege zu gelangen, die die Geschichte seines Vaters und seiner Familie erhellen können. Andererseits bedient sich der Roman dadurch kultureller Praktiken, die auch mit anderen Arten historiographischen und historischen Schreibens verbunden sind, wie man sie von Dokumentationen und nicht-fiktionalen Biographien kennt. Wie ein Historiker auch verlässt der Erzähler sich nicht allein auf mündliche Erzählungen seiner Zeugen, sondern er versucht, empirische Beweise für die Fakten und 146 Wolfgang Hallet 37 (2008) Lebensumstände eines Menschen in allen möglichen medialen und materiellen Formen zu finden. 2.2 Mark Haddon: The Curious Incident with the Dog in the Night-time (2003) Es ist bereits deutlich geworden, dass in multimodalen Romanen ein Teil der Beschreibungen und Charakterisierungen, die normalerweise verbal entfaltet werden und auf die Leserinnen und Leser bei der (Re-)Konstruktion der narrativen Welt angewiesen sind, von nonverbalen Darstellungsmodi übernommen wird. In H ADDON s Roman (H ADDON 2004, zuerst 2003) ist diese Öffnung der Romannarration für andere Symbolsprachen und Darstellungsweisen besonders gut beobachtbar. Der Erzähler Christopher Boone, ein fünfzehnjähriger Junge, der im Glauben an den frühen Tod der Mutter bei seinem Vater aufwächst, ist nämlich kein Sammler und Collagist, der Fundstücke und Artefakte in den Roman einfügt; vielmehr verfügt er selbst über eine Vielzahl anderer Symbolsprachen, die er beständig nutzt, um dem Leser Erlebtes, Gesehenes, Entdecktes und bloß Gedachtes in möglichst authentischer, präziser Form zu vermitteln. Dieser Wechsel vom verbalen zu einem nonverbalen Modus wird regelmäßig mit der Formel „It looked like this“ angekündigt. So kommt es, dass das für rot- oder schwarzbunte Kühe typische Fleckenmuster nicht beschrieben, sondern in Form einer vom Erzähler gefertigten Zeichnung wiedergegeben wird (H ADDON 2004: 176). Ähnliche Verfahren wendet Christopher, dessen quest mit der Suche nach dem Mörder eines Hundes als murder mystery beginnt und mit der Suche nach der Mutter als story of identity endet, bei der Wiedergabe von U-Bahn- Beschilderungen und advertisements, von Lageplänen des eigenen Straßenzuges oder eines Zoos, von Sternbildern und Sitzbezügen an (ibid.: 208-211, 46 und 110, 156-157 und 227): Er rekonstruiert und vermittelt all diese Wahrnehmungen graphisch und ist daher nicht nur Erzähler, sondern auch Grafiker und Designer. In diesem Roman wird darüber hinaus eine weitere wichtige kulturelle Funktion des Visuellen deutlich. Es dient nämlich nicht nur der erzählerischen Vermittlung des Geschehens und der story-world, sondern auch der Darstellung des kognitiven (und emotionalen) Verstehens dieser Welt durch den Erzähler. Der eigene Entwurf eines Sternbildes oder die vollständige Wiedergabe eines Entscheidungsalgorithmus (ibid.: 157 und 162-163) repräsentieren nicht die story-world, sondern die mentalen Modellierungen dieser Welt durch den Erzähler, seine individuellen Weisen des world-making und des Denkens (vgl. genauer H ALLET 2008b). Visualisierungen werden damit zu einem Bestandteil von traditionell eher als verbal-narrativ aufgefassten Identitätserzählungen (vgl. H ALLET 2008a: 48-50), und multimodale Romane integrieren Formen und Modi der Bedeutungszuschreibung in die fiktionale Identitätserzählung, die die entsprechenden lebensweltlichen Modi gewiss adäquater modellieren als verbal-narrative Romanerzählungen. Visual Culture und Literatur: Multimodale Romane, Literaturunterricht und Literaturdidaktik 147 37 (2008) 2.3 Jonathan Safran Foër: Extremely Loud & Incredibly Close (2005) Der Protagonist und Ich-Erzähler dieses Romans ist der neunjährige Oskar, dessen Vater bei dem Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 ums Leben gekommen ist. Er hat dessen letzte vergehende Worte am Ende einer Serie von Telefonanrufen auf dem Anrufbeantworter anhören müssen. Da sein Vater offenbar spurlos in den Asche- und Trümmerbergen verschwunden ist, plagt den Jungen auf traumatische Weise das Nichtwissen darüber, wie sein Vater zu Tode gekommen ist. In seinem Kopf spielt er in mentalen Bildern alle möglichen Todesszenarien wieder und wieder durch, und er weiß, dass diese Todesbilder in seinem Kopf nicht verschwinden werden, wenn und solange er nicht ein gültiges Bild vom Tod seines Vaters findet. Diese inneren Bilder erklären, warum der Junge ein geradezu obsessiver Sammler von Bildern und anderen visuellen Artefakten, wie z.B. einer bunt beschriebenen Seite eines pad of paper aus einem art supply store, Visitenkarten oder screen shots (F OËR 2005: 45-49, 158-159, 241) ist und warum er seine quest durchgehend fotografisch dokumentiert durch die Aufnahme ‚merk-würdiger‘ Details, wie z.B. eines Türknopfes oder eines Elefantenauges auf einem Poster. Auf der Suche nach dem letztgültigen Bild stößt er im Internet auf eine Videosequenz, die den mittlerweile kulturell ikonisierten falling man zeigt (vgl. H OTH 2006), einen Menschen, der sich, wie viele andere, nach dem Einschlag der von den Terroristen gesteuerten Flugzeuge aus einem der Twin Towers stürzt, um dem Flammeninferno zu entgehen. Im Hinblick auf das Vordringen der visual culture in die Romanliteratur ist das in unserem Zusammenhang eigentlich Interessante, dass der Junge an die erlösende Kraft des einen Bildes glaubt und daran, dass nur dieses Bild ihm Verstehen ermöglicht und Sinn zu erlangen verspricht. Denn Oskar entwickelt eine Vision vom Tod seines Vaters in einem sehr wörtlichen Sinne: Er erträumt sich eine andere Realität, in der Menschen nicht von Türmen herunterfallen, sondern statt dessen, nach der Art rückwärts laufender Filmbilder, vom Boden aus nach oben in ihre Büros fliegen, sich an ihren Schreibtisch setzen und zu arbeiten beginnen. Im Buch stellt diese Vision in Gestalt eines flipbook mit einer Serie von Standbildern aus dem Internetvideo das Ende des Romans dar. Der Leser ‚liest‘ dieses Ende der Geschichte also, indem er selbst das Daumenkino in Gang setzt und so den imaginierten Vater des Jungen zum Leben erweckt. So wird in F OËR s Roman die possible world des schwerkraftüberwindenden Aufwärtsfliegens nicht nur in Gestalt von Bildern erzählt, sondern dies geschieht auch durch die Wiederbelebung einer der ältesten Techniken des bewegten Bildes, des Daumenkinos. Gleichzeitig ist diese flipbook-Geschichte die Manifestation der Sinnestäuschung, die alle Film-Medien (movie pictures! ) benutzen. Durch die Einführung dieser visuellen Technologie des bewegten Bildes in die verbale Kunst des Geschichtenerzählens wird also zugleich die Authentizität des Bildes in Frage gestellt: Die Bewegung repräsentiert nicht die Wirklichkeit, sondern ist ein Resultat der Bildkunst, der motorischen Aktivität des Betrachters und der Sinnestäuschung. Gleichzeitig wird das story-telling-Potenzial von Bildern bezeugt und die narrative Macht des Wortes in Frage gestellt. Dadurch werden die Sinnsuche des Individuums und die Konstruktion narrativer Bedeutung als ein multi- 148 Wolfgang Hallet 37 (2008) modaler Prozess repräsentiert, so dass der multimodale Roman auch als ein kulturelles Modell der Multimodalität von Prozessen des meaning making und der Sinnstiftung angesehen werden kann. Insofern ist der Roman eine Parabel auf das visuelle Zeitalter: Wir können nur verstehen, wenn wir Bilder verstehen und Bilder finden, in denen wir unseren Gefühlen und unserem Denken Ausdruck verleihen können. Oskar steht damit stellvertretend für eine ganze Generation junger Menschen, für die Bilder sinnkonstituierende und bedeutungstragende Texte in ihren Alltagsdiskursen darstellen. 2.4 Multimodale Fictional Autobiographies als Cultural Templates Bereits die wenigen Romanbeispiele sollten exemplarisch verdeutlicht haben, worin sich multimodale fictions of identity (zum Begriff vgl. N EUMANN 2008: 57-60) von konventionellen Romanerzählungen unterscheiden: Sie beziehen non-verbale und nicht-narrative Darstellungsmodi und andere symbolische Repräsentationssysteme in die Narration ein und nutzen sie zur narrativen Konstruktion der story-world. Darüber hinaus konstituieren diese anderen Modi und Medien auch die Identität des homodiegetischen Erzählers dieser fiktionalen Autobiographien mit. Wenn es daher zutrifft, dass „on the textual level, novels create new models of narrative and identity“ (ibid.: 58), dann können multimodale fictional autobiographies auch als Modelle lebensweltlicher Identitätserzählungen verstanden werden, in denen Individuen ebenfalls auf die unterschiedlichsten semiotischen Ressourcen, vor allem aber auf visuelle Darstellungsmodi zurückgreifen und visuelle images auch zur Darstellung und zum Ausdruck ihres Selbst benutzen. Dies ist ein starkes Argument für ihre Behandlung im Englischunterricht, denn dann wären multimodal fictions of identity sowohl models von als auch templates, also generische Muster, für die lebensweltlichen Selbsterzählungen junger Menschen. 3. Multimodale Romane im Literaturunterricht Die vorgestellten Romane und zahlreiche weitere Exemplare dieser Romanart sind, wie bereits dargestellt, wegen ihrer neuartigen Narration von Identitätsprozessen repräsentativ für allgemeinere kulturelle Prozesse und Praktiken der Semiosis, die sich als generelle Umorientierung, weg von der alleinigen Nutzung (und Fokussierung) der menschlichen Sprache, hin zu vielfältigen anderen Modi und Medien beschreiben und mit K RESS / VAN L EEUWEN (2001) in folgender Weise auf den Punkt bringen lassen: [M]eaning is made in many different ways, always, in the many different modes and media which are co-present in a communicational ensemble. This entails that a past (and still existent) common sense to the effect that meaning resides in language alone - or, in other versions of this, that language is the central means of representing and communicating even though there are ,extralinguistic‘, ,para-linguistic‘ things going on as well - is simply no longer tenable, that it never really was, and certainly is not now. (ibid.: 111) Visual Culture und Literatur: Multimodale Romane, Literaturunterricht und Literaturdidaktik 149 37 (2008) Im Licht dieser allgemeineren kulturellen Diagnose kommt multimodalen fiktionalen Autobiographien ein besonderer Wert zu, da die Lernenden in ihnen eigene kulturelle und semiotische Praktiken gespiegelt finden, diese verstehen lernen und reflektieren und schließlich als Muster eigener Selbsterzählungen benutzen können. Diese Praxis der Kombination verschiedener Modi und Medien in Selbsterzählungen liegt näher, als man zunächst anzunehmen geneigt ist. Denn tatsächlich ist die MySpace-Generation längst zu identitätsstiftenden Praktiken der Selbst-Konstruktion, -Darstellung und -Erzählung übergegangen, in der die Sprache mit zahlreichen anderen Modi und Medien kombiniert wird, insbesondere mit Bildern, aber auch mit Tönen, Farben und graphischen Designs von Schriften und ganzen Web-Seiten. Dies wiederum ist nicht bloß ein kommunikationstheoretischer, sondern auch ein sozialpsychologischer Befund: The Internet, in general, and MySpace, in particular, provide a unique forum for adolescent identity development. […] MySpacers supply multiple photographs of themselves and their friends; selfdescription of likes and dislikes, evidence of their tastes in fashion, music, and other media; results of personality quizzes; blogs expressing their views, ideals, and values; and a host of other clues to their adolescent identity. (R OSEN 2007: 64) Aus diesem Grund stellt sich die Frage nach den für das Lesen und Verstehen multimodaler Romane erforderlichen Kompetenzen - literacies - als besonders dringlich dar, denn es handelt sich genau um die literacies, die auch in der Lebenswelt für das Verstehen und aktive Gestalten multimodaler kommunikativer Akte und bedeutungsgenerierender Prozesse erforderlich sind. Sie lassen sich hier nur in einiger Vorläufigkeit skizzieren und charakterisieren, denn auch in der Literaturwissenschaft und in der Narratologie steht die Erforschung der Integration von Bildern und anderen Modi in die Romanerzählung erst am Anfang und ist dort ebenso auf interdisziplinäre Expertise angewiesen wie in der Didaktik (vgl. Teil 4). Auch beschränken sich die folgenden Überlegungen auf visuelle Darstellungen und sparen andere Symbolisierungen - wie z.B. fachsprachliche der Mathematik oder der Geographie - aus, um das Feld einigermaßen übersichtlich zu halten. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass das verstehende Lesen von integrierten Bild- Text-Ensembles zwar komplex, in dieser Hinsicht zugleich aber kognitiv, interpretativ und diskursiv äußerst anregend und für den Fremdsprachenunterricht nicht neu ist. Es sei hier z.B. daran erinnert, dass Lothar B REDELLA die Begriffe der Prozessorientierung und der Schüleraktivierung zuerst an einer diaphor genannten Text-Bild-Kombination entwickelt hat (B REDELLA 1987; vgl. H ALLET 2002: 25-26). Auch andere prozessorientierte Ansätze haben wesentlich auf die kognitiv und sprachlich anregende Kraft von Text-Bild- Kombinationen rekurriert (vgl. z.B. G IENOW / H ELLWIG 1996). Nicht zuletzt aber lässt sich die Kombination verschiedener Modi und Medien in einem einzigen kohärenten Romantext als Modellierung des komplexen Zusammenspiels vielfältiger Texte und Medien in kulturellen Zusammenhängen auffassen, auf das der Fremdsprachenunterricht mit ähnlichen Modellierungen einerseits reagiert und andererseits vorbereitet (vgl. H AL - LET 2002: 56-101). Daher handelt es sich im Grunde um genau jene wertvollen multitextuellen Arrangements, die für die Entwicklung intertextueller, intermedialer und transmodaler Bedeutungskonstruktion im Fremdsprachenunterricht erforderlich sind. 150 Wolfgang Hallet 37 (2008) Was bedeutet das im Einzelnen für Text-Bildrelationen im multimodalen Roman? Zunächst einmal liegt es auf der Hand, dass die im Roman enthaltenen Bilder und visuellen Darstelllungen ‚gelesen‘, verstanden und interpretiert werden müssen, eben so, wie verbale Textsegmente auch. Dieses Lesen visueller Texte ist für sich genommen bereits eine hohe Anforderung. Denn zum einen müssen Bilder hinsichtlich ihres Inhaltes in einem Akt kulturellen Sehens dekodiert und verstanden werden. Damit werden die kulturellen Implikationen der dargestellten Menschen und Objekte, ihre Eigenschaften und Verhaltensweisen, ihre Standorte und ihre kulturellen Kontexte entschlüsselt. Visuelle Darstellungen müssen aber auch bildästhetisch gelesen werden können, damit die jeweils spezifischen Darstellungsweisen und ästhetischen Arrangements der Bildzeichen erfasst werden. Darüber hinaus lässt sich am Beispiel des falling man aus dem Roman F OËR s, aber auch des Hochzeitsfotos in Running in the Family leicht einsehen, dass auch Bilder, um verstanden zu werden, der historischen und kulturellen Kontextualisierung bedürfen (vgl. H ALLET 2008d: 177-179). Zusammengenommen lassen sich das kulturelle, das bildästhetische und das kontextualisierende Sehen als visual literacy definieren. Zweitens müssen in einem Akt der intermedialen Relationierung die jeweiligen Text- Bild-Relationen im multimodalen Roman erkannt und verstanden werden. Sie können der vielfältigsten Art sein und hier nicht im Einzelnen beschrieben werden; stattdessen muss hier auf die systematischere Beschreibung an anderer Stelle (H ALLET 2008a) verwiesen werden. Es gibt Bilder und Fotos, auf die im verbalen Fließtext keinerlei Bezug genommen wird, sodass die Konstruktion einer Text-Bild-Relation vollständig dem Leser überlassen wird; häufiger jedoch haben im multimodalen Roman Fotografien und andere Bilder sehr konkrete Bedeutungen und Funktionen in der Erzählhandlung, ja sogar eine eigene Geschichte: Sie lassen sich, oft über mehrere diegetische Ebenen hinweg, einzelnen Figuren, Situationen und Begebenheiten zuordnen und bilden oft, wie man am Beispiel von O NDAATJE oder F OËR erahnen kann, sogar den Kern, um den die Romanerzählung kreist. Drittens - und das ist die eigentliche Herausforderung an die Leserinnen und Leser multimodaler Romane innerhalb und außerhalb des Klassenzimmers - muss auf der Grundlage der Deutungen einzelner verbaler und nonverbaler, vor allem visueller Elemente des Romans und ihrer vielfältigen Beziehungen untereinander zunächst ein Gesamtnarrativ erzeugt werden. Dem Leser oder der Leserin obliegt es also letztlich, aus den verschiedenen Modi und Medien ein kohärentes Textganzes zu konstruieren, das dann den eigentlichen Gegenstand weiterführender Deutungen und Interpretationen darstellt. Lesen ist also ein transmodaler Akt, in dem narrative Bedeutung aus einer kognitiven Synthese der symbolischen Repräsentationen der verschiedensten Art entsteht. In dieser Hinsicht ähnelt das Lesen eines multimodalen Romans dem Lesen eines Hypertextes (vgl. H ALLET 2002: 102-132). Man erkennt, dass die Anforderungen an das Lesen multimodaler Romane der Komplexität dieser Narrative entsprechen und eine Menge Prozesse und Fähigkeiten ins Spiel bringen, die beim Lesen konventioneller Romane gar nicht vorkommen. Erkennbar ist aber auch, dass das Lesen eines Romans damit den interpretativen und bedeutungserzeugenden Tätigkeiten sehr nahe kommt, die von Individuen auch in lebensweltlichen Visual Culture und Literatur: Multimodale Romane, Literaturunterricht und Literaturdidaktik 151 37 (2008) Kontexten ausgehen und verlangt werden. Darin liegt der eigentliche didaktische Wert des multimodalen Romans. 4. Neue Herausforderungen für die Literaturdidaktik: Intermediales und transmodales Lesen Multimodale Romane erinnern uns daran, dass auch im Fremdsprachenunterricht Lernende wie Lehrende lernen müssen, Bilder zu ‚lesen‘, sich in Bildern auszudrücken, ihr Zusammenspiel mit anderen Texten und Modi zu verstehen und zu nutzen und sie als Elemente größerer Diskurse zu begreifen: Kulturelle Bedeutung entsteht aus dem komplexen Zusammenspiel von Bildern, Texten, Tönen, Farben und - natürlich - kulturellen Praktiken. Im multimodalen Roman kulminieren damit Anforderungen an das fremdsprachliche Lehren und Lernen, die uns gar nicht so unbekannt sind, die aber im Hinblick auf die von den Lehrenden wie von den Lernenden zu erwerbenden Kompetenzen noch nicht in ihrer Tragweite erkannt sind. Das beginnt zunächst mit der Öffnung des Kommunikationsbegriffs hin zu einem Verständnis von Diskurs, in dem kulturelle Bedeutung aus dem Zusammenspiel visueller, verbaler und anderer symbolischer Kulturen resultiert. Mitspieler in solchen Diskursen - also die Lernenden - müssen Kompetenzen in diesen verschiedenen Symbolsprachen erwerben und sie lebensweltlich nutzen können. Die Fremdsprachendidaktik muss sich also, wie es sich gegenwärtig immer eindringlicher andeutet, Fragen der visual culture und des Erwerbs von visual literacy widmen und Konzepte für deren Integration in das unterrichtliche Handeln entwickeln (vgl. dazu z.B. die Beiträge in S EIDL 2007 sowie von B LELL / H EBLER , K OLLENROTT und H ALLET in M ÜLLER -H ARTMANN / S CHOCKER - VON D ITFURTH 2008). Zweitens müssen die mit der intermedialen Relationierung von Bildern und Texten verbundenen kognitiven und diskursiven Anforderungen und Prozesse besser erforscht, verstanden und didaktisch modelliert werden. Die Grundlage dafür bildet die Erkenntnis, dass Narrativität als kognitives Schema medienunabhängig ist und dass Bilder daher in narrative Texte und ihre Deutung überführt werden können und umgekehrt (vgl. W OLF 2002). Die dazu notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten sind im Fremdsprachenunterricht seit langem erfordert, z.B. in der täglichen Arbeit mit mannigfach bebilderten Lehrwerken, aber nie systematisch berücksichtigt worden (vgl. dazu H ALLET 2006). Es darf aber nicht, wie es oft geschieht, unterstellt werden, dass die Transformation von Bildern in fremdsprachliche Texte unproblematisch ist und der Intuition der Lernenden überlassen werden kann. Vielmehr handelt es sich um eine zu erwerbende und einzuübende Kompetenz, die auch, wie oben dargestellt, für die Identitätsprozesse junger Menschen und für die Reflexivität kulturellen Handelns essenziell ist. Dies impliziert, dass in der Lehrerbildung entsprechende didaktische Kompetenzen ausgebildet werden müssen. Drittens muss angesichts der Multimodalität von Erzähltexten literaturdidaktisch das Verständnis vom Leseprozess medial und modal geöffnet und rekonzeptualisiert werden. 152 Wolfgang Hallet 37 (2008) Denn textuelle Bedeutung wird hier transmodal konstitutiert, und die herkömmliche Interpretation, die sich auf den in der menschlichen Sprache verfassten Erzähltext verlässt, greift zu kurz und ist dem multimodalen Text inadäquat. Dem multimodalen Roman entspricht die transmodale Textinterpretation, in die neben den Bilddeutungen auch die Deutung anderer textueller Segmente wie z.B. enzyklopädischer Sachtexte, Briefe, mathematischer Problemlösungen (prominent in H ADDON 2004) oder kartographischer Abbildungen Eingang finden. Hierin liegen erhebliche, noch nicht bearbeitete Herausforderungen für die Literaturdidaktik, die hinsichtlich des Zusammenspiels von Bild und Wort durch die Anknüpfung an die Errungenschaften der Bilderbuchdidaktik und der Didaktik des Filmverstehens angegangen werden können. Für die Lernenden stellen sich die Anforderungen vielleicht als gar nicht so ungewohnt dar, weil sie vermutlich die Nähe der Erzählweise multimodaler Romane zu ihren eigenen signifying practices intuitiv erfassen. In Internetforen und Hypertexten, aber auch in Illustrierten und Magazinen sind multimodale Designs allgegenwärtig; und in scrap books und auf eigenen Webseiten, in Internetforen und blogs, in Selbstbeschreibungen und alltäglichen self-narratives beziehen junge Menschen neben der menschlichen Sprache wie selbstverständlich andere Modi und Medien ein. Von daher mögen sie die Erzählweise multimodaler Romane als geradezu natürlich und ‚normal‘ empfinden, während literaturwissenschaftlich gebildete Lehrende vornehmlich deren Innovationsgehalt und die damit verbundenen ungewohnten Anforderungen wahrnehmen. Diesen ‚Vorsprung‘ der multimodal sozialisierten Internetgeneration gilt es in der Literaturdidaktik und im Literaturunterricht zu nutzen. Literatur B REDELLA , Lothar (1987): „Die Struktur schüleraktivierender Methoden. Überlegungen zum Entwurf einer prozeßorientierten Literaturdidaktik“. In: Praxis des neusprachlichen Unterrichts 34.3, 233-248. F OËR , Jonathan. Safran (2005): Extremely Loud & Incredibly Close. London: Penguin. G IENOW , Wilfried / H ELLWIG , Karlheinz (1996): „Prozeßorientierung - ein integratives fremdsprachendidaktisches Konzept“. In: Der Fremdsprachliche Unterricht Englisch 30 (H. 21), 4-11. H ADDON , Mark (2004) [2003]: The Curious Incident of the Dog in the Night-time. London: Vintage. 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This article focuses on how the internet can be used to exploit the use of literary texts in the language learning classroom. Drawing on critical theory, it is suggested that hypermedia and fan fiction sites are two resources on the internet that can be used to promote the development of interpretive strategies and language awareness among language learners. Two key pedagogic principles, scaffolding and reflectivity, should inform the design of materials to be used with these resources. Bearing these principles in mind, some possible generic activities are proposed, which can be adapted for use with different groups of learners. 1. The background In recent decades, a number of different arguments have been advanced for using literary texts to promote the learning of the English language (see for example W IDDOWSON 1975; C OLLIE / S LATER 1987; D UFF / M ALEY 1990; L AZAR 1993; C ARTER / M C R AE 1996; P AR - KINSON / R EID T HOMAS 2000). In addition to the more traditional arguments that literary texts provide learners with a unique insight into English-speaking cultures around the world and also help to develop the ‘whole person’, two more specifically linguistic reasons for using literature are often cited. The first of these is that literary texts are uniquely open-ended in that there is no single way of analysing or interpreting such texts. As such, they offer language learners an opportunity to “be active participants and explorers of linguistic and cultural processes […]” (C ARTER 2007: 16). The second reason is that literary texts offer language learners an opportunity to develop their overall language awareness (W IDDOWSON 1975). By asking students to examine literary uses of language, we are developing their capacity to understand the specific meanings conveyed by a grammatical or lexical form in a particular context. This capacity, and the development of more sophisticated interpretive strategies, can then be transferred to other linguistic contexts, ranging from everyday conversations to the reading of academic texts. Concurrent to the development of these arguments for using literature in language teaching, the last few years have also seen the rapidly increasing global use of the internet. This has been accompanied by a range of contradictory reactions from parents and educators. Does the internet mean that young people no longer read, or does it provide Some Approaches to Literature, Language Teaching and the Internet 155 37 (2008) different opportunities for developing literacy? Does the internet promote more reading and literary culture through online book groups, websites and discussion boards, or does the online medium discourage the deep concentration required to grapple with a literary text? Is the internet a vast repository of helpful information about literature just a click away, or is it a jumbled mass of data that students find confusing to navigate? Is the internet democratising publishing by allowing many new literary voices to reach a wider audience, or is much of what is published online of poor quality? Does the internet give students access to information, or is it causing increasing amounts of plagiarism in education? Given these complicated questions, it is not surprising that educators often feel a sense of ambivalence towards the use of the internet for teaching purposes. Yet it is also a truism to state that more and more language learners around the world are daily users of the internet, and that many classrooms globally are using the internet to enhance language learning. What then, is the connection between using literary texts to promote the development of interpretive strategies and language awareness, and the use of the internet? Can the internet enable educators to use literary texts effectively to facilitate the learning of a foreign or second language? And taking it even a step further, in classrooms or lecture halls where the internet, or the technical expertise to use it, is not readily available, what lessons can we learn from the internet about using literature to promote language teaching? In order to consider these questions, we will begin by identifying certain key aspects of the internet which are relevant to the use of literary texts in language teaching. 2. Key aspects of the internet D EREWIANKA (2003) has identified three main types of electronic materials relevant for language teaching. Firstly, there is hypermedia or hypertext, which is the capacity to make links between different ‘bits of information’, through the use of pop-ups within a document, or hyperlinks between one site and another. In other words, hypertext is “[…] composed of blocks of text and the electronic links that join them”, while hypermedia can link “a passage of verbal discourse to images, maps, diagrams and sound” (L ANDOW 1992: 4). Secondly, multimedia allows for different forms of media, ranging from still text or graphics to animated text and graphics to sound and video. Hypertext and multimedia are often available to language learners in the form of CD-ROMs or other software, as well as on the internet. Finally, communication media, such as email, discussion boards, listservs, chatrooms and video conferencing, provide the opportunity for participants to actively communicate online with each other. In this paper, hypertext and one particular form of communication media, fan fiction sites, will be considered. Both of these have been of interest to literary theorists, and may therefore be of particular relevance in integrating the use of literary texts into language teaching. 156 Gillian Lazar 1 ‘The Dickens Web’ is a commercial product available from: http: / / www.eastgate.com/ catalog/ Dickens.html (Retrieved 11 February 2008). 37 (2008) 2.1 Hypertext and critical theory In a seminal work, L ANDOW (1992: 3) states that there are many significant “parallels between computer hypertext and critical theory”. He refers to the ideal textuality in Barthes’ S/ Z in which a text is a “galaxy of signifiers” (B ARTHES 1970, quoted in L AN - DOW 1992: 3), having numerous interconnections and networks between them. According to L ANDOW , electronic hypertext promotes this ideal textuality by making individual references easy to follow so that the “entire field of interconnections is obvious and easy to follow” (L ANDOW 1992: 4). In addition, hypertext also blurs the boundaries between reader and writer (ibid.: 5). Each time the reader chooses (or not) to follow a particular hypertextual link, he or she becomes actively engaged in constructing textual meaning. Thus, the reader is not simply a consumer, but a producer of textual meaning. While traditional print media privilege the principle of linear ordering in texts (that is, we generally read a book sequentially turning the pages), hypertext produces “multi-vocal networks of meaning” (B ROWNER [et al.] 2000: 170) that demand active text reconstruction by readers. Texts in which a reader can be active and creative are those which B ARTHES refers to as “writerly”, rather than “readerly” (B ROWNER [et al.] 2000: 170). 2.2 Hypertext and language learning In the language learning classroom, forms of media that actively involve students in the making of meaning can be seen to be a powerful tool. Nevertheless, from a pedagogic perspective, the use of hypertext can be problematic. Hypertext can be destabilising to novice readers, who may find themselves randomly following a series of links without being able to make meaningful connections between them. In addition, the way students conceptualise the reading of hyperlinks may be at odds with the instructors’ rationale for using hypertext. S MITH (1996), for example, describes a university classroom in which he used L ANDOW ’s hypertext ‘The Dickens Web’, which contains a wide variety of information on Dickens and Great Expectations with links between different materials. 1 S MITH makes the point that his students treated the Dickens Web as a reference tool, rather than as a pedagogic tool in which they had to play the role of active constructors of knowledge. Thus, they hoped to glean relevant facts from following the hyperlinks, rather than actively working to make explicit the frequently implicit connections between the links. In the language learning classroom these concerns should be paramount. Our students may not have sufficient proficiency in the language they are learning to be able to process text fairly automatically. Thus, the cognitive demands of fully processing hyperlinks are likely to be considerable. If hypertext enables our students to enter a sophisticated world of textual interconnections, then it also surely increases “our responsibility to teach them how to do this” (S MITH 1996: 125). Some Approaches to Literature, Language Teaching and the Internet 157 2 For ideas on how to get students developing their own webpages with hyperlinks, please see D UDENEY (2007: 133-135). For lists of websites where students’ work can be published, and where information about making webpages is available, please see D UDENEY (2007: 154). Updates to D UDENEY ’s book, as well as other information on using the internet in language teaching, can also be found at: http: / / www.cambridge.org/ elt/ chlt/ internet (Retrieved 12 February 2008). 37 (2008) This responsibility is important not only if we are to make use of hypertext for receptive purposes (i.e. when reading), but also if we are to make use of hypertext for productive purposes (i.e. when writing). This would involve our students in the creation of hypertext themselves. 2 For example, if students are able to create their own web pages they can be encouraged to ‘annotate’ a literary text, by inserting links from various points in the text to definitions of a highlighted word or phrase; a visual image; a piece of biographical, historical or cultural information that they believe is relevant to the word or phrase; a piece of relevant critical writing, or simply their own personal interpretation of the meaning or effect of a particular word, grammatical form or literary device used in the text. If neither computer facilities nor technical expertise are available, then a ‘low-tech’ approximation to the creation of hypertext could be developed in the classroom. Students can be asked to do some detailed research on a particular literary extract, using the internet or libraries if possible, and then create a large wall poster with the text in the middle. Hypertext can be simulated by drawing arrows from the relevant segments of the original text to ‘boxes’ on the poster surrounding the text. These boxes could contain the kinds of annotations and links to historical, cultural and biographical information mentioned previously. Both the ‘high-tech’ and ‘low-tech’ versions of hypertext encourage the development of interpretive strategies and improved language awareness, since by deciding what hyperlinks to include students have to use the linguistic evidence in the text to include commentary and written, audio or visual information that is both relevant and illuminating. Nevertheless, it should be recognised that a ‘high-tech’ and ‘low-tech’ version are fundamentally different. As K RAMSCH [et al.] (2000: 95) point out, an electronic medium “itself imposes it own aesthetic logic on the creation of the material”. K RAMSCH [et al.] describe a university classroom in which undergraduate students developed a CD-ROM for the teaching of Latin American culture. By responding to the rhetorical structures engendered by the electronic medium, students working on the project began to develop a deepened sense of “how knowledge is represented” (K RAMSCH [et al.] 2000: 88) and the way in which different media influence this representation. Thus, the representation of knowledge on a classroom wall poster will necessarily be different to that created by electronic hypertext, although developing both will call upon students to use interpretive skills in the creation of annotation and commentary. 158 Gillian Lazar 3 For a clear discussion of these different kinds of online tools, please see D UDENEY (2007), Chapter 3. 4 One of the most popular and extensive site is Fan Fiction, which can be found at: www.fanfiction.net (Retrieved 11 February 2008). 37 (2008) 3. Fan Fiction 3.1 Fan Fiction and critical theory The internet enables users in different parts of the world to communicate online via such tools as email, discussion boards, blogs, wikis, chatrooms, etc. 3 One particular type of communication media, relevant to the teaching of literature, is the fan fiction site. On these sites: “contributors to the site write stories in the style of particular narratives, sometimes additional episodes, sometimes parallel or related stories, often involving the same character as the original” (U NSWORTH 2006: 9). At times, the sites may demand strict rules governing the relationship of the new fiction to the original source fiction. Fans on sites write stories relating to their favourite books, cartoons, movies or TV shows, ranging from literature that forms a traditional part of the canon (such as the novels of Jane Austen) to contemporary popular fiction (such as J.K. Rowling’s Harry Potter series). 4 Just as hypertext is seen as engaging the reader in writerly, rather than readerly text, so too is fan fiction. Theorists of fan fiction, many of whom write fan fiction themselves, claim that fan fiction invites the reader to “enter, interpret and expand the text” (H ELLEK - SON / B USSE 2006: 6). Writers of fan fiction engage with the source text, which they then rework in complex, often subversive ways. The writing practices on fan sites encourage high levels of collaboration, with some writers composing and posting stories, which are often revised and rewritten after commentary and critique from other members of the fan community. Thus, individual authorship shades into collaborative authorship, and the stories become “shared readings, potentially offering other fans new ways to engage with a reoriented canon” (H ELLEKSON / B USSE 2006: 153). The postings made by writers of fan fiction can be described as the kind of “textual interventions” recommended by P OPE (1995) as a way of better understanding a text. P OPE argues that the best way for us to understand how a text works is: “[…] to change it: to play around with it, to intervene in it in some way (large or small), and then to try to account for the exact effect of what you have done” (P OPE 1995: 1). This intervention ranges from changing individual words or phrases in the text to recasting the base text in the style of another author (P OPE 1995: 192-201). Writers of fan fiction often extend a text before or after the events it represents, write alternative endings to the text or reframe the narrative by telling if from the perspective of another character. These can all be seen as examples of textual intervention that engage the reader’s interpretive strategies and extend his or her linguistic awareness. Some Approaches to Literature, Language Teaching and the Internet 159 37 (2008) 3.2 Fan Fiction and language learning Communication media, such as email, discussion boards, blogs and fan fiction sites can all be seen as encouraging the “collaborative construction of knowledge” (J OCHEMS et al. 2004), or in the case of fan fiction site, the “collaborative construction of fictions”. Reading literature may be seen by some young people as difficult and inaccessible, yet the high level of participation on fan fiction sites suggests that this form of literary output increases an enthusiasm for reading, narrows the distance between a literary work and its readers, and reinvigorates the interpretation of a text. Nevertheless, the use of such sites in the language learning classroom may be slightly problematic, both on a practical and pedagogic level. First of all, participating confidently in communication media in another language may appear to require a native speaker-like competence in the other language. This could prove off-putting to some learners, unless we provide support in working on the ‘nuts and bolts’ of text construction, such as grammar and vocabulary. In addition, while the language on the sites may well conform to the norms of standard British or American English, many educators may still feel that it is rather basic compared to the subtle literary effects of great canonical works. If we are teaching canonical literary texts, highly valued for their literary merit, should we be bothering to spend time on popular interpretations of these? Perhaps the answer is that reading these ‘popular’ responses to a work can be a useful way of deepening students’ interest in and enthusiasm for the literary work. It can also help them to reflect on its relevance to contemporary culture. Why, for example, do the novels of Jane Austen still have such a hold on the popular (largely female? ) imagination in the United Kingdom, as evidenced by so many postings on fan fiction sites? A third problem is that some of the material available on fan fiction sites may not be at all suitable for our students, and it is crucial that these sites are carefully vetted by teachers before students are exposed to them. Finally, educational classrooms are not necessarily the voluntary, self-organising groups such as those found on the internet. For example, many fan fiction sites are formed by voluntary groups of members, sharing a powerful common interest. Unless language learners are genuinely motivated to participate in such groups, the opportunity for authentic communication that they offer may remain unexploited. If we are to use such sites successfully in the classroom, we should therefore try to ensure that students have a choice in terms of which works they engage with as fans, rather than forcing them to engage only with our choices or with set works on the syllabus. Just as educators have a responsibility to help our students make use of hypertext, so too do we have a responsibility to enable our students to benefit from the use of communication media, such as fan fiction sites. In order to do so, what pedagogic principles need to inform our use of both hypertext and fan fiction sites? 160 Gillian Lazar 5 See, for example: The Victorian Web. http: / / www.victorianweb.org (Retrieved 12 February 2008) or the hyperlinked annotations for a poem by Wilfred Owen at: http: / / www.oucs.ox.ac.uk/ ltg/ projects/ jtap/ tutorials/ intro/ owen (Retrieved 12 February 2008). 37 (2008) 4. The Use of Hypertext and Fan Fiction 4.1 Pedagogic principles It seems that two pedagogic principles need to be in evidence if language learners are to benefit from the use of hypertext and fan fiction sites in the language-learning classroom. The first is that students cannot be expected to use either of these media unaided. Some kind of scaffolding, in the form of tasks or activities, should be provided to guide and support students, while also giving them space to make their own choices and decisions. This scaffolding should provide them with the tools to cope more effectively with the linguistic density of reading online in a second language. Secondly, the activities devised should encourage students in critical reflection so that we increase students’ awareness of the specific literacy practices resulting from the use of the online medium. For example, we should encourage students to consider the forms of connection occasioned by hyperlinks, and their possible effects on cognitive processing. We should encourage students to reflect on the kinds of collaborative writing apparent on fan fiction sites and how this might impact on the concept of individual authorship. In other words, our aims should not only be to exploit the internet resources available to use literature more effectively in language teaching, but also to encourage students to think critically about how their use of these resources influences literacy practices. It is hoped that such a pedagogy may go some way to recognising that the use of the internet is inevitable in many educational settings, but that we need to respond to it in critical, selfreflective ways so as to increase its educational potential for using literary texts in the language classroom. 4.2 Some suggested activities 1. R EADING H YPERTEXT Aims: To encourage students to reflect on how knowledge construction is influenced by different routes through hyperlinks Materials: An internet site relating to literature which features many hyperlinks 5 Activities: (1) After a source text has been read and studied by students, ask them to spend a set amount of time (for instance an hour) ‘browsing’ the site chosen. They should follow hyperlinks as they choose, but should note down the sequence of links as they move from one to the other. Anything interesting or relevant to the text in each link should also be noted down, using dictionaries to help decode unfamiliar vocabulary if necessary. (2) Using the notes they have taken while following the hyperlinks, students should prepare a short presentation to their classmates in which they describe any materials they found interesting or relevant. (3) After the presentations, ask the students what differences in content in the presentations were thrown Some Approaches to Literature, Language Teaching and the Internet 161 6 A Google search of the phrase ‘Great Expectations’, for example, on 8 February 2008 revealed a website advertising a shop for expectant parents and their babies, a dating agency and a company advertising holiday villas. What does this reveal about the way the title of Dickens’ book has crept into everyday linguistic usage and its resonance for native speakers of English? 37 (2008) up by different sequences of links. What sorts of links were easiest to follow? Which were harder? How did following the sequence of hyperlinks feel different from reading in print? 2. P REPARATION FOR C ONSTRUCTION OF H YPERTEXT Aims: To encourage students to: a) begin to gather material that can be used to construct hypertext b) reflect on the type of sites revealed by search engines, and what this reveals about the reception of a particular work. Materials: The internet. Activities: Using Google, Yahoo or any other search engine, ask students to conduct a search by inputting the key words for a particular literary work. They should note down some comments in response to these questions: 1. How many entries did your search reveal in total? 2. Looking at the first thirty entries, how many ... - provided critical literary theory (e.g. by academics at universities)? - provided background historical or biographical information? - provided a review of the book? - related to other versions of the literary texts, e.g. films, comics, TV series? - related to commercial sites advertising the sale of the text? - related to projects by school children? - used the name of the work for a company or service? 6 - provided the opportunity for readers to discuss or write something about the work? Were there any other kinds of entries you could add to the list above? Classroom discussion could then focus on what the answers to the questions reveal about the contemporary reception of a particular work. (This activity can also be used before a text is studied in order to stimulate students’ interest in the work.) Students should also be asked to choose two or three sites to explore in detail, which could help them with information for producing their own hypertext (see Activity 3). 3. C ONSTRUCTION OF H YPERTEXT Aims: To encourage students to use hypertext to annotate a literary text. Materials: An extract from a literary work studied by the students. Activities: Ask students, working in groups on order to encourage collaboration, to decide how they will provide hyperlinks to the literary extract. They should think about ... - which words or phrases in the text they might link to dictionary definitions; - which words or phrases they might link to their own commentary or interpretation; - which section of the text they might link to historical, biographical or cultural information; - which section of the text they might link to an image, such as a picture or photo; - which section of the text they might link to the views of a critic, or to other relevant websites. Once the students have constructed their hypertext, encourage other students to critique and discuss it. 4. R EADING OF F AN F ICTION Aims: To encourage students to explore alternative responses to a source text. Materials: Fan fiction sites, such as www.fanfiction.net. 162 Gillian Lazar 7 See, for example, the wealth of materials and opportunities available for online discussion at the British Council’s enCOMPASS website at: http: / / www.encompassculture.com (Retrieved 12 February 2008). 37 (2008) Activities: (1) After students have studied a text in the classroom, get them to read a number of responses by fans to the work. They should use dictionaries to help them decode any unfamiliar vocabulary. (2) Ask students to then summarise the story they have read, and to comment on whether they liked it or not. What do they think about its relationship to the original source text? What kind of critique or compliment would they offer its author? Are these the same as or different from postings by other fans? 5. W RITING OF F AN F ICTION Aims: To encourage students to write their own ‘fan story’ as an alternative to a source text. Activities: Fan fiction sites, such as www.fanfiction.net. (1) Ask students to write an ‘alternative’ text to the one they have studied in the classroom, or (if possible) a text they know and like. This could involve telling part of the narrative from an alternative point of view, changing the ending, moving the story to a different time or place, etc. (2) Encourage students working in groups to critique the grammar and vocabulary of each other’s versions before posting them up on a fan site. (3) Discuss responses to the posting with students, and help them with the grammar and vocabulary required for making any further changes to their story, or in responding to comments. (4) Discuss how they experienced the process of writing and receiving feedback, e.g. was it threatening or energising? Was it different from or the same as other forms of writing they have to do? At the end, how much do they feel that they ‘owned’ their story themselves, and how much did it feel part of a collaborative writing process? How do they feel about this? 5. Future developments There are many other ways of using the internet to integrate literature teaching into the language learning classroom, and these are likely to develop in the future. As computermediated communication (CMC) becomes more widespread in education, the use of web platforms (such as WebCT and Blackboard) will enable learners across the world to ‘talk’ online to each other about literary texts which they have studied. Open-access online discussion groups will continue to provide learners (and their teachers) with an opportunity to discuss literary texts, free of the constraints of the face-to-face classroom. 7 The searchability of the internet will allow for the possibility of “more scientific approaches to text” through the use of concordancing tools (B ROWNER [et al.] 2000: 4). Such tools can form the basis for many different classroom activities, enabling students to conduct in-depth linguistic analysis of literary texts. But, as with the use of hypertext and fan fiction sites in the classroom, a critical pedagogy needs to be adopted so that the internet can be harnessed to promote the development of interpretive strategies and linguistic awareness among language learners. Some Approaches to Literature, Language Teaching and the Internet 163 37 (2008) References B ROWNER , Stephanie / P ULSFORD , Stephen / S EAR , Richard (2000): Literature and the Internet: A Guide for Students, Teachers and Scholars. London: Garland Publishing. C ARTER , Ronald / M C R AE , John (1996): Language, Literature and the Learner: creative classroom practice. Harlow: Longman. C ARTER , Ronald (2007): “Literature and language teaching 1986 - 2006: a review”. In: Journal of Applied Linguistics 17.1, 3-13. C OLLIE , Joanne / S LATER , Stephen (1987): Literature in the Language Classroom. Cambridge: CUP. D EREWIANKA , Beverley (2003): “Developing Electronic Materials”. In: T OMLINSON , Brian (ed.): Developing Materials for Language Teaching. London: Continuum, 199-220. D UDENEY , Gavin (2007): The Internet and the Language Classroom. Cambridge: CUP. D UFF , Alan / M ALEY , Alan (1990): Literature. Oxford: OUP. H ELLEKSON , Karen / B USSE , Kristina (eds.) 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The British Council enCOMPASS CULTURE Website http: / / www.encompassculture.com (Retrieved 12 February 2008) The Victorian Web. http: / / www.victorianweb.org (Retrieved 12 February 2008) U NSWORTH , Len (2006): E-literature for Children: Enhancing digital literacy learning. London: Routledge. Virtual Seminars for Teaching Literature, Oxford University (http: / / www.oucs.ox.ac.uk/ ltg/ projects/ jtap/ tutorials/ intro/ owen) [Retrieved 12 February 2008] W IDDOWSON , Henry (1975): Stylistics and the teaching of literature. Harlow: Longman. http: www.fanfiction.net (Retrieved 11 February 2008). * Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Eva L EITZKE -U NGERER , Martin-Luther-Universität Halle, Institut für Romanistik, 06099 H ALLE . E-mail: eva.leitzke-ungerer@romanistik.uni-halle.de Arbeitsbereiche: Kreative und offene Unterrichtsformen, Film im Fremdsprachenunterricht, Mehrsprachigkeitsdidaktik, Regionalkulturen der Romania im Fremdsprachenunterricht. 37 (2008) E VA L EITZKE -U NGERER * Akustische Inszenierung von Erzählungen und Gedichten im fremdsprachlichen Literaturunterricht Hörspielarbeit mit französischen, spanischen und italienischen Texten Abstract. The attractiveness of literary texts in the foreign-language classroom can be increased by asking students to transform them into plays, or more specifically, into radio plays. This method can be applied not only to dramatic texts and narrative prose, but also to poetry. The transformation is straightforward if the poem contains the outline of a plot, which can be turned into suitable speaking roles and supported by music and acoustic effects. In the case of lyric poetry, other types of transformation may be necessary, like creating a combination of dialogue and an interior monologue representing the lyric persona. A more radical solution ‚deconstructs‘ the poem by adding additional plot elements; this may deviate from the mainstream interpretation, but it will add an interesting creative experience for the students. 1. Einleitung Dass die Rezeption von literarischen Texten einen Prozess darstellt, in den der Leser als sprachverarbeitendes, denkendes und fühlendes Subjekt aktiv eingebunden ist, ist heute zwar allgemein anerkannt; das Problem, wie Schüler gerade im Fremdsprachenunterricht zur vertieften Auseinandersetzung mit dem literarischen Text motiviert werden können, ist damit aber noch keineswegs gelöst. Als klassische Methode gilt die Textanalyse und, daran anschließend, die Textinterpretation, ein Verfahren, das sich primär auf die intellektuellen Fähigkeiten der Lerner stützt und deshalb nicht alle Schüler einer Klasse gleichermaßen ansprechen wird. Beliebter sind kreativ-produktive Zugangsformen wie die Füllung von Leerstellen im Handlungsablauf einer Erzählung oder das Verfassen einer neuen Anfangs- oder Endpassage; diese können allerdings zu einer Verselbständigung des kreativen Verfahrens auf Kosten des zugrunde gelegten literarischen Texts führen. Eine in der Unterrichtspraxis nach wie vor unterschätzte Möglichkeit, kreative Impulse mit einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Text zu verbinden, bietet die Inszenierung von literarischen Texten. Ein natürliches Endprodukt ist die Theateraufführung, die vor einem realen Publikum stattfinden oder als Videoaufnahme festgehalten werden kann; hier wird die visuelle mit der akustischen Inszenierung kombiniert. Doch auch die rein akustische Inszenierung, d.h. die Produktion eines Hörspiels auf der Basis eines literari- Akustische Inszenierung von Erzählungen und Gedichten im ... Literaturunterricht 165 1 Noch weniger aufwendig ist das Texttheater (in Anlehnung an Augusto Boals Zeitungstheater), in dem Texte collageartig verknüpft und in einer dramatischen Lesung in Szene gesetzt werden (vgl. L EITZKE -U NGERER 2006). 37 (2008) schen Texts, kann dazu genutzt werden, die Motivation der Schüler im Literaturunterricht zu steigern und zugleich eine intensive Beschäftigung mit dem Ausgangstext herbeizuführen. Dass das Hörspiel mit vier rein akustischen Mitteln - Stimme, Musik, Geräusch und Pause - im Kopf des Hörers Vorstellungen, ja sogar ‚Bilder‘ evoziert (E VERLING 1988: 12-13; H ICKETHIER 2003: 301), ist für die Lerner sowohl Anreiz als auch Herausforderung. Aus fremdsprachendidaktischer Sicht ist von Bedeutung, dass im Hörspiel das gesprochene Wort zentral ist und daher die Arbeit mit dem Text und der Sprache im Mittelpunkt steht. Gefördert werden dabei alle vier kommunikativen Fertigkeiten, wobei dem Aussprachetraining ein besonderer Stellenwert zukommt. Die Überlegungen zum Einsatz von Musik und Geräuschen stellen zudem einen für Schüler interessanten Sprechanlass dar. Aus unterrichtspraktischer Sicht ist entscheidend, dass sich ein Hörspielprojekt mit wesentlich geringerem Aufwand vorbereiten und durchführen lässt als eine Theateraufführung bzw. eine Videoproduktion 1 , auch wenn die Aufzeichnung dank entsprechender Software inzwischen gleichermaßen unproblematisch ist. Die Produktion von Hörspielen im muttersprachlichen Unterricht (stellvertretend: E VERLING 1988), aber auch im Englischunterricht (G ROENE 1980a/ 1980b) ist schon früh diskutiert und immer wieder, auch fächerverbindend mit dem Fach Musik, aufgegriffen worden (u.a. G ROENE 2001; J ENDROK o.J.; P ÖTTINGER 1997; R EHM 2003; T HIERSCH 2000). Für die romanischen Sprachen, um die es im vorliegenden Beitrag geht, gibt es bislang jedoch keine konkreten Vorschläge. Außerdem richtet sich das Augenmerk der Fachliteratur meist auf die Umsetzung von dramatischen und narrativen Texten; im Folgenden wird dieses Spektrum erweitert, indem die Eignung von Gedichten für eine akustische Inszenierung untersucht und die Ergebnisse von exemplarischen Inszenierungen vorgestellt werden sollen. Ausgewählt wurden dazu Texte aus der neueren französischen, spanischen und italienischen Literatur. 2. Die Ausgangstexte: Erzählungen und Gedichte Fragt man sich, welche literarischen Gattungen als Vorlage für die Hörspielproduktion am besten geeignet sind, so wird man sich, wie schon angedeutet, zunächst für Theaterstücke und andere dramatische Texte entscheiden; diese Texte haben den Vorteil, dass sie bereits in szenischer Form vorliegen und nur noch den Besonderheiten des auditiven Mediums Hörspiel angepasst werden müssen. Als zweite Gattung wird man an narrative Texte denken (Romane und Erzählungen), die Figuren und eine Handlung aufweisen und sich deshalb gut in eine szenische Form umsetzen lassen. Diese Prioritäten gelten für die außerschulische kommerzielle Hörspielproduktion (Rundfunk; Hörbuchmarkt), im unterrichtlichen Kontext aber nur dann, wenn man in erster Linie das Hörspiel als Endprodukt im Auge hat, nicht aber die sprachliche Leistung, die mit der Erstellung der 166 Eva Leitzke-Ungerer 2 Weitere Beispiele narrativer Texte, deren Umsetzung in ein Hörspiel z.T. mit Studierenden erprobt wurde, sind: Kriminalgeschichten von V ARGAS (Französisch) und García P AVON (Spanisch), kürzere Novellen von M AUPASSANT und L E C LÉZIO (Französisch), lateinamerikanische cuentos des magischen Realismus und seiner Vorläufer (Q UIROGA ; B ORGES ; F UENTES ; G ARCÍA M ÁRQUEZ ; A LLENDE u.v.a.), für das Italienische weiterhin R ODARI (Favole al telefono: bereits ab dem 2. Lernjahr), aber etwa auch Erzählungen von P IRANDELLO , M ORA - VIA , S CIACIA u.v.a. 3 Vgl. z.B. die Hörspielfassung von G OETHE s Ballade Der Zauberlehrling (in R EHM 2003: 22-29). 4 Weitere geeignete narrative Gedichte sind z.B.: für Französisch: C HARPENTREAU , La Rue Mouffetard, L A F ONTAINE , La cigale et la fourmi, P RÉVERT , La grasse matinée; für Spanisch: C ELAYA , Biografia, G OYTISOLO , Autobiografia, H IERRO , Requiem; für Italienisch: R ODARI , Ferragosto, L’accelerato, Il paese dei bugiardi. 37 (2008) Textvorlage für die Hörspielfassung verbunden ist. Diese sprachliche Leistung ist im Fall von narrativen Texten sehr viel mehr gefordert, da bei der Überführung in eine szenische Fassung, die nur akustisch dargeboten wird, zahlreiche Änderungen am Text vorgenommen werden müssen. Der vorliegende Beitrag konzentriert sich daher zunächst auf narrative Texte. Aus unterrichtspraktischen Gründen ist es ratsam, die Textauswahl auf kürzere Erzählformen (Novellen, (Kurz-)Geschichten, Märchen, Fabeln) zu beschränken. Günstig ist es außerdem, wenn der Ausgangstext bereits Dialoge enthält; diese sollten auf nicht mehr als vier bis fünf Figuren verteilt sein, die sich auch stimmlich gut differenzieren lassen. Schließlich sollte eine personale Erzählsituation vorliegen. Denn im Gegensatz zum Ich-Erzähler und zum auktorialen Erzähler ist der personale Erzähler als Erzählinstanz am wenigsten dominant; gleichzeitig erzählt er aus der Innenperspektive der Figuren. Beides zusammengenommen ermöglicht es, narrative Passagen des Ausgangstexts entweder auf ein Minimum zu beschränken oder sie in Dialoge und Monologe der handelnden Figuren aufzulösen. Ein Text, der diese verschiedenen Bedingungen erfüllt, ist die Kurzgeschichte La canzone del cancello von Gianni R ODARI ; dieser Text weist zudem - wie sich noch zeigen wird - die im Hinblick auf die akustische Inszenierung reizvolle Besonderheit auf, dass er das Abspielen einer Melodie, also einen musikalischen Effekt, als Teil der Handlung thematisiert. 