eJournals

Fremdsprachen Lehren und Lernen
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/81
2019
482 Gnutzmann Küster Schramm
(Fortsetzung umseitig) N a c hr uf a uf F r a nk G. K ö ni g s 3 Themenschwerpunkt: S pr a c h m ittl u n g Koordination: Andrea R ÖSSLER , Birgit S CHÄDLICH A NDREA R ÖSSLER , B IRGIT S CHÄDLICH Zur Einführung in den Themenschwerpunkt ....................................................... 5 A NDREA R ÖSSLER , B IRGIT S CHÄDLICH Sprachmittlung revisited - Neue Perspektiven und Herausforderungen in Zeiten des Companion Volume zum GER ........................................................... 10 R ALF W ESKAMP Dient Sprachmittlung dem Fremdsprachenerwerb? Zur psycholinguistischen Relevanz eines neuen Aufgabenformats .............................................................. 29 L ENA K ROGMEIER Bewertung interkultureller Kompetenz durch schriftliche Sprachmittlungsaufgaben Deutsch - Spanisch .............................................................................. 41 M ARTINA L IEDKE - GÖBEL Sprachmittlungskompetenz im Deutschunterricht fördern .................................. 56 A LMUT K ÜPPERS Sprachmittlung als Unterrichtsprinzip im inklusiven Türkischunterricht ............ 74 D AGMAR A BENDROTH -T IMMER , K ATHARINA W IELAND Sprachmittlungsaufgaben im bilingualen Sachfachunterricht Französisch - zwischen Scaffolding und Emergenz ................................................................... 88 48. Jahrgang (2019) • Heft 2 Herausgeber: Claus G NUTZMANN (Braunschweig), Lutz K ÜSTER (Berlin), Karen S CHRAMM (Wien) © 2019 Narr Francke Attempto Verlag www.periodicals.narr.de/ index.php/ flul 48 (2019) • Heft 2 L AURA N ICOLAS Médiations d’enseignants et d’apprenants en classe de langue étrangère : des tâches prescrites aux pratiques réelles ........................................................... 102 Nicht-thematischer Teil G RIT M EHLHORN Russischdidaktik - State of the Art. Forschungsüberblick 2008 - 2018 .............. 115 P r o u n d C o ntr a : Die deutsche Fremdsprachendidaktik muss internationaler werden 124 Buchbe s pre chung en • Re ze nsionsartikel Gabriele B LELL , Gabriela F ELLMANN , Stefanie F UCHS (Hrsg.): Die Sprachlernklasse(n) im Fokus. Deutsch als Zweitsprache und Englischunterricht. Frankfurt/ M.: Lang 2017 (J ULIA R ICART B REDE ) ....................................................................................................... 126 Ulrike E DER , Friederike K LIPPEL (Hrsg.): Sprachenunterricht im Kontext gesellschaftlicher und politischer Ereignisse und Entwicklungen. Historische Vignetten. Münster: Waxmann 2017 (A NKE W EGNER ) ...................................................................................... 128 Engelbert T HALER (Hrsg.): Singer-Songwriters. Music and Poetry in Language Teaching. Tübingen: Narr Francke Attempto 2018 (C HARLOTT F ALKENHAGEN ) ............... 130 Roger Dale J ONES : Developing Video Game Literacy in the EFL Classroom. A Qualitative Analysis of 10th Grade Classroom Game Discourse. Tübingen: Narr 2018 (M ARKUS R ITTER ) .............................................................................................................. 133 Bianca R OTERS , David GERLACH , Susanne E ßER (Hrsg.): Inklusiver Englischunterricht. Impulse zur Unterrichtsentwicklung aus fachdidaktischer und sonderpädagogischer Perspektive. Münster: Waxmann 2018 (K ARIN V OGT ) ...................................................... 135 Simone S CHIEDERMAIR (Hrsg.): Literaturvermittlung: Texte, Konzepte, Praxen in Deutsch als Fremdsprache und den Fachdidaktiken Deutsch, Englisch, Französisch. München: iudicium 2017 (C AROLA S URKAMP ) .................................................................. 138 Lars R ÜßMANN : Schreibförderung durch Sprachförderung. Eine Interventionsstudie zur Wirksamkeit sprachlich profilierter Schreibarrangements in der mehrsprachigen Sekundarstufe I. Münster: Waxmann 2018 (A FRA S TURM ) ............................................... 140 Beate B AUMANN : Sprach- und kulturreflexives Lernen in Deutsch als Fremdsprache. Berlin: Frank & Timme 2018 (H ANNES S CHWEIGER ) ........................................................ 142 Viviane L OHE : Die Entwicklung von Language Awareness bei Grundschulkindern durch mehrsprachige digitale Bilderbücher. Tübingen: Narr Francke Attempto 2018 (A NNIKA K OLB ) ................................................................................................................. 145 Info • Vorschau 148 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0015 Unmittelbar nach den Ostertagen dieses Jahres mussten wir erfahren, dass unser langjähriger Mitherausgeber und hochgeschätzter, mit uns freundschaftlich verbundener Kollege Frank G. Königs am Karsamstag im Alter von 64 Jahren verstorben ist. Diese schmerzliche Nachricht hat uns und viele andere seiner Weggefährten in der Forschungscommunity tief berührt. In der Vorfreude auf ein erfülltes Leben, das er nach seinem Ausscheiden aus dem Beruf vorrangig seiner Familie, insbesondere seinen Enkeln, widmen wollte, hatte er schon seit seinem 60. Geburtstag einen sukzessiven Rückzug aus verschiedenen akademischen Verantwortlichkeiten geplant und vollzogen. So verließ er nach sehr frühzeitiger Ankündigung und noch vor Bekanntwerden seiner letztlich todbringenden Krankheit das Herausgebergremium unserer Zeitschrift zum Ende des Jahres 2017. Zum selben Zeitpunkt gab er ferner seine im Jahre 1995 übernommene Leitungsfunktion in der „Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts“ auf. An seiner Universität, der Philipps-Universität Marburg, lehrte und forschte er gleichwohl unermüdlich weiter. Dort nahm er fast bis zuletzt die Leitung des Sprachenzentrums und des international bekannten und renommierten „Informationszentrum[s] für Fremdsprachenforschung“ wahr. Hochschulpolitisch machte er sich zudem in verschiedenen Funktionen der akademischen Selbstverwaltung - u.a. als Dekan, als Institutsleiter und als Senatsmitglied - einen Namen. Seine akademische Laufbahn begann Frank G. Königs nach einem Studium der Sprachlehrforschung, Romanistik und Politikwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum in der dortigen, seinerzeit noch sehr jungen Abteilung für Sprachlehrforschung um Karl-Richard Bausch und Inge Christine Schwerdtfeger. Nachdem schon seine Magisterarbeit (1979) unter dem Titel Übersetzen in Theorie und Praxis: Ansatzpunkte für die Konzeption einer Didaktik der Übersetzung veröffentlicht wurde, promovierte er nur zwei Jahre später mit einer konzeptuellen Studie zu Normenaspekte[n] im Fremdsprachenunterricht, die im Jahre ihres Erscheinens 1983 mit dem „Preis der Ruhr-Universität Bochum für eine besonders herausragende wissenschaftliche Arbeit“ ausgezeichnet wurde. In seiner Habilitationsschrift (Beim Übersetzen schreibt man - übersetzt man auch beim Schreiben? , 1998) verband er fachliche Interessensschwerpunkte, denen auch weiterhin wichtige Teile seiner wissenschaftlichen Arbeit gewidmet bleiben sollten: die Schreib- und Übersetzungsforschung sowie eine psycholinguistisch fundierte Lernerorientierung. Seine zunächst als Hochschulassistent, dann als Hochschuldozent in Bochum begonnene berufliche Laufbahn führte ihn über Vertretungsprofessuren in Gießen und Hamburg zu Rufannahmen in Leipzig (1995) und schließlich drei Jahre später nach Marburg, wo er eine Professur für „Allgemeine Didaktik und Sprachlehrforschung“ übernahm. Einladungen zu Forschungs-, Lehr- und Vortragstätigkeiten an zahlreichen Hochschulen N a c hru f a u f Fr a n k G . K ö n i g s 4 Nachruf auf Frank G. Königs DOI 10.2357/ FLuL-2019-0015 48 (2019) • Heft 2 vor allem in Lateinamerika, Afrika und Osteuropa verdeutlichen, dass er auch international ein sehr hohes Ansehen genoss. Dem Herausgeberkreis der Zeitschrift Fremdsprachen Lehren und Lernen gehörte Frank Königs ab 2001 an, seinerzeit gemeinsam mit Ekkehard Zöfgen und Gert Henrici. Ihr Profil prägte er viele Jahre lang mit seiner Arbeit in äußerst kompetenter und weitsichtiger Weise. In der kontinuierlichen Redaktionsarbeit bewies er stets einen klaren Blick für das Wesentliche, ein sicheres Gespür für Sprache und einen ebenso wertschätzenden wie kritischen Umgang mit den eingereichten Texten und ihren Autorinnen und Autoren. Dabei bewältigte er ein bemerkenswertes Arbeitspensum. So beeindruckte er uns Mitherausgeber immer wieder mit ersten E-Mails, die er bereits morgens um fünf Uhr in seinem Marburger Büro verfasst hatte. Unermüdliches Schaffen und ein hohes fachliches Engagement kennzeichneten nicht zuletzt sein forscherisches Wirken, das in besonderer Weise durch den Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis des Fremdsprachenunterrichts geprägt war. Davon legt die Liste seiner Veröffentlichungen ein beredtes Zeugnis ab. So weist sein Schriftenverzeichnis neben fünf Monographien insgesamt 44 Sammelbände auf, hinzu kommen 222 Aufsätze und 43 Rezensionen, wobei in dieser Aufstellung noch nicht einmal alle neuesten Publikationen enthalten sind. Quantität und Qualität verbinden sich hierbei in einer seltenen Einheit; nicht umsonst besaß seine Stimme ein großes Gewicht in der Fachgemeinschaft. Sein differenziertes Urteilsvermögen brachte ihn immer wieder dazu, vermeintliche Gewissheiten in Frage zu stellen, ohne je „missionarisch“ in eine dogmatische Besserwisserei zu verfallen. Bei aller Ernsthaftigkeit seiner fachlichen Anliegen legte er doch auch viel Humor und manchmal zugleich eine wohlwollende Schelmenhaftigkeit an den Tag, die gewiss auch in jenen Campus-Roman eingeflossen wäre, den zu schreiben er nach Auskunft seiner Frau fest geplant und den er in weiten Teilen schon mental entworfen hatte. Seiner Heimatstadt Bochum war Frank G. Königs zeitlebens eng verbunden. Hier blieb er zuhause, auch nachdem ihn sein beruflicher Werdegang längst an andere Wirkungsstätten geführt hatte. Diese Bodenständigkeit zeigt sich u.a. darin, dass er seinem Fußballclub VFL Bochum stets die Treue hielt, wie insgesamt Beständigkeit und Verlässlichkeit zu seinen wesentlichen Eigenschaften zählten. Wir vermissen ihn sehr und werden seine fachliche Expertise und seine menschliche Präsenz in dankbarer Erinnerung bewahren. C LAUS G NUTZMANN , L UTZ K ÜSTER , K AREN S CHRAMM 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0016 A NDREA R ÖSSLER , B IRGIT S CHÄDLICH * Zur Einführung in den Themenschwerpunkt Translatorische Aktivitäten haben eine lange Tradition im Unterricht auch der modernen Fremdsprachen. Dabei begleitet die Frage nach der Sinnhaftigkeit und Berechtigung den Einsatz übersetzender und dolmetschender Praktiken quasi von Anfang an. Trotz der Skepsis gegenüber Übersetzungen und der Sorge, diese würden eine einsprachig orientierte kommunikative Didaktik durch zweisprachige unterrichtliche Fortführungen der Grammatik-Übersetzungsmethode unterwandern (vgl. R EIMANN / R ÖSSLER 2013: 13), haben sich Fremdsprachenforscherinnen und -forscher immer wieder auch für den didaktischen Wert von Übersetzungen interessiert (vgl. beispielhaft B AUSCH / W ELLER 1979; H ALLET 1995; H OUSE 1977; K ÖNIGS 1986 und 1989; M EYER 1991) und damit Sprachmittlung gleichsam avant la lettre modelliert und unterrichtspraktisch fruchtbar gemacht. Die Entwicklung des Konzepts Sprachmittlung, so wie es heute im fremdsprachendidaktischen Diskurs im deutschsprachigen Raum verstanden wird, beginnt mit dem Erscheinen des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen des Europarates im Jahr 2001. Seither wird der so genannten „sechsten Fertigkeit“ (R ÖSSLER 2008) im Fremdsprachenunterricht besonderes Interesse entgegengebracht. Die Verankerung des Konzepts in diesem einflussreichen europäischen Referenztext hat erneut die Frage aufgeworfen und normativ zugespitzt, ob und in welcher Form Übersetzungen für fremdsprachliche Lehr-/ Lernprozesse eine Rolle spielen können und sollen. Die Etablierung der Sprachmittlungskompetenz im schulischen Fremdsprachenunterricht in Deutschland war in der Folge ein top-down-Prozess par excellence. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern (vgl. den Überblick bei K OLB 2016: 73f.) haben die nationalen Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz sowie die Curricula der Bundesländer das Konzept schnell integriert und auf diese Weise für den Fremdsprachenunterricht neue Verbindlichkeiten hergestellt (vgl. S CHÄDLICH 2012). * Korrespondenzadressen: Prof. Dr. Andrea Rössler, Philosophische Fakultät, Romanisches Seminar, Leibniz Universität Hannover, Königsworther Platz 1, 30167 H ANNOVER E-Mail: roessler@romanistik.phil.uni-hannover.de Arbeitsbereiche: Literaturdidaktik, Wortschatzdidaktik, Sprachmittlung, Fremdsprachenpolitik. Prof. Dr. Birgit Schädlich, Seminar für Romanische Philologie/ Didaktik der Romanischen Sprachen, Georg-August-Universität Göttingen, Humboldtallee 19, 37073 G ÖTTINGEN E-Mail: birgit.schaedlich@phil.uni-goettingen.de Arbeitsbereiche: Literaturdidaktik/ Lesekompetenz, Sprachmittlung, Mehrsprachigkeit, Lehrerbildungsforschung. S pr a c h mittl u n g 6 Andrea Rössler, Birgit Schädlich DOI 10.2357/ FLuL-2019-0016 48 (2019) • Heft 2 Die von oben vorgeschriebene Implementierung krankte indes von Anfang an daran, dass eine neue Kompetenz in Curricula eingeführt und deren Erwerb in zumeist zentralen Prüfungsformaten evaluiert wurde, lange bevor diese klar definiert und umfassend theoretisch modelliert, geschweige denn im Hinblick auf ihr tatsächliches fremdsprachendidaktisches Potenzial empirisch erforscht war. Dies hat zu erheblichen Kollateralschäden geführt: u.a. zu voneinander abweichenden Definitionen und Modellierungen der Sprachmittlungskompetenz in den Lehrplänen der Bundesländer und den Bildungsstandards (2004 und 2012), zur unreflektierten und ahistorischen Abgrenzung von anderen translatorischen Aktivitäten in- und außerhalb des Fremdsprachenunterrichts und nicht zuletzt zum Mangel an einer systematischen Aufgabentypologie einerseits und an einem überzeugenden Konzept für die Progression und Evaluation schriftlicher und mündlicher Sprachmittlungskompetenz andererseits. In den letzten Jahren hat sich die Fremdsprachendidaktik unter Einbeziehung relevanter Bezugswissenschaften intensiv darum bemüht, diese Defizite zu beheben. Einschlägige wissenschaftliche Sammelbände haben in einem facettenreichen interdisziplinären Diskurs das Potenzial der Sprachmittlungskompetenz herausgearbeitet und definitorische Grenzziehungen zu anderen translatorischen Aktivitäten vorangebracht (z.B. F REUDENFELD / G ROSS -D INTER / S CHICKHAUS 2016; N IED C URCIO / K ATEL - HÖN 2015; R EIMANN / R ÖSSLER 2013; W ITTE / H ARDEN / R AMOS DE O LIVEIRA 2009). Viele Zeitschriften, die unterrichtspraktische Handreichungen bzw. konkrete Unterrichtsvorschläge für den Fremdsprachenunterricht veröffentlichen, haben - mitunter sogar mehrmals - die Sprachmittlung als Schwerpunktthema gewählt (u.a. Der fremdsprachliche Unterricht Englisch, Französisch und Spanisch, Praxis Fremdsprachenunterricht, französisch heute und Hispanorama). Zusätzlich haben diverse Schulbuchverlage Aufgaben- und Materialsammlungen für den Fremdsprachenunterricht an allgemein- und berufsbildenden Schulen auf den Markt gebracht (z.B. K ATEL - HÖN / N IED C URCIO 2012; S CHÖPP 2013; K ROGMEIER / P ANZER 2018). Auch wenn diese unterrichtspraktischen Materialien im Detail nicht immer gleichermaßen überzeugen können, zeigen sie doch in der Zusammenschau das große methodisch-didaktische Potenzial, das diese Makrokompetenz aufweist: z.B. für das integrierte Fertigkeitentraining, für die Vermittlung von Lernstrategien und das (inter-)kulturelle Lernen (vgl. K ÖNIG / M ÜLLER erscheint). In den letzten Jahren haben zudem mehrsprachigkeitsdidaktische Aspekte - wie etwa die Einbeziehung von Herkunftssprachen - den Diskurs um die Sprachmittlungskompetenz bereichert. Die bislang einzige Monographie zum Thema im deutschsprachigen Raum von K OLB (2016) bringt die verschiedenen Stränge des Diskurses zusammen und trägt zudem durch definitorische Präzisierungen und komplexe theoretische Modellierungen zu erhöhter konzeptioneller Klarheit bei. Die beobachtbare Konsolidierung der Sprachmittlungskompetenz in Theorie und Praxis gibt Raum dafür, neue Impulse zu setzen und innovative Perspektiven zu eröffnen. 2018 hat der Europarat einen ergänzenden Text zum GER herausgegeben, das Companion Volume with New Descriptors (C OUNCIL OF E UROPE 2018). Obgleich noch offen ist, ob und in welcher Form dieser Text fremdsprachendidaktische For- Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 7 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0016 schungs- und Praxisfragen in Europa beeinflussen oder verändern wird, zeichnet sich bereits - auch in den Beiträgen in diesem Heft - ab, dass dessen Neubewertung der Sprachmittlungskompetenz wahrgenommen und kontrovers diskutiert wird. Das Companion Volume erklärt die Sprachmittlung (dort mediation) zu einem seiner Schlüsselkonzepte und unterzieht es gleichzeitig einer umfassenden Neumodellierung. Dabei werden der Begriff und das Konzept, um dessen Eingrenzung und Präzisierung die deutschsprachige Fremdsprachendidaktik in den letzten Jahren durchaus erfolgreich gerungen hat, wieder stark ausgeweitet und bis zur Unkenntlichkeit entgrenzt. Dieser erneuten Herausforderung für die Modellierung der Aktivität Sprachmittlung stellen sich A NDREA R ÖSSLER und B IRGIT S CHÄDLICH in ihrem den Heftschwerpunkt eröffnenden Beitrag. Sie zeigen zum einen das Innovationspotenzial auf, das diese Neuausrichtung beinhaltet, machen zum anderen aber auch deutlich, wo das Companion Volume ihrer Ansicht nach unnötiger Weise erneut definitorische Unschärfen und konzeptuelle Verunsicherungen erzeugt. R ALF W ESKAMP greift eine grundsätzliche Fragestellung auf, die in den letzten Jahren etwas aus dem Blick geraten ist. Er fragt aus spracherwerbstheoretischer Perspektive danach, welches Sprachlernpotenzial Sprachmittlungsaufgaben zugesprochen werden kann, und zeigt im Rahmen einer theoretischen Analyse, dass diese einen positiven Einfluss auf den Fremdsprachenlernprozess haben können. Von Anfang an hat man das besondere Potenzial von Sprachmittlungsaufgaben für das interkulturelle Lernen herausgestellt. Auch deswegen dürfte dieser Aufgabentypus sich so schnell in den Curricula der Bundesländer und im schriftlichen Zentralabitur etabliert haben. L ENA K ROGMEIER untersucht in ihrer empirischen Studie u.a., ob sich die Erwartung, mit schriftlichen Sprachmittlungsaufgaben, interkulturelle Kompetenzen evaluieren zu können, erfüllt hat. M ARTINA L IEDKE -G ÖBEL eröffnet mit ihrem Beitrag die Perspektive lebensweltlicher Mehrsprachigkeit und setzt sich mit translatorischer Bewusstheit als möglicher Facette von Sprachmittlung auseinander. Sie diskutiert die Frage, ob das in erster Linie als sprachreflexives Handeln begriffene Konzept auch im Deutschunterricht gefördert werden kann und sollte. In ausdrücklicher Anbindung an das weite Sprachmittlungskonzept des Companion Volume stellt A LMUT K ÜPPERS ein Konzept für den Türkischunterricht vor, das für die Deutsche Schule in Istanbul entwickelt wurde, ihrer Einschätzung nach aber durchaus auch Potenzial für Schulen im bundesdeutschen Bildungssystem bereithalten könnte. Sie plädiert dabei für Mediation als Unterrichtsprinzip und bindet ihre Überlegungen an Zielsetzungen durchgängiger Sprachbildung und die Förderung sozialer Lernerautonomie an. D AGMAR A BENDROTH -T IMMER und K ATHARINA W IELAND untersuchen das Potenzial von Sprachmittlung für den bilingualen Sachfachunterricht Französisch. Der im Companion Volume neu integrierte Bereich der „Konzeptmittlung“ (mediating concepts) 8 Andrea Rössler, Birgit Schädlich DOI 10.2357/ FLuL-2019-0016 48 (2019) • Heft 2 spielt dabei eine zentrale Rolle. Ihre Überlegungen gleichen sie mit den Ergebnissen einer Fragebogenerhebung unter Fremdsprachenlehrkräften ab, die in bilingualen Zügen tätig sind. Das Heft schließt mit dem Beitrag von L AURA N ICOLAS , die sich mit sprachmittelnden Prozessen im hic et nunc des Fremdsprachenunterrichts Französisch (als Fremdsprache) beschäftigt. Transkripte von videographierten Unterrichtseinheiten analysiert sie unter der Fragestellung, welche mittelnden Interaktionen in den Praktiken der Lehrenden und Lernenden beobachtbar werden und wie sich diese zu konstruierten Sprachmittlungsaufgaben verhalten. Die Aktivität Sprachmittlung weniger als komplex fabriziertes Aufgabenformat wahrzunehmen, das um Realitätsnähe nur mehr oder minder geglückt bemüht ist, und mehr als reale soziale Praktik im mehrsprachigen plurikulturellen und inklusiven (Schul-)Alltag, ist ein wesentliches Anliegen, das die Herausgeberinnen mit diesem Heftschwerpunkt verfolgen. Wir widmen diesen Heftschwerpunkt F RANK G. K ÖNIGS , dessen Arbeiten zur Sprachmittlung viele bis in die jüngste Zeit inspiriert haben, auch uns. Literatur B AUSCH , Karl-Richard / W ELLER , Franz-Rudolf (1979): Übersetzen und Fremdsprachenunterricht. Frankfurt: Diesterweg. C OUNCIL OF E UROPE (2018): Common European Framework of Reference for Languages: Learning, Teaching, Assessment. Companion volume with new descriptors. Strasbourg: Council of Europe. E UROPARAT (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Berlin: Langenscheidt. F REUDENFELD , Regina / G ROSS -D INTER , Ursula / S CHICKHAUS , Tobias (Hrsg.) (2016): In Sprachwelten über-setzen. Beiträge zur Wirtschaftskommunikation in DaF und DaZ. Göttingen: Universitätsverlag Göttingen. H ALLET , Wolfgang (1995): „Interkulturelle Kommunikation durch kommunikatives Übersetzen. Lernziele des Übersetzens im schulischen Englischunterricht“. In: B EYER , Manfred / D ILLER , Hans-Jürgen / K ORNELIUS , Joachim / O TTO , Erwin / S TRATMANN , Gerd (Hrsg.): Realities of Translating. Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter, 277-312. H OUSE , Juliane (1977): A Model for Translation Quality Assessment. Tübingen: Narr. K ATELHÖN , Peggy / N IED C URCIO , Martina (2012): Hand- und Übungsbuch zur Sprachmittlung Italienisch-Deutsch. Berlin: Frank & Timme. K OLB , Elisabeth (2016): Sprachmittlung. Studien zur Modellierung einer komplexen Kompetenz. Münster: Waxmann. K ÖNIG , Lotta / M ÜLLER , Jule Inken (erscheint): „Cultural Mediation. Die kulturelle Dimension von Sprachmittlung ausbauen (Basisartikel)“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Englisch. 53/ 161. K ÖNIGS , Frank G. (1986): „Der Vorgang des Übersetzens. Theoretische Modelle und praktischer Vollzug“. In: Lebende Sprachen 1, 5-12. K ÖNIGS , Frank G. (1989): Übersetzungswissenschaft und Fremdsprachenunterricht. Neue Beiträge zu einem alten Thema. München: Goethe-Institut. Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 9 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0016 K ROGMEIER , Lena / P ANZER , Dominique (2018): Sprachmittlung Spanisch. Vorbereiten, Anwenden, Verbessern. Stuttgart: Klett. M EYER , Meinert A. (1991): „Developing Transcultural Competence: Case Studies of Advanced Foreign Language Learners“. In: B UTTJES , Dieter / B YRAM , Michael (Hrsg.): Mediating Languages and Cultures. Clevedon: Multilingual Matters, 136-158. N IED C URCIO , Martina / K ATELHÖN , Peggy / B ASIČ , Ivana (Hrsg.) (2015): Sprachmittlung - Mediation - Mediazione linguistica. Ein deutsch-italienischer Dialog. Berlin: Frank & Timme. R EIMANN , Daniel / R ÖSSLER , Andrea (Hrsg.) (2013): Sprachmittlung im Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Narr. R ÖSSLER , Andrea (2008): „Die sechste Fertigkeit? Zum didaktischen Potenzial von Sprachmittlungsaufgaben im Französischunterricht“. In: Zeitschrift für romanische Sprachen und ihre Didaktik 2.1, 53-77. S CHÄDLICH , Birgit (2012): „La mise en œuvre de la médiation linguistique dans l’enseignement des langues vivantes en Allemagne. Instructions officielles, manuels, pratiques de classe“. In: Etudes de linguistique appliquée, 167, 325-339. S CHÖPP , Frank (2013): Sprachmittlung Französisch. 44 Aufgaben A1-B2. Stuttgart: Klett. W ITTE , Arnd / H ARDEN , Theo / R AMOS DE O LIVEIRA , Alessandra (2009) (Hrsg.): Translation in Second Language Learning and Teaching. Bern: Lang. DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 48 (2019) • Heft 2 A NDREA R ÖSSLER , B IRGIT S CHÄDLICH * Sprachmittlung revisited - Neue Perspektiven und Herausforderungen in Zeiten des Companion Volume zum GER Abstract. Since the publication of the CEFR (2001), foreign language research has attempted to theorize the concept of mediation and to develop teaching materials and evaluation instruments on an empirical basis. The first part of this article presents the central results and open questions of this research work. The second part will examine whether and how the new concept of mediation as developed by the Companion Volume to the CEFR (2018) addresses the questions raised by this research, and explore the new perspectives this text offers. The main elements of the Companion Volume’s concept of mediation will be presented (mediating a text, mediating concepts, mediating communication, mediation strategies); these will be critically discussed with regard to issues such as the degree to which mediation can be distinguished from other communicative activities, especially in reception and interaction, the conception of otherness for (inter-)cultural learning, and the challenge of inclusion. 1. Einleitung Wer sich im fremdsprachendidaktischen Kontext derzeit mit dem Thema Sprachmittlung beschäftigt, wird unweigerlich mit der Frage konfrontiert, ob die Förderung dieser Kompetenz in Zeiten von DeepL und google translator nicht ohnehin obsolet geworden sei. Die digitale Translation hat durch die neuronalen maschinellen Übersetzungstechnologien gleichsam einen Quantensprung gemacht. Selbstlernende Systeme, die über künstliche Intelligenz verfügen und die ähnlich wie neuronale Netze funktionieren, haben die phrasenbasierte maschinelle Übersetzung ersetzt. Damit wurden die digitalen Übersetzungsprodukte so fundamental verbessert, dass sie nicht nur das Aufgabenformat Sprachmittlung, sondern auch andere Elemente fremd- * Korrespondenzadressen: Prof. Dr. Andrea Rössler, Philosophische Fakultät, Romanisches Seminar, Leibniz Universität Hannover, Königsworther Platz 1, 30167 H ANNOVER E-Mail: roessler@romanistik.phil.uni-hannover.de Arbeitsbereiche: Literaturdidaktik, Wortschatzdidaktik, Sprachmittlung, Fremdsprachenpolitik. Prof. Dr. Birgit Schädlich, Seminar für Romanische Philologie/ Didaktik der Romanischen Sprachen, Georg-August-Universität Göttingen, Humboldtallee 19, 37073 G ÖTTINGEN E-Mail: birgit.schaedlich@phil.uni-goettingen.de Arbeitsbereiche: Literaturdidaktik/ Lesekompetenz, Sprachmittlung, Mehrsprachigkeit, Lehrerbildungsforschung. Sprachmittlung revisited - Neue Perspektiven und Herausforderungen 11 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 sprachlicher Lehr- und Lernprozesse, wie sie typisch für den schulischen Fremdsprachenunterricht sind, tangieren und prinzipiell in Frage stellen könnten. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, in Unterrichtsentwürfen bereits Sätze zu finden wie „C’est google-translator qui fera le travail pour nous! “. Damit wird Schülerinnen und Schülern als Scaffolding für die inhaltliche Auseinandersetzung mit einem anspruchsvollen französischen Text die Arbeit mit Übersetzungstools nahegelegt und gleichzeitig augenzwinkernd darauf hingewiesen, dass das Übersetzungsprogramm eben doch nur einen Teil der Aufgaben übernehmen kann, weil es u.a. nicht in der Lage ist, selektive, bewertende und restrukturierende Handlungen bei der Texterzeugung und -bearbeitung durchzuführen. Hier stellt der Fremdsprachenunterricht eine Möglichkeit dar, Textproduktionen, die im digitalen Raum unter Rückgriff auf künstliche Intelligenz mit gesteigerter Geschwindigkeit bereitgestellt werden können, zu entschleunigen und mehrperspektivischen Betrachtungen und Bewertungen, Reorganisationen und Detailanalysen zu unterziehen. Während über künstliche Intelligenz verfügende Programme wie DeepL für menschliche Intelligenz nicht bewältigbare Menge an Daten in kürzester Zeit analysieren und verarbeiten können, dürften sie bei bestimmten Operationen im Umgang mit Texten den menschlichen Fähigkeiten nach wie vor unterlegen sein: etwa bei kontext- und adressatenspezifischen Auswahlprozessen, Erklärungen und interpretierenden Bewertungen. Ebensolche Prozesse sind indes gerade für die Sprachmittlungskompetenz relevant, so wie sie derzeit noch im fremdsprachendidaktischen Diskurs definiert und modelliert wird. Reduktion, Selektion und Expansion sind also auch dann noch zu leisten und zudem kultur- und diversitätssensibel und adressaten- und situationsspezifisch auszurichten, wenn der google-translator eine weitaus bessere (Roh-)Übersetzung liefert als die mittlerweile überholten phrasenbasierten Programme. Die Verfeinerung und Perfektionierung des Hilfsmittels macht sprachmittelnde Aktivitäten (insbesondere in der mündlichen face-to-face-Kommunikation) nicht unentbehrlich. Denn hier wie auch in anderen Sprachlernkontexten gilt: Die Lernenden müssen sich auf die didaktischen Szenarien einlassen und ihre Fingiertheit akzeptieren und für die Aufgabenlösung auf ggf. verfügbare Hilfsmittel verzichten, wenn sie den eigenen Sprachlernprozess so effektiv und nachhaltig wie möglich gestalten wollen. Unreflektiertes Abschreiben, was im Prinzip immer möglich ist und auch ohne technologische Hilfsmittel schon früher stets möglich war (z.B. bei einem leistungsstarken Mitschüler), war und ist keine Option für den guten Fremdsprachenlerner. Wohl aber kann es in bestimmten Unterrichtsphasen, die in besonderer Weise Sprachbewusstheit und Sprachlernbewusstheit fokussieren, eine Option für Lehrende und Lernende gleichermaßen sein, die Produkte der neuen neuronalen Übersetzungsprogramme aus der Perspektive eines kultursensiblen Sprachmittlers und für einen bestimmten pragmatischen Kontext, also adressaten- und situationsorientiert, einer kritischen Revision zu unterziehen. Die größere Herausforderung für die Modellierung der Sprachmittlungskompetenz und den Einsatz von Sprachmittlungsaufgaben im Fremdsprachenunterricht stellt unseres Erachtens das Companion Volume with New Descriptors dar, das 2018 als 12 Andrea Rössler, Birgit Schädlich DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 48 (2019) • Heft 2 Ergänzung zum GER von 2001 erschienen ist. 1 Wie wir im Folgenden zeigen werden, weist das Companion Volume (CV) der Aktivität Sprachmittlung eine weitaus exponiertere Stellung zu als bisher und modelliert sie zudem noch einmal neu. Welche Veränderungen und Erweiterungen das Sprachmittlungskonzept dabei konkret erfährt und ob bzw. inwiefern diese für den schulischen Fremdsprachenunterricht im bundesdeutschen Bildungssystem relevant sein oder gar neue Impulse geben können, wird Gegenstand der folgenden Abschnitte sein. Dazu werden wir zunächst die wesentlichen Charakteristika der Aktivität Sprachmittlung, so wie sie im GER von 2001 konzeptualisiert ist, in Erinnerung rufen (s. Abschnitt 2), um vor dieser Kontrastfolie die Merkmale ihrer Neukonzeptualisierung im CV stärker hervortreten zu lassen (s. Abschnitte 2.1 und 2.2). Der 3. Abschnitt beleuchtet zentrale Aspekte dieser Neuausrichtung kritisch und lotet ihr Potenzial für eine Weiterentwicklung der Sprachmittlung im Kontext des schulischen Fremdsprachenunterrichts aus (s. Abschnitt 3.1). Dabei geht es insbesondere um die Rolle, die Sprachmittlungsaktivitäten in einem diversitätssensiblen und inklusiven Unterricht spielen können, und um das Alteritätskonzept, das dem CV konzeptionell unterliegt und geeignet erscheint, dichotomisierende Kulturbegriffe zu problematisieren und zu überwinden (s. Abschnitte 3.2 und 3.3). Im Fazit (s. Abschnitt 4) positionieren wir uns abschließend zum Innovationspotenzial und zu den Defiziten des CV und formulieren die dringendsten Desiderata, die sich für uns daraus ergeben. 