Fremdsprachen Lehren und Lernen
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Narr Verlag Tübingen
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2016
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Gnutzmann Küster Schramm(Fortsetzung umseitig) Themenschwerpunkt: ( F r e m d - ) S pr a c h e nl e rn e n m it F il m Koordination: Gabriele B LELL und Carola S URKAMP G ABRIELE B LELL , C AROLA S URKAMP Zur Einführung in den Themenschwerpunkt ............................................................ 3 G ABRIELE B LELL , C AROLA S URKAMP (Fremd-)Sprachenlernen mit Film. Theoretische Grundlagen und praxisorientierte Anwendungen für einen kompetenz- und aufgabenorientierten Fremdsprachenunterricht am Beispiel von Jim Jarmuschs Night on Earth ...................................... 8 C ARMEN B ECKER , J ANA R OOS Der Film The Gruffalo im Englischunterricht der Grundschule - Lernszenarien gestalten und Lernpotenziale erschließen ......................................... 33 A NDREAS G RÜNEWALD , M EIKE H ETHEY Kurzfilme im fortgeschrittenen Französischunterricht der Sekundarstufe I: Möglichkeiten der Förderung kommunikativer und filmästhetischer Kompetenzen am Beispiel von La Fugue (2013) und Lettres de femmes (2013) ................ 45 J ANINA V ERNAL S CHMIDT Komplexe Lernaufgaben zur Förderung interkultureller kommunikativer Kompetenzen im Spanischunterricht der Sekundarstufe II - Ergebnisse einer empirischen Studie ................................................................................................... 64 S ONJA L EWIN „This is a continuation of what might have been“. Fan Fiction als Zugang zu Fernsehserien im Englischunterricht ......................................................................... 81 45. Jahrgang (2016) • Heft 1 Herausgeber: Claus G NUTZMANN (Braunschweig), Frank G. K ÖNIGS (Marburg), Lutz K ÜSTER (Berlin) © 2016 Narr Francke Attempto Verlag www.periodicals.narr.de/ index.php/ flul 45 (2016) • Heft 1 C AMILLA B ADSTÜBNER -K IZIK Film gestalten im L3-Unterricht? Chancen und Grenzen filmproduktiver Kompetenzaufgaben im Unterricht Deutsch als Fremdsprache ................................ 97 Ni c ht t h e m a ti s c h e r T e il L ARS S CHMELTER Entwicklungen der französischdidaktischen Forschung - Ein subjektiver Blick auf die Zeit zwischen 2005 und 2015 ....................................................................... 114 B u c h b e s pr e c h u n g e n • R e z e n s i o n s artik e l Dagmar A BENDROTH -T IMMER , Eva H ENNIG (Hrsg.): Plurilingualism and Multiliteracies. International Research on Identity Construction in Language Education. Frankfurt/ M: Lang 2014 (H ÉLÈNE M ARTINEZ ) ........................................................................................... 130 Elisabeth K OLB : Kultur im Englischunterricht. Deutschland, Frankreich und Schweden im Vergleich (1975-2011). Heidelberg: Winter 2013 (L AURENZ V OLKMANN ) ..................... 132 Nancy G RIMM , Michael M EYER , Laurenz V OLKMANN : Teaching English. Tübingen: Narr 2015 (G RIT A LTER ) ........................................................................................................ 135 Jing H UANG : Autonomy, Agency and Identity in Foreign Language Learning and Teaching. Bern: Lang 2013 (L UTZ K ÜSTER ) .......................................................................... 138 Sabine H OFFMANN , Antje S TORK (Hrsg.): Lernerorientierte Fremdsprachenforschung und -didaktik. Festschrift für Frank G. Königs zum 60. Geburtstag. Tübingen: Narr 2015 (L UTZ K ÜSTER ) ....................................................................................................................... 140 Inf orm a ti o n e n • Vo r s c h a u 144 45 (2016) • Heft 1 © 2016 Narr Francke Attempto Verlag G ABRIELE B LELL , C AROLA S URKAMP * Zur Einführung in den Themenschwerpunkt Filme sind in den meisten Bundesländern für die Fremdsprachen Englisch, Französisch und Spanisch sowie für das Fach Deutsch als Unterrichtsmedium und -gegenstand in den Kerncurricula verankert. Zahlreiche Publikationen der letzten Jahre aus den verschiedenen Fachdidaktiken sowie bildungspolitische Initiativen haben diese Entwicklung stützend mit vorangetrieben. Jedoch gibt es bisher keine einheitliche Verständigung darüber, welche Kompetenzen durch die Beschäftigung mit Filmen im Fremdsprachenunterricht ausgebildet werden können und sollten und zu häufig wird die Arbeit mit Filmen im Fremdsprachenunterricht auf die Förderung des sog. Hör-/ Sehverstehens reduziert. Vielleicht auch aus diesem Grund spielen die Fremdsprachen bei fächerübergreifenden Konzeptionen zur Entwicklung einer umfassenden Filmkompetenz (wie z.B. im Freiburger Modell von bei F UCHS et al. 2008 oder im Sphärenmodell nach S PIELMANN von 2011) bislang so gut wie keine Rolle: Eine reine Instrumentalisierung des Filmeinsatzes für die Ausbildung kommunikativer Fertigkeiten trägt nicht zur allseits geforderten Medien- und Filmbildung an deutschen Schulen bei, die aus Mangel eines eigenen Schulfaches zum Thema fächerübergreifend erfolgen muss. Dabei greifen sprachliches und filmisches Lernen, wie im Beitrag von G ABRIELE B LELL und C AROLA S URKAMP ausführlich dargelegt wird, eng ineinander. Im Rahmen der Tagung „Film in den Fächern der sprachlichen Bildung“, die im Frühjahr 2014 an der Universität Göttingen stattgefunden hat und an der auch einige der am vorliegenden Themenheft mitwirkenden Autor/ innen beteiligt waren, sind aus den Perspektiven verschiedener Sprachfächer erstmalig gemeinsam umfängliche Überlegungen zur Filmbildung in den sprachlich orientierten Fächern angestellt worden. 1 Wichtige Fragen, die diskutiert wurden, betreffen die Konturierung von Kompe- * Korrespondenzadressen: Prof. Dr. Gabriele B LELL , Leibniz Universität Hannover, Englisches Seminar, Didaktik des Englischen, Königsworther Platz 1, D-30167 H ANNOVER . E-Mail: gabriele.blell@engsem.uni-hannover.de Arbeitsbereiche: Literatur- und Kulturdidaktik, Film- und Mediendidaktik, Interkulturelles Lernen sowie Lehrerbildung. Prof. Dr. Carola S URKAMP , Georg-August-Universität Göttingen, Seminar für Englische Philologie, Fachdidaktik Englisch, Käte-Hamburger-Weg 3, D-37073 G ÖTTINGEN . E-Mail: carola.surkamp@phil.uni-goettingen.de Arbeitsbereiche: Literaturdidaktik, Leseförderung, dramapädagogische Ansätze im Fremdsprachenunterricht, Filmdidaktik, interkulturelles Lernen, Lehrerbildung. 1 Die Tagung war Teil eines größeren niedersächsisch-norddeutschen Initiativforschungsprojektes zwischen den Fachdidaktiken Deutsch (M ATTHIS K EPSER , Universität Bremen), Englisch (G ABRIELE B LELL , (Fremd-)Sprachlernen mit Film 4 Gabriele Blell, Carola Surkamp 45 (2016) • Heft 1 tenzfeldern insbesondere für den mutter- und fremdsprachlichen Filmunterricht, die Formulierung von Teilkompetenzen innerhalb dieser Kompetenzfelder, die Entwicklung eines Filmcurriculums für die Sprachfächer sowie die Konzeptualisierung von Lernaufgaben für die Sprach- und Filmbildung. Insbesondere die Entwicklung von Lernaufgaben, die beispielhaft für verschiedene Sprachfächer und Jahrgangsstufen zeigen, wie mit Filmen zur Entwicklung sprachlicher und filmischer Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht gearbeitet werden kann, haben sich als großes Desiderat erwiesen. Das Themenheft „(Fremd-)Sprachenlernen mit Film“ verfolgt insbesondere zwei Zielsetzungen, die in der bisherigen Diskussion zu filmdidaktischen Fragestellungen in den Fremdsprachendidaktiken noch nicht hinreichend berücksichtigt wurden: 1. Es soll skizziert werden, durch welche Kompetenzfelder sich eine (fremd-)sprachlich orientierte Filmbildung auszeichnet und welche (Teil-)Ziele im fremdsprachlichen Filmunterricht angestrebt werden sollten. U.a. sollen hier erste Ergebnisse aus dem oben genannten niedersächsisch-norddeutschen Forschungsprojekt präsentiert werden (vgl. B LELL / S URKAMP im vorliegenden Heft). 2. Die zugleich fachspezifische und fächerübergreifende Entwicklung von Filmkompetenz erfordert auch die Konzeption von Lernaufgaben. Kompetenzaufgaben im Kontext der Filmbildung lösen idealerweise aufgrund möglichst authentischer Lerninhalte komplexe Interaktions- und Aushandlungsprozesse aus, die - weil sie in der Fremdsprache zu bewältigen sind - gleichzeitig die fremdsprachlichen kommunikativen Kompetenzen der Lernenden schulen. Im Themenheft sollen in allen Beiträgen ausgehend von den zuvor konturierten Kompetenzfeldern beispielhaft solche Lernaufgaben für die Filmarbeit in den Fremdsprachen vorgestellt werden. Ziel ist es insgesamt, Perspektiven zur Filmbildung aus verschiedenen fremdsprachendidaktischen Fächern zusammenzuführen und sie dahingehend kritisch zu reflektieren, welche Möglichkeiten und Herausforderungen, aber auch Hürden sich mit fächerspezifischen und -übergreifenden filmdidaktischen Zielen, Aufgabenformaten sowie Lehr- und Lernformen verbinden. Zu diesem Zweck sollen im Themenschwerpunkt sowohl unterschiedliche Sprachfächer (Englisch, Französisch, Spanisch und Deutsch als Fremdsprache) und Zielgruppen (Schüler/ innen der Grundschule sowie der Sekundarstufen I und II) als auch audiovisuelle Formate und Genres (Animations-, Kurz- und Spielfilme, touristische Werbefilme sowie eine Fernsehserie) in den Blick genommen werden. Es sollen Lernarrangements und Aufgaben für den Englisch-, Französisch-, Spanisch- und Deutsch als Fremdsprache-Unterricht vorgestellt werden, die Teilbereiche der Filmkompetenz, d.h. i.w.S. fremdsprachige Handlungskompetenz, entwickeln und fördern. Universität Hannover und C AROLA S URKAMP , Universität Göttingen) und Französisch/ Spanisch (A NDREAS G RÜNEWALD , Universität Bremen). Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 5 45 (2016) • Heft 1 Im ersten Beitrag von G ABRIELE B LELL (Universität Hannover) und C AROLA S UR - KAMP (Universität Göttingen) wird zunächst die Frage erörtert, wie sprachliches und filmisches Lernen im Fremdsprachenunterricht Hand in Hand gehen können. In einem weiteren Schritt werden vier Kompetenzfelder für den fremdsprachlichen Filmunterricht konturiert: ‚Filmbezogen sprachlich handeln‘, ‚Film analysieren‘, ‚Film kontextualisieren‘ (jeweils sprach- und kulturspezifisch) und ‚Film gestalten‘ (vgl. B LELL / G RÜNEWALD / K EPSER / S URKAMP 2016b). Diese vier Bereiche werden als didaktisch relevante Handlungsfelder sowie als genuine Kompetenzbereiche der sprachlichen Filmbildung verstanden. Durch ihre Konturierung soll nicht ausschließlich der Film als Unterrichtsmedium oder -gegenstand im Mittelpunkt stehen, sondern der Fokus soll auf das gesamte kulturelle Handlungsfeld ‚Film‘ und die dafür anhand der Rezeption und Produktion von Filmen zu erwerbenden Kompetenzen gelegt werden (vgl. ebd.). In einem zweiten Teil des Beitrags werden die theoretischen Grundlagenüberlegungen in ein kompetenzorientiertes Aufgabenmodell überführt. Am Beispiel einer Lernaufgabe zu Jim J ARMUSCHS Night on Earth (1991) werden die Überlegungen dann exemplarisch für den Englischunterricht in die Praxis umgesetzt. Die weiteren versammelten Beiträge reflektieren die Diskussion, indem sie Aufgaben für konkrete Filmbeispiele entwerfen: Englisch als erste Fremdsprache im Primarbereich (Carmen B ECKER , Jana R OOS ) und in der Sekundarstufe II (Sonja L EWIN ), Französisch (als zweite Fremdsprache) in der Sekundarstufe I (Andreas G RÜNEWALD , Meike H ETHEY ), Spanisch (als zweite/ dritte) Fremdsprache in der Sekundarstufe II (Janina V ERNAL S CHMIDT ) und Deutsch als zweite Fremdsprache nach Englisch (DaFnE) an polnischen Schulen (Camilla B ADSTÜBNER -K IZIK ). C ARMEN B ECKER (TH Braunschweig) und J ANA R OOS (Universität Paderborn) zeigen anhand des Animationsfilms The Gruffalo (2010), einer Verfilmung des im Englischunterricht häufig eingesetzten Bilderbuchklassikers, wie schon in der Grundschule mit einem audiovisuellen Text gearbeitet und wie dabei neben fremdsprachlichen Kompetenzen auch erste filmbezogene Kompetenzen angebahnt werden können. Bei der Beantwortung der Frage nach der Eignung des Films für die Grundschule orientieren sie sich an einem von ihnen bereits entwickelten Kriterienkatalog (und testen ihn gleichzeitig), der neben schüler-, film- und sprachbezogenen Kriterien auch solche zur Kompetenzentwicklung enthält (B ECKER / R OOS 2016, i.V.). Im vorgestellten dreischrittigen Lernszenario werden Aufgaben entwickelt, die bereits auf dieser Lernstufe sprachliches und filmisches Lernen verbinden können. Im Beitrag von A NDREAS G RÜNEWALD und M EIKE H ETHEY (beide Universität Bremen) steht die Arbeit mit zwei aktuellen Kurzfilmen im fortgeschrittenen Französischunterricht der Sekundarstufe I im Mittelpunkt. Die Autoren argumentieren, dass sich gerade Kurzfilme zu einer kombinierten Förderung von kommunikativen und filmästhetischen Kompetenzen eignen, da diese Filme aufgrund ihrer Kürze mehrfach angeschaut werden können und ähnlich wie Kurzgeschichten in sehr verdichteter Form erzählen, so dass sich Einsatz und Wirkung filmspezifischer Mittel an ihrem Beispiel sehr eingängig beobachten lassen. Werden zudem zwei Kurzfilme sehr unterschiedlicher Machart einander gegenübergestellt - wie im vorliegenden Beitrag La Fugue 6 Gabriele Blell, Carola Surkamp 45 (2016) • Heft 1 (2013), in dem es um die Bemühungen eines jungen Sozialarbeiters um eine straffällig gewordene Jugendliche geht, und der Animationsfilm Lettres de femmes (2013) über die besondere Bedeutung von Feldpostbriefen für die französischen Soldaten im Ersten Weltkrieg -, können die cineastischen Besonderheiten jedes Films durch die Kontrastierung besonders klar herausgearbeitet werden. Der Beitrag von J ANINA V ERNAL S CHMIDT (Leuphana Universität Lüneburg) für den Spanischunterricht der Sekundarstufe II plädiert für einen kulturwissenschaftlichorientierten Filmunterricht und die Verknüpfung von Filmerleben und Filmverstehen. Am Beispiel des Films Dr. Alemán (2008) kann sie zeigen, dass durch den gezielten Einsatz von Aufgaben die Weiterentwicklung von Kompetenzen in den Bereichen ‚Film analysieren‘ und ‚Film kontextualisieren‘, hier insbesondere im Hinblick auf das interkulturelle Lernen, initiiert und gesteuert werden kann (z.B. die Bereitschaft und Fähigkeit zur Perspektivendarstellung und -übernahme im Rahmen kulturell aufgeladener Situationen). Der Beitrag gewinnt zusätzlich dadurch an Bedeutung, dass die entwickelte Filmaufgabe die unterrichtliche Arbeit mit dem Film steuert, gleichzeitig aber auch Forschungsinstrument der begleitenden Studie ist. Damit werden die angestellten theoretischen und unterrichtspraktischen Überlegungen gleichsam einer empirischen Überprüfung unterzogen. Im fortgeschrittenen fremdsprachlichen Filmunterricht (auch auf universitärer Ebene) ist der Beitrag von S ONJA L EWIN s (Göttingen) zu sehen. Die Autorin erschließt ein für den Fremdsprachenunterricht neues Genre, die fan fiction, quasi ein Subgenre der Fernsehserie, das mehr und mehr an Beliebtheit gewinnt und aufgrund seiner Anschlussfähigkeit an verschiedene kulturelle Handlungsfelder (z.B. Macht, Gender, Gewalt) ein überaus reiches Erkundungspotenzial für den ‚Fernseher‘ und Fremdsprachenlerner in der Sekundarstufe II bietet und verschiedene Kompetenzentwicklungen anregen kann; ein früherer Einsatz verbietet sich durch die große Komplexität der Texte sowie auch durch zuweilen gewalttätige Inhalte. So kann die Autorin zeigen, dass z.B. die intertextuelle Verbindung von fan fiction zum Kanontext (der Fernsehserie) lernerorientiert genutzt werden kann, um Aspekte einer Fernsehserie (z.B. rätselhafte Seriencharaktere) über sie zu erschließen. Andererseits können Lernende in fanfics wiederum auch neue Refigurierungen oder neu inszenierte Uneindeutigkeiten erkennen. Am Beispiel von Alan B ALL s Serie True Blood (2008-2014) wird skizzenartig gezeigt, wie sich die konzeptionellen Überlegungen an einer Vampirserie praktisch umsetzen lassen. Der Beitrag von C AMILLA B ADSTÜBNER -K IZIK (Universität Poznań) widmet sich einem innerhalb der Fremdsprachendidaktik bislang so gut wie nicht behandelten Thema: In einem anderen Kontext als der deutschen Schullandschaft setzt sie sich umfassend mit der Frage nach den Chancen und Grenzen filmproduktiver Kompetenzaufgaben im Unterricht Deutsch als Fremdsprache in Polen auseinander. Dabei beleuchtet sie nicht nur die filmindustriellen, bildungspolitischen, institutionellen und unterrichtspraktischen Rahmenbedingungen, derer es für das Gelingen eines kompetenzorientierten Filmunterrichts in der zweiten Fremdsprache nach Englisch bedarf, sondern zeigt auch sehr anschaulich auf, wie Filmbildung im Zusammenspiel Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 7 45 (2016) • Heft 1 zwischen muttersprachlichem Unterricht, Englischunterricht und Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht integrativ erfolgen kann. Obwohl in allen Beiträgen ganz unterschiedliche Genres, Lernstufen und didaktische Kompetenzfelder in den Blick genommen werden, ist erkennbar, dass für die Entwicklung von Lernaufgaben auch immer Überlegungen zum sprachlichen scaffolding angestellt werden (müssen). Sprachliches und filmisches Lernen sind nicht trennbar im Fremdsprachenunterricht oder anders gesagt: Das ‚filmbezogene sprachliche Handeln‘ ist eine Art Alleinstellungsmerkmal für die Filmarbeit in den Fächern der sprachlichen Bildung. Literatur B ECKER , Carmen / R OOS , Jana (2016, i.V.): „Film im Englischunterricht der Grundschule: Kompetenzentwicklung durch Lernaufgaben“. In: B LELL / G RÜNEWALD / K EPSER / S URKAMP (Hrsg.) (2016a, i.V.). B LELL , Gabriele / G RÜNEWALD , Andreas / K EPSER , Matthis / S URKAMP , Carola (Hrsg.) (2016a, i.V.): Film in den Fächern der sprachlichen Bildung. Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren (Reihe Film Bildung Schule). B LELL , Gabriele / G RÜNEWALD , Andreas / K EPSER , Matthis / S URKAMP , Carola (2016b, i.V.): „Film in den Fächern der sprachlichen Bildung: Entwurf eines sprach- und kulturübergreifenden Curriculums für Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch“. In: B LELL / G RÜNEWALD / K EPSER / S URKAMP (Hrsg.) (2016a, i.V.). F UCHS , Mechthild et al. (2008): „Freiburger Filmcurriculum: Ein Modell des Forschungsprojekts ,Integrative Filmdidaktik (Pädagogische Hochschule Freiburg)‘“. In: Der Deutschunterricht 3, 84- 90. S PIELMANN , Raphael (2011): Filmbildung! Traditionen - Modelle - Perspektiven. München: kopaed. © 2016 Narr Francke Attempto Verlag 45 (2016) • Heft 1 G ABRIELE B LELL , C AROLA S URKAMP * (Fremd-)Sprachenlernen mit Film Theoretische Grundlagen und praxisorientierte Anwendungen für einen kompetenz- und aufgabenorientierten Fremdsprachenunterricht am Beispiel von Jim Jarmuschs Night on Earth Abstract. The article discusses and enhances recent conceptualizations and trends in teaching film in the foreign language classroom in Germany. Against the backdrop of the results of the Göttingen Film Conference (2014), this contribution tries to give a detailed answer to what film literacy (Filmkompetenz) is and how sub-areas of it can be shaped. At the same time, it is assumed that a consistently taskoriented approach (competence tasks) can support the development of film literacy and, finally, the overlap between learning with films (rather language-oriented) and learning about films (rather mediaand culture-oriented). The article consists of two parts aimed at, firstly, discussing the theoretical foundations for a closely linked competenceand task-orientation approach and, secondly, developing a corresponding competence task-model that connects the two principles. Using the example of a short episodic film by Jim J ARMUSCH , Night on Earth (1991), these assumptions will be discussed conceptionally and their implementation will be outlined. 1. (Fremdsprachen)Lernen mit Film - kompetenzorientiert 1.1 Lernen mit Filmen und/ oder über Filme? Was Filme im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen leisten können, wurde in verschiedenen Publikationen in den letzten Jahren ausführlich dargelegt (vgl. z.B. B LELL / L ÜTGE 2008, L EITZKE -U NGERER 2009, H ENSELER / M ÖLLER / S URKAMP 2011). Als Potentiale des Filmeinsatzes im Fremdsprachenunterricht werden schwerpunktmäßig die Förderung des Hör-Sehverstehens und weiterer kommunikativer Kompetenzen, die Ausbildung narrativer und filmästhetischer Kompetenzen sowie die Förderung interkultureller Kompetenzen genannt. Nicht zuletzt auch durch Initiativen der * Korrespondenzadressen: Prof. Dr. Gabriele B LELL , Leibniz Universität Hannover, Englisches Seminar, Didaktik des Englischen, Königsworther Platz 1, D-30167 H ANNOVER . E-Mail: gabriele.blell@engsem.uni-hannover.de Arbeitsbereiche: Literatur- und Kulturdidaktik, Film- und Mediendidaktik, Interkulturelles Lernen sowie Lehrerbildung. Prof. Dr. Carola S URKAMP , Georg-August-Universität Göttingen, Seminar für Englische Philologie, Fachdidaktik Englisch, Käte-Hamburger-Weg 3, D-37073 G ÖTTINGEN . E-Mail: carola.surkamp@phil.uni-goettingen.de Arbeitsbereiche: Literaturdidaktik, Leseförderung, dramapädagogische Ansätze im Fremdsprachenunterricht, Filmdidaktik, interkulturelles Lernen, Lehrerbildung. (Fremd-)Sprachenlernen mit Film. Theoretische Grundlagen und praxisorientierte Anwendungen 9 45 (2016) • Heft 1 Bundeszentrale für Politische Bildung, wie den Kongress „Kino macht Schule“ im Jahre 2003 und durch die Aktivitäten von Vision Kino, u.a. die Schulkinowochen, oder auch das vom BMBF geförderte und alle 2 Jahre in Hannover stattfindende internationale Schüler- und Jugend-Filmfestival up-and-coming hat die Beschäftigung mit Filmen zudem inzwischen ihren längst überfälligen Einzug in deutsche Schulen gehalten. Dies schlägt sich, auch ausgelöst durch den Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) zur Medienbildung von 2012 1 , in den aktuellen Bildungsplänen der einzelnen Bundesländer und vielen fachbezogenen Curricula nieder. Als Ziel einer zeitgemäßen Filmbildung, die als Bestandteil einer übergreifenden Medienbildung verstanden wird, formuliert die KMK, dass „[i]n der Begegnung mit dem Medium Film, seiner Sprache und seiner Wirkung [...] die Sinneswahrnehmung geschult, die ästhetische Sensibilität gefördert, die Geschmacks- und Urteilsbildung unterstützt und die individuelle Ausdrucksfähigkeit erweitert [wird“] (KMK 2012a: 5). Für den Fremdsprachenunterricht ist jedoch ebenso wie für andere Schulfächer 2 festzustellen, dass der Filmeinsatz in den Curricula vor allem für die Förderung fachspezifischer Ziele vorgesehen ist. Der Blick in die Bildungsstandards für die erste Fremdsprache für den Mittleren Schulabschluss (vgl. KMK 2003) offenbart, dass Filme dem Hör- und dem Hör-Sehverstehen sowie als Materiallieferant für die Schulung produktiver kommunikativer Kompetenzen dienen (vgl. ebd.: 11 und 78). Subsumiert man Filmunter Medienbildung, so werden durch die Beschäftigung mit audiovisuellen Texten außerdem methodische Kompetenzen, wie die Mediennutzung oder der Medieneinsatz, bei Präsentationen angestrebt (vgl. ebd.: 8 und 18). Da die Curricula für die Fremdsprachen in den Bundesländern an die Bildungsstandards der KMK angelehnt sind, ist für den Filmeinsatz im Englisch- und Französischunterricht im Allgemeinen eine Reduzierung auf das Training von Fertigkeiten zu verzeichnen. 3 Der den Bildungsstandards eigentlich zugrunde liegende weite Kompetenzbegriff, der neben sachlich-kategorialen auch motivationale, volitionale und soziale Bereitschaften und Fähigkeiten umfasst (vgl. K LIEME et al. 2003: 65) und daher Teildimensionen von Filmkompetenz wie die filmbezogene Genussfähigkeit ermöglicht bzw. geradezu erfordert 4 , wird ebenso wenig berücksichtigt wie Aspekte einer Filmerschließungskompetenz, die über das reine Hör-Sehverstehen hinaus geht und auch Filmwissen, Medialitätsbewusstsein und filmgenrespezifische Reaktionsmuster beinhaltet. 5 Filme werden also in den institutionellen Vorgaben für den fremdsprachlichen Unterricht instrumen- 1 Vgl. http: / / www.kmk.org/ fileadmin/ veroeffentlichungen_beschluesse/ 2012/ 2012_03_08_ Medienbildung.pdf [16.11.2015]. 2 Vgl. die Lehrplanauswertung von M IDDEL (2006). 3 Vgl. auch Z YDATIß ’ (2010: 62f.) Kritik am ‚Reduktionismus‘ der Bildungsstandards. 4 Aus motivationaler Perspektive kommt der filmbezogenen Genussfähigkeit ein wichtiger Stellenwert zu. G ROEBEN (2004: 170) zufolge ist der Genuss ein entscheidender Faktor für den Zugang zur Medienrezeption. Dabei spielt auch die affektive Dimension eine wichtige Rolle, d.h. es geht auch um Genussmöglichkeiten, die durch die Identifikation mit den Filmcharakteren entstehen. 5 Zu einzelnen Dimensionen von ‚Filmkompetenz‘ aus Sicht der Fremdsprachendidaktik vgl. S URKAMP (2010). 10 Gabriele Blell, Carola Surkamp 45 (2016) • Heft 1 talisiert und nicht als Unterrichtsgegenstand, sondern in erster Linie als Unterrichtsmedium angesehen. 6 Damit bleiben die Kerncurricula weit hinter dem zurück, was innerhalb der Fremdsprachendidaktik für die Beschäftigung mit Filmen seit Jahren diskutiert wird. Im Hinblick auf die aktuell verstärkt geforderte schulische Medienbildung ist dies insofern problematisch, als es an deutschen Schulen in der Regel kein eigenes Fach ‚Medienkunde‘ gibt und Medien- und damit auch Filmbildung folglich im Zusammenschluss der Fächer, d.h. fächerübergreifend bzw. integrativ erfolgen muss. Da alle Fächer einen Beitrag zur Förderung von Medien- und Filmkompetenz leisten müssen, darf auch der Fremdsprachenunterricht für diesen Bereich seine Kompetenzorientierung nicht zu eng geführt auf das rein fremdsprachliche Lernen ausrichten - zumal die sprachlich orientierten Fächer einer großen Umfrage zufolge diejenigen Fächer sind, die am meisten mit Filmen in ihrem Unterricht arbeiten, allen voran Englisch, gefolgt von Deutsch, Französisch und Spanisch (vgl. K EPSER 2008). Zudem erschöpft sich, wie wir im Folgenden noch zeigen werden, sprachliches Lernen mit Filmen keinesfalls im Hör-Sehverstehen: Sprachliches Lernen geht mit filmischem Lernen Hand in Hand. In den neueren Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für die allgemeine Hochschulreife (KMK 2012b) wird den Forderungen nach mehr Medienbildung an deutschen Schulen dadurch Rechnung getragen, dass für einen erweiterten Umgang mit Texten und Medien in der gymnasialen Oberstufe ein eigener Bereich ‚Text- und Medienkompetenz‘ ausgewiesen wird. Es wird die Entwicklung sowohl von rezeptiven als auch von produktiven Kompetenzen bei der Beschäftigung mit mündlich, schriftlich und anderweitig medial verfassten Texten gefordert. Dafür ist auch hier explizit „vernetzendes Lernen“ vorgesehen, wobei ‚Filmkompetenz‘ nicht als eigenständige Kompetenz genannt wird: Als komplexe, integrative Kompetenz geht die Text- und Medienkompetenz über die in den zugrunde liegenden funktionalen kommunikativen Kompetenzen definierten Anforderungen hinaus (insbesondere im Vergleich zum Lese- und Hör-/ Hörsehverstehen). Dies entspricht dem zentralen Stellenwert von Texten und Medien für alle Zielsetzungen des gymnasialen Oberstufenunterrichts. Die Schülerinnen und Schüler greifen im Sinne des vernetzenden Lernens [Hervorheb. G.B./ C.S.] auf Wissen zurück, das sie in schulischen Lernangeboten und außerhalb der Schule erworben haben, und entwickeln es weiter. (ebd.: 20) Wie ein solches vernetzendes Lernen im Kontext Filmbildung innerhalb der Schule genau aussehen kann, ist jedoch eine größtenteils noch offene Frage. Im deutschsprachigen Raum sind bislang vor allem zwei Modelle zur Förderung einer fachübergreifenden Filmkompetenz diskutiert worden: das Modell einer „Integrativen Filmdidaktik“ der PH Freiburg (vgl. F UCHS et al. 2008) und das kompetenzorientierte Konzept „Filmbildung“ der Länderkonferenz MedienBildung (2009, überar- 6 Vgl. auch M IDDEL (2006: 1), der bei seiner Lehrplanauswertung herausgefunden hat, dass Medien in Bildungsplänen „traditionellerweise unter ‚Medieneinsatz‘ vor[kommen]“ und „vorwiegend als methodischdidaktisch geeignete Hilfsmittel zur Erschließung resp. Vermittlung kanonisierter Lerninhalte [erscheinen]“. Vgl. auch A NDERS (2010: 58), die Ähnliches für den Filmeinsatz im Unterricht in den USA feststellt. (Fremd-)Sprachenlernen mit Film. Theoretische Grundlagen und praxisorientierte Anwendungen 11 45 (2016) • Heft 1 beitete Fassung 2015) 7 . Im Freiburger Filmcurriculum werden drei Fachdidaktiken - Deutsch, Kunst und Musik - aufeinander abgestimmt, um ein auf die drei Ebenen Bild, Text und Ton bezogenes, alle Jahrgangsstufen umfassendes Kompetenzmodell für die Filmbildung zu entwerfen. Aus Sicht der sprachlich orientierten Didaktiken gibt es jedoch Kritik an dem Modell 8 Zum einen ist die Zerlegung des Films in die Elemente ‚Bild‘, ‚Text‘ und ‚Ton‘ vor dem Hintergrund eines multimodalen Textbegriffs schwer nachvollziehbar. Dies ist ein wichtiger Kritikpunkt auch im Hinblick auf den Fremdsprachenunterricht, da die Zerlegung Konsequenzen für konkrete Untersuchungsaspekte und Aufgaben hat, wie auch K EPSER (2010b: 15) herausstellt: „So fällt alles, was mit der Bildebene des Films zu tun hat, vorwiegend in den Kompetenzbereich des Faches ‚Kunst‘, obwohl der filmbezogene Deutschunterricht [und auch der fremdsprachliche Filmunterricht; Anm.. G.B./ C.S.] die Sprache der Bilder in mindestens gleichem Umfang berücksichtigen muss“. Viele handlungs- und produktionsorientierte Tätigkeiten werden zudem dem Kunst- und Musikunterricht, nicht aber dem Deutsch- und schon gar nicht dem Fremdsprachenunterricht zugeschrieben (der in dem Modell gar keine Rolle spielt! ), obwohl sie da - ggf. mit anderer Zielsetzung - ebenfalls sinnvoll eingesetzt werden und auch eingesetzt werden sollten. Das Filmkonzept der Länderkonferenz MedienBildung beinhaltet kein Curriculum, sondern formuliert handlungsorientierte Kompetenzerwartungen für verschiedene Klassenstufen. Das Konzept berücksichtigt die Bereiche ,Filmanalyse‘, ,Filmnutzung‘, ,Filmproduktion und Präsentation‘ sowie ,Film in der Mediengesellschaft‘. Die Kompetenzformulierungen sollen anschlussfähig und integrierbar in fachbezogene Lehrpläne und Didaktiken verschiedener Fächer sein. Aus fremdsprachendidaktischer Sicht besteht jedoch das Problem, dass die spezifischen Anforderungen und Zielsetzungen des Fremdsprachenunterrichts beim Filmeinsatz - wie z.B. das fremdsprachliche Hör- Sehverstehen, das interkulturelle Lernen und die produktionsorientierte Dimension in der Fremdsprache - in diesem Modell nicht bedacht werden. 9 7 Zu finden unter http: / / www.laenderkonferenz-medienbildung.de/ Filmbildung_2015.pdf [16.11.2015]. Die Länderkonferenz MedienBildung ist ein freiwilliger Zusammenschluss der Leiterinnen und Leiter der Landesmedienzentren und der entsprechenden Medienabteilungen in den pädagogischen Landesinstituten mit dem Ziel der Vernetzung und des Austauschs über medienpädagogische Fragestellungen. 8 Vgl. hierzu und zum Folgenden K EPSER (2010a) und S URKAMP (2012) sowie B LELL / G RÜNEWALD / K EPSER / S URKAMP (i.V. b). 9 Dies gilt auch für die in Anlehnung an das Konzept der Länderkonferenz MedienBildung entstandenen Filmbildungscurricula des Landesmedienzentrums Baden-Württemberg (https: / / www.lmz-bw.de/ filmbil dung scurriculum.html), die zwar auch Englisch als Fach zur Förderung bestimmter Teildimensionen von Filmbildung aufführen (nicht hingegen Französisch und Spanisch), aber die Bereiche des Hör-Sehverstehens oder des interkulturellen Lernens beim Filmeinsatz ebenso wenig berücksichtigen. Da sind Initiativen zur Entwicklung eines fächerübergreifenden Filmcurriculums in anderen Ländern teilweise weiter. Vgl. z.B. den u.a. vom British Film Institute herausgegebenen Leitfaden „Moving Images in the Classroom: A Secondary Teachers’ Guide to Using Film and Television“ (http: / / www.bfi.org.uk/ sites/ bfi.org.uk/ files/ downloads/ bfieducation-moving-images-in-the-classroom-2013-03.pdf [16.11.2015]), der Überlegungen zum Filmeinsatz in unterschiedlichen Fächern anstellt, dabei auch die modernen Fremdsprachen berücksichtigt und mit dem Ziel des „becoming cineliterate“ progressiv aufgebaut ist. Vgl. auch das schottische Pilotprojekt „Moving Image Education and A Curriculum for Excellence“ (http: / / www.scottishscreen.com/ images/ documents/ MIE_ACfE_for_ScottishScreen_email.pdf [16.11.2015]). In Frankreich gibt es an einigen weiterführenden 12 Gabriele Blell, Carola Surkamp 45 (2016) • Heft 1 Die Vernachlässigung der sprachlich orientierten Fächer, insbesondere der Fremdsprachen, in Überlegungen zur fächerübergreifenden Filmbildung ist aus mindestens zwei Gründen nicht nachvollziehbar. Zum einen setzen, wie oben bereits dargelegt wurde, neben Deutsch gerade die fremdsprachlichen Fächer Filme in ihrem Unterricht ein (Filme gehören sogar zu den verbindlichen Materialien für die schriftliche Abiturprüfung). 10 Zum anderen verfolgen die sprachlich orientierten Fächer ähnlichere Ziele als die Fächer im Verbund Deutsch, Musik und Kunst, so dass eine fächerübergreifende Einigung auf Zielsetzungen im Kontext Filmbildung für Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch sehr viel näher zu liegen scheint. Dies bedeutet keinesfalls, dass andere Fächer wie z.B. auch Geschichte, Politik, Erdkunde, Religion oder Ethik bei Überlegungen zu einer fächerübergreifenden Filmbildung außen vor bleiben sollten, sondern eher, dass insbesondere die Fremdsprachen dabei endlich stärker berücksichtigt werden sollten. Vor diesem Hintergrund haben wir 11 uns im Rahmen einer Forschungskooperation der Universitäten Bremen, Göttingen und Hannover daher zum Ziel gesetzt, Kompetenzfelder für die Filmbildung zu beschreiben, die besonders für die sprachlich orientierten Fächer relevant sind und die es über die Entwicklung eines Filmcurriculums für die Fremdsprachen auf lange Sicht erlauben sollen, schulische Filmbildung sprachen- und kulturenübergreifend integrativ erfolgen zu lassen. Zwei Blickrichtungen sind dabei für uns maßgeblich: Was bedeutet Filmkompetenz vom Gegenstand ‚Film‘ und einem weiten Kompetenzbegriff ausgehend, d.h., welches Wissen, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten und welche Bereitschaften in Bezug auf ‚Film‘ sollen Lernende am Ende ihrer Schulzeit erlangt haben? Und wie kann der Einsatz von Filmen dem Fremdsprachenlernen und den weiteren Zielen des Fremdsprachenunterrichts dienen, so dass dabei zugleich auch die Entwicklung von Filmkompetenz erfolgt? Mit diesem doppelten Blick - der Kombination des (fremdsprachlichen) Lernens mit Filmen mit dem Lernen über Filme - soll der vielfach geäußerten Forderung Rechnung getragen werden, „‚Schnittstellen‘ zwischen fachdidaktischen Zielsetzungen und den Anforderungen der Medienbildung aufzufinden und zum Ausgangspunkt unterrichtlichen Handelns zu machen“ 12 . Schulen sogar spezielle Oberstufenkurse zum Thema „cinéma audiovisuel“ (http: / / www. cinemadfilms.com/ pages/ etablissements/ liste-des-lycees-option-cinema-audiovisuel.html), die allerdings eher als Vorbereitung für ein späteres Studium an einer Filmhochschule denn als Beitrag zu einer allgemeinen Filmbildung gedacht sind. 10 In Niedersachsen z.B. sind für die Abiturprüfung im Fach Englisch folgende Filme „kompetenzorientiert“ zu bearbeiten: in Vorb. und 2017 - Billy Elliot, 2018 - East is East; für Französisch sind es für 2017: No et Moi und für 2018: Elle s’appelait Sarah (vgl. http: / / www.nibis.de/ nibis.php? menid=8091 [16.11. 2015]). 11 Wir, das sind neben den Autorinnen dieses Beitrags Prof. Dr. Andreas G RÜNEWALD (Didaktik der romanischen Sprachen) und Prof. Dr. Matthis K EPSER (Didaktik des Deutschen/ Neue Medien im Deutschunterricht) von der Universität Bremen. 12 So Detlef E NDEWARD (2007), Leiter des Arbeitsbereichs Medienbildung im Niedersächsischen Landesinstitut für schulische Qualitätssicherung (http: / / www.nibis.de/ nli1/ chaplin/ portal%20neu/ medien_und_ schule/ bildungsstandards/ standards_und_medienbildung_start.htm [16.11.2015]). (Fremd-)Sprachenlernen mit Film. Theoretische Grundlagen und praxisorientierte Anwendungen 13 45 (2016) • Heft 1 1.2 Kompetenzfelder für eine sprachenübergreifende Filmbildung Über bereits existierende einzelne Unterrichtsvorschläge für ein fächerübergreifendes Vorgehen bei der Beschäftigung mit einem einzelnen Film hinaus 13 soll im Folgenden gezeigt werden, welche Themenbereiche, Untersuchungsaspekte und Methoden der Filmarbeit im fremdsprachlichen Unterricht generell zum Einsatz kommen sollten, damit der Englisch-, Französisch- und Spanischunterricht auch zur Ausbildung von Filmkompetenz beitragen kann. Ausgangspunkt unserer Überlegungen ist in Anlehnung an das Konzept der Länderkonferenz MedienBildung ,Film‘ als kulturelles Handlungsfeld. D.h., bei der Konturierung von Kompetenzfeldern für die Filmarbeit im Fremdsprachenunterricht betrachten wir ‚Film‘ nicht allein oder primär als Unterrichtsgegenstand, sondern als Handlungsfeld, in dem Filmschaffende (Drehbuchautor/ innen, Regisseur/ innen, Kameraleute, Cutter/ innen etc.) und Filmrezipierende (Publikum, Journalist/ innen, Wissenschaftler/ innen) in verschiedener Form tätig sind (vgl. B LELL / G RÜNEWALD / K EPSER / S URKAMP i.V. b). Eine solche Betrachtung entspricht durch ihre lebensweltliche Fokussierung nicht nur einem modernen und schülerorientierten Fremdsprachenunterricht. Darüber hinaus ermöglicht sie eine enge Verknüpfung von sprachlichem, kulturellem und filmischem Lernen: In der Lebenswelt ist nämlich die Beschäftigung mit Filmen vielfach vor allem sprachlich geprägt, angefangen von den Planungen im Vorfeld einer Filmproduktion (z.B. Anlegen von Rollenbiografien zur Generierung von Filmideen oder die Formulierung einer Filmidee in Form einer Synopse) über die Produktion an sich (u.a. Einüben von Szenen unter Berücksichtigung der Aussprache und des Einsatzes nonverbaler Kommunikationsmittel) bis hin zur post-production (sprachliche Bearbeitung des Filmmaterials, z.B. Einfügen eines Off- Kommentars in einen kurzen Dokumentarfilm oder Untertitelung für eine andere Zielsprache), der Vermarktung eines Films (über ein Filmplakat oder die Ankündigung in einer Fernsehzeitschrift) und der Filmkritik. Der Fremdsprachenunterricht sollte sich dies zunutze machen und als Outcome-Produkte des Filmunterrichts entsprechend lebensweltlich relevante Genres berücksichtigen, also in Kommunikationsakten im kulturellen Handlungsfeld ‚Film‘ denken. Dies ist nicht zuletzt deshalb wichtig, um Lernende zur fremdsprachlichen Diskursfähigkeit, d.h. in diesem Fall zur Teilhabe am öffentlichen Diskurs über Filme, zu befähigen. 14 Auf diese Weise werden z.B. mit Blick auf das Schreiben einer Filmkritik, Filmanalyse und -interpretation im Klassenzimmer nicht primär als didaktisch motivierte Äußerungen verstanden, sondern als (auch in der Lebenswelt) notwendige Voraussetzung für das Verfassen einer fundierten Rezension. Dazu gehört auch, fremdsprachige Filme in ihren jeweiligen kultur- und zeitspezifischen Produktions- und auch Rezeptionskontexten verstehen zu lernen. Ein Filmtext kann nur dann über die eigene Rezeptionsperspektive hinaus erschlossen und 13 Solche Arbeiten liegen z.B. von M ÜLLER / S CHMEDEMANN (2001), M ÜLLER (2009), S URKAMP (2012) und B LELL (2015) vor. 14 Zum Kompetenzziel einer fremdsprachlichen Diskursfähigkeit im Filmunterricht vgl. auch H ALLET (i.V.). 14 Gabriele Blell, Carola Surkamp 45 (2016) • Heft 1 als kultureller Ausdrucksträger gedeutet werden, wenn man seine kontextuellen Bezüge berücksichtigt. Was bedeutet Filmbildung also insbesondere für die sprachlich orientierten Fächer, und welche Kompetenzfelder können hier auch im Sinne einer allgemeinen Filmkompetenzentwicklung bestimmt werden? Um an die bestehenden Kompetenzbereiche für die sprachlich orientierten Fächer anzuknüpfen und auch einen medienpädagogischen und -didaktischen Fokus zu berücksichtigen, wurde im Forschungsprojekt von B LELL / G RÜNEWALD / K EPSER / S URKAMP der Kompetenzbereich ‚Film erleben, Film nutzen, Film verstehen‘ konturiert. Damit soll sowohl der affektiven als auch der pragmatischen und der kognitiven Seite des Lernens mit Filmen und über Filme Rechnung getragen werden. Filmbildung sollte nicht in erster Linie darin bestehen, audiovisuelle Texte analytisch in ihre einzelnen Elemente zu zerlegen. Sicherlich ist die Analyse von Filmen ein wichtiger Teil von Filmbildung, aber niemals als Selbstzweck, sondern immer - wie eben am Beispiel der Filmkritik als Ziel bzw. Endprodukt dargelegt - funktional ausgerichtet. Analytische Kompetenzen, und dazu gehören auch Kenntnisse über verschiedene Filmgenres, sind zudem für das Verstehen der Wirkungsmechanismen von Filmen wichtig: Ebenso wie das Aufspüren von intertextuellen und -medialen Bezügen machen sie das filmische Erleben erklärbar. Das Filmerleben und das Filmverstehen sind daher eng miteinander verknüpft. Filme interessieren (insbesondere) junge Menschen allerdings in der Regel zuallererst aufgrund ihrer Geschichte und der darin handelnden Figuren, die uns ansprechen oder abstoßen, mit denen wir fühlen und die uns über uns selbst nachdenken lassen. Das persönlichkeitsbildende Potential von Filmen ist nicht nur aus medienpädagogischer Perspektive zentral, sondern auch im Hinblick auf die auszubildenden Kompetenzen der sprachlich orientierten Fächer: Über Filme möchten wir uns austauschen, uns eine Meinung bilden, Bedeutungen und Sinnangebote aushandeln. All dies ist zielführend für einen kommunikativ ausgerichteten Fremdsprachenunterricht, und eine solche Betrachtung läuft auch nicht Gefahr, Filme für den Fremdsprachenunterricht zu instrumentalisieren: Die Fähigkeit der Lernenden zur Anschlusskommunikation ist nämlich ebenfalls eine wichtige Teilkompetenz von Filmkompetenz (vgl. G ROEBEN 2004: 178). Über Anschlusskommunikationen spüren Lernende Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen der medialen Wirklichkeit und ihrer eigenen Lebenswelt nach und setzen sich mit anderen Weltsichten auseinander, was im Fall von fremdsprachigen Filmen auch dem interkulturellen Lernen dient. Der enge Zusammenhang zwischen Filmerleben und Filmverstehen wird des Weiteren deutlich, wenn man sich die rezeptionsästhetische Einsicht vor Augen führt, dass wir Texten (also auch audiovisuellen) nicht einfach ihre Geschichte entnehmen, sondern als Rezipient/ innen aktiv an deren Konstruktion beteiligt sind (vgl. M IKOS 1996: 57). Dies geschieht auch dadurch, dass wir im Filmerleben unsere eigenen Erfahrungen und Auffassungen sowie unser Weltwissen und unsere Gefühle einbringen und auf diese Weise Bedeutungszuschreibungen vornehmen (vgl. auch S URKAMP 2009). Die aktive Mitarbeit des Zuschauers bzw. der Zuschauerin bei der Filmrezeption wird in den sprachlich orientierten Fächern vielfach durch schülerorientierte, kreative Verfah- (Fremd-)Sprachenlernen mit Film. Theoretische Grundlagen und praxisorientierte Anwendungen 15 45 (2016) • Heft 1 ren unterstützt. Die Lernenden werden zur handelnden Auseinandersetzung mit Filmen angeregt, indem sie ihre individuellen Seh- und Höreindrücke z.B. durch bildliche, musikalische oder szenische Umsetzungen zum Ausdruck bringen. Durch filmproduktionsorientierte Verfahren lernen sie zugleich etwas über das Medium ‚Film‘ selbst: Sie erfahren, wie Filme entstehen, und sie lernen, dass mit filmspezifischen Strategien bestimmte Wirkungseffekte erzielt werden können. Aus diesen Überlegungen ergeben sich für den Kompetenzbereich ‚Film erleben, Film nutzen, Film verstehen‘ vier Kompetenzfelder: ‚Filmbezogen sprachlich handeln‘, ‚Film analysieren‘, ‚Film kontextualisieren‘ und ‚Film gestalten‘. Diese vier Felder sind aus unserer Sicht didaktisch relevante Handlungsfelder für die Filmarbeit in allen Fächern sprachlicher Bildung. Sie verdeutlichen auch anhand ihrer verschiedenen Teilkompetenzbereiche (s. Abb. 1), dass ‚Film‘ nicht als Unterrichtsmedium, sondern als kulturell und sprachlich bedeutsamer Handlungsraum im Mittelpunkt steht, mit all den dafür anhand der Rezeption und Produktion von Filmen zu erwerbenden Kompetenzen. Einige Kompetenzfelder ähneln zudem den Kompetenzen, die für die Beschäftigung mit Filmen auch in anderen integrativen Modellen der Filmbildung (s.o.) konstitutiv sind. Das Kompetenzfeld ‚Filmbezogen sprachlich handeln‘ ist hingegen ein Alleinstellungsmerkmal des von uns entwickelten Modells 15 ( Abb. 1, S. 16) und stützt wesentlich unsere Initiative, modellhaft fächerübergreifende Kompetenzfelder für die Filmbildung in den sprachlichen Fächern zu beschreiben. 15 In B LELL / G RÜNEWALD / K EPSER / S URKAMP (i.V. b) werden diese vier Kompetenzfelder weiter ausdifferenziert, indem die in ihnen zu entwickelnden Teilkompetenzen benannt und Kompetenzerwartungen für den Abschluss der Sekundarstufe II formuliert werden. Diese maximalen Kompetenzerwartungen sind so zu verstehen, dass zu ihrem Erreichen alle sprachlich orientierten Fächer über die Sekundarstufe I und II hinweg gemeinsam beitragen sollen. 16 Gabriele Blell, Carola Surkamp 45 (2016) • Heft 1 Abb. 1: Kompetenzfelder in den Fächern sprachlicher Bildung (B LELL / G RÜNEWALD / K EPSER / S URKAMP (i.V. b) Um Kompetenzentwicklungen im Bereich filmischen Lernens auf verschiedenen Niveaustufen auszulösen und damit Outcome-Orientierung anzubahnen, benötigt ein kompetenzorientierter Filmunterricht Lernaufgaben als Steuerinstrumente. Im Folgenden soll nun zunächst aus theoretischer Perspektive beleuchtet werden, dass und wie ein aufgabenorientierter fremdsprachlicher Filmunterricht die Förderung der sich aus den vorgestellten verschiedenen Teildimensionen zusammensetzenden Filmkompetenz ermöglicht. Exemplarisch veranschaulicht wird dies sodann anhand einer Lernaufgabe zu einem konkreten Filmbeispiel - Jim J ARMUSCHS Night on Earth. 2. (Fremd)Sprachenlernen mit Film und Lernen über Film - aufgabenorientiert 2.1 Lernaufgaben für filmisches Lernen Wie eingangs dargelegt, ist in den Filmdidaktiken der einzelnen Sprachfächer, insbesondere für die Fächer Deutsch und Englisch, seit den 1990er Jahren umfänglich beschrieben worden, welche Lernziele mit dem Einsatz von Filmen verfolgt und wel- (Fremd-)Sprachenlernen mit Film. Theoretische Grundlagen und praxisorientierte Anwendungen 17 45 (2016) • Heft 1 che Kompetenzen ausgebildet werden können, welche Genres und Formate sich anbieten und welche Methoden der Filmarbeit sinnvoll sind (vgl. auch Abschnitt 1). Vielfach jedoch, und auch die im Rahmen unseres interdisziplinären Forschungsprojekts durchgeführte Filmtagung hat das gezeigt, wird im Hinblick auf den Filmunterricht bislang noch zu selten aufgabenorientiert gedacht. In der Mehrzahl beschränken sich Vorschläge zur Filmarbeit auf die Entwicklung einzelner Fertigkeiten, wie z.B. des Hör- Sehverstehens, oder auf traditionelle Kulturtechniken ausgerichtete skills. Aktivitäten wie das bloße Nacherzählen von Inhalt, das Beschreiben von Körpersprache auf der Basis von film stills oder auch Multiple Choice-Aufgaben, wie sie z.B. in English G Access 3 zu finden sind, genügen den Zielen der Filmbildung im Rahmen eines kompetenzorientierten Fremdsprachenunterrichts jedoch nicht. 16 Es fehlen Aufgabenformate, die eine umfassende Förderung sprachlich-kommunikativer und filmischer Kompetenzen vorsehen und Lernprozesse auf möglichst vielen Ebenen anregen, d.h. emotional, kognitiv, reflexiv, (inter-)kulturell, produktiv und natürlich (fremd-)sprachlichdiskursiv. Filmerleben und Filmverstehen sollten dabei gleichermaßen Berücksichtigung finden. Das bedeutet, dass Lernenden sehr unterschiedliche Zugänge zum Film ermöglicht werden müssen, was wiederum heißt, filmanalytische Methoden (rezeptiv) sinnvoll mit handlungs- und produktionsorientierten Methoden zu kombinieren (produktiv), um Filmkompetenz sukzessive zu entwickeln. Wie lässt sich das Zusammengehen von Filmbildung und Kompetenzaufgaben begründen? Filmbildung fachspezifisch und fächerübergreifend zugleich zu entwickeln, erfordert die Konzeption von komplexen Lernaufgaben, die Lernprozesse sowohl anregen als auch output-orientiert steuern. An dieser Stelle treffen sich zwei Linien der fremdsprachendidaktischen Entwicklung der letzten beiden Jahrzehnte: Die Handlungs- und Aufgabenorientierung (task based language learning) einerseits und die standardorientierte und integrierte Förderung verschiedener Kompetenzen andererseits. Jedoch geht, wie oben schon dargelegt, mit der Einführung der Kompetenzorientierung auch das Problem einher, dass die Kompetenzentwicklung gerade nicht integriert erfolgt, sondern eher isoliert gedacht wird, und dass Kompetenzen auf einfaches Können und testbare kommunikative Fertigkeiten (skills) reduziert werden. Filmkompetenzen (wie auch andere Kompetenzen) sind jedoch - wie im ersten Teil gezeigt - stets komplex und mehrdimensional und erfordern insofern Lernaufgaben und -arrangements, die es Schüler/ innen ermöglichen, in der Fremdsprache an verschiedenen gesellschaftlichen Diskursen, also in unserem Fall am Diskurs über Film, zu partizipieren. Kompetenzaufgaben lösen aufgrund möglichst authentischer Lerninhalte und aufgrund ihrer Komplexität idealerweise diese mehrdimensionalen Interaktions- und Aushandlungsprozesse aus, steuern sie und fördern gleichzeitig „die Fähigkeit der diskursiven und interaktionalen Partizipation“ (H ALLET i.V.) (vgl. auch H ENSELER / M ÖLLER / S URKAMP 2011: 122). D.h., aufgrund der Authentizität von Lerninhalten und Aufgaben bleiben Schüleräußerungen nicht nur (quasi) thesenhaft, sondern werden zu sprachlich- 16 Vgl. Jörg R ADEMACHER , English G Access 3 (2015: 59 oder 73); jedoch gibt es dort auch erste Ansätze für komplexere Aufgaben (z.B. ebd.: 87). 18 Gabriele Blell, Carola Surkamp 45 (2016) • Heft 1 diskursiven Handlungen, die soziale Wirklichkeit konstruieren und damit auch Schüler/ innen auf die Bewältigung von Alltagssituationen vorbereiten. Aufgaben- und Lernszenarien sind als Modellierungen realer Problemstellungen direkt mit den diskursiven verbalen (und medialen) sowie kulturellen Diskursen verknüpft. Weil sie in der Fremdsprache zu bewältigen sind, schulen sie primär auch die fremdsprachlichen kommunikativen Kompetenzen der Lerner/ innen. 