2 Das Hauptinteresse des vorliegenden Beitrags gilt jedoch nicht den narrativen Prosatexten, sondern der Frage, in welchem Maß sich auch Gedichte für die akustische Inszenierung eignen. Dass man auch hier zunächst an diejenigen Gedichte denkt, in denen handelnde Figuren auftreten, eine Geschichte erzählt wird und bereits Dialoge vorhanden sind, versteht sich von selbst. Als Prototyp dieses narrativen Gedichts gilt in der deutschen Literatur die Ballade, die viele der Qualitäten aufweist, die oben für hörspielgeeignete narrative Prosatexte angeführt wurden. 3 In der neueren französischen, spanischen und italienischen Literatur sind es eher einzelne Autoren, die in ihren Gedichten Geschichten erzählen, darunter der schon erwähnte italienische Schriftsteller Gianni R ODARI oder Jacques P RÉVERT in Frankreich, dessen Gedicht Page d’écriture aus der Sammlung Paroles hier als Beispiel ausgewählt wurde. 4 Neben diesem Sonderfall des narrativen Gedichts eignen sich aber auch Texte, die als typische Vertreter ihrer Gattung gelten können, da sie im eigentlichen Sinn ‚lyrisch‘ sind, d.h. einen Eindruck, eine Stimmung, ein Gefühl des lyrischen Ich zum Ausdruck bringen, Akustische Inszenierung von Erzählungen und Gedichten im ... Literaturunterricht 167 37 (2008) dabei vordergründig oft handlungsarm wirken und viele semantische Leerstellen aufweisen. Dass sich ein solcher Text nicht schematisch in das Hörspielformat umsetzen lässt, verwundert nicht. Die akustische Inszenierung wird hier viel freier sein: Die Dialoge müssen nicht explizit aufeinander bezogen sein, sie werden ergänzt durch innere Monologe, die stimmlich abgesetzt sind, die Musik wird versuchen, nicht nur die Stimmung der Personen, sondern auch die Atmosphäre und die Musikalität des Gedichts als Ganzem einzufangen. Zumindest für den Einstieg in die Hörspielproduktion bieten sich Gedichte an, deren Gehalt sich - bei aller lyrischen Subjektivität - zumindest an der Oberfläche relativ konkret fassen lässt. Hier kommen etwa Stadt- und Naturgedichte in Frage, die Ansatzpunkte für eine szenische Gliederung und für unterschiedliche Sprecherrollen bieten und außerdem eine Untermalung durch spezifische Geräusche und Musik suggerieren. Beide Themenbereiche werden im Folgenden exemplarisch aufgegriffen, das Stadtgedicht anhand von Guillaume A POLLINAIRE s Le Pont Mirabeau, die Naturthematik durch das Gedicht La playa des Spaniers Eloy S ÁNCHEZ R OSILLO . 3. Vom literarischen Text zum Hörspiel: Die methodischen Schritte Als Rahmen für die Hörspielarbeit im Literaturunterricht empfiehlt sich das in der Forschung bereits mehrfach beschriebene Vier-Phasen-Modell, bestehend aus Texterschließung, Skripterstellung, Tonaufnahme und Präsentation der Produkte (vgl. u.a. G ROENE 2001: 349-351; N ÜNNING / S URKAMP 2006: 291-294). Hörspielunerfahrene Schüler sollten in einer vorgeschalteten Phase in die Spezifik der Gattung eingeführt werden. Abb. 1 gibt einen Überblick über den methodischen Ablauf, der von mir jedoch modifiziert und erweitert wurde. P HASEN DER H ÖRSPIELPRODUKTION 1. Einführung in die Hörspielproduktion (Plenum) C Erarbeitung der Merkmale des Hörspiels anhand von Hörbeispielen C Sammlung von Strategien und Tipps für die Hörspielproduktion (insbes. zu: Gestaltungsidee, Skripterstellung, Rollengestaltung und Tonaufnahme) 2. Erarbeitung der literarischen Ausgangstexte (Gruppenarbeit und/ oder Plenum) C (nach vorheriger Lektüre der Texte) Sammlung erster Eindrücke zu Inhalt und Form C Einsatz besonderer Formen des lauten Lesens wie z.B. kommentierendes Lesen (Gedichte) und Rollenlesen (Erzählungen) C Einigung auf eine Interpretation in den Gruppen bzw. im Plenum 3. Entwicklung der Gestaltungsidee (Gruppenarbeit) C Hörspiel als Vorgeschichte bzw. Fortsetzung des literarischen Texts oder Text als zentraler Bestandteil des Hörspiels C Verstärkung der Intention des literarischen Texts oder Gegenentwurf (kritische/ ironische Umgestaltung, Dekonstruktion) 168 Eva Leitzke-Ungerer 37 (2008) 4. Erstellung des Skripts: Umsetzung des literarischen Texts in einen Hörtext (Gruppenarbeit) C Gliederung in einzelne Szenen oder szenenartige Blöcke C Festlegung der Sprecherrollen C Textbearbeitung (Kürzungen, Erweiterungen, Umformungen) C Festlegung der Regieanweisungen für den Sprechtext C Festlegung von Geräuschen und Musik C Dokumentation: Das fertige Skript 5. Erstellung der Tonaufnahme (Gruppenarbeit) C Mehrmaliges Probelesen des Skripts C Aufnahme in Echtzeit (gleichzeitige Aufnahme von Text, Musik und Geräuschen) oder getrennte Aufnahme von Sprechtext, Musik und Geräuschen (mit späterer Bearbeitung durch Softwareprogramm) 6. Präsentation der Tonaufnahme und Evaluation (Plenum) C Anhören der Tonaufnahmen C Evaluation: Bewertung der Hörspiele, ggfs. auch des gesamten Hörspielprojekts Abb. 1: Erweitertes Phasenmodell der Hörspielproduktion zu literarischen Texten So trägt z.B. Phase 2, die Erarbeitung der literarischen Ausgangstexte, dem auditiven Charakter des späteren Hörspiels dadurch Rechnung, dass mit dem kommentierenden Lesen von Gedichten (vgl. N ÜNNING / S URKAMP 2006: 98) und dem Rollenlesen von Erzählungen besondere Formen des lauten Lesens zum Einsatz kommen. Ferner betrachte ich, gerade im Hinblick auf die akustische Inszenierung von Gedichten, die Entwicklung der Gestaltungsidee als eine zentrale und daher separate methodische Phase. Die folgenden Detailerläuterungen beziehen sich auf die wichtigsten Arbeitsschritte, beginnend mit der Gestaltungsidee. 3.1 Entwicklung der Gestaltungsidee Wie aus Abb. 1 (oben) hervorgeht, folgt auf die einleitende Vorstellung des Mediums Hörspiel und die erste Erschließung der Ausgangstexte die Entwicklung einer Regie- oder Gestaltungsidee für die akustische Inszenierung. Dabei ist zunächst die grundsätzliche Entscheidung zu treffen, ob der Text nur als Anlass für die Erstellung eines Hörspiels dienen soll, in dem dann aber eine mögliche Vorgeschichte oder eine zum Text passende Fortsetzung entworfen wird; diesen Vorschlag macht etwa T HIERSCH (2000: 426) in Bezug auf ein englisches Gedicht. Ein solches Konzept gewährt zwar den Schülern das größte Maß an kreativer Freiheit; der durch eine derartige Hörspielarbeit geleistete Beitrag zum Verständnis des literarischen Ausgangstexts ist jedoch relativ gering. Wählt man die Alternative und versteht man die akustische Inszenierung als einen Weg, den vorhandenen literarischen Text besser zu verstehen, wie dies hier beabsichtigt ist, so kann dies auf zweierlei Weise geschehen: Durch eine Verstärkung der Textintention oder durch eine kritische Auseinandersetzung mit ihr, die bis zur Dekonstruktion reichen kann. Der erste Weg, auf schulischem Niveau sicher der einfachere und hier Akustische Inszenierung von Erzählungen und Gedichten im ... Literaturunterricht 169 37 (2008) bereits ab dem zweiten oder dritten Lernjahr möglich, bietet sich vor allem dann an, wenn der Text durch einen deutlichen Kontrast gekennzeichnet ist, wie dies für P RÉVERT s Page d’écriture (als Beispiel des narrativen Gedichts) und für R ODARI s Erzählung La canzone del cancello zutrifft. In Page d’écriture stehen die Phantasie des Kindes und die ursprüngliche Natur (verkörpert durch den Vogel am Fenster des Klassenzimmers) im Gegensatz zur Monotonie des Schulalltags (repräsentiert durch eine Mathematikstunde). Beides ist im Text durch das Gespräch des Kindes mit dem Vogel bzw. durch die schematischen Rechenübungen des Lehrers schon szenisch angelegt und fordert zur Untermalung mit Vogelgesang, Musik und Geräuschen geradezu heraus. In La canzone del cancello wird die Phantasie des Kindes, das im Klang der Eisenstäbe des Zauns die schönsten Melodien hört, mit der nüchternen Perspektive der Erwachsenenwelt konfrontiert, in der dieser Klang nur als störender Lärm empfunden wird. Auch hier sind beide Perspektiven bereits in den in die Erzählung eingebetteten Dialogen und inneren Monologen angelegt und lassen sich auch musikalisch gut kontrastieren (vgl. Abschnitt 4.2). Von den beiden verbleibenden Beispielen weist S ÁNCHEZ R OSILLO s Gedicht La playa zwar ebenfalls einen Gegensatz auf, dessen erster Pol - ein Vater erzählt von einem glücklichen, zeitenthobenen Sommermorgen, den er mit seinem Kind am Strand verbringt - sich durchaus für eine dialogische Gestaltung anbietet. Der Gegenpol - das Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit angesichts des „schrecklichen Lärms der rasenden Zeit“ (Z. 24-25) - ist jedoch szenisch weniger leicht zu fassen, auch wenn der Text (vgl. Zitat) Hinweise zur klanglichen Untermalung enthält. Hier wird sich zeigen müssen, mit welchen Mitteln der akustischen Inszenierung die Verstärkung der Textintention zu erreichen ist. Während La Playa aufgrund der narrativen Ansätze eher im Randbereich des lyrischen Gedichts anzusiedeln ist, handelt es sich bei A POLLINAIRE s Le Pont Mirabeau um ein recht prototypisches Beispiel dieser Gattung. Hier ist die melancholische Stimmung der Vergänglichkeit, in der das lyrische Ich beim Anblick der Seine bis zur Verzweiflung versinkt, die dominante Textaussage, die man durch Geräusche wie z.B. das Fließen des Wassers oder eine passende musikalische Untermalung durchaus verstärken könnte. Wie aber lässt sich die Inszenierung als ‚Spiel‘ fiktiver Charaktere, die im Konzept des Hörspiels nun einmal impliziert ist, hier verwirklichen? Dies ist der Punkt, an dem sich die Frage nach der Zulässigkeit einer ‚Dekonstruktion‘ des Gedichts stellt, denn nur so können, wie sich in Abschnitt 4.4. zeigen wird, Sprecherrollen und damit eine szenische Fassung geschaffen werden. Für Oberstufenschüler würde dies sicher eine reizvolle Herausforderung darstellen und sie zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Text veranlassen; allerdings bringt eine solche Inszenierung eben auch eine gewisse Umdeutung des Gedichts mit sich. 3.2 Umsetzung des literarischen Texts in einen Hörtext: Die Skripterstellung In der Phase der Skripterstellung geht es um die Transformation des literarischen Texts in einen Hörtext. Wichtig ist, dass sich die Bearbeiter darüber im Klaren sind, dass der Sprecher im Hörspiel ‚körperlos‘ ist, dass er, wie eingangs erwähnt, nur durch seine 170 Eva Leitzke-Ungerer 37 (2008) Stimme existiert und dass darüber hinaus als Ausdrucksmittel wirklich nur Geräusche, Musik und Pausen zur Verfügung stehen. Dies muss schon beim ersten Arbeitsschritt, der Gliederung des Ausgangstexts in einzelne Szenen (bei den lyrischen Gedichten wird es sich eher um szenenartige Blöcke handeln), berücksichtigt werden. Ein Szenenwechsel (E VERLING 1988: 57-58) kann explizit nur durch verbale Vorankündigung in der vorhergehenden Szene oder durch verbale Neufixierung von Ort, Zeit oder Personen unmittelbar zu Beginn der neuen Szene ausgedrückt werden, implizit außerdem durch Pausen sowie das Aus-, Ein- und Überblenden von Geräuschen und Musik (in den Beispielen in Abschnitt 4 wird der zweite Weg gewählt). Bei der Festlegung der Sprecherrollen als nächstem Arbeitsschritt geht es im Fall von narrativen Texten darum, bereits vorhandene, in die Erzählung eingebettete Dialoge zu nutzen und die narrativen Passagen durch Rückgriff auf diese Dialogrollen umzuformen; die für das szenische Spiel untypische Rolle des Erzählers sollte entfallen oder auf ein Minimum reduziert werden. Gute Ansatzpunkte hierfür bieten die Skripts zum narrativen Gedicht Page d’écriture (vgl. 4.1) und zur Erzählung La canzone del cancello (vgl. 4.2). Etwas anders liegt der Fall bei Gedichten, die sich als Aussage eines lyrischen Ich verstehen. Hier müssen unterschiedliche Sprecherrollen oft erst geschaffen werden, und zwar so, dass sie den Gedichttext dialogisch-szenisch lebendig gestalten, gleichzeitig aber mit der intendierten Gestaltungsidee konform gehen. In Frage kommen Rollen, die unterschiedliche Facetten des lyrischen Ich repräsentieren (wobei die Erzählerfunktion wiederum nicht überstrapaziert werden sollte), aber auch Personen, die im Gedicht explizit genannt werden, sowie neu hinzu erfundene Figuren. Viele dieser Hinweise sind in den Hörspielskripts zu den Gedichtbeispielen La Playa und Le Pont Mirabeau verwirklicht (vgl. 4.3 und 4.4). Was die Details der Textbearbeitung betrifft, so lassen sich bei Erzählungen aus praktischen wie dramaturgischen Gründen Kürzungen nicht vermeiden. Dies gilt auch für La canzone del cancello, wobei die Kürzungen hier eher zu verschmerzen sind, da sie zum Teil durch die handlungstragende Musik ersetzt werden. Bei den lyrischen Gedichten dagegen sollte die Textvorlage mehr oder weniger vollständig beibehalten werden. Kleinere Änderungen im Zuge der Überführung in die szenische Form (Anpassung von Pronomina und Tempora; Wechsel der Satzart etc.) sind jedoch gestattet, ebenso wie die Einfügung neuer Textteile, sofern sie dazu dienen, die Gestaltungsidee umzusetzen. Wenn in solchen dramaturgisch bedingten Einschüben Passagen oder Wörter aus dem Ausgangsgedicht wieder aufgenommen werden (wie dies in den Skripts zu La Playa und Le Pont Mirabeau vorgesehen ist; vgl. 4.3 und 4.4), mildert dies den Eingriff in die Substanz des Texts. Eng verbunden mit der Erstellung des Sprechtexts sind die Regieanweisungen für die Sprecher, die neben der Lautstärke die emotionale Komponente (freudig, traurig, wütend, ängstlich, gleichgültig etc.) berücksichtigen. Dabei sollten die Schüler nicht nur den einzelnen Dialogbeitrag im Auge haben, sondern sich auch bemühen, wirksame Regiesequenzen zu schaffen - etwa die Steigerung von ‚melancholisch‘ zu ‚verzweifelt‘ (Rolle des Mannes in Le Pont Mirabeau, vgl. 4.4) oder auch in sich kontrastierende Sequenzen wie ‚spannungsvoll - monoton - laut - spannungsvoll‘ (Szene 3 in Page d’écriture, 4.1). Akustische Inszenierung von Erzählungen und Gedichten im ... Literaturunterricht 171 5 Aus Platzgründen musste in den Skripts auf entsprechende Hinweise verzichtet werden. 6 Wie z.B. http: / / voyard.free.fr/ textes_audio/ bruitage.htm für Französisch. 37 (2008) 3.3 Geräusche und Musik Sind Geräusche und Musik integraler Bestandteil der Handlung, wie etwa der Schuss in einer Kriminalerzählung, oder - in den hier behandelten Texten - der Klang der Gitterstäbe in La canzone del cancello oder der Vogelruf in Page d’écriture, so sollten sie möglichst naturgetreu erzeugt und an den entsprechenden Stellen des Handlungsablaufs eingefügt werden. Doch damit sind die Gestaltungsmöglichkeiten durch Geräusche und Musik keineswegs erschöpft. Sie reichen von der realistischen Geräuschuntermalung (wie z.B. Meeresrauschen, Küchengeräusche, zerbrechendes Glas in La Playa, 4.3) über den ikonischen Einsatz (z.B. absteigende Tonleiter für den herabflatternden Vogel, Page d’écriture, 4.2) bis zur Schaffung einer positiven oder negativen, freudigen, bedrohlichen oder melancholischen Atmosphäre (z.B. La Playa, 4.3, und Le Pont Mirabeau, 4.4). In dieser letzten und wohl wichtigsten Funktion ist die Position von Geräuschen und Musik im Verhältnis zum Sprechtext nur dann festgelegt, wenn es sich um eine atmosphärische Einstimmung oder einen entsprechenden Ausklang handelt. Für den Einsatz im Lauf der Inszenierung besteht grundsätzlich die Wahlmöglichkeit, Geräusche und Musik sukzessiv, d.h. im Wechsel mit dem gesprochenem Text, simultan oder teilweise überlappend mit dem Text einzusetzen, wobei sich durch die Möglichkeit des Ein-, Aus- und Überblendens zahlreiche Varianten ergeben. 5 Über die Beschaffung der einmal ins Auge gefassten Geräusche und Musik muss man sich im Medienzeitalter wenig Gedanken machen. Es besteht jedoch die Gefahr, dass sich die Lerner allein auf das Internet oder auf Kauf-CDs verlassen und sich gar nicht mehr bemühen, Geräusche und Musik selbst zu erzeugen. Dies wäre bedauerlich, denn auch mit solchen Aufgaben kann man Schülerinnen und Schüler zur Auseinandersetzung mit einem literarischen Text motivieren. So lässt sich, wie für das Gedicht Page d’écriture (4.2) vorgeschlagen, das monotone Chorsprechen der Rechenaufgaben mit Rhythmusinstrumenten (Kastagnetten, Klanghölzer etc.) unterlegen und der Vogelruf mit einer Flötenmelodie wiedergeben, die auch noch variiert werden kann. Geräusche wie das Rieseln von Sand (Page d’écriture, 4.2) oder das Rauschen des Meeres in La Playa (4.3) können von den Schülern selbst produziert werden; die Beschäftigung mit einer fremdsprachlichen ‚Geräuschewerkstatt‘ 6 fördert außerdem die Sprachkompetenz. 3.4 Dokumentation: Das fertige Skript Für das fertige Skript, als Dokumentation der bisherigen Arbeitsschritte und als Rollenskript für die anschließende Tonaufnahme, hat sich eine tabellarische Form bewährt, die Spalten für die Szenen, die Rollen, den Sprechtext, Regieanweisungen für die Sprecher und eine Spalte für Musik und Geräusche vorsieht. Diese Vorlage kommt auch in den Skripts für die hier ausgewählten Texte zur Anwendung. Eine explizite Notation von Geräuschen und Musik (wie sie J ENDROK (o.J.) für ein fächerverbindendes Hörspiel- 172 Eva Leitzke-Ungerer 7 An der Hörspielproduktion waren folgende Studierende beteiligt: Julia Mokosch (von ihr stammt auch die Vogelruf-Melodie, vgl. Abb. 2 [S. 173]) sowie Constance Beck, Kristin Giolbas, Christine Kentschke, Nadine Werg, Gryzyna Werner (Page d’écriture), Katharina Glanz, Juliane Götze, Alexander Lebek, Franziska Röder, Angela Schaef (La canzone del cancello), Kati Henschler, Alla Klimenkowa, Julia Prast, Kathrin Rehfeld (La Playa), Michael Schneider (federführend), Alida Koch, Vivien Könnemann (Le Pont Mirabeau). 37 (2008) projekt Deutsch-Musik vorschlägt) kann hier nur exemplarisch für den Vogelruf im Skript von Page d’écriture (Abb. 2) gezeigt werden. 4. Das Endprodukt: Die akustische Inszenierung als Kurzhörspiel Die folgenden Vorschläge für die akustische Inszenierung der Beispieltexte wurden im Wesentlichen im Rahmen meines Seminars ‚Sprache und Musik im Fremdsprachenunterricht‘ im WS 2007/ 08 erarbeitet. 7 Vorgestellt werden hier die Skripts, die der Tonaufnahme zugrunde gelegt wurden, wobei das Skript für die Erzählung La canzone del cancello aus Platzgründen nur in Auszügen erscheint; die Skripts für die Gedichte Page d’écriture, La Playa und Le Pont Mirabeau werden vollständig wiedergegeben. 4.1 Jacques P RÉVERT , Page d’écriture Das Gedicht aus der Sammlung Paroles (1949) ist typisch für die Gedichte und Geschichten von Jacques P RÉVERT (1900-1977), die vielfach um die Flucht aus dem Alltag in die Welt der Phantasie, der Freiheit, der Träume kreisen und im Französischunterricht gerne und häufig gelesen werden. Page d’écriture erzählt von einer Mathematikstunde, in der der Lehrer die Kinder mit dem Aufsagen von Rechenaufgaben traktiert. Plötzlich aber sitzt ein Vogel, der „oiseau-lyre“ auf der Fensterbank, und die Stunde nimmt eine ungeahnte Wendung: Die Kinder spielen mit dem Vogel, sie hören sein Lied; die Zahlen geraten durcheinander und machen sich einfach davon; Tische, Fenster, das ganze Klassenzimmer löst sich auf, der Federhalter wird wieder zum Vogel. Das Gedicht kann aufgrund seiner Thematik - welcher Schüler würde einer langweiligen Schulstunde nicht auch gerne entfliehen? - und seines geringen sprachlichen Schwierigkeitsgrads bereits am Ende des zweiten Lernjahrs eingesetzt werden. Personnages Texte Ton de lecture Musique et bruitage 1 Élèves Maître Élèves Deux et deux quatre quatre et quatre huit huit et huit font seize Répétez ! Deux et deux quatre quatre et quatre huit huit et huit font seize monotone, blasé à voix forte, sévère monotone, blasé Élèves qui bavardent; sonnerie Castagnettes : rythme monotone Castagnettes : rythme monotone Akustische Inszenierung von Erzählungen und Gedichten im ... Literaturunterricht 173 Personnages Texte Ton de lecture Musique et bruitage 37 (2008) 2 Narrateur Enfant Narrateur Enfant Mais voilà l’oiseau-lyre qui passe dans le ciel l’enfant le voit Ah … ! l’enfant l’entend l’enfant l’appelle : Sauve-moi joue avec moi oiseau ! posé étonné posé surpris impératif gai Flûte : cri d’oiseau Flûte : cri d’oiseau 3 Narrateur Élèves Maître Narrateur Alors l’oiseau descend et joue avec l’enfant Deux et deux quatre … Répétez ! et l’enfant joue l’oiseau joue avec lui … avec suspense monotone à voix forte avec suspense Flûte : gamme descendante - Cri d’oiseau Castagnettes : rythme monotone Flûte : cri d’oiseau 4 Élèves Maître Enfant Narrateur Quatre et quatre huit huit et huit font seize et seize et seize qu’est-ce qu’ils font ? Ils ne font rien seize et seize et surtout pas trente-deux de toute façon et ils s’en vont. monotone interrogatif affirmatif têtu triomphant Castagnettes : rythme monotone Flûte : notes de musique en désordre Flûte : gamme montante 5 Narrateur Élèves Narrateur Élèves Narrateur Maître Et l’enfant a caché l’oiseau dans son pupitre et tous les enfants entendent sa chanson et tous les enfants entendent la musique et huit et huit à leur tour s’en vont h-u-i-t et h-u-i-t et quatre et quatre et deux et deux à leur tour fichent le camp q-u-a-t-r-e et q-u-a-t-r-e et d-e-u-x et d-e-u-x et un et un ne font ni une ni deux un à un s’en vont également. Quand vous aurez fini de faire le pitre ! à voix basse, mais insistante plus fort triomphant à voix basse ; lent triomphant à voix basse ; lent triomphant énervé Pupitre qui se rabat Flûte : chant de l’oiseau Effet d’écho Flûte : chant d’oiseau L’enfant chante « Le coq est mort » 6 Narrateur Mais tous les autres enfants écoutent la musique et les murs de la classe s’écroulent tranquillement. posé incantatoire, avec suspense Flûte : chant de l’oiseau 174 Eva Leitzke-Ungerer Personnages Texte Ton de lecture Musique et bruitage 37 (2008) Narrateur - Enfant N: Et les vitres redeviennent E: … sable N: l’encre redevient … E: … eau N: les pupitres redeviennent E: … arbres N: la craie redevient … E: … falaise N: le porte-plume redevient E: … oiseau Enfant : enthousiaste Sable qui s’écoule Clapotement d’eau Bruit de feuilles Bruit d’une chute d’eau Flûte : chant de l’oiseau Abb. 2: Skript zur akustischen Inszenierung von P RÉVERT , Page d’écriture Wie das Skript (Abb. 2) zeigt, lässt sich vor allem der erste Teil des Gedichts mühelos in Redebeiträge der Schulklasse, des Lehrers und des Kindes umsetzen. Für den Lehrer und das Kind wird die direkte Rede explizit angekündigt („dit le maître“, Z.4, „l’enfant l’appelle“, Z. 12), ein späterer Redebeitrag des Lehrers ist sogar mit einer Regieanweisung versehen („le professeur crie“, Z. 42). Interessant ist, wie die Umsetzung in den Hörtext in den letzten beiden Szenen (Sz. 5 und 6 in Abb. 2) erfolgt, in denen die Diktion des Gedichts dominant narrativ ist. In Szene 5 wird der Bericht des Erzählers vom ‚Verschwinden‘ der Zahlenreihen aus dem Klassenraum durch die gedehnte, allmählich leiser werdende Wiederholung der Zahlwörter durch die Schülergruppe akustisch realisiert, also unter Nutzung einer schon vorhandenen Sprecherrolle, wobei durch die Auflösung des Chorsprechens in nichtsynchrone Einzelstimmen ein zusätzlicher Effekt erzeugt werden kann. Die anschließende Beschreibung des Erzählers der Auflösung der Gegenstände des Klassenzimmers in ihre ursprünglichen, natürlichen Bestandteile wird mit dem Aufgreifen der Schlüsselwörter sable, eau, arbre, falaise und oiseau durch das Kind dialogisch aufgebrochen, unterstützt von den entsprechenden Geräuschen (Sandrieseln, Wasser- und Blätterrauschen, Wasserfall) und dem Vogelruf als Flötenmelodie. Insgesamt ergibt sich eine überzeugende Symbiose der akustischen Mittel. 4.2 Gianni R ODARI , La canzone del cancello La canzone del cancello (Das Lied des Gitterzauns), publiziert in der Sammlung Il gioco dei quattro cantoni (1980), lebt von der Wiederholung einer simplen Situation: Ein kleiner Junge kommt auf dem Heimweg von der Schule an einer eleganten Villa mit einem Gitterzaun vorbei und bringt die Gitterstäbe zum Klingen, indem er mit einem Lineal darüberstreicht. Was er dabei hört, ist eine wunderbare Melodie, eben die „canzone del cancello“, und diese in vielen Variationen. Eines Tages öffnet sich ein Fenster der Villa; ein alter Mann schreit den Jungen an, dass er sofort mit dem Krach aufhören solle; das Kind wagt es nicht, sein Spiel fortzusetzen. Viele Jahre später ist aus dem Jungen ein Bankangestellter geworden. Als er wieder einmal in der Stadt seiner Kindheit ist und vor Akustische Inszenierung von Erzählungen und Gedichten im ... Literaturunterricht 175 37 (2008) der Villa steht, trifft er auf einen kleinen Jungen. Auch dieser streicht mit seinem Lineal über die Stäbe des Gitterzauns, auch dieser behauptet, ganz unterschiedliche Melodien zu hören. Aber der Bankangestellte hört nur ein monotones „dlèn-dlèn-dlèn“ - die Welt der wunderbaren Melodien, der kindlichen Phantasie, bleibt dem Erwachsenen verschlossen. Personnaggi Testo Tono di lettura Musica e rumori 1 Narratore Bambino 1 Narratore Bambino 1 Narratore Bambino 1 (monologo interiore) Un bambino tornava dalla scuola sempre per la stessa strada. Ma un giorno cambiò strada. Ben presto gli apparve un grande parco, che una lunga inferriata divideva dal suo marciapiede. Che bello … che bella inferriata … Estrasse dalla cartella il righello e lo fece scorrere sulle sbarre di ferro, fin che il pilastro di pietra di un cancello interruppe la sua corsa. Suonava l’inferriata, come si può suonare uno xilofono o un pianoforte. Che bella canzone. La chiamerò «la canzone del cancello». Ma … è cosí tardi … tornerò domani. Ormai percorreva sempre la strada nuova. Inventava sempre nuove canzoni, battendo a tempo sulle sbarre. … una canzone per ciascuno degli alberi nel parco: il pino, l’abete, il cedro del Libano, lo snello cipresso puntato come un dito a far solletico alle nuvole … una canzone per il viale che saliva verso la villa, per i sentieri che si addentravano nelle verdi gallerie sotto gli alberi, una canzone per i cespugli e per le aiuole fiorite … neutro, nel tono di un raccontatore di storie gioiosamente sorpreso gioioso, eccitato allegro, sempre più entusiasta Xilofono: canzone del cancello Cinguettio degli uccelli Canzone del cancello Orologio della torre: 3 rintocchi Variazioni della canzone del cancello Canzone del cancello 2 Narratore Il vecchio Un giorno, mentre stava provando sulle sbarre una nuova canzone, scese dalla villa una voce. Ragazzo, la smetti? È un'ora che mi rompi le orecchie con quello stupido giochetto! … Hai fatto abbastanza chiasso, impedendomi di leggere. Ora vattene a casa e non ci riprovare mai più o avvertirò la guardia! a voce alta, adirato minaccioso Sbarre di ferro: dlèn dlèn dlèn 3 Bambino 2 Impiegato […] La cameriera dice che io sono un maleducato e turbo la quiete. Ma non è vero. Io non faccio rumore, io suono. Vuole sentire? Su, sentiamo. un po’ abbattuto sicuro di sé consenziente Sbarre di ferro: dlèn dlèn dlèn 176 Eva Leitzke-Ungerer Personnaggi Testo Tono di lettura Musica e rumori 37 (2008) Bambino 2 Impiegato Narratore Bambino 2 Narratore Impiegato (monologo interiore) Bambino 2 Impiegato Ascolti, questa è «la canzone del castagno morente». Lo vede là, quell’albero? È un castagno. È malato, come quasi tutti i castagni in Europa. Questa è una cosa che abbiamo studiato a scuola. Sentiamo. Ma l'impiegato sentiva sempre la stessa nota, un po' sorda. Sente? Il castagno è malato, però non è triste, perché gli uccelli fanno ancora il nido tra i suoi rami. Capisce? … Perciò la canzone non deve finire con una nota bassa, come una campana a morto, ma con una nota alta e serena. Ora l’impiegato capiva perché il vecchio signore, quella volta, l'aveva sgridato con tanta acidità. Un orecchio adulto non è più capace di udire la musica che un bambino mette nelle sbarre con il suo righello e con la sua fresca immaginazione. Le è piaciuto? Molto. Moltissimo. spiegando con zelo impaziente, curioso convinto entusiasta spiegando sottovoce, un po’ triste curioso pensieroso Canzone del castagno Sbarre di ferro: dlèn dlèn dlèn Canzone del castagno Sbarre di ferro: dlèn dlèn dlèn (forte) in alternanza con la canzone del castagno (piano sullo sfondo) Abb. 3: Skript (Auszug) zur akustischen Inszenierung von R ODARI , La canzone del cancello Betrachtet man den Ausgangstext unter dem Aspekt der Dialogisierung für ein Hörspiel, so wird man zuerst die Passagen in direkter Rede ins Auge fassen. In der ersten Episode handelt es sich dabei um Einzeläußerungen des Jungen (der seine Begeisterung ausdrückt) und des alten Mannes (der sich den Lärm verbittet); ein Dialog zwischen den beiden kommt aber nicht zustande, da der Junge dem Mann nichts erwidert, sondern wegläuft. In der zweiten Episode ergibt sich dagegen ein echtes und auch längeres Gespräch zwischen dem Bankbeamten (dem Kind der ersten Episode) und dem Jungen, in dem beide kooperieren wollen: Das Kind will erklären, der Erwachsene will verstehen. Ebenso wichtig wie die dialogischen Elemente sind für die Inszenierung der Geschichte aber auch die inneren Monologe des Protagonisten, da erst durch sie die Diskrepanz zwischen der kindlichen Phantasiewelt und der Erwachsenenperspektive ausgedrückt werden kann. Um das Potenzial des inneren Monologs voll zu nutzen, der als Sprecherrolle auch akustisch von den Dialogen und dem ‚normalen‘ Monolog abgesetzt werden sollte (z.B. durch Sprechen in eine leere Flasche), wurden im Skript noch zwei weitere narrative Passagen in innere Monologe umgesetzt. Die erste monologisierte Passage (kursiv gesetzt im ersten Auszug aus dem Skript, Abb. 3) beschreibt die Vielfalt der Melodien, die der Junge hört (die Melodien der verschiedenen Bäume, der Wege etc.); die zweite derartige Passage (kursiv gesetzt im zweiten Auszug aus dem Skript) wendet das Resümee der Geschichte, den Verlust der Akustische Inszenierung von Erzählungen und Gedichten im ... Literaturunterricht 177 37 (2008) kindlichen Phantasie im Erwachsenenalter, von einer ursprünglich allgemeinen Erzähleraussage zu einer persönlichen Erfahrung des Protagonisten. Beide Passagen sind auch auf besondere Weise mit der musikalischen Gestaltung der Inszenierung verknüpft, die sich hier auf drei Elemente beschränkt, die sich alle gut auf dem Xylophon spielen lassen: Die monotone Klangsequenz der Gitterstäbe, die der Bankangestellte hört (in Text und Skript notiert als dlèn-dlèn-dlèn) sowie das Lied des Gitterzauns und das Lied der Kastanie, beides die musikalischen Reflexionen der kindlichen Phantasie. Dabei sollte die „canzone del cancello“ eine fröhliche, variationsreiche Melodie sein; die „canzone del castagno“ muss eher traurig und melancholisch sein, weil der Text hier auch auf die Umweltschäden anspielt, von denen die Kastanie betroffen ist. Im Wechsel mit der dlèn-dlèn-dlèn-Sequenz kann die Kastanienmelodie u.a. zur Untermalung des zweiten oben genannten inneren Monologs herangezogen werden und so die Botschaft des Texts unterstreichen. 4.3 Eloy S ÁNCHEZ R OSILLO , La playa Das Gedicht La playa aus der Feder des 1948 geborenen spanischen Literaturprofessors Eloy S ÁNCHEZ R OSILLO entstammt der Sammlung Autorretratos (1989) und kontrastiert, wie schon erwähnt, die Erinnerung des Vaters an einen Sommermorgen am Strand mit seinem Kind und das ihn dann überkommende bedrückende Gefühl der Vergänglichkeit. Dialogtechnisch besteht La Playa aus einem langen Monolog (39 Zeilen), in dem ein lyrisches Ich (der Vater) zu sich selbst und über ein „Du“ spricht, das als Kind zu identifizieren ist (z.B. „Oigo tu risa, tus palabras de niño.“, Z. 3-4 im Gedicht), vom Vater aber nicht direkt angeredet wird. Personajes Texto Tono de lectura Música y ruidos 1 Madre Narrador Madre Niño Madre Nadie podrá quitarme la ilusión de soñar que ha existido esta mañana Se ha detenido el tiempo Oigo tu risa, tus palabras de niño. Nunca he estado tan conforme con todo, tan segura de mi alegría. Juegas junto al agua, y te ayudo a recoger chapinas, a levantar castillos de arena ¡Mamá, mira mi castillo! ¡Qué maravilla! feliz, lento lento, tranquilo feliz, emocional excitado entusiasmado G. Fauré: Sicilienne Sonido del mar Sonrisa del niño Martillear de chapinas Sonido del mar 2 Narrador Padre Madre Por la noche ... Cariño ¿cómo fue en la playa? No puedes imaginarte, nuestro niño iba corriendo de un sitio para otro, chapoteaba, daba gritos, se caía, corría de nuevo y luego se detuvo a mi lado y lento abierto, curioso feliz, emocional, poco a poco más rápido Ruidos de la cocina y de la cena Sonido del mar 178 Eva Leitzke-Ungerer Personajes Texto Tono de lectura Música y ruidos 37 (2008) Padre me abrazó y yo besé sus ojos, sus mejillas, su pelo Que niñez jubilosa feliz, emocional Sonido del mar, ruidos de la playa 3 Narrador Madre El mar estaba muy azul y muy plácido. A lo lejos, algunas velas blancas. El sol dejaba su oro violento en nuestra piel. Es cierto este milagro, es verdad el inmóvil fluir de la quieta mañana, la ilusión de soñar el remanso dulcísimo en el que acontecemos como seres dichosos de estar vivos, felices de estar juntos y de habitar la luz. emocional, lento feliz, emocional G. Fauré: Sicilienne Sonido del mar (en el fondo) G. Fauré: Sicilienne 4 Narrador Madre Narrador Madre Narrador Pero se escucha, de pronto, el ruido terrible y oscuro y velocísimo que hace el tiempo al pasar, y la firmeza del sueño se rompe; se hace añicos La ilusión de estar aquí, contigo, junto al agua. El cielo se oscure, el mar se agita. Se siente en la sangre el vértigo espantoso de la edad: en un instante, transcurren muchos años El niño crece y se aleja Ya no eres el niño que jugaba conmigo en la playa. Eres un hombre ahora, y tú también comprendes que no existió, ni existe, ni existirá este día, la venturosa fábula de mis ojos mirándote, la leyenda imposible de tu infancia. Estás solo, y me buscas. Pero yo he muerto acaso. Somos sombras de un sueño, niebla, palabras, nada. emocional, nervioso emocional, ancioso excitado triste, melancólico emocional, lento, melancólico, ancioso claro y lento Música moderna rítmica (Moods) Sonido de un vaso que se rompe Sonido del mar agitado PAUSA Risa del niño (muy baja, en el fondo) Sonido del mar (muy bajo, en el fondo) Música moderna rítmica (Moods) Abb. 4: Skript zur akustischen Inszenierung von Eloy S ÁNCHEZ R OSILLO , La playa Wie aus dem Skript (vgl. Abb. 4) zu ersehen ist, wurden bei der akustischen Inszenierung folgende Änderungen vorgenommen: C Einführung zusätzlicher Sprecherrollen: Neben dem Vater sprechen nun auch die Mutter, das Kind und ein Erzähler. Es ist außerdem die Mutter und nicht der Vater, die über den Sommertag und die Vergänglichkeit reflektiert; dies ergab sich aufgrund der Akustische Inszenierung von Erzählungen und Gedichten im ... Literaturunterricht 179 37 (2008) Zusammensetzung der studentischen Gruppe, in der es mehr weibliche als männliche Sprecher gab; eine ähnliche Situation dürfte auch für viele Spanischklassen anzunehmen sein. • Der lange Monolog des lyrischen Ich wird im ersten Teil durch zwei Dialoge (im Skript kursiv gesetzt) und im Gesamtskript durch die Aufteilung der Reflexionen des Vaters aus dem Gedicht auf zwei Sprecher - die Mutter und den Erzähler - aufgebrochen. • Der erste dieser Dialoge ist ein kurzer Einschub (Niño: „Mamá, mira mi castillo.“ - Madre: „¡Qué maravilla! “); mit „maravilla“ (‚Wunder‘) wird bewusst ein Bezug zu einem Schlüsselwort des Gedichts, „milagro“ (Z. 17, ebenfalls ‚Wunder‘) hergestellt. Der zweite Dialog greift eine Passage aus dem ersten Teil des Gedichts auf, der Zeitpunkt der Äußerung ist nun aber verschoben auf den Abend des Sommertags; die Mutter schildert dem Vater rückblickend die Erlebnisse am Strand. Der im Gedicht an das Kind gerichtete Ausdruck „tu niñez jubilosa“ (Z. 12) wird dem Vater in den Mund gelegt, der ihn ins Allgemeine wendet („¡Qué niñez jubilosa! “). • Von den reflektierenden Passagen des Vaters im Originaltext werden im Skript der Mutter die Textstellen zugeordnet, in denen es um das persönliche Erleben geht (grammatisch sichtbar an Verbformen und Pronomina, z.B, „Nadie podrá quitarme la ilusión“, Z. 1); der Erzähler spricht die Passagen, die in allgemeiner Form die Schönheit des Sommertags („El mar esta[ba] muy azul …“, Z. 12-15) bzw. die Bedrohung durch die Vergänglichkeit thematisieren; persönliche Verbformen (z.B. „escucho“) wurden dazu im Skript in unpersönliche umgewandelt („Pero se escucha … el ruido terrible … que hace el tiempo al pasar“, Z. 23-25). Auch die letzte Zeile, die die Vergänglichkeit allen menschlichen Lebens in ebenso einfachen wie eindrucksvollen Worten beschreibt, wird vom Erzähler gesprochen. Mittels dieser im Grunde geringfügigen Änderungen wird der Monolog des lyrischen Ich zwar nicht in eine Folge von realistischen Sprechsituationen umgewandelt; erreicht wird aber doch eine dialogische Auflockerung, die zusammen mit den sich anbietenden Geräuschen (Meeresrauschen, Kinderlachen etc.) und dem musikalischen Kontrast zwischen der heiteren, fast schwärmerischen Sicilienne von Gabriel Fauré als Einstieg und dem harten Rhythmus der modernen Komposition Moods eine überzeugende akustische Inszenierung ermöglicht. 4.4 Guillaume A POLLINAIRE , Le Pont Mirabeau Dieses Gedicht aus der Sammlung Alcools (1913) ist nicht von ungefähr eines der bekanntesten und beliebtesten Gedichte von Guillaume A POLLINAIRE (1880-1919), geschrieben an der Schwelle zwischen Symbolismus und Surrealismus. In einfachen Worten spricht es von der verrinnenden Zeit und vom Vergehen der Liebe; Symbol für beides ist die Seine, die unter dem Pont Mirabeau dahin fließt. Die ewige Wiederkehr des Immergleichen - auf Hoffnung und Freude folgen Schmerz und Verlust - spiegelt sich u.a. im leitmotivisch wiederkehrenden Refrain wider, dessen schwingender, fast tänzerischer Rhythmus im Kontrast zur melancholischen Gesamtaussage des Gedichts steht. 180 Eva Leitzke-Ungerer 37 (2008) Personnages Texte Ton de lecture Musique et bruitage 1 L’homme La femme Narrateur Sous le pont Mirabeau coule la Seine Et nos amours Faut-il qu’il m’en souvienne La joie venait toujours après la peine Ah, quelle peine, le pauvre ! Vienne la nuit sonne l’heure Les jours s’en vont il demeure mélancolique ironique neutre Musique symphonique moderne Bruit d’eau ; son rythmé et répété Effet d’écho Son de cloches PAUSE 2 L’homme La femme Narrateur Les mains dans les mains restons face à face Tandis que sous Le pont de nos bras passe Des éternels regards l’onde si lasse Rien n’est éternel ! Vienne la nuit sonne l’heure Les jours s’en vont il demeure mélancolique supérieur neutre Bruit d’eau ; son rythmé et répété Effet d’écho Son de cloches PAUSE 3 L’homme La femme Narrateur L’amour s’en va comme cette eau courante L’amour s’en va Comme la vie est lente Et comme l’Espérance est violente J’en ai marre de toi Vienne la nuit sonne l’heure Les jours s’en vont il demeure mélancolique blasé neutre Bruit d’eau ; son rythmé et répété Effet d’écho Son de cloches PAUSE 4 L’homme La femme Narrateur Passent les jours et passent les semaines Ni temps passé Ni les amours reviennent Sous le pont Mirabeau coule la Seine Eh bien, saute, si tu veux ! Vienne la nuit sonne l’heure Les jours s’en vont il demeure désespéré énervé neutre Bruit d’eau ; son rythmé et répété Effet d’écho Son de cloches Musique symphonique moderne Abb. 5: Skript zur akustischen Inszenierung von A POLLINAIRE , Le Pont Mirabeau Wie kann man das Gedicht akustisch inszenieren? Genügt es, eine kaleidoskopartige Szenenfolge, d.h. eine reine Lesung, mit Musik und Geräuschen (z.B. das Fließen von Wasser), zu gestalten, die die Stimmung der Melancholie und den Eindruck der Zyklizität des Lebens verstärkt? Einen Weg dazu zeigt die wiederkehrende Sequenz aus Flussrauschen, rhythmisch wiederkehrendem Ton und Glockenschlag, kombiniert mit moderner symphonischer Musik als Einstieg und Ausklang, die im Skript vorgeschlagen wird. Doch die akustische Untermalung dient in diesem Skript - wie schon angekündigt - Akustische Inszenierung von Erzählungen und Gedichten im ... Literaturunterricht 181 8 G ROENE spricht hier vom Hörspiel im engeren Sinn; alle anderen Formen subsumiert er unter den „weiten Hörspielbegriff“ (G ROENE 1980b: 14; 2001: 348; vgl. N ÜNNING / S URKAMP 2006: 279). 37 (2008) nur als Folie für eine sehr viel radikalere Inszenierung, die durch die Übertragung des Refrains auf einen Erzähler und vor allem durch die Einführung eines zweiten lyrischen Ich (der Frau) eine völlig andere Sprechsituation schafft. So ergibt sich eine neue, die Aussage des Originalgedichts im Grunde dekonstruierende Lesart (ganz abgesehen davon, dass auf diese Weise ein in sich faszinierendes Hörerlebnis entsteht). Dabei sind die Veränderungen gegenüber der Textvorlage noch geringfügiger als im Fall der Bearbeitung von La Playa. Wie ein Blick auf die kursiv gesetzten Passagen des Sprechtexts im Skript zeigt, manifestiert sich die Verselbständigung des Refrains, in dem die Ich-Perspektive durch die Erzählerperspektive ersetzt wird, allein durch den Wechsel des Personalpronomens von „je demeure“ zu „il demeure“. Damit wird der Refrain zum Kommentar des Erzählers: Das lyrische Ich, nun als Mann („l’homme“) interpretiert, ‚bleibt‘ („demeure“) und sinniert über die Vergänglichkeit, während alles andere ‚vergeht‘ (s’en aller und passer sind die beiden häufigsten Verben des Gedichts). Die entscheidende Änderung ergibt sich aber aus der Einführung der Frau („la femme“) als weiterer Sprecherrolle; ihre Redebeiträge werden jeweils zwischen der Strophe (als der Rede des Mannes) und dem Refrain eingeschoben. Dabei greifen die ersten beiden Einwürfe jeweils ein Wort aus der vorhergehenden Strophe auf und deuten dieses um; zugleich durchbricht die Imperativform die syntaktische Form und den schwingenden Rhythmus des Gedichttexts: La joie venait toujours après la peine (Originalgedicht) Ah, quelle peine, le pauvre ! (Hörspieltext) Des éternels regards l’onde si lasse (Originalgedicht) Rien n’est éternel ! (Hörspieltext) Während es sich hier noch um einen distanzierten ironischen Kommentar zu den Worten des Mannes handelt, spricht die Frau in den beiden letzten Einschüben den Mann direkt an und schafft damit ein neues lyrisches Du. Offen bleibt, ob es sich um ‚ihren‘ Mann oder um einen Unbekannten handelt. Der Inhalt ihrer Bemerkung („J’en ai marre de toi“) und ihrer Aufforderung zum Selbstmord („Eh bien, saute, si tu veux! “) steht in völligem Kontrast zur Aussage des Originaltexts, einem melancholischen Sinnieren über die Vergänglichkeit von Zeit und Liebe, und vollendet damit gleichsam die Dekonstruktion. 5. Ausblick: Vom klassischen Hörspiel zur Hörcollage Wie die Skriptbeispiele zeigen, haben die Studierenden in allen Fällen - selbst im Fall der als Ausgangstext ungewöhnlichen Gattung des lyrischen Gedichts - ein prototypisches Hörspiel, ein fiktives Spiel mit Szenen und Rollen, geschaffen. 8 In der fast hundertjährigen Geschichte des Hörspiels haben sich aber auch andere, experimentellere Formen des Hörspiels herausgebildet; unter dieses weite Verständnis von Hörspiel fallen die nicht 182 Eva Leitzke-Ungerer 9 Vgl. dazu H ICKETHIER (2003: 301-305), L A R OCHE / B UCHHOLZ (2004: 239-244). 10 Einen solchen Versuch könnte man mit Paris-Gedichten (z.B. B REL , C’est Paris, L UCAS -D UBOSCQ , Le Métro, C HARPENTREAU , Le Front de Seine), mit Liebesgedichten (z.B. C ERNUDA , Te quiero, G ARCÍA M ONTERO , Tú me llamas, amor, yo cojo un taxi, N ERUDA , Poema 20) oder auch mit Herbstgedichten (z.B. C ARDARELLI , Settembre a Venezia, P ASCOLI , Novembre, V ALERI , Riva di pena, canale d’oblio) wagen. Für das Englische ergäben die von B URWITZ -M ELZER (2001: 20-26) - wenn auch mit anderer, interkultureller Zielsetzung - zusammengestellten themenorientierten Gedichtzyklen (z.B. We and Them - alike or different? ; Growing up) eine reizvolle Materialbasis. 37 (2008) immer trennscharf zu beschreibenden Genres Hörcollage, Hörbild und (Hör-)Feature. 9 Am vielversprechendsten, gerade im Hinblick auf lyrische Texte, erscheint die Hörcollage, da sich ihre Prinzipien der Montage und des „Offenlegens der Anschlussstellen“ (V OHWINCKEL 1995: 14) nicht nur auf eine einzige Textvorlage anwenden lassen, sondern auch die Einbeziehung unterschiedlicher, aber z.B. motivgleicher Gedichte ermöglichen. 10 Literatur Die Originaltexte und ihre Quellen Le Pont Mirabeau: A POLLINAIRE , Guillaume (1920): Alcools. Paris: Gallimard. Page d’écriture: P RÉVERT , Jacques (1949): Paroles. Paris: Gallimard. La canzone del cancello: R ODARI , Gianni (1980): Il gioco dei quattro cantoni. Turin: Einaudi. La playa: S ÁNCHEZ R OSILLO , Eloy (1989): Autorretratos. Barcelona: Península. Weitere Literatur B URWITZ -M ELZER , Eva (2001): „‚Such is the power of poets …‘: Gedichte und interkulturelles Bewusstsein“. In: Der Fremdsprachliche Unterricht Englisch 5, 17-26. E VERLING , Esther (1988): Ein Hörspiel produzieren. Aneignung sprachlicher und technischer Gestaltungselemente in der Sekundarstufe I. Frankfurt/ M.: Cornelsen Scriptor. G ROENE , Horst (Hrsg.) (1980a): Das Hörspiel im Englischunterricht. Theorie und Praxis. Paderborn: Schöningh. G ROENE , Horst (1980b): „Didaktische Überlegungen zur Arbeit mit englischen Hörspielen“. In: G ROENE , Horst (H RSG .) Das Hörspiel im Englischunterricht. Theorie und Praxis. Paderborn: Schöningh, 11-34. G ROENE , Horst (2001): „Das Hörspiel im modernen Fremdsprachenunterricht“. In: J UNG , Udo (Hrsg.): Praktische Handreichung für Fremdsprachenlehrer. Frankfurt/ M.: Lang, 347-352. H ICKETHIER , Knut (2003): Einführung in die Medienwissenschaft. Stuttgart: Metzler. J ENDROK , Bettina (o.J.): Künstlerisches Projekt: Hörspiel. Dokumentation einer fächerübergreifenden Unterrichtseinheit der Fächer Musik und Deutsch. http: / / www.medienbausteine.bildung-lsa.de/ pdf/ jendrok.pdf (Aufruf am 1.12.07). L A R OCHE , Walter von / B UCHHOLZ , Axel (Hrsg.) (2004): Radio-Journalismus. Ein Handbuch für Ausbildung und Praxis im Hörfunk. München: List. L EITZKE -U NGERER , Eva (2006): „Texttheater im Fremdsprachenunterricht“. In: H AHN , Angela / K LIPPEL , Friederike (Hrsg.): Sprachen schaffen Chancen. München: Oldenbourg, 75-83. Akustische Inszenierung von Erzählungen und Gedichten im ... Literaturunterricht 183 37 (2008) N ÜNNING , Ansgar / S URKAMP , Carola (2006): Englische Literatur unterrichten. Grundlagen und Methoden. Seelze-Velber: Kallmeyer/ Klett. P ÖTTINGER , Ida (1997): Lernziel Medienkompetenz. Theoretische Grundlagen und praktische Evaluation anhand eines Hörspielprojekts. München: KoPäd. R EHM , Dieter (2003): Ton ab! Wir produzieren ein Hörspiel. Bausteine zum produktionsorientierten und fächerübergreifenden Unterricht Deutsch-Musik. Horneburg: Persen. T HIERSCH , Antje (2000): „HÖRspiel SCHREIBEN - ein Unterrichtsprojekt“. In: Fremdsprachenunterricht 6, 422-426. V OWINCKEL , Antje (1995): Collagen im Hörspiel. Die Entwicklung einer radiophonen Kunst. Würzburg: Königshausen & Neumann. * Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Laurenz V OLKMANN , Universität Jena, Institut für Anglistik/ Amerikanistik, Ernst-Abbe-Platz 8, 07743 J ENA . E-mail: l.volk@uni-jena.de Arbeitsbereiche: Interkulturelles Lernen, Globalisierung und Englischunterricht, Gender Studies und Englischunterricht, literatur- und kulturwissenschaftliche Fremdsprachendidaktik. 37 (2008) L AURENZ V OLKMANN * Drama und Kultur im Englischunterricht Abstract. It is argued that culture, performance, drama and drama in the classroom are inextricably linked in educational contexts in general and in EFL teaching in particular. Viewing communication in a foreign language as a performative act, the author suggests a range of specific teaching goals pertinent to the incorporation of both drama texts and acting-out activities in the classroom. Drama appears as a genre specifically suited for cognitive, emotional and even physical learning about signifying practices of both the target cultures and one’s own culture. 1. Cultural turn und performative turn: Drama und (Ziel-)Kultur Es gibt ein zentrales gemeinsames Moment der mannigfaltigen Orientierungswechsel in den Geistes- und Kulturwissenschaften der letzten Jahre (vgl. B ACHMANN -M EDICK 2006). Verändert hat sich die kulturelle Dominanzstellung des geschriebenen Wortes, die eng verbunden war mit der Verklärung ästhetisch bedeutsamer, autonomer Gebilde der Höhenkammliteratur als herausragendem Ausdruck der Schriftkultur. Neben dem visual turn erscheinen dabei besonders der cultural turn sowie der performative turn bemerkenswert, liegt beiden doch ein Kulturverständnis zugrunde, welches tendenziell nicht-literarische bzw. nicht-textuelle Medien bevorzugt. Zugleich betont man den auf sich stetig verändernden Konventionen und Sinnverschiebungen beruhenden Konstruktcharakter kultureller Institutionen, Praktiken und Identitäten. In ähnlicher Manier hat sich in der Fremdsprachendidaktik eine doppelte Veränderung vollzogen: So wendet sich die Literaturdidaktik einerseits ab von der Konzentration auf die Analyse und Interpretation einzelner, literarisch-ästhetisch wertvoller Texte des Bildungskanons der Zielkultur. Sie bewegt sich in Richtung einer weiter gefassten Textbzw. Kulturdidaktik. Literarische Werke werden dezentriert und dabei eingebettet in medien- und textübergreifende pre-, while- und post-reading activities. Diese zielen weniger auf eine ‚korrekte‘ Textexegese ab als vielmehr darauf, das im Text eingeschriebene Potenzial kreativer, handlungs- und prozessorientierter Schülerreaktionen zu aktivieren (vgl. C ASPARI 1997). Wenn dieser Respons im Sinne des acting out in einer körperlich-sinnlichen Interaktion mit dem Text und/ oder mit anderen Akteuren besteht, dann spiegelt sich hierin andererseits der performative turn in den Fremdsprachendidaktiken allgemein. Die neue Aufwertung des Performativen basiert auf der Erkenntnis der Bedeutsamkeit nicht-verbaler Prozesse in kommu- Drama und Kultur im Englischunterricht 185 37 (2008) nikativen Situationen und hat zu einer Flut von Publikationen im Bereich des interkulturellen Lernens gerade mit Bezug auf non- und paraverbale Kommunikationsmuster sowie zur Neubewertung von Sprachroutinen, von Begrüßungsmustern, des turn-taking und anderen Elementen von ‚inszenierten‘ Kommunikationssituationen geführt (vgl. allgemein V OLKMANN 2002). Das Drama und die Dramendidaktik scheinen damit eine neue Wertschätzung zu erfahren (vgl. A HRENS [et al.] 2008), bietet ein dramatischer Text doch einen doppelten Zugang zu den Zielkulturen: Als authentischer Text der Zielkulturen selbst und als fiktional-dramatische Blaupause. Er regt an, den gedruckten Text zu inszenieren und damit gerade die performativen Elemente kulturellen Agierens am eigenen Leibe zu erfahren, mit ihnen zu spielen und zu experimentieren. In diesem Beitrag soll entsprechend zunächst der Zusammenhang von Kultur, Drama, interkulturellem Lernen und Fremdsprachenlernen eingehender diskutiert werden. Anschließend seien einige Grundzüge der veränderten Herangehensweise an dramatische Texte skizziert, unter anderem basierend auf einem erweiterten Verständnis des Dramatischen. Es folgen Ausführungen zu Problemen der Textauswahl, wenn (inter-) kulturelles Lernen zum Kernprinzip der Beschäftigung mit Dramentexten erklärt wird. Schließlich soll eine knappe Schematik (inter-)kultureller Lernziele bei der Arbeit mit Dramentexten entwickelt werden. 2. Theater als Inszenierung von Kultur / Kultur und Identität als Akte der Inszenierung Wer sich eingehender mit der Verbindung von Drama und Kultur beschäftigt, stößt auf eine in der Renaissance beliebte Analogie zwischen Bühnenwelt und Realität. Verschränkungen und Wechselwirkungen spiegeln sich im Bild des Mikrokosmos Bühne, der dem Makrokosmos Welt gleicht: Theater ist inszenierte Kultur, und Kultur bzw. kulturelle Identität ist stets inszeniert. Verdeutlichen lässt sich diese Spiegelbildlichkeit mit Hilfe zweier berühmter Passagen aus dem Dramenwerk William Shakespeares. Im Prolog zum Historiendrama Henry V wird beschrieben, wie im Rundbau des Globe Theatre, jenes „Wooden O“, ein Miniaturmodell der kulturellen Außenwelt in Szene gesetzt werden soll. Mit Hilfe der Imagination soll das elisabethanische Publikum die bedeutsamen geschichtlichen Ereignisse des Dramas auf der räumlich reduzierten, kargen Bühne nachempfinden: Can this cockpit hold the vast fields of France? Or may we cram Within this wooden O the very casques That did affright the air at Agincourt? O, pardon! Since a crooked figure may Attest in little place a million; And let us, ciphers to this great accompt, On your imaginary forces work (Prolog, 11-18). Eine spiegelbildliche Textpassage findet sich auch in der Komödie As You Like It. In ihr verwendet Shakespeare eine häufig zitierte theatrum mundi-Metapher: 186 Laurenz Volkmann 37 (2008) All the world’s a stage, And all the men and women merely players: They have their exits and their entrances; And one man in his time plays many parts […] (II.7). In beiden Passagen drückt sich der enge Zusammenhang von Kultur, Inszenierung und Performativität aus. Insbesondere die Welt-als-Bühne-Metapher erweist sich dabei als sinntragend in ihrer Aussage zur Regelhaftigkeit menschlicher Interaktion. Diese macht sich, von fremdsprachendidaktischer Seite aus betrachtet, vor allem in Kommunikationssituationen bemerkbar, in denen Vertreter unterschiedlicher (Sprach-)Kulturen aufeinander treffen. Die direkten Verbindungslinien zwischen Kultur und Drama erschließen sich ebenfalls bei einem Blick auf aktuelle Konzepte und Definitionen von Kultur: In Kontrast zum vormals eingeschränkten Verständnis von Kultur als ‚Hochkultur‘ und damit als exklusive Errungenschaft menschlicher Schaffenskraft herrscht gegenwärtig größtenteils ein Kulturverständnis vor, welches - mit der Begrifflichkeit der Kultursemiotik formuliert - Kultur als Zusammenspiel von Zeichenkomplexen, Konzepten, Wirklichkeitskonstrukten und ihnen zugeordnetem Handlungswissen begreift. Deren Bedeutung und Funktion wird durch eine strukturierte Anzahl von Zeichenbenutzern festgelegt, etwa den Mitgliedern einer nationalen Gruppe. Die signifying practices drücken sich aus in der jeweils unterschiedlichen Bedeutungskonstruktion bei gesellschaftlichen Institutionen, Ritualen, Ideologien, Geschlechterauffassungen, Subjektpositionen usw. Aus der interkulturellen Perspektive interessieren dabei vor allem die unterschiedliche Bedeutungszuweisung in der Sprachverwendung und das Schaffen von Gemeinschaftsgefühlen durch intersubjektiv geformte Zeichensysteme bestimmter sprachlicher Gruppen. Besondere Signifikanz kommt dabei den Medien zu, „da sie die kulturelle Semantik von Gesellschaften sowohl erzeugen wie distribuieren“ (B ÖHME / S CHERPE 1996: 16). Kultur als unabschließbarer Prozess von Produktion, Zirkulation und auch Subversion von Bedeutung wird dabei häufig mit medientechnischen Termini beschrieben, wobei Begriffe und Konzepte aus dem Medium Drama - wie Inszenierung, Performanz, Theatralität, Dramaturgie usw. - zentrale Aufmerksamkeit erhalten. Man hat erkannt, dass gerade inszenierte Rituale wie politische Aufführungen, aber auch die kulturell bestimmte Ritualisierung von Alltagsakten wie Begrüßungen, Verlauf von Konversationen, Themenwahl usw. das manifeste oder unterbewusst wirkende Zusammengehörigkeitsgefühl nationaler Gemeinschaften besonders prägen (vgl. H AUSCHILD 2005). Aber nicht nur soziale Gebilde wie Nationen definieren sich über politische und private Formen der Inszenierung. Auch das Individuum lässt sich, in der Tradition des bedeutenden Kulturanthropologen Erving G OFFMAN , als Aktant im sozialen Gefüge verstehen. Es übt - wie ein Schauspieler - quasi ständiges ‚Kontrollmanagement‘ aus mit Bezug auf die Außenwirkung, die in bestimmten Situationen erreicht werden soll. So lässt sich der beherrschte Umgang mit kulturell geprägten Höflichkeits- und Konversationsroutinen als Teil einer komplexen „machinery of self-production“ (G OFFMAN 1967: 245) begreifen. Dieses selffashioning, wie es in Stephen G REENBLATT s sprichwörtlich gewordener Formulierung heißt, orientiert sich wiederum daran, wie Identität im Modus von kulturell je unter- Drama und Kultur im Englischunterricht 187 37 (2008) schiedlich entworfenen Erzählungen, Dramen und Inszenierungen Sinnhaftigkeit erfährt (vgl. G REENBLATT 1980). Kultur ist also im oben ausgeführten Sinne stets als performativ, als komplexer Aushandlungsprozess von kultureller Bedeutung innerhalb der jeweiligen imagined community zu verstehen. Dieser performative Aushandlungsprozess tritt exemplarisch und gleichsam in verdichteter Form in Situationen interkultureller Kommunikation zutage. Das Drama stellt ein exemplarisches Segment dieser kulturellen Bedeutungsschaffung dar, indem es das Verständnis von culture in action in miniatisierter Weise spiegelt. Für den Fremdsprachenunterricht bedeutet dies, dass dramatische Texte einerseits Einsichten in die signifying practices von Zielkulturen erlauben, andererseits das (teilweise) Inszenieren dieser Texte ganzheitliche Erfahrungen zu den Wirkungsweisen dieser kulturellen Praktiken erlauben, wenn Lernende diese spielend am eigenen Leibe erfahren. Für Schülerinnen und Schüler lassen sich dabei fünf dramenspezifische Elemente der Erfahrung mit Kulturen, auch der Fremdkulturen, sinnlich erleben (vgl. B YRON 1986: 22- 23): (1) Allgemein untersucht das Drama Handeln, Einstellungen, Werte, Beziehungen und Kommunikation zwischen Menschen unter der gemeinsam erfahrenen, vorübergehenden Aufhebung des fiktionalen Charakters des Erlebten („willing suspension of disbelief“, wie es passend bei S.T. Coleridge heißt). Damit ist eine momentan absolut erscheinende Immersion in den Kosmos der Zielkulturen ermöglicht. (2) Im Gegensatz zur überwiegenden Zahl narrativer Texte ist die Zeitform des Dramas das Präsens. Durch die Konzentration auf die Gegenwart, das Hier und Jetzt, erscheint ein besonders hohes Maß an Engagement, Identifikation und ‚Verschmelzung‘ mit den Figuren bzw. der Welt der Dramenhandlung möglich. (3) Die Interaktion der Figuren ist zugleich intentional auf eine Zukunft gerichtet, in der die Folgen der Handlung sukzessive hervortreten - meist von einem Spannungsbogen getragen. Somit verdeutlicht sich die komplexe Verbindung zwischen individuellen Entscheidungen und gesellschaftlichen Folgen. (4) Das Rollenspiel erlaubt eine Doppelperspektive: Die Darstellenden sind zum einen Handelnde innerhalb eines sich entfaltenden Narrativs, zugleich können sie als Zuschauer - selbst oder untereinander reflektierend - eine Außenperspektive einnehmen und die eigene Rolle sowie das gesamte Geschehen multiperspektivisch ausleuchten. (5) In höherem Maße als andere literarische Gattungen oder auch visuelle Medien ist das Drama ‚pluri-medial‘ und erlaubt den Einbezug non-verbaler Elemente, von Musik, Requisiten usw., welche die inszenierte Wirklichkeit besonders facettenreich erlebbar machen. 3. Neuorientierungen der Dramendidaktik: Von der Textanalyse zu drama off the page Vieles hat sich geändert in der Behandlung von Dramen im Englischunterricht. Prägnant ließe sich diese Veränderung beschreiben als Abkehr von der Analyse eines autonomen sprachlichen Dramentextes des angelsächsischen Literaturkanons, verbunden mit der neuen Perspektive auf Dramentexte als ‚Blaupause‘ für Inszenierungstätigkeiten von unterschiedlicher Länge und Textnähe. Überhaupt ist ein Wandel von der Dramendidaktik 188 Laurenz Volkmann 1 In der ehemaligen DDR wurde die Lektüre Shakespeares teilweise in den Deutschunterricht „verlagert“, vgl. H ALLET (2006: 214). 