2. Vom GER (2001) zum Companion Volume (2018) Der GER modelliert die Sprachmittlung als mündliche oder schriftliche sprachliche Aktivität, bei der es darum geht, „Mittler zwischen Gesprächspartnern zu sein, die einander nicht direkt verstehen können, weil sie Sprecher verschiedener Sprachen sind (was der häufigste, aber nicht der einzige Fall ist)“ (E UROPARAT 2001: 89). Interlinguale Sprachmittlung in einer triadischen Kommunikationssituation ist somit der Regelfall, von dem ausgehend Sprachmittlungsaktivitäten im GER beschrieben und typologisiert werden; intralinguale Sprachmittlungsaktivitäten dagegen spielen dort eher eine untergeordnete Rolle, sind aber ausdrücklich miteingeschlossen (E UROPARAT 2001: 90). Die im GER präsentierten Formen der mündlichen und schriftlichen Sprachmittlung reichen vom Simultan-Dolmetschen und literarischen Übersetzen bis zum informellen Dolmetschen und schriftlichen Paraphrasieren oder Zusammenfassen der Kernaussagen von Texten (ebd.). Für alle Formen gilt, dass es dem Sprachmittler bzw. der Sprachmittlerin nicht darum gehen darf, seine/ ihre eigenen kommunikativen Absichten zum Ausdruck zu bringen, sondern darum, möglichst 1 Die Texte finden sich auf den Seiten des Europarates unter folgenden URLs: Die englischsprachige Version unter: https: / / rm.coe.int/ cefr-companion-volume-with-new-descriptors- 2018/ 1680787989 (07.06.2019). Die französischsprachige Version unter: https: / / rm.coe.int/ cecr-volumecomplementaire-avec-de-nouveaux-descripteurs/ 16807875d5 (07.06.2019). Eine Übersetzung ins Deutsche ist für 2020 angekündigt. Sprachmittlung revisited - Neue Perspektiven und Herausforderungen 13 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 neutral zwischen zwei Parteien zu mitteln, die sich nicht direkt verständigen können (oder zwischen einem Text und einem Gesprächspartner oder einer Gesprächspartnerin). Während in Deutschland die Aktivität Sprachmittlung in den überregionalen Bildungsstandards und den Curricula aller Bundesländer eine große Wirkkraft entfalten konnte, haben die anderen europäischen Länder bis auf wenige Ausnahmen 2 auf eine Integration dieser Aktivität in den schulischen Fremdsprachenunterricht bisher weitgehend verzichtet. In den letzten ca. fünf Jahren ist es im deutschsprachigen fremdsprachendidaktischen Diskurs insbesondere in Auseinandersetzung mit translationswissenschaftlichen Theorien gelungen, den Sprachmittlungsbegriff für den schulischen Kontext in überzeugender Weise einzugrenzen und zu definieren und Sprachmittlungskompetenz heruntergebrochen für den Fremdsprachenunterricht zu modellieren. Dabei liegt ein klarer Fokus auf der interlingualen Sprachmittlung einerseits und der informellen, inhaltsbearbeitenden Übertragung eines Ausgangstextes aus einer L1 in eine L2 (und vice versa) andererseits (vgl. R ÖSSLER / R EIMANN 2013: 12). Professionelle translatorische Aktivitäten, wie sie der GER inkludiert, sind im schulischen Fremdsprachenunterricht nicht gefordert. Stattdessen ist informelles Sprachmitteln gefragt, das nach den Prinzipien der adressatenspezifischen Inhaltsreduktion (Zusammenfassung und Paraphrasierung, situationsspezifische selektive Auswahl von Inhalten) und Expansion (ggf. notwendige Erläuterung von kulturspezifischen Konzepten und Begriffen) funktioniert. Dieses Verständnis von Sprachmittlung hat sich mittlerweile weitgehend etabliert und die Sprachmittlungskompetenz wurde nicht zuletzt durch die Integration entsprechender Aufgabenformate im schriftlichen Zentralabitur nahezu aller Bundesländer fest im deutschen Bildungssystem und im Fremdsprachenunterricht verankert. 2.1 Paradigmenwechsel im Companion Volume Schon ein kurzer Blick auf das Inhaltsverzeichnis des Companion Volume verdeutlicht, dass die Aktivität Sprachmittlung hier offensichtlich eine zentrale Rolle einnimmt, insofern sie neben der plurilingualen Kompetenz als „key aspect of the CEFR for teaching and learning“ ausgewiesen wird (vgl. C OUNCIL OF EUROPE 2018: 5). Ein zweiter, genauerer Blick offenbart, dass das Sprachmittlungsmodell aus dem GER sowohl in konzeptionell-theoretischer Hinsicht grundlegend revidiert als auch durch eine Vielzahl neuer Skalen und Deskriptoren konkretisiert wird. Dabei bezieht sich das CV ausdrücklich auf zwei zentrale Referenztexte zu Konzeption und Operationalisierung des Konzepts (C OSTE / C AVALLI 2015 und N ORTH / P ICCARDO 2016). Die fehlenden Skalen und Deskriptoren für die Sprachmittlung im GER von 2001, die das CV nun erstmals formuliert, dürfen als Ausgangspunkt für diese Entwicklung gelten: „One important aim of the current update, therefore, was to, finally, provide such 2 Einen besonderen Fall stellt Griechenland dar, wo vor allem die Entwicklung von Prüfungsaufgaben für nationale Sprachenzertifikate vorangetrieben und Sprachmittlung prioritär unter dieser Perspektive erforscht wurde (vgl. D ENDRINOS 2006; K OLB 2016: 74). 14 Andrea Rössler, Birgit Schädlich DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 48 (2019) • Heft 2 descriptor scales for mediation, given the increasing relevance of this area in education. In the consideration of mediation, descriptors for building on plurilingual and pluricultural repertoires were also added“ (C OUNCIL OF E UROPE 2018: 47). Offensichtlich hat die Erkenntnis der wachsenden lebensweltlichen Bedeutung der Sprachmittlung aber darüber hinaus maßgeblich zu einer fundamentalen Revision des bisherigen Konzepts beigetragen. Diese Revision beinhaltet eine weitreichende Expansion des Sprachmittlungsbegriffs. In mediation, the user/ learner acts as a social agent who creates bridges and helps to construct or convey meaning, sometimes within the same language, sometimes from one language to another (cross-linguistic mediation). The focus is on the role of language in processes like creating the space and conditions for communicating and/ or learning, collaborating to construct new meaning, encouraging others to construct or understand new meaning, and passing on new informations in an appropriate form. The context can be social, pedagogic, cultural, linguistic or professional (ebd.: 103). Die Mittlung von Informationen in einer triadischen, in der Regel interlingualen Konstellation, wie sie kennzeichnend war für das Verständnis von Sprachmittlung im GER, tritt zurück zugunsten eines Konzepts, das die Weitergabe von Informationen an eine dritte Person, die nicht selbst direkten Zugang zu diesen hat (sei es aufgrund einer kulturellen oder einer sprachlichen Barriere), zwar inkludiert, aber nicht mehr als prioritär betrachtet. Ins Zentrum des Interesses tritt die gemeinsame Aushandlung von Bedeutung im Sinne von „Colloborating to construct meaning“ (ebd.: 106), auch zwischen Partnern, die kein Informations- oder Kompetenzgefälle und nicht unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten zum jeweiligen Text oder Sachverhalt aufweisen. Der bildungstheoretische Rahmen, der in der Einleitung zum CV abgesteckt wird (vgl. ebd.: 23f.), favorisiert ein Unterrichtskonzept, das Bildungsprozesse als plurilingual, interkulturell und inklusiv versteht. Eine besondere Aufgabe und Rolle der mittelnden Person als „social agent“ besteht so auch darin, zum Gelingen einer diversitätssensiblen und inklusiven Bildung beizutragen. Bildung und Erziehung werden damit generell als Mediationsprozess verstanden. Mehr noch: Mittelnde als „social agents“ spielen eine wichtige Rolle für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft, indem sie dazu beitragen können, allen einen möglichst gleichberechtigten Zugang zu Informationen und Teilhabe an der Konstruktion von Wissen und Bedeutung zu eröffnen. Mit diesem Paradigmenwechsel in der Konzeptualisierung der Sprachmittlungskompetenz geht zudem die Priorisierung der mündlichen Sprachmittlung einerseits und der intralingualen andererseits einher. Mehrfach wird explizit darauf hingewiesen, dass „[f]or all the descriptors in the scales in this section, Language A and Language B may be two different languages, two varieties of the same language, two registers of the same variety, or any combination of the above. However, they may also be identical: the CEFR is clear that mediation may be in one language“ (ebd.: 107). Das negotiation of meaning, das für den soziokonstruktivistischen Ansatz grundlegend ist, zieht sich entsprechend als roter Faden deutlich erkennbar auch durch die neuen Skalen und Deskriptoren, die Sprachmittlung weniger als Frage von Sprachwechseln modellieren als vielmehr als Ermöglichung von Bedeutungsaushandlungen Sprachmittlung revisited - Neue Perspektiven und Herausforderungen 15 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 in verschiedenen Modalitäten, die auch Sprachwechsel umfassen können, aber nicht zwingend müssen. Wie sich im folgenden Kapitel zeigen wird, sind zudem weit mehr als die Hälfte der vorgestellten Sprachmittlungstypen mündlichen Kommunikationssituationen zuordenbar. 2.2 Kategorien und Typen der Sprachmittlung im Companion Volume Das CV unterscheidet drei Typen von Sprachmittlung, die unter dem Oberbegriff „Mediation activities“ gefasst werden: „Mediating a text“, „Mediating concepts“ und „Mediating communication“. Den drei Typen, die ihrerseits eine Vielzahl von Unterkategorien aufweisen, wird ein breites Strategienrepertoire an die Seite gestellt, das sich unterteilt in „Strategies to explain a new concept“ und „Strategies to simplify a text“ und je nach Bedarf in allen drei zuvor ausdifferenzierten Sprachmittlungstypen bzw. -situationen zum Einsatz kommen kann. (  Abb. 1, S. 16) Der Bereich „Mediating a text“ entspricht am ehesten der Konzeption von Sprachmittlung im GER von 2001, insofern es hier zentral um interlinguale Sprachmittlungsaktivitäten geht (vgl. ebd. 107-117) und um die Wiedergabe und die Erläuterung von Informationen, die für einen Dritten nicht direkt zugänglich bzw. verständlich sind, sowohl in schriftlicher als auch in mündlicher Kommunikation („Relaying specific information in speech/ in writing“ und „Explaining data“). Hierunter werden u.a. die Paraphrase und die Inhaltsangabe gefasst, aber auch die zusammenfassende Reorganisation und Erläuterung von Inhalten aus verschiedenen Textquellen (vgl. ebd.: 110), so auch Operationen wie die Ausweitung ‚dichter‘ Texte einerseits (durch erklärende Hinzufügungen) und die Straffung von Texten (wie etwa Kürzung von Redundanzen oder Fokussierungen). Dabei wird wie im GER ein breites Spektrum an Textsorten berücksichtigt, das auch visuelle und diskontinuierliche Texte umfasst. Den Sprachmittlungsaufgaben am ähnlichsten, die derzeit in nahezu allen Bundesländern im schriftlichen Zentralabitur eingesetzt werden (vgl. dazu K ROGMEIER in diesem Heftschwerpunkt und 2017), ist die Aktivität Processing text, „[which] involves understanding the information and/ or arguments included in the source text and then transferring these to another text, usually in a more condensed form, in a way that is appropiate to the context of situation“ (ebd.: 110). Strukturell wenig überzeugend, auch wenn man der Neukonzeptualisierung der Spachmittlungskompetenz im CV im Prinzip folgt, ist die Berücksichtigung der Aktivität „Note taking“ in diesem ersten Teilbereich der „Mediating activities“. Hier stellt sich die Frage, inwieweit die Abgrenzung von „activities“ zu „strategies“ plausibel trennscharf ist. Interessanter Weise wird mit der Kategorie „Translating a written text in speech/ in writing“ erneut das Übersetzen bzw. Dolmetschen berücksichtigt. Das wiederholte Insistieren darauf, dass hierbei keinesfalls „activities of professional translators“ (vgl. ebd.) gemeint sind, ist auch als Reaktion darauf zu lesen, wie die Modellierung der Sprachmittlungskompetenz im GER nach 2001 in verschiedenen europäischen Bil- 16 Andrea Rössler, Birgit Schädlich DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 48 (2019) • Heft 2 Abb.1: Skalenkategorien zur Mediation im Companion Volume (C OUNCIL OF EUROPE 2018: 104) Collaborating to construct meaning managing interaction Encouraging conceptual talk Leading group work Collaborating in a group Facilitating collaborative interaction with peers Processing text in speech/ in writing Translating a written text in speech/ in writing Note taking (lectures, seminars, meetings, etc.) Expressing a personal response to creative texts (including literature) Analysis and criticism of creative texts (including literature) Mediating concepts Mediating communication Relaying specific information in speech/ in writing Explaining data (e.g. in graphs, diagrams, charts etc.) in speech/ in writing Mediation Activities Mediating a text Acting as an intermediary in informal situations Facilitating communication in delicate situations and disagreements Facilitating pluricultural space Linking to previous knowledge Breaking down complicated information Streamlining a text Amplifying a dense text Mediation Strategies Strategies to explain a new concept Strategies to simplify a text Adapting language Sprachmittlung revisited - Neue Perspektiven und Herausforderungen 17 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 dungssystemen interpretiert wurde. So macht K OLB (2016: 78) darauf aufmerksam, dass in Frankreich Sprachmittlung keinen Eingang in die Lehrpläne gefunden hat und die lange Zeit dort übliche Übersetzungsaufgabe im Abitur zwar ab 2012 gestrichen, aber nicht durch eine Sprachmittlungsaufgabe ersetzt wurde. Als möglichen Grund für derlei zurückhaltende Reaktionen auf das Konzept führt sie aus, dass „unter dem Deckmantel der Einführung von Sprachmittlung die alte Praktik der Übersetzung als Prüfungsform wiederaufleben könnte“ (K OLB 2016: 78). Interessanterweise hat nun die jüngste Überarbeitung der französischen Lehrpläne für den Fremdsprachenunterricht „médiation“ doch als Kompetenz und Aufgabenformat integriert und differenziert die Kann-Deskriptoren in sehr enger - streckenweise sogar wörtlicher - Anlehnung an das CV (vgl. M INISTÈRE DE L ’E DUCATION N ATIONALE 2019). Die herausforderndste Kategorie des CV im Bereich der Neumodellierung der Sprachmittlung stellt ohne Frage „Mediating concepts“ dar. Auch wenn dies nicht explizit gemacht wird, dürften sich die hier subsumierten Aktivitäten in erster Linie auf mündliche und intralinguale Kommunikationssituationen beziehen. Sie werden unterteilt in „relational mediation“ auf der einen und „cognitive mediation“ auf der anderen Seite. In beiden Teilgebieten geht es um kooperatives Aushandeln von Bedeutung und die gemeinsame Entwicklung von Ideen und Lösungsstrategien in Partner- oder Gruppenarbeit und deren Zusammenführung und Diskussion in Plenumsphasen. Die „relational mediation“ schafft für diese Aushandlungs- und Problemlösungsprozesse den sozialen und atmosphärischen Rahmen. Dem Mediator bzw. der Mediatorin kommt in diesem Kontext die Aufgabe zu, entweder als gleichwertiges Gruppenmitglied („Facilitating collaborative interaction with peers“) oder als verantwortlich Steuernde („Managing interaction“) Diskussionsprozesse zu ermöglichen, zu gestalten und in problematischen Phasen sensibel und multiperspektivisch die Kommunikation aufrechtzuerhalten und Missverständnissen oder anderen Kommunikationsproblemen vorzubeugen bzw. konstruktiv zu begegnen. Es geht hier also um weit mehr als um sprachliche Mittlungsprozesse bzw. Wissens- oder Informationstransfer. Exemplarisch angeführt seien Aktivitäten wie „collaborate on a shared task, for example formulating and responding to suggestions, asking whether people agree, and proposing alternative approaches or show sensitivity to different perspectives within a group, acknowledging contributions and formulating any reservations, disagreement or criticisms in such a way as to avoid or minimize any offence“ (ebd.: 119). Sie verdeutlichen, dass bereits in dieser zweiten Kategorie Sprachmittlungsaktivitäten zumindest auch als konstruktiver Umgang mit unterschiedlichen Perspektiven, Meinungsverschiedenheiten bis hin zu Streitschlichtung, also im Sinne von Mediation im deutschsprachigen Kontext, verstanden werden. Das Anforderungsprofil aus dem Bereich „Managing interaction“, bei dem der Mittler/ die Mittlerin nicht als Mitglied einer Gruppe agiert, sondern als deren Leiter/ in, legt überdies nahe, Mediationsprozesse auch als Lehr- und Lernszenarien zu denken: „Can organise a varied and balanced sequence of plenary, group and individual work, ensuring smooth transitions between the phases“ (vgl. ebd.: 121). Somit sind sowohl kollaboratives Lernen in der (Klein-)Gruppe als auch die Steuerung des Lernprozesses durch eine übergeordnete 18 Andrea Rössler, Birgit Schädlich DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 48 (2019) • Heft 2 Person, die individuelle, kolloborative und kollektive Arbeitsphasen miteinander verzahnt und koordiniert, als Mediationsprozess zu verstehen. Nach diesem Verständnis können Lernende wie Lehrende in die Rolle des Mediators bzw. der Mediatorin schlüpfen. „Cognitive mediation“ referiert im Unterschied zu „relational mediation“ auf den inhaltlichen Aushandlungsprozess. Hier steht primär das Ziel „developing ideas together“ im Fokus, zu dessen Erreichen der Mediator oder die Mediatorin etwa durch zielführendes Zusammenfassen, Hervorheben argumentativer Unstimmigkeiten oder Weiterentwickeln von Konzepten beitragen kann. Mithin sind hier weniger soziale Intelligenz und Kommunikationsstrategien denn analytische und kognitive Fähigkeiten gefragt, mit denen der Diskussions- und Problemlösungsprozess inhaltlich vorangebracht werden kann. Der oder die Mittelnde wird als kompetenter und argumentationsstarker Initiator und Motor von Prozessen verstanden, in denen kollaborativ neues Wissen generiert wird. „Mediating communication“ dagegen, der dritte Teilbereich, knüpft an ein Verständnis an, das zumindest im deutschsprachigen Raum schon seit Mitte der 1980er Jahre im Kontext der Theorie interkultureller Kommunikation diskutiert und am klarsten von K NAPP und K NAPP - POTTHOFF (1985) vorgetragen wurde. Die beiden Autoren verstehen unter Sprachmittlung eine nicht-professionelle, alltagspraktische Tätigkeit, bei welcher der Sprachmittler bzw. die Sprachmittlerin als Kulturmittelnde in einer interlingualen Kommunikationssituation (ggf. mit eigenen Mittlungsintentionen z.B. zur Klärung und Vermeidung von Missverständnissen) agiert. Der Sprachmittlungsbegriff bleibt dabei auf die face-to-face-Kommunikation in mündlichen mehrsprachigen Kontexten begrenzt. Dieses Begriffsverständnis entspricht den in dieser Kategorie angeführten Teilbereichen „Acting as an intermediary in informal situations“ und „Facilitating communication in delicate situations and disagreements“ (ebd. 124f.). So integriert das CV explizit Aspekte von Mittlung, die bei der Rezeption des GER von 2001 noch konträr diskutiert wurden. Sie betreffen die Frage, ob der Sprachmittlungsbegriff auch Mediation im Sinne von Vermittlung oder gar Streitschlichtung beinhalten soll. K ÖNIGS beispielsweise plädiert dafür, im deutschsprachigen Diskurs auf den Terminus Mediation ganz zu verzichten, denn dieser „bezeichnet eigentlich die Konfliktvermeidung bzw. -behebung; er sollte daher im Zusammenhang mit dem Sprachmitteln keine Verwendung finden“ (K ÖNIGS 2010: 86). S CHÄDLICH (2016: 85) dagegen sieht Überschneidungen zwischen beiden Konzepten und formuliert grundsätzliche Zweifel daran, dass der Mittelnde überhaupt eine neutrale Position zwischen den beiden in Rede stehenden Parteien einnehmen könne. Sprachmittlung revisited - Neue Perspektiven und Herausforderungen 19 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 3. Ausweitung des Sprachmittlungskonzepts: problematische Expansion oder innovativer Impuls? Während das weite Sprachmittlungskonzept aus dem GER von 2001 in seiner Interpretation durch die fremdsprachendidaktische Theorie und die Material- und Aufgabenentwicklung für die unterrichtliche Praxis stark eingegrenzt und heruntergebrochen wurde, vollzieht das CV nun die entgegengesetzte Bewegung und expandiert, wie wir unter 2.1 und 2.2 bereits gesehen haben, das Begriffsverständnis in fundamentalerer Weise als zuvor. Dazu wollen wir im Folgenden einige grundsätzliche Überlegungen anstellen, die Chancen und Grenzen dieser Neuausrichtung des Sprachmittlungsbegriffs in den Blick nehmen. 3.1 Bedenkenswertes und Bedenkliches Eine prominente Position nehmen im CV die Sprachmittlungsstrategien ein (vgl. C OUNCIL OF E UROPE 2018: 126-129). Hier wird eine Vielzahl sprachlicher Praktiken und Techniken modelliert und in Kann-Deskriptoren konkretisiert, die sich auf die interaktionale Ebene des Unterrichts beziehen. Damit wird die Ebene der Unterrichtshandlungen einbezogen und zudem ein Problem behandelt, das im Kontext des engeren Begriffsverständnisses des GER von 2001 kaum berücksichtigt wurde, die Tatsache nämlich, dass mittelnde und translatorische Tätigkeiten permanent und natürlicherweise im Fremdsprachenunterricht auftreten: in Erklärungen, bei der Wortschatzarbeit, in Bedeutung aushandelnden Phasen von Gruppenarbeiten etc. Dementsprechend hat sich beispielsweise N ICOLAS (2012 und in diesem Heft) bereits früh für „spontane Übersetzungen“ im Fremdsprachenunterricht interessiert, die sie mit konversationsanalytischen Methoden beschreibt und deren typische Muster sie abstrahiert. Mit Blick auf Sprachmittlungsaufgaben in neueren Lehrwerken und Unterrichtsmaterialien für den Fremdsprachenunterricht wurde zudem immer wieder darauf hingewiesen, dass diese häufig schwer verständlich seien und der Authentizität entbehrten. Damit sind sie nicht zuletzt gerade für sprachlich heterogene Gruppen insofern problematisch, als dass dort nicht alle Schülerinnen und Schüler über gleiche oder auch nur ähnliche Kompetenzen in den beteiligten Sprachen verfügen und bereits zum Verstehen eines deutschsprachigen Ausgangstextes oder bei der Vorbereitung von Rollenspielen zu trialogischen Kommunikationssituationen umfangreiche Mittlungsprozesse initiieren, die ihrerseits aber nicht Teil der Aufgabe sind. Das erweiterte Mittlungskonzept des CV, so wie es sich in den „Mediation strategies“ und vor allem in der Kategorie „Mediating concepts“ manifestiert, setzt genau dort an und integriert auch diese ‚natürlichen‘ Mittlungsprozesse und zwar unabhängig davon, ob sie in pluri- oder monolingualen Kontexten erfolgen. Die Opposition, die bei der Implementierung der Sprachmittlung in Folge ihrer Modellierung im GER von 2001 zwischen ‚natürlichen‘ Mittlungen einerseits und stark gesteuerten, häufig als hochgradig artifiziell wahrgenommenen Sprachmittlungsaufgaben andererseits entstanden ist, wird 20 Andrea Rössler, Birgit Schädlich DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 48 (2019) • Heft 2 so insofern überwunden, als Mittlung auch als inhaltsbezogenes sprachliches Handeln und Aushandeln von Bedeutung konzeptualisiert und in Deskriptoren konkretisiert wird. Aus unserer Sicht problematisch ist das neue Begriffsverständnis indes dort, wo es eine triadische Konstellation (sei es zwischen zwei Personen und einem/ r Sprachmittler/ in oder zwischen einer Person, einem Text/ Artefakt und einem Sprachmittler oder einer Sprachmittlerin) nicht mehr als konstitutiv für das Konzept betrachtet: Mediating a text involves passing on to another person the content of a text to which they do not have access, often because of linguistic, cultural, semantic or technical barriers. This is the main sense in which the CEFR uses the term mediation. The first set of descriptor scales offered are for this, usually cross-linguistic, interpretation which is increasingly being incorporated into language curricula (in e.g. Switzerland, Germany, Austria, Italy, Greece and Spain). However, the notion has been further developed to include mediating a text for oneself (for example in taking notes during a lecture) or in expressing reactions to texts, particularly creative and literary ones (C OUNCIL OF E UROPE 2018: 106) [Herv. A.R./ B.S.]. Hier wird ausdrücklich auch das „für sich selbst mitteln“, also einen schriftlichen oder mündlichen Text zum besseren eigenen Verständnis zusammenfassen, reduzieren oder vereinfachen als Sprachmittlungsprozess bezeichnet. Wenn wir jedoch bereits individuelle Rezeptionsprozesse, mithin die Interaktion zwischen Text und einem/ r Leser/ in oder Hörer/ in mit dem Ziel des Textverstehens, als „mediation activity“ kategorisieren, dann ist im Zusammenspiel mit den anderen Mediationstypen („mediating text (for others)“, „mediating communication“ und „mediating concepts“) im Prinzip jede Form sprachlichen Handelns bzw. jedwede Kommunikation als Sprachmittlung zu fassen und keine Eingrenzungsmöglichkeit mehr gegeben. Das wirft die Frage auf, was der Begriff „Mediation activity“ überhaupt noch Spezifisches meinen kann, wenn er im Grunde alle Teilbereiche kommunikativen Handelns inkludiert. Ebenso problematisch erscheint uns, dass auch die Rezeption literarischer Texte im CV unter der Kategorie „Mediating a text“ gefasst wird. Zunächst mag eine Zuordnung zu den mittelnden Aktivitäten insofern plausibel sein, als auf diese Weise das dialogisierende Moment der literarischen Rezeption akzentuiert wird. Schulische Kontexte oder Lesezirkel haben gemeinsam, dass sie einen Rahmen darstellen, in dem über Literatur gesprochen oder geschrieben wird: Die Rezeption des Textes wird dabei in neuen Texten expliziert und damit als Interaktion zwischen Text und Leser sichtbar (vgl. S CHÄDLICH , erscheint). Trotz dieser grundsätzlichen Plausibilität erscheint die Zuordnung letztlich aber doch problematisch, weil die Trennschärfe zu anderen Bereichen nicht gegeben ist. So lassen sich beispielsweise Überschneidungen zu den Skalen „Creative writing“ und „Written reports and essays“ (C OUNCIL OF E UROPE 2018: 76f.) feststellen. Hier könnte man fragen, ob nicht die Trennschärfe nur gegeben wäre, wenn der Aushandlungsprozess ausdrücklich an eine dritte Person gebunden und damit eine typisch triadische Mittlungssituation modelliert würde. Dies ist zwar implizit durch den Verweis darauf, dass Literatur Reaktionen hervorruft, gegeben; der Einleitungstext zu den Literaturskalen erläutert: „However, literature tends to evoke a reaction, and this is often promoted in language education. This Sprachmittlung revisited - Neue Perspektiven und Herausforderungen 21 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 response may be expressed in a classroom or in one of the amateur literacy circles often associated with foreign language learning“ (ebd.: 115). In den Skalen selbst bleibt das dialogische Moment jedoch unausgeführt: Weder in der ersten noch in der zweiten Kategorie geht es explizit um einen interpretatorischen Aushandlungsprozess über den jeweiligen literarischen Text mit einer dritten Person. Auch hier liegt also keine triadische Situation vor und es wird kein Adressat genannt für die jeweiligen Deutungen des literarischen Textes. Die Skalen differenzieren zwischen „Expressing a personal response to creative texts (including literature)“ und „Analysis and criticism of creative texts (including literature)“. Aus den jeweiligen Deskriptoren wird ersichtlich, dass zum einen persönliche Reaktionen auf literarische Texte gemeint sind wie etwa Emotionen oder Erinnerungen, die die Lektüre hervorgerufen hat, und subjektive Deutungen, die den Text stark auf die eigene Erfahrungswelt beziehen. Zum anderen sind analytische und interpretatorische Fähigkeiten beim Umgang mit literarischen Texten gefordert; diese reichen von Analysen der Figuren über das Erkennen und Deuten rhetorischer Mittel und uneigentlicher Sprache bis hin zu genre- oder gattungsspezifischen und literaturhistorischen Interpretationen. Mit beiden Kategorien ist das Spektrum an Teilkompetenzen abgedeckt, das heute im deutschsprachigen fachdidaktischen Diskurs in der Regel unter dem Terminus „Literarische Kompetenz“ gefasst wird. Dass auch die Aktivität „mediation concepts“ nicht unproblematisch ist, zeigt sich spätestens bei einem Blick auf die unmittelbar vor den „mediation activities“ verhandelte Kategorie „interaction activities“ (ebd.: 83-102). Unter der Kategorie „Goal oriented co-operation“ werden Aktivitäten subsumiert, die sich als schwer unterscheidbar erweisen von Aktivitäten, die, wie wir oben bereits gesehen haben, in die Subkategorie „managing interaction“ eingeordnet werden. So heißt es für das Niveau C1 in der Kategorie „Goal oriented co-operation“ beispielsweise „Can frame a discussion to decide a course of action with a partner or group, reporting on what others have said, summarising, elaborating and weighing to multiple points of view“. Das offenbart ein grundsätzliches Abgrenzungsproblem zwischen Interaktion und Mediation immer dann, wenn es um dialogische Aushandlungs- und Lösungsprozesse geht und keine dritte Instanz, sei es ein Text oder eine Person, mit der nicht direkt kommuniziert werden kann, involviert ist. Wir betrachten die triadische Grundkonstellation deswegen als konstitutiv für den Sprachmittlungsprozess und fassen somit kooperative Bedeutungsaushandlungsprozesse und kollaborative Wissenskonstruktion („mediating concepts“) nur dann als Sprachmittlung (inter- und intralingual), wenn mindestens eine der daran beteiligten Personen keinen direkten bzw. barrierefreien Zugang zu einem Text bzw. mündlichen Äußerungen hat und einer mittelnden Instanz bedarf. Nur so kann Mediation von Interaktion einerseits und individuellen Verstehensprozessen („mediating a text for oneself“) andererseits abgegrenzt werden. 22 Andrea Rössler, Birgit Schädlich DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 48 (2019) • Heft 2 3.2 Mit Alterität umgehen statt zwischen „Fremdem“ und „Eigenem“ vermitteln Das Kulturverständnis, das vielen (wenn nicht allen) Sprachmittlungsaufgaben zugrunde liegt, die im Fremdsprachenunterricht an allgemein- und berufsbildenden Schulen in Deutschland eingesetzt werden, lehnt sich zumeist unausgesprochen an das Herdersche Kugelmodell an (vgl. A BENDROTH -T IMMER / P LIKAT 2017: 11). Damit werden Kulturen als nach innen homogen und nach außen abgrenzbar modelliert. Die Aufgaben sind so konzipiert, dass in der Regel zwischen Kultur A und Kultur B vermittelt und davon ausgegangen wird, dass die Sprecherinnen und Sprecher repräsentative Vertreter der in der jeweiligen Kultur (vermeintlich vorherrschenden) Kulturstandards sind. Zudem wird Kultur in vielen Aufgabenstellungen mit Kulturnation gleichgesetzt. Trotzdem erheben Sprachmittlungsaufgaben den Anspruch, für das inter- und transkulturelle Lernen eine besondere Relevanz entfalten zu können. Durch ihre Kulturen dichotomisierende Anlage, die Mittlung zwischen einer als homogenisierend gedachten Ausgangssprache und -kultur in eine ebenso verstandene Zielsprache und -kultur notwendig macht, tragen sie aber paradoxerweise gerade zur Zementierung eines Kulturverständnisses bei, das Eigenes und Fremdes als binäres kulturelles Oppositionspaar betrachtet. Das CV und einer seiner wichtigsten Bezugstexte, Education, mobilité, altérité. Les fonctions de médiation de l‘école (C OSTE / C AVALLI 2015) können hier durch den Rückgriff auf das Konzept der Alterität zu einer Überwindung dieses dichotomisierenden Kulturmittlungsprozesses beitragen. C OSTE / C AVALLI widmen ausgedehnte Teile ihres Textes der Auseinandersetzung mit dem Begriff der Alterität. Alterität ist ihrem Verständnis nach keine einem Gegenüber innewohnende Eigenschaft, sondern die Konstruktion eines/ einer Wahrnehmenden: „une différence pour moi ou pour nous, une différence relative à un sujet percevant, pensant, agissant“ (C OSTE / C AVALLI 2015: 19). Schulisches Lernen stellen sie als einen Prozess dar, der über Mediation die Annäherung an und Aneignung von Alterität ermöglicht: „Et c’est bien là que la médiation va trouver à s’exercer comme moyen de réduire la distance ou de faciliter l’approche entre l’acteur mobile et l’altérité“ (C OSTE / C AVALLI 2015: 20). Statt von Ausgangs- und Zielkultur sprechen die beiden Autoren von „groupe d’appartenance“ und „groupe de réference“ und vermeiden so den Eindruck, Gruppenzugehörigkeiten seien (allein) nationalsprachlich und -kulturell geprägt. (Sprach-)gemeinschaften werden neutral als „communautés de pratiques“ (im Sinne von L AVE / W ENGER 1991) definiert und als grundlegend plural verstanden: Jedes Individuum ist Teil verschiedener Gruppen („groupes d’appartenance“) und „communautés de pratique“, die ihrerseits durch bestimmte Sprachen gekennzeichnet sind (vgl. C OSTE / C AVALLI 2015: 23). Davon ausgehend kommentieren C OSTE / C AVALLI (2015: 31) auch die Begriffe intra- und interkulturelle Kompetenz (vgl. Abschnitt 3.2: „Compétences et cultures“) und schlagen als Alternative den Neologismus der „compétence alterculturelle“ („altercultural competence“) vor. Damit ist die Fähigkeit gemeint, Alterität wahrzunehmen, anzuerkennen und in einen offenen und konstruktiven Austausch mir ihr einzutreten. Auch wenn in der Einlei- Sprachmittlung revisited - Neue Perspektiven und Herausforderungen 23 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 tung zum CV noch von „intercultural education“ (vgl. C OUNCIL OF E UROPE 2018: 23) und in den Deskriptoren der neuen Skalen gelegentlich von „intercultural encounters“ oder „intercultural exchange“ die Rede ist (vgl. ebd.: 123), so ist doch deutlich die Tendenz erkennbar, den häufig verengt interpretierten Begriff des Interkulturellen durch plurale Bezugspunkte auszuweiten und dadurch stärker an die Förderung einer plurilingualen und plurikulturellen Kompetenz als „capacity to deal with ‚otherness‘“ (vgl. ebd.: 157) zu koppeln. Hierin liegt eine große Chance, auch andere curriculare Texte hinsichtlich unterliegender Kulturkonzepte zu befragen und gegebenenfalls zu erweitern bzw. zu korrigieren. 3.3 Sprachmittlung als Beitrag zur barrierefreien Kommunikation auch im Fremdsprachenunterricht Im Mai 2008 sind die UN-Behindertenrechtskonvention und damit Inklusion als Ziel des Bildungswesens in Deutschland (2010 auch in der gesamten EU und mittlerweile in mehr als 170 Staaten) in Kraft getreten. Das stellt den Unterricht an allgemein- und berufsbildenden Schulen vor große Herausforderungen. Die Inklusion sichert allen Kindern und Jugendlichen, auch denen mit diagnostiziertem sonderpädagogischen Förderbedarf, den freien und gleichberechtigten Zugang zu allen allgemeinbildenden Schulformen in der Bundesrepublik Deutschland zu. Auch wenn das deutsche Schulsystem dieses Angebot derzeit noch nicht flächendeckend sicherstellen und umsetzen kann (vgl. S CHLAAK 2015: 10), ist doch der Anteil inklusiver Bildungsformen und Bildungseinrichtungen in den letzten 10 Jahren stark gestiegen. Auch inklusiver Fremdsprachenunterricht ist keine Seltenheit mehr. So nimmt es nicht wunder, dass schon in der Einleitung zum CV an exponierter Stelle die Bedeutung der inklusiven Bildung auch für das Fremdsprachenlernen unterstrichen wird (vgl. z.B. C OUNCIL OF E UROPE 2018: 25). 