2.2 Lernaufgaben: Begründungszusammenhänge und Planungsprozesse Um Lernaufgaben für die Arbeit mit Filmen zu entwickeln, soll im Folgenden dargelegt werden, wie Lernaufgaben am besten konzipiert werden können. • Unseren oben gemachten Ausführungen folgend, halten wir es für zweckmäßig, uns bei der Entwicklung von filmischen Lernaufgaben generell an den Überlegungen zum Konzept der (komplexen) Kompetenzaufgabe zu orientieren (H ALLET / K RÄMER 2012: 8-19) sowie an früheren Darlegungen zur Diskursfähigkeit (H ALLET 2008) und zu task-Konzepten (E LLIS 2003, auch M ÜLLER -H ART - MANN / S CHOCKER VON D ITFURTH 2011). Gleichzeitig gehen wir davon aus, dass nicht jede Lernaufgabe zur Filmarbeit immer als komplexe und damit ‚große‘ Lernaufgabe konzipiert sein muss. Zur Entwicklung von filmischen Lernaufgaben gehört, dass diese an eine außerunterrichtliche Realität geknüpft sein sollten, was genuin den Einsatz authentischer Materialien (z.B. inhaltlich geeignete Spielfilme, Animationsfilme oder Dokumentarfilme in der Fremdsprache und/ oder mit Untertiteln) und lebensweltnaher Kommunikationszugänge nach sich zieht. Inhaltsorientierung und Problemlösung sind dafür konstitutiv, genauso wie die Benennung eines (schriftlichen) Produkts (z.B. das Verfassen einer Filmkritik oder die Planung und Durchführung von (kleinen) Filmproduktionen mit individuellen Lösungsmöglichkeiten. • Es muss weiterhin überlegt werden, welche (Teil-)Kompetenzbereiche durch welche filmischen Lernaufgaben überhaupt entwickelt werden können. 17 Im ersten Teil unseres Beitrags wurde erläutert, dass wir von vier genuinen Kompetenzfeldern ausgehen, die das gesamte kulturelle Handlungsfeld der sprachlichen Filmbildung umfassen und in weitere Teilkompetenzbereiche ausdifferenziert werden können. D.h. wiederum, eine kompetenzentwickelnde Lernaufgabe i.S. einer kontextualisierten und authentischen Aufgabe, sollte gegenstandsbezogen in operable Teile (Teilkompetenzaufgaben) zerlegt werden, die sich entweder auf nur ein relevantes Handlungsfeld, auf das Zusammenspiel von zwei Bereichen oder auch auf die Synthetisierung aller vier Handlungsfelder bzw. von Teilkompetenzbereichen aus verschiedenen Kompetenzfeldern beziehen. 18 17 Sowohl in den Bildungsstandards der KMK für die Fremdsprachen für die Sekundarstufe I (KMK 2003) als auch für das Abitur (KMK 2012b) findet man dafür kaum medienspezifische Anschlussmöglichkeiten. 18 H ALLET (i.V.) schlägt einen ähnlichen aufgabenorientierten Bezug vor, basierend auf einem Modell der multimodalen Konstitution der filmischen Welt (semiotische Modi). (Fremd-)Sprachenlernen mit Film. Theoretische Grundlagen und praxisorientierte Anwendungen 19 45 (2016) • Heft 1 • Die Bearbeitung von kompetenzorientierten Aufgaben mit Film schließt für alle Sprachfächer generell spezifisch gegenstandsbezogene Spracharbeit ein (focus on form). Im Sinne einer teaching intervention kann es so punktuell hilfreich/ notwendig sein, Filmbilder oder Dialoge gemeinsam oder durch scaffolding zu entschlüsseln. Gleichzeitig wird es jedoch darum gehen müssen, den Sprachgebrauch in der spezifischen kulturellen Konnotation - und gleichzeitig bildgestützt - deuten und verstehen zu können (focus on meaning) (vgl. L ONG 1991). • Kulturelles und sprachliches Handeln sollten in Aufgabenlösungsszenarien möglichst zusammengedacht werden, um Schüler/ innen zu befähigen, kompetent kulturell zu handeln. Lotta K ÖNIG s (i.V.) kulturwissenschaftliche Perspektive auf Filmbildung ist diesbezüglich zusätzlich hilfreich. Sie geht von einem weiten und mehrdimensionalen Kulturbegriff aus: Ein textuelles Kulturverständnis (B ACH - MANN -M EDICK 2004) ermöglicht das Erkennen kultureller Bedeutungskonstruktionen im Film (z.B. das Erkennen und Benennen von Metaphern wie ein Bündel Geldnoten für Reichtum); ein performatives Kulturverständnis führt über kritisch-evaluative Partizipation und aktive Auseinandersetzung der Schüler/ -innen zur eigenen Teilhabe an der Konstruktion kultureller Bedeutung (H ALLET 2010) (z.B. kleine eigene Filmproduktionen als ‚Antworten‘ auf Filmszenen); schließlich eröffnet ein hybrides Verständnis von Kultur (B HABA / R UTHERFORD 1990; H ALLET 2002) die Möglichkeit, Diversität und Differenzen auszuhandeln und auszuhalten (z.B. cross-dressing als politischer Ausdruck) (K ÖNIG i.V.). • Als „didaktisches Prozessmodell“ (vgl. H ALLET / K RÄMER 2012: 14) gibt eine kompetenzorientierte Aufgabengestaltung außerdem Auskunft über die Komplexität der Prozesse, Materialien und Arrangements während der Aufgabenbearbeitung: Kompetenzziele, Inhalte, Input, Genres, sprachliche Mittel, Teil(kompetenz)aufgaben, scaffolding, Aufgabeninstruktion (vgl. Abb. 2, S. 20). Als „unterrichtspraktisches Planungs- und Strukturierungsinstrument“ (ebd.) sollte ein Aufgabenmodell den Lehrer/ innen zusätzlich dazu dienen, vorbereitende, begleitende und nachbereitende aufgabeninitiierte Lern- und Arbeitsprozesse zu reflektieren. Hier bietet es sich an, auch das aus dem angloamerikanischen Raum kommende PWP-Modell zu nutzen, d.h. die Berücksichtigung von pre-, while- und post-viewing-Phasen (vgl. T HALER 2012: 92). L EITZKE -U NGERER (i.V.) hat sich umfänglich mit Lernaufgaben speziell für die sprachbezogene Filmbildung beschäftigt (also für den Kompetenzbereich ‚Filmbezogen sprachlich handeln‘). Sie entwickelt dafür filmrelevante Lernaufgaben, die unterschiedliche sprachlich-kommunikative Kompetenzen fördern können (z.B. Hör-Sehverstehen, Leseverstehen, Schreiben, Verfügen über filmspezifischen Wortschatz). Ihrem Modellformat legt sie dabei fünf Kategorien zugrunde: 1. Kurzcharakteristik der Lernaufgabe, 2. Kurzcharakteristik der Filmsequenzen, 3. Materialgrundlage, 4. eigentliche Aufgabe einschließlich Endprodukt und 5. methodisches Vorgehen. 19 19 Darüber hinaus stellt B LELL (i.V.) eine Übersicht zu Sprachhandlungstypen, Operatoren und (Beispiel-) Textsorten für (mehr-)sprachliches filmbezogenes Handeln zusammen, das sich ebenfalls auf den Kompe- 20 Gabriele Blell, Carola Surkamp 45 (2016) • Heft 1 2.3 (Fremd)Sprachenlernen mit Film und Lernen über Film: ein Aufgabenmodell Das folgende Aufgabenmodell (Abb. 2) soll eine mögliche Basis liefern für die Lernaufgabengestaltung in einem kompetenzorientierten Filmunterricht. Es orientiert sich in der Herangehensweise grundlegend am H ALLET schen Modell der (komplexen) Kompetenzaufgabe, bezieht Überlegungen K ÖNIGS (i.V.) und L EITZKE -U NGERERS (i.V.) ein und legt unser in Abschnitt 1 beschriebenes Kompetenzmodell ‚Film erleben, Film nutzen, Film verstehen‘ zugrunde. (Fremd-)Sprachenlernen mit Film: Kompetenzaufgaben T HEMA (I NHALTE ) I NPUT (T EXTE , B ILDER , M ATERIALIEN ) G ENRES S PRACHLICHE M ITTEL K OMPETENZFELDER UND (T EIL ) KOMPETENZEN F ILMBEZOGEN SPRACHLICH HANDELN - Sprachrezeptiv handeln (Hör-, Lese-, Hör- Sehverstehen, Sehverstehen & Sprachreflexion) - Sprachproduktiv handeln (sprechen, szenisch spielen, schreiben); - Mehrsprachig handeln (rezeptiv & produktiv). F ILM ANALYSIEREN - Filmische Darstellungsverfahren erkennen, benennen & deuten; - Filmgenrewissen und filmtheoretisches Wissen aneignen & nutzen; - Fiktionale Konstruiertheit von Film erkennen & deuten; - Filmrezeption erfassen & auswer ten. F ILM KONTEXTUALISIEREN - Film in der Mediengesellschaft reflektieren; - Intertextuelle/ -mediale Bezüge erkennen & erörtern; - Film als kulturelle Ausdrucksform verstehen & deuten; - Film für das inter-/ transkulturelle Lernen nutzen. F ILM GESTALTEN - Filmische Prätexte erstellen & eine Filmproduktion planen; - Filme aufnehmen & dabei filmische Gestaltungsmittel (sprach-)bewusst anwenden; - Filmmaterial bearbeiten; - Filme präsentieren. S CAFFOLDING (A NGEBOTE ) A UFGABENINSTRUKTION O UTCOME (L ERNERPRODUKTE ) Kulturverständnis: textuell - performativ - hybrid Phasen: vor dem Film - während des Filmschauens - nach dem Film Aufgaben: focus on form - focus on meaning Abb. 2: Modell (Fremd-)Sprachenlernen mit Film: Kompetenzaufgaben 20 tenzbereich ‚Filmbezogen sprachlich handeln‘ bezieht. 20 Nach H ALLET / K RÄMER 2012: 14; B LELL / G RÜNEWALD / K EPSER / S URKAMP i.V. b; K ÖNIG i.V.; L EITZKE - U NGERER i.V.) (Fremd-)Sprachenlernen mit Film. Theoretische Grundlagen und praxisorientierte Anwendungen 21 45 (2016) • Heft 1 Damit vermag das Modell mehrere Funktionen gleichzeitig zu erfüllen: Es fungiert als Kompetenz-, Prozesssowie als Aufgaben- und Planungsmodell. Außerdem bietet es Raum, Kompetenzfelder und (Teil-)kompetenzaufgaben genau zu benennen und ihr Zusammenspiel im Kontext des Lösens von Problemaufgaben zu beschreiben, was einen zentralen Punkt unseres Modellverständnisses ausmacht. Die Übergänge zwischen den Bereichen sind dabei fließend. Die Handlungsbereiche sind generell lerner-, gegenstands- und produktorientiert (Lerngegenstand Film und eigene Produkte) sowie prozessorientiert (Aushandlungsprozesse zwischen Schüler/ -innen). Im Modell (in Tabellenformat) werden die diskutierten Parameter zusammengefasst und für die Kompetenzfelder beispielhaft beschrieben, ehe im Anschluss anhand des Episodenfilms Night on Earth (USA1991) ein mögliches Aufgabenszenario skizziert wird. Die New York-Episode, in der der ostdeutsche Migrant Helmut Grokenberger sich mit dem New Yorker Afroamerikaner Yo Yo über das Taxifahren in der Riesenmetropole und das Leben auseinandersetzt, soll der Ausgangspunkt für die Entwicklung einer kompetenzorientierten Lernaufgabe sein (vgl. Abschnitt 3). 3. Das Filmbeispiel: Jim J ARMUSCHS Night on Earth (USA 1991) 3.1 Der Episodenfilm: Input und Lernpotential Der Film (Input und Thema) If you think about taking a taxi, it’s something insignificant in your daily life; in a film when someone takes a taxi, you see them get in, then there’s a cut, then you see them get out. So in a way the content of this film is made up of things that would usually be taken out. - so Jim J ARMUSCH , mittlerweile Ikone des amerikanischen Independent-Films, über seinen 1991 produzierten 22-minütigen Episodenfilm (in: K EOGH 2001: 127). In J ARMUSCHS Night on Earth kommen eben gerade diese „Dinge“, d.h. ganz unterschiedliche Begegnungen zwischen Taxifahrern und ihren Gästen ans Tageslicht. Wann auch immer die Protagonisten des Films in fünf verschiedenen Großstädten der Welt (Los Angeles, New York, Paris, Rom und Helsinki) in einer einzigen Nacht jeweils in ein Taxi steigen, werden dem Zuschauer fünf kurze Begegnungsepisoden (slice-of-life stories) erzählt mit jeweils kleinen Höhepunkten und Spannungsbögen. Für den/ die angloamerikanisch interessierte/ n Zuschauer/ in dürften die Los Angeles Story (die junge bodenständige Taxifahrerin Corky trifft auf eine Casting-Agentin für Hollywood-Produktionen) und die New York Story die spannendsten sein. Letztere soll der Ausgangspunkt für die folgende Lernaufgabe sein. Im frostigen NY trifft der Amerikaner YoYo (Giancarlo Esposito) mit seinem Brooklyn Vernacular auf den deutschen Migranten Helmut Grokenberger (Armin Mueller-Stahl), dessen stark deutsch intoniertes Englisch - das auch sofort jedem/ r Englischlernenden auffallen wird - zahlreiche komische Situationen hervorruft. Helmut versucht sein Brot als Taxifahrer zu verdienen, obwohl er (noch immer) große Probleme hat, einen Automatikwagen zu fahren, sich zudem in der Stadt überhaupt (noch) 22 Gabriele Blell, Carola Surkamp 45 (2016) • Heft 1 nicht auskennt und sein Schulenglisch mehr als rudimentär ist. Insofern willigt Helmut ohne langes Zögern ein, dass YoYo das Taxi nach Brooklyn steuert. Abb. 3: Helmut Grokenberger (Taxifahrer) und YoYo (Gast): Rollentausch Im Schutzraum des Taxis bemerkt niemand diesen Rollentausch (nur die zusteigende Latino-Schwägerin YoYos ist etwas irritiert). YoYo wird Helmuts privater NY-guide und sein Englischlehrer obendrein; beide erzählen aus ihrem Leben, missverstehen sich ständig und amüsieren sich köstlich bis YoYo aussteigt, die Tür schließt und in die Nacht geht. Helmut sucht schließlich seinen Weg zurück nach Manhattan (vgl. Abb. 3). Aus filmdidaktischer Sicht birgt die Episode eine Fülle von Ansatzpunkten für das Lernen im Englischunterricht der Sekundarstufe II (Jahrgang 10-12). Aus Platzgründen werden sich die folgenden Ausführungen jedoch exemplarisch auf Erläuterungen zum Lernpotential des Films (Abschnitt 3.1), auf die Nennung der Kompetenzfelder (KF), die Modellierung der Kompetenzaufgabe und die (Teil-)kompetenzaufgaben beschränken (vgl. Abschnitt 3.2). (Die Erläuterungen nehmen insofern Bezug zum Modell auf den Ebenen: Thema (Inhalt), Input (Texte, Bilder, Materialien), Kompetenzfelder, Kompetenzaufgabe, (teil-)kompetenzaufgaben). Kulturelles & interkulturelles Lernpotential: Der Zuschauer geht mit Helmut und YoYo auf eine Entdeckungstour durch NY, vorbei an landeskundlichen Erkennungszeichen der Stadt, wie z.B. China Town, Empire State Building, Times Square, Manhattan und Brooklyn Bridge etc., die immer wieder von YoYo kommentiert werden (Big Apple, it’s cool, it’s hip, it’s happening). Die Episode spielt darüber hinaus deutlich mit immer noch existierenden rassistischen Vorurteilen (weiß: deutsch und gebildet vs. schwarz: arm und kriminell), indem sie diese jedoch umkehrt. Es ist der Puerto-Rico-Amerikaner YoYo, der dem deutschen Einwanderer in Wissen (um das Bedienen eines Automatik-Autos), Sprache (in der Landessprache Englisch) und Geografie (New York) überlegen ist. Durch die aufkeimende Freundschaft zwischen beiden wird aber gleichzeitig der (in Ansätzen) rassistische Inhalt wiederum transzendiert. Die Lernenden können so verschiedene Szenen aus unterschiedli- (Fremd-)Sprachenlernen mit Film. Theoretische Grundlagen und praxisorientierte Anwendungen 23 45 (2016) • Heft 1 chen kulturellen Perspektiven erschließen (YoYo, die Latino-Schwägerin oder Helmut) und mit der eigenen kulturellen Lebenswelt reflektierend vergleichen. ( KF ‚Film kontextualisieren‘) Sprachliches Lernpotential: Die Vignette arbeitet mit einem sehr hohen Sprachanteil, insbesondere mit dem Brooklyn English (the urban variety of Brooklyn) und dem Standard (School) English. Außerdem bietet die Fahrt im Taxi (außen und auch innen) viel englischsprachigen Lesetext (Reklame, Straßenschilder, Plakate, Bedienungszeichen im Auto etc.). Aufgrund des nur touristischen Englisch von Helmut (ungenügende Kenntnis zu false friends/ Homophonen, Aussprache- und Intonationsprobleme, Grammatikschwächen, unidiomatischer Wortschatz, uneffektive sprachliche und parasprachliche Umschreibungstechniken oder code-switching) und der ähnlich großen Ahnungslosigkeit YoYos gegenüber Dingen, die Europa und Deutschland betreffen (z.B. Motivation für Auswanderung, andere als nur monetäre Gründe), kommt es immer wieder zu Irritationen zwischen beiden (Abb. 4 gibt Einblick in eine linguistisch orientierte Szenenanalyse). Die Szene ließe sich z.B. nutzen, um die komischen Irritationen, die entstehen, im Unterricht sprachlich zu reflektieren. Sie kann jedoch auch Grundlage für sprachproduktives Handeln sein, wie z.B. für ausdrucksstarkes Lesen des Szenendialogs oder für die Inszenierung eigener kleiner Dialoge, um erlebte interkulturelle und sprachliche Missverstehenssituationen einzufangen. Nicht zuletzt bietet die Sequenz auch eine Art Modellvorlage, wie Unbekanntes in der Fremdsprache umschrieben werden kann (circumlocution). ( KF ‚Filmbezogen sprachlich handeln‘) Abb. 4: Auszug aus einer linguistischen Analyse der NY Vignette (Schneider 2015: 7) New York Vignette (00: 09: 15 to 00: 10: 45) Y: What's your name, man? H: Helmut Grokenberger. Here/ Hier. There. } (code-switching) [pointing at his name plate] You can read it. } paralinguistics That's me. Y: Helmet? } appeal for assistance H: Helmut. Y: That's your name? } appeal for assistance H: Yeah. Y: That's a fucked-up name to be naming your kid. Helmet. See, 'cause in English, a helmet would be, } circumlocution like you know, like something you wear on your } + smurfing head [pointing at his head], you know? You know. A -A helmet [pointing at Helmuts head]. In English, } paralinguistics that'd be like calling your kid, uh -Oh, shit. Uh - “Lampshade.” Some shit like that. [...] 24 Gabriele Blell, Carola Surkamp 45 (2016) • Heft 1 Filmanalytisches & narratives Lernpotential: Die Vignette besticht weniger durch filmtechnische Raffinesse und Schnelligkeit, sondern eher durch sich durch Langsamkeit auszeichnende Parallelfahrten der Kamera, eindringliche musikalische Klangbilder (Musik von Tom Waits) und sparsame Perspektivenwechsel von innen (Taxi) nach außen (Stadt), die die Protagonisten immer im Zentrum halten, aber gleichzeitig einen Blick in die Zerrissenheit der Millionenmetropole freigeben. Beide Figuren sind bereits durch ihre Namen (z.B. Helmut vs. helmet; fresh hat) und ihre Sprache (Schulenglisch vs. Brookyn Slang) lakonisch angelegt, werden jedoch durch die Umkehrsituationen (Rollentausch Fahrer und Gast) meist theatralisch komisch erhöht, albern, melancholisch und traurig zugleich. Da viele Szenen komisch überhöht sind, sollten die Schüler/ innen durch gesteuerte Close-Viewing-Aufgaben oder split viewing die Darstellungsverfahren erkennen und gemeinsam erörtern. ( KF ‚Film analysieren‘) Intertextuelles/ -mediales Lernpotential: Die Episode ist reich an Zitaten, Verweisen und Konnotationen (vgl. kulturelles und interkulturelles Lernpotential). Der Film ist darüber hinaus eine Hommage an das Brooklyn des afroamerikanischen Regisseurs Spike L EE , einem Mitbegründer des New Black Cinema in den 1980er Jahren, der in seinen Filmen häufig den Rassismus gegenüber der afro-amerikanischen Bevölkerung thematisiert. Schließlich findet J ARMUSCHS Projekt zahlreiche Antworten in ganz aktuellen (semi-)dokumentarischen Filmprojekten wie z.B. Berliner Nacht-Taxe (Bernd K ESSLER ) oder Taxi (2015), der Berlinale Gewinner 2015 des iranischen Regisseurs Jafar P ANAHI . Angeleitete kleine Forschungsprojekte zu intertextuellen und -medialen Vernetzungen können den Schüler/ innen helfen, durch Recherchearbeit diese erweiterte Facette des Films zu erschließen. ( KF ‚Film kontextualisieren‘). Aufgrund des großen inhaltlichen und didaktischen Potentials der Vignette ist es verwunderlich, dass es zu ihr so gut wie keine akademische Sekundärliteratur oder Arbeitsmaterialien für den Unterricht gibt. 21 Auch auf großen enzyklopädischen und Filmkritik-Webseiten wie z.B. http: / / www.allmovie.com, en.wikipedia.org, http: / / www. rottentomatoes.com oder http: / / www.filmzentrale.com bleiben die Einträge dazu meist nacherzählend-synoptisch und feuilletonistisch. Es lässt sich lediglich ein Eintrag dazu in en.wikipedia.org ausmachen. Insofern sollte es für Englischlernende der Sekundarstufe II eine echte und medial-authentische Herausforderung sein, eine Filmrezension mit Analyseschwerpunkt zu ‚posten‘. 21 Mit einer Ausnahme: Bernd W AHLBRINCKS (Englischlehrer) schmales Taschenbuch Jim Jarmusch’s Night on Earth: The New York Episode with an Appendix for English Teachers. Rheine: Tumbleweed 2011. (Fremd-)Sprachenlernen mit Film. Theoretische Grundlagen und praxisorientierte Anwendungen 25 45 (2016) • Heft 1 3.2 Die Kompetenzaufgabe und mögliche Teilkompetenzaufgaben Die skizzierte Kompetenzaufgabe nimmt den Film zum Ausgangspunkt. Sie setzt an der bestehenden ‚echten‘ Diskrepanz einer immer wieder verbal geäußerten Wertschätzung gegenüber dem Film in kürzeren Interneteinträgen (blogs, chats etc.) einerseits und der nahezu fehlenden tiefergehenden filmkritischen und -wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Film andererseits an (nur K EOGH 2001, W AHLBRINK 2011). Hier ergibt sich für Schüler/ innen der Sekundarstufe II die authentische Möglichkeit, auf der Grundlage der Auseinandersetzung mit verschiedenen Aspekten des Films (siehe Lernpotential), diese Lücke ansatzweise zu schließen und dafür ein schülernahes mediales Textformat zu nutzen: ‘Rate the movie’ and ‘post a message’, i.e. a well founded review on one film-affine website as e.g. www.allmovie.com or www. filmzentrale.com. (500 words). Neben den oben dargelegten inhaltlichen Begründungen (Filmthema) wurde das überaus reiche Lernpotential des Films für die Bereiche ‚kulturelles und interkulturelles Lernen‘, ‚sprachliches Lernen‘, ‚filmanalytisches Lernen‘ sowie ‚intertextuelles und mediales Lernen‘ herausgearbeitet. Dieses bietet eine Orientierung für die Modellierung von Teilkompetenzaufgaben. Die Kernkompetenzaufgabe ist zudem für interessierte Schüler/ innen durch eine eher filmgestalterische Zusatzaufgabe fakultativ erweiterbar: Furthermore, you are welcome to shoot your own taxi-ride conversation abroad on Youtube and hand it in after your summer vacations. Aufgrund der überaus reichen Problemschichtungen im Film (und damit des möglichen Lernpotentials) können durch die Wahl eines Filmaspekts - hier z.B. Fokus auf Filmanalyse (Erzählweise, Kameraführung, Kostüme), auf inszenierte Sprachspiele In wikipedia en.org you can read: In Jim Jarmuschs NY episode (from his film N IGHT ON E ARTH , 1992) Helmut Grokenberger, an East German immigrant who was once a clown in his home country, now works in New York as a taxi driver. He picks up a passenger named YoYo, a streetwise young man, and attempts to drive him to Brooklyn. Helmut does not really know how to drive with an automatic transmission so he allows YoYo to drive. On their way, they pick up YoYo's sister-inlaw Angela. The story revolves around Helmut's attempts to understand and become a part of the culture of New York. Your task Although the film has gained high recognition, there exist only few well-founded reviews online. You are going to work on the film, therefore, to find interesting aspects, analyse and discuss them. Finally, you should ‘rate the movie‘ and ‘post a message’, i.e. a well founded review on one film-affine website as e.g. www.allmovie.com or www.filmzentrale.com. (500 words). Furthermore, you are welcome to shoot your own taxi-ride conversation abroad on Youtube and hand it in after your summer vacations. You will be offered tasks and questions which will help you with your task (vgl. (Teil)Kompetenzaufgaben 1-5) 26 Gabriele Blell, Carola Surkamp 45 (2016) • Heft 1 zwischen Helmut und YoYo, auf kulturelle Bedeutungsverschiebungen durch den Rollentausch im Taxi, auf eigene kleine Drehs zum Erfassen intertextueller Aspekte etc. (vgl. Teilkompetenzaufgaben 1-5) -, unterstützt durch verschiedene kompetenzentwickelnde Teilaufgaben, unterschiedliche Kompetenzfelder entwickelt werden. Die durch die jeweiligen Teilkompetenzaufgaben zu entwickelnden möglichen Kompetenzen werden im Folgenden in Klammern am Ende der jeweiligen Teilkompetenzaufgabe genannt (KF = Kompetenzfeld). Schließlich sind auch Überlegungen ausschlaggebend, die binnendifferenziertes Arbeiten ermöglichen, indem den Lernenden Aufgabenwahlmöglichkeiten angeboten werden, die z.B. ein gezieltes scaffolding ermöglichen. Kompetenzfelder und (Teil)Kompetenzaufgaben: Oben haben wir dargelegt, dass Lernszenarien für Filme als Modellierungen echter Problemstellungen immer direkt mit diskursiven verbalen (und medialen) kulturellen Situationen verknüpft sein sollten, um den Schüler/ innen auch die ‚Echtheit‘ ihrer Problemlösungsprozesse und -produkte deutlich zu machen. Die Äußerungen der Schüler/ innen werden damit zu sprachlichen-diskursiven Handlungen, die soziale Wirklichkeit konstruieren. Es ist dafür sinnvoll, die Kompetenzaufgabe in operable (Teil)Kompetenzaufgaben zu zerlegen, die sich entweder auf nur ein relevantes Kompetenzfeld oder auf das Zusammenspiel von mehreren beziehen. Beide Möglichkeiten sind denkbar, jedoch immer abhängig vom Material und der gestellten Kompetenzaufgabe. Sowohl die Materialgrundlage und das inhaltliche Potential des Films ermöglichen bzw. empfehlen es, einzelne (Teil)kompetenzaufgaben der eigentlichen Kompetenzaufgabe wahlweise vorzuschalten. Einige Beispiele sollen dafür abschließend illustriert werden. Diese sind natürlich, je nach Bedarf und Lernstand, erweiterbar. 1. Watch the whole NY vignette on Youtube several times and do a transcript on short scenes which you are most interested in. Use the grid below and choose your own observation focus. Pay attention to linguistic and phonetic mistakes as well. Then compare your findings with somebody who has chosen a similar aspect of the film and discuss your findings critically. (Alle KF und wahlweise observation focus.) Sequence Time Content/ Plot Camera Dialogue/ Sound (e.g.) Colour/ Lighting 1 … … ….. Y: What's your name, man? H: Helmut Grokenberger. Here/ Hier. There you can read it ..... 2 … … … … … Mit dieser Teilkompetenzaufgabe, gestützt durch das Tabellenformat, kann bereits eine filmanalytische Schwerpunktsetzung vorgenommen werden, die in der zu verfassenden Filmkritik eine Rolle spielen kann, wenn z.B. Fragen der filmischen Erzählweise im (Fremd-)Sprachenlernen mit Film. Theoretische Grundlagen und praxisorientierte Anwendungen 27 45 (2016) • Heft 1 Vordergrund stehen sollen. Genauso ist es notwendig, an dieser Stelle mit den Schüler/ innen zu erarbeiten, was eine gute Filmkritik ausmacht, um dann kriteriengeleitet eine Kritik schreiben zu können (vgl. z.B. H ENSELER / M ÖLLER / S URKAMP 2011: 115ff.). 2. In the vignette, Helmut and YoYo use various strategies to avoid a conversation breakdown as e.g. code-switching, circumlocutions, paralinguistic strategies etc. In order to apply circumlocutions in context, you are going to do some improvisation theatre. (KF ‚Filmbezogen sprachlich handeln‘) Abb. 4: Improvisation theatre (Schneider 2015: 18) Diese Teilkompetenzaufgabe (als Improvisationstheateraufgabe) bietet sich an, um die Missverständnisse zwischen Helmut und YoYo und damit auch den zeitweiligen ‚Dialogabbruch‘ besser erklären zu können. Das Spiel versetzt die Schüler/ innen in eine ähnliche Situation und lässt sie das ‚Unbehagen‘ quasi nacherleben. Auch hier sollte eine Reflexionsphase nachgeschaltet werden, um die Brüche zu erkennen und zu erklären. 3. What makes us laugh so much while watching the story? Pay attention to the following aspects and discuss with your neighbour how irony, sarcasm and sadness are produced at the same time. Reflect your findings critically with the group. (KF ‚Filmbezogen sprachlich handeln‘, ‚Film analysieren‘) (S. 28) Taxi-Improvisation theatre To facilitate the process of the improvisation there is given an opening and ending of the conversation. The conversation starts like this Taxi driver: Hello. Passenger: Hello. I would like to go to the train station. Taxi driver: Alright, let's drive to the train station. Do you like some sweets? (He offers the passenger a box of chocolates.) My mum always said life was like a box of chocolates... you never know what you're going to get. In the box of chocolates there are slips of paper with different topics. The passenger is supposed to start the conversation about the topic on the slip of paper. They are asked to try talking as long as possible about the topic and to use circumlocutions to compensate possible gaps. In order to ease the end of the conversation, they can use one of these endings, depending on who wants to end the improvisation: Taxi driver: Here we are at the train station. That'll be 12,50 $. Passenger: Oh, there is a friend of mine.. you can drop me off right here. 28 Gabriele Blell, Carola Surkamp 45 (2016) • Heft 1 Diese analytische Teilkompetenzaufgabe kann helfen, der Funktion von Komik und Ironie im Film nachzuspüren. Durch ‚Rückgängigmachung des Rollentauschs‘ oder auch durch eigene inszenierte Rollenspiele entlang an Differenzkategorien (z.B. Junge- Mädchen, deutscher Schüler-Schüler mit Migrationshintergrund etc.) würden Fragen von Diversität und Differenz zusätzlich schülernah weiter ausgehandelt werden können (hybrides Kulturverständnis). Aufgabe 3 wäre z.B. für die Lernenden hilfreich, die in ihrer Filmkritik das filmästhetische Mittel der Komik in der Episode herausarbeiten möchten. Durch die jeweiligen Teilkompetenzaufgaben werden den Schüler/ innen quasi immer sukzessive mögliche Angebote für die eigene Schwerpunktsetzung in der Analyse und für die zu verfassende Filmkritik unterbreitet. 4. Based on Jarmusch’s vignette, write a 200 word commentary (a short explanation or interpretation) on Jimmy Carter’s quotation from his president speech in 1976: “We become not a melting pot but a beautiful mosaic. Different people, different beliefs, different yearnings, different hopes, different dreams.” (Jimmy Carter (James Earl Carter, Jr.), U.S. Democratic politician, president. speech, Oct. 27, 1976, Pittsburgh). (KF ‚Filmbezogen sprachlich handeln‘, ‚Film kontextualisieren‘) Diese Teilkompetenzaufgabe könnte die Auseinandersetzung mit der Episode vor dem Hintergrund (inter-)kulturellen Lernens unterstützen und damit als Teilergebnis in die Filmkritik fließen, wenn z.B. die Episode im Kontext kulturellen Lernens betrachtet werden soll. Auch diese Perspektive ist für Schüler/ innen denkbar, um einen differenzierteren Blick auf das Dargestellte zu erhalten und den Film nicht nur vor dem Hintergrund der eigenkulturellen Lebenswelt zu beurteilen. Im Kontext kulturellen Lernens würden Lerner angeregt werden, zwischen Textauszug und Film nach intertextuellen Verknüpfungen zu suchen (hier: melting pot / mosaic) und diese zu deuten (textuelles Kulturverständnis). 5. Watch similar (semi-)documentary Taxi-projects on Youtube as e.g. „Berliner Nacht-Taxe“ by Bernd K ESSLER , „Taxi“ (2015) by the Iranian Jafar P ANAHI or „Taxi Ride in NYC with a Russian driver“ (2011). What do all of them have in common and what makes them special? Compare your results with Jarmusch’s NY vignette. (KF ‚Film kontextualisieren‘, ‚Film analysieren‘, ‚Film gestalten‘) What makes me laugh and why? Pay attention to…. … funny names … pronunciation/ intonation … protagonist’s stories and background … protagonist’s gestures and costumes … protagonist’s ethnical background … plot Observe the change of roles carefully. (Fremd-)Sprachenlernen mit Film. Theoretische Grundlagen und praxisorientierte Anwendungen 29 45 (2016) • Heft 1 Diese Teilkompetenzaufgabe könnte vorbereitende Funktion haben, wenn ein eigenes kleines Taxi-Video produziert werden soll (Zusatzwahlaufgabe) - quasi als filmische Antwort auf Jarmuschs Episode (performatives Kulturverständnis). Der Vergleich aller Kurzfilme würde helfen, einen eigenen ‚Blick‘ und ein eigenes Szenario für den Dreh zu finden. Er kann aber - ohne eigene Filmproduktion - auch dazu dienen, ein komplexeres Filmverstehen von J ARMUSCHS Film zu ermöglichen: Einige Aspekte dieses Films mögen ja gerade durch den Kontrast zu anderen ‚Taxi-Filmen‘ erst (oder ganz besonders) zum Ausdruck kommen. 4. Schlussbemerkung Das gewählte Filmbeispiel veranschaulicht die vielfältigen Möglichkeiten für filmbezogenes Handeln im Englischunterricht auf fortgeschrittenem Niveau. Die methodisch-didaktischen Szenarien sind gegenstandsbezogen, aktuell und realitätsnah sowie handlungs- und lernerorientiert und unterstützen das sprachliche, filmbezogene sowie das kulturelle und interkulturelle Handeln der Schüler/ innen. Bedeutsam für die Anbahnung und Entwicklung eher gegenstandsbezogener (z.B. ‚Film analysieren‘) und/ oder eher kontextbezogener (z.B. ‚Film kontextualisieren‘) Filmkompetenzentwicklung ist die Gestaltung von entsprechenden doppelt-perspektivierten Lernaufgaben mit und über Film. Aufgaben- und Lernszenarien für die Arbeit mit Filmen sollten als Modellierungen realer Problemstellungen direkt mit kulturellen Diskursen verknüpft sein. Lernen mit und über Film, so konnte gezeigt werden, sollte dabei angemessen eng entlang der Texte, aber auch medienspezifisch ganzheitlich weit und auch fächerverbindend erfolgen. Literatur A NDERS , Petra (2010): „Movies at school? ! Zum Einsatz von (Spiel-)filmen im Unterricht in den USA“. In: K EPSER (Hrsg.) (2010a), 55-66. B ACHMANN -M EDICK , Doris (Hrsg.) (2004): Kultur als Text. Die anthropologische Wende in der Literaturwissenschaft. 2. aktualisierte Auflage. Tübingen: Francke. B HABA , Homi / R UTHERFORD , Jonathan (1990): „The Third Space. Interview with Homi Bhaba“. In: R UTHERFORD , Jonathan (Hrsg.): Identity. Community, Culture, Difference. London: Lawrence & Wishart, 207-221. B LELL , Gabriele (2015): „The Mexican Dream: El Otro Lado Del Sueño Americano. Mehrsprachige Filme im Fremdsprachenunterricht der Sekundarstufe II“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 44.2, 34-46. B LELL , Gabriele (i.V.): „Mehrsprachige Filme: Fächer- und sprachenübergreifende Filmarbeit“. 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Filmverzeichnis J ARMUSCH , Jim (1991): Night on Earth, USA. K ESSLER , Bernd (2015): Berliner Nacht-Taxe. Youtube. P ANAHI , Jafar (2015): Taxi. Youtube. (unknown) (2011): Taxi Ride in NYC. Youtube. Weitere Internetquellen: http: / / www.laenderkonferenz-medienbildung.de/ Filmbildung_2015.pdf [09.11.2015]. http: / / www.cinemadfilms.com/ pages/ etablissements/ liste-des-lycees-option-cinema-audiovisuel.html [09.11.2015]. http: / / www.nibis.de/ nibis.php? menid=8091 [09.11.2015]. 45 (2016) • Heft 1 © 2016 Narr Francke Attempto Verlag C ARMEN B ECKER , J ANA R OOS * Der Film The Gruffalo im Englischunterricht der Grundschule - Lernszenarien gestalten und Lernpotenziale erschließen Abstract. Media is increasingly gaining significance in today’s society in general, and this phenomenon can also clearly be observed in the language learning classroom. Films in particular, have continually come to play a more prevalent role in young children's lives, especially in the home environment, as well as within the learning context in the school setting. For this reason, film is being employed as a medium to promote learning in a variety of subjects, and foreign language learning is also clearly influenced by this development. Therefore, the rising number of English films for children is also of great interest in the context of early foreign language learning in primary school. The majority of the English films, which are designed for young children are usually based on storybook classics, as in the case of The Gruffalo, a well-known award-winning international bestseller written by Julia Donaldson (1999). The following chapter will present a range of practical examples of how working with the film can provide opportunities for the development of different competencies. Furthermore, it will also discuss in detail to what extent the film can be employed as a valuable resource for foreign language teaching purposes. 1. Einleitung Durch die Allgegenwärtigkeit der Medien bilden Filme bereits für Kinder im Grundschulalter einen festen Bestandteil ihrer Lebenswelt. Dementsprechend findet sich eine wachsende Zahl englischsprachiger Originalfassungen von Kinderfilmen, die auch im Rahmen des frühen Fremdsprachenlernens von Bedeutung sind und deren Einsatz ein großes Motivations- und Lernpotenzial birgt. Häufig handelt es sich bei diesen Filmen um Verfilmungen von Bilderbuchklassikern, wie z.B. Eric C ARLE s The very hungry caterpillar aus dem Jahr 1969 oder die bekannte Kinderbuchserie Charlie & Lola von Lauren C HILD . Ein besonders bekanntes Beispiel ist auch der Kurzfilm The Gruffalo, * Korrespondenzadressen: Prof. Dr. Carmen B ECKER , Technische Universität Braunschweig, Englisches Seminar, Abteilung Englische Sprache und ihre Didaktik, Bienroder Weg 80, 38106 B RAUNSCHWEIG . E-Mail: c.becker@tu-braunschweig.de Arbeitsbereiche: Sprachdidaktik, Portfolio Assessment, Didaktik und Methodik des Frühbeginns, Übergangsdidaktik sowie CLIL. Jun.-Prof. Dr. Jana R OOS , Universität Paderborn, Institut für Anglistik und Amerikanistik, Didaktik des Englischen, Warburger Straße 100, D-33098 P ADERBORN . E-Mail: jroos@mail.uni-paderborn.de Arbeitsbereiche: (Früher) Fremdsprachenerwerb, Der Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule, Kommunikative Interaktion im Fremdsprachenunterricht, Diagnose und Förderung fremdsprachlicher Kompetenzen. 34 Carmen Becker, Jana Roos 45 (2016) • Heft 1 eine Adaption des gleichnamigen, vielfach ausgezeichneten internationalen Kinderbuchbestsellers von Julia D ONALDSON (1999), in dem ein ‚furchterregendes‘ Fantasietier im Mittelpunkt steht. Der 2010 für die BBC produzierte Film war sogar für einen Oscar in der Kategorie Trickfilm nominiert. Im Rahmen des Storytelling ist das Kinderbuch The Gruffalo im Englischunterricht der Grundschule seit langem populär, denn die in Reimform verfasste, mit den ansprechenden Illustrationen Axel S CHEFFLERS gestaltete Geschichte bietet vielfältige handlungsorientierte Zugänge. Einsatzmöglichkeiten der englischsprachigen Filmfassung im Unterricht hingegen sind bisher nur wenig erschlossen, denn der Einsatz des Mediums Film ist im frühen Fremdsprachenunterricht bislang insgesamt kaum etabliert, und es fehlt häufig an geeigneten Lernaufgaben für die filmbezogene Arbeit (vgl. B ECKER / R OOS i. V.). Dabei bietet sich der Kurzfilm The Gruffalo insbesondere auch in Verbindung mit der Behandlung des Buches an, um die Entwicklung filmbezogener sprachrezeptiver und sprachproduktiver sowie interkultureller Kompetenzen bereits im Englischunterricht der Grundschule anzubahnen. In diesem Beitrag sollen Einsatzmöglichkeiten der Originalfassung von The Gruffalo im Englischunterricht der Grundschule betrachtet und mit Blick auf das fremdsprachliche Lernpotenzial diskutiert werden. Dabei wird zunächst untersucht, welche Aspekte konkret für die Nutzung des Films in diesem Kontext sprechen. Anschließend werden exemplarisch Aufgabenszenarien zum Film vorgestellt, die es den Kindern im Englischunterricht ermöglichen sollen, den Film auf unterschiedlichen Ebenen zu erschließen, und die dazu beitragen können, ihre fremdsprachliche Handlungskompetenz im Sinne eines filmbezogenen sprachlichen Handelns zu fördern. 2. The Gruffalo Die Rahmenhandlung der Geschichte The Gruffalo bilden die Begegnungen einer kleinen Maus mit verschiedenen Tieren im Wald. Die Maus trifft dort nacheinander auf einen Fuchs, eine Eule und eine Schlange. Jedes der Tiere möchte die kleine Maus zum ‚Essen‘ einladen, allerdings mit dem Hintergedanken, sie zu verspeisen. Die schlaue Maus durchschaut dies und lehnt dankend ab, unter dem Vorwand, bereits mit dem Gruffalo verabredet zu sein. Dabei beschreibt sie die äußere Erscheinung dieser Fantasiefigur in so furchterregender Weise, dass die Tiere nacheinander fliehen. Als der Gruffalo plötzlich tatsächlich in Erscheinung tritt, beweist die Maus ihm, dass die anderen Tiere Angst vor ihr haben: Als sie sie gemeinsam mit dem Gruffalo noch einmal aufsucht, fliehen die Tiere - zwar vor dem Gruffalo, dieser aber denkt, sie fürchteten sich vor der Maus, und sucht erschreckt selbst das Weite. 2.1 Eignung des Films für den Englischunterricht der Grundschule Bei der Frage nach der Eignung der Geschichte The Gruffalo für den Englischunterricht der Grundschule lassen sich vielfältige Kriterien anführen. Dabei können einige, Der Film The Gruffalo im Englischunterricht der Grundschule 35 45 (2016) • Heft 1 die bereits für die Auswahl des Buches sprechen, gleichermaßen für den Film angelegt werden, da dieser sowohl inhaltlich als auch in Bezug auf die visuelle Gestaltung sehr eng an der Buchvorlage gehalten ist und der Text im Film wortgetreu übernommen wurde. Zu diesen Kriterien gehört zuallererst, dass die Geschichte das Interesse der Kinder weckt und eine Verbindung zu deren Lebensbzw. Vorstellungswelt ermöglicht. Hier sind die Angemessenheit des Inhalts und die dargestellten Figuren entscheidend, wie der Gruffalo als Fantasiefigur oder die clevere Maus als Handlungsträger, die die Fantasie der Kinder anregen oder ihnen Identifikationspotenzial bieten. In diesem Zusammenhang betonen B REDENBRÖCKER / B ÖHRER (2009: 17), dass der Gruffalo allein „(d)urch sein gruseliges und ungewöhnliches Aussehen [...] auf jeden Fall ertragreiche Äußerungen hervorlocken“ wird. Die Geschichte erfordert darüber hinaus die Koordination der Perspektiven der beteiligten Tiere und des Gruffalo, die jeweils sowohl in der Rolle des Bedrohenden als auch in der des Bedrohten dargestellt werden. Das hier angesprochene „Verhältnis von Angst und Mut“ (B ÖHMANN / L AWRENZ 2011: 2) ermöglicht zugleich das empathische Hineinfühlen in die Figuren. Bei einer Entscheidung für den Einsatz des Films gilt es allerdings die Unterschiede zwischen den beiden Medien, Buch und Film, zu berücksichtigen. So kann der Film z.B. sprachlich eine größere Herausforderung für die Kinder darstellen, da er - anders als der Vortrag der Lehrkraft beim Storytelling, der immer an eine spezifische Lerngruppe gerichtet ist - ein unbestimmtes Publikum anspricht. Möglichkeiten wie etwa die Temporeduzierung und die unmittelbare Wiederholung einzelner Wörter und Phrasen bei Verständnisschwierigkeiten, die beim Vorlesen oder Vortragen gegeben sind, fallen somit weg. Gleichzeitig bietet der Film zusätzliche Verstehenshilfen durch die animierte Darstellung, wie z.B. die Gestik und Mimik der Charaktere oder die Untermalung mit stimmungsvollen Geräuschen, die das Buch nicht oder nur in eingeschränkter Form bietet bzw. die an die individuelle Ausgestaltung der Geschichte durch die Lehrkraft gebunden sind. Der Austausch mit Lehrkräften zeigt in diesem Zusammenhang, dass Kinder den Film häufig als gruseliger empfinden als das Buch, und auch die Autorin Julia Donaldson selbst teilt diese Empfindung (vgl. B ÖHMANN / L AWRENZ 2011: 17). Als Auslöser können hier z.B. die im Buch nicht vorhandenen Hintergrundgeräusche im Wald angesehen werden. Gesteigert wird die Spannung des Films vor allem auch durch die individuellen Stimmen der Tiere, in denen sich die jeweilige Stimmung ausdrückt, wie z.B. Überraschung oder auch Angst vor dem Gruffalo. Auch die Kameraperspektive, die die einzelnen Charaktere und deren Gestik und Mimik in den Fokus rückt, trägt hierzu bei. Bereits beim Blick auf das Cover des Films, wo der Gruffalo die Maus am Schwanz festhält und als potenzielle Nahrung vor seiner Nase baumeln lässt, deutet sich das erhöhte Maß an Spannung gegenüber dem Buch an. Auf dem Buchcover hingegen betrachtet der Gruffalo die Maus lediglich interessiert aus einer gewissen Distanz, halb versteckt hinter einem Baum (vgl. Kapitel 2.2; Abbildung 1 und 2 [ S. 40]). An dieser Stelle deutet sich bereits an, dass im Hinblick auf die Eignung und die Einsatzmöglichkeiten des Films vielfältige Aspekte eine Rolle spielen. Das Heranziehen eines Kriterienkatalogs (vgl. Tabelle 1 auf der folgenden Seite [adaptierte Fassung 36 Carmen Becker, Jana Roos 45 (2016) • Heft 1 des Kriterienkatalogs von B ECKER / R OOS 2016, i.V.]) kann helfen, diese systematisch zu betrachten. Schülerbezogene Kriterien Der Film ... • weckt in Bezug auf seine Inhalte das Interesse und die Neugier der Schülerinnen und Schüler und ist motivierend. • knüpft an das Weltwissen und die Erfahrungen der Lernenden an. • ist mit den kulturellen Hintergründen der Lernenden vereinbar. Filmbezogene Kriterien Der Film ... • ist nicht zu lang (alters- und lerngruppenspezifisch). • kann (auch) in Episoden gezeigt werden. • setzt bedeutungstragende filmästhetische Mittel ein (z.B. Musik und Ton, animierte Figuren, Gestik und Mimik der Charaktere). Sprachbezogene Kriterien Der Film ... • weist einen engen Zusammenhang von Sprache bzw. Ton und Handlung auf (geringe Ton- Bild-Schere). • baut auf den fremdsprachlichen Vorkenntnissen der Schülerinnen und Schüler auf. • ermöglicht ein Anknüpfen an Themen- und Wortfelder des Englischunterrichts. Kriterien zur Kompetenzentwicklung Der Film ... • bietet eine Grundlage für filmbezogenes sprachliches Handeln − sprachrezeptives Handeln (Hör- / Hör-Sehverstehen, ggf. Leseverstehen) − sprachproduktives Handeln (Sprechen, ggf. Schreiben) (vgl. B LELL / G RÜNEWALD / K EPSER / S URKAMP , i. V.) durch − bedeutungsvollen Input, der in sinnvollen Zusammenhängen präsentiert wird. − authentisches Sprachmaterial. • bietet eine Grundlage für die Entwicklung interkultureller Kompetenz. − bietet Einblicke in fremde Kulturen und Lebensweisen. − ermöglicht Vergleiche mit der Lebenswelt der Kinder. • ermöglicht die Förderung von Global- und Detailverstehen. Tab. 1: Kriterienkatalog zur Auswahl von Filmen für den Englischunterricht der Grundschule (vgl. B ECKER / R OOS i.V.) Bei den Auswahlkriterien für Filme, die im Englischunterricht der Grundschule eingesetzt werden können, bietet sich eine Unterteilung in schülerbezogene, filmbezogene und sprachbezogene Kriterien sowie Kriterien zur Kompetenzentwicklung an. Die inhaltliche Eignung als zentrales Element der schülerbezogenen Kriterien wurde oben bereits angesprochen. Was die sprachbezogenen Kriterien betrifft, so lässt sich zunächst ganz allgemein als vorteilhaft festhalten, dass die englischsprachige Originalfassung authentischen fremdsprachlichen Input liefert. Dabei wird die Sprache in der Der Film The Gruffalo im Englischunterricht der Grundschule 37 45 (2016) • Heft 1 Filmfassung von The Gruffalo in sinnvollen Zusammenhängen und in Verbindung mit der Handlung eingesetzt und durch die Kombination von Bildern, Geräuschen und Handlungssituationen unmittelbar erlebbar, wodurch bereits eine wichtige Grundlage für die Kompetenzentwicklung entsteht. Die Geschichte selbst hat einen repetitiven Charakter, so dass sich bestimmte Situationen und damit verbundene Redemittel wiederholen und den Text einprägsam und vorhersehbar machen. Dies erleichtert das Verstehen und ist mit Blick auf den Film vor allem insofern hilfreich, als das Sprechtempo der Filmfiguren stellenweise recht hoch ist. Gleichzeitig kann der Film so gut in Episoden unterteilt werden, um einzelne Szenen, wie z.B. die Begegnungen zwischen der Maus und verschiedenen Tieren, wiederholt und ggf. auch unter verschiedenen Schwerpunktsetzungen oder Aufgabenstellungen anzuschauen. In Bezug auf den Wortschatz verbindet die fantasievolle Geschichte die Wortfelder body und animals miteinander. Damit liefert sie unterschiedliche Anknüpfungspunkte an thematische Schwerpunkte des Englischunterrichts in der Grundschule und ermöglicht es, auf Vorkenntnissen der Schülerinnen und Schüler aufzubauen. Auch durch das Einbeziehen der - ggf. bereits bekannten - Buchvorlage können Vorkenntnisse erweitert und vertieft werden. Darüber hinaus bietet die Kontrastierung von Bilderbuch und Film erste Gelegenheiten, die Wirkung filmspezifischer Elemente wie z.B. Ton und Musik, die Kameraperspektive sowie die Beziehung zwischen diesen verschiedenen filmischen Elementen zu erkunden und so die Wahrnehmung filmästhetischer Aspekte bei den Kindern anzubahnen. Im Vordergrund der Arbeit mit dem Film steht die Verknüpfung mit den im Englischunterricht der Grundschule zu entwickelnden Kompetenzen, die schwerpunktmäßig im mündlichen Bereich liegen. Der erfolgreiche Einsatz des Films und die Möglichkeiten, das vorhandene Lernpotenzial im Sinne der Kompetenzentwicklung zu erschließen, hängen wiederum entscheidend mit der Auswahl geeigneter Lernaufgaben zusammen. 