37 (2008) zur Inszenierungsdidaktik zu erkennen. Traditionell, zurückgehend bis zu den Anfängen des schulischen Englischunterrichts im spätwilhelminischen Kaiserreich, wurden Dramen primär und teilweise nahezu ausschließlich als Lesetexte verstanden. Im östlichen wie westlichen Nachkriegsdeutschland etablierte sich ein fester Kanon von ‚Klassikern‘ für die Ganzlektüre in der gymnasialen Oberstufe. Dazu gehörten zum einen bestimmte Dramen Shakespeares, von dem inzwischen kaum noch gewählten Julius Caesar über Hamlet bis Macbeth erlangten die Tragödien und einige Historienspiele (Richard III, Henry V) herausragende unterrichtliche Popularität (vgl. P ETERSOHN / V OLKMANN 2006). Macbeth gilt nach wie vor - aufgrund seiner Kürze und der inzwischen etablierten Menge an Handreichungen - als beliebteste Shakespearesche Unterrichtslektüre. Die Komödien konnten, mit der Ausnahme von A Midsummer Night’s Dream, den Tragödien kaum den ‚hochkulturellen‘ Rang ablaufen. 1 Zum anderen etablierte sich eine geringe Zahl von zeitgenössischen Dramen. Aus dem britisch-irischen Sprachraum gehören dazu Dramen aus der Feder von Beckett, Osborne und Pinter. Neben den spätviktorianischen Werken von Wilde sowie einzelnen Dramen Shaws gelangten bekannte amerikanische Dramatiker wie O’Neill, Wilder, Miller, Williams und Albee in den festen Kanon des englischsprachigen Oberstufenunterrichts. Obwohl gerade die genannten amerikanischen Autoren aus der interkulturellen Perspektive z.T. höchst interessante Dramenwerke schrieben, blieben interkulturelle Thematiken bis in die 1980er Jahre hinein in einem Großteil der dramendidaktischen Publikationen wenig beachtet (vgl. S CHIK / G ROENE 1980; K APPE 1991). In Analogie zu den akademischen Usancen universitärer Seminare standen bei der Dramenbehandlung die gängigen, formalisierten Analyseverfahren der Textkonstituenten im Vordergrund (vgl. P FISTER 1977): Bauformen und Strukturelemente der Handlung, Sprache, Figuren, Zeit und Raum, die Bühnendimension. Interpretatorisch lag der Fokus auf universalen, überzeitlichen Aussagen der Dramen. Zur textanalytischen Herangehensweise kam Ende der 1970er Jahre - im Zuge der Kommunikativen Wende im Fremdsprachenunterricht - das Interesse, literarische Texte als Kommunikationsmittel zu begreifen. Dramen erschienen herausragend dazu geeignet, „Schülern die Komplexität zwischenmenschlicher Kommunikation vor Augen zu führen“ (S CHIK / G ROENE 1980: 26). Mit ihrer Hilfe sollten kommunikative Intentionen, Wirkungsmechanismen und Abläufe offen gelegt sowie Modelle erfolgreicher und gescheiterter menschlicher Kommunikation analysiert werden. Beispielsweise galt es, Unterschiede in Sprachstil und Duktus herauszupräparieren - von elaborierter Sprache bis zur Umgangssprache und Soziolekten usw. Die beiden Perspektivrichtungen bei der Betrachtung dramatischer Texte - textimmanente Analyseverfahren und linguistisch ausgerichtete Modelle der Kommunikationstheorie - drücken sich paradigmatisch in der Standardpublikation von Horst G ROENE und Berthold S CHIK mit dem Titel Das moderne Drama im Englischunterricht der Sekundarstufe II (1980) aus. Im grundlegenden Einleitungsbeitrag dieses Bandes beschreiben die Autoren die besondere mediale Konstitution der Gattung Drama. Die Autoren fokussieren analytische Aufgaben und didaktische Relevanz auf eine Weise, die Drama und Kultur im Englischunterricht 189 37 (2008) nach wie vor beispielhaft für eine bestimmte, inzwischen allerdings ergänzungs- und modifikationswürdige textbezogene Herangehensweise steht: Da eine Erzählinstanz fehlt, die vermittelnd und deutend in den Geschehensablauf eingreift (eine Ausnahme bildet das ‚epische Theater‘) und auch Hintergrund und ‚setting‘ transparent macht, muß sich der Dramatiker - medial bedingt - abgesehen vom Haupttext (Dialog) auf den Nebentext (Szenenanweisungen) beschränken. Dieser wird vielfach suggestiv eingesetzt: Außersprachliche Komponenten wie Mimik, Gestik, akustische und optische Effekte sowie Raum und Bühnenbild erlangen erhebliche Bedeutung. Durch seinen dialogischen Aufbau und (besonders in der zeitgenössischen Dramatik) den bewußten Gebrauch der gesprochenen Sprache als eines nicht-elaborierten Codes und die Verwendung von Soziolekten sowie durch seine dramaturgischen Mittel, die besondere Deutungsmöglichkeiten neben der direkten Aussage zulassen und den dialogischdramatischen Text durch seine außersprachlichen Konnotationen vom reinen Lesetext absetzen, erweist sich der dramatische Text als ein literarischer Text besonderer Art. Dadurch gewinnt er literaturdidaktisch eine besondere Relevanz und erhält im Rahmen eines auf Text- und Medienkompetenz angelegten Unterrichts einen hohen Stellenwert. (S CHIK / G ROENE 1980: 13-14) Textanalytische und kommunikationstheoretische Modelle wurden in den folgenden beiden Dekaden nicht ersetzt, sondern eher ergänzt durch rezeptionstheoretische Ausrichtungen sowie eine stärkere Hinwendung zu konkreten Aufführungen von Dramen. Dies spiegelt sich im so genannten „dramatic interpretation model“, wie es E VANS (1984) und K APPE (1991) vorschlugen. Zunehmend gerieten auch Verfilmungen (etwa Roman Polanskis Macbeth von 1971) zum Gegenstand der (vergleichenden) Analyse und Interpretation. Erschien die gelegentliche Aufführung eines ganzen Schauspiels im Rahmen von schulischen Veranstaltungen als besonders erwähnenswerte ‚alternative‘ Form der Dramenbehandlung, konnte sich dennoch erst Ende der 1990er Jahre eine neue Sichtweise in der Dramendidaktik durchsetzen. Sie stützt sich auf die erwähnten cultural, visual and performative turns, auf veränderte Einstellungen zu Literarizität, einen erweiterten Textbegriff, die stärkere Berücksichtigung des medialisierten Umfelds der Lerner und eine deutliche Konzentration auf interkulturelle Komponenten bei Textauswahl und Herangehensweise. Schließlich finden lange, früher eher weniger beachtete fächerübergreifende Traditionen des Inszenierens und des Dramatischen Spiels Beachtung. In dem programmatischen Basisartikel der Zeitschrift Der Fremdsprachliche Unterricht Englisch mit dem Titel „Von ‚Teaching Drama‘ zu ‚Teaching Plays‘: Spielendes Lernen durch dramatische Formen und mit dramatischen Texten“ (1998) dokumentierte Ansgar N ÜNNING diesen Orientierungswechsel. Deutlich erklärt N ÜNNING , dass die traditionelle Dramenanalyse „nur eine von vielen Möglichkeiten darstellt, sich mit szenischen Texten zu beschäftigen“ (N ÜNNING 1998: 5). Im Gegensatz zu narrativen oder lyrischen Texten dienen Dramentexte als „Spielvorlagen“ (N ÜNNING 1998: 4) für eine Vielzahl von spielerischen, szenischen und handlungsorientierten Unterrichtsformen. Ergänzend zu der sich Ende der 1990er Jahre deutlich durchsetzenden Erkenntnis, dass Dramentexte geschrieben wurden, um sie zu inszenieren, werden zwei weitere etablierte Gepflogenheiten des Umgangs mit dramatischen Texten infrage gestellt und neu bewertet: Erstens, dass es im Unterricht um die Beschäftigung mit einem ganzen, umfangreichen Dramentext gehen sollte: Kurzdramen, Minidramen, one-act plays werden aufgewertet, 190 Laurenz Volkmann 37 (2008) ebenso das acting out ausgewählter Passagen eines Dramas. Zweitens, dass nur ein Dramentext für die Dramendidaktik von Interesse sein kann. Es geht nun vielmehr darum, den Begriff ‚Drama‘ als ‚Zu Inszenierendes‘ oder ‚Inszeniertes‘ zu verstehen und darunter eine Vielzahl von Aktivitäten, Texten, Medien usw. integrativ und synästhetisch zu subsumieren. In der Tat gilt es, nicht in alten Kategorien zu verharren und kulturelle oder unterrichtliche Praktiken und Aktivitäten wie Inszenieren, Darstellendes Spiel, Drama oder Dramendidaktik starr voneinander abzugrenzen. Vielversprechend erweist sich eher ein Ansatz, der ‚Drama‘ im Sinne von Gavin M. B OLTON s bereits 1979 vorgeschlagener Dreifachdefinition versteht: Mit B OLTON (1979: 7) lassen sich drei Formen von Drama oder Dramatisieren im Unterricht beschreiben: (1) Dramatische Aktivitäten bzw. Kurzübungen: Hierbei liegt der Schwerpunkt auf der sprachlichen Form, wenn in einem kontextualisierten Rollenspiel die Inszenierung dienende Funktion erhält, also authentisch erscheinenden, situativ richtigen Sprachgebrauch einübt. Diese Aktivität erstreckt sich von der Inszenierung eines vom Lehrwerk vorgegebenen Musterdialogs bis zur kurzen Inszenierung eines Dialogs aus einem Drama mit dem Ziel, sprachliche Äußerungen und kommunikatives Verhalten in einem konkreten kulturellen Umfeld einzuüben. Ein Musterbeispiel hierfür stellt der methodisch ausgerichtete Band von Alan M ALEY und Alan D UFF , Drama Techniques in Language Learning. A Resource Book of Communication Activites for Language Teachers (1982), dar. (2) Bei einer weiteren Aktivität liegt der Akzent eher auf dem Inhaltlichen. Es lässt sich hierzu die inzwischen beliebte Inszenierung eines narrativen Textes zählen: „Drama as a ‚way in‘ to a narrative text“ (B YRON 1986: 7). Die Dramatisierung erlaubt hier eine ganzheitliche Form des Zugangs, wobei natürlich das Inszenieren selbst zum Inhalt der Betrachtung werden kann (vgl. S CHERER 2005). (3) Zur dritten Form der Behandlung von Dramen zählt Bolton die Auseinandersetzung mit einem dramatischen Text, bei der Inhalt und Form der Inszenierung zugleich im Vordergrund stehen, ebenso wie kognitive und affektive Erfahrungen: „Drama for understanding“ genauso wie Drama als „creative experience“ (B OLTON 1979: 11). Wie B OLTON und andere ausdrücklich betonen, sind die Trennungslinien zwischen diesen drei Formen von drama in the classroom nur theoretisch relevant, denn die Übergänge sind in der Praxis eben gerade als fließend zu betrachten: Es gilt, konkrete Lebenssituationen und die konkrete Lebenspraxis der Lernenden mit der dramatic experience zu verbinden. Durch bewusstes Aktivieren auch der „körperlichen und sprachlichen Ausdrucks- und Verhaltensweisen“ (S CHELLER 1998: 13) im szenischen Spiel können vielfache kognitive und affektive Lern- und Erkenntnisprozesse angebahnt werden. 4. Lernziel interkulturelle kommunikative Kompetenz: Probleme der Textauswahl Bei der bisherigen Erörterung des Themenkomplexes von Drama und (fremden) Kulturen sowie der unterrichtlichen Herangehensweisen ist das gegenwärtig zentrale Lernziel des Fremdsprachenunterrichts eher am Rande erschienen. Es basiert auf der Einsicht, dass Drama und Kultur im Englischunterricht 191 37 (2008) sprachliche Kommunikation jeglicher Art nie in einem kulturellen Vakuum stattfindet, sondern einen höchst komplexen intersubjektiven Aushandlungsprozess darstellt, der in hohem Maße durch den jeweiligen kulturellen Hintergrund der Beteiligten bestimmt ist. Lassen sich schon nationalsprachliche Kodes in vielen Fällen aufgrund ihrer kulturell unterschiedlichen Konnotationen nicht ohne weiteres im Verhältnis Eins zu Eins übertragen, so gilt dies auch für national unterschiedlich ausgeformte Einstellungen und Werte, überhaupt für unterschiedliche Weltwahrnehmungen, welche interkulturellen Kommunikationssituationen zugrunde liegen. Für Fremdsprachennutzer gilt es demnach, mit Hilfe der über die Fremdkulturen erworbenen Kenntnisse und Einsichten in konkreten Begegnungen mögliche interkulturelle Missverständnisse zu vermeiden. Daraus ergibt sich für den fremdsprachlichen Unterricht das allgemeine Lernziel der interkulturellen Kompetenz, oder konkreter: der interkulturellen kommunikativen Kompetenz (vgl. B YRAM 1997; V OLKMANN 2002/ 2007). Aus den genannten Gründen erscheint das Drama eine dem interkulturellen Lernen besonders affine Gattung zu sein, stellt es doch en miniature (inter-)kulturelle Aushandlungsprozesse auf der Bühne dar: „Drama is a collaborative social process which operates through negotiation“ (B YRON 1986: 44). Es erlaubt gerade jene für das Fremdverstehen so essenziellen Perspektivenwechsel: Während eine Ich-Erzählung dies bei narrativen Texten gattungsgemäß geradezu erzwingt, liefert das In-die-fremde-Rolle-Schlüpfen beim acting out einer Dramenrolle ein noch weitergehendes Identifikations- und Empathiepotenzial, ein Sichhineinbegeben in den Standpunkt und die Perspektive eines (kulturell) Anderen. Es scheint auf den ersten Blick naheliegend, gerade solche Dramentexte auszuwählen, in denen für Lernende aktuelle und wichtige zielkulturelle Aspekte verhandelt werden: die Frage der nationalen, regionalen oder ethnischen Identität; das Verständnis von Gender; kulturelle Prägemuster und Leitkonzepte (wie etwa für Amerika das Thema from melting pot to cultural mosaic, die Puritan work ethic, der American Dream usw.); aktuelle politische und soziokulturelle Thematiken (post-9/ 11 America; devolution or regional pride in GB; ethnic minorities und vieles mehr), sowie deren Ausprägungen auf die Mentalität der Figuren und deren sprachlich-kommunikatives Verhalten. Allerdings entspräche eine Textauswahl, welche sich lediglich auf die interkulturelle Werthaltigkeit des jeweiligen Dramas konzentriert, einem rein funktionalistisch-utilitaristischem Literaturverständnis, demzufolge literarische Texte als interkulturell verwertbarer fiktionaler ‚Steinbruch‘ zu verstehen seien. Darüber hinaus müssten Texte früherer Epochen dem ausgeprägten Präsentismus einer solchen interkulturellen Ausrichtung zum Opfer fallen: Denn welche verwertbaren Erkenntnisse, so könnte man argumentieren, lassen sich für die interkulturelle Kommunikationskompetenz aus einem bisher hoch geschätzten Drama wie Shakespeares Hamlet gewinnen - außer dem dort bereits aufgeführten Klischee der dänischen Neigung zur Trinksucht? Vordergründig betrachtet erscheint eine nach wie vor geschätzte Konversationskomödie wie Oscar Wildes The Importance of Being Earnest - abgesehen von Einsichten in die Konventionen des gepflegten Small Talks - für aktuelle interkulturelle Lernziele gänzlich ungeeignet und kann mit ihrem dandyhaft-elitären Figurenensemble noch nicht einmal ein repräsentatives Bild des Viktorianischen Zeitalters bieten. Selbst viele zeitgenössische 192 Laurenz Volkmann 37 (2008) Dramen, von Edward Albees Zoo Story bis zu Michael Frayns Democracy, scheinen aufgrund ihrer teils wenig kulturspezifischen, teils zielkulturfremden Thematik auf den ersten Blick kaum zum neuen Paradigma der Vermittlung interkultureller Kompetenz zu passen. Zweifellos ist Ansgar N ÜNNING beizustimmen, wenn dieser eine stärkere Berücksichtigung zeitgenössischer Dramen im Fremdsprachenunterricht anmahnt, zumal angesichts der Tatsache, dass sich in Deutschland ein ,heimlicher‘, geradezu musealer Schulkanon herausgebildet hat. Wenige Texte, von Shakespeare bis Miller, werden so - offensichtlich schulischen Trägheitsgesetzen folgend - weiter in der Praxis tradiert. „Eine stärkere Einbeziehung zeitgenössischer Dramen könnte Lernenden hingegen verdeutlichen, dass es sich beim Theater um einen in ständiger Erneuerung befindlichen lebendigen Prozess handelt, der von großer und oft auch unmittelbarer gesellschaftlicher Relevanz ist“ (N ÜNNING 1998: 6). Eine Kanonrevision ist jedoch - zumindest auf universitärer Ebene und in zahlreichen literaturdidaktischen Beiträgen - seit nunmehr über einer Dekade in die Wege geleitet worden (vgl. bereits M ENGEL 1995). Dabei werden speziell Dramen der so genannten ‚Neuen Englischen Literaturen‘ als wichtige literarische Beispiele für transnationale und transkulturelle Themenkomplexe aufgewertet. Mit der Perspektivenöffnung von den core countries der englischen Sprache (die britischen Inseln und die USA) hin zu den Ländern und Territorien des ehemaligen Empire geraten so andere geografische Gebiete in das Blickfeld: Afrika (vor allem Nigeria und Südafrika), Asien (Indien und Südostasien), Australien und Neuseeland, Kanada und die Karibik, schließlich auch Irland und Schottland sowie die unterschiedlichen Regionen der core countries selbst. Dabei muss der Eindruck vermieden werden, es handle sich lediglich um kulturell zweitrangige oder unbedeutendere Produktionen - eher heißt es, „to indicate the growing richness and variety in terms of culture and ethnicities symptomatic of theatrical productions in these countries“ (P ETERS et al. 2006: 2). Der Blickwinkel ist dabei stets ein doppelter: Einerseits gilt es, den kulturellen Spezifika einer bestimmten Region oder eines bestimmten Landes zu begegnen, andererseits können im kontrastiven Vergleich, etwa mit dem eigenen kulturellen Erfahrungshorizont, universale menschliche Herausforderungen und Probleme im Sinne des Schaffens eines ‚globalen Bewusstseins‘ hervortreten. Trotz dieser geografischen und thematischen Bereicherung des unterrichtlichen Literaturkanons durch interessante zeitgenössische Dramen ist festzuhalten, dass eine lediglich auf schnell verwertbares interkulturelles Wissen ausgerichtete Textauswahl und -behandlung zu einer schwerwiegenden Reduktion der genretypischen Lernpotenziale des Dramas führen würde. Die Bandbreite dieser Lernziele sei im Folgenden kurz systematisiert. 5. Überlegungen zur Systematik dramenspezifischer Lernziele Eine Taxonomie der Lernziele im Bereich der Beschäftigung mit Dramen ist stets aktuellen Moderichtungen - wie der Standard- und Kompetenzorientierung - unterworfen und kann nur einen Versuch darstellen, die mannigfaltigen unterrichtlichen Zielvorstellungen auf einer Skala zu beschreiben: Diese soll sich hier von eher sprachlich-kommunikativen Drama und Kultur im Englischunterricht 193 37 (2008) zu interkulturellen Elementen erstrecken, also im Wesentlichen von der Form zum Inhalt, wobei vielfache Verbindungsebenen existieren. Diesen dem Fremdsprachenunterricht zuzurechnenden Lernzielen ordnen sich allgemeinere Komplexe der Kompetenzentwicklung und des Kompetenzerwerbs über: Es ist vielfach betont worden, dass gerade die Tätigkeit des Inszenierens eines Textes oder von Textpassagen auf einzigartige Weise die Selbstkompetenz wie die soziale Kompetenz fördert. Denn die beim Einnehmen einer Rolle erforderliche Selbstverantwortlichkeit steht in Verbindung mit Gruppenprozessen, die jeder Inszenierung oder dramatischen Aktivität eigen sind. Die Dramendidaktik betont entsprechend, wie Drama-Aktivitäten zur Persönlichkeitsbildung beitragen können. B OLTON spricht in diesem Zusammenhang von der verstärkenden Wirkung des drama in the classroom: „it enhances the natural maturation process“ (B OLTON 1979: 138). Er rekurriert damit wohl auch auf einen berühmten Ausdruck der britischen Erziehungswissenschaftlerin Dorothy Heathcote: Drama-Aktivitäten „bring out what children already know but don’t yet know they know“ (zit. in W AGNER 1976: 13). (1) Sprachdidaktische und/ oder kommunikative Ziele (vgl. G LAAP 1995: 417): Über die traditionellen Lernziele der Dramenanalyse am Text hinaus bietet die Beschäftigung mit einem Drama Lernenden vielfältige Möglichkeiten, eine breite Skala sprachlicher Äußerungen und linguistischer Register kennen zu lernen und zugleich sprachlichen Input in üblichen wie auch ungewöhnlichen Kontexten aufzunehmen. Sprache wird geübt, aber auch im Rahmen der Reflexion im Unterrichtsgespräch benutzt. Die Lernenden erlangen Einsichten in sprachliche und nicht-sprachliche Kommunikationsformen, beispielsweise zu kommunikativen Routinen und Strategien, vom Schweigen über das turn-taking, von Anspielungen bis zu Fragen, wie sich soziale, ethnische oder geschlechtliche Hierarchien in der Kommunikation ausdrücken. Da Lernende so auch nicht-sprachliche Kommunikationselemente beachten, erhalten sie zudem Einblicke in sonst häufig vernachlässigte Komponenten der „Körpersozialisation“ (S CHELLER 1998: 20) in der eigenen wie in der Zielkultur. (2) Literaturdidaktische und mediale Lernziele: Dramentexte bieten Perspektiven auf sich wandelnde Strukturen von Darstellungs- und Vermittlungsprozessen sowie Präsentations- und Wahrnehmungsformen einer oder mehrerer Kultur(en). Sie erlauben Vergleiche zwischen Text und Inszenierung, zwischen Literalität und Oralität - und damit eine Schärfung des Bewusstseins für unterschiedliche Medien, Genres und Darstellungsmodi. Zentral stellt sich dabei die Frage, wie geschriebene Sprache in inszenierte Akte umgesetzt wird, wie die gedruckten Zeilen zu sprechen sind, welche Requisiten, Kostüme, welcher Bühnenaufbau, welche Beleuchtungseffekte usw. zu verwenden sind bzw. in einer Inszenierung oder Verfilmung verwendet wurden. Es geht dabei insbesondere um intermediales Lernen, denn die zu einem spezifischen dramatischen Genre, beispielsweise einer Farce, gelernten Gattungsusancen finden sich auch in anderen Medien wieder: In Fernsehen, Filmen, sogar in Dokumentarfilmen wie Erzählungen überhaupt. Lernende können somit die Bausteine des Erzählens und Inszenierens erlernen. Sie bekommen die Grundzüge einer narrativen und medialen Grammatik vermittelt, die übertragbare Einsichten zur medialen Sinnkonstitution erlaubt. Auch der intertextuelle Bezug von Dramen zum realen historischen Kontext wie zu literarischen oder medialen ‚Prä-Texten‘ ver- 194 Laurenz Volkmann 37 (2008) mittelt Einblicke in wesentliche Strukturen des ‚Textuniversums‘ und Formen textuellen bzw. kulturellen Interplays. (3) Kulturelles Lernen: Das mit Hilfe des Dramas ermöglichte kulturelle Lernen findet auf mehreren Ebenen statt: Es ist Lernen über das Wesen von Kulturen selbst, über die Fremdkulturen, aber auch über die eigene Kultur sowie über Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Kulturen werden dabei als performativ erfahren: Unter Verwendung der Fremdsprache erkunden Lernende die Zusammenhänge von kulturell geprägten Intentionen und szenischer Handlung (vgl. S CHELLER 1998: 74-146): Sie lernen, wie unterschiedliche kulturelle Konzepte und Praktiken spielerisch umsetzbar sind. Hierzu gehören insbesondere Räume, Gegenstände, Geräusche, Zeit, Körper, Gestik, Mimik, Sprechen, Handeln, Interaktion, Situationen, Vorstellungen, Einstellungen, Werte, Gefühle, Wünsche, Statusverhalten und Habitus. Damit ist die Bandbreite interkultureller Lerndimensionen aufgefächert. Je nach Drama können dabei die oben erwähnten key cultural concepts der Zielkultur vom American Dream bis zum Australian Dream am eigenen Leibe erspürt werden. Zu diesen eher dem Bereich der Mentalitäten und Ideen zugehörigen Einstellungen treten traditionelle landeskundliche Inhalte, von historischen bis zu geografischen Kenntnissen, welche das Verständnis eines Dramas fördern und als ‚Weltwissen‘ sich nun mental mit diesem Werk verknüpfen. Überhaupt darf der inzwischen mit dem neutralen Begriff ‚Weltwissen‘ apostrophierte Bildungswert vieler Dramen nicht unterschätzt werden. Dramatiker wie William Shakespeare sind kulturelle Ikonen, sie sind den Wissensbeständen nicht allein ihrer nationalen Literaturgeschichte, sondern der Weltliteraturgeschichte, nicht allein ihrer Zielkultur, sondern der Weltkultur zuzurechnen. Titel von Dramen, Namen von Figuren, Handlungsmuster, geflügelte Worte usw. sind dabei keinesfalls als verstaubtes und schöngeistiges Kulturgut abzuwerten. Man mag diesen Wissensschatz im soziologisch-ökonomischen Sinne als „kulturelles Kapital“ einordnen, ihn aber auch - dem Bildungsauftrag des Schule gemäß -weiterhin als wesentlichen Bestandteil einer humanistischen Erziehung verstehen, die nicht allein auf die Beherrschung inhaltsentleerter Sprachkompetenzen abzielt (vgl. V OLKMANN 2007). In diesem Sinne bedeutet die Behandlung eines Dramas für Lernende auch ein Angebot, ihren eigenen Erfahrungs- und Sinnhorizont zu erweitern und neben den kulturspezifischen Elementen jedes Textes auch dessen transkulturelle Ausrichtung zur Entwicklung und Bereicherung der eigenen Persönlichkeit zu verwenden. (4) Die Erfahrung kultureller Alterität: Dramen erlauben vielfältige Einblicke in die Verhandlung kultureller Identitäten: Sie thematisieren Gruppenidentität, Alteritätszuweisungen und gängige Klischees sowie Vorurteile, die zum Aufbau der ingroup und der outgroup(s) benötigt werden. Auf der Bühne erleben wir die Brüchigkeit und Fragmentarität von immer neu und anders inszenierten Identitäten. Diese Prozesse der Ich-Konstitution und Alteritätszuweisung sind prägnant erkennbar in Dramen, die ethnische Minderheiten und Geschlechterkonflikte fokussieren. Modellartig lassen sich dabei die für interkulturelles Lernen so wichtigen Exklusionsmechanismen erkennen, bei der Schaffung kultureller Andersartigkeit. In vielen Dramen der so genannten Minderheitenliteraturen, aber auch in Shakespeares Schauspielen wie The Merchant of Venice, Othello oder The Drama und Kultur im Englischunterricht 195 37 (2008) Tempest, stehen so fiktional verdichtete Studien des „Othering“ zur Verfügung (vgl. P ETERSOHN / V OLKMANN 2006). Es wird deutlich, wie das Selbst sich immer neu inszeniert und verteidigen muss. Das Fremde macht Angst, signalisiert es doch gerade das, was zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung der Identität und des Selbstbildes ausgeblendet werden muss. „Es stellt mühsam erworbene Werte, das Selbstgefühl, Lebensentwürfe, Wahrnehmungs- und Handlungsroutinen in Frage“ (S CHELLER 1998: 19). Das kulturell Fremde wirkt als Projektionsfläche für eigene ungeliebte, unausgelebte Wünsche, Begierden, Gefühle und Verhaltensweisen. Es wird entweder idealisiert oder abgewertet - wie Lernenden deutlich wird, wenn sie bei einer Inszenierung diese Rolle übernehmen: Erst über die nachahmende Einfühlung in den Lebenszusammenhang, den Habitus, die äußeren und inneren Haltungen und in Alltagssituationen und -handlungen ist es möglich, die konkreten Wahrnehmungen, Bedürfnisse, Interaktionsformen und Beziehungen dieser [marginalisierten] Menschen ‚am eigenen Leibe‘ nachzuvollziehen und z.T. lustvoll zu erleben. (S CHELLER 1998: 157-158) Neben der Thematik der kulturellen Minderheiten erscheint die Konzentration auf Geschlechterverhältnisse und -konstruktionen in Dramen vielversprechend. Dramen wie Susan Glaspells Einakter Trifles von 1916 dienen dabei „zur Erhellung von Bedeutung und Wahrnehmung und von Gerechtigkeit; zur Auseinandersetzung mit historischen Geschlechterverhältnissen und der Problematik der separate spheres der Geschlechter; und dazu, diesen Momenten am eigenen Leibe im Spiel nachzuspüren“ (D ECKE -C ORNILL 1993: 68; vgl. auch H ALLET / H EBEL 2007). Wie Ingo S CHELLER betont, geht es dabei nicht darum, die Grenzen zwischen Ich und Rolle aufzulösen, sondern um eine komplexe Erfahrung des Wechselspiels. Dies vollzieht sich dadurch, dass „die unvertrauten Anteile der Rolle, also fremde Haltungen, Handlungsmuster, Gesten, Blicke und Kleidung und die historischen, sozialen und kulturellen Regeln, die in dies eingegangen sind, durch eigene Gefühle und Vorstellungen von innen und durch das körperliche und sprachliche Handeln äußerlich dargestellt werden“ (S CHEL - LER 1998: 31). Das vorübergehende Einarbeiten in die fremde Perspektive stellt somit eine höchst intensive Auseinandersetzung mit der fremden Kultur dar. So wird das Klassenzimmer selbst zum „theatrical space“, in dem verschiedene kulturell geprägte Rollen und soziale Situationen „spielerisch erprobt und spielend reflektiert werden können“ (H ALLET / H EBEL 2007: 10). Literatur A HRENS , Rüdiger / E ISENMANN , Maria / M ERKL , Matthias (Hrsg.) (2008): Moderne Dramendidaktik für den Englischunterricht. Heidelberg: Winter. B ACHMANN -M EDICK , Doris (2006): Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. B OLTON , Gavin M. (1979): Towards a Theory of Drama in Education. London: Longman. B ÖHME , Hartmut / S CHERPE , Klaus R. (Hrsg.) (1996): Literatur und Kulturwissenschaften. Positionen, Theorien, Modelle. Reinbek: Rowohlt. 196 Laurenz Volkmann 37 (2008) B YRAM , Michael (1997): Teaching and Assessing Intercultural Communicative Competence. 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E-mail: osullivan@uni-lueneburg.de Arbeitsbereiche: Komparatistik, Kinder- und Jugendliteraturwissenschaft, Translation Studies. 1 Ich verwende im Folgenden die mit den maskulinen Formen identischen generischen Formen und verbinde dies mit dem ausdrücklichen Hinweis darauf, dass männliche und weibliche Repräsentanten jeweils gleichrangig gemeint sind. 37 (2008) E MER O’S ULLIVAN * Kinder- und Jugendliteratur in der Ausbildung von Englischlehrern Abstract. Children’s literature has, for a variety of reasons, long been ignored by foreign language and literature departments at university level, despite both the recent broadening of the canon and the immediate and obvious relevance of this branch of literature for future school teachers. This article argues that children’s literature should play a more prominent role in the university curriculum and, using examples, shows how its potential can be explored in literature courses with and without an exclusive focus on children’s literature, and in seminars on didactics. 1. Kinder- und Jugendliteratur und der Kanon der Fremdsprachenphilologien Die Zahl der literarischen Texte, mit denen Fremdsprachenlehrer 1 während der Ausbildung konfrontiert werden, ist schon aus zeitlichen Gründen zumeist geringer als die ihres muttersprachlichen Gegenstücks, da im Gegensatz zum Erstsprachen-Fach - z.B. Deutsch in Deutschland -, in dem die Studierenden sich auf Sprach-, Kultur-/ Literaturwissenschaft und Didaktik konzentrieren können, bei einem Fremdsprachen-Fach zumindest noch landeskundliche Elemente hinzutreten und je nach Stellenwert der Zielsprache im schulischen Curriculum eines Landes auch noch unterschiedlich viel Zeit für den Spracherwerb budgetiert werden muss. Seit mit der Modularisierung im deutschen Universitätssystem die Arbeitsstunden für den Spracherwerb offen gelegt werden müssen, ist damit zumindest bei den Fremdsprachen, die nicht traditionell bis zum Abitur geführt werden, ein größeres Konfliktpotenzial bezogen auf die Zeitaufteilung zwischen Fach- und Sprachunterricht angelegt, das, produktiv gewendet, dazu führen könnte, dass Fach- und Sprachunterricht auch auf der universitären Ebene stärker als bisher miteinander in Verbindung gebracht werden (vgl. dazu z.B. R ÖSLER 2006). In der deutschen Diskussion hat trotzdem auch in den Fremdsprachenphilologien der Kanon spätestens in den letzten zwei Jahrzehnten eine Erweiterung erfahren; über die klassische ‚Höhenkamm‘-Literatur hinausgehend sind z.B. für das Fach Englisch Erweiterungen festzustellen im Hinblick auf Teilbereiche wie Fantasy, Science-Fiction und 198 Emer O’Sullivan 2 Vgl. zum Nicht-Vorhandensein der KJL in der Anglistik in Deutschland P ETZOLD (1997: 75). Die Lage im Bereich der Erstsprachenphilologien ist nur wenig anders, aber immerhin gibt es im deutschsprachigen Bereich einige Professuren, die sich literaturwissenschaftlich mit diesem Gegenstand beschäftigen und mehrere didaktisch ausgerichtete Professuren, die den Bezug zur Kinder- und Jugendliteratur ebenfalls als Teil ihrer Denomination haben. In der Erstsprachenphilologie hervorzuheben ist das Institut für Jugendbuchforschung an der J. W. Goethe-Universität Frankfurt/ M. 3 Vgl. dazu ausführlicher O’S ULLIVAN (2000: 110 ff). 4 Zu den Ausnahmen gehören die frühen anglistischen ‚Einzelkämpfer‘ Dieter P ETZOLD (1972) und Erhard D AHL (1990) [in der Bibliographie 1986], in letzter Zeit haben auch Christiane B IMBERG und Thomas K ULL - MANN sich der KJL angenommen (vgl. B IMBERG / K ULLMANN 2006). Im Bereich der Amerikanistik aktiv ist Reinhard I SENSEE (2003). 37 (2008) andere Formen der Unterhaltungsliteratur (vgl. z.B. die Beiträge in P ETZOLD / S PÄTH 1990 und 1998). In diese Kanonerweiterung kaum einbezogen ist jedoch die Kinder- und Jugendliteratur (KJL). Weder ist sie systematisch in die literaturwissenschaftlichen Curricula integriert, noch sind in den Fremdsprachenphilologien Professuren mit speziell auf KJL bezogenen Denominationen vorhanden. 2 Diese Abwesenheit gerade der KJL auch im erweiterten Kanon hat zum einen einen quantitativen Grund: Auch der Erweiterung sind Grenzen gesetzt. Gewichtiger scheint mir jedoch der systematische Grund. Während die oben erwähnten Erweiterungen des Kanons Erweiterungen innerhalb des literarischen Systems sind, steht die KJL, die immer gleichzeitig und zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen kulturellen Kontexten unterschiedlich stark ausgeprägt Teil des literarischen und des pädagogischen Systems ist 3 , unter dem Verdacht, nicht wertvoll genug zu sein, um literaturwissenschaftliche Aufmerksamkeit zu verdienen. Darauf hat zuletzt wieder C ASPARI hingewiesen: Das zentrale Hindernis scheint mir in der fehlenden Anerkennung von KJL als ‚echter‘ Literatur zu liegen. Während sich andere literarische Subsysteme wie Unterhaltungsliteratur oder Internet- Literatur zumindest zeitweise der Aufmerksamkeit der Literaturwissenschaft erfreuen durften, scheint KJL von der deutschen Romanistik noch nicht wahrgenommen worden zu sein. (C ASPARI 2007: 14) Diese auf die Romanistik bezogene Einschätzung gilt auch für die englischsprachigen Literaturwissenschaften. 4 Nun könnte man durchaus argumentieren, der literaturwissenschaftliche und der kinderliteraturwissenschaftliche Diskurs seien eben zwei unterschiedliche, das Ignorieren des einen durch den anderen sei also nicht zu beklagen. Diese Position ist m.E. zumindest mit dem neuen kulturwissenschaftlichen Selbstverständnis eines Teils der Literaturwissenschaft nicht ganz in Einklang zu bringen, da gerade das Befassen mit KJL unter kulturwissenschaftlichen Gesichtspunkten sehr produktiv sein kann. Auf jeden Fall problematisch ist aber die Ausgrenzung der KJL aus dem Lehrkanon für angehende Fremdsprachenlehrer, zumindest dann, wenn es richtig ist, dass sie für den Fremdsprachenunterricht an deutschen Schulen eine Rolle spielt. Denn wenn die Beschäftigung mit KJL für angehende Fremdsprachenlehrer von Bedeutung sein sollte, dann stellt sich natürlich die Frage, warum Institutionen, die auf der Ebene der Lehre ihre Existenzberechtigung hauptsächlich aus der großen Zahl der bei ihnen studierenden Kinder- und Jugendliteratur in der Ausbildung von Englischlehrern 199 5 Dass diese Diskussion ebenfalls eingebettet werden müsste in die Diskussion der Frage, warum man überhaupt mit literarischen Texten im Unterricht arbeiten sollte, kann hier nicht thematisiert werden. Vgl. dazu die Gegenüberstellung der Argumente in K OPPENSTEINER (2001). 6 Es nimmt weder die große Breite der Adressaten des kinder- und jugendliterarischen Angebots - von Krabbelkindern bis hin zu jungen Erwachsenen - noch die der Gattungen und Formen, die zum Korpus der KJL gehören, noch die unterschiedlichen ästhetischen Ansprüche von kinderliterarischen Texten wahr. 7 Diese Argumente, die sich aus der Wertschätzung von Alltagsorientierung und Dialogizität im kommunikativen Ansatz herleiten, sind selbst im Hinblick auf ihre Angemessenheit als Kriterien für den Einsatz von Literatur im Unterricht zu hinterfragen. Vgl. dazu O’S ULLIVAN / R ÖSLER (2002: 78). 37 (2008) Lehramtsstudenten herleiten, dieses literarische Teilkorpus in der Fachwissenschaft derart ignorieren können. 2. Warum sollte Kinder- und Jugendliteratur überhaupt Gegenstand in der Ausbildung von Fremdsprachenlehrern sein? Die fremdsprachendidaktische Diskussion zur Verwendung von KJL im Fremdsprachenunterricht ist in O’S ULLIVAN / R ÖSLER (2002) ausführlich dokumentiert worden, im Folgenden sollen nur noch einmal stichwortartig die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst werden. Argumente für und gegen den Einsatz von Kinder- und Jugendliteratur 5 : Gegen die Verwendung von KJL im Fremdsprachenunterricht wird ins Feld geführt, bei der im Unterricht zur Verfügung stehenden Zeit sei es nicht akzeptabel, dass ein Text aus diesem Korpus einen kanonisierten Text verdränge, die kinderliterarischen Texte seien ästhetisch für den Einsatz in der Schule nicht angemessen. Dieses Argument geht von der KJL als von einer Einheit aus. 6 Das breite Spektrum der Kinder- und Jugendliteratur mit ihren unterschiedlichen Graden an Komplexität und ästhetischen Ansprüchen macht es problematisch, von ‚der Kinder-‘ oder ‚der Jugendliteratur‘ oder gar von ‚der Kinder- und Jugendliteratur‘ zu sprechen und ihr als Gesamtheit Charakteristika zuzuordnen, die nur einen Teil betreffen. Gegen das Argument der ästhetischen Unangemessenheit wird für den Einsatz der KJL ins Feld geführt, dass sie eine doppelte Brückenfunktion habe (Brücke zur Erfahrungswelt der Jugendlichen und Brücke zur Lektüre ‚richtiger‘ Literatur). Mit der Verwendung von KJL könne man früher als mit anderen literarischen Texten mit einer Ganzschrift im Unterricht arbeiten und von daher der Langeweile der Lehrbuchwelt entgegen arbeiten. Kriterien für die Auswahl von Kinder- und Jugendliteratur: Als übergeordnetes Kriterium fordert K RUMM (2001: 26), auszuwählende Texte sollten Anknüpfungspunkte an die Interessen und Erfahrungen der Lernenden bieten und eine kontrollierte Überforderung darstellen, eine, die Neugier und Entdeckerlust entstehen ließe. Weitere häufig ins Feld geführte Kriterien sind Merkmale der KJL wie ein hoher Anteil an Dialogen und eine authentische Alltagssprache. 7 Die Texte sollten Lebensweltbezug herstellen und Sprechanlässe bieten, zum Lernziel interkulturelle Kommunikation und zum Fremdverstehen beitragen. Eher selten, aber m.E. nicht unwichtig, ist ein von B URWITZ -M ELZER 200 Emer O’Sullivan 8 Dort bezogen auf Reime und Lieder, Bilderbücher, Adoleszenzromane, bilinguale Texte, auf unterschiedliche Lernbereiche wie Landeskunde und interkulturelle Themen, auf unterschiedliche Vorgehensweisen wie die Lektüre von Ganztexten oder die Verwendung von Ausschnitten, auf lernerrelevante Aspekte wie die Identitätsproblematik, auf Projektarbeiten und Medienwechsel, sogar den Einsatz der digitalen Medien, und auch bezogen auf ganz handfeste traditionelle didaktische Fragen wie Wortschatzarbeit oder Fertigkeitsbezug (nicht nur auf das Lesen, sondern ebenso auf das kreative Schreiben und das Hören). 37 (2008) (2000) angeführtes Argument: Der Text müsse auch dem Lehrer selbst gefallen, er müsse schließlich damit umgehen. Original oder Adaption? Es gibt eine große Anzahl von vereinfachten Lektüren, Easy- Readers, und weniger stark textuell eingreifenden Adaptionen, die stärker die Funktion eines Wortschatz und Landeskunde erklärenden Apparates annehmen. Gegner von Adaptionen wie R ÖNNQVIST / S ELL (1994: 64), für die nur ungekürzte Texte in Frage kommen, in denen nichts geändert wurde, was das Lesevergnügen reduziert, gehen offensichtlich von der Annahme aus, dass Adaptionen automatisch die ästhetischen Qualitäten und das Vergnügungspotenzial der Texte zerstören. Die spannendere Diskussion hier ist wohl die der Frage, was Kriterien für eine gute Adaption sind. Gute Adaptionen müssen ein früheres Lesen eines Textes möglich machen, ohne die ästhetischen Qualitäten des Ausgangstextes unangemessen zu reduzieren. Inwieweit dies überhaupt möglich ist und inwieweit der Nutzen des frühen Lesens die Nebenwirkungen der Eingriffe wettmacht, wird am Beispiel von durch Autoren selbst vorgenommenen Adaptionen für den Bereich Deutsch als Fremdsprache in O’S ULLIVAN / R ÖSLER (demnächst) diskutiert. Die Anzahl der in der Bestandsaufnahme von O’S ULLIVAN / R ÖSLER (2002) dokumentierten didaktischen Arbeiten zur Verwendung von KJL 8 und besonders die Vielfalt der handlungs- und produktionsorientierten Vorschläge zur Arbeit mit KJL zeigen, dass es nicht das Problem der aktuellen Diskussion zum Einsatz von KJL ist, dass man zu wenig über originelle Vorgehensweisen im Fremdsprachenunterricht weiß. Das tatsächliche Problem lässt sich durch zwei Fragen charakterisieren: Wie kommen zukünftige und praktizierende Fremdsprachenlehrer zu einem Überblick über vorhandene Primärtexte, wenn sie sie weder als Teil ihrer eigenen Sozialisation kennen gelernt haben, noch ihnen als Teil des fachwissenschaftlichen Studiums begegnen? Und wie kommen zukünftige und praktizierende Fremdsprachenlehrer an Kenntnisse und Erfahrungen über den didaktischen Umgang mit KJL, wenn diese nicht in systematischer Weise Gegenstand der Ausbildung von Fremdsprachenlehrern sind? Dies soll im Folgenden beschränkt auf den Bereich der englischsprachigen KJL diskutiert werden. 3. Wie kommen zukünftige und praktizierende Lehrer zu Kenntnissen über kinderliterarische Texte des zielsprachlichen Bereichs? Da nicht davon auszugehen ist, dass Anglistiklehrstühle in großer Zahl umgewidmet und Module zur KJL in die ohnehin verknappte fachwissenschaftliche Ausbildung von Kinder- und Jugendliteratur in der Ausbildung von Englischlehrern 201 37 (2008) zukünftigen Fremdsprachenlehrern integriert werden, gibt es außer dem traditionellen Vertrauen auf die autonomen Lehrer, die sich das, was sie benötigen, selbst beschaffen, m. E. zwei institutionell mögliche Wege. Der eine besteht darin, dass es zumindest im Bereich der Lehrerfortbildung verstärkt zu Veranstaltungen kommen kann, die entweder nur Primärliteratur erschließen oder in Verbindung mit fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Fragen die Diskussion von Vorgehensweisen im Unterricht zusammenführen mit einem größeren Anteil an Lektüre von Primärtexten. Da derartige Veranstaltungen zu einem Zeitpunkt stattfinden, zu dem nicht mehr die normsetzenden Instanzen der Hochschule den Lektürekanon bestimmen, sondern Lehrer Auswahlentscheidungen nach ihren Praxiserfahrungen treffen können, wäre eine Fokussierung auf KJL in ihnen eher möglich als in einem vergleichbaren Seminar, das sich auf die Vermittlung des literarischen Kanons beziehen würde. Der andere Weg besteht darin, dass auch in der Ausbildung zumindest eine Basis für die Beschäftigung mit KJL gelegt wird, sei es, dass das eine oder andere Seminar tatsächlich diesem Literatursystem gewidmet ist, sei es, dass in Seminaren, die einen bestimmten thematischen Fokus haben, kinder- und jugendliterarische Texte wie selbstverständlich Teil des zu analysierenden und zu interpretierenden Korpus sind. Eine derartige Inklusion führt automatisch zur Exklusion anderer - und damit in den Augen vieler Lehrender ‚hochwertigerer‘ - Titel, so dass sie nicht immer auf Gegenliebe stoßen wird. Trotzdem scheint mir dies der noch am wenigsten unrealistische Versuch zu sein, kinder- und jugendliterarische Texte auch über die wenigen Klassiker wie Peter Pan, Alice in Wunderland usw. hinaus im Lehramtsstudium bekannt zu machen. Wie das geschehen könnte, wird nun in Kap. 4 anhand einiger Seminarkonzepte diskutiert. 4. Die Integration von Kinder- und Jugendliteratur in fachwissenschaftliche Seminare Die Integration kann auf zwei Weisen geschehen: a) das Seminar hat einen erkennbaren kinderliterarischen Fokus oder, b) das Seminar hat keinen erkennbaren kinderliterarischen Fokus. In Seminaren des Typs a), der im Folgenden an drei unterschiedlichen Beispielen aus der Praxis - The Picturebook, The Harry Potter Novels und Childhood and children’s literature around 1900 - illustriert werden soll, ist wichtig, dass es dabei zwar zur Lektüre einer Reihe von neuen kinderliterarischen Texten kommt, dass die Seminare aber gleichzeitig im literatur-/ kulturwissenschaftlichen Anspruch nicht hinter vergleichbare auf kanonisierte Texte sich beziehende Seminare zurückfallen. Ein Seminar zu Bilderbüchern muss also Theorien der Text-Bild-Interaktion und der Intermedialität selbstverständlich ebenso behandeln wie dies in anderen Seminaren, die sich mit Interaktionen von Geschriebenem und Visuellem befassen, der Fall sein würde. Abb. 1 [ ( S. 202] zeigt einen Ausschnitt aus einem Seminarplan des Sommersemesters 2007, in dem nach gattungstheoretischen und -historischen sowie thematischen Sitzungen aktuelle theoretische 202 Emer O’Sullivan 37 (2008) Ansätze des Bilderbuchs behandelt und gleichzeitig die Studierenden in eine Vielzahl ihnen unbekannter Primärtexte eingeführt wurden. Abb. 1: Auszug aus einem Seminarplan ‘The Picturebook’ Primärtexte wie die sieben Harry Potter-Bände haben wahrscheinlich noch am ehesten eine Chance, auch über den kinderliterarischen Diskurs hinaus zur Kenntnis genommen zu werden, da sie ein aktuelles kulturelles Phänomen darstellen, das auf verschiedenen Ebenen diskutiert werden kann. So findet man in einer dänischen Seminarankündigung die folgenden Ziele eines Seminars zu Harry Potter: The aim of this course is three-fold: it introduces you to a particular literary genre and its theories (children’s fantasy fiction); it teaches you how to academically approach a literary text in context from a cultural studies point of view; and finally it gives you a chance to work with a contemporary literary and cultural phenomenon whose impact has been immense. (P EDERSEN 2007) Zu allgemein relevanten Fragestellungen wie gender (vgl. z.B. F RY 2001 oder H EILMAN 05.06.07 Postmodern devices in picturebooks I: Deconstructed fairytales. Cole: Princess Smartypants (1986) Scieszka/ Smith: The true story of the 3 little pigs. By A. Wolf (1996) Trivizas/ Oxenbury: The three little wolves and the big bad pig (1993) Wiesner: The three pigs (2001) Preparation for all: Look at all four books, focussing especially on one. Session: Student presentation and general discussion. Literature: Seifert 1999, Lewis 2001 Ch. 6. 12.06.07 Interculturality and picturebooks Preparation for all: Read Jianghong, Chen Tigerprinz (2004) and Ellabbad: The Illustrator’s Notebook (2005). Session: Brief student presentations on and general discussions of a) The books of Jianghong, Chen, esp. Tigerprinz. Literature: Thiele 2005, Platthaus 2006, Mattenklott 2007. b) Ellabbad: The Illustrator’s Notebook. Literature: Pantelo 2003, Stryjak 2004. 19.06.07 Postmodern devices in picturebooks II: Intertextuality and Metafictionality Ahlberg/ Ahlberg: Each Peach Pear Plum (1978) Ahlberg/ Ahlberg: The Jolly Postman (1986) Browne: Voices in the park (1999) Scieszka/ Smith: The stinky cheese man and other fairly stupid tales (1992) Preparation for all: Look at all four books, focussing especially on one. Session: Student presentation and general discussion. Literature: Seifert 1999, Lewis 2001 Ch. 6, Stephens 1991, Wyile 2006, McMillan 2003. Kinder- und Jugendliteratur in der Ausbildung von Englischlehrern 203 9 Im hier beschriebenen Seminar handelt es sich um Studierende der Studiengänge Angewandte Kulturwissenschaften, Informatik und Wirtschaftsinformatik, Ingenieurwissenschaften (Bau-Wasser-Boden), Lehramt an Grund-, Haupt- und Realschulen, Umweltwissenschaften, Volkswirtschaftslehre, Wirtschaftspsychologie und Wirtschaftsrecht. Vgl. zum Konzept des Studiengangs http: / / www.leuphana.de/ index.php? id=11773. 37 (2008) 2003), racism and national identity (vgl.z.B. H EILMAN / G REGORY 2003 oder W HITED 2006), literary traditions (fantasy, school story, gothic novel) (vgl. z.B. K ING 2000 oder A LTON 2003), translations (vgl. z.B. L ATHEY 2005 oder J ENTSCH 2006) und marketing, fan culture etc (vgl. z.B. T OMKOWIAK 2003 oder N EL 2005), die sich mit den Romanen verknüpfen lassen, liegt auch eine ausreichend umfangreiche Sekundärliteratur vor, die Ersteinstiege in den kinderliterarischen Diskurs erleichtert. Ein für mich besonders interessanter Versuch, kinderliterarische Texte in ein weitergehendes Konzept einzuordnen, fand nicht in einem sich ausschließlich an Lehramtsstudenten richtenden Seminar statt, sondern in einem Seminar des ersten Semesters des Leuphana Bachelors der Universität Lüneburg, das fächerübergreifend Studierende unterschiedlicher Disziplinen zusammenbringt. 9 Die Grundkonzeption der Veranstaltungen eines der Module dieses Semesters sieht vor: Es geht in diesem Modul nicht um ausgesprochene Fachkompetenz, sondern um eine allgemeine Kompetenz des wissenschaftlichen Arbeitens und um die Erweiterung der Allgemeinbildung in der Geschichte der Wissenschaften, Techniken und Künste. Es sollten erste Grundschritte in historisch-philologischer Quellenkritik, in Text-, Bild- und Musikhermeneutik erklärt werden. Ein besonderer Schwerpunkt sollte auf das wissenschaftliche Lesen und Schreiben gelegt werden. Für das Seminar zum Thema Childhood and children’s literature around 1900, das als Teil dieses Moduls angeboten wurde, wurden die folgenden Ziele festgelegt: The aim of this seminar is to provide students with an understanding of ways in which childhood and youth have been represented in literature, to introduce them to some representative turn-of-the-century children’s texts and to enable them to analyse these closely for cultural constructions of childhood. It also aims to enable students to see the link between the history of children’s literature and the agendas of the adults who write, produce, and buy books. Texte wie Oscar W ILDE s fin de siècle Kunstmärchen The Happy Prince and Other Tales (1888), das Bilderbuch The Tale of Peter Rabbit (1902) von Beatrix P OTTER and J. M. B ARRIE s Theaterstück Peter Pan, or The Boy Who Wouldn’t Grow Up, das 1904 uraufgeführt wurde, trafen auf historische, juristische und sozialwissenschaftliche Fragestellungen wie die in Abb. 2 [ ( S. 204] wiedergegebenen, die der Anlass für studentische Rechercheaktivitäten waren. 204 Emer O’Sullivan 10 Vgl. als eine frühe theoretische Auseinandersetzung mit dieser Frage, die gleichzeitig ein großes Korpus englischer und deutscher Primärliteratur zu Tage förderte, O’S ULLIVAN (1989) und (1990). 11 So z.B. eine Gegenüberstellung von B ADWIN (1973), eine für Kinder und F RAYN (2002) eine für Er- 37 (2008) Abb. 2: Rechercheaufgaben für Experten im fächerübergreifenden Seminar Diese Recherchen lieferten wiederum die Basis für die Diskussion der Primärtexte, bei denen die jeweiligen ‚Experten‘ ihre neu erworbenen Kenntnisse einfließen ließen. Wenn man sich das Engagement und das Interesse der Studierenden bei dieser Art der Arbeit mit kinderliterarischen Texten und die Qualität der im Seminar erstellten Arbeiten ansieht, käme man nicht auf die Idee, dass es sich bei diesen Primärtexten um solche handelt, die für Studierende ‚unter Niveau‘ sein könnten. Kinderliterarische Texte interagieren hier mit sozial- und kulturwissenschaftlichen Fragestellungen in einer Weise, die sowohl für Studierende anderer Fächer als auch für die der Anglistik relevant sein könnte. In Seminaren des Typs b) - Seminare ohne erkennbaren kinderliterarischen Fokus kann KJL neben andere Literaturformen treten. Bei einem Seminar über das Deutschlandbild in der britischen Literatur werden zu einer Beschäftigung mit der komparatistischen Disziplin der Imagologie (vgl. B ELLER / L EERSSEN 2007) und damit mit der Rolle von nationalen Stereotypen in literarischen Texten 10 konkrete Gegenüberstellungen treten können zur Funktionsweise von Bildern von einem anderen Land in unterschiedlichen Medien wie Buch und Film oder z.B. in Spionage- oder Kriegsromanen für Erwachsene und Verarbeitungen des gleichen Themas in kinderliterarischen Texten. 11 Die Auseinan- 26.11. and 03.12.07 Childhoods 1870-1910: socio-cultural, educational, legal issues Session: Brief presentations on selected issues by pairs of Experts (either 10 minute PowerPoint or poster presentations). The issues of ‘gender’ and ‘class’ are not listed separately as they should be borne in mind when looking into each of the issues. The literature in brackets is a starting point, you will find plenty of material in the library (Seminarapparat), in the Course Material and in the websites listed at the end of the schedule. Look especially at Galbraith 1997 for an account of schooling and reading, at Hendrick 1997 for different constructions of British Childhood from 1800 on and at the three websites on Victorian social and cultural history. Please remember to name the sources you use. % Physical care of babies (Robertson 1974, 408-414) % Home and Family Life (Robertson 1974, 421-420) % Children at school: Educational legislation (Galbraith 1997, Ch 6 and Ch 8) % Reading matter (Galbraith 1997, Ch. 2) % Children at work: Labour laws (http: / / www.victorianweb.org/ history/ hist8.html) % Discipline (Robertson 1974, 414-420) % Crime and punishment (Hendrick 1997, http: / / www.learningcurve.gov.uk/ snapshots/ snapshot25/ snapshot25.htm) % Clothes and fashion (Higonnet 1998, 46-56, Weber-Kellermann 1979, 100 ff, http: / / www.victoriaspast.com/ ChildrenofVicParents/ revisitthepast.html) % Games (Behnken/ du Bois-Reymond 1991, Weber-Kellermann 1979,192 ff) % The Child Study movement (Hendrick 1997) Kinder- und Jugendliteratur in der Ausbildung von Englischlehrern 205 wachsene verfasste Geschichte von kindlicher Spionage und Verrat während des Zweiten Weltkriegs in Großbritannien. 12 Vgl. dazu ausführlicher O’S ULLIVAN / R ÖSLER (2005). 37 (2008) dersetzung in diesem Seminar mit dem Deutschlandbild generell und ein theoretischer Einstieg - sozialpsychologisch zu den Stereotypen und literatur- und kulturwissenschaftlich zur Funktion von Images - erlaubt es, die Auseinandersetzung mit kinderliterarischen Texten zu verschiedenen Entstehungszeitpunkten auf eine literaturwissenschaftlich angemessene Ebene zu stellen und gleichzeitig die Lernenden auch mit einer großen Anzahl von kinderliterarischen Texten vertraut zu machen, die für ihre zukünftigen Schüler von besonderem Interesse sein könnten, da Texte in der Fremdsprache, die das Bild des Eigenen behandeln, auf gesteigerte Aufmerksamkeit treffen können. Ein derartiges theoretisches Seminar ist also in hohem Maße anschlussfähig an didaktische Seminare, die sich mit dem Spiel von Eigen- und Fremdbild befassen. Darauf wird in Kap. 6 eingegangen. 5. Fokus auf die Vermittlung Während also in literatur-/ kulturwissenschaftliche Seminare Primärtexte ‚eingeschmuggelt‘ werden können, muss in literaturdidaktischen Seminaren zur KJL stärker als in denen, die sich auf kanonisierte Literatur beziehen, KJL selbst zum Gegenstand gemacht werden. Sie müssen aber gleichzeitig a) die Aufmerksamkeit auf die vorhandene Vielfalt von didaktischen Vorschlägen lenken und b) das kreative Potenzial der Studierenden wecken und ihre didaktische Phantasie beflügeln. (a) erreiche ich in einem didaktischen Seminar z.B. dadurch, dass ich relativ weit am Anfang einen sogenannten ‚Markt der didaktischen Möglichkeiten‘ vorsehe, auf dem die Studierenden ihren Mitstudenten in Posterpräsentationen ganz unterschiedliche Vorgehensweisen präsentieren. In einem Seminar im Sommersemester 2007 sah dieser Markt z. B. so aus (vgl. Abb. 3 [ ( S. 206]: (b) lässt sich wohl am ehesten durch eine Art reflektiertes Erfahrungslernen erreichen. Die Studierenden erleben im Seminar selbst die Lernsituation der Schüler und machen sie zum Gegenstand des Nachdenkens über didaktische Vorgehensweisen. Dies funktioniert sowohl als Teil einer Lehrveranstaltung in der Ausbildung als auch als ca. 2bis 4stündiger Block in Fortbildungsveranstaltungen. Ich habe dies an verschiedenen Orten z. B. mit einem interkulturellen österreichischen Bilderbuch Das Land der Ecken (U LITZKA / G EPP 1993) und dem deutschen Bilderbuch Die Englandreise (S ALZMANN 1995) durchgeführt. 12 206 Emer O’Sullivan 13 Die Ausführungen in diesem Kapitel stellen eine stark gekürzte Wiedergabe der ausführlichen Beschreibung des Einsatzes dieses Buches im Englischunterricht, im DaF-Unterricht, in transnationalen Projekten und in der Lehrerbildung in O’S ULLIVAN / R ÖSLER (erscheint in Kürze) dar. 14 In O’S ULLIVAN / R ÖSLER (1999) ist die Bedeutung dieser Beschäftigung mit Stereotypen im Rückwärtsgang ausführlich diskutiert worden. 37 (2008) Abb. 3: Markt der Möglichkeiten in einem KJL-bezogenen didaktischen Seminar 6. Die Englandreise als Beispiel für reflektiertes Erfahrungslernen zum Themenkomplex Arbeit mit Stereotypen im Rückwärtsgang 13 Eine Auseinandersetzung unter didaktischen Gesichtspunkten mit Heterostereotypen über die eigene Kultur in den zielsprachigen Texten ist schon früh thematisiert worden (vgl. O’S ULLIVAN 1987, H USEMANN 1984 und 1987 und N ÜNNING 1994). Ihre Relevanz für ein landeskundliches Lernen, das diese Bilder nicht nur wahrnimmt, sondern anhand der Auseinandersetzung mit dem Bild, das die anderen vom Eigenen haben, gleichzeitig einen kognitiven Zugang zur Funktion von Stereotypen überhaupt erreicht, ist deshalb nicht nur unter landeskundlichen, sondern auch unter allgemeinbildenden Gesichtspunkten von besonderer Bedeutung und fördert speziell die Bildung von interkultureller Kompetenz. 14 08. and 15.05.07 Market of teaching ideas Session: Poster presentations and short oral reports on the following articles: % Burwitz-Melzer, Eva: „Mit Literatur verbinden: Bilderbücher in den Klassen 3 bis 6“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Englisch, 38, H. 69 (2004), 15-21 % Rönnqvist, Lilian: „Secondary-level EFL. Melina Marchetta’s Looking for Alibrandi“. In: Sell, Roger D. (ed.): Children’s Literature as Communication. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins 2002, 315-331 (Sek I) % Baumgarten-Millington, Claudia: „Let’s write our own children’s book. Englischunterricht und Gruppenarbeit in einer 9. Realschulklasse“. In: Englisch 30.3, (1995), 81-91 % Brusch, Wilfried / Heimer, Doris: „The Power of Reading: Extensives Lesen und kreatives Schreiben mit Hilfe der Bücherkiste“. In: Englisch 35.2 (2000), 48-57 (Klasse 5-7) % Reisener, Helmut: „Poems-poems-poems“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 3, 1998, 27-42 (Klasse 5-7) % Funk, Karin: „Humpty-Dumpty. Vom authentischen Rhyme zum Storytelling“. In: Fremdsprachen Frühbeginn 2, 2001, 44-53 (Klasse 3-4) % Hesse, Mechthild: „Hoffnung im amerikanischen Ghetto: ein multikultureller ‚community garden‘“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 36, H. 59 (2002), 14-18 (9. Klasse) % Diehr, Bärbel: „Wo drückt der Kinderschuh? Beobachtungen, Überlegungen und Vorschläge zum Problem des Lernfortschritts im Englischunterricht der Grundschule“. In: Englisch 38.3 (2003), 96-104. (3. Klasse) Kinder- und Jugendliteratur in der Ausbildung von Englischlehrern 207 37 (2008) In dem Buch Die Englandreise. Eine wahre Geschichte von Christine S ALZMANN trifft der Leser auf Lisbeth, eine Ratte, die ein großer England-Fan ist. Im ersten Teil des Buches stellt sie sich vor, wie es wäre, wenn sie nach England fahren würde. Sie würde eine echten englischen Lord treffen, eine wunderbare Gemäldesammlung besuchen usw. Das Buch ist in Doppelseiten gegliedert: Auf der linken Seite befindet sich der Text, z.B. „Wenn sie sich verlaufen würde, könnte sie einen der freundlichen englischen Polizisten nach dem Weg fragen“. Die rechte Seite liefert dann ohne Text das Bild eines freundlichen englischen Polizisten. Im zweiten Teil fährt Lisbeth tatsächlich nach England, und tut all die Dinge, die sie sich vorgestellt hatte. Der Text hält diese Tatsachen in einfachen Sätzen fest, er ersetzt die Konjunktivformen der Wunschphase mit Indikativ-Konstruktionen, z.B. „Als sie sich verlaufen hatte, fragte sie einen der freundlichen englischen Polizisten nach dem Weg“. Die Bilder auf der rechten Seite der Doppelseite sind mit den ursprünglichen Bildern der Traumsequenzen fast identisch, sie unterscheiden sich nur in Nuancen, die die Szenen weniger positiv erscheinen lassen. Die nach oben gezogenen Mundwinkel des freundlichen Polizisten hängen nun leicht nach unten und obwohl der körperliche Abstand zwischen Lisbeth und ihm gleich geblieben ist, zeigt seine Körpersprache (z.B. offen ausgestreckte Hände), dass er ihr keine große Hilfe sein wird. Der schöne, sonnige Park ist in der Realität vom Regen überschwemmt, usw. So weit stellt das Buch eine klassische Gegenüberstellung von ‚Realität‘ und Stereotypen dar. Die Überraschung erfolgt am Ende. Auf der Rückreise schaut Lisbeth aus dem Fenster ihres Zugs, die wirklichen englischen Ratten - z.T. angezogen wie Punks - ignorierend. Der Text dazu lautet „England ist genauso, wie ich es mir immer vorgestellt habe, dachte Lisbeth glücklich“. Der Text sieht zunächst so aus, als passe er perfekt zum Thema ‚Konfrontation von Stereotypen mit der Realität‘. Da sich Lisbeths Vorstellungen durch die Begegnung mit der Realität nicht verändert, sondern sich für sie bestätigt haben, ist die Verwendung des Textes für das Thema doch eher auszuschließen. Stattdessen können die Lernenden in eine Diskussion um das Wesen und die Funktionen von Stereotypen verwickelt werden. Was kann man mit diesem Buch im Englischunterricht anfangen, vorausgesetzt man ist überhaupt bereit, ein deutschsprachiges Buch in den Englischunterricht hineinzulassen? Relativ einfach wäre es, die Geschichte auf Englisch erzählen zu lassen, zumindest wenn die Gruppe schon if-clauses beherrscht. Eine Alternative wäre, die Englandreise einer Ratte schildern zu lassen, die in den Köpfen der Lernenden entsteht. Vorgeschaltet sein könnte aber eine andere Überlegung: Was wäre, wenn eine englische Ratte namens Lizzy sich wünschte, nach Deutschland zu fahren? Hier wird es der Klasse leichter und gleichzeitig schwerer fallen, eine Liste von positiven Reisefantasien zusammen zu stellen. Wenn man beim Blick auf den deutschen Ausgangstext verstanden hat, dass hier stereotype Bilder bevorzugt werden, wird zuerst eine Reihe von Autostereotypen aktiviert. Vielleicht geht die Diskussion aber bereits weiter und es werden die bei den Engländern vermuteten Heterostereotypen produziert: Lizzy will aufs Oktoberfest, Lizzy wartet am Bahnsteig auf einen pünktlichen Zug usw. In welche Richtung die Diskussion bezogen auf einen Deutschlandbesuch der Ratte Lizzy 208 Emer O’Sullivan 37 (2008) auch immer verläuft, sie kommt nicht darum herum, sich mit der Frage auseinander zu setzen, was repräsentative Bilder für einen bestimmten kulturellen Kontext sind, wie repräsentativ diese Bilder denn eigentlich sind und wie irreführend. Bei dieser Umkehrung der Situation des Buches kommt es auf der Ebene der Textproduktion für den Englischunterricht zum Verfassen eines Textes in englischer Sprache. Bei den Inhalten hat man es dagegen nicht mit zielkulturellen, sondern mit eigenkulturellen Gegenständen zu tun, und auf der Ebene der Reflexion geht es um eine Auseinandersetzung mit Eigenbild und Fremdbild und um die Funktion von Stereotypen und damit unmittelbar mit einem Bereich des Erwerbs von interkultureller Kompetenz. Eine Seminarsitzung oder Fortbildung mit diesem Buch könnte mit einer Plenarsitzung beginnen, die zunächst das Buch analysiert und danach die obige Aufgabe folgen lässt, bei der die Teilnehmer die Rolle der Schüler im Klassenzimmer übernehmen, schreiben und zeichnen. Danach könnten sie sowohl ihre Produkte als auch die Bedeutung dieses Vorgehens für interkulturelle Lernziele diskutieren. Durch diese Art von reflektiertem Erfahrungslernen wird nicht nur fremdsprachendidaktische Ausbildung betrieben. Die Arbeit mit dem kinderliterarischen Text führt, wenn sie als erfolgversprechend eingeschätzt wird, vielleicht auch dazu, dass man sich der Relevanz der KJL für den Fremdsprachenunterricht und des eigenen Unwissens im Hinblick auf die Vielfalt möglicher Primärtitel bewusst wird. Und dies führt evtl. dazu, dass man sich fragt, warum diese denn eigentlich nicht Teil der Ausbildung waren. Literatur Primärliteratur A HLBERG , Janet / A LBERG , Alan (2004): Each peach pear plum. 