3 Damit soll eine möglichst barrierefreie Partizipation und Förderung aller Lernenden im Fremdsprachenunterricht sichergestellt werden. Dies dürfte ein weiterer Grund dafür sein, warum den „mediation activities“ ein so hoher Stellenwert im CV zugesprochen wird. So können Sprachmittlungsaktivitäten in inklusiven Bildungskontexten eine bedeutende Rolle erhalten, gerade wenn man wie das CV den Mittler als „social agent“ versteht, der allen Aktanten im Unterricht, unabhängig von sprachlichen, kulturellen oder sonstigen Barrieren, Zugang verschaffen soll zu Inhalten und Informationen und Teilhabe an Bedeutungsaushandlungs- und Lösungsprozessen ermöglicht. Zwar wird noch zu diskutieren und auszuhandeln sein, wie die Fremdsprachendidaktik und der Fremdsprachenunterricht in der BRD mit diesem expandierten Sprachmittlungskonzept in Zukunft konkret umgehen und wie sie es auf ihre spezifischen Anforderungen und Lernziele herunterbrechen können. Doch das 3 Der Text des CV verwendet einen weiten Begriff von Inklusion und geht nicht explizit auf spezifische Beeinträchtigungen ein. Dennoch mag die Integration von Skalen zur Gebärdensprache als eine wesentliche Neuerung des CV erwähnt werden, die sprachliche Diversität auch jenseits von Lautsprachen mitdenkt (C OUNCIL OF E UROPE 2018: 145f.) und auf diese Weise Zuschreibungen von ‚Behinderung‘ selbst zur Diskussion stellt. 24 Andrea Rössler, Birgit Schädlich DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 48 (2019) • Heft 2 Potenzial, das der erweiterte Sprachmittlungsbegriff, den das CV stark macht, für einen inklusiven Fremdsprachenunterricht eröffnet, dürfte davon unabhängig erkannt und genutzt werden. Dafür möchten wir im Folgenden Perspektiven aufzeigen. Zumindest im bundesdeutschen Kontext ist bisher die intralinguale Sprachmittlung als Aufgabenformat im Fremdsprachenunterricht nahezu unberücksichtigt geblieben. Im GER von 2001 wird sie zwar erwähnt (s.o.), aber eher am Rande verhandelt. Im CV dagegen kommt ihr eine bedeutsame Rolle zu. Dies gilt insbesondere für die Teilbereiche „mediating concepts“ und „mediating a text“. In einem inklusiven Fremdsprachenunterricht können intralinguale Sprachmittlungsaktivitäten z.B. dafür genutzt werden, Schülerinnen und Schülern mit Lernschwierigkeiten oder Lernbehinderungen im Sprach- und Leseverstehen den Zugang zu authentischen fremdsprachlichen Texten zu erleichtern. Auch für die barrierefreie Teilhabe an gemeinsamen Bedeutungsaushandlungsprozessen im Sinne von „mediating concepts“ können so bessere Voraussetzungen geschaffen werden. Je nach dem Grad der Lernschwierigkeit oder Lernbehinderung kann neben der Reduktion sprachlicher und inhaltlicher Komplexität auch die Expansion notwendig sein, etwa zur Erläuterung (nicht nur) kulturspezifischer Begriffe und Sachverhalte, die den Erfahrungs- und Wissenshorizont des jeweiligen Adressaten mit besonderem Förderbedarf übersteigen. Damit wird ein intralinguales Sprachmittlungsszenario geschaffen, das einen authentischen Mittlungsanlass im Sinne eines handlungsorientierten Fremdsprachenunterrichts nutzt. Dieses Szenario ist sowohl in eher mündlichen Kontexten („mediating concepts“) als auch in schriftlichen Kommunikationssituationen („mediating a text“) vorstellbar. In schriftlichen Szenarien im fremdsprachlichen Unterricht könnte überdies das Konzept der Leichten Sprache, das bisher im schulischen Kontext prioritär im (zieldifferenten) inklusiven Fachunterricht eingesetzt wird, zum Tragen kommen. 4 „Leichte Sprache ist eine sogenannte ‚Vermittlungsvarietät‘, die darauf abzielt, mit zahlreichen syntaktischen, lexikalischen und typographischen Mitteln möglichst verständliche Texte zu erzeugen“ (B OCK 2015: 11; zitiert nach C HRISTMANN 2017: 35). „Im Vordergrund steht dabei eine spezielle Adressatengruppe, nämlich Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen. Aber auch andere Personenkreise, denen das Lesen Schwierigkeiten bereitet, werden angesprochen, wie etwa Migranten, funktionale Analphabeten oder gering literalisierte Personen“ (C HRISTMANN 2017: 35f.). Leichte Sprache ist somit ein Beispiel für barrierefreie Kommunikation par excellence und wird heute in der Linguistik in der Regel als eine „funktionale“ oder „regulierte Varietät“ (vgl. B OCK / F IX / L ANGE 2017a: 12) betrachtet, die „primär auf (medial) schriftliche Ausgangstexte bezogen“ (ebd.) wird. In neuester Zeit gibt es indes auch immer mehr mündliche Texte in Leichter Sprache, etwa Nachrichten der großen Hörfunksender. Das Phänomen ist in der Praxis entstanden (vgl. M AAß 2015: 26), Regeln 4 Außerhalb des schulischen Kontextes wird Leichte Sprache vor allem in juristischen und administrativen Verlautbarungen und Regelwerken verwendet, aber zunehmend auch in den Medien (z.B. bei Nachrichten und Informationssendungen) eingesetzt, um eine barrierefreie Kommunikation zu ermöglichen. Sprachmittlung revisited - Neue Perspektiven und Herausforderungen 25 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 für das Verfassen von Texten in Leichter Sprache wurden im Nachhinein von verschiedener Seite in unterschiedlicher Detailliertheit aufgestellt und veröffentlicht (vgl. ebd.). Je nach Verwendungskontext ist das Regelwerk sehr umfangreich und präzise (z.B. für juristische Kontexte, Webauftritte des Bundes und der Länder, Wahlinformationen und -programme). Von besonderer Bedeutung sind die Regeln zur Leichten Sprache in der Barriere-Informations-Verordnung (BITV 2.0) 5 , die als Ergänzung zum Behindertengleichstellungsgesetz verabschiedet worden ist (ebd.: 28). Sie normiert in nur 13 Regeln die „barrierefreie[n] Gestaltung von Webauftritten und Intranetangeboten von Bundesbehörden“ (ebd.). Damit sind sie das erste offizielle Instrument zur Normierung des Leichte-Sprache-Konzepts. M AAß betont, dass sie als solches maßgeblich dazu beigetragen haben, das Konzept bekannt zu machen und zu etablieren (vgl. ebd.). Gleichzeitig stellt sie jedoch fest, dass dieses Regelwerk linguistischen Ansprüchen nur bedingt genügen kann. Das ist aus wissenschaftlicher Perspektive und mit Blick auf professionell Übersetzende bzw. Sprachmittelnde sicher richtig, für den hier in Rede stehenden schulischen Kontext ist jedoch gerade die quantitative Reduktion des Regelwerks und seine Konzentration auf eine überschaubare und auch Laien verständliche Anzahl linguistischer Besonderheiten von Interesse. Das Regelwerk und auf seiner Grundlage entstandene Texte könnten, das wäre in Theorie und Praxis zu prüfen, einen Leitfaden darstellen bzw. Modellcharakter erlangen sowohl für die intralinguale als auch für die interlinguale Mittlung komplexer zielsprachlicher Lese- oder Hörverstehenstexte für Mitschülerinnen und Mitschüler mit Lernschwierigkeiten oder Lernbehinderungen im inklusiven Fremdsprachenunterricht. 4. Fazit Das Sprachmittlungskonzept des GER von 2001 erfährt im Companion Volume with New Descriptors nicht nur erneut eine Ausweitung, sondern auch eine grundlegende Neuausrichtung. Professionelles Dolmetschen und Übersetzen werden nunmehr explizit ausgenommen, stattdessen wird jede Form der Bedeutungsaushandlung zwischen Kommunikationspartnern und -partnerinnen in Bildungskontexten - in welcher Sprache und Varietät auch immer - als mediation verstanden. Hierzu zählen nicht nur mündliche und schriftliche Interaktionen zwischen zwei oder mehreren Personen, sondern auch individuelle Textverstehensprozesse, also Interaktionen zwischen einem Text und einem Rezipienten. Das hebt aus unserer Sicht die triadische Grundkonstellation der Sprachmittlung auf und macht das Besondere dieser Aktivität unkenntlich. Nichtsdestotrotz sehen wir an anderen Stellen dieses expandierten Konzeptes auch Ansatzpunkte und Potenzial für die Weiterentwicklung und Neuakzentuierung des bis dato im schulischen Kontext etablierten Sprachmittlungsbegriffs. Die Begründung, 5 Sie finden sich frei zugänglich im Internet unter: https: / / www.gesetze-im-internet.de/ bitv_2_0/ BITV _2.0.pdf 26 Andrea Rössler, Birgit Schädlich DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 48 (2019) • Heft 2 die das CV für dessen Erweiterung anführt, zeigt noch einmal explizit auf die zentrale Argumentationslinie: „This wider approach has been taken because of its relevance in increasingly diverse classrooms, in relation to the spread of CLIL, (Content and Language Integrated Learning), and because mediation is increasingly seen as a part of all learning, but especially of all language learning“ (C OUNCIL OF E UROPE 2018: 33). Diese Argumentationslinie betont die besondere Relevanz der Sprachmittlung in Zeiten wachsender Heterogenität von Lerngruppen und setzt einen wichtigen Impuls für die Entwicklung von diversitätssensiblen Lehr- und Lernszenarien. Wir haben diese Linie aufgenommen und unter Rückgriff auf das Konzept der Leichten Sprache weitergeführt. Die in diesem Zusammenhang skizzierten kooperativen Lernverfahren in heterogenen Kleingruppen oder Tandems sind auch in anderen Lernkontexten denkbar, etwa in Sprachlernklassen oder in bilingualen Modulen (vgl. den Beitrag von A BENDROTH - TIMMER / W IELAND in diesem Heft), wo die Lernenden über unterschiedliche sprachliche Voraussetzungen und/ oder sachfachliche Kenntnisse und abweichendes Weltwissen verfügen. All diesen Szenarien ist gemein, dass der Einsatz von Sprachmittlungsaktivitäten auf mehr Kooperation und „soziale Lernerautonomie“ (vgl. S CHMENK 2012) im Klassenraum abzielt, auf mehr gemeinsame Verantwortlichkeit für das Gelingen des (Sprach-)Lernprozesses, ein Anliegen, das auch K ÜPPERS in ihrem Beitrag im vorliegenden Heftschwerpunkt verfolgt. W ESKAMP (in diesem Heft) greift den Aspekt der Relevanz von Sprachmittlungsaufgaben für den Sprachlernprozess an sich auf, der im fremdsprachendidaktischen Diskurs zu dieser Aktivität in den letzten Jahren eher am Rande verhandelt worden ist und den das CV (s.o.) zu Recht wieder stärker ins Bewusstsein hebt. Bedenkenswert erscheint uns auch die hohe Priorität, die das CV der mündlichen (intrawie interlingualen) Sprachmittlung aufgrund ihrer besonderen Relevanz in realen Kommunikationssituationen beimisst. Sie mahnt ein Nachdenken an über die bisherige Praxis, Sprachmittlung im Zentralabitur ausschließlich schriftlich abzuprüfen. Diese Praxis hat sich mittlerweile in nahezu allen Bundesländern durchgesetzt und ist auch im länderübergreifenden Zentralabitur übernommen worden, ohne hinterfragt zu werden. Einmal mehr und nicht zuletzt erinnert das CV die Fremdsprachendidaktik daran, das Kulturverständnis, das Sprachmittlungsaufgaben in ihrer bisherigen Form zugrunde liegt, in Frage zu stellen, und regt an mit dem Begriff der Alterität zu arbeiten. Alterität als relationales, nicht ontologisches Konzept stellt einen bemerkenswerten Schritt in die Richtung dar, der immer wieder kritisierten verengenden Lesart von „Interkulturalität“ entgegenzutreten und damit „komplexen, hybriden kulturellen Identitäten“ (vgl. A BENDROTH - TIMMER / P LIKAT 2017: 11) auch und gerade in Sprachmittlungskontexten gerechter zu werden. Dennoch bleibt nach wie vor die ungelöste Frage, wie mit Alterität konkret umgegangen werden kann im fremdsprachlichen Unterricht im Allgemeinen und im Rahmen von Sprachmittlungsaufgaben im Besonderen. Eines indes dürfte - so hoffen wir - in diesem Beitrag klargeworden sein: Auch in Zeiten von DeepL und google translator hält die Aktivität Sprachmittlung noch genügend Herausforderungen und Chancen für das Lehren und Lernen von Fremdsprachen bereit. Sprachmittlung revisited - Neue Perspektiven und Herausforderungen 27 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 Literatur A BENDROTH -T IMMER , Dagmar / P LIKAT , Jochen (2017): „Sprachmittlung - Warum gute Praxis gute Theorie braucht“. In: Hispanorama 155, 10-16. B OCK , Bettina M. (2015): „Anschluss ermöglichen und die Vermittlungsaufgabe ernst nehmen - 5 Thesen zur Leichten Sprache“. In: Didaktik Deutsch 38, 9-17. B OCK , Bettina M. / F IX , Ulla / L ANGE , Daisy (Hrsg.) (2017): “Leichte Sprache” im Spiegel theoretischer und angewandter Forschung. Berlin: Frank & Timme. B OCK , Bettina M. / F IX , Ulla / L ANGE , Daisy (2017a): „Das Phänomen ‘Leichte Sprache’ im Spiegel aktueller Forschung - Tendenzen, Fragestellungen und Herangehensweisen“. In: D IES . (Hrsg.), 11-31. C HRISTMANN , Ursula (2017): „Wie leicht darf Leichte Sprache sein? Empirische Lücken in einem gut gemeinten Konzept“. In: B OCK / F IX / L ANGE (Hrsg.), 35-51. C OSTE , Daniel / C AVALLI , Marisa (2015): Education, mobilité, altérité. Les fonctions de médiation de l’école. Strasbourg: Conseil de l’Europe. https: / / rm.coe.int/ education-mobilite-alterite-les-fonctions-de-mediation-de-l-ecole/ 16807367ef (07.06.2019). C OUNCIL OF E UROPE (2018): Common European Framework of Reference for Languages: Learning, Teaching, Assessment. Companion Volume with New Descriptors. https: / / rm.coe.int/ cefr-companion-volume-with-new-descriptors-2018/ 1680787989 (07.06.2019). D ENDRINOS , Bessie (2006): „Mediation in communication, language teaching and testing“. In: Journal of Applied Linguistics 22.9, 9-35. E UROPARAT (Hrsg.) (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Berlin: Langenscheidt. K ÖNIGS , Frank G. (2010): „Sprachmittlung“. In: S URKAMP , Carola (Hrsg.): Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik. Stuttgart: Metzler, 285-287. K OLB , Elisabeth (2016): Sprachmittlung. Studien zur Modellierung einer komplexen Kompetenz. Münster: Waxmann. KMK: S EKRETARIAT DER STÄNDIGEN KONFERENZ DER KULTUSMINISTER DER LÄNDER IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND (2012): Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18.10.2012. K NAPP , Karlfried / K NAPP - POTTHOFF , Annelie (1985): „Sprachmittlertätigkeit in interkultureller Kommunikation“. In: R EHBEIN , Jochen (Hrsg.): Interkulturelle Kommunikation. Tübingen: Narr, 450-463. K ROGMEIER , Lena (2017): „Schriftliche Sprachmittlung fördern und evaluieren“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Spanisch 56, 2-9. L AVE , Jean / W ENGER , Etienne (1991): Situated Learning: Legitimate Peripheral Participation. Cambridge: Cambridge University Press. M AAß , Christiane (2015): Leichte Sprache. Das Regelbuch. Berlin: LIT Verlag. M INISTÈRE DE L ’E DUCATION N ATIONALE (2019): Bulletin officiel spécial n°1 du 22 janvier. https: / / www.education.gouv.fr/ pid285/ bulletin_officiel.html? cid_bo=138130 (07.06.2019). N ORTH , Brian / P ICCARDO , Enrica (2016): Developing illustrative descriptors of aspects of mediation for the Common European Framework of Reference (CEFR). Council of Europe. https: / / rm.coe.int/ common-european-framework-of-reference-for-languages-learning-teaching/ 168073ff31 (07.06.2019). 28 Andrea Rössler, Birgit Schädlich DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 48 (2019) • Heft 2 R EIMANN , Daniel / R ÖSSLER , Andrea (Hrsg.) (2013): Sprachmittlung im Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Narr. R IEGERT , Judith / M USENBERG , Oliver (2017): „Zur didaktischen Bedeutung Leichter Sprache im inklusiven Unterricht“. In: B OCK / F IX / L ANGE (Hrsg.), 387-399. R ÖSSLER , Andrea (2009): „Strategisch sprachmitteln im Spanischunterricht“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 38, 158-174. R ÖSSLER , Andrea / R EIMANN , Daniel (2013): Wozu Sprachmittlung? In: D IES . (Hrsg.), 11-23. S CHÄDLICH , Birgit (2016): „Médiation linguistique et didactique du plurilinguisme et du pluriculturalisme“. In: M EDHAT -L ECOCQ , Héba / N EGGA , Delombera / S ZENDE , Thomas (Hrsg.): Traduction et apprentissage des langues. Entre médiation et remédiation. Paris: éditions des archives contemporaines, 81-91. S CHÄDLICH , Birgit (erscheint): „Die neuen Skalen des Companion Volume zu Literatur: ein Beitrag zur Modellierung literarisch-ästhetischer Kompetenzen im schulischen Fremdsprachenunterricht? “ In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 30.2, 198-212. S CHLAAK , Claudia (2015): Fremdsprachendidaktik und Inklusionspädagogik. Herausforderungen im Kontext von Migration und Mehrsprachigkeit. Stuttgart: ibidem. S CHMENK , Barbara (2012): „Von Autonomie zu Aufgaben und zurück. Oder: Wie muss ein Autonomiekonzept aussehen, das uns hilft didaktisch-methodische Entscheidungen für das aufgabenorientierte Lernen zu treffen? “ In: B IEBIGHÄUSER , Katrin / Z IBELIUS , Marja / S CHMIDT , Torben (2018): Aufgaben 2.0. Konzepte, Materialien und Methoden für das Fremdsprachenlehren und lernen mit digitalen Medien. Tübingen: Narr, 57-89. 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0018 R ALF W ESKAMP * Dient Sprachmittlung dem Fremdsprachenerwerb? Zur psycholinguistischen Relevanz eines neuen Aufgabenformats Abstract. Since the introduction of syllabuses based on the Common European Framework of Reference, cross-language mediation (CLM) has become an established routine in foreign-language classrooms. It is generally accepted that CLM should be part of plurilingual education, but it remains unclear to what extent psycholinguistic processes in foreign language acquisition (FLA) are also facilitated. This article assesses the impact of CLM on FLA. It identifies the main principles of FLA, discusses how CLM follows these principles and concludes that CLM can play a role in each of them, though to different degrees. Output and explicit learning may be fostered by CLM, but it does less to support input and implicit learning. Nevertheless, much depends on task design. Further research is outlined which should show whether CLM contributes to optimal conditions in classroom-based foreign language learning. 1. Einleitung Dass die L1 der Lernenden eine wichtige Ressource darstellt, um Lernmöglichkeiten zu bieten und Missverständnissen vorzubeugen, ist heute - zumindest in deutschen Klassenzimmern - unstrittig. B UTZKAMM (1973) hat bereits in den Anfangstagen des kommunikativen Fremdsprachenunterrichts (FSU) eine „aufgeklärte Einsprachigkeit“ eingefordert und später Vorschläge für einen gezielten L1-Einsatz erarbeitet (B UTZKAMM / C ALDWELL 2009). Während B UTZKAMM s Ansatz eine verabsolutierte Einsprachigkeit als Ideologie entlarvt, geht die Einführung von Sprachmittlung einen erheblichen Schritt weiter. Die L1 ist nicht Hilfe, um die Fremdsprache (FS) leichter zu erlernen, sondern Teil einer neu zu erwerbenden Kompetenz - in den Worten R ÖSSLER s (2008) die „sechste Fertigkeit“. Die Vermittlung einer solchen Fertigkeit benötigt Unterrichtszeit. Dies wirkt auf den ersten Blick kontraintuitiv, reduziert sie doch den Kontakt mit der FS. In anerkannten Sprachenzertifikaten wie Cambridge Assessment findet sie sich nicht. Warum wird Sprachmittlung dennoch praktisch unhinterfragt in den FSU übernommen? Im Wesentlichen gibt es hierfür zwei Gründe: (1) Sprachmittlung ist Teil menschlicher Kommunikation; man findet sie überall, in * Korrespondenzadresse: OStD Dr. Ralf W ESKAMP , Bundespräsident-Theodor-Heuss-Schule, Ziegenhainer Straße 8, 34576 H OMBERG (E FZE ) E-Mail: rweskamp@ths-homberg.de Arbeitsbereiche: Kognitive Sprachverarbeitung, schulischer Fremdsprachenerwerb, Literaturdidaktik 30 Ralf Weskamp DOI 10.2357/ FLuL-2019-0018 48 (2019) • Heft 2 Handel, Wirtschaft, Politik und Kultur. (2) Sprachenvielfalt stellt einen kulturellen Wert da. Der Referenzrahmen (C OUNCIL OF E UROPE 2002) ist der Plurilingualität verpflichtet. Es geht nicht um die Fähigkeit, möglichst viele Sprachen auf möglichst hohem Niveau zu beherrschen, sondern um eine positive Einstellung zur Vielfalt von Sprachen (vgl. B EACCO / B YRAM 2007). In diesem Zusammenhang erfährt Sprachmittlung ihre Legitimation. Abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen (etwa K ÖNIGS 2015) wird die eigentlich zentrale Frage allerdings nicht gestellt: Lernen Schülerinnen und Schüler eine FS besser oder wenigstens schneller, wenn sie regelmäßig mit Sprachmittlung beschäftigt sind? Ausgangspunkt der folgenden Untersuchung sind drei Hypothesen: (a) Sprachmittlungsaufgaben haben keinen Einfluss auf den Erwerb einer FS. (b) Sprachmittlungsaufgaben haben nur einen Einfluss auf den expliziten FS- Erwerb. (c) Sprachmittlungsaufgaben haben einen Einfluss auf alle FS-Erwerbsmechanismen. Die Datengrundlage für die Untersuchung der Hypothesen bilden dabei vorliegende Forschungserkenntnisse zum Spracherwerb, die interpretativ auf den Untersuchungsgegenstand angewandt werden. Hierzu wird in den Kapiteln 2 bis 5 Sprachmittlung in Bezug auf FS-Erwerbsprinzipien betrachtet, die in der Forschung allgemein anerkannt sind (vgl. E LLIS 2005 und 2008; W ESKAMP 2007). Abschließend wird auf der Basis der hieraus gewonnenen Erkenntnisse die haltbarste Hypothese ausgewählt und die Frage gestellt, welche weitere Forschung notwendig ist, um die gewählte Hypothese zu untermauern. Um den Forschungsgegenstand zu definieren, ist es notwendig, den Umfang dessen einzuschränken, was unter Sprachmittlung verstanden werden kann: Sprachmittlung wird in diesem Beitrag nicht mit Kommunikation und Verstehen gleichgesetzt, so wie dies S TEINER (1975) getan hat. Es geht auch nicht um die allgemeine Verwendung der L1 im FSU, beispielsweise bei der Erklärung von Aufgaben, bei der Definition von Vokabular oder bei der Erörterung grammatischer Fragestellungen. Sprachmittlung wird hier im Rahmen von Lernaufgaben (tasks) betrachtet, die im Sinne von E LLIS (2003: 9-10) komplex sind, auf authentische und bedeutungsvolle Sprachverwendung zielen, verschiedene Fertigkeiten beinhalten, kognitive Strategien erforderlich machen und zu einem kommunikativen Ergebnis führen (für die Erstellung von Sprachmittlungsaufgaben A BENDROTH -T IMMER / P LIKAT 2017; C ASPARI 2013). Sprachmittlung ist dabei: (i) a form of translanguaging which involves the interplay between languages and (ii) a communicative undertaking which entails the purposeful selection of information by the mediator from a source text in one language and the relaying of this information into another language (target text), with the intention of bridging communication gaps between interlocutors (who do not share the same language) (S TATHOPOULOU 2015: 2). Ich beschränke mich außerdem auf die Diskussion der im Unterricht dominanten Sprachmittlung von der L1 in die Fremdsprache. Ein Beispiel für eine solche Sprach- Dient Sprachmittlung dem Fremdsprachenerwerb? 31 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0018 lernaufgabe, die sich an den Kriterien des Genre-Ansatzes (vgl. dazu W ESKAMP 2004) orientiert: You are a grade 11 student at G.W.F-Hegel-School, which is involved in an Erasmus+ project. During the project you want to collaborate through digital technologies in different subjects and to increase competence in foreign languages. Generally, you and your partners from Italy, Spain and Romania use English to communicate, but everybody tries to address people in their respective languages whenever possible, for example when greeting someone. Your school’s project team must prepare a first meeting of the partner schools. You have been asked to welcome the students of the other schools and to give them a short overview about the main activities of your school. To prepare this speech, have a look at your school’s homepage and brochure. Find information you may want to include in your speech. Think about what might interest your guests. Write the speech and practice it. 2. Prinzip „Input“ K RASHEN s (1985) Buch The Input Hypothesis ist eine der meist zitierten Arbeiten der Spracherwerbsforschung und hat zu einem breiten Diskurs geführt, wie FS am besten im schulischen Kontext zu erwerben seien. K RASHEN selbst beharrte auf dem Standpunkt: „Speech cannot be taught directly but ‘emerges’ on its own as a result of building competence via comprehensible input“ (1985: 2). Andere Positionen, auf die ich in den folgenden Kapiteln zurückkomme, haben in Zweifel gezogen, ob Input allein ausreicht, um eine FS erfolgreich zu erlernen. Unumstritten ist jedoch, dass Lernende möglichst viel Input benötigen, der für sie entweder durch konzeptionelles Wissen oder aufgrund von im Unterricht gegebenen Hilfen verständlich ist. Sprachmittlungsaufgaben scheinen diesem Grundsatz zu widersprechen. Beschäftigen sich die Lernenden mit Ausgangsmaterial in der L1, fehlt der Input durch Hören oder Lesen. Je häufiger Sprachmittlungsaufgaben eingesetzt werden, desto weniger Zeit bleibt hierfür. Allerdings führen L1-Texte indirekt zu Input, beispielsweise, wenn Wörter nachgeschlagen oder Ergebnisse in der FS vorgestellt werden. Darüber hinaus haben sich Konzepte des Sprachlernens, die komplett auf Einsprachigkeit setzen, wie etwa die direkte Methode oder die audiolinguale Methode letztlich nicht durchgesetzt, weil sie eine wichtige Ressource beim FS-Erwerb ungenutzt lassen, nämlich die L1. Auch in echten bilingualen Situationen kommt es zum Vermischen von Sprachen, die den Spracherwerb fördern. So zeigt O LMEDO (2003: 160), dass selbst Kleinkinder sowohl ihre kommunikativen als auch kognitiven Fähigkeiten in mehrsprachigen Situationen verbessern können. Schließlich sprechen Sprachmittlungsaufgaben möglicherweise solche Lernende an, die sich in einem rein fremdsprachlich geführten Unterricht aufgegeben haben und denen L1-Texte helfen, sich wieder auf die FS einzulassen. Auch hier entsteht der Input mittelbar, beispielsweise durch Erklärungen, Paraphrasen oder kontextuelle Hilfen der Mitschüler. Input ist dann nicht ein vorge- 32 Ralf Weskamp DOI 10.2357/ FLuL-2019-0018 48 (2019) • Heft 2 gebener Text, sondern etwas, das erst im Kontext des Klassenzimmers entsteht, ein bilingualer Raum, in dem sich Kommunikation analog zu Immersionssituationen entwickelt (vgl. L IEBSCHER / D AILEY - OʼC AIN 2005; L ITTLE / K IRWAN 2018). 3. Prinzip „Output“ S WAIN (vgl. C UMMINS / S WAIN 1986; S HEHADEH 2002) postulierte auf der Grundlage ihrer Forschung zu Immersion in Kanada, dass Input allein nicht ausreiche, sondern, dass Lernende auch die Möglichkeit benötigen, verstehbaren Output zu produzieren. Hierdurch würden sie feststellen, wie weit ihre Sprachfähigkeit vorangeschritten ist, Fehler bemerken und metalinguistische Fähigkeiten erwerben. Insbesondere diene Output dazu, dass sie Lücken in ihrer Interlanguage bemerken und ihre Aufmerksamkeit hierdurch selektiv auf Strukturen im Input richten, um ihre sprachlichen Fähigkeiten zu verbessern. In der bewussten Auseinandersetzung mit Sprache erkennen Lernende den Zusammenhang zwischen Form und Bedeutung. S WAINS Postulate zum Spracherwerb lassen sich in Sprachmittlungsaufgaben besonders gut realisieren, insbesondere dann, wenn diese Aufgaben für die jeweiligen Lernenden kognitiv anspruchsvoll sind. Hierdurch wird nämlich erreicht, dass diese ihre tatsächlichen sprachlichen Möglichkeiten neu einschätzen und ihr momentan zur Verfügung stehendes sprachliches Repertoire vergrößern. Der Effekt ist eine für den Spracherwerb positive Modifikation des Outputs, vor allem im Hinblick auf Sprachrichtigkeit und -komplexität (vgl. R OBINSON 2001). Sprachmittlungsaufgaben sind gut im Hinblick auf ihren Schwierigkeitsgrad stufbar und besitzen schon aufgrund ihrer Referenz auf zwei Sprachen eine höhere Komplexität als rein monolinguale Aufgaben. Dies gilt bereits für den Anfangsunterricht, wenn beispielsweise Verhaltensregeln, die die Klasse auf Deutsch erarbeitet hat, für den Englischunterricht in die FS übertragen werden. In fortgeschrittenen Lerngruppen lassen sich dann Aufgaben umsetzen, die nicht nur einen Wechsel der Sprache erforderlich machen, sondern auch unterschiedliche Kontexte herstellen, die die Makro- und Mikrostruktur eines Textes beeinflussen. In der Sprachmittlung wird ein vorliegender Text in einen anderen Text transformiert. Dabei fließen in das Ergebnis nicht nur die vorgegebenen Informationen ein, sondern auch das Wissen und die Vorstellungen der Lernenden, die diese Aufgabe bearbeiten. Im kreativen Literaturunterricht sind solche Transformationen bereits seit langem die Methode der Wahl, nicht nur um das Verständnis literarischer Texte zu fördern, sondern auch, um zu einer linguistischen-stilistischen Auseinandersetzung beizutragen (W ESKAMP 2010). In der Sprachmittlung kommen die Besonderheiten zweier Sprachen hinzu und damit die unterschiedlichen Möglichkeiten, Bedeutung in Sprache zu fassen. In der oben exemplarisch formulierten Aufgabe entsteht aus informativen Borschüren- und Internettexten eine Rede, wobei sich sowohl der Tenor (die Beziehung von Sender und Empfänger) ändert als auch der Kommunikationsmodus (schriftlich zu geschriebener und schließlich zu vorgetragener Rede). Dies hat erheb- Dient Sprachmittlung dem Fremdsprachenerwerb? 33 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0018 liche Konsequenzen für die verwendete Sprache auf allen Ebenen. So können die Lernenden unterschiedliche Formulierungen in Hinblick auf die inhaltlich passende Wiedergabe des Originals und seiner passenden Umsetzung in einer Rede vergleichen und ihr sprachliches Bewusstsein verbessern (vgl. G NUTZMANN 2009). 4. Prinzip „Implizites und explizites Lernen“ Implizites Sprachwissen liegt dann vor, wenn vorausgegangene Spracherfahrungen Kommunikation erleichtern, ohne dass der Lernende eine bewusste Erinnerung an diese Erfahrungen hat. Explizites Sprachwissen wird sichtbar, wenn Lernende eine Verbindung zwischen ihrem sprachlichen Handeln und einer zuvor erlernten Regel herstellen. In der Spracherwerbsforschung ist allgemein akzeptiert, dass Lerner über explizites und implizites Sprachwissen verfügen, allerdings ist umstritten, in welcher Beziehung beide zueinanderstehen. Verfechter eines einsprachigen Unterrichts sind der Ansicht, dass Spracherwerb an sich implizit erfolgt, dass explizites sprachliches Wissen höchstens einen indirekten Beitrag leistet und dass FSU metasprachliche Bewusstmachungen auf ein Minimum beschränken sollte. C OOK (2010) kritisiert diese Position, weil sie zu einer Stigmatisierung der Übersetzung als aus seiner Sicht sinnhafte Übungs- und Aufgabenform geführt habe. Für ihn hat die Übersetzung und generell die Einbeziehung der L1 der Lernenden eine zentrale Funktion im FSU, die es neu zu nutzen gilt: For students, understanding and discussion of translation problems gives a unique insight into how the new language works and how it resembles or differs from their own. It has the potential to fix these language characteristics and differences in their minds, enabling them to use the new language, whether on its own or when translating, with more confidence and success (C OOK 2010: 55). Übersetzen gibt somit nicht nur Einsichten in die Funktionsweise von Sprache, sondern trägt auch zum Spracherwerb selbst bei. Wendet man die eher hermeneutisch vorgebrachten Argumente psycholinguistisch, ergibt sich folgende Frage: Tragen Sprachmittlungsaufgaben (zu denen auch das Übersetzen gehört) zur Einspeicherung und zum Abruf sprachlicher Informationen in das explizite und das implizite Gedächtnis bei? Als Beispiel für implizites Lernen wird häufig der L1-Erwerb angeführt. Tatsächlich gibt es eine Vielzahl von Indizien dafür, dass Kleinkinder über Fähigkeiten zum „statistischen Lernen“ verfügen, d.h., dass sie Muster erkennen und aufgrund von Häufigkeitserfahrungen Kategorien bilden, wobei soziale Interaktion eine zentrale Rolle spielt (vgl. K UHL 2004). Auch bei Erwachsenen wurde implizites Lernen in verschiedenen Domänen nachgewiesen, unter anderem beim Erlernen einer künstlichen Grammatik. Gleichwohl führen rein implizite Lernprozesse nicht immer zu einer optimalen Performanz: Spracherwerb ist zwar - wie beispielsweise K ERZ / W IECH - MANN / R IEDEL (2017) für künstliche Artikel in englischsprachigen Geschichten nach- 34 Ralf Weskamp DOI 10.2357/ FLuL-2019-0018 48 (2019) • Heft 2 weisen konnten - ohne Lernintention und ohne Bewusstsein darüber möglich, dass etwas gelernt wurde; allerdings schnitten in ihrer Studie diejenigen Probanden besser ab, die sich Gedanken über die Regelhaftigkeit der künstlichen Artikel gemacht hatten. Forschungsmethodologisch ist es jedoch selbst unter kontrollierten Laborbedingungen schwierig, valide Aussagen darüber zu treffen, ob ausschließlich implizites Wissen erworben wird oder ob nicht doch explizites Wissen eine Rolle spielt bzw. ob explizites Wissen und implizites Wissen parallel aufgebaut werden und zum Testzeitpunkt das explizite Wissen lediglich verloren gegangen ist (vgl. D E K EYSER 2003). P ARADIS (2004) weist darauf hin, dass beim L1-Erwerb zunächst implizites, später explizites Wissen erworben wird und dass dies beim FS-Erwerb umgekehrt ist. Dass Kleinkinder Sprache nicht explizit erlernen, ist der Hirnentwicklung geschuldet. In den ersten drei Lebensjahren basiert die Sprachverarbeitung ausschließlich auf bottom-up-Prozessen, die unbewusst und automatisiert verlaufen, bevor bewusst kontrollierbare und nicht gänzlich automatisierte top-down-Prozesse hinzukommen (vgl. S KEIDE / F RIEDRICI 2016). Im schulischen Kontext wirken sich zwei andere Aspekte aus: die bereits vorhandene L1 und die dominierende Lehr-/ Lernmethodik. Die L1 gilt als Ressource, auf die Lernen aufbaut und die sowohl von Lehrkräften als auch von den Lernenden genutzt werden sollte. Was die Lehr-/ Lernmethodik angeht, so hat L ICHTMANN (2013) gezeigt, dass ein ganzheitlicher, auf Lesen und Storytelling basierender Unterricht bei Kindern und jungen Erwachsenen eher zu implizitem, während ein vornehmlich grammatisches Curriculum eher zu explizitem Wissen führt. Ob dies generell für offene Unterrichtsformen gilt, erscheint allerdings fraglich, weil gerade diese Lernarrangements einen hohen expliziten Anteil haben: In D AMS (1995) Konzept des autonomen FSU spielt die Evaluation des eigenen Lernprozesses eine zentrale Rolle ebenso wie in W ESKAMPS (2003) entwicklungsorientierten Modell Lern- und Kompensationsstrategien, zu denen auch Übersetzungen eigener fremdsprachlicher Texte in die L1 zählen, die die Lernenden als Verstehenshilfen für Mitschüler anfertigen. Im eigentlich immersiv konzipierten FSU ab Klasse 1 in Baden-Württemberg stellte die Begleitforschung fest, dass Kinder explizite Hypothesen über die Funktionsweise von Sprache bilden. Deshalb sprechen W ERLEN et al. (2008: 14) von „immersiv-reflexivem“ Lernen. Sprachmittlung erfolgt im Unterricht idealerweise anhand einer Lernaufgabe, wie sie oben exemplarisch formuliert wurde. Kognitionspsychologisch handelt es sich dabei um Problemlösungen, das heißt, die Aufgabe ist auf ein Ziel (fremdsprachliches Produkt) gerichtet, erfordert Nachdenken und benötigt zusätzliches Wissen, zum Beispiel über Lexik, über Grammatik, über die Diskursstruktur von Texten oder über Strategien. Explizite, bewusste Kognition setzt aber immer auch implizite, unbewusste Prozesse in Gang, wie sie generell beim Schreiben und Lesen auftreten (vgl. B AARS 1997). Zur Lösung von Lernaufgaben wird sowohl explizites als auch implizites sprachliches Wissen abgerufen. Gleichzeitig entsteht durch das Anwenden von Lösungsstrategien, durch Nachschlagen oder durch die Kommunikation mit Mitschülern und Lehrkräften neues explizites Wissen. Implizites Wissen wird dabei inzidentell aufgebaut, gewissermaßen als Nebeneffekt. Dient Sprachmittlung dem Fremdsprachenerwerb? 