2.2 Einsatzmöglichkeiten des Films im Englischunterricht der Grundschule Da Originalfassungen von Kinderfilmen häufig eine natürliche Sprechgeschwindigkeit aufweisen, kann ein hohes Spannungsgefüge zwischen altersgemäßem Inhalt und sprachlicher Zugänglichkeit auftreten. Geeignete Lernaufgaben können dazu beitragen, dieses Spannungsgefüge aufzubrechen und den Einsatz von englischsprachigen Kinderfilmen bereits in der Grundschule zu ermöglichen (B ECKER / R OOS i.V.). Lernaufgaben zielen auf die Kompetenzentwicklung ab, sie fördern und fordern Lernende auf unterschiedlichen Ebenen. Gute Lernaufgaben knüpfen an das Vorwissen und die vorhandenen Kompetenzen der Lernenden an und ermöglichen es ihnen, diese wahrzunehmen, zu zeigen, selbst wertzuschätzen und weiterzuentwickeln (M ÜLLER -H ARTMANN / S CHOCKER / P ANT 2013: 39). Gute Lernaufgaben sind „in sinnstiftende Kontexte eingebunden“ (MSW 2008: 13) und bieten Raum für Bearbeitungsformen, die die individuellen Interessen und das Sprachniveau einzeln oder gemeinsam arbeitender Lernender berücksichtigen (ebd.). Eine Differenzierung erfolgt durch offene Aufgabenformate, 38 Carmen Becker, Jana Roos 45 (2016) • Heft 1 die verschiedene Grade inhaltlichen und sprachlichen Einlassens auf den Film erlauben. Bezogen auf den Einsatz von Filmen stellen H ENSELER / M ÖLLER / S URKAMP (2011: 122) Lernaufgaben als „Abfolge von aufeinander abgestimmten Arbeitsaufträgen“ dar, durch welche neben der Entwicklung interkultureller kommunikativer Kompetenz die Entwicklung von auf die Filmarbeit bezogenen Kompetenzen gefördert werden kann. Geeignete Lernaufgaben dienen somit als wichtiges Sprungbrett für das filmbezogene sprachrezeptive sowie sprachproduktive Handeln. Laut T HALER (2014: 181) eignet sich ein dreischrittiges prozessorientiertes Pre-, While- und Post-Viewing-Vorgehen für den Einsatz von Filmen im Englischunterricht der Grundschule. Dabei sind in der Pre- Viewing-Phase zunächst Aufgaben von Bedeutung, die das Vorwissen aktivieren, eine Seherwartung aufbauen und das zum Verstehen des Films zentrale Vokabular vorentlasten. Ziel ist es, eine Verständnisgrundlage und damit eine Basis für die vertiefende Arbeit zu schaffen (ebd.). Für die While-Viewing-Phase eignen sich vor allem Aufgaben, die zunächst auf globales Inhaltsverstehen abzielen und dadurch sprachrezeptives Handeln ermöglichen. Das Verstehen kann durch spezifische Inhaltsfragen unterstützt werden: „The five w-questions can help children understand what is going on in the film: Who? When? Where? What? Why? “ (ebd.). Die Post-Viewing-Phase sollte schließlich Aufgaben beinhalten, die zum vertieften inhaltlichen Verständnis und zum produktiven sprachlichen Handeln führen sowie zur weiteren Arbeit mit den Filminhalten anregen. Thaler schlägt in diesem Zusammenhang vor, nach einem 4P-Muster vorzugehen, da Kinder insbesondere an persons, places, plot, point (problem) interessiert seien (ebd.: 182; vgl. Tabelle 2). Entsprechende inhaltliche Fragen können dabei individuell an die sprachlichen Möglichkeiten der Lerngruppe angepasst werden. Insgesamt ist es nicht das Ziel, dass die Schülerinnen und Schüler jede Einzelheit des Films verstehen und wiedergeben können. Vielmehr geht es darum, dass sie ein Gefühl für authentische gesprochene Sprache entwickeln und der Geschichte den Sinnzusammenhang entnehmen können. Persons • Who is the main character? • Can you describe him/ her? • How old is he / she? What does he/ she look like? What is he/ she wearing? • Is he/ she happy/ sad/ nervous...? • What do they say? Can you repeat what X says? • Do you like them? Places • Where are the people? • Do the places change? • What time of the day is it in this place? Plot • What happens? • How does the story start/ end? • Do you like the ending? • Who is telling the story? Der Film The Gruffalo im Englischunterricht der Grundschule 39 45 (2016) • Heft 1 Point (Problem) • What is the message? What is the lesson you can learn? • Is there any problem? • Is it a happy end? Why? Who wins? • What is the moral? Do you agree? Tab. 2: The 4 P’s (T HALER 2014: 182) Wenn Lernaufgaben auf der Basis des Pre-, While- und Post-Viewing-Ansatz entwickelt werden, dann kann filmbezogenes rezeptives und produktives sprachliches Handeln angeregt und der zunächst oft (zu) hoch scheinende sprachliche Anspruch kompensiert werden. Auf diese Weise wird ein gewinnbringender Einsatz von Original-Filmen schon im Englischunterricht der Primarstufe ermöglicht. Im Folgenden soll anhand des Films The Gruffalo ein prozessorientiertes, dreischrittiges Lernszenario für die Filmarbeit und Anbahnung von Filmkompetenz im Englischunterricht der Grundschule vorgestellt werden. Bei einer Literaturverfilmung wie The Gruffalo, bietet es sich an, im Vorfeld mit dem Bilderbuch zu arbeiten. Der Wortschatz sollte dazu (z.B. anhand von Bildkarten oder der Abbildungen im Buch) eingeführt, das Bilderbuch als Ganzes vorgelesen und betrachtet und eine Vielzahl von kreativen Lernaufgaben bearbeitet worden sein. Die Lernenden sollten nach Abschluss der Arbeit mit dem Bilderbuch mit dem darin enthaltenen Wortschatz, dem Handlungsablauf und der bildnerischen Gestaltung vertraut sein. So verwendet der Illustrator Axel S CHEFFLER z.B. kraftvolle Farben, die jedoch eine überwiegend helle und freundliche Ausstrahlung haben und stellt die Tiere und insbesondere ihre Augen mit stark anthropomorphen Zügen dar, sodass diese „[...] Gefühle wie Stolz, Wut, Überraschung, Angst und Erleichterung sehr treffend ausdrücken“ (vgl. B ÖHMANN / L AWRENZ 2011: 4). Die Fokussierung auf die bildnerische Gestaltung ebnet den Weg für die Filmarbeit und schafft nicht nur eine Grundlage für das Verstehen der authentisch gesprochenen Sprache, sondern auch für das Wahrnehmen von filmspezifischen Darstellungsverfahren wie Kameraeinstellungen, Perspektive, Licht und Ton, wobei auch der Vergleich von Film und Buch als Zugang dienen kann. Lernaufgaben in der Pre-Viewing-Phase sollten zunächst an das Vorwissen und die Kompetenzen der Lernenden anknüpfen. Ist das Bilderbuch bekannt, eignet sich ein Einstieg über den Vergleich der Cover von Buch und Film. Dazu betrachten die Kinder die Cover und vergleichen sie miteinander. Abb. 1 und 2, S. 40 40 Carmen Becker, Jana Roos 45 (2016) • Heft 1 Abb. 1 und 2: Buchcover und Filmcover von The Gruffalo Die Lehrkraft erstellt dazu eine zweispaltige Tabelle an der Tafel, und die Lernenden beschreiben die Unterschiede je nach ihren individuellen sprachlichen Möglichkeiten. So können z. B. die unterschiedlichen Farben, der Gesichtsausdruck der Maus und des Gruffalo und die dargestellte Szene beschrieben werden. Die Ergebnisse werden von der Lehrkraft stichwortartig in der Tabelle gesammelt (vgl. Tabelle 3). Book cover Film cover Colours: yellow, light green … Colours: brown dark green … The mouse is happy. The mouse is walking through the forest. … The mouse is scared. … The gruffalo looks friendly. His eyes look friendly. … The gruffalo looks scary. His eyes look scary. The gruffalo wants to eat the mouse. … Tab. 3: Vergleich von Buch- und Filmcover In einem zweiten Schritt sollte in der Pre-Viewing-Phase die Seherwartung aufgebaut werden. Dazu wird im Plenum eine Tabelle mit drei Spalten erstellt (vgl. Tabelle 4 [ S. 41]). Die erste Spalte Book knüpft an das Vorwissen der Kinder an. Aus der Erinnerung werden unter der Rubrik Animals sämtliche Charaktere gesammelt: mouse, fox, owl und snake. Unter der Rubrik Places werden die Behausungen der Tiere bzw. Der Film The Gruffalo im Englischunterricht der Grundschule 41 45 (2016) • Heft 1 die Orte, an denen sie im Wald zusammentreffen, zusammengestellt: underground house, treetop house, logpile house, rocks, stream und lake. Unter der Rubrik Feelings können wahrgenommene Stimmungen oder Gefühle und unter der Rubrik Extras stilistische Mittel, die nach Ansicht der Kinder im Film vorkommen, gesammelt werden. Die Schülerinnen und Schüler vermerken in den Spalten Book und Guess what’s in the film mit einem bzw. , was im Buch vorkommt und nach ihrer Vermutung im Film vorkommen bzw. nicht vorkommen wird. Ein Gespräch über die im Buch vermittelte Stimmung schließt sich an. Zum Abschluss der Pre-Viewing-Phase erhalten die Kinder die zuvor im Plenum erarbeitete Tabelle. Book Guess what’s in the film Film Characters / Animals: • mouse • fox • owl • snake • extra animals Places: • underground house • treetop house • logpile house • rocks • stream • lake Feelings: • funny • scary • sad Extras: • music • sounds • movements • voices Tab. 4: Pre-Viewing Activity: Vergleich Buch und Film In der While-Viewing-Phase sollen die in der Pre-Viewing-Phase aufgebauten Seh- und Hörerwartungen überprüft werden, und die Schülerinnen und Schüler sollen die Möglichkeit zum sprachrezeptiven Handeln erhalten. Dazu wird der Film einmal im Ganzen gezeigt. Die Kinder vermerken während des Anschauens in der dritten Spalte der Tabelle, ob die im Buch vorkommenden Charaktere, Orte und Stimmungen auch denen des Films entsprechen und überprüfen somit ihre im Vorfeld gemachten Vermutungen. Hier kommen die Kompetenzen des Hör- und Hör-/ Sehverstehens zum Tragen. Anschließend wird die Liste gemeinsam besprochen, und Gemeinsamkeiten und Unterschiede werden konkret benannt. In einem weiteren Schritt wird der Film in Sequenzen 42 Carmen Becker, Jana Roos 45 (2016) • Heft 1 gezeigt, und kurze Gespräche zu den von T HALER (2014; vgl. Tabelle 2 [S. 38f.]) genannten Fragen in Bezug auf persons, places, plot und point (problem) schließen sich an. Dabei sollte insbesondere auf Aspekte eingegangen werden, die den Film vom Buch unterscheiden. So wird die Geschichte im Film von einer Eichhörnchenmutter erzählt, die als weiterer Charakter zu Beginn des Films eingeführt wird. Auch die oben beschriebene Tatsache, dass der Film auf Kinder häufig wesentlich gruseliger wirkt als das Buch, kann in diesem Zusammenhang thematisiert werden. Gründe für die unterschiedlichen Gefühle, die durch die stilistischen Mittel des Films erzeugt werden, können beim Betrachten und Vergleichen einzelner Szenen in Buch und Film auch schon im Englischunterricht der Grundschule mit einfachsten sprachlichen Redemitteln benannt werden (z.B. The sounds, music, eyes is/ are scary. The mouse is small.). Exemplarisch kann etwa die Sequenz des Films betrachtet werden, in der die Maus versucht, einen Fluss zu überqueren, und es kann besprochen werden, warum diese Szene ggf. als unheimlich(er) wahrgenommen wird als die entsprechende Szene im Bilderbuch (vgl. P ATON 2010: 3). So wird die Flussüberquerung in der Illustration im Buch nicht im Detail dargestellt. Im Film jedoch durchlebt man die detailliert ausgestaltete, gefährlich wirkende Szene aus der Perspektive der kleinen Maus, die gleich mehrere Gefahren zu überwinden hat. So rutscht sie auf dem Baumstamm aus, fällt mehrmals beinahe in den Fluss und fährt mitsamt dem sich in Bewegung setzenden Baumstamm um Haaresbreite einen Wasserfall herunter. In letzter Sekunde wird sie von der Eule „gerettet“, die sie aufgreift und an ihren Krallen hängend mit auf einen Ast hoch oben im Baum nimmt. Die Tongestaltung der Szene, die das Rauschen des Flusses, das Schreien der Eule und die musikalische Untermalung umfasst, erhöht die Spannung. In der Post-Viewing-Phase sollten Lernaufgaben Gelegenheiten zum filmbezogenen sprachproduktiven Handeln bieten. Der Film wird dazu noch einmal betrachtet, und die Kinder identifizieren und sammeln anschließend sämtliche Lieblingsspeisen des Gruffalo, die sich die Maus im Laufe der Geschichte ausdenkt - wie roasted fox, owl ice cream und scrambled snake - und stellen diese auf einem Gruffalo Menue zeichnerisch dar. Anschließend stellen sich die Kinder die Zeichnungen gegenseitig vor. Gemeinsam wird dann überlegt, wie man die Geschichte verändern könnte, indem man die Tiere, die Speisen und die Behausungen der Tiere austauscht. Dazu wird an der Tafel eine Sammlung von bekanntem Tiervokabular sowie weiteren möglichen Behausungen und Gruffalo-Speisen erstellt. Anschließend bekommen die Kinder den typischen Wortwechsel von Maus und Tier als Lückentext vorgelegt und verändern diesen durch Einsetzen des zuvor gesammelten Wortschatzes. A(n) ______saw the mouse, and the mouse looked good. “Where are you going to, little brown mouse? Come and have_______ ____ my _________ house.” “It’s frightfully nice of you, _____________, but no - I’m going to have ________ with a gruffalo.” “A gruffalo? What’s a gruffalo? ” “A gruffalo! Why, didn’t you know? He has knobbly knees, and turned-out toes, and a poisonous wart at the end of his nose.” Der Film The Gruffalo im Englischunterricht der Grundschule 43 45 (2016) • Heft 1 “Where are you meeting him? ” “Here, by this ________ And his favourite food is_________” “__________? ___________! ” “Goodbye, little mouse.” (Donaldson & Scheffler 1999) Die neugeschaffene Szene könnte dann z.B. folgendermaßen aussehen: A tiger saw the mouse, and the mouse looked good. “Where are you going to, little brown mouse? Come and have tea on my logpile house.” “It’s frightfully nice of you, tiger, but no - I’m going to have tea with a gruffalo.” “A gruffalo? What’s a gruffalo? ” “A gruffalo! Why, didn’t you know? He has knobbly knees, and turned-out toes, And a poisonous wart at the end of his nose.” “Where are you meeting him? ” “Here, by this lake. And his favourite food is tiger cake” “Tiger cake? Grrrrrrr! ” “Goodbye, little mouse,” Die Kinder erweitern abschließend das zuvor erstellte Gruffalo Menue um eine weitere Speise und üben die durch creative copying entstandenen Szenen ein. In diesem Zusammenhang können ggf. auch komische Elemente der Geschichte verdeutlicht werden. Diese sind in der Geschichte teilweise eher subtil dargestellt und können gerade aufgrund des höheren Spannungsfaktors des Films leicht in den Hintergrund treten. In einem nächsten Schritt fertigen die Kinder gemeinsam ein Storyboard für ihre Szene an. Das Storyboard dient als Script für die sich anschließende Produktion eines kurzen Videoclips. Vor dem „Dreh“ überlegen die Kinder, mit welchen Mitteln (z.B. Kameraeinstellung und Perspektive, Musik und Geräusche) sie die Szene besonders unheimlich oder lustig gestalten können, und setzen dies anschließend um. Bei einer Filmvorführung können die so entstandenen individuellen Endprodukte gemeinsam besprochen und in Bezug auf ihre Wirkung verglichen werden. Dabei wird das bei der Bearbeitung des Films angebahnte Bewusstsein für die Wirkung filmischer Elemente auf eine praktische Ebene überführt. Das vorgestellte Beispiel verdeutlicht, dass über für die Grundschule relevanten Wortschatz, wie animals und nature, ein vertiefter Zugang zu Filminhalten geschaffen werden kann, der neben einem detaillierten Verstehen authentisch gesprochener Sprache auch die kreative Arbeit mit kontextualisiertem Wortschatz ermöglicht (B ECKER / R OOS i.V.). 3. Fazit Die Geschichte des Gruffalo hat weltweit Bekanntheit erlangt und hat es, z.B. als Theaterstück adaptiert, sogar bis nach Manhattan geschafft, wie die New York Times 2004 berichtete: „Over the years mid-Manhattan has attracted many a monstrous creature. King Kong has visited. Godzilla, too. And now (shudder) comes the Gruffalo“ (V AN G ELDER 2004). 44 Carmen Becker, Jana Roos 45 (2016) • Heft 1 Über geeignete Lernaufgaben, die in einem prozessorientierten Pre-, While- und Post-Viewing-Vorgehen auf vielfältige Weise einen Zugang zum Film ermöglichen, können bereits im Englischunterricht der Grundschule Lernszenarien entwickelt werden, die Gelegenheiten zum filmbezogenen sprachrezeptiven sowie sprachproduktiven Handeln eröffnen. Insbesondere in Verbindung und im direktem Vergleich mit der literarischen Vorlage ermöglicht die Arbeit mit dem Film nicht nur ein vertieftes inhaltliches Verständnis, sondern kann auch als Sprungbrett dienen, um Filmkompetenz kindgemäß anzubahnen und sukzessive zu entwickeln. Literatur B ECKER , Carmen / R OOS , Jana (i.V.): „Film im Englischunterricht der Grundschule: Kompetenzentwicklung durch Lernaufgaben“. In: B LELL / G RÜNEWALD / K EPSER / S URKAMP (Hrsg.) (i.V.). B LELL , Gabriele / G RÜNEWALD , Andreas / K EPSER , Matthis / S URKAMP , Carola (Hrsg.) (i.V.): Film in den Fächern der sprachlichen Bildung. Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren (Reihe Film - Bildung - Schule, Bd. 2). B ÖHMANN , Marc / L AWRENZ , Nina (2011): Der Grüffelo von Axel Scheffler und Julia Donaldson. Ideen und Materialien zum Einsatz des Bilderbuchs in Grundschule und Kindergarten. Weinheim und Basel: Beltz. B REDENBRÖCKER , Martina / B ÖHRER , Julia (2009): „The Gruffalo“. In: Grundschulmagazin Englisch 5, 17. D ONALDSON , Julia / S CHEFFLER , Axel (1999): The Gruffalo. London: MacMillan Children’s Books. H ENSELER , Roswitha / M ÖLLER , Stefan/ S URKAMP , Carola (2011): Filme im Englischunterricht. Grundlagen, Methoden, Anregungen für die Unterrichtspraxis. Seelze: Klett/ Kallmeyer. M INISTERIUM FÜR S CHULE UND W EITERBILDUNG DES L ANDES N ORDRHEIN -W ESTFALEN (MSW) (2008): Kompetenzorientierung - Eine veränderte Sichtweise auf das Lehren und Lernen in der Grundschule. Frechen: Ritterbach. M ÜLLER -H ARTMANN , Andreas / S CHOCKER , Marita / P ANT , Hans Anand (Hrsg.) (2013): Englischkompetenzen entwickeln: Praxiserprobte Lernaufgaben für die Sekundarstufe I. Die Bildungsstandards Englisch illustriert durch umfangreiches Videomaterial aus Klassenzimmern. Braunschweig: Diesterweg & IQB. P ATON , Gill (2010): Discovery Film Festival. Teacher’s Resource - The Gruffalo. Dundee: Dundee Contemporary Arts. T HALER , Engelbert (2014): Teaching English with Films. Paderborn: Schöningh. V AN G ELDER , Lawrence (2004): „Theater in Review: Small Mouse, Big Imagination“. New York Times, February 12, 2004. http: / / www.nytimes.com/ 2004/ 02/ 12/ theater/ theater-in-review-smallmouse-big-imagination.html. (03.12.2015) Filmverzeichnis I Will Never Not Ever Eat a Tomato, UK 2007, Lauren C HILD / Kitty T AYLOR . (DVD BBC/ Tiger Aspect Productions). The Gruffalo, UK 2009, Axel S CHEFFLER / Julia D ONALDSON / Max L ANG . (DVD BBC/ Magic Light Pictures). The Very Hungry Caterpillar, Eric C ARLE (DVD). 45 (2016) • Heft 1 © 2016 Narr Francke Attempto Verlag A NDREAS G RÜNEWALD , M EIKE H ETHEY * Kurzfilme im fortgeschrittenen Französischunterricht der Sekundarstufe I : Möglichkeiten der Förderung kommunikativer und filmästhetischer Kompetenzen am Beispiel von La Fugue (2013) und Lettres de femmes (2013) Abstract. This paper introduces sub-tasks that deal with short films in French language teaching. The two short films presented here are Jean-Bernard Marlin’s La Fugue and Augusto Zanovello’s Lettres de femmes. Both short films are well suited for the language classroom because of their topical focus as well as their cinematic realisation. As both films substantially differ in their making, we can use them to present a broad selection of sub-tasks dealing with different aspects of the aesthetics of film: in addition to their narratology, they especially differ in the respect that La Fugue is shaped by the use of a hand-held camera whereas Lettres de femmes is an animation movie in Stop Motion. Our tasks also strive to develop discourse competence in the field of film analysis. 1. Einleitung In diesem Beitrag stellen wir Beispiele zur Förderung kommunikativer und filmästhetischer Kompetenzen anhand von Kurzfilmen im Französischunterricht vor. Dabei handelt es sich um die Kurzfilme La Fugue von Jean-Bernard M ARLIN (Frankreich 2013) mit einer Dauer von 22 Minuten und 20 Sekunden und Lettres de femmes von Augusto Z ANOVELLO (Frankreich 2013) mit einer Dauer von 11 Minuten und 15 Sekunden. Diese beiden sehr unterschiedlichen Kurzfilme haben wir deshalb gewählt, weil sie beide zwar verschiedene, aber sehr aktuelle Themen behandeln und durch ihre unterschiedliche Machart ein breites Spektrum an filmästhetischen Mitteln abdecken. La Fugue ist ein preisgekrönter Kurzfilm, der die Beziehung des engagierten Sozialarbeiters Lakdar zu der jugendlichen Straftäterin Sabrina erzählt. Der Film ist * Korrespondenzadressen: Prof. Dr. Andreas G RÜNEWALD , Universität Bremen, FB 10: Didaktik der romanischen Sprachen, Bibliothekstraße 1, 28359 B REMEN . E-Mail: gruenewald@uni-bremen.de Arbeitsbereiche: Film- und Mediendidaktik, Design-Based-Research in der Unterrichtsforschung, Interkulturelles Lernen. Meike H ETHEY , Universität Bremen, FB 10: Didaktik der romanischen Sprachen, Bibliothekstraße 1, 28359 B REMEN . E-Mail: meike.hethey@uni-bremen.de Arbeitsbereiche: Literatur- und Filmdidaktik, Geschichte des Fremdsprachenunterrichts, Design-Based-Research in der Unterrichtsforschung. 46 Andreas Grünewald, Meike Hethey 45 (2016) • Heft 1 aufgrund der verwendeten Sprache, welche soziale und regionale Register aufweist, ab dem 4. Lernjahr einzusetzen. Bei zahlreichen Festivalteilnahmen hat dieser Film den Goldenen Bären 2013 in Berlin und den César 2014 für den besten Kurzfilm gewonnen. Der animierte Kurzfilm Lettres de femmes reiht sich in eine Vielzahl von Fernseh-, Kinofilmen und Buchveröffentlichungen zum Gedenken an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs ein. Der Film wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Prix du public auf dem Festival international du film d’animation d’Annecy und als bester Animationsfilm auf dem Festival international du court-métrage de l’Outaouais. Auf Grund seiner besonderen filmästhetischen Form, seines thematischen Schwerpunkts und der sprachlichen Anforderungen eignet er sich für einen unterrichtlichen Einsatz ab dem 5. Lernjahr. Im zweiten Abschnitt gehen wir auf die Merkmale von Kurzfilmen und ihre besondere Eignung für den Fremdsprachenunterricht ein. Im dritten Abschnitt widmen wir uns den beiden Kurzfilmen und führen eine knappe Analyse durch (Inhalt, narrative Ebene, filmästhetische Mittel). Im vierten Abschnitt stellen wir Beispiele zur Förderung der beiden Kompetenzbereiche ,filmbezogen sprachlich handeln‘ und ,Film analysieren‘ vor. Filmbezogene Kompetenzen lassen sich im Fremdsprachenunterricht nicht losgelöst von sprachhandlungsbezogenen Kompetenzen vermitteln. Das Hörverstehen ist mit dem Sehverstehen zu koordinieren, Dialoge müssen verstanden, filmsprachliche Mittel sollten nicht nur erkannt, sondern auch analysiert und interpretiert werden. Für diese Prozesse ist der Einsatz der Fremdsprache im Französischunterricht notwendig, Filmbildung im Fremdsprachenunterricht ist also eng verknüpft mit der Förderung kommunikativer Kompetenzen (vgl. B LELL / S URKAMP im vorliegenden Band sowie B LELL / G RÜNEWALD / K EPSER / S URKAMP 2016). Neben diesen Schwerpunkten wird außerdem ein Beispiel zur Einbindung des historischen Kontextes von Lettres de femmes vorgestellt, da dieser für das Verständnis des Kurzfilms notwendig ist. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Lernenden sich den Kontext eigenständig erschließen können, da dieser zeitlich fern ihrer eigenen Lebenswelt liegt und auch im kollektiven Gedächtnis in Deutschland nur noch geringen Raum einnimmt. Die im vierten Abschnitt vorgestellten Beispiele für Arbeitsaufträge haben exemplarischen Charakter und verstehen sich nicht als direkt im Französischunterricht einsetzbare Kopiervorlagen. Wir gehen davon aus, dass eine Lehrkraft diese Beispiele in eine Lernaufgabe zu einem der beiden Filme einbinden und sowohl die Formulierungen als auch die Inhalte an ihre Lerngruppe anpassen wird. Mit dem hier vorgestellten Fokus auf die filmästhetischen Mittel haben wir einen Bereich ausgewählt, der häufig im Fremdsprachenunterricht zu kurz kommt. Da beide in diesem Beitrag behandelten Kurzfilme sehr unterschiedliche filmästhetische Mittel einsetzen, können die im vierten Abschnitt vorgestellten Beispiele bereits ein großes Spektrum abbilden und deren Potential für die Filmbildung andeuten. Kurzfilme im fortgeschrittenen Französischunterricht der Sekundarstufe I 47 45 (2016) • Heft 1 2. Le court métrage - Anmerkungen zu einem häufig vernachlässigten Genre Le court-métrage spielte als Genre lange keine wichtige Rolle in der Filmarbeit im Fremdsprachenunterricht (vgl. u.a. H ENSELER / M ÖLLER / S URKAMP 2011: 148). Aber in letzter Zeit scheint er auch hier anzukommen (vgl. z.B. V ENEMANN 2012, L ANGE 2012, B LUME 2012). Grundsätzlich kann man zunächst die Frage stellen, ob es sich bei Kurzfilmen überhaupt um ein eigenes Genre handelt (vgl. H ENSELER / M ÖLLER / S URKAMP 2011), denn sie umspannen ein weites Feld an filmischen Produktionen, in dem sich die unterschiedlichsten Gattungskonventionen nachweisen lassen. Neben fiktionalen Kurzfilmen und Animationsfilmen oder Musikvideos, die alle primär darstellende Intentionen aufweisen, werden Werbefilme oder Trailer in eindeutig funktionaler Absicht produziert (vgl. R ÖSSLER 2009: 309). Fiktionale Kurzfilme, die in unserem Beitrag im Mittelpunkt stehen, nehmen oftmals unterschiedliche Merkmale von Spielfilmgenres auf, die dann häufig in ungewöhnlicher Weise miteinander verknüpft werden. Einzelne Gattungen werden so nur angedeutet, was den Filmen mitunter einen experimentellen Charakter verleiht. Die Länge von Kurzfilmen kann stark variieren. Auch hier gibt es keine klare Begrenzung. Die generelle Kürze der Filme beeinflusst ihre narrative Gestaltung in erheblichem Maße (vgl. H ENSELER / M ÖLLER / S URKAMP 2011: 148). Nicht selten entspricht die erzählte Zeit der Erzählzeit des Films. Die Anzahl von Figuren und Handlungsorten wird ebenso stark begrenzt wie die der Handlungsstränge, so dass H ENSELER et al. (ebd.) von einem „Minimalismus des Erzählens“ im Kurzfilm sprechen. In den Analysen unserer Kurzfilme werden viele dieser zentralen Merkmale deutlich zu Tage treten. Kurzfilme arbeiten mit extremen Verdichtungen, indem z.B. zusätzliche Informationen zu Figuren oder Handlungen lediglich angedeutet oder über die verschiedenen Filmebenen parallel geliefert werden. Sie erzeugen somit einen hohen Anteil an impliziten Bedeutungen (vgl. R ÖSSLER 2009: 310f.). Kurzfilme sind demnach trotz ihrer geringen Länge in der Regel durchaus komplex. Vergleichbar mit Kurzgeschichten verzichten sie zumeist auf eine Einführung in die Handlung und starten in medias res. Ebenso abrupt wie der Einstieg erfolgt oftmals auch der Ausstieg. Die Handlung bleibt unabgeschlossen, so dass beim Betrachter eher das Gefühl erzeugt wird, sich vorzeitig aus der Szenerie zu verabschieden. Sowohl La Fugue als auch Lettres de femmes entsprechen diesen Prinzipien. Für den Einsatz im Fremdsprachenunterricht eignen sich Kurzfilme in vielerlei Hinsicht. Zunächst ermöglicht ihr begrenzter Umfang die unproblematische Rezeption im zeitlichen Rahmen von Unterricht. Die Filme können in der Regel mehrfach im Verlaufe einer Unterrichtseinheit gezeigt werden. Und vor allem für jüngere Lernende kann es einfacher sein, einem kurzen Film vollständig zu folgen als mit unterschiedlichen Ausschnitten eines Spielfilms zu arbeiten. Grundsätzlich lassen sich Kurzfilme zur Förderung aller wesentlichen Kompetenzbereiche im Fremdsprachenunterricht ein- 48 Andreas Grünewald, Meike Hethey 45 (2016) • Heft 1 setzen. Neben der Möglichkeit zur Förderung des Hör-Sehverstehens liefern sie vielfältige Sprech- und Schreibanlässe und können damit zur Arbeit in allen funktionalkommunikativen Kompetenzbereichen verwendet werden (vgl. z.B. V ENEMANN 2012). Auf Grund ihrer vorangehend beschriebenen besonderen Merkmale eignen sie sich gleichzeitig aber auch zum inter- und transkulturellen Lernen sowie zur Förderung der Methoden- und Medienkompetenzen (vgl. u.a. H ENSELER / M ÖLLER / S URKAMP 2011: 150). Ihre hohe filmästhetische Dichte ermöglicht vor allem den Aufbau filmästhetischer Kompetenzen (vgl. R ÖSSLER 2009: 313), der im Sinne eines kontinuierlichen Kompetenzaufbaus bereits in der Sekundarstufe I einsetzen sollte. In der Arbeit mit Kurzfilmen können z.B. die im vorangehenden Abschnitt angeführten filmästhetischen Mittel analysiert und auf ihr konkretes Wirkungs- und Funktionspotential befragt werden. In diesem Zusammenhang entwickeln die Lernenden aber nicht nur filmanalytische Kompetenzen, wie beispielsweise das Entwickeln von Assoziationen zu Filmhandlungen oder das Analysieren der narrativen Struktur eines Filmes, sondern sie fokussieren zugleich das filmbezogene Sprechen. Da es sich bei Kurzfilmen um eine komplexe Textsorte handelt, erfordert die Auseinandersetzung mit ihnen darüber hinaus besondere Verstehensstrategien. Dabei müssen auch viele Leerstellen gefüllt werden, was Lernende beispielsweise im Rahmen von handlungs- und produktionsorientierten Verfahren versuchen können. 3. La Fugue und Lettres de femmes - zwei Beispiele aktueller französischer Kurzfilme 3.1 Analyse von La Fugue La Fugue ist ein fiktionaler Kurzfilm, der die Geschichte der jugendlichen Straftäterin Sabrina (gespielt von Médina Y ALAOUI ) und dem engagierten Sozialarbeiter Lakdar (Adel B ENCHERIF ) erzählt. Die intensive Beziehung der beiden Protagonisten, beide französische Staatsbürger mit Migrationshintergrund, steht im Mittelpunkt der Filmhandlung. Lakdar hat diese Beziehung über einen längeren Zeitraum aufgebaut und aus seiner Sicht ist sie durch gegenseitiges Vertrauen gekennzeichnet. Folgende Aussage Lakdars kennzeichnet sein Verhältnis zu Sabrina: Moi j’aimerais qu’elle te voie comme moi je te vois. Comme quelqu’un de volontaire, comme quelqu’un qui est indispensable dans son équipe de foot, comme quelqu’un qui trouve du travail, j’aimerais qu’elle te voie comme ça. Et tu lui montres pas ça. Quand elle te pose des questions, réponds-lui. Dis-lui que c’est terminé tout ça, que c’était… l’époque d’avant, les copines, les copains mais que c’est terminé, que t’as envie de t’en sortir. [09: 52] Aus seiner Sicht ist Sabrina auf einem guten Weg, ihre kriminellen Eskapaden hinter sich zu lassen und sich in die französische Gesellschaft zu integrieren. Er begleitet Sabrina zu einem Gerichtstermin, bei dem eine Straftat verhandelt werden soll. Lakdar glaubt an die Institution und daran, dass das Gericht seiner Einschätzung folgt. Sabrina fühlt sich vor Gericht ungerecht behandelt, sie kennt die Konventionen und Verhal- Kurzfilme im fortgeschrittenen Französischunterricht der Sekundarstufe I 49 45 (2016) • Heft 1 tensweisen nicht, beherrscht nicht das notwendige sprachliche Register. Sie zieht sich verunsichert zurück. Alles läuft für sie auf die Frage hinaus, ob sie bereit ist, die Konsequenzen ihres Handelns zu tragen oder ob sie die Flucht ergreift. Sie flieht letztlich aus dem Gerichtssaal und bestätigt damit die Einschätzung des Gerichtes, welches sie in Abwesenheit zu einer Jugendstrafe verurteilt. Sabrinas Verhalten lässt darauf schließen, dass sie die Beziehung zu Lakdar durchaus ambivalent einschätzt und gleichermaßen Vertrauen und Misstrauen, Zuneigung und Abneigung, Sicherheit und Unsicherheit empfindet - eine Ambivalenz, die Jugendlichen in diesem Alter nicht fremd sein dürfte und auch entwicklungspsychologisch erklärt werden kann. Letztlich siegt jedoch auch bei Sabrina das Vertrauen in die Beziehung zu Lakdar, sie glaubt an sein ehrliches Engagement und stellt sich mit seiner Unterstützung der Polizei. Der Kurzfilm ist von seiner narratologischen Struktur her einfach nachzuvollziehen, zumindest sind histoire und discours in der zeitlichen Chronologie nahezu identisch. Der Film spielt in den Migrantenvierteln von Marseille, die Innenaufnahmen sind kaum ausgeleuchtet, die wenigen Außenaufnahmen zeigen trostlose Großstadtviertel mit anonymen Hochhäusern. Die Figurenkonstellation ist wenig komplex. Die Protagonisten Lakdar und Sabrina werden mit der Handkamera begleitet, meist nimmt der Zuschauer die Perspektive Lakdars ein und schaut ihm im wahrsten Sinne des Wortes „über die Schulter“. Die Handkamera und die geringe Ausleuchtung vermitteln dem Zuschauer das Gefühl, unmittelbar beteiligt zu sein. Neben den Protagonisten treffen wir auf folgende Nebenfiguren: Da ist die Rechtsanwältin, die Sabrina vor Gericht vertritt. Sie unterstützt in erster Linie den Sozialarbeiter Lakdar und baut keine persönliche Beziehung zu Sabrina auf. Sie kommuniziert kaum direkt mit ihr und wendet sich meist an Lakdar. Sabrina blickt ihr nicht in die Augen, steht mit gesenktem Kopf vor ihr und wirkt sehr eingeschüchtert. In der Shot-Reverse-Shot-Technik sieht man dann auch die Anwältin zusammen mit Lakdar (Schuss), und Sabrina steht den beiden „alleine“ gegenüber (Gegenschuss). Da ist die Richterin, die als Vertreterin der französischen Institutionen von Sabrina als Bedrohung wahrgenommen wird, filmisch durch eine diffuse, düster wirkende Ausleuchtung umgesetzt. Die ganze Szenerie der Gerichtsverhandlung wirkt unnatürlich dunkel und düster, womit eine hoffnungslose und trostlose Atmosphäre erzeugt wird. Da sind die Cousins von Sabrina, zwei junge Erwachsene, die das Vertrauen in die französischen Institutionen verloren haben und den Tag umherfahrend in ihrem Auto verbringen. Trostlose Bilder aus den Migrantenvierteln Marseilles’ und Gangsta-Rap im on-Ton Verfahren unterstreichen das filmisch. Die Cousins helfen Sabrina bei der Flucht, die durch schnelle Schnitte und Kamerafahrten dynamisch ins Bild gesetzt wird. Jean-Bernard M ARLIN recherchierte über ein Jahr im Milieu von straffällig gewordenen Jugendlichen und in Jugendheimen mit dem Ziel, eine Dokumentation zu diesem Thema zu drehen. Seine Erfahrungen hat er in La Fugue verarbeitet, und er gibt in einem Interview an (einsehbar unter http: / / tinyurl.com/ paq9os4), dass er seinen Kurzfilm wie einen Dokumentarfilm gedreht, also eine Doku-Fiktion geschaffen habe. Diese Klassifizierung ist ein interessanter Ansatzpunkt für die Arbeit zu filmästhetischen Mitteln mit den Lernenden. Neben der Tatsache, dass bis auf Adel B ENCHERIF 50 Andreas Grünewald, Meike Hethey 45 (2016) • Heft 1 nur Laienschauspieler auftreten (keiner der anderen hatte vorher jemals vor einer Kamera gestanden), lassen sich Kameraperspektiven und -einstellungen ausmachen, die auf die persönliche Involviertheit des Zuschauers und die Authentizität der Szenen abzielen (z.B. Einsatz der Handkamera). Auch die Gestaltung des Lichts ist so zu deuten, dass möglichst wenig an den Handlungsorten verändert, möglichst wenig während des Drehens eingegriffen wurde, um auf diese Weise einen authentischen Eindruck der Szenen zu vermitteln. Diese Aspekte werten wir als bewusst eingesetzte Faktualitätsmerkmale. Die Handkamera zeichnet sich dadurch aus, dass sie bewegliche, ja verwackelte Bilder produziert; hektische manuelle Fahrten wechseln mit Perspektivwechseln und erzeugen beim Zuschauer das Gefühl, an der Handlung unmittelbar beteiligt zu sein. Der Einsatz der Handkamera in La Fugue wird durch eine découpage classique begleitet, so dass die Montage kaum, die Handkamera aber umso mehr auffällt. Eine auffällige Montage mit schnellen Schnitten, Achsensprüngen etc. wird zwar häufig dazu eingesetzt die Effekte der Handkamera noch zu unterstreichen, aber durch die in La Fugue vorliegende Reduktion wird erreicht, dass die Kamerabewegung umso mehr Gewicht erhält. Die Kamera hat immer etwas Perspektivierendes und Akzentuierendes, die Handkamera als „subjektive Kamera“ (vgl. K UHN 2013a) verstärkt diese Funktion noch und beteiligt den Zuschauer „direkt“. Beispielhaft hierfür sei die Eingangsszene in La Fugue genannt, in der Lakdar das geschlossene Jugendwohnheim betritt. Dem Zuschauer wird das Gefühl vermittelt, Lakdar in die Zimmer zu folgen. Im Folgenden soll der Einsatz des Lichtes als Faktualitätsmerkmal anhand von zwei ausgewählten Szenen beispielhaft analysiert werden: Gleich zu Beginn wird der Filmtitel über schwarz ab- und die erste Kameraeinstellung eingeblendet. Die Szene [00: 17- 02: 07] wird jedoch nur langsam heller, und man erkennt zunächst den Handlungsort nicht; die Handkamera folgt Lakdar in das Jugendwohnheim. Im Jugendheim bleibt es dunkel, ja fast düster, nur von draußen fällt grelles Licht in die Zimmer, die Lakdar nach Sabrina durchsucht. Dieses grelle Licht verdeutlicht den Gegensatz zwischen „draußen“ und „drinnen“, zwischen dem Leben in Freiheit und dem Leben in einem geschlossenen Jugendheim. Eine andere Szene [02: 58-04: 20] unterstreicht diese inszenierte Wirkung des Lichtes: Sabrina betritt gemeinsam mit Lakdar das Gerichtsgebäude, und sie treffen in der Eingangshalle die Rechtsanwältin. Die Einstellungen der Handkamera sind gut ausgeleuchtet; man erkennt die Mimik in den Gesichtern der Figuren. Sabrina erhält von ihrer Rechtsanwältin und Lakdar Verhaltensanweisungen, beide kümmern sich um sie und wollen ihr Bestes. Mit dem Betreten des Gerichtssaales schwindet fast das gesamte Licht. Sabrina wirkt hier deplatziert, sie kennt den Verhaltenskodex nicht. Die Atmosphäre wirkt zunehmend düster, Sabrina fühlt sich nicht wohl, sie wird unsicher und zieht sich zurück. Details der Gesichter sind selbst in Großaufnahmen nicht mehr gut zu erkennen. Auch hier fungiert die Ausleuchtung als Spiegel der Emotionen, der Gefühlswelt der Protagonistin. In dem Kurzfilm wird Musik äußert sparsam, dann aber pointiert eingesetzt. Nur zwei Musikstücke werden gespielt. Im Auto der beiden Cousins läuft ein Gangsta-Rap. In zwei Szenen, jeweils als Lakdar das Gespräch zunächst mit den beiden Vettern und Kurzfilme im fortgeschrittenen Französischunterricht der Sekundarstufe I 51 45 (2016) • Heft 1 dann mit Sabrina im Fond des Wagens sucht, wird dieser gespielt [13: 13-13: 39 und 15: 12-17: 04]. Im ersten Fall wird der Rap lauter angespielt, im zweiten dient er nur als Hintergrundmusik, beides im on-Ton Verfahren. In beiden Fällen wird damit dem Auto die Funktion zugewiesen, als Raum für die jugendlichen Straftäter zu stehen; die jungen Erwachsenen in diesem Auto gehören einer anderen Welt an, die der Rap durch Aggressivität, Gewalt und Hoffnungslosigkeit kennzeichnet. Das zweite Musikstück wird in der Schlussszene gespielt [ab 20: 13]. Sabrina stellt sich mit Hilfe Lakdars der Polizei. Lakdar fährt sie in seinem Auto zu einer Polizeidienststelle. Zunächst hört man als off-Ton ganz leise einen Kinderchor, später dann nimmt das Stück mehr Raum ein, und es wird auch während des Abspanns gespielt. Es handelt sich dabei um ein klassisches, russisch-orthodoxes Stück (Penitential Hymn), wie schnell mit Hilfe von Shazam und einer kurzen Internetrecherche festgestellt werden kann. Auch im Abspann ist die Quelle angegeben. Warum aber wird hier ein klassisches Musikstück eingesetzt? Klassische Musik ist sicher nicht Teil der Lebensrealität Sabrinas. Bei der Penitential Hymn handelt es sich um einen Bußgesang, und damit wird schnell deutlich, dass der Einsatz dieses Musikstücks einem Statement gleich kommt: Sabrina übernimmt die Verantwortung für ihr Handeln, sie tut Buße und stellt sich der Polizei und gleichzeitig schreibt die gespielte Musik Sabrina die Rolle der Büßerin zu. 3.2 Analyse von Lettres de femmes Lettres de femmes ist ein animierter Kurzfilm in Stop Motion und erzählt die Geschichte des Sanitäters Simon, der auf den Schlachtfeldern der Aisne 1917 die Verletzungen verwundeter Kameraden mit Hilfe von Briefen weiblicher Korrespondenzpartner versorgt. Alle Figuren des Films wurden aus Papier hergestellt. Mitten in den Schlachten um den Chemin des Dames begegnen wir Simon und seiner Infanterieeinheit. Dargestellt wird der Kriegsalltag, der sich in den Schützengräben und vor allem auf den Schlachtfeldern abspielt. Artilleriebeschuss, Maschinengewehrsalven und Gasangriffe gehören ebenso dazu wie die kurzen Ruhephasen in den Gräben und das Warten auf Post. Während Simon die Briefe von gefallenen Soldaten einsammelt, um mit ihnen weitere verletzte Kameraden zu verbinden, kreisen seine Gedanken um Madeleine, seine marraine de guerre. In die hat er sich verliebt, sie schreibt ihm jedoch nicht mehr, nachdem er bei einem letzten Treffen im Heimaturlaub ihre zaghafte Zuneigung zu ihm ausgenutzt und sie vergewaltigt hat. Simon wird deshalb von Schuldgefühlen geplagt und vermisst seine Verbindung zum Leben außerhalb des Kriegsalltags. In seinen Briefen an Madeleine entschuldigt er sich für sein Verhalten und bittet sie, ihn zu heiraten. Madeleine vergibt ihm schließlich und willigt in seinen Antrag ein. Dies vor allem, da sie ein Kind von ihm erwartet. Dieser lang ersehnte Brief erreicht Simon jedoch zusammen mit der Information, dass Madeleine bei der Geburt des gemeinsamen Kindes gestorben sei. Der Film endet mit der ersten Begegnung zwischen Simon und seinem Sohn bei seiner Rückkehr nach Kriegsende. 52 Andreas Grünewald, Meike Hethey 45 (2016) • Heft 1 Der Film kommt, wie bei Kurzfilmen typisch, mit einer begrenzten Anzahl an Figuren aus. Im Mittelpunkt steht der Sanitäter Simon Délestrade. Außer ihm und der marraine de guerre Madeleine ist nur noch die Nebenfigur Raymond Gallet namentlich bekannt. Simon repräsentiert den einfachen poilu. Er wird als ruhiger, besonnener und pflichtbewusster Soldat dargestellt, der versucht, seine Kameraden bestmöglich zu unterstützen. Über seine Herkunft oder sein Leben vor Kriegsausbruch erfährt der Betrachter nichts. Lediglich sein Briefaustausch mit einer marraine de guerre lässt vermuten, dass er aus den früh besetzten Gebieten Frankreichs stammt. Aus den Briefausschnitten Madeleines, die über off-Ton Verfahren eingespielt werden, wird deutlich, wie sehr der Kriegsalltag mit den immer wiederkehrenden Angriffen und die Machtlosigkeit als Sanitäter an Simon nagen (vgl. z.B. 03: 27-03: 40). Madeleine steht in Lettres de femmes stellvertretend für viele marraines de guerre, die ab Januar 1915 vor allem Soldaten mit Briefen und Paketen unterstützten, die aus den von den Deutschen besetzten französischen Gebieten stammten (vgl. L ESTIENNE 2014: 2). Sie scheint bei ihrer Familie in einem kleinen Ort zu leben. Aus den Briefen erfahren wir, dass ihr der intensive Austausch mit Simon viel bedeutet. Aber sie kann sich nur zögernd damit anfreunden, gesellschaftliche Konventionen zu übertreten und ihn z.B. in ihren Briefen zu duzen (vgl. 03: 11). Umso mehr schockiert sie seine Zudringlichkeit bei seinem Besuch. Aber Madeleine verfügt ebenfalls über eine ausgeprägte Empathiefähigkeit. Und so kann sie Simon nach mehreren Monaten auch verzeihen und ihm ein gemeinsames Leben versprechen. Für Simon, der im quasi enthumanisierten Kriegsalltag immer nur bis zum nächsten Angriff denken kann, bildet Madeleines Aufforderung in ihrem letzten Brief, das Leben anzunehmen, die Brücke zu einem Leben nach dem Krieg („Aie confiance en l’avenir. Tu as tant de fois affronté la mort. Affronte la vie désormais. Madeleine“,09: 21- 09: 25). Ein Gegenbild zu Simon und seiner Beziehung zu Madeleine haben Augusto Z ANOVALLO und Jean-Charles F INCK in der Nebenfigur des Raymond Gallet geschaffen, einem poilu aus Simons Einheit. Wie Simon scheint auch Raymond Gallet einen Briefaustausch mit einer marraine de guerre namens Sidonie zu pflegen. Und auch er hat sich in sie verliebt. Doch auch sie stirbt plötzlich. Einem Brief ihrer Mutter, der Gallet erreicht, ist zu entnehmen, dass Sidonie unter Depressionen litt. Auch wenn es nicht explizit gesagt wird, weist alles auf einen Suizid hin (vgl. 06: 13-06: 16). Mit ihrem Tod ist für Gallet die Verbindung zum Leben außerhalb des Kriegsalltags gekappt. Für ihn ist eine Zukunft ohne Sidonie nicht vorstellbar, und er sieht keinen Sinn mehr darin, die alltäglichen Kriegsgräuel weiterhin durchzustehen. Im Verlaufe eines Angriffs positioniert er sich daher gut sichtbar und ohne Helm und Gasmaske in einem Granatkrater. Er zündet sich eine Zigarette an, um ein gutes Ziel für einen deutschen Scharfschützen abzugeben. Schwer verletzt überlebt er zunächst einen weiteren Granateinschlag. In einer unmittelbar anschließenden Traumsequenz, die filmisch durch das Ausblenden der Kriegsgeräusche und Bilder mit deutlich geringerer Sättigung erzeugt wird, meint er Sidonie zu erblicken, die ihn zu sich winkt (vgl. 06: 28- 06: 52). Im Gegensatz zu Madeleine, die Simon dazu auffordert, sich dem Leben zuzuwenden, scheint das Traumbild Sidonies genau das Gegenteil zu bewirken. Der ster- Kurzfilme im fortgeschrittenen Französischunterricht der Sekundarstufe I 53 45 (2016) • Heft 1 bende Gallet wird jedoch von Simon noch einmal ins Leben zurückgeholt, weil dieser verzweifelt versucht, ihn sogar mit Hilfe der Briefe Madeleines zu retten. Die physischen und psychischen Verletzungen sind jedoch zu groß und Gallet stirbt. Augusto Z ANOVELLO hat nicht nur seine Figurenanzahl beschränkt, sondern er reduziert auch seine Handlungsorte, was ebenfalls charakteristisch für einen Kurzfilm ist. Ein großer Teil des Films spielt im Schützengraben und auf den Schlachtfeldern. Die Landschaft ist vom Krieg gezeichnet. Große Krater weisen auf schweren Artilleriebeschuss hin, der Boden scheint durchweicht, und tote Bäume symbolisieren die schweren Schäden, die der Krieg in der Vegetation hinterlassen hat (vgl. 01: 07). Wie auch die Figuren, wurde die Szenerie aus Papier und Karton hergestellt (vgl. Making of 04: 21-05: 57). Die gesamte Landschaft wird farblich ausschließlich in braun und grau gehalten und symbolisiert so die lebensfeindliche Umgebung. Die Geräusche beschränken sich einzig auf den Kriegsalltag. Zwischen Regen und Wind sind Maschinengewehre, Artilleriefeuer und Schreie zu hören. In Kampfpausen bleibt es seltsam still. Im Gegensatz dazu stehen als zweiter Schauplatz Haus und Garten von Madeleine. Zwar dominieren auch hier die Farben braun und grau. Sie werden jedoch um weitere Farben wie rot, rosa, blau und violett ergänzt und verleihen der Szenerie einen lebendigeren Charakter. Bäume werden in ihrer Blütezeit dargestellt, alltägliche Naturgeräusche finden Berücksichtigung (vgl. 04: 39). Die beiden Schauplätze stehen somit in einem starken Kontrast zueinander und symbolisieren Tod und Verzweiflung auf der einen, Leben und Hoffnung auf der anderen Seite. Diesen Gegensatz unterstreicht auch die eingesetzte Filmmusik. Während die Szenen auf dem Schlachtfeld von expressionistisch anmutenden Streicherklängen begleitet werden, ist in den Szenen, die um Madeleine kreisen, ein Chanson vom Grammophon zu hören. Lettres de femmes umspannt einen für einen Kurzfilm ungewöhnlich langen Zeitraum von mehr als einem Jahr, der seinen Ausgangspunkt zu irgendeinem Zeitpunkt der Schlacht um den Chemin des Dames von April bis Oktober 1917 nimmt und irgendwann nach der Demobilisierung Simons nach Kriegsende um die Jahreswende 1918/ 19 endet. Die äußere Kürze von 11 Minuten und 15 Sekunden hat daher einen erheblichen Einfluss auf die Narration des Films. Sie führt im Genre Kurzfilm oftmals dazu, dass Hintergrundinformationen über das Bild geliefert werden, während über Ton und Geräusche bereits der weitere Verlauf der Handlung angedeutet wird. Die Darstellung von Bild und Ton verläuft also nicht symmetrisch, sondern ergänzend, was vor allem durch den Einsatz von Rückblenden und off-Ton Verfahren ermöglicht wird (vgl. H ENSELER / M ÖLLER / S URKAMP 2011: 148). Diese Form der Verdichtung lässt sich auch in Lettres de femmes an vielen Stellen nachweisen. Z ANOVELLO setzt an diversen Stellen off-Ton Verfahren mit unterschiedlichen Zielsetzungen ein. So werden in den Szenen, in denen Simon mit Hilfe der „lettres de femmes“ verwundete Soldaten versorgt, die Inhalte der Briefe von unterschiedlichen Frauenstimmen vorgelesen. Das Verfahren hat hier ergänzenden Charakter, da die Betrachter/ innen über die Sorgen und alltäglichen Angelegenheiten der daheim gebliebenen Frauen informiert werden (vgl. K UHN 2013b: 100). Gleichzeitig erzeugt Z ANOVELLO mit diesem Verfahren aber auch eine Verbindung zwischen Kriegsalltag und dem Leben in der Heimat. Die in den Briefen 54 Andreas Grünewald, Meike Hethey 45 (2016) • Heft 1 artikulierten Sorgen um die Soldaten, um die Arbeit, die ohne die Männer zu Hause erledigt werden muss, oder Liebeserklärungen, waren für viele Soldaten eine wichtige emotionale Unterstützung. 1 In seinem Film spricht Z ANOVELLO ihnen sogar heilende Wirkung zu. Eine andere Funktion erhält das off-Ton Verfahren in Szenen, in denen Madeleine ihre Briefe vorliest. Als Simon einen ihrer Briefe hervorholt, erhält der Betrachter durch Madeleines Stimme zwar zunächst ergänzende Informationen über die Entwicklung ihrer Beziehung zu Simon (vgl. 03: 01-03: 26). Im weiteren Verlauf der Szene beschreibt Madeleine jedoch die Grauen des Kriegsalltags, die Simon ihr geschildert hat und die in diesem Moment auch auf der Bildebene zu sehen sind (vgl. 03: 27- 03: 40). Während also im ersten Teil die visuelle und die sprachliche Erzählinstanz getrennt voneinander agieren, werden sie im zweiten Abschnitt dieser Szene miteinander verknüpft. Die extradiegetische visuelle Erzählinstanz, die zumeist heterodiegetisch angelegt ist, wird hier durch die homodiegetische sprachliche Erzählinstanz zu einem Spiegel der Gedanken des erzählenden Ichs (vgl. K UHN 2013b: 102). Diese Form des Zusammenspiels der filmischen Erzählinstanzen intensiviert Z ANOVELLO noch in einer weiteren Szene. In einem flashback erinnert sich Simon an seinen Besuch bei Madeleine. Während auf der Ebene der extra- und heterodiegetischen visuellen Erzählinstanz die Vergewaltigung angedeutet wird (vgl. 04: 36-04: 44), setzt auf der Ebene der sprachlichen Erzählinstanz Simons Stimme im off-Ton ein. Er liest seinen Brief an Madeleine vor, in dem er sie um Vergebung für sein unverzeihliches Verhalten bittet und ihr seine Liebe erklärt (vgl. 04: 45-05: 30). Durch den Einsatz eines intra- und homodiegetischen Erzählers in der sprachlichen Erzählinstanz fallen in dieser Szene das erzählte und das erzählende Ich zusammen (vgl. K UHN 2013b: 96). Inspiriert wurde Augusto Z ANOVELLO zu diesem Film durch die Figur eines poilu aus Papier, den der Artdirector Arnaud B ÉCHET in seinem Atelier angefertigt hatte und um den Z ANOVELLO im Anschluss seine Geschichte entwickelte. Die Fragilität des Materials, dessen Formen durch das Falten, Zerknüllen oder Zerreißen leicht verändert werden können, erschien ihm als eine passende Symbolik, um die seelische und physische Verwundbarkeit der Soldaten im Ersten Weltkrieg darzustellen (vgl. Making of 01: 12-01: 37). Die Figuren wurden ausschließlich aus Papier und Karton hergestellt. Gesichter, Hände und Uniformen sind nicht ebenmäßig, sondern lassen die einzelnen Papierfetzen und -stücke erkennen und symbolisieren so die Spuren, die das Kriegsgeschehen bei den Soldaten hinterlassen hat. Mit großem handwerklichen Aufwand entstand - ausgehend vom Scénario über Bleistiftskizzen im Storyboard - eine erste animierte Fassung, in der die Storyboard-Bilder abgefilmt und mit der Tonspur hinterlegt wurden. Diese erste Fassung diente als Grundlage für die Herstellung der Figuren, von denen eine Vielzahl an Fotografien in der Szenerie gemacht wurde. Durch das schnelle Abspielen dieser Bilder entstand die filmische Bewegung (vgl. Lettres de 1 „On manque de main d’œuvre pour les semences.“ [01: 37 - 01: 38] / „Il parle souvent de son papa et il joue à la guerre pour faire comme toi. Ça me fait toujours un pincement au cœur.“ [03: 53 - 03: 58] / „J’espère que tu portes ton cache-col en mohair que je t’ai tricoté.“ [04: 00 - 04: 03] / „Nos fiançailles sont dans un mois. Ça me ferait plaisir que tu sois là.“ [07: 11 - 07: 12] Kurzfilme im fortgeschrittenen Französischunterricht der Sekundarstufe I 55 45 (2016) • Heft 1 femmes: Des mots aux images 2 ). Mit der Idee, Briefen eine heilende Wirkung zuzuschreiben, griff Z ANOVELLO das Papiermotiv auf und brachte gleichzeitig ein fantastisches Element in den Film ein, mit dem er die Bedeutung der Poesie der Worte dieser Briefe in den Mittelpunkt rückt. Zwar spielt der Briefaustausch in Kriegszeiten immer wieder eine Rolle in Literatur, Film und historischer Forschung. Im Zentrum stehen dabei jedoch in der Regel die Feldpostbriefe der Soldaten. Z ANOVELLO rückt im Gegensatz dazu die Briefe der Frauen und ihre wichtige Bedeutung für den einzelnen Soldaten in den Mittelpunkt. 4. Beispiele für Arbeitsaufträge zu den Kompetenzfeldern ,Filmbezogen sprachlich handeln‘ und ,Film analysieren‘ Die Arbeit mit den beiden ausgewählten Kurzfilmen bietet zahlreiche Möglichkeiten, sowohl sprachliche als auch filmästhetische Kompetenzen zu fördern. Der Kurzfilm Lettres de femmes erfordert zusätzlich die genauere Betrachtung des historischen Kontextes, in den die Handlung eingebettet ist. Die folgenden Beispiele sollen helfen, die genannten Kompetenzbereiche in das Bewusstsein der Lehrkraft und der Schüler/ innen zu rücken und die entsprechenden Kompetenzen anzubahnen. Es handelt sich hierbei nicht um eine Lernaufgabe, sondern um beispielhaft formulierte Arbeitsaufträge zur Veranschaulichung des Potentials der gewählten Kurzfilme für die Umsetzung wesentlicher Aspekte zu den oben genannten Kompetenzbereichen. Die Beispiele wurden jeweils nur für einen der beiden Kurzfilme entwickelt, sind in den meisten Fällen aber auf den jeweils anderen übertragbar. Die grau hinterlegten Textpassagen sind Formulierungsbeispiele, die je nach Lerngruppe und Lernstand der unterrichtlichen Situation angepasst werden sollten. 4.1 Kompetenzfeld ‚Filmbezogen sprachlich handeln‘ Die ersten Beispiele verfolgen das Ziel, die kommunikativen Kompetenzen der Schüler/ innen in Verbindung mit der Filmrezeption zu fördern. Da beide Kurzfilme über einen hohen Sprachanteil verfügen, im Fall von La Fugue auch in einer Sprachvarietät (südfranzösischer Regiolekt), widmet sich Beispiel B ( S. 57) der Funktion von Sprache und dem inhaltlichen Nachvollzug der Filmhandlung. Dazu gehört auch der Einbezug von englischsprachigen Untertiteln als Verstehenshilfe. 2 Die DVD zu Lettres de femmes enthält neben dem eigentlichen Film zusätzlich das Making of sowie zwei kurze Filme Des mots aux images, die die Herstellungsschritte einzelner Sequenzen dokumentieren und so einen guten Einblick in die technische Machart von Lettres de femmes ermöglichen. 