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Authentic literary texts involve young learners with genuine use of the foreign language, provide a wide range of input and create a whole imaginary world for the children to enter. This holds true for various different genres such as songs, poems, stories, cartoons, picture books, plays and films etc. In this contribution I will argue that a holistic approach to the teaching of literature which invites young learners not only to read and listen to literary texts but also to actively deal with them is suitable to support language growth. 1. Zur Einführung Für jede Art von Fremdsprachenunterricht in der Grundschule - sowohl den ein- oder zweistündigen Unterricht in dritten und vierten Klassen wie den Unterricht von Klasse 1 bis 4 mit zwei und mehr Wochenstunden als auch für die Klassen, die „in zwei Sprachen lernen“ (D OYÉ / H ÉLOURY 2007) - gilt, was Eva B URWITZ -M ELZER feststellt: „Gerade der frühe Fremdsprachenunterricht kommt ohne authentische literarische Texte nicht aus“ (B URWITZ -M ELZER 2004: 15). Tatsächlich lernen alle Kinder im ‚frühen‘ Fremdsprachenunterricht einige ‚literarische Texte‘ kennen. Um welche Sorten von literarischen Texten es sich handelt, darüber wird zu sprechen sein, und ebenso über das, was sie damit machen können. Was unter ‚authentisch‘ zu verstehen ist, wird erörtert werden. Kinder lernen schon im Fremdsprachenunterricht in der Grundschule literarische Texte kennen, weil diese didaktische Potenziale enthalten, die zu nutzen sinnvoll ist. Ich nenne einige davon: Literarische Texte sind komplex und zugleich übersichtlich und geschlossen; gleichwohl geben sie einander Kontext und lassen sich miteinander verbinden; sie sind interessant, sie regen die Phantasie an und sie regen zum Handeln an, auch und insbesondere zum Sprachhandeln, zum Beispiel zum Verstehen, zum Einprägen und zur Wiedergabe, weil sie interessanten und reichen Input liefern; schließlich sind sie ästhetisch. Sie haben aber, soweit sie authentisch und nicht adaptiert sind, einen Nachteil, den man jedoch auch als Vorteil verstehen kann: Sie passen kaum in eine grammatischlexikalische Progression und sie machen widerständig gegen einen einseitig auf Lernresultate, auf Output, orientierten Unterricht. Literatur und Sprachenwachstum. Zur Bedeutung literarischer Texte ... in der Grundschule 213 1 Zum Thema Sprachenwachstum B UTTARONI (1997). 2 Einen Überblick über Kinder- und Jugendliteratur für den Fremdsprachenunterricht in vielen Sprachen findet man bei O’S ULLIVAN / R ÖSLER (2002). 3 Zur Entwicklung der Lesegewohnheiten bei Kindern und Jugendlichen s. H ARMGARTH (1997). 37 (2008) Ich gehe zunächst auf die fremdsprachendidaktische Diskussion ein, um zu schauen, wie die Potenziale literarischer Texte für den Fremdsprachenunterricht in der Grundschule grundsätzlich beurteilt werden. Alsdann werde ich Unterrichtsbeobachtungen referieren und interpretieren, um in einem letzten Abschnitt die These vom Sprachenwachstum 1 durch Literatur zu begründen: durch Literatur lernen Kinder Sprache. 2. Argumente für den frühen Einsatz von literarischen Texten 2.1 Texte in Aktion Literarische Texte, - mündliche und schriftliche, ob Lieder, Abzählreime, Gedichte, Geschichten, comics / fumetti / bandes dessinées, Bilderbücher, Kinderromane, Filme, Theaterstücke, Simulationen - stellen jeweils ein eigenes, fiktionales Stück Welt dar, dem Kinder im frühen Literaturunterricht ganzheitlich begegnen und mit dem sie auf eigene Weise umgehen können und dürfen (H ELLWIG 1995). Auch die bewusst unvollständige Aufzählung von Textsorten macht deutlich, dass ich, in Übereinstimmung mit der einschlägigen Literatur, von einem breiten Verständnis von literarischen Texten für die Grundschule ausgehe. Dazu gehören auch solche Texte, die eigens für den Fremdsprachenunterricht geschrieben worden sind. 2 Die Texte bieten und erlauben vielfache, vielseitige, sinnliche und sinnhafte Zugänge. Sie können betrachtet, gehört, vorgelesen, als Video angeschaut, nachgesprochen, mimisch und gestisch nachgestaltet, nachgespielt, auf die Bühne gebracht, getanzt, gemalt, memoriert, eventuell auswendig gelernt und auf kindliche Weise notiert und annotiert werden. In jeder Unterrichtssituation gehen die Kinder mit ihnen - je nach Temperament sowie Entwicklungs- und Bewusstseinsstand - auf eigene Weise um. Literarische Texte in der Grundschule sind Texte ‚in Aktion‘. Die Texte werden von der Lehrerin vorgelesen, vorgesungen, vorgezeigt, von den Kindern betrachtet, mitgelesen oder - wenn ihr Kenntnisstand schon fortgeschritten ist - gelesen und in einem ersten Schritt ganzheitlich aufgenommen, danach aber in kleinen Teilen wieder aufgenommen, besprochen, erläutert und von den Kindern durchaus individuell verarbeitet, während des Unterrichts und danach. „Spracherwerb kann nur durch Input erfolgen, aber dieser Input muss häufig verarbeitet werden, damit es zum Erwerb kommt“ (L UTJEHARMS 2007: 115). Literarische Texte liefern reichen Input. Die nachfolgende Verarbeitung ist vielfältig und durchaus persönlich. Denn die Phantasie der Kinder, ihr Vorwissen, ihr Hör- und Sehvermögen, ihre Aufnahmekapazität, ihr Interesse am Gegenstand, ihre Lesekompetenz und ihre Leselust 3 , ihre Fähigkeit, Klänge und Bilder aufzunehmen, und ihre motorischen Reaktionen sind ganz verschieden. 214 Herbert Christ 4 Es sei auf die differenzierten Beschreibungen sprachlicher Kompetenzen im Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen hingewiesen und zugleich daran erinnert, dass diese für Erwachsene ausgelegt sind; eine Beschreibung von Kompetenzen für Kinder steht aus. 5 W EINRICH hat dieses Faktum bildhaft beschrieben: „Die glatten Progressionen werden rauher“ (1985: 252). 37 (2008) Sieht man bereits fremdsprachliches Lernen in der Grundschule als von hermeneutischen Grundsätzen geprägt an, so gehören Blockaden zum Verstehensprozeß. Das Kind soll zwar den Handlungsablauf verfolgen können, aber auch erfahren, daß nicht jedes Wort einer fremden Sprache gleich verstanden werden kann. (K UBANEK -G ERMAN 1992: 12) Wenn das Kind lernt, dass partielles Verstehen und Nicht-Verstehen keine Katastrophe sind, und wenn es erfährt, dass momentanes Nicht-Verstehen auch von seinen Lehrern toleriert wird, dann hat es für seinen aktuellen und seinen künftigen Fremdsprachenerwerb etwas Wesentliches erfahren. Wie Kinder sich handelnd in den Verstehensprozess einbringen, wenn sie literarische Texte hören oder lesen, das ist ganz unterschiedlich. Jedes Kind handelt persönlich und für sich und positioniert sich eigenständig innerhalb der Lerngruppe. Karlheinz H ELLWIG spricht von „spielhandelndem Umgang mit der Fremdsprache“. Dabei geht es u. a. um das Ausprobieren von „Sprechgestaltung, Spielgestaltung, Textumgestaltung“ (H ELLWIG 1995: 36), aber auch um Zurückhaltung: Manche Kinder schweigen zunächst einmal und konzentrieren sich ganz auf die Aufnahme dessen, was ihnen geboten wird. Sie äußern sich nicht-sprachlich: Durch Ausdruck des Entsetzens, der Überraschung, der Freude durch Mimik, Gestik und körperliche Bewegung, u. a. auch durch den Umgang mit dem Zeichenstift und mit dem Malkasten. Alle Formen des Umgangs mit Texten sind für die Kinder subjektiv bedeutsam. Ich erinnere mich an eine Theateraufführung in einer dritten Klasse. Vor Beginn der Aufführung sagte einer der Schüler zu mir: „Je suis le seul garçon qui a trois rôles: la lune (Der Mond musste am Himmel langsam vorbeigezogen werden), le cuisinier (der Koch hantierte ebenfalls sprachlos mit Kesseln) et le valet“. Als Diener hatte er einen Satz zu sprechen. Er war stolz, drei Aufgaben zu haben, drei ‚Rollen‘ zu besetzen, wenn es auch nicht die bedeutendsten waren. Mit allen dreien trug er zum Erfolg der Aufführung ‚spielhandelnd‘ bei, das heißt verstehend, die Handlung mit vollziehend und seinerseits zu ihrem Fortgang beitragend. Die Handlungen geschehen in Interaktion - im sprachlichen und nicht sprachlichen Austausch - und sind Anlass für Verständigung oder Auseinandersetzung. Die Schüler werden durch die Aktionen und Reaktionen ihrer Mitschüler angeregt, ihr eigenes Verständnis und ihre eigenen Lernwege zu vergleichen, eventuell zu ergänzen oder zu korrigieren. Sie lernen also kooperativ. 2.2 Lernfortschritt und Kompetenzentwicklung Der persönliche Umgang mit Texten hat zur Folge, dass der Lernfortschritt in der Entwicklung sprachlicher Kompetenzen 4 von Person zu Person unterschiedlich ist. Er erfolgt nicht im Gleichschritt. 5 Dieser ungleiche Lernfortschritt muss im Literaturunterricht Literatur und Sprachenwachstum. Zur Bedeutung literarischer Texte ... in der Grundschule 215 37 (2008) toleriert werden, auch im Zeitalter der Standardisierung von Lernergebnissen. Natürlich werden Lehrerinnen und Lehrer versuchen, Lernergebnisse - die alle erreichen sollen - festzuhalten. Es bleibt jedoch dabei: Die Schüler lernen im Umgang mit literarischen Texten durchaus individuell, auch in individuellem Tempo. Literarische Texte führen aus dem Gewohnten, dem Alltäglichen heraus. Sie führen in eine fiktive Welt, mit der Kinder von 6 oder 8 Jahren bereits Erfahrungen gemacht haben, aber eine fiktive fremde Welt in einer fremden Sprache. Diese Welt ist komplex. „Literarische Texte, mündlich oder schriftlich, bieten die beste Gelegenheit, sprachlicher und sachlicher Komplexität zu begegnen und diese Begegnung methodisch zu kontrollieren“ (W EINRICH 1985: 252). In der methodischen Anleitung zur Begegnung liegt der Schlüssel zum Erfolg. Kinder hören - um ein Beispiel zu geben - dem Vortrag eines Liedes zu, sie nehmen Rhythmus und Melodie wahr, verfolgen Bewegung, Mimik und Gestik der Lehrerin oder einer Videoaufnahme, dann identifizieren sie einzelne Redeteile, versuchen einzelne Phrasen mitzusingen, fragen nach dem Wortlaut und dem Sinn von Redeteilen, bis sie schließlich den Gesamtzusammenhang verstehen und das Lied im Chor mitsingen können. Das komplexe Gebilde Lied wird also methodisch aufgeschlossen, indem es schrittweise expliziert - „entfaltet“ - und nachvollzogen wird. Die Rezeption erfolgt langsam und allmählich, begleitet von vielen Aktivitäten. Man verzichtet aber zunächst auf zusammenhängende sprachliche Äußerungen. Der langsame und sehr langsame Rezeptionsvorgang beim Umgang mit Texten am Anfang des Fremdsprachenunterrichts ist aber nur dann psychisch erträglich, wenn diese Texte einen intensiven, zwischen den Wörtern und Sachen interessant in der Schwebe gehaltenen Umgang mit ihnen ertragen oder ihn sogar verlangen. Diese Bedingung wird nur von kunstvoll geformten und in diesem Sinn poetischen Texten erfüllt. (W EINRICH 1985: 252) Mit der Langsamkeit der Rezeption von literarischen Texten geht eine Verzögerung der produktiven Sprachtätigkeiten einher. Anders als in einem Fremdsprachenunterricht, der nach einem behavioristischen Reiz-Reaktionsschema abläuft und sogleich nach erfolgtem Input einen adäquaten Output erwartet, folgt der Sprachaufnahme die sprachliche Produktion nicht auf dem Fuße. Die Schüler sind jedoch nicht zur Untätigkeit verdammt. Sie tragen allmählich zusammen, was sie zum Verständnis der fiktiven Situation brauchen: Wörter, Sachen und Handlungselemente. Sie versuchen nachzusingen oder nachzusprechen, Rede im Bild festzuhalten, sie durch ihre Gesten und ihre Bewegungen zu unterstreichen, sie zu notieren. Das tun sie aber nur widerspruchslos und geduldig, wenn die Texte interessant sind und einen „in der Schwebe gehaltenen Umgang mit ihnen ertragen“, wie W EINRICH (1985: 252) sagt. Literarische Texte werden ganzheitlich aufgenommen, sie werden aber nur partiell behalten, gespeichert und eventuell mit einzelnen Redeteilen in anderen Situationen wieder verwandt. Diese Redeteile gehen in den Sprachschatz der lernenden Person über. „Wir bemerken im Englischunterricht immer wieder, dass Kinder chunks of language aus Geschichten speichern und zu einem späteren Zeitpunkt versuchen, diese anzuwenden“ (D IEKMANN 2004: 7). 216 Herbert Christ 37 (2008) Texte bzw. Textteile, die interessieren, wie auch interessante Wörter werden verstanden, behalten und eventuell weiter verwendet. Kunstvoll geformte Sprache, Sprache, die vom Alltäglichen abweicht, erscheint in der Regel interessant. Texte, die gefallen, werden auch gern auswendig gelernt. So trägt der literarische Unterricht gerade mit ästhetisch anmutenden, mit poetischen Texten nachhaltig zum Sprachenwachstum bei. 2.3 Ästhetische Erziehung Literarische Texte dienen der ästhetischen Erziehung. Sie machen u. a. mit literarischen Formen vertraut. Karlheinz H ELLWIG erwartet, dass im Unterricht in der Grundschule „Verinnerlichung von elementaren fremdsprachlichen Literaturstrukturen, von literarischen ‚Schemata‘“ erfolgt (H ELLWIG 1995: 36). ‚Verinnerlichung‘ ist keine analytische Kategorie. Die Kinder werden literarische Strukturen und Schemata wahrnehmen und verstehend aufnehmen, sie werden sie aber nicht sammeln und kategorisieren. Sie festigen jedoch auf diese Weise ihre Vorerfahrungen mit Gattungen wie Märchen, Erzählung, Lied und Gedicht. Sie lernen gute Beispiele kennen und nehmen sie - wenigstens vorübergehend - in ihre eigene Sprache auf, indem sie mit ihnen umgehen, auch wenn sie sie nicht dauerhaft behalten. Nach Ansicht von Albert-Reiner G LAAP und Heribert R ÜCK (2007: 136) sollte schon der Fremdsprachenunterricht in der Grundschule im Dienst der literarischen Propädeutik stehen. Denn er führt durch elementare Literatur in den literarischen Kanon ein. Als elementare Literatur ist das volkstümliche Schrifttum (Märchen, Anekdote, Volkslied, nursery rhyme und dergleichen) anzusehen. Hier liegt ein didaktisch erst ansatzweise genutztes Potential. Auch moderne Textsorten wie Song, Chanson, Witz und Sketch lassen sich bereits auf niedrigem oder mittlerem Lernniveau einsetzen. Elementare Varianten des Erzählens bieten comics, fumetti, bandes dessinées [...] (G LAAP / R ÜCK 2007: 136) Elementare Literatur soll den Grund für das literarische Curriculum legen und auf diese Weise über den Grundschullehrgang hinauswirken. Den Kindern wird diese Funktion und Zweckbestimmung des Umgangs mit Literatur natürlich nicht bewusst. 2.4 Authentizität und Anpassung Ich komme zum Schluss dieses Überblicks auf das Problem der von Eva B URWITZ - M ELZER (2004: 15) angemahnten Authentizität der Texte. Hier ist zu unterscheiden: Für Kinder sind englische oder französische oder spanische Texte aus dem einfachen Grund ‚authentisch‘, weil sie in fremden Sprachen verfasst sind und weil ihnen gesagt wird, dass es sich um Texte handelt, mit denen Kinder ihres Alters, die die andere Sprache sprechen, umgehen (D IEKMANN 2004). Das dürfte die Lerner motivieren, denn sie gewinnen den Eindruck, dass sie auf dem Wege sind, sich sprachlich mit ihren potenziellen Partnern zu vergleichen. Für sie ist es unerheblich, ob sie ihnen in originaler Form vorgelegt und vorgetragen werden oder ob sie für sie adaptiert werden, ob die Lehrerin ein Lied, von der Gitarre begleitet, vorsingt oder ob sie es vom Band anhören. Literatur und Sprachenwachstum. Zur Bedeutung literarischer Texte ... in der Grundschule 217 6 Zu diesem Thema O’S ULLIVAN (2002). 37 (2008) Die meisten in Grundschulen verwendeten literarischen Texte (Lieder, Bilderbücher, Gedichte, Erzählungen) sind für Muttersprachler verfasst, für den privaten Umgang. Das gibt ihnen nach einem allgemeinen Verständnis den Charakter des Authentischen, und mit diesem Argument wird ihre Verwendung im Unterricht häufig begründet: „Ziel war, sie [d. h. die Schüler] mit authentischen englischen Texten in Kontakt zu bringen“ (K NORR 2007: 2). Es werden aber auch Übersetzungen von Kinderbüchern verwendet, also authentische Texte, die in eine andere Sprache übertragen worden sind. Das sind zwar authentische Texte - für Muttersprachler der jeweiligen Zielsprache übertragene Texte, aber keine Originale mit authentischem kulturellem Hintergrund. 6 Eine andere Verletzung der Authentizität ist bei für den Unterricht bearbeiteten, ‚angepassten‘ Texten zu beobachten, bei gekürzten oder vereinfachten Texten. Eine weitere, wenn auch anders geartete Form der Anpassung geschieht durch Vorentlastung, d. h. durch eine spezifische sprachliche Vorbereitung der Schüler im Hinblick auf die Thematik, durch spezifische vorgeschaltete Aufgabenstellungen oder durch Einbringung in die Thematik einer Unterrichtsreihe, z. B. in eine story-line (G ERNGRO ß 2004; K UBANEK -G ERMAN 1992) oder in Simulationen (S IPPEL 2003). Schließlich sind auch Texte, die eigens für die Vermittlung bestimmter sprachlicher Phänomene - Grammatik, Wortschatz, Aussprache - gemacht sind, hinsichtlich ihrer Authentizität zu hinterfragen. Hier sei als Beispiel ein Lied zitiert, das authentisch ist, weil es von Muttersprachlern verfasst ist, aber eigens für den DaF- oder DaZ-Unterricht geschrieben ist und ein grammatisches Problem zum Thema hat: Gestern schwamm der Fisch im Wasser Sieh mal, er schwimmt immer noch Ist er wohl die ganze Nacht geschwommen? (…) Gestern hing der Aff am Baume Sieh mal, er hängt immer noch Hat er wohl die ganze Nacht gehangen? (…) Gestern lag das Faultier rum Sieh mal, es liegt immer noch Hat es wohl die ganze Nacht gelegen? (zit. in B ELKE / L YPP 1985: 33) Eine Dortmunder Gruppe von Studierenden hat dieses Lied zur Einübung der starken Verben verfasst. Der Text passt an einer bestimmten Stelle in den Unterricht; er ist vorentlastet, denn die Kinder oder Jugendlichen hatten vor seiner Benutzung bereits starke Verben kennen gelernt. An solchen Beispielen der Adaption zeigt sich, dass das Problem der Authentizität zu relativieren ist. Ein puristischer Anspruch erscheint kaum angebracht. Denn jeglicher literarische Text, der in den Unterricht eingebracht wird, wird mit der Zweckbestimmung, im Lehr- und Lernprozess zu dienen, ohnehin seiner Ursprünglichkeit beraubt. Sobald er 218 Herbert Christ 7 Bibliographien für englisch- und französischsprachige Bilderbücher bei B URWITZ -M ELZER (2004) und S TEIN (1999). Siehe auch O’S ULLIVAN (2002). 37 (2008) zum Mittel des Lehrens und Lernens wird, wird er aus seinem ursprünglichen Kontext herausgelöst. Dafür kommt er jedoch in einen neuen Kontext und er erhält eine neue Authentizität, eine curriculare Authentizität für Lernende und Lehrende. 3. Szenarien für das Lernen mit literarischen Texten Bisher wurden - ausgehend von der fremdsprachendidaktischen Theorie - Argumente für den Einsatz literarischer Texte im Fremdsprachenunterricht in der Grundschule von Anfang an zusammengetragen. Es wurde über die Rolle der Fiktionalität, die Komplexität von literarischen Texten, die Erfahrung der Fremdheit, die Individualität des Zugangs sowie des Lernfortschritts und schließlich die angestrebte ästhetische Erfahrung der Schüler diskutiert. Im folgenden Abschnitt wird über einige Szenarien aus dem Literaturunterricht in der Absicht berichtet, das Lernen mit Literatur und durch Literatur im fremdsprachlichen Unterricht der Grundschule anschaulich zu machen. Die Auswahl erfolgt nicht nach systematischen Gesichtspunkten - z. B. mit Blick auf eine Progression oder auf ein Lehrgebäude -, sondern phänomenologisch, mit Blick auf charakteristische Beispiele. An ihnen sollen Wege des Sprachenwachstums gezeigt werden. 3.1 Bilderbücher betrachten und lesen Bilderbücher mit kurzen Textpassagen werden gerade im frühen Fremdsprachenunterricht gern genutzt. 7 Denn Bilder und Bildfolgen können betrachtet werden, auch wenn die Sprachkenntnisse noch gering sind. Sie stiften zum Sprachhandeln an, vor allem wenn sie von erzählenden oder dialogischen Texten begleitet sind. Schülerinnen und Schüler erfahren beim Umgang mit Bilderbüchern im Klassenzimmer eine Lesesozialisation, die heute nicht mehr als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann. Dazu gehört, dass man lernt, einer Geschichte ruhig zuzuhören, sich dabei so zu konzentrieren, dass später ein Gespräch über das Buch entstehen kann und dass man den Sinn eines Textes gemeinsam entdeckt. (B URWITZ -M ELZER 2004: 15) Ulla S TEIN (1999: 430) schildert das Szenario des Umgangs mit französischen albums im Anfangsunterricht. Die Schüler sitzen im Halbkreis. „Ich lese vor, zeige dabei auf die Personen und Gegenstände auf den Bildern, versuche den Inhalt durch Mimik, Gestik und Betonung zu unterstreichen. Aber schon nach einigen Seiten unterbreche ich die Lektüre und fordere die Schüler auf: „Dessinez la suite“ [„Zeichnet das, was danach kommt! “] (S TEIN 1999: 430). So werden die Kinder persönlich in die Geschichte hineingeholt, ohne dass sie sich sprachlich ausdrücken müssen. Literatur und Sprachenwachstum. Zur Bedeutung literarischer Texte ... in der Grundschule 219 8 Ulla S TEIN schildert auch den individuellen Umgang von Kindern mit Bilderbüchern und die Arbeit in Gruppen, berichtet vom Wunsch der Kinder, die Alben auszuleihen, um sie zu Hause betrachten zu können. In diesen Lernkontexten fällt die Steuerung durch die Lehrerin weitgehend weg, damit allerdings auch die durchgehende Anleitung zur Sprachhandlung. 37 (2008) Am Anfang steht also die ‚Lektüre‘ der Bilder in der Klasse. 8 Die Bildbetrachtung wird von der Lehrerin angeleitet. Sie erzählt bzw. liest vor, weist auf dieses und das hin, deutet auf Personen, Gegenstände, Bewegungen und Handlungen und hat die Absicht, Zusammenhänge herzustellen, eventuell Erwartungen aufzubauen. Die Kinder bleiben nicht stumm, sondern reagieren auf Deutsch oder Französisch, fragen nach, machen ihre Bemerkungen, wollen wissen, wie es weitergeht. Die Bildlektüre wird also von sprachlichen Äußerungen der Lehrerin und der Schüler begleitet, sie ist Sprachhandlung im vollen Sinn: Hörend und betrachtend verstehen, erzählen, Zustimmung oder Ablehnung ausdrücken, fragen, Hypothesen entwickeln, Zusammenhänge herstellen. Die Schüler finden sich selbst und ihre Welt, ihre Gefühle, Bedürfnisse, Probleme und Interessen wieder, werden aber auch darüber hinausgeführt und erfahren Neues, Fremdes, Andersartiges, Bilderbücher regen die Phantasie an und ermöglichen verschiedene Deutungen, geben Anlaß zu Erweiterungen, Fortführungen, zum Umsetzen in andere Formen. Zudem sind sie authentisch, sie sind nicht gefiltert […] wie viele Lehrbuchtexte, die sich an der lexikalischen und grammatischen Progression orientieren. Die Schüler sind stolz, wenn sie ein echt französisches Buch verstanden haben, eines, das auch französische Kinder lesen. (S TEIN 1999: 431) Das „Neue, Fremde, Andersartige“, das die Schüler kennen lernen, ist eine phantastische Welt, eine Welt der Träume, auch der Albträume, der Gespenster, der sprechenden Tiere, es ist also nicht das Fremde im Rahmen des interkulturellen Lernens, bei dem es um das Verstehen fremder Personen und einer fremden Lebenswelt geht, sondern ein märchenhaftes Fremdes, das sie mit anderen Gleichaltrigen teilen können. Diese Welten sind ihnen aus Märchen, Sagen, Filmen bekannt und möglicherweise vertraut, und trotzdem sind sie in jedem Fall wieder neu. Die Kinder gehen folglich damit verhältnismäßig gelassen um und sind bereit, sich aktiv damit zu beschäftigen. Von Malen und Zeichnen war schon die Rede, ein Schwarz-Weiß-Bild farbig ausmalen, eine Collage machen, ein Kostüm entwerfen. Das „Neue, Fremde, Andersartige“ bietet aber auch „Material zu intensiver Spracharbeit“ (S TEIN 1999: 431). Als beispielsweise ein Haus für die Gespenster gemalt oder kollagiert wurde, lernten die Kinder nebenbei eine comptine, einen Kinderreim: Combien de personnes dans ta maison ? - Une, ma maman, deux, mon papa - Trois, ma sœur, quatre, mon frère Il manque quelqu’un, je crois ? - Mais bien sûr, c’est moi. (zit. in S TEIN 1999: 434) Damit wiederholen die Kinder die Zahlwörter, die Personalpronomen. - Dem Kind, das von Monstern in seinem Bett geträumt hat, gibt der Vater die einfache Erklärung: „C’est parce que tu as mangé trop de tarte aux pattes de mille pattes“ - sie hat zuviel von der Torte mit Tausendfüßlerfüßen gegessen. Das ist Anlass, andere tartes kennen zu lernen: 220 Herbert Christ 9 Eigene Unterrichtsbeobachtung im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des Projekts „In zwei Sprachen lernen“ der Textorschule Frankfurt am Main. 37 (2008) Tarte aux pommes, tarte au myrtilles usw., mit Hilfe einer Sammlung von Tarte-Postkarten, die die Lehrerin mitgebracht hat. - Dies sind Beispiele für ‚intensive Spracharbeit‘ im Umfeld der Erschließung des literarischen Textes. 3.2 Geschichten erzählen und spielen 9 L’histoire du loup - die Geschichte vom bösen Wolf, wurde von einer Lehrerin in einer ersten Klasse erzählt und anschließend von den Kindern gespielt. Der Unterricht lief folgendermaßen ab: Bildgestütztes, mimisch und gestisch begleitetes Erzählen durch die Lehrerin, schrittweises hörendes Verstehen mit aktiver Beteiligung der Kinder (Fragen und Vermutungen, Nachsprechen einzelner Wörter usw.), der Versuch, die Erzählung mit verteilten Rollen zu spielen. Der Inhalt der Erzählung: Ein Wolf lebt in einem Wald, an dessen Rand Kinder spielen. Es ist bekannt, dass er gelegentlich Kinder entführt, und daher vergewissern sich diese, wenn sie am Waldrand spielen, ob er da ist und was er derzeit tut. Darum rufen sie in den Wald: „Loup, y es-tu? “ - „Wolf, bist du da? “ Der Wolf antwortet: „Oui, j’y suis“. Danach fragen die Kinder „Loup, que fais-tu? “ - „Wolf, was machst Du? “ Und er ruft zurück: „Je me lève“. Die Kinder fragen ein anderes Mal: „Loup, que fais-tu? “ und er antwortet: „Je veux sortir“ oder „Je viens tout de suite“. Erneut befragt sagt er: „Je mets mon manteau“ oder „Je mets mon chapeau“ usw. ad libitum. Schließlich antwortet er auf eine neuerliche Frage der Kinder: „Et maintenant, je m’approche à pas de loup. Hou! Hou! Hou! “ „Jetzt komme ich im Wolfsgang, hu, hu, hu! “, und er nähert sich, um ein Kind einzufangen. Die Erzählung wurde mehrfach vorgetragen. Ihr Inhalt war leicht zu erfassen. Schwieriger war es mit der genauen Erfassung der wörtlichen Reden, die das Gerüst der Handlung darstellen und die für das Spiel wesentlich sind, in denen zudem der poetische Reiz der Geschichte liegt. Nachdem die Kinder die Geschichte durch Rückfragen und bestätigende Antworten erfasst hatten, wurde sie gespielt. Das Kind, das die Rolle des Wolfs übernahm, verbarg sich in einer Ecke der Klasse, die übrigen postierten sich vor dem ‚Wald‘ und riefen nacheinander die beiden Fragen: „Loup, y es-tu? “ und „Loup, que faistu? “. Wer den Wolf darstellte, antwortete zunächst wie in der Erzählung der Lehrerin vorgegeben. Beim wiederholten Spielen hatte der Wolf größere Freiheit. Er konnte den Text ergänzen und nach Belieben antworten, um seine vorbereitenden Tätigkeiten zu beschreiben. Nur musste er dafür sorgen, dass er bei seinem Erscheinen entsprechend seiner Ankündigung ausgestattet war. Am Ende musste er die rituelle Ankündigung sprechen: „Et maintenant, je m’approche à pas de loup. Hou! Hou! Hou! “ Mit einigen der wörtlichen Reden hat es eine besondere Bewandtnis. Die Frage „Loup, y es-tu? “ und die Antwort „Oui, j’y suis“ sowie die schlussendliche lange Ankündigung „Et maintenant, je m’approche à pas de loup. Hou! Hou! Hou! “ gehören zu einer Stilebene, die den Anfängern unvertraut ist. Diese Äußerungen gehören zu den poetischen Literatur und Sprachenwachstum. Zur Bedeutung literarischer Texte ... in der Grundschule 221 10 Siehe hierzu die oben [S. 215] zitierte Beobachtung von Anke D IEKMANN . 11 Zu den « niveaux de langue » - den Stilebenen - und ihrer Bedeutung im Fremdsprachenunterricht s. Stourdzé (1969). 12 Hierzu eine Beobachtung: Einer der Schüler der 4. Klasse - ein deutschsprachiges Kind - gab in unserem Fragebogen als Lieblingsbuch „Le Robert“ an. Wir trauten diesem Eintrag nicht und fragten nach. Tatsächlich meinte er Le Robert Benjamin - ein Wörterbuch, das man mit dem Schüler-Duden vergleichen kann. Wir fragten ihn, wie er mit dem Buch umgeht. Wenn er ein Wort nicht versteht, dann greift er zum „Robert“ und liest die 37 (2008) Elementen der Erzählung. Unter dem Aspekt einer grammatischen Progression wären sie durch einfachere Formen wie „Loup, es-tu là“ oder (schwerfälliger) durch „Est-ce que tu es là“ sowie „Oui, je suis là“ zu ersetzen, und an die Stelle des pronominalen Verbs „je m’approche“ würde etwa „j’arrive“ treten. Schließlich würde im Sinne einer linearen grammatischen Progression „à pas de loup“ durch „comme un loup“ ersetzt werden. Die Erstklässler hatten jedoch kein Problem, „y es-tu? “, „j’y suis“ und „je m’approche“ zu verstehen und diese Formeln beim Spielen der Geschichte immer wieder zu verwenden. Sie lernten sie nicht analytisch als grammatische Strukturen, sondern - ohne grammatische Analyse - wie Vokabeln. Sie waren - wie sich zeigte - in der Lage, sie auch auf andere Situationen zu übertragen, denn sie durften sie als Einheiten aufnehmen und übernehmen. 10 Sie machten dabei - ohne dies analytisch zu erfassen - eine ästhetische Erfahrung: Sie lernten einen literarischen Text mit unterschiedlichen Stilebenen kennen. 11 3.3 In der Bibliothek lesen Im Stundenplan der so genannten bilingualen Klassen der Frankfurter Textorschule, in denen deutschsprachige und französischsprachige Kinder miteinander lernen, steht zweimal wöchentlich eine freiwillige Veranstaltung Deutsche bzw. Französische Bibliothek. Die Bibliotheksstunden werden von Müttern betreut. Hier wird das Szenario der französischen Bibliotheksstunden vorgestellt (vgl. C HRIST / H ELLER / W ÄCHTER 2002). Zu Beginn der Stunde versammeln die betreuenden Mütter die Kinder zu einer Vorleserunde, in der sie ein von ihnen ausgewähltes Buch vorstellen und daraus lesen. Nicht alle Schüler beteiligen sich an der Runde, weil sie selbstständig lesen wollen. Sie ziehen sich schon vom Beginn an in die geräumige Leseecke zurück, um dort in einem Buch zu blättern: In einem Bilderbuch, einem Comic, einem Kinder- oder Jugendbuch, einer Tiergeschichte. Manche betrachten auch mit anderen zusammen ein Buch oder ziehen im Verlauf der Lektüre andere heran, um sie auf etwas Interessantes aufmerksam zu machen oder aber um nachzufragen, wenn sie einen Abschnitt oder einen Sachverhalt nicht verstanden haben. Sie tun dies auf Deutsch oder Französisch. Wiederum andere lesen vor den Regalen stehend einzelne Titel an, auf der Suche nach einem Buch, das sie ausleihen wollen. Der Umgang, den die Kinder in der Bibliothek mit Büchern pflegen, ist durchaus individuell. Gelesen wird, solange die Lust anhält. Manche ‚lesen Bücher an‘, andere lesen ‚in‘ Büchern. Manche reden über Bücher, einige schlagen in Wörterbüchern nach, wenn sie etwas nicht verstanden haben. 12 Das ist ein Umgang mit den Büchern, der anders 222 Herbert Christ französische Erklärung. „Dabei sind immer schöne Bilder“. Wenn er auch mit deren Hilfe nicht versteht, was er wissen will, dann greift er zu einem zweisprachigen Wörterbuch. Die Französischlehrerin, um einen Kommentar gefragt, sagte : „Il est assez étonnant au niveau de ses résultats. Il m’apporte quelquefois des phrases qui sont complètement … enfin qui sont très bonnes au niveau de la syntaxe même. Je me demande où il a sorti ça. Il me dit: ,Oui, oui, c’est moi qui ai trouvé‘.“ Das deutet darauf hin, dass er Le Robert Benjamin auch zum Schreiben von Texten nutzt. Diese Beobachtung unterstreicht unsere These vom „durchaus individuellen Umgang“ mit Büchern. 13 Aussage einer Französischlehrerin im Rahmen unserer empirischen Untersuchung. 14 Von den 24 Kindern der dritten Klasse bezeichneten sich 18 und von den 25 Kindern der vierten Klasse 21 als ‚Leseratten‘. 15 Aussage einer Französischlehrerin im Rahmen unserer empirischen Untersuchung. 37 (2008) ist als der in der Schule gepflegte. Dazu eine der Französischlehrerinnen: „On travaille le livre différemment, de façon plus structurée […] Il faut que je sache ce qu’ils ont lu et s’ils ont compris ce qu’ils ont lu ou s’ils ne font que regarder les images“. Im Unterricht streben die Lehrerinnen „un certain niveau suivi de la lecture“ an. 13 Damit ist ein methodisches Lesen gemeint. Dies ist jedoch nicht das Ziel der Bibliotheksstunden. Hier sollen Kinder Lust auf Lektüre bekommen und selbstständig und selbsttätig mit Büchern umgehen. Sie können Hilfe bekommen, brauchen sie aber nicht in Anspruch zu nehmen. Der Zugang der Kinder zur Lektüre ist in der Tat sehr unterschiedlich. Ein Mädchen aus der 3. Klasse betrachtet Tintin et Milou von Hergé und antwortet auf die Frage, was sie liest, mit dem deutschen Titel, den sie von zu Hause kennt: Tim und Struppi. Sie konzentriert sich im Wesentlichen auf die Lektüre der Bilder. Jedoch ist sie gelegentlich veranlasst, auf die französischen Texte zu schauen, um den Sinn genauer zu erfassen. - Die parallele Beschäftigung mit deutschen und französischen Texten konnten wir auch an anderer Stelle beobachten, da viele Kinderbücher in beiden Sprachen vorliegen und die Leser in der Bibliothek gerade auch nach ihnen bereits bekannten Titeln greifen. Diese sind leichter und schneller zu lesen als unbekannte Titel. Kinder der dritten und vierten Klassen sind keine kompetenten Leser. Die von uns befragten bezeichneten sich gleichwohl zum weitaus größten Teil als ‚Leseratten‘: Sie lesen nach ihrer Aussage gern und nach ihrem Empfinden viel. 14 Die Lehrerinnen machen jedoch im Unterricht die Erfahrung, dass für die Kinder die zusammenhängende Lektüre schwierig ist. Sie freuen sich, wenn ihnen der Zugang zum Buch erleichtert wird, indem ihnen z. B. die Geschichte zunächst erzählt wird. „Ils sont beaucoup plus ouvert au fait qu’on leur raconte une histoire, qu’on la raconte en jouant. […] Mais quand ils doivent prendre un livre […] le feuilleter, il n’y a pas de problème, mais le lire, c’est-à-dire un travail de fond, ça leur demande un effort.“ 15 Tatsächlich wechseln viele Kinder in der Bibliotheksstunde vom Betrachten von Bildern zum Blättern in einem Buch und nur gelegentlich zum genauen Lesen. Sie lesen zum Vergnügen und nach eigenem Geschmack und vermeiden eine größere Anstrengung. In der Bibliotheksstunde findet auch Beratung für die Ausleihe von Büchern statt. Der größere Teil der Kinder leiht Bücher aus. Bei der Beratung kommt den betreuenden Müttern eine wichtige Rolle zu, aber auch den Mitschülern oder älteren Geschwistern, die ein von ihnen bereits gelesenes Buch empfehlen. Manche Kinder leihen auch Sachbücher Literatur und Sprachenwachstum. Zur Bedeutung literarischer Texte ... in der Grundschule 223 16 Ein indirekter Einfluss der Lehrerinnen lässt sich dagegen durchaus beobachten, wenn nämlich Bücher, von denen im Unterricht die Rede war, ausgeliehen werden. 17 Eigene Unterrichtsbeobachtung im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des Projekts „In zwei Sprachen lernen“ der Textorschule Frankfurt am Main. 18 Crin-Blanc, von Albert L AMORISSE , Films Montsouris 1952. - Das Buch zum Film: Albert L AMORISSE & Denys Colomb DE D AUNANT , Crin-Blanc. Paris: Hachette 1954. Mit zahlreichen Schwarz-Weiß-Fotos. - Aus dem Film ist ein Buch von René G UILLOT mit dem gleichen Titel hervorgegangen, zuletzt Paris: Hachette Jeunesse 2001. 37 (2008) aus, dieses häufig auf Empfehlung ihrer Lehrerinnen. Auf die Auswahl literarischer Texte haben Lehrerinnen und Eltern nach unseren Befragungen kaum Einfluss. 16 3.4 Eine Unterrichtsreihe mit Crin-blanc - Film und Buch 17 Ich referiere eine mehrwöchige Unterrichtsreihe einer dritten Klasse über den Film Crin- Blanc von Albert L AMORISSE und ein aus dem Film hervorgegangenes Buch. 18 Ort des Geschehens ist die Camargue im Rhone-Delta, eine der wenigen europäischen Landschaften, in der Wildpferde leben. Im Mittelpunkt von Film und Buch stehen ein 15jähriger Junge mit Namen Folco und ein wilder Hengst, den man Crin-Blanc (Weiße Mähne) nennt. Crin-Blanc ist der Leithengst einer frei lebenden Herde. Eines Tages wird er gefangen. Er leistet aber Widerstand gegen jede Zähmung, bis es dem Fünfzehnjährigen gelingt, seine Freundschaft zu erobern. Von ihm lässt er sich schließlich zähmen. Es entsteht eine Freundschaft zwischen Mensch und Tier. Die Unterrichtsreihe verlief folgendermaßen: Tägliches Pensum war eine kurze Sequenz des Films, die allerdings erst zum Schluss der Stunde gezeigt wurde. Vorher wurde im Klassengespräch an den aus den vorhergehenden Stunden bekannten Zusammenhang erinnert, sodann der Inhalt der neuen Sequenz erzählt und schließlich ein Textausschnitt aus dem Buch gemeinsam gelesen. Der idealtypische Stundenverlauf sah so aus: Der bisher bekannte Inhalt des Films wird von den Schülern gemeinsam ‚rekonstruiert‘, das heißt nacherzählt; die Lehrerin stellt ergänzende Fragen korrigiert gegebenenfalls inhaltlich falsche Äußerungen. Es werden Vermutungen über den Fortgang der Handlung geäußert. Die Lehrerin erzählt sodann das Geschehen des neuen Ausschnitts. Fotos werden gezeigt und besprochen. Kopien mit dem gelegentlich gekürzten Text des Buches werden verteilt; sie sind zurückhaltend annotiert. Der Text wird still gelesen. Einige Schüler lesen einzelne Abschnitte des Textes laut vor. Schüler stellen Fragen zu einzelnen Wörtern oder Phrasen. Auf Arbeitsblättern - die gelegentlich auch als Hausaufgabe bearbeitet werden sollen - werden Ergebnisse festgehalten. Die Vorführung des Filmausschnitts ist der Höhepunkt der Stunde und zugleich der Anknüpfungspunkt für die kommende Stunde. Die Unterrichtsreihe forderte und aktivierte eine große Zahl unterschiedlicher Sprachhandlungen: Hörendes Verstehen, das heißt der Lehrerin bei der Erzählung folgen, den Mitschülern zuhören, beim Anschauen des Films den Text verstehen; Hör-Seh-Verstehen (vgl. hierzu S CHWERDTFEGER 2007), z.B. beim Anschauen der Filmsequenzen, während 224 Herbert Christ 19 Zum Lesen in allen seinen Formen s. den Überblick in E HLERS (2007). 20 Der Bericht ist unveröffentlicht. Für den Bericht erhielt die Autorin im Jahr 2007 den Hans-Eberhard Piepho Preis in der Kategorie „Schulpraktische Arbeit“. Anschrift der Autorin: Evangelische Grundschule Potsdam, Große Weinmeisterstraße, 14469 Potsdam. yvetteknorr@gmx.de. 37 (2008) der Erzählungen der Lehrerin, die sowohl von Bildern wie auch von Gestik, Mimik und Körpersprache gestützt wurden; Bilder und Bildsequenzen verstehen und darüber sprechen; Gehörtes aufnehmen, behalten und darüber sprechen; Gesehenes und Gehörtes in den Zusammenhang der Erzählung einbringen; Lesen: überfliegendes Lesen, selektives, genaues Lesen, laut vorlesen 19 ; Fragen stellen, auf Fragen antworten; dialogisch - mit den Mitschülern und der Lehrerin - sprechen; argumentierend reden und schreiben; mündlich erzählen, Erzähltes aufschreiben; Notizen machen, Arbeitsblätter bearbeiten. Erst aus den Sprachhandlungen entsteht für die Schüler das literarische Werk - in diesem Fall bestehend aus Film und Buch. Es erschließt sich nicht allein aus der unmittelbaren Begegnung - aus einer bloßen Konfrontation und auch nicht allein aus der persönlichen Beschäftigung mit Buch, Bildern und Film. Aus den Sprachhandlungen - vor allem den ‚veröffentlichten‘, d. h. den an der Wandtafel oder auf Arbeitsblättern festgehaltenen oder im Tagebuch aufgeschriebenen und somit allen Lernenden mitgeteilten - bilden sich die Figuren der Handlung plastisch heraus, mit ihnen wird der Ort der Handlung wahrgenommen, der Verlauf der Handlung erkannt. Diese Sprachhandlungen sind jeweils komplex, nur selten als einzelne Fertigkeiten beschreibbar. Sie werden von der Lehrerin gesteuert, was nicht ausschließt, dass einzelne Schüler durch ihre Äußerungen, Fragen und Einwände Handlungssequenzen initiieren, die für den gesamten Handlungsablauf bedeutsam werden. Dieser aktive Zugang zur Literatur - aktiv durch wechselnde Sprachhandlungen - ist (wie im ersten Abschnitt ausgeführt) ganzheitlich, persönlich, elementar und spielhandelnd. Er nimmt den Text (in diesem Fall ist es ein Multitext) nicht als Objekt, das zu begreifen und zu analysieren ist, sondern als Ereignis. Das Ereignis wird erlebt, indem die Schüler es selbst hervorbringen. 3.5 Kinder hören/ lesen einen literarischen Text und spielen Theater - The Gruffalo Ich führe als letztes Beispiel ein Theaterprojekt auf der Basis eines Berichts von Yvette K NORR (2007) an. 20 Die Autorin schreibt: Das Theaterprojekt The Gruffalo entstand auf Initiative der Kinder. Im Rahmen der ‚storytime‘ im Englischunterricht wurde den Kindern das Buch The Gruffalo […] in Fortführung der Thematik ,The parts of the body‘ vorgestellt. Ziel war es, sie mit authentischen englischen Texten in Kontakt zu bringen. Es stellte sich heraus, dass nicht wenige Kinder die Geschichte vom Gruffalo bereits in Deutsch kannten, zum Teil den Text des deutschen Buches auswendig aufsagten und begannen, das ‚Gruffalo-Lied‘ […] in Deutsch zu singen. (K NORR 2007: 2) Die Kinder hörten die Geschichte zuerst vom Band und betrachteten dabei die Bilder einer großformatigen Buchausgabe. Die Figur des Gruffalo - eines Monsters - erregte besonderes Interesse und musste genau beschrieben werden. Dieses Monster ist die Phan- Literatur und Sprachenwachstum. Zur Bedeutung literarischer Texte ... in der Grundschule 225 37 (2008) tasiegestalt einer kleinen Maus, die sie zu ihrer Verteidigung gegen ihre natürlichen Feinde (Füchse, Eulen, Schlangen) erfindet und mit der sie ihnen Angst macht. Aber im Verlauf der Erzählung erscheint das Phantom wirklich, und die kleine Maus muss sich seiner erwehren, was ihr durch List gelingt. Eine Skizze des Gruffalo, die von der Lehrerin mit dem nötigen Vokabular beschriftet war, wurde ausgemalt. Danach wurde der Gruffalo-Song geübt. He’s the Gruffalo, Gruffalo, Gruffalo. He’s the Gruffalo He has knobbly knees And turned-out toes And a poisonous wart At the end of his nose. He’s the Gruffalo, Gruffalo, Gruffalo. He’s the Gruffalo His eyes are orange His tongue is black He has purple prickles All over his back. (D ONALDSON / S CHEFFLER 1999) Die anderen Tiere, die in der Geschichte mithandeln, mussten nicht gesondert erklärt, sondern nur im Bild gezeigt werden: Mice, foxes, owls, snakes. Der Text der Erzählung ist auch für Anfänger nicht schwer zu verstehen. Die wenigen, sich in den einzelnen Abschnitten wiederholenden Sprechakte und ihr sprachlicher Ausdruck werden rasch erfasst: Begrüßung und Verabschiedung (hello, goodbye), Frage nach den Absichten und Antwort (Where are you going to? I am going to have a breakfast/ lunch/ tea with ...), Einladung (Come and have breakfast/ lunch/ tea with me/ us), Beschreibung des Gruffalo (He has terrible tusks, etc.). (K NORR 2007: 3) So kamen auch die Szenen des Theaterstücks mit wenigen Redemitteln aus, die von Szene zu Szene nur gering variierten. Die größten Sprech- und Spielleistungen wurden von den Darstellern der Maus verlangt, die in jeder Szene präsent ist. Die Lehrerin bemühte sich, alle Kinder mitspielen zu lassen. „Die Zahl der Kinder machte es möglich, die Gruppe zu teilen und in zwei Gruppen zu spielen. Trotzdem mussten die Rollen mehrfach besetzt werden“ (K NORR 2007: 4). Die Einteilung in zwei Gruppen und die Mehrfachbesetzung der Rollen innerhalb der Gruppen hatten zur Folge, dass „Variationen des Textes entstanden“ - eine von der Spielleiterin tolerierte (vielleicht auch gern gesehene) Entwicklung; zeigte sie doch, dass die Kinder sich und ihre Sprache in den vorgegebenen Rahmen einbrachten. „Die Kinder wählten ihre Rollen selbst. Dies war durchaus nicht unproblematisch, da sich Kinder, denen das Sprechen eher schwer fällt, für die Hauptrolle ‚Maus‘ entschieden. Deshalb wurde in einer Gruppe die Mausrolle geteilt“ (K NORR 2007: 4-5). Es stellte sich heraus, dass einige Kinder nicht nur ihre eigenen Rollen lernten, sondern sich den gesamten Text einprägten und andere Kinder beim Lernen des Textes unterstützten. 226 Herbert Christ 21 Scene I: Mice and Foxes; Scene II: Mice and Owls; Scene III: Mice and Snakes; Scene IV: Mice and Gruffalo; Scene V: Mice, Gruffalo and Snakes; Scene VI: Mice, Gruffalo and Owls; Scene VII: Mice, Gruffalo and Foxes. 22 Die Lehrerin merkt an: „Der Fokus des Englischunterrichts in der Jahrgangsstufe 3 liegt an der Schule auf gesprochenem Englisch. Das Schreiben fand und findet nur punktuell statt“ (K NORR 2007: 3). 23 Siehe dazu das in Fußnote 5 [S. 214] zitierte Diktum von W EINRICH . 24 Das trifft in noch stärkerem Maße auf die nach eigener Aussage auf Output orientierten „Bildungsstan- 37 (2008) Der Szenenplan 21 gab den Kindern ein Gerüst vor, das ihnen das Lernen der Texte erleichterte. So lernten sie ihre Rollen durch gemeinsames wiederholtes Hören und Nachsprechen. Erst als weitgehend Textsicherheit gegeben war, erhielten die Kinder die Textheftchen für die jeweilige Gruppe. 22 (K NORR 2007: 5) Hören und Nachsprechen waren also die herausragenden Sprachtätigkeiten. Das Theaterprojekt The Gruffalo ist in den regulären Unterricht thematisch eingebunden. Das Thema The parts of the body wird mit Hilfe der Arbeit an einem literarischen Text wieder aufgenommen und weiter geführt. Es geht also um Festigung und Erweiterung eines Wortfeldes. Das geschieht mit der Rezeption eines Erzähltextes und seiner Umformulierung in einen Theatertext sowie die Vorbereitung und sprachliche Realisierung einer Theateraufführung. Die Kinder hörten und lasen ansatzweise einen authentischen Text und erarbeiteten mit der Lehrerin eine szenische Fassung. Aus der Rezeption erwuchs allmählich Produktion, und zwar kooperativ. An der produktiven Phase wurden alle Kinder mit unterschiedlichen Aufgaben beteiligt. Sie unterstützten sich wechselseitig beim Erlernen der zu sprechenden Texte. Dabei hatten sie eine gewisse Freiheit der sprachlichen Gestaltung. Für die Aufführung mussten Masken hergestellt werden. Inwieweit die Kinder dabei beteiligt waren, wird im Projektbericht nicht mitgeteilt. 4. Sprachenwachstum bei der Arbeit mit literarischen Texten Im einleitenden Abschnitt war von den didaktischen Potenzialen literarischer Texte die Rede. Auf Grund dieser ihrer spezifischen Potenziale werden sie im Fremdsprachenunterricht der Grundschule gelesen und gehört und gehen Kinder und Lehrerinnen mit ihnen um. Zu den Potenzialen gehört ihre Widerständigkeit: die ‚authentischen‘ Texte fügen sich nicht schlank und glatt und ohne Widerstand in ein Curriculum ein 23 , es sei denn sie werden angepasst. Ein weiteres Potenzial ist, dass sie Freude machen und von Kindern gern gehört und gelesen werden. Für die Arbeit mit literarischen Texten brauchen die Lernenden und Lehrenden Freiräume - Freiräume für die angemessene Rezeption und Freiräume für die Lust des Umgangs mit ihnen. Denn sie zu rezipieren, ob hörend-verstehend oder lesend-verstehend, ob als mündliche oder schriftliche Texte, braucht viel Zeit. Der Rezeption kommt daher ein stärkeres Gewicht zu als im auf sprachlichen Ausdruck fokussierten Fremdsprachenunterricht, wie wir ihn spätestens seit der kommunikativen Wende kennen. 24 Der literarische Literatur und Sprachenwachstum. Zur Bedeutung literarischer Texte ... in der Grundschule 227 dards“ zu. Zur Kritik der Bildungsstandards s. B AUSCH [et al.] (2005). 37 (2008) Unterricht fördert die rezeptiven Kompetenzen in besonderem Maße. Und er fördert den lustbetonten Umgang mit Sprache. Wir erleben also bei der Beschäftigung mit literarischen Texten eine Aufwertung der Sprachaufnahme. Das wurde an allen Beispielen, die wir angeführt haben, deutlich. Nicht nur sprachliche Bezeichnungsmittel müssen hörend und lesend verstanden und zum Teil im Gedächtnis behalten werden, in die eigene Sprache, d. h. in die eigene Fremdsprache, aufgenommen werden, sondern die Texte werden als Ganze rezipiert. Dabei fällt der Blick auf ihre Form und öffnet sich das Ohr für ihren Klang. Ein Gedicht wird anders rezipiert als eine Erzählung, ein Lied anders als ein Filmausschnitt. Was ästhetisch auffällig ist - z. B. als Stilmerkmale, Reime oder literarische Figuren - wird wahrgenommen und in der Regel besser behalten als Unauffälliges. Das Auffällige wird gelegentlich in den eigenen Sprachgebrauch übernommen. Die Betonung der Rezeption bedeutet keineswegs, dass der Ausdruck gering geschätzt wird. Die Sprachaufnahme steht zwar am Anfang und beansprucht Konzentration, aber sie verdrängt darum den Ausdruck und die Entwicklung der produktiven Kompetenzen nicht. Diese kommen nicht erst nach vollendeter Rezeption zur Geltung, werden also nicht ans Ende der rezeptiven Beschäftigung mit Texten verbannt. Verlangsamte Sprachaufnahme rückt die Sprachproduktion nicht in den Hintergrund oder unterdrückt sie gar, sondern sie verlangt eine andere Anordnung der Sprachproduktion. Denn die Sprachaufnahme selbst ist schon ein aktiver Vorgang. Wenn Schüler aufmerksam zuhören, dann sind sie nicht passiv. Sie reagieren beim Hören und Lesen durchaus. Wenn sie einen Text lesen, dann konzentrieren sie sich auf die Lektüre, denken aber dabei laut nach. Sie wollen und sollen und können sich nicht sogleich zusammenhängend äußern. Daher werden einige der produktiven Kompetenzen mit einer gewissen Verzögerung geübt. Zum Beispiel: Dem Lesen von Texten folgt das laute Vorlesen mit gemessenem Abstand. Erst nach dem mündlichen Nacherzählen folgt der schriftliche Ausdruck z.B. in Form von schriftlichen Nacherzählungen oder Kommentierungen (Beispiele in C HRIST 2005). Wir haben an den beispielhaft vorgestellten Szenarien gesehen, dass Ausdruck nicht nur in sprachlichen Äußerungen besteht, sondern dass er sehr viel breiter gelagert ist. Der Ausdruck umfasst gerade bei jungen Personen, die spontaner reagieren als ältere, alles, was der Körper hergibt: Sprache und Körpersprache, Mimik, Gestik, bildhafte Gestaltung, szenische Darstellung, Lachen, Weinen, Ausrufe. Ich erinnere noch einmal an H ELLWIG s Diktum vom Spielhandeln, unter das sich alle diese Ausdrucksformen subsumieren lassen (H ELLWIG 1995: 36). Auch der sprachliche Ausdruck im Umgang mit Literatur ist sehr breit angelegt. Weder beschränkt er sich auf Inhaltsangabe und Kommentar noch stehen diese beiden Sprachhandlungen im Mittelpunkt des literarischen Unterrichts der Grundschule. Er verfügt über eine große Palette von Ausdrucksmöglichkeiten, elementaren und komplexen. Im mündlichen Bereich findet man auf dieser Palette Einwortsätze, Wiederaufnahme von Gehörtem, Nachsprechen, Fragen stellen, auf Fragen der Lehrerin antworten, Singen und Mitsingen, 228 Herbert Christ 25 So lautet der Titel des Friedrich-Jahresheftes 2008 (Jahresheft XXVI/ 2008), herausgegeben vom Friedrich Verlag, in Zusammenarbeit mit Klett. 37 (2008) eine Meinung äußern, jemandem widersprechen, einen auswendig gelernten Text aufsagen, an einer Aufführung mitwirken, Erzählen und Nacherzählen. Im schriftlichen Bereich wird auf der Wandtafel Gelerntes festgehalten, von der Tafel abgeschrieben, werden Wörter in ein Lückendiktat eingefügt, Namen im Text unterstrichen, Textteile vorgelesen, Notizen gemacht, Tagebücher geführt, Wandzeitungen oder Klassenzeitungen kollektiv geschrieben. Die Sprachtätigkeiten, die im Umgang mit literarischen Texten sowohl in der Rezeption wie in der Produktion gefordert werden, sind monologische wie dialogische, sowohl im Bereich der Mündlichkeit wie der Schriftlichkeit. Der einzelne Lerner muss sich sowohl selbsttätig mit dem Text befassen, wie er sich mittätig - im Kollektiv, in der Partnerarbeit, in der Kleingruppe oder in der gesamten Klassengemeinschaft unter Anleitung der Lehrerin - damit beschäftigt. Und in genau dieser doppelten Weise wird er darauf reagieren. Das heißt aber auch, dass das literarische Projekt jeden Schüler und jede Lehrerin persönlich auf eigene Weise fordert und folglich auch anders fördert. Die zu vermutende Ungleichheit des Lernfortschritts wurde schon erwähnt. Mit dieser Feststellung geht die Forderung einher, dass diese unvermeidliche Ungleichheit im Curriculum zu kompensieren ist. Oben wurde dazu ein Vorschlag gemacht: Was von allen zu lernen ist, muss festgestellt und überprüft werden. Ebenso wichtig ist aber alles, was ein jeder, eine jede für sich lernt. Oder um es plakativ zu sagen: Individuell lernen - kooperativ arbeiten 25 , damit sich alle bestmöglich sprachlich entwickeln. Wenn aber mit literarischen Texten individuell gelernt und kooperativ gearbeitet wird, wie das in den Szenarien exemplarisch beschrieben ist, dann wirft das auf die Texte ein besonderes Licht: Sie verändern sich, sobald sie Gegenstände des Unterrichts werden. Um es im Bilde zu sagen: Sie verändern sich unter den Blicken und in den Ohren der Schüler. Die Texte erhalten durch ihre Vermittlung im Unterricht eine neue Qualität. Sie entfalten sich durch den Unterricht und im Unterricht. Schüler und Lehrer stellen sie in einen kommunikativen Zusammenhang, in dem dann die Frage der Originalität und der Authentizität nur eine relative Bedeutung hat. Für die jugendlichen Leser in der Frankfurter Französischen Bibliothek, für Kinder, die sich mit einem Gedicht die starken deutschen Verben einprägen, für die Darsteller der Maus oder des Gruffalo in Potsdam, für die Schüler, die Folco und Crin-Blanc in Buch und Film erleben, werden diese literarischen Werke ihre Werke, die sie tatsächlich erst durch ihre Sprachtätigkeit in ihren Bewusstseinshorizont und in ihre Sprache übernehmen. Das Erlernen dieser Sprachtätigkeiten oder dieser Kompetenzen macht ihr Sprachenwachstum aus, ihren Lernfortschritt in allen für sie relevanten sprachlichen und die Sprache begleitenden Kompetenzbereichen. Literatur und Sprachenwachstum. Zur Bedeutung literarischer Texte ... in der Grundschule 229 37 (2008) Literatur B AUSCH , Karl-Richard / B URWITZ -M ELZER , Eva / K ÖNIGS , Frank G. / K RUMM , Hans-Jürgen (Hrsg.) (2005): Bildungsstandards für den Fremdsprachenunterricht auf dem Prüfstand. Tübingen: Narr. 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E-Mail: Frances.A.Kimes@anglistik.uni-giessen.de Arbeitsbereiche: Literatur- und Mediendidaktik, empirische Unterrichtsforschung, Interkulturelles Lernen. 1 Ich möchte Eva Burwitz-Melzer und Lothar Bredella ganz herzlich für ihre zahlreichen wertvollen Anregungen danken. 37 (2008) A NN K IMES -L INK * Verstehen literarischer Texte durch kreative Aufgaben ? Abstract. In recent years the teaching of literature to advanced EFL learners has been repeatedly criticised for its predominant orientation towards cognitive text analysis and its neglect of the students’ affective faculties as well as their communicative competence. On the basis of an empirical case study I will explore in this contribution to what extent a processand product-oriented approach to the teaching of Shakespeare’s Romeo & Juliet is suitable to encourage students’ active role in creating meaning and to arrive at a profound understanding of the text. 1. Ziele des modernen Fremdsprachenunterrichts in der gymnasialen Oberstufe 1 Leitziel des modernen Fremdsprachenunterrichts ist es, die Lernenden zur erfolgreichen Kommunikation in authentischen fremdkulturellen Kontexten zu befähigen. Dies impliziert die Fähigkeit der Lernenden, sich situations- und partneradäquat über bestimmte Inhalte zu verständigen, „Ideen, Emotionen, Erfahrungen, Kenntnisse und Wünsche“ zu übermitteln und so persönlich relevante Inhalte zu verhandeln (B ACH / T IMM 2003: 12). Für die Verfasser des hessischen Lehrplans ist vorrangige Zielsetzung des Englischunterrichts in der Oberstufe ein handlungs- und schülerorientierter Fremdsprachenunterricht, der den Lernenden mit seinen komplexen Fertigkeiten und Fähigkeiten erfasst und seine kommunikativen wie interkulturellen Kompetenzen fördert (H ESSISCHES K ULTUSMINISTE - RIUM 2006: 7). Für den Umgang mit literarischen Texten im Fremdsprachenunterricht haben sich handlungs- und produktionsorientierte Verfahren mittlerweile bildungspolitisch etabliert, d.h. sie haben sowohl in zahlreichen neueren Rahmen- und Lehrplänen als auch in den Einheitlichen Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung Englisch (EPA) nunmehr ihren festen Platz. Laut des hessischen Lehrplans sollen Lernende im Sinne einer rezeptionsästhetisch orientierten Literaturdidaktik „bei der Beschäftigung mit Literatur die Wirkung künstlerischer Gestaltungsmittel als kreativen Prozess“ erfahren, indem sie aktiv an der Erschließung eines literarischen Textes beteiligt werden und somit der kreative Gebrauch der Fremdsprache angeregt wird (HKM 2006: 11). In den EPA heißt es, dass Verstehen literarischer Texte durch kreative Aufgaben? 231 37 (2008) selbst die schriftliche Abiturprüfung offen ist für produktionsorientierte, gestaltende Bearbeitungsformen (KMK 2002: 4). Nichtsdestotrotz wird von fachdidaktischer Seite oft beklagt, dass die Integration kreativer Verfahren im Umgang mit Texten im Englischunterricht noch immer vielfach vernachlässigt werde (vgl. B URWITZ -M ELZER 2005: 94 f; D OFF / K LIPPEL 2007: 130) und insbesondere der fremdsprachliche Literaturunterricht in der gymnasialen Oberstufe heutzutage noch sehr ‚verkopft‘ sei (S URKAMP 2007: 104). Darüber, ob kreative Verfahren für den Umgang mit literarischen Texten im Fremdsprachenunterricht mittlerweile Eingang in die Unterrichtspraxis gefunden haben, und wenn ja, wie sie in der Praxis umgesetzt werden, ist allerdings aufgrund mangelnder empirischer Belege bis dato wenig bekannt. Dieser Beitrag stellt einen ersten Schritt in diese Richtung dar, indem er anhand einer aktuellen empirischen Fallstudie den Einsatz handlungs- und produktionsorientierter Verfahren im englischen Literaturunterricht der Oberstufe bei der Behandlung von William Shakespeares Romeo & Juliet veranschaulicht. Die Analyse der Beispiele zeigt einerseits auf, dass kreative Verfahren geeignet sind, Lernende dazu anzuregen, sich affektiv-engagiert mit dem Text zu beschäftigen und mit ihren Mitschülern unterschiedliche Interpretationsansätze auszuhandeln. Andererseits wird aber auch deutlich, dass beim Umgang mit kreativen Schülerprodukten noch einige Schwierigkeiten bestehen. Im Folgenden werden zunächst die Prämissen der rezeptionsästhetischen Literaturdidaktik sowie Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes kreativer Verfahren im fremdsprachlichen Literaturunterricht nachgezeichnet, die als theoretische Fundierung für die Darstellung und Analyse des sich anschließenden empirischen Fallbeispiels dienen. 