35 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0018 Wenig erforscht ist, wie implizites und explizites Gedächtnis bei Sprachmittlungsaufgaben zusammenspielen und wie Expertise erreicht wird. Gerade im Anfangsunterricht kann man davon ausgehen, dass zunächst explizites Wissen aufgebaut wird. Wenn die Lernenden beispielsweise Mitschüler in der L1 befragen, um ein Klassenposter über Hobbies in der FS zu erstellen, so findet explizites Lernen statt: Die Kinder verwenden ein Wörterbuch, sehen im Schulbuch nach oder fragen die Lehrkraft nach einer Übersetzung und schreiben das Ergebnis auf das Poster. Erfordert eine solche Aufgabe nur Lexik, ist sie mit Hilfsmitteln lösbar. Problematischer ist die Produktion grammatischer Strukturen: Lernende erwerben die FS in bestimmten Stufen, die durch Unterricht nicht verändert oder übersprungen werden können (vgl. P IENEMANN 1998). Erzwingt die Aufgabe Strukturen, die noch nicht erworben wurden, kann dies zur Vermeidung und zum Fossilisieren der Interlanguage führen (vgl. D IEHL et al. 2000). Mit wachsender Sprachkompetenz wird dieses Problem geringer, weil das im impliziten Gedächtnis gespeicherte Sprachwissen zunimmt und generell verfügbar ist, also auch während der Sprachmittlung. Wie dann Wissen aus dem expliziten oder impliziten Gedächtnis abgerufen und in diesem gespeichert wird, lässt sich durch die Aufgabenstellung beeinflussen. Im Hinblick auf explizite Prozesse kann die Aufgabe die Aufmerksamkeit auf bestimmte Aspekte der Sprachmittlung richten wie notwendige grammatische Strukturen oder Sprachmittlungsstrategien (vgl. hierzu S TATHOPOU - LOUS [2015: 93f.] „inventory of mediation strategies“). Durch Zeitvorgaben lässt sich steuern, ob eher implizites Wissen oder explizites Wissen abgerufen wird. So wird auch in Studiengängen zum Dolmetschen typischerweise zunächst konsekutives Dolmetschen geübt, bevor man zum Simultandolmetschen kommt. Probanden, die ein solches Training durchlaufen haben, sind sich häufig nicht mehr bewusst, dass sie eine andere Sprache sprechen, als sie hören, und zeigen im fMRT-Scan eine Verringerung der Hirnaktivität, die darauf hindeutet, dass Prozesse nicht nur automatisiert wurden, sondern auch zu implizitem Wissen geführt haben (vgl. H ERVAIS -A DELMAN / M OSER - M ERCER / G OLESTANI 2015). Im Vergleich zu anderen Aufgaben sind Sprachmittlungsaufgaben deutlich komplexer. Während in monolingualen Aufgaben ein Rückgriff auf die L1 eher zufällig oder bedarfsorientiert erfolgt, ist Bilingualität in der Sprachmittlung systematisch angelegt. Dabei müssen die Lerner sich der Funktion von Vokabular, Morphologie, Phonologie, Syntax und Diskurs in beiden Sprachen bewusst werden, wobei die L1 bereits implizit gut verankert und automatisiert ist, während der Gebrauch der FS eher auf explizites Wissen angewiesen ist, das mehr oder weniger schnell abgerufen werden kann. In beiden Sprachen ist aber ein hohes Maß an Sprachbewusstheit erforderlich, intrasprachlich wie intersprachlich. Die Lernenden erkennen, dass eine Sprache niemals eine exakte Reproduktion der anderen sein kann und dass sich hieraus besondere Fehlerquellen ergeben: Unterschiede, die man nicht erkannt hat, scheinbare Gemeinsamkeiten, Überschneidungen, false friends. Wenn Lernende den L1-Text rezipieren, dann müssen sie ihn verstehen und interpretieren und diese Interpretation in der FS sprachlich fassen. Hierbei wird sprachübergreifend explizites Wissen abge- 36 Ralf Weskamp DOI 10.2357/ FLuL-2019-0018 48 (2019) • Heft 2 rufen und gespeichert, aber es ist auch ein hohes Maß an implizitem Wissen notwendig, um überhaupt mit der FS flexibel umgehen zu können. 5. Prinzip „Lernen durch Interaktion“ Während die bisher betrachteten Prinzipien des Spracherwerbs das Individuum in den Blick nehmen, gibt es verschiedene Hinweise darauf, dass Spracherwerb nicht ohne interpersonale Kommunikation auskommt. Für die Phonetik wurde beim L1-Erwerb von Kleinkindern nachgewiesen, dass Videos im Gegensatz zu menschlicher Interaktion nicht zum Lernen beitragen (vgl. K UHL / T SAO / L IU 2003). Ähnlich geht man beim schulischen FS-Erwerb davon aus, dass in der Interaktion symbolische Mediationsprozesse stattfinden, durch die Lernende die nächste Entwicklungsstufe schneller erreichen können. In diesem Zusammenhang spricht die soziokulturelle Spracherwerbstheorie von scaffolding, das durch Lehrkräfte, Mitschüler, Materialien, aber auch durch die L1 geleistet werden könne (vgl. L ANTOLF 2000). In der Interaktion werden Lernende angeregt, ihre sprachlichen Äußerungen zu modifizieren und so gegenseitiges Verstehen zu optimieren (vgl. P ICA 1994). Betrachtet man Sprachmittlungsaufgaben, so scheinen sie auf den ersten Blick wenig dialogisch zu sein. Selbst beim Dolmetschen kommt es nicht wirklich zu einem Austausch, sondern es werden lediglich Sprachen übertragen. Insbesondere S NYDER O HTA (2000) konnte jedoch nachweisen, dass gerade solche Aufgaben zu negotiation und scaffolding führen. Dabei hat sie zwei junge Erwachsene beobachtet, wie diese bei einer Übersetzungsaufgabe kooperieren, deren Dialog transkribiert und im Hinblick auf scaffolding analysiert. Die beiden Lerner zeigten eine hohe Motivation, voranzukommen und gemeinsam Schwierigkeiten zu lösen, wobei es der fortgeschrittenen Probandin (Hal) gelang, ihre Partnerin (Becky) so zu unterstützen, dass diese immer dann gezielte Hilfe bekam, wenn sie sie benötigte. Diese auf das Entwicklungslevel zugeschnittene Unterstützung bewirkte, dass Becky die im Zentrum der Aufgabe stehende grammatische Struktur zunehmend sicher beherrschte und selbstständig Fehler erkannte und korrigierte. Ob Sprachmittlung zum Spracherwerb durch Interaktion beiträgt, hängt sicherlich von der Aufgabenstellung ab und wie Lernende diese Aufgabenstellung tatsächlich umsetzen. Hal und Becky haben nicht allein agiert, sondern sprachliche Probleme gemeinsam gelöst. Mediationsaufgaben zeigen besonders gut, dass Interaktion nicht nur auf inhaltlicher Ebene möglich ist, sondern auch im Hinblick auf sprachliche Phänomene. Die Bearbeitung einer Sprachmittlungsaufgabe in Partner- oder Gruppenarbeit, aber auch mit der Lehrkraft, kann dazu führen, dass Lerner stärker auf Sprache fokussieren, dass sie Lücken in ihrer Interlanguage entdecken, dass sie sprachliche Formen üben, die ihnen bisher unbekannt waren oder die sie nur lückenhaft beherrschen und dass sie gemeinsam zu einer „Grammatikalisierung“ von Ideen in der FS gelangen, die sie in der L1 entwickelt oder aus einem Text übernommen haben. Man kann hier eine Analogie zur Feedback-Forschung herstellen, die gezeigt hat, dass Dient Sprachmittlung dem Fremdsprachenerwerb? 37 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0018 Nachfragen (prompts) und ausdrückliche Korrekturen mit oder ohne metasprachliche Unterweisung dazu beitragen, dass Lernende Fehler selbst beheben und dass so Sprachrichtigkeit gefördert wird (vgl. L YSTER / S AITO / S ATO 2013). 6. Ergebnis und Ausblick Sprachmittlung ist ein sehr komplexes, auf Problemlösung zielendes Aufgabenformat, das textuelles Wissen sowohl in der L1 als auch in der FS erfordert. Der Fokus liegt zwar auf dem Inhalt, aber die Lernenden müssen Wissen darüber erwerben, wie die formale Struktur eines Textes im Hinblick auf seine Absicht variiert. Mit anderen Worten: Indem sie sich mit Texten in der L1 und in der FS auseinandersetzen und unterschiedliche Makrostrukturen (Genre) und Mikrostrukturen (Syntax, textbildende Regularitäten) kennenlernen und anwenden, sind sie in der Lage, zwischen den Sprachen kompetent zu mitteln. Im Hinblick auf die aufgestellten Hypothesen lassen sich folgende Antworten formulieren: Hypothese (a) kann zurückgewiesen werden: Die Analyse verschiedener Erwerbsprinzipien hat gezeigt, dass Sprachmittlungsaufgaben positiven Einfluss auf den Erwerb einer FS im schulischen Kontext haben können. Auch Hypothese (b) lässt sich nicht halten, weil Sprachmittlungsaufgaben zumindest indirekt Input zulassen und bereits erworbenes implizites Wissen bei der Sprachmittlung abgerufen wird. Außerdem kann durch das regelmäßige Üben, insbesondere unter Zeitdruck, auch implizites Wissen entstehen. Unterstützt wird Hypothese (c), allerdings ist der Einfluss der Sprachmittlung auf verschiedene Spracherwerbsmechanismen unterschiedlich hoch. Sprachmittlung ist gut geeignet, um den Spracherwerb durch Output und explizites Lernen zu fördern. In der Interaktion ist sie ein gutes Format, um den Fokus auf die sprachliche Form zu richten und die Sprachrichtigkeit durch Lehrer- oder Peerfeedback zu entwickeln. Problematisch ist die Tatsache, dass Sprachmittlung in der Regel von L1-Texten ausgeht und somit zu einer Reduzierung des Input und damit auch des impliziten Lernens führt. Sprachmittlungsaufgaben - insbesondere Übersetzungen - erfordern in der Regel viel Unterrichtszeit. Dabei muss man bedenken, dass die FS durch dieselben neuronalen Prinzipien erworben und in denselben Hirnregionen verarbeitet wie die L1. In beiden Fällen entsteht beim erfolgreichen Spracherwerb implizites, hochautomatisiertes Wissen (vgl. K OTZ 2009). Dies gelingt nicht durch metakognitive Auseinandersetzung, sondern vor allem durch Übung in der FS. Es ist bisher nicht empirisch erforscht, ob Sprachmittlung einen ähnlichen indirekt-positiven Effekt auf den Spracherwerb hat wie form-focussed instruction und in welchem Verhältnis Sprachmittlungsaufgaben zu anderen Aufgaben stehen sollten, um schulischen FS-Erwerb zu optimieren. Trotz dieser Vorbehalte ist die Frage, ob es besser wäre, ganz auf Sprachmittlung zu verzichten, auch aus Sicht der Spracherwerbsforschung nach dem jetzigen Kenntnisstand zu verneinen. Es sind nun weitere, grundlegende empirische Studien erfor- 38 Ralf Weskamp DOI 10.2357/ FLuL-2019-0018 48 (2019) • Heft 2 derlich, die Spracherwerbsaufgaben im Unterricht nicht nur theoretisch-konzeptionell betrachten. Sprachmittlung muss als Variable im FSU definiert werden, um zu untersuchen, wie erfolgreich FSU beim Vorhandensein oder bei Abwesenheit dieser Variable ist. Den Anfang könnte eine Longitudinalstudie mit zwei Lerngruppen machen, wobei in der einen Lerngruppe Sprachmittlung angeboten wird, während in der Vergleichsgruppe kommunikativer FSU ohne Sprachmittlung stattfindet. Durch Tests wird das Kompetenzniveau und die Sprachlernfähigkeit (aptitude) der einzelnen Lernenden erhoben, um Cluster zu bilden. Innerhalb dieser homogenen Gruppen kann dann der Einfluss der Sprachmittlung nach einem Lernjahr erneut durch einen Kompetenztest erhoben werden. Aus dem Ergebnis lassen sich weitere Forschungsfragen ableiten, etwa im Hinblick auf die Form der Sprachmittlung (mündlich/ schriftlich), auf den unterrichtlichen Anteil, auf das Alter der Lernenden oder auf die Bedeutung eines Strategietrainings. Literatur A BENDROTH -T IMMER , Dagmar / P LIKAT , Jochen (2017): „Sprachmittlung − Warum gute Praxis gute Theorie braucht“. In: Hispanorama 155, 10-16. B AARS , Bernard J. (1997): In the Theatre of Consciousness. The Workspace of the Mind. Oxford: Oxford UP. B EACCO , Jean-Claude / B YRAM , Michael (2007): From Linguistic Diversity to Plurilingual Education. Guide for the Development of Language Education Policies. Strasbourg: Council of Europe. B UTZKAMM , Wolfgang (1973): Aufgeklärte Einsprachigkeit. Zur Entdogmatisierung der Methode im Fremdsprachenunterricht. Heidelberg: Quelle & Meyer. B UTZKAMM , Wolfgang / C ALDWELL , John A.W. (2009): The Bilingual Reform. A Paradigm Shift in Foreign Language Teaching. Tübingen: Narr. C ASPARI , Daniela (2013): „Sprachmittlung als kommunikative Situation. Eine Aufgabentypologie als Anstoß zur Weiterentwicklung eines Sprachmittlungsmodells“. In: R EIMANN , Daniel / R ÖSSLER , Andrea (Hrsg.): Sprachmittlung im Fremdsprachenunterricht. Romanische Fremdsprachenforschung und Unterrichtsentwicklung, Bd. 1. Tübingen: Narr, 27-43. C OOK , Guy (2010): Translation in Language Teaching. Oxford: Oxford UP. C OUNCIL OF E UROPE (2002): Common European Framework of Reference for Languages. Learning, Teaching, Assessment. Cambridge: Cambridge UP. C UMMINS , Jim / S WAIN , Merrill (1986): Bilingualism in Education. Aspects of Theory, Research, and Practice. London: Longman. D AM , Leni (1995): From Theory to Classroom Practice. Learner Autonomy, 3. Dublin: Authentik. D E K EYSER , Robert (2003): „Implicit and explicit learning“. In: D OUGHTY , Catherine J. / L ONG , Michael H. (Hrsg.): The Handbook of Second Language Acquisition. Malden, MA: Blackwell, 313-348. D IEHL , Erika / C HRISTEN , Helen / L EUENBERGER , Sandra / P ELVAT , Isabelle / S TUDER , Thérèse (2000): Grammatikunterricht: Alles für der [sic! ] Katz? Untersuchungen zum Zweitsprachenerwerb Deutsch. Tübingen: Niemeyer. E LLIS , Rod (2003): Task-based Language Learning and Teaching. Oxford: Oxford UP. E LLIS , Rod (2005): „Principles of Instructed Language Learning“. In: System 33, 209-224. Dient Sprachmittlung dem Fremdsprachenerwerb? 39 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0018 E LLIS , Rod ( 2 2008): The Study of Second Language Acquisition. Oxford: Oxford UP. G NUTZMANN , Claus (2009): „Translation as language awareness. Overburdening or enriching the (foreign) language classroom? “ In: W ITTE , Arnd / H ARDEN , Theo / R AMOS DE O LIVEIRA , Alessandra (Hrsg.): Translation in Second Language Learning and Teaching. Bern: Lang, 53-78. H ERVAIS -A DELMAN , Alexis / M OSER -M ERCER , Barbara / G OLESTANI , Narly (2015): „Brain functional plasticity associated with the emergence of expertise in extreme language control“. In: NeuroImage 114, 264-274. K ERZ , Elma / W IECHMANN , Daniel / R IEDEL , Florian B. (2017): „Implicit learning in the crowd: Investigating the role of awareness in the acquisition of L2 knowledge“. In: Studies in Second Language Acquisition 39, 711-734. K ÖNIGS , Frank G. (2015): „Sprachen lernen - Sprachen mitteln: Warum das eine nicht ohne das andere geht“. In: N IED C URCIO , Martina / K ATELHÖN , Peggy / B AŜIĆ , Ivana (Hrsg.): Sprachmittlung - Mediation - Mediazione linguistica. Ein deutsch-italienischer Dialog. Berlin: Frank & Timme, 29-40. K OTZ , Sonja A. (2009): „A critical review of ERP and fMRI evidence on L2 syntactic processing“. In: Brain & Language 109, 68-74. K RASHEN , Stephen (1985): The Input Hypothesis. Issues and Implications. London: Longman. K UHL , Patricia K. (2004): „Early language acquisition: Cracking the speech code“. In: Nature Reviews Neuroscience 5, 831-843. K UHL , Patricia K. / T SAO, Feng-Ming / L IU, Huei-Mei (2003): „Foreign-language experience in infancy: Effects of short-term exposure and social interaction on phonetic learning“. In: PNAS 100.15, 9096-9101. L ANTOLF , James P. (2000): „Second language learning as a mediated process“. In: Language Teaching 33, 79-96. L ICHTMAN , Karen (2013): „Developmental comparisons of implicit and explicit language learning“. In: Language Acquisition 20.2, 93-108. L IEBSCHER , Grit / D AILEY -OʼC AIN , Jennifer (2005): „Learner code-switching in the content-based Foreign language classroom“. In: The Modern Language Journal 89.2, 234-247. L ITTLE , David / K IRWAN , Déirdre (2018): „From plurilingual repertoires to language awareness: Developing primary pupils’ proficiency in the language of schooling“. In: H ÉLOT , Christine / F RIJNS , Carolien / VAN G ORP , Koen / S IERENS , Sven (Hrsg.): Language Awareness in Multilingual Classrooms in Europe. From Theory to Practice. Contributions to the Sociology of Language, 109. Boston: De Gruyter, 169-206. L YSTER , Roy / S AITO , Kazuya / S ATO , Masatoshi (2013): „Oral corrective feedback in second language classrooms“. In: Language Teaching 46.1, 1-40. O LMEDO , Irma M. (2003): „Language mediation among emergent bilingual children“. In: Linguistics and Education 14.2, 143-162. P ARADIS , Michel (2004): A Neurolinguistic Theory of Bilingualism. Studies in Bilingualism, 18. Amsterdam: Benjamins. P ICA , Teresa (1994): „Research on negotiation: What does it reveal about second-language learning conditions, processes, and outcomes? “ In: Language Learning 44.3, 493-527. P IENEMANN , Manfred (1998): Language Processing and Second Language Development. Processability Theory. Amsterdam: Benjamins. R OBINSON , Peter (2001): „Task complexity, cognitive resources, and syllabus design: A triadic framework for examining task influence on SLA“. In: R OBINSON , Peter (Hrsg.): Cognition and Second Language Instruction. Cambridge: Cambridge UP, 287-318. R ÖSSLER , Andrea (2008): „Die sechste Fertigkeit? Zum didaktischen Potenzial von Sprachmittlungs- 40 Ralf Weskamp DOI 10.2357/ FLuL-2019-0018 48 (2019) • Heft 2 aufgaben im Französischunterricht“. In: Zeitschrift für romanische Sprachen und ihre Didaktik 2.1, 53-77. S HEHADEH , Ali (2002): „Comprehensible output, from occurrence to acquisition: An agenda for acquisitional research“. In: Language Learning 52.3, 597-647. S KEIDE , Michael A. / F RIEDERICI , Angela D. (2016): „The Ontogeny of the Cortical Language Network“. In: Nature Reviews Neuroscience 17, 323-332. S NYDER O HTA , Amy (2000): „Rethinking interaction in SLA: Developmentally appropriate assistance in the zone of proximal development and the acquisition of L2 grammar“. In: L ANTOLF , James P. (Hrsg.): Sociocultural Theory and Second Language Learning. Oxford: Oxford UP, 51-78. S TATHOPOULOU , Maria (2015): Cross-Language Mediation in Foreign Language Teaching and Testing. Bristol: Multilingual Matters. S TEINER , George (1975): After Babel. Aspects of Language and Translation. Oxford: Oxford UP. W ERLEN , Erika / C ROT , Christine / H AUNSS , Jeanette / M ANZ , Stephanie / M ÉRON -M INUTH , Sylvie / W ESKAMP , Ralf (2008): Schlussbericht der Wissenschaftlichen Begleitung WiBe der Pilotphase Fremdsprache in der Grundschule. Zielsprache Englisch und Zielsprache Französisch. Stuttgart: Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg. W ESKAMP , Ralf (2003): Fremdsprachenunterricht entwickeln. Grundschule - Sekundarstufe I - Gymnasiale Oberstufe. Hannover: Schroedel-Diesterweg-Klinkhardt. W ESKAMP , Ralf (2004): „Aufgaben im fremdsprachlichen Unterricht“. In: Praxis Fremdsprachenunterricht 1, 162-170. W ESKAMP , Ralf (2007): Mehrsprachigkeit. Sprachevolution, kognitive Sprachverarbeitung und schulischer Fremdsprachenerwerb. Braunschweig: Schroedel-Diesterweg-Klinkhardt. W ESKAMP , Ralf (2010): „Narrativik und Spracherwerb - Literatur im fremdsprachlichen Unterricht“. Die Neueren Sprachen. Jahrbuch 1, 77-89. 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0019 L ENA K ROGMEIER * Bewertung interkultureller Kompetenz durch schriftliche Sprachmittlungsaufgaben Deutsch - Spanisch Abstract. Successful mediation requires Intercultural Competence (IC): Knowledge of one's own and foreign cultures, language behavior appropriate to the target group and situation, and tolerant attitudes help the mediator to facilitate communication between languages and cultures. In foreign language didactics, therefore, IC should also be evaluated through mediation tasks. Since mediation is examined in written form e.g. in central school examinations (Abitur) throughout Germany, one must ask which intercultural competencies can be assessed in a written format. The article analyses a) grading scales to illustrate problems and differences in the evaluation of IC between federal states and b) written students’ responses to illustrate the qualitative differences between the students’ attempts at mediation. 1. Einleitung R ÖSSLER (2008: 67) bezeichnet Sprachmittlung unter Bezug auf H ALLET (1995) als „Sonder- und Glücksfall interkulturellen Lernens“, zumal diese „das direkte In-den- Dialog-Treten von Eigenem und Fremden“ (ebd.) erfordere und „der Sprecher hier das Aufeinandertreffen der Rollen des Muttersprachlers und des Fremdsprachlers in seiner Person nicht bloß passiv erlebt, sondern auch in beiden Rollen agiert“ (H ALLET 1995: 292). Folglich wurden in verschiedenen Arbeiten Schnittstellen zwischen Sprachmittlung und interkultureller Kompetenz, basierend auf B YRAM s (1997) vielfach zitiertem und allgemein anerkannten Model of Intercultural Communicative Competence bestimmt (z.B. E NGBERS / S ENKBEIL 2011; S EIDEL 2012) bzw. (inter-)kulturelle Kompetenz als Teilkompetenz von Sprachmittlung definiert (H ALLET 2008; K OLB 2016; R ÖSSLER 2009) sowie Kriterien zur Konstruktion von Sprachmittlungsaufgaben aufgestellt, um interkulturelle Kompetenz bestmöglich zu fördern (C AS - PARI / S CHINSCHKE 2010). * Korrespondenzadresse: Lena K ROGMEIER , M.Ed., Leibniz Universität Hannover, Romanisches Seminar, Didaktik des Spanischen, Königsworther Platz 1, 30167 H ANNOVER E-Mail: krogmeier@romanistik.phil.uni-hannover.de Arbeitsbereiche: Sprachmittlung, Schreibkompetenz, Evaluation 42 Lena Krogmeier DOI 10.2357/ FLuL-2019-0019 48 (2019) • Heft 2 2. Die interkulturelle Kompetenz des Sprachmittlers Ausgehend von B YRAM s Kernbereichen interkultureller kommunikativer Kompetenz, auf die häufig zur Bestimmung von Schnittstellen mit Sprachmittlungskompetenz rekurriert wird (z.B. E NGBERS / S ENKBEIL 2011; G RÜNEWALD 2012; S EIDEL 2012), steht ein/ e SprachmittlerIn im Bereich Wissen (savoir) vor den folgenden Anforderungen: Er/ sie benötigt mit K OLB (2016: 172) und K UPSCH -L OSEREIT (2003) (sprach-)kulturspezifisches Wissen über eigene und fremde Kulturen und zwar in den Bereichen Sach-/ Denotatswissen, kulturspezifische Realia und symbolische Bedeutungen. Unter Sach-/ Denotatswissen versteht K UPSCH -L OSEREIT (2003) Lexeme, deren kulturelle Bedeutung in verschiedenen Sprachen nicht deckungsgleich ist (z.B. dt. ‚Kaffee‘ und sp. café); kulturspezifische Realia bezeichnen landeskundliches bzw. enzyklopädisches Wissen wie z.B. Besonderheiten in Bereichen wie Institutionen, Kleidung, Geographie, Kunst, Nahrung usw.; unterschiedliche symbolische Bedeutungen werden je nach Kultur beispielsweise mit Farben, Blumen oder Tieren assoziiert (z.B. ‚Sie trug Trauerkleidung‘ deswegen als Übersetzung von ‚Sie trug schwarz‘). Kulturspezifika beziehen sich mit B IRK (2008: 101f.) einerseits auf diese „realen Inkongruenzen“ (landeskundliche Spezifika), andererseits gelten kommunikativ-prozedurale und textuelle Inkongruenzen in der Übersetzungswissenschaft als Übersetzungshürden. Während kommunikativ-prozedurale Inkongruenzen z.B. gesellschaftliche Normen, Umgangsformen oder Rollen betreffen, sind mit textuellen Inkongruenzen kulturelle Unterschiede hinsichtlich Textmuster, Textsorten etc. gemeint. Dabei hält Birk die Überwindung „realer Inkongruenzen“ unter Anwendung landeskundlichen Wissens für verhältnismäßig „[e]infach, weil besonders evident in ihrer spezifischen Problematik“ (B IRK 2008: 103). Hilfreich wäre jedoch eine Konkretisierung, über welches (sprach-)kulturspezifische Wissen die Schüler(innen) nicht nur in „der fremden“, sondern auch in „der eigenen“ Kultur verfügen sollten, erscheint es doch etwas unangemessen anzunehmen, dass diese über eine homogene „eigenkulturelle“ Expertise verfügen. A BENDROTH -T IMMER / P LIKAT (2017: 11) kritisieren in diesem Zusammenhang, dass Sprachmittlungsaufgaben häufig unausgesprochen homogenisierende Kulturbegriffe in der Tradition des Herderschen Kugelmodells zugrunde gelegt werden. Im Hinblick auf textuelle Inkongruenzen zwischen Kulturen gibt A DAMZIK (2005: 212) aus textlinguistischer Perspektive zu bedenken, dass kulturbzw. sprachspezifische Textsorten - insbesondere im alltäglichen Sprachgebrauch - eher die Ausnahme seien. Es sei weiterhin „überaus schwierig und auch problematisch, hier [im Sprachgebrauch des Alltags, Anm. L. K.] Kulturspezifika auszumachen. Denn ebenso wie eine Sprache kein einheitliches Ganzes ist, muss man auch die Kultur einer Gesellschaft/ Sprachgemeinschaft als komplexes Gefüge verschiedener Subkulturen ansehen“ (ebd.). Deshalb ist es beispielsweise schwierig, der in der schriftlichen Sprachmittlung des Fremdsprachenunterrichts häufigen Zieltextsorte 1 E-Mail (über die übli- 1 Aus textlinguistischer Perspektive stuft Z IEGLER (2002) die E-Mail hauptsächlich aufgrund deren Bewertung interkultureller Kompetenz durch schriftliche Sprachmittlungsaufgaben 43 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0019 chen Begrüßungsformeln hinausgehende) kulturspezifische Merkmale zuzuweisen, wobei auch schon innerhalb des deutschen und spanischen Sprachraums verschiedene Variationen auszumachen sind. Interessant sind dahingehend auch F ETSCHER s Beobachtungen zu Nähe- und Distanzkonzepten in deutsch-spanischer E-Mail-Kommunikation an der Hochschule: Sie lässt von Muttersprachlern die Höflichkeit in E-Mails einschätzen und kommt zu dem Ergebnis, dass diese Einschätzungen „widersprüchlich (vielleicht eher ‚voneinander abweichend‘) sein können“ und „natürlich immer auch noch weitere Variablen eine Rolle spielen, wie z.B. Regionalsprache, sozialer Status, spezifische Gruppenzugehörigkeiten, Interaktionsgeschichte u.a.“ (F ETSCHER 2015: 89). Bedenkenswert ist ferner die Tatsache, dass die (angemessene) Verwendung von Höflichkeits- und Anredeformeln auch in Deutschland einem stetigen Wandel unterliegt und je nach situativem Kontext variieren kann. Aufgrund dieser Komplexität und der fehlenden Forschung auf dem Gebiet sprach- und kulturspezifischer Gewohnheiten scheinen laut S IEPMANN (2013: 198) die in der Fremdsprachendidaktik geforderten „Ziele wohl an den tatsächlichen Möglichkeiten des Fremdsprachenunterrichts vorbeizugehen“. Er fordert deshalb „entweder eine Kanonisierung […] oder eine Ausrichtung der Prüfungen auf ein vorher genau bestimmtes, im Unterricht zu besprechendes Teilsystem“ (ebd.: 199). Eine gelungene Sprachmittlung bedarf auf diesem (sprach-)kulturspezifischen Wissen aufbauend eines adressaten- und situationsadäquaten (sprachlichen) Handelns. Dazu muss das (sprach-)kulturspezifische Vorwissen der Adressaten antizipiert und mit der Ausgangskultur verglichen werden, um „die Aussage des Ausgangstextes an den Vorwissensstand des in einer abweichenden Kulturgemeinschaft aufgewachsenen Zieltext-Empfängers zu kompensieren“ (B IRK 2002: 101). Gegebenenfalls müssen inhaltliche Anpassungen vorgenommen werden, um das Verständnis zu gewährleisten, Konflikte oder Missverständnisse im Vorhinein zu verhindern oder im Nachhinein zu entschärfen. In der Übersetzungswissenschaft gängige Verfahren zur Überwindung „realer Inkongruenzen“ sind • explikative Verfahren (Erklärungen in Form von Fußnoten oder Kommentierungen), • paraphrasierende Verfahren, • referenzielle Verfahren (ähnlicher Referenzausdruck in der anderen Sprache, z.B. sp. bachillerato für dt. ‚gymnasiale Oberstufe‘) und • modifizierende Verfahren (Anpassen oder Auslassen bestimmter Textteile im Hinblick auf die Verständlichkeit, z.B. „sie trug Trauerkleidung“ anstatt „sie trug schwarz“) (B IRK 2008: 105 mit Bezug auf S TOLZE 1999). Multifunktionalität nicht als Textsorte, sondern als Kommunikationsform ein. Jedoch wird sowohl im Volksmund als auch in bildungspolitischen und fremdsprachendidaktischen Veröffentlichungen im Zusammenhang mit E-Mail von Textsorte gesprochen. Zur terminologischen Unklarheit des Begriffes „Textsorte“ vgl. auch A DAMZIK (2005: 210f.). 44 Lena Krogmeier DOI 10.2357/ FLuL-2019-0019 48 (2019) • Heft 2 Fremdsprachendidaktische Publikationen differenzieren häufig nicht zwischen Kompensationsstrategien zur Überwindung der eigenen sprachlichen Begrenztheit und Strategien zur Überwindung kulturell bedingter Inkongruenzen (z.B. C ASPARI / S CHINSCHKE 2010; P HILLIP / R AUCH 2014; R ÖSSLER 2009). Das Spektrum umfasst Erklärungen, Paraphrasen, sprachliche Simplifizierungen, die Verwendung von Quasi-Synonymen, Antonymen, Hypo- und Hyperonymen, Beispielsätzen, Wortneuschöpfungen, Internationalismen usw. Im Vergleich zu den o.g. übersetzungswissenschaftlichen Verfahren scheint hier ein deutlich größerer Spielraum bzgl. einer Abweichung vom Ausgangstext gegeben zu sein. 3. Bewertung interkultureller Kompetenz durch schriftliche Sprachmittlungsaufgaben in der Sekundarstufe II Angesichts der o.g. Schnittstellen zwischen interkultureller Kompetenz und Sprachmittlung erhofft man sich auch gute Möglichkeiten zur Evaluation interkultureller Kompetenzen durch Sprachmittlungsaufgaben (vgl. C ASPARI / S CHINSCHKE 2010: 30; K OLB 2016: 86). Offen bleibt bisher jedoch die Frage, inwiefern interkulturelle Kompetenzen in der aktuellen Evaluationspraxis in Sprachmittlungsaufgaben tatsächlich berücksichtigt und bewertet werden (können). Diese Frage stellt sich insbesondere für die schriftliche Sprachmittlung (in die Fremdsprache), die in den meisten Bundesländern spätestens seit 2017 obligatorischer Bestandteil der Abiturprüfungen ist. 3.1 Der interkulturelle Kontext in schriftlichen Aufgabenstellungen Einige Bundesländer schließen sich den Anforderungen an Sprachmittlungsaufgaben zur Förderung interkultureller Kompetenz von C ASPARI / S CHINSCHKE (2010) weitgehend an: Sie fordern eine möglichst authentische kontextuelle Einbettung mit Angaben zu Adressaten, geforderter Zieltextsorte und häufig auch das Hinzufügen von für das Verständnis notwendigen Erläuterungen. Als Zieltextsorte dominiert die informelle E-Mail bisher deutlich, was angesichts dreier Vorteile wenig überrascht: Sie erlaubt eine genauere Definition der Adressaten als die Alternativen Blogeintrag und Artikel 2 , die an eine breitere Leserschaft gerichtet sind. Dies erleichtert einen Perspektivwechsel sowie die Einschätzung inhaltlichen und sprachlichen Vorwissens. Zweitens ist die E-Mail z.B. im Vergleich zum Zeitungsartikel eine wenig komplexe Textsorte, mit der die Schüler(innen) vertraut sind und die deshalb im kurzen Zeitfenster des Aufgabenteils Sprachmittlung in der Abiturprüfung 3 zu bewältigen ist; kom- 2 Welche Art von Artikel verfasst werden soll, ist je nach Bundesland unterschiedlich, z.B. Artikel für die Schülerzeitung in Hamburg (LI 2017), Zeitungsartikel in Bremen (S ENATORIN 2015) oder nicht weiter spezifiziert in Niedersachen (N IBIS 2015). 3 Für die Bearbeitung der Sprachmittlungsaufgabe stehen meist 60 Minuten zur Verfügung (vgl. E NGEL - HARDT / S OMMERFELDT 2016: 38). Bewertung interkultureller Kompetenz durch schriftliche Sprachmittlungsaufgaben 45 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0019 munikativ-prozedurale und textuelle Inkongruenzen mit den Lernenden bereits bekannten privaten E-Mails sind, wie oben bereits erwähnt, kaum definierbar. Drittens dient als Ausgangstext oft ein Zeitungsartikel; will man also der häufigen - durchaus auch hinterfragbaren (vgl. K OLB 2016: 147) - Forderung nach einem Textsortenwechsel (z.B. P FEIFFER 2013: 52; E NGELHARDT / S OMMERFELDT 2016: 38) nachkommen, bleiben wenige Alternativen 4 zur E-Mail, da der Ausgangstext ansonsten zu wenig umgestaltet werden würde. Unterschiedlich gehen die Bundesländer bislang allerdings mit der Frage nach der Thematik des deutschen Ausgangstextes um: Soll dieser eher eigenkulturelle Phänomene oder Thematiken der Zielkultur(en) behandeln? So greift Niedersachsen in Beispielaufgaben auf Textgrundlagen zurück, die eigenkulturelle Phänomene in den Vordergrund stellen (N IBIS 2015), während sich die Aufgabenbeispiele in NRW an den inhaltlichen (fremdkulturellen) Schwerpunktsetzungen der Abiturvorgaben orientieren (Q UA - LIS NRW). K OLB (2016: 173) konstatiert in diesem Zusammenhang eine Divergenz zwischen der realen Sprachmittlungssituation, in der „der Sprachmittler sicher häufig eher als Experte zu seiner Ausgangskultur wahrgenommen“ wird und der Tradition des Fremdsprachenunterrichts sowie der Motivation der Lernenden, die fremdsprachliche Kultur zu thematisieren. Auch könnte man annehmen, dass den Schüler(inne)n die Sprachmittlung in fremdkulturelle Kontexte leichter falle, weil deren - „möglicherweise unterbewusste[s] - Wissen über die Ausgangskultur immer größer sein [wird] als dasjenige der Zielkultur“ (ebd.). Dieses Wissen über Ausgangs- und Zielkultur, deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede brauchen Schüler(innen), um „zu erkennen, welche zusätzlichen Informationen und Erklärungen die Adressaten ggf. benötigen, um die Inhalte der Sprachmittlung angemessen verstehen zu können“ (LISUM 2016: 6 mit Bezug auf C ASPARI / S CHINSCHKE 2017: 183). Dies wiederum zeigt sich darin, dass sie „Strategien wie Umschreibungen, Erläuterungen oder Analogiebildung sowie Neologismen“ anwenden oder „wenn sie/ er entscheidet, dass man bestimmte kulturspezifische Begriffe des deutschen Textes in der Zielsprache nicht verwenden kann“ (ebd.: 7). Wenn von „kulturspezifischen Begriffen“ die Rede ist, handelt es sich um „reale Inkongruenzen“ im o.g. Sinne, während beispielsweise Unterschiede im Umgang mit dem Adressaten zu den kommunikativ-prozeduralen Inkongruenzen zu zählen wären. Ebenso wie bei textuellen Inkongruenzen muss man sich jedoch auch für kommunikativ-prozedurale Inkongruenzen die Frage stellen, inwiefern diese in schriftlichen Sprachmittlungsaufgaben, wie sie aktuell in Klausuren der Sekundarstufe II eingesetzt werden, tatsächlich relevant sind. Wenn man bedenkt, dass sich Umgangsformen und Textkonventionen zwischen ‚deutschen‘ und ‚spanischen‘ E-Mails im privaten Bereich, in Berichten, Artikeln für die Schülerzeitung oder Blogeinträgen vergleichsweise wenig voneinander unterscheiden bzw. von vielen 4 E NGELHARDT / S OMMERFELDT (2016: 38f.) reduzieren mögliche Zieltextsorten auf den formellen oder informellen Brief / E-Mail, Artikel für die Schülerzeitschrift und das Redeskript, da kaum mehr Situationen existieren würden, in denen Schüler(innen) realistischerweise schriftlich sprachmitteln müssten. In einigen Bundesländern ist auch ein informativer Blogeintrag als geeignete Zieltextsorte vorgesehen. 