56 Andreas Grünewald, Meike Hethey 45 (2016) • Heft 1 Beispiel A - Assoziationen zur Filmhandlung und Arbeit mit Leerstellen In diesem Abschnitt geben wir Beispiele, wie Schüler/ innen die Gelegenheit erhalten können, Eindrücke, Assoziationen und Gefühle zum Film, aber auch Hypothesen zur weiteren Entwicklung der Filmhandlung zu äußern. Auch bei der Beschäftigung mit Lettres de femmes erweist sich gerade die Arbeit an Leerstellen als sinnvoll. Die Tatsache, dass die Erzählstruktur durch das Vorlesen von Briefwechseln getragen wird, bietet zahlreiche Anknüpfungspunkte zur Arbeit mit den sich daraus ergebenden Leerstellen. Lernende können in kreativen Schreibaufgaben dazu aufgefordert werden, Antworten zu verfassen oder Briefausschnitte zu komplettieren. Die folgenden Beispiele haben wir für La Fugue entwickelt. A1: Vor dem Sehen Associations d’idées autour du titre La Fugue 1. Que signifie La Fugue? De quoi pourrait s’agir un film portant un tel titre? En partant de l’affiche: 2. Voici l’affiche du film La Fugue. Décris-la. 3. Qui pourraient être ces personnages? 4. Dans quelle relation pourraient-ils se trouver? A2: Während des Sehens: Arbeit mit Leerstellen 1. Arrête le film au moment où Sabrina s’enferme au W.C. au palais de justice: Comment Sabrina se décidera-t-elle? 2. Va-t-elle rentrer à la salle d’audience? 3. Quelles indications y a-t-il? Justifie ton opinion. 4. Lakdar essaie de convaincre Sabrina à se livrer à la police et de faire face aux conséquences. D’abord, Sabrina refuse, mais finalement, elle se manifeste auprès de Lakdar et se livre à la police. Qu’aurait pu provoquer ce changement d’opinion ? 5. Rédigez un dialogue soit entre Sabrina et sa copine au foyer des jeunes soit entre elle et ses cousins en voiture. Peut-être que Sabrina a parlé avec ses parents qui lui ont proposé de se livrer. A3: Après le premier visionnement 1. Qu’est-ce qui t’a plu? 2. Qu’est-ce qui t’a surpris? 3. Qui est Lakdar et quelle est sa relation avec Sabrina? 4. Peux-tu décrire comment Sabrina a pu se sentir devant le tribunal? Justifie ton opinion. 5. Est-ce que tu peux comprendre sa réaction (sa fuite)? Justifie ton opinion. 6. Essaie d’expliquer, pourquoi Sabrina se livre finalement a la police. 7. À compléter: Il m’a surpris,e que ... Je trouve bizarre que ... Le film m’a plu parce que ... Le film ne m’a pas plu parce que ... Le film me fait penser à ... Je peux bien comprendre le comportement de Sabrina parce que ... Je ne peux pas comprendre le comportement de Sabrina parce que ... Kurzfilme im fortgeschrittenen Französischunterricht der Sekundarstufe I 57 45 (2016) • Heft 1 Beispiel B - Besonderheiten der verwendeten Sprache im Film Zur Vorentlastung oder Nachbereitung von La Fugue können einzelne Passagen genauer angehört und/ oder verschriftlicht werden, auch eine kurze Einführung in die Jugendsprache ist denkbar. Die Dialoge liegen ebenfalls in französischer Sprache vor (Lingua Video), so dass die Arbeit zur Sprachverwendung durchaus auch auf schriftlicher Basis erfolgen kann. Langue 1. Le film est-il facile à comprendre pour toi? Si non, pourquoi te pose-t-il des problèmes? - Usage du langage authentique des jeunes - Usage d’une langue régionale (Marseille) - prononciation indistincte - vocabulaire inconnu - débit - ... Sous-titres en anglais 2. Si tu as des problèmes à comprendre le court-métrage La Fugue, tu pourras le regarder avec des sous-titres anglais. Fais attention à ne pas seulement lire le texte anglais mais sers-toi aussi des représentations visuelles de l’action. Voici un extrait: I want her to see you the way I do: determined, indispensable to your soccer team, willing to work ... That’s what you need to show her. [09: 51-09: 57] 3. Essaie de déchiffrer la version française originale et note-la. _________________________________________________________________ _________________________________________________________________ 4. Qu’est-ce que l’extrait te dit sur la relation entre Lakdar et Sabrina ? 4.2 Kompetenzfeld ‚Film analysieren‘ Das zweite zu bearbeitende Kompetenzfeld ist das der Filmanalyse. Wie eingangs beschrieben, sind auch diese Beispiele nicht ohne den Einsatz der Fremdsprache zu bewältigen, aber der Fremdsprachenerwerb steht hier nicht im Mittelpunkt. Ziel dieser Beispiele ist es, Schüler/ innen in die Lage zu versetzen, eine große Bandbreite audiovisueller Gestaltungsmittel erkennen und beschreiben sowie deren Wirkung nachvollziehen zu können. 3 Insbesondere geht es darum, grundlegende Bausteine des Films (Figuren, Musik, Kameraeinstellungen, Handlungsort etc.) zu erkennen und zu benennen (Beispiel C). Beispiel D behandelt die narratologische Struktur 3 Zum notwendigen filmsprachlichen Vokabular gibt es sehr gute Glossare im Internet, auf die wir an dieser Stelle verweisen: Ein gutes zweisprachiges Glossar findet man auf den Seiten des Bildungsservers Berlin- Brandenburg: http: / / tinyurl.com/ mrq2y7y. Eine gute Zusammenstellung verschiedener Dokumente zum Vocabulaire cinéma hat Le Point du Fle zusammengestellt: http: / / www.lepointdufle.net/ cinema.htm. 58 Andreas Grünewald, Meike Hethey 45 (2016) • Heft 1 des Filmtextes, E die Kameraperspektiven und -einstellungen und Beispiel F den Einsatz von Ton, Musik, Licht und Farbe. Beispiel G fokussiert den Einsatz des off-Ton- Verfahrens, das in Lettres de femmes besonders zum Tragen kommt. Mit Beispiel H soll die Entwicklung des Genrewissens - in diesem Fall das des animierten Kurzfilms - gefördert werden. Beispiel C - Beobachtungsraster zur narrativen Ebene und zu filmästhetischen Mitteln Das Beobachtungsraster kann von Fokusgruppen ausgefüllt werden. Zu diesem Zweck erhalten unterschiedliche Schülergruppen unterschiedliche Beobachtungsaufträge: Eine Gruppe achtet z.B. insbesondere auf die Figuren und macht sich Notizen zu deren Darstellung, eine andere Gruppe achtet nur auf Kameraeinstellungen und -perspektiven usw. Nach der Filmrezeption werden die Raster gemeinsam ausgewertet. Beobachtungsraster Scène / Time Code Caractères Lieu d’action Musique/ Son / Lumière Caméra Beispiel D - Narratologische Struktur Die narratologische Struktur in La Fugue ist wie oben dargestellt leicht nachzuvollziehen, weil histoire und discours nahezu identisch sind. Folgende Leitfragen bieten sich an: • Quel est le sujet du film ? • Qui sont les protagonistes? • Où joue l’action du film? • Comment l’action est-elle exposée (de façon chronologique, en rétrospective etc.)? • Résume le contenu du court-métrage en quelques phrases. Beispiel E - Kameraführung Tu regarderas deux captures d’écran (Image 1 [00: 43], Image 2 [03: 03]). 1. Décris la position de la caméra. Où est-elle? De quelle perspective filme-t-elle la scène? Quel effet est-ce que cela produit chez le spectateur ? Regarde la première scène [00: 43-01: 38]. Kurzfilme im fortgeschrittenen Französischunterricht der Sekundarstufe I 59 45 (2016) • Heft 1 2. Décris aussi pour cette scène: Où est la caméra? De quelle perspective est-ce que la caméra filme la scène? Que voit le spectateur? Quelle perspective occupe le spectateur? 3. Quel effet est-ce que cela produit chez toi? Beispiel F - Ausleuchtung, Musik, Farbe und Ton F1: Ausleuchtung Regarde la même scène encore une fois [00: 43-01: 38] et décris son éclairage. 1. D’où vient la lumière? 2. Comment les intérieurs sont-ils éclairés? 3. Est-ce qu’ils sont plutôt clairs ou sombres? 4. Que pourrait signifier le fait qu’une lumière très claire tombe à l’intérieur tandis que le foyer est éclairé de façon sombre? Regarde la scène suivante: [02: 58-04: 20]. Décris encore une fois l’effet de son éclairage. 1. Quelles scènes sont bien éclairées? 2. Quel effet est-ce qu’on obtient? 3. Comment interprètes-tu le bon éclairage de l’entrée du palais de justice et le mauvais éclairage dans la salle d’audience? F2: Musik Dans La Fugue il n’y a que deux pièces de musique. Regarde la scène suivante dans laquelle Lakdar parle aux deux cousins de Sabrina et fais attention à la musique: [13: 13-13: 39] 1. Quelle musique entends-tu? 2. De quel style de musique s’agit-il? 3. Que représente ce style de musique en général? 4. Comment peut-on interpréter l’usage de cette pièce de musique dans cette scène? Regarde la deuxième scène, dans laquelle Lakdar accompagne Sabrina au commissariat: [20: 13-fin]. Pour reconnaître la pièce de musique tu pourras la „tagger“ au cas où tu as l’appli Shazam. Si tu ne disposes pas de cette appli, cherche le nom de la pièce dans le générique. 1. Quelle musique entends-tu? 2. De quel style de musique s’agit-il? 3. Essaie de rechercher sur Internet ce qui est un Penitential Hymn. Que représente ce style de musique en général? 4. Comment peut-on interpréter l’usage de cette pièce de musique dans cette scène? F3: Farbe/ Ton 4 In Lettres de femmes wird der Einsatz von Farbe und Geräuschen dazu verwendet, die extremen Unterschiede zwischen der enthumanisierten Welt der Schlachtfelder und der zivilen Alltagswelt darzustellen. 4 Time Code der Screenshots aus Lettres de femmes in der Reihenfolge des Erscheinens: Screenshot 1: [03: 06], Screenshot 2: [4: 13], Screenshot 3: [4: 43] 60 Andreas Grünewald, Meike Hethey 45 (2016) • Heft 1 Regarde la scène suivante, dans laquelle Simon se souvient de la rencontre avec Madeleine et fais attention aux couleurs et au son: [04: 14-04: 50] 1. Quelles couleurs dominent dans cette scène? 2. Quel effet ont-elles sur toi? 3. Quel son/ bruit perçois-tu dans la scène ? 4. Comment est-ce que tu interprètes l’usage des couleurs et du son en tant que moyens esthétiques dans ce film ? Beispiel G - off-Ton In Lettres de femmes ist das off-Ton-Verfahren ein dominantes Mittel der filmischen Gestaltung, das zugleich in unterschiedlichen Absichten eingesetzt wird. Die Schüler/ innen können in der Analyse des off-Ton-Einsatzes die Bandbreite dieses filmischen Verfahrens erfahren. Dazu bietet es sich an, die folgenden Szenen arbeitsteilig in Kleingruppen analysieren zu lassen. Im Plenum werden die Ergebnisse im Anschluss zusammengetragen, so dass die unterschiedlichen Wirkungsweisen deutlich werden. Regardez une des scènes suivantes et faites attention à la voix off: [03: 01-03: 40, 03: 41- 04: 14, 04: 36- 04: 44] 1. Qu’est-ce que vous apprenez par la voix off? 2. Est-ce que la voix off correspond avec l’image? 3. Quelles fonctions la voix off peut-elle remplir? Beispiel H - Les poilus en papier - Merkmale eines animierten Kurzfilms In Lettres de femmes sticht vor allem die Machart aus Papier-/ Pappfiguren und -dekor hervor. Im Zusammenhang mit der Thematik des Films kommt ihr eine besondere Bedeutung zu. Décris les figures et le décor. 1. Quels effets ces figures en papier ont-elles sur toi? 2. À ton avis, pourquoi est-ce qu’Augusto Zanovello s’est décidé à choisir le papier comme matériel de base? Regardez l’extrait de l’interview avec Augusto Zanovello et Arnaud Béchet. 1. Quels étaient leurs motifs? 2. Qu’est-ce qu’ils voulaient exprimer en faisant un film „en papier“? [Making of, 00: 16-2: 30, 4: 32-06: 00] Kurzfilme im fortgeschrittenen Französischunterricht der Sekundarstufe I 61 45 (2016) • Heft 1 4.3 Einordnung in den historischen Kontext (Kompetenzfeld ,Film kontextualisieren‘) Die Lernenden werden aufgefordert, in der Betrachtung des Films Bezüge zwischen der Filmwelt und der außerfilmischen Lebenswelt herzustellen. Vor allem in der Auseinandersetzung mit fiktionalen Filmen erfordert dies ein Bewusstsein der Betrachter/ innen für die Konstruiertheit der filmischen Wirklichkeit. Beispiel I: Einordnung in den historischen Kontext Lettres de femmes thematisiert zentrale Phänomene des Ersten Weltkriegs, von denen einige als generelle Charakteristika dieses historischen Ereignisses angesehen werden können, wie z.B. die Darstellung des Grabenkriegs, während andere lediglich im französischen Kontext auftraten, wie z.B. die marraines de guerre. Im Geschichtsunterricht erarbeiten sich die Lernenden in der Regel primär die politischen Hintergründe des Ersten Weltkriegs. Die Auseinandersetzung mit dem Film stellt hier also eine Ergänzung dar, weil vor allem der Kriegsalltag mit seinen traumatischen Erfahrungen im Feld und auch in der Etappe im Mittelpunkt steht. Der Bedeutung des Kontaktes zur Heimat kann hier in der Auseinandersetzung mit einem ästhetischen Text besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. La Guerre des tranchées 1. Comment le film montre-t-il la vie aux champs de bataille? 2. Comment vivent les soldats entre les attaques? 3. Qu’est-ce qui caractérise le champ de bataille? 4. Faites une recherche sur Internet sur la vie quotidienne dans les tranchées (p.ex. http: / / tinyurl.com/ ngd9wp8). Comparez les informations que vous y trouvez avec la représentation dans Lettres de femmes. Les marraines de guerre Madeleine est la marraine de guerre de Simon. Mais qui sont ces marraines de guerre? 1. Faites une recherche sur Internet (p.ex. http: / / tinyurl.com/ pmvs62c). 2. Analysez ce qu’elles représentent pour Simon et Raymond Gallet dans Lettres de femmes? Lettres de femmes / Lettres de soldats La poste militaire joue un rôle important dans les guerres modernes. Regardez les séquences suivantes [02: 22-03: 00, 3: 45-04: 14] et décrivez quelles fonctions ont les lettres dans ces scènes. 5. Fazit In unserem Beitrag haben wir exemplarisch an den beiden Kurzfilmen Lettres de femmes und La Fugue aufgezeigt, inwiefern sich Kurzfilme in besonderer Weise dazu eignen, mit Schüler/ innen der ausgehenden Sekundarstufe I den Kompetenzbereich 62 Andreas Grünewald, Meike Hethey 45 (2016) • Heft 1 ‚Film analysieren‘ zu fördern und demnach neben dem filmbezogenen sprachlichen Handeln und der Kontextualisierung von Film vor allem die Analyse von filmästhetischen Mitteln zu fokussieren. Kurzfilme haben gerade in der französischen Filmproduktion eine lange Tradition und stellen einen wichtigen Bereich des französischen Filmbetriebs dar. Die Kürze des Formats geht in der Regel mit einer hohen filmästhetischen Komplexität einher. Mit La Fugue haben wir einen Kurzfilm ausgewählt, der mit den Folgen von Jugendkriminalität in Marseille ein aktuell diskutiertes Thema in den Mittelpunkt rückt und den Schüler/ innen über die jugendliche Protagonistin Sabrina Identifikationsmöglichkeiten eröffnet. Der Film besticht durch seinen quasidokumentarischen Charakter, der primär durch die Kameraführung und das Licht hervorgerufen wird und für die Lernenden in seiner Wirkung gut zu erfassen ist. Mit Lettres de femmes ergänzen wir unsere Vorschläge zur filmästhetischen Arbeit um einen gänzlich anders gearteten Kurzfilm. Die besondere Machart dieses animierten Films, der Papierfiguren zum Leben erweckt, sowie der Fokus auf die Arbeit mit dem off-Ton-Verfahren, das die Poesie der Worte filmisch transportieren soll, betonen vor allem fantastische Elemente. Zugleich ist der Film aber auch ein interessanter Beitrag zur französischen Erinnerungskultur des Ersten Weltkriegs. Literatur B LELL , Gabriele / G RÜNEWALD , Andreas / K EPSER , Matthis / S URKAMP , Carola (Hrsg.) (2016): Film in den Fächern der sprachlichen Bildung. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. B LUME , O TTO -M ICHAEL (2012): „Banges Warten auf ein Telegramm. Kompetenz- und empathiefördernd arbeiten mit dem Kurzfilm Le télégramm“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Französisch 46/ 119, 38-44. H ENSELER , Roswitha / M ÖLLER , Stefan / S URKAMP , Carola (2011): Filme im Englischunterricht. Grundlagen, Methoden, Genres. Seelze: Klett Kallmeyer. K UHN , Markus (2013a): „Das narrative Potential der Handkamera. Zur Funktionalisierung von Handkameraeffekten in Spielfilmen und fiktionalen Filmclips im Internet“. In: DIEGESIS 2/ 1, Online: http: / / tinyurl.com/ qb77kpu [05.11.2015]. K UHN , Markus (2013b): Filmnarratologie. Ein erzähltheoretisches Analysemodell. Berlin/ Boston: De Gruyter. L ANGE , U LRIKE C. (2012): „Une bonne idée pour sauver mon meilleur ami. Sprechen fördern mit dem Kurzfilm Le poisson rouge von Cedric Klapisch“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Französisch 46/ 119, 26-29. L ESTIENNE , Camille (2014): Centenaire 14-18. Des marraines de guerre pour les soldats (1915). http: / / www.lefigaro.fr/ histoire/ centenaire-14-18/ 2014/ 08/ 22/ 26002-20140822ARTFIG00065-desmarraines-de-guerre-pour-les-soldats-1915.php [05.11.2015]. R ÖSSLER , Andrea (2009): „Überraschende Begegnungen der kurzen Art. Zum Einsatz von Kurzspielfilmen im Fremdsprachenunterricht“. In: L EITZKE -U NGERER , Eva (Hrsg.): Film im Fremdsprachenunterricht. Literarische Stoffe, interkulturelle Ziele, mediale Wirkung. Stuttgart: ibidem, 309- 323. V ENEMANN , Cécile (2012): „Partons pour ‚Ces jours heureux! ‘“ In: Der fremdsprachliche Unterricht Französisch 46/ 119, 18-25. Kurzfilme im fortgeschrittenen Französischunterricht der Sekundarstufe I 63 45 (2016) • Heft 1 Filme La Fugue, Frankreich, 2013. Jean Bernard Marlin. Les Films de la Croisade. Lettres de femmes, Frankreich 2013. Augusto Zanovello. Agence du court métrage et Project Images Films. © 2016 Narr Francke Attempto Verlag 45 (2016) • Heft 1 J ANINA V ERNAL S CHMIDT * Komplexe Lernaufgaben zur Förderung interkultureller kommunikativer Kompetenzen im Spanischunterricht der Sekundarstufe II - Ergebnisse einer empirischen Studie Abstract. Within the framework of an empirical study, the article provides a complex competence task for the film Dr. Aleman (2008) in a 12th grade of a German high school. The aim is to show that the film as a cultural resource for intercultural learning initiates (inter-)cultural interpretations and explanations. Section 2 initially examines film as a cultural representation in the foreign language classroom. In section 3, the empirical study and the complex task are introduced. A short synopsis of the film is given, and the learning potentials of the film for the Spanish as a Foreign Language Classroom are discussed. Section 4 provides the development of the task and didactic considerations for part-tasks. Subsequently, section 5 describes the method of data collection and interpretation and, furthermore, presents model preliminary results of the study. 1. Einführung Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Erstellung und dem Einsatz von komplexen Kompetenzaufgaben zu Spielfilmen im Spanischunterricht der Sekundarstufe II 1 . Es wird davon ausgegangen, dass sich der Einsatz von Filmen und insbesondere der hier vorgestellte Film Dr. Alemán (D, 2008, T OM S CHREIBER ) für die Anbahnung filmischer Kompetenzen und die Vertiefung interkultureller kommunikativer Kompetenzen (IKK) von Schüler/ innen im Fremdsprachenunterricht anbietet. Gleichzeitig stellt der Beitrag exemplarisch empirisch erhobene Daten und Ergebnisse vor. Als kulturelle Bedeutungsträger können Spielfilme den Lernenden eine „metakulturelle Reflexionsebene“ eröffnen (H ALLET 2010: 156). Dabei wird angenommen, dass diese mittels Empathie, Perspektivenwechsel und -koordination dazu angeregt werden, sich ihrer kulturellen Deutungsmuster und Prämissen bewusst zu werden und neue Sichtweisen oder verschiedene Handlungsoptionen kennenzulernen. Insbesondere bei der Rezeption von Spielfilmen führen empathische Prozesse wie z.B. kognitive Vorstellungen über die Empfindungen der filmischen Figuren oder moralische Interaktio- * Korrespondenzadresse: Janina V ERNAL S CHMIDT , M.A., Leuphana Universität Lüneburg, Institut für deutsche Sprache und ihre Didaktik (IDD), Scharnhorststr. 1, C1.134, 21335 L ÜNEBURG . E-Mail: janina.vernal@leuphana.de Arbeitsbereiche: Kulturdidaktik, qualitative Forschung, DaZ/ DaF. 1 Zur Kompetenzaufgabe vgl. H ALLET (2012a: 8-19) sowie B LELL / S URKAMP in diesem Heft. Komplexe Lernaufgaben zur Förderung interkultureller kommunikativer Kompetenzen 65 45 (2016) • Heft 1 nen zwischen Zuschauer/ innen und den filmischen Figuren und Handlungen (vgl. W ULFF 2003: 138ff.) zum „Aufbau einer fiktiven sozialen Handlungswelt“ (ebd.: 157, kursiv i.O.). Sie veranlassen zum Nachvollzug der inneren Profile der Figuren, der Handlungen und der story (vgl. ebd.: 154). Die häufig folgende filmische Anschlusskommunikation stellt eine Interaktionssituation dar, wie sie auch in der außerschulischen Lebenswelt von Schüler/ innen stattfinden kann und führt mitunter zu Aushandlungen über Deutungen filmischer Szenen zwischen den Rezipient/ innen. Im fremdsprachlichen Filmunterricht können Kompetenzaufgaben solche Interaktionsprozesse über (ausgewählte) Inhalte des Spielfilms herbeiführen und so Gespräche der außerschulischen Lebenswelt in das Klassenzimmer hineinholen. Da bislang keine empirischen Studien vorliegen, die sich mit Spielfilmen und komplexen Aufgaben zur Förderung der IKK und der Filmkompetenz im unterrichtlichen Feld beschäftigen, erscheint es angemessen, diese Forschungslücke zumindest ansatzweise zu schließen. Dies stellt das Ziel der unter 3.1 vorgestellten Studie im Rahmen meines Dissertationsprojekts dar. Im Mittelpunkt des vorliegenden Artikels stehen insofern folgende Fragestellungen: Was geschieht eigentlich, wenn Schüler/ innen mit Filmsequenzen und dazugehörigen Aufgaben konfrontiert werden? Welche kulturellen Deutungen und Orientierungen können für Schüler/ innen festgestellt werden? Zu diesem Zweck gehe ich in Abschnitt 2 zunächst auf einen kulturwissenschaftlich ausgerichteten Fremdsprachenunterricht, die Stellung des Mediums Film in diesem und den angemessenen Ansatz zur Förderung von Filmkompetenz ein. In Abschnitt 3 stelle ich die empirische Studie vor, in der eine komplexe Kompetenzaufgabe zum Spielfilm Dr. Alemán entstanden ist. Zudem wird eine Filmsynopse gegeben und dargelegt, inwieweit dieser Film für den Einsatz im Spanischunterricht geeignet ist. Abschnitt 4 befasst sich mit der Entwicklung der spezifischen Aufgabe und gibt Einblicke in die didaktischen Überlegungen zu einer Teilaufgabe. Im Anschluss werden im fünften Kapitel die Auswertungsmethode sowie exemplarische Ergebnisse vorgestellt. Ich schließe mit der Zusammenfassung der Ergebnisse. 2. Film in einem kulturwissenschaftlich ausgerichteten (Fremd-)Sprachenunterricht Die IKK wird in den „Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für den Mittleren Schulabschluss“ (KMK 2004) als ein isolierter Kompetenzbereich präsentiert. M.E. wäre es jedoch eher angebracht gewesen, nach einer didaktischen Gesamtkonzeption zu suchen, die auf einem Verständnis der kulturellen Bedingtheit aller Elemente von Gesellschaften basiert und somit auch der kulturellen Prägung der Akteur/ innen des schulischen Unterrichts gerecht wird. Ich meine, dass eine umfassende Konzeption zum Interkulturellen Lernen (vgl. H ALLET 2007), die vom Strukturmodell B YRAMS (1997) ausgeht, auf ein kohäsionsorientiertes Verständnis von Kultur rekurriert (vgl. R ATHJE 2009) und gleichzeitig Parallelen zur Pädagogik kollektiver Zugehörigkeiten von N OHL (2014) aufweist, eine komplexe Grundlage für einen sol- 66 Janina Vernal Schmidt 45 (2016) • Heft 1 chen Fremdsprachenunterricht sein kann. Ein kohäsionsorientiertes Kulturverständnis stellt die Merkmale der Differenz und der Multikollektivität, d.h. die gleichzeitige Teilhabe an verschiedenen Kollektiven von Individuen ins Zentrum. Gleichzeitig lässt die Kollektivzugehörigkeit eines Individuums durchaus Rückschlüsse darauf zu, „mit welchen kulturellen Gewohnheiten es vertraut, welche Verhaltensweisen, [Deutungsmuster, JVS] oder Denkkonzepte ihm bekannt sein könnten“ (ebd.). Ebenso werden die Langlebigkeit und Relevanz kultureller Normen, die Kraft von Traditionen und nationalen Mentalitäten anerkannt. So wird interkulturelle Kommunikation als eine Interaktion zwischen Individuen aus verschiedenen Kollektiven gefasst. Dabei kommt es aufgrund von noch unbekannten Differenzen zu Fremdheitserfahrungen. Diese werden im Rahmen von Interaktionen zu bekannten Differenzen, so dass Normalität gestiftet und Kohäsion erzeugt werden kann. In Übereinstimmung mit B LELL / S URKAMP (im vorliegenden Heft) wird hier ebenfalls die Meinung vertreten, dass das Medium Film in einem auch kulturwissenschaftlich ausgerichteten Fremdsprachenunterricht eine herausragende Rolle spielen kann (vgl. z.B. G RÜNEWALD 2009; H ALLET 2007: 40; H ENSELER / M ÖLLER / S URKAMP 2011: 10ff.; K EPSER 2015; S CHUMANN 2009). Welche Argumente sprechen dafür? Und welche Ansätze eignen sich für die Ausbildung von Filmkompetenz? 2 Für Jugendliche stellen Filme das „fiktionale Leitmedium“ (K EPSER 2008: 20) dar, was u.a. mit der immer leichteren Zugänglichkeit zu Filmen über das Internet zusammenhängt. Das Medium ist also lebensweltlich hoch relevant für die Schüler/ innen. Filme sind zudem ein über Ländergrenzen hinweg kulturell relevantes Medium (vgl. K EPSER 2015). Dies hängt K EPSER zufolge u.a. damit zusammen, dass Filme seit Beginn ihrer Existenz über nationale Grenzen hinaus rezipiert wurden und sich die Filmproduktionen durch diese Internationalisierung gegenseitig beeinflussten. Die „semiotische [...] Verfasstheit“ (ebd.: 84) von Filmen, die primär auf ikonischen Zeichen und Indizes beruht, führe zu einer geringeren Kulturspezifik als bei anderen Medien, die stärker mit Symbolen arbeiten. Dennoch bilden Filme, die sich an der außerfilmischen Realität 3 von Diskurswelten orientieren, mitunter Denkweisen und Verhalten realer Kollektive ab. Insofern besteht für Schüler/ innen die Möglichkeit, Wissen über die eben genannten Aspekte zu erlangen und die kulturelle Bedingtheit menschlichen Denkens und Handelns audiovisuell vermittelt zu erleben (savoir). Zugleich sollte im Sinne der filmkritischen Kompetenz ein Bewusstsein für die Vermitteltheit und Fiktionalität von Filmen geschaffen werden. Weiterhin sind nach K EPSER (ebd.: 84-87) die Internationalität filmischer Teams, internationale Drehorte und internationale Stoffe Merkmale von Filmen. Hieran 2 Ich knüpfe an das Filmkompetenzmodell von H ENSELER / M ÖLLER / S URKAMP (2011: 17) an. Die Teilkompetenzen umfassen die Wahrnehmungskompetenz, die filmästhetische und -kritische Kompetenz, die kulturelle sowie die fremdsprachliche Handlungs- und Kommunikationskompetenz. Die interkulturelle Kompetenz ist der Filmkompetenz ebenso zugeordnet. Aufgrund der zentralen Stellung der IKK in meinem Forschungsprojekt hebe ich einige Teilaspekte derselben hier mit Bezug auf die Gattung Film besonders hervor. 3 Mit I SER (1993: 20) definiere ich das Reale „als die außertextuelle Welt [...], die als Gegebenheit dem Text vorausliegt und dessen Bezugsfelder bildet“. Komplexe Lernaufgaben zur Förderung interkultureller kommunikativer Kompetenzen 67 45 (2016) • Heft 1 anknüpfend könnten die Lernenden für den Einfluss der Produktions- und auch der differierenden Rezeptionsbedingungen in anderen Diskurswelten sensibilisiert werden. Zahlreiche Filme thematisieren kulturelle Austauschprozesse und zeigen mal konfliktträchtig-dramatische, mal eher komödiantische Begegnungen zwischen Angehörigen unterschiedlicher Kollektive. Hier besteht die Möglichkeit, im Sinne des savoir comprendre, die Fähigkeit zu fördern, Missverständnisse und Störungen in filmisch dargestellten interkulturellen Interaktions- und Kommunikationssituationen zu identifizieren und zu erklären. Die Zuschauer/ innen haben an den fiktiven Situationen und Handlungen, dem „sozialen Feld“ des Films (W ULFF 2003: 138), durch empathische Prozesse teil und können zur kognitiven und affektiven Auseinandersetzung während der Rezeption selbst sowie in der Anschlusskommunikation angeregt werden. Hier liegt m.E. eines der wichtigsten Argumente für den verstärkten Einsatz von Filmen in einem kulturwissenschaftlich orientierten Fremdsprachenunterricht. Es handelt sich um die Möglichkeit, die Bereitschaft zur Perspektivendarstellung und -übernahme im Rahmen kulturell aufgeladener Situationen (savoir être) zu fördern. Für Empathie, verstanden als Gefühlsübernahme und Gefühlsverständnis (vgl. ebd.), bedarf es sowohl der kognitiven Perspektivenübernahme, die den Nachvollzug des Denkens anderer Personen meint, als auch der affektiven Perspektivenübernahme, die auf das Verstehen von Emotionen abzielt (vgl. E BERHARDT 2013: 307). Nicht zuletzt werden unsere Vorstellungen von der eigenen und anderen Gemeinschaft(en) seit mehr als 100 Jahren durch Filme geprägt (vgl. W INTER 2012: 42). Dies verschafft z.B. die Gelegenheit, im Unterricht mit Filmen zu arbeiten, die mit diesen Vorstellungsschemata brechen, und so - im Rahmen der Förderung des savoir s’engager - kulturell aufgeladene Situationen und Phänomene auf der Basis von Kriterien zu analysieren. Dieser kurze Aufriss zur kulturellen Bedingtheit des Films und zu seinem Einfluss auf die Wahrnehmung demonstriert, dass dem Medium eine größere Rolle im Fremdsprachenunterricht zukommen sollte. Damit zusammen hängt die Frage eines angemessenen Ansatzes für die Förderung der Filmkompetenz. In der empirischen Studie habe ich mich für eine Kombination der Ansätze Filmverstehen und Filmerleben entschieden. So werden die Schüler/ innen in einigen Aufgaben z.B. zum close viewing/ listening angehalten, um so für die filmspezifische Sprache und deren Wirkung auf die Zuschauer/ innen sensibilisiert zu werden. Komplementär wird der Spontaneität und Vielfalt der individuellen Deutungen in dem subjektbezogenen und erfahrungsorientierten Filmerlebensansatz (vgl. D ECKE -C ORNILL / L UCA 2010: 203 sowie B LELL / S URKAMP im vorliegenden Band) Rechnung getragen. In diesem geht es primär um die lebensgeschichtliche Bezogenheit der Rezeption, die sich auf die Vergangenheit oder die Zukunft beziehen kann. 68 Janina Vernal Schmidt 45 (2016) • Heft 1 3. Der Rahmen für die komplexe Kompetenzaufgabe Im Folgenden stelle ich zunächst die empirische Studie vor. Danach begründe ich die Auswahl des Spielfilms Dr. Alemán, für den die komplexe Kompetenzaufgabe entwickelt wurde. 3.1 Die Studie In meinem Dissertationsprojekt bin ich den kulturellen Deutungen und Orientierungen der Lehrkraft und der Oberstufenschüler/ innen eines Spanisch-Leistungskurses an einem norddeutschen Gymnasium nachgegangen. Das empirische Erkenntnisinteresse lag darin herauszufinden, auf welches Verständnis von Kultur und Interkulturalität die Lehrkraft ihren Unterricht aufbaut und welche kulturellen kollektiven und individuellen Deutungen und Orientierungen sich bei den Oberstufenschüler/ innen in einem filmbasierten Spanischunterricht erkennen lassen. Ich gehe davon aus, dass ein solcher empirisch fundierter Einblick in vorhandene Sichtweisen von Kultur im Spanischunterricht der Konzeptionsdebatte um Inter- und Transkulturalität sowie der Kulturdidaktik generell neue Anstöße geben kann. Folglich kann auf ein empirisch rekonstruiertes Kulturverständnis von Oberstufenschüler/ innen sowie von der Lehrkraft zurückgegriffen werden. Zu diesem Zweck habe ich eine komplexe Kompetenzaufgabe zur Förderung der IKK und der filmischen Kompetenzen entwickelt. Die Sichtung von bestimmten Filmsequenzen und die Aufgaben sollten die Schüler/ innen dazu anregen, Geschichten aus ihrem eigenen Erfahrungsschatz zu erzählen und basierend auf ihrem Hintergrundwissen Bedeutungen der Ereignisse, Inhalte und Themen des Films verbal auszuhandeln. Als theoretischer Bezugsrahmen bieten sich dafür soziologische Handlungstheorien des interpretativen Paradigmas wie bspw. der symbolische Interaktionismus an. 4 Den Hauptgegenstand der Aufgabe stellen vier Filmsequenzen aus Dr. Alemán dar. Die Sequenzen wurden mithilfe einer kulturwissenschaftlichen Filmanalyse untersucht und ausgewählt (s. 3.2.4 und V ERNAL S CHMIDT 2015). Weitere Texte wie der Trailer und die Webseite zum Film sowie ein Abschnitt einer Kurzgeschichte und ein Sachtext waren ebenso Teil der komplexen Kompetenzaufgabe. Eine darauf aufbauende Unterrichtssequenz wurde von einer Lehrkraft in einem Spanischleistungskurs der 12. Klasse in 9 Unterrichtsstunden angeleitet. Der Unterricht wurde videographiert und die Partner-/ Gruppenarbeiten der Schüler/ innen mit einem Diktiergerät aufgenommen. Zudem wurde nach Beendigung der Unterrichtssequenz ein Leitfadeninterview mit der Lehrkraft durchgeführt. Die Daten wurden mithilfe der dokumentarischen Methode ausgewertet (vgl. B OHNSACK 2013). 4 In dieser Theorie wird soziales Handeln als davon abhängig verstanden, wie ein Individuum und sein Gegenüber eine Situation verstehen und eine gemeinsame Deutung der Wirklichkeit aushandeln. Komplexe Lernaufgaben zur Förderung interkultureller kommunikativer Kompetenzen 69 45 (2016) • Heft 1 3.2 Der Film Die Zusammenfassung von Dr. Alemán ermöglicht einen Einblick in die Filmhandlung. Im Anschluss wird der Spielfilm im Hinblick auf seine kulturelle Verfasstheit anhand von drei Aspekten analysiert: dem Filmgeschehen, der Rezeption sowie der Produktion (vgl. K EPSER 2015). 3.2.1 Filmsynopse Der 26-jährige Jungarzt Marc stammt aus einer gut situierten Frankfurter Familie. Für das medizinische Jahr geht er in ein Krankenhaus nach Cali/ Kolumbien. Nach nur kurzer Zeit muss Marc das Haus der bürgerlichen Gastfamilie aufgrund einer Intrige der Gastschwester verlassen. Die Kioskbesitzerin Wanda, mit der er seit seinem ersten Arbeitstag in Kontakt steht, nimmt ihn vorübergehend bei sich auf. Wanda ist eine vom Schicksal gezeichnete junge Frau, die den Straßenkindern am Rande des Slums Siloé ein Zuhause gibt. Marc ist fasziniert von ihr, sie verlieben sich ineinander und werden ein Paar. Ihn beeindruckt das Leben im Armenviertel. Immer mehr verliert er den Bezug zur Welt außerhalb des Slums. Marcs anfänglich noch geringer Drogenkonsum steigert sich im Laufe des Filmes. Es kommt so weit, dass Marc sich mit dem gefährlichsten Gangster El Juez (der Richter) in Siloé trifft. Als El Juez Marc zu seinem Leibarzt ernennen will, erteilt Marc ihm eine Absage. Die Entscheidung gegen das Bandenoberhaupt und die Loyalität zu Wanda und ihren Zöglingen haben Konsequenzen für die Sicherheit Wandas, der Kinder sowie für Marc selbst. Kurz nach dem besagten Treffen wird ein Ziehkind Wandas und guter Freund Marcs von El Juez ermordet. Wanda ergreift mit den jüngeren Kindern die Flucht. Marc erkennt die Konsequenzen seiner Verstrickung mit El Juez zu spät: Vor seinen Augen erschießt dieser Wanda. Kurz entschlossen rächt sich Marc an El Juez und dessen Frau, indem er sie von hinten erschießt. Verurteilt wird Marc nicht für die Tat. 3.2.2 Filmgeschehen und Rezeption Es gibt jene Filme, die kulturelle Begegnungen direkt zeigen, und andere, die kulturelle Begegnungen metaphorisch behandeln. Erstes ist bei Dr. Alemán der Fall. Ob der in Kolumbien gedrehte Film und das Filmgeschehen der ausgewählten Sequenzen für die Schüler/ innen bedeutsam sind, hängt u.a. damit zusammen, „inwiefern deren Kulturen [bzw. kollektive Zugehörigkeiten, JVS] mit den im Film gezeigten übereinstimmen“ (K EPSER 2015: 94). In anderen Worten: Inwiefern teilen die Zuschauer/ innen Erfahrungsräume mit dem filmischen Diskursraum, welche Wissens- und Bedeutungsstrukturen teilen sie mit den gezeigten Figuren und Handlungen? Welche „kulturellen Repräsentationen“ (N OHL 2014: 147), v.a. welche Fremdrepräsentationen erkennen sie und wie sieht es mit der Zuordnung von Menschen und Handlungspraxen zu gewissen Kollektiven aus? Da die filmisch repräsentierten Systeme, Texte und kulturellen Deutungsmuster der fiktiven Welt den Schüler/ innen zuweilen nicht bekannt sein können, ist es wichtig, die potenziell fremden Elemente für die Filmsichtung im Klassenzimmer 70 Janina Vernal Schmidt 45 (2016) • Heft 1 sowohl im Voraus als auch mit ihnen gemeinsam im Unterricht herauszuarbeiten. So werden diese für die Lehrkraft antizipierbar und für die Schüler/ innen erkennbar und explizierbar. Dazu soll die kulturwissenschaftliche Filmanalyse, die in 3.2.4 beschrieben wird, befähigen (vgl. V ERNAL S CHMIDT 2015). 3.2.3 Produktionskontexte Dr. Alemán ist eine internationale Produktion: Der Regisseur, der Kameramann sowie der Protagonist sind deutscher Herkunft; die weiteren Mitglieder des Produktionsteams und die restlichen Schauspieler/ innen stammen (soweit bekannt) aus Kolumbien. Neben unterschiedlichen kulturellen Gruppen treffen verschiedene Generationen und soziale Klassen sowie Berufsgruppen (z.B. professionelle Schauspieler und Laienschauspieler) aufeinander. Gedreht wurde der Film in Cali/ Kolumbien. Insofern liegt auch hier bereits eine interessante kulturell diverse Situation vor. Zur unterrichtlichen Einsetzbarkeit stehen die Fragen, „wer mit welchem Blick für wen eine Kultur in Szene setzt“ (K EPSER 2015: 92) und was die Lehrkraft für authentische Lerninhalte hält, d.h. im zielsprachlichen Kulturkreis tatsächlich oder so ähnlich auffindbare Lerngegenstände, im Fokus. Als Spielfilm ist die filmisch erzählte story fiktiv und durch das Medium selbst vermittelt. Auch die Produktionsumstände des Films gestalten sich komplex. So ist Dr. Alemán, wie oben erwähnt, in einem multikollektiven Raum mit kulturell mehrfach verorteten Individuen entstanden. Der Regisseur z.B. ist zwar deutscher Herkunft, bringt aber als ehemaliger Stipendiat auf Kuba und längeren Aufenthalten in Spanien kulturell vielfältige Auslandserfahrungen mit. Der Blick des ebenso in Deutschland sozialisierten Kameramanns, der wahrscheinlich über andere kulturelle Gewohnheiten, Verhaltensweisen und Denkkonzepte als das Kollektiv der Bewohner vom kolumbianischen Armenviertel Siloé oder als das Kollektiv der wohlhabenden Oberschicht, wie es im Film durch die Ärzte vertreten wird, verfügt, ist für Marcs Sicht in Dr. Alemán sicherlich als authentisch im Sinne von zuverlässig und glaubwürdig zu beurteilen. Hingegen wäre der Blick eines kolumbianischen Kameramanns, der die kulturellen Repräsentationen nicht als Fremdsondern als Selbstrepräsentationen erlebt, wahrscheinlich als weniger authentisch im o.g. Sinne einzuordnen. Er müsste sich erst in die Rolle des allochthonen Protagonisten hineinversetzen, um diesen fremden Blick auf die Gegebenheiten, die ihm eigentlich bekannt sind, nachzuahmen und mit der Linse einfangen zu können. 3.2.4 Die kulturwissenschaftliche Filmanalyse Die hier diskutierte kulturwissenschaftliche Filmanalyse 5 für den schulischen Kontext bietet der Lehrkraft ein theoretisch begründetes Instrument, mit dem sie die in Filmen vorausgesetzten kulturellen Wissensbestände zunächst herausarbeiten und dann auf deren Zugänglichkeit für die Schüler/ innen überprüfen kann. So können sich Anknüp- 5 Es existieren umfassendere kulturwissenschaftlich geprägte Ansätze wie z.B. die von W INTER (2012) vorgestellten Studien zur Dekonstruktion des postmodernen Hollywoodfilms (z.B. D ENZIN 1991). Komplexe Lernaufgaben zur Förderung interkultureller kommunikativer Kompetenzen 71 45 (2016) • Heft 1 fungspunkte für wertvolle kulturelle Lernmomente im Fremdsprachenunterricht ergeben. Grundlegend für die Film-/ Sequenzauswahl in der Studie waren folgende Kriterien (vgl. V. N ÜNNING 2013: 157ff.): 1. die Adressatenorientiertheit des Films, 2. die Anschlussfähigkeit an Wissensbestände, Werte und Ziele der Schüler/ innen, 3. die Möglichkeit, den Film im institutionellen Bildungskontext der Sekundarstufe II zu zeigen sowie 4. die interne Stimmigkeit (temporale, kausale und thematische Kohärenz) des Films. Den ersten Aspekt erfüllt in Dr. Alemán der Protagonist Marc. Die Figur bietet sowohl die Möglichkeit zum Hineinversetzen als auch zur Distanzierung an. Zudem ist es von Vorteil, dass der Protagonist einige interkulturelle Missverständnisse erlebt. So ist der Film für die Förderung der IKK gut einsetzbar. Da der Film nur ausschnittsweise im Unterricht gezeigt wurde und die Sequenzen aus dem ersten Drittel des Films stammen, konnten größere zeitliche und räumliche Sprünge innerhalb der Sequenzen vermieden werden. In Bezug auf den zweiten Aspekt gehe ich von der Annahme aus, dass sich die filmisch repräsentierte Welt in verdichteter Form auf die mentalen, sozialen, materialen und sprachlichen Aspekte (vgl. A. N ÜNNING 2013: 28) der außerfilmischen Wirklichkeit bezieht. Zugleich ist eine Rückwirkung der filmischen Inszenierungen auf die außerfilmische Wirklichkeit der Rezipient/ innen möglich (vgl. dazu R ICŒUR 1984). Es ist anzunehmen, dass die filmisch repräsentierten Systeme und kulturellen Deutungsmuster den Schüler/ innen mitunter nicht bekannt sind und somit bestenfalls übergangen werden oder zu Fehlinterpretationen führen können. Dies ist bedeutsam, da die filmisch erzählten Inhalte eine wirklichkeitskonstituierende Kraft innehaben, die auf die Identitätsbildung der Schüler/ innen einen Einfluss haben kann (vgl. A. N ÜNNING 2013: 32f.; vgl. V. N ÜNNING 2013: 151). In der Umsetzung der Analyse habe ich mich auf die filmisch repräsentierten kulturellen Deutungsmuster bei den Figuren und deren Handlungen konzentriert. Dabei wurde von zwei Perspektiven ausgegangen: Zunächst wurden die verwendeten filmästhetischen Mittel beschrieben. Dann wurden mögliche intendierte Funktionen der Verwendung der filmischen Mittel und der Darstellung erarbeitet. Zuletzt habe ich Überlegungen angestellt, inwiefern die kulturelle Aufladung der dargestellten Situationen und Handlungen bei den Schüler/ innen zu Schwierigkeiten bei der Rezeption führen können. Zu diesem Zweck habe ich mich an einer spezifischen Zuschauervorstellung, die sich den Schüler/ innen annähert, ausgerichtet und diese in einen Vergleich mit dem „struktursensiblen idealen Rezipienten“ (K UHN 2011: 112) gesetzt. Im Folgenden stelle ich eine gekürzte Version aus der Filmanalyse vor, die in der Studie in der tarea 3 verwendet wurde (vgl. hier 4.3). In der Sequenz (0: 04: 17-0: 05: 20) begegnet Marc seinem neuen Chef, reicht ihm die Hand und sagt „Buenos días“. Der Chefarzt schüttelt Marcs Hand und antwortet mit dem Hitlergruß: „Como se dice en su país: ¡Heil Hitler! “ und entschwindet rechts aus dem Bild durch den von den schwer bewaffneten vigilantes gesäumten Eingang. Marc 72 Janina Vernal Schmidt 45 (2016) • Heft 1 bleibt noch einen Moment mit einem perplexen Gesichtsausdruck stehen, sieht die beiden Wachmänner an und folgt dem Chefarzt ins Krankenhaus. Diese kurze Szene lässt sich als ein negativer critical incident im Rahmen eines Begrüßungsszenarios beschreiben. Abb. 1: Standbild von Marc und dem Chefarzt kurz nach dem Hitlergruß (Dr. Alemán, 0: 05: 17) und Erklärungen zur Kameraeinstellung aus der tarea 3 Es scheint so, als sähe der Arzt Marc als einen Repräsentanten des Kollektivs „Nationalsozialisten“ an, d.h. er spiegelt eine Fremdsicht auf Menschen deutscher Herkunft, die bei ihm möglicherweise durch die Rezeption von Kriegsfilmen gewachsen ist. Diese Meinung wird wohl nicht mit dem Bild der Schüler/ innen vereinbar sein, da sie sich sehr wahrscheinlich zum nationalen Kollektiv „der Deutschen“ zugehörig fühlen, sich jedoch nicht mit dem Nationalsozialismus identifizieren. Es handelt sich bei dem Satz um eine Fremdzuschreibung im Modus eines Vorurteils. Sowohl der Gruß als auch die Einordnung aller Deutschen als Nazis können als äußerst offensiv empfunden werden. Insofern ist die Begrüßung durch den Arzt vorerst als eine Art Angriff auf Marcs Integrität oder zumindest als eine gewollte Provokation zu bezeichnen. Sympathisch stellt sich der Arzt gegenüber Marc in dieser Szene jedenfalls nicht dar. Durch die Anregung zur Verbalisierung der Gefühle und die Aufforderung, einen inneren Monolog zu dem Moment kurz nach dem Hitlergruß zu schreiben (Teilaufgabe 9b), kann bei den Schüler/ innen eine Auseinandersetzung mit diesem Vorurteil angebahnt werden. Gleichzeitig lenkt die Aufgabe durch das auf dem Arbeitsblatt abgebildete Standbild die Aufmerksamkeit der Schüler/ innen auf die filmische Einstellungsgröße und ihre Wirkungsintention im Hinblick auf Marcs emotionale Reaktion (s. Abb. 1). Dabei können das Nachvollziehen sowie die Deutung der Gefühle der Leinwandfigur in Verbindung mit der Kompetenz, auf Mimik und Gestik zu achten und diese auch einzuschätzen, vermittelt werden. 4. Die komplexe Kompetenzaufgabe Im folgenden Kapitel werden theoretische Überlegungen zur komplexen Kompetenzaufgabe präsentiert. Zudem stelle ich einen Ausschnitt aus der Aufgabe vor. Zwei Bemerkungen vorab: Aquí tenemos un ejemplo de un plano cercano (Nahaufnahme). Se muestra la cabeza y el pecho de los personajes. Así se destacan la mímica y los gestos de los personajes. Fijaos en la cara de Marc, ¿qué estará pensando? Komplexe Lernaufgaben zur Förderung interkultureller kommunikativer Kompetenzen 73 45 (2016) • Heft 1 1. Die Aufgabe strukturiert das Material zwar vor, hat aber nur einen bedingten Einfluss auf Lernzuwächse. Sie kann diese bestenfalls bei den Schüler/ innen anregen und fördern. 2. In der Studie übernimmt die komplexe Kompetenzaufgabe zugleich die Funktion eines Forschungsinstruments, anhand dessen die Bedeutungsaushandlungen und so die Generierung von verbalen Daten innerhalb der Schülergruppen und für die Besprechungen im Plenum mit der Lehrkraft ermöglicht wurden. 4.1 Die Erstellung einer komplexen Kompetenzaufgabe Bei der Vorstellung der inhaltlichen und formalen Merkmale der Kompetenzaufgabe lehne ich mich an H ALLET s Konzept von Kompetenzaufgaben an (vgl. z.B. H ALLET 2012a, 2012b). Die Aufgabe übernimmt in der Studie die Funktion eines Planungs- und Strukturierungsinstruments. Das übergreifende Kompetenzziel der Aufgabe ist es, die Auseinandersetzung mit dem Verständnis von Kultur zu initiieren und zu ermöglichen. Das Ergebnis dieser Auseinandersetzung soll sich im Schülerprodukt zeigen, einem auf Spanisch zu verfassenden Artikel in einer lateinamerikanischen Zeitschrift für Jugendliche zum Thema „Deutschland, seine Leute und seine Kultur(en)“. Dies stellt die tarea final dar. Zur Vorbereitung des Artikels wurden fünf tareas mit 16 Teilaufgaben gestellt, die der Förderung der IKK und der filmischen Kompetenzen dienen. Die tareas umfassen den Einsatz sprachlicher Mittel, v.a. neuer Lexik, sowie das close viewing und das close listening. Die Teilaufgaben 2 bis 5 gehen jeweils auf eine der vier ausgewählten Filmsequenzen aus Dr. Alemán ein. Abb. 2: Aufbau der komplexen Kompetenzaufgabe zu Dr. Alemán Komplexe Filmaufgabe zu D R . A LEMÁN Tarea 1 Teilaufgaben 1-4 Webseite, Trailer Tarea 2 Teilaufgaben 5-7 Filmseqeuenz 1 (Marcs Ankunft in Cali), 1. Teil der Kurzgeschichte Tarea 3 Teilaufgaben 8-11 Filmseqeuenz 2 (Marcs erster Tag im Krankenhaus) Tarea 4 Teilaufgaben 12-13 Filmsequenz 3 (Marc in der Gastfamilie & am Kiosk) Tarea 5 Teilaufgaben 14-16 Filmsequenz 4 (Telefongespräch mit der Mutter), 2. Teil der Kurzgeschichte & Sachtext Tarea final 74 Janina Vernal Schmidt 45 (2016) • Heft 1 Die Themen der Aufgabe sind der Auslandsaufenthalt und das Verhalten in fremdsprachigen Umgebungen und/ oder kulturell anders geprägten Diskurswelten. Das multimodale Materialarrangement bezieht noch weiteren medialen Input wie die Webseite zum Film, den Filmtrailer und einen Teil einer Kurzgeschichte aus dem Lehrwerk ¡Adelante! Nivel Intermedio (B ARQUERO et al. 2011: 97) sowie einen zusätzlichen Sachtext aus dem Lehrwerk ein (s. 3.1). Weiterhin bietet die Aufgabe einige scaffolding-Angebote z.B. in Form einer Bereitstellung sprachlicher Mittel oder in Form von Filmstandbildern, teilweise mit Infoboxen zu filmsprachlichen Mitteln. Die vorrangige Sozialform ist die Partner- und Gruppenarbeit. 6 Zur Ergebnissicherung kommt die Plenumsarbeit vor. Das Lernerprodukt wird in Einzelarbeit als Hausaufgabe angefertigt. 4.2 Merkmale von Kompetenzaufgaben für die Förderung der IKK Ich habe dem spezifischen Erkenntnisinteresse der vorliegenden Studie folgend versucht, die Merkmale von Kompetenzaufgaben zur Entwicklung und Stärkung der IKK bei der Aufgabengestaltung zu beachten (vgl. z.B. C ASPARI 2010: 64; M ÜLLER -H ART - MANN / S CHOCKER / P ANT 2013: 164). Folgende Aspekte waren dabei leitend: 1. Die Aufgabe ist motivierend und involviert die Schüler/ innen und ihre Erfahrungen. 2. Sie sensibilisiert die Schüler/ innen für die Wahrnehmung eigenkultureller Praktiken und regt zur Reflexion dieser an. 3. Die Aufgabe unterstützt die Schüler/ innen dabei, andere kulturelle Praktiken wahrzunehmen, für sich als bedeutsam zu entdecken, zu verstehen; dazu liefert sie mitunter soziokulturelles Orientierungswissen. Zudem regt sie zum Perspektivenwechsel an. 4. Sie regt die Schüler/ innen dazu an, die eigenen mit den anderen kulturellen Praktiken zu vergleichen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu erkennen, die kulturellen Praktiken zu bewerten, zu begründen und vielleicht eine neue Position zu beziehen bzw. eine Perspektivenkoordination zu realisieren. Bezüglich der filmischen Kompetenzen stand aufgrund des Settings für die Studie die rezeptiv kommunikative gegenüber der produktiven Filmarbeit im Vordergrund. So sollten die Schüler/ innen durch die Aufgabe angeregt werden, Zusammenhänge zwischen der spezifischen Filmsprache, den möglicherweise intendierten Wirkungen und ihrem eigenen Filmerleben herzustellen. Fast alle Aufgaben waren in Gruppen zu bearbeiten, da es auf diese Weise zu den erwünschten Bedeutungsaushandlungen kommen kann. Die tareas wurden meist nach dem Dreischritt des antes - durante - después konzipiert. 6 Im Folgenden werde ich nur noch von Gruppen (G.) sprechen. Damit sind sowohl die Partnerals auch Gruppenarbeiten gemeint. Komplexe Lernaufgaben zur Förderung interkultureller kommunikativer Kompetenzen 75 45 (2016) • Heft 1 4.3 Tarea 3: Die Teilaufgabe 9 b) Die tarea 3, auf die hier exemplarisch eingegangen werden soll, fokussiert insgesamt die filmische Handlungsebene und zielt stärker auf das Filmerleben als auf die Filmanalyse ab. Es geht v.a. um die Förderung folgender Teilaspekte der IKK (vgl. B YRAM 1997: 50ff.): • Missverständnisse und Störungen in filmisch dargestellten interkulturellen Interaktions- und Kommunikationssituationen zu identifizieren und zu erklären (savoir comprendre), • Förderung der Bereitschaft zur Perspektivendarstellung und Perspektivenübernahme im Rahmen kulturell aufgeladener filmisch vermittelter Situationen (savoir être), • Wissen über Denkweisen, Einstellungen, Verhalten und die kulturelle Bedingtheit dieser Aspekte (savoirs). In der Teilaufgabe 9 b) sollten die Schüler/ innen in zwei Schritten Antworten auf folgende Frage finden: „¿Cómo se siente Marc cuando el Dr. Méndez le saluda con las palabras ‘Heil Hitler’? “ Dazu sollten sie zunächst die Gefühle in Stichworten notieren. Anschließend sollten sie einen inneren Monolog aus Marcs Sicht zur Situation verfassen. 