2. Rezeptionsästhetische Literaturdidaktik Die rezeptionsästhetische Literaturdidaktik richtet ihre Aufmerksamkeit auf das dynamische Wechselspiel zwischen Text und Leser und betont die aktive Rolle des Rezipienten bei der Bedeutungskonstitution. Dementsprechend ist die Bedeutung eines literarischen Textes nicht wie ein Gegenstand gegeben, sondern entsteht erst durch die Interaktion zwischen Leser und Text (B REDELLA 2003: 57). Sartre (1964) beschreibt den Akt des Lesens als ‚gelenktes Schaffen‘ (création dirigée), in dem der Leser dem literarischen Text seine Gefühle und Vorstellungen zur Verfügung stellen muss, um dessen Bedeutung zu entfalten (zit. in B REDELLA 2002: 44). In seinem Werk Der Akt des Lesens prägt I SER (1976) den Begriff der dem Text inhärenten Leerstelle, die der Leser im Leseprozess aktualisieren und konkretisieren muss, indem er die unterschiedlichen Elemente eines Textes in Beziehung setzt und so in Interaktion mit dem Text den Sinn konstituiert. Die Psycholinguistik differenziert hinsichtlich des interaktionistischen Charakters des Lesens zwischen den Prozessen bottom-up und top-down (H ERMES 1998: 230): Während bottom-up die Progression von Buchstaben über Worte und Sätze bis hin zur Textbedeutung bezeichnet, kennzeichnet top-down die Erwartungen, das Vorwissen und das Interesse des Lesers, auf deren Grundlage er dem Text begegnet. Neben dem Erkennen von Worten und Sätzen muss der Leser Verstehensleistungen erbringen, indem er auf Grund- 232 Ann Kimes-Link 2 Dass Sprache vor allem in der Interaktion mit anderen gelernt wird (vgl. L IGHTBOWN / S PADA 2003: 42 ff), trifft nicht nur auf die Erstsprache zu, sondern ist auch für schulisch gesteuerte Fremdsprachenerwerbsprozesse von besonderer Bedeutung. 37 (2008) lage seines kulturellen Hintergrundwissens Hypothesen und Inferenzen bildet (B URWITZ - M ELZER 2003: 6). Weiterhin bringt der Leser dem Text in allen Phasen des Lesens und Verstehens bewusst oder unbewusst bestimmte Gefühle und Einstellungen entgegen, d.h. affektive Komponenten fließen in den Leseprozess automatisch mit ein. Insgesamt ist der Lesevorgang folglich durch rezeptive, produktive, kognitive, affektive und imaginative Momente gekennzeichnet (S URKAMP 2007: 91). Vor diesem Hintergrund wird die Textinterpretation zum dynamischen Prozess, in welchem sich „Verstehen in der Dialektik von Lenkung durch den Text und Freiheit der Deutung vollzieht“ (B REDELLA 2003: 53 f). Die Auffassung einer endgültigen Bedeutung eines Textes wird damit unhaltbar, was nicht heißt, dass sich Interpretationen nicht kritisieren lassen und die Spannung zwischen Text und Leser einseitig zugunsten des Letzteren aufgelöst wird. Charakteristisches Merkmal der Rezeptionstheorie ist mithin, dass sie den Leser als gleichberechtigten Partner des Autors in dem Prozess der literarischen Kommunikation wiederentdeckt hat. Dies hat Konsequenzen für den schulischen Literaturunterricht: Die Interaktion zwischen Text und Leser im Unterricht sollte so gestaltet werden, dass der Leser einerseits ein besseres Verständnis der Realität gewinnt, auf die der Text explizit oder implizit verweist, und dass er sich andererseits ein erweitertes und differenziertes Selbst- und Weltverständnis erarbeiten kann (B REDELLA 2004: 60). Für die Lernenden bedeutet das, dass sie in der Interaktion mit dem literarischen Text sowohl eine Innenals auch eine Außenperspektive einnehmen müssen. Eine Innenperspektive nehmen sie ein, wenn sie sich in die Charaktere hineinversetzen und versuchen, ihre Gefühle und Handlungen aus deren Perspektive heraus zu verstehen. Dadurch entwickeln sie Empathie, überschreiten ethnische und kulturelle Grenzen und erweitern ihren subjektiv begrenzten Horizont. Aus der Außenperspektive eines reflektierenden Beobachters ist der Leser angehalten, das Dargestellte kritisch zu beurteilen, denn Texte verkörpern eine bestimmte Sicht der Dinge, von der sie den Leser zu überzeugen suchen. Indem der Leser eine zustimmende oder ablehnende Haltung dazu einnimmt, kommen automatisch seine Wertvorstellungen ebenso wie seine „kognitiven, affektiven und evaluativen Fähigkeiten ins Spiel“ (B RE - DELLA 2007: 28). Ein rezeptionsästhetisch orientierter Umgang mit literarischen Texten trägt deshalb der pädagogischen Forderung eines schülerzentrierten Unterrichts Rechnung, indem er Lernende dazu einlädt, sich nicht nur kognitiv, sondern auch affektiv-emotional auf Texte und Inhalte einzulassen und sich intensiv mit ihnen auseinander zu setzen. Lernende werden zudem dazu angeregt, sich mit ihren Mitschülern über persönliche Leseerfahrungen und individuelle Sinnbildungen auszutauschen. Die durch den authentischen Sprechanlass initiierte gemeinsame Bedeutungsaushandlung (negotiation of meaning) über unterschiedliche Interpretationsansätze erweitert dabei gleichzeitig das rezeptive, produktive und interaktive Sprachkönnen der Lernenden im Dialog. 2 Nicht zuletzt zielt eine Verstehen literarischer Texte durch kreative Aufgaben? 233 37 (2008) rezeptionsästhetisch orientierte Literaturdidaktik darauf ab, Freude am Lesen, Imagination und Kreativität, Selbsterfahrung und Fremdverstehen sowie eine Auseinandersetzung mit menschlichen Grunderfahrungen zu fördern (N ICKEL -B ACON 2006: 97). Es ist deshalb eine zentrale Aufgabe der rezeptionsästhetischen Literaturdidaktik, Methoden zu entwickeln, die den Interaktionsprozess zwischen Leser und Text unterstützen und intensivieren. Dazu eignen sich insbesondere kreative Verfahren, wie sie im Folgenden dargestellt werden. 3. Kreative Verfahren der Texterschließung Unter dem Einfluss der Rezeptionsästhetik hat sich die fremdsprachliche Literaturdidaktik in den letzten 20 Jahren zunehmend gegen die bis dato vorherrschende Dominanz textanalytischer Verfahren eines New Criticism und für die Integration schülerzentrierter, kreativer Formen der Textarbeit ausgesprochen (B REDELLA / B URWITZ -M ELZER 2004; B URWITZ -M ELZER 2003; C ASPARI 1994; N ÜNNING 1995; S URKAMP 2007). Die Hinwendung zu kreativen Formen der Textarbeit resultiert aus der Überzeugung, dass eine einseitige Betonung kognitiver Methoden bei der herkömmlichen Textanalyse und das Schaffen abfragbaren Wissens zu einer Vernachlässigung affektiver Komponenten und kreativer Verstehensleistungen auf Seiten der Lernenden führt (B ENZ 1990; N ÜNNING 1997). Zudem mündet ein rein formalästhetischer Ansatz in einem festgelegten Analyseraster und einer einseitigen Methodik im Umgang mit Literatur (D ELANOY 2002: 23), die einem eher lehrerzentrierten Ansatz im Unterricht entsprechen würde. Kreativen Verfahren für den Umgang mit literarischen Texten wird dagegen nicht nur das Potenzial zugesprochen, die Interaktion der Lernenden mit dem Text in den einzelnen Phasen des Leseprozesses sinnvoll zu unterstützen (B URWITZ -M ELZER 2003: 21), sondern auch dass sich die aktive Auseinandersetzung mit dem Text positiv auf die Lern- und Behaltensleistung der Lernenden auswirkt (vgl. S OMMERFELDT 2004). Kreative Verfahren rücken die bedeutungs- und sinnkonstruierenden Tätigkeiten der Lernenden auf der Grundlage ihres Weltwissens, ihrer Interessen und Bedürfnisse in den Mittelpunkt (vgl. N ÜNNING / S URKAMP 2006). Indem sie Schülerinnen und Schüler zu sprachlichen Handlungen über den Text, zum Austausch über ihre Einstellungen, Gefühle und Erfahrungen sowie zum Aushandeln verschiedener Deutungsansätze anregen, schaffen sie wichtige Sprech- und Schreibanlässe und sinnvolle Kontexte, in denen Lernende bedeutsam mit ihren Mitschülern interagieren können (vgl. L EGUTKE 2003). Kreative Zugangsformen adressieren gleichermaßen die kognitiven und affektiven Fähigkeiten der Lernenden und erlauben es, die Förderung von interkultureller, kommunikativer und literarischer Kompetenz sowie von Imagination, Empathie und Identitätsentwicklung gewinnbringend zu integrieren (vgl. S PINNER 2006). Schließlich fördern solche Zugangsformen soziale und kulturelle Schlüsselkompetenzen wie Perspektivenwechsel und Empathie, die nicht nur eine elementare Voraussetzung für interkulturelles Lernen, sondern für soziales Handeln insgesamt darstellen. Die Funktion kreativer Verfahren beim Umgang mit literarischen Texten im Fremd- 234 Ann Kimes-Link 3 Zum Begriff der Kreativität s. auch H OLLWITSCH (1999), P ÜTZ (2000), S OMMERFELDT (2004). 4 C ASPARI (1994/ 2005) differenziert hingegen für den kreativen Umgang mit literarischen Texten zwischen dem produkt-, dem persönlichkeits- und dem prozessorientierten Ansatz. 37 (2008) sprachenunterricht ist bisher allerdings weitgehend unerforscht und selbst die Verwendung des Kreativitätsbegriffs ist in der pädagogischen Literatur sehr heterogen. S PINNER (1993: 108) charakterisiert Kreativität einerseits als „Durchbrechen sprachlicher Normen“, andererseits als „Selbstausdruck“, wobei er die „Aktivierung der Imaginationskraft“ als besonderes Merkmal betont. C ASPARI (1995: 346) definiert unter Berücksichtigung der Ergebnisse verschiedener Forschungsrichtungen Kreativität als „die prinzipiell in jedem Menschen angelegte Fähigkeit […], verschiedene ihm bekannte Elemente in neuen Zusammenhängen so miteinander zu verbinden, dass daraus etwas für ihn bzw. für seine Gruppe ‚Neues‘ und ‚Sinnvolles‘ entsteht.“ Laut VON H ENTIG (2000: 15) bezeichnet Kreativität ursprünglich ein Forschungskonstrukt zur Erklärung eines divergenten Denkvermögens, das zu unerwarteten, eigenwilligen und ungewöhnlichen Leistungen führt. 3 H INZ (2003: 351 f) differenziert hinsichtlich eines handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts zwischen primärer und sekundärer Kreativität. Bei der primären Kreativität produzieren Schüler Lernertexte, die keinen direkten Bezug zu Inhalt oder Struktur des literarischen Textes haben. Der literarische Text fungiert hier lediglich als Impulsgeber für die Entwicklung eigener Gedanken und Ideen und als Muster für die eigene Textproduktion. Bei der sekundären Kreativität reagiert der Lernende auf den literarischen Stoff, indem er kreativ mit dem vorliegenden Text umgeht, ihn umgestaltet oder erweitert, sodass der direkte Rückbezug auf den literarischen Text charakteristisch ist. B RUSCH (1992: 36) spricht diesbezüglich von dependent authorship und betont, dass Lernende bei diesen Verfahren ihre ureigensten Gedanken mit ins Spiel und zum Ausdruck bringen. 4 Trotz all der Vorzüge, die mit dem Einsatz kreativer Verfahren in Verbindung gebracht werden, wurde in der Vergangenheit wiederholt Kritik an einem kreativitätsorientierten Literaturunterricht geübt. Ausgangspunkt für die Kritik aus fachdidaktischer Perspektive ist die Annahme, dass die Auswahl der Verfahren häufig unzureichend reflektiert und ohne didaktische Legitimation sei, einem methodischen Aktionismus Vorschub leiste, subjektive Formen des Textzugangs bei fehlendem Inhaltsbezug überbetone und so einer interpretatorischen Beliebigkeit das Wort rede (vgl. C ASPARI 2005). Eine weitere Problematik im Zusammenhang mit dem Einsatz kreativer Verfahren ist die Bewertungsgrundlage kreativer Schülerprodukte, denn spätestens wenn kreative Bearbeitungsformen Gegenstand von Bewertung z.B. als Klassenarbeiten sind, kommt die Lehrkraft um eine Benotung nicht umhin. S OMMERFELDT (2004: 7) unterscheidet in Bezug auf den Umgang mit kreativen Schülerprodukten zwischen Würdigung und Benotung. Die Würdigung beinhaltet sowohl die Wahrnehmung einer kreativen Leistung als auch die Rückmeldung an ihren Urheber. Die Rückmeldung darf sich dabei nicht auf sprachliche Defizite beschränken, sondern muss auch auf den Inhalt der imaginativ-produktiven Leistung Bezug nehmen. Als Kriterien für eine Benotung nennt S OMMERFELDT u.a. Kohärenz mit dem Ausgangstext, Verstehen literarischer Texte durch kreative Aufgaben? 235 5 Zu verschiedenen Formen des Umgangs mit imaginativ-produktiven Ergebnissen sowie zu Beispielen der Rückmeldung s. S OMMERFELDT (2004: 6-8). 37 (2008) innere Kohärenz, Problemtiefe und Differenziertheit sowie stilistische Gestaltungskraft und Konsequenz hinsichtlich der zu erstellenden Textsorte (ibid.: 7 f). 5 H INZ (2003: 355) schlägt als Beurteilungskriterien die Kategorien Inhalt (Gedankenreichtum und Originalität, Plausibilität der Darstellung) und Bezug zum Ausgangstext (Rückbezug auf den Inhalt des Textes, Berücksichtigung der Konstituenten des Ausgangstextes) vor. Der Lehrende hat beim Einsatz kreativer Verfahren in jedem Falle dafür Sorge zu tragen, dass die Lernenden bei aller Freiheit handlungs- und produktionsorientierter Aufgaben dem Text gerecht werden (C ASPARI 2000: 86). Das beinhaltet es u.a. aufzudecken, wenn die Deutungen der Lernenden auf objektiv falschen Einschätzungen, fehlendem Wissen und fehlenden Fähigkeiten beruhen. 4. Fallstudie: Romeo & Juliet in einem Leistungskurs der Klassenstufe 13 Im Folgenden wird anhand eines aktuellen empirischen Beispiels gezeigt, wie kreative Aufgaben zur Erschließung von William Shakespeares Tragödie Romeo and Juliet in einem Englisch-Leistungskurs der Klassenstufe 13 eingesetzt werden, wie die Lernenden im Unterrichtsgespräch unterschiedliche Interpretationen verhandeln und welche Rolle die Lehrkraft dabei übernimmt. 4.1 Kontextualisierung der Fallstudie im Forschungsprojekt Die Fallstudie entstand als Pilotstudie im Rahmen meines Dissertationsprojektes mit dem Arbeitstitel „Fremdsprachlicher Literaturunterricht in der gymnasialen Oberstufe: eine qualitativ-empirische Studie“. Im Sinne einer Daten-, Methoden- und Perspektiventriangulation gewährt die Studie Einblick in die gegenwärtige Praxis des fremdsprachlichen Literaturunterrichts in der gymnasialen Oberstufe anhand mehrerer Fallstudien. Durch Videoaufnahmen dokumentierte Unterrichtsbeobachtungen, schriftliche Schülerarbeiten sowie Leitfadeninterviews mit Lehrkräften und Lernenden werden herangezogen, um u.a. aufzuzeigen, wie sich literaturdidaktische Konzepte und bildungspolitische Überlegungen in der Unterrichtsrealität widerspiegeln, wie Lehrkräfte bei der Behandlung literarischer Texte methodisch vorgehen und wie sich die Rezeptionsprozesse im Lehr- und Lerngefüge gestalten. Dabei ist es für die Studie von besonderer Wichtigkeit, dass die Forscherin an der Entwicklung, Planung und Durchführung der Einheiten nicht beteiligt ist. 4.2 Institution, Lerngruppe und Lehrkraft Die Unterrichtseinheit fand von Oktober bis Dezember 2006 in einem Englisch-Leistungskurs der 13. Klasse statt, der fünf Stunden Englisch in der Woche hat. Dieser Kurs gehört zu den ersten, die im Frühjahr 2007 das (damals neue) Landesabitur ablegen. Bei 236 Ann Kimes-Link 37 (2008) der Schule, die sich in einer mittelgroßen Stadt im Wetteraukreis in Hessen befindet, handelt es sich um ein altsprachliches Gymnasium. Die Lerngruppe besteht aus zehn Schülerinnen und dreizehn Schülern, die seit der 3. bzw. 5. Klasse Englischunterricht hatten und zum Zeitpunkt der Beobachtung allesamt volljährig sind. Ein Schüler hat amerikanischen Migrationshintergrund. Die Lehrerin ist zum Zeitpunkt der Dokumentation seit einem Jahr im Schuldienst, d.h. sie hat nach Abschluss ihres 2. Staatsexamens den Leistungskurs übernommen. Nach eigener Aussage im retrospektiven Interview liest die Lehrerin regelmäßig literarische Texte mit dem Kurs und beschreibt ihr Potenzial dahingehend, dass in ihnen „Sachverhalte oder Themen durch Figuren inszeniert“ werden, was den Schülern ermögliche, „Perspektiven zu übernehmen“ und sie so einen besseren Zugang bekommen würden als etwa zu Sachtexten. Die Lehrerin verfolgt mit ihrem Literaturunterricht das Ziel, den Schülern „den Zugang zu Literatur“ und „zu einer anderen Epoche“ zu ermöglichen und interkulturelles Lernen zu fördern, indem sie immer wieder den Bezug zur Gegenwart und zur Lebenswelt der Lernenden herstellt. Sie berücksichtigt bei der Methodenwahl eine Vielzahl analytischer wie kreativer Formen der Texterschließung, um einerseits die Motivation der Lernenden zu fördern und ihnen andererseits ein möglichst vielseitiges Handwerkszeug für die selbstständige Erschließung literarischer Texte an die Hand zu geben. Die Funktion kreativer Verfahren sieht sie darin, das „tiefere Verständnis der Szenen zu überprüfen“ sowie in der „Transferleistung“ der Schüler, das, was sie „am Text erarbeitet [und] verstanden haben, um[zu]setzen“ und dabei verschiedene Perspektiven zu erarbeiten. Schließlich stellen kreative Verfahren „einen persönlichen Zugang zu einer Lektüre oder zu einem Aspekt der Lektüre“ dar und ermöglichen, „den ganzen Kurs anzubinden“, indem die Produkte erklärt und im Plenum diskutiert werden. Der von der Lehrerin verfolgte schülerorientierte Ansatz und das gute Klima in der Klasse sorgen für eine aktive Beteiligung auf Seiten der Lernenden und einen großen Beteiligungsradius. 4.3 Sachanalyse von Romeo & Juliet William Shakespeare ist in den Lehrplänen der meisten Bundesländer der einzige Pflichtautor und die Lektüre eines Shakespearedramas im Original obligatorisch: Dies gilt auch für Hessen (HKM 2006: 52). S CHMIDT (2004: 60 f) nennt als Auswahlkriterien für ein Shakespearedrama für den Fremdsprachenunterricht u.a. ein überschaubares Personeninventar, eine einfache Handlungsstruktur sowie die Möglichkeit zum emotionalen Engagement. Shakespeares Romeo and Juliet ist eine Liebestragödie in fünf Akten in Vers und Prosa, die etwa um 1595/ 96 auf dem Höhepunkt der elisabethanischen Liebesdichtung entstand. Dies spiegelt sich im lyrischen Reichtum der Sprache, in der stilisierten petrarkistischen Metaphorik und in den auffälligen Sonettstrukturen des Textes wider (B OLTZ 2000: 1). Die Tragödie um die beiden Liebenden aus verfeindeten Veroneser Elternhäusern, mit deren Doppelfreitod das Stück endet, zählt nicht nur zu den beliebtesten, sondern gilt auch als eine der bedeutendsten und reifsten Tragödien Shakespeares (vgl. B AUMANN 1998; P OPPE 2000; S UERBAUM 2001). Die seit langer Zeit schwelende Familienfehde zwischen den Familien Capulet und Verstehen literarischer Texte durch kreative Aufgaben? 237 37 (2008) Montague lodert zum wiederholten Male auf und versetzt die Stadt Verona in Aufregung. Prinz Escalus weist die Anhänger beider Parteien zurecht und droht mit Repressalien für den Fall, dass es in Zukunft wieder zu einer öffentlichen Auseinandersetzung kommt (I, 1). Um sich bei dem Prinzen gut zu stellen, erklärt sich Lord Capulet bereit, dem Werben von Paris - einem Neffen des Prinzen - um seine erst 13jährige Tochter Juliet nachzugeben. Lord Capulet veranstaltet einen Ball, zu dem er Paris einlädt (I, 2). Auch Romeo - ein Montague - wohnt diesem Fest bei. Als Tybalt, ein Neffe der Gräfin Capulet, ihn dort entdeckt, will er ihn sofort zum Kampf herausfordern, doch Lord Capulet hält ihn davon ab, um das Fest nicht zu stören. Als sich die versprochene Juliet und Romeo auf dem Ball begegnen, verlieben sie sich auf den ersten Blick ineinander (I, 5). Obwohl sie erfahren, dass sie den verfeindeten Elternhäusern entstammen, beschließen sie, umgehend zu heiraten. Sie weihen Friar Lawrence ein, der eine heimliche Trauung vollzieht in der Hoffnung, dadurch Frieden zwischen den beiden Familien zu stiften (II, 6). In den Straßen Veronas treffen Romeo und seine Freunde Benvolio und Mercutio auf Juliets Vetter Tybalt, der Romeo hasst und ihn zum Kampf auffordert. Doch Romeo, durch die heimliche Hochzeit nunmehr mit Tybalt verwandt, hat Skrupel. Stattdessen kommt es zum Kampf zwischen Mercutio und Tybalt. Als Romeo zwischen den beiden zu schlichten versucht, wird Mercutio durch Tybalt tödlich verwundet. Romeo rächt sich für den Tod seines Freundes, indem er Tybalt ersticht. Der hinzugerufene Prinz wird durch Benvolio von dem Vorfall unterrichtet und verbannt Romeo aus Verona (III, 1). Das Geschehen spricht sich schnell herum. Juliet erfährt von ihrer Amme von Tybalts Tod und Romeos Verbannung. Romeo, der sich in Friar Lawrences Zelle versteckt, wird von diesem über seine Verbannung in Kenntnis gesetzt (III, 3). Als die Amme hinzukommt und von Juliets Leiden über Romeos Verbannung berichtet, versucht dieser sich zu erstechen. Friar Lawrence verhindert Romeos Selbstmord und schmiedet einen Plan, wie er Romeo und Juliet trotz dessen Verbannung vereinen kann. Er schickt Romeo zu Juliet und ermahnt ihn, früh am nächsten Morgen nach Mantua aufzubrechen, wo er auf Nachricht von ihm warten soll. Um Juliets vermeintliche Trauer um Tybalt zu überwinden, beschließt Lord Capulet, ihre Vermählung mit Paris vorzuziehen (III, 4). Romeo und Juliet verbringen eine kurze Hochzeitsnacht miteinander (III, 5). Als Juliet am nächsten Morgen von der vorgezogenen Hochzeit erfährt und sich weigert, Paris zu heiraten, beschimpft Lord Capulet sie und droht ihr mit Enteignung. Von ihrer Mutter und der Amme im Stich gelassen, wendet sich Juliet unter Androhung ihres Selbstmordes hilfesuchend an Friar Lawrence, um der anstehenden Hochzeit mit Paris zu entkommen (IV, 1). Friar Lawrence schmiedet einen Plan und gibt Juliet einen Schlaftrunk, der sie am Tag der vorgesehenen Hochzeit in einen scheintoten Zustand versetzen wird. Da man ihren Tod annehmen würde, würde man sie in der Familiengruft der Capulets beisetzen. Unterdessen würde Romeo durch einen Brief von Friar Lawrence von dem Plan unterrichtet, sodass er nach Juliets Erwachen mit ihr nach Mantua fliehen könne. Am Morgen der geplanten Hochzeit mit Paris findet die Amme Juliet leblos in ihrem Bett (IV, 5). Wie erwartet, wird die scheinbar Tote in die Familiengruft überführt. In der Zwischenzeit hat Romeo von Juliets vermeintlichem Tod erfahren, ohne die Wahrheit zu kennen, da ihn der Brief von Friar Lawrence nicht rechtzeitig erreicht hat. Ohne Juliet will Romeo nicht weiterleben. Er 238 Ann Kimes-Link 6 G IBSON entwickelt in Teaching Shakespeare (1998) den sog. Workshop Approach, der allen Ausgaben der Reihe Cambridge School Shakespeare zugrunde liegt. Diesen Ansatz begründet G IBSON wie folgt: „Active methods dissolve the traditional oppositions of analysis and imagination, intellect and emotion. They encourage informed personal responses which are both critical and appreciative. In active work, students combine critical thought with empathy, confidence with a willingness to suspend judgment. Interpretations do not have to be of the narrowing ‚either…or‘ type but can be more expansive and imaginative ‚both…and‘ variety“ (G IBSON 1998: xiii). 37 (2008) beschafft sich von einem Apotheker Gift, um an Juliets Seite zu sterben (V, 1). Auf dem Friedhof trifft Romeo auf Paris, der Abschied von Juliet nehmen will, und ersticht ihn (V, 3). Romeo trinkt das Gift und stirbt an Juliets Seite. Als Juliet erwacht und den toten Romeo neben sich liegen sieht, ersticht sie sich mit dessen Dolch. Am nächsten Morgen setzt Friar Lawrence die beiden Familien und Prinz Escalus von der Wahrheit in Kenntnis. Durch den Tod ihrer beiden Kinder erschüttert, versprechen die beiden Familien einander Frieden und auch Prinz Escalus fordert eine endgültige Beilegung des Streits (vgl. P OPPE 2000). Das Geschehen von Monaten wird insgesamt zum „jagenden Zeitablauf“ von vier Tagen und Nächten gerafft; die „so entstehenden Verkettungen und ironischen Situationskontraste erwecken den Eindruck dramatischer Unaufhaltsamkeit“ (K OPPENFELS 2000: 499). Exposition, Peripetie und Katastrophe verknüpfen in „symmetrischer Anlage“ die beiden Hauptthemen des privaten Liebesschicksals mit der Bedrohung des Staatswesens durch die Familienfehde (ibid.: 500). Der in Akt I, 1 aufflammende Streit erfährt in Akt III, 1 seine Steigerung und endet schließlich in Akt V, 3 in der Katastrophe (vgl. P OPPE 2000: 41). Die im Folgenden vorzustellenden kreativen Schülerprodukte und die sich daran anschließenden Unterrichtsgespräche beziehen sich auf Akt III, Szenen 1 und 3 und Akt IV. Akt III kennzeichnet mit dem Tod Mercutios und Tybalts insgesamt den Höhepunkt der Familienfehde und den Klimax innerhalb der Tragödie. Der erste Teil der Tragödie birgt insbesondere durch die leichtherzige und witzige Figur Mercutios und seine frivolen Wortspiele reiche Komödienelemente. Mit dessen Tod verdüstert sich das Drama (vgl. K OPPENFELS 2000). Akt IV kennzeichnet den Beginn der fallenden Handlung. Das didaktische Potenzial von Romeo & Juliet für jugendliche Fremdsprachenlernende ergibt sich insbesondere aus dem Alter der Protagonisten, dem Thema der jugendlichen Liebe, dem rasanten Handlungsablauf und der überschaubaren Handlungsstruktur (vgl. M OSNER 2000), d.h. es besteht keine komplexe Verflechtung mehrerer Haupt- und Nebenhandlungen. Trotz der zeitlich-kulturellen Distanz der Werke Shakespeares bietet Romeo & Juliet dadurch einen guten Zugang für heutige Lernende, dass universellmenschliche Themen verhandelt werden und die private Sphäre im Mittelpunkt steht. Das unglückliche Schicksal der beiden Hauptfiguren ermöglicht darüber hinaus ein emotionales Engagement der Lernenden in Form von Empathie und Mitleid. Als Textgrundlage der Einheit dient der von Rex G IBSON herausgegebene Band Romeo and Juliet aus der Reihe Cambridge School Shakespeare, der einen aufführungsorientierten Ansatz propagiert und Analyse, Imagination, Intellekt und Emotion zu kombinieren und durch entsprechende Anregungen umzusetzen sucht. 6 Die Ausgabe zeichnet sich Verstehen literarischer Texte durch kreative Aufgaben? 239 7 Insbesondere in Bezug auf die in vielen Bundesländern obligatorische Shakespeare-Lektüre florieren seit etwa zehn Jahren Anregungen für alternative Zugangsweisen (A NTOR 1997; G IBSON 1998/ 2000; P ETERSOHN / V OLKMANN 2006). 8 Zur Analyse ausgewählter Szenen bzw. deren Vergleich dienen Franco Zeffirellis (1968) und Baz Luhrmanns (2000) Verfilmung von Romeo & Juliet. 37 (2008) durch zahlreiche Fotografien von verschiedenen Theateraufführungen, Kurzzusammenfassungen, Worterklärungen, sowie analytische und kreative Aufgabenstellungen aus. 7 4.4 Unterrichtsverlauf Die Unterrichtseinheit erstreckt sich über etwa zwei Monate und in ihrem Verlauf finden neben traditionellen Verfahren der Textanalyse zahlreiche kreative Formen der Texterschließung sowie intertextuelle und -mediale Verfahren ihren Einsatz. Nach der Etablierung des erforderlichen Hintergrundwissens über das elisabethanische Weltbild und das Globe Theatre in der Vorbereitungsphase werden die Lernenden sukzessive an die Sprache Shakespeares in Form von Sonetten und durch den Einsatz eines Hörbuchs zu Romeo & Juliet herangeführt. Im Sinne der traditionellen Textanalyse werden dabei Wortspiele (puns), rhetorische Figuren sowie die Struktur von Sonetten und Dramen analysiert. Zur Erarbeitung von Handlungen, von Konflikten sowie Konzeption und Konstellation der Figuren in den einzelnen Akten dienen das bedeutungserschließende Lesen, szenische Interpretationen wie Rollenspiele und Standbilder, zahlreiche kreative Schreibaufgaben sowie der vergleichende Einsatz zweier Filmversionen. 8 Zur Erarbeitung der wichtigsten Entwicklungen in Akt III von Romeo & Juliet teilt die Lehrerin die Klasse in fünf Gruppen ein. Jede Gruppe soll die entscheidenden Entwicklungen des plots innerhalb der ihr zugeteilten Szene erarbeiten und kreativ darstellen, wobei die Lehrerin den Schülerinnen und Schülern verschiedene kreative Bearbeitungsformen zur Auswahl gibt. Der Arbeitsauftrag lautet wie folgt: „I would like you to present the crucial development within your scene in the following way. […] You’d rather choose one possibility, either performance […], press conference, newspaper article, letter, diary entry, dialogue, comic, poem or more ideas that you have got. So you can choose one to present the main, the crucial development within your scene, the main aspect of your scene.“ Von den zur Auswahl gestellten Aufgaben wählen die Gruppen einen Comic, einen Tagebucheintrag, einen Zeitungsartikel, ein Standbild und eine Kombination aus Standbild und selbst verfasstem Sonett. Zur Darstellung der wichtigsten Entwicklungen in Akt IV werden die Schüler angehalten, den Akt mit einer kreativen Überschrift zu versehen. Hierzu lautet der genaue Arbeitsauftrag: „I would like you, everbody together with a partner to create a headline for Act IV and in this headline you should express the main developments in Act IV. So, just include everything you can in this headline.“ Beide Aufgabenstellungen zielen primär auf die Erfassung und die kreative Wiedergabe von Handlungsaspekten ab, was sowohl der Vertiefung als auch der Überprüfung der Textkenntnis dient. Im ersten Fall dürfen die Lernenden die Form der Darstellung wählen, während ihnen im zweiten Fall die Form der Überschrift vorgegeben ist. Im Folgenden 240 Ann Kimes-Link 9 Die den Transkriptionen zugrunde liegende Transkriptionskonvention sieht im Einzelnen wie folgt aus: L Lehrer/ in Anna, David etc. Schülernamen (geändert) Sn nicht identifizierbarer Schüler . längere Pause (manchmal mehrere Sekunden) xxx unverständliche Passage / Abbruch (Mitschüler klatschen) Angaben zu para- und nonverbalem Verhalten (Gestik, Mimik etc.) 37 (2008) werden drei dieser kreativen Schülerprodukte sowie die sich daran anschließenden Unterrichtsgespräche vorgestellt. 9 4.4.1 Comic zu Akt III, Szene 1 Zur Nachzeichnung der wichtigsten Entwicklungen in Szene 1 des dritten Aktes erstellt die Schülergruppe bestehend aus Aaron, Dennis, Carla und Dirk einen Comic. Bei dieser Aufgabe handelt es sich um die Transformation des Textes in eine andere Textsorte bzw. in ein anderes Medium. Um den Mitschülern den Comic zugänglich zu machen, zieht ihn die Lehrerin auf Folie und projiziert ihn an die Wand. Der Comic macht als wichtigste Ereignisse dieser Szene den Mord an Mercutio und Tybalt und Romeos Verbannung aus Verona aus. Das erste Bild stellt den Kampf zwischen Tybalt und Mercutio dar. In Bild zwei versucht Romeo zwischen den beiden zu schlichten, was dazu führt, dass Mercutio durch Tybalt tödlich verwundet wird. Aus Rache an seinem Freund Mercutio ersticht Romeo daraufhin in Bild drei Tybalt. In Bild vier mahnt Benvolio Romeo an, der sich seiner Tat bewusst wird, zu fliehen. In Bild fünf spricht der Prinz von Verona Romeos Verbannung aus, nachdem er durch Benvolio von dem Ablauf des Geschehens unterrichtet wurde. Bild sechs markiert das Ende des Comics. Der Inhalt der Sprechblasen ist im Großen und Ganzen der Textvorlage entnommen. Nur die in Comics traditionell Verwendung findenden onomatopoetischen Ausdrücke „Argh“ und „Aoh“ und das im für Comics charakteristischen typographischen Stil verfasste „End“ wurden von der Schülergruppe hinzugefügt. Die visuelle Umsetzung der Figuren bzw. die graphischen Repräsentationen sind auf die Zeichnung von schwer voneinander zu unterscheidenden Strichmännchen und einige wenige Posen reduziert, d.h. die Bildsprache ist insgesamt minimalistisch. Dennoch unterliegt die Abfolge der Bilder genauen strukturellen Überlegungen, die den Inhalt der Szene konzis wiedergeben. Verstehen literarischer Texte durch kreative Aufgaben? 241 37 (2008) Aaron (Aaron beschreibt den an die Wand projizierten Comic) The comic describes the first scene of Act III. In the first picture on the left side you see Benvolio, nee oh, it’s Mercutio and he mocks Tybalt and they start a fight. In the second picture Romeo tries to separate them, but Mercutio gets hurt and killed. And in the third picture, Romeo on the right side, ehm takes revenge for that and kills Tybalt. And in the fourth picture you see Benvolio. He wants to rescue Romeo who has to flee. And in the last picture the Prince banishes eh Romeo and Benvolio eh thinks that he is, that he isn’t banished, but he is banished (Mitschüler klatschen). L Comments on the comic? . Jonas, what do you have to say about the comic? Jonas Yes, eh it’s a funny design but I cannot read the first eh/ Aaron Eh, „Good King of Cats! ” Jonas Ok. Dirk It’s all taken from the text. L Anything else? How could you perhaps have created the comic in a way that it is easier for the, for the person who sees it to realize what happens and/ David? David I can’t really recognize who is who, so maybe they could have just marked, eh yeah, the name under the person or just draw a better picture (Mitschüler lachen). L Laura? Laura Yeah, maybe one ehm could paint them with different colours or name the different houses, the Capulets and (zögert) the Montagues. L Ok, yes. Right, Peer, you wanted to say something? Peer Yeah, I would just add the colours. L The colours? Peer Yeah. L Or perhaps the initials somewhere? Yes, but, anyway. Tobias? Nach der Beschreibung des Comics durch ein Gruppenmitglied fordert die Lehrerin die Mitschüler auf, das kreative Schülerprodukt zu kommentieren. Im sich daran anschließenden Unterrichtsgespräch treten einige Verständnisschwierigkeiten bzw. Unklarheiten bezüglich der Figuren und deren Sprechblasen auf, die die ‚Produzenten‘ dadurch ausräumen, dass sie darauf hinweisen, dass alle Textstellen dem Originaltext entnommen sind. Nachdem das Schülerprodukt seine Würdigung durch die Mitschüler erfahren hat, fordert die Lehrerin die Lerngruppe auf, Vorschläge für eine Optimierung der Darstellung zu machen, die vom Kennzeichnen der Figuren mit ihrem jeweiligen Namen, über das Verwenden verschiedener Farben, bis zu dem Vorschlag, einfach ein besseres Bild zu zeichnen, reichen. Die Qualität des Comics wäre vielleicht besser gewesen, hätte die Lehrerin die Aufgabe vorbereitet und Kriterien für dessen Umsetzung gegeben. Tobias Yeah, but I have to say that ehm, I think they, they really succeeded in ehm reducing the story to the ehm to the most important aspects. L Yes, mmh, exactly. It was very well done . Ok, ehm, so maybe a question to the group first of all and then to the whole class: do you think that Mercutio had to die in the course of the play? Do you think it was necessary? First of all the group and then the others. Dirk It’s a question to us? L Yeah. 242 Ann Kimes-Link 37 (2008) Nach der Besprechung der visuellen Umsetzung der Entwicklungen in dieser Szene geht Tobias selbstständig auf inhaltliche Gesichtspunkte ein, wenn er anmerkt, dass es der Gruppe gelungen sei, den Inhalt der Szene auf die wichtigsten Aspekte zu reduzieren. Die Lehrerin schließt sich dieser Auffassung an und nimmt dann unmittelbar den Comic als Ausgangspunkt für die Frage, ob Mercutio sterben musste. Sie richtet diese Frage vorerst an die Gruppe, die die Szene bearbeitet hat und fördert dann die Interaktion der Lernenden untereinander, indem sie sie auffordert, sich gegenseitig aufzurufen. Dirk Yeah, to my mind sure it was not necessary, but eh as we see in the first picture Mercutio was the one to mock Tybalt and eh he should have known when he mocks Tybalt, the one with the aggressive character, eh Tybalt will not withdraw and he will ehm, he as the, the ehm Capulet, he will show Mercutio who’s the strong one. L Mmh, ok, yes, also keep the dramatic reasons in mind there. Dirk, you can ask somebody else of the class. Dirk Laura! Laura Well ehm, I think the death of Mercutio includes the anger of Romeo and, well only for this reason he kills Tybalt and the banishment takes place. Otherwise, maybe Juliet and Romeo would not have, have to separate. Jonas! Jonas Yes, I think that Mercutio’s death ehm was necessary because of the course of the novel or of the play, the course of the play, ehm because it strengthens eh the conflict between the Montagues and the Capulets and in case that Romeo has to escape eh for eh Verona, the problem or eh the marriage is out ehm… (sucht nach den passenden Worten) L Ok, perhaps it comes to your mind in a minute. David? David I think the, the fight was necessary, 'cause when I read the story and I saw Mercutio was provocating the, eh Tybalt/ L Provoking. David …provoking Tybalt, I think eh yeah, the fight was inevitable and so it was clear that someone will die and in this case it was ehm Mercutio and yeah, so I think it was inevitable. (schaut in die entgegengesetzte Richtung und sagt Dirk! Mitschüler lachen) Dirk (noch an der Tafel stehend) Yeah, it’s more or less the way Jonas has got it now, because of this fight we have for Romeo and Juliet eh ehm more of obstacles to overcome and so, yeah we have the high tension and, yeah as we’ve ever said on the one hand we have the eh fight between the Capulets and Montagues, now really deep fight, because of Mercutio’s and Tybalt’s death and so this increases the tension for Juliet’s eh and Romeo’s love. In der Diskussion dieser Frage treten unterschiedliche Auffassungen zu Tage. Dirk verweist bei seiner Aussage auf den Comic und bezieht zur Interpretation sein Verständnis der Figur Tybalt auf Grundlage seines Weltwissens und psychologischer Alltagstheorien mit ein. So war laut Dirk Mercutios Tod zwar nicht notwendig, aber unausweichlich, denn Tybalt würde sich die Provokationen Mercutios aufgrund seines aggressiven Charakters nicht gefallen lassen. Laura und Jonas betrachten Mercutios Tod im Hinblick auf dramaturgische Gesichtspunkte und dessen Bedeutung für die Entwicklung des Konflikts im Drama als notwendig, denn Romeos Verbannung als Konsequenz für den Mord an Tybalt war der Grund dafür, dass Romeo sich von Juliet trennen musste. Auch für David war nach den Provokationen Mercutios ein Kampf unausweichlich und Verstehen literarischer Texte durch kreative Aufgaben? 243 37 (2008) der Tod eines Protagonisten plausibel, wobei es seiner Meinung nach nicht unbedingt Mercutio hätte sein müssen. Dirk rundet die Beiträge dahingehend ab, dass er Jonas’ Auffassung zustimmt und die Bedeutung von Tybalts und Mercutios Tod und der Verbannung Romeos noch einmal in einen größeren Zusammenhang stellt, indem er darauf hinweist, dass diese Begebenheiten die Fehde zwischen den Capulets und den Montagues intensiviere und die Liebe zwischen Romeo und Juliet noch aussichtsloser mache. Insgesamt löst der Comic eine Diskussion über die visuelle Umsetzung der Handlungsentwicklungen sowie der darin vorgenommenen Reduktion des plots aus. Die Frage, ob Mercutio sterben musste, veranlasst die Schüler, unterschiedliche Interpretationshypothesen zu verhandeln. Im Verlauf des Gesprächs greifen die Schülerinnen und Schüler eigenständig die Beiträge ihrer Mitschüler auf bzw. gehen auf sie ein und handeln so individuelle Lesarten aus, was mit einem hohen Redeanteil der Schüler im Vergleich zur Lehrkraft einhergeht. Die Lernenden reflektieren im Plenum über das dramatische Potenzial der Szene, des sich intensivierenden Konfliktes, über das Dilemma Romeos sowie die Bedeutung Mercutios und die Funktion dieser Szene innerhalb der gesamten Tragödie. Es stellt sich hier allerdings die Frage, ob man hinsichtlich der Transformation des Inhalts in ein anderes Medium mit der konkreten Vorgabe, die wichtigsten Entwicklungen der besagten Szene nachzuzeichnen, überhaupt von Kreativität sprechen kann. Zum einen ist der Inhalt der Sprechblasen gänzlich dem Originaltext entnommen, sodass sich die kreative Eigenleistung der Schüler auf die Zeichnung der Strichmännchen und die modellhafte Reduktion des Inhalts der Szene beschränkt. Zum anderen lässt aber schon die Aufgabenstellung wenig Raum für Kreativität im Sinne einer ungewöhnlichen und unerwarteten Leistung, die etwas Neues hervorbringt und in der die Lernenden ihre ureigensten Gedanken zum Ausdruck bringen. Dadurch, dass die Aufgabenstellung auf das Abfragen der wichtigsten Entwicklungen bzw. der Textkenntnis abzielte, stand das Ergebnis praktisch schon vor Bewältigung der Aufgabe fest. So schließt sich die Lehrerin Tobias’ Auffassung, dass es der Gruppe gelungen sei, die Szene auf die wichtigsten Inhalte zu reduzieren, an, und lenkt dann unmittelbar die Aufmerksamkeit der Schüler auf die Frage, ob Mercutio sterben musste. Wenngleich diese Frage einen im Comic dargestellten Aspekt aufgreift, wäre ihre Beantwortung ohne Weiteres auch ohne das kreative Schülerprodukt möglich gewesen, sodass dem Comic hier eher die Funktion des scaffolding zukommt. Die Aufgabenstellung diente hier somit eher der ‚kreativen‘ Reproduktion der Textinhalte und der Förderung der Behaltensleistung als der Förderung der Kreativität und Imagination auf Seiten der Lernenden. 4.4.2 Tagebucheintrag zu Akt III, Szene 3 Zur Darstellung der wichtigsten Entwicklungen in dieser Szene verfasst die Lerngruppe bestehend aus Tobias, David, Jonas, Laura und Lisa einen Tagebucheintrag aus der Perspektive Romeos. Da in Dramen in der Regel weitgehend auf die Darstellung des Bewusstseins der Figuren verzichtet wird, ist diese Textsorte besonders geeignet, um ausgesparte oder nur angedeutete Elemente auszuführen und ,inside views‘ in Form ausformulierter Gedanken und Gefühle zu entwerfen. 244 Ann Kimes-Link 37 (2008) Tobias (geht zur Tafel) Ok, we prepared a diary entry of ehm Romeo. (Mitschüler lachen; Tobias liest vor) Dear diary, today was the worst day of my life. Against my peaceful convictions I had to kill Tybalt who xxx killed my good friend Mercutio while I intended to establish peace. If that was not enough I have to leave my beloved Juliet because the Prince banished me from Verona. Friar Lawrence thinks I should be thankful, but how can he judge on things like love he has never experienced himself. Now I have to hurry to the Capulet’s mansion to comfort Juliet with what has to be called a wedding night. And what will comfort me while I wait for news from Friar Lawrence in Mantua? (Mitschüler klatschen) Any questions? (lacht und setzt sich wieder auf seinen Platz) Der Tagebucheintrag bezieht bei der Schilderung des gegenwärtigen Konfliktes aus der Sicht Romeos die Entwicklung der vorangegangenen Szene mit ein. Die Lernenden haben dabei eine Perspektivenübernahme vollzogen, was an der Verwendung des passenden Personalpronomens, der 1. Person Singular, deutlich wird. Dass sich die Lernenden darüber hinaus erfolgreich in die Figur Romeos hineinversetzt haben, zeigt sich darin, dass sie dessen Charaktereigenschaften („peaceful“) benennen und seine Gefühle („worst day of my life“) zum Ausdruck bringen. Mercutios Ermordung durch Tybalt wird für Romeo zum handlungsauslösenden Moment. Tybalt zu töten stellt sich für Romeo hier als einzige Möglichkeit dar, um Rache für seinen ermordeten Freund zu üben und seine Ehre wiederherzustellen („I had to kill Tybalt“). Zudem fühlt sich Romeo in diesem Tagebucheintrag von Friar Lawrence unverstanden, nach dessen Meinung Romeo für die Verbannung dankbar sein müsse. Für Romeo kommt die Verbannung und die Trennung von Juliet jedoch dem Tod gleich und er zieht die Urteilskraft von Friar Lawrence in Zweifel, denn wie soll dieser, als ein Mann Gottes, Gefühle nachvollziehen, die er selbst nie in dieser Form erfahren hat. Die Lernenden stellen dar, dass Romeo trotz seiner eigenen Verzweiflung zu Juliet eilen will, um ihr Trost zu spenden. Abschließend adressiert Romeo den ‚fiktiven Leser‘ mit der Frage, wer ihn eigentlich tröste, während er in Mantua auf eine Nachricht von Friar Lawrence wartet. Insgesamt bezieht sich der Tagebucheintrag nur zum Teil auf die zu bearbeitende Szene und lässt wichtige Aspekte, wie das Auftreten der Nurse oder Romeos Verzweiflung, die in einem Selbstmordversuch kulminiert, aus. L Mmh, diary, Romeo’s diary entry. Here, what is the main development within scene three? (wartet auf Reaktion der Schüler und ruft dann einen Schüler auf) Thomas, can you tell from what the group presented and your knowledge of the text? Thomas It’s about eh Romeo feeling desperate because he will be banished and yeah, and so for him, if he will be banished it’s like his life is over, because when he can’t be with Juliet, life has no use. L Mmh, Jonas? Jonas Yes, at the beginning Romeo’s really desperate as we all said and he said that he would prefer xxx [wahrscheinlich ‘to die’] instead of leaving Juliet and being banished and ehm, yes, Friar Lawrence tries to ehm, tries to keep him up and he wants him to go back to Juliet as the Nurse comes and yes to comfort Juliet a little bit in her sadness and then Romeo gains some new hope and wants to leave to comfort her. Verstehen literarischer Texte durch kreative Aufgaben? 245 37 (2008) L Mmh, very important point that you’ve mentioned the Friar. He is another or he is a protagonist in that scene, so he wasn’t mentioned at all till now, so that is very important. Laura? Laura Well, ehm at first in the scene Romeo is very angry at the Friar because, well the Friar tells him that he should be glad to be banished and not to be killed, but Romeo doesn’t want to accept that, but in the end he ehm, yeah, accepts the advice from the Friar that he should go to Mantua and ehm wait for news from him. L Mmh, so what does the Friar actually do? There are three different things that he does within the scene. Laura al-, already referred to it. (Schüler wissen nicht, worauf L abhebt) . Too long ago? . Laura, can you refer to that again yourself? Laura Well, at first he hides him and he eh wants to, to prevent him from the Prince’s sentence and then he tries to comfort Romeo. Well, in the end he advises him, he gives him advice. L Mmh, Kirsten? Kirsten He protects him, because there are knocks on the door and then he says „go away”. L Yeah, hiding, protecting. Jonas Yes, he’s the one with the parents’ role and tells him he’s banished. L Mmh, informs him, him as well. That would be another role. Actually more than three purposes he fulfils here in that scene. Tobias? Tobias And he prevents that eh Romeo kills himself. L Prevents him from… Tobias He prevents him from killing, killing himself. Die Lehrerin kommentiert den Tagebucheintrag nicht und fordert die Mitschüler auf, die wichtigsten Entwicklungen der Szene auf Grundlage des Tagebucheintrages und des Gelesenen wiederzugeben („can you tell from what the group presented and your knowledge of the text“). Als Jonas in seinem Beitrag darauf hinweist, dass Friar Lawrence Romeo aufmuntert, nimmt die Lehrerin dies als Anlass, die Aufmerksamkeit der Schüler gezielt auf dessen Rolle innerhalb der Szene zu lenken („There are three different things that he does within the scene“). An dieser Stelle hat die Lehrerin genaue Vorstellungen davon, was in dieser Szene wichtig ist, sodass das Unterrichtsgespräch die Form des Abfragens annimmt. Dass das Schülerprodukt wichtige Inhalte der Szene auslässt und so nicht dem Anspruch gerecht wird, die Hauptentwicklungen der Szene nachzuzeichnen, bleibt unkommentiert. Hier hätte es sich angeboten, die Mitschüler das Produkt kommentieren bzw. über das Auslassen wichtiger Elemente Hypothesen aufstellen zu lassen und sie anzuregen, Verbesserungsvorschläge vorzubringen. In diesem Falle hätte das Produkt als Sprechanlass fungieren können, doch die Nichtbeachtung des Tagebucheintrags macht ihn obsolet. 4.4.3 Überschriften zu Akt IV Als Einstieg in die inhaltliche Erarbeitung des vierten Aktes werden die Schülerinnen und Schüler aufgefordert, in Partnerarbeit Überschriften zu erarbeiten, die die wichtigsten Entwicklungen innerhalb des Aktes widerspiegeln. Dazu müssen ihn die Lernenden 246 Ann Kimes-Link 37 (2008) aufmerksam lesen, seine Struktur und seinen Inhalt verstehen, den plot reduzieren, dabei eine Schwerpunktsetzung vornehmen, diese präzise auf den Punkt bringen und sich schließlich mit einem Partner auf ein Endergebnis einigen. Insgesamt entwerfen die Lernenden folgende Überschriften: Poison - the only Hope (Jonas und Jana), A feigned death (Robert und Thomas), The Tragedy has its Course - Friar Lawrence’s plan (Anna und Laura), The Poison vial - Juliet’s last chance (Dirk und Felix), Time becomes their fate (Andi und David), Juliet’s desperate attempt (Tobias und Jörn), The way out of marriage (Carla und Carmen), Poisonous love (Peter und Peer), Illusion of hope (Jasmin und Kirsten), Juliet and Friar Lawrence incorporated (Aaron und Dennis), The freedom in Death (Act 4) (Susi und Nadja). Wie beim Cartoon und dem Tagebucheintrag hatten die Schülerinnen und Schüler zwar auch hier die Vorgabe, die wichtigsten Entwicklungen des Aktes wiederzugeben, doch anders als bei den oben dargestellten Schülerprodukten hatte hier die gesamte Lerngruppe den selben Arbeitsauftrag, sodass die verschiedenen Überschriften einen Vergleich zulassen und deutlich den subjektiven Zugang der Lernenden, ihre unterschiedlichen Interpretationen und somit das kreative Potenzial der Aufgabenstellung widerspiegeln. Dementsprechend sind die Überschriften erwartungsgemäß sehr disparat, gleichzeitig fällt aber auf, dass viele die Aspekte des Giftes, des Scheintodes und des Hoffnungsschimmers, aber auch die Unaufhaltsamkeit der Tragödie betonen, die in Akt IV eine wesentliche Rolle spielen und in Akt V schließlich in die Katastrophe münden. Nachdem alle Gruppen ihre Überschriften auf dem von der Lehrerin ausgeteilten Papier festgehalten und für die Lerngruppe sichtbar an der Tafel angebracht haben, fordert sie die Lehrerin auf, die ihrer Meinung nach beste Überschrift auszuwählen. L Take a look at the headlines and decide which one you think is most xxx (Schüler reden durcheinander, kurze Pause) Right, so eh which headline have you decided on? So, eh Carla you have already chosen? Carla Yes in my opinion, I find the headline ‚The Freedom in Death’ very good, because ehm it is somehow foreshadowing the end and also it shows that only Juliet and Romeo can be free when they are both died. L When they are going to die, yes. Ok, others? Dennis? Dennis I think the headline ‚The Way out of Marriage’ describes the development in Act IV really good, because yeah it describes the whole action in the whole act and, yes, that’s all. L Peter? Peter I don’t understand ‚Juliet and Friar Lawrence incorporated’. L Whose idea was that? Aaron Yes, it means that they’re working together (Mitschüler lachen). L Yes. Susi (über Aaron und Dennis) Die checken das Problem nicht. L (Aaron zustimmend) So, this is what they [Juliet & Friar Lawrence] do actually, so. Tobias? Tobias I like the headline ‚The Tragedy has its Course - Friar Lawrence’s plan’ the most, because eh it reminds us of the fact that eh the whole story is already (Mitschüler hustet) xxx and Verstehen literarischer Texte durch kreative Aufgaben? 247 37 (2008) this part of the, the course is only one stage in the whole story. I have one question: What does ‚feigned‘ or ‚teigned‘ mean? Sn Vorgetäuscht. L Jana? Jana I like ‚Illusion of Hope’ because I think everyone is hopeful. So ehm Lord and Lady Capulet hope that Juliet will marry Paris and Juliet is hopeful that she will see ehm, that she can be happy with Romeo and the Nurse hopes that everything becomes good and so I think that it’s all an illusion so, I like this word. L Yeah, so you like the, the word illusion here. Ok, thank you. Von den zwölf entworfenen Überschriften zu Akt IV erachten die Schülerinnen und Schüler im Unterrichtsgespräch fünf als besonders geeignet, wobei keine Gruppe ihre eigene Überschrift als die beste auswählt. Für Carla ist die Überschrift The Freedom in Death geeignet, da sie den Verlauf der Tragödie antizipiert und hervorhebt, dass die beiden Liebenden nur im gemeinsamen Tod Frieden finden können. Laut Dennis fasst The Way out of Marriage die Handlung des vierten Aktes am besten zusammen, da der Rezipient hier von dem von Friar Lawrence geschmiedeten Plan des vorgetäuschten Todes erfährt. Hinsichtlich der Überschrift Juliet and Friar Lawrence incorporated treten für Peter Verständnisschwierigkeiten auf, die ein Gruppenmitglied nach Rückfrage der Lehrerin auszuräumen sucht. Aaron erläutert die Überschrift mit dem Hinweis „they’re working together“, dem die Lehrerin zustimmt. Für Susi scheint diese Überschrift wenig plausibel, was sie mit „Die checken das Problem nicht“ kommentiert. Daraufhin bekräftigt die Lehrerin die Tatsache, dass Friar Lawrence und Juliet zusammenarbeiten, ohne auf den Einwand der Schülerin einzugehen, der Ausgangspunkt für eine fruchtbare Diskussion hätte sein können. Tobias erachtet die Überschrift The Tragedy has its Course - Friar Lawrence’s plan als passend, da sie den Rezipienten daran erinnert, dass die Liebe zwischen Romeo und Juliet zum Scheitern verurteilt ist und sie den Verlauf der Tragödie als unaufhaltsam begreift. Jana liefert für ihre Wahl Illusion of Hope die ausführlichste und plausibelste Erklärung in Bezug auf den Inhalt von Akt IV, indem sie die Überschrift auf alle wichtigen Figuren anwendet. Die Lehrerin beendet hier das Unterrichtsgespräch relativ abrupt, ohne dass die Überschriften noch einmal differenziert im Plenum hinsichtlich ihrer Aussage bzw. Plausibilität in Bezug auf den Ausgangstext überprüft werden. Während bei den oberen Beispielen der Bezug zu den eigentlichen Schülerprodukten im Unterrichtsgespräch zu kurz kommt und vielmehr umgehend der Rückbezug zum Text erfolgt, bezieht sich das hier anschließende Unterrichtsgespräch ausschließlich auf die kreativen Überschriften der Schüler und beschränkt sich auf eine kurze Bewertung bzw. Kommentierung der Schülerprodukte durch die Mitschüler. Eine Thematisierung der unterschiedlichen Deutungen und Schwerpunktsetzungen, die in den Überschriften zum Tragen kommen, hätten hier als Ausgangspunkt für ein Interpretationsgespräch und die gemeinsame Diskussion der individuellen Lesarten fungieren können, doch das Gespräch geht hier nicht über das Sammeln von Stellungnahmen hinaus. 248 Ann Kimes-Link 10 Im retrospektiven Interview bestätigen mehrere Schüler, dass sich die Integration verschiedener schülerzentrierter Methoden positiv auf ihr Interesse und ihre Motivation ausgewirkt habe. Die aktive Mitarbeit im Unterricht untermauert diese Aussage und die Lehrkraft weist im retrospektiven Interview darauf hin, dass sie bei einigen Schülern während dieser Einheit eine Steigerung bezüglich Mitarbeit und Leistung feststellen konnte und auch der Notendurchschnitt der Klausur zu dieser Einheit besser gewesen sei denn je. 37 (2008) 5. Fazit Die Analyse der kreativen Schülerprodukte zu Shakespeares Romeo & Juliet und die sich daran anschließenden Unterrichtsgespräche veranschaulichen selbst in diesem Ausschnitt der Fallstudie, wie kreative und schülerzentrierte Zugangsformen im fremdsprachlichen Literaturunterricht der gymnasialen Oberstufe eingesetzt werden. Obwohl die dargestellten kreativen Schülerprodukte nach elf Jahren Englischunterricht als eher bescheiden anzusehen sind, dokumentieren sie die individuellen Verstehensweisen der Lernenden, dienen als Ausgangspunkt für die kollektive Reflexion und das Interpretationsgespräch und vermögen die Interaktion der Lernenden untereinander zu fördern. Soziale Lernziele wie Kooperations- und Teamfähigkeit, Solidarität und Kritikfähigkeit werden dadurch gefördert, dass die Lehrkraft den Lernenden unterschiedliche kreative Verfahren für die Bearbeitung zur Auswahl gibt und somit Aushandlungs- und Entscheidungsprozesse auf Seiten der Lernenden initiiert. Zudem trägt sie den persönlichen Interessen der Schüler Rechnung, spricht verschiedene Lernertypen an und nimmt so eine oft vernachlässigte Binnendifferenzierung im Klassenverband vor. 10 Allerdings fällt auf, dass sich in Bezug auf den Einsatz kreativer Verfahren und den Umgang mit den daraus hervorgehenden Schülerprodukten einige Schwierigkeiten auftun. Da die Aufgabenstellungen primär auf die Wiedergabe des Inhalts gerichtet sind und somit so gut wie keinen Raum für Unerwartetes oder Neues lassen, ist fragwürdig, warum die Lehrkraft hier kreative Verfahren wählt. Sie mögen zwar einer Festigung der Textkenntnis dienen, doch neue Aspekte des Textes werden durch die bereits vorab feststehenden Ergebnisse kaum beleuchtet. Dadurch, dass es der Lehrerin um die wichtigsten Entwicklungen innerhalb der einzelnen Szenen geht, lässt sich erklären, warum sie nur bedingt auf die Schülerprodukte eingeht. Die von ihr verstandene Funktion kreativer Verfahren, das „Verständnis der Szenen zu überprüfen“ sowie die „Transferleistung“ der Schüler, das, was sie „am Text erarbeitet [und] verstanden haben, um[zu]setzen“ sowie „den ganzen Kurs anzubinden“, indem die Produkte erklärt und im Plenum diskutiert werden, haben die Aufgabenstellungen erfüllt. Die kreativen Umsetzungen der Handlungsentwicklungen enthalten durchaus subjektive Momente und lassen sich als „einen persönlichen Zugang“ zu einem (vorgegeben) Aspekt der Lektüre verstehen. Das subjektive Potenzial der Schülerprodukte wird allerdings nicht thematisiert und ihr didaktisches Potenzial somit nicht genutzt. Die kreativen Schülerprodukte fungieren insgesamt als Sprungbrett für ein kreatives Abfragen; ob eine solche Vorgehensweise zu einem vertieften Textverständnis führt, sei dahingestellt. Als Sprechanlässe sind die kreativen Schülerprodukte dennoch zweifelsohne geeignet. Der Redeanteil der Schüler ist während der Unterrichtsgespräche im Vergleich zur Verstehen literarischer Texte durch kreative Aufgaben? 249 37 (2008) Lehrkraft sehr hoch und es fällt auf, dass viele Lernende in der Lage sind, auch längere Beiträge spontan, flüssig und weitgehend korrekt zu leisten, wobei die Lehrerin als Moderatorin des Unterrichtsgeschehens vornehmlich in den Hintergrund rückt. Dies scheint zwar eine Selbstverständlichkeit zu sein, doch quittiert die DESI-Studie dem schulischen Fremdsprachenunterricht förmlich ein kommunikatives Versagen, das auf eine zu starke Lehrerdominanz und insbesondere eines zu hohen Redeanteils der Lehrkraft zurückzuführen ist (vgl. T AUBENBÖCK 2007). Es liegen zwar keine aktuellen empirischen Befunde hinsichtlich der kommunikativen Kompetenz in der gymnasialen Oberstufe vor, doch in der fachdidaktischen Literatur wird häufig eine mündliche Stagnation nach Klasse 10 konstatiert. Kreative und schülerorientierte Verfahren vermögen dieses Missverhältnis potenziell auszugleichen. Die gemeinsame Reflexion über die kreativen Produkte und das demokratische Aushandeln unterschiedlicher Interpretationen stellen authentische Redeanlässe dar und sind somit geeignet, die kommunikative Kompetenz der Lernenden zu fördern und den von S INCLAIR und C OULTHARD (1975) identifizierten stereotypen Dreierschritt des Lehrer-Schüler-Dialogs von initiation - response- feedback (zit. in C HRISTIE 2002: 4) aufzubrechen. Andere Fallstudien im Rahmen meines Forschungsprojektes zeigen jedoch, dass der Einsatz kreativer Verfahren im Englischunterricht der Sekundarstufe II trotz seiner bildungspolitischen Etablierung noch immer nicht die Regel darstellt und weiterhin die Tendenz zur traditionellen Textanalyse und zur Vernachlässigung der aktiven Rolle des Lesers und kreativer Verstehensleistungen besteht. 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Sven-Frederik Rhein, Student Lehramt Oberstufe (Allgemeinbildende Schulen) - Fächer: Amerikanistik und Geographie, z.Zt. teaching assistant in Oxford - E-mail: SpencR@gmx.de. 1 Mit diesem etwas schwerfälligen Begriff folgen wir dem Hinweis aus den Queer Studies auf die Offenheit von Geschlechteridentitäten über Hetero- und Homosexualität hinaus. 2 Heteronormativität ist eine Bezeichnung für die soziale Normalisierung der Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität der Menschheit, die den Ausschluss bzw. die Marginalisierung von denen impliziert, die sich in Sexualität und Lebensweise anders identifizieren. 37 (2008) H ELENE D ECKE -C ORNILL , M ARC -P HILIP H ERMANN , B ETTINA K LEINER , S VEN R HEIN * „Fällt Euch eigentlich auf, was hier gerade passiert ? “ Literaturunterricht und Heteronormativität aus Lehrersicht Abstract. This paper presents findings from interviews conducted with two homosexual teachers of English about their views on literature in the EFL-classroom. The interviews focused in particular on the question whether the non-normative biographical background of these teachers played any role in their choice of aims, texts, and approaches to literature and in their reflections on the place of literature in language education. 