46 Lena Krogmeier DOI 10.2357/ FLuL-2019-0019 48 (2019) • Heft 2 anderen situativen Faktoren abhängen, kann davon ausgegangen werden, dass sie im Vergleich zu „realen Inkongruenzen“ - aufgrund der Schwierigkeit, erstere in schriftlicher Kommunikation überhaupt aufzuspüren - durchaus zu Recht eine sehr untergeordnete Rolle spielen. 3.2 Bewertungskriterien Analog zu der Feststellung, dass sich interkulturelle Kompetenz in schriftlicher Sprachmittlung besonders in der Bewältigung realer Inkongruenzen niederschlägt, haben einige Bundesländer ein entsprechendes Kriterium in ihre Kriterienraster aufgenommen: So sollen in Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern 5 in Anlehnung an die für Englisch länderübergreifend entwickelte Bewertungsmatrix (Musteraufgaben 2012) kulturspezifische Besonderheiten (allerdings für Spanisch nur auf erhöhtem Niveau) „treffend und prägnant formuliert“ werden (LI 2017: 65). Jedoch haben andere Bundesländer für den Spanischunterricht eigene Kriterienraster entwickelt und sogar für den Englischunterricht verwenden einige Bundesländer weiter ihre eigenen Bewertungskriterien (K OLB 2014: 94 f.). So werden in NRW (QUA-L I S) im Gegensatz zu Hamburg auch schon im neu einsetzenden Grundkurs Spanisch oder der fortgeführten Einführungsphase „ggf. für das Verstehen erforderliche Erläuterungen“ erwartet (Hervorhebung i.O.). In Niedersachsen sollen im Fach Spanisch inhaltlich ggf. „relevante kulturspezifische Erläuterungen präzise formuliert [werden], wie z.B. die Erklärung von Eigennamen oder kulturspezifischen Begriffen“ (NIBIS 2017: 5). Ebenso wie in Niedersachsen werden auch in Bayern nur bei sehr guten und guten Leistungen für das Verstehen erforderliche Erläuterungen vorausgesetzt. In Berlin sollen „relevante kulturspezifische Aspekte treffend berücksichtigt“ werden (BBB 2016) und in Bremen, wo explizit in Sprachmittlungsaufgaben auf Leistungskursniveau „neben den Standards zur Sprachmittlung häufig auch Standards zur Interkulturellen kommunikativen Kompetenz überprüft werden“, wird das Hinzufügen von für das Verstehen erforderlichen Erläuterungen erwartet (S ENATORIN 2015: 10; Hervorhebung i.O.). Am ausführlichsten unter allen fremdsprachendidaktischen Publikationen, die sich mit der Evaluation von Sprachmittlungskompetenz befassen, beschreibt R EIMANN (2015: 73) die inter- und transkulturelle Leistung zur Bewertung schriftlicher Sprachmittlungskompetenz (schriftlich  schriftlich) für die Höchstpunktzahl: „Sehr gute kulturelle Kenntnisse und Fertigkeiten in den an der Kommunikation beteiligten Kulturen gewährleisten, ggf. mit sehr treffenden kulturbezogenen Erläuterungen und Ergänzungen, die Kommunikation zwischen den beteiligten Kulturen (transkulturelle Kommunikation in Form von Sprach- und Kulturmittlung) in jeder Hinsicht“ (Hervorhebung i.O.). Auch hier spielen die (allerdings nur gegebenenfalls auf- 5 In Mecklenburg-Vorpommern gilt diese Formulierung für die schriftlich-schriftliche Sprachmittlung ins Englische. Im Fach Spanisch wird Sprachmittlung in Verbindung mit der Überprüfung des Hörverstehens in der Fremdsprache geprüft (IQ M-V 2018). Bewertung interkultureller Kompetenz durch schriftliche Sprachmittlungsaufgaben 47 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0019 tretenden) kulturbezogenen Erläuterungen eigentlich eine sehr prominente Rolle, sind es doch genau diese, in denen sich eine gelungene Kommunikation sowie gute kulturelle Kenntnisse überhaupt erst zeigen und somit evaluieren lassen. Auf R EIMANN s Deskriptoren basiert auch ein in Schleswig-Holstein entwickeltes Kriterienraster (E NGELHARDT / S OMMERFELDT 2016), das jedoch „interaktionale und interkulturelle Bewältigung“ in einer Kategorie zusammenfasst und darunter u.a. die kulturspezifisch notwendigen Erläuterungen fasst. Betrachtet man die Kriterienraster derjenigen Bundesländer genauer, in denen dieses Kriterium explizit bewertet wird, fallen Unstimmigkeiten darüber auf, a) was es genau umfasst, b) auf welchem Anforderungsniveau es bewertet werden sollte, c) ab welcher Punktzahl es bewertet werden sollte und d) wie es abgestuft werden kann (s. Tabelle 1): Geht es um kulturspezifische oder - allgemeiner - für das Verstehen erforderliche Erläuterungen von bestimmten Aspekten/ Besonderheiten/ Begriffen, die in ihrer Qualität und/ oder Quantität für alle, nur einige Notenstufen oder überhaupt nicht abgestuft werden sollen bzw. können? Eine Konkretisierung der Schülerlösungen wäre für eine bessere Einschätzung dieser Fragen hilfreich und einer objektiveren Bewertung zuträglich. Land 15-13 Punkte 12-10 Punkte 9-7 Punkte 6-4 Punkte 3-1 Punkte 0 Punkte Bayern wo nötig Hinzufügen von für das interkulturelle Verstehen erforderlichen Erläuterungen Das Kriterium wird auf diesen Notenstufen nicht mehr bewertet. Berlin treffend nachvollziehbar gelegentlich wenig angemessen kaum nicht Bremen 6 präzise, überaus zielführend nachvollziehbar, zielführend im Wesentlilichen nachvollziehbar, teils zielführend ansatzweise gegeben, teils missverständlich bzw. nicht zielführend missverständlich, nicht zielführend keine bzw. irrelevante kulturspezifische Erläuterungen Niedersach- Sen präzise nachvollziehbar keine keine keine keine NRW Keine Abstufung Sachsen- Anhalt überzeugend nachvollziehbar gelegentlich wenig angemessen kaum Berücksichtigung keine Berücksichtigung 6 Anders als in den übrigen hier dargestellten Kriterienrastern, die auf einer Punkteskala von 0-15 Punkten basieren, werden in Bremen Bewertungseinheiten von 0-10 zugrunde gelegt. Dennoch werden alle Kriterien 6-mal abgestuft, sodass die Abstufung mit den übrigen Skalen vergleichbar ist. 48 Lena Krogmeier DOI 10.2357/ FLuL-2019-0019 48 (2019) • Heft 2 Land 15-13 Punkte 12-10 Punkte 9-7 Punkte 6-4 Punkte 3-1 Punkte 0 Punkte Schleswig- Holstein stets zielführend und korrekt meist zielführend und korrekt im Wesentlichen zielführend und korrekt teils vorhanden und nachvollziehbar in Ansätzen vorhanden, kaum nachvollziehbar nicht vorhanden Länderübergreifende Bewertungsmatrix treffend, prägnant nachvollziehbar einige nachvollziehbar nur wenige missverständlich fehlen Tab. 1: Deskriptoren der Länder zur Bewertung des Kriteriums „kulturspezifische“/ „für das Verstehen erforderliche“ Erläuterungen/ Aspekte 4. Adressatengerechte Erläuterungen in Schülerlösungen Zur konkreteren Formulierung der Deskriptoren bedarf es der Antwort auf die Frage, inwiefern Spanischschüler(innen) in der Lage sind, in schriftlichen Szenarien erklärungsrelevante Begriffe zu erkennen und zu erläutern. Und weiter: Was unterscheidet dann die Erläuterungen voneinander, sodass eine Bewertung im Sinne einer Punktevergabe möglich ist? Um diese Fragen zu beantworten wurden Schülerlösungen durch 3 unabhängige Beurteiler (darunter die unterrichtende Lehrkraft, eine weitere Lehrkraft und die Autorin) mithilfe eines Kriterienrasters (K ROGMEIER 2017) bewertet und die Schülerlösungen im Hinblick auf das Kriterium „adressatengerechte Erläuterungen“ analysiert. Diese allgemeinere Bezeichnung erscheint im Vergleich zu „kulturspezifisch“ besser gerechtfertigt, weil sie erstens nicht davon ausgeht, dass der/ die AdressatIn einer bestimmten Nationalkultur angehört und zweitens mehr Spielraum für die Gründe für eine Erläuterung lässt (z.B. Alter, individuelle thematische oder sprachliche Vorkenntnisse usw.). 4.1 Datengrundlage und Aufgabenstellung Als Datengrundlage dienten 39 Schülerlösungen aus zwei niedersächsischen Spanischkursen der fortgeführten Einführungsphase (EF) im 5. Lernjahr. Die Ausgangstextsorte war ein Artikel des Handelsblattes mit dem Titel „Mexiko-Stadt verbannt Plastiktüten“, der das Verbot der kostenlosen Ausgabe von Plastiktüten in Supermärkten in Mexiko-Stadt, Alternativen zur Plastiktüte und Reaktionen auf das Verbot thematisiert. Die zwischen Autorin und Lehrkräften zuvor abgesprochene Aufgabenstellung lautete: Ihr ehemaliger Spanischaustauschschüler Pablo beabsichtigt in der Plastikindustrie in Mexiko-Stadt zu arbeiten. Er möchte gerne wissen, wie sich die Situation der Plastikindustrie dort darstellt. Bewertung interkultureller Kompetenz durch schriftliche Sprachmittlungsaufgaben 49 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0019 Bei seiner Recherche stieß er auch auf einen deutschen Zeitungsartikel. Dieser scheint ihm helfen zu können, jedoch haben seine Deutschkenntnisse erheblich nachgelassen, so dass er nur wenig versteht und beispielsweise nichts mit den Begriffen „Tante-Emma-Läden“ und „Jutetasche“ anfangen kann. Da Sie ihm helfen möchten, vermitteln Sie ihm die entsprechenden Informationen in der Form einer E-Mail. Sprechen Sie auch eine kurze Empfehlung aus, ob er sich in der Plastikindustrie von Mexiko-Stadt bewerben sollte. Da die unterrichtenden Lehrkräfte der EF befürchteten, dass ihre Schüler(innen) von sich aus keine adressatengerechten Erläuterungen vornehmen würden, wurde auf das fehlende Vorwissen des Adressaten in Bezug auf die Begriffe ‚Tante-Emma-Laden‘ und ‚Jutetasche‘ explizit in der Aufgabenstellung hingewiesen, sodass das Erkennen dieser kulturspezifischen Begriffe keine Eigenleistung darstellte. Die Begriffe werden im Ausgangstext nicht erläutert, sondern als verständlich vorausgesetzt. Im Wörterbuch (hier www.pons.de) erhält man für ‚Jutetasche‘ keinen spanischen Eintrag; für ‚Tante-Emma-Laden‘ die Paraphrase tienda de la esquina. Bemerkenswert ist zudem, dass im deutschen Ausgangstext ein zielkulturelles Thema behandelt wird und der Autor des Zeitungsartikels mit den genannten eigenkulturellen Begriffen versucht, die mexikanische Situation zu beschreiben. Die Begriffe stellen dadurch bereits deutsche Übersetzungen zielkultureller Phänomene dar, die von den Schüler(inne)n wieder zurück übersetzt werden müssen - ein Anlass, die Verwendung zielkultureller Ausgangstexte für die Sprachmittlung in die Fremdsprache zu hinterfragen. 4.2 Bewertung des Kriteriums „adressatengerechte Erläuterung“ Im Rahmen einer Klausur für die o.g. Lerngruppe hat die Autorin auf der Basis der bis dato 7 bestehenden Bewertungsbögen (s. Abschnitt 3.2) das folgende Kriterium zur Bewertung adressatengerechter Erläuterungen entwickelt: „Der Schüler/ die Schülerin erläutert für den Adressaten erklärungsrelevante Begriffe/ Themen durchgehend.“ Da die sachliche Korrektheit aller inhaltlichen Ausführungen, einschließlich der Erläuterungen, separat bewertet wurde, konzentrierte sich dieses Kriterium ursprünglich auf die Quantität der Erläuterungen und wurde analog zu den sechs Notenstufen mit „größtenteils“, „gelegentlich“, „nur zum Teil“, „kaum“ und „keine“ abgestuft. Da im Bewertungsprozess jedoch die separate Bewertung von Qualität und Quantität als wenig sinnvoll erachtet wurde, bezogen die Beurteiler immer auch die Qualität der Erläuterung mit in die Bewertung des Kriteriums ein. In 35 der 39 Schülerarbeiten ist eine Erläuterung oder Paraphrase von mindestens einem der Begriffe erkennbar. Die Beispiele 8 in Tabelle 2 (  S. 51f.) veranschaulichen verschiedene Lösungsansätze abgestuft nach Punkten (15-0), wobei für jede Notenstufe je zwei Beispiele ausgewählt wurden, bei deren Bewertung die drei Beurteiler weitgehend übereinstimmten. 7 Die Klausur wurde im Frühjahr 2016 geschrieben. 8 Sprachliche Fehler in den Beispielen sind originalgetreu übernommen worden. 50 Lena Krogmeier DOI 10.2357/ FLuL-2019-0019 48 (2019) • Heft 2 Eine deskriptive Analyse in Abhängigkeit der Notenstufen zeigt, dass sich die Erläuterungen der Schüler(innen) hinsichtlich der folgenden Kategorien unterscheiden: • Anzahl der erläuterten Begriffe: zwei - einer - keiner • Explizitheit: explizite Erläuterung - beiläufige Paraphrase • Soziokulturelles Wissen der SuS über den (deutschen) Begriff (implizit) • Korrektheit: korrekt - missverständlich - falsch • Präzision: präzise - nachvollziehbar - (sehr) allgemein • Ausführlichkeit: ausführlich (mehrere Eigenschaften werden genannt) - verkürzte Bedeutungsübertragung • Bezugnahme auf die Wissenslücke des Adressaten - keine Bezugnahme • Verständlichkeit: nicht beeinträchtigt - beeinträchtigt Bei der Abstufung dieser Kategorien fällt auf, dass sie schwerlich auf sechs Stufen so genau definiert werden können, dass die Zuteilung einer Schülerlösung eindeutig wäre; zwischen den Schülerlösungen mit der Note ‚ausreichend‘ und ‚mangelhaft‘ sind kaum nennenswerte Unterschiede erkennbar. Vielmehr können qualitative Gegensatzpaare beobachtet werden, die durch quantitative Deskriptoren abgestuft werden könnten (vgl. Tabelle 1 [  S. 47f.]: stets, meist, einige, gelegentlich, wenige, teils vorhanden), vorausgesetzt, der Ausgangstext enthielte so viele zu erläuternde Aspekte, dass dies Sinn ergäbe. Ein Blick in den hier verwendeten Ausgangstext, aber auch in die Beispieltexte, -aufgaben und Erwartungshorizonte der Bundesländer verrät jedoch, dass oft keine oder nur eine einzige kulturspezifische Erläuterung erwartet wird, sodass eine quantitative Abstufung nicht sinnvoll erscheint. Bewertung interkultureller Kompetenz durch schriftliche Sprachmittlungsaufgaben 51 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0019 Punkte R1 R2 R3 Adressatengerechte Erläuterung / Paraphrase „Tante-Emma-Laden“ und „Jutetasche“ 15-13 14 14 14 (A3) „Has preguntado que un Tante-Emma-Laden es. Eso es una tienda muy pequeña que es cerca de tu apartamento. Allí se pueden comprar muchas cosas diferentes como en un supermercado .” (A3) „Jutetasche“ es la palabra alemana para bolsas de tela. Se pueden usarlas muchas vezes y son buenísimo para la naturaleza.” 13 13 14 (A17) Has preguntado sobre los “Tante-Emma-Läden” que eran pequeñas tiendas en alemaña en que podias comprar todas cosas que necesitan, pero no hay “Tante-Emma-Läden” en alemaña ahora y no estaba en un “Tante-Emma-Laden” nunca. (A17) Un “Jutebeutel” es una bolsa de tejido que es mas cara como una bolsa de plástico. 12-10 13 9 11 (B10) Los “Tante-Emma-Läden” son las tiendas pequeñas en las esquinas que venden patatas y otras cosas. (B10) En unos supermercados especiales en la ciudad, solo venden bolsas telas. Es casi como una “Jutetasche” 11 9 10 (A4) Tante-Emma-Läden, tiendas dónde se puede recibir todo (A4) Has querido saber que son los “Jutetaschen”. Esas son las nuevas bolsas. El material es otro de plástico y muy importante: ecológico. 9-7 9 10 8 (B2) Tante-Emma-Läden estan supermercados con todos. (B2) […] Jutebeutel, bolsas de algodón. 8 9 7 (B6) “Tante-Emma-Läden” son tiendas pequeñas dondes puedes comprar unas cosas y que están cerca de tu casa. 6-4 7 6 5 (B8) La regla prieve que la gente usa bolsas que puedes usar más de una vez. [...] un supermercado o otras tiendas [...] 7 5 5 (A20) “Tante-Emma-Läden” que eran negocios pequeñas 3-1 0 1 3 (B5) Además los mercados venden otras bolsas que son muy stabilico de otro bolsas y muy bien por la contaminación, pero ellos costar 1,40 Euro [...] 3 0 1 (A8) Pero los habitantes usan bolsas differentes. Son bolsas que los habitantes usan no solo un vez. 0 Beide Aspekte werden nicht erwähnt. Punkte Beschreibung der Qualität und Quantität 15-13 • Beide Begriffe werden explizit erläutert, d.h. (in Anführungszeichen) genannt und in einem Satz oder Nebensatz erläutert. • Die Erläuterungen sind - entsprechend des zu erwartenden Wissens der SuS - korrekt und präzise. • Die Erläuterungen sind ausführlich, ggf. wird mehr als eine Eigenschaft des Begriffes genannt. 52 Lena Krogmeier DOI 10.2357/ FLuL-2019-0019 48 (2019) • Heft 2 Punkte Beschreibung der Qualität und Quantität 15-13 • Teilweise wird auf die Wissenslücke des Adressaten Bezug genommen. • Die Erläuterungen enthalten sprachliche Ungenauigkeiten, die das Verständnis nicht beeinträchtigen. 12-10 • Beide Begriffe werden explizit erläutert, d.h. (in Anführungszeichen) genannt und in einem Satz oder Nebensatz erläutert. • Die Erläuterungen sind - entsprechend des zu erwartenden Wissens der SuS - meist korrekt und nachvollziehbar (z.B. kann man im Tante-Emma-Laden nicht alles erhalten). • Die Erläuterungen sind teilweise ausführlich, es wird jeweils mindestens eine Eigenschaft des Begriffes genannt. • Teilweise wird auf die Wissenslücke des Adressaten Bezug genommen. • Die Erläuterungen enthalten sprachliche Ungenauigkeiten, die das Verständnis nicht wesentlich beeinträchtigen („otro de plástico“ anstelle von „otro que plástico“; „bolsas telas“ anstatt „bolsas de tela“). 9-7 • Mindestens einer der beiden Begriffe wird explizit erläutert. • Die Erläuterung(en) ist / sind - entsprechend des zu erwartenden Wissens der SuS - meist korrekt (z.B. kann man im Tante-Emma-Laden nicht alles erhalten) und nachvollziehbar („tiendas pequeñas“; „bolsas de algodón“). • Die Erläuterung(en) überträgt / übertragen die Bedeutung teilweise verkürzt. • Die Erläuterung(en) enthält / enthalten sprachliche Ungenauigkeiten, die das Verständnis teilweise beeinträchtigen („supermercados con todos“ anstelle von „un supermercado donde hay de todo“). 6-4 • Mindestens einer der beiden Begriffe wird explizit erläutert oder beiläufig umschrieben. • Die Erläuterung(en) ist / sind teilweise missverständlich oder sehr allgemein („otras tiendas“; bei „bolsas que puedes usar más de una vez“ kann es sich auch um Plastiktüten handeln). • Die Erläuterung(en) überträgt / übertragen die Bedeutung verkürzt. • Die Erläuterung(en) enthält / enthalten sprachliche Ungenauigkeiten, die das Verständnis beeinträchtigen („prieve“ anstatt „quiere“). 3-1 • Einer der beiden Begriffe wird beiläufig umschrieben. • Die Umschreibung ist missverständlich / falsch oder sehr allgemein (z.T. deshalb unklar, ob Jutebeutel oder biologisch abbaubare Plastiktüten gemeint sind). • Sprachliche Einschränkungen beeinträchtigen das Verständnis. 0 Beide Aspekte werden nicht erwähnt. Tab. 2: Darstellung der Schülerlösungen 5. Fazit Der Beitrag hat gezeigt, dass sich die Bewertung interkultureller Kompetenz durch schriftliche Sprachmittlungsaufgaben in aktuell gängigen Prüfungsformaten weitgehend auf die Bewältigung „realer Inkongruenzen“ beschränkt. Die Analyse der Bewertung interkultureller Kompetenz durch schriftliche Sprachmittlungsaufgaben 53 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0019 Bewertungskriterien konnte zudem Unklarheiten bzgl. der Definition und Abstufung des entsprechenden Kriteriums verdeutlichen, welche durch die Darstellung der Schülerlösungen teilweise behoben werden können. Dennoch erscheint eine 6-stufige Punkteskala sowohl im Hinblick auf qualitative als auch auf quantitative Merkmale zu kleinschrittig. Zudem kann interkulturelles Wissen ohne vorherige Thematisierung im Unterricht nicht bei allen Schüler(inne)n gleichermaßen vorausgesetzt werden. Wie bzw. ob eine angemessene unterrichtliche Vorbereitung bei der Individualität eines jeden Ausgangstextes und der Vielfalt kultureller Inkongruenzen überhaupt geleistet werden kann, ist eine der Fragen, die es noch zu klären gilt. Literatur A BENDROTH -T IMMER , Dagmar / P LIKAT , Jochen (2017): „Sprachmittlung - Warum gute Praxis gute Theorie braucht“. In: Hispanorama 155, 10-16. A DAMZIK , Kirsten (2005): „Textsorten im Fremdsprachenunterricht - Theorie und Praxis“. In: A DAMZIK , Kirsten / K RAUSE , Wolf-Dieter (Hrsg.): Text-Arbeiten. Textsorten im fremd- und muttersprachlichen Unterricht an Schule und Hochschule. Tübingen: Narr, 205-237. B IRK , Andrea Meta (2008): „Sprachmittlung als Kulturmittlung. Kulturspezifika als Möglichkeiten interkultureller Sensibilisierungsprozesse im Rahmen des Übersetzungsunterrichts“. In: daf- Werkstatt „Übersetzen / Tradurre“ 11-12, 99-107. B YRAM , Michael (1997): Teaching and Assessing Intercultural Communicative Competence. Clevedon: Multilingual Matters. C ASPARI , Daniela / S CHINSCHKE , Andrea (2010): „Sprachmittlungsaufgaben gestalten. Zum interkulturellen Potenzial von Sprachmittlung“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Französisch 108, 30-33. E NGBERS , Simona / S ENKBEIL , Karsten (2011): „Materialien zur Schulung interkultureller Kompetenz durch Sprachmittlungsaktivitäten. Eine Unterrichtsreihe für die 8. Klasse“. In: Forum Sprache 6, 90-105. E NGELHARDT , Nina / S OMMERFELDT , Kathrin (2016): „Schriftliche Sprachmittlung als Prüfungsformat“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Spanisch 53, 36-41. F ETSCHER , D ORIS (2015): „Nähe oder Distanz? Unsicherheiten in deutsch-spanischen E-Mail Kommunikationen an der Hochschule“. In: D A S ILVA , Vasco / R ÖSSLER , Andrea (Hrsg.): Sprachen im Dialog. Festschrift für Gabriele Berkenbusch. Berlin: edition tranvía, 73-91. G RÜNEWALD , Andreas (2012): „Förderung interkultureller Kompetenz durch Lernaufgaben“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 41.1, 54-71. H ALLET , Wolfgang (1995): „Interkulturelle Kommunikation durch kommunikatives Übersetzen. Lernziele des Übersetzens im schulischen Englischunterricht“. In: B EYER , Manfred / D ILLER , Hans-Jürgen / K ORNELIUS , Joachim / O TTO , Erwin / S TRATMANN , Gerd (Hrsg.): Realities of Translating. Heidelberg: Winter, 277-312. H ALLET , Wolfgang (2008): „Zwischen Sprachen und Kulturen vermitteln. Interlinguale Kommunikation als Aufgabe“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 41, 2-7. K OLB , E LISABETH (2014): „Sprachmittlung länderspezifisch oder länderübergreifend prüfen“. In: F ÄCKE , Christiane / R OST -R OTH , Martina / T HALER , Engelbert (Hrsg.): Sprachenausbildung - Sprachen bilden aus - Bildung aus Sprachen. Baltmannsweiler: Schneider, 91-100. 54 Lena Krogmeier DOI 10.2357/ FLuL-2019-0019 48 (2019) • Heft 2 K OLB , Elisabeth (2016): Sprachmittlung. Studien zur Modellierung einer komplexen Kompetenz. Münster/ New York: Waxmann. K ROGMEIER , Lena (2017): „Schriftliche Sprachmittlung fördern und evaluieren“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Spanisch 56, 2-9. K UPSCH -L OSEREIT , Sigrid (2003): „Die kulturelle Kompetenz des Translators“. https: / / bit.ly/ 2UKb19a (23.04.2019). „Mexiko-Stadt verbannt Plastiktüten“. http: / / blog.handelsblatt.com/ global-reporting/ 2010/ 08/ 24/ mexiko-stadt-verbannt-plastiktuten/ #more-638915 (04.02.2016). P FEIFFER , Alexander (2013): „Was ist eine sinnvolle Sprachmittlungsaufgabe? Ein Instrument zur Evaluation und Erstellung von Aufgaben für den Fremdsprachenunterricht“. In: R EIMANN , Daniel / R ÖSSLER , Andrea (Hrsg.): Sprachmittlung im Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Narr, 44-64. P HILLIP , Elke / R AUCH , Kerstin (2014): „Sprachmittlung - neue Herausforderungen für die Sekundarstufe II“. In: Französisch heute 45, 12-18. R EIMANN , Daniel (2015): „Diagnose und Evaluation von Sprachmittlungskompetenz“. In: B AŠIĆ , Ivana / K ATELHÖN , Peggy / N IED C URCIO , Martina (Hrsg.): Sprachmittlung - Mediation - Mediazione linguistica. Ein deutsch-italienischer Dialog. Berlin: Frank&Timme, 65-98. R ÖSSLER , Andrea (2008): „Die sechste Fertigkeit? Zum didaktischen Potenzial von Sprachmittlungsaufgaben im Französischunterricht“. In: Zeitschrift für Romanische Sprachen und ihre Didaktik 2.1, 53-77. R ÖSSLER , Andrea (2009): „Strategisch sprachmitteln im Spanischunterricht“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 38, 158-174. S EIDEL , Juliane (2012): Das Potenzial der Kompetenz Sprachmittlung zur Förderung der interkulturellen Kompetenz im Italienischunterricht. https: / / bit.ly/ 2FRCoua (19.02.19). S IEPMANN , Dirk (2013): „Sprachmitteln im Fremdsprachenunterricht: eine kritische Bestandsaufnahme aus übersetzungswissenschaftlicher Sicht und Vorschläge für eine verbesserte Praxis“. In: B ÜRGEL , Christoph / S IEPMANN , Dirk (Hrsg.): Sprachwissenschaft - Fremdsprachendidaktik: Neue Impulse. Baltmannsweiler: Schneider, 189-208. Z IEGLER , Arne (2002): „E-Mail - Textsorte oder Kommunikationsform? Eine textlinguistische Annäherung“. In: Z IEGLER , Arne / D ÜRSCHEID , Christa (Hrsg.): Kommunikationsform E-Mail. Tübingen: Stauffenburg, 9-32. Handreichungen der Bundesländer Bayern: ISB (2017): Bewertung von Sprachmittlungsaufgaben in den modernen Fremdsprachen. https: / / bit.ly/ 2IjZPyR (18.02.19). Berlin-BB: BBB (2016): Kriterien für die inhaltliche Bewertung (= 40%) schriftlicher Arbeiten in der Qualifikationsphase für Englisch und Französisch. https: / / bit.ly/ 2Lyljdf (09.05.19). Berlin-BB: LISUM (2016): Hinweise und Beispielaufgaben für die Sprachmittlung in Englisch und Französisch zur Vorbereitung auf die schriftlichen Prüfungen im Zentralabitur ab 2017. https: / / bit.ly/ 2DP9GY7 (09.05.19). Bremen: D IE S ENATORIN FÜR K INDER UND B ILDUNG (2015): Moderne Fremdsprachen. Handreichungen zu den Abiturrichtlinien vom 01. Oktober 2015. https: / / bit.ly/ 2X6UBKd (18.02.19). Hamburg: LI H AMBURG (2017): Sprachmittlung im Spanischunterricht. Materialien für Jahrgang 10 an Gymnasien und die Studienstufe. https: / / bit.ly/ 2Xai0dZ (18.02.19). Mecklenburg-Vorpommern: (IQ M-V) (2018): Vorabhinweise zum Abitur 2020. https: / / bit.ly/ 2UZQtOK (29.04.19). Bewertung interkultureller Kompetenz durch schriftliche Sprachmittlungsaufgaben 55 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0019 Musteraufgaben 2012: B AYERISCHES S TAATSMINISTERIUM FÜR U NTERRICHT UND K ULTUS / B E - HÖRDE FÜR S CHULE UND B ERUFSBILDUNG H AMBURG / M INISTERIUM FÜR B ILDUNG , W ISSEN - SCHAFT UND K ULTUR DES L ANDES M ECKLENBURG -V ORPOMMERN / N IEDERSÄCHSISCHES K ULTUSMINISTERIUM / S ÄCHSISCHES S TAATSMINISTERIUM FÜR K ULTUS UND S PORT / M INIS - TERIUM FÜR B ILDUNG UND K ULTUR S CHLESWIG -H OLSTEIN (Hrsg.) (2012): Musteraufgaben für das Fach Englisch zur Vorbereitung auf die länderübergreifende Abiturprüfung 2014. https: / / bit.ly/ 2DAHeKc (29.04.19). Niedersachsen: NIBIS (2015): Musteraufgaben für das Fach Spanisch. Sprachmittlung. https: / / bit.ly/ 2SFnvTf (18.02.19). Niedersachsen: NIBIS (2017): Kombinierte Aufgaben in den fortgeführten modernen Fremdsprachen Englisch, Französisch und Spanisch im Zentralabitur 2019 und 2020. Anlage 2: Skala zur Bewertung der inhaltlichen Leistung. https: / / bit.ly/ 2Vq9om1 (09.05.19). NRW (2017): Konstruktionshinweise. Neue Aufgabenformate in den modernen Fremdsprachen. https: / / bit.ly/ 2GOzVRB (18.02.19). NRW QUA-L I S: Hinweise und Beispiele zur standardorientierten Unterrichtsentwicklung im Fach Spanisch. https: / / bit.ly/ 2S5zJzr (18.02.19). Sachsen-Anhalt: (BLSA) (2017): Allgemeine Kriterien für die inhaltliche Bewertung schriftlicher Arbeiten in der Qualifikationsphase. Aufgabe zur Sprachmittlung. https: / / bit.ly/ 2W9Qz2T (29.04.2019). Schleswig-Holstein: M INISTERIUM FÜR B ILDUNG , W ISSENSCHAFT UND K ULTUR (2017): Bewertungsbogen schriftliche Sprachmittlung Deutsch - Fremdsprache. https: / / bit.ly/ 2TUfSVE (18.02.19). DOI 10.2357/ FLuL-2019-0020 48 (2019) • Heft 2 M ARTINA L IEDKE -G ÖBEL * Sprachmittlungskompetenz im Deutschunterricht fördern Abstract. The article focuses on translation skills as part of a multilingual L1 curriculum. It is argued that mediation competence depends to a large degree on translation awareness, a competence which is connected to, but distinct from linguistic competence and language awareness. While the latter focuses on the ability to map linguistic means to linguistic functions, goals, and situations of language usage, translation awareness encompasses the reflection on different strategies of crosslinguistic transfer while taking into account different needs and necessities, including those of a third party. As a bundle of key competences, translation awareness should be taught in the L1 as well as in the L2 classroom, thus enhancing language education through a multilingual methodological approach. The article suggests some exercises that help students develop translation awareness without presupposing bilingual competences or a multilingual background at home. 1. Sprachmittlungskompetenz als Teil des L1-Curriculums der Post- Migrationsgesellschaft Als ‚fünfte Fertigkeit‘ oder ‚vierte sprachliche Aktivität‘ wird das Sprachmitteln bislang vor allem für den schulischen Fremdsprachenunterricht diskutiert (vgl. K OLB 2016; N IED CURCIO / K ATELHÖN / B AŠIC 2015; R EIMANN / R ÖSSLER 2013). Dabei geht es um den Einsatz von Aufgaben, die ausgehend von einer möglichst realitätsnahen Situation zur sinngemäßen mündlichen oder schriftlichen Übertragung aus der oder in die Zielsprache auffordern. Sprachmittlungsaufgaben bieten Anwendungsszenarios für fremdsprachliche Kenntnisse und werden mit Sprachbewusstheit (language awareness) in Zusammenhang gebracht. Sie können dazu beitragen, dass Lernende sprachliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede, gegebenenfalls auch kulturelle Besonderheiten reflektieren. Der vorliegende Beitrag plädiert dafür, Sprachmittlungsaufgaben als didaktischen Zugang auch für den Deutschunterricht nutzbar zu machen. Den Hintergrund der Überlegungen bilden Bildungserfordernisse einer Gesellschaft, die durch zunehmende Mehrsprachigkeit gekennzeichnet ist. So können in einer deutschen Schul- * Korrespondenzadresse: Dr. Martina L IEDKE - GÖBEL , Ludwig-Maximilians-Universität München, Ludwigstr. 27/ I, 80539 M ÜNCHEN E-Mail: liedke@daf.lmu.de Arbeitsbereiche: Deutsch als Fremdsprache, Linguistik, Didaktik Sprachmittlungskompetenz im Deutschunterricht fördern 57 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0020 klasse heutzutage durchaus mehr als 20 Erstsprachen vertreten sein. Eine 2009 an Wiener Schulen durchgeführte Studie, in der rund 20.000 Schülerinnen und Schüler befragt wurden, erfasste 110 verschiedene Familiensprachen (B RIZIĆ / L O H UFNAGL 2011). 56% der Lernenden gaben an, im Alltag mehr als eine Sprache zu sprechen. 