5. Exemplarische Teilergebnisse aus den Gruppenarbeiten Bezugnehmend auf das Thema des Beitrags habe ich Daten ausgesucht, an denen kulturelle Deutungen und Orientierungen der Schüler/ innen deutlich hervortreten. Der filmisch inszenierte critical incident der Hitlergrußsequenz (0: 04: 17-0: 05: 20) wurde in zwei der vier Gruppen als Anknüpfungspunkt für „abstrahierende Beschreibungen“ von Erfahrungen (vgl. P RZYBORSKI / W OHLRAB -S AHR 2014: 235ff.) genutzt, welche die Schüler/ innen während eines Auslandsaufenthalts in Spanien gemacht oder über die Dritte berichtet haben. Es sind Situationen, in denen sie mit Fremdzuschreibungen durch Spanier/ innen und Nordamerikaner/ innen konfrontiert wurden. Somit handelt es sich um emotionale Reaktionen und persönliche Stellungnahmen der Lernenden zu der Szene im Rahmen filmischer Anschlusskommunikation. Bereits die Tatsache, dass die Schüler/ innen diese Erfahrungen im Anschluss an diese Szene im Rahmen der Unterrichtssituation artikulieren, stellt für mich ein Ergebnis dar: Spielfilme können als diskursinitiierende Ressource für eigene interkulturelle Erlebnisse der Lernenden dienen. Die folgenden Transkriptionsauszüge (Gruppe 1 und 2) zeigen, wie die Schüler/ innen ihre Erfahrungen formulieren und was dies über ihre Orientierungen aussagt 7 : 7 Ich schließe hier an die Analyseeinstellung M ANNHEIMS (1964: 134) an. In dieser geht es darum, welches Verhalten gewählt wird (die Schüler sprechen über eigene critical incidents) und wie dieses Verhalten aussieht (wie stellen sie diese (non)verbal dar? ). 76 Janina Vernal Schmidt 45 (2016) • Heft 1 Gruppe 1 Anne: Ja. ((Lacht)) (---) Aber manchmal sind die auch so dumm einfach. Ich wurde bestimmt zehnmal in Spanien gefragt, ob ich n Nazi bin ((spricht schnell)). Astrid: Ja. (Normal.) Anne: „Klar, deshalb bin ich auch grad im Ausland und rede mit euch.“ ((spricht schnell; schnippst)) / / Astrid: Ja. / / Ey, total sinnlos. Astrid: Stimmt. ((Lacht)) (5) Gruppe 2 Jenny: Boah, v-, voll viele Aus-, Ausländer denken auch noch, dass Hitler lebt und so, ne? / / Leonie: Ja? / / Ich hab von voll vielen gehört, die in Amerika waren, dass die irgendwann fragen: „Ja, wie findest du eigentlich Hitler und lebt der eigentlich noch? “ und sowas. / / Leonie: Keine Ahnung. *Echt dumm.* / / *Voll krank.* / / Leonie: Weil sowas weiß man doch. / / Ja, das sollte man wissen. Leonie: M: h. (---) Jenny: „Wie findest du Hitler? “ - Ich mein’, also, ganz ehrlich. Leonie: „Superklasse“. Jenny: „Ja, richtig geil“. (-) Okay. (-) Okay, ehm, (-) en lugar de Marc. ((Beide lachen)) Auf der Interaktionsebene fällt auf, dass die Gruppen einen strukturell ähnlich aufgebauten Beitrag leisten. Beide Male handelt es sich um eine von den Schüler/ innen geteilte Erfahrung, bei denen zustimmend (G1) bis gegenseitig bestärkend (G2) interagiert und Bedeutung ausgehandelt wird. Die Schüler/ innen erzählen auf eine emotionale Art und Weise, was sich an der relativen Schnelligkeit, der Betonung, der Interjektionen und dem Schnipsen erkennen lässt. Zudem bauen beide Gruppen karikierende Imitationen der Situation in den Diskurs ein, auf die ich hier nicht weiter eingehen kann. Der Narrationsanalyse folgend (P RZYBORSKI / W OHLRAB -S AHR 2014: 223-246) handelt es sich bei abstrahierenden Beschreibungen um sich wiederholende, routinierte Abläufe. In diesen werden Personen zu „Träger[n] für Eigenschaften und soziale Beziehungen, die an ihnen exemplarisch verdeutlicht werden“ (ebd.: 236). Von diesen ‚Typen‘ grenzen sich die Schüler/ innen ab. Ihre Beschreibung dient also zur Illustration und Evaluation eines Habitus von „Spaniern“ und (Nord-)„Amerikanern“. Der den Anderen zugeschriebene Habitus zeigt sich zum einen in der gering eingeschätzten Intelligenz („dumm“ und „sinnlos“) und zum anderen in der pathologisierenden Sprache der Schüler/ innen, die ein solches Verhalten als „krank“ verurteilen. Hier zeigen sich die Orientierung von Fremdheit und Nichtzugehörigkeit sowie eine klare Innen (=Wir)-Außen (=Sie)-Unterscheidung. Die Formulierungen „sowas weiß man doch“ und „das sollte man wissen“ verweisen auf die Erwartung der Vertauschbarkeit der Standpunkte (vgl. S CHÜTZ / L UCKMANN 2003: 99) und die Kongruenz der Relevanzsysteme (vgl. ebd.) der Schüler/ innen. Das generalisierende Personalpronomen „man“ wird für die Allgemeinheit verwendet. Die Aussagen transportieren die Erwartung eines Allgemeinwissens für alle Menschen. Mit dieser an die Anderen herangetragenen Komplexe Lernaufgaben zur Förderung interkultureller kommunikativer Kompetenzen 77 45 (2016) • Heft 1 Erwartung wird sowohl im Film als auch bei eigenen Erfahrungen mit Menschen im Ausland gebrochen. Dies verursacht bei den Lernenden Beunruhigung und Irritation. Ihre Antwort auf die Herausforderung des Fremden lässt sich mit den Begriffen Distanzierung und Abweisung beschreiben. Dies zeigt sich in dem rekonstruierten Modus der Empörung, in welchem die Schüler/ innen über die Filmszene sprechen. Der eigene Habitus wird im Vergleich zum fremden Verhalten als normal und verständlich konstruiert und innerhalb der Gruppe gegenseitig kommunikativ abgesichert. Eine kritische Hinterfragung dieser Bewertungspraxis nehmen sie nicht vor. Dies weist darauf hin, dass sie die Sichtweisen ihres vorgestellten Gegenübers auf der Grundlage eigener Werte und Normen beurteilen und nicht versuchen, die Denk- und Wahrnehmungsweisen aus dessen Perspektive zu verstehen. Dieser Teilaspekt des savoir être ist bei den Schüler/ innen - zumindest an dieser Stelle - nicht erkennbar, wohingegen eine Darstellung der eigenen Innenperspektive gelingt. Der Wille, anschließend zu erfahren, wie die kulturellen Fremdpräsentationen der Anderen zustande kommen, ist wenig wahrnehmbar (savoir comprendre). Die Betonung der national-ethnischen Differenzen zwischen ihnen als Deutsche (implizit) und den Spanier/ innen bzw. Nordamerikaner/ innen (explizit) verweist gleichfalls auf die vorgestellten Gemeinschaften, die anderweitige Verortungen der Individuen nicht in den Blick nehmen und die kulturelle mit der kollektiven Ebene diverser unterschiedlicher Gruppen miteinander gleichsetzen. Dies verweist an dieser Stelle auf ein essentialistisches Verständnis von Kultur, bei dem Kultur in den Begriffen ‚Nation‘ und ‚Ethnie‘ aufgeht. 6. Fazit In diesem Beitrag ging es um die Frage nach den (kulturellen) Deutungen und Orientierungen von Oberstufenschüler/ innen in einem film- und aufgabenbasierten Spanischunterricht. Anhand einer Beispielanalyse konnte gezeigt werden, dass eine Filmsequenz aus Dr. Alemán mit einer entsprechenden Aufgabe eine diskursinitiierende Ressource für die Bedeutungsaushandlung von kulturellen Themen darstellen kann. Sie gibt Anlass zur Bezugnahme auf die eigene Lebensrealität: Die filmische Fremdheitserfahrung Marcs kann von einigen Schüler/ innen in Bezug zu eigener/ erzählter Erfahrung gesetzt werden. In den schülereigenen Erzählungen zeigen sich Handlungsmodi, die sich (in diesem Gesprächsausschnitt) als Entrüstung gegenüber und Abweisung des Fremden beschreiben lassen. Die Schüler/ innen fokussieren das erwartungsinkongruente Verhalten der Anderen und reduzieren sie auf negativ bewertete Eigenschaften. Die fragmentarischen Kenntnisse über deren Handlungen werden mit Bezug auf die Nationalitätszugehörigkeit auf alle weiteren Mitglieder der jeweiligen Länder hin generalisiert. Diese konstruierten Bilder der Anderen verweisen zugleich auf eine homogenisierende und differenzorientierte Vorstellung von Kultur. In den Bereichen des savoir être und des savoir apprendre/ faire der IKK sind dementsprechend Entwicklungspotenziale bei den Schüler/ innen auszumachen, wie z.B. in der 78 Janina Vernal Schmidt 45 (2016) • Heft 1 Förderung der Bereitschaft zur Perspektivenübernahme in Bezug auf die Deutung von (medial vermittelten) Deutschlandbildern und den Fremdwahrnehmungen Anderer. Ob sich die herausgearbeiteten Tendenzen verdichten lassen, wird sich in der Analyse weiterer Fälle aus der tarea im Rahmen des Projekts zeigen. Es konnte jedenfalls gezeigt werden, dass die Schüler/ innen sich im Rahmen der hier dargestellten Gruppenarbeiten mit den kulturellen Themen aus dem Film auseinandersetzen und die tarea in diesem Sinne als anregend und für das oben dargestellte Erkenntnisinteresse der Studie ertragreich betrachtet werden kann. Literatur B ARQUERO , Antonio / B IZAMA , Liliana / C ORPAS , Jaime / C ROVETTO -B IZAMA , Pedro / D ÍAZ , Eva / J ESKE , Clarie-Marie/ J IMÉNEZ R OMERA , Alicia / N AVARRO , Javier, P ARDELLAS V ELAY , Rosmana (2011): ¡Adelante! Nivel intermedio. Stuttgart: Klett. B OHNSACK , Ralf (2013): „Dokumentarische Methode und die Logik der Praxis“. In: B OHNSACK , Ralf / N ENTWIG -G ESEMANN , Iris / N OHL , Arnd-Michael (Hrsg.): Die dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis: Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Wiesbaden: Springer VS, 175- 200. B YRAM , Michael (1997): Teaching and Assessing Intercultural Communicative Competence. Clevedon: Multilingual Matters. 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The first part connects research results from the areas of literary, cultural and gender studies on fan fiction with learning goals that aim at film education and gender awareness. In chapter two, different approaches to TV series via fan fiction are developed from this connection. Chapter three outlines how selected ideas from chapter two can be realised in specific tasks alongside the vampire series True Blood. 1. Einleitung Unter dem Titel „Besser als Kino? “ hat das Filmbüro Nordrhein-Westfalen im Dezember 2012 ein Symposium veranstaltet. Im Fokus stand die wachsende Bedeutung der Fernsehserie, die in Beliebtheit und künstlerischem Einfluss dem Kinofilm zunehmend den Rang abläuft. Die Film- und Fernsehindustrie reagierte damit auf die sich verändernden Konsumbedingungen: Fernsehserien gehören zunehmend zum Alltag 2 - und damit auch zur Lebenswelt von Jugendlichen. Die steigende Dominanz der Fernsehserie macht dieses Format zu einem relevanten Gegenstand eines auf die Entwicklung filmbezogener Kompetenzen ausgerichteten Englischunterrichts: Im Sinne einer fundierten Filmbildung sollten Lernende in der Lage sein, Fernsehserien in ihren Merkmalen zu kennen, Seherfahrungen zu reflektieren und Serien im Kontext ökonomischer Bedingungen kritisch zu betrachten. In diesem Beitrag wird deshalb der Versuch unternommen, verschiedene der von B LELL / G RÜNEWALD / K EPSER / S URKAMP (2016, i.V.; vgl. auch B LELL / S URKAMP im vorliegenden Heft) entwickelten Kompetenzfelder zur * Korrespondenzadresse: Sonja L EWIN , Geismar Landstraße 45, 37083 G ÖTTINGEN . E-Mail: SonjaLewin@gmx.de Arbeitsbereiche: Geschlechterforschung, Fremdsprachendidaktik. 1 Anmerkung der Autorin von Greenlemons fanfic Sometimes a Fantasy. 2 Eine vom Portal „statista“ durchgeführte Befragung zur Nutzungshäufigkeit von Fernsehserien in Deutschland im Jahr 2014 ergab, dass knapp 83% der Befragten im Alter von 14-49 Jahren „sehr oft“ bzw. „regelmäßig“ Fernsehserien schauen: http: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 317397/ umfrage/ nutzungshaeufigkeit-von-fernsehserien-indeutschland/ (eingesehen am 30. August 2015). 82 Sonja Lewin 45 (2016) • Heft 1 Filmbildung in den sprachlichen Fächern für eine Einheit zu Fernsehserien im Englischunterricht der Sekundarstufe II 3 miteinander zu verbinden. Es soll gezeigt werden, wie das Format Fernsehserie über eine andere Textsorte erschlossen werden kann - nämlich die didaktisch noch kaum bearbeitete fan fiction. Als fan fictions oder fanfics werden Texte bezeichnet, die zumeist weibliche Fans auf Basis eines von ihnen gewählten, in den fan communities als ‚Kanontext‘ bezeichneten Medienprodukts schreiben, das häufig eine Fernsehserie ist. 4 Die Texte werden in fan fiction communities im Internet veröffentlicht und dort von anderen Fans gelesen und kommentiert. 5 In ihren fanfics eignen Fans sich Figuren und fiktive Universen der Kanontexte an und entwickeln daraus eigene Erzählungen, in denen sie - wie die im Titel dieses Beitrags zitierte Autorin - Handlungsstränge fortführen, Alternativen imaginieren oder in pairings Charaktere in Liebesbeziehungen zueinander treten lassen. Eben aus der Verbindung zwischen fanfics und ‚Kanontext‘ können produktive Zugänge für den filmbildenden Unterricht entwickelt werden. Im Kontext eines hier vertretenen weiten handlungsorientierten Kompetenzansatzes soll Film auch als kulturelles Handlungsfeld in den Blick genommen werden, indem durch die Auseinandersetzung mit Fernsehserien eine Gendersensibilisierung bei den Lernenden angeregt wird - also eine kritische Beschäftigung mit der Kategorie Geschlecht. 6 Diese soll in ihrer Wirkmächtigkeit in Bezug auf gesellschaftliche Hierarchien, mediale Produkte und die eigene Wahrnehmung betrachtet werden. Gendersensibilisierung spielt als schulisches Lernziel zunehmend eine Rolle (vgl. W EDL / B ARTSCH 2015; K ÖNIG / S URKAMP / D ECKE -C ORNILL 2015) und eignet sich gerade für den Fremdsprachenunterricht, weil die Fremdsprache „eine Haltung der Öffnung für Fremdes“ begünstigt (D ECKE -C ORNILL 2009: 14). Nicht zuletzt werden die Lernenden aufgefordert, sich mit der Gesellschaft und möglichen Rollen darin auseinanderzusetzen - und sich so auch in ihrer Persönlichkeit zu entwickeln (vgl. B REDELLA 2006: 23f.). Zunächst wird der Forschungsstand zu fan fiction als Textsorte und in Beziehung zu fernsehseriellen Kanontexten vorgestellt. Anschließend mit filmdidaktischen und gendersensibilisierenden Zielsetzungen verbunden. Abschließend greife ich Fragen zur praktischen Umsetzung auf und zeige skizzenartig anhand der Vampirserie True Blood, wie sich die Zielsetzungen in Unterrichtsaufgaben überführen lassen. 3 Die anspruchsvollen Zielsetzungen und Zugangsformen eignen sich auch für universitäre Veranstaltungen, z.B. zur Ausbildung von Englischlehrer/ innen. 4 Der Begriff ‚Kanontext‘ grenzt damit das ‚authentische‘ Medienprodukt von den fanfics ab (vgl. P UGH 2005: 26). 5 Die größte community ist gegenwärtig www.fanfiction.net [30. August 2015]. 6 Für eine ausführliche Konzipierung gendersensibilisierender Lernziele vgl. L EWIN (2015). Fan Fiction als Zugang zu Fernsehserien im Englischunterricht 83 45 (2016) • Heft 1 2. Fan Fiction und das Format Fernsehserie Is the story consistent with what you know of that show? Were the characters and dialogue true to the series or were they false and stilted? Was the plot logical or did it hang too much upon coincidence? Did the author have some original ideas, was the story just the ‘same old thing’ or was it ‘the same old thing’ in a new and vibrant style? (Susan M. G ARRETT , zitiert in: J ENKINS 1992: 161) Mit diesen Leitfragen versuchte Susan M. G ARRETT , Herausgeberin einer S TAR T REK - Fanzeitschrift in den 1980er Jahren, Kriterien zu formulieren, anhand derer die Leserschaft die Qualität von den im Heft veröffentlichten fanfics bewerten könne. Einerseits muss eine gute fanfic demnach logisch an ihren Kanontext anschließen, andererseits soll ihr Originalität anhaften, die sie von diesem unterscheidet. Aus dem Zitat lässt sich damit das herauslesen, was in literaturwissenschaftlichen Untersuchungen zu fan fiction als Merkmale für diese Textsorte ausgemacht worden ist (vgl. H ELLEKSON / B USSE 2006; P UGH 2005): Die von den Fans geschriebenen Texte können nur in Beziehung zu ihrem Kanontext verstanden werden; diese Beziehung ist komplex und von Ambivalenzen geprägt; kurzum: Fan fiction bewegt sich auf einem schmalen Grad zwischen Reproduktion und Distinktion in Bezug auf ein anderes mediales Produkt. Eben diese komplexe Beziehung macht die Textsorte interessant für den filmbildenden Englischunterricht. Sie wird deshalb im Folgenden aus kulturwissenschaftlicher, literaturwissenschaftlicher und genderorientierter Perspektive erörtert. Die Beschäftigung mit fan fiction ging von den Kulturwissenschaften aus und hing mit dem seit den 1980er Jahren steigenden Interesse an Fankulturen zusammen. Diese wurden auf ihr Potenzial untersucht, Machtverhältnisse zwischen den Produzent/ innen und Konsument/ innen medialer Produkte zu unterwandern. Die kulturwissenschaftliche Betrachtung von fan fiction wurde maßgeblich durch den von Henry J ENKINS (1992) eingebrachten Begriff des „poaching“ geprägt: Der Ausdruck interpretiert das Schreiben von fan fiction als das Sich-Aneignen medialer Produkte zur Erzeugung eigener kultureller (Be)Deutungen. Die Beziehung der Fans zum Produkt ist dabei ambivalent und sowohl von Begeisterung als auch Frustration über ‚fehlende‘ oder ‚falsche‘ Darstellungen geprägt (ebd.: 23-34). J ENKINS begreift den Schreibvorgang als „empowering“ (284), da Fans ihre passive, ohnmächtige Rolle als Rezipient/ innen verließen und selbst an der kulturellen Sinnstiftung beteiligt seien (32). Diese Einschätzung spiegelt sich auch in feministischen Ansätzen der 1980er und 90er Jahre wider, die sich mit der Tatsache befasst haben, dass fan fiction zum überwiegenden Teil von Frauen über von Männern produzierte Kanontexte geschrieben wird. 7 So sieht Camille B ACON -S MITH (1992: 251-288) in fan fiction die Möglichkeit, Themen zum Ausdruck zu bringen, die in patriarchal geprägten Kulturen unterdrückt werden. Besondere Beachtung hat das Subgenre slash erhalten: In slash fanfics gehen zwei männliche Charaktere aus dem Kanontext, z.B. K IRK und S POCK aus der Fernseh- 7 Zum Frauenanteil in fan fiction communities der 1970er/ 80er Jahre vgl. C OPPA (2006: 47); für aktuelle Zahlen vgl. K ATYAL (2006: 485). Zur Männerdominanz in der Film- und Fernsehindustrie in den USA vgl. D ERECHO (2006: 71). 84 Sonja Lewin 45 (2016) • Heft 1 serie S TAR T REK , eine romantische Beziehung miteinander ein. Die häufig sexuell expliziten Texte wurden als Möglichkeit für Frauen betrachtet, sexuelle Begierden jenseits jener patriarchalen Geschlechterrollen auszudrücken, die sie auf ihre Rolle als Sexobjekte reduzieren (vgl. L AMB / V EITH 1986). Heutige genderorientierte Forschung betrachtet fan fiction und slash zwar differenzierter, aber auch hier überwiegt die Tendenz, die Textart als Möglichkeit zur Subversion gesellschaftlicher Hierarchien zu betrachten (vgl. I SAKSSON 2009; K EFT -K ENNEDY 2008). Den tendenziell enthusiastischen Politisierungen von fan fiction stehen ernüchternde Sichtweisen aus der aktuellen Forschung zur Populärkultur gegenüber. Demzufolge werden Produkte wie Fernsehserien für ein Massenpublikum hergestellt mit dem Ziel, möglichst hohe Profite über einen möglichst langen Zeitraum zu erwirtschaften (vgl. K ELLETER 2012: 18f.). In dem Zusammenhang kann die Förderung einer aktiven Fankultur als Marketingstrategie betrachtet werden, bei der Fans durch Merchandising, interaktive Websites und andere vermeintlich partizipatorische Angebote an das Produkt gebunden werden (vgl. M ELLINS 2012). Dabei verbleiben die Copyright-Rechte an den Werken der Fans ebenso wie alle finanziellen Profite bei den Produzent/ innen. 8 Wie groß das Potenzial von fan fiction ist, gesellschaftliche Hierarchien zu unterwandern, kann deshalb kontrovers diskutiert werden. Jenseits solcher Fragestellungen zeigen die Literaturwissenschaften, welche Eigenschaften mediale Produkte aufweisen müssen, um fan fiction zu inspirieren. Fanfics existieren fast nur in Verbindung mit seriellen Textformaten, vorwiegend Fernsehserien. Allem Anschein nach hat sich fan fiction aus den Merkmalen dieser Erzählformate herausgebildet, die als „Fortsetzungsgeschichten mit Figurenkonstanz“ (K ELLE - TER 2012: 18) vor der Herausforderung stehen, als Gesamterzählung kohärent zu bleiben, aber unverändert Spannung bei den Zuschauenden zu erzeugen, also „gleichzeitig Verlässlichkeit und Attraktion, Wiederholung und Erneuerung zu schaffen“ (ebd. 20). Diese Herausforderung wird durch Stilmittel bewältigt, die eine Uneindeutigkeit und Wandelbarkeit in den seriellen Produkten aufrechterhalten (vgl. A LLRATH / G YMNICH / S URKAMP 2005: 3-19) und die fanfics aufgreifen: So sorgen Cliffhanger 9 für Spannung und werden in fan fictions aufgelöst; der Einsatz von Leerstellen in Serien stellt sicher, dass neue Elemente ohne logische Brüche eingebracht werden können - und provoziert geradezu eine literarische Ausgestaltung von Seiten der Fans. Die formatbedingten Merkmale von Serien wirken sich insbesondere auf die Gestaltung ihrer Figuren aus, die Veränderungsprozesse durchlaufen (vgl. auch A LLRATH / G YMNICH / S URKAMP 2005: 29): „Serielle Figuren sind nie völlig präsent, nie völlig greifbar, weil sie ihre Gestalt im impliziten oder expliziten Verweis auf vorherige 8 Dass gesellschaftliche Hierarchien dabei größtenteils bestehen bleiben, zeigt sich auch daran, dass Fan- Aktivitäten juristisch verfolgt werden, wenn sie eher als problematisch denn verkaufsförderlich eingeschätzt werden: So gibt es einige Gerichtsverfahren gegen die Aneignung von Fernsehcharakteren in slash- Geschichten, während heterosexuelle fan fictions tendenziell unberührt bleiben (vgl. K ATYAL 2006: 498- 512). 9 Der englische Ausdruck cliffhanger beschreibt den offenen Ausgang einer Serienfolge. Statt die Handlung aufzulösen endet die Episode auf dem Höhepunkt der Spannung. Fan Fiction als Zugang zu Fernsehserien im Englischunterricht 85 45 (2016) • Heft 1 Dramatisierungen oder auf mögliche zukünftige Entwicklungen erhalten“ (D ENSON / M AYER 2012: 198). Durch die Kombination unterschiedlicher Handlungsstränge können verschiedene Facetten eines Charakters in multiplen Beziehungskonstellationen auftreten; Flashbacks können dunkle Seiten einer Figur zu Tage treten lassen oder ein neues Licht auf einen vermeintlichen Bösewicht werfen. Auch sexuelle Orientierungen können sich im Laufe einer Serie verändern, und Geschlechteridentitäten können je nach Beziehungskonstellation unterschiedlich inszeniert werden. 10 Gerade letzteres wird in fanfics aufgegriffen, denn sie befassen sich oft mit der Erkundung komplexer Charaktere in verschiedenen Beziehungskonstellationen. An der Existenz der fanfic- Genres slash und het (fanfics mit heterosexuellem pairing) zeigt sich, dass Fernsehserien vielfältige Entwicklungsmöglichkeiten für Figuren andeuten, die in fanfics fortgeführt werden. Ob die unterschiedlichen fanfic-Figurenkonstruktionen gleichermaßen als legitime Weiterentwicklung bestimmter Seriencharaktere akzeptiert werden, ist allerdings eine andere Frage: So sind z.B. K IRK / S POCK -Liebesgeschichten zwar beliebt in S TAR T REK fan fiction communities und können mit Verweis auf die Darstellung der engen Männerfreundschaft im Kanontext verortet werden (vgl. B ACON -S MITH 1992: 231-238), aber ihre Existenz sorgt trotzdem bei vielen Zuschauer/ innen für Irritation (vgl. J EN - KINS 1992: 201). Dies hängt damit zusammen, dass solche fanfics dominanten Normen zuwiderlaufen - z.B. der unterstellten Annahme, dass alle Menschen eindeutig männlich oder weiblich sind und das ‚andere‘ Geschlecht begehren (zur Kritik an diesen, eine „heterosexuelle Matrix“ bildenden Annahmen, vgl. B UTLER 1991: 68-122). Um die eigenen verinnerlichten Normen zu bewahren, werden bei der Rezeption medialer Produkte oft Interpretationen ausgeblendet, die diese Normen in Frage stellen würden (vgl. B LELL 1999: 164; K LEINER / U RBAN 2010: 158). Fan fiction wird gesellschaftskritisches Potenzial zugesprochen, weil hier auch solche Interpretationen literarisch sichtbar werden, die viele Menschen beim Sehen der Kanontexte nicht wahrnehmen (vgl. L INDGREN L EAVENWORTH / I SAKSSON 2013: 112-117). Fan fictions können damit auch als fiktionalisierte Seherfahrungen verstanden werden und sind so Produkte eines Vorgangs, bei dem sich die Grenzen zwischen Produktion und Rezeption auflösen - ein Vorgang, den Malin I SAKSSON und Maria L INDGREN L EAVENWORTH (2013: 44) als „prosumption“ 11 bezeichnen. Die Position als ‚prosumer‘ konnte sich nur deshalb entwickeln, weil das Format der Fernsehserie seinen Zuschauer/ innen eine aktive Rolle zuweist, die ihnen im Vergleich zu anderen medialen Texten eine größere Beteiligung am Verstehensprozess abverlangt (vgl. M ITTEL 2012: 118-120; H AYWARD 1997). Auch wenn diese Rolle ökonomisch begründet sein mag, birgt sie doch die Möglichkeit zur kulturellen Einflussnahme. Beispiele wie die Verfilmung besonders beliebter fan fiction-Motive durch die Produzent/ innen (vgl. unten S. 96) sind eindrucksvolle Zeichen dafür, wie sehr Konsum und Produktion heute verzahnt sind: fan fiction kann selbst zum Kanontext werden. 10 Zur Konstruktion von Geschlecht in audio-visuellen Medien vgl. G YMNICH (2010). 11 Der Neologismus setzt sich aus den Worten ‚production‘ und ‚consumption‘ zusammen. 86 Sonja Lewin 45 (2016) • Heft 1 3. Fan Fiction als Zugang zu Fernsehserien Im Folgenden möchte ich die Forschungsergebnisse zu fan fiction und dem Format der Fernsehserie mit filmdidaktischen, gendersensibilisierenden Zielsetzungen für den Englischunterricht der Sekundarstufe II verbinden. Dabei orientiere ich mich an zwei der von B LELL / G RÜNEWALD / K EPSER / S URKAMP (2016, i.V.) definierten Kompetenzfeldern, in die sich die Entwicklung filmbezogener Kompetenzen in den sprachlichen Fächern fassen lässt, nämlich ‚Film analysieren‘ und ‚Film kontextualisieren‘ (vgl. auch den Beitrag von B LELL / S URKAMP in diesem Heft). Teilkompetenzen dieser Felder werden in drei Schwerpunkte gegliedert, nämlich die Analyse von Figurenkonstruktionen, die Reflexion von Seherfahrungen und die Diskussion von Fernsehserien als ökonomische Produkte. Dabei wird die Kategorie Geschlecht perspektivisch mitgedacht. 3.1 Figurenkonstruktionen in Fernsehserien analysieren und reflektieren Als Erstes beziehe ich mich auf den Teilbereich „Filmgenrewissen und filmtheoretisches Wissen aneignen und nutzen“, der dem Kompetenzfeld ‚Film analysieren‘ zugeordnet ist (vgl. B LELL / G RÜNEWALD / K EPSER / S URKAMP 2016, i.V.). Die Lernenden sollen sich mit der audio-visuellen Bauform und dem seriellen Erzählmodus von Fernsehserien auseinandersetzen und Charakteristika wie Cliffhanger, Flashbacks und Leerstellen erkennen, benennen und in ihrer Wirkungsweise beschreiben. Dies soll besonders im Hinblick auf Figurenkonstruktionen erfolgen, die auf die uneindeutige und wandelbare Darstellung von Geschlecht und sexueller Orientierung hin analysiert werden: Die Lernenden untersuchen, wie diese Kategorien audio-visuell hergestellt werden (vgl. B LELL / L ÜTGE 2009), und setzen ihre Beobachtungen in Bezug zu bereits angeeigneten fernsehserientypischen Stilmitteln. Damit die Analyse von Fernsehserien „nicht als Selbstzweck“ (H ENSELER / M ÖLLER / S URKAMP 2011: 40) betrieben wird, sondern sinnhaft und motivierend für die Lernenden ist, kann sie im Unterricht als Werkzeug zum Verstehen verschiedener fanfics eingesetzt werden: Die Verbindung der fanfics zum Kanontext wird demzufolge genutzt, um eine Fernsehserie über ihre fanfics zu erschließen. Die Lernenden werden dabei zu ‚Detektiven‘, die sich in der Fernsehserie auf die Suche nach jenen Spuren machen, die diese in den fan fictions hinterlassen hat. Dabei geht es nicht nur um inhaltliche Merkmale, sondern auch um formale Stilmittel, die von fan fictions aufgegriffen werden. Wenn Fernsehserien analytisch über ihre fanfics erschlossen werden sollen, bietet sich eine Fokussierung auf die Figurenkonstruktionen an. Während fan fiction oft aus dem Wunsch erwächst, rätselhafte Seriencharaktere zu verstehen und damit die Uneindeutigkeit von Fernsehserien aufzulösen, tun fanfics in ihrer Gesamtheit das Gegenteil: Sie verstärken die serientypische Uneindeutigkeit von Fernsehserienfiguren, indem sie für identische Figuren eine Bandbreite an Entwicklungsmöglichkeiten aufzeigen. Diese Bandbreite kann für den filmbildenden Fremdsprachenunterricht genutzt werden, um vergleichend zu untersuchen, inwiefern unterschiedliche Handlungsstränge, soziale Rollen und sexuelle Beziehungen, in denen eine Figur in fanfics verortet wird, in der Fan Fiction als Zugang zu Fernsehserien im Englischunterricht 87 45 (2016) • Heft 1 Fernsehserie angelegt sind und inwiefern die Merkmale des Serienformats eine solche Vielschichtigkeit (mit)bedingen. Hier lassen sich gendersensibilisierende Lernziele integrieren, denn die Uneindeutigkeit vieler Fernsehserienfiguren wird in fanfics gerade in Bezug auf sexuelle Orientierung und Geschlechterinszenierungen genutzt und in unterschiedlichen Subgenres verortet. Die Existenz von het und slash fanfics bietet hervorragende didaktische Möglichkeiten, sich dem Kanontext der Fernsehserie zu nähern: So sind beispielsweise männliche Figuren für den Unterricht interessant, die in den Subgenres het und slash gleichermaßen beliebt sind, denn diese können eine Auseinandersetzung mit der (teils nur angedeuteten) Vielschichtigkeit dieser Figuren in der Fernsehserie anstoßen. Für die konkrete Unterrichtsplanung bietet es sich an, eine allgemeine Auseinandersetzung mit dem Format der Fernsehserie einer genderorientierten Analyse voranzustellen. Als Einstieg können die Lernenden mit dem Phänomen fan fiction konfrontiert werden und auf www.fanfiction.net recherchieren, wie diese Textsorte funktioniert, nach welchen Kriterien die Texte geordnet sind und welche Figuren und pairings der im Unterricht behandelten Serie besonders beliebt sind. Anschließend können die Lernenden versuchen, die Popularität bestimmter Serienfiguren in ersten Hypothesen zu erklären und dabei auch auf ihre eigenen Seherfahrungen zurückgreifen. Im nächsten Schritt kann eine besonders beliebte und serientypisch uneindeutige Figur fokussiert und auf ihre Geschlechterkonstruktion hin untersucht werden. Dazu können vielfältige het- und slash fanfics ausgewählt werden, mit denen sich die Lernenden im Rahmen eines Gruppenpuzzles (vgl. G RIESER -K INDEL / H ENSELER / M ÖLLER 2007: 109- 115) beschäftigen: Zunächst analysieren sie die Figurenkonstruktion in einer het- oder slash fanfic und tauschen sich dann mit einer Gruppe aus, die eine fanfic des anderen Subgenres untersucht hat. Die Diskrepanz zwischen den Analyseergebnissen kann Verwirrung darüber auslösen, dass so unterschiedliche Vorstellungen von der Figur existieren. Diese Verwirrung kann durch eine Analyse von Schlüsselszenen der Fernsehserie aufgelöst werden, durch die erklärt werden kann, dass serielle Figurenkonstruktionen oft von Uneindeutigkeiten geprägt sind, die mit den Merkmalen des Formats zusammen hängen. Damit sich der Kreis schließt, kann abschließend der Blick noch einmal darauf gelenkt werden, inwiefern die fan fictions sich gerade diese Merkmale zunutze machen, um ihre Figurenkonstruktionen zu entwickeln. 3.2 Sichtweisen auf Fernsehserien reflektieren Das Kompetenzfeld ‚Film analysieren‘ beschränkt sich nicht auf die Aneignung und Anwendung filmtheoretischen Wissens, sondern schließt das Teilziel „Filmrezeption erfassen und auswerten“ mit ein (B LELL / G RÜNEWALD / K EPSER / S URKAMP 2016, i.V.). Diesem Teilziel entsprechend sollen die Lernenden die Deutungsoffenheit medialer Texte und besonders von Fernsehserien reflektieren, die Subjektivität der eigenen Perspektive erkennen und verschiedene Interpretationen akzeptieren. Aufkommende Irritationen bei von der eigenen Rezeption abweichenden Sichtweisen sollen in Bezug auf den Einfluss untersucht werden, den kulturelle Normen auf das Sehen haben. Dem 88 Sonja Lewin 45 (2016) • Heft 1 Lernziel Gendersensibilisierung wird dadurch insofern Rechnung getragen, als solche Normen fokussiert werden, die mit Geschlecht und sexueller Orientierung zusammenhängen. Nicht zuletzt sollen die Lernenden angeregt werden, nicht-normative Sichtweisen auszuprobieren und so auch jene Identitäten anzuerkennen, die in unserer Gesellschaft als ‚anders‘ ausgeschlossen werden. 12 Die Existenz einer Vielzahl unterschiedlicher fanfics zu identischen Serienfiguren zeigt eindrücklich auf, wie unterschiedlich ein und dasselbe mediale Produkt wahrgenommen wird. Eine Beschäftigung mit fan fiction kann den Lernenden bewusst machen, dass es eben nicht ‚die eine richtige‘ Interpretation eines Werkes gibt, sondern Interpretationen immer auch subjektiv geprägt sind, „weil der Sinn eines Textes nicht gegeben ist, sondern erst unter der Mitwirkung des Lesers [oder hier: Zuschauers] entsteht“ (B REDELLA 1995: 29; zum hermeneutischen Verstehensbegriff im Fremdsprachenunterricht vgl. N ÜNNING / S URKAMP 2010: 13). Das kann nicht nur durch eine Diskussion über verschiedene fanfic-Figurenkonstruktionen unter den Lernenden nachvollzogen werden, sondern lässt sich auch in den fanfic communities beobachten: Dort diskutieren Fans über ‚richtige‘ und ‚falsche‘ Figureninterpretationen (vgl. P UGH 2005: 65ff.). Eine Einbeziehung solcher Diskussionen kann aufzeigen, dass Interpretationen Aushandlungsprozessen ausgesetzt sind, in denen die Bedeutung eines medialen Produkts immer wieder neu verhandelt wird. Dass aber trotzdem nicht alle Sichtweisen in unserer Gesellschaft gleichermaßen als legitim gelten und inwiefern das mit gesellschaftlichen Normen und Hierarchien zusammenhängt, lässt sich gut anhand von slash fanfics im Unterricht thematisieren. Diese stellen explizit das dar, was in Serien oft nur angedeutet wird - z.B. nicht-heterosexuelle Beziehungen. Während die Andeutungen in Serien Zuschauer/ innen die Möglichkeit geben, sie einfach zu ‚übersehen‘ und ihre normierten Sichtweisen damit als einzig mögliche Interpretation anzusehen, fordert slash ein ‚Hinsehen‘ geradezu heraus - und damit auch eine Auseinandersetzung mit anderen Sichtweisen und der Irritation, die diese ggf. bei den Rezipient/ innen auslösen. Ein solcher Ansatz ist im Bereich der fremdsprachlichen Filmdidaktik bereits entdeckt worden: Unter Rückgriff auf die der Queer Theory zugrunde liegende Kritik an Normierungsprozessen (vgl. W ARNER 1993) gibt es einige Veröffentlichungen (vgl. K LEINER / U RBAN 2010; W ALBERG 2010; Z AHN 2010), die die Irritation von Seherwartungen einsetzen, um die den Erwartungen zugrunde liegenden Normen sichtbar und hinterfragbar zu machen: Wenn sich also im Viewing Gender die aktuellen Wahrnehmungsbilder nicht eindeutig identifizieren lassen, d.h. die Wahrnehmungen nicht sinnvoll im Rahmen der Erfahrungszusammenhänge mit bekannten, konventionellen Diskursfiguren, Gesten, Handlungen, etc. in Beziehung gesetzt werden können, entstehen daraus problematische Spannungen, die das Potential haben die Wahrnehmung und das Denken der Betrachter in ein Anders-Werden zu überführen (Z AHN 2010: 82). 12 Zu ähnlichen Zielsetzungen für die Literaturdidaktik vgl. D ECKE -C ORNILL (2004: 198-203). Fan Fiction als Zugang zu Fernsehserien im Englischunterricht 89 45 (2016) • Heft 1 Während in diesen Veröffentlichungen nur jene Filme als produktiv gelten, die heteronormative Vorstellungen ins Leere laufen lassen, bietet der Einsatz von fan fictions die Möglichkeit, auch solchen medialen Produkten großes Irritationspotenzial zu verleihen, die eher dem kulturellen ‚mainstream‘ angehören. Dadurch kann das Ungewohnte im Gewohnten sichtbar werden - und bei erneutem Blick auf die Serie können neue Perspektiven ausprobiert werden. Als Einstieg in diese Unterrichtsphase sollte den Lernenden nach Auseinandersetzung mit vielfältigen fanfics die Gelegenheit gegeben werden, sich im Zuge eines Rezeptionsgesprächs (vgl. H ENSELER / M ÖLLER / S URKAMP 2011: 101) über ihre Gedanken zu den Figurendarstellungen auszutauschen. Eine Vielfalt in den Meinungen kann in eine Diskussion münden, in der tiefergehende Fragen über subjektive und objektive Sinngehalte literarischer Texte verhandelt und die Grenzen von Kreativität ausgelotet werden: Wo hört eine akzeptable Interpretation auf und wo fängt dementsprechend Inkohärenz an? Wie weit lässt sich das serielle Spannungsfeld zwischen Vertrautem und Neuem in fanfics dehnen, und wo zerfällt die fiktive Welt, weil sie ihre Glaubwürdigkeit verliert? Hier ist ein ständiger Wechsel zwischen fanfics und Fernsehserie empfehlenswert, auch Fandiskussionen können miteinbezogen werden. Die Frage danach, wer eigentlich entscheidet, welche Interpretation ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ ist, kann in eine Reflexion von Machtpositionen, Deutungshoheit und den gesellschaftlichen Normen überführen, die mit der Anerkennung von Sichtweisen verknüpft sind. Hier können die eigenen Gefühle in Bezug auf verschiedene fanfics näher betrachtet werden um zu untersuchen, welche Darstellungen Irritation ausgelöst haben und warum sie das getan haben - und welche anderen Sichtweisen auf diese Darstellungen und die Fernsehserie möglich wären. 3.3 Fernsehserien in (Geschlechter-) Hierarchien verorten In Orientierung an das Kompetenzfeld ‚Film kontextualisieren‘ (B LELL / G RÜNEWALD / K EPSER / S URKAMP 2016, i.V.) können Fernsehserien im Unterricht auch innerhalb gesellschaftlich-ökonomischer Bedingungen betrachtet werden. Die Lernenden sollen erkennen, dass die Fernsehserie in Form, Inhalt und Rezeptionsmöglichkeiten von ökonomischen Strukturen geprägt ist. Vor diesem Hintergrund werden die Partizipationsmöglichkeiten von Fans und deren Einfluss auf Machtverhältnisse kritisch diskutiert und die eigene Rolle als Konsument/ in reflektiert. Dies soll insbesondere in Bezug auf die Kategorie ‚Geschlecht‘ geschehen, indem im Sinne dessen, was Nina D EGELE (2008: 14) als „strukturorientierte Gesellschaftskritik“ bezeichnet, Geschlechterverhältnisse in der Film- und Fernsehindustrie mit gesellschaftlichen Hierarchien in Zusammenhang gebracht werden. 13 Nicht zuletzt sollen Veränderungsmöglichkeiten diskutiert werden. 13 Für eine Anwendung strukturorientierter Gesellschaftskritik auf den Literaturunterricht vgl. K ÖNIG (2015). 90 Sonja Lewin 45 (2016) • Heft 1 Ein großes Potenzial von fan fiction besteht darin, dass sich im Schreiben die Ambivalenzen zwischen einer Begeisterung für die medialen Produkte und einer Frustration darüber, was an ihnen als unbefriedigend erlebt wird, verdichten. Dadurch lässt sich die komplexe Rolle von Rezipient/ innen populärkultureller Produkte nachvollziehen, die sich einerseits durch eine große, teils normenkritische Beteiligung an der Sinnkonstruktion der Produkte auszeichnet, deren eigene Sinnkonstruktionen aber größtenteils keinen Eingang finden in die Produktionsseite - und somit gesellschaftlich kaum eine Wirkmächtigkeit entfalten. Fan fiction bietet die Möglichkeit, diese Fragen auch in Bezug auf die Kategorie ‚Geschlecht‘ zu stellen: Mit Verweis auf die Geschlechterverhältnisse in der Film- und Fernsehindustrie einerseits und fan fiction communities andererseits lassen sich Geschlechterhierarchien thematisieren, die auch die Mediengesellschaft betreffen. Fan fictions bieten außerdem die Möglichkeit, zu diskutieren, wie diese Strukturen verändert werden könnten und ob sich z.B. slash als eine solche Möglichkeit verstehen ließe. Um Fernsehserien als kommerzielle Produkte begreifbar zu machen, bietet es sich an, die bereits analysierten Merkmale von Fernsehserien in einen Zusammenhang mit ökonomischen Zielen zu setzen. Die Lernenden arbeiten die Unterschiede zwischen der Art, wie Filme und Serien jeweils Profite erwirtschaften, heraus und überlegen am Beispiel von Cliffhangern, wie sich der Einsatz solcher Stilmittel auf das Sehverhalten von Zuschauer/ innen und damit auf den finanziellen Erfolg einer Serie auswirkt. Daran anschließend kann die Rezeptionsseite neu betrachtet werden: Die Lernenden diskutieren (z.B. im Rahmen einer unterrichtlich inszenierten Podiumsdiskussion), inwiefern die aktive, sich in fanfics manifestierende Rolle der Zuschauenden bei Fernsehserien, eine Form kultureller Partizipation symbolisiert oder im Gegenteil eine Strategie ist, Konsument/ innen emotional stärker an die Serie zu binden - und damit ökonomisch begründete Hierarchien zwischen Produktions- und Rezeptionsseite aufrecht zu erhalten. Als Vorbereitung könnten ausgewählte Textausschnitte von Henry J ENKINS bearbeitet werden. 14 Schließlich kann auch die Kategorie Geschlecht in den Blick rücken: Die Lernenden sollen sich mit der Film- und Fernsehindustrie auseinandersetzen und recherchieren, wer deren Schlüsselpositionen besetzt und was diese Menschen miteinander gemein haben. Sie können dann die Erkenntnis, dass die wichtigen Positionen (z.B. Regie, Produktion, Schnitt) überwiegend von Männern besetzt sind, mit dem entgegengesetzten Geschlechterverhältnis in den fan fiction communities vergleichen. An den Vergleich können sich gesellschaftskritische Fragen anschließen: Wie kommt es, dass in den Schlüsselpositionen der Film- und Fernsehindustrie kaum, unter fanfic- Autor/ innen aber überwiegend Frauen sind? Wie unterscheiden sich Fernsehserien und fanfics in Profitabilität und gesellschaftlicher Einflussnahme? Welchen Einfluss können gesellschaftliche Hierarchien auf kulturelle Produkte haben? In diesem Zusammenhang bietet es sich auch an, feministische Analysen von slash in den Unterricht 14 Dafür eignet sich besonders der Textabschnitt ab Seite 24, in dem J ENKINS (1992) das Konzept des „poaching“ erklärt und dessen Einflussmöglichkeiten auf Machtverhältnisse diskutiert. Fan Fiction als Zugang zu Fernsehserien im Englischunterricht 91 45 (2016) • Heft 1 miteinzubeziehen 15 , um zu diskutieren, inwiefern sich in den fanfics Widerstand gegen sexuelle Normen und ‚vergeschlechtlichte Hierarchien‘ 16 finden lässt und welches Potenzial den fanfics innewohnt, diese zu verändern. 4. Praktische Umsetzung Wenn Fernsehserien über fan fictions erschlossen werden sollen, ergibt sich eine Reihe praktischer Fragen, die im Vorfeld eines Unterrichtseinsatzes geklärt werden sollten. Die erste Frage betrifft die Wahl der Präsentationsform, denn Fernsehserien haben eine zu lange Laufzeit, um während des Unterrichts geschaut zu werden. Stattdessen können die Lernenden z.B. die erste Staffel einer Serie zuhause schauen und sich mithilfe eines (Film-)Sehtagebuchs zunächst selbstständig damit auseinandersetzen (vgl. H ENSELER / M ÖLLER / S URKAMP 2011: 107). Leitfragen können dazu anregen, die eigenen Gefühle beim Schauen der Episoden zu verschriftlichen, wichtige Situationen zu notieren oder sich auf eine Figur zu konzentrieren. Ein Austausch über die Sehtagebücher kann als Einstieg in die Unterrichtseinheit dienen. Bei diesem Vorgehen müssten sich die Lernenden die DVDs kaufen. Alternativ bietet der Internet-Shop Amazon seinen Prime-Kund/ innen inzwischen einen Video Shop, in dem zahlreiche Serien kostenlos und legal zur Verfügung stehen. Die zweite Frage betrifft die (Alters-)Angemessenheit mancher fanfics, denn unter den Texten gibt es pornografische, vereinzelt auch gewalttätige Darstellungen. Um Lerngruppen ggf. vor solchen Darstellungen zu schützen, sollten Lehrkräfte bei der Auswahl der Texte auf die tags achten, mit denen eine fan fiction versehen ist: Nichteinvernehmliche sexuelle Handlungen werden von den Autor/ innen graduell als „dubcon“ (dubious-consent), „non-con“ (non-consentual) oder „rape“ markiert. 17 Außerdem sind fanfics bei fanfiction.net mit einem „rating“ versehen, das Mindestaltersempfehlungen ausspricht. Fanfics mit dem rating „M“ sollen nicht von Jugendlichen unter 16 Jahren gelesen werden, „MA“-fanfics nicht unter 18 Jahren. 18 Gerade im Fall selbstständiger Internetrecherchen ist es wichtig, die Lernenden über diese Kategorien zu informieren um ihnen die Möglichkeit zu geben, verantwortungsbewusst mit den fanfics umzugehen und eigene Grenzen zu achten. Die dritte Frage betrifft die Auswahl geeigneter Fernsehserien. Grundsätzlich bieten sich für den hier vorgestellten Zugang Fernsehserien an, die viele serientypische Merkmale aufweisen, Geschlecht komplex konstruieren und eine Vielzahl heterogener fanfics inspiriert haben. Diese Kriterien werden überdurchschnittlich häufig von Vam- 15 Hier bietet sich L AMB / V EITH (1986) an. 16 ‚Vergeschlechtlicht‘ bzw. ‚vergeschlechtlichte Hierarchien‘ ist in Beiträgen zur Geschlechterforschung ein gängiger Ausdruck, um (möglichst platzsparend) darauf hinzuweisen, dass Ungleichheiten mit Bezug auf die Kategorie Geschlecht aufrechterhalten werden bzw. dadurch legitimiert werden, dass sie als biologisch unveränderlich dargestellt werden. 17 Vgl. https: / / www.fanfiction.net/ topic/ 117927/ 77037518/ Fanfiction-Slang [30.08.2015]. 18 Vgl. https: / / www.fictionratings.com/ [30.08.2015] 92 Sonja Lewin 45 (2016) • Heft 1 pirserien erfüllt. Insbesondere männliche Vampirfiguren können Geschlechternormen reproduzieren (z.B. im sexuell aggressiven, gegen hilflose Frauen gerichteten Vampirbiss), sie aber u.a. auch dadurch unterlaufen, dass sie Männer penetrieren und als untote Wesen außerhalb biologisch-reproduktiver Geschlechterkonzepte existieren (vgl. M UKHERJEA 2011; W ALSER 2010). Gerade das Format der Fernsehserie trägt dazu bei, solche Ambivalenzen innerhalb der Vampirfigur zu verstärken (vgl. W ILLIAMSON 2005: 48) und entsprechend diverse fanfics zu inspirieren. Zum Abschluss möchte ich mit Bezug auf Alan B ALLS Serie True Blood (2008- 2014) skizzenartig zeigen, wie sich meine Überlegungen an einer Vampirserie praktisch umsetzen lassen. True Blood verfügt über einen besonders ambivalenten Vampircharakter, Eric Northman, der sich für die Analyse uneindeutiger Figurenkonstruktionen (vgl. Kap. 2.1) hervorragend eignet. In Staffel eins und zwei wird Eric in sexuell aufgeladenen Interaktionen mit der Kellnerin Sookie als stereotyper Macho dargestellt, der seine körperliche Kraft skrupellos gegen andere einsetzt (vgl. z.B. Episode 15, 28: 50-29: 20). Diese Darstellung wird im Laufe der zweiten Staffel dekonstruiert, indem Flashbacks Erics Beziehung zu seinem Vampir,macher‘ Godric zeigen. Die intime Beziehung zwischen den beiden Vampiren veruneindeutigt Erics sexuelle Orientierung und unterläuft stereotype Inszenierungen von Männlichkeit, indem Erics körperliche und emotionale Verletzlichkeit zum Vorschein kommt (vgl. z.B. Episode 21, 45: 49-51: 21, siehe auch M UKHERJEA 2012: 117). Diese Uneindeutigkeit macht ihn zur beliebtesten True Blood-Figur auf www.fanfiction.net. Viele het und slash fanfics porträtieren Eric und Godrics Vergangenheit miteinander als Liebesbeziehung bzw. lassen die Interaktionen zwischen Eric und Sookie in eine Romanze münden. Dabei wird Eric in den het und slash fanfics jeweils sehr unterschiedlich konstruiert. Während Eric in Let the Games Begin (Y ANKEESAM 32935) beispielsweise zunächst als gefühlloser Macho dargestellt wird, der Sookie als sexuelles Objekt erobern will, nimmt er in A Second Chance (ADH EAVEN ) von Beginn an eine submissive und ohnmächtige Position gegenüber Godric ein. Diese Position spiegelt sich auch in der Erzählsituation, denn A Second Chance wählt zunächst Godric als Fokalisierungsinstanz (vgl. G ENETTE 1980: 189-194), durch dessen Augen Eric als „the blond Viking“ sexualisiert und als „hard-headed child“ infantilisiert wird, während Eric in Let the Games Begin selbst die Fokalisierungsinstanz ist, die Sookie sexualisierend beobachtet. Die fanfics setzen damit die unterschiedlichen, vergeschlechtlichten Machtpositionen 19 , die Eric in True Blood in Bezug auf Godric und Sookie jeweils einnimmt, auch formal um. Die Geschlechterkonstruktionen in den het und slash fanfics können im Unterricht vergleichend analysiert werden, indem sich einige Gruppen zunächst mit der fanfic Let the Games Begin, andere mit A Second Chance auseinandersetzen. Der Arbeitsauftrag „Describe the way Eric is presented in this fanfic“ kann durch konkrete Fragen unterstützt werden: „What are Eric’s character traits in this fanfic? Do we learn about them by Eric himself, or through another perspective? What role does he have in relation to Sookie/ Godric? How does this role relate to the social expectations commonly directed 19 Zum Zusammenhang von Macht, Blickpositionen und Geschlecht vgl. M ULVEY (1988). Fan Fiction als Zugang zu Fernsehserien im Englischunterricht 93 45 (2016) • Heft 1 at men/ women? ” Ein Austausch über die Ergebnisse kann Erics Uneindeutigkeit ans Licht bringen, die wiederum anhand der oben genannten Schlüsselszenen durch die Serie erklärt werden kann. Mit Blick auf die Merkmale des Formats der Fernsehserie kann überlegt werden, inwiefern Stilmittel wie Flashbacks und die Kombination verschiedener Handlungsstränge die Figurenkonstruktion beeinflussen und welche Rolle die Kategorie Geschlecht dabei spielt. Auch Fragen nach den Grenzen und Hierarchien zwischen Produzent/ innen und Rezipient/ innen in der Populärkultur (vgl. Kap. 3.3) können anhand von True Blood diskutiert werden. In der letzten Staffel wird Eric in einer minutenlangen, als Traumsequenz gestalteten Sexszene (Episode 72, 00: 00-4: 20) mit einem anderen männlichen Seriencharakter gezeigt. Zahlreiche journalistische Artikel bezeichnen diese Szene als „triumph“ für die „often-ignored slash-shipper fan base“, deren fan fiction-Fantasien in den Kanontext überführt wurden (M URPHY 2014). Die Szene und ihre Berichterstattung bieten sich hervorragend an, um im Unterricht zu diskutieren, ob fan fiction vielleicht doch „empowering“ ist, ob dadurch Machtverhältnisse aufgeweicht werden - und inwiefern fanfics marginalisierte Sichtweisen dem Blick einer größeren Öffentlichkeit öffnen können. Literatur A LLRATH , Gaby / G YMNICH , Marion / S URKAMP , Carola (2005): „Introduction: Towards a Narratology of TV Series“. In: A LLRATH , Gaby / G YMNICH , Marion (Hrsg.): Narrative Strategies in Television Series. Houndsmills, Basingstoke, Hampshire, U.K, New York: Palgrave Macmillan, 1-43. B ACON -S MITH , Camille (1992): Enterprising Women. Television Fandom and the Creation of Popular Myth. Philadelphia: University of Pennsylvania Press. B LELL , Gabriele (1999): „Transgressing (Gender) Boundaries: Blickordnung und Blickwechsel“. In: B LELL , Gabriele / KRÜCK , Brigitte (Hrsg): Mediale Textvielfalt und Handlungskompetenz im Fremdsprachenunterricht. Frankfurt/ M.: Lang, 155-173. 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The author explores the context for German as a second foreign language after English in Polish schools and argues that only relevance to everyday life and recourse to learners’ latent multilingualism may grant realistic prospects to production-oriented film tasks in the L3-classroom. Three competence-based tasks exemplify her line of reasoning. 