0. Einführung Der folgende Beitrag basiert auf Interviews mit zwei nicht-heterosexuellen 1 Gymnasiallehrkräften über die Rolle von Literatur im Englischunterricht. Wir wollten wissen, wie sich aus ihrer biographisch sensibilisierten Sicht der Literaturunterricht darstellt und ob sie ihn für ein geeignetes Forum für eine Auseinandersetzung mit Heteronormativität 2 halten. Nutzen sie ihn für eine Auseinandersetzung mit ausgrenzenden Geschlechterverhältnissen und für die Dekonstruktion normativer Setzungen? Sehen sie darin eine Usurpation von Literatur? Und wenn ja, wäre dies aus ihrer Sicht legitimierbar? Im Mittelpunkt unserer dreiteiligen Darstellung stehen die Erfahrungen und Überlegungen der beiden Interviewten. Dieser Hauptteil wird von einer Begründung der Untersuchung eingeleitet und schließt mit einer literaturtheoretischen und -didaktischen Einbettung. „Fällt Euch eigentlich auf, was hier gerade passiert? “ ... 253 37 (2008) 1. Begründung der Befragung Dass Schule eine „Kultur der Akzeptanz von Heterogenität“ (P RENGEL 1995: 28) entwickeln müsse, ist bildungspolitisch festgeschrieben und dennoch keine Realität. Entsprechend wird im Kontext der interkulturellen Pädagogik und der Integrationspädagogik die Forderung nach Überwindung von Diskriminierung geäußert, die auch im genderpädagogischen Kontext laut wird. Aber selbst hier richtet sich das Interesse kaum je auf die Akzeptanz sexueller Identitäten jenseits der „heterosexuellen Matrix“ (B UTLER 1991: 220). Dabei gehört die Entwicklung sexueller Identität zu den zwingenden Entwicklungsaufgaben Heranwachsender, vollzieht sich wesentlich in eben dem Zeitraum, in dem Schule einen zentralen Stellenwert in der Lebenswelt Jugendlicher einnimmt, und bewegt sich keineswegs nur im Rahmen der Heteronormativität. Studien zufolge erleben Jugendliche, die sich nicht heterosexuell orientieren, Schule als feindselig (B IECHELE [et al.] 2001: 37). Kompetente und unterstützende Begleitung können sie dort kaum erwarten (H USCHENS [et al.] 2001: 43 f), im Gegenteil: Die Schule verstärkt oft den normierenden Druck, den sie in Familie und Gesellschaft erfahren. Die betroffenen Jugendlichen sind massiven verbalen und körperlichen Attacken ausgesetzt, riskieren Ablehnung durch Gleichaltrige und leiden in überproportional hohem Maße unter Stress und Einsamkeit. In einschlägigen Dokumentationen zu schwulen Jugendlichen wird wiederholt auf „eine erschreckend hohe Suizid(versuchs)rate“ hingewiesen. (B IECHELE [et al.] 2001: 20). In einer Studie der GEW (2001: 4) heißt es: „lesbische und schwule Lebensweisen werden in den meisten Lehrplänen und in der LehrerInnenaus-, -fort- und -weiterbildung weitgehend ignoriert“. Für H USCHENS [et al.] wäre es im Übrigen mit einem bloßen Einbezug nicht getan. Sie argumentieren unter der Überschrift „Schule als Raum für Erfahrung von Alternativen“ dafür, nicht-heterosexuelle Identitäten nicht als Randgruppenproblematik zu thematisieren, sondern „als Teil unserer gesellschaftlichen Lebensrealität“ (2001: 38). Es geht ihnen also um Kritik an der Konstruktion des Normalen. Eine solche Normalitätskritik kann auch, so unsere These, Anliegen von Literatur und von Literaturunterricht sein. Sowohl auf der Ebene des Lektürekanons als auch auf der Ebene der Unterrichtsinszenierungen sind Herausforderungen zur Dekonstruktion gesellschaftlich normierter Vorstellungen denkbar. Wird aber von diesem Potenzial Gebrauch gemacht? 2. Die Befragung Die im Folgenden dargestellte Befragung ist explorativ angelegt, denn sie gilt einem empirisch unerschlossenen literaturdidaktischen Feld: Englischer Literaturunterricht ist unter der Prämisse, dass an ihm auch nicht-heterosexuelle Akteurinnen und Akteure teilnehmen, bisher nicht untersucht worden. Auch hier geschieht das nur ausschnittweise, indem die Perspektive zweier Lehrpersonen im Interview beleuchtet wird. Die Entscheidung für die Form von Interviews mit nicht-heterosexuellen Lehrkräften als erstem Zugang beruht auf der Annahme, dass sie aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen mit 254 Helene Decke-Cornill, Marc-Philip Hermann, Bettina Kleiner, Sven Rhein 37 (2008) Nicht-Konformität eine erhöhte Aufmerksamkeit und geschärfte Urteilskraft für diesen Zusammenhang besitzen würden. 2.1 Die leitende Forschungsfrage und die interviewten Lehrkräfte Dem offenen Erkenntnisinteresse entsprechend ergab sich als Leitfrage für die Interviews: „What is it like, as a gay teacher, to teach English literature? “ Zur Befragung erklärten sich zwei Lehrkräfte an Gymnasien bereit, die in gleichgeschlechtlichen Beziehungen leben. Ihre Schulen liegen in zwei Großstädten in einem der alten westdeutschen Bundesländer. Die Zusammensetzung der Schülerschaft ist unterschiedlich: In einem der Gymnasien sind Kinder aus Einwandererfamilien eine kleine Minderheit, im anderen die deutliche Mehrheit. Für die Befragten stand während ihrer eigenen Schulzeit nicht oder noch nicht eindeutig fest, dass sie eine gleichgeschlechtliche sexuelle Identität entwickeln würden. Beide Lehrpersonen unterrichten das Fach Englisch auf der Sekundarstufe I und II und befinden sich in den ersten Jahren ihrer Berufstätigkeit. Sie begründen ihre Bereitschaft zur Mitwirkung an dieser Studie mit ihrem Interesse am Thema und dessen pädagogischer Relevanz. Ihre Namen wurden verschlüsselt, sie erscheinen hier als X und Y. Aus Gründen der Gewährleistung des Datenschutzes haben wir auch Hinweise auf ihr Geschlecht getilgt. Beide wurden im Sinne einer intersubjektiven Validierung um die Autorisierung ihrer Aussagen gebeten. 2.2 Der Interviewleitfaden Die Autorengruppe erarbeitete einen Leitfaden mit vier thematischen Schwerpunkten. Er wurde so gestaltet, dass er einerseits den beiden Interviews Struktur geben und als thematische Merkhilfe dienen, andererseits aber auch flexibel Raum für Thematisierungen lassen würde, die nicht zuvor antizipiert wurden. (1) Biographisches Schul- und Hochschulerfahrungen allgemein Erfahrung aus der Schulzeit Bezüge zwischen Biographie und eigenem Unterricht (2) Auskünfte über die Schülerinnen und Schüler und Kollegien der Interviewten Altersgruppe der Schülerinnen und Schüler Charakterisierung der Zielgruppen des Unterrichts Kollegium (3) Auskünfte zum Literaturunterricht Wege und Gründe der Entscheidung über Texte und Themen für den Unterricht Quellen für die Suche nach Literatur für den Unterricht Formen der Arbeit mit Literatur im Unterricht Erwartete bzw. erlebte Resonanz bei den Schülerinnen und Schülern auf den Literaturunterricht (4) Grundsatzfragen zum Verhältnis von Literaturunterricht und Heteronormativität Welche Rolle kann Literatur für die Thematisierung (ggf. Dekonstruktion) von Heteronormativität im Unterricht spielen? Ist aus Ihrer Sicht die Instrumentalisierung von Literatur für die Auseinandersetzung mit Heteronormativität legitim? „Fällt Euch eigentlich auf, was hier gerade passiert? “ ... 255 37 (2008) 2.3 Zur Durchführung und Auswertung des Interviews Beide Interviews fanden an unterschiedlichen Tagen im Winter 2007 statt und dauerten je eine gute Stunde. Zwei Mitglieder der Autorengruppe führten jeweils die Befragung einer Lehrperson durch, die digital aufgezeichnet und dann verschriftlicht wurde. Den Interviewten wurde eingangs noch einmal die ihnen schon bekannte Fragestellung erläutert und ein Überblick über die vorgesehenen Schwerpunkte verschafft. Wir orientieren uns bei der Auswertung lose an Christiane S CHMIDT s Vorschlägen zur „Analyse von Leitfadeninterviews“ (2000) und machen dabei zugleich von ihrer Anregung Gebrauch, eigene, der Fragestellung und dem Erkenntnisinteresse angemessene Wege zu finden (ibid.: 448), was auch impliziert, dass nicht alle der geplanten Aspekte in beiden Gesprächen gleichermaßen zur Sprache kommen. In einem ersten Schritt wurde von allen vier an der Auswertung Beteiligten unabhängig voneinander das Material, das zuvor durch Korrekturhören auf Übertragungsfehler bereinigt worden war, nach intensivem und wiederholtem Lesen paraphrasiert. Dabei wurden mit eigenen Worten die identifizierten Themen und Aspekte notiert. In einer vergleichenden, Verständnisfragen und Diskrepanzen klärenden Auswertung im direkten Gespräch wurden dann konsensuell im Team Auswertungskategorien formuliert. Für die Darstellung der Interviewaussagen wurde schließlich eine thematische Strukturierung gewählt und entschieden, die Interviewten möglichst ausführlich zur Sprache kommen zu lassen, so dass der darstellende Teil im Duktus des thematisch geordneten Referierens gehalten ist. Er umfasst zwei Schwerpunkte: Aussagen zu Schule und Lehrerrolle und Aussagen zum Literaturunterricht. 2.4 Aussagen zu Schule und Lehrerrolle In diesem Abschnitt stellen wir allgemeine Aussagen zur Institution und professionellen Identität vor, denn sie bieten für die anschließenden Aussagen zu Literatur und Literaturunterricht einen aufschlussreichen Kontext. 2.4.1 Schule als ausgrenzender Ort Die Interviewten beurteilen übereinstimmend Schule als ausgrenzenden Ort. Zu den Formen, in denen sich Ausgrenzung äußert, gehören Schweigen und Dethematisierung. X beobachtete diese Mechanismen in der eigenen Schulzeit, als sich eine Elftklässlerin outete: „Und keiner der Lehrer ist darauf eingegangen. Das wurde einfach ignoriert“. Auf diese Weise signalisierten die Lehrerinnen und Lehrer, worüber gesprochen werden konnte und worüber nicht, was aus dem Sagbaren zu verbannen war und was nicht, was zum Bestandteil der Realität und der Normalität zählen durfte und was nicht. Sie schufen das ‚Normale‘ kraft ihrer institutionellen Autorität. Später, nun selbst Lehrperson, erlebt X beim Gespräch über Stadtteile von San Francisco und deren Bewohnerinnen und Bewohner, wie eine Klasse der Sekundarstufe I sich weigert, das Wort homosexuality auszusprechen. 256 Helene Decke-Cornill, Marc-Philip Hermann, Bettina Kleiner, Sven Rhein 37 (2008) Da wurde mir erst klar, dass die Schüler mit dem Wort nicht nur phonetische Schwierigkeiten hatten, sondern es einfach nicht aussprechen wollten. Wir haben dann verschiedene Wörter mit dem Wortstamm ‚sexual‘ laut und deutlich wiederholt und gemeinsam ausgesprochen: „Sexual, sexuality, heterosexual, homosexual, homosexuality“. Nach der Übung mussten die Schüler auch schon kichern. Das Schöne war, dass die Atmosphäre plötzlich noch mehr als sonst gelöst war. Und plötzlich kamen Fragen wie: „Ja, wie nennt man das denn eigentlich im Englischen, eben gay, beschreibt das jetzt nur Männer oder auch Frauen? Wie nenne ich dann ne Frau? “ Und ich habe das ganz offen beantwortet, weil das Wort ‚gay‘ ja nicht nur im Englischen verschiedene Bedeutungen hat, sondern den Schülern halt auch in ihrem deutschen Alltag in den Medien und so begegnet. In diesem offenen Unterrichtsgespräch merkte ich vereinzelt aber auch Verhaltenheit, so Schüchternheit eben, mit einem Lehrer oder Erwachsenen über das Thema zu sprechen. Ich hab dann konkret gefragt, ob sie darüber nicht schon längst in Biologie gesprochen hätten. „Nee“, war die Antwort. Ich hatte das Gefühl, dass sie darüber enttäuscht waren, denn die Neugierde war da. Ich mein, ist ja da. Und ganz ehrlich: Ich hatte in dem Moment auch Frust auf die ignoranten oder feigen Kollegen, die sich nicht getraut haben oder es womöglich nicht für wichtig gehalten haben, auch diese sogenannten Tabuthemen aufzugreifen. Mit der Aufforderung zum Chorsprechen, zum gemeinsamen lauten Aussprechen des tabuisierten Begriffs räumt X den Schülerinnen und Schülern den verstellten Zugang zu ihrer Neugier frei. Das Schreckenswort wird in eine aus der Wortschatzarbeit vertraute Übung integriert, lexikalisch in eine Wortfamilie gebettet, zum Familienmitglied - diese familiarization (s. Abschnitt 3) mündet im erlösten Kichern der Klasse, ihrem Vertrauen und ihren Fragen. Auch Y schildert Erfahrungen mit Schweigen und Entnennung. Die Abiturientinnen und Abiturienten an Ys derzeitiger Schule berichten, dass ihnen das Thema sexuelle Vielfalt in der Schule nie begegnet sei. Auch grundsätzlich ein Unverständnis für die Situation von Homosexuellen bis eben auch hin zur Situation der Lehrer. Das war in [der vorherigen Schule, Anm. der Verf.] etwas intensiver, da war das Kollegium allerdings noch am Anfang des Altersumbruchs. Das ist hier ein bisschen anders, ich hab mit wenigen von den ganz Alten zu tun, und da ist es kein Thema. In [der vorherigen Schule, Anm. der Verf.] war es durchaus so, dass ganz viele Kolleginnen, besonders Kolleginnen, meinten, dass es kein Thema sein sollte, dass Schüler das nicht wissen sollten und dass sie die Thematisierung von Homosexualität im Schulalltag nicht gern sehen wollten. Eine andere Form der Ausgrenzung sind homophobe Äußerungen, die sich keineswegs auf die Schülerschaft beschränken, sondern auch im Lehrerzimmer in Gesprächen über Schülerinnen und Schüler verbreitet sind. Unter den Kindern und Jugendlichen seien homophobe Beschimpfungen oft spielerisch gemeint, trügen aber dennoch zum ausgrenzenden Klima bei, so dass nicht-heterosexuelle Jugendliche Y gegenüber Schule als Spießrutenlauf bezeichneten. Übereinstimmend äußern X und Y, dass sie kategorisch keine Diskriminierung dulden. Y: Wenn es in einer kleinen Situation ist, d.h. Pause, Schulhof oder so was, dann spreche ich mit den Leuten und erklär ihnen, dass das ne beleidigende Äußerung ist und dass sie damit andere ausgrenzen und dass wir das in der Schule nicht tolerieren. Wenn es in der Klasse passiert, thematisiere ich Homosexualität an sich. Mit dieser Funktion von Sprache als Ausgrenzung. „Fällt Euch eigentlich auf, was hier gerade passiert? “ ... 257 37 (2008) X (zu einer abfälligen Äußerung zu einem sog. sozialen Brennpunkt): Da hab ich den Schülern ganz deutlich gesagt: Eh, keine Diskriminierung irgendeiner Art in meinem Klassenraum. Wer das noch mal macht, fliegt raus. Das darf ich zwar nicht, aber so merken sie, hier ist ne absolute Grenze für mich erreicht. In der Darstellung der Befragten entsteht das Bild einer Institution, die wenig Raum und kaum Wahrnehmung für nicht-heterosexuelle Lebensweisen bietet. Schule blendet mit der Dethematisierung nicht-heterosexueller Identitäten einen Teil der Lebensrealität aus, den sie „im Sinne von ganzheitlicher Lebenserziehung in der Schule“ (X) einbeziehen müsste, denn „Schule sollte Realität abbilden“ (X). Die Interviewten beklagen das Unbzw. Halbwissen im Kollegium, die mangelnde Professionalität, die fehlende einschlägige Lehrerbildung. Vielen Kolleginnen und Kollegen sei beispielsweise entgangen, dass Richtlinien und Bildungspläne die Thematik bereits aufgenommen haben. 2.4.2 Verhältnis von persönlicher und professioneller Identität Der grundlegendste Unterschied zwischen den beiden Interviewten betrifft ihre Auffassung vom Verhältnis zwischen der persönlichen Identität der Lehrkraft und der Lehrerrolle. Für X ist eine Trennung zwischen beiden möglich und wünschenswert. Es gibt Dinge, die wollen Schüler von Dir einfach nicht wissen und dazu gehören ganz klar auch Dein Privatleben und Deine Alltagssorgen. Manche Lehrer vergessen das voll. Man ist dort vorne halt Lehrer. Du vergibst Noten und die Schüler stehen zu Dir in einem absoluten Abhängigkeitsverhältnis. Wenn Du denen mit zu viel privater Information von Dir kommst, kann das die Schüler in ne Situation bringen, in der sie sich Dir gegenüber befangen fühlen. Und Du merkst das vielleicht nicht mal. […] Das hat auch mit meinem Rollenverständnis zu tun. […] Es ist so als würde in dem Moment, in dem ich den Klassenraum betrete, ein Lichtschalter angeknipst: Alle Schüler sind vor meinen Augen präsent, sie und ihre Lernbedürfnisse sind alle wichtig, auch ihre individuellen sozialen Schwierigkeiten liegen mir am Herzen. Und Du guckst dann halt so ganz automatisch neben dem Unterrichten: Na, F., gehts Dir heute gut? Na, S., immer noch Sorgen mit dem Freund? Aber wenn ich die Schule verlasse, wird dieser Lichtschalter ausgeknipst. Ich gehe nach Hause und dort wird ein anderes Licht angemacht. Die Offenlegung der eigenen sexuellen Identität ist für X eine ambivalente Angelegenheit. Na klar, wenn Du Dich geoutet hast und Schüler wissen das, dann kann das ne absolut wichtige Funktion haben, und ich würde immer zu meiner Identität stehen. Das muss ich ja auch, denn nur so kann ich als Lehrer authentisch sein und auch Schülern helfen, über eigene Vorurteile und eben ihre eigene Lebenswelt hinauszudenken. Und verschiedene, auch sexuelle Lebensformen zu tolerieren. Oder eben, und das ist nämlich auch nicht zu vergessen, für sich selber zu entdecken und als normal anzusehen. Aber offensives Outing gehört für mich nicht dazu. Schließlich outen sich die heterosexuellen Lehrer ja auch nicht vor ihren Schülern. Grundsätzlich hält X Outing nicht unbedingt für geboten, entscheidend seien Vertrauenswürdigkeit, Integrität und eine offene Haltung gegenüber den Lebenswelten und Entscheidungsprozessen der Schülerinnen und Schüler. Folgerichtig lehnt X eine Zuständig- 258 Helene Decke-Cornill, Marc-Philip Hermann, Bettina Kleiner, Sven Rhein 3 Y hält fest, dass das Outing nicht nur für das Selbst, sondern auch für die entsprechenden Kurse etwas wert ist. Inzwischen hat Y auch die Unterstufe informiert. 37 (2008) keit nur der nicht-heterosexuellen Lehrenden für nicht-heterosexuelle Themen und Schülerfragen ab. Y teilt diese Auffassung und berichtet von gay-straight alliances an US-amerikanischen Schulen als Vorbild eines verantwortungs-, nicht identitätsgeleiteten Engagements gegen Homophobie und die Konstruktion von Normal- und Randgruppen. Anders als für X ist für Y Outing in der Schule ein zwar schwieriger, aber unbedingt befreiender und entlastender persönlicher Schritt. Die Alternative dazu hieße für Y „sich verstecken“: Es war ne große Erleichterung, als ich mich direkt im Unterricht in der Schule in […] geoutet habe. Ab dem Zeitpunkt war es so, dass wirklich keine Mehrdeutigkeiten mehr von mir gedacht werden mussten, was gerade im Unterricht passiert. Das sprach sich da dann ganz schnell rum. Aus der Aussage geht hervor, dass das Vorher als belastete, das Danach als neue Zeit erlebt wird, als Wende („ab dem Zeitpunkt“). Allerdings beschränkt sich Y dabei auf die Oberstufe. 3 Anlässe für das Outing bieten Y z.B. homophobe Beschimpfungen in einem Grundkurs, zu dem ein offen schwuler Schüler gehört. Die Wirkung ist unterschiedlich. Während sich die Nachricht in der vorherigen Schule „wie ein Lauffeuer“ herumsprach, wissen in Ys derzeitiger Schule manche Schülerinnen und Schüler von der (offenen) Homosexualität eines Kollegen, andere nicht. So dass ich davon ausgehen kann, dass es kein großes Thema ist, wenn so was bekannt wird im Moment, zumindest in bestimmten Jahrgangsstufen oder wenn der Lehrer ne bestimmte Stellung hat, und ich mich im Prinzip in den Kursen offen outen muss, damit ich da komplett transparent mit umgehen kann. Was den Schülerreaktionen zufolge möglicherweise „kein großes Thema ist“, ist es für Y sehr wohl. Das muss zeigt, dass die Übereinstimmung zwischen privater und beruflicher Identität in diesem Punkt für Y Grundvoraussetzung unbeeinträchtigter beruflicher Existenz ist. Die Auffassungen der beiden Lehrerpersönlichkeiten unterscheiden sich in dem hier verhandelten Punkt deutlich. X sieht das Privatleben als schützenswerten Bereich und versteht sich eher als moderierend im Bildungsprozess und als dienstleistende Ansprechperson grundsätzlich aller Schülerinnen und Schüler. Für Y dagegen ist die Offenlegung der eigenen Lebensweise vielleicht eine Flucht nach vorn oder ein Präventivschlag gegen das Geoutetwerden, vor allem anderen aber Befreiung und Entlastung. Im Gespräch über die Möglichkeit, durch Schülerinnen und Schüler oder Kolleginnen und Kollegen ungewollt geoutet zu werden, berichtet X von einer bemerkenswerten Situation. Ich möchte mich gar nicht vor meinen Schülern verstecken. Das ist mir eigentlich egal, also nicht egal. Schaun Sie mal, diese Schüler haben ja Geschwisterkinder, haben Eltern, und wenn man das hochrechnet, sind das eben mal locker tausend Mann, wenn man noch mal die Menschen mitrechnet, die Dich aus dem Schulbild kennen, aber nicht im Unterricht haben. Das möchtest Du einmal „Fällt Euch eigentlich auf, was hier gerade passiert? “ ... 259 37 (2008) für Dich selber nicht, und das sollte man auch gar nicht. So nen Gedanken musst Du ganz schnell wieder aus deinem Gedächtnis wischen. Denn es wäre ne unnötige Einschränkung der privaten Identität und des Privatlebens. Mhmmm. Bei mir gab es bislang interessanterweise auch nur eine so ne Situation, in der eine Schülerin plötzlich meinte, also wissen Sie, die ist eigentlich sonst eher auf höfliches Benehmen bedacht. Jedenfalls meinte sie plötzlich mitten im Unterricht, also es ist ihr so richtig entfahren: Ich hab Sie in […] gesehen. Ich guckte sie an, sie guckte mich so an, und es war irgendwie so, als ob wir uns in diesem Moment gegenseitig lesen. Alle anderen guckten sie auch an: So, und nun? Und sie meinte daraufhin nur noch: Ja, ich wollte ja nur mal was sagen. Und dann hat sie einfach weitergeschrieben, während ich normal meinen Unterricht fortgeführt habe. Das war so ein Moment, der ist mir einfach so im Gedächtnis hängen geblieben. Sonst fragen die eigentlich nie: Sind Sie verheiratet oder so. Die Aussage bleibt unvollendet, erzeugt eine schwebende Leerstelle. Die Schülerin verharrt gleichsam vor dem Absprung. Sie springt nicht, aber sie hätte springen und X zum Mitspringen nötigen können. 2.5 Aussagen zum Literaturunterricht In diesem Abschnitt geht es nun um die Äußerungen der Befragten zu ihren Erfahrungen mit und Auffassungen von Literaturunterricht. 2.5.1 Literatur in Schulzeit und Studium Beide Befragte erinnern sich nicht an die Begegnung mit nicht-heterosexuellen Lebensweisen im englischen Literaturunterricht ihrer Schulzeit. Solche Begegnungen gab es für X erst im Studium im anglophonen Ausland, und hier waren weder Tabuisierung noch Marginalisierung erkennbar. Die Seminare waren vom diversity-Ansatz geprägt. Das erste Mal, dass es thematisiert wurde, war für mich tatsächlich im Ausland. […] Da wurde es ganz stark und ganz normal thematisiert. […] Also als das Normale, was es eben auch ist, oder? Du liebst jemanden, punktum. Im anglophonen Raum existiert ja ohnehin ein anderer Lehransatz als hier an den deutschen Unis. Die Professoren stehen viel mehr unter Druck Diskriminierung zu vermeiden. […] Wenn die das Diskriminierungsverbot nicht beachten, kann das für sie ganz ernsthafte Konsequenzen für die Karriere haben. Vielleicht entwickelt sich das in Deutschland auch irgendwann mal. X erinnert sich an einen Kurs über nordamerikanische Literatur des 20. Jahrhunderts, in dem unterschiedliche sexuelle Identitäten eine Rolle spielten. Dabei wurde so verfahren, dass das Thema Homosexualität beispielsweise bei der Analyse der Charaktere zur Sprache kam und auf einer Metaebene über emotionale und soziale Dimensionen diskutiert wurde. So musstest Du Dich nicht als Individuum selbst direkt damit auseinandersetzen, wenn es Dir unangenehm war, konntest aber fiktiv trotzdem ganz offen darüber diskutieren. Da haben das sogar die Typen gemacht, die auf ihrer Farm groß werden und außer dem Patriarchat nichts anderes kennen oder gelten lassen wollen. Das haben die Lehrkräfte total geschickt gemacht. Ich hab da, glaube ich, viel mitgenommen für meinen eigenen Unterricht. 260 Helene Decke-Cornill, Marc-Philip Hermann, Bettina Kleiner, Sven Rhein 4 Demnächst steht Calamus in einem von Ys Oberstufenkursen auf dem Programm. 37 (2008) Y hat angesichts des als langweilig erlebten Literaturunterrichts in der Schulzeit eigene literarische Entdeckungsreisen gemacht, angeregt von Dead Poets Society Walt Whitman gelesen, sich dessen Tagebuch besorgt, Sekundärliteratur herangezogen und dabei ein Interesse an Whitman entwickelt, das bis ins Erste Staatsexamen und die Gegenwart anhält. In der Schulzeit verschlang Y u.a. Catcher in the Rye. Wedekind war vielleicht auch noch interessant, aber das habe ich nur privat gelesen und im Schülertheater gesehen. […] Das war eher sogar ne Möglichkeit, sich nicht damit zu beschäftigen, weil es eben andere Figuren gab. Die, ohne dass es direkt um sexuelle Neigungen ging oder so was, große Probleme damit hatten, irgendwie in die Welt zu passen. In den Jahren des Erwachsenwerdens sucht Y also nach literarischen Räumen, die einerseits das Tabu des zensierten Themas schützen, andererseits aber Spiegelungen des Nichtrecht-in-die-Welt-Gehörens erlauben und dabei stellvertretend eine symbolische Auseinandersetzung mit dem inneren Erleben des Außenseitertums ermöglichen. Bei beiden Befragten spielen literarische Erfahrungen vor der eigenen Lehrtätigkeit eine Rolle für den eigenen Unterricht: X nennt vor allem den Umgang mit Vielfalt im Auslandsstudium und die Beobachtung des methodischen Vorgehens der Lehrenden, Y als abschreckendes Vorbild die Beliebigkeit und Irrelevanz des englischen Literaturunterrichts, von dem keine Erinnerung geblieben ist, und das Interesse an Whitman. 4 Analog zu den Auffassungen zum Verhältnis von privater und beruflicher Identität zeigen sich auch in den Aussagen zum Literaturunterricht zunächst Unterschiede zwischen X und Y, dann aber auch zahlreiche Übereinstimmungen. 2.5.2 Literatur als Anlass, die eigene Identität zu offenbaren Für Y, nicht aber für X, bieten literarische Texte u.a. die Gelegenheit, die eigene Identität offen zu legen, jedenfalls auf der Sekundarstufe II. Auf der Sekundarstufe I wäre das Outing dagegen für Y unabdingbare Voraussetzung für den Einbezug von Literatur mit nicht-heterosexuellen Themen. Erneut zeigt sich die hohe Bedeutung der Offenheit bei Y. Y ergreift offensiv Möglichkeiten, gerade die gesellschaftlich ausgegrenzten Momente der eigenen Persönlichkeit aufzudecken und Homosexualität als Bestandteil von Realität zu zeigen. Schon im Vorfeld des innerschulischen Coming-out bezog Y in eine Reihe kürzerer Hörspiele zu Halloween eines mit einem schwulen Protagonisten ein. Y wollte u.a. erfahren, wie die Schülerinnen und Schüler mit dem Thema umgehen würden. Das habe ich recht bewusst damals ausgewählt, wobei das noch vor meinem Outing war, um sie herauszufordern, weil das noch mal ein Stück, dachte ich, provokativer war. […] Die Auflösung, dass der Protagonist schwul war und endlich mit seinen Eltern darüber reden sollte, das konnten sie dann alle unterstützen. Von der bevorstehenden Arbeit zu Buddha of Suburbia, den die Schülerinnen und Schüler für die gemeinsame Lektüre ausgewählt haben, erwartet Y eine weitere Möglichkeit der Offenlegung der eigenen Identität. „Fällt Euch eigentlich auf, was hier gerade passiert? “ ... 261 37 (2008) 2.5.3 Funktionen des Literaturunterrichts Y zufolge ist es Aufgabe des Literaturunterrichts, den Horizont der Lernenden zu erweitern. Es geht darum, dass die Schüler auch andere Welten kennen lernen. Und Welten, in denen sie vielleicht ein bisschen Vertrautheit erleben, das finde ich immer das Spannende gerade in Entwicklungsromanen, das zu machen. Wo also Sachen wiedererkannt werden und ein großer Teil verfremdet ist. Also nicht komplett fremde Sachen zu lesen. Ich glaube, ich könnte Gullivers Reisen z.B. nicht gut mit den Schülern lesen. […] Ich mach lieber Hamlet als Macbeth mit ihnen, weil ich glaube, dass sie an Hamlet doch näher dran sind. An einem jungen, verwirrten Menschen eher als an einem Machtbesessenen, von der Ehefrau Verführten. […] Auch wenn ihnen Macbeth Spaß macht, ohne Frage. Ys Ansatz lässt das Konzept der Verfremdung, der defamiliarization (s. Abschnitt 3) erkennen: Ich versuche eher dieses Wiederentdecken und Wiedererkennen und Verwirren zu spielen, was, glaube ich, ein Grundkonstrukt von Literatur ist. Literaturtheoretische und literaturdidaktische Dimensionen gehen hier ein Bündnis ein: Literatur erweist sich also bei Y schon als didaktisch. Die Frage, ob es legitim sei, Literatur für aufklärerische Zwecke wie die Kritik an Heteronormativität zu instrumentalisieren, bejaht Y: Natürlich kann man das machen, ich glaube, man sollte es auch machen, weil es viel einfacher für die Schüler ist, die Sachen und unter Umständen sich selbst über den Literaturzugang zu erkennen als einfach nur theoretisch über Sachtexte das Thema zu erschließen. Neben der Möglichkeit des Erkennens von Selbst und Welt verspricht sich Y von Literatur für die Lernenden den fachlich gebotenen Anreiz zur Kommunikation. In einer Einheit über Multikulturalismus behandelte Y eine südafrikanische Kurzgeschichte, deren Protagonist sich über ein Luxusauto definiert, in Verbindung mit einer Geschichte von Qaisra S HARAZ , „A Pair of Jeans“, in der die Selbststilisierung durch Kleidung eine Rolle spielt: Im Laufe der Diskussion habe ich diese Texte ganz eindeutig dann dazu missbraucht überzuleiten zu der Fragestellung: Was passiert eigentlich in unserer Konsumwelt mit unseren Identitäten? Wieweit definieren wir uns über Sachen, die wir kaufen? Das habe ich dann auch konsumtheoretisch unterlegt. […] Aber das finde ich vollkommen legitim, auf Grundfragen der Menschlichkeit nenne ich das jetzt mal, auch wenn das nicht der Themenbereich im Rahmenplan ist, den ich gerade bearbeite, auch über Literatur hinzuleiten. Man darf nicht vergessen, dass es auch darum geht, dass sie Sprachkontakt bekommen, dass sie in Gesprächssituationen gebracht werden, wo sie relativ authentisch anfangen sich zu streiten. 2.5.4 Methodische Inszenierungen Die beiden Befragten haben als Ziel vor Augen, dass die Schülerinnen und Schüler untereinander die Bedeutung von Texten aushandeln, sie selbst aber in den Hintergrund treten können. 262 Helene Decke-Cornill, Marc-Philip Hermann, Bettina Kleiner, Sven Rhein 37 (2008) Y: Das ist so mein Hauptziel, dass ich überhaupt nichts mehr machen muss, dass sie nicht mit mir reden, sondern dass sie miteinander diskutieren. Und das ging bei diesen Kurzgeschichten um Werbung ganz gut, um Identität, um Markensachen oder so. So oft wie möglich beteiligt Y die Schülerinnen und Schüler an der Literaturauswahl und bietet ihnen häufig eine Auswahl an Texten oder Filmen an - in einem Leistungskurs, in dem das Thema Geschlechterrollen, Geschlechterstereotypen Lerngegenstand sein sollte, z.B. Gilmore Girls, Brokeback Mountain u.a. Hier entschieden sich die Lernenden für Brokeback Mountain. Schüler-Schüler-Interaktionen über einen literarischen Text, aber auch über einen Schüleressay, lassen auch für X den Schülerinnen und Schülern Freiräume für die Formulierung von Gedanken ohne Rücksicht auf das vermutete Lehrerurteil. Nicht die Lehrperson gibt die Denkrichtung vor, sondern diese entwickelt sich in den Aushandlungsprozessen der Schülerinnen und Schüler über ihre unterschiedlichen Deutungen. Wenn ich die Methode entsprechend wähle und mich vor allem selber als Lehrperson nicht als homosexuell, Frau/ Mann, christlich/ muslimisch positioniere, sondern versuche, mich möglichst neutral zu verhalten, dann schaffe ich, vor allem in der Pubertät, ein neutrales Feld, auf dem sich die Schüler unterhalten können und dann unter Umständen für sich selbst die Freiheit haben, innerlich über das eigene Ich nachzudenken. Das ist eben der Clou: Du musst die angemessene Distanz zu den Schülern respektieren und ihnen Raum zum Nachdenken lassen. Du selbst bist eben nicht wichtig, auch wenn viele Lehrer denken, sie haben das Sagen. Der Schüler ist wichtig. Aber wenn sie dich dann drauf ansprechen, ob du Berührungspunkte jetzt beispielsweise mit Homosexualität oder eben homosexuell oder bi oder sonst was bist, dann musst Du auch dazu stehen. Sonst bist Du total unglaubwürdig. Ansonsten ist bei der Literaturanalyse die Methode das A und O. In der Deutungsoffenheit literarischer Texte und dem Deutungsspektrum der Rezeption sieht X ein wichtiges Potenzial. Entscheidend seien am Ende aber Lehrperson und methodische Inszenierungen. Als Beispiele für die Förderung von Reflexion und Empathie nennt X die Möglichkeit, Texte unter der Fragestellung zu betrachten, ob sie von männlichen oder weiblichen Autorinnen und Autoren verfasst wurden, oder, bei kreativen Schreibaufgaben und Rollenspielen, eine Auswahl von Erzählperspektiven - sexual identity, religious identity, ethnic identity - zur Wahl zu stellen. 2.5.5 Erfahrungen mit Rezeptionsprozessen Dass Lesen eine deutende und sinnstiftende Aktivität der Lesenden ist, die dabei mit ihren Vorannahmen operieren, ist eine schemawie rezeptionstheoretische Binsenweisheit. Aber in der Realität ist der Blick auf diese Vorannahmen meist verstellt, sie sind uns fremd. Deshalb sind im Sinne der Selbstreflexion und der Auseinandersetzung mit eigenen Wahrnehmungsvoraussetzungen Inszenierungen wie die unter 2.5.4 genannten sinnvolle Praxis. X berichtet im Interview aber auch von einem Unterrichtserlebnis, in dem ohne lehrergesteuerte Inszenierung sowohl X selbst als auch die Schülerinnen und Schüler mit ihren Vorannahmen konfrontiert waren. X unterrichtet die Klasse bereits im dritten Jahr und die Schülerinnen und Schüler sind entsprechend für die gay-Perspektive „Fällt Euch eigentlich auf, was hier gerade passiert? “ ... 263 5 Als Beispiel nennt X Fred Leebrons „Water“ (1997). 37 (2008) schon sensibilisiert, als X ihnen „The Dragon“ von Cynthia F ORDER vorlegt. In der Geschichte geht es um Bob und Kay, die seit der Kindheit befreundet sind und sich jetzt, als Jugendliche, nicht mehr wohl miteinander fühlen. In dieser Kurzgeschichte gibt es keine Personalpronomen, die das Geschlecht eindeutig markieren. In der Diskussion meinte eine Schülerin plötzlich: Ja, aber das kann doch gar nicht sein, es sei denn, die sind schwul. In der Geschichte heißt es: He touched my shoulder again gently. I could like you, Kay, I really could, but the truth isn’t important to you. […] Für die Schüler wirkte das erst komisch. Sie waren spontan der Meinung, Jungs würden sich untereinander nicht so verhalten, es sei denn sie wären schwul. Meine Schüler waren in dem Moment ganz süß irgendwie. Sie meinten dann, na ja, wenn die eben schwul sind, oder der eine den andern halt liebt, ist doch okay. Es war dann total spannend, weil ich dann meinte: Stopp. Fällt Euch eigentlich auf, was hier gerade passiert? Lasst uns mal losgelöst vom Text sprechen. Das hat uns dazu gebracht, dass wir gemeinsam über unsere eigenen stereotypen Geschlechterkonstruktionen gesprochen haben. Und auch darüber, inwieweit unser Umfeld uns zwingt, ner gewissen Norm standzuhalten. Kay kann sowohl als männlicher als auch als weiblicher Vorname gebraucht werden und ist damit ein uneindeutiger Vorname, der von X weiblich und der Klasse männlich vereindeutigt wird. Diese Irritation, der damit möglicherweise entstehende homosexuelle Subbzw. Alternativtext und die nachfolgende selbstreflexive Diskussion von Stereotypen und von gesellschaftlichen Geschlechterkonstruktionen motivieren X, gelegentlich ähnlich offene Texte wieder einzusetzen. 5 Gemeinsame und selbstbezogene Reflexion ist aber nicht immer möglich. Der Unterricht zu Brokeback Mountain, von dem Y berichtet, trifft bei einem Schüler auf massive Abwehr. Es gab Szenen, da hat ein muslimischer Schüler den Kopf nicht vom Tisch gehoben und nicht hingeguckt und ist auch zu einer Stunde mit Absicht nicht gekommen, als klar war, dass wir explizit über Homosexualität reden werden. Den mehrheitlich von dem Kurs gewählten und mit Interesse diskutierten Film erlebt dieser Schüler als Verletzung seiner Grenzen. In den Interviews bringen X und Y übereinstimmend zum Ausdruck, dass sie für solche Situationen, in denen sie mit massiven Abwehrhaltungen konfrontiert werden, keine schnelle Antwort haben. 2.6 Zwischenbilanz Bei der Lektüre der Interviews entsteht der Eindruck von dünnem Eis, auf dem sich nichtheterosexuelle Lehrkräfte bewegen. Der Umgang mit ihrer persönlichen Identität wird zu einer ständigen und widersprüchlichen Aufgabe in einer Institution, die mit Vielfalt nichts anzufangen weiß. In diesem Kontext nutzen die beiden direkte und indirekte Verfahren der Gegenrede gegen Normativität, wie sie auch in der kritischen Literaturdidaktik vertreten werden. Sie erweitern das Spektrum an Texten und Filmen und verhelfen den Lernenden zu Begegnungen mit unbekannten, manchmal verstörenden Welten und damit 264 Helene Decke-Cornill, Marc-Philip Hermann, Bettina Kleiner, Sven Rhein 37 (2008) zur „Entprovinzialisierung“ (R UMPF 1993: 108). Literatur wird in vielen ihrer Unterrichtsinszenierungen zur „third domain“ (B HABHA 1994: 38), in der Bedeutungen zwischen den Lernenden untereinander und zwischen Lernenden und Lehrenden ausgehandelt werden können und die Chance des Kennenlernens neuer Sichtweisen genutzt wird. Texte und vor allem methodische Inszenierungen laden zur Übernahme unvertrauter Perspektiven und zur Reflexion selbstverständlich gewordener Annahmen ein. Behutsam oder mit Leichtigkeit (X) oder eher offensiv und nachdrücklich (Y) verfolgen die beiden Lehrkräfte - ohne einander zu kennen - das Ziel der Normalitätskritik. Sie operieren auf schmalem Grat: Sie müssen die Grenzen der Lernenden erspüren und auf deren Widerstand reagieren; sie müssen die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler, die „vielleicht für sich in diese nicht-heterosexuelle Richtung denken“ (X) und in der Schule keine Spiegelung ihrer Normalität erfahren, berücksichtigen; und sie müssen den pädagogischen Auftrag und Selbstanspruch erfüllen, die offene Spannbreite von Lebensweisen allen Lernenden in Bildungsprozessen zugänglich zu machen. In seiner Anerkennungsphilosophie setzt sich Axel H ONNETH (2003) mit George H. M EAD auseinander, der das Spannungsverhältnis zwischen den verinnerlichten Normen des Gemeinwesens und dem subjektiven Selbstverwirklichungsstreben in die dynamische Dichotomie des Mich und des Ich gefasst hat. M EAD entwickelt dabei folgendes Verständnis von Selbstbehauptung: Zur ‚Selbstbehauptung‘, wie Mead sagt, also zur Verteidigung der Ansprüche seines ‚Ich‘ gegenüber der gesellschaftlichen Umwelt, ist das Subjekt nur in der Lage, wenn es sich anstatt in die Perspektive des existierenden Gesamtwillens in diejenige einer erweiterten Rechtsgemeinschaft hineinversetzt; das ideale ‚Mich‘, das es damit in sich errichtet, gewährt ihm über den moralischen Bruch mit dem Gemeinwesen hinweg die intersubjektive Anerkennung, ohne die es eine persönliche Identität nicht aufrechterhalten kann (H ONNETH 2003: 133 f). Diese Denkfigur lässt sich für unseren Zusammenhang adaptieren. Die Aussagen der Interviewten verraten etwas von der Kraft, die das Fehlen der „Zustimmung des ‚generalisierten Anderen‘“ (ibid.: 136) zu einem Aspekt ihrer Identität sie kostet, die ihnen aber auch aus der Auseinandersetzung damit erwächst. Gegen Heteronormativität setzen sie auf Vielfalt und erweiterte Anerkennungsverhältnisse in der Schule. Dass diese nicht nur den Lehrenden und Lernenden in dieser Institution, sondern der Institution selbst zum Gewinn gereichen, kann man bei H ONNETH (2003: 310) nachlesen: Einerseits bemißt sich die Chance einer positiven Selbstbeziehung für die Subjekte selber an Bedingungen, die einen gesellschaftlichen Charakter besitzen, weil sie aus normativ geregelten Formen der wechselseitigen Anerkennung bestehen; andererseits bemißt sich die Chance einer bestimmten Gesellschaft, auf die ungezwungene Zustimmung der eigenen Mitglieder zu stoßen, an ihrer Fähigkeit zur Organisation von Anerkennungsverhältnissen, die die individuelle Entwicklung solcher positiven Formen der Selbstbeziehung ermöglichen. „Fällt Euch eigentlich auf, was hier gerade passiert? “ ... 265 37 (2008) 3. Literatur, Entnormalisierung und die Literaturdidaktik der Anerkennung Zum Abschluss unternehmen wir nun eine literaturtheoretische und -didaktische Einbettung der Interviewaussagen. Wir verorten die Positionen der Lehrkräfte in den Kontext der Literaturdidaktik der Anerkennung (D ECKE -C ORNILL 2007), die u.a. von Guy C OOK inspiriert ist. In Discourse and Literature entwickelt C OOK (1994: 182) eine Theorie des Literarischen „as a dynamic interaction between linguistic and text-structural form on the one hand, and schematic representations of the world on the other, whose overall result is to bring about a change in the schemata of the reader“. C OOK s Theorie von der schemaverändernden Wirkung von Literatur ist inspiriert von den russischen Formalisten und ihrem Konzept der defamiliarization. Victor Shklovsky, einer ihrer wichtigen Vertreter, hatte bereits in seiner frühen Schrift The Resurrection of the Word (1914) gefordert, Literatur müsse zum Sehen und nicht zum Wiedererkennen verhelfen, nur dann habe sie die Macht, „the glassy armour of familiarity“ (zit. in T HOMPSON 1988, preface) zu zerstören. Die Formalisten hatten allerdings mit außerliterarischen, gesellschaftlichen Normierungen und ihrer Neubetrachtung in und durch Literatur nicht viel im Sinn. Ähnlich wie die New Critics betrachteten sie das literarische Werk als autonom und thematisierten nur literaturimmanent die disruptive Einflussnahme abweichender literarischer Formen auf kanonisierte Sprach- und Textstruktur, nicht jedoch ihre mögliche Wirkung auf außerliterarische kanonisierte Denkvorstellungen und Diskurse. Mit diesem Versuch der Entsubjektivierung von Literatur unterlagen sie einem logischen Widerspruch, den C OOK am Schlüsselbegriff defamiliarization nachzeichnet. Though a neologism, the word ,defamiliarization‘ may be regarded as a nominalization of a verb. This verb would be transitive and always predicate an object, with an optional adjunct ,for x‘. The text defamiliarizes something for someone. The something is the world (though in a sense which includes texts and language) and the ,someone‘ must be the reader. The use of the nominal, however, enables the formalists to avoid both implications (1994: 207). Defamiliarization lässt sich ohne Bezug auf die Akteurinnen und Akteure von Literatur, die Schreibenden und die Lesenden also, nicht denken. Es kann keine objektive Eigenschaft von Literatur sein, dass sie Vertrautes verfremdet und Normiertes entnormalisiert. Ob etwas selbstverständlich geworden ist, ist eine Frage der individuellen, sozialen und historischen Bedingungen. Befremdliches kann seine Befremdlichkeit verlieren, Vertrautes befremdlich werden, und was für den einen befremdlich ist, ist es für die andere nicht. Zwar bietet Literatur einen Raum für die Entroutinisierung naturalisierter Diskurse und für die Artikulation neuer, aber sie ist dabei angewiesen auf die Bereitschaft der Rezipientinnen und Rezipienten, sich befremden zu lassen. Diese kann im Unterricht tatkräftig gefördert werden. Denn Unterricht bietet zwei spezifische, die Privatlektüre überschreitende zusätzliche Dimensionen: Zum einen die Anschlusskommunikation, in der die individuellen Rezeptionsprozesse miteinander abgeglichen und dabei in ihrer Unterschiedlichkeit und Bedingtheit zur Sprache gebracht werden können. Zum anderen die Unterrichtsmethodik, die 266 Helene Decke-Cornill, Marc-Philip Hermann, Bettina Kleiner, Sven Rhein 37 (2008) helfen kann, normgeleitete Leseweisen zu erschweren. Uneindeutige Texte können zur Selbstreflexion genutzt werden, eindeutige veruneindeutigt werden, Textzusammenstellungen das Spektrum an Weltbegegnungen erweitern und Ausgeschlossenes einschließen, Aufgabenstellungen Verfremdung provozieren. Von diesen Möglichkeiten machen die Interviewten Gebrauch. Inwieweit ihre Zugänge lebensweltlich wirksam werden, ist eine Frage, die nicht beantwortet werden kann. Immerhin zeigt sich an einer Stelle, dass die Klasse, in der X seit drei Jahren Englisch unterrichtet, sensibel für die (Selbst-)Konstruktion normativer Geschlechterverhältnisse geworden ist. Literatur liefert keine praktischen Handlungs- und Denkanweisungen. Im Gegenteil: Sie stellt ja u.a. deshalb einen Raum der Gegenrede dar, weil sie als eigene sprachliche Domäne, fern vom alltäglichen Sprachhandeln, den Freiraum einer Randerscheinung besitzt. Mit C OOK gehen wir aber von der Annahme der „extraordinary effects of literary form upon the mind“ (1994: 256) und der Macht von Literatur „to disrupt and refresh ,the glass armour of the familiar‘“ (ibid.) aus. Sie kann sich gegen die monologische Herrschaft verbreiteter, einverständiger Diskursarten auflehnen, deren Gemachtheit und Bedingtheit aufzeigen und damit dazu beitragen, Welt und Selbst in neuem Licht zu sehen. Hier deutet sich eine Übereinstimmung zwischen literarischen Rezeptionsprozessen und Bildungsprozessen an. Bildungsprozesse sind Prozesse der Prüfung, Revision und Transformation von Welt- und Selbstverhältnissen. Sie implizieren, dass vereinfachende Denk- und Vorstellungsmuster reflektiert und Ambiguität, Widersprüchlichkeit und Differenz vorstellbar werden. Dazu bedarf es einerseits der Erweiterung des Blicks und andererseits der Irritation, d.h. konstruktivistisch gesprochen der Perturbation, formalistisch gesprochen der defamiliarization. Dieses Bildungspotenzial von Literatur nutzen die Interviewten auch für die Dekonstruktion von Heteronormativität - zur Nachahmung und Weiterentwicklung empfohlen. Literatur B HABHA , Homi (1994): The Location of Culture. 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However, these should also cover literature that is relevant for future teachers, i.e. literary texts that are read in schools from grades 1 to 12. The following article concentrates on literary texts and adaptations for grades 5-10. Adaptations come under the heading of „language learner literature“ that is meant to help adolescents find an approach to literary texts and read with pleasure in the foreign language. Future teachers should therefore learn not only to analyse originals, but also to analyse adapted texts, compare them with originals and evaluate and reflect their merit for teaching in class. Moreover, they should try and adapt a literary text themselves in order to become aware of the multiple difficulties that are inherent in any text adaptation. 1. Einleitung In neueren literaturdidaktischen Publikationen ist viel Innovatives zum Literaturunterricht geschrieben worden (vgl. u. a. H ALLET / N ÜNNING 2007; B REDELLA / H ALLET 2007; F ÄCKE / W ANGERIN 2007). Alle neueren Theorien, Konzepte und Modelle literaturdidaktischen Handelns und Unterrichtens werden aber nicht recht wirksam, wenn nur Literaturdidaktiker und -didaktikerinnen sie reflektieren, kommentieren und kritisieren. Sie müssen von Englischlehrkräften rezipiert, reflektiert und umgesetzt werden, um wirksam für Änderungen im Literaturunterricht zu werden, und das in Einklang mit mehr oder minder präskriptiven Bildungs- oder Lehrplänen. Wichtig ist überdies, dass literaturdidaktische Themen, Theorien und Modelle verbindliche Inhalte im Fremdsprachenlehrerstudium darstellen. Noch immer ist in einer Reihe von Bundesländern die Fachdidaktik Stiefkind in den Lehramtsstudiengängen, da davon ausgegangen wird, dass eine philologische Fachrichtung studiert wird; und obwohl die weitaus größte Zahl der Studierenden in ein Lehramt strebt, wird die Fachdidaktik als eine Art Appendix betrachtet, nicht aber als eine zentrale berufswissenschaftliche Komponente des Studiums, die die Kompetenzen vermittelt, die für eine spätere Unterrichtstätigkeit zu allererst qualifizieren. Der folgende Beitrag möchte sich daher auf eine spezifische Facette der literaturdidaktischen Ausbildung konzentrieren und diese in der Hauptsache nicht mit Blick auf die Oberstufe des Gymnasiums, sondern mit Blick auf die Sekundarstufe I darstellen. Original und Bearbeitung: Literarische Texte in der Fremdsprachenlehrerausbildung 269 37 (2008) 2. Zur Rolle der Literatur in der Schule Literatur ist lange als Privileg und Monopol der Sekundarstufe II angesehen worden, hier wurde und wird sie gelesen und diskutiert; und auf die Sekundarstufe II konzentrierten sich entsprechend die meisten literaturdidaktischen Publikationen. Vernachlässigt wurden die Klassen 5-10, die doch den Großteil der Schülerinnen und Schüler ausmachen. Mit dem Grundschulenglisch sind in den letzten Jahren in etlichen Beiträgen auch die spezifischen Möglichkeiten reflektiert worden, wie mit einfachen literarischen Texten schon in den ersten Jahren Englisch gearbeitet werden kann (vgl. B URWITZ -M ELZER 2007). Wenn die Kinder in Deutschland bereits nach der 4. Grundschulklasse in der Regel in drei verschiedene Schultypen selektiert werden, so ist lange Jahre übersehen worden, dass gerade die Kinder aus eher bildungsfernen Schichten zumeist nur wenige Schuljahre zur Verfügung haben, um sich überhaupt der Literatur zu nähern und literarische Texte zu lesen. Dabei brauchen gerade Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern Kompensationsmöglichkeiten in der Schule und durch die Schule, um Literatur zu begegnen und eine positive Haltung zu literarischen Texten entwickeln zu können. Daraus folgt, dass ein wichtiger Teil des literaturdidaktischen Studiums den Klassen 5-10 gewidmet werden sollte, und das umso mehr, als Studierende in der Regel nur ihren eigenen gymnasialen Oberstufenunterricht und den damit verbundenen Literaturunterricht in Erinnerung haben. Sie haben aber weder den Mittelstufenunterricht noch den Realschul- oder gar Hauptschulunterricht vor Augen, wenn es um die Vermittlung von Literatur geht. Der Unterricht in den Klassen 5-10 ist in allen Schultypen in der Regel lehrwerkorientiert. In Lehrwerken spielen zwar das Lesen und die Entwicklung von Lesestrategien eine wesentliche Rolle, aber ‚literarische‘ Texte sind zunächst Lehrwerkserzähltexte und -dialoge, die immer unter dem funktionalen Aspekt des Lernens der Fremdsprache gesehen werden, auch von den Lernenden. D.h. an jedem Inhalt wird zugleich die sprachliche Progression in Lexik und Grammatik festgemacht. Dass literarische Texte um ihrer selbst willen und nicht ausschließlich wegen der Sprachaneignung gelesen werden können, erschließt sich erst in den Klassen 9 und 10, wenn Lehrwerke bearbeitete short stories einführen (vgl. unten), ansonsten aber wird dieser Sachverhalt nur an lehrbuchunabhängigen Texten deutlich. Umso wichtiger ist in den Lehramtsstudiengängen neben literarischer Bildung eine solide literaturdidaktische Ausbildung, die sich unabhängig vom Schultypus auf die genannten Klassenstufen bezieht. Gefragt ist berufswissenschaftliche Kompetenz, was Notwendigkeit, Möglichkeiten und Chancen des Umgangs mit Literatur anbelangt. 3. Kompetenzorientierung der Lehramtsstudiengänge Mit der Umwandlung der Lehramtsstudiengänge in BA-/ MA-Studiengänge geht eine straffere Strukturierung und im Gefolge des Bologna-Prozesses auch die Modularisierung einher. Standards und Kompetenzen sind von der KMK und der HRK in Bezug auf die Bildungswissenschaften definiert worden. Ich habe versucht, sie im Hinblick auf die 270 Liesel Hermes 37 (2008) literaturdidaktische Facette des fachdidaktischen Studiums zu konkretisieren (H ERMES 2007a: 75-76). Für diesen Beitrag werden nur die ausgewählt, die in unmittelbarem Bezug zum Thema stehen und damit als Grundlage für die modellhafte Darstellung einer fachdidaktischen Lehrveranstaltung angesehen werden können. Die Standards (H ERMES 2007a: 75-76) lassen sich wie folgt formulieren: Ë über literaturdidaktisches Wissen verfügen, Ë Literaturunterricht planen, gestalten und evaluieren. Diesen Standards lassen sich Kompetenzen zuordnen, die hier in Auswahl wiedergegeben werden: Ë Über literaturdidaktisches Wissen verfügen: C literaturwissenschaftliche Kenntnisse und Fähigkeiten im Hinblick auf Literaturdidaktik reflektieren, C über eine breite Kenntnis an literarischen Texten verfügen, die für verschiedene Lernstufen geeignet sind, C über Grundkenntnisse von Englischlehrwerken einschließlich ihrer Textsorten sowie über Kenntnisse von Lektüren und Lektüreserien für verschiedene Lernstufen verfügen, C literarische Texte im Hinblick auf ihre Eignung für unterschiedliche Lerngruppen prüfen und beurteilen können, C Kriterien für die Auswahl literarischer Texte im Hinblick auf verschiedene Lernstufen kennen, kritisch reflektieren und anwenden können, C sprachliche, inhaltliche und (fremd-)kulturelle Analysen von literarischen Texten im Hinblick auf eine Lerngruppe durchführen können, C das methodische Potential von literarischen Texten im Unterricht im Hinblick auf eine Adressatengruppe beurteilen können. Ë Literaturunterricht planen, gestalten und evaluieren: C literarische Texte in ihrem literaturdidaktischen Potential einschätzen und entsprechend Literaturunterricht planen, C sprachliche, inhaltliche und kulturelle Probleme von Texten für eine Lerngruppe antizipieren und minimieren bzw. fruchtbar machen, C literaturdidaktische Reduktion im Hinblick auf eine Lerngruppe und konkreten Unterricht reflektieren, C ein Bewusstsein für die Möglichkeiten der Begegnung mit literarischen Texten wecken und entsprechende Motivation schaffen können. Wesentlich für den hier gewählten Ansatz ist die Überzeugung, dass Studierende eben nicht nur fundierte literarische Kenntnisse brauchen, sondern dass es ein wesentliches Element des Studiums sein muss, sie mit Literatur bekannt und vertraut zu machen, die tatsächlich im Unterricht gelesen werden kann. Die breite Kenntnis von entsprechenden Texten muss einmünden in die Fähigkeit, ihre Angemessenheit für den schulischen Fremdsprachenunterricht ebenso wie ihr sprachliches, literarisches und methodisches Potenzial zu beurteilen, wobei die Zielvorstellung unabhängig vom Schultypus und der Lernstufe in einer sprachlich machbaren und motivierenden literarischen Begegnung liegen sollte. Original und Bearbeitung: Literarische Texte in der Fremdsprachenlehrerausbildung 271 37 (2008) 4. Literatur und „Language Learner Literature“ Die Voraussetzung für eine solche Sichtweise ist die Zugrundelegung eines weiten Begriffs von Literatur und von Authentizität. Literatur darf also nicht im engen traditionellen Sinne verstanden werden, sondern muss quasi-literarische Lehrwerktexte ebenso einschließen wie Bearbeitungen von literarischen Originalen und Originaltexte im engen Sinne (vgl. M C R AE 1991). Diese wiederum schließen englischsprachige Kinder- und Jugendliteratur ein. Fruchtbar ist in dieser Hinsicht der Begriff „language learner literature“ (D AY / B AMFORD 1998: 63 ff). Darunter verstehen die Autoren nicht nur Kinder- und Jugendliteratur. Sie fassen den Begriff noch weiter: „It includes fiction and nonfiction, original writing and texts written for language learners. But whatever form it takes, language learner literature presupposes the integrity that marks all genuine writing: that it be not a lesser version of something else but a fully realized, complete-in-itself act of communication between author and audience“ (1998: 64). Somit vermeidet der Begriff jede Stigmatisierung. Aus den zehn verschiedenen Bereichen, die D AY und B AMFORD in dem Kapitel „Materials: the lure and the ladder“ (1998: 96-106) nennen und die zum Teil mehrere Textsorten umfassen, sollen hier nur die vier wichtigsten genannt werden: C Alle literarischen Originale, soweit sie sprachlich und inhaltlich für eine Altersgruppe geeignet erscheinen; C Jugendliteratur oder „young adult novels“, für die dieselben Kriterien gelten und die auch von der fachdidaktischen Literatur berücksichtigt werden (vgl. O’S ULLIVAN / R ÖSLER 2002; H ERMES 2001; H ERMES 2006b). Es gibt allerdings Jugendliteratur, die in einer spezifischen Jugendsprache verfasst und damit für deutsche Jugendliche in der Fremdsprache nur schwer verständlich ist. Mit Jugendsprache sind hier sowohl lexikalische und grammatische Spezifika gemeint wie auch eine Orthographie, die jugendliche Aussprache zu spiegeln versucht. C Einfache für Lerner verfasste Literatur, die D AY und B AMFORD mit „simple originals“ bezeichnen und die sie folgendermaßen charakterisieren: „Just as in rewritten and adapted first language texts, the words, structures, and text types of simple originals are determined by the particular level of the students for whom the text is intended“ (1998: 57). Genauso wie originale Kinderliteratur in einfacher, dem sprachlichen Vermögen der Leserschaft entsprechender, Sprache verfasst ist, genau so gibt es originale Texte für Fremdsprachenlerner, die auf einer bestimmten, zumeist nur grammatikalisch definierbaren Sprachstufe verfasst sind, während sich der lexikalische Umfang nicht exakt definieren lässt (vgl. H ERMES 2007b: 108). C „Simplified literature“ oder Textbearbeitungen englischer oder amerikanischer Originale (vgl. H ERMES 1979; H ERMES 1992; H ERMES 2006a; H ERMES 2007b). Studierende kommen in der Regel vom Gymnasium und sind daher mit literarischen Originalen mehr oder minder vertraut. Es fehlen ihnen aber zumeist Kenntnisse über andere Arten literarischer Texte, die von der Grundschule bis zur Klasse 10 über ein 272 Liesel Hermes 1 Mein Dank gilt den Teilnehmerinnen der Lehrveranstaltung „Analysing and Teaching Simplified Literature“ an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe (WS 2007/ 08) für ihren Arbeitseinsatz und ihr Engagement: Lisa Anlauf, Julia Burkhardt, Carmen Giebel, Sonja Kohl, Simone Landeck, Larina Pinkhasova, Eveline Reiß, Silvia Schmidt, Claudia Schmitz, Katja Schwahn, Anabel Schurr, Pamela Soria, Isabel Zimmert. 2 EPER: URL www.ials.ed.ac.uk/ eper.html 37 (2008) Lehrwerk hinaus eingesetzt werden können. Die Literaturdidaktik, die innerhalb der Fachdidaktik eine eigene wichtige Facette darstellt, kommt daher ohne die Spezifika der fremdsprachlichen Literatur für die Klassen 1-10 nicht aus. Studierende sollten somit in den genannten Bereichen theoretische Kenntnisse wie unterrichtspraktische Fähigkeiten erwerben und die Möglichkeit erhalten, diese im Rahmen von Praktika in die Unterrichtspraxis umzusetzen. Im Folgenden möchte ich daher modellhaft eine literaturdidaktische Lehrveranstaltung darstellen, die sich dem speziellen Problem literarischer Originale und für den Fremdsprachenunterricht bearbeiteter Versionen widmete 1 . Die Anregung zu der Lehrveranstaltung kam von David Hill, dem Leiter des Edinburgh Project on Extensive Reading 2 , das am Institute for Applied Language Studies der University of Edinburgh angesiedelt ist. Er beklagt: „There is virtually no training of teachers in the rationale and implementation of extensive reading programmes“ (H ILL 2001: 312). 5. Lehrveranstaltung „Analysing and Teaching Simplified Literature“ 5.1 Theoretische Diskussion Der Fremdsprachenunterricht ist in der Regel über Jahre hinweg lehrwerkzentriert. Umso wichtiger ist es, dass sich Studierende im Rahmen ihres fachdidaktischen Studiums mit Funktionen des Lesens im Fremdsprachenunterricht befassen. Theorien des Leseverstehens, die eigentlich ein Thema für eine eigene Lehrveranstaltung ausmachen, stehen daher am Anfang der Lehrveranstaltung. Eine wichtige Erkenntnis ist dabei, dass Lesen immer eine Interaktion zwischen Text und Leser darstellt, bei der gleichzeitig Bottom-Up- und Top-Down-Prozesse ablaufen, damit das Lesen zum Verstehen führt (vgl. W ALLACE 1992: 42; N UTTALL 1996: 78; A EBERSOLD / F IELD , 1997: 18; D AY / B AMFORD 1998: 12 ff). Dieser Interaktionsprozess muss den Studierenden bewusst sein, damit sie erkennen, dass gerade beim lehrbuchunabhängigen Lesen allgemeines Weltwissen sowie Schemata und spezielles Vorwissen aktiviert werden, die das Leseverstehen unterstützen. Hierhin gehört des Weiteren die Einsicht, dass es für das Fremdsprachenlernen unerlässlich ist, dass extensives Lesen geübt und geschult wird und dass Lerngruppen so viel wie möglich das freie ungesteuerte Lesen üben sollten. Die Charakteristika des extensiven Lesens sind von D AY und B AMFORD in zehn Punkten beschrieben worden (vgl. 1998: 7- 8). Dabei geht es ihnen sowohl um Zielsetzungen und Materialien als auch um methodische Zugänge. Die Autoren heben vor allem die Erweiterung des rezeptiven Wortschatzes in Form eines umfangreichen Erkennungsvokabulars hervor als auch die Erweiterung von Textkenntnissen (ibid.: 16-19). Von der Lehrkraft fordern sie: „The Original und Bearbeitung: Literarische Texte in der Fremdsprachenlehrerausbildung 273 37 (2008) teacher is a role model of a reader for students […]“ (ibid.: 8, kursiv im Original), womit die Studierenden ihre eigene künftige Rolle reflektieren. Zur Schulung des extensiven Lesens sind Lektüren ein unerlässliches Hilfsmittel, deren Kenntnis aber nicht vorausgesetzt werden kann. Das internationale Angebot an Lektüren und vor allem Lektüreserien (graded readers) ist beinahe unüberschaubar groß. Während sich Lektüren deutscher Verlage auf deutsche Schülerinnen und Schüler und deren Erfordernisse ausrichten, geht es den internationalen Verlagen um den Weltmarkt (vgl. H ERMES 2006a). Umso wichtiger ist es, einen Überblick über das vielfältige Angebot an fiktionalen und nicht-fiktionalen Texten zu gewinnen, die von den verschiedenen Verlagen für sehr unterschiedliche Lernstufen angeboten werden (vgl. H ERMES 2007b). Der allgemeine Überblick bedeutet eine Erweiterung der Sachkenntnis. Diese resultiert in einer Diskussion und vorsichtigen Beurteilung der verschiedenen Serien für den Unterricht, die auf der Basis von Internetrecherchen vorgenommen wird (URLs in H ERMES 2007b: 125-126). Wichtig ist dabei für die Studierenden auch, dass die Verlage vielfältiges methodisches Material im Internet bereit halten, das den unterrichtlichen Einsatz von Lektüren zur Schulung des extensiven Lesens unterstützt. Schließlich gehört in die theoretische Fundierung die Diskussion von Bearbeitungsmöglichkeiten originaler fiktionaler Literatur. Da eine allgemeine Theorie der Bearbeitung und Vereinfachung literarischer Texte nicht existiert, werden hier Aufsätze zugrunde gelegt, die sich mit Detailaspekten befassen, die später für die konkrete Analyse von Texten genutzt werden (vgl. S IMENSEN 1987; Y ANO [et al.] 1984; H ILL 2001; H ERMES 2007b). Dabei ist zunächst die Begrifflichkeit zu klären, die in verschiedenen Publikationen keineswegs einheitlich ist: C Abridge bedeutet lediglich die Kürzung eines Textes, der ansonsten unverändert bleibt. C Adapt bedeutet jegliche Änderung eines Textes im Hinblick auf eine Lerngruppe; sie schließt zumeist eine Vereinfachung ein. C Simplify bedeutet die Änderung eines Textes, die eine Vereinfachung zum Ziel hat. C Retell bedeutet die völlige Umformulierung eines Textes, bei der von der Sprache des Originals am meisten verloren geht, da - vor allem bei Romanen - in der Regel lediglich Handlung (plot) und Figuren (characters) erhalten bleiben (vgl. S IMENSEN 1987: 43). Die Diskussion der Bearbeitungsmöglichkeiten dient der Entwicklung eines Kriterienkatalogs, der die Grundlage für die spätere Analyse konkreter Textbeispiele bildet. Mit Hilfe des Kriterienkataloges kann eine literarische und sprachliche Analyse vorgenommen werden, die für sich Transparenz in Anspruch nimmt und zu einer weitgehend objektiven Beurteilung von Textbearbeitungen führt. Die Diskussion um Bearbeitungsformen macht eine weitere Diskussion notwendig: Durch die fachdidaktische Literatur zieht sich der kontroverse Begriff „Authentizität“. Ehe daher literarische Texte und ihre Bearbeitungen diskutiert werden können, ist es notwendig, sich mit verschiedenen Definitionen von Authentizität und der Forderung nach authentischen Texten im Fremdsprachenunterricht zu befassen. 274 Liesel Hermes 37 (2008) 5.2 Authentizität Die Forderung nach authentischen Texten wird in Lehr- und Bildungsplänen wie auch in der fachdidaktischen Literatur immer wieder erhoben, allerdings häufig undifferenziert und ohne begriffliche Klarheit (vgl. D AY / B AMFORD 1998: 54). D AVIES stellt fest: „Authentic […] is a term that occurs in the literature of language teaching and applied linguistics but not in theoretical linguistics“ (1984: 184). A LDERSON / U RQUHART (1984: 198) zufolge verweist Authentizität in restriktiver Bedeutung ausschließlich auf Originaltexte in einer Sprache, die für eine Leserschaft mit derselben Muttersprache verfasst wurden; doch führt eine solch enge Begrifflichkeit nicht weiter, denn diese Originaltexte können genau so als fremdsprachliche Texte rezipiert werden. Es ist daher notwendig, verschiedene Definitionen zu diskutieren und auf ihre Stimmigkeit hin zu beurteilen. Das kann hier nur selektiv geschehen. W ILLIAMS definiert: „The term ‚authentic‘ is used […] to refer to any text that was not written specifically for language learning processes“ (1984: 25). Dem kann man folgen, aber er fährt fort: „In other words it is a text written to say something, to convey a message, and not simply to exemplify language“ (ibid.). Diese Behauptung ist von zweifelhaftem Wert, da sie unterstellt, dass sprachlich kontrollierte Texte, die für Sprachenlernende verfasst werden, eben nichts aussagen, was sich zweifellos nicht halten lässt. N UTTALL beschreibt authentische Texte als „texts written for use by the foreign language community, not for language learners“ und fährt fort: „[…] we need texts which exhibit characteristics of true discourse having something to say, being coherent and clearly organized. Composed (i.e. specially written) or simplified texts do not always have these qualities“ (1996: 177). Wiederum wird unterstellt, dass authentische Texte quasi automatisch kohärent und strukturiert sind. Und es wird übersehen, dass dies keine Qualitäten authentischer Texte, sondern schlicht guter Texte sind. Inkohärent und mangelhaft strukturiert können authentische Originale genau so wie Lernertexte sein. A EBERSOLD und F IELD definieren Authentizität in direktem Bezug zum fremdsprachlichen Unterricht: „Authentic materials are taken directly from L1 sources and are not changed in any way before they are used in the classroom“ (1997: 48) [Hervorhebung im Original]. Diese Definition ist ebenso einfach wie überzeugend, denn hier geht es ausschließlich darum, dass ein Text ohne jede Kürzung oder sprachliche bzw. inhaltliche Änderung im Unterricht eingesetzt wird. D AY und B AMFORD (1998: 53) bezweifeln die Validität der Forderung, „that authentic (real-life) materials should be used in language learning“ und kritisieren: „Part of the cult status of authenticity is the idea that it is the very difficulty of texts that makes them worthwhile as learning tools“ (ibid.: 54). Sie argumentieren, dass solche Texte das Sprachenlernen erschweren können. Die Studierenden wissen aus eigener Erfahrung, wie das häufige Nachschlagen unbekannter Vokabeln den Lesefluss verlangsamt und damit das Leseverstehen behindert oder zunichte macht, und folgern daher, dass im Fremdsprachenunterricht Texte so ausgewählt werden müssen, dass sie sprachlich, inhaltlich und kulturell zu bewältigen sind. Original und Bearbeitung: Literarische Texte in der Fremdsprachenlehrerausbildung 275 37 (2008) Texte werden in der Regel für Muttersprachler verfasst und gewinnen dadurch ihre Authentizität. Das gilt allerdings auch für Kinderbücher und nursery rhymes. Kinderbücher werden sicher nicht als nicht-authentisch angesehen, obwohl die Texte in stark kontrollierter, einfacher Sprache verfasst sind. Das Vokabular ist eingeschränkt, die Grammatik auch, ein Beispiel: „A cow says ‚moo‘, a sheep says ‚baa‘, three singing pigs say ‚lalala‘“. Es handelt sich zweifellos um ein simple original. D AVIES differenziert entsprechend zwischen „simple language, simplified language, simplification“ (1984: 182). Simple language ist für D AVIES z. B. Pidgin als lexikalisch und grammatikalisch stark vereinfachte Sprache, die von Sprechern verschiedener anderer Sprachen als Verständigungsmedium gebraucht wird. Simplified language reduziert sprachliche Funktionen auf die Adressaten hin, z. B. kleine Kinder oder Fremdsprachenlerner. Simplification schließlich verweist auf den Akt einer Textänderung zum Zweck der Vereinfachung und hat damit eine didaktische Funktion. Was also einfach oder schwierig ist, hängt vom intendierten Adressatenkreis ab. Auf diesen hin wird sprachlich reduziert und vereinfacht. Das Ziel von simplified literature ist es, den Weg zu Originaltexten zu ebnen. Für die Lernenden ist es unerheblich, dass sie keinen authentischen Text im Sinne eines sprachlichen Originals vor sich haben. Für sie ist der Text authentisches Material. Mit anderen Worten: Schüler oder Schülerinnen fragen nicht nach Authentizität, sondern nach Texten, die sie verstehen. Dazu nochmals D AVIES : „It is not that a text is understood because it is authentic but that it is authentic because it is understood“ (1984: 192). Für die Lehrkraft ist daher ausschlaggebend, dass Texte gelesen und verstanden werden. Dann erfüllen sie ihre didaktische Funktion. Allerdings ist D AVIES ’ Umkehrschluss, dass authentische Texte als nicht vereinfachte Texte keine didaktische Funktion hätten (1984: 185) nicht nachzuvollziehen, denn jeder authentische Text kann auch für pädagogische Zwecke genutzt werden. Eine Diskussion des kontroversen Begriffs der Authentizität fremdsprachlicher Texte soll eine reflektierte Auseinandersetzung mit verschiedenen fachdidaktischen Positionen ermöglichen. Definitionen können schief sein, Konzepte unklar, Begründungen nicht nachvollziehbar, Folgerungen widersprüchlich. Erst wenn sich Studierende mit heterogenen Positionen auseinandersetzen, können sie im Diskurs zu ihrer eigenen Meinung gelangen und diese dann auch begründen. Aus einem solchen fachdidaktischen Diskurs kann Handlungskompetenz gewonnen werden. 5.3 Original und Bearbeitung: Analysemodell Für die Analyse von Originaltexten und Bearbeitungen bieten sich grundsätzlich Romane und Short Stories an. Die meisten Graded Readers Serien bestehen zum überwiegenden Teil aus vereinfachten Romanen (vgl. H ERMES 2007b), die vom Edinburgh Project on Extensive Reading erfasst, vorgestellt und zum Teil bewertet werden (vgl. D AY / B AM - FORD 1998: 172-218). Da es sich bei bearbeiteten Romanen aufgrund der Länge des jeweiligen Originaltextes ausschließlich um nacherzählte Versionen mit häufig drastischen Kürzungen handelt, die das sprachliche Original nur in Ansätzen widerspiegeln (vgl. H ERMES 2007b: 117-118), bieten sich innerhalb einer Lehrveranstaltung aufgrund 276 Liesel Hermes 3 Vgl. die einschlägigen Lehrwerke English G 2000, B-Ausgabe für Realschulen und A-Ausgabe für Gymnasien von Cornelsen und Green Line sowie Red Line von Klett. 37 (2008) der begrenzten Zeit short stories an. Bei diesen sind die Kürzungen in der Regel moderat, so dass sich die Studierenden auf die sprachlichen Vereinfachungen und sonstige Änderungen sowie deren Wirkung konzentrieren können. Folgt man der Definition: „I[ntertextualität] bezeichnet die Eigenschaft von insbes[ondere] literar[ischen] Texten, auf andere Texte bezogen zu sein“ (N ÜNNING 2004: 110), stellen Textbearbeitungen eine spezielle Art von Intertextualität dar. Bearbeitete Texte haben einen ganz spezifischen Bezug zum Original. Sie sind für Fremdsprachenlerner adaptiert, um leichter zugänglich und verständlich zu sein, lassen aber in den meisten Fällen das Original erkennen. Je nachdem für welche Lernstufe eine Adaptation vorgenommen wird, fallen Kürzungen und Änderungen moderat oder drastisch aus. Fast nie wird ein Text lediglich gekürzt, so dass der übrig bleibende Text einen Originaltext darstellt, sondern zusätzlich zu Kürzungen werden weitere Eingriffe vorgenommen, die den Text verändern. Vereinfachungen sind praktisch nie ausschließlich objektiver Natur, sondern beruhen zumeist auf dem subjektiven Sprachempfinden des Bearbeiters. Objektiv lässt sich das Arsenal an grammatischen Strukturen kategorisieren und analysieren, das bei einer Bearbeitung verwendet wird. Bei der Lexis gibt es dagegen keine objektiven Kriterien. Die Angaben, dass in Graded Readers Serien z. B. 400 oder 1000 oder 2500 Wörter zugrunde gelegt werden, sind in jedem Fall vage und kaum nachprüfbar. Das ist einerseits verständlich, da manche Texte wichtiges thematisches Vokabular enthalten, das möglicherweise nicht hochfrequent ist, aber innerhalb des Themas notwendig ist und sich durch Wiederholungen erschließt. Andererseits kann die detaillierte Analyse eines Originaltextes und der entsprechenden Bearbeitung ergeben, dass ein bestimmtes Wort im Originaltext in der Bearbeitung einmal gestrichen wird, ein anderes Mal ersetzt wird und ein drittes Mal erhalten bleibt, dass es also kaum eine völlig konsequente Bearbeitung gibt. In jedem Fall wird in der Bearbeitung versucht, das Original zu spiegeln, ihm möglichst nahe zu kommen oder es zumindest erahnen zu lassen. Dennoch kann die Wirkung eines Originals auf den Leser eine deutlich andere sein als die Bearbeitung. Umso wichtiger ist es, dass man sich mit beiden Texten befasst, um die Qualität einer Bearbeitung zu beurteilen. Da mittlerweile auch in Englischlehrwerken für die Realschule und das Gymnasium in den Klassen 9 und 10 vereinfachte short stories aufgenommen worden sind 3 , um bereits innerhalb der Lehrwerkarbeit eine bescheidene Möglichkeit des extensiven Lesens zu bieten, wurde ein solches Beispiel an den Anfang der Analyse verschiedener Short Stories und ihrer Bearbeitungen gestellt und soll hier exemplarisch kurz erörtert werden. Es handelt sich um die short story „Confession“ (M IKLOWITZ 1997: 99-111), die in vereinfachter Form im Band 5 der B-Ausgabe von English G 2000 erschienen ist (S CHWARZ 2000: 69-73). Sie entstammt einer Anthologie, die sich expressis verbis an eine jugendliche Leserschaft wendet. Eine Gruppe männlicher Jugendlicher an einer amerikanischen high school will die Gewalt anderer Jugendgruppen eindämmen, bis sie selbst in den Strudel von Gewalt hineingezogen wird. Das „Geständnis“ der zentralen Original und Bearbeitung: Literarische Texte in der Fremdsprachenlehrerausbildung 277 37 (2008) Jungenfigur, als police report wiedergegeben (M IKLOWITZ 1997: 99) und in der 1. Person erzählt, zeichnet die Entwicklung von der guten Absicht der Gewalteindämmung bis hin zur Katastrophe nach. Ein Kriterienkatalog, der im Seminar gemeinsam auf der Basis der Diskussionen erarbeitet worden war (vgl. S IMENSEN 1987), konnte auf die Erzählung „Confession“ angewendet werden. Er lag der Analyse zugrunde und umfasste die folgenden Details: Model for analysing an adapted text in comparison with the original Original: text analysis C Time and place: setting (cultural contents) C Plot structure C Point(s) of view / narrative perspective(s) C Characters C Main topic(s) C Language / style Adapted version: analysis on the basis of the following criteria Control of information: C Length in comparison with original C Deletions C Substitutions C Cultural aspects C Consistency or inconsistency of alterations Control of structure: C Differences in structure C Plot C Characters C Elaborations Control of language: C Deletions C Substitutions C Summary of paragraph (= shortening) C Change of wording of sentence C Lexis C Idioms C Grammar C Syntax C Overall style C Neutralisation of cultural information C Neutralisation of register in direct speech Comparison and Evaluation: C How much and what of the original text has been maintained? C Is the adapted text abridged, simplified or retold? C Effect of the adapted version on the reader C Overall quality of the adaptation Da die Bearbeitung von „Confession“ kaum gekürzt ist, konzentrierte sich die Analyse auf sprachliche Änderungen. Dabei stellte sich als Hauptproblem heraus, dass die Sprache 278 Liesel Hermes 37 (2008) des jugendlichen Erzählers stark umgangssprachlich geprägt ist. Die Analyse galt also vor allem der Frage, wie in der Bearbeitung mit Idioms, Slang-Begriffen sowie umgangssprachlicher Grammatik des mündlichen amerikanischen Englisch umgegangen worden war. Dazu nur einige wenige Beispiele: „You gotta ask“ im Original (M IKLOWITZ 1997: 99) wird in der Bearbeitung zu: „D’you really hafta ask? “ (S CHWARZ 2000: 69) Es wird also versucht, einen umgangssprachlichen Ton zu erhalten. „What about the drugs in school and nobody cares shit about it? “ (M IKLOWITZ 1997: 99) wird in zwei Sätzen formuliert: „What about the drugs in school? Doesn’t anybody care about that? “ (S CHWARZ 2000: 69) Das Tabuwort „shit“ wird eliminiert. Ebenso wird das umgangssprachliche „john“ zum neutralen „toilet“. „Smelly sneakers“ werden neutralisiert zu „gym shoes“. Hier noch ein kurzer Dialogauszug, zunächst das Original: „What’d we do? Carry chains and knives and guns? We gonna be the law? “ „You chicken? “ „Hell, no! “ (M IKLOWITZ 1997: 100) Die Bearbeitung: „What’re we gonna do? Carry chains and knives and guns? Play police? “ „You scared? “ „No! “ (S CHWARZ 2000: 69) Wiederum ist die Bearbeitung harmloser. Sie versucht die Umgangssprache zu erhalten, aber in neutraler Weise. Die Bearbeitung enthält einige wenige Elaborationen. So fragt in einem Dialog die jüngere Schwester den Erzähler: „‚You selling dope? I’m gonna tell! ’ she cried“ (M IKLO - WITZ 1997: 101). Daraus wird: „‚Are you selling drugs? I’m gonna tell Mom! ‘ she cried“ (S CHWARZ 2000: 69). Der Zusatz „Mom“ ist wohl der Tatsache geschuldet, dass „tell“ zumeist transitiv gebraucht wird. Die Analyse erbringt, dass die Bearbeitung sich insgesamt eng an die Vorlage hält. Allerdings werden Slang, Tabuwörter und stark kolloquiale grammatikalische Wendungen zumeist neutralisiert. Dennoch bleibt die Jugendsprache weitgehend erhalten. Die Charaktere und die Handlung entsprechen dem Original. Auch die Handlungsspannung ist in Original und Bearbeitung identisch. Die Bearbeitung ist deswegen gelungen, weil sie in enger Anlehnung an das Original eine spannende Jugendgeschichte für eine 9. Realschulklasse verstehbar macht, was mit dem Original aufgrund der Sprache wohl nicht so leicht zu leisten wäre. Als zweites Beispiel, das zum Ende des Semesters analysiert wurde, sei W ILDE s The Canterville Ghost (Erstveröffentlichung 1887) herangezogen, weil dieser Text in sechs verschiedenen Bearbeitungen existiert und sich im Vergleich der Bearbeitungen deren Qualität bzw. mangelnde Qualität aufzeigen lässt. Inhaltlich handelt es sich um eine „Anti-Ghost Story“, in der eine amerikanische Familie mit vier Kindern in einem englischen Schloss ein Gespenst jagt und dieses immer mehr in Angst und Schrecken versetzt. Somit sind die gewohnten Rollen bei Gespenstergeschichten vertauscht. Gleichzeitig handelt es sich um eine interkulturelle Geschichte, in der sich W ILDE satirisch mit der amerikanischen Kultur, die er 1882 auf einer USA-Reise kennen gelernt hatte, und der Original und Bearbeitung: Literarische Texte in der Fremdsprachenlehrerausbildung 279 37 (2008) englischen Kultur auseinandersetzt. Märchenhafte Züge zeigen sich darin, dass die Tochter Virginia dem Gespenst schließlich die Totenruhe ermöglicht. Diese Erzählung umfasst im Original in der vorgelegten Ausgabe (W ILDE 1979) 29 Seiten; dem gegenüber sind alle Bearbeitungen deutlich gekürzt. Die Analyse wurde arbeitsteilig von den Studierenden vorgenommen, die ihre Ergebnisse vorstellten und diskutierten. Sie können hier nur skizziert werden. Auffällig ist, dass in einigen Bearbeitungen die Struktur verändert wird, da die sieben Teile des Originals unterschiedlich zusammengefasst und mit Überschriften versehen werden. Dadurch entstehen neue Kapitel, die andere strukturelle Einheiten schaffen (z. B. Black Cat, Macmillan). In den Bearbeitungen sind vor allem die langen beschreibenden historischen Passagen eliminiert oder drastisch gekürzt, in denen sich W ILDE satirisch detailliert mit der Wirkung des Gespenstes auf Schlossbewohner im Laufe von 350 Jahren befasst (W ILDE 1979: 65, 75) und in denen er ironisch das Rollenverständnis des Gespenstes, vor allem seine Professionalität schildert (ibid.: 68-69, 73-74). Auch die Suche nach Virginia (ibid.: 80-82), die zeitweilig verschwunden ist, fällt den Kürzungen in fast allen Ausgaben zum Opfer. Interessanterweise ist dagegen ein langer Dialog zwischen Virginia und dem Gespenst, in dem es seine Lage schildert und um Erlösung durch das Mädchen bittet (ibid.: 76-79), in den Bearbeitungen in größerem Umfang erhalten geblieben (Macmillan: 20-24; Bookworms: 27-34). Das lässt sich darauf zurückführen, dass die dialogische Sprache deutlich einfacher ist als die beschreibende Sprache der langen satirischen Passagen. Diese enthalten gleichwohl die Essenz der Ironie Wildes, die in den Bearbeitungen durch die Kürzungen natürlich verloren geht. Auch die ethnozentrische Einstellung der amerikanischen Familie bleibt nicht erhalten, wie überhaupt die interkulturellen Vergleiche weitgehend verschwinden. Als wichtigstes Ergebnis lässt sich festhalten, dass sich längere Texte, die deutlich gekürzt werden, erheblich weiter vom Original entfernen als bearbeitete short stories, und dass das Figurenarsenal sowie die Handlungsstruktur zwar erhalten geblieben sind, aber um den Preis des Verlustes des typischen Stils. Der Grund für die hohe Zahl der Bearbeitungen liegt sicherlich nicht an W ILDE s satirischer Darstellung englischer und amerikanischer kultureller Phänomene und seinem ironischem Stil, sondern an einer Handlung, die - oberflächlich betrachtet - eine spannende und humorvolle „Anti-Ghost Story“ darstellt. 5.4 Original und Bearbeitung: Erfahrungslernen Um den Studierenden im Seminar, die durch die Analyse von Originalen und bearbeiteten Texten Kriterien für die Qualität von Bearbeitungen gewonnen haben, eigene Erfahrungen in der Textbearbeitung zu vermitteln, wurde die short story „I’ve Got Gloria“ (K ERR 1997: 67-76) aus derselben Anthologie wie „Confession“ vorgelegt. Sie handelt von einem amerikanischen Schüler, der eine Mathematikprüfung nicht bestanden hat und sich an seiner Lehrerin rächen will, während sie ihm schließlich weiterhilft. Die Bearbeitung im Seminar wurde arbeitsteilig in Partnerarbeit vorgenommen. Von der Analyse sollte also der Weg zur eigenen Textproduktion führen, d.h. zur eigenen Bearbeitung eines 280 Liesel Hermes 4 Aus Platzgründen muss hier auf die Darstellung der Diskussion methodischer Aspekte des unterrichtlichen Einsatzes verzichtet werden. 37 (2008) literarischen Textes. Dieser war so ausgewählt, dass das Hauptproblem in der Jugendsprache des Ich-Erzählers und seinem mündlichen umgangssprachlichen Register in Dialogen mit seinem Vater lag. Jeder Teil der Erzählung wurde jeweils von zwei Paaren bearbeitet, so dass in der anschließenden Analyse und Beurteilung verschiedene Lösungen diskutiert wurden. Diese werden hier auf der Basis freiwilliger schriftlicher Rückmeldungen der Studentinnen zusammengefasst. Für sie war essentiell, dass sie die Bearbeitung in Partnerarbeit vornehmen konnten, da sie den Diskurs als wesentlich empfanden. Eine Textbearbeitung ist wie eine Interpretation des Textes, in der man sich intensiv mit der Vorlage auseinander setzt. Die Interpretation leitet die Bearbeitung genau so wie die Frage, für welche Klassenstufe der Text vereinfacht werden soll. Hier hatte sich das Plenum aufgrund des Inhaltes des Originals bereits auf die 8. Klasse geeinigt. Wichtig war ihnen vor der eigentlichen Bearbeitung eine Entscheidung darüber, ob der Text für eine Klasse mit entsprechender „literarischer“ Vorerfahrung oder ohne dieselbe bearbeitet wird, da großer Wert darauf gelegt wurde, dass sich an solchen Texten das kontextuelle Erschließen von Wörtern üben lassen sollte. Manche kolloquialen Begriffe oder Wendungen lassen sich aus dem Kontext oder aus mehrfachen Wiederholungen herleiten und sollten daher nicht gestrichen oder erläutert werden. Da der Text inhaltlich voll erhalten bleiben konnte, ging es in der Hauptsache um Entscheidungen, was an Wörtern und Idioms gestrichen, ersetzt oder beibehalten werden sollte. Hier wurde interpretiert und abgewogen und es wurde festgestellt, ein wie schwieriges und zeitaufwändiges Unterfangen eine Bearbeitung darstellt, und dass sie immer auch subjektive Elemente enthält. Umso interessanter war, dass Detailvorschläge verschiedener Paare häufig nahe beieinander lagen. Im Hinblick auf fremdkulturelle Details wurde diskutiert, wie mit dem Namen einer Autowerkstatt und dem „Yellowstone“ umgegangen werden sollte. Der Name der Werkstatt war entbehrlich, während der Yellowstone erhalten bleiben musste. Man diskutierte, ob man den Namen als Vokabel erläutern oder durch den Zusatz „National Park“ erklären sollte. Beides ist möglich. Der Kurs in „remedial math“, den die Lehrerin dem Erzähler am Schluss anbietet, muss erläutert werden. Für die Studentinnen war die praktische Bearbeitung eine wesentliche Erfahrung, die ihnen den Anspruch einer solchen Arbeit und die Bedeutung mancher Entscheidungen vor Augen führte. 6. Ausblick 4 Literaturwissenschaftliche und fachdidaktische Lehrveranstaltungen sind konstitutiver Bestandteil eines jeden Lehramtsstudiums. Das hier vorgestellte Konzept versucht beides miteinander zu verbinden: Literaturwissenschaft und Fachdidaktik, hier insbesondere Original und Bearbeitung: Literarische Texte in der Fremdsprachenlehrerausbildung 281 37 (2008) Literaturdidaktik. Lehramtsstudierende brauchen besonders im Hinblick auf ihre Tätigkeit in der Sekundarstufe I fundierte Kenntnisse auf dem Gebiet literarischer Texte und Lektüren wie auch von Graded Readers Serien, die für die Klassen 5-10 geeignet sind. Sie brauchen darüber hinaus objektive Kriterien für die Beurteilung der Qualität bearbeiteter und vereinfachter Originalliteratur, also von Texten, die vor allem für die Sekundarstufe I in Frage kommen und die Schülerinnen und Schüler bis zur Klasse 10 an die Literatur heranführen, ihnen Freude am literarischen Lesen vermitteln und sie im extensiven Lesen schulen. Analyse und ständige Reflexion können Studierende zu einer entsprechenden Fach- und Handlungskompetenz führen. Das hier in aller Kürze vorgestellte Konzept möchte dazu einen Beitrag leisten. Literatur A EBERSOLD , Jo Ann / F IELD , Mary Lee (1997): From Reader to Reading Teacher. Issues and strategies for second language classrooms. Cambridge: CUP. A LDERSON , J. Charles / U RQUHART , A. H. (Hrsg.) (1984): Reading in a Foreign Language. London & New York: Longman. B AMFORD , Julian / D AY , Richard R. (Hrsg.) (2004): Extensive Reading Activities for Language Teaching. Cambridge: Cambridge UP. B REDELLA , Lothar / H ALLET , Wolfgang (2007): Literaturunterricht, Kompetenzen und Bildung. Trier: VWT (Handbücher zur Literatur- und Kulturdidaktik; 2). B URWITZ -M ELZER , Eva (2007): „Literarische Texte für junge Fremdsprachenlernende“. In: H ALLET , Wolfgang / N ÜNNING , Ansgar (Hrsg.): Neue Ansätze und Konzepte der Literatur- und Kulturdidaktik. 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But this does not mean a return to the old grammar/ translation method. In this article, we explore how the practice of literary translation might be reframed and implemented in the language classroom as a means of furthering the translingual and transcultural competence advocated by the Modern Language Association in 2007. 1. Introduction: The MLA Report - A political and educational manifesto In May of 2007, the Modern Language Association issued a Report of its Ad Hoc Committee on Foreign Languages titled “Foreign Languages and Higher Education: New Structures for a Changed World”. The Report was in response to the language crisis that had occurred in the U.S. as a result of 9/ 11 and to efforts by the U.S. government to instrumentalize foreign language study in the service of national security and economic competitiveness. The MLA Report calls upon the higher education community “both to engage the security imperative and to insist on the value of a more broadly conceived public investment in foreign language education” (in press). It calls for embracing a constitutive view of language that acknowledges its role in constituting thought and cognitive mindsets, cultural and literary traditions, and social and historical knowledge. In short, it exhorts the profession to get out of its ivory tower and to actively prepare American students for the globalized world of tomorrow. The MLA Report has spawned much discussion in academic circles in the U.S. and the Modern Language Journal (MLA Ad Hoc Committee in press) is publishing a collection of responses. The challenges the Report presents to existing foreign language and literature programs is well captured by the following statements: The goal [of college and university foreign language majors]: translingual and transcultural competence. Advanced language training often seeks to replicate the competence of an educated 284 Claire Kramsch, Michael Huffmaster 37 (2008) native speaker, a goal that postadolescent learners rarely reach. The idea of translingual and transcultural competence places value on the ability to operate between languages. Students are educated to function as informed and capable interlocutors with educated native speakers of the target language. . . . In the course of acquiring functional language abilities, students are taught critical language awareness, interpretation and translation, historical and political consciousness, social sensibility, and aesthetic perception. (MLA 2007; authors’ emphases) As one of its concrete recommendations, the MLA Report advocates developing programs in translation and interpretation. “There is a great unmet demand for educated translators and interpreters, and translation is an ideal context for developing translingual and transcultural abilities as an organizing principle of the language curriculum” (ibid.). The shorter version of the Report ends with a reminder that the study of foreign languages needs to be ‘revitalized’, i.e., considered in much broader perspective than as a purely instrumental or a purely aesthetic enterprise. We hope the dialogue [elicited by our Report] will help produce a focused, sustained collaborative effort to revitalize the study of languages and cultures in U.S. colleges, universities and community colleges. The goal of such a revitalization would be not simply to produce graduates better prepared to meet a range of identified national or societal needs, though this alone would be of significant value. Our goal is a higher education system that embraces the distinctive educational benefits of studying foreign languages and cultures in developing the powers of the intellect and the imagination, the ability to reflect upon one’s place in the world with depth and complexity, and an understanding of the degree to which culture and society are created in language. (MLA in press; authors’ emphasis) However individual FL departments end up redesigning their programs, the goal should be to create coherent four-year curricula that situate language study in cultural, historical, geographical, and cross-cultural frames, that systematically incorporate transcultural and translingual reflection at every level, and organize the major programs around explicit, principled, educational goals. In the end, such curricula transcend a language/ content division, for language is learned as content and content as language. Imaginative literature remains an irreplaceable source for imparting the ability to enter and powerfully experience unfamiliar worlds (ibid.; authors’ emphasis) This Report has been rightly perceived as a wake-up call that exhorts foreign language educators to redefine language study as engagement with the real, global world of tomorrow. This engagement can take various forms. By becoming aware of language as a social and symbolic system and the ways “culture and society are created in language,” students are exhorted to engage with the world in a social and cultural manner (K RAMSCH 2006; K RAMSCH / W HITESIDE ). By benefiting from “the irreplaceable source” of insight played by literature in “imparting the ability to enter and powerfully experience unfamiliar worlds”, they are invited to engage with the world stylistically and symbolically (ibid.). These forms of engagement are encapsulated in the intriguing notion of “translingual/ transcultural competence”, which seems to go beyond “communicative competence” of the transactional, instrumental kind, toward a kind of competence that has been defined as “symbolic competence” (ibid.). We return to these challenges and to the notion of symbolic competence in section 5 of this paper. The Political Promise of Translation 285 37 (2008) Following up on the Report’s recommendation to make greater use of translation in language study, Michael H UFFMASTER devised an activity to explore how American learners of German at the intermediate college level could use literary translation to develop an understanding of the nature of language and enhance their aesthetic sensibility. It was hoped that such an activity would shed light on the notion of translingual and transcultural competence advocated by the MLA. In the next two sections, we describe the activity and the students’ evaluations of it. We then discuss in section 4 why this activity did not seem to yield the expected learning outcomes and in section 5 how it could be redesigned to foster students’ “ability to operate between languages” (cf. MLA Ad Hoc Committee in press). 2. Wandrers Nachtlied in California A sequence of two lessons centered on the translation of a poetic text from German into English was designed and implemented in a fourth-semester college-level German course for the purpose of increasing the students’ “translingual competence”. The poem chosen for translation was Johann Wolfgang von Goethe’s “Ein Gleiches”, also known as “Wandrers Nachtlied II”. The first activity was inspired by communicative approaches to literature in the language classroom. Subsequent phases, inspired by research in literary stylistics (e.g. J AKOBSON 1960; W IDDOWSON 1975/ 1992), were designed specifically with the aim of developing students’ understanding of lexical and grammatical form as a way of making meaning while exploring the semiotic potential of linguistic signs across languages. 286 Claire Kramsch, Michael Huffmaster 1 Source: http: / / www.goethezeitportal.de/ fileadmin/ Images/ db/ wiss/ goethe/ schnellkurs_goethe/ k_4/ kickel hahn_ilmenau.jpg 37 (2008) Phase I: Noticing the symbolic gap As an introduction to the process of translation, students were shown the image Aussicht vom Kickelhahn 1 and asked to describe the scene in German, brainstorming as a class to come up with as much lexis as possible, including any associations, impressions, or feelings that came to mind when they looked at the image. Although drawn from communicative language pedagogy (e.g., M ALEY / D UFF 1989), this exercise was not meant primarily to encourage student talk or to fire up their imaginations, nor was the purpose to have them guess correctly the content of the poem they were about to read (the historical-biographical connection between the image and the poem was not even mentioned at this stage). The point, rather, was to foster a deeper understanding of the nature of meaning by allowing students to experience the symbolic gap between signifier and signified. By evoking in their minds concepts that matched the image, students were not merely translating visual input into verbal form, they were recreating in their minds the link between a visual signifier and a verbal signified or concept. The arbitrary nature of that link became apparent when students compared the various concepts they associated with the image: Some saw clouds (die Wolken) or fog (der Nebel), where others saw smoke (der Rauch). Some saw rain (der Regen), others snow (der Schnee) or light (das Licht). Some saw mountains (die Berge), others hills (die Hügel). Some saw a mysterious landscape (geheimnisvoll), others a peaceful one (friedlich). All suggestions were accepted as valid potential signifieds. The list produced was compiled on the board. After students had generated various verbal signs for the same image, the instructor focused their attention on the grammatical ‘glue’ necessary to juxtapose those signs into meaningful combinations, e.g., the gender as well as the plural and singular forms of the nouns listed on the board. The next two phases of the lesson, which also took place in German, consisted of a series of steps aimed at helping students understand how a poem makes meaning through processes of selection and combination (J AKOBSON 1960). Phase II: Focus on the signified In order for students to have a first general perceptual impression of the poem, they were asked simply to listen to the poem as the instructor recited it and to note their impressions, which were elicited in a brief follow-up discussion. Über allen Gipfeln ist Ruh, In allen Wipfeln Spürest du Kaum einen Hauch; Die Vögelein schweigen im Walde. Warte nur, balde Ruhest du auch. The Political Promise of Translation 287 37 (2008) It became clear that the sounds and cadences of the poem were already part of its meaning. Students were asked to listen to the poem again while trying to remember as much of it as possible with the goal of then reconstructing the text from memory as best they could, often relying on their memory of the rhythm to decide on format and layout. After listening a few more times and completing as much as they could on their own, students compared their versions with a partner and helped each other complete the poem. Finally, the class as a whole worked to reconstruct the poem line by line on the board. The resulting text is reproduced verbatim below: Über allen Gipfeln gibt es/ ist Ruhe In einem Wipfeln spürest du kaum hauch Die Volgelein schweigen in Walde Warten nur Balde Ruhest du auch Once the poem was reconstructed (the uncertainty over gibt es versus ist was left standing) and any remaining unclear lexical items had been explained by the instructor, a brief discussion followed on the activity itself. Students identified words or phrases they found more difficult to remember, which were ones they were either unfamiliar with and were not pre-taught, such as Hauch or spüren, or which they did not recognize in altered, as it were, ‘poetic’ form, namely, balde. But the aim of the activity was not primarily accuracy, nor was it meant as a dictation exercise. Rather it was a way to have the students enter the poetic logic of the text and experience the cumulative and recursive unfolding of meaning which is part of a poem’s significance (W IDDOWSON 1992). As a final step before seeing the original poem, students were asked to suggest a fitting title. They produced the following: “Der ruhige Wald”, “Das Ende”, “Gipfel und Wipfel”. This last title showed a particular sensitivity to the alliterative meaning of form, i.e., to the poetic function of language (J AKOBSON 1960), which would be the focus of the next phase of the activity. That phase focused more specifically on how the propositional content of the poem gets enacted on a variety of structural levels in the text. Phase III: Focus on the textual signifiers Next, with copies of the original, students read the poem silently once more and were asked to brainstorm both the denotations and the connotations of the words on the page. No longer faced with a picture but with words, what referential and associative meanings did they give these words? The instructor asked: “Was für eine Tageszeit wird hier dargestellt? Woher wissen Sie das? Ist es möglich, eine Jahreszeit zu bestimmen? Was für Geräusche gibt es in dieser Szene? Welche Assoziationen haben Sie mit diesen Aspekten des Gedichts? ” Through their responses to these questions, the students were led to examine the change of perspective in the text. Generations of readers have noted in the poem a movement of perspective from high to low and from far to near in the succession of images evoked with mountaintops, then treetops, then birds in the wood, and finally the secondperson addressee. By drawing their attention to the dynamic structure of the poem, the instructor invited students to consider other possible logics and their meaning. The notion 288 Claire Kramsch, Michael Huffmaster 37 (2008) of the Great Chain of Being was raised, as well as the suggestion of natural evolution, and the instructor pointed out that the up-down movement in the poem inverts the way we typically imagine such hierarchical systems. In every case, it was clear that the value of, say, Wipfel is not to be found only in its relation to “treetops,” but in its phonological relation to Gipfel. As S AUSSURE noted (1916/ 1959: 10), “linguistic signs function not through their intrinsic value but through their relative position” in the sentence and in the text as a whole. Following these considerations evoked by the poem’s salient imagery, the discussion turned to two of its salient grammatical features: prepositions and verb tenses, as a way of showing students how selection and combination operate to make meaning in language (S AUSSURE 1916/ 1959: 122 ff). First, students were asked to locate the prepositions and say whether they could recognize any pattern or commonalities among them. The three occurrences in the poem are Über, in, and im, which students easily identified, and an obvious commonality is that they are all combined with nouns in the dative case. Attention was drawn to the formal grammatical markers of the dative plural in the prepositional objects Gipfeln and Wipfeln and the corresponding adjective ending in allen. Since both in and über belong to the class of two-way prepositions, taking either the accusative or the dative case depending, in most cases, on whether or not movement is involved, the choice of the dative here could be seen to be significant. The sense of non-movement, or stasis, in the poem instantiated through the dative case is reinforced by the static verbs of being (sein) and perception (spüren), along with intransitive verbs of cessation (schweigen and ruhen) or duration (warten). Yet this would seem to contradict the dynamic structure of the poem noted and discussed earlier. Students were asked to consider whether there was in fact any contradiction and if so, what the effect and significance of this might be. The second grammatical feature discussed was verb tenses. Again, students were asked to begin by pointing out the verbs in the poem and identifying the tense they occur in, which they had no problem doing. Students were then asked whether this class of words, though all in the simple present, referred to the present time. A distinction was drawn between the first three verbs, sein, spüren, and schweigen, which do seem to refer to the present time of the discourse world, and the last two, warten and ruhen, which, the one as an imperative and the other in conjunction with the temporal adverb bald, refer rather to an immediate, imminent future. The instructor reminded students of the frequent conventional usage of the present tense with future meaning in everyday German discourse, typically involving plans or intentions, and gave some examples such as, “Wir sehen uns morgen um 8, dann. Tschüss! ” and “Ich gehe nachher einkaufen. Kommst du mit? ” Might the present tense in this poem serve a different purpose? Students suggested that the first three verbs, while referring on one level to the time when the poem was written, seemed simultaneously to evoke a sense of eternal presence. Indeed, the last two verbs seemed to collapse future and present to effect a sense of immediacy rather than express future plans and intentions. The instructor then proposed that perhaps the poem was trying to convey, at least on some level, the experience of the passage of time itself - an experience it was inviting readers to take part in through the slow, recursive reading they were undertaking in the course of this lesson. The Political Promise of Translation 289 2 An accessible summary of this history as well as a concise analysis of the poem is provided in V OGT (1999: 120 ff). 37 (2008) Finally, after thorough examination of key textual features as described above, the two received titles of the poem, “Ein Gleiches” and “Wandrers Nachtlied II”, were revealed along with some brief biographical and textual history to explain them 2 , and students were invited to comment on how this new information perhaps altered or reinforced their initial impressions and associations. Phase IV: Focus on the arbitrary relation between signifier and signified: Negotiating the symbolic gap The activities described thus far took up one fifty-minute lesson. For homework students were asked to translate the poem into English and to come to class the next day prepared to justify and defend the choices they had made in their translations. It was hoped that in the process of translation students would enter the ‘gap’ between signifier and signified when confronting several alternatives to any given item in the original. The next day students were put into three smaller groups of five to six and assigned the task of composing a translation together as a group. They were instructed to use the individual versions they had composed for homework as a basis for discussing and arguing the merits or drawbacks of the various possible English renderings of the German. Once each group had appointed a scribe, students were given twenty minutes to complete the task. They were left the choice of whether to use English or German in their discussions. Students became quite engaged as they discussed a myriad of nuances in meaning. The first word of the poem, über, provoked some discussion. For rendering its literal, spatial sense, most bilingual dictionaries would include such possible English translations as above, across, atop, beyond, or over. Some of these, like across and beyond, did not come into question; atop was briefly considered in one group, but did not garner much support. Above and over were the two serious candidates, with above eventually winning out in all three groups. The first substantive in the poem, Gipfel, had a few contenders during the discussions, including peak, summit, and mountaintop. Others, like acme, apex, pinnacle, or vertex, never came into serious consideration. Much more than just denotation and connotation influenced students’ decisions - among other things, the sound and length of the alternatives as compared to the original. Again it was clear that the students were paying attention not only to the referential meaning of words, but also to their form. Their decision to select one word over another had to do with the shape of the German word or the rhythm of the English line and not only with the dictionary meaning of a given word. It was noted, for example, that summit has the same number of syllables as Gipfel, and in comparison mountaintop seemed too long, and peak perhaps too brief, though peak did have one particularly persuasive supporter in one group and so ended up in that group’s final version, albeit in the form of a hybrid compromise (mountain peak). Another group opted nearly unanimously for mountaintop, while the remaining one took more time before agreeing on the same choice. Numerous other elements underwent similar consideration, evoking varying degrees of debate, and resulting in various specific resolutions. 290 Claire Kramsch, Michael Huffmaster 37 (2008) In all cases, the students had to think hard about what meaning they understood the item under consideration to convey, and how that meaning was realized on the paradigmatic axis of selection or on the syntagmatic axis of combination (S AUSSURE 1916/ 1959: 123; J AKOBSON 1960). After twenty minutes of animated discussion, when each group had composed its common version, these were put on the board alongside one another for comparison. The final group translations are reproduced below: GROUP I Wanderer’s Nightsong II Above all the mountaintops is silence In all the treetops You hardly sense a breath The little birds are silent in the forest Just wait, soon You too will be at rest GROUP II Wanderer’s Nightsong II Above all mountain peaks it is still in all treetops you hardly sense a Breath. The little birds are silent in the forest Only wait, soon You will be quiet as well. GROUP III Wanderer’s Nightsong II Above all the mountaintops is still In all the treetops you sense scarcely a breath, The little birds in the forest keep silent. Just wait soon you too will be at rest.. It did not seem to bother anyone that the word nightsong does not actually exist in English; students were quite happy to exploit the arbitrary potential of the two words night and song and to coin a non-arbitrary neologism to suit their purposes. Students were invited to comment on the different effects of having the definite article or not, e.g., in “above all the mountaintops” vs. “above all mountain peaks”. They noted that the definite article gave an impression of immediacy and presence to the panorama unfolding before the poet’s (or reader’s) eye, as opposed to the more universal or general landscape evoked by the indefinite plural. The different effects of silence, as a substantive, and still, an adjective, were also considered, together with the different effects of is as opposed to it is. Differences between the versions were explored in like fashion from beginning to end, the ultimate goal being to bring to light their negotiation of the symbolic gap between the arbitrary resources of the language and their non-arbitrary use in the translation process. 3. Students evaluate the activity The instructor was satisfied with the way the two lessons had gone, but had a nagging feeling that the students had not grasped the purpose of the activity. Indeed, the evaluations collected afterwards showed that the students had found the activity interesting and to some extent challenging, but they had understood it as being one more communicative activity designed to make them talk amongst each other about what the poet was trying to communicate and how that message could be conveyed in another language. They did not The Political Promise of Translation 291 37 (2008) seem to have acquired any insights into the process of translation or the symbolic nature of language. Phase I: Noticing the symbolic gap between signifier and signified Student responses to this phase of the lesson, though varied, indicated that most understood it simply as a warm-up or pre-teaching phase for the ‘real’ lesson, a view likely conditioned by previous experience in communicative classrooms. For example: “This activity helped set up the mood of the poem.” “I thought it set the scene & put us all in the right mindset for the poem.” “I thought this was challenging as the picture had so much potential and to a certain degree was rather vague.” “I thought this was kind of pointless, or at least I didn’t understand what was supposed to be achieved.” Phase II: Focus on the signified A clear majority of the students correctly perceived the first step of this phase (listening to the instructor recite the poem) as having a primarily aesthetic purpose, likely due to the instructor’s explicit instructions to this effect: “It was good to hear the poem recited before seeing it written, that way the form wouldn’t overpower the harmony of sound of the poem.” However, several felt a tension between the poetic and the referential dimensions of the poem, which they found difficult to deal with: “I was so busy listening to the sound of the poem that I forgot to listen for words at times.” “Sounded pleasant but difficult to understand at first without knowing the vocabulary.” “A little difficult to understand as there were words I did not know.” Though the main point of having students reconstruct the poem from memory in successive stages - individually, in pairs, and then as a class - was to give them a recursive experience of the text, the majority took it as an exercise in memory and accuracy or as a way of displaying the diversity of students’ renditions within the competitive environment of the classroom: “Trying to remember it in German was harder than I anticipated, could only get a few words and maybe two whole lines.” “It was interesting because I got only certain parts and he got certain parts.” “It was good, we got pretty close.” “It was awesome to hear all of the different versions of the same poem.” When it came to giving an appropriate title to the poem, student responses were split about evenly between those who saw it as a chance to express an understanding of the poem’s general meaning and those who saw it as a matter of correct guessing: “It was really interesting to see what titles people came up with because it really showed what we understood the poem to be before discussion and translation.” “Interesting to hear what others thought it should be called, especially because they were all pretty far off from the actual title.” 292 Claire Kramsch, Michael Huffmaster 37 (2008) Phase III: Focus on the signifier The analysis and discussion of the poem as a class, during which the impressions and associations it evoked were considered along with its imagery and grammatical features, proved to be one of the most successful parts of the lesson. The intention was to underscore the multivalent nature of poetic meaning, and the clear majority of students got precisely that point out of the activity, but one fifth of the respondents insisted that the meaning of the text resided in the intention of its author and that the task was to find out what the author had meant to say: “Best part of the activity. We had a lot of different ideas, very fun and informative.” “It was interesting because I got to hear about different aspects of the poem that I hadn’t previously so closely considered.” “difficult interesting because everyone sees the poem through a different lens.” “Helped to get a feeling of what the author was talking about and what he was trying to convey.” Similarly, student responses to the homework translation assignment show that they saw translation as a tension between what the German author intended to say and what the English language allowed them to translate. For many, both writing and translating a poem was a matter of putting ideas into words: “The translation was tricky because many of the words have multiple English translations. You really had to try and guess what the author was trying to say.” “I really liked this because it challenged me to see the difficulties in translation and to decide what effect I wanted to achieve. I also liked that I could use whatever word I wanted (like summit) without having to get someone else’s consent.” “It was interesting to see how ideas differ b/ t languages & how hard it is to translate, like trying to decide b/ t literal and the idea.” Phase IV: Negotiating the symbolic gap The first stage of the second lesson, during which students worked in small groups to compose a common translation together, elicited conflicting responses. Half the students viewed the differences in interpretation negatively, focusing on the sacrifices entailed in group compromise, while half of them viewed such differences as instructive: “Really difficult. Probably has to do with people’s stubbornness but really hard to come to consensus view.” “I thought it was interesting to debate our reasons for what we put, because it made me think more about why I chose certain words.” The final activity in this set of lessons, comparing the three different group versions, also elicited mixed responses. Some understood the activity as a competition whereas others understood it as an exercise in democratic compromise: “I felt like our version was clearly the best.” “Felt very sort of competitive. Defending one’s choices, explaining the conflict. It seems to get very emotional.” “This for me was the most fascinating part. I had my own interpretations, but trying to free my mind of the chains of my own gut instincts - and open up to unfamiliar interpretations - was not easy. I kept stumbling over certain things I had taken for granted - which forced me to keep letting go of my own conception of the poem.” The Political Promise of Translation 293 37 (2008) 4. Discussion Looking back on this activity and on the students’ responses, we are struck by the high degree of motivation of the students and their willingness to engage with the poem’s multiple meaning potential. However, their interpretation of the activity itself points to a more fundamental misapprehension of the nature of language and of symbolic mediation. The students’ fixation on authorial intention and their frustration at not being able to get a single, clearly enunciated idea of what the poet intended to say, let alone to translate that idea into English words, makes evident a language ideology that underlies much of language teaching today. By language ideology we mean either “a set of beliefs about language articulated by users as a rationalization or justification of perceived language structure and use” (S ILVERSTEIN , quoted in S CHIEFFELIN [et al.] 2005: 4) or “self-evident ideas and objectives a group holds concerning roles of language in the social experiences of [its] members” (H EATH , quoted in ibid.). In language learning and teaching, this ideology is the prevalent conduit metaphor (R EDDY 1993), which sees language as a transparent conduit for the transmission of information, itself believed to be ‘contained’ in the brain in the form of ideas. The efforts made by proponents of communicative language teaching (CLT) to impart usable skills, ones that can be evaluated and measured on scales of proficiency and compared to the skills of others, have been based on this ideology. Even though originally CLT was by no means restricted to the transactional exchange of information in everyday encounters (see the work of CLT theorists like W IDDOWSON , C ARTER , C OOK , K RAMSCH and others), many communicatively oriented textbooks in the U.S. have either done away with poetry altogether in an effort to teach ‘usable skills’, or they feature poems as opportunities to get the students to talk (Sprechanlässe) about the ideas or feelings ‘contained’ in the poem. We find some of this ideology in the students’ responses above. In the translation activity, all students experienced the differently located “exuberances” and “deficiencies” of each language (O RTEGA y G ASSET , quoted in K RAMSCH 1993: 105) and the tension between the non-arbitrary conventions of grammatical and lexical usage and the creativity made possible by the arbitrary nature of the linguistic sign. However, within a CLT ideology that strives to teach the students accuracy, fluency, and appropriateness within clearly established benchmarks pegged to the ideal native speaker, the students interpreted the act of translation as one of ‘getting it right’ or even ‘getting it better’ than the others. What they believed they had to ‘get right’ was some ideational content that the German author had intended to convey prior to writing the poem and that the translator had to reconstruct in another language. This content, they believed, is what the translator wanted to convey but what they could not find the right English words to fit. Both the intentional and the ideational fallacy led the students to evaluate the activity according to criteria of communicative competence, i.e.: To what extent did Goethe’s poem communicate its message effectively? And: How did my translation capture accurately the author’s communicative intention? By contrast, the translingual competence advocated by the MLA Report, which envisions students as able to operate between languages, draws on quite a different view of 294 Claire Kramsch, Michael Huffmaster 37 (2008) language. Language is here a highly reflexive symbolic system that, like other symbolic systems (e.g., music or painting), can reflect upon itself, focusing at once on the world it refers to and on the world it creates within itself. Puns, humor, irony, parody, language play, double-voicings, quotes, polysemy, double-entendre, as well as the elusive meanings of code-switchings, borrowings and imitations of prior language, intertextual allusions, parallelisms, equivalences, are translations all. They all play with and draw additional meaning from the symbolic gap between languages. Precisely because of that gap, language always means more than it says and says more than the speaker intended. 5. Reframing the activity to foster translingual competence How can we reframe this activity to make it less a communicative activity and more a reflexive experience on the nature of language as translation? How can the students become aware of the fact that grammar is not just gratuitous harassment but the pattern which connects elements of a context or “contextual shaping” (B ATESON 1979: 18)? That vocabulary does not refer to objects in the world as much as it evokes a world the reader agrees to believe in (B ECKER 2000: 414)? That texts do not express the intentions of their authors as much as they point to potential meanings to be discovered by their readers, and that this pointing is always already a point of view (S IMPSON 1993)? That, ultimately, all understanding is an act of translation (S TEINER 1975: Ch.1)? By transposing the poem into another key, so to speak, the students were focusing explicitly on what J AKOBSON called “the message” itself, i.e., the poetic function of language, not just on its content (the referential function of language) or on its code (the metalinguistic function). This poetic function is based on such well-known features as parallelism and repetition - structures echoing one another across the lines of the poem: Über allen Gipfeln/ in allen Wipfeln, ist Ruh/ spürest du, Walde/ balde, sounds ricocheting from one end of the poem to the other: Ruh/ du/ nur/ ruhest du. Such parallelism can be found not only in poetry but in everyday conversation (T ANNEN 1989; S WANN / M AYBIN 2007), in marketing jingles and political rhetoric, newspaper headlines and rap lyrics. Teaching translingual competence means teaching about the uses of language across various linguistic codes, styles, registers and social contexts. After having experienced the way the German language makes meaning in this poem, the students could be asked to go and collect other examples of parallelism in their everyday environment. Comparing such features of language in English and German or in any other languages represented in the class can give the students insight into how language wields emotional and political power and why Plato wanted to ban poets from his Republic. It shows them that translation, or transposition from poetry into prose, from monologue into dialogue, from second to third person addressee, from poetry to painting or music or acting, from German into English or French, is the essence of creativity. Power comes not from inventing new ideas, but from recombining existing forms: a statement into a commentary, a text into its interpretation, a word into its definition, a short story into its summary, an utterance into its rephrasing (for examples, see K RAMSCH The Political Promise of Translation 295 37 (2008) 1993: Ch. 5 and 6/ 2000). Translingual competence is the ability to play with and across symbolic forms, to re-signify images and concepts (B UTLER 1997), and re-accentuate other people’s words (B AKHTIN 1981) by applying them to different contexts and by manipulating the various dimensions of the context itself (e.g., addressor, addressee, content, code, style). Ultimately, the study of any foreign language at the college level should aim at helping students to understand something about language itself. As Michael H OLQUIST , the former President of the MLA, stated eloquently: Language is not only the MLA’s middle name. It is the iron necessity to bind sound and meaning that motivates the triune nature of the sign as it brings the two together in any performed utterance ... My purpose for adducing the central role of language in all that we do in both English and foreign language departments is to particularize the category that unites us as a profession by setting us apart as a discipline. Another way to specify this thirdness at the heart of language is to think of it - as most do in everyday life - as ‘meaning’. The close reading of grammar, syntax, and extrasentential forms in language textbooks or difficult poems and novels is always an exercise in the pursuit of meaning . (H OLQUIST 2007: 3) A pedagogy of translation from German to English should be supplemented by readings that introduce the students to the field of literary stylistics (e.g. J AKOBSON 1960; W ID - DOWSON 1975/ 1992; S HORT / S HORT 1989/ 1996; S IMPSON 1993/ 1996/ 2004; F OWLER 1996), sociolinguistics (T ANNEN 1989) or anthropological linguistics (B ECKER 2000). These readings might not be part of the syllabus of foreign language classes, but they can profitably be part of the syllabus of applied linguistics courses offered for foreign language majors in foreign language departments, as the MLA Report recommends. 6. Conclusion Critical reflection on a translation activity in a fourth-semester German class and how it was perceived by the participants has revealed that any attempt to teach students how to “operate between languages” has to take into account the current dominant discourse of efficiency and instrumentality in second language acquisition. That discourse is inimical to translation of any kind, as it is predicated on the notion that we understand each other perfectly if only we learn each other’s code. The call by the MLA to broaden the goals of language study cannot be achieved through attractive, student-centered activities alone. It has to be accompanied by an explicit reflection of the multifaceted nature of language and the intercultural conditions under which language makes meaning. Translation ceases to be one pedagogic activity among many, but comes to be seen as the very essence of meaning making and a privileged clue to the relation between language and power. The ability to translate is a symbolic ability that K RAMSCH has called “symbolic competence” and that forms the core of translingual competence. It is not just the (academic) ability to read and explicate poems and other texts; rather, it entails the ability to take symbolic action, i.e., to decide which language to use with whom and in which situation, which style to adopt and how to style oneself in order to position oneself and others in the 296 Claire Kramsch, Michael Huffmaster 37 (2008) most appropriate way. Translation can be seen as the “traffic in meaning” (P RATT 2002) or the “translingual activism” (P ENNYCOOK 2008) that global times require (see also Z ARATE 2008). As P ENNYCOOK eloquently states: “If students are to enter the global traffic of meaning, translation needs to become central to what we do” (2008: 33). Indeed, translation is political action insofar as it breaks down the myth of national languages “operat[ing] only in [their] own presence” (ibid.). In teaching German, it is important to remember that the meanings expressed in the German language only exist in relation to other meanings, constructed in other codes in other places at other times. Translation as a pedagogic principle can fulfill the political promise of diversity that is essential to an understanding of the German language itself. References B AKHTIN , Mikhail M. (1981): The Dialogic Imagination. Austin, TX: University of Texas Press. B ATESON , Gregory (1979): Mind and Nature. A necessary unity. New York: Bantam Books. B ECKER , A.L. (2000): Beyond Translation. Essays toward a modern philology. Ann Arbor, MI: University of Michigan Press. B UTLER , Judith (1997): Excitable Speech. A politics of the performative. London: Routledge. C OOK , Guy (1994): Discourse and Literature. Oxford: OUP. F OWLER , Roger (1996): Linguistic Criticism. 2nd. ed. Oxford: OUP. H OLQUIST , Michael (2007): “The humanities at work in the world”. In: MLA Newsletter, Winter issue. 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This article discusses models of teaching French literature in university contexts and the impact of these models on the pedagogical behaviour of future teachers in their literature classrooms. The analysis of teaching and learning practices in French literature seminars provides a basis for the argument that a shift to active learning is required, as is a closer connection between language learning and the use of literary texts. Das Bemühen um eine Reliterarisierung des schulischen Fremdsprachenunterrichts ist unmittelbar an die Frage gebunden, wie zukünftige Lehrer 1 in ihrer Ausbildung auf den Umgang mit fremdsprachigen literarischen Texten vorbereitet werden. Der folgende Beitrag wird diese Frage diskutieren und dabei verstärkt die Perspektive des Französischunterrichts akzentuieren. Den Hintergrund der Überlegungen bildet eine qualitativ-empirische Studie, die universitäre literaturwissenschaftliche Seminare - also jene Veranstaltungen, in denen zukünftige Lehrer sich mit Literatur auseinandersetzen - beschreibt und analysiert. Die Ergebnisse dieser Studie legen die Vermutung nahe, dass das Potenzial literaturwissenschaftlicher Veranstaltungen für die spätere Unterrichtstätigkeit kaum erkannt oder angemessen methodisch-didaktisch transformiert wird. An dieser Stelle sei die Frage aufgeworfen, inwieweit Hochschullehrende fachwissenschaftliche Anteile der Lehrerausbildung stärker berufsfeldorientiert gestalten sollten: Ich plädiere für eine Veränderung der Hochschullehre, die sich an Ansätzen wie Kompetenz- und Handlungsorientierung ausrichtet sowie literarisches und fremdsprachliches Lernen direkter aufeinander bezieht als dies bisher der Fall ist. 1. Reliterarisierung des Fremdsprachenunterrichts zwischen fachdidaktischer Forschung und Bildungsstandards Seit den 1980er Jahren interessiert sich die fremdsprachendidaktische Forschung wieder verstärkt für die Arbeit mit literarischen Texten. Zahlreiche, teilweise auch empirische Reliterarisierung des schulischen Fremdsprachenunterrichts ... 299 37 (2008) Studien untersuchten die Rolle des Lesens für den Spracherwerb und bestätigten die These, dass Lesen - und vor allem das Lesen (altersangemessener) literarischer Texte - einen durchweg positiven Einfluss auf den Spracherwerb hat (vgl. B RUSCH 2007: 9): Literatur bietet Sprechanlässe und eignet sich daher in besonderem Maße für eine Verbindung mit schülerorientierten Verfahren (vgl. B REDELLA / L EGUTKE 1985). Der kreativproduktionsorientierte Umgang mit literarischen Texten (vgl. C ASPARI 1994) erscheint in der Lage, kognitive und wertende Kompetenzen sowie Empathiefähigkeit auszubilden, so dass literarische Texte nicht zuletzt zur Identitätsbildung beitragen. D ELANOY (1996) schreibt dem literarischen Arbeiten ein emanzipatorisches Potenzial zu, K ÜSTER (2003) nennt es einen Beitrag zur „pluralen Bildung“ und der Ansatz von B REDELLA (2002) verbindet bereits begrifflich literarisches und interkulturelles Verstehen. Ein solches Potenzial dürfte für den Französischunterricht von herausragendem Interesse sein, wird doch gerade hier häufig kritisiert, der Unterricht sei „verkopft, philologisch und wenig handlungsorientiert“ (R AABE 2003: 537). Die aktuellen Entwicklungen im Kontext der Bildungsstandards scheinen diese Probleme jedoch kaum auffangen zu können: N IEWELER (2007: 2) hält zwar eine „Neuorientierung auch für den Französischunterricht als zweite Fremdsprache“ für möglich, betont aber gleichzeitig, dass gerade die Lehrer dieses Fachs von den Veränderungen durch Bildungsstandards „bislang noch wenig betroffen“ seien, fehlten doch beispielsweise Standards für Französisch als zweite Fremdsprache - was den Normalfall der schulischen Sprachenfolge ausmacht. Auch T ESCH (2007) sieht in den Bildungsstandards eine Chance in erster Linie für die Förderung leistungsschwacher Schüler, problematisiert jedoch ihre methodisch-didaktische Umsetzung: Hier fehle jeglicher Hinweis auf die Art des intendierten Unterrichts (vgl. T ESCH 2007: 9), der zur Ausbildung der entworfenen Kompetenzen beitragen solle. Überraschenderweise spiegelt sich das in den 1980er Jahren nicht nur erwachte, sondern auch empirisch untersuchte Interesse am literarischen Text nur marginal in den Bildungsstandards wider: Diese scheinen an einem fremdsprachendidaktischen Grundverständnis festzuhalten, das den literarischen Text weiterhin eher ausklammert, statt ihn (wieder) verstärkt zu berücksichtigen (vgl. B URWITZ -M ELZER 2006). In den Aufgabenbeispielen der Bildungsstandards für Französisch (mittlerer Schulabschluss) spielt Literatur bereits bei der Textauswahl so gut wie keine Rolle, und über das informationsentnehmende Verständnis gehen die Beispielaufgaben selten hinaus. Bei einer Analyse von Lehrplänen stellt C ASPARI (2005a) jedoch fest, dass sowohl literarische Texte - entgegen ihrer ‚Missachtung‘ durch die Bildungsstandards - als auch Methoden der Textarbeit hier noch stärker favorisiert werden. Generell positiv ist auch anzumerken, dass in jüngster Zeit in Zeitschriften wie Praxis Fremdsprachenunterricht oder Der fremdsprachliche Unterricht Französisch zahlreiche Unterrichtsvorschläge zur Arbeit mit Kinder- und Jugendliteratur entwickelt worden sind (vgl. M INUTH 2007; H ÖRBERG 2007), die sich zum Teil auch ausdrücklich in den Kompetenzmodellen der Bildungsstandards verorten. Für die Lehrerausbildung entsteht durch die Kluft zwischen fremdsprachendidaktischer Forschung und bildungspolitischen Vorgaben folgendes Problem: Gegenüber den Universitäten und jenen Hochschullehrern, die Lehramtsstudierende ausbilden, setzen die Bildungsstandards ein missverständliches Signal: Bei Vertretern der universitären Litera- 300 Birgit Schädlich 2 Ich beziehe mich auf die Lehrerausbildung an den Universitäten, wie sie in den meisten Bundesländern üblich ist. Auf die Modelle der Pädagogischen Hochschulen gehe ich an dieser Stelle nicht ein. 37 (2008) turwissenschaft könnte der Eindruck entstehen, Literatur spiele an der Schule keine Rolle, bleibt sie doch in Papieren wie den Bildungsstandards weitestgehend unsichtbar. 2. Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik in der universitären Phase der Lehrerausbildung An den Universitäten 2 stellen linguistische und literaturwissenschaftliche Veranstaltungen als fachwissenschaftliche Anteile nach wie vor den Schwerpunkt lehrerausbildender Studiengänge in den Sprachenfächern dar. Im Zuge der Umstrukturierung von Lehramtsstudiengängen (vgl. B AUSCH / K ÖNIGS / K RUMM 2003) verändern sich momentan die Curricula der einzelnen Disziplinen grundlegend. Ziel ist auch eine Veränderung der Lehre, ohne dass jedoch transparent wäre, was diese momentan überhaupt ausmacht: Die Praxis, an die die Neuerungen ‚angedockt‘ werden sollen, ist dabei nur schwer deskriptivanalytisch zu fassen, ihre Kenntnis bildet jedoch die Voraussetzung für das Gelingen der Implementierung neuer Curricula und Lehr-/ Lernformen. In einer qualitativ-empirischen Studie (vgl. S CHÄDLICH 2004) habe ich literaturwissenschaftliche Seminare aus der Perspektive von Lehrenden und Studierenden dargestellt und auf diese Weise versucht, jenen status quo der hochschuldidaktischen Praxis zu rekonstruieren, an dem die Reformen ansetzen werden. Obwohl diese Studie nicht repräsentativ ist, werden in den Schilderungen meiner Interviewpartner folgende Probleme der Hochschullehre im Fach Romanistik leitmotivisch formuliert: C die Seminarorganisation nach dem Modell der ‚traditionellen Referateseminare‘; C die starke Fokussierung auf rezeptive fremdsprachliche Kompetenzen („Wir lesen Texte auf Französisch, reden aber auf Deutsch darüber“); C Probleme beim Transfer ‚erlernter‘ Methoden auf unbekannte Texte einerseits, in schulische Kontexte andererseits. Diese Aspekte sind nur bedingt spezifisch für die Lehrerausbildung; vielmehr handelt es sich um generelle Probleme, die Lehrende und Studierende in Veranstaltungen der Romanistik wahrnehmen. 3. Eine veränderte Lehrerausbildung erfordert eine veränderte Hochschullehre: Über welche Kompetenzen müssen Hochschullehrer verfügen, die Lehrer ausbilden? Für die Lehrerausbildung sind im Reformdiskurs momentan zwei Ebenen relevant: Die erste Ebene betrifft die Frage der spezifischen Kompetenzen von Fremdsprachenlehrern. Während hier bereits einige Profile vorliegen (vgl. C ASPARI 2008), bleibt jedoch meist die Reliterarisierung des schulischen Fremdsprachenunterrichts ... 301 37 (2008) Frage offen, wie zukünftige Lehrer diese während des Studiums ausbilden sollen und welche Hochschullehrer ihrerseits über die nötigen Kompetenzen verfügen, diesen Lernprozess anzuleiten und zu gestalten. Diese zweite, hochschuldidaktische Ebene findet momentan erst mäßige Beachtung, obwohl doch beide Ebenen als interdependent erscheinen: Eine veränderte Lehrerausbildung kann nur durch eine Veränderung auch der hochschuldidaktischen Praxis derer, die Lehrer ausbilden, realisiert werden. Dabei stellt sich die Frage nach der Qualität akademischer Lehre auch unabhängig von der Lehrerausbildung, was an dem gesteigerten Interesse deutlich wird, das momentan hochschuldidaktischen Weiterbildungen entgegengebracht wird (vgl. IZHD 2004; B REN - DEL [et al.] 2004). Zudem weisen politische Versuche, das Image der Lehre aufzuwerten, in eine ähnliche Richtung, wie beispielsweise die Etablierung von Lehrprofessuren (vgl. W ISSENSCHAFTSRAT 2007) oder die geplante Exzellenzinitiative für die Lehre. Es schließt sich die Frage an, ob es - wenn man Ansätze für die Veränderung der hochschuldidaktischen Praxis sucht - einen spezifischen Unterschied zwischen allgemein hochschulischer und Lehrer ausbildender didaktischer Praxis gibt oder geben sollte. Aus meiner Perspektive würde ich diese Frage negativ beantworten, denn bei der Auseinandersetzung mit alternativen Gestaltungsformen für die hochschuldidaktische Praxis sind deutliche Überschneidungen der Diskurse allgemeiner Hochschuldidaktik und der Lehrerausbildung erkennbar. Es scheint mir besonders wichtig, diese Überschneidungen und gemeinsamen Bezugspunkte zu benennen, um die Forderung nach einer veränderten Hochschullehre von vornherein gegen den möglichen Vorwurf zu schützen, die Lehrerausbildung ‚diktiere‘ fortan Inhalte und Methoden der fachwissenschaftlichen Lehre und untergrabe deren Autonomieanspruch als von der Lehrerausbildung unabhängige Disziplin. Die Tatsache, dass momentan mit hochschuldidaktischen Alternativmodellen auch in disziplinären Kontexten experimentiert wird, die unabhängig von der Lehrerausbildung sind, sowie darüber hinaus die Bezugnahme von Hochschuldidaktik, Lehrerausbildung und Fremdsprachendidaktik auf ähnliche lerntheoretische Grundannahmen, auf ähnliche methodisch-didaktische Ansätze, auf ähnliche Formen von Evaluation und Qualitätssicherung, rechtfertigen es, diese Ansätze gemeinsam heranzuziehen, wenn nach neuen Praxismodellen für die Gestaltung von literaturwissenschaftlichen Seminaren gesucht wird. Der vorliegende Beitrag setzt an diesem Punkt an und akzentuiert dabei weniger inhaltliche Fragen der Neuausrichtung von Lerninhalten und Kanones, sondern untersucht Möglichkeiten einer methodisch-didaktischen Erweiterung der Hochschullehre. Dass den meisten Hochschullehrenden und Studierenden instruktive Vermittlungsformen wie Referate und Lehrervorträge vertrauter erscheinen als lerner- oder handlungsorientierte Verfahren, hat weniger etwas damit zu tun, dass es sich hier um die ‚natürlicherweise‘ angemessene Präsentation der Fachinhalte handeln würde. Vielmehr spielen für die Wahrnehmung der methodischen Gestaltung von Lehr-/ Lernsituationen die eigene Lernerbiografie und die lernkulturellen Traditionen der Fächer eine Rolle: Als normal wird vor allem das wahrgenommen, was der Erfahrung der eigenen Lernerbiografie entspricht und daher als didaktische Transformation überhaupt nicht mehr sichtbar ist. Das Vorgehen ist zum impliziten Handlungswissen geworden, ohne dass es noch lerntheoretisch expliziert werden müsste. Dass solche impliziten - und daher als gewisser- 302 Birgit Schädlich 37 (2008) maßen natürlich wahrgenommenen - Handlungsmodelle einen deutlichen Einfluss auf die Ausbildung des Habitus zukünftiger Lehrer haben, ist in verschiedenen Studien zur Professionsforschung gezeigt worden (vgl. S CHOCKER - V . D ITFURTH 2001: 88). Auch die Auswertungen meiner Interviewstudie legen die Vermutung nahe, dass die subjektivemotionalen Wertungen von in der eigenen Biografie erfahrenen unterrichtsmethodischen Ansätzen in Konkurrenz zu theoretisch erlernten fachdidaktischen und erziehungswissenschaftlichen Ansätzen treten können. Für die Lehrerausbildung folgt daraus: Die Vermittlung didaktischen Handlungswissens vollzieht sich im Lehramtsstudium auf zwei Ebenen. Die erste ist die explizite Ebene der Vermittlung fachdidaktischer und erziehungswissenschaftlicher Inhalte in den entsprechenden Veranstaltungen der Lehrerausbildung. Die zweite ist die implizite Ebene des Handlungsmodells aller an der Lehrerausbildung beteiligten Hochschullehrer. Das realisierte Modell von Lehre, das Studierende beobachten und in das sie als Lernende eingebunden sind, trägt in erheblichem Maß zu ihrer Professionalisierung, zur Ausbildung ihrer Lehrkompetenz bei. Solche Grundannahmen fließen aktuell bereits in Lehrerausbildungsmodelle ein: So sehen beispielsweise die Leitlinien für eine Reform der Fremdsprachenlehrerausbildung der DGFF die Auseinandersetzung mit der eigenen Lernerbiografie sowie das Konzept des reflektierten Modelllernens (vgl. DGFF 2003: 9-10) für Curricula der Lehrerausbildung vor. Es lässt sich nun folgende These aufstellen: Eine veränderte hochschuldidaktische Praxis der Literaturwissenschaft wird sich über Anteile des Modelllernens positiv auf die Ausbildung von Lehrkompetenz im Umgang mit literarischen Texten auswirken und stellt somit einen unmittelbaren Beitrag zur Berufsfeldorientierung von Lehramtsstudiengängen dar: Je vielfältiger die methodisch-didaktischen Handlungsmodelle sind, denen Lehramtsstudierende in ihrer Ausbildung begegnen, desto vielfältiger wird ihr Handlungsrepertoire, das sie aus der Hochschule in schulische Kontexte transferieren und desto situations- und themenadäquater werden ihre unterrichtlichen Entscheidungen ausfallen. Diesen Ansatz verstehe ich als mögliche Konkretisierung einer Forderung aus den Empfehlungen zur Zukunft der Lehrerbildung in den Hochschulen: „ [ … ] eine neue Qualität wird die Lehrerbildung in den Hochschulen erst erreichen, wenn auch zielorientierte Curricula, neue Lehr- und Lernformen und bessere Formen der Praxisorientierung die Studiengänge so bestimmen, dass mit einer Einlösung der Vorgaben gerechnet werden kann, die in Kompetenzmodellen und Bildungsstandards für die Lehrerbildung inzwischen vorliegen bzw. erarbeitet werden“ (HRK 2006: 12; Hervorh. d. Verf.). Ähnlich wie S TEINBRÜGGE (2008) die Opposition von spezifisch schulischen und spezifisch universitären Lerninhalten problematisiert, gehe ich davon aus, dass keine grundsätzlichen, sondern allenfalls graduelle oder prioritäre Unterschiede zwischen schulischen und universitären Lernzielen im Umgang mit Literatur bestehen. Zwar gibt es unterschiedliche Gewichtungen, Interessen und fachdisziplinäre Traditionen, Unterschiede in der Verarbeitungstiefe und Komplexität, strukturell überwiegen jedoch die Ähnlichkeiten. Vergleicht man unter diesem Aspekt Kompetenzmodelle zum literarischen Arbeiten an Schule und Hochschule, lassen sich Schnittstellen und Parallelen sehr viel deutlicher erkennen als dies beim alleinigen Vergleich rein thematischer Curricula Reliterarisierung des schulischen Fremdsprachenunterrichts ... 303 37 (2008) (Lehrbuch versus Literaturgeschichte) der Fall wäre. Ich verdeutliche dies durch eine kurze Gegenüberstellung fremdsprachendidaktischer mit zwei akademischen Kompetenzmodellen: Das eine findet sich in einer Einführung in die Anglistik (N ÜNNING / J UCKER 1999), das andere auf den Internetseiten des Romanischen Seminars der Universität Bonn (Iß LER 2006). In beiden Profilen werden neben sprachlichen und interkulturellen Kompetenzen die Aspekte übertragbaren Handlungswissens, literaturwissenschaftlicher Methodenkompetenz sowie allgemeiner Darstellungskompetenz betont. Aus der Perspektive der schulischen Fremdsprachendidaktik werden strukturell ähnliche Kompetenzen entworfen. Die von N IEWELER (2007: 6) genannten Kompetenzen wie „Umgang mit Fiktionalität“ oder „Umgang mit fremdkulturellen Anspielungen“ lesen sich beispielsweise als Differenzierungen von „analytischer Denkkompetenz“ und „rhetorische und darstellungstechnische Kompetenz“ bei N ÜNNING / J UCKER (1999: 226) sowie von „fachwissenschaftlicher Methodenkompetenz“ und „Sensibilität für andere Kulturen“ bei Iß LER (2006). Parallelen finden sich ebenfalls zu den Modellen von C ASPARI (2005b) und B URWITZ - M ELZER (2006). Hier lassen sich neben einer deutlichen Fokussierung auf das interkulturelle Arbeiten („interkulturelle Kompetenzen fördern“; „Fähigkeit zur Perspektivübernahme“) vor allem sprachproduktive („eigene Textproduktion“; „selbständiges Anwenden von Texterschließungsstrategien“) und wissenschaftspropädeutische Ansätze („Recherchekompetenzen“) erkennen, die sich mit den Angaben wie „Interkulturelle Kompetenz“ und „Sprachkompetenz“ (Iß LER 2006) sowie „Problemlösekompetenz“ und „Bibliografische Kompetenz“ (N ÜNNING / J UCKER 1999: 226) in den akademischen Profilen decken. Vor diesem Hintergrund erscheint es möglich, Ansätze der (schulischen) Fremdsprachendidaktik in struktureller Vergrößerung auch auf die akademische Praxis zu übertragen, fehlt es doch bislang an einer hochschulbezogenen Fachdidaktik. 4. Ansätze für einen hochschuldidaktischen Beitrag der Lehrerausbildung zur Reliterarisierung des schulischen Fremdsprachenunterrichts Bei der methodisch-didaktischen Umsetzung von Standards oder Kompetenzprofilen stellt sich grundsätzlich die Frage, welche unterrichtlichen Verfahren geeignet sind, entworfene Kompetenzen auch tatsächlich auszubilden. Dass diese Frage alles andere als umfassend geklärt ist, macht die aktuelle Diskussion um die Aufgabenapparate der Bildungsstandards deutlich: Hier formuliert N IEWELER (2007) berechtigte Bedenken bezüglich des Verhältnisses von Kompetenzorientierung und Unterrichtsgestaltung, wobei er die Partialisierung von Kompetenzen als Hauptproblem beschreibt. Genaue Definitionen und Kannbeschreibungen isolieren stets nur Teilkompetenzen im Sinne ihrer Operationalisierung. Dieses für die deskriptive oder diagnostische Ebene des Fremdsprachenunterrichts sinnvolle, auf Transparenz, Vergleichbarkeit und Evaluierbarkeit zielende Vorgehen (vgl. B ERGFELDER 2007: 13) gerät jedoch massiv mit fremdsprachendidaktischen Ansätzen in Konflikt, die Sprachenlernen als ganzheitlichen und integrativen Prozess begreifen, der mehr umfasst als die Summe partikular ausgebildeter Teilkompetenzen. Das Problem wird 304 Birgit Schädlich 37 (2008) dadurch verstärkt, dass nicht alle Kompetenzen eindeutig operationalisierbar sind: Literarische und interkulturelle Kompetenzen sind schwer messbar und entziehen sich daher per se ein Stückweit der Operationalisierung und eindeutigen Evaluation. Trotz dieses generellen Problems erscheint mir der Ansatz, im Rahmen kompetenz- und handlungsorientierter Modelle stärker lernerorientierte Verfahren in die Lehre zu integrieren, lohnenswert. Ausgehend von den oben skizzierten Problemen (vgl. Abschnitt 2) der aktuellen Lehre werde ich nun drei Leitfragen für die Planung und Durchführung literaturwissenschaftlicher Veranstaltungen in der Fremdsprachenlehrerausbildung formulieren. 4.1 Das traditionelle Referateseminar - oder: Wie bilden Studierende einen forschenden Habitus aus? Der Anspruch, durch Referate und anschließende Plenumsdiskussionen finde ein Einstieg in das wissenschaftliche Arbeiten statt, wird in der Praxis vieler Lehrveranstaltungen nur bedingt erfüllt: Studierende klagen über ‚langweilige‘ oder schlecht recherchierte Beiträge, Lehrende bemängeln kaum vorhandene Präsentationskompetenzen der Referenten und beobachten, dass der Rest der Gruppe sich nicht ausreichend auf das Thema vorbereitet habe, so dass die anschließende Plenumsdiskussion häufig zäh und ohne nennenswerte Erkenntnisse bleibe. Einen forschenden Habitus im literaturwissenschaftlichen Arbeiten entwickeln, heißt zunächst einmal, dass Studierende in die fachwissenschaftlichen Diskurse eingeführt und in (kleinen) Forschungsarbeiten dazu angeleitet werden, sich mit ihren eigenen Interessen in diesen Diskursen zu verorten. Speziell für die Lehrerausbildung bedeutet ein forschender Habitus zweitens eine Herangehensweise, die es Lehramtsstudierenden ermöglicht, Fragen und Probleme, die sich aus der Perspektive der schulischen Arbeit mit fremdsprachigen Texten und Medien ergeben, unter Zuhilfenahme (auch) fachwissenschaftlicher Theorien und Methoden zu bearbeiten. Methodisch ist dies meiner Ansicht nach vor allem durch unterrichtliche Ansätze zu erreichen, die im Sinne des Entdeckenden Lernens (vgl. B RUNER 1961) strukturiert sind und Studierenden die Möglichkeit bieten, sich an der Lösung ‚echter‘ Forschungsfragen zu beteiligen. Projekt- und Fallorientierung schlagen auch die Standards für die Lehrerbildung vor, die die KMK für die bildungswissenschaftlichen Anteile der Lehrerausbildung bereits 2004 veröffentlicht hat. Ich gehe davon aus, dass diese Ansätze nicht spezifisch für die Bildungswissenschaften sind. Sie orientieren sich vielmehr an lerntheoretischen Prämissen, die weitestgehend fachunabhängig und daher auch in andere Disziplinen übertragbar sind. Zusammenfassend können diese Grundannahmen als „shift from teaching to learning“ beschrieben werden, wobei laut B ERENDT (2005) eine solche Umorientierung in der hochschuldidaktischen Praxis erst sehr langsam Fuß fasst. Zugrunde liegt den genannten Ansätzen ein Grundverständnis menschlichen Lernens, das Lernen nicht zwangsläufig als Nebeneffekt oder Folge von Lehre begreift. Vielmehr muss Lernen in gestalteten Lehr-/ Lernszenarien ermöglicht und unterstützt werden. Lerner- und Handlungsorientierung sind hierbei entscheidende Bezugsgrößen, so beispielsweise das Reliterarisierung des schulischen Fremdsprachenunterrichts ... 305 37 (2008) Anknüpfen an Vorwissen und subjektive Erfahrungen. Auch die Verbindung neu vermittelter Wissensanteile mit konkreten Fällen oder ihr Transfer in variierende Kontexte verweisen auf ein Verständnis von Lernen, das weniger auf eine ausschließlich fachsystematische, instruktive Darbietung deklarativer Wissensbestände setzt, sondern vielmehr auf eine ‚verankerte‘ Vermittlung, die den handelnden Umgang mit dem Wissen in subjektiv relevanten Kontexten (Fälle, Probleme) bereits einschließt. Wissensbestände werden nach diesem Verständnis von Lernprozessen mit Problemlösestrategien verknüpft, ‚totes‘ Wissen wird in dem Moment verlebendigt, wo es - um ein Phänomen zu durchdringen oder einen Fall zu lösen - handelnd gebraucht wird. Ich nenne hier einige methodische Ansätze, die mir im Sinne der Handlungsorientierung, des Entdeckenden Lernens und der Reflexion des eigenen Lernprozesses gerade für die literaturwissenschaftliche Lehre angemessen erscheinen. Dabei handelt es sich zum Teil um Verfahren, von denen Hochschullehrende im Rahmen der Interviews meiner Studie berichten. C Das Prinzip Lernen durch Lehren wird als differenzierte Erweiterung des ‚traditionellen Referateseminars‘ eingesetzt: Die Grundannahme der Methode - Studierende lernen, indem sie selbst eine Lehrsituation vorbereiten - wurde von M ARTIN (1994) mit besonderem Fokus auf die Französischdidaktik theoretisiert. Auch hier stehen die Vermittlung neuer Wissensinhalte und deren Diskussion im Mittelpunkt des Seminargeschehens. Die Moderation vor allem der anschließenden Diskussion wird jedoch systematisch geplant, beispielsweise durch die Formulierung von Leitfragen oder Thesen. Im Planungsprozess spielen Absprachen mit der Lehrperson eine entscheidende Rolle. Bei S KINNER (1998) finden sich weitere Konkretisierungen der Methode für kulturwissenschaftliche Lehrveranstaltungen, die projektbezogen und forschungsorientiert angelegt sind. C Referate sind zeitlich beschränkt, und ihnen werden differenzierte Funktionen im Seminargeschehen zugeschrieben: Kurzreferate stellen innerhalb von fünf bis zehn Minuten Begriffe oder Kurzbiografien vor, es handelt sich bei solchen Impulsreferaten um ein ‚Nachschlagen für die Gruppe‘. Für die Arbeit mit ergänzenden Sekundärtexten gilt grundsätzlich: Alle lesen alles, einzelne Seminarteilnehmer übernehmen jedoch Patenschaften für bestimmte Texte: Die Paten stellen ihren Text nicht nur einmal als Referat vor, sondern knüpfen ihn im Verlauf des Semesters immer wieder in unterschiedlichen Kontexten an die neu entwickelten Fragestellungen an. C H ERMES (1998) setzt in universitären literaturwissenschaftlichen Seminaren so genannte Learning Logs ein. Dabei handelt es sich um tagebuchartige Aufzeichnungen, die von den Studierenden veranstaltungsbegleitend angefertigt werden. Sie dokumentieren sowohl den Prozess der subjektiven Textrezeption als auch die im Seminar erarbeiteten Analyseansätze. Dieses Instrument trägt zur Planung und Bewusstmachung des eigenen Lernprozesses bei und dokumentiert gleichzeitig den Austausch mit den anderen Seminarteilnehmern. C D EHARDE (2007) entwickelt in einer schulischen Unterrichtsreihe zu Les loups et les hommes Aufgaben, die als Konkretisierung der oben genannten Kompetenzen „Anwenden unterschiedlicher Texterschließungsstrategien“ (C ASPARI 2005b: 12) sowie „eigene Textproduktion“ und „Recherchekompetenz“ (B URWITZ -M ELZER 2006: 116) gelten können. Am Ende der Reihe entsteht ein gemeinsam erstelltes, großformatiges Buch, zu dem jeder Schüler eine Seite gestaltet. Auch dieser Ansatz ist ‚strukturell vergrößerbar‘ in dem Sinne, als ein gemeinsam erstelltes Produkt - ein Reader für die Seminarbibliothek, eine Lesung mit Podiumsdiskussion oder eine Ausstellung - einmal als alternative Zielsetzung einer literatur- oder kulturwissenschaftlichen Veranstaltung angesetzt werden könnte. 306 Birgit Schädlich 37 (2008) 4.2 Texte auf Französisch lesen und auf Deutsch darüber sprechen - oder: Wie können fremdsprachliches und literarisches Lernen integrativ gestaltet werden? Die Rolle der Fremdsprache ist einer der strittigsten Punkte für die Lehrerausbildung. Während aus der Perspektive von Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung die Vermittlung zielsprachlicher Kompetenz als prioritäres Lernziel der Lehrerausbildung formuliert (vgl. DGFF 2003) und dies methodisch unmittelbar an die Forderung, die universitäre Lehre selbst in der Zielsprache zu gestalten, gekoppelt wird, halten die fachwissenschaftlichen Veranstaltungen häufig am Deutschen als Wissenschaftssprache fest: Die Auseinandersetzung mit den Inhalten der Disziplin findet - entsprechend dem Usus der Scientific Community - in der Muttersprache statt. Zwar sprechen sich in den Interviews meiner Studie die Lehrenden durchweg für eine - zumindest phasenweise - Integration des Französischen in literaturwissenschaftliche Lehrveranstaltungen aus. Ihre Erfahrungen mit entsprechenden Versuchen schildern sie jedoch meist als ernüchternd: Studierende hätten sprachliche Hemmungen und Defizite, so dass Diskussionen in der Fremdsprache häufig kaum möglich seien. Die hochschuldidaktische Praxis eines Seminars in Romanistik oder Anglistik unterscheidet sich dabei kaum von der einer Germanistikveranstaltung: Textverständnis wird vorausgesetzt, das Problem ‚Lesen in der Fremdsprache‘ wird in die Lehre kaum integriert. Dennoch ist davon auszugehen, dass die fremdsprachliche Lesekompetenz weit hinter jener in der Muttersprache zurücksteht. An dieser Stelle lohnt sich ein Blick in die Fremdsprachendidaktik, wo beispielsweise B URWITZ -M ELZER ein detailliertes Modell für fremdsprachliche Lesekompetenz entwickelt hat. Diesem liegt ein „holistisches Verständnis von Förderung der Sprachkompetenzen“ (B URWITZ -M ELZER 2006: 117) zugrunde, das literarische, fremdsprachenerwerbliche und interkulturelle Lernziele als interdependent versteht und sie entsprechend formuliert und operationalisiert. Die Integration von sprachlichem und literarischem Lernen setzt den Umgang mit der Fremdsprache in allen Kompetenzbereichen (mündlich und schriftlich sowie rezeptiv und produktiv) voraus, so dass auch verstärkt Lehr-/ Lernszenarien gestaltet werden sollten, in denen produktive Kompetenzen in der Zielsprache geschult werden. In diesem Zusammenhang plädiere ich nicht nur für eine stärkere Integration der Fremdsprache in die mündliche Seminarkommunikation, sondern darüber hinaus für die Ausweitung der schriftsprachlichen Textproduktion; in der Fremdsprache gleichermaßen wie im Deutschen - denn auch hier berichten Hochschullehrende, dass Studierende Probleme hätten, sich angemessen auszudrücken. Ich vermute, dass Unterrichtsgespräche und Hausarbeiten als Orte sprachlicher Produktion quantitativ nicht ausreichend sind, einen forschungsorientierten Umgang mit Literatur zu üben. Produktionsorientierte und kreative Ansätze integrieren in der Fremdsprachendidaktik Text- und Spracharbeit, wie ich zu Beginn dieses Beitrags dargestellt habe. Auch hier eignet sich das Verfahren ihrer strukturellen Vergrößerung für Kontexte der Hochschuldidaktik. C In einer Reihe zu einer Geschichte des Petit Nicolas (H ÖRBERG 2007) werden Arbeitsweisen entworfen, die Kompetenzbeschreibungen wie „Erwartungshaltungen aufbauen“, „eigene Textproduktion“ (vgl. B URWITZ -M ELZER 2006: 116) und die „Fähigkeit zur Perspektivübernahme“ (C ASPARI 2005b: Reliterarisierung des schulischen Fremdsprachenunterrichts ... 307 37 (2008) 12) an konkrete Aufgaben koppeln. Wenn H ÖRBERG beispielsweise Schüler einen „inneren Monolog“ (H ÖRBERG 2007: 30) verfassen lässt, der die Gedanken des ängstlichen Petit Nicolas beim Zahnarzt versprachlicht, so handelt es sich durchaus um ein Verfahren, das Empathie voraussetzt und Schüler zu Perspektivwechseln einlädt. In hochschuldidaktischen Kontexten können solche Verfahren beispielsweise als konkretisierende Übung zu einer theoretischen Auseinandersetzung mit dem Inneren Monolog oder anderen Erzählformen eingesetzt werden. S CHABERT (1991) schlägt ähnliche Transformationsübungen für die Anglistik vor und schreibt der Methode textproduktiver Perspektivwechsel ausdrücklich einen literaturwissenschaftlich relevanten heuristischen Wert zu: Als Beispiel nennt sie das Verfassen von Parallelgeschichten zu einer Vorlage aus veränderter Gender-Perspektive, um auf diese Weise geschlechterspezifische Besonderheiten des Ausgangstextes deutlich werden zu lassen. C Auch erscheint eine Stärkung essayistischen Schreibens (vgl. G RIESHEIMER 1991) sinnvoll, da diese Textsorte gleichermaßen „Erziehung zum Selbstausdruck“ ermöglicht, sich zur „Anverwandlung des Gegenstandes“ (G RIESHEIMER 1991: 33) eignet und zugleich das Moment angemessener sprachlicher Gestaltung akzentuiert. Der Essay stellt zudem eine Form des Wissenstransfers zu einem nichtphilologischen Publikum dar, was nicht nur für den schulischen Kontext relevant ist: In den Interviews meiner Studie hat beispielsweise ein Hochschullehrer die Notwendigkeit betont, auch Kompetenzen für Tätigkeiten im außeruniversitären Literaturbetrieb (Feuilleton, Literaturkritik) auszubilden. C Das Kompetenzprofil der Uni Bonn nennt „allgemeine Sprachkompetenz“ und „Fremdsprachenkompetenz“ (Iß LER 2006) als Ziele des Romanistikstudiums. Dieser zweisprachige Anspruch könnte ergänzt werden durch die systematische Integration von Mehrsprachigkeit in das universitäre Lehrgeschehen, beispielsweise nach Modellen für thematische Unterrichtsreihen, wie sie in der Interkomprehensionsdidaktik (vgl. A LTMANN / V ENCES 1999) entwickelt wurden. Hier liegt ein besonderes Potenzial gerade des Französischen und der romanischen Sprachen, das jedoch in den bislang noch vornehmlich nationalphilologisch ausgerichteten universitären Disziplinen kaum Berücksichtigung findet. Die Stärkung schreibproduktiver Aufgaben in der literaturwissenschaftlichen Lehre möchte ich nicht als Ersatz für wissenschaftliche Hausarbeiten oder den Versuch, Studierende zu ‚kleinen Schriftstellern‘ auszubilden, missverstanden wissen. Dass jedoch Lesen und Schreiben für den Verstehensprozess unmittelbar abhängig voneinander sind, hat P AEFGEN (1996) für die Deutschdidaktik herausgestellt: Sie versteht Schreiben als problemlösendes „Lese-Produkt“ (P AEFGEN 1996: 23) das den literarischen Lernprozess nicht nur abbildet, sondern gleichsam auch gestaltet. Je variantenreicher das Textsortenangebot ist, in dem Studierende - im Deutschen und in Fremdsprachen - selbst Texte produzieren können, desto wahrscheinlicher erscheint es mir, dass sie eine Sensibilität für die Machart und Interpretationsebenen der behandelten Literaturen entwickeln und gleichzeitig Sprachkompetenzen erwerben. 4.3 Transferprobleme - oder: Kompetenzen im Umgang mit unbekannten Texten Ein Problem der aktuellen Lehre ist die häufig fehlende Transferkompetenz der Studierenden: Verfahren der Textarbeit können nicht zwangsläufig auf fremde Texte übertragen, begriffliche Instrumentarien nicht immer angewandt werden, und die Relevanz von Literaturtheorien für die Entwicklung von Fragestellungen an Texte wird selten erkannt. Eine solche Transferkompetenz erscheint jedoch notwendig, nicht nur für das fachwissenschaftliche Arbeiten selbst, sondern in verstärktem Maße auch für die Schnittstellen 308 Birgit Schädlich 37 (2008) zwischen schulischem Literaturunterricht und universitärer Lehre: Mit N ÜNNING (2004) spreche ich mich für die unmittelbare Relevanz literaturwissenschaftlicher Theorien für den schulischen Fremdsprachenunterricht aus, die hier gerade nicht als Gegenpart zu einer (wie auch immer definierten) Praxis fungieren, sondern als deren unhintergehbare Basis: Wenn das Prinzip der Schülerorientierung ernst genommen wird, müssen Lehrer in der Lage sein, Schülern wissenschaftliche Anknüpfungspunkte für das anzubieten, was diese in ‚Spontanphasen‘ der Textbegegnung formulieren: Je mehr Kenntnis Lehrer über die unterschiedlichen Perspektiven möglicher literaturwissenschaftlicher Ansätze im Studium erworben haben, umso differenzierter können sie die Interessen der Schüler mit dem wissenschaftlichen Diskurs verbinden und ein fachlich relevantes Wissen über den behandelten Text vermitteln. Eine solche Anbindung und Kontextualisierung stellt sich jedoch nicht von alleine ein. Die Hochschullehre muss hier Lernräume bieten, in denen gleichermaßen Überblickswissen vermittelt, Transfer geübt und die Relevanzfrage gestellt werden kann, die folgendermaßen formuliert werden könnte: „An welcher Stelle im schulischen Fremdsprachenunterricht kann diese oder jene Theorie oder Methode hilfreich für den Lernpozess der Schüler sein? “ An diesem Punkt beziehe ich mich auf S TEINBRÜGGE (2008), die das Verhältnis von Fachwissenschaft und Fachdidaktik als komplementär beschrieben und ein alternatives Verständnis von didaktischer Transformation entworfen hat: Sie entlarvt zunächst die „Illusion zu glauben, es gäbe eine feststehende Hierarchie zwischen Höherem und Niederem oder einen objektiven Maßstab für Kompliziertes und Elementares“ (S TEINBRÜGGE 2008: 14). Vielmehr kann dem, was als fachdisziplinär grundlegend gilt, in der Schulpraxis eine nur geringe Bedeutung zukommen, umgekehrt jedoch finden elementare Themen des Fremdsprachenunterrichts häufig kein Pendant in der romanistischen Forschung. Berufsfeldbezug des Lehramtsstudiums definiert sie als den Vorgang, „Bausteine des Wissens in schulpraktischer Perspektive neu zusammenzusetzen“ (S TEINBRÜGGE 2008: 14), der sich entlang zweier Achsen vollzieht: Die erste Achse entspricht dem ‚traditionellen‘ Verständnis didaktischer Transformation - fachwissenschaftliche Inhalte werden für schulische Kontexte ‚brauchbar‘ gemacht. Entlang der zweiten Achse entwickeln sich Fragen aus der schulischen Praxis und der Fremdsprachendidaktik an die Fachwissenschaft, die auf diese Weise Spezifizierung und Erweiterung erfährt. 5. Ausblick Häufig gehen Vorstellungen zum Literaturunterricht von der Annahme aus, erst müssten sprachliche Grundlagen vorhanden sein, dann erst - auf einer ‚höheren Stufe‘ - könnten sich Schüler mit Literatur beschäftigen. In dieser Vorstellung ergibt sich folgendes Problem; die Annahme nämlich, es seien verschiedene Sprachebenen eindeutig voneinander zu trennen und entsprechenden Vermittlungszeitpunkten zuzuordnen: Die Ebene pragmatischer Alltagskommunikation einerseits, die Ebene des ästhetisch und stilistisch markierten literarischen Textes andererseits. Störungsfreie Kommunikation - deren Reliterarisierung des schulischen Fremdsprachenunterrichts ... 309 37 (2008) Funktionieren stets unterstellt wird - soll in den ersten Lernjahren zur Bewältigung des Alltags in der Zielsprache geübt werden. Aspekte, die über manifeste Botschaften hinausgehen, auf rhetorische, symbolische oder selbstbezügliche Merkmale von Sprache verweisen, haben in diesem Ansatz kaum einen Raum. Dabei sind auch sie nicht nur in literarischen, sondern auch in Texten der Alltagskommunikation vorhanden und sollten vom ersten Lernjahr an berücksichtigt werden. In der Unterrichtspraxis ist dies bereits häufig der Fall - wenn beispielsweise jüngere Schüler comptines oder Lieder lernen, für Klangspiele und Lautmalereien sensibilisiert werden oder wenn ältere Schüler selbst Reime und komplexe Geschichten verfassen. Im Gegensatz zum generellen Leseverstehen, wie es momentan in den Bildungsstandards umrissen wird, betont N IEWELER (2007) das Surplus literarischer Texte und nennt Momente wie die Entwicklung von Wertvorstellungen, Kenntnisse über Figuren-, Raum- und Zeitdarstellungen, den Umgang mit Fiktionalität, mit Metaphern und Symbolen - also spezifisch literarisch-ästhetische Textmerkmale, die über die „Dekodierung der manifesten Botschaften“ (N IEWELER 2007: 6) hinausgehen. Solche sprachimmanenten und ästhetischen Aspekte müssen nun auch systematischen Eingang in die Bildungsstandards finden und explizit an entsprechende Kompetenzbeschreibungen aller Niveaus gekoppelt werden. Das Kompetenzmodell von B LUME (2007) bildet hier einen Ansatz, doch auch hier werden implizite Textebenen, metaphorische Felder und Stilmittel erst sehr spät (ab dem C1-Niveau) in die Textarbeit integriert. So besteht die Gefahr, genau jenes Sprachverständnis zu zementieren, das gerade durch die Auseinandersetzung mit literarischen Texten überwunden werden kann. Das Desiderat an die Fachwissenschaft lautet an dieser Stelle, die fachsystematischen Bezugspunkte des ‚spezifisch Literarischen‘ so zu formulieren, dass sie auch in den Bildungsstandards sichtbar gemacht werden können. Literatur A LTMANN , Werner / V ENCES , Ursula (1999): „Fächerübergreifende Textarbeit im Spanischunterricht am Beispiel von Las Casas y los derechos de los indios“. 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Aber Faktum ist: Bildungsstandards gibt es, und es macht keinen Sinn, diese politische Setzung und die daraus für die Unterrichtspraxis folgenden Neuorientierungen zu ignorieren. Natürlich kann man rückblickend Zweifel anmelden und fragen, ob Bildungsstandards die richtige Reaktion auf PISA waren, man kann das Konzept der Standardisierung und einzelner Beispielaufgaben in den vorliegenden Bildungsstandards kritisieren, und man kann feinsinnig Hypothesen formulieren, welche negativen Folgen möglicherweise von der Standardorientierung auf den Fremdsprachenunterricht in Zukunft ausgehen. Cui bono? Um die positive Wirkung der Bildungsstandards zu verstehen, reicht es einerseits, im Fremdsprachenunterricht regelmäßig zu hospitieren und zu erfahren, wie stark die qualitativen Schwankungen von Unterricht sind. Andererseits ist es hilfreich, über die eigene Disziplin hinauszublicken und sich zu vergegenwärtigen, in welchem Maße ein öffentliches Interesse an und eine Diskussion zu Fragen von schulischer Bildung und Unterricht durch diese Dokumente ausgelöst wurden. Das Aufzeigen der Bildungssituation in Deutschland durch einen nationalen Bildungsbericht, das Nachdenken über das Konzept von Bildung heute (vgl. Jürgen B AUMERT : „Was soll man unter Bildung verstehen? “ In: Die Deutsche Schule 1 (2008), 16-21), und die Frage nach dem Bildungsauftrag, den fachspezifischen sowie fächerübergreifenden Bildungszielen stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Einführung von Bildungsstandards. Und ist es nicht die durch die Bildungsstandards ausgelöste Debatte zum Anspruch schulischer Erziehung und Ausbildung, die maßgeblich zum ernsthaften Nachfragen zur Qualität von Schule (vgl. Peter F AUSER / Michael S CHRATZ : „Was kann man von guten Schulen lernen? “ In: Die Deutsche Schule 2 (2008),151-165), zur Bedeutung von Schulkultur, zu Überlegungen zur Lernkultur (vgl. Jngo K OLLAR / Frank F ISCHER : „Was ist eigentlich aus der neuen Lernkultur geworden? “ In: Zeitschrift für Pädagogik 1 (2008), 49-62) und zur Rolle der Aufgaben im Unterricht geführt hat? Mit der Implementierung von Bildungsstandards wurde explizit der Anspruch erhoben, zusammen mit anderen Maßnahmen die Unterrichtsqualität zu sichern und zu steigern. Andreas H ELMKE [et al.] („Qualität von Unterricht: Aktuelle Tendenzen und Herausforderungen im Hinblick auf die Evaluation und Entwicklung von Schule und Unterricht“. In: Pädagogische Rundschau 5 (2007), 527-543) zeigen aber, dass das Konstrukt „Unterrichtsqualität“ komplex ist und dass die Wirkungs- und Kompetenzorientierung nur eines von zehn Merkmalen darstellt. Damit wird deutlich, dass sich Qualität im Unterricht - positiv oder negativ - nicht mittels Standardisierung allein sondern im Zusammenspiel mit anderen Faktoren positiv oder negativ ergibt. Führen Bildungsstandards dazu, dass der Unterricht auf die Inhalte reduziert wird, die sich präzise messen lassen und somit Interkulturelles Lernen sowie die Ausbildung von Lernkompetenzen von der Lernlandkarte verschwinden? Aus den Bildungsstandards selbst lässt sich eine solche Entwicklung nicht ablesen. Aber in dem Zusammenhang ist es höchste Zeit, dass die Fachdidaktik einen konstruktiven Dialog mit der Bildungsforschung aufnimmt und die Vorgaben der Bildungsstandards zu den schwer messbaren Kompetenzbereichen konstruktiv weiter denkt, so wie dies Katharina M AAG M ERKI („Lernkompetenzen als Bildungsstandards - eine Diskussion der Umsetzungsmöglichkeiten“. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 7 (2004), 537-550) beispielhaft für Q u a l i t ä t d u r c h B i l d u n g s s t a n d a r d s ? Pro und Contra 313 37 (2008) den Bereich der Lernkompetenzen getan hat. Und es gilt, bei den Unterrichtenden einerseits eine Akzeptanz für die Bildungsstandards herzustellen und sie andererseits zu ermutigen, ihre professionelle Lehrkompetenz für einen lernerorientierten, motivierenden und lernintensiven Unterricht zu erweitern und einzusetzen. Qualität durch Bildungsstandards: Ja, aber nicht auf den ersten Blick. Freiburg E YNAR L EUPOLD Contra Contra Kritik an der Outputorientierung der Bildungsstandards: Das Überprüfen sprachlicher Fertigkeiten ist völlig legitim. Die Bildungsstandards sind jedoch problematisch, weil sie den bildungsfeindlichen Begriff der Outputorientierung in den Mittelpunkt rücken. So wird gesagt: Der Output, der prinzipiell mit Hilfe von Testverfahren erfasst werden soll, wird „zum entscheidenden Bezugspunkt für die Beurteilung des Schulsystems und zur Verbesserung und Weiterentwicklung“ (B UNDESMINISTERIUM FÜR B ILDUNG UND F ORSCHUNG : Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards. Bonn 2003, 12). Mit welcher Berechtigung wird eine solche These aufgestellt? Wie immer man Bildung definiert, sie lässt sich nicht in das Prokrustesbett des Output pressen. Für Robert S PAEMANN (Moralische Grundbegriffe. München: Beck 2004: 36 f) besteht die zentrale Aufgabe der Bildung darin, „für etwas zu interessieren“ und damit ein Wertgefühl für bestimmte Inhalte und Gegenstände bei den Lernenden zu erzeugen. Für outputorientierte Bildungsstandards sind jedoch Inhalte und Gegenstände gleichgültig. Sie richten sich nach einem Modell der Erfolgskontrolle bei Waren (daher auch die Ablehnung der Diskussion über Bildungsziele als bloße Ideologie vgl. BMBF 2003: 62). Das hat verhängnisvolle Konsequenzen, weil das sich bildende Subjekt mit seinen Wertvorstellungen und Sichtweisen ausgeklammert wird und zu befürchten ist, dass nur noch gelehrt und gelernt wird, was sich mit Tests outputorientiert erfassen lässt (teaching to the test). Was bei der Outputorientierung verloren geht, will ich an der Interaktion zwischen Text und Leser im fremdsprachlichen Literaturunterricht wenigstens andeuten. Leser müssen ihre Wertvorstellungen und Sichtweisen in die Interaktion einbringen, um den Text zu verstehen. Dabei setzen sie sie auch aufs Spiel, wenn der Text sie von anderen Wertvorstellungen und Sichtweisen überzeugen will. Bildungswirksam ist an diesem Prozess, dass sich Leser von dem Text ansprechen und herausfordern lassen und auf ihn antworten. Dazu gehört auch, dass sie sich im Unterrichtsgespräch mit den Deutungen anderer auseinander setzen und eine gemeinsame Sprache entwickeln. Bildung umfasst hier die Fähigkeit, sich in andere zu versetzen und die Welt mit deren Augen zu sehen (Empathiefähigkeit) und zu den eigenen und fremden Deutungen in Distanz zu treten und sie zu bewerten (Urteilsfähigkeit) (vgl. Lothar B REDELLA : Literarisches und interkulturelles Verstehen. Tübingen: Narr 2002; Lothar B REDELLA , Eva B URWITZ -M ELZER : Rezeptionsästhetische Literaturdidaktik mit Beispielen aus dem Fremdsprachenunterricht Englisch. Tübingen: Narr 2004). Outputorientierung verfehlt Bildung, weil sie übersieht, dass der Mensch ein Wesen ist, das sein Verhalten und das der anderen interpretiert und bewertet. Die Bildungsstandards ignorieren diese reflexive Einstellung, die Selbstbestimmung ermöglicht, und missachten das Wertgefühl für bestimmte Inhalte und Gegenstände, um die Vergleichbarkeit der outputorientierten Tests zu garantieren. Das ist für die Erfolgskontrolle von Waren angemessen. Für das Verständnis von Bildung ist es das nicht. Sie lässt sich nicht auf outputorientierte Standards reduzieren. Gießen L OTHAR B REDELLA * Das Sternchen (*) hinter einem Buch verweist auf den Rezensionsteil. Ein doppeltes Sternchen (**) deutet an, dass eine Besprechung für den Jahrgang 38 (2009) vorgesehen ist. 26 (2007) Vorschau auf Jahrgang 38 (2009) von FLuL Der von Manfred R AUPACH (Universität Kassel) koordinierte Themenschwerpunkt für Jahrgang 38 (2009) trägt den Titel „Strategien beim Fremdsprachenlernen“. Obwohl die Erforschung von Strategien im Bereich des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen noch keine nennenswert lange Tradition besitzt, häufen sich in jüngerer Zeit die Versuche, die bisher diskutierten theoretischen Ansätze und vorgelegten empirischen Studien aufzuarbeiten und auf dieser Grundlage Perspektiven für die weitere Strategieforschung zu entwickeln. Den vorläufigen Höhepunkt in diesem Bemühen stellt der von A. D. C OHEN und E. M ACARO herausgegebene Band Language Learner Strategies: Thirty Years of Research and Practice (2007) dar - 30 Jahre deshalb, weil die Anfänge der Strategieforschung gewöhnlich in den Arbeiten von J. R UBIN (1975), D. S TERN (1975) und N. N AIMAN [et al.] (1978) gesehen werden. Folgt man den Darstellungen des state of the art, in denen im Übrigen durchgängig die mangelnde Präzision des Begriffs und des Konzepts von Strategien beklagt wird, so galt das Interesse zunächst der Beschreibung von Lernstrategien des „guten Sprachenlerners“ (vgl. zuletzt noch G RIFFITHS 2008). Nach weiteren Schwerpunktsetzungen in der Folgezeit, die ihre theoretischen Grundlagen zu einem großen Teil der Kognitionspsychologie von J. R. A NDERSON verdanken, wird gegenwärtig in der Strategieforschung die Einbeziehung soziokultureller Kontexte propagiert, verbunden mit der Berücksichtigung von Lernervariablen in konkreten Unterrichtssituationen sowie mit Fragen der Vermittlung und Evaluation von Lernstrategien. Die Beiträge des geplanten Themenheftes sollen weitgehend diesen neuen Tendenzen Rechnung tragen. Bei Redaktionsschluss lagen Zusagen von folgenden Autorinnen und Autoren vor: Karin A GUADO (Universität Kassel), Lothar B REDELLA (Universität Gießen, emer.), Claudia F INKBEINER (Universität Kassel), Hermann F UNK (Universität Jena), Britta H UFEISEN (TU Darmstadt), Franz-Josef M EI ß NER , Steffi M ORKÖTTER (Universität Gießen), Günter N OLD (Universität Dortmund), Bernd R ÜSCHOFF (Universität Duisburg-Essen), Barbara S CHMENK (University of Waterloo, Ontario), Karen S CHRAMM (Universität Leipzig, Herder-Institut), Wolfgang T ÖNSHOFF (Universität Konstanz), Dieter W OLFF (Universität Wuppertal, emer.). Eingegangene Bücher * B AUSCH , Karl-Richard / B URWITZ -M ELZER , Eva / K ÖNIGS , Frank G. / K RUMM , Hans Jürgen (Hrsg.): Textkompetenzen. Arbeitspapiere der 27. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr 2007 (Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik), 212 S. B ELLAVIA , Elena: Erfahrung, Imagination und Sprache. Die Bedeutung der Metaphern der Alltagssprache für das Fremdsprachenlernen am Beispiel der deutschen Präpositionen. Tübingen: Narr 2007 (Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik), 396 S. V o r s c h a u C E i n g e g a n g e n e B ü c h e r Vorschau C Eingegangene Bücher 315 1 Da im aktuellen Jahrgang kein Raum für Besprechungen war, wurde die Rezension um der Aktualität willen in französisch heute 38.4 (2007), 389-392 veröffentlicht. 2 Die Besprechung erscheint aus Platzgründen in französisch heute 39.1-2 (2008). 36 (2007) D ETHLOFF , Uwe / W AGNER , Horst: Die französische Grammatik. Regeln - Anwendung - Training. 2. Auflage. Mit CD-ROM. Tübingen: Francke 2007 (UTB 8135 L), XXVI + 771 S. 1 E CKERTH , Johannes / S IEKMANN , Sabine (eds.): Task-Based Language Learning and Teaching. Theoretical, Methodological, and Pedagogical Perspectives. Frankfurt/ M.: Lang 2008 (Duisburger Arbeiten zur Sprach- und Kulturwissenschaft; Band 71), 313 S. (**) H OFFMANN , Sabine: Fremdsprachenlernprozesse in der Projektarbeit. Tübingen: Narr 2008 (Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik), 296 S. + LXIII Seiten Anhang (**) J AMET , Marie-Christine: À l’écoute du français. La compréhension orale dans le cadre de l’intercompréhension des langues romanes. Tübingen: Narr 2007 (Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik), 200 S. K IEREPKA , Adelheid / K LEIN , Eberhard / K RÜGER , Renate (Hrsg.): Fortschritte im frühen Fremdsprachenunterricht. Auf dem Weg zur Mehrsprachigkeit. Tübingen: Narr 2007 (Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik), 264 S. L ANGENSCHEIDT e-Handwörterbuch Französisch. Französisch - Deutsch, Deutsch - Französisch. CD-ROM Version 6.0. Berlin [usw.]: Langenscheidt 2008. (**) L ANGENSCHEIDT Großes Schulwörterbuch Deutsch-Französisch. Völlige Neubearbeitung. Herausgegeben von der Langenscheidt-Redaktion. Berlin [usw.]: Langenscheidt 2008, 1280 S. Langenscheidt Großes Schulwörterbuch Französisch-Deutsch. Völlige Neubearbeitung. Herausgegeben von der Langenscheidt-Redaktion. Berlin [usw.]: Langenscheidt 2008, 1216 S. 2 L EA , Diana [et al.] (Hrsg.): Oxford Learner’s Thesaurus. A dictionary of synonyms. Oxford: Oxford University Press 2008, XVI + 1003 Seiten (mit CD-ROM) (**). L EGUTKE , Michael K. (Hrsg.): Kommunikative Kompetenz als fremdsprachendidaktische Vision. Tübingen: Narr 2008 (Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik), 152 S. (**) L OREY , Christoph / P LEWS , John L. / R IEGER , Caroline L. (Hrsg. / eds.): Interkulturelle Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht. Intercultural Literacies and German in the Classroom. Festschrift für Manfred Prokop. Tübingen: Narr 2007 (Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik), 460 S. L ÜNING , Marita / V ENCES , Ursula (Hrsg.). Mujeres de clase en clase. Materialien zur Gender- Orientierung im Spanischunterricht. Berlin: Verlag Walter Frey 2007 (Theorie und Praxis des modernen Spanischunterrichts; Band 7), 190 S. M ENTZ , Oliver / N IX , Sebastian / P ALMEN , Paul (Hrsg.): Bilingualer Unterricht in der Zielsprache Französisch. Entwicklung und Perspektiven. Tübingen: Narr 2007 (Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik), 320 S. R OOS , Jana: Spracherwerb und Sprachproduktion. Lernziele und Ergebnisse im Englischunterricht der Grundschule. Tübingen: Narr 2007 (Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik), 206 S. (**) U ETZ , Kerstin: AusSprache bewusst machen. Angewandte Phonetik im Fremdsprachenunterricht. Zürich: SAL Eigenverlag 2007 (Schriftenreihe der Schule für Angewandte Linguistik; Band 2), 90 S.