14% der Befragten wuchsen nach eigenen Angaben dreisprachig, einige Lernende sogar vier- oder fünfsprachig auf. In vielen Fällen sprechen sie Sprachen, die nicht im Repertoire der schulischen Fremdsprachen vertreten sind. Allerdings ist ein so genannter ‚Migrationshintergrund‘ nicht immer mit guten Sprachkenntnissen in der vermeintlichen ‚Herkunftssprache‘ verbunden (vgl. H ARR / L IEDKE / R IEHL 2018). Vielmehr erweist sich die Förderung der verschiedenen Familiensprachen als weitere Aufgabe der Spracherziehung. Der Plurilingualität der Post-Migrationsgesellschaft entsprechen neue Ansätze und Lernziele auch für den schulischen Deutschunterricht (vgl. H ARR / L IEDKE / R IEHL 2018; R IEHL / B LANCO L ÓPEZ 2018). Der Übergang zum Förderunterricht Deutsch als Zweitsprache gestaltet sich dabei nicht nur aus organisatorischen Gründen oft als fließend: Die lebensweltliche Mehrsprachigkeit führt dazu, dass die sprachlichen Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern stark divergieren können. Überlegungen zur Erst-, Zweit- und Fremdsprachendidaktik rücken daher gegenwärtig in einer sprachenübergreifenden Mehrsprachigkeitsdidaktik näher aneinander (vgl. auch A UGER 2009; J ESKE 2013; S CHÄDLICH 2016). R EICH / K RUMM entwerfen ein Mehrsprachigkeitscurriculum, das Lernziele für die Primarstufe bis hin zur beruflichen Bildung nennt und die Lernenden dazu befähigen soll, „sich in der heutigen Welt sprachlicher Vielfalt zu orientieren, sich selbstbestimmt und zielbewusst neue sprachliche Qualifikationen anzueignen und sich in vielsprachigen Situationen kompetent zu bewegen“ (2013: 10). Die individuell unterschiedlichen einzelsprachlichen Qualifikationen sollen miteinander verbunden und durch allgemeine sprachbezogene Einsichten gestützt werden. Entsprechende Lernziele heben ab auf • Aufmerksamkeit gegenüber Sprachen; • Fähigkeit zur Reflexion der eigenen und anderer sprachlicher Lebenssituationen; • Wissen über Sprachen und ihre Bedeutung für das soziale Leben; • linguistische Kenntnisse, die eine vergleichende Sprachbeschreibung ermöglichen; • ein Repertoire von Sprachlernstrategien; • sprachliches Selbstbewusstsein (ebd.: 10). Zudem geht es darum, die eigenen Sprachkenntnisse als Sprach(ver)mittler einsetzen zu können (ebd.: 47f.). Wie kann der Deutschunterricht Sprachmittlungskompetenz fördern, und was hat er davon? Schon seit längerem gibt es Vorschläge, den Deutschunterricht als einen „vielsprachigen Deutschunterricht“ (O OMEN -W ELKE 2017) zu gestalten, der die vorhandenen Sprachen von Schülerinnen und Schülern einbezieht. Entsprechende Mate- 58 Martina Liedke-Göbel DOI 10.2357/ FLuL-2019-0020 48 (2019) • Heft 2 rialien reichen von kontrastiv gestalteten Arbeitsblättern über den Einbezug interkultureller oder mehrsprachiger literarischer Texte bis hin zur mehrsprachigen Projektarbeit (zu einem Überblick vgl. R IEHL / B LANCO L ÓPEZ 2018). Im affektiven Bereich geht es bei einem solchen Vorgehen unter anderem um die Anerkennung von Sprachen als Ausdruck kultureller Identität, durch die der ‚Entwertung‘ von Sprachen in der Migrationssituation (vgl. B RIZIĆ 2007) entgegengewirkt werden soll. Mehrsprachigkeitsdidaktische Überlegungen werden in der Deutschdidaktik unter dem Stichwort „innere Mehrsprachigkeit“ zudem mit der Varietätenvielfalt des Deutschen in Verbindung gebracht (vgl. O SSNER 2006: 53f.). Durch eine Fokussierung verschiedener Sprachen sollen den Schülerinnen und Schülern Möglichkeiten eröffnet werden, ihre Kompetenzen in anderen Sprachen in den Deutschunterricht einzubringen und für diesen nutzbar zu machen. Ziel des mehrsprachigen Vorgehens ist es, bei den Lernenden Sprachbewusstheit (language awareness) zu erreichen (vgl. B UDDE 2016; D EMMIG 2016; G ÜRSOY 2010; L UCHTENBERG 2002). Sie sollen in die Lage versetzt werden, mit sprachlichen Mitteln und Möglichkeiten ebenso wie mit dem eigenen Sprachenlernen gezielt umzugehen. Damit verbunden ist metasprachliche Kompetenz, d.h. die Fähigkeit, sprachliche Phänomene erkennen und benennen zu können. Ein sprachvergleichender Ansatz wird zum Erreichen von Sprachbewusstheit als hilfreich angesehen, da sich aus Sprachunterschieden eine Infragestellung von Vertrautem und Klärungsbedarf, somit ein Zugang zu sprachlichen Phänomenen und Erscheinungsformen ergibt (vgl. O OMEN - W ELKE 2015). In diesem Zusammenhang finden sich gelegentlich auch explizite Übertragungsaufgaben. Eine verstärkte Einbeziehung von Sprachmittlung im Deutschunterricht kann an diesen Ansatz anknüpfen. Für den Deutschunterricht hat ein vielsprachiges Vorgehen den Vorteil, dass grammatische, lexikalische, phonetische oder orthographische Besonderheiten des Deutschen im kontrastiven Vorgehen deutlicher herausgearbeitet werden können. Zudem können kulturspezifische Begriffe oder Handlungsweisen besprochen werden. Für den integrativen Deutschunterricht und bei Deutsch als Zweitsprache bietet ein mehrsprachiges Vorgehen zudem die Gelegenheit, den Erwerb deutscher Sprachkenntnisse zu reflektieren und zu systematisieren. Ein translatorisch gestützter Lernprozess ist im Deutschunterricht ebenso wie in anderen Fächern bereits manchmal ein ‚natürliches‘ Nebenprodukt, wenn sich Schülerinnen und Schüler gleicher Herkunftssprache in dieser über den deutschsprachigen Stundeninhalt austauschen. Untersuchungen von solchen Gesprächssequenzen haben gezeigt, dass in ihnen oft komplexe mentale Verarbeitungsleistungen erbracht werden, die die sprachliche und inhaltliche Aneignung des Unterrichtsstoffes betreffen (vgl. H OFFMANN et al. 2017; R EHBEIN 2011). Sprachmittlungsaufgaben sind für den Deutschunterricht also interessant, da sie ein methodisches Verfahren bereitstellen, um sprachliches, metakommunikatives oder spezifisches Fachwissen zu erarbeiten. Allerdings bildet die Sprachmittlung, wie weiter unten noch gezeigt wird, auch einen Lerngegenstand eigenen Rechts, was im Deutschunterricht berücksichtigt werden sollte. Sprachmittlungskompetenz im Deutschunterricht fördern 59 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0020 2. Sprachmitteln als Lerngegenstand Der Begriff ‚Sprachmitteln‘ wird gegenwärtig im Rahmen von z.T. unterschiedlichen Begriffsvorstellungen genutzt (vgl. L IEDKE 2016). Im beruflichen Kontext dient er als umfassender Oberbegriff für die Arbeitsfelder Translation und Fremdsprachenunterricht. In der Translationswissenschaft wird ‚Sprachmitteln‘ als älterer Begriff synonym zu ‚Translation‘ verwendet, um die Übertragung eines sprachlichen Inhalts in eine andere Sprache zu erfassen (vgl. P RUNČ 2011). In diesem Sinne umfasst Sprachmitteln sowohl das durch Schriftlichkeit bestimmte Übersetzen als auch das durch Mündlichkeit bestimmte Dolmetschen sowie Mischformen der beiden Handlungsweisen. In der Linguistik wird der Terminus ‚Sprachmitteln‘ seit K NAPP / K NAPP - P OTTHOFF (1985) hingegen oft spezifisch auf das Laien-Dolmetschen bezogen, das gegenüber dem professionellen Dolmetschen durch besondere Problematiken gekennzeichnet ist. In der Fremdsprachendidaktik dient der Begriff ‚Sprachmittlung‘ zur Bezeichnung eines Aufgabentyps, bei dem Lernende in fiktiven Szenarios für Dritte mündlich oder schriftlich translatorisch tätig werden, z.B. für Eltern, Austauschschüler oder Touristen. Vom professionellen Dolmetschen und Übersetzen wird die schulische Sprachmittlungsaufgabe manchmal mit der Begründung abgegrenzt, dass keine wortgetreue Übertragung, sondern eine gekürzte Zusammenfassung und - bei kultursensiblen Themen - gegebenenfalls Erläuterung erwartet wird (vgl. R EIMANN 2013, 2015). Die Abgrenzungskriterien halten einer Überprüfung allerdings nicht stand, denn entsprechende Tätigkeiten gehören auch zum Aufgabenbereich der professionellen Translation (vgl. G ROSS -D INTER 2016). Zudem handelt es sich beim Zusammenfassen und Erklären/ Erläutern um komplexe mentale Prozesse, die andere Anforderungen stellen als eine ausgangstextnahe Translation und die ihrerseits reflektiert werden müssen. So haben empirische Untersuchungen zum Deutschen als Zweitsprache gezeigt, dass Probleme des Laien-Dolmetschens gerade solche mentalen Prozesse betreffen (vgl. P ÖCHHACKER 2000). Die Lernziele für das schulische Sprachmitteln sollten sich daher stärker an den professionellen Ausbildungszielen orientieren (vgl. D E F LORIO - H ANSEN 2013). 2.1 Probleme des Sprachmittelns in der Post-Migrationsgesellschaft In der Post-Migrationsgesellschaft gehören translatorische Tätigkeiten zum gewöhnlichen, allerdings nicht unproblematischen Alltag. Der Blick in die bestehende gesellschaftliche Praxis bietet sich daher als Bezugspunkt für einen Unterricht an, der auf translatorische Prozesse in einer mehrsprachigen Lebenswelt vorbereiten möchte. Authentische Alltagssituationen, in denen Sprachmitteln stattfindet, stehen oft in Kontexten, die ein professionelles dolmetschendes oder übersetzendes Handeln erfordern, das aber zumeist aus Kostengründen auf Verwandte, Bekannte oder zufällig Anwesende ausgelagert wird. Insbesondere das mündliche Sprachmitteln durch Laien in medizinischen und behördlichen Kontexten ist in den Aufmerksamkeitsfokus 60 Martina Liedke-Göbel DOI 10.2357/ FLuL-2019-0020 48 (2019) • Heft 2 empirischer wissenschaftlicher Untersuchungen gelangt (vgl. M EYER 2004; P ÖCHHACKER 2000). Manchmal ist es das Pflege- oder Putzpersonal, häufig sind es auch Kinder oder Jugendliche, die in diesen Situationen als Laiendolmetscher und übersetzer herangezogen werden (vgl. die Beiträge in A HAMER 2012 und A NTONINI 2010). Die Kommunikation erweist sich oft für alle Beteiligten als mühsam. (B1), ein Ausschnitt aus einem Therapiegespräch, gibt einen Einblick in die Problematik. (B1) Authentisches Sprachmitteln im Therapiegespräch (P ÖCHHACKER 2000: 216f.) Situation: Ein türkisches Ehepaar sucht mit seiner zweieinhalbjährigen Tochter (Sefanur) eine Logopädin (Tanja) auf. Das Gespräch wird von der 16-jährigen Nichte der Mutter gedolmetscht (Dolm.). Die türkischen Äußerungen sind mit einer darunter stehenden, kursiv gedruckten Übersetzung versehen. Gekürzte Gesprächsteile werden durch […] markiert. Tanja: (zur Mutter) Wie war denn die Schwangerschaft? ... Dolm.: Yengeee, doğumun nasɩldɩ? Tante, wie war deine Geburt? Mutter: (achselzuckend) He, iyi, normal. Ja, gut, normal. Tanja: Normal. mhm. Und die Geburt? Mutter: (blickt fragend zu Dolm.) Dolm.: (leise) Doğumun. (lauter) Doğumun. Deine Geburt. Deine Geburt. Mutter: Nasɩl doğumum? Wie, meine Geburt? Tanja: Mit Zange, Saugglocke, Kaiserschnitt? Dolm.: Doğumun. Deine Geburt. [… ] Mutter: Ya, ʂimdi söyledim, Zuhal! Tamam! Doğum normal oldu. Dikiʂle oldu. Tamam bitti iʂte! Also, ich habe es doch gerade gesagt, Zuhal! Schluss! Die Geburt war normal. Jetzt aber aus! Tanja: Also ich mein jetzt ob es/ wie/ weiss sie nicht, was ich meine, oder was/ Sefanur: Anne. Mama. Vater: Nein, sie, auch normale sagen, wenn/ Tanja: Die Geburt selbst. Vater: Mhm. Tanja: Also ohne Komplikationen? Vater: (bestätigend): Na, na, na. Sprachmittlungskompetenz im Deutschunterricht fördern 61 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0020 Das Beispiel zeigt, wie ein Bündel von Übertragungsfehlern (Schwangerschaft - Geburt; deine (eigene) - die Geburt des Kindes) im Gespräch zu weiteren Problemen führt. So ist der Mutter unklar, warum trotz einer Antwort weiterhin nach der ‚Geburt‘ und nach welcher ‚Geburt‘ gefragt wird. Sie beendet schließlich verärgert das Thema (Schluss! ). Der Therapeutin Tanja bleibt ein längerer Gesprächsausschnitt unverständlich, in dem es zu einer zunehmenden Agitation der Beteiligten kommt. Ihre präzisierenden Reformulierungen bleiben erfolglos. Der Vater schaltet sich ein, kann die Situation aber aufgrund schlechter Deutschkenntnisse nicht erläutern (nein, sie, auch normale sagen, wenn/ ). Das authentische Beispiel aus dem Kontext Deutsch als Zweitsprache zeigt, dass translatorische Tätigkeiten in der Post-Migrationsgesellschaft oft in komplexe institutionelle Handlungszusammenhänge eingebunden sind, in denen sie neben anderen Prozessen wie der Verwendung rudimentärer Sprachkenntnisse oder Umformulierungen zum Einsatz kommen. Neben den Sprachmittelnden übernehmen auch die anderen Beteiligten aktive Bearbeitungsversuche der Situation. Oft lassen sich typische innerfamiliäre Rollenverteilungen nachweisen (vgl. L IEDKE 2016). Deutlich wird in der Situation ein Mangel an Strategien zur professionellen Situationsbewältigung, etwa zur Wortfindung, zur Aufklärung von Missverständnissen oder zur Gesprächsrollenverteilung. Für die Sprachmittlung im Unterricht liegen hier aufzugreifende Lernbereiche. 2.2 Lernziele für das Sprachmitteln im Deutschunterricht Situationen wie die oben erfasste bilden für einige Schülerinnen und Schüler einen Bestandteil ihres Lebensalltags. Sie machen deutlich, dass sich Sprachmittlungskompetenz nicht einfach aus Sprachkompetenz in zwei Sprachen ergibt, sondern als eigenes, vielschichtiges Kompetenzbündel zu charakterisieren ist, in das unterschiedliche Faktoren eingehen und das eigene Lernprozesse erfordert - nicht nur bei den Sprachmittelnden, sondern auch bei denjenigen Dritten, die sprachmittelnde Tätigkeiten in Anspruch nehmen. R EIMANN (2015) bezieht daher zu Recht in den Leistungskatalog für die mündliche Sprachmittlung auch das Ausmaß der unterstützenden Aktivitäten ein, die die Lernenden als beteiligte Dritte vollziehen. Auch bei schriftlichen Translationssituationen spielen Vorgaben und Feedback durch die beteiligten Dritten eine wichtige Rolle. Daher kann sich die Vermittlung von Translationskompetenz nicht nur auf die Sprachmittelnden beschränken, sondern ist umfassender auf den Umgang mit Translationssituationen zu beziehen. Inwieweit kann der vielsprachige Deutschunterricht nun zur Vermittlung von Translationskompetenz beitragen? Auf welche Lernziele sollte er sich ausrichten, wenn er über die Nutzung von Sprachmittlungsaufgaben als methodischen Zugang zu Sprachbewusstheit hinaus das Sprachmitteln selbst als Lerngegenstand in den Mittelpunkt stellt? Während Sprachmittlungsaufgaben im Fremdsprachenunterricht im Kontext der Vermittlung einer weiteren Sprache stattfinden, kann sich der Deutschunterricht nicht auf Mehrsprachigkeit der Lernenden verlassen. Zudem kommen von 62 Martina Liedke-Göbel DOI 10.2357/ FLuL-2019-0020 48 (2019) • Heft 2 Seiten der Lernenden aus oft Sprachen ins Spiel, die die Lehrenden und anderen Lernenden nicht beherrschen. Übungen zum Sprachmitteln können daher anders als im Fremdsprachenunterricht nicht auf translatorische Kompetenzen i.S. einer bilateralen sprachlichen Adäquatheit oder Kulturangemessenheit des Ausdrucks abzielen. Vielmehr kann es nur darum gehen, solche Kriterien überhaupt erst einmal einer Reflexion zugänglich zu machen und die Lernenden dazu anzuregen, entsprechende Lernprozesse bei Bedarf selbst zu initiieren und zu steuern. Lernziele des Sprachmittelns im vielsprachigen Deutschunterricht zielen also vor allem auf die Entwicklung eines Bewusstseins für die grundlegenden Anforderungen einer translatorischen Handlungssituation und der eigenen Handlungsmöglichkeiten. Die Lernenden sollen in die Lage versetzt werden, in einer mehrsprachigen Umgebung vielfältige Quellen und Strategien zu nutzen, um eine Verständigung über Sprachen hinweg zu erreichen. In diesem Zusammenhang kann m.E. analog zum Terminus der ‚Sprachbewusstheit‘ (language awareness) von einer ‚translatorischen Bewusstheit‘ (translation awareness) gesprochen werden, die es im mehrsprachigen Deutschunterricht anhand verschiedener Sprachen und Beispiele anzubahnen gilt. 3. Translatorische Bewusstheit Wie kann das Lernziel ‚translatorische Bewusstheit‘ konkretisiert werden? Translatorische Handlungssituationen lassen sich als komplexe Konstellationen bestimmen, die zahlreiche mentale Prozesse, Entscheidungen und Strategien umfassen (vgl. B ÜHRIG / R EHBEIN 2000; G ÖPFERICH 2008; K RINGS 1986). Lernende sollten die charakteristischen Merkmale und Anforderungen von Sprachmittlungssituationen kennen lernen, um die an sie als Sprachmittelnde oder beteiligte Dritte gestellten Aufgaben nachvollziehen zu können. Eine wesentliche Rolle spielt in diesem Zusammenhang der Translationsauftrag. Die Sprachmittelnden werden für Dritte tätig, deren Interessen und Handlungspläne als Sprecher bzw. Schreiber und Hörer bzw. Leser sie rekonstruieren müssen. Entsprechend bildet die Reflexion fremder Absichten und verschiedener Wissensbereiche ein Thema, das im Zusammenhang mit Sprachmittlungskompetenz im Unterricht zu besprechen ist. Dazu gehört, fachliches (Nicht-)Wissen einschätzen, berücksichtigen oder darauf hinweisen zu können. Für Sprachmittelnde ergibt sich zudem oft die Notwendigkeit, durch sprachliche Handlungen wie Charakterisieren, Erläutern und Erklären Differenzen in den Wissens- und Bezugssystemen der Kommunizierenden zu bearbeiten (vgl. B ÜHRIG / R EHBEIN 2000). Vor diesem Hintergrund verlaufen Prozesse der De-Lexifizierung sowie der (Re-)Lexifizierung (vgl. auch L IEDKE 2016): Die sprachlichen Formen der Ausgangssprache sind hinsichtlich der mit ihnen verbundenen Wissensqualitäten zu überprüfen und Relationen zu den in der Zielsprache vorhandenen Wissensbeständen herzustellen. Solche Wissensrelationen umfassen nach B ÜHRIG / R EHBEIN unter anderem die Typisierung und Rückführung auf Elementarkategorien (z.B. Tüte, Einkaufs- Sprachmittlungskompetenz im Deutschunterricht fördern 63 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0020 beutel - (Trage-)Tasche), die Aktualisierung von Mitverstandenem (Tüte bezeichnet oft eine Plastiktüte) und die Qualifizierung der Illokution (als Frage, Aufforderung, Bitte, Warnung etc.). Die oben angesprochenen Momente sind den Lernenden kategorial zugänglich zu machen, was ohnehin zu den grundlegenden Aufgaben von Deutschunterricht gehört. Eine Sprachmittlungssituation kann hier zugleich auch einen Zugang bilden. In die spezifische translatorische Handlungssituation geht zudem die Frage ein, ob mündliches oder schriftliches sprachliches Handeln rezipiert und (re-)produziert werden soll. Dabei handelt es sich nicht einfach um jeweils andere ‚Kanäle‘, sondern um unterschiedliche Handlungsbedingungen, die unterschiedliche Anforderungen mit sich bringen. Bei mündlichen Sprachmittlungssituationen kommt es in professionellen Dolmetschkontexten z.B. aus Zeitgründen häufig zu strategischen Verkürzungen. Auch der Umgang mit Mündlichkeit und Schriftlichkeit betrifft einen typischen Lernbereich des Deutschunterrichts, an den sich die Thematisierung von Sprachmittlungssituationen anschließen kann. Im Blick auf die Kernprozesse des Übertragungsvorgangs konnte K RINGS (1986) für das schriftliche Übersetzen ausgehend von Protokollen lauten Denkens verschiedene Problemlösungsverfahren ausmachen, die Translatoren in unterschiedlichem Ausmaß nutzen. Zu ihnen gehören vorbereitende Strategien, die den eigentlichen Translationsprozess entlasten, ebenso wie nachbereitende Strategien, bei denen das Ergebnis einer Translation aus dem Gesamtzusammenhang heraus noch einmal überprüft wird (vgl. auch G ÖPFERICH 2008). Mikro-Strategien der Translation umfassen u.a. das Inferenzieren, die Nutzung von Hilfsmitteln, Akzeptabilitätsprüfungen, Reverbalisierungen in der Ausgangs- oder Zielsprache zum Auffinden alternativer Äquivalentassoziationen, Reduktionsstrategien (playing it safe) oder Risikobereitschaft bei der Wahl von Ausdrucksformen (risk taking). Während solche Prozesse bei Übersetzungsanfängern größtenteils unreflektiert bleiben, sind sich professionelle Translatoren über die verschiedenen strategischen Möglichkeiten im Klaren und treffen gezielte Auswahlentscheidungen. Im Sinne einer translatorischen Bewusstheit sind Schülerinnen und Schüler mit den verschiedenen Problemlösungsstrategien im Unterricht vertraut zu machen. Mit der Fokussierung translatorischer Bewusstheit im Deutschunterricht gelangen Teilprozesse und Strategien der Translation in den Blick (zu einer entsprechenden Forderung vgl. K ÖNIGS 2015). Ausgehend von diesen Überlegungen lassen sich als allgemeine Lernziele z.B. formulieren: • kann verschiedene Formen translatorischen Handelns unterscheiden und ihre wesentlichen Bedingungen (Mündlichkeit, Schriftlichkeit) reflektieren; • kann eine translatorische Aufgabe durch gezielte Vorbereitung entlasten; • kann bottom-up und top-down Strategien bei der Bedeutungserschließung nutzen; • kann Ähnlichkeiten zwischen Sprachen zur Suche nach möglichen Wort-, Äußerungs- oder Textbedeutungen nutzen; 64 Martina Liedke-Göbel DOI 10.2357/ FLuL-2019-0020 48 (2019) • Heft 2 • kann Translationsmöglichkeiten in Relation zum Translationszweck begründet abwägen. Auch der bewusste Umgang mit Wörterbüchern oder elektronischen Auskunftssystemen, die von N IED C URCIO (2015: 306) thematisierte notwendige „dictionary use awareness“, bildet Teil dieses prozeduralen Wissens. Die empirische Analyse der mündlichen Handlungssituation hat zudem darauf hingewiesen, dass die Sprachmittelnden in mündlichen Kommunikationssituationen über interaktive Strategien zur Bewältigung von Wortfindungsproblemen, zur Aufklärung von Missverständnissen und zur Gesprächsrollenverteilung verfügen sollten. 4. Übungen zur translatorischen Bewusstheit im mehrsprachigen Deutschunterricht Wie kann ein methodisches Vorgehen aussehen, das auf die Förderung einer translatorischen Bewusstheit abzielt? Denkbar sind hier verschiedene Zugangsweisen, die im Deutschunterricht ohne große Veränderungen der Curriculums- und Zeitplanung umgesetzt werden können. Dabei sind Fragen der Translation nicht isoliert zu behandeln, sondern können in unterschiedlichen didaktischen Kontexten thematisiert werden. So bietet es sich beispielsweise an, auf die besondere Situation der mündlichen Sprachmittlung im Zusammenhang mit der Vermittlung von Gesprächskompetenz einzugehen (vgl. B RÜNNER / B ECKER -M ROTZEK 2006 zu entsprechenden Unterrichtssequenzen für die Sekundarstufe). Bei einem solchen Vorgehen werden ausgehend von einem authentischen Gesprächsbeispiel verschiedene Handlungszüge der Beteiligten diskutiert, die zur Entstehung einer konfliktiven oder missverständlichen Gesprächssituation beigetragen haben. Gemeinsam kann dann überlegt werden, wie man die Situation vermeiden oder verändern könnte. Hier können auch Transkripte von Sprachmittlungssituationen herangezogen werden, wenn der nicht-deutschsprachige Anteil in Übersetzung zugänglich ist. Der Deutschunterricht kann sich zudem als Partner für Translationsprojekte anbieten, in denen mit den fremdsprachlichen Unterrichtsfächern zusammengearbeitet wird, z.B. Aufbau einer mehrsprachigen Schulhomepage, Erstellung einer mehrsprachigen Zeitschrift oder Elterninformation, Vorbereitung einer mehrsprachigen Ansprache bei einer Schulfeier, mehrsprachige Beschilderung der Schulräume. Für die Projektarbeit ist besonders interessant, wenn sich auch weitere Fächer beteiligen, da translatorische Prozesse für das fachliche Lernen eine besondere Rolle spielen. Hier kann der Deutschunterricht eine koordinierende Funktion bei der Diskussion und Korrektur sprachlicher Produkte übernehmen. Ein anderer Ansatz, der im Weiteren näher dargestellt wird, besteht darin, im Deutschunterricht kurze Übungen durchzuführen, in denen sich translatorische Bewusstheit durch Eigenerfahrung und anschließende Reflexion entfalten kann. Sie Sprachmittlungskompetenz im Deutschunterricht fördern 65 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0020 lassen sich als kleine Sprachkontaktsituationen ‚im Labor‘ auffassen. Den Lernenden werden Aufgaben gestellt, die darauf abzielen, in einer vielsprachigen Umgebung eine Verständigung über Sprachen hinweg herzustellen. Wichtig dabei ist, dass die Aufgaben für alle Schülerinnen und Schülern lösbar sind und ausgehend von den individuellen oder in der Gruppe vorhandenen Kompetenzen oder unter Einbezug von Hilfsmitteln eigenständig bearbeitet werden können. Anders als im Kontext typischer Sprachmittlungsaufgaben im Fremdsprachenunterricht stehen nicht umfassende Handlungssituationen, sondern Teilprozesse, Strategien und Merkmale translatorischen Handelns im Fokus. 4.1 Beispiele für Übungstypen Exemplarisch werden im Folgenden drei Übungstypen zur Entwicklung einer translatorischen Bewusstheit präsentiert, die in Lehrveranstaltungen mit deutschen und internationalen Studierenden der Germanistik und des Faches Deutsch als Fremdsprache entwickelt und erprobt wurden. Sie fokussieren verschiedene Teilaspekte, die in den Aufmerksamkeitsfokus der Lernenden gebracht werden sollen. Übung (Ü1), die Reflexion eines Musikvideos, zeigt beispielhaft einen Übungstyp, der auf kulturelle Unterschiede als besondere Herausforderungen für die Sprachmittlung aufmerksam machen soll. (Ü1) Wo ai ni - Beziehungsprobleme (https: / / youtu.be/ ar2d85-5EZA) Ein Freund von Ihnen hat eine neue Freundin, die aus China kommt. Schauen Sie sich das Video an und beantworten Sie dann die folgenden Fragen. Recherchieren Sie zur Überprüfung der Lösungen im Internet. 1) Welche Dinge sollte er seiner Freundin besser nicht als Geschenk mitbringen? a) Einen Regenschirm. b) Einen Kochtopf. c) Einen Bund roter Rosen. d) Ein Paar Schuhe. 2) Was bedeutet wo ai ni? a) Ich liebe dich! b) Ich denke an dich! c) Ich verlasse dich! d) Ich hasse dich! 3) Was bedeutet ni ai wo? a) Dich liebe ich! b) Verlass mich nicht! c) Du liebst mich! d) Du hasst mich! Im Video werden Probleme eines chinesisch-englischen Paares gezeigt, die sich aus unpassenden Geschenken ergeben: Regenschirm und Schuhe werden im chinesischen Sprachraum mit einer Trennung in Verbindung gebracht. Die Lösungen der Aufgaben können aus dem zweisprachigen Video erschlossen oder einfach erraten werden. Im Internet finden sich zudem zahlreiche Seiten mit Geschenkratgebern, anhand derer man Vermutungen zum vorliegenden Problem überprüfen kann. 1 Die Übung lädt dazu ein, bestehende Sprachkenntnisse (hier: des Englischen) zu nutzen. Zugleich wird zu 1 Z.B. zum Regenschirm: https: / / www.business-wissen.de/ artikel/ china-knigge-geschenke-fuer-chinesi sche-geschaeftspartner/ - zu Schuhen: https: / / gruseltour-leipzig.de/ gruselfakten/ unglueck-schenken-soeinfach-gehts/ . 66 Martina Liedke-Göbel DOI 10.2357/ FLuL-2019-0020 48 (2019) • Heft 2 Spracherschließungsstrategien für eine weitere Sprache (hier: Chinesisch) aufgefordert. Die fremdsprachigen Informationen werden in eine deutschsprachige Diskussion überführt, ohne dies explizit zu thematisieren. Im Mittelpunkt steht die Rekonstruktion des interkulturellen Missverständnisses. Dabei können die Lernenden eigene Erfahrungen zu passenden oder unpassenden Geschenken in verschiedenen Kontexten und Kulturen einbringen. (Ü2) Einkauf auf Niederländisch Aus Versehen hat eine Freundin bei ihrem Account die Anzeigesprache verstellt und sieht die Webseite jetzt auf Niederländisch. Was sagen die folgenden Textzeilen wohl aus? Ontdek Amazon Alle categorieën bekijken Amazon fashion Electronica en foto cadeau-ideeën anbiedingen coupons Door onze site te gebruiken accepteer je cookies, die ons helpen onze diensten te leveren en te verbeteren. Meer informatie… Shop waar en wanneer je wilt. Download de app (Ü2) ist ein Beispiel für eine Aufgabe, die Lernende auf Interkomprehensionspotentiale zwischen Sprachen aufmerksam macht. Interkomprehensionsaufgaben, die auf wechselseitige Verständlichkeit der beteiligten Sprachen setzen, sind in der Diskussion um Sprachmitteln im Fremdsprachenunterricht bereits gelegentlich für die romanischen Sprachen vorgeschlagen worden (z.B. B ONVINO 2015; J ESKE 2013). Für Deutsch ist das Niederländische eine gute Vergleichssprache, um Lernenden das Interkomprehensionspotential benachbarter Sprachen zu verdeutlichen (vgl. H UF - EISEN / M ARX 2014). Auch wenn nicht jedes Wort verständlich ist, können Deutschsprechende meist recht schnell vertraute Werbebotschaften wie ‚Entdecke Amazon‘, ‚Shoppen wo und wann du willst. Downloade die App‘ oder den Hinweis auf zu akzeptierende Cookies erkennen. Die Übung eignet sich, um das Vertrauen in die eigenen Inferenzfähigkeiten zu stärken und Interesse an der Nachbarsprache Niederländisch zu wecken. Weitergehend kann recherchiert werden, ob bei mehrsprachigen Webseiten, Werbetexten oder Unternehmensdarstellungen in den verschiedenen Sprachen identische oder differente Inhalte angeboten werden. Bei Amazon und Wikipedia ist z.B. letzteres der Fall: Die jeweiligen Texte unterscheiden sich nicht nur in der Sprache, sondern bieten teilweise auch andere Informationen. Zur Verdeutlichung eignet sich hier auch der Vergleich von Werbevideos zu Produkten, die in verschiedenen Ländern angeboten werden. (Ü3) Mulepose Ein dänischer Hersteller will sein Produkt auch nach Deutschland verkaufen und benötigt für seine Produktinformation noch die deutschen Angaben. Bitte machen Sie Vorschläge. Entscheiden Sie sich für eine Übersetzung und begründen Sie die Entscheidung. Sprachmittlungskompetenz im Deutschunterricht fördern 67 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0020 In vielen Fällen bieten mehrsprachige Alltagstexte gute Vorlagen für Übungen zur Entwicklung translatorischer Bewusstheit. (Ü3) zeigt einen schriftlichen Produktzettel, der für eine Übung herangezogen wurde, die auf das Abwägen von translatorischen Alternativen unter Nutzung mehrerer Sprachen abzielt. Neben dem Deutschen kommen im vorliegenden Beispiel 18 weitere Sprachen vor: Dänisch, Schwedisch, Norwegisch, Englisch, Niederländisch, Spanisch, Italienisch, Französisch, Griechisch, Polnisch, Litauisch, Lettisch, Russisch, Finnisch, Portugiesisch, Tschechisch, Estnisch und Ungarisch. Im Sinne einer Wertschätzung anderer Sprachen bietet der Text also bereits ein recht großes Identifikationspotential für Familiensprachen. Darüber hinaus kann durch Anschlussfragen der Zugang zu weiteren Sprachen wie z.B. Türkisch oder Arabisch eröffnet werden (In welche anderen Sprachen könnten wir die Produktinformation noch übertragen? ). Im Rahmen der Übung können die Lernenden ihre bereits vorhandenen Sprachenkenntnisse oder Interkomprehensionspotentiale nutzen bzw. auf solche aufmerksam werden. 4.2 Erfahrungen im Übungseinsatz Übungen wie die oben vorgestellten eignen sich für einen zeitflexiblen ergänzenden Einsatz im Unterricht und können von Lehrkräften leicht selbst entwickelt werden. Inwieweit aber erfüllen sie ihren Zweck? Wie gehen Lernende mit entsprechenden Aufgaben um? Ein empirischer Blick auf eine Übungsdurchführung kann einen ersten Eindruck davon geben, welche Triebkraft Aufgaben wie die oben vorgestellten für die Entwicklung von Sprachbewusstheit und translatorischer Bewusstheit in den Unterricht einbringen können. Beispielhaft wird im Folgenden eine mitgeschnittene Gruppenarbeit zur Übung ‚Mulepose‘ (Ü3) untersucht, in der mehrere Studentinnen zusammenarbeiten. (B2) gibt den Anfang der Gruppendiskussion in Partiturschreibung (HIAT) wieder. Zeitgleiche Handlungen werden dabei wie eine Musikpartitur untereinanderstehend erfasst. Durch / _ geklammerte Äußerungen werden darunterste- 68 Martina Liedke-Göbel DOI 10.2357/ FLuL-2019-0020 48 (2019) • Heft 2 hend kommentiert. Das Zeichen / zeigt einen Abbruch der Äußerungskonstruktion an. Unverständliche Passagen (s. B3) sind durch einfache Klammern ( ) gekennzeichnet. Die Studentinnen wurden mit anonymisierten Namen erfasst. (B2) Beginn der Diskussion (A=Anna, B=Brigitt, C=Christina, D=Dora, k=Kommentarzeile) [1] A [v] Mulepose. ((0.7)) C [v] Händlenett. / _Tote_/ bag. ((lacht auf)) / _Tote_/ bag. C [k] ((leicht lachend)) L [v] ((----------------teilt die Aufgaben an den Rest der Gruppe aus ---------- / _ deutsche Aussprache [2] A [v] Stofftasche? ä ääh m B [v] Ah (ja) C [v] Händelnett? Händlenett, das gibt D [v] / _Tote_/ bag. ((lacht)) D [k] ((leicht lachend)) L [v] ---------------------------------------------------)) [3] B [v] hm̌ Ja. C [v] e s ? ((lacht)) ((0.7)) Äh irgendwas / irgendwie ne Tasche, ne? ((1.0)) [4] A [v] Ach so, wir dürfen schon reden, also, da auf Spanisch da B [v] Einkaufstasche. C [v] Genau. D [v] ja Noch während die Lehrkraft (L) die Aufgabenzettel verteilt, beginnen die vier Studentinnen mit der Aufgabenlösung. Das Transkript zeigt, dass sie das Produkt schnell einordnen können (irgendwie ne Tasche, ne). Zudem finden Sprachkontakt-Erlebnisse statt: Es kommt zu einer Zitation fremdsprachlicher Wörter (tote bag, handlenett), Gelächter bei der deutschen Aussprache von tote zeigt Freude am Erkennen von ‚falschen Freunden‘ (engl. tote und dt. tote). Im weiteren Verlauf der 3-minütigen Gruppendiskussion schlagen die Teilnehmerinnen verschiedene Übertragungen vor, wobei sie auf weitere beherrschte Sprachen zurückgreifen. So plädiert Anna aufgrund ihrer Spanischkenntnisse für den Begriff Einkaufstasche, „da auf Spanisch da bolsa para la compra steht, bolsa heißt Tüte, para la compra, für den Einkauf“. Die Bezeichnung Shopper führt zu Erstaunen und weiteren Nachfragen („Warum ist Shopper Italienisch und nicht E/ Italienisch und nicht auf Englisch? “ „Also auf Italienisch steht Shopper und auf Englisch steht da was anderes? “, Christina). Der englische Begriff tote bag wird als Jutebeutel in das Deutsche übertragen. Später werden auch die Übersetzun- Sprachmittlungskompetenz im Deutschunterricht fördern 69 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0020 gen Einkaufstüte und Einkaufsbeutel vorgeschlagen, da sich Jute nicht mit der Materialbezeichnung cotton bzw. Baumwolle deckt. Die niederländische Benennung stoffen tas führt zum Übersetzungsvorschlag Stofftragetasche (B3). (B3) Mulepose, Auszug aus dem Diskussionsverlauf [20] A [v] genau diese Stofftragetaschen. C [v] Klingt so n bisschen nach Dänisch. ((lacht)) (voll prall) [21] A [v] Oder vielleicht wird da echt so. Stofftragetasche, weil Niederländisch B [v] ja ( ) D [v] ja [22] A [v] steht da stoffen tas B [v] Und was heißt hier/ was heißt Niederländisch C [v] stoffen/ stoffen tas ((lacht)) Hast du eine stoffen tas? C [k] D [v] stoffen tas Eine richtige oder falsche Lösung gibt es bei dieser Übung nicht. Die vorkommenden Sprachen weisen auf ein breites Ausdruckspotential, das für die Übertragung in das Deutsche genutzt werden kann. Aus dieser Vielfalt müssen die Lernenden eine Auswahl treffen, die ihrer Meinung am besten geeignet ist, um zum Kauf des Produktes zu ermuntern. In diesem Kontext steht auch die mögliche Übersetzung durch einen Anglizismus. Letztlich entscheidet sich die Gruppe in der Endphase der Diskussion für die Bezeichnung Stofftasche. Die Firma selbst hat in vorliegendem Fall übrigens die Bezeichnung Tragetasche gewählt. Wie die Transkriptauszüge zeigen, hat die Gruppe im Verlauf der knapp vierminütigen Diskussion verschiedene übersetzerische Überlegungen als Pro- und Contra- Entscheidungen vollzogen, zudem Spracherfahrungen gesammelt. Die Sprachmittlungsaufgabe führte zu einer anschließenden Diskussion des übersetzerischen Auftrags und möglicher Ausdrucksvariationen, die zwischen den Sprachen und innerhalb einer Sprache bestehen. 