1. Eine Standortbestimmung Das Medium Film nimmt im Unterricht Deutsch als Fremdsprache (DaF) einen zunehmend wichtigen Platz ein, wie zahlreiche Publikationen aus den letzten Jahren belegen (vgl. H AHN 2015). Auffällig ist allerdings zweierlei: Zum einen eine Abkoppelung von der Entwicklung in anderen Fachdidaktiken 1 , zum anderen die Tatsache, dass bisher selten auf das Bedingungsgefüge eingegangen wurde, das immer mitzubedenken ist: Welche deutschsprachigen Filme stehen (in welcher Form) zur Verfügung? In welcher konkreten Sprachenkonstellation und Sprachenfolge sollen sie eingesetzt werden? Über welche filmbezogenen Erfahrungen und Erwartungen verfügen die jeweiligen Lernenden (und Lehrenden)? Filme passieren auf ihrem Weg in einen konkreten didaktischen Kontext unterschiedliche Filter. Neben didaktisch-methodischen Erwägungen spielen kultur-, bildungs- und medienpolitische, kommerzielle, soziologische oder auch ästhetische Bedingungen eine Rolle. Fremdsprachenlehrende und -lernende haben wenig bis * Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Camilla B ADSTÜBNER -K IZIK , Adam-Mickiewicz-Universität Poznań, Institut für Angewandte Linguistik, Lehrstuhl Kultur- und Mediendidaktik, PL 61-485 P OZNAŃ , Instytut Lingwistyki Stosowanej UAM, ul. 28 czerwca 1956r. nr 198. E-Mail: cbkizik@amu.edu.pl Arbeitsbereiche: Medien- und Kulturdidaktik im Bereich DaF, Medienlinguistik, filmische Mehrsprachigkeit. 1 Auf den Legitimierungszwang des Mediums Film in der Germanistik hat VAN H OORN (2015) aufmerksam gemacht. Auch in der internationalen Germanistik wird Film zwischen Sprach- und Literaturwissenschaft hin und her geschoben. 98 Camilla Badstübner-Kizik 45 (2016) • Heft 1 keinen Einfluss auf sie und sind sich ihrer kaum bewusst, ihr Blick auf das Medium Film aber wird durch sie geprägt, und die fremdsprachliche Filmdidaktik ist durch sie immer determiniert. So lassen sich die sprachlichen und logistischen Voraussetzungen, die für die Unterrichtssituation Deutsch als Zweitsprache (DaZ) im deutschen und österreichischen Schulsystem oder für den Kontext eines (akademischen) DaF-Unterrichts an deutschen und österreichischen Hochschulen gelten, nicht ohne weiteres auf den Unterricht in DaF (als weitere Sprache nach Englisch) in den Schulsystemen nichtdeutschsprachiger Länder übertragen. 2 Auf dem Feld „Film im DaF/ DaZ-Unterricht“ (W ELKE / F AISTAUER 2015) ergeben sich damit bereits früh entscheidende Weichenstellungen: Der Kontext DaZ bietet ungehinderten Zugang zur deutschsprachigen Filmproduktion in ihrer aktuellen und historischen Dimension, sowohl auf dem primären wie sekundären Filmmarkt, in- und außerhalb des Klassen- oder Kursraums. Darüber hinaus ist es möglich, auch anderssprachige Filme in deutschsprachiger Fassung einzusetzen, synchronisiert oder untertitelt. Hinsichtlich der Erwartungs- und Rezeptionshaltung können inhaltlich und sprachlich mit gewisser Berechtigung die Perspektiven der Mehrheitsgesellschaft angelegt werden. 3 Häufig stehen die darauf abhebenden Initiativen in enger Verbindung zu den Angeboten einer auch curricular im deutschsprachigen Schulsystem verankerten Filmbildung (vgl. H AHN 2015: 16-20). Hinzu kommen zahlreiche ergänzende medienpädagogische Angebote in gedruckter und virtueller Form, darunter migrationspädagogische Initiativen. 4 Davon kann DaF selbstverständlich profitieren, vor allem natürlich virtuell. Zwar könnten viele dieser Materialien „zum größten Teil für das fremdsprachliche Publikum überfordernd“ sein (Hahn 2015: 24), aber natürlich kann durch entsprechende Aufgabenstellungen hier sinnvoll gesteuert werden. Im Kontext DaF, aus der räumlichen und ggf. zeitlichen Entfernung, ist der Zugang zu authentischem deutschsprachigem Filmmaterial nur selektiv, zeitversetzt und oft ausschließlich virtuell möglich. Es greifen jeweils andere Distributionsmechanismen und Rezeptionsbedingungen, gleichzeitig sind starke Unterschiede zwischen einzelnen Sprachen anzusetzen. Die Distribution englischsprachiger Filme dominiert, und ihre Rezeption in (untertitelter) Originalfassung ist weit verbreitet. Englischsprachige Filmproduktionen sind meist englischsprachig in der Rezeption verankert und ihr Eingang in den Fremdsprachenunterricht Englisch ist die logische Konsequenz. ,Kleinere‘ Filmproduktionsländer, darunter Deutschland und gar Österreich oder die Schweiz, haben es ungleich schwerer, auf auswärtigen Filmmärkten anzukommen, ihre Präsenz ist nischenhaft und kurzlebig. 5 Auch hier sind die medien- und 2 In der Unterscheidung zwischen DaF und DaZ folge ich G ÖTZE / H ELBIG / H ENRICI / K RUMM (2010). Zweitsprache ist nicht identisch mit L2, Unterscheidungskriterium ist u.a. die Situierung des Spracherwerbs in oder außerhalb des zielsprachigen Raumes. 3 Laufende TV- und Kinoproduktionen lassen sich sinnvoll thematisieren, wenn die Wahrnehmung und Teilhabe an aktuellen, authentischen filmbezogenen Diskursen ein (Teil-)Ziel fremdsprachlicher Filmbildung darstellt. 4 Vgl. die Projekte der Berliner Filmemacherin Marie-Ulrike C ALLENIUS und ihrer Gruppe „Papierkino“ für Kitas und Schulen mit hohem Migrationsanteil: http: / / www.papierkino.de/ (10.11.2015). 5 In Polen wird einmal im Jahr eine „Woche des deutschen Films“ organisiert. 2013 wurden 7 Filme in 4 Film gestalten im L3-Unterricht? 99 45 (2016) • Heft 1 filmbezogenen Erfahrungen und Erwartungshaltungen der Mehrheitsgesellschaften zu bedenken, da sie Lehrende wie Lernende im konkreten fremdsprachendidaktischen Handlungsfeld prägen, ebenso spielen die Rezeptionsgewohnheiten eine wichtige Rolle. Lernende aus Ländern, in denen Untertitelungen sehr verbreitet sind, sind an Textzeilen in der unteren Bildleiste gewöhnt, sie haben gelernt, sich pragmatisch auf dem Filmbild zu bewegen und verfügen (in der Muttersprache) über eine hohe Lesegeschwindigkeit. Daneben können gattungsspezifische Rezeptionstraditionen von Bedeutung sein: So haben es französischsprachige Komödien in vielen Ländern leichter als deutschsprachige, und deutschsprachige Animationsfilme können mit amerikanischen nicht ernsthaft konkurrieren. Das prägt wiederum die Ankaufpolitik der Verleiher. Vergleichbares gilt für deutschsprachige Literaturverfilmungen, Film-Biographien oder verfilmte historische Stoffe: Sie setzen ein grundsätzliches Interesse für den deutschsprachigen Raum voraus, mit dem keinesfalls fest zu rechnen ist. Zusätzlich spielt der Status eine Rolle, den sowohl das Medium Film als auch die jeweilige Fremdsprache im öffentlichen Bewusstsein einnehmen. Inwieweit kann mit einem allgemeinen Interesse und ggf. einer Vorbildung in Bezug auf Elemente der Filmsprache gerechnet werden? Spielt Film im Bildungssystem eine nennenswerte Rolle? Existiert eine außerschulische Filmbildung und schließt diese ggf. auch Elemente filmproduktiver Arbeit ein? Wie ist der jeweilige DVD-Markt aufgestellt und was kosten fremdsprachige DVDs? Inwieweit sind virtuelle Angebote zur fremdsprachigen Filmbildung bekannt, zugänglich und auch tatsächlich nutzbar? Welchen Status und Marktwert hat die Fremdsprache Deutsch? Welche Erwartungen werden an Kompetenzen im Deutschen gestellt? Hier ist sehr genau nach Zielen und Motivationen zu fragen - nicht, um sie immer zu bedienen, aber um an sie anzuknüpfen und sie ggf. zu erweitern. Für viele Fremdsprachenlernende ist die erfolgreiche fremdsprachige Kommunikation oberstes Ziel. DaF wird hier oft in eine Konkurrenzsituation manövriert: Gelingt Kommunikation in einem subjektiv befriedigenden Maß auf Englisch, so sind weitere Fremdsprachen nicht selbstverständlich und brauchen eine wohldurchdachte Motivationsstrategie. Auf diesem Feld hat es Deutsch nicht leicht: In vielen Kreisen gilt es als schwere, Sprache, Land und Leute sind nicht unbedingt beliebt und das deutschsprachige kulturelle Angebot (einschließlich der Filme) wird nicht durchgehend als attraktiv empfunden. Solche Bedingungsgefüge sind als integraler Bestandteil einer vorgängigen Filmkompetenz bei Lernenden und Lehrenden sehr ernst zu nehmen. Fremdsprachige Filmbildung darf nicht im luftleeren Raum situiert werden, vielmehr braucht es Brücken zwischen filmbezogener Realität und medienspezifischen wie fremdsprachlichen Zielkompetenzen. Die Ausarbeitung eines Filmcurriculums für den Fremdsprachenunterricht würde sich damit komplexer gestalten als es den Anschein haben mag, da immer genau gefragt werden muss, für wen und unter welchen Bedingungen es sinnvoll ist. 6 Großstädten gezeigt, vgl. http: / / www.kinonh.pl/ artykul.do? id=1662 (10.11.2015). Filme aus Österreich oder der Schweiz sind über TV, Kino und DVD-Markt kaum zugänglich. 6 Vgl. H AHN (2015: 25, Anm. 2). Die Autorin beruft sich auf den Vorschlag von H ENSELER / M ÖLLER / 100 Camilla Badstübner-Kizik 45 (2016) • Heft 1 Fragt man also nach den Chancen für einen kompetenzorientierten Umgang mit dem Medium Film im Fremdsprachenunterricht, so sind sprachenübergreifende Impulse sicherlich möglich, insbesondere für Sprachen, die eine vergleichbare Position im Sprachencurriculum einnehmen, gleichzeitig aber verbieten sich selbst für DaF pauschale Aussagen: Die Variablen sind einfach zu unterschiedlich. In diesem Sinne haben die folgenden Überlegungen Gültigkeit für eine konkrete Konstellation; gleichwohl können sich Parallelen zu vergleichbaren Bedingungsgefügen ergeben. 2. Filmbildung in der L3-Situation: DaF in Polen Konkreter Hintergrund ist im Folgenden die produktionsorientierte Arbeit mit Filmen in der Situation Deutsch als Fremdsprache nach Englisch (DaFnE) im polnischen Bildungssystem. Der Sprachunterricht in der ersten Fremdsprache (in der Regel Englisch) setzt im polnischen Schulsystem auf Klassenstufe 1 ein, in der zweiten Fremdsprache, der L3 (Deutsch, Spanisch, Französisch, Russisch), spätestens auf Klassenstufe 7, diese wird dann durchschnittlich mit 2 Wochenstunden unterrichtet. Erwartet wird bis zum Abitur das Niveau A2, im Fall eines sogenannten erweiterten Curriculums das Niveau A2+/ B1. Insgesamt scheinen die fremdsprachlichen Kenntnisse in Bezug auf Deutsch in den letzten Jahren zurückzugehen, ein Trend, der sich auf akademischem Niveau fortsetzt. Der Studienverlauf ist daher zu einem Großteil von sprachpraktischen Übungen bestimmt, medienspezifische Lehrangebote gehören zu den absoluten Ausnahmen. Polnische Fremdsprachenlehrende werden nur in einem Fach ausgebildet, für Mehrsprachigkeitsdidaktik, die Zusammenarbeit mit Lehrenden anderer Fremdsprachen oder Fächer sind sie wenig sensibilisiert. Fortbildungsangebote sind kaum medien- oder gar filmspezifisch angelegt. Insgesamt ist für Fremdsprachen-Lernende, -Studierende und -Lehrende durchaus von einer latenten Mehrsprachigkeit auszugehen, die allerdings in den einzelnen Sprachen sehr unterschiedlich ausfällt und nur selten von strukturellen Einsichten in die sich daraus ergebenden potenzierten didaktischen und methodischen Möglichkeiten flankiert wird. Kommunikationsbedürfnisse mit anderssprachigen Personen können im In- und Ausland mehr oder weniger über Englisch befriedigt werden, die Motivation für das Erlernen einer weiteren Fremdsprache ist stark pragmatisch. Genuines Interesse für deutschsprachige (Film-)Kulturen gehört definitiv nicht dazu und bildet selbst bei einschlägig Studierenden die Ausnahme. Die zur Verfügung stehende geringe Stundenzahl im Schulsystem tut ein Übriges: Lehrende sind weitgehend davon überzeugt, dass diese Zeit für Grammatik und Wortschatzerwerb gebraucht wird und vor allem darauf sind sie auch vorbereitet. S URKAMP (2011), ein „Filmcurriculum für den Unterricht ,Englisch als Fremdsprache‘ in Deutschland“ zu erstellen. Diese Formulierung erscheint mir wichtig: Für einen anderen Kontext könnte es keine Gültigkeit beanspruchen. Vergleichbares muss für DaF gelten. H AHN ist zuzustimmen, wenn sie nach der Berechtigung fragt, „Filmbildung im Fremdsprachenunterricht und Film im Zweitsprachenunterricht generell einer Kategorie zuzuordnen“ (H AHN 2015: 30). Film gestalten im L3-Unterricht? 101 45 (2016) • Heft 1 Die Bildungsstandards für die polnischen Schulen 7 enthalten Elemente einer Filmbildung. Sie ist vor allem im Erstsprachenunterricht [Język Polski] und im Fach Kulturkunde [Wiedza o kulturze] angesiedelt und dementsprechend die Domäne von Muttersprachenlehrkräften. Film erscheint explizit in den Zielbeschreibungen für die zweite Etappe der Grundschule (Klassenstufen 4-6), in der Mittel- (Klassenstufen 7-8) sowie der Oberstufe (Klassenstufen 9-12), in der Regel im Kontext der Fähigkeit, kulturelle Texte im weiteren Sinne analysieren und interpretieren zu können. Dabei wird eine Progression eingehalten: Zunächst geht es darum, verschiedene audiovisuelle Formate zu unterscheiden und ausgewählte filmtypische Elemente wahrzunehmen und zu benennen. Im Mittelschulbereich stehen Beschreibungen und Personencharakterisierungen auf der Grundlage audiovisueller Textformate auf dem Programm. Darüber hinaus sollen intermediale Bezüge thematisiert werden (Literaturverfilmungen). In der letzten schulischen Bildungsetappe steht medienspezifische Sprachaufmerksamkeit im Blickpunkt, Grundlage dafür bilden u.a. klassische polnische Filmproduktionen (K. K IEŚLOWSKI , A. M UNK , A. W AJDA , K. Z ANUSSI ). Das erweiterte Curriculum legt intermediale Textvergleiche nahe und nennt ausdrücklich die Notwendigkeit, auch internationale Filmklassiker im Unterricht zu thematisieren (I. B ERGMAN , C. C HAPLIN , F. F ELLINI , A. K UROSAWA , A. T ARKOWSKI , O. W ELLES ). Deutschsprachige Filmproduktionen oder Regisseure werden nirgendwo erwähnt. 8 Im Mittelpunkt des Faches Kulturkunde, auf Klassenstufe 10 mit einer Wochenstunde unterrichtet, stehen die Analyse und Interpretation von ,Kulturtexten‘ aus den Bereichen Malerei, Fotografie, Musik, Theater sowie Kino und Fernsehen. Besonders erwähnt wird die Notwendigkeit, ein muttersprachliches Fachvokabular für die genannten Bereiche zu erarbeiten und dieses auch anzuwenden. Filmwissen wird neben Theaterwissen und Moderner Kunst als derjenige Bereich deklariert, der auf früheren Bildungsstufen eine nur marginale Rolle gespielt habe und daher einer besonderen Aufwertung bedürfe. Der Lehrperson wird allerdings dann freigestellt, welchen der drei Bereiche sie - in Abhängigkeit von Interessen und Vorbildung - wählt. 9 Das Fach Politische Bildung [Wiedza o społeczeństwie] gründet auf der Arbeit mit Medien aller Art und stellt die Fähigkeit heraus, Medien in ihren wesentlichen Eigenschaften charakterisieren sowie bewusst nutzen zu können. Expliziert wird dies für Presse, Fernsehen, Radio und Internet, die in Funktion, Bedeutung und Merkmalen exemplarisch analysiert werden sollen. Darüber hinaus wird gefordert, medienbezogene Recherchekompetenz aufzubauen und Aspekte mediengestützter Meinungsbildung zu thematisieren. Auf dem Programm stehen Medien und Demokratie, medialer 7 Meine Ausführungen beziehen sich auf die derzeit verbindlichen Bildungsstandards des Polnischen Bildungsministeriums von 2011 [Podstawa programowa]. In kommentierter Fassung sind sie in 8 Bänden zugänglich: https: / / men.gov.pl/ zycie-szkoly/ ksztalcenie-ogolne/ podstawa-programowa/ podstawaprogramowa-wychowania-przedszkolnego-oraz-ksztalcenia-ogolnego-w-szkolach-podstawowychgimnazjach-i-liceach.html [10.11.2015]. Aus Platzgründen können die Angaben hier nur stark verkürzt und in paraphrasierender Übersetzung erfolgen. 8 Vgl. http: / / men.gov.pl/ wp-content/ uploads/ 2011/ 02/ men_tom_2.pdf , S. 31, 37, 38, 44, 85 [10.11.2015]. 9 Vgl. http: / / men.gov.pl/ wp-content/ uploads/ 2011/ 02/ 7d.pdf , S. 47, 51 [10.11.2015]. 102 Camilla Badstübner-Kizik 45 (2016) • Heft 1 Pluralismus, lokaler, regionaler, nationaler und globaler Journalismus und Medienanalyse. Der klassische Filmmarkt wird nicht erwähnt. Damit wird eine Trennung zwischen ,Film‘ und ,Medien‘ verstärkt. Auf die seit mindestens neun Jahren systematisch aufgebauten Fremdsprachenkenntnisse, über die die Lernenden in der Oberstufe verfügen, wird nicht eingegangen; der Fremdsprachenunterricht ist bei fächerübergreifenden Projekten als Partner nicht angedacht. 10 Für den Geschichtsunterricht [Historia] heißt es, filmische Texte sollten in Lehr- und Lernprozesse einbezogen werden, eine Spezifizierung findet nicht statt. Die filmbezogenen Rezeptionsstrukturen legen es nahe, dass fremdsprachige Filme ab den Klassenstufen 5/ 6 in originalsprachlicher Version mit polnischen Untertiteln rezipiert werden, für jüngere Lernende (und Kinderfilme allgemein) sind synchronisierte Fassungen üblich. 11 Die Bildungsstandards für die modernen Fremdsprachen [Języki obce] weisen Medien in der Mittel- und Oberstufe als Teil von Kultur aus und etablieren sie damit als ein Teilthema, das im Unterricht eine Rolle spielen sollte. Die Lernenden sollen vor allem die entsprechenden sprachlichen Mittel erwerben, um den rezeptiven und - in Ansätzen - produktiven Umgang mit Medien zu gewährleisten, d.h., um gesprochene und geschriebene mediale Texte verstehen und ggf. bearbeiten zu können. Audiovisuelle Texte sind hier eingerechnet, ausdrücklich genannt werden Spielfilme und Werbung. Fremdsprachige filmische Texte erscheinen damit in erster Linie als (relativ unverbrauchte) sprachauslösende Impulse im Klassenraum selbst, die Vorbereitung auf einen nachhaltigen und kompetenten Umgang mit ihnen über die Schule hinaus bleibt unberücksichtigt, damit wird ein wichtiges Motiv, nachhaltige Fremdsprachenkenntnisse aufzubauen, verschenkt. 12 Staatliche und öffentliche Träger bieten ein breit gefächertes filmspezifisches außerschulisches Angebot, das allerdings nur in ausgewählten Großstädten zugänglich ist. Neben thematisch profilierten Filmreihen (z.B. „Jugend“, „schwierige Themen“), Diskussionsrunden, Workshops und didaktischen Handreichungen finden sich Projektideen, die auch außerhalb organisierter Lernarrangements realisiert werden können. 13 Ob eine Klasse daran teilnimmt, hängt vor allem von der Initiative der Lehrkraft ab. Das Angebot enthält Kurse „für fortgeschrittene Lehrer“ in Filmgestaltung (Drehbuch, Aufnahme, Montage, Regie, Animation). 14 Diese werden in erster Linie von Muttersprachen- und Geschichtslehrkräften wahrgenommen, Fremdsprachenlehrende werden nicht als Zielgruppe angesprochen, sprachliche oder fremdsprachliche Aspekte werden nicht gesondert thematisiert. Erwähnenswert ist, dass Schulen, Universitäten und Kulturhäuser mitunter Filmklubs betreiben, deren Veranstaltungen dem Schema „Einführung, Filmvorführung, Diskussion“ folgen. 10 Vgl. http: / / men.gov.pl/ wp-content/ uploads/ 2011/ 02/ 4d.pdf , S. 87, 100, 125 [10.11.2015]. 11 Vgl. http: / / men.gov.pl/ wp-content/ uploads/ 2011/ 02/ 4c.pdf , S. 42 [10.11.2015]. 12 Vgl. http: / / men.gov.pl/ wp-content/ uploads/ 2011/ 02/ men_tom_3.pdf , S. 37-38, 40, 44 [10.11.2015]. 13 Vgl. z.B. die Plattformen http: / / edukacjafilmowa.pl/ (u.a. Ministerium für Kultur und Nationales Erbe); http: / / www.edukacjafilmowa.eu/ (Stiftung Pro Cinema), http: / / www.nhef.pl/ (Verein Nowe Horizonty). 14 Vgl. Akademia Nowe Horizonty: http: / / www.nhef.pl/ edukacja/ artykul.do? id=1398 [10.11.2015]. Film gestalten im L3-Unterricht? 103 45 (2016) • Heft 1 Abgesehen von Ausnahmefällen ist bei Fremdsprachenlehrenden und -lernenden in Polen mit einer eher geringen Sensibilität und Vorbildung in Bezug auf das Medium Film zu rechnen, erst recht, wenn es um seine (fremd)sprachliche Dimension geht. Beide Gruppen sind Opfer der Vereinzelung von Sprachen, Studiengängen, Schulfächern und Lehrinhalten. Filmbezogene Aktivitäten sind auf den Erwerb filmspezifischen Sprachwissens (schulische Filmbildung) bzw. die Nutzung eines filminhärenten pädagogisch-erzieherischen Potenzials ausgerichtet (außerschulische Filmbildung): Filme bieten Gesprächsanlässe, erleichtern den Zugang zu schwierigen Themen, illustrieren und veranschaulichen. Filmgestaltende Aktivitäten bleiben privat oder elitär 15 und verlaufen außerhalb der Schule. Außerschulisches rezeptives und produktives Filmerleben rekurriert insgesamt auf das Internet; dieser Aspekt findet in der schulischen und außerschulischen Filmbildung aber keine nennenswerte Resonanz. Die Schere zwischen „Film in der Schule“ und der audiovisuellen Realität ist in Polen, wie anderswo natürlich auch, weit geöffnet. Insgesamt ergibt sich ein ambivalentes Bild: Das zeitliche, personelle, materielle und inhaltliche Reservoir für fremdsprachliche Filmbildung im Kontext DaF in Polen ist gering. Fremdsprachenunterricht zielt auf kommunikative Kompetenz, für komplex angelegte Kompetenzaufgaben bleibt wenig Zeit, und sie stehen unter Legitimationszwang, sowohl in Bezug auf curriculare Vorgaben als auch aus der Perspektive der Lehrenden und Lernenden. Das betrifft produktiv angelegte filmbezogene Aufgaben gleich doppelt - das Medium ist im Fremdsprachenunterricht nicht fest verankert, und handlungsorientierte Aufgaben bilden hier die Ausnahme. Da innerhalb des polnischen Bildungssystems bis auf weiteres nicht damit zu rechnen ist, dass Medien- und Filmarbeit ein größerer Stellenwert eingeräumt wird, plädiere ich dafür, dieses Bedingungsgefüge mit seinen curricularen (film- und sprachenbezogene Bildungsstandards), kommerziellen (Filmproduktion und -distribution), soziologischen (gewohnheitsmäßige Filmrezeption) und medienspezifischen Prämissen (Stellenwert des Mediums Film, länder-, themen- und genrespezifische Erwartungen) als status quo zu akzeptieren. Es muss die Grundlage weiterer Überlegungen bilden, sofern diese realistisch bleiben sollen. Die Konsequenzen, die sich daraus für die Möglichkeit ergeben, kompetenzorientierte filmgestaltende Aufgaben im L3-Unterricht DaFnE zu realisieren, werden im folgenden Abschnitt diskutiert. 15 In Polen ist ein schnelles Anwachsen von privaten filmgestalterischen Aktivitäten zu beobachten. Vgl. z.B. die sehr erfolgreichen Youtuber Sylwester A. W ARDĘGA und Marek H OFFMANN . Die Wajda School, die an Jugendliche ab 15 Jahren gerichtet ist, setzt ein sehr anspruchsvolles zweistufiges Auswahlverfahren voraus, http: / / www. wajdaschool.pl/ pl/ program/ przedszkole-filmowe [10.11.2015]. 104 Camilla Badstübner-Kizik 45 (2016) • Heft 1 3. Filmgestaltende Kompetenzaufgaben unter den Bedingungen des L3-Unterrichts Unter filmgestaltenden Kompetenzaufgaben verstehe ich nicht nur die Herstellung von eigenen Filmen, sondern auch Aufgaben, die im weiteren Sinne aktiv gestaltend auf die Wahrnehmung und Rezeption von existierenden Filmen ausgerichtet sind. Damit öffnet sich der Blick auf eine Fülle von handlungsorientierten Aufgabenformaten, die auf die Bearbeitung, Um- und Weitergestaltung von Filmmaterial im Geflecht mehrerer Sprachen zielen. „Film gestalten“ würde dann kreativ-gestaltende Aktivitäten im Vor- und Umfeld eigener Filmideen (z.B. film treatment, Dialoge, Animation) ebenso einschließen wie die Bearbeitung von Filmszenen (z.B. Untertitelung) oder die aktive Teilnahme am Rezeptionsprozess (z.B. Filmrezension) bereits existierender Produktionen. Im Sinne der Kompetenzorientierung können solche Aktivitäten innerhalb des skizzierten Bedingungsgefüges nur erfolgversprechend sein, wenn sie mehrere der folgenden Merkmale berücksichtigen: 1. Sie ermöglichen Zugang zu authentischen Inhalten und Anschluss an den Interessen- und Erfahrungshorizont von Lernenden (und Lehrenden). Sie sollten - in ihrer fremdsprachlichen wie filmischen Perspektivierung - von beiden Gruppen als notwendig und begründet wahrgenommen werden. Dies meint die „lebensweltliche ,Ernsthaftigkeit‘“ (H ALLET 2012a: 12) einer in der Aufgabe inhärenten Fragestellung, die für Lernende „problemlösungs- und verhandlungsbedürftig“ ist (ebd.). Die Hauptschwierigkeit liegt darin, ein echtes Problem aufzumachen, das von Lernenden (und Lehrenden) tatsächlich einer Lösung für würdig befunden wird und filmbezogene deutschsprachige Aktivitäten rechtfertigt. 2. Sie schließen eine für Lehrende (und Lernende) einsichtige und nachvollziehbare Anbindung an fremdsprachliche Fertigkeiten und kommunikative Teilkompetenzen ein. Die „sprachlichen skills im engeren Sinne“ (H ALLET 2012a: 15) müssen deutlich erkennbar bleiben und mit curricularen Anforderungen kompatibel sein. Naheliegend ist, dass sie im Bereich der produktiven Fertigkeiten liegen; das Verfassen von Texten unterschiedlicher Länge und unterschiedlichen Registers sowie mündliche Kommunikation stehen dabei im Zentrum. Die Ausrichtung auf authentische Kommunikationssituationen halte ich für entscheidend. 3. Im Sinn der Kompetenzorientierung liegt der Fokus auf Lern- und Aufgabenarrangements, die auf die Teilhabe an authentischen aktuellen Diskursen zielen, insofern diese das Medium Film betreffen bzw. mit seiner Hilfe ausgetragen werden. Das öffnet den Blick für ein breites Spektrum an möglichen Fragestellungen und Filmformaten - von der Erkenntnis, dass Blockbuster unter unterschiedlichen Titeln fungieren, über die Frage, inwieweit Sportereignisse in einheimischen und deutschsprachigen Fernsehkanälen unterschiedlich ausgehandelt werden, bis hin zu regionalen und lokalen Aktivitäten im deutsch-polnischen Grenzbereich, die eine filmische Dokumentation rechtfertigen. Grundlage für die Teilhabe an filmbezogenen Diskursen ist die Wahrnehmung und Explorierung der realen oder Film gestalten im L3-Unterricht? 105 45 (2016) • Heft 1 virtuellen Orte, an denen diese ausgetragen werden, neben Kinoprogrammen z.B. Filmdatenbanken, Filmauftritte im Web, Besucher- und Vermarktungsstatistiken, Rezensionsplattformen, Blogs oder fandom-Seiten. 4. Die Aufgabe ermöglicht es, auf das mehrsprachige Potenzial der Lernenden abzuheben und dieses zu nutzen. Film kann im Kontext DaF nicht losgelöst vom Englischen (und vom Fach Englisch als Fremdsprache) bestehen, eine Ausblendung der globalisierten (englischsprachigen) Filmindustrie wäre nicht zu rechtfertigen. An die Stelle von Sprachenkonkurrenz müssen Kooperation und Komplementarität treten. Es trägt erheblich zur Motivierung im L3-Unterricht bei, wenn die zweite Fremdsprache Deutsch zu einem Instrument für Informationsbeschaffung und adressatenspezifische Reaktion wird, das weder durch die Erstsprache Polnisch noch durch Englisch ersetzt werden kann. 5. Geeignete Kompetenzaufgaben enthalten einen Mehrwert im Bereich Filmbildung, der für Lernende nachvollziehbar und von Fremdsprachenlehrenden leistbar ist. Dabei kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich sehr große Gruppen von Lehrkräften für filmspezifische Fragestellungen gewinnen lassen und einschlägiges Wissen einbringen. Vielmehr ist weitgehende Flexibilität und Offenheit sinnvoll - so dass zum einen die Rezeption und Produktion verwandter Medien eine Rolle spielen kann (z.B. Fotografie, Comics), und zum anderen die einschlägigen Erfahrungen und Interessen der Lernenden Berücksichtigung finden und Lehrkräfte entlastet werden. Dies dürfte insbesondere technische Kompetenzen, Spezialwissen und außerschulische Kontakte betreffen. 6. Die filmgestalterischen Aktivitäten bleiben in einem Rahmen, der zeitlich, technisch, sprachlich und finanziell für alle Beteiligten realistisch ist. Dabei können Unterrichtsraum und Unterrichtszeit erweitert und ein Fokus auf fächer-, sprach- und schulübergreifende Projektarbeit gelegt werden. Die Zusammenarbeit zwischen Lehrenden ist dabei nur von Vorteil - vgl. die „Konstruktion von Kompetenzaufgaben […] als kooperative Lehreraufgabe“ (H ALLET 2012b: 93) -, ebenso wie die Anbindung an schulische oder außerschulische Initiativen (z.B. Filmclubs) und die Verankerung im lokalen oder regionalen Umfeld (z.B. Tourismus oder Marketing). In konsequentem Lebensweltbezug in Verbindung mit der Nutzung und Förderung vorhandener Mehrsprachigkeit sehe ich eine reale Chance für filmbezogene Kompetenzaufgaben im L3-Unterricht; im Idealfall sind beide Aspekte eng miteinander verwoben und begünstigen einander. Das bedeutet: Die Grenze zwischen dem L3-Klassenraum und der filmbezogenen Lebenswelt von Lernenden muss in beiden Richtungen durchlässiger werden. Grundsätzlich sind Lernende in ihren filmbezogenen Gewohnheiten und Bedürfnissen ernst zu nehmen, auch im Hinblick auf deren sprachliche Realität. Dazu gehört die Dominanz englischsprachiger Filmproduktionen ebenso wie die Vertrautheit mit Untertitelungen und die Omnipräsenz digitaler Technologien. Deren Potenzial gilt es gezielt zu nutzen, „(a) zur allgemeinen Informationsgewinnung (Recherche), [ebenso wie] (b) zur Initiierung und Durchführung von Schreib- und Sprech- 106 Camilla Badstübner-Kizik 45 (2016) • Heft 1 anlässen“ (U NGER 2012: 61). Entlang von konkreten Fragen können z.B. halbgeschlossene und halboffene Recherchen 16 auf Webseiten und Filmportalen durchgeführt oder offene Recherchen angeregt werden (vgl. ebd.: 62). 17 Darüber hinaus ist die Suche nach Trailern, Pressetexten, Interviews, Angaben zu Darstellern und dgl. sinnvoll und sprachlich realistisch, gerade auch im Vergleich mehrerer Sprachen. 18 Wenn auf Filme (Themen, Darsteller/ innen usw.) rekurriert wird, die aktuelle (mehrsprachige) mediale Präsenz besitzen und außerdem die Erweiterung des medialen Spektrums um Presse, TV und soziale Netzwerke nahelegen, können „realweltliche diskursive Prozesse“ (H ALLET 2012b: 96) fassbar werden. 19 An solchen Punkten ergibt sich „reichhaltiger Text- und Materialinput“ gleichsam von selbst (ebd.), und eine reale Teilhabe an fremdsprachlichen Diskursen scheint - z.B. über digitale Kommentar- und Rezensionsoptionen - für L3-Lernende tatsächlich punktuell möglich. 20 Sprachliche Teilkompetenzen können hier - wenigstens zeitweise - aus dem Lehrbuch ,befreit‘ und in authentische Kontexte eingebunden werden. Filmbezogene Kompetenzaufgaben dürfen in der L3-Situation weder die Dominanz rezeptiver Teilkompetenzen (Hör-Sehverstehen, Leseverstehen) noch die (teilweise) Realisierung von Aktivitäten in der Erstsprache (Polnisch) oder in der ersten Fremdsprache (Englisch) ausschließen. Neben einem kulturell bedeutungsvollen Inhalt und der authentischen Textsorte ist doch gerade die realistische Gewichtung der zur Verfügung stehenden Sprachen ein Indiz für den „Lebensweltbezug“ einer Kompetenzaufgabe (vgl. H ALLET 2012a: 12). Lebensweltbezug ist daneben auch ganz real möglich, indem - filmgestaltend im oben beschriebenen Sinne - direkt auf das unmittelbare Umfeld eingewirkt wird, etwa über Projekte in Zusammenarbeit mit örtlichen Kinos oder regionalen touristischen Einrichtungen. Lebensweltbezug im Schnittpunkt von Filmen und Sprachen ergibt sich schließlich, wenn filmisch realisierte jugendaffine Themen (z.B. Familie, Beziehungen, Beruf, Medien, globale Ereignisse) oder Beziehungen zwischen dem eigenen Land und dem zielsprachigen Raum (z.B. historische und aktuelle Konflikte und Ereignisse, grenzüberschreitende Beziehungen, Migration) in den Unterrichtsraum hinein geholt werden. 16 Erprobte Fragestellungen sind z.B.: „Was wird in deutschsprachigen Kinos gezeigt? / Wie heißen diese Filme in unseren Kinos und wie heißen sie im Original? / Wie viele Besucher hatte Film X in Deutschland, wie viele in den USA, wie viele bei uns? / Worum geht es in Film Y? / Sucht je drei positive, negative und ambivalente Reaktionen auf Film Z auf Polnisch, Deutsch und Englisch und vergleicht sie.“ Neben einheimischen Filmdatenbanken (z.B. http: / / www.filmweb.pl/ ) kommen z.B. http: / / www.imdb.com/ , http: / / filmportal. de/ , http: / / www.filmstarts.de/ filme-imkino/ kinos/ , http: / / www.moviepilot.de/ kino/ kinostart oder http: / / www.kino.de/ filme/ neu-im-kino/ in Frage. Zweisprachige Informationen bieten viele Goethe Institute, vgl. für Polen http: / / www.goethe.de/ ins/ pl/ lp/ kul/ dup/ flm/ sis/ deindex.htm [10.11.2015]. 17 Z.B.: „Wo findet man Informationen zu deutschsprachigen Filmen auf Deutsch? “ 18 Z.B.: „Vergleicht den polnisch-, den englisch- und den deutschsprachigen Wikipedia-Eintrag zu Daniel Brühl. Welche Informationen finden sich im polnischen Text nicht? “ 19 Ein im deutsch-polnischen Kontext in dieser Hinsicht dankbares Thema war die emotional aufgeladene Debatte um den TV-Dreiteiler Unsere Mütter unsere Väter (ZDF 2013, Regie: Philipp K ADELBACH ). Sie hat in den polnisch- und deutschsprachigen Print- und online-Medien viele Spuren hinterlassen. 20 Diese Diskussionen verlaufen in Polen eher anonym und z.T. äußerst aggressiv. Ein direkter Bezug auf Bildungsstandards im Fach Politische Bildung (Sprache in Medien) ist naheliegend. Film gestalten im L3-Unterricht? 107 45 (2016) • Heft 1 Hier liegen reale Möglichkeiten, auch deutschsprachige Filme ins Blickfeld zu rücken, die im öffentlichen Bewusstsein weniger präsent sind. 21 4. Drei Anregungen für den L3-Unterricht Deutsch nach Englisch in Polen Drei exemplarische Lern- und Aufgabenarrangements für den oben beschriebenen Kontext sollen dies abschließend illustrieren. Sie setzen in Bezug auf das Medium Film unterschiedliche Akzente, betreffen unterschiedliche Formen der Filmgestaltung und involvieren verschiedene sprachliche Teilkompetenzen. Hinter jeder Aufgabe steht ein Problem, das im erstsprachlichen Umfeld situiert ist und dessen Lösung die Nutzung mehrerer Sprachen ebenso sowie das Überschreiten der Grenzen des Klassenraums erfordert. Die Beschreibung konzentriert sich hier auf die sprachbezogenen Teilkompetenzen. Damit soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass diese im „Kern des kompetenzorientierten Fremdsprachenunterrichts“ (S IEPMANN 2012: 30) stehen - für viele DaF-Lehrende ein gewichtiges Argument dafür, dass sich gestaltende Filmarbeit im Unterricht sprachlich lohnen kann. Zentral ist der generische Ansatz: Die Lerner werden zunächst mit den Parametern der kommunikativen Situation vertraut gemacht. Danach rezipieren und analysieren sie einen für die Situation (das Genre) typischen Modelltext. Dieser Modelltext wird dann auf der Basis der analysierten Textstrukturmerkmale variiert und trainiert, bis die Lerner in der Lage sind, einen adäquaten Text frei zu produzieren. (H ASS 2012: 27) In Beispiel (a) steht die Textsorte log line im Mittelpunkt, Beispiel (b) bezieht sich auf touristische Werbespots und (c) auf die Textsorte Rezension. Viele der „evidenzbasierten Leitlinien“, die S IEPMANN (2012: 33) für die Spracharbeit in Kompetenzaufgaben empfiehlt, lassen sich damit gut umsetzen. Die Fülle an virtuell zugänglichen Beispielen sorgt dabei für den notwendigen medialen Input (vgl. ebd.: 37). a) Was läuft bei uns im Kino und Fernsehen? Erstellung deutsch- (und englisch-) sprachiger Movie und TV Guides Hintergrund ist das in Polen bestehende Problem, dass das Filmangebot in Kinos und auf TV-Kanälen von nicht-polnischsprachigen Personen auf der Ebene der Programmstruktur nicht ohne Weiteres rezipiert werden kann. Ohne Originaltitel, Filmplakat oder Angaben zu Regisseur und Darstellern gestaltet sich die Identifizierung von importierten Kino-Filmen schwierig, obwohl ihre Rezeption dann vergleichs- 21 Geeignete Beispiele sind u.a. im Bereich deutsch-polnischer culture-clash-Komödien zu finden. Die filmischen Beziehungen zwischen Polen und dem deutschsprachigen Raum sind gut aufgearbeitet, vgl. K LEJSA / S CHAHADAT (2011); B RAUN / D ĘBSKI / G WÓŹDŹ (2015). Die Fremdsprache Deutsch hat im Kontext filmisch reflektierter deutsch-polnischer historischer Beziehungen einen schweren Stand - dies ist Bestandteil der konkreten Lebenswelt. DaF-Lehrkräfte befinden sich in einer grundsätzlich anderen Position als Lehrkräfte für ,sympathische‘ und (in Polen historisch unbelastete) Sprachen wie Englisch, Französisch oder Spanisch. 108 Camilla Badstübner-Kizik 45 (2016) • Heft 1 weise einfach ist (Originalversion mit Untertitelung). Darüber hinaus besteht hier die reale Chance, Programmstrukturen in Kino und TV sowie polnischsprachige Film-Produktionen über Sprachgrenzen hinweg bekannt zu machen, nicht zuletzt für deutschsprachige Besucher aus dem Nachbarland. Die Aufgabe besitzt damit sowohl eine Marketingals auch eine medienkritische Dimension. Sie ist örtlich und zeitlich eingrenzbar, erfordert Zusammenarbeit auf mehreren Ebenen, ist in der außerschulischen Realität verankert, und die Lösungen haben die reale Chance auf Präsenz in der (virtuellen) Öffentlichkeit. Die Lernenden nehmen hier verschiedene filmtypische Textformate wahr und lernen, sie selbstständig, selektiv, zielgerichtet, kritisch und kreativ zu nutzen. Die im weiteren Sinne filmproduktiven Aktivitäten beziehen sich auf die Bearbeitung von Filmtiteln (Sprachmittlung) sowie die Erstellung von Texten (log lines), die überschaubaren inhaltlichen und sprachlichen Regeln folgen (Schreiben): Bei log lines handelt es sich um Kurztexte im Präsens von 1-3 Sätzen Länge, die als feste Bestandteile den Hinweis auf Genre, Protagonisten und filmischen Konflikt sowie eine offene Frage (hook) enthalten. sprachbezogene Teilkompetenzen filmbezogene Textsorten (Rezeption und Produktion) erst- und fremdsprachige Recherchen erstsprachige Kino- und TV-Programme, erst- und fremdsprachige Filmplattformen erst- und fremdsprachiges Leseverstehen Kino- und TV-Programme, Filmtitel, tag lines, log lines, Kurzbeschreibungen, Rezensionen erst- und fremdsprachiges Hör- Sehverstehen Trailer, Filmausschnitte, Filme Sprachmittlung (kreatives Übertragen in die Fremdsprache) Filmtitel, log lines, Kurzbeschreibungen fremdsprachiges Schreiben Filmtitel, log lines Tab. 1: Was läuft bei uns? Sprachbezogene Teilkompetenzen einer filmgestaltenden Kompetenzaufgabe b) Da musst du hin! Erstellung von fremdsprachigen Werbefilmen für Jugendliche Hintergrund dieser in der polnischen Realität begründeten Aufgabe ist das auffällige Fehlen fremdsprachiger touristischer Werbung für jüngere Zielgruppen, angefangen mit einem jugendgerechten Marketing für lokale und regionale Sehenswürdigkeiten (z.B. Freilichtmuseen) über sportliche Betätigung in der Natur (z.B. Themenparks) zu kulturellen Großereignissen (z.B. Straßentheater- und Musikfestivals). In Zusammenarbeit mit Stadt- und Tourismusbehörden liegt es daher nahe, kurze audiovisuelle Formen zu produzieren, die, entsprechend verlinkt, im Netz präsentiert werden können. Deutsch- (und englisch-)sprachige Vorbilder bieten ausreichende Möglichkeiten, sich mit passenden generischen Formen in der Fremdsprache vertraut zu machen (Aufbau, Film gestalten im L3-Unterricht? 109 45 (2016) • Heft 1 Kommunikationsstil). Die Aufgabe bietet zusätzliche Möglichkeiten für gestalterische und technische Aktivitäten (Ausstattung, Musik, ggf. Animation). sprachbezogene Teilkompetenzen filmbezogene Textsorten (Rezeption und Produktion) erst- und fremdsprachige Recherchen touristische Werbefilme touristische Informationen zu konkreten Zielen im eigenen Land fremdsprachiges Hör-Sehverstehen kurze touristische Werbefilme (generische Form) erstsprachiges Leseverstehen touristische Informationen zu konkreten Zielen im eigenen Land Sprachmittlung (adressatenorientiertes kreatives Übertragen in die Fremdsprache) Wörter und Wendungen, Textauszüge fremdsprachiges Schreiben Dialogliste (ggf. treatment, Drehbuch) mündliches fremdsprachiges Präsentieren (unter Einbeziehung phonetischer und phonologischer Fertigkeiten) monologisches, dialogisches, polylogisches Sprechen (emotiv-appellative Monologe, Rollenspiele, Sketche und dgl.) Tab. 2: Da musst du hin! Sprachbezogene Teilkompetenzen einer filmgestaltenden Kompetenzaufgabe c) Warum würde ich das (nicht) empfehlen? Beteiligung an Filmblogs und Rezensionsplattformen Das Verfassen kurzer, persönlich gehaltener Filmrezensionen hat in Polen Tradition; es gibt zahlreiche Orte im Netz, an denen diese platziert, gesucht und weiter kommentiert werden. Das schließt Filme in anderen Sprachen ein und ist nicht auf Neuerscheinungen begrenzt. Zum einen können auf einheimischen Plattformen fremdsprachige Filme in der Erstsprache vorgestellt (beschrieben, kommentiert, bewertet, empfohlen) werden; evtl. gehört die Übersetzung des Titels dazu. Um diese Aufgabe zu lösen, müssen entweder der fremdsprachige Film (als Trailer, in Ausschnitten) rezipiert (Hör-Sehverstehen) und Notizen gemacht werden, die dann zu kurzen polnischsprachigen Texten verarbeitet werden, oder aber die notwendigen Informationen sind fremdsprachigen Zusammenfassungen und Rezensionen zu entnehmen (Leseverstehen). Eine Variante stellt das Verfassen von kurzen Biographien von (weniger bekannten) fremdsprachigen Darstellern oder Regisseuren auf einheimischen Filmportalen dar. 22 Zum anderen kön- 22 Die populäre polnische Plattform filmweb.pl enthält viele Leerstellen, die von den Nutzern gefüllt werden sollen. Vgl. z.B. die Seite zum Film Wir wollten aufs Meer (D 2012, Regie: Constantin H EBBELN ), auf der die Übersetzung des Filmtitels und eine Inhaltsangabe fehlen, http: / / www.filmweb.pl/ film/ Wir+ wollten+aufs+Meer-2012-670314 [10.11.2015]. Zum Potenzial der Arbeit mit Filmtiteln und Filmpostern vgl. B ADSTÜBNER -K IZIK (2014). 110 Camilla Badstübner-Kizik 45 (2016) • Heft 1 nen einheimische oder fremdsprachige Filme auf deutschsprachigen Plattformen vorgestellt (beschrieben, kommentiert, bewertet, empfohlen) werden; in diesem Fall müssen dann Kurz-Texte in der Fremdsprache verfasst werden (pragmatisches Schreiben mit kreativen Elementen). Eine Vorstufe bildet die Kommentierung bereits vorhandener Einträge. In allen Fällen wird Öffentlichkeit hergestellt und (im Idealfall) ein auf einen konkreten Film (Darsteller usw.) bezogenes Bedürfnis befriedigt. sprachliche Teilkompetenzen filmbezogene Textsorten (Rezeption und Produktion) erst- und fremdsprachige Recherchen Filmportale, Plattformen, Blogs, fandom-Seiten fremdsprachiges Leseverstehen Rezensionen, Empfehlungen, Kommentare (generische Form) fremdsprachiges Hör-Sehverstehen Trailer, Filmausschnitte, Filme Sprachmittlung (kreatives Übertragen in die Erst- oder in die Fremdsprache) einzelne Wörter und Wendungen, Textauszüge Erstsprachiges Schreiben kurze biografische Texte, Zusammenfassungen, Rezensionen fremdsprachiges Schreiben kurze biografische Texte, Zusammenfassungen, Rezensionen Tab. 3: Warum würde ich das (nicht) empfehlen? Sprachbezogene Teilkompetenzen einer filmgestaltenden Kompetenzaufgabe 5. Zusammenfassung und Ausblick Die Chancen und Grenzen filmgestaltender Kompetenzaufgaben im L3-Unterricht sind durch spezifische curriculare, personelle, sprachliche und inhaltliche Komponenten bestimmt. Im Vergleich mit dem didaktischen Bedingungsgefüge für den L1- (hier Polnisch), den L2- (hier Englisch) und den Zweitsprachenunterricht (DaZ) müssen sie einen sehr viel engmaschigeren Filter passieren: Die Verwendung einer dritten Sprache muss im Kontext der aktiven Auseinandersetzung mit dem Medium und in Anbindung an authentische filmbezogene Bedürfnisse gerechtfertigt sein. Es muss sich demnach um Aufgaben handeln, die nicht (oder nur teilweise) in der Erstsprache bzw. in der ersten Fremdsprache lösbar sind. Sie rücken relevante Inhalte ins Blickfeld, die über das Medium Film in den anderen Sprachen nicht (oder nur teilweise) zugänglich sind und zielen auf ,kommunikationswürdige‘ Personen, mit denen nicht (oder nur teilweise) in anderen Sprachen Kontakt aufgenommen werden kann. Reale Chancen sehe ich vor allem für Aufgaben, die die latente Mehrsprachigkeit der Lernenden einbeziehen und eine direkte (filmbezogene) Anbindung an ihr Umfeld gestatten. Angesichts Film gestalten im L3-Unterricht? 111 45 (2016) • Heft 1 der dominierenden Rolle des Englischen - im Kontext Film, im schulischen Fremdsprachencurriculum und in der realen fremdsprachlichen Kommunikation - ist dies eine Herausforderung. Sie verlangt von DaF-Lehrenden Interesse, sprachliche und inhaltliche Sensibilität, die Bereitschaft zur Zusammenarbeit und viel Initiative. Damit dies über Einzelfälle hinaus möglich ist, sollte(n) a) auf akademischer Ebene (Lehramtsausbildung DaF) − die kritische Medienaufmerksamkeit von Studierenden gefördert werden, − filmbezogene Lehrveranstaltungen Eingang finden (einheimisches, englisch- und deutschsprachiges Filmschaffen, Medien- und Filmdidaktik, Filmgestaltung), − rezeptive und aktive Mehrsprachigkeit gefördert werden, − Elemente der Tertiär- und Mehrsprachigkeitsdidaktik vermittelt sowie mehrsprachiges Unterrichten angeleitet werden, − die Verankerung des Fremdsprachenunterrichts im lokalen und regionalen Umfeld erlebbar werden (außerschulische Lernorte), − Komponenten der Kompetenzorientierung erlebbar und ihre didaktischen Konsequenzen vermittelt werden (meaning und relevance, Handlungs- und Prozessorientierung). b) Auf institutioneller Ebene (Lehrerfortbildung) sollte − ein Fokus auf Sprachsensibilisierung sowie auf Tertiär- und Mehrsprachigkeitsdidaktik zielende Fortbildungsangebote gelegt werden, − mediendidaktische und filmbezogene Fortbildungsprogramme angeboten werden (Filmwissen, Filmrezeption, Filmgestaltung). c) Auf schulischer Ebene sollten − schul-, sprach- und fächerübergreifende Zusammenarbeit gestärkt werden, − sprachsensibilisierendes und mehrsprachiges Unterrichten gefördert werden, − pädagogische Freiräume geschaffen bzw. genutzt werden, − Verbindungen zum lokalen/ regionalen Umfeld angeregt und unterstützt werden (Stadtverwaltung, Kinos, Kulturhäuser, Presse, TV). d) DaF-Lehrende sollten schließlich − in ihrer Offenheit, Neugier und Experimentierfreude bestärkt werden, − zum Aufbau von fachbezogenen, sprach- und fachübergreifenden sowie außerschulischen Netzwerken ermutigt werden, − in ihren filmrelevanten Interessen und Fähigkeiten unterstützt werden. Einige dieser Anregungen mögen minimalistisch erscheinen und auf den ersten Blick nur mittelbar mit filmgestaltenden Kompetenzaufgaben zu tun haben. Sie gründen jedoch in einem konkreten Bedingungsgefüge und echten „Anforderungssituationen“ (K ÖNIGS 2012: 37). Filmgestaltende Kompetenzaufgaben bringen die Förderung rezeptiver und aktiver Mehrsprachigkeit sowie die Stärkung der Bindung schulischen Fremdsprachenunterrichts an reale Lebenswelten in den L3-Unterricht ein. Der Wunsch, dass dies (in Polen und anderswo) über punktuelle Angebote hinausgehen 112 Camilla Badstübner-Kizik 45 (2016) • Heft 1 kann, ist vorerst wohl unrealistisch. Ein großer Vorteil aber liegt darin, „dass [auch L3-] Lehrende so zu einer Vielzahl von Aufgaben kommen können, aus denen sie nicht nur für den eigenen Unterricht auswählen können, sondern aus denen sie auch und vielleicht gerade das Prinzip der Aufgabenorientierung übernehmen“ (ebd.: 41). Hier liegt nicht zuletzt ein Motivierungspotenzial, das im Kontext DaFnE sehr willkommen ist. Literatur B ADSTÜBNER -K IZIK , Camilla (2014): „Kreativer interkultureller Lernraum Film“. In: A DAMCZAK - K RYSZTOFOWICZ , Sylwia / S ZCZEPANIAK -K OZAK , Anna (Hrsg.): Kultur - Kommunikation - Kreativität - Reflexivität. Beiträge zum universitären Fremdsprachenunterricht. Frankfurt/ M.: Lang, 15-34. B RAUN , Brigitte / D ĘBSKI , Andrzej / G WÓŹDŹ , Andrzej (Hrsg.) (2015): Unterwegs zum Nachbarn. Deutsch-polnische Filmbegegnungen. Trier: WVT. G ÖTZE , Lutz / H ELBIG , Gerhard / H ENRICI , Gert / K RUMM , Hans-Jürgen (2010): „Die Strukturdebatte als Teil der Fachgeschichte“. In: K RUMM , Hans-Jürgen / F ANDRYCH , Christian / H UFEISEN , Britta / R IEMER , Claudia (Hrsg.): Handbuch Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Ein internationales Handbuch. Berlin / New York: De Gruyter Mouton. 1. Halbband, 19-34. H AHN , Natalia (2015): „Filmbildung im deutsch- und im DaF-didaktischen Handlungsfeld: eine kontrastive Perspektive“. In: W ELKE / F AISTAUER (Hrsg.), 13-38. H ALLET , Wolfgang (2012a): „Die komplexe Kompetenzaufgabe. Fremdsprachige Diskursfähigkeit als kulturelle Teilhabe und Unterrichtspraxis“. In: H ALLET / K RÄMER (Hrsg.), 8-19. H ALLET , Wolfgang (2012b): „Die Entwicklung von Unterrichtseinheiten, Kompetenzaufgaben und Evaluationsaufgaben für den Englischunterricht“. In: H ALLET / K RÄMER (Hrsg.), 92-97. H ALLET , Wolfgang / K RÄMER , Ulrich (Hrsg.) (2012): Kompetenzaufgaben im Englischunterricht. Grundlagen und Unterrichtsbeispiele. Seelze: Klett/ Kallmeyer. H ASS , Frank (2012): „Fertigkeitsentwicklung im kompetenzorientierten Englischunterricht“. In: H AL - LET / K RÄMER (Hrsg.), 20-29. H ENSELER , Roswitha / M ÖLLER , Stefan / S URKAMP , Carola (2011): Filme im Englischunterricht. Grundlagen, Methoden, Genres. Seelze: Klett/ Kallmeyer. H OORN , Meike van (2015): „Stiefkind Film. Zur Problematik der Arbeit mit Filmen im Bereich Deutsch als Fremdsprache“. In: W ELKE / F AISTAUER (Hrsg.), 39-53. K LEJSA , Konrad / S CHAHADAT , Schamma (unter Mitarbeit von Christian N ASTAL ) (Hrsg.) (2011): Deutschland und Polen. Filmische Grenzen und Nachbarschaften. Marburg: Schüren. K ÖNIGS , Frank G. (2012): „Zwischen Echternach, Eden und dem Nirwana: Zum Fortschrittspotential der Kompetenzorientierung in der Fremdsprachendidaktik“. In: A DAMCZAK -K RYSZTOFOWICZ , Sylwia / S TORK , Antje (Hrsg.): Multikompetent - multimedial - multikulturell? Aktuelle Tendenzen in der DaF-Lehrerausbildung. Frankfurt/ M. [etc.]: Lang, 33-43. M INISTERSTWO E DUKACJI N ARODOWEJ (2011): Komentarz do podstawy programowej wychowania przedszkolnego oraz kształcenia ogólnego [Kommentar zur Programmgrundlage für die vorschulische und allgemeinbildende Bildung]. https: / / men.gov.pl/ zycie-szkoly/ ksztalcenieogolne/ podstawa-programowa/ podstawa-programowa-wychowania-przedszkolnego-orazksztalcenia-ogolnego-w-szkolach-podstawowych-gimnazjach-i-liceach.html [10.11.2015] S IEPMANN , Dirk (2012): „Spracherwerb in komplexen Kompetenzaufgaben. Einige Leitlinien und Beispiele für deren Umsetzung“. In: H ALLET / K RÄMER (Hrsg.), 30-41. Film gestalten im L3-Unterricht? 113 45 (2016) • Heft 1 U NGER , Tobias (2012): „Digitale Technologien und Medien im kompetenzorientierten Englischunterricht“. In: H ALLET / K RÄMER (Hrsg.), 56-67. W ELKE , T INA / F AISTAUER , Renate (Hrsg.) (2015): Film im DaF/ DaZ-Unterricht. Beiträge der XV. IDT. Bozen / Wien: Praesens. Weitere Internetquellen [10.11.2015] http: / / www.papierkino.de http: / / www.kinonh.pl/ artykul.do? id=1662 http: / / men.gov.pl/ wp-content/ uploads/ 2011/ 02/ men_tom_2.pdf , S. 31, 37, 38, 44, 85 http: / / men.gov.pl/ wp-content/ uploads/ 2011/ 02/ 7d.pdf , S. 47, 51 http: / / men.gov.pl/ wp-content/ uploads/ 2011/ 02/ 4d.pdf , S. 87, 100, 125 http: / / men.gov.pl/ wp-content/ uploads/ 2011/ 02/ 4c.pdf , S. 42 http: / / men.gov.pl/ wp-content/ uploads/ 2011/ 02/ men_tom_3.pdf , S. 37-38, 40, 44 http: / / edukacjafilmowa.pl http: / / www.edukacjafilmowa.eu http: / / www.nhef.pl http: / / www.nhef.pl/ edukacja/ artykul.do? id=1398 http: / / www.wajdaschool.pl/ pl/ program/ przedszkole-filmowe http: / / www.filmweb.pl http: / / www.imdb.com http: / / filmportal.de http: / / www.filmstarts.de/ filme-imkino/ kinos http: / / www.moviepilot.de/ kino/ kinostart http: / / www.kino.de/ filme/ neu-im-kino http: / / www.goethe.de/ ins/ pl/ lp/ kul/ dup/ flm/ sis/ deindex.htm http: / / www.filmweb.pl/ film/ Wir+wollten+aufs+Meer-2012-670314 © 2016 Narr Francke Attempto Verlag 45 (2016) • Heft 1 L ARS S CHMELTER * Entwicklungen der französischdidaktischen Forschung - Ein subjektiver Blick auf die Zeit zwischen 2005 und 2015 Abstract. Over the past decade the study of teaching and learning French as a foreign language in the German-speaking context has largely been influenced by new strategies and developments in educational policy. The setting of educational standards and the empirical evaluation of their implementation as part of a more general strategy to monitor the output of the educational system, form a new framework within which foreign language research takes place. After a short introduction that sketches the outline of this article (chapter 1), the author takes a closer look at the conditions of foreign language research with regard to French as a foreign language (chapter 2). In looking at six topics which seem to be in the centre of this research the author proceeds to examine trends in the current studies (chapter 3). The article concludes with a compact list of blind spots in the research activities (chapter 4). 1. Eingrenzungen Dieser Artikel unternimmt den Versuch, Entwicklungen der französischdidaktischen Forschung vornehmlich in Deutschland und in Ansätzen im weiteren deutschsprachigen Raum für die Zeit von ca. 2004 bis 2015 darzustellen. Die Festlegung auf diesen Zeitraum basiert auf der Einsicht, dass mit der ersten Veröffentlichung von Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (KMK 2004a) eine neue Epoche bildungspolitischer Maßnahmen eingeläutet wurde, die ganz entscheidend nicht nur die Themen, sondern auch die sich zum Teil wandelnden Rahmenbedingungen der Fremdsprachenforschung bestimmen (vgl. Abschnitt 2). Dabei verstehe ich die Französischdidaktik als den Teil der Fremdsprachenforschung, der sich mit den spezifischen Fragen des Lehrens und Lernens von Französisch als Fremdsprache beschäftigt. Diese sprachbezogene Eingrenzung der berücksichtigten Forschung ist nicht leicht durchzuhalten und unterliegt an einigen Stellen unvermeidlichen subjektiven Bewertungen und Entscheidungen. So muss Fremdsprachenforschung, die im Kontext des Lehrens und Lernens von * Korrespondenzdresse: Prof. Dr. Lars S CHMELTER , Bergische Universität Wuppertal, Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften, Gaußstr. 20, 42119 W UPPERTAL . E-Mail: lars.schmelter@uni-wuppertal.de Arbeitsbereiche: Bilinguales Lehren und Lernen, Mehrsprachigkeitsdidaktik, Vermittlung und Aneignung sprachlicher Strukturen. N i c h t t h e m a t i s c h e r T e i l Entwicklungen der französischdidaktischen Forschung 115 45 (2016) • Heft 1 Französisch erfolgt (also z.B. mit Lernern 1 des Französischen, mit angehenden Französischlehrern), nicht unbedingt eine sprachspezifische Fragestellung in den Blick genommen haben, auch wenn z.B. der Titel einer Publikation dies zunächst vermuten lässt (vgl. z.B. Schädlich 2015). Umgekehrt ist auch Forschung, die z.B. im Kontext von Deutsch, Englisch, Russisch oder Spanisch als Fremdsprache erfolgt, nicht zwangsläufig irrelevant für die Entwicklung der Französischdidaktik. Außerdem erfolgt Fremdsprachenforschung im Bereich der romanischen Sprachen häufig mit Bezug auf zwei, drei oder gar mehr romanische Sprachen. Schließlich muss geklärt werden, inwiefern die evtl. infrage kommende Forschung schon oder noch zur Fremdsprachenforschung bzw. Französischdidaktik zugeordnet werden kann und nicht einer anderen, benachbarten Wissenschaftsdisziplin (z.B. der Kultur-, Literaturbzw. Sprachwissenschaft oder den empirischen Bildungswissenschaften) zugerechnet werden muss. 2 2. Rahmenbedingungen französischdidaktischer Forschung In den letzten Jahren erfolgt (fremdsprachen-)didaktische Forschung vor dem Hintergrund der Neuorientierung in der Bildungspolitik, die der von der KMK (2006) verfolgten Strategie des Bildungsmonitorings zum Ausdruck kommt (vgl. S CHMENK 2015). Mit ihm sollen verschiedene „Prozesse der Qualitätsentwicklung und Standardisierung auf allen Ebenen [...] systematisch“ umgesetzt und miteinander verbunden werden (KMK 2006: 6). Grundlage sollen „belastbare Daten“ sein, die es im Rahmen großangelegter Untersuchungen durch Vergleichsarbeiten usw. zu erheben gilt (L EUPOLD 2010). Dies führt auch zu veränderten Rahmenbedingungen französischdidaktischer Forschung. 2.1 Französisch als besonderes Schulfach Die Bedeutung des schulischen Französischunterrichts ist u.a. historisch begründet. Sein Gewicht ergibt sich aus den deutsch-französischen Beziehungen und der daraus seit 1963 erwachsenen einzigartig engen Kooperation auf vielen Gebieten. Der Französischunterricht und die Entwicklung der Schülerzahlen erfahren daher besondere Aufmerksamkeit und Förderung durch verschiedene - häufig binationale - Akteure (vgl. zuletzt C HRIST 2015, KMK 2013). Dem Ziel, möglichst viele Menschen an die französische Sprache heranzuführen und ihnen Gelegenheit zu geben, Frankreich und seine Bewohner persönlich kennenzulernen, ist die Französischdidaktik weiterhin verpflichtet, so dass sich die starke Frankreichzentrierung bei landeskundlichen und literarischen 1 „Verbum hoc si quis tam masculos quam feminas complectitur“ (Corpus Iuris Civilis Dig. L, 16,1; zitiert nach K RÜGER / M OMMSEN 1973). 2 Für eine jüngere Bestimmung des Verhältnisses von Sprachwissenschaft und Fremdsprachendidaktik siehe u.a. B ÜRGEL / S IEPMANN (2013), D AHMEN et al. (2009), S CHUMANN / S TEINBRÜGGE (2008). 116 Lars Schmelter 45 (2016) • Heft 1 Inhalten teilweise erklärt, die erst in letzter Zeit einer stärkeren Öffnung für die Frankophonie weicht. Dennoch ist Französisch in den meisten Bundesländern zumeist 2. oder 3. Schulfremdsprache, steht also vor allem in Konkurrenz zu Latein und neuerdings verstärkt auch zu Spanisch. Unter fremdsprachenlern- und -lehrtheoretischen, unter institutionellen Aspekten sowie unter motivationalen Gesichtspunkten ergeben sich daraus für die französischdidaktische Forschung Themen, die von der Englischdidaktik zumeist nicht oder nur unter anderen Schwerpunkten bearbeitet werden (siehe u.a. die Abschnitte 3.5 und 3.6). Hingegen werden andere Themen für Französisch vergleichsweise seltener erforscht (z.B. Fremdsprachenunterricht auf der Primarstufe, bilingualer Unterricht). 2.2 Bildungsstandards als Anstoß und Ressourcengeber französischdidaktischer Forschung Die Verabschiedung der Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss (KMK 2004a) und die jetzt auch erfolgte Festlegung von Standards für die Allgemeine Hochschulreife (KMK 2012) markieren nicht nur für die Entwicklung des Französischunterrichts und die Französischdidaktik einen tiefen Einschnitt (vgl. L EUPOLD 2010; vgl. zudem Abschnitt 3). Für die Ausformulierung und Bereitstellung beispielhafter Lern- und Testaufgaben sowie insbesondere für die empiriegeleitete und -gestützte Weiterentwicklung der Bildungsstandards wurde das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) als wissenschaftliche Einrichtung der Länder aufgebaut und entsprechend finanziell ausgestattet. Fachdidaktiker aus den Hochschulen begleiteten und unterstützten dessen Arbeit, während Lehrpersonen aus Schulen und Studienseminaren zunächst Lern- und später Testaufgaben zur Vermittlung bzw. Überprüfung der formulierten Standards erarbeiteten. Die Arbeit an den Testaufgaben erfolgte in Kooperation mit dem Centre International d’Études Pédagogiques (CIEP) (vgl. L EUPOLD 2010), das u.a. auch für die in deutschen Schulen weitverbreiteten Zertifikatsprüfungen DELF und DALF zuständig ist (vgl. L EPAGE 2015). Diese Arbeiten wurden und werden von Mitarbeitern des IQB, die sich während ihrer Zeit dort auch wissenschaftlich weiterqualifizieren, koordiniert und schlagen sich in entsprechenden Publikationen nieder (vgl. u.a. P ORSCH 2011; P ORSCH / T ESCH / K ÖLLER 2010; T ESCH 2010; T ESCH / L EUPOLD / K ÖLLER 2008). Die mit diesen Maßnahmen einhergehenden Ressourcen, die Einbindung in Entscheidungs- und Forschungsprozesse sowie die daraus resultierenden Vernetzungen innerhalb der Disziplin und über Disziplingrenzen hinweg - und hier insbesondere mit den empirischen Bildungswissenschaftlern - sollten in ihrer Wirkung für die Französischdidaktik nicht unterschätzt werden. Zugleich kann man die Entscheidung, Französisch mit in diesen Prozess einzubeziehen, durchaus als „wichtiges politisches Signal zugunsten des Französischen werten, im weiteren Sinne sogar als ein Signal zur Förderung der Mehrsprachigkeit“ (T ESCH 2015: 552), da z.B. in der Expertise für ein schulisches Kerncurriculum neben den Entwicklungen der französischdidaktischen Forschung 117 45 (2016) • Heft 1 Fächern Deutsch und Mathematik zunächst nur Englisch vorgesehen war (vgl. T ENORTH 2001). „Französisch vertritt seit diesem Zeitpunkt auf der politischen Ebene in gewissem Sinne alle Fremdsprachen nach Englisch“ (T ESCH 2015: 552). Mit den Bildungsstandards und den zentralen Prüfungen sind durch die Bildungspolitik französischdidaktische Themen gesetzt worden, denen sich auch Forscher, die nicht unmittelbar mit den Standards befasst sind, kaum entziehen können. 2.3 Veränderungen in der Lehrerbildung Von dem durch die KMK gesteuerten Bildungsmonitoring wird auch die Lehrerbildung erfasst (vgl. u.a. KMK 2004b, KMK 2008). So wurden die zum Teil schon vorhandenen Praxiselemente der lehrerbildenden Studiengänge ausgeweitet und erhielten mitunter neue inhaltliche Schwerpunkte. Die neuen Praxiselemente sind nicht unumstritten. Dennoch bieten sie aufgrund der notwendigen Kooperation zwischen den Akteuren des Französischunterrichts sowie der Lehrerbildung in der Schulpraxis und in der Hochschule im Idealfall eine Schnittstelle, die systematisch und koordiniert genutzt werden kann; so können schon auf dem Wege kleinerer studentischer Studienprojekte oder Master-Thesen, die im Praxissemester angesiedelt sind, wichtige Beiträge zur Französischdidaktik, zur Lehrerbildung und zur Unterrichtsentwicklung erarbeitet werden. 3 2.4 Französischdidaktik an den Hochschulen Die neue Aufmerksamkeit für die Lehrerbildung hat an einigen Hochschulen zur Neueinrichtung von Stellen in der Französischdidaktik bzw. in der Didaktik der romanischen Sprachen geführt. Insgesamt ist die Stellensituation aber, nimmt man die wachsenden Anforderungen in der Kooperation, Entwicklung und Forschung sowie die wachsenden Studierendenzahlen in den Blick, weiterhin bedenklich (siehe die Übersicht bei G RÜNEWALD / V ERRIERE 2015; vgl. auch R EIMANN 2014: 14-26). Für die Entwicklung in der Französischdidaktik muss dabei zudem berücksichtigt werden, dass diese von Lehrstuhlinhabern zumeist innerhalb der Didaktik der romanischen Sprachen mitvertreten wird (vgl. G RÜNEWALD / V ERRIERE 2015), d.h. die Stelleninhaber sind - gerade auch in Zeiten des expandierenden Schul- und Studienfachs Spanisch - explizit aufgefordert auch die Spanisch- und bisweilen auch die Italienischdidaktik in Forschung und Lehre zu bedienen. Nachwuchswissenschaftler sind folglich gut beraten, zwischen Dissertation und Habilitation die Bezugssprache zu wechseln bzw. von vornherein mehrere romanische Sprachen in den Blick zu nehmen; weshalb 3 Vgl. zur Diskussion des sog. Praxissemesters z.B. K OCH (2015), K ÖTTER (2015) sowie Pro- und Contra- Beiträge zum Thema in dieser Zeitschrift von K IPF (2014) und B REIDBACH (2014); zur kooperativen Aktionsforschung B ECHTEL (2016). 118 Lars Schmelter 45 (2016) • Heft 1 vermutlich spezifisch dem Französischen gewidmete Forschungsarbeiten in den letzten Jahren vergleichsweise weniger geworden sind. 2.5 Verbreitung französischdidaktischer Forschung Zeitschriften, die sich auf die französischdidaktische Forschung konzentrieren, gibt es nur wenige. In französisch heute, Der fremdsprachliche Unterricht - Französisch und Praxis Fremdsprachenunterricht kommen vornehmlich unterrichtspraktische Beiträge mit wenig Theoriebezug zum Zuge. Mit der seit 2007 erscheinenden Zeitschrift für Romanische Sprachen und ihre Didaktik wurde eine neue Publikationsmöglichkeit geschaffen. Die Beiträge hier sind sehr unterschiedlichen Traditionen der Fremdsprachendidaktik bzw. Fremdsprachenforschung verpflichtet, überwiegend aber durch fachwissenschaftliche Überlegungen und Grundierungen geprägt. Ein Großteil der französischdidaktischen Forschung erscheint in sprachenübergreifenden Sammelbänden und Zeitschriften. Ein Bindeglied zwischen eher forschungsorientierten und eher unterrichtspraktischen Publikationen stellen die mittlerweile drei Bände dar, die im Rahmen der vom Klett-Verlag eingerichteten Akademie-Sektion für Französisch entstanden sind (L EUPOLD / K RÄMER 2011, K ÜSTER / K RÄMER 2013, K ÜSTER 2016). 3. Aktuelle Schwerpunkte der französischdidaktischen Forschung G RÜNEWALD und V ERRIERE (2015) fragten in ihrer Studie auch nach den Arbeitsbzw. Forschungsschwerpunkten der Professuren. Von den 31 insgesamt in der Studie berücksichtigen Professuren in der Didaktik der romanischen Sprachen machten 27 auch hierzu Angaben. Von jeweils mehr als 20 % der Befragten wurden die folgenden, in Kategorien zusammengefassten Forschungsschwerpunkte genannt: Kategorie Prozent Inter-/ Transkulturelles Lernen 48 % Literatur(-didaktik) 44 % Standardorientierung / Kompetenzorientierung 41 % Mehrsprachigkeit (auch Zweit- und Tertiärsprachenforschung) 33 % Bilingualer Unterricht 30 % Einsatz von Medien 30 % Linguistik (Psycholinguistik, Korpuslinguistik, Textlinguistik etc.) 22 % Aufgabenorientierung 22 % Teilkompetenzen (Sprechen, Sprachmittlung, Schreiben) 22 % Tabelle 1: Forschungsschwerpunkte in der Didaktik der Romanischen Sprachen (G RÜNEWALD / V ERRIERE 2015: 27) Entwicklungen der französischdidaktischen Forschung 119 45 (2016) • Heft 1 Zwar muss bei der Interpretation dieser Daten berücksichtigt werden, dass vier der befragten Professuren allein der Spanischdidaktik gewidmet sind und fünf Professuren anteilig auch in der Fachwissenschaft tätig sind. Dennoch bestätigen diese Angaben meinen Eindruck der aktuellen französischdidaktischen Forschung. Es ist kaum eine Publikation zu finden, in der sich die Autoren nicht konzeptuell oder programmatisch zu den Bildungsstandards, deren Kernkonzepten sowie zu den von den Bildungsstandards neu formulierten Fragen und Herausforderungen äußern. Insofern können die Bildungsstandards nicht nur als Rahmen der aktuellen französischdidaktischen Forschung betrachtet werden (vgl. Abschnitt 2.1), sondern zugleich als das große Querschnittsthema, dem die Französischdidaktik zentrale Forschungs- und Gestaltungsaufgaben abgewinnt. 3.1 In der Diskussion: Chancen und Risiken der Kompetenzorientierung für das Fach Französisch Diskussionsbeiträge zu den Bildungsstandards eindeutig der Französischdidaktik zuzuordnen ist schwierig. Einige Beiträge verweisen jedoch auf spezifisch französischdidaktische Aspekte der Bildungsstandards. Es wird allgemein angenommen, dass die Bildungsstandards großen Einfluss auf die Entwicklung des schulischen Französischunterrichts nehmen. Insbesondere den standardisierten, z.T. zentralisierten Prüfungen und den Tests im Rahmen der Implementierungsarbeiten durch das IQB wird eine große Wirkung zugesprochen. Allerdings sehen kritische Beobachter vor allem die Gefahr negativer Rückwirkungen, wenn im Französischunterricht nur noch diejenigen Kompetenzen und Gegenstände berücksichtigt werden, die gemessen und entsprechend getestet werden (können). Daher spielt die Diskussion und auch die Forschung zur Mess- und Testbarkeit von Kompetenzen eine wichtige Rolle. Demgegenüber sehen optimistischere Französischdidaktiker vornehmlich die positiven Rückwirkungen dieser Tests. Sie verweisen beispielsweise auf die Stärkung der Mündlichkeit, die u.a. mit der Einführung mündlicher Klassenarbeiten bzw. Prüfungen einhergehe. Wenn hier Französischunterricht tatsächlich stärker auf die anstehenden Prüfungen vorbereitete, dann sei dies als Gewinn für den Französischunterricht zu betrachten. Mit Blick auf die bislang nur schwer oder gar nicht messbaren Kompetenzbereiche der Bildungsstandards heben diese Diskutanten die Notwendigkeit entsprechender Forschungs- und Entwicklungstätigkeit hervor. Die unterrichtsverändernde Wirksamkeit der Bildungsstandards wird jedoch zumindest in Teilen in Frage gestellt. Kritisiert wird z.B., dass der Prozess von oben verordnet worden sei (vgl. z.B. K ÖNIGS 2013: 16). Da er zugleich umfassende und daher beunruhigende Veränderungen von den Akteuren abverlange, sei mit den Widerständen derjenigen zu rechnen, die den Prozess vor Ort vorantreiben müssen (vgl. z.B. S IEPMANN 2007: 70 unter Verweis auf P OPPER ). Darauf deuten auch die Ergebnisse einer Lehrerbefragung hin (L EUPOLD / P ORSCH 2011). Sie zeigen, dass sich aus der Sicht vieler Lehrkräfte mit der Einführung der Bildungsstandards für ihre konkrete Arbeit nur wenig verändert hat. Eine empirische Untersuchung zum Einsatz von Lernaufgaben 120 Lars Schmelter 45 (2016) • Heft 1 des IQB im Französischunterricht kommt zu dem Ergebnis, dass gutes Lehrmaterial allein noch nicht für die Implementierung komplexer, kompetenzorientierter Lernaufgaben ausreicht (T ESCH 2010). Kritisch wird auch angemerkt, dass durch die Kompetenzorientierung, die Inhalte und Gegenstände, mit denen die fremdsprachlichen Kompetenzen vermittelt bzw. erworben werden sollen, aus dem Blick geraten und damit einer gewissen Beliebigkeit anheimgefallen seien. Befürworter der Bildungsstandards wenden diese Kritik positiv und verweisen u.a. darauf, dass bei der Auswahl der Inhalte nun die allseits zurecht geforderte Lernerorientierung besser zum Tragen käme, da bei der Auswahl der Inhalte stärker auf die kontextuellen, gruppen- und individuenspezifischen und damit auch die motivationalen Bedingungen Rücksicht genommen werden könne. Diese Freiheiten scheinen zumindest in der französischen Literaturdidaktik aufgegriffen zu werden (siehe Abschnitt 3.2). Auch die für den schulischen Fremdsprachenunterricht neu entdeckte Kompetenz der Sprachmittlung wird u.a. unter motivationalen und innovatorischen Gesichtspunkten hervorgehoben (siehe Abschnitt 3.4). Schließlich könne gerade die angestrebte kompetenz- und nicht allein an grammatischen Strukturen orientierte Gestaltung des Französischunterrichts positiv bewertet werden, da entsprechende Veränderungen dem Image des Französischen als schwieriger, weil grammatikintensiver Sprache entgegenwirkten (siehe Abschnitt 3.6). 3.2 Kulturelle, mediale und literarische Inhalte des Französischunterrichts Bei der Formulierung der Bildungsstandards wurde bewusst auf eine umfangreiche Benennung bzw. Vorgabe von Inhalten, anhand derer die erwarteten Kompetenzniveaus vermittelt bzw. angeeignet werden sollen, verzichtet. Auch die auf den Bildungsstandards basierenden curricularen Vorgaben der Länder benennen insbesondere für die Sekundarstufe I kaum verpflichtende Inhalte (C ASPARI 2013a). Während dies einerseits noch immer und z.T. polemisch kritisiert wird (z.B. B LUME 2015), wird an anderer Stelle nach Inhalten gesucht, die das Erlernen von Französisch auch inhaltlich als das Erlernen einer spezifischen Sprache erlebbar machen sollen. Dabei übernimmt die Literaturdidaktik eine wichtige Rolle, was z.T. erklärt, warum so viele Kollegen hier einen ihrer Forschungsschwerpunkte sehen. Unter konzeptuell-theoretischen Gesichtspunkten werden Titel des klassischen Kanons (z.B. F ÄCKE 2009, S TEINBRÜGGE 2008) und neue Titel der Kinder- und Jugendliteratur auf ihre Nutzbarkeit für die motivierende sprachliche, interkulturelle und literarische Kompetenzvermittlung geprüft (vgl. u.a. die Beiträge in A BENDROTH -T IMMER u.a. 2010, K ÜSTER / L ÜTGE / W IELAND 2015). Auch in anderen Medien (u.a. bandes dessinées, Film) transportierte kulturelle und landeskundliche Inhalte werden vorgeschlagen und diskutiert (u.a. L EITZKE -U NGERER / N EVELING 2013). Dass in der Literaturdidaktik Fragestellungen häufiger empirischen Untersuchungen zugeführt werden, zeigt wie stark die Fremdsprachenforschung sich mittlerweile zu einer empirischen Disziplin entwickelt hat. So untersucht z.B. S CHÄDLICH (2009) aus der Perspektive der Bildungsgangdidaktik die Bedeutung der literaturwissenschaftli- Entwicklungen der französischdidaktischen Forschung 121 45 (2016) • Heft 1 chen Veranstaltungen im Lehramtsstudium. Zusammen mit ihrer anglistischen Kollegin macht sie die Rezeptionsprozesse von Schülern in Unterrichtsszenarien zum Gegenstand einer videographischen Untersuchung (S CHÄDLICH / S URKAMP 2015). S OBEL (2012) schließlich überprüft die rezeptiven Kompetenzen beim Lesen literarischer Texte. 4 Die Sorge, dass Literatur im Fremdsprachenunterricht zumeist nicht um ihrer selbst, d.h. der Vermittlung literarisch-ästhetischer Kompetenz bzw. um des literarischen Erlebens willen gelesen wird, sondern mit Blick auf die Vermittlung anderer Kompetenzen in den Unterricht gelangt, muss man nicht teilen, kann sie aber ob der Diskussion um die Bedeutung authentischer, auch literarischer Texte für die Vermittlung der funktional-kommunikativen Kompetenzen und der interkulturellen Kompetenz nachvollziehen (vgl. u.a. F RINGS / L EITZKE -U NGERER 2010). 3.3 Aneignung und Vermittlung interkultureller Kompetenz im Französischunterricht Die Vermittlung interkultureller Kompetenz gilt den Bildungsstandards als Querschnittsaufgabe schulischer Bildung, zu der der Fremdsprachenunterricht „einen besonderen Beitrag leistet“ (KMK 2004a: 6). Die Bedeutung, die dieses Thema auch in der Französischdidaktik hat, entspricht dieser Aufgabenstellung. Allerdings kann der Großteil der Publikationen als Versuch gelten, die Bildungsstandards kritisch-konstruktiv zu begleiten. So werden die den Standards und Lehrplänen zugrunde gelegten Modelle interkultureller Kompetenz auf ihre Stimmigkeit und ihre Passung zum gegenwärtigen Diskussionsstand in der Fremdsprachforschung untersucht (siehe u.a. C ASPARI 2010a, C ASPARI / S CHINSCHKE 2007) und von einigen Autoren mit dem Konzept der transkulturellen Kompetenz kontrastiert (z.B. R EIMANN 2013). 5 Wiederholt wird der Frage nachgegangen, worin der besondere Beitrag des Französischunterrichts liegen könnte (siehe u.a. L EUPOLD / K RÄMER 2010) und ob z.B. die gängigen Lehrwerke angemessene Hilfestellungen bei der Vermittlung leisten (z.B. B ECHTEL 2013). Besondere Aufmerksamkeit widerfährt der Frage nach der Messbarkeit interkultureller Kompetenz, die auch hier wieder verbunden wird mit der Sorge, das Fehlen angemessener Mess- und Prüfverfahren könne zur Vernachlässigung entsprechender Vermittlungsbemühungen führen. Angesichts dieser berechtigten Sorge sind entsprechende Bemühungen, aus Sicht der Französischdidaktik angemessene Konzepte zu operationalisieren und einer empirischen Validierung zuzuführen sehr zu begrüßen. Nur so können mittelbis langfristig entsprechende diagnostische Verfahren entwickelt werden. Die Arbeit von E BERHARDT (2013) leistet hier einen wichtigen Beitrag und zeigt zugleich die nicht immer abschließend zu klärenden Probleme auf (siehe auch die Arbeiten von F ÄCKE 2012, 2015). 4 Vgl. zur literarischen Kompetenz in den Standards auch S CHÖPP (2013). 5 Vgl. zur Kritik am Begriff des Transkulturellen u.a. B REDELLA (2012). 122 Lars Schmelter 45 (2016) • Heft 1 3.4 Sprachmittlung Die umfangreiche Aufmerksamkeit 6 , die der Sprachmittlung 7 widerfährt, ist sicherlich dem Europäischen Referenzrahmen (E UROPARAT 2001), vor allem aber wohl den Bildungsstandards (KMK 2004, 2012) geschuldet, die sie in die schulischen Curricula gebracht haben und die den Begriff enger fassen als z.B. der Text des Europarats. 8 Die relative Neuigkeit des Konzepts macht dessen konzeptuelle Klärung und kritische Diskussion notwendig. Zum Teil sind die zu beantwortenden Fragen - wie zum Beispiel zur Bedeutung anderer Sprachen als der jeweils unterrichteten - nicht neu. Auch die Abgrenzung verschiedener Formen der Translation untereinander und zum Verständnis von Sprachmittlung im Sinne der Bildungsstandards (u.a. R EIMANN 2013b) lässt sich hier einordnen. R ÖSSLER (2008) prüft, ob es sich bei der Sprachmittlung um eine eigenständige sechste Fertigkeit handelt. Sie kategorisiert Sprachmittlung jedoch im Sinne des Referenzrahmens als eigenständige kommunikative Aktivität, die produktive und rezeptive Anteile umfasst. Aus der Komplexität der Sprachmittlung und dem notwendigen Zusammenspiel einer Vielzahl von Kompetenzen bei der Bewältigung von Sprachmittlungsaufgaben ergibt sich für R ÖSSLER (2008) ein großes didaktisches Potenzial, das es zu nutzen gelte (vgl. auch R ÖSSLER / R EIMANN 2013). Die bislang vorliegenden Lehr- und Lernmaterialien sind hier noch verbesserungsbedürftig (vgl. u.a. C ASPARI 2013b). Empirische Untersuchungen zu den zwar plausibel behaupteten und zum Teil sogar anekdotisch belegten positiven Wirkungen auf die Förderung der mündlichen Kompetenzen, der interkulturellen Kompetenzen oder die Motivation von Schülern aufgrund der angeblich höheren Authentizität der Aufgaben liegen kaum vor (siehe hingegen O TTEN 2013 und S CHÄDLICH / R AMISCH 2013). Auch sollten den Anstrengungen, der Diagnostizier-, Mess- und Bewertbarkeit auf konzeptuell-analytischem Wege näher zu kommen (z.B. Reimann 2013b), entsprechende empirische Untersuchungen anbei gestellt werden, um z.B. Aussagen über die Schwierigkeit von Aufgaben, mögliche Progressionen, Ausprägungsgrade der Kompetenz usw. auf einer entsprechend gesicherten Basis treffen zu können. 3.5 Mehrsprachigkeitsdidaktik Mehrsprachigkeit in ihren verschiedenen Facetten u.a. als Bedingung und Ziel schulischen Fremdsprachenunterrichts hat die Französischdidaktik schon lange beschäftigt. Dies hängt u.a. mit der Stellung des Französischen als 2. bzw. 3. Fremdsprache in den schulischen Curricula zusammen. Daraus ergeben sich Besonderheiten, die beim Ler- 6 Siehe u.a. C ASPARI (2014), C ASPARI / S CHINSCHKE (2012), K ÖNIGS (2015) sowie die Beiträge in R ÖSS - LER / R EIMANN (Hrsg.) (2013). 7 Auf die nachlässige Übersetzung des Begriffs aus anderen Sprachen (engl.: mediation, frz.: médiation und span. mediación) mit Mediation, die in einigen Texten synonym für Sprachmittlung verwandt wird, sollte verzichtet werden (vgl. K ÖNIGS 2010). 8 Während die KMK-Papiere in der Sprachmittlung vornehmlich die adressaten- und situationsangemessene sinngemäße Zusammenfassung bzw. Übertragung sehen, umfasst die Sprachmittlung im Referenzrahmen auch das textgetreue Dolmetschen bzw. Übersetzen. Entwicklungen der französischdidaktischen Forschung 123 45 (2016) • Heft 1 nen und Lehren der ersten Fremdsprache noch nicht in Erscheinung treten und auf die es in angemessener Weise didaktisch zu reagieren gilt (H UFEISEN 2010). Rück- und Vorgriffe auf andere schulisch vermittelte Sprachen bieten sich an. Neben lernökonomischen werden gerade mit Blick auf Französisch auch motivationale Gründe dafür angeführt (siehe Abschnitt 3.6). M EIßNER hat in vielen Arbeiten auf das didaktische Potenzial interkomprehensiver Aufgabenstellungen hingewiesen (u.a. M EIßNER 2008, M EIßNER / M ORKÖTTER 2009). Besonders bei der „Brückensprache“ Französisch eignen sich diese nicht nur, um z.B. bei fortgeschrittenen Lernern des Französischen erste zumeist rezeptive Wege in andere romanische Sprachen zu öffnen, sondern auch um Sprach(lern)bewusstheit zu fördern (vgl. hierzu u.a. die empirischen Arbeiten von B ÄR 2009, M ORKÖTTER 2011). Rückgriffe auf Kenntnisse und Kompetenzen aus dem Englischen werden sowohl für lexikalische als auch grammatische Strukturen vorgeschlagen (z.B. M ERTENS 2009). Trotz der Arbeiten von H U (u.a. 2003) 9 hat es in der Französischdidaktik noch einige Zeit gedauert, bis der Begriff Mehrsprachigkeit auch die nicht schulisch vermittelten, sondern zumeist durch die primäre Sozialisation erworbenen Sprachen umfasste. Mittlerweile werden diese Herkunftssprachen jedoch in die Überlegungen miteinbezogen. Dabei geht es nicht nur um die Wertschätzung der sprachlichen und kulturellen Ressourcen der Schüler allgemein, sondern insbesondere auch darum, dem Französischen affine Sprachkenntnisse und -kompetenzen für das Lernen und Vermitteln der französischen Sprache in differenzierter Weise zu nutzen. So mehren sich in den letzten Jahren nicht nur konzeptuelle, sondern auch empirische Arbeiten zu der Frage, wie Herkunftssprachen im Französischunterricht konstruktiv, z.B. bei der Textrezeption aufgegriffen werden können (vgl. u.a. B RÜSER / W OJATZKE 2013, S CHMELTER 2015 sowie die Beiträge in F ERNÁNDEZ A MMAN / K ROPP / M ÜLLER -L ANCÉ 2015). 3.6 Motivation beim Lernen von Französisch Die veröffentlichten Statistiken sprechen in Teilen für sich. Trotz relativ konstanter Lernerzahlen ist die Zahl der Schüler, die Französisch an den Scharnierstellen nicht fortführen, relativ hoch. Empirische Untersuchungen zeigen denn auch, dass durchaus motivierte Schüler im Vergleich zu Englisch oder anderen Fächern relativ schnell die Motivation verlieren, sich mit dem Lernen der französischen Sprache auseinanderzusetzen (z.B. B EERMANN / C RONJÄGER 2012). Über die Gründe wird vielfältig spekuliert, denn die Daten liefern kaum belastbare Hinweise auf kausale Zusammenhänge. Die von D ÜWELL (1976) formulierte und mehrfach u.a. von M EIßNER aufgegriffene Hypothese der motivationalen Inferenz hat eine gewisse Plausibilität, wäre jedoch unter den aktuellen Bedingungen neu zu prüfen (vgl. hingegen M EIßNER / B ECKMANN / S CHRÖDER - S URA 2008). 9 Vgl. auch V OLGGER (2012). 124 Lars Schmelter 45 (2016) • Heft 1 4. Blinde Flecken Trotz der im Vorangegangenen dokumentierten regen Forschungstätigkeit der Französischdidaktik in den letzten 10 Jahren bleiben blinde Flecken und Bereiche, die in der Französischdidaktik nur selten bearbeitet werden. Dies gilt beispielsweise für die empirische Untersuchung realen Französischunterrichts. Obwohl die unterrichtliche Vermittlung, gerade auch in den Schulen, häufig der zentrale Bezugspunkt für die Französischdidaktik ist, gilt weiterhin, dass die „Anzahl von empirisch ausgelegten Arbeiten, die Unterricht für das Französische dokumentieren, analysieren und für die Forschung auswerten, verschwindend gering“ (K ÖNIGS 2000: 163) ist. Die wenigen Ausnahmen entstehen zumeist im Rahmen gut finanzierter Projekte (wie z.B. T ESCH 2010) bzw. zielen auf eine solche Finanzierung ab (S CHMEL - TER 2015). Wenn man berücksichtigt, dass Französisch noch immer eine viel gelernte Sprache ist, für deren Erlernen in den Volkshochschulen, Hochschulen und bei privaten Anbietern entsprechende Angebote gemacht werden, dann ist es erstaunlich, dass kaum empirische Arbeiten entstehen, die diesen Bereich näher betrachten und dass außerdem schon auf der konzeptuellen Ebene kaum Arbeiten zu finden sind, die sich mit den Spezifika dieser Lehr-Lernkontexte mit Blick auf Französisch als Fremdsprache befassen.Die derzeit die Diskussion bestimmende Vorstellung, Fremdsprachenunterricht solle kompetenzorientiert und nach Möglichkeit auf der Basis komplexer Lernaufgaben gestaltet werden, hat die Notwendigkeit, sich mit Fragen zu befassen, wie die für die funktional-kommunikativen Handlungen notwendigen sprachlichen Strukturen möglichst den Grundprinzipien kompetenz- und lernerorientierten Unterrichts adäquat und vor allem auch möglichst effizient vermittelt werden können, nicht obsolet gemacht (siehe u.a. K ÖNIGS 2011; sowie die Beiträge in K ÜSTER / K RÄMER 2013). Allerdings hat die Französischdidaktik auch hier noch einige Fragen offengelassen. Literatur A BENDROTH -T IMMER , Dagmar / F ÄCKE , Christiane / K ÜSTER , Lutz / M INUTH , Christian (Hrsg.) (2010): Normen und Normverletzungen. Aktuelle Diskurse der Fachdidaktik Französisch. Stuttgart: ibidem. B ÄR , Marcus (2009): Förderung von Mehrsprachigkeit und Lernkompetenz. Fallstudien zu Interkomprehensionsunterricht mit Schülern der Klassen 8 bis 10. Tübingen: Narr. B ECHTEL , Mark (2013): „Förderung interkultureller Kompetenz im Französischunterricht: Analyse einer Aufgabe aus dem Band 1 des Lehrwerks Découvertes - Série jaune“. In: G RÜNEWALD / P LIKAT / W IELAND (Hrsg.), 110-122. B ECHTEL , Mark (Hrsg.) (2016): Fördern durch Aufgabenorientierung. Bremer Schulbegleitforschung zu Lernaufgaben im Französisch- und Spanischunterricht der Sekundarstufe I. Frankfurt/ M.: Lang. 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KMK 2012 = S EKRETARIAT DER S TÄNDIGEN K ONFERENZ DER K ULTUSMINISTER DER L ÄNDER IN DER Entwicklungen der französischdidaktischen Forschung 127 45 (2016) • Heft 1 B UNDESREPUBLIK D EUTSCHLAND (2012): Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch / Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife. http: / / www.kmk.org/ fileadmin/ Dateien/ veroeffentlichungen_beschluesse/ 2012/ 2012_10_18- Bildungsstandards-Fortgef-FS-Abi.pdf (06.04.2016). KMK 2013 = S EKRETARIAT DER S TÄNDIGEN K ONFERENZ DER K ULTUSMINISTER DER L ÄNDER IN DER B UNDESREPUBLIK D EUTSCHLAND (2013): Zur Situation des Französischunterrichts an den allgemein bildenden Schulen in der Bundesrepublik Deutschland. (Bericht der Kultusministerkonferenz vom 20.03.2000 i.d.F. vom 05.06.2013). http: / / www.kmk.org/ fileadmin/ Dateien/ veroeffentlichungen_beschluesse/ 2000/ 2000_03_20_ Situation_Franzoesischunterricht.pdf (06.04.2016). 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In: S CHMENK , Barbara / W ÜRFFEL , Nicola (Hrsg.): Drei Schritte vor und manchmal auch sechs zurück. Internationale Perspektiven auf Entwicklungslinien im Bereich Deutsch als Fremdsprache. Festschrift für Dietmar Rösler zum 60. Geburtstag. Tübingen: Narr, 73-83. K ÖNIGS , Frank G. (2013): „Was hat die Sprachlehrforschung eigentlich gebracht? Plus- und Minuspunkte aus subjektiver Sicht“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 42.1, 7-21. K ÖNIGS , Frank G. (2015): „Sprachen lernen - Sprachen mitteln: Warum das eine nicht ohne das andere geht“. In: N IED C URCIO , Martina / K ATELHÖN , Peggy / B AŠIĆ , Ivana (Hrsg.): Sprachmittlung - Mediation - Mediazione linguistica. Ein deutsch-italienischer Dialog. Berlin: Frank & Timme, 29-40. K ÖTTER , Markus (2015): „Gut gemeint, aber nicht gut gemacht: Überlegungen zum neuen Praxissemester im Lehramtsstudium in Nordrhein-Westfalen“. In: D OFF / G RÜNEWALD (Hrsg.), 99-110. K RECHEL , Hans-Ludwig (Hrsg.) (2015): Französisch Didaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II. Berlin: Cornelsen. K RÜGER , Paul / M OMMSEN , Theodor (Hrsg.) (1973): Corpus Iuris Civilis (Bd. 1) (Institutiones - Digesta). Berlin: Apud Weidmannos. K ÜSTER , Lutz (Hrsg.) (2016): Individualisierung im Französischunterricht. Mit digitalen Medien differenzierend unterrichten. Seelze: Klett/ Kallmeyer. K ÜSTER , Lutz / K RÄMER , Ulrich (Hrsg.) (2013): Mythos Grammatik? Kompetenzorientierte Spracharbeit im Französischunterricht. Seelze: Kallmeyer/ Klett. K ÜSTER , Lutz / L ÜTGE , Christiane / W IELAND , Katharina (Hrsg.) (2015): Literarisch-ästhetisches Lernen im Fremdsprachenunterricht. Theorie - Empirie - Unterrichtsperspektiven. Frankfurt/ M.: Lang. L EITZKE -U NGERER , Eva / N EVELING , Christiane (Hrsg.) (2013): Intermedialität im Französischunterricht. Grundlagen und Anwendungsvielfalt. Stuttgart: ibidem. L EPAGE , Sylvie (2015): „L'évaluation des compétences dans le cadre du DELF“. In: K RECHEL (Hrsg.), 23-32. 128 Lars Schmelter 45 (2016) • Heft 1 L EUPOLD , Eynar (2010): „Länderübergreifende Bildungsstandards Französisch im Kontext von Bildungspolitik, Fachdidaktik und Französischunterricht“. In: P ORSCH / T ESCH / K ÖLLER (Hrsg.), 25- 45. L EUPOLD , Eynar / K RÄMER , Ulrich (Hrsg.) (2010): Französischunterricht als Ort interkulturellen Lernens. Seelze: Kallmeyer/ Klett. L EUPOLD , Eynar / P ORSCH , Raphaela (2011): „Von der Rezeption zur Handlungskompetenz: Bildungsstandards und ihre Konsequenz für unterrichtliches Handeln“. In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 22.1, 85-111. M EIßNER , Franz-Joseph (2008). Französischunterricht im Rahmen von Mehrsprachigkeitskonzepten“. In: T ESCH / L EUPOLD / K ÖLLER (Hrsg.), 35-43. Meißner, Franz-Joseph / Beckmann, Christine / Schröder-Sura, Anna (2008). Mehrsprachigkeit fördern. Vielfalt und Reichtum Europas in der Schule nutzen (MES). Zwei deutsche Stichproben einer internationalen Studie in den Klassen 5 und 9 zu Sprachen und Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Narr M EIßNER , Franz-Joseph / M ORKÖTTER , Steffi. (2009): „Förderung von metasprachlicher und metakognitiver Kompetenz durch Interkomprehension“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 38, 51-69. M ERTENS , Jürgen (2009): „Geteiltes Wissen - doppelter Erfolg! ? Grammatik sprachenübergreifend lehren und lernen“. In: Französisch heute 40.2, 60-68. M ORKÖTTER , Steffi (2011): „Frühe Interkomprehension zu Beginn der Sekundarstufe“. In: B AUR , Rupprecht S. / H UFEISEN , Britta (Hrsg.): „Vieles ist sehr ähnlich.“ - Individuelle und gesellschaftliche Mehrsprachigkeit als bildungspolitische Aufgabe. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 201-223. O TTEN , Wiebke (2013): „»Bei der Sprachmittlung schwebt man stets zwischen zwei Sprachen«. Einschätzung von Sprachmittlungsaufgaben durch Italienischlehrende und Stand der Aufgabenentwicklung“. In: R EIMANN / R ÖSSLER (Hrsg.), 131-151. P ORSCH , Raphaela (2011): „Texte verfassen im Französischunterricht am Gymnasium in der Sekundarstufe I: Eine Auswertung von Daten aus standardisierten Fragebögen“. In: Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht (online) 16.2, 35-49. P ORSCH , Raphaela / T ESCH , Bernd / K ÖLLER , Olaf (Hrsg.) (2010): Standardbasierte Testentwicklung und Leistungsmessung. Französisch in der Sekundarstufe I. Münster: Waxmann. R EIMANN , Daniel (2013a): „Transkulturelle kommunikative Kompetenz - ein neues Paradigma für den Fremdsprachenunterricht“. In: F RANKE , Manuela / S CHÖPP , Frank (Hrsg.): Auf dem Weg zu kompetenten Schülerinnen und Schülern. Theorie und Praxis eines kompetenzorientierten Fremdsprachenunterrichts im Dialog. Stuttgart: ibidem, 165-180. R EIMANN , Daniel. (2013b): „Evaluation mündlicher Sprachmittlungskompetenz. Entwicklung von Deskriptoren auf translationswissenschaftlicher Grundlage“. In: R EIMANN / R ÖSSLER (Hrsg.), 194- 225. R EIMANN , Daniel (2014): Transkulturelle kommunikative Kompetenz in den romanischen Sprachen. Theorie und Praxis eines neokommunikativen und kulturell bildenden Französisch-, Spanisch-, Italienisch- und Portugiesischunterrichts. Stuttgart: ibidem. R EIMANN , Daniel / R ÖSSLER , Andrea (Hrsg.) (2013): Sprachmittlung im Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Narr. R ÖSSLER , Andrea (2008): „Die sechste Fertigkeit? Zum didaktischen Potenzial von Sprachmittlungsaufgaben im Französischunterricht“. In: Zeitschrift für Romanische Sprachen und ihre Didaktik 2.1, 53-77. R ÖSSLER , Andrea / R EIMANN , Daniel (2013): „Wozu Sprachmittlung? Zum fremdsprachendidaktischen Potenzial einer komplexen Kompetenz“. In: R EIMANN / R ÖSSLER (Hrsg.), 11-23. Entwicklungen der französischdidaktischen Forschung 129 45 (2016) • Heft 1 S CHÄDLICH , Birgit (2009): Literatur Lesen Lernen. Literaturwissenschaftliche Seminare aus der Perspektive von Lehrenden und Studierenden. Eine qualitativ-empirische Studie. Tübingen: Narr. S CHÄDLICH , Birgit (2015): „Fachpraktika im Master of Education Französisch aus der Perspektive der Studierenden: Ein Beitrag zur Entwicklung reflexiver Handlungskompetenz? “ In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 26.2, 255-285. S CHÄDLICH , Birgit / R AMISCH , Friederike (2013): „Sprachmittlung und interkulturelle Kompetenz in empirischer Perspektive“. In: R EIMANN / R ÖSSLER (Hrsg.), 153-166. S CHÄDLICH , Birgit / S URKAMP , Carola (2015): „Textrezeptionsprozesse von Schülerinnen und Schülern in handlungsorientierten Unterrichtsszenarien: Unterrichtsvideographie im fremdsprachlichen Literaturunterricht“. In: K ÜSTER / L ÜTGE / W IELAND (Hrsg.), 69-89. S CHMELTER , Lars (2010): „Fachdidaktische Dimension“. In: L EUPOLD / K RÄMER (Hrsg.), 29-37. S CHMELTER , Lars (2015): „Klein. Aber fein? - Ein minimalinvasiver Weg zur schulischen Förderung von Mehrsprachigkeit“. In: H OFFMANN , Sabine / S TORK , Antje (Hrsg.): Lernerorientierte Fremdsprachenforschung und -didaktik. Festschrift für Frank G. Königs zum 60. Geburtstag. Tübingen: Narr, 85-96. S CHMENK , Barbara (2015): „Eine sonderbare Spezies: Fremdsprachendidaktik. Eine (? ) Disziplin (? ) an den Schnittstellen von akademischen, bildungspolitischen, gesellschaftlichen und erzieherischen Forschungs- und Wirkungsfeldern“. In: D OFF / G RÜNEWALD (Hrsg.), 5-15. S CHÖPP , Frank (2013): „Literarische Texte und literarische Kompetenz in zentralen Französisch-Prüfungen für den Mittleren Schulabschluss und die Allgemeine Hochschulreife“. In: F RANKE , Manuela / S CHÖPP , Frank (Hrsg.): Auf dem Weg zu kompetenten Schülerinnen und Schülern. Theorie und Praxis eines kompetenzorientierten Fremdsprachenunterrichts im Dialog. Stuttgart: ibidem, 241-273. S CHUMANN , Adelheid / S TEINBRÜGGE , Lieselotte (Hrsg.) (2008): Didaktische Transformation und Konstruktion. Zum Verhältnis von Fachwissenschaft und Fremdsprachendidaktik. Frankfurt/ M.: Lang. S IEPMANN , Dirk (2007): „Wortschatz und Grammatik: zusammenbringen, was zusammengehört“. In: Beiträge zur Fremdsprachenvermittlung 46, 59-80. S OBEL , Martina (2012): Leseverstehen im Französischunterricht der gymnasialen Oberstufe. Eine empirische Überprüfung rezeptiver Kompetenzen bei der Lektüre literarischer Texte auf der Basis eines Praxisleitfadens. Münster: Waxmann. S TEINBRÜGGE , Lieselotte (2008): „L'Etranger von Albert Camus. Über die Haltbarkeit eines Schulklassikers“. In: Lendemains 33.130/ 131, 77-93. T ENORTH , Heinz-Elmar (Hrsg.) (2001): Kerncurriculum Oberstufe: Mathematik - Deutsch - Englisch. Expertisen im Auftrag der Ständigen Konferenz der Kultusminister. Weinheim/ Basel: Beltz. T ESCH , Bernd (2010): Kompetenzorientierte Lernaufgaben im Fremdsprachenunterricht. Konzeptionelle Grundlagen und eine rekonstruktive Fallstudie zur Unterrichtspraxis (Französisch). Frankfurt/ M.: Lang T ESCH , Bernd (2015): „Kompetenzen, Standards, Bildung - Das Fach Französisch im Kontext der schulischen Qualitätssicherung“. In: B ÖCKER , Jessica / S TAUCH , Anette (Hrsg.): Konzepte aus der Sprachlehrforschung -Impulse für die Praxis. Festschrift für Karin Kleppin. Frankfurt/ M.: Lang, 551-567. T ESCH , Bernd / L EUPOLD , Eynar / K ÖLLER , Olaf (Hrsg.) (2008): Bildungsstandards Französisch: konkret. Sekundarstufe I: Grundlagen, Aufgabenbeispiele und Unterrichtsanregungen. Berlin: Cornelsen Scriptor. V OLGGER , Marie-Luise (2012): Das multilinguale Selbst im Fremdsprachenunterricht. Zur Mehrsprachigkeitsbewusstheit lebensweltlich mehrsprachiger Französischlerner(innen). Stuttgart: ibidem. © 2016 Narr Francke Attempto Verlag 45 (2016) • Heft 1 B u c h b e s p r e c h u n g e n • R e z e n s i o n s a rti k e l Dagmar A BENDROTH -T IMMER , Eva H ENNIG (Hrsg.): Plurilingualism and Multiliteracies. International Research on Identity Construction in Language Education. Frankfurt/ M: Lang 2014, 314 Seiten [49.95 €] Der Sammelband präsentiert die aktuellen Forschungsaktivitäten der internationalen Forschergruppe LANGSCAPE, einer seit 1998 stets wachsenden und mehrsprachigen Forschergemeinschaft, deren Ziel es ist, „durch Stärkung von Mehrsprachigkeit, Vielfalt und Multiliteralität der sprachlichen, kulturellen und methodischen Abgrenzung in der Fremdsprachenforschung entgegenzuwirken“ (S. 10). Der Hauptfokus der vorliegenden Publikation liegt auf der „Erfassung von Prozessen der Identitätskonstruktion in der sprachlichen Bildung“ (ebd.). Der Band gliedert sich entsprechend den großen Säulen dieses Forschungsbereichs in drei Teile: Contexts of Mobility and Ecology of Multilingualism, Multiliteracies and the Construction of Plurilingual Identities in Foreign Language Learning and Teaching und Teacher Education and the Development of Multiliteracies. In ihrer Introduction „Plurilingualism and Multiliteracies: Identity Construction in Language Education“ skizzieren die Herausgeberinnen Dagmar A BENDROTH -T IMMER und Eva H ENNIG die Problematik der Identitätskonstruktion in der sprachlichen Bildung und bieten damit die thematische Rahmung für die folgenden Beiträge. Im Zentrum des Bandes steht die Entwicklung der Identität von Lernenden und (angehenden) Lehrenden in unterschiedlichen mehrsprachigen bzw. mehrkulturellen und mediengestützten (Lern-)Umgebungen. Ausgangspunkt der Auseinandersetzung mit der Frage der Identität im Bildungswesen ist die Tatsache, dass die in Folge der Globalisierung zunehmend mehrsprachig und mehrkulturell gewordene Gesellschaft auch einen Einfluss auf die Prozesse der Identitätsbildung von Fremdsprachenlernenden und -lehrenden sowie auf unterrichtliche Lehr- und Lernprozesse und Kommunikationswege ausübt und damit neue Herausforderungen für die Fremdsprachenlehr- und -lernforschung darstellt. Der erste Teil des Sammelbandes Contexts of Mobility and Ecology of multilingualism setzt sich mit unterschiedlichen Erscheinungen von Mehrsprachigkeit und Multiliteracies bzw. multiliteralen Kompetenzen und deren Wahrnehmung durch die Beteiligten auseinander. Dabei ist der einführende Beitrag von Anne P AUELS „Rethinking the Learning of Languages in the Context of Globalization and Hyperlingualism“ richtungsweisend und setzt eine Art Rahmen nicht nur für den ersten Teil, sondern auch für den gesamten Band. In einer präzisen Analyse erarbeitet sie die Rolle von Sprache(n) im Globalisierungsprozess, die Einflüsse von letzterem auf das Erlernen von Fremdsprachen und die Herausforderungen für den Fremdsprachenunterricht. Vor diesem Hintergrund stellt die Autorin eine empirische Studie vor, deren Ergebnisse zeigen, wie wenig bewusst australische und britische Universitätsdozent/ -innen ohne Mehrsprachigkeitserfahrung gegenüber gesellschaftlichen Veränderungen - z.B. die differenzierten sprachlichen Lernerprofile - sind und wie unzureichend sie Fragen der Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität in ihren Unterricht einbeziehen. Basierend auf Informationen des Statistischen Bundesamts befasst sich Christiane F ÄCKE mit der Diskrepanz zwischen dem deutschen (fremd-)sprachenpolitischen Diskurs, welcher in Anlehnung an europäische Vorgaben individuelle Mehrsprachigkeit einfordert, und der tatsächlichen Förderung von Mehrsprachigkeit in den unterschiedlichen Bundesländern: Dominanz des Englischen und die marginale Wahrnehmung der lebensweltlichen Mehrsprachigkeit der Lernenden Schüler stechen dabei heraus. Die Identitätskonstruktion durch Sprachen und Sprachgebrauch in multikulturellen Gesellschaften bzw. mehrsprachigen Ländern steht im Mit- Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 131 45 (2016) • Heft 1 telpunkt der Beiträge von P ENNIGTON / S ACHDEV / L AU sowie Sabine E HRHARDT . Während die Gruppe um P ENNIGTON das Sprachverhalten von bengalischen und chinesischen Migrantenkindern der zweiten Generation in London und deren plurale Identitätsbildung untersucht, geht Sabine E HRHART der Frage des Wissenstransfers und der Kommunikation in mehrsprachigen und mehrkulturellen (Lern-)Umgebungen nach. Eine besondere Bedeutung kommt der Beschreibung des LACETS-Projekts an luxemburgischen Grundschulen zu. Welche Rolle das Englische bzw. seine Variante Euro-Englisch in seiner Funktion als lingua franca im Prozess der Identitätsbildung junger Europäer/ -innen spielen kann, ist die Frage, der sich G NUTZMANN / J AKISCH / R ABE widmen. Die Ergebnisse einer umfangreichen quantitativen und qualitativen Studie zu den Einstellungen von Studierenden verschiedener Fachbereiche bieten äußerst interessante Einblicke in deren Identitätsentwürfe. Teil II, Multiliteracies and the Construction of Plurilingual Identities in Foreign Language Learning and Teaching, fokussiert auf die Beschreibung von Projekten zur Förderung der Mehrsprachigkeit im Rahmen institutionellen Sprachenlehrens und -lernens. Die beiden ersten Beiträge (B REIDBACH / K ÜSTER „Bildung, Multiliteracies and Identity - Key Concepts in Language Education in the Light of Sociocultural and Dynamic Systems Theory“ sowie W EYRETER / V IEBROCK „Identity Construction in Adult Learners of Englisch for Specific Purposes: Exploring a Complex Phenomenon“) sind theoretisch-konzeptioneller Art. Dabei gehen W EYREITER und V IEBROCK auf den spezifischen Kontext des English for specific purposes und seinen möglichen Einfluss auf die (berufliche) Identitätskonstruktion von erwachsenen Lernern ein. Die Aufsätze von Alice C HIK „Constructing German Learner Identities in Online and Offline environments“, Daniela E LSNER „Multilingual Virtual Talking Books (MuVit) - A Project to Foster Multilingualism, Language Awareness, and Media Competency“ sowie von D E M AESMAKER / L OCHTMAN „Belgian CLIL Teachers’ Professional Identity“ stellen über die Theorie hinaus Ergebnisse von Projekten oder empirischen Untersuchungen vor. Im Vordergrund der Beiträge von C HIK und von E LSNER steht die Wechselbeziehung zwischen (lebensweltlicher) Mehrsprachigkeit bzw. mehrsprachigen Lernarrangements und der Förderung der Medienkompetenz. D E M AESMAKER / L OCHTMANN setzen sich mit der beruflichen Identität von belgischen Lehrenden des bilingualen Sachfachunterrichts auseinander und analysieren die Möglichkeiten und Grenzen einer quantitativen Studie zur Erhebung der subjektiven Theorien von Lehrkräften. Die Themen in Teil III, Teacher Education and the Development of Multiliteracies, betreffen Maßnahmen und Forschungsarbeiten zur Förderung der Mehrsprachigkeit und Interkulturalität in der Lehrerausbildung. Im Beitrag von Jean-Paul und Marie-Françoise N ARCY -C OMBES geht es um die Darstellung binationaler Studiengänge zur Förderung von Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität, um deren Stärken und Schwächen und die zu überwindenden (interkulturellen) Hürden. Ebenso im Bereich des universitären Kontextes angesiedelt präsentieren W ILDEMAN / H OOD - GARZADEH / E STEVE / W ALTER ein äußerst interessantes, auf Reflexivität der Lehrkräfte basierendes Curriculum für die Lehreraus- und -fortbildung zur Entwicklung einer medienintegrativen und mehrsprachigkeitsfördernden Kompetenz. Selbstreflexivität und berufliche Identität stehen im Mittelpunkt der qualitativ-empirischen Studien von F REVEL und E TUŞ / S CHULTZE . Letztere fokussieren auf Englisch als lingua franca (EFL) und die Notwendigkeit der Förderung eines kritischen Bewusstseins angesichts der wachsenden Rolle des EFL. Potenziale internetbasierter Formen der Zusammenarbeit innerhalb binationaler universitärer Kooperationsprojekte sind Thema der beiden letzten Beiträge des Kapitels. Während die Frage der Förderung und Erfassung interkultureller kommunikativer Kompetenzen bei B ECHTEL und C IEKANSKI im Vordergrund steht, analysieren A BENDROTH -T IMMER und A GUILAR den Beitrag internetbasierter, autonomiefördernder, mehrsprachiger und interkultureller Lernarrangements zur Konstruktion einer professionellen Identität aus der Perspektive der Studierenden. 132 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 45 (2016) • Heft 1 Der Sammelband illustriert ausgesprochen unterschiedliche Facetten der Mehrsprachigkeit und multiliteraler Kompetenzen sowie deren Förderung. Die Beiträge ermöglichen einen differenzierten Einblick in internationale bzw. binationale Projekte und deren Erforschung und zeigen, wie fruchtbar der Blick über den eigenen Zaun und eine Zusammenarbeit zwischen internationalen Forschern sein kann. Die Erkundung multilingualer Lehr- und Lernkontexte (Bsp. Luxemburg) dient der Generierung von Konzepten für die Lehrerausbildung und von didaktischen und sprachenpolitischen Maßnahmen zur Förderung von Mehrsprachigkeit, Multiliteralität und Mehrkulturalität. Darüber hinaus werden Einblicke in wissenschaftlich begleitete Konzepte und Projekte mit zukunftsweisendem Charakter gewährt. Der Sammelband verlangt eine aufmerksame Lesehaltung, bietet aber dafür interessante und hochwertige Erkenntnisse und Schlussfolgerungen sowie sinnvolle Empfehlungen. Gießen H ÉLÈNE M ARTINEZ Elisabeth K OLB : Kultur im Englischunterricht. Deutschland, Frankreich und Schweden im Vergleich (1975-2011). Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2013 (Anglistische Forschungen, Band 434), 437 Seiten [52,00 €] Die vorliegende Untersuchung versteht sich als komparatistische, hermeneutisch ausgerichtete Analyse und Interpretation der kulturbezogenen Inhalte des Englischunterrichts in drei fokussierten Ländern: Deutschland, Frankreich und Schweden. Als leicht modifizierte Dissertationsschrift, welche am Lehrstuhl für Didaktik der englischen Sprache und Literatur an der Ludwig- Maximilians-Universität München verfasst wurde, weist sie dabei die gattungskonforme Fülle an grundlegenden Überlegungen zum Ansatz, zum Umfang wie zur Eingrenzung des Forschungsfeldes und -designs vor. Darüber hinaus ist sie reich gesättigt an illustrativen wie argumentativ stützenden Zitaten, Verweisen sowie Belegen (inklusive Appendix zu den untersuchten Lehrplänen). Die sehr ausführliche Bibliographie ist in diesem Fall nicht akademisches Blendwerk, sondern effektiv und in stupender Kleinarbeit eingearbeitet worden. Leserinnen und Leser, die sich einen schnellen Überblick über Methode, Untersuchungsgegenstände und Ergebnisse verschaffen möchten, seien vor allem auf die letzten circa dreißig Seiten verwiesen. Hier werden die unterschiedlichen Perspektiven der untersuchten nationalen Bildungssysteme, welche zuvor in den Hauptkapiteln in der Reihenfolge Deutschland, Frankreich und Schweden nacheinander vorgestellt wurden, noch einmal in einem recht prägnant formulierten Überblick präsentiert. Die Verfasserin geht im Rahmen ihrer Studie von einer zentralen Fragestellung aus: „Welche (kulturellen) Sachinhalte soll der Englischunterricht in den Sekundarstufen der allgemeinbildenden Schulen laut des programmatischen und englischdidaktischen Diskurses haben? “ (S. 14). Die Fokussierung auf diesen Teilaspekt des Englischunterrichts - zumal in Form des hier vollzogenen kontrastiven und koordinierenden Perspektivenvergleichs - erscheint angesichts gegenwärtiger eher pragmatisch-utilitaristisch ausgerichteter Tendenzen des auf Sprach- und Kommunikationskompetenzen ausgerichteten Fremdsprachenunterrichts - einhergehend mit einer Vernachlässigung (ziel-)kultureller Elemente - ein wichtiges und nötiges wissenschaftliches Signal. So kann auch diese Studie deutlich bestätigen, wie essenziell ein holistisches Verständnis des tiefen Zusammenhangs von Sprache und Kultur, aber auch von Sprach- und Kulturunterricht ist. Interessant ist dabei vor allem der Einbezug Schwedens in die Untersuchung, erlangten die skandinavischen Länder doch spätestens seit dem „Pisa-Schock“ bildungspolitisches Renommee. Die europäische Perspektive wird damit durch die Inkludierung eines Landes ergänzt und erweitert, Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 133 45 (2016) • Heft 1 in welchem, wie die Verfasserin aufzeigt, deutsche Bildungs- und Didaktikdiskurse rezipiert werden. Methodisch lässt sich die Arbeit zunächst eher allgemein in die Tradition länderübergreifender Vergleichsstudien einordnen, um dann konkreter eine theoretische Grundlegung in der kritischen Diskurstheorie (dies eher ansatzweise) und vor allem im ideengeschichtlichen Ansatz der Cambridge School zu finden. Es werden die entsprechenden Konzepte des linguistic turn betont, die Schaffung von mentalen Bildern und Realitätsvorstellungen durch sprachliche Akte, vor allem in Form illokutionärer (also sprachlich angedeuteter) Sprechakte. Zugleich verweist die Verfasserin darauf hin, dass neben sprachlichen Gestaltungen von Quellen auch deren „außertextliche“ (d.h. gesellschaftliche, wirtschaftliche, sozioökonomische und bildungspolitische) Kontexte zu beachten sind. Im Folgenden werden die Akteure, Themen und Schritte der Diskursanalyse mit Bezug auf die selektierten Quellen des zu untersuchenden Diskursfeldes klug und präzise umrissen. Es ergibt sich ein durchaus auf ähnliche Forschungsprojekte übertragbares Fragenraster, nach dem Makro- und Mikrostruktur der Texte in drei Schritten vorwiegend quantifizierend und inhaltswie formorientiert analysiert und interpretiert werden (vgl. S. 48f.): (1) Fragen nach Aufbau, Auswahl und Anordnung der Themenfelder in den untersuchten Dokumenten, (2) Fragen nach Bedeutung, Begründung und Zielkomplexen von kulturellen Inhalten in den Dokumenten, (3) Zusammenführung der Diskursebenen mit Bezug auf kontrastive und gemeinsame Diskursmuster im Bereich von Englischunterricht und Sprachenpolitik. Nach einem sich anschließenden Kapitel zu den curricularen Kontexten in Europa insgesamt (vom Threshold Level 1975 bis zum Common European Framework 2001) sowie zur Lehrplanentwicklung speziell in den ausgewählten Ländern folgt in den Hauptkapiteln der Studie eine länderfokussierte Darstellung der Untersuchung (S. 85-334, also jeweils auf ca. 100 Seiten, mit etwas kürzeren Ausführungen zu Schweden). Es werden jeweils zunächst zentrale Begriffe diskursiv umkreist (Landeskunde, interkulturelles Lernen; civilisation und culture; realia und kultur). In einem zweiten Schritt sichtet und deutet die Verfasserin entlang des festgelegten Fragerasters ausgesuchte Englischlehrpläne und curriculare Dokumente sowie weitere Referenzdokumente. Es schließt sich eine Auseinandersetzung mit wichtigen fremdsprachendidaktischen Publikationen zum Thema „kulturelle Inhalte“ an, wobei ein überaus facettenreiches Bild der jeweiligen nationalen fremdsprachendidaktischen Diskurse entworfen wird - ohne dass dabei Merkmale von „nationenspezifischen“ Diskursmustern stereotyp überbetont würden. Interessant ist diese Studie vor allem auch im Hinblick auf Detailaspekte: etwa in ihren Ausführungen zu den Unterschieden zwischen bayerischen und nordrhein-westfälischen Lehrplänen, zu französischen Vorstellungen der Bildung der Lernenden als citoyens oder zum frühen Verständnis des Englischen als lingua franca in Schweden. Aufschlussreiche Einsichten in die Entwicklung der Diskussion zur Bedeutung und Integration kultureller Inhalte in fachdidaktischen Kreisen Deutschlands finden sich im entsprechenden Kapitel, in dem teilweise eine Vernachlässigung kultureller Inhalte, eine zu starke landeskundliche Ausrichtung („Basiswissen“) oder andere Formen der Nutzbarmachung kultureller Wissensbestände kritisch kommentiert wird. Es sei allerdings konstatiert, dass ein Missverständnis bezüglich einer Publikation des Rezensenten entstanden ist, welcher u.a. als Vertreter des Ansatzes der „kulturellen Schlüsselkonzept(e)“ (S. 167) diskutiert wird (dieses Konzept beruht eher auf Publikationen u.a. von Peter Freese, etwa zum „American Dream“, und erweist sich als lediglich einer von vielen hermeneutischen Ansätzen der Fremdsprachendidaktik). Auch die Position von Wolfgang Welsch zur Transkulturalität wird etwas verknappt eingeordnet (S. 182), erhebt die Verfasserin für sich doch implizit den Anspruch, den Fremdsprachendiskurs der letzten Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, im Überblick einordnen zu können. Dabei bleibt selbstverständlich fraglich, ob diese „Titanenaufgabe“ in einer wissenschaftlichen Qualifikationsschrift angegangen werden kann und sollte. In der Tendenz 134 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 45 (2016) • Heft 1 unterstützend geht die Verfasserin auf das Argumentationsmuster ein, dem gemäß der gegenwärtige Englischunterricht aus Sicht seiner Kritiker in Gefahr gerate, inhaltslos, belanglos und trivial zu werden bzw. Inhalte lediglich als bedeutungslose Impulse für kommunikative Kompetenzorientierung zu modellieren. Die starke Neigung zur Funktionalisierung kultureller Inhalte als „motivierendes Trampolin für Sprachrezeption und -produktion“ (S. 230) wird auch für den Englischunterricht in Frankreich erkannt, zumal lange Jahre kulturelle Inhalte in einschlägigen Didaktikpublikationen kaum Beachtung fanden und eher methodische und lernpsychologische Fragestellungen diskutiert wurden. Interessanterweise setzte auch durch die Rezeption von Bourdieus Habitus- und capital culturel-Theorien seit den 1990er Jahren eine teilweise Neubewertung kultureller Elemente des Fremdsprachenunterrichts ein. Die Priorisierung des handlungsorientierten Ansatzes sowie die eher affirmative Rezeption des CEF in Frankreich hat jedoch eine stärkere Berücksichtigung kultureller Element verhindert, auch wenn es durchaus Überlegungen zu konkreten, auf Großbritannien und die USA fokussierten Inhaltslisten gibt und der kulturelle Lernbereich in den letzten Lehrplangenerationen gestiegenen Anteil verzeichnet (vor allem unter Berücksichtigung historischer Bedingtheiten gegenwärtiger kultureller Erscheinungen). In Schweden erweist sich die fachliche Diskussion zu Inhalten des Englischunterrichts als deutlich weniger umfangreich, zumal es nur sehr wenige Lehrpläne gibt. Es haben sich, so die Verfasserin, erst gegen Ende des untersuchten Zeitraums „interessante Diskursmuster“ (S. 287) herausgebildet. Insgesamt ist der schwedische Fremdsprachendiskurs von der Forderung nach praktischer Anwendbarkeit in internationalen Kontexten und weniger von einer Zielkulturvorstellung geprägt. Da Schweden sich spätestens seit den 1970er Jahren selbst als Einwanderungsland versteht, konnten wiederum früh interkulturelle Lernkonzepte initiiert werden, jedoch ohne dass sich spezifische kulturelle Inhalte etabliert hätten. „Die Lehrpläne sind im kulturellen Lernbereich weiterhin durch eine Vernachlässigung und sehr allgemeine Aussagen gekennzeichnet. Englisch wird vorwiegend als Fach gesehen, in dem funktionale Sprachenkenntnisse erworben werden.“ (S. 333). Inhaltsbezogene Diskussionen finden somit weitgehend ausschließlich in wenigen fachdidaktischen Publikationen statt, in welchen vor allem als „transkulturell“ zu bezeichnende Ansätze zu erkennen sind, wie in Vorstellungen vom active global citizenship evident wird (vgl. S. 351). Insgesamt können so wichtige länderspezifische Eigenheiten herauspräpariert werden, ohne Diskurse zu stark zu vereinfachen oder stereotyp darzustellen. Festzuhalten wäre hier die eingehend dokumentierte Einsicht der Autorin, dass die relativ große Bedeutung der Konzepte zur Landeskunde und Kulturkunde in Deutschland mit der besonderen Situation der Fremdsprachendidaktik nach dem Zweiten Weltkrieg und darüber hinaus zu begründen und dass in Frankreich und Schweden ein zeitlich verzögertes Einsetzen der Debatte um kulturelle Inhalte zu vermerken ist. Ein aufschlussreiches Ergebnis der Studie ist dabei das folgende: „Mit der konstanten Präsenz der kulturellen Inhalte ist ein markantes Denk- und Argumentationsmuster in Deutschland identifiziert“ (S. 339), welches teilweise mit der stärker institutionalisierten und umfangreichen Diskussion der Fremdsprachendidaktik in Deutschland begründbar ist. Interessant ist zugleich, dass bestimmte, oben angeschnittene Diskursmuster in unterschiedlicher Terminologie und Akzentsetzung länderübergreifend kursieren. Wichtige Impulse für die deutsche Fremdsprachendidaktik lägen, so die Verfasserin, vor allem in den eher global, transkulturell ausgerichteten Aspekten der schwedischen sowie in der deutlicheren Berücksichtigung der historischen Bedingtheit gegenwärtiger Erscheinungen der französischen Fremdsprachendiskurse. Elisabeth Kolb eröffnet mit ihrer sehr umfangreichen, klug aufgebauten und intelligent argumentierenden komparatistische Studie die Möglichkeit, diese Impulse aus Frankreich und Schweden hierzulande aufzunehmen. Zugleich können diese hier erörterten „nichtdeutschen“ Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 135 45 (2016) • Heft 1 Auseinandersetzungen mit inhaltlichen Aspekten des Fremdsprachenunterrichts verdeutlichen, dass und wie die Tradition der Beachtung kultureller Inhalte ein Spezifikum des Fremdsprachendiskurses in Deutschland ist - rather for better than for worse, wie der Rezensent den Subtext dieser Arbeit deuten möchte, die im Grund ein sehr geschickt verdecktes Plädoyer für die Beachtung kultureller Inhalte liefert. Jena L AURENZ V OLKMANN Nancy G RIMM , Michael M EYER , Laurenz V OLKMANN (2015): Teaching English. Tübingen: Narr, 341 Seiten [24,99 €] Einführungen in das Studium der Fremdsprachendidaktik erfreuen sich großer Beliebtheit, ist es doch ihre Zielsetzung, einen zugänglichen, verständlichen und zusammenfassenden Überblick über wesentliche Inhalte und Themen zu bieten. Vor allem in Hinblick auf neue Erkenntnisse zu Sprachkompetenzentwicklung, gespeist durch empirische Forschung und die Weiterentwicklung zentraler Prinzipien vor dem Hintergrund neuer Tendenzen in den Bezugswissenschaften, wie z.B. den Cultural Studies, kann es lohnenswert sein, in regelmäßigen Abständen bestehende Studien- und Handbücher zu überarbeiten oder neue zu entwickeln. Mit Teaching English ist im Narr-Verlag nun eine neue Einführung in das Englisch-Lehramtsstudium erschienen. Sie richtet sich sowohl an Studierende als auch an Referendare und praktizierende Lehrkräfte, die die neuesten Entwicklungen innerhalb der unterschiedlichen Themenschwerpunkte nachvollziehen möchten. Zusätzlich gilt es auch als Ressource für Dozenten, die an Universitäten in der Ausbildung zukünftiger Englischlehrerinnen und Englischlehrer wirken. Speziell für diesen Zweck werden durch einen Online-Link Power-Point-Präsentationen zu den einzelnen Kapiteln kostenlos bereitgestellt. Da diese veränderbar sind, sind sie ein willkommener Service, der die Arbeit mit dem Buch innerhalb von Vorlesungen und Seminaren erleichtert. Studierende können die entsprechenden Präsentationen als pdf-Datei herunterladen und als Grundlage für weitere Mitschriften während der Lehrveranstaltungen nutzen. Überarbeitungen werden jeweils durch ein aktuelleres Datum markiert. Von Seiten des Verlages wäre eine Verlinkung der Zusatzmaterialien direkt aus dem Narr-Shop wünschenswert, da so der Umweg über www.bachelor-wissen.de erspart bliebe. Wie in der eher knapp gehaltenen Einleitung 1 angekündigt, beinhalten die Kapitel nicht nur den theoretischen Hintergrund des jeweiligen Themas, sondern auch Beispiele für die praktische Umsetzung sowie Aufgaben für den Leser und weiterführende Literatur. Diese vier Aspekte sind in modernen Einführungen jedoch üblich. Ähnlich üblich, wenn auch für einige Leser gewöhnungsbedürftig, ist, dass die eigentliche Bibliographie für jedes Kapitel am Ende des Buches zu finden ist. Inhaltlich teilt sich Teaching English in zwölf Hauptkapitel ein, die sinnvoll und übersichtlich untergliedert sind. Berücksichtigte Themen sind: 1. Historischer und politischer Rahmen des Englischunterrichts, 2. Herausforderungen des Lehrerberufs, 3. Englischdidaktik als transdisziplinäres Projekt, 4. Von Methoden zu Prinzipien, 5. Grammatik und Vokabular, 6. Sprachkompetenzen, Lernstrategien und individuelle Lerner, 7. Inter- und transkulturelles Lernen, 8. Literatur, 9. Medien, 10. Unterrichtsplanung und Unterrichts-Management, 11. Material-Design und 12. Bewerten und Einschätzen. Diese Bereiche ähneln denen bisheriger Einführungen, Studien- 1 Zugang, Aufbau, Design werden mit wenigen Sätzen abgehandelt, zwei Paragraphen sind Danksagungen gewidmet. 136 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 45 (2016) • Heft 1 und Handbücher zur Fremdsprachendidaktik (vgl. H ASS 2006 2 , T HALER 2012 3 ), auch sprachübergreifend (vgl. B AUSCH / C HRIST / K RUMM 2007 4 , H ALLET / K ÖNIGS 2010 5 , D ECKE -C ORNILL / K ÜSTER 2 2014 6 ). In einzelnen Kapiteln wird ein sehr ausführlicher Einblick in die theoretischen Hintergründe gegeben, wobei auch allgemeinpädagogische Überlegungen eine große Rolle spielen. Diese allgemeinpädagogischen Überlegungen sind durchaus zielführend, denn sie erlauben, die Tätigkeit der Englischlehrkraft eingebettet in den Bildungsauftrag zu sehen, den Lehrpersonen an Schulen innehaben und das pädagogische Tun neben den Fachinhalten nicht aus den Augen zu verlieren. Das Kapitel 2 „Challenges of the teaching profession“, zum Beispiel, bettet die Professionalisierung von Englischlehrkräften gut nachvollziehbar in allgemeinpädagogische Kontexte ein und bietet hilfreiche Anknüpfungspunkte für Diskussionen während der Seminare oder Vorlesungen. Im Folgenden werden einzelne Kapitel für eine genauere Betrachtung herausgegriffen. Kapitel 5 „Grammar and vocabulary“ enthält neben einer kurzen Einführung zu dem Modell der Sprachproduktion (Levelt), zu Interlanguage (Selinker) und zu der Verarbeitung grammatischer Strukturen bis hin zur Produktion (Pienemann) bzw. zum mentalen Lexikon eine Reihe von Möglichkeiten und Methoden, diese Sprachkomponenten im Englischunterricht zu beachten und zu entwickeln. Hervorzuheben sei, so die Autoren, dass das Unterrichten grammatischer Strukturen z.B. im Zusammenhang von task-based-learning relativiert wird. Kapitel 8 „Literature matters“ eignet sich dazu, literaturwissenschaftliche Kenntnisse aufzufrischen und in Bezug auf Literaturdidaktik zu reflektieren. Die Herangehensweise an das Unterrichten von Literatur scheint mitunter abstrakt und fordert die Leser auf, die Hinweise auf eine praktische Umsetzung als Ausgangspunkt für weitere Unterrichtsideen zu nutzen. Überraschend ist der Verweis auf filmdidaktische Ansätze, da es zu Medien ein eigenes Kapitel gibt. Hier wären neben den Listen zu möglichen pre-, while- und post-activities konkretere Bezüge zu literarischen Werken praktisch gewesen, die im Englischunterricht gelesen werden können. Es mutet eigenartig an, dass das Kapitel 9 „Media: a balanced approach“ erneut literarische Themen enthält und Literatur damit in Medien einschließt und literaturdidaktische Ansätze auch Filme beinhalten. Eine genauere Differenzierung des Medienbegriffs und der Kapitelinhalte wäre hier hilfreich gewesen. Die Aufschlüsselung von Medienpädagogik, media studies und media literacy erfolgt sehr genau, wobei sich dann die herausgearbeiteten Schwerpunkte nur in Ansätzen in den praktischen Unterrichtsbeispielen widerspiegeln (z. B. Schreiben und Illustrieren eines Bilderbuches, Wetterberichte mit Nonsens-Begriffen, eine Geschichte mit Bildern erzählen, ein Online- Literaturprojekt). Sicherlich verknüpfen diese Beispiele kommunikatives Lernen mit kreativem Schreiben und einer Sensibilisierung für Bildaussagen bzw. Wort-Bild-Relationen. Jedoch wären ein Ausblick auf Englischunterricht, der gezielt die Funktionen von (neuen) Medien kritisch reflektiert, oder genauere Einblicke in moderne Medien im Englischunterricht ebenfalls gewinnbringend gewesen. Nicht immer nachvollziehbar ist bei einigen praktischen Unterrichtsvorschlägen die Unterscheidung zwischen Mädchen und Jungen, denen auf Basis des biologischen Geschlechts unterschiedliche Materialien und Aufgaben zugeordnet werden. Trotz thematischer Einbettung reflek- 2 Frank H ASS : Fachdidaktik Englisch. Stuttgart. Klett 2006. 3 Engelbert T HALER : Englisch unterrichten. Berlin: Cornelsen 2012. 4 Karl-Richard B AUSCH , Herbert C HRIST , Hans-Jürgen K RUMM (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 5. Auflage. Stuttgart: A. Francke 2007 (UTB). 5 Wolfgang H ALLET , Frank G. K ÖNIGS (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. Seelze: Klett/ Kallmeyer 2010. 6 Helene D ECKE -C ORNILL , Lutz K ÜSTER : Fremdsprachendidaktik. 2. Auflage. Tübingen: Narr 2014. Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 137 45 (2016) • Heft 1 tiert dies eine eher traditionelle Sichtweise, die im Jahr 2015 eigentlich überholt ist, da sie so von diversifizierten Klassen auch nicht mehr repräsentiert wird (z.B. S. 195). Auch sollte gerade im Kapitel zum inter- und transkulturellen Lernen nicht von „Inuits“ (S. 153) die Rede sein, sondern die korrekte Pluralform Inuit (Singular: Inuk) verwendet werden. In der fremdsprachdidaktischen Forschung gibt es eine Fülle von Fachbegriffen, die aus der deutschen Bildungstradition heraus nicht immer leicht ins Englische zu übertragen sind. Die Autoren von Teaching English bieten Übersetzungen von Kernbegriffen innerhalb der einzelnen Kapitel ins Deutsche. Dies kann zu einer Vereinheitlichung unterschiedlicher Übersetzungen deutscher Fachbegriffe beitragen. Für die Handhabung des Textes wäre ein Glossar am Ende des Buches hilfreich gewesen, denn der Index folgt den englischen Fachbegriffen. Wenn Nutzer nun aber deutsche Texte lesen und Teaching English als vergleichende oder weiterführende Lektüre heranziehen möchten, muss zuerst die englische Entsprechung des Begriffes gefunden werden, die in diesem Buch genutzt wird, bevor der eigentliche Inhalt reflektiert werden kann. Da Begriffe aber (noch) nicht einheitlich genutzt werden, ist das Auffinden der entsprechenden Inhalte mitunter nicht ganz unproblematisch. Wenn in einem deutsch-englischen Glossar auch die Seitenzahl vermerkt ist, können Inhalte deutlich schneller und unmissverständlicher gefunden werden. Inzwischen bietet der Markt eine Auswahl an guten und sehr guten Einführungen und Studienbüchern zum Thema Fremdsprachendidaktik, seien es sprachübergreifende oder speziell für den Englischunterricht zugeschnittene. Diese unterscheiden sich inhaltlich oft nur durch Nuancen. Warum sollte man also zu Teaching English greifen? Um diese Frage zu beantworten, kann zwischen unterschiedlichen Zielgruppen differenziert werden: Für Studierende, die gerade mit der Lehramtsausbildung im Fach Englisch begonnen haben, bietet Teaching English tiefgründige Theorie, die teilweise etwas abstrakt erscheinen mag. Für Lehramtsstudierende höherer Semester und Referendare ist die Theorie sicher zugänglicher. Die praktischen Reflexionen lassen ausreichend Freiraum für eigenständige Überlegungen und Konkretisierungen. Für erfahrene Lehrerinnen und Lehrer bietet das Buch die Möglichkeit, im Sinne des reflective practitioners das eigene professionelle Handeln vor dem Hintergrund neuer Entwicklungen zu reflektieren, wobei dies grundsätzlich auch Veröffentlichungen anderer Verlage zum Thema bieten. Für Lehrpersonen an Universitäten ist es ratsam, im Hinblick auf neue Publikationen im Forschungsgebiet auf dem neuesten Stand zu sein. Auch für die Vorbereitung von Seminaren und Vorlesungen ist das Handbuch für diese Zielgruppe empfehlenswert. Teaching English unterscheidet sich von den bisherigen Fachdidaktiken, weil es zum einen auf Englisch verfasst ist, ohne deutsche Fachbegriffe aus dem Blick zu verlieren. Diese sind wesentlich, um auch auf den deutschen Fachdiskurs vorbereitet zu sein. Zum anderen werden für alle Kapitel online Power-Point-Präsentationen bereitgestellt, in denen die anspruchsvolle Theorie adressatenorientiert aufgearbeitet und visualisiert wird. Da die Präsentationen veränderbar sind, können sie leicht an eigene Ideen und Konzepte angepasst und entsprechend in Lehrveranstaltungen genutzt und eingesetzt werden. Die Cartoons zu Beginn der einzelnen Kapitel und Präsentationen ermöglichen einen kommunikativen und motivierenden Einstieg in das jeweilige Thema. Die unterrichtspraktischen Bezüge bieten wertvolle Anhaltspunkte für die eigene Praxis und laden dazu ein, weitere Ideen zu entwickeln. Innsbruck G RIT A LTER 138 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 45 (2016) • Heft 1 Jing H UANG : Autonomy, Agency and Identity in Foreign Language Learning and Teaching. Bern [etc.]: Lang 2013 (Linguistic Insights), 400 Seiten [91,80 €] China öffnet sich für den Weltmarkt und damit zugleich für die Welthandelssprache Englisch, die an Primar-, Sekundar- und Hochschulen einen wahren Boom erfahren hat. Folge hiervon ist ein steigender Bedarf an universitärer Lehrerausbildung, die ihrerseits Anschluss sucht an die Forschungskontexte der Applied Linguistics. Die vorliegende Arbeit stammt aus diesem Bereich. Der Autor, Jing H UANG , war selbst Englisch-Lehrer an einer namentlich nicht genannten chinesischen Universität, zu der er auch während seiner PhD-Studien an der Universität von Hong Kong den Kontakt behielt und an der er im Rahmen von fünf field trips die im Buch dokumentierte Untersuchung durchführte. Wie Phil B ENSON in seinem Vorwort (S. 15) schreibt, nahm die ca. 1990 einsetzende Forschung zum „chinesischen Lerner“ in einer ersten Phase ihren Ausgang bei der Wahrnehmung einer mangelnden Passung zwischen westlichen Unterrichtsmethoden und den Lernstilen chinesischer Studierender an westlichen Universitäten. In der Folge sei die Forschung zunehmend dazu übergegangen, stereotype Bilder von passiven und autoritätshörigen Lernern zu relativieren. Eine maßgeblich von Forschern in China selbst vertretene Richtung habe schließlich zu einer dritten Phase geführt, in der die Übertragung westlicher Methoden auf chinesische Settings zunehmend kritisch betrachtet werde. Dass in der Zweit- und Fremdsprachenforschung gegenwärtig die Bedeutung soziokultureller Kontexte stark zugenommen hat, führt Benson u.a. auf derartige Infragestellungen einer scheinbar universellen Gültigkeit fremdsprachendidaktischer Postulate zurück wie z.B. jenen, die zum Konzept der Lernerautonomie entwickelt wurden. Ausgehend von der Einschätzung, dass Autonomieentwicklung als langwieriger Prozess durch punktuelle Erhebungen nur ungenau zu erfassen sei, führte Jing H UANG unter den Englisch-Lehramtsstudierenden seiner Heimatuniversiät über die gesamte Dauer des vierjährigen BA-Studiengangs eine Longitudinalstudie durch. Deren Ziel war es, die Entwicklung individueller Einstellungen zum sprachlichen und berufsbezogenen Lernen zu rekonstruieren. Geleitet von der Überzeugung, dass Lerner- und Lehrerautonomie einander bedingen, dehnte er seinen Forschungshorizont auf die Sicht auch von Lehrenden aus. Als konzeptuelles Fundament dient ihm die im Titel genannte Trias von Autonomie, agency und Identität. Damit deutet sich bereits an, dass neben strikt lernbezogenen Aspekten auch solche der persönlich-professionellen Selbstfindung in den Blick genommen werden. Methodologisch folgt die Untersuchung einem qualitativ-interpretativen Ansatz. Sich auf die grounded theory berufend, erhebt sie den Anspruch, den theoretischen Rahmen weniger von vornherein zu definieren, als vielmehr aus den gewonnenen Daten heraus näher zu entwickeln (vgl. S. 97f.). Neben einer Fülle von Kleingruppeninterviews mit Studierenden und einer kleineren Zahl von Einzelinterviews mit Lehrenden setzt sich das gesammelte Material aus autobiographischen Lernertexten sowie einem Forschertagebuch und Beobachtungsnotizen (field notes) zusammen. Das Buch gliedert sich in neun Kapitel. Nach der Einleitung arbeitet es knapp den Forschungsstand zu den Leitkonzepten auf und legt dar, wie diese miteinander verflochten sind. Die Rahmenbedingungen der Erhebung und die Forschungsmethodologie bilden den Gegenstand des nachfolgenden Kapitels, bevor die Untersuchungsergebnisse vorgestellt werden, gegliedert nach Aussagen zur individuellen Autonomieentwicklung (Kap. 4), zur Beziehung zwischen Studierenden und Lehrenden (Kap. 5), zur universitären Lernumgebung (Kap. 6) sowie zu den professionsorientierten Studienanteilen (Kap. 7). Es schließt sich eine gebündelte Auswertung der Ergebnisse an, bevor in Kap. 9 der Ertrag und die Grenzen der Untersuchung im Forschungskontext beleuchtet, weitere Forschungsbedarfe aufgezeigt und Empfehlungen für die Weiterentwicklung chinesischer Englischlehrerausbildung formuliert werden. Der Anhang umfasst neben Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 139 45 (2016) • Heft 1 der Bibliographie und einem Schlagwortverzeichnis detaillierte Angaben zu Art und Menge der im Verlaufe der Untersuchung erhobenen Daten. Im theoretischen Grundlagenteil knüpft Jing H UANG an gängige Autonomiedefinitionen an, vor allem an B ENSON s Fokussierung von Kontrolle über Lernen und Leben und an dessen Modell zur Messung von Autonomie (vgl. S. 31ff.). Auf der Basis eines Dreiecksrasters intendiert dies, konkretes Lernerverhalten situationsspezifisch in gradueller Zuordnung zu den Polen „No control“, „Student control“ und „Other control“ beschreibbar zu machen. Für den eigenen Untersuchungskontext mit seinen stark asymmetrischen Machtverhältnissen sieht H UANG letzteres Merkmal als besonders aufschlussreich an. Entgegen den vielfachen Zuschreibungen eines Konfuzianischen Erbes als Ursache für ein vermeintlich passives Lernerverhalten geht der Autor davon aus, dass unterrichtsbezogene „Subkulturen“ wie Sprachlerntraditionen, akademische Lehr-Lernkulturen etc. einen vergleichbar größeren Einfluss auf Lernereinstellungen und Lernerverhalten haben (vgl. S. 42). In der konzeptuellen Grundlegung seiner empirischen Studie stützt sich Huang wesentlich auf den agency-Begriff, da dieser im Vergleich zu ‚Autonomie’ stärker die Entwicklung konkreter Ziele und Handlungspläne betreffe und daher besser operationalsierbar sei. Gleiches sieht der Autor auch für den Identitätsbegriff gegeben, dessen Diskussion in aktueller Zweitsprachenerwerbsforschung er aufgreift und auf fremdsprachliches Lernen überträgt. Die Auswertung der Daten ergab, dass vor allem zwei Ereignisse den Ausbildungsgang der Studierenden wesentlich prägten: der zentrale Englisch-Test im zweiten Studienjahr und das Unterrichtspraktikum im vierten. Während im ersten Lernjahr bei den Studierenden eine Verunsicherung über den vergleichsweise geringen äußeren Leistungsdruck bei gleichzeitig starker Lenkung des privaten Alltags auf dem Campus vorherrschte, verlieh der Zentraltest dem Lernen eine klare Struktur. Damit wuchs bei den Studierenden die Wahrnehmung von agency und mit ihr die Lern-Zufriedenheit. Jing H UANG spricht hier in Anlehnung an L ITTLEWOOD von „reaktiver Autonomie“. Ansätze einer proaktiven Autonomie, die sich über die Verfahren des Lernens hinaus auch auf dessen Inhalte richten, erkennt er durchgängig weniger im Bereich sprachlichen Lernens als im Feld professionsgerichteter Identitätsentwicklung, welche erst im dritten und vierten Studienjahr auf der Basis curricularer Verankerung berufsbezogener Ausbildunginhalte einsetzt. Vor allem im Praktikum gewinnen die Studierenden durchweg an Selbstbewusstsein und vollziehen einen Wandel von der Lernerzur Annahme einer Lehrerrolle. Allerdings führen sie dort gesammelte Erfolgserlebnisse weniger auf den Einfluss des Studiums als auf extracurricular auf dem Sprachenmarkt gewonnene Lehrerfahrungen zurück (vgl. S. 259ff., 291f.) - mit der Folge, dass im Anschluss ihre Bereitschaft zum Besuch der didaktischen Seminare spürbar gesunken sei. Eine gewachsene Unabhängigkeit manifestiere sich überdies im Umgang mit der Hochschulhierarchie. Geschickt machten die Studierenden sich vielfach deren Rhetorik zu eigen, um eigene Interessen besser durchzusetzen, was ihnen wiederum den Eindruck größerer Handlungsautonomie vermittle (vgl. u.a. S. 158). Der Autor sieht diese Entwicklung überwiegend positiv. Dem steht jedoch entgegen, dass seine Daten eine gewisse Autoritätshörigkeit auf Seiten der Studierenden offenbaren, welche sich in hohen Erwartungen an externer Steuerung und Kontrolle (vgl. S. 211) manifestiert. Diese erfüllten viele Dozent/ inn/ en offenkundig ebensowenig wie die an fachliche Kompetenz und persönliches Engagement (vgl. S. 230). Auch die Institution erscheint in schlechtem Licht, so wird insbesondere eine unprofessionelle und unehrliche Praxis von Leistungsüberprüfungen beklagt (vgl. S. 232ff.). Im Einklang hiermit attestiert H UANG der Administration einen autoritären Arbeitsstil und eine Missachtung studentischer Interessen, was in seinen Augen z.T. ursächlich für die noch unbefriedigende Autonomieentwicklung bei Lernenden und Lehrenden ist (vgl. S. 248ff.). An Zielen der Autonomieförderung hält er nach wie vor fest, plädiert im Ergebnis seiner Studie jedoch bezogen auf den chinesischen Kontext für 140 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 45 (2016) • Heft 1 ein differenziertes Verständnis des Leitkonzepts, das pro- und reaktive Ausprägungen gleichermaßen berücksichtigt (vgl. S. 342-347). Die Stärke des Werks liegt eindeutig in der empirischen Ausrichtung. Die theoretischen Fundierungen hingegen fallen eher überblicksartig aus und werden im Lichte der Untersuchungsergebnisse nicht näher modifiziert. Kritisch sei zudem vermerkt, dass Redundanzen in der Darstellung oftmals ermüdend wirken. Gleichzeitig weist die Studie bestimmte „Leerstellen“ auf. Dass Gender-Fragen ausgespart werden, benennt der Autor explizit, andere Begrenzungen hingegen thematisiert er nicht. So bleibt er Angaben zu den Inhalten und Verfahren des universitären Sprachunterrichts wie auch der didaktischen Ausbildungsanteile schuldig, was das Verständnis der untersuchten Lernersichten erschwert. Ferner erscheint mir die Wertschätzung, die H UANG der berufsbezogenen Autonomieentwicklung der Studierenden entgegenbringt, angesichts deren primärer Orientierung an einem vorwissenschaftlichen Erfahrungsschatz höchst fragwürdig. In diesen Vorbehalten mag sich eine typisch „westliche“ Sicht spiegeln, dies schmälert jedoch nicht ihre Berechtigung als zu diskutierende fachliche Positionierung. Den genannten Monita zum Trotz ist es unbestreitbar ein Verdienst des Buches, der internationalen Fachöffentlichkeit einen empirisch gestützen Einblick in die universitäre Englischlehrerausbildung in China zu vermitteln. Dies kann dazu beitragen, dass wir uns hierzulande die kulturelle Determiniertheit eigener didaktischer Normvorstellungen intensiver vergegenwärtigen. Berlin L UTZ K ÜSTER Sabine H OFFMANN , Antje S TORK (Hrsg.): Lernerorientierte Fremdsprachenforschung und -didaktik. Festschrift für Frank G. Königs zum 60. Geburtstag. Tübingen: Narr 2015 (Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik), 394 Seiten [68,00 €] Festschriften sind bei Verlagen nicht sehr beliebt. Die Verkaufszahlen - so ist zu hören - lägen in der Regel deutlich unterhalb derer von thematisch klar konturierten Sammelbänden. Im vorliegenden Fall liegen die Dinge jedoch anders. Denn den Herausgeberinnen ist es gelungen, eine thematische Kohärenz des Buchs über eine Gliederung in vier Inhaltsbereiche herzustellen, die ihrerseits durch das im Titel genannte Prinzip der Lernerorientierung miteinander verbunden sind. Die Themenfelder entsprechen bedeutenden Forschungsschwerpunkten Frank G. K ÖNIGS ’ und sind wie folgt betitelt: „Mehrsprachigkeit“, „Kompetenzen ausbilden, prüfen und erforschen“, „Methodik der Fremdsprachenvermittlung“ und „(Aus-)Bildung von Fremdsprachenlehrenden“. In einem fünften Hauptteil dokumentieren die Herausgeberinnen den akademischen Werdegang des Jubilars und über ein 24 S. langes Schriftenverzeichnis sein forscherisches Schaffen. Seine hohe Reputation in der scientific community spiegelt sich in der Zahl von 29 Beiträgen. Angesichts dieses Umfangs wird sich die vorliegende Rezension im Wesentlichen darauf beschränken müssen, die Aufsätze in ihren Gegenständen und Tendenzen überblicksartig vorzustellen. Gleichwohl sollen der Leserschaft im Rahmen einer summarischen Wertung Orientierungen für eine mögliche Kaufentscheidung vermittelt werden. Innerhalb der einzelnen Themenbereiche sind die Beiträge alphabetisch nach Autorennamen geordnet. Dies impliziert zwar einen Verzicht auf thematische Subgliederungen, angesichts der Tatsache, dass Sammelbände in der Regel eher selektiv gelesen werden, ist dies jedoch gerechtfertigt. Im ersten Teil („Mehrsprachigkeit“) fällt auf, dass nur einige der Beiträger/ innen sich spezifisch mit der von Ihnen in universitärer Lehre vertretenen Sprache beschäftigen. Zu ihnen zählen in erster Linie Claus G NUTZMANN in Bezug auf das Englische in der Wissenschaftskommunikation, Wolfgang T ÖNSHOFF mit didaktisch-methodischen Grundsatzüberlegungen zu einem Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 141 45 (2016) • Heft 1 mehrsprachigkeitsorientierten DaF-Unterricht sowie Hans-Jürgen K RUMM mit dem Fokus auf die Bildungssprache Deutsch in einem „Curriculum Mehrsprachigkeit“. Primär in übergreifender Perspektive setzen sich hingegen Wolfgang H ALLET mit dem Konzept des sprachenvernetzenden Lernens und Lars S CHMELTER mit lexikalischen Transferstrategien auseinander, deren unterrichtliches Training er als „minimalinvasive“ Strategie bezeichnet. Eine Hinwendung zu anderen Einzelsprachen ist demgegenüber bei Britta H UFEISEN und Franz-Joseph M EIßNER zu beobachten. Während erstere nach der Rolle fragt, die Latein in einem Gesamtsprachencurriculum einnehmen könnte, untersucht letzterer die Erschließungsstrategien einer 59-jährigen Probandin bei der Konfrontation mit einem Text in der ihr zuvor völlig unbekannten Sprache Schwedisch. Er leitet daraus den Schluss ab, dass sich die Interkomprehensionsdidaktik verstärkt den Herausforderungen einer Intake-Optimierung stellen müsse. Fragen, die von empirischer (Lern-)Prozessforschung zur Anbahnung und Überprüfung fremdsprachlicher Kompetenzen reichen, stehen im Fokus des zweiten Teils. Empirisch ausgelegt ist vor allem der Beitrag von Sabine H OFFMANN zu Sprachlernberatungsgesprächen im DaF- Bereich. Darin analysiert die Autorin Ergebnisse einer Untersuchung zum interaktiven Gesprächsgeschehen in personenzentrierten Interviews. Ebenfalls auf Empirie gerichtet, jedoch eher auf einer Meta-Ebene angesiedelt, sind die Texte von Fabio A LVES und Claudia R IEMER . Während A LVES Frank K ÖNIGS ’ Modell des Übersetzungsprozesses aus dem Jahre 1987 in seiner Bedeutung für die Entwicklung der empirischen Translationsforschung würdigt, geht R IEMER der Frage nach, ob wir nach vielen Jahren der Lernerforschung genügend über die Lernenden wissen. Anhand einschlägiger Schriften des Jubilars reflektiert sie die Fortschritte, aber auch die ungelösten Aufgaben der empirisch forschenden Disziplin. Mit der Anbahnung bestimmter Teilkompetenzen beschäftigen sich Sylwia A DAMCZAK -K RYSTOFOWICZ (Hörverstehen) und Dieter W OLFF (Schreiben). Beide beziehen lernbzw. sprachpsychologische Forschungsergebnisse in ihre Überlegungen ein, die Erstgenannte in Bezug auf den Faktor Alter und auf eine adressatengerechte Förderung erwachsener Deutschlerner in Polen, der Letztgenannte mit Blick auf die - aus seiner Sicht überzogen anspruchsvollen, da sprachpsychologische Entwicklungsmodelle ignorierenden - Vorgaben des Europäischen Referenzrahmens und schulischer Rahmenpläne. Eva B URWITZ -M ELZER wiederum richtet ihre Aufmerksamkeit auf Kriterien einer Entwicklung von Lern- und Prüfaufgaben im Kontext schulischen Oberstufenunterrichts. Ihr Beitrag bildet inhaltlich eine Brücke zu dem von Rüdiger G ROTJAHN und Karin K LEPPIN , der Kompetenzevaluation zum Gegenstand hat. Anknüpfend an die fortdauernde Tätigkeit K ÖNIGS ’ im Rahmen der Feststellungsprüfung deutscher Sprachkenntnisse unter Bewerber/ inne/ n für den Schuldienst, die ihre Lehrbefähigung im Ausland erworben haben, unterziehen sie die betreffenden Testverfahren einer kritischen Analyse. Der Untertitel des dritten Buchteils weist als Schwerpunkt methodische Aspekte der Fremdsprachenvermittlung aus. Gleichwohl sind diese nicht strikt von inhaltsbezogenen und damit didaktischen Fragen zu trennen. Am eindeutigsten methodisch ausgerichtet ist der Beitrag von Ruth A LBERT zu einer Methodenerprobung in Alphabetisierungskursen mit erwachsenen DaZ- Lernern, welche nicht mit der lateinischen Schrift vertraut sind. Ebenfalls nur am Rande inhaltliche Aspekte behandeln zwei Texte, in denen die Einsatzmöglichkeiten digitaler Medienformate in sprachenübergreifender Perspektive erörtert werden: Im Kontext eines Blended Learning arbeitet Stefan B AIER den Mehrwert heraus, der aus seiner Sicht Lernplattformen im Allgemeinen und Anwendungen wie Voki.com, Glogster und Wordle im Besonderen für die Gestaltung eines lerneraktivierenden Fremdsprachenunterrichts zukommt. Positiv wertend, jedoch auch kritisch diskutierend wendet sich Simon F ALK den Möglichkeiten Mobilen Lernens zu, mithin der Nutzung von Anwendungen für Smartphones und Tablet-PCs. Überzeugend plädiert er dafür, Lerner als Co-Designer und Co-Forscher in Unterrichtsforschung einzubeziehen. Demgegenüber 142 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 45 (2016) • Heft 1 kommen in zwei Beiträgen mit den didaktisch-methodischen Potenzialen spezifischer Medientexte bzw. Textgattungen die Inhalte sprachlichen Lernens stärker zum Tragen. Mit Blick auf die Gattung Krimis bringt Victoria S TOROZENKO neben Aspekten generischen Lernens auch Potenziale der Schreibförderung zum Anschlag, während Uwe K OREIK die Notwendigkeit, im DaF/ DaZ-Unterricht auch kulturkundliche Inhalte zu behandeln, betont. In dieser Zielrichtung analysiert er die Einsatzmöglichkeiten des Kurzfilms „Der kleine Nazi“. Gleichfalls mit Blick auf kulturkundliches Lernen hebt Dietmar R ÖSLER hervor, welche Bedeutung das Übersetzen und die Arbeit mit Übersetzungen im Fremdsprachenunterricht bzw. in fremdsprachenphilologischen Studiengängen auch heutzutage noch haben können. Einer lernerorientierten Grammatikvermittlung wiederum widmet sich Dagmar S ILBERSTEIN . Konkret geht es ihr darum zu zeigen, wie Modalpartikel im DaF/ DaZ-Unterricht unter Berücksichtigung aktuell gesprochener Sprache am Gegenstand der Fernsehserie „Berlin, Berlin“ erarbeitet werden können. Den zu Recht als stiefmütterlich kritisierten Umgang der Fremdsprachenforschung mit den spezifischen Lernbedingungen an berufsbildenden Schulen greift Jörg R OCHE auf. Er legt dar, dass und wie Aufgaben- und Handlungsorientierung gerade angesichts der besonders heterogenen Schülerschaft dieser Schulform eine geeignete methodische Wahl darstellen. Während hier die lernerbezogenen Aspekte einer Unterrichtsgestaltung im Vordergrund stehen, rückt Wolfgang Z YDATIß in Bezug auf bilinguale Bildungsgänge die Spezifik sprachlicher Lernziele ins Zentrum seines Interesses. Er entfaltet das Konzept einer domänenorientierten Diskursfähigkeit und zeigt Wege auf, wie diese unterrichtlich angebahnt werden kann. Das fünfte und letzte Themenfeld zur (Aus-)Bildung von Fremdsprachenlehrenden erweitert den Blick auf zukünftige Lehrende als Lernende. Grundlegend beleuchtet Hélène M ARTINEZ die einschlägigen Vorgaben der KMK zu Kompetenzstandards, welche sie als Beitrag zur Vergleichbarkeit und Qualitätsentwicklung in der universitären Lehrerbildung würdigt. Sie macht aber auch geltend, dass Kompetenzstandards nur dann greifen, wenn über opportunity-to-learn- Standards die nötigen Rahmenbedingungen bereitgestellt werden. Gleich zwei Beiträge befassen sich mit der Ausbildung einer interkulturellen Kompetenz unter Lehramtsstudierenden. Frauke und Heinz S TRÜBIG heben unter Verweis auf K ALFKIS „epochaltypischen Schlüsselprobleme“ die aus ihrer Sicht zentrale Bedeutung des Fremdverstehens hervor. Kritischer äußern sich Angela S CHMIDT -B ERNHARDT und Antje S TORK , wenn sie nach einer Diskussion des Kulturbegriffs am Beispiel eines Begegnungsprojekts deutscher und polnischer Lehramtsstudierender deutlich machen, dass eine „kulturelle Brille“ den Blick auf ein angemessenes Verstehen der anderen auch versperren kann. Deshalb betonen sie die Bedeutung einer (selbst)kritischen Reflexion von Begegnungserfahrungen. „Reflexion“ bzw. „reflexives Lernen“ sind Schlüsselbegriffe dreier weitere Beiträge. David G ERLACH beruft sich auf D EWEY , wenn er eine verstärkte Verankerung von Reflexionsaufgaben in der Lehrerbildung fordert. Ausgehend von der Feststellung, dass aus empirischer Fremdsprachenforschung keine unmittelbaren Handlungsempfehlungen für unterrichtliche Praxis ableitbar sind, spricht sich Karin A GUADO ebenfalls dafür aus, forschendes Lernen konsequenter in Aus-, Fort- und Weiterbildung von Lehrenden zu implementieren, da sie darin einen Weg sieht, die Qualität von Unterricht zu verbessern. Eine ähnliche Zielvorstellung lässt sich schließlich bei Michael L EGUTKE und Imke M OHR erkennen. Das Autorenduo illustriert anhand der Fort- und Weiterbildungsreihe Deutsch Lehren Lernen des Goethe-Instituts, wie die dort angeleiteten Praxiserkundungsprojekte zu Kontinuität und Nachhaltigkeit von Professionalisierungsprozessen beitragen können. Es gehört zu den Genrekonventionen einer Festschrift, dass die Autorinnen und Autoren in ihren Beiträgen Verbindungen zwischen den eigenen Arbeitsschwerpunkten und jenen des Geehrten herausarbeiten. Insofern erweist sich in ihr in der Regel ein doppelter Adressatenbezug als prägend, richten sich die Texte doch nicht nur an die wissenschaftliche Öffentlichkeit insge- Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 143 45 (2016) • Heft 1 samt, sondern zumindest implizit auch an den Jubilar selbst. Das hier besprochene Buch bildet in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Mag dieser Umstand mancher Festschrift eine nur eingegrenzte Relevanz für die Fortentwicklung der fachlichen Diskurse und damit eine vergleichsweise geringe Attraktivität verleihen, erwächst aus ihm hier insofern ein besonderer Reiz, als die Dialogstruktur den Leser zu einer differenzierten Problemsicht verhilft. Das Buch sei all jenen empfohlen, die sich einen Einblick in zentrale Forschungsfragen der Sprachlehrforschung und Fremdsprachendidaktik und in die Positionierungen namhafter Vertreter verschaffen wollen. Berlin L UTZ K ÜSTER 45 (2016) • Heft 1 I n f o r m a ti o n e n • V o r s c h a u Vorschau auf Jahrgang 45.2 (2016) Der von Claudia R IEMER und Kathrin W ILD (Universität Bielefeld) koordinierte Themenschwerpunkt trägt den Titel „L2-Motivation - internationale und sprachspezifische Perspektiven“. Der Faktor Motivation hat in der Fremdsprachendidaktik und internationalen Fremdsprachenforschung seit ca. 50 Jahren viel Aufmerksamkeit gefunden. Dies spiegeln vielfältige Ansätze, Konzeptbildungen und auch empirische Untersuchungen wider, die von sozial-psychologischen Ansätzen über stärker pädagogisch-psychologische und kognitive bis hin zu prozessorientierten Ansätzen reichen. In den letzten Jahren wurden verstärkt identitätsbezogene Aspekte der L2- Motivation erforscht. Die vorhandenen Arbeiten sind in der Mehrzahl auf den Erwerb des Englischen als Fremd- und Zweitsprache bezogen. Angesichts der allgemeinen Forderung nach Mehrsprachigkeit in Zeiten von Globalisierung und Migration stellen sich viele Fragen in bezug auf die Relevanz von L2-Motivation sowie die Variablen, die Motivation für das Erlernen von Fremdsprachen ausbilden, in neuer Gestalt. Der Themenschwerpunkt greift daher Fragen wie die folgenden auf: Sind Motivationskomponenten, die für den Kontext des Erlernens der internationalen Sprache Englisch bestätigt wurden, gleichermaßen wirksam für das Erlernen anderer Sprachen, die von je unterschiedlicher regionaler, herkunftsbezogener Bedeutung und auf unterschiedliche Ziele gerichtet sind? Passen Modelle und Ansätze, die vorrangig für die Bezugssprache Englisch entwickelt wurden, auch für andere Fremdsprachen, insbesondere Deutsch? Welche Rollen spielen bildungs- und sprachenpolitische Rahmenbedingungen, die u.a. das Spektrum von fremdsprachlichen Unterrichtsfächern in den Schulen mitbedingen? Bei Redaktionsschluss lagen Zusagen für folgende Beiträge vor (Arbeitstitel): Claudia R IEMER , Kathrin W ILD (Universität Bielefeld): Einführung in den Themenschwerpunkt. Kimberly N OELS , Mantou L OU , Kathryn C HAFFEE , Ali D INÇER (University of Alberta, Edmonton): Dynamic developments in L2 motivation research: Self-determination, identity, and mindsets. Claudia R IEMER (Universität Bielefeld): L2-Motivationsforschung für Deutsch als Fremdsprache - länderspezifische und länderübergreifende Einsichten. Mostafa M ALEKI (Universität Teheran): L2-Motivation und „Possible Selves“ - Ein vergleichender Blick in die Motivationsprofile von iranischen Deutsch- und Englischlernenden. Gabriele S CHMIDT (Australian National University, Canberra): Motivation zum Fremdsprachenstudium in einem englischsprachigen Land: das Beispiel Australien. Maciej M ACKIEWICZ (Uniwersytet im. Adama Mickiewicza, Poznań): Interkulturelle Motivation im Vergleich: DaF in Polen und den USA. Yuan L I (Zhejiang University, Hangzhou): Motivation zum Lernen des Deutschen als zweiter Fremdsprache in China. Geplanter Themenschwerpunkt für Jahrgang 46.1 (2017) Sprachenpolitik (koordiniert von Eva B URWITZ -M ELZER und Jürgen Q UETZ )