5. Konsequenzen für den Deutschunterricht und den Förderunterricht DaZ Im vorliegenden Aufsatz wurde ausgehend von der gesellschaftlichen Plurilingualität, die sich im Klassenzimmer in sprachlich heterogenen Konstellationen niederschlägt, dafür plädiert, dem Sprachmitteln mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Im Zusammenhang eines vielsprachigen Deutschunterrichts können translatorische Aufgaben 70 Martina Liedke-Göbel DOI 10.2357/ FLuL-2019-0020 48 (2019) • Heft 2 sprachvergleichende Perspektiven eröffnen. Sie eignen sich daher als methodischer Zugang zu einer Förderung der Sprachbewusstheit. Translationskompetenz wurde darüber hinaus als eine zu vermittelnde Qualifikation eigenen Rechts vorgestellt. Ein entsprechender Alltagsbedarf bei Deutsch als Zweitsprache und die gegenwärtige Praxis, der sich einige Kinder und Jugendliche aus Familien stellen müssen, in denen Sprachlernbedarf besteht, wurde exemplarisch am Beispiel eines authentischen Gesprächs aufgezeigt. Mit entsprechenden sprach- und translationswissenschaftlichen Untersuchungen ist eine empirische Basis gegeben, auf die sich Überlegungen zu Lernzielen auch im schulischen Unterricht stützen können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass innerhalb einer Klasse unterschiedlich ausgeprägte Spracherfahrungen und Kompetenzen vorliegen können, die unter Umständen viele verschiedene Sprachen betreffen, die die Lehrenden und anderen Lernenden nicht kennen. Das Lernziel von Sprachmittlungsaufgaben im mehrsprachigen Deutschunterricht kann vor diesem Hintergrund nicht als translatorische Kompetenz im Sinne einer Übertragungsleistung zwischen zwei Sprachen erfasst werden, sondern wurde abstrakter als Entwicklung von ‚translatorischer Bewusstheit‘ bestimmt. Mit dem Terminus erfasst wurde ein Wissen um Prozesse, Strategien und Entscheidungen bei der Übertragung zwischen Sprachen, das es den Lernenden ermöglichen soll, translatorische Handlungssituationen in ihren institutionellen und sprachlichen Handlungsanforderungen zu reflektieren und begründete Entscheidungen für das eigene Handeln zu treffen. Als in diesem Zusammenhang zu fokussierende Bereiche genannt wurden unter anderem die Reflexion des Translationsauftrags, der Anforderungen an das translatorische Handeln unter den Handlungsbedingungen Mündlichkeit und Schriftlichkeit, ein Wissen um Strategien der Bedeutungserschließung sowie um die gezielte Nutzung von Hilfsmitteln und Reduktionsstrategien. Ausgehend von der dokumentierten authentischen Sprachmittlungssituation wurde zudem auf die Fähigkeit zur Aufklärung von Missverständnissen und zur Gesprächsrollenverteilung hingewiesen. Sprachmittlungskompetenz wurde über die Sprachmittelnden selbst hinaus auch auf die beteiligten Dritten bezogen. Die genannten Bereiche können im Deutschunterricht durch verschiedene methodische Verfahren in den Blick genommen werden. Vorgeschlagen wurden Transkriptarbeit, fächerübergreifende Translationsprojekte und kleine Übungen zur Eigenerfahrung, in denen die Lernenden dazu angeregt werden, sich mit Prozessen und Strategien translatorischen Handelns auseinander zu setzen. Konkrete Beispiele für sprachenübergreifende Übungen, die unabhängig von der Sprachenlage in einem Kurs eingesetzt werden können, wurden vorgestellt und ihr Lernpotential anhand einer mitgeschnittenen Gruppendiskussion unter Studierenden nachvollzogen. Erste Rückmeldungen weisen darauf hin, dass der vorgeschlagene Zugang eine effektive Methode darstellt, um Mehrsprachigkeit im Deutschunterricht aufzunehmen und auszuweiten. Die translatorischen Übungen münden in ein genaues Hinsehen, erlauben es, bestehendes Sprachwissen einzubringen und führen zu sprachvergleichenden Einsichten. Sprachmittlungskompetenz im Deutschunterricht fördern 71 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0020 Ein mehrsprachigkeitsorientierter Ansatz, der auf Sprachbewusstheit und translatorische Bewusstheit abzielt, ist auch für Deutsch als Zweitsprache nützlich und kann die Lernenden in ihrem Sprachaneignungsprozess unterstützen. Für das fächerübergreifende Richtziel translatorische Kompetenz und Handlungsfähigkeit in mehreren Sprachen wird durch ein solches Vorgehen im Deutschunterricht eine solide kategoriale und metakommunikative Grundlage gelegt. Es bleibt der didaktischen Phantasie der Lehrkräfte überlassen, ausgehend von mehrsprachigen Alltagssituationen und Texten selbst entsprechende Übungen für ihre Klasse zu entwickeln und deren didaktische Tragweite zu erproben. Literatur A HAMER , Vera (2012): Unsichtbare Spracharbeit. Jugendliche Migranten als Laiendolmetscher. Integration durch „Community Interpreting“. Bielefeld: transcript. A NTONINI , Rachele (Hrsg.) (2010): Child Language Brokering: Trends and Patterns in Current Research (= mediAzioni 10, Special Issue). [online] A UGER , Nathalie (2009): „Le débat autour des catégories en Didactique des Langues-Cultures dans un contexte interculturel et plurilingue“. In: französisch heute 40.4, 172-176. B ONVINO , Elisabetta (2015): „Sprachmittlung und Interkomprehension: Ist ein Dialog möglich? “ In: N IED C URCIO / K ATELHÖN / B AŠIC , 231-241. B RIZIĆ , Katharina (2007): Das geheime Leben der Sprachen. Gesprochene und verschwiegene Sprachen und ihr Einfluss auf den Spracherwerb in der Migration. Münster: Waxmann. B RIZIĆ , Katharina / L O H UFNAGL , Claudia (2011): Multilingual Cities Wien. Bericht zur Sprachenerhebung in den 3. und 4. Volksschulklassen. Wien: Österreichische Akademie der Wissenschaften. B RÜNNER , Gisela / B ECKER -M ROTZEK , Michael (2006): Gesprächsanalyse und Gesprächsführung. Eine Unterrichtsreihe für die Sekundarstufe II. Radolfzell: Verlag für Gesprächsforschung. B UDDE , Monika Angela (2016): „Mehrsprachigkeit - Language Awareness - Sprachbewusstheit. Einführung“. In: Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 21.2 [online]. D E F LORIO -H ANSEN , Inez (2013): „Translation Competence in Foreign Language Learning. Can Language Methodology benefit from Translation Studies? “. In: Journal of Linguistics and Language Teaching 2.4, 39-68. D EMMIG , Silvia (2016): „Language Awareness und Deutsch als Fremdsprache“. In: Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 21.2 [online]. E UROPARAT (Hrsg.) (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen. Lernen, lehren, beurteilen. Berlin: Langenscheidt. F REUDENFELD , Regina / G ROSS -D INTER , Ursula / S CHICKHAUS , Tobias (Hrsg.): In Sprachwelten über-setzen. Göttingen: Universitätsverlag. G LABONIAT , Manuela / M ÜLLER , Martin / R USCH , Paul / S CHMITZ , Helen / W ERTENSCHLAG , Lukas (2015): Profile deutsch. München: Klett-Langenscheidt. G ÖPFERICH , Susanne (2008): Translationsprozessforschung. Stand, Methoden, Perspektiven. Tübingen: Narr. G ROSS -D INTER , Ursula (2016): „Anderes, nicht anders? Überlegungen zur Übertragbarkeit von Kompetenzbeschreibungen für das professionelle Dolmetschen auf die mündliche Sprachmittlung im Fremdsprachenunterricht“. In: F REUDENFELD / G ROSS -D INTER / S CHICKHAUS , 11-35. 72 Martina Liedke-Göbel DOI 10.2357/ FLuL-2019-0020 48 (2019) • Heft 2 G ÜRSOY , Erkan (2010): „Language Awareness und Mehrsprachigkeit“. Duisburg: Stiftung Mercator/ proDaZ [online]. H ARR , Anne Katharina / L IEDKE , Martina / R IEHL , Claudia Maria (2018): Deutsch als Zweitsprache. Migration, Spracherwerb, Unterricht. Stuttgart: Metzler. H OFFMANN , Ludger / K AMEYAMA , Shinichi / R IEDER , Monika / Ş AHINER , Pembe / W ULFF , Nadja (Hrsg.) (2017): Deutsch als Zweitsprache. Ein Handbuch für die Lehrerausbildung. Berlin: Erich Schmidt. H UFEISEN , Britta / M ARX , Nicole (Hrsg.) ( 2 2014): EuroComGerm - Die sieben Siebe: Germanische Sprachen lesen lernen. Aachen: Shaker. J ESKE , Claire-Marie (2013): „Sprachmittlung zwischen romanischen Sprachen als Bestandteil einer praxisorientierten Mehrsprachigkeitsdidaktik“. In: R EIMANN / R ÖSSLER , 244-260. K NAPP , Karlfried / K NAPP -P OTTHOFF , Annelie (1985): „Sprachmittlertätigkeit in interkultureller Kommunikation“. In: R EHBEIN , Jochen (Hrsg.): Interkulturelle Kommunikation. Tübingen: Narr, 450-463. K OLB , Elisabeth (2016): Sprachmittlung. Studien zur Modellierung einer komplexen Kompetenz. Münster, New York: Waxmann. K ÖNIGS , Frank G. (2015): „Sprachen lernen - Sprachen mitteln: Warum das eine nicht ohne das andere geht“. In: N IED C URCIO / K ATELHÖN / B AŠIC , 29-40. K RINGS , Hans P. (1986): Was in den Köpfen von Übersetzern vorgeht. Eine empirische Untersuchung zur Struktur des Übersetzungsprozesses an fortgeschrittenen Französischlernern. Tübingen: Narr. L IEDKE , Martina (2016): „Sprachmitteln im DaF/ DaZ-Unterricht - Lernziele, Aufgabentypen, Perspektiven“. In: F REUDENFELD / G ROSS -D INTER / S CHICKHAUS , 53-75. L UCHTENBERG , Sigrid (2002): „Mehrsprachigkeit und Deutschunterricht: Widerspruch oder Chance? Zu den Möglichkeiten von Language Awareness in interkultureller Deutschdidaktik“. In: ide 2002/ 03 (03), 27-46. M EYER , Bernd (2004): Dolmetschen im medizinischen Aufklärungsgespräch. Eine diskursanalytische Untersuchung zur Wissensvermittlung im mehrsprachigen Krankenhaus. Münster: Waxmann. N IED C URCIO , Martina/ K ATELHÖN , Peggy / B AŠIC , Ivana (Hrsg.) (2015): Sprachmittlung - Mediation - Mediazione linguistica. Ein deutsch-italienischer Dialog. Berlin: Frank & Timme. O OMEN -W ELKE , Ingelore (2015): „Mehr Sprachen im regulären Deutschunterricht - Potenziale erkennen, schätzen und nutzen“. In: K ALKAVAN -A YDIN , Zeynep (Hrsg.): Deutsch als Zweitsprache - Didaktik für die Grundschule. Berlin: Cornelsen, 79-113. O OMEN -W ELKE , Ingelore ( 3 2017): „Didaktik der Sprachenvielfalt“. In: A HRENHOLZ , Bernt / O OMEN -W ELKE , Ingelore (Hrsg.): Deutsch als Zweitsprache. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 617-632. O SSNER , Jakob ( 2 2006): Sprachdidaktik Deutsch. Paderborn: Schöningh UTB. P ÖCHHACKER , F RANZ (2000): Dolmetschen. Konzeptuelle Grundlagen und deskriptive Untersuchungen. Tübingen: Stauffenburg. P RUNČ , Erich (2011 2 ): Entwicklungslinien der Translationswissenschaft. Von den Asymmetrien der Sprachen zu den Asymmetrien der Macht. Berlin: Frank & Timme. R EHBEIN , Jochen (2011): „Arbeitssprache Türkisch im mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht der deutschen Schule - ein Plädoyer“. In: P REDIGER , Susanne / Ö ZDIL , Erkan (Hrsg.): Mathematiklernen unter Bedingungen der Mehrsprachigkeit. Stand und Perspektiven der Forschung und Entwicklung in Deutschland. Münster: Waxmann, 205-232. Sprachmittlungskompetenz im Deutschunterricht fördern 73 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0020 R EICH , Hans H. / K RUMM , Hans J. (2013): Sprachbildung und Mehrsprachigkeit. Ein Curriculum zur Wahrnehmung und Bewältigung sprachlicher Vielfalt im Unterricht. Münster: Waxmann. R EIMANN , Daniel (2015): „Diagnose und Evaluation von Sprachmittlungskompetenz“. In: N IED C URCIO / K ATELHÖN / B AŠIC , 65-97. R EIMANN , Daniel / R ÖSSLER , Andrea (Hrsg.) (2013): Sprachmittlung im Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Narr. R IEHL , Claudia Maria / B LANCO L ÓPEZ , Julia (2018): „Deutschunterricht“. In: G OGOLIN , Ingrid / G EORGI , Viola B. / K RÜGER -P OTRATZ , Marianne / L ENGYEL , Dorit (Hrsg.): Handbuch Interkulturelle Pädagogik. Stuttgart: Julius Klinkhardt, 481-485. S CHÄDLICH , Birgit (2016): „Médiation linguistique et didactique du plurilinguisme et du pluriculturalisme“. In: M EDHAT -L ECOCQ , Héba / N EGGA , Delombera / S ZENDE , Thomas (Hrsg.): Traduction et apprentissage des langues: Entre médiation et remédiation. Paris: éditions des archives contemporaines, 81-91. DOI 10.2357/ FLuL-2019-0021 48 (2019) • Heft 2 A LMUT K ÜPPERS * Sprachmittlung als Unterrichtsprinzip im inklusiven Türkischunterricht Abstract. In the Companion Volume with new descriptors, mediation is conceptualized as social agency. As such, it is argued in this contribution, mediation can be seen as a general attitude in teaching. In highly diverse (foreign language) classrooms, mediation can even be employed as an overall teaching principle. Within inclusive settings characterized by plurilingual learners with various needs and profound competence differences, opportunities for authentic mediation emerge and can be harnessed for linguistic, social and intercultural learning as well as for the development of reflexive learner autonomy. The article focuses on a school development project at the end of which an inclusive concept for Turkish as a foreign language emerged. The concept is based on a teamteaching and peer-learning approach and complemented by an open, dynamic curriculum in which mediation plays a key role. As part of the proposal to upgrade Turkish as a fully-fledged subject at the school, the concept and curriculum were finally approved by the KMK in 2018. Thus, reflections on mediation will be twofold, taking into account the teaching level as well as that of the language policy level. 1. Einleitung Im Zentrum dieses Beitrags steht die Sprachmittlung als eine inklusive Haltung aller am Fremdsprachenunterricht Beteiligten. Im Rückgriff auf den vor kurzem erschienenen Companion Volume with New Descriptors (CV) zum GER (C OUNCIL OF E UROPE 2018) und die aktuelle Diskussion um die Inklusion wird argumentiert, dass in einem inklusiven Fremdsprachenunterricht die Sprachmittlung zum Unterrichtsprinzip erhoben werden kann. Bislang geht es bei den vorliegenden Aufgabenformaten der Sprachmittlung üblicherweise darum, (imaginierten) Dritten einen Text oder eine Kommunikationsabsicht zu sprachmitteln. Unterrichtsprozesse, die durch (sprachliche) Vielfalt und große Kompetenzunterschiede gekennzeichnet sind - wie im Englischunterricht oder im Herkunftssprachenunterricht - bieten jedoch auch vielfältige Gelegenheiten, in denen authentische Sprachmittlungssituationen entstehen und plurilinguale/ plurikulturelle Kompetenzen der Lernenden nutzbar gemacht und * Korrespondenzadresse: Dr. Almut K ÜPPERS , Institut für England- und Amerikastudien, Abt. Sprachlehrforschung/ Didaktik der Goethe-Universität Frankfurt, Norbert-Wollheim Platz 1, 60323 F RANK - FURT / M. E-Mail: a.kueppers@em.uni-frankfurt.de Arbeitsbereiche: Lehrerbildung (Englisch, Türkisch), Sprachenpolitik, Spracherwerb und Migration Sprachmittlung als Unterrichtsprinzip im inklusiven Türkischunterricht 75 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0021 entwickelt werden können (vgl. R EIMANN 2016). Die theoretische Rahmung dieses Beitrages nimmt das Bildungspotenzial der Sprachen der Migration und des sogenannten Herkunftssprachenunterrichts in den Blick sowie deren ungeklärte Position im Konzept der durchgängigen Sprachbildung. Einblicke in die Unterrichtspraxis des Türkischunterrichts illustrieren, welche Potenziale der Sprachmittlung in der weiten Auslegung des Begriffes als social agency (C OUNCIL OF E UROPE 2018) für die Entwicklung einer reflexiven Lernerautonomie (S CHMENK 2018) und überfachlicher, personaler und interkultureller Kompetenzen innewohnen. Die dargestellten Überlegungen zum Team-Teaching, Tandemlernen und Peer-Learning beziehen sich auf ein Schulentwicklungsprojekt, in dessen Mittelpunkt ein von der KMK genehmigtes Sprachenkonzept für Türkisch als 2. oder 3. Fremdsprache steht; Teil dessen ist wiederum ein offenes, dynamisches Curriculum, in dem der Sprachmittlung eine Schlüsselrolle zukommt. 2. Kontextualisierung und bildungspolitische Rahmung Weltweit sind nationale Bildungssysteme derzeit Baustellen. Äußerst dynamische und globale gesellschaftliche Umwälzungen zwingen die Schulen auch in Deutschland zu drastischen strukturellen und konzeptionellen Veränderungen und zur kritischen Überprüfung der stets relevanten Frage „Was ist eigentlich gute Bildung? “ Im Zeitalter der „flüssigen Moderne“ (B AUMAN 2000) darauf schlüssige Antworten zu finden, erscheint schwieriger denn je. Denn wie muss guter Unterricht aussehen, um die nachfolgenden Generationen bestmöglich auf eine Zukunft vorzubereiten, von der wir weniger denn je wissen, wie sie in zehn, zwanzig oder gar dreißig Jahren aussehen wird? Während also alte Gewissheiten von technologischen Innovationen und gesellschaftlichen Umbrüchen zunehmend in Frage gestellt werden, nimmt die Vielfalt in den deutschen Klassenzimmern beständig zu. Dazu tragen nicht nur Mobilität, Migration und Flucht, soziale sowie ökonomische Disparitäten und die Folgen von Globalisierung und Digitalisierung bei, sondern auch der Umbau zur inklusiven Schule, die vor allem als sprachlich inklusive Schule verstanden werden muss. Als eine Antwort darauf hat sich mittlerweile das Konzept der durchgängigen Sprachbildung (G OGOLIN 2011) etabliert. 2.1 Das Konzept der durchgängigen Sprachbildung und die Sprachen der Migration Sprachliche Bildung kann als Querschnittsaufgabe aller Fächer betrachtet werden. Nahezu alle Bundesländer arbeiten an Konzepten für die Integration der durchgängigen Sprachbildung in der Lehrerbildung, die sich in der Regel aus folgenden Ansätzen speisen: Deutsch als Zweitsprache für alle Fächer, sprachsensibler Fachunterricht und Fremdsprachenunterricht sowie bilingualer Unterricht. Durch die Ansprüche der Mehrsprachigkeit werden in nahezu allen Fächern auch diversitäts- und mehrspra- 76 Almut Küppers DOI 10.2357/ FLuL-2019-0021 48 (2019) • Heft 2 chigkeitssensible Diskurse entwickelt und Überlegungen angestellt, wie sich die Familiensprachen einer immer größer werdenden Gruppe an Schülern - in urbanen Zentren z.T. 50% - 75% eines Jahrgangs - in die Unterrichtspraxis der einzelnen Fächer integrieren lassen. Die Bedeutung der migrationsbedingten Mehrsprachigkeit als Bildungsressource für die Gesellschaft zeigt sich somit in einer deutlich veränderten pädagogischen Haltung und einer Offenheit und Neugier gegenüber den Herkunftssprachen, die für Sprachvergleiche, Sprachreflexionen, Sprachvernetzungen und damit die Entwicklung von Sprachbewusstsein genutzt werden. Als eigenständige Fächer führen die Sprachen der Migration jedoch nach wie vor nicht nur in der Unterrichtspraxis, sondern auch auf Verbandsebene oder an den Universitäten ein klägliches Schattendasein. Angestoßen durch Empfehlungen der KMK sieht die Erlasslage in einigen Bundesländern (z.B. NRW, Niedersachsen, Hessen) zwar die Möglichkeit vor, Herkunftssprachen in den Stundentafeln der Schulen zu integrieren und für alle interessierten Lernenden zu öffnen, doch Angebote für schulischen Fremdsprachenunterricht werden traditionell dominiert von wenigen europäischen Nationalsprachen, allen voran Englisch als globale Weltsprache. Die Sprachen der Migration gehören bislang nicht zum Kanon der Schulfremdsprachen. 2.2 Fremdsprachenunterricht, Mehrsprachigkeit und Inklusion Die gelebte Sprachenvielfalt in Deutschland bildet sich bislang also weder im schulischen Fremdsprachenlernen ab, noch wird sie dafür genutzt. Im europäischen Vergleich des Lower Secondary Level in Education (ISCED 2) zeigt sich, dass im deutschen Schulsystem nur etwa ein Drittel (34,5%) aller Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe 1 zwei oder mehrere Fremdsprachen lernen (E UROSTAT 2017). Im Verhältnis sind das 1,3 Fremdsprachen pro SchülerIn, wobei eine davon die Pflichtfremdsprache Englisch sein dürfte. Damit belegt Deutschland im europäischen Ranking des institutionellen Fremdsprachenlernens einen der untersten Plätze. Da das Lernen einer 2. oder 3. Fremdsprache i.d.R. mit der Schulform Gymnasium korreliert, kann ebenfalls davon ausgegangen werden, dass (vornehmlich mehrsprachige) Schülerpopulationen im Bildungsgang Haupt- und Realschule lediglich die Pflichtsprache Englisch erlernen. Gleichzeitig wird deutlich, dass Lernende mit Zuwanderungsgeschichte unter ihren Potenzialen bleiben, früher die Schule verlassen, weniger hohe Bildungsabschlüsse erreichen und häufiger das Studium abbrechen (vgl. E UROPÄISCHE K OMMISSION 2015: 9). Vielfach fehlt ihnen auf dem Weg zu höheren Bildungsabschlüssen auch der Nachweis über eine zweite Fremdsprache. Mit der Forderung nach einer inklusiven Schule tritt nun das brachliegende Potenzial der gelebten Mehrsprachigkeit noch deutlicher zutage und verweist auf die Notwendigkeit, Konzepte zu entwickeln, um die mitgebrachten Kompetenzen in den Familiensprachen - auch für höhere Bildungsabschlüsse - zu nutzen. Die E UROPÄISCHE K OMMISSION (2015: 14) fordert mittlerweile entsprechend, „(to) establish flexible policies towards foreign language learning which include the most frequently spoken mother tongues and their recognition in school qualifications and examinations of foreign language compe- Sprachmittlung als Unterrichtsprinzip im inklusiven Türkischunterricht 77 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0021 tences“. Studien legen zudem nahe, dass gerade inklusive Angebote hier nicht nur die Entwicklung individueller Mehrsprachigkeitsprofile fördern können, sondern als Begegnungsorte für Herkunftssprecher und Fremdsprachenlernende zugleich einen gesellschaftlichen Mehrwert haben. Als alternative 2. oder 3. Fremdsprachen oder in bilingualen Programmen umfassen diese Potenziale Aspekte der Chancengerechtigkeit und sozialen Kohäsion sowie interkulturelle Begegnungen und nachhaltiges (Fremd-)Sprachenlernen im Alltag (vgl. K ÜPPERS 2016; K ÜPPERS / S CHROEDER 2017). Herkunftssprachen lediglich punktuell im Deutsch-, Fremdsprachen- oder Sachunterricht im Rahmen mehrsprachigkeitssensibler Ansätze in den Unterricht einzubeziehen, stellt eine Engführung inklusiver Angebote dar, was der Zielsetzung von Inklusion nicht gerecht wird. 2.3 Inklusiver Türkischunterricht Als Fremdsprachenunterricht existiert der Türkischunterricht in Deutschland bislang nicht. Als Herkunftssprachenunterricht (HSU) hat er eine lange Tradition, scheint aber in seiner Existenz aufgrund seines massiven Imageproblems, der ethnisierenden Wirkung und der seit PISA 2000 abnehmenden Teilnehmerzahlen stark gefährdet (vgl. K ÜPPERS / S CHROEDER 2017; R EICH 2016). Kinder, die in Türkisch sprechenden Familien aufwachsen und in Köln, Berlin oder Frankfurt geboren sind, erleben nicht selten, dass sie durch die Teilnahme am HSU zu „Türken“ werden (vgl. dazu stereotype threat/ othering z.B. in W ILBERT 2010). Als HSU ist er zudem unattraktiv, weil er außerhalb der Stundentafel mit Freizeitangeboten konkurriert, in der Regel keine Noten erteilt werden und er nicht versetzungsrelevant ist. Häufig sind aus der Türkei entsandte Lehrkräfte auch weder auf ihre Aufgaben vorbereitet, noch kennen sie das deutsche Schulsystem oder die Lernbedürfnisse der Lernenden, die „Deutschlandtürkisch“, eine Variante der Standardsprache, sprechen und die - je weiter sie sich von der Migrationserfahrung der Eltern/ Großeltern entfernen - über weniger und veränderte Kompetenzen in der Familiensprache verfügen. Der Erwerb einer Familiensprache in der Diaspora (z.B. L1 Türkisch in Deutschland) kann dabei aufgrund eines nur eingeschränkten Zugangs zu communities of practice (W ENGER 2008) nicht gleichgesetzt werden mit dem Erwerb der Sprache der umgebenden Mehrheitsgesellschaft (L1 Türkisch in der Türkei). Im Kontext der Institution Schule ist die Unterscheidung zwischen Herkunftssprechern und Muttersprachlern für ein besseres Verständnis der großen Kompetenzunterschiede daher besonders wichtig (vgl. B REMER / M EHLHORN 2018; P OLINSKY 2015). 3. Schulentwicklung im Modus der Inklusion An der Deutschen Schule in Istanbul (DSI) wurde in den vergangenen Jahren ein inklusives Konzept für den Türkischunterricht (DSI-Konzept) entwickelt, das der KMK 2018 zur Beantragung des Faches Türkisch vorgelegt und von ihr genehmigt 78 Almut Küppers DOI 10.2357/ FLuL-2019-0021 48 (2019) • Heft 2 wurde. Damit wurde Türkisch zu einem gleichwertigen Fach im Fächerkanon der Schule; bis zu dem Zeitpunkt hatte dieses Fach an der Schule aus ideologischen Gründen nicht existiert. 1 Der Genehmigung des Antrages der Schule auf Einrichtung des Faches Türkisch als alternative 2. oder 3. Fremdsprache neben Französisch ging eine zweijährige Pilotphase voraus, gefolgt von einer einjährigen Phase der Konzept- und Lehrplanentwicklung. Parallel dazu wurde die Infrastruktur des Faches aufgebaut wie z.B. eine Materialsammlung, ein Handapparat, die Anschaffung von Lehrbüchern sowie von Kinder- und Jugendliteratur für Bücherkoffer. Das neue Schulmanagement hatte zu Beginn der Pilotphase einen Türkischlehrer mit Fakultas für das Fach eingestellt, gleichzeitig wurde eine intensive Phase der Schulentwicklung in Gang gesetzt. Zunächst wurde für die Jahrgänge 5 und 6 ein jahrgangsübergreifender Ansatz verfolgt und nach einer Diagnosephase wurden drei parallele Gruppen gebildet, eine davon für Fremdsprachenlerner und zwei Gruppen für unterschiedlich kompetente bilinguale Lernende. Die Türkischlehrkraft konnte allerdings nur in einer der Gruppen unterrichten, zwei fachfremde Kolleg(inn)en mit muttersprachlichen Kompetenzen im Türkischen unterrichteten die beiden anderen Gruppen. Schnell wurde deutlich, dass dieser klassische Ansatz der Gruppenbildung nach Kompetenzen wenig wirksam war und überdies bei allen Beteiligten zu großem Frust führte. Bei den drei Gruppen handelte es sich mitnichten um homogene Lerngruppen. Im Gegenteil, in allen Lerngruppen stellte die Bewältigung der hohen Differenzierungsanforderungen für die einzelne Lehrkraft die größte Herausforderung dar, so dass daraufhin Veränderungen der Unterrichtsorganisation beschlossen wurden. Die jahrgangsübergreifenden Gruppen wurden aufgelöst und Team-Teaching in heterogenen Jahrgangsgruppen eingeführt. Als Teampartner wurde eine Türkisch sprechende Englischlehrkraft gewonnen, ein Jahr später konnte noch eine zweite Lehrkraft mit Fakultas für Türkisch aus Deutschland eingestellt werden. Im eingereichten Konzept wurde die sprachliche Unterscheidung zwischen muttersprachlichen und fremdsprachlichen Lernenden fortan ganz aufgehoben, weil dies nicht den tatsächlichen Mehrsprachigkeitsprofilen der Lernenden entsprach (vgl. DSI 2018: 6). Einige Kinder, die in der Familie nur Deutsch sprechen, aber schon lange Zeit in der Türkei lebten, hatten über Privatunterricht, Freundschaften und Lernbegeisterung erstaunliche Türkischkompetenzen erworben. Bei ihnen passte das Etikett „Fremdsprachenlerner“ genauso wenig wie bei anderen Kindern das Label „Muttersprachler“, denn viele dieser Kinder waren Herkunftssprecher der 3. Generation und verfügten z.T. nur über sehr geringe Türkischkompetenzen. Die Unmöglichkeit 1 Das erwähnte Konzept ist das Ergebnis einer ungewöhnlichen Kooperation, die sich ab dem Jahr 2014 entwickelt hat. An diesem grassroots-Projekt waren einerseits die Schulleitung bzw. der Leiter der Sekundarstufe I beteiligt sowie die Kollegen der Fachschaft Türkisch und andererseits die Elternschaft. Ich selbst habe als Mutter jahrelang dem Elternbeirat vorgestanden und hatte dadurch Gelegenheit den Aufbau des Faches Türkisch zu begleiten. An der Entstehung des Konzeptes war ich ebenfalls beteiligt. Es erscheint in Kürze auf der Webseite von ProDaz / Mehrsprachigkeit der Universität Duisburg-Essen: https: / / www.uni-due.de/ prodaz/ veroeffentlichungen.php Sprachmittlung als Unterrichtsprinzip im inklusiven Türkischunterricht 79 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0021 der Einteilung der Lernenden nach Kompetenzen oder Herkunft machte schließlich die dynamische Vielfalt zum konzeptionellen Ausgangspunkt. 3.1 Konzeptionelle Eckpunkte Das Konzept für den Türkischunterricht an der DSI orientiert sich nun explizit an den mitgebrachten Vorkenntnissen und den daraus resultierenden Lernbedürfnissen der Lernenden. Ziel des Unterrichts ist es, 1) die (interkulturellen) kommunikativen Kompetenzen aller Schülerinnen und Schüler zu verbessern und 2) vorhandene Türkischkompetenzen als Bildungsressource zu nutzen und alltagssprachliche in bildungssprachliche Kompetenzen zu überführen: „Im Zentrum des Türkischunterrichts steht das Sprachkönnen, womit der Unterricht außerdem als Ort für Begegnung und interkulturelles Lernen genutzt wird. Türkisch wird zu einer Bildungssprache entwickelt und vorhandene Sprachkenntnisse ausgebaut bzw. Fremdsprachenkompetenzen zügig aufgebaut“ (ebd.). Das Fach Türkisch wurde während der Pilotphase in den Jahrgangsstufen 5, 6 und 7 unterrichtet und wird nun jährlich aufsteigend weitergeführt, bis es im Jahr 2022/ 23 vollständig in der Sekundarstufe I angeboten werden kann. In der Jahrgangsstufe 7 haben die Lernenden die Möglichkeit zwischen Türkisch oder Französisch als 2. Fremdsprache zu wählen. 2 Mit dieser Wahloption können bilinguale Schülerinnen und Schüler erstmalig ihre familiensprachlichen Kompetenzen als „kulturelles Kapital“ schulisch nutzen: „Das Fach Türkisch erweitert somit die Chancen etlicher Schülerinnen und Schüler auf ein Abitur durch ein erweitertes Angebot bei der Fremdsprachenwahl“ (DSI-Konzept 2018: 7). Das Fach Französisch hatte sich in der Vergangenheit für bilinguale Lernende im Bildungsgang Realschule häufig als unüberwindbare Hürde auf dem Weg zur Hochschulreife erwiesen. 3.2 Sprachmittlung als zentrales Element im offenen, dynamischen Lehrplan Das Schulcurriculum 3 für das Fach Türkisch berücksichtigt die große Heterogenität der Schülerinnen und Schüler in Bezug auf die mitgebrachten Türkischkompetenzen (Anfänger, Herkunftssprecher, Muttersprachler) und Lernvoraussetzungen (einsprachig, bilingual und plurilingual) und geht von steigenden Differenzierungsanforderungen in höheren Klassenstufen aus, denen methodisch-didaktisch sowie inhaltlich begegnet wird. Die zugrunde gelegte flexible Struktur des Schulcurriculums spiegelt die Orientierung an diesen Differenzierungsaufgaben wider, ist grundsätzlich offen (innerhalb der Lernniveaus sowie nach außen zu anderen Fächern hin) und ergänzt daher die curricularen Kernbereiche (sprachliche Kenntnisse, kommunikative Fertig- 2 Gleichzeitig ist der Stundenplan so organisiert, dass die jeweils andere Sprache parallel (freiwillig) auch als 3. Fremdsprache gewählt werden kann. 3 Der Lehrplan orientiert sich am Kernlehrplan Türkisch (NRW 2013), am hessischen Lehrplan Englisch (2010 für Sek I), den Bildungsstandards für die modernen Fremdsprachen (KMK 2003) sowie dem Ergänzungsband des GER Companion Volume with New Descriptors (2018). 80 Almut Küppers DOI 10.2357/ FLuL-2019-0021 48 (2019) • Heft 2 keiten, interkulturellen Kompetenzen, Inhalte sowie Methoden und Lerntechniken) um die notwendige Flexibilisierung in der Lernprogression und im Lehrerhandeln (vgl. DSI-Konzept 2018: 14). Dem hohen Differenzierungsaufwand wird mit den folgenden Prinzipien begegnet: Team-Teaching und Parallel-Teaching, kooperative und individuelle Lernformen (und perspektivisch Portfolioarbeit), Tandemlernen und Peer-Learning unter Einbeziehung außerschulischer Lernorte, Zusatzmaterialien und Elternarbeit. Hervorgehoben wird im Lehrplan explizit die Bedeutung der Sprachmittlung als Antwort auf den Umgang mit großer Heterogenität. Die Sprachmittlung soll wesentlich beitragen „zum Aufbau überfachlicher Kompetenzen (personale Kompetenzen, Sozialkompetenzen, interkulturelle Kompetenzen) […], denen im Entwicklungsprozess der Lernenden eine besondere Bedeutung beigemessen wird“ (ebd.). Damit liegt dem Lehrplan ein Menschenbild zugrunde, das in Übereinstimmung mit dem Companion Volume den Lerner als social agent definiert: „[…] acting in the social world and exerting agency in the language process. This implies a real paradigm shift in both course planning and teaching, promoting learner engagement and autonomy“ (C OUNCIL OF E UROPE 2018: 26). 3.3 Sprachmittlung als Haltung im Fremdsprachenunterricht Dem Gleichbehandlungsgrundsatz der KMK folgend, muss es für Kinder, die in der Jahrgangsstufe 7 ohne Vorkenntnisse mit dem Türkischunterricht an der DSI beginnen, möglich sein, bis zum Ende der Jahrgangsstufe 10 das Kompetenzniveau B1 zu erreichen. Rückmeldungen auf erste Entwürfe des Konzeptes / Lehrplans vom zuständigen Referenten des BLAschA-Ausschusses 4 der KMK wurden in der Fachschaft intensiv und kontrovers diskutiert. Dabei wurde deutlich, dass ein konventioneller Unterricht, der auf lediglich einer Unterrichtsebene im Klassenverband stattfindet, entsprechende Differenzierungsaufgaben nicht leisten kann. Die Erfahrungen aus der Pilotphase hatten ebenfalls gezeigt, dass ein vornehmlich an grammatischer Progression orientierter Unterricht keine integrative Kraft in heterogenen Lerngruppen entfaltet. Mit dem Bekenntnis zur Vielfalt als Ausgangspunkt wurden daher der Team- Teaching- und der Peer-Learning-Ansatz im Konzept festgeschrieben sowie Differenzierung und Sprachmittlung zum Unterrichtsprinzip erklärt. In den methodischdidaktischen Erläuterungen wird festgehalten, dass der Türkischunterricht grundsätzlich auf drei Lernebenen stattfindet: (1) individuelles Lernen und (2) kooperatives Lernen; nicht die Grammatik, sondern das inhaltlich-thematische Lernen (3) bildet die Klammer, die die beiden anderen Ebenen miteinander verbindet. Als Antwort auf den Mangel an passenden Lehrwerken wurde die Arbeit ohne Lehrwerke notgedrungen zum Ansatz erklärt: Es gibt kein Lehrwerk als Leitmedium, stattdessen werden die Lernenden auf der Ebene des individuellen Lernens eingeführt in das selbständige Arbeiten mit einer Grammatik und vertraut gemacht mit online-Werkzeugen wie online-Wörterbücher, Vokabellern-Applikationen und Shareware-Programmen wie 4 Dies ist der Bund-Länder-Ausschuss für schulische Arbeit im Ausland. Sprachmittlung als Unterrichtsprinzip im inklusiven Türkischunterricht 81 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0021 Duolingo oder Babbel, so dass das Lernen außerhalb des Unterrichts eigenständig fortgeführt werden kann. Für das individuelle Lernen ist im Stundenplan pro Woche eine festgelegte Unterrichtsstunde vorgesehen. Um bilinguale und fremdsprachliche Lernende mit guten oder sehr guten Kompetenzen allmählich an bildungssprachliche Kompetenzen heranzuführen, wurde entschieden, sie an individuellen Lese- und Schreibaufgaben arbeiten zu lassen oder ihnen spezielle Grammatikübungen zur Verfügung zu stellen. Ein Bücherkoffer sorgt für thematisch und sprachlich passenden Input. Eigene Materialien können jederzeit mitgebracht werden. Die Gruppe der Anfänger erhält zu Beginn des Schuljahres zunächst für mehrere Wochen außerhalb des Klassenverbandes gesonderten Unterricht von einer der Team-Lehrkräfte, um die Grundlagen der türkischen Sprache zu erarbeiten, anschließend nehmen diese Lernenden dann am Türkischunterricht im Klassenverband teil. Zusätzlich steht an wöchentlich einem Nachmittag ein freiwilliges Angebot zum spielerischen Einüben von Alltagsdialogen zur Verfügung. 3.3.1 Sprachmittlung zwischen individuellem und kooperativem Lernen Nach einer ersten diagnostischen Beobachtungsphase werden die Lernenden nun zu Beginn eines Schuljahres in feste Tandems eingeteilt, wobei darauf geachtet wird, dass die Paare in den beiden Partnersprachen Deutsch und Türkisch möglichst deutlich unterschiedlich hohe Kompetenzen besitzen. Individuelles Lernen findet im Klassenverband in einem grundsätzlich kooperativen Arbeitsklima statt, d.h. auch in Selbstlernphasen ist der Tandempartner stets zu Hilfestellungen bereit. Das Prinzip des Tandemlernens „Wir unterstützen und helfen uns gegenseitig“ wird zu Schuljahresbeginn in einer speziellen Unterrichtseinheit sprachlich und inhaltlich intensiv eingeübt, damit sich immer wieder darauf bezogen werden kann. Dieser Form des Peer- Learnings liegt ein Umdenken zugrunde: Von Unterricht als Wettbewerb („If your grades are bad, I can shine more easily“) zu Kooperation („Less me and more we and we will be better together“). Diese Haltung korrespondiert mit dem sehr viel weiteren Mediationsbegriff, wie er nun im neuen CV vorliegt: In mediation, the user/ learner acts as a social agent who creates bridges and helps to construct or convey meaning, sometimes within the same language, sometimes from one language to another (cross-linguistic mediation). The focus is on the role of language in processes like creating the space and conditions for communication and/ or learning, collaborating to construct new meaning, encouraging others to construct or understand new meaning, and passing on new information in an appropriate form. The context can be social, pedagogic, cultural, linguistic or professional (C OUNCIL OF E UROPE 2018: 103). 3.3.2 Sprachmittlung als Unterrichtsprinzip in heterogenen Gruppen Als Brückenbauer sollen die Schüler(innen) lernen Verantwortung für den Lernprozess des Tandempartners zu übernehmen im Sinne eines „Ich lerne selbst Türkisch, aber ich bin auch verantwortlich dafür, dass dein Türkisch besser wird“. Der Hinweis im CV, dass Sprachmittlung nicht nur zwischen Sprechern unterschiedlicher Sprachen 82 Almut Küppers DOI 10.2357/ FLuL-2019-0021 48 (2019) • Heft 2 notwendig sein kann, sondern auch innerhalb einer Sprache verständnisförderlich ist, trifft sich mit den Erfahrungen im Türkischunterricht an der DSI, wo die Spreizung der Kompetenzen besonders groß ist. Die Lernenden werden von Anfang an dafür sensibilisiert zu erkennen, wann sie als Mediatoren ihren Tandempartnern oder anderen Mitschülern helfen können - und zwar jenseits der Kategorien Fremdsprachenlerner / Muttersprachler und explizit gerade zwischen Muttersprachlern und Herkunftssprechern. Auf dem Arbeitsblatt „Birbirimizi destekliyoruz“ („Wir unterstützen uns gegenseitig“) wird zunächst auf einen zentralen Aspekt des gemeinsamen Lernens und Arbeitens in heterogenen Gruppen hingewiesen, nämlich die Einstellung zu Fehlern. Ein positiver Umgang mit Fehlern ist unumgänglich, nicht nur für die Entwicklung einer wertschätzenden Lernatmosphäre, sondern gerade auch, um die Vielfalt der Lernenden als „Normalzustand“ anzuerkennen und sie tatsächlich produktiv machen zu können. Die Prinzipien des Helfens sind dafür zentral, weswegen sie als sprachliche Redemittel in beiden Sprachen zur Verfügung gestellt werden: Das ist noch wichtig beim Helfen: Wir müssen nicht wörtlich übersetzen, wir übersetzen den Sinn einer Aussage. Wenn wir mit Freunden/ Leuten reden, die Türkisch lernen wollen, dann sprechen wir deutlicher, evtl. langsamer, und vielleicht lauter und mit weniger Slang. Wir loben sie und zeigen, dass wir sie verstanden haben. Wir korrigieren sie nur, wenn sie es wollen, und fragen, ob wir evtl. helfen sollen. 5 Für die Prinzipien des wertschätzenden Helfens werden sowohl für die Gruppe der Helfer als auch für die Hilfesuchenden Redemittel erarbeitet und eingeübt. „Ich bin fertig, wem kann ich helfen? “ oder „Soll ich dich unterstützen? “, „Hast du das verstanden, oder soll ich das mal übersetzen? “ „Möchtest du, dass ich dich korrigiere? “ sind Phrasen der Helfer. Die Hilfesuchenden lernen zudem Ausdrücke, die Überforderung signalisieren, „Of, amma da zor! “ („Gnade, ist das schwer! “), dass sie Hilfe brauchen, aber andererseits nicht stören wollen (Bist du schon fertig? Kann ich dich mal etwas fragen? ). Um Hilfe bitten ist in einer an Höchstleistungen und Autonomie orientierten Wissensgesellschaft dabei nicht einfach, wird nicht selten als Schwäche ausgelegt und setzt Öffnung und das Bloßlegen von Nichtverstehen voraus, so dass die Interaktionen des Helfens für viele Lernende ungewohnt sind und sprachlich (z.B. über Rollenspiele) eingeübt werden. In dieser Phase werden ebenfalls die grundlegenden Sprachmittlungs-Strategien (Texte vereinfachen, zusammenfassen, Sprache anpassen, übersetzen, erklären, an Vorwissen anknüpfen) besprochen und geübt. 3.3.1 Sprachmittlung und Peer-Learning in individualsierten Lernphasen Das Tandemkonzept ist eingebunden in eine scaffolding-Kultur, in welcher die Lernenden eine Verantwortung für ihren eigenen Lernprozess sowie für den anderer entwickeln sollen. Im Sinne von Schmenk (2018: 15) erhält der zugrunde gelegte Autonomiebegriff damit explizit eine soziale Dimension und steht in einem natürlichen 5 Diese Redemittel sind einer Sammlung entnommen, die allen Lernenden in kopierter Form vorliegt und als Poster/ Erinnerungshilfen an der Wand hängen. Sprachmittlung als Unterrichtsprinzip im inklusiven Türkischunterricht 83 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0021 Spannungsverhältnis von Selbst-, Mit- und Fremdbestimmung. Im realen Unterrichtsgeschehen entstehen Sprachmittlungssituationen im Kontext von mediating communication und mediating texts, konkret sind dies häufig mündliche Anweisungen und schriftliche Aufgabenstellungen des Lehrers, die für die Anfänger(innen) vom Türkischen ins Deutsche übertragen werden müssen. Das geschieht entweder in Plenumsrunden oder aber auf der Tandem-Ebene. Spontan entstehen Sprachmittlungsaufgaben in kommunikativen Phasen, in denen zügig eine Anweisung oder ein Redebeitrag sinngemäß übersetzt wird. In den Selbstlern-Stunden stehen die Tandempartner auch für Wortschatz- oder Grammatikfragen zur Verfügung. Vokabeln werden ebenfalls wechselseitig im Tandem abgefragt. Wichtig ist hier, dass die Phasen des selbstgesteuerten Arbeitens eingebettet sind in eine kooperative Lernatmosphäre des „Mit- und voneinander Lernens“, in der Sprachmittlungsaufgaben jederzeit entstehen können und spontan bewältigt werden müssen. 3.3.4 Sprachmittlung in kooperativen Phasen und kleineren Projekten Der Peer-Learning- und Mediations-Ansatz hebt die Einteilung in individuelle und kooperative Lernphasen im Grunde auf. Denn in den Einzelarbeitsphasen wird ebenso kooperiert wie in den kooperativen Phasen Einzelarbeit möglich ist. Im Lehrplan ist festgelegt, dass jede/ r Lernende pro Halbjahr an einem Kooperationsprojekt (Recherchen, Umfragen, kreative Aufgaben, Drama) teilnimmt und diese Gruppenleistung zu einem gewissen Teil in die Benotung einfließt. Im Rahmen eines solchen Projektes wird z.B. in Gruppen an Reportagen über die (aussterbenden) Berufe Istanbuls gearbeitet. Pro Gruppe, die aus zwei bis drei Tandemteams besteht, wird über einen Beruf gearbeitet, etwa die Simitverkäufer, Teeverkäufer, Schneider oder Schuhputzer. Am Ende des Projektes soll jeweils einer der Berufe im Rahmen einer Konferenz (Präsentation durch Filmclips, Powerpoint, Poster o.ä.) vorgestellt werden. Interviews können die Gruppen auch außerhalb der Schule führen, Recherchen können in Einzelarbeit erledigt werden. Die Lernenden auf Anfängerniveau sollen explizit in die Gruppenarbeiten eingebunden werden, und zwar nicht nur inhaltlich, organisatorisch und gestalterisch, sondern explizit auch sprachlich. In der Forschungsliteratur zum Peer- Learning wird darauf hingewiesen, dass große Leistungsunterschiede besonders produktiv sein können. So argumentiert T OPPING (2015: 7): „The greater the differential in ability or experience between helper und helped, the less cognitive conflict and the more scaffolding might be expected“. Für die helfenden Tandempartner bedeutet das, dass sie auf mögliche Sprachmittlungsaufgaben vorbereitet sein müssen. Nicht nur in der Interviewsituation selbst, wo die Antworten evtl. nur bruchstückhaft oder gar nicht zu verstehen sind, sondern insbesondere bei der Auswertung und Verarbeitung der aufgenommenen Gespräche können die Helfer immer wieder als Brückenbauer zum besseren Verständnis wirken. Jenseits der Sprachmittlung geht es in diesen kollaborativen Gruppenprozessen aber immer auch darum, Verständnis für die Differenzen in der Gruppe zu entwickeln und Arbeitsprozesse erfolgreich anzuleiten (C OUNCIL OF E UROPE 2018: 104). 84 Almut Küppers DOI 10.2357/ FLuL-2019-0021 48 (2019) • Heft 2 3.3.5 Sprachmittlung in schwierigen Kommunikationssituationen Ein abschließendes Beispiel soll illustrieren, welches Potenzial dem Mediations- Ansatz für das trans-/ interkulturelle Lernen innewohnt und zwar im Hinblick auf „facilitating communication in delicate situations and disagreement“ (ebd.). Als Grundlage diente dazu ein Alltagskonflikt, der von Lernenden mit guten Türkischkompetenzen zunächst außerhalb des Klassenverbandes eingeübt und dann der gesamten Klasse als Rollenspiel vorgespielt wurde. Inhaltlich wurde ein alltagspraktisches Phänomen des Winters in den Blick genommen: das Naseputzen. Es unterliegt im deutschen und türkischen Kontext deutlich divergierenden Kulturstandards und bietet aufgrund der lebensweltlichen Erfahrungen, die alle Lernenden mitbringen, viele Anknüpfungspunkte zu deren Bewusstmachung. Die Konfliktsituation, die entwickelt wurde, ist imaginiert, aber durchaus realistisch: Der Manager eines großen deutschen Unternehmens kommt zu einer wichtigen Verhandlung nach Istanbul, ist aber sehr erkältet. Ohne die Kenntnis darüber, dass das Säubern der Nase in der Türkei möglichst nicht im Beisein von Dritten stattfindet, schnäuzt er sich während seines Vortrages für alle Anwesenden gut sicht- und hörbar. In der Inszenierung sollen alle Rollen mit ausdrucksstarker Körpersprache dargestellt werden, denn die beteiligten türkischen Verhandlungspartner sollen versuchen, ihrem Entsetzen und ihrem Ekel auch körpersprachlich Ausdruck zu verleihen. Die Szene wurde der Klasse vorgespielt und anschließend „eingefroren“, denn zunächst sollte sich jede/ r dazu selbst Gedanken machen, diese notieren und anschließend mit dem Tandempartner vergleichen. Danach wurden die Ansichten im Plenum gesammelt und besprochen, wobei hier für die Anfänger(innen) nicht nur sprachliche, sondern auch kulturelle Mediation nötig wurde. Lernenden, die gerade erst nach Istanbul gezogen waren und/ oder die zuhause nur Deutsch sprachen, war an der Szene nichts Problematisches aufgefallen, während für andere sofort klar war, dass hier gegen eine Alltagskonvention verstoßen worden war. Die unterschiedlichen Perspektiven auf diese Situation wurden besprochen und in einem nächsten Schritt Gruppen aus Tandemteams gebildet, um (1) den gleichen Konfliktes in anderen Dimensionen dramatisch zu ergründen (im Theater, in der Metro, beim romantischen Dinner), um (2) alternative Handlungsoptionen zu entwickeln und darzustellen und um (3) eine zusätzliche Person in dem Rollenspiel einzubauen, die dem Nase putzenden Gast in angemessener Form erklärt, was an seinem Verhalten problematisch sein kann. Zur Bewältigung dieser kulturellen Mediations- Aufgabe können die Lernenden nicht nur ihr lebensweltliches Wissen nutzen, das kulturell geprägt ist und dadurch erfahrbar wird. Weil sich soziale und kulturelle Determiniertheit gerade in vermeintlich unbedeutenden Alltagshandlungen zeigen kann, eignen sich (imaginierte) Mediationsaufgaben, die daran anknüpfen, besonders gut, um über gelebte Unterschiede zu reflektieren, Perspektivenvielfalt zu thematisieren und interkulturelles Voneinanderlernen zu ermöglichen. Sprachmittlung als Unterrichtsprinzip im inklusiven Türkischunterricht 85 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0021 4. Herausforderungen und Ausblick Team-Teaching, Peer-Learning und die Arbeit im Tandem sind Instrumente der Differenzierung, die im Paradigma der Inklusion an Bedeutung gewinnen. Die positiven Effekte des Peer-Learnings sind empirisch grundsätzlich nachweisbar - und zwar sowohl für die helfenden Partner als auch für die Lerner, denen geholfen wird - nicht nur im Bereich des akademischen Fachlernens, sondern auch für das soziale, affektive und kommunikative Lernen sowie in inklusiven Settings (vgl. T OPPING 2015: 13). Besonders wirkungsvoll sind Peer-Learning -Kontexte dann, wenn Helfer sich ebenfalls als Hilfesuchende erleben können (ebd.). Für den Kontext der DSI würde es sich anbieten, feste Tandempaare für die Fächer Türkisch und Deutsch zu bilden, da Kinder mit besonders guten Türkischkompetenzen oft diejenigen sind, die im Deutschunterricht Unterstützung brauchen. Fächerübergreifend organisiert kann darüber hinaus die Wahrnehmung der Lernenden untereinander positiv beeinflusst und das schulische Machtgefälle aufgebrochen werden, in dem Einsprachigkeit häufig als Überlegenheit erlebt wird (vgl. K ÜPPERS 2016). Auch wenn der Kontext einer Auslandsschule ein anderer ist, die Bedingungen des Türkischunterrichtes an der DSI sind mit denen im HSU in Deutschland durchaus vergleichbar und zwar besonders im Hinblick auf die hohen Kompetenzunterschiede und Differenzierungsanforderungen. Insofern scheinen die Erfahrungen mit diesem inklusiven Ansatz übertragbar auf urbane Klassenzimmer, in denen (Sprach-)Unterricht ebenfalls in sehr heterogenen Lerngruppen stattfindet. Entscheidend für den Erfolg sind die organisatorischen Bedingungen, unter denen ein gemeinsames Voneinanderlernen stattfindet (T OPPING 2015: 4). Die Sprachmittlung wiederum in ihrer weiten Auslegung als social agency wird vermutlich dann in (mehrsprachigen, reziproken) Bildungsprozessen eine besondere Wirkung entfalten können, wenn sie als Unterrichtsprinzip eingesetzt wird und alle Beteiligten (Lernenden und Lehrkräften) sie als Lernhaltung anerkennen. Die Erfahrungen aus Istanbul verweisen damit auch auf das große Bildungspotenzial der Sprachen der Migration (gerade an Gesamt-, Haupt- und Realschulen) als anerkannte zweite und dritte Fremdsprachen - und offen für alle Lernenden. Beim Umbau des deutschen Schulsystems von einem traditionell selektiven zu einem inklusiven System müsste den Sprachen der Migration konsequenterweise ein anderer Stellenwert im Curriculum zukommen, wie Reich konstatiert: „Grundsätzlich sollten als Fremdsprachen jene Sprachen angeboten werden, die als Sprache von vielen gesprochen werden. In Deutschland müsste dies konkret zu einer deutlichen Aufwertung z.B. des Türkischen führen“ (R EICH 2012: 110). Organisiert als inklusive Angebote und umgesetzt mit Peer-Learning-Ansätzen könnten Herkunftssprecher nicht nur ihre Familiensprachen (zu Bildungssprachen) entwickeln, sondern - ihre alltagspraktischen Sprachmittlungserfahrungen nutzend - auch als Brückenbauer fungieren und Türen öffnen zu communities of practice in Deutschland, in denen nicht-europäische Sprachen äußerst vitale Kommunikationsmittel und damit Lernquellen darstellen. Für Fremdsprachenlernende eröffnen sich dadurch vielfältige lokale Anwendungskontexte und entsprechend nachhaltige Lernerfahrungen. Bildungspolitisch wäre die Auf- 86 Almut Küppers DOI 10.2357/ FLuL-2019-0021 48 (2019) • Heft 2 wertung der großen Migrationssprachen wie Türkisch, Arabisch, Persisch dringend notwendig; positive Auswirkungen auf interkulturelle Verständigung, soziale Kohäsion und höhere Chancengerechtigkeit wären dabei wünschenswerte Nebenwirkungen. Literatur B AUMAN , Zygmunt (2000): Liquid Modernity. Cambridge: Polity Press. B REHMER , Bernhard / M EHLHORN , Grit (2018): Herkunftssprachen. Tübingen: Narr Francke Attempto. C OUNCIL OF E UROPE (2018): Common European Framework of Reference for Languages: Learning, Teaching, Assessment. Companion Volume with New Descriptors. https: / / rm.coe.int/ cefrcompanion-volume-with-new-descriptors-2018/ 1680787989 (20.10.2018). D EUTSCHE S CHULE I STANBUL (2018): Antrag an die KMK zur Genehmigung des Faches Türkisch als zweite bzw. dritte Fremdsprache in der Sekundarstufe I. [bislang unveröffentlichtes Konzept] E UROPÄISCHE K OMMISSION (Hrsg.) (2016): Language Teaching and Learning in Multilingual Classrooms. Online: http: / / ec.europa.eu/ assets/ eac/ languages/ library/ studies/ multilingual-classroom_en.pdf (19.11.2018). E UROSTAT P RESS O FFICE (2017): 60% of lower secondary level pupils studied more than one foreign language in 2015. https: / / ec.europa.eu/ eurostat/ documents/ 2995521/ 7879483/ 3-23022017-AP- EN.pdf/ 80715559-72ba-4c19-b341-7ddb42dd61a6 (24.11.2018) G OGOLIN , Ingrid (Hrsg.) (2011): Durchgängige Sprachbildung. Qualitätsmerkmale für den Unterricht. Münster: Waxmann. H ESSISCHES K ULTUSMINISTERIUM (Hrsg.) (2010): Lehrplan Englisch - Gymnasialer Bildungsgang. Wiesbaden. K MK (2003): Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für den Mittleren Schulabschluss. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 12.4.2003. München K ÜPPERS , Almut (2016): „Interkulturelle Bildung durch schulische Mehrsprachigkeit. Über die integrative Kraft von Türkisch in einem bilingualen Sprachenprogramm einer Grundschule in Hannover“. In: Zeitschrift für Pädagogik und Theologie 68/ 3, 340-352. K ÜPPERS , Almut / S CHROEDER , Christoph (2017): „Warum der türkische Herkunftssprachenunterricht ein Auslaufmodell ist und warum es sinnvoll wäre, Türkisch zu einer modernen Fremdsprache auszubauen. Eine sprachenpolitische Streitschrift“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 46.1, 56-71. M INISTERIUM FÜR S CHULE UND W EITERBILDUNG DES L ANDES N ORDRHEIN -W ESTFALEN (Hrsg.) (2013): Kernlehrplan Türkisch für das Gymnasium - Sekundarstufe I (G8). Online: https: / / www.schulentwicklung.nrw.de/ lehrplaene/ lehrplannavigator-s-i/ gymnasium-g8/ index.html (13.5.2019) P OLINSKY , Maria (2015): „Heritage languages and their speakers: state of the field, challenges, perspectives of future work, and methodologies“. In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 26.1, 7-27. R EICH , Hans H. (2016): „Herkunftssprachen“. In: B URWITZ - MELZER , Eva / M EHLHORN , Grit / R IEMER , Claudia / BAUSCH , Karl-Richard / K RUMM , Hans-Jürgen (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht (6. Aufl.), Tübingen: Francke, 221-226. R EICH , Kersten (2012): Inklusion und Bildungsgerechtigkeit. Weinheim: Beltz. Sprachmittlung als Unterrichtsprinzip im inklusiven Türkischunterricht 87 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0021 R EIMANN , Daniel (2016): Sprachmittlung - 7 wichtige Punkte für einen erfolgreichen Start ins Thema. Tübingen: Narr Francke Attempto. S CHMENK , Barbara (2018): „Aporien des Lern- und Bildungsziels Autonomie im Kontext des institutionalisierten Fremdsprachenunterrichts“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 47.1, 10-24. T OPPING , Keith (2015): „Peer tutoring: old method, new developments“. In: Journal for the Study of Education and Development 38/ 1, 1-13. https/ / dx.doi.org/ 10.1080/ 02103702.2014.996407 (10.1.2019). W ILBERT , Jürgen (2010): „Stereotype-Threat Effekte bei Schülern des Förderschwerpunkts Lernen“. In: Heilpädagogische Forschung, XXXVI.4, 154-161. W ENGER , Etienne (2008): Communities of Practice: Learning, Meaning and Identity. Cambridge: CUP. DOI 10.2357/ FLuL-2019-0022 48 (2019) • Heft 2 D AGMAR A BENDROTH -T IMMER , K ATHARINA W IELAND * Sprachmittlungsaufgaben im bilingualen Sachfachunterricht Französisch - zwischen Scaffolding und Emergenz Abstract. Language mediation has become an established concept in foreign language teaching. However, there is little knowledge about whether and how it can be made fruitful for bilingual subject teaching (CLIL). Based on the language mediation model of A BENDROTH -T IMMER (2016) and A BENDROTH -T IMMER / P LIKAT (2017) we describe possible characteristics of a subject-specific language mediation situation. Scaffolding as well as subject-content-related knowledge construction (emergence) with the aim of developing subject-specific or bilingual literacy (cf. K ÖNIGS 2013: 37; L EISEN 2018) are worked out as possible starting points and additional perspectives for the discussion of subject-specific language mediation. Results from an online survey among teachers using French as a working language show that the teachers’ concept of language mediation could be expanded by subject-specific aspects of language mediation. 1. Einleitung Der bilinguale Sachfachunterricht scheint in besonderer Weise für den Einsatz von Sprachmittlungsaufgaben prädestiniert zu sein, wenn „bilingual“ ernst genommen und mit / in verschiedenen Sprachen gearbeitet wird. Wie im Folgenden gezeigt werden soll, wird dieses Aufgabenformat jedoch prioritär im Fremdsprachenunterricht eingesetzt. Dementsprechend konzentrieren sich auch die theoretische und empirische Forschung und die Aufgaben- und Materialentwicklung auf diesen Einsatzbereich. Selbst in der bis dato aktuellsten, umfangreichen Monographie zum Thema Sprachmittlung (vgl. K OLB 2016) spielt der bilinguale Sachfachunterricht als möglicher Einsatzort keine Rolle. Hier setzt dieser Beitrag an und geht deshalb der Frage nach, worin das besondere Potenzial der Sprachmittlung für den bilingualen Sachfachunterricht mit der Arbeitssprache Französisch (im Folgenden SFU-F) liegen könnte. Dazu * Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Dagmar A BENDROTH -T IMMER , Philosophische Fakultät, Romanisches Seminar, Universität Siegen, Adolf-Reichwein-Str. 2, 57068 S IEGEN E-Mail: abendroth@romanistik.uni-siegen.de Arbeitsbereiche: Interkulturalität, Lehrer*innenforschung, Mehrsprachigkeit Dr. Katharina W IELAND , Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Romanistik, Unter den Linden 6, 10099 B ERLIN E-Mail: katharina.wieland@hu-berlin.de Arbeitsbereiche: Sprachmittlung, Dramapädagogische Verfahren, Mehrsprachigkeit Sprachmittlungsaufgaben im bilingualen Sachfachunterricht Französisch 89 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0022 betrachten wir zunächst aktuelle theoretische Modellierungen der Sprachmittlung aus der Fremdsprachendidaktik und die Neukonzeptualisierung der Sprachmittlung im Companion Volume des GER (E UROPARAT 2018). Darauf aufbauend unterscheiden wir zwischen einem eher produkt- und einem eher prozessorientierten Verständnis von Sprachmittlung für den SFU-F. Den besonderen Mehrwert der Sprachmittlung für den SFU-F sehen wir in der prozessorientierten Variante, für die wir im Folgenden unter den Schlüsselbegriffen Scaffolding und Emergenz Entwicklungsperspektiven aufzeigen. Der Beitrag mündet in die Darstellung der wesentlichen Ergebnisse einer Online-Befragung von im bilingualen Sachfachunterricht Französisch tätigen Lehrkräften bundesweit. Die Ergebnisse daraus werden abschließend mit den zuvor skizzierten theoretischen Überlegungen zusammengeführt und im Ausblick für die Weiterentwicklung einer bilingual literacy perspektiviert. 1.1 Sprachmittlung als komplexe Kompetenz K NAPP (2016: 479) merkt zu Recht an, dass Sprachmittlung komplex ist, da sie die funktionalen kommunikativen Kompetenzen und die interkulturelle Kompetenz verbindet. Zunehmend setzt sich die Bezeichnung „(komplexe) Kompetenz“ (u.a. C ASPARI / S CHINSCHKE 2012) bzw. „Makro-Kompetenz“ (K OLB 2016) durch. Eine Makro-Kompetenz ist Sprachmittlung nach Kolb (2016: 161, 179) u.a. deshalb, weil in ihr nicht nur alle kommunikativen (Teil-)Kompetenzen enthalten sind, sondern im Sinne eines psychologischen Kompetenzbegriffs auch Elemente wie Wissens-, Könnens- und Persönlichkeitsfaktoren. A BENDROTH -T IMMER (2016) und A BENDROTH -T IMMER / P LIKAT (2017) haben diese Komplexität in einem Sprachmittlungsmodell dargestellt, in dem sie zunächst die Komplexität von einsprachig erstsprachlicher und fremdsprachlicher Kommunikation allgemein beleuchten. Hierbei wird deutlich, dass ein realisiertes Kommunikat 1 erkenntnistheoretisch niemals identisch mit dem rezipierten Kommunikat 2 sein kann. In der fremdsprachigen Kommunikation ohne Sprachmittlung kommt hinzu, dass die Akteure zwar die Intention haben, ihre Äußerungen möglichst so zu formulieren, dass der jeweils andere Akteur sie in seiner Sprache und in seinem kulturellen Rahmen gut verstehen kann. Zugleich schwingen immer die Vorstellungen mit, welche erstsprachlichen Realisierungen mit welcher Wirkung möglich gewesen wären. In einer Kommunikationssituation, in welcher Akteur 1 und Akteur 2 keine gemeinsame Sprache sprechen und einen Sprachmittler (Akteur 3) benötigen, muss dieser nun beide sprachlich-kulturellen Kontexte und Kommunikationsabsichten der Akteure 1 und 2 erfassen und transponieren. Dabei kommt es notwendigerweise zu sprachlich-kulturellen Adaptionen, Rekonstruktionen und auch zu Emergenz, d.h. dem Entstehen von neuen Bedeutungskonstruktionen und sprachlichen Realisierungen. 90 Dagmar Abendroth-Timmer, Katharina Wieland DOI 10.2357/ FLuL-2019-0022 48 (2019) • Heft 2 1.2 Sprachmittlung im Companion Volume (2018) des GER Neue Impulse für die Konzeptualisierung von Sprachmittlung im bilingualen Sachfachunterricht gibt das „Companion Volume“ des Europäischen Referenzrahmens (E UROPARAT 2018: 34). Relevant erscheint hier vor allem der Bereich „Mediating concepts” mit seinem Unterpunkt „Collaborating to construct meaning” (E UROPARAT 2018: 103f.): Collaborating to construct meaning is concerned with stimulating and developing ideas as a member of a group. It is particularly relevant to collaborative work in problem-solving, brainstorming, concept development and project work (ebd.: 118, Hervorhebung im Original). Hier wird die inter- oder intralinguale Ko-Konstruktion von Wissen bzw. das Problemlösen im Tandem oder in der Gruppe als „Mediation“ verstanden und der Sprachmittlungsbegriff so auch gegenüber der Fassung des GER von 2001 noch einmal erweitert. 1 Sprachmittlung inkludiert nunmehr die (re-)konstruierende Auseinandersetzung mit Konzepten, Wissenselementen und Diskursen, die schriftlich und/ oder mündlich und ggf. in zwei verschiedenen Sprachen oder Codes vorliegen. Gemeinsam mit anderen gilt es, deren Sinn im Dialog zu erschließen und auszuhandeln und damit Bedeutung kooperativ zu generieren. Dieses erweiterte Begriffsverständnis hat eine gewisse Attraktivität für den SFU-F und lässt sich beispielsweise bei der mehrsprachigen, kontrastiven (Re-)Konstruktion von historischen Narrativen im bilingualen Geschichtsunterricht umsetzen. Die weite Auffassung von Sprachmittlung im „Companion Volume” birgt allerdings die Schwierigkeit, dass eine Abgrenzung zu anderen rezeptiven, produktiven oder interaktionalen Sprachaktivitäten sehr schwierig ist und das Konzept ‚Sprachmittlung‘, wie es sich seit geraumer Zeit in der fremdsprachendidaktischen Diskussion etabliert hat, aufzuweichen droht. 1.3 Sprachmittlungsformate im bilingualen Sachfachunterricht Im bilingualen Sachfachunterricht tritt zu der oben beschriebenen sprachlich-interaktionalen Komplexität von Sprachmittlung noch eine besondere fachliche Komplexität hinzu. Eine doppelte Sachfachsprachlichkeit als Mittel zu einem vertieften Verständnis der jeweiligen fachlichen Konzepte und ihrer bildungs- und fremdsprachlichen Repräsentation erfordert ein vergleichendes Durchdringen fachlicher Inhalte und ihrer jeweiligen Versprachlichung. Dies wird auch als bilinguale Literalität oder bilingual literacy bezeichnet (vgl. K ÖNIGS 2013: 37). Nach dem mehrsprachigkeitsdidaktischen Konzept eines compound bilingualism (H ALL / C OOK 2012: 281 mit Bezug auf W EINREICH 1953) ist demgemäß von einer lernwirksamen Fusion der Sprachen eines Lernenden u.a. im Prozess des Übersetzens auszugehen (vgl. H ALL / C OOK 2012). 1 Vgl. dazu die Ausführungen zum Companion Volume im Beitrag von R ÖSSLER / S CHÄDLICH im vorliegenden Heft (S. 10-28). Sprachmittlungsaufgaben im bilingualen Sachfachunterricht Französisch 91 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0022 Anders als im fremdsprachlichen Französischunterricht (FSU), in dem Sprachmittlung in erster Linie auf die Bewältigung interkultureller kommunikativer Situationen vorbereiten soll, sind für den SFU-F zwei Zielrichtungen denkbar. Zum einen geht es auch im SFU-F um den Erwerb kommunikativer Kompetenz, aber in dem Sinne, dass sachfachliche Inhalte eines Fachtextes in außerschulischen Kontexten Personen in einer anderen Sprache vermittelt werden können. Z.B. kann dies im Geschichtsunterricht ein französischer Zeitungsartikel mit einem Rückblick auf ein historisches Ereignis oder eine besondere Persönlichkeit sein, der ins Deutsche gemittelt werden soll (im Sinne von mediating texts, vgl. Europarat 2018: 107f.). Die adressierten Personen können mit dem Fachgebiet vertraut sein oder auch nicht. Davon ist der Grad der verwendbaren Fachsprachlichkeit oder der Anpassung an Allgemeinsprache abhängig. Der Fokus der Mittlung läge jeweils in einer adressatenorientierten, situationsbezogenen, d.h. adäquaten Übertragung, ganz im Sinne des funktionalen Übersetzens (vgl. S INNER / W IELAND 2013: 103). Dies bedeutet jedoch nicht, dass (Fach-) Sprache hinter dem Inhaltlichen zurücksteht, sondern dass diese an zielsprachliche und zielkulturelle Rezipienten sowie an fachkommunikative Standards (generische Kompetenz) angepasst wird. Diese Art der Sprachmittlung scheint vordergründig produktorientiert, ihr liegen aber wichtige Momente der Bedeutungsaushandlung zugrunde, welche im unterrichtlichen Geschehen immer wieder durch das Eingehen auf Teilprozesse der Sprachmittlung sowie strategisches Vorgehen beleuchtet werden sollten. Zum anderen könnte Sprachmittlung im SFU-F aber auch ein Unterrichtsverfahren sein, um die doppelte Sachfachsprachlichkeit und die bilingual literacy zu fördern. Im Mittelpunkt stünden die Lernenden selbst als Zielpersonen, die sich durch Sprachmittlung mit der Fachsprache in beiden Sprachen befassen, durch die sprachmittelnde Auseinandersetzung mit Texten und Ideen (im Sinne von mediating concepts) ein tieferes Verstehen derselben erlangen und sich hierzu inhaltlich positionieren. Dies wirft in anderer Weise als bei kommunikativer Sprachmittlung Fragen der Invarianz und der Adäquatheit gemittelter Texte auf. Es geht dann zwar auch um eine adäquate Mittlung der Ausgangstexte und -ideen, bei der aber der Mittlungsprozess offengelegt und diskutiert wird (vgl. H OUSE 2010: 36f., overt translation). Der Fokus liegt hier noch stärker als im anderen Fall auf der Prozessorientierung von Sprachmittlung und auf dem Durchdringen der Ausgangstexte. Dieses Durchdringen ist nicht als rein rezeptiver Prozess zu verstehen, sondern meint auch die produktive Auseinandersetzung, die Bedeutungsaushandlung und -konstruktion in der sprachmittelnden Interaktion. Beide dargestellten Ausprägungen von Sprachmittlung sind mit dem Modell von A BENDROTH -T IMMER / P LIKAT (2017) beschreibbar. Bei der als prozessorientiert beschriebenen Form der Sprachmittlung liegt der Fokus auf der sprachlichen Aushandlungssituation und der Emergenz. Dies ist der Fall, wenn eine Aufgabenstellung oder ein Text auf Deutsch oder Französisch vorliegt und die Lernenden als Gruppe auf dieser Basis Ideen zu einem sachfachlichen Inhalt generieren, diese sprachlich aushandeln und formulieren. Dies kann ebenfalls auf Deutsch oder Französisch geschehen, es könnte also eine intralinguale oder eine interlinguale Mittlung sein bzw. 92 Dagmar Abendroth-Timmer, Katharina Wieland DOI 10.2357/ FLuL-2019-0022 48 (2019) • Heft 2 es könnten im Prozess zahlreiche Elemente des translanguaging auftreten (vgl. V OGEL / G ARCÍA 2017). Sprachmittlung wäre hier im Wesentlichen prozessorientiert zu betrachten und als Unterrichtsverfahren eingesetzt, das der Entwicklung von bilingual literacy dienen soll. Auf die kommunikative Sprachmittlung, wie sie aktuell in Aufgaben 2 des SFU-F zu finden ist, lässt sich das oben beschriebene Modell ebenfalls anwenden, gleichen diese Aufgaben doch denen des fremdsprachlichen Französischunterrichts sehr. Auch diese Form der Sprachmittlung ist ein „inhaltlich motivierter Aushandlungsprozess“ (K ÖNIGS 2015: 32) zum Erreichen des Kommunikationsziels. 2. Entwicklungsperspektiven für Sprachmittlung im SFU-F Für die bisher skizzierten Ausprägungen von Sprachmittlung im SFU-F kann festgehalten werden, dass diese wesentlich komplexer sind als die einfache Aufforderung: „Erklärt das mal jemand auf Deutsch? “ (ID53 3 ). Wenn der Mehrwert von Sprachmittlungsaufgaben für den SFU-F darin liegt, stärker prozessorientiert und im Sinne von mediating concepts zu arbeiten, um bilingual literacy auszubilden, ist danach zu fragen, in welchen Kontexten und mit welchen Aufgabenformaten das konkret realisiert werden kann. Dies soll im Folgenden geschehen. Zugleich wird der Frage nachgegangen, welche Spezifika die Arbeitssprache Französisch in diesen Prozess einbringt. 2.1 Didaktisches Mittel zur Sicherung des sprachlichen Verstehens und zum Erwerb von Fachvokabular (Scaffolding) Hier rücken zunächst die Rezeptions- und die Transformationsphase des Sprachmittlungsprozesses (vgl. W IELAND 2016) in den Mittelpunkt, also die Sicherung des Textverstehens für den Mittler selbst und dessen Anstrengungen, das Verstandene im Geiste sprachlich zusammenzufassen, umzuformulieren oder zu ergänzen. Hierbei ist mit einer vertieften Verarbeitung des Ausgangstextes im Hinblick auf die anstehende Mittlung zu rechnen (vgl. K NAPP 2016: 485f.; vgl. auch H ALL / C OOK 2012). Besonders im Hinblick auf Fachvokabular oder fachliche Konstruktionen bzw. Sprachmuster sind die Lernenden ‚gezwungen‘, von Anfang an über eine adäquate Versprachlichung der Inhalte in der jeweils anderen Sprache nachzudenken. 2 Materialien für den Sachfachunterricht mit der Arbeitssprache Französisch finden sich bei den Lehrbuchverlagen Cornelsen und Klett als „Bilinguale Module” und in Form von wenigen Lehrwerken für den bilingualen Geschichtsbzw. Geographieunterricht, sehen Sprachmittlung aber nicht vor. Online verfügbar gibt es Materialien, die u.a. durch die Arbeitsgemeinschaft der Gymnasien mit deutsch-französischen Zügen (LIBINGUA) bereitgestellt werden. Beispiele für Sprachmittlungsaufgaben verzeichnen die Materialien des Staatsinstitutes für Schulqualität und Bildungsforschung München. 3 Die Fragebögen (vgl. Abschnitt 3) wurden in chronologischer Reihenfolge ihres Eingangs nummeriert. Diese ID-Nummern dienen hier der Anonymisierung. Sprachmittlungsaufgaben im bilingualen Sachfachunterricht Französisch 93 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0022 In einer Studie erheben S CHMELLENTIN et al. (2017: 83f.), dass sich textuelle Verstehensprobleme von Schüler(inne)n im Fachunterricht Biologie zunächst auf die Ebene der (Fach)Wörter und in geringerem Maße auf die Satzebene bezogen. Außerhalb von Fachbegriffen, welche im Rahmen der Sprachmittlung häufig den Einsatz von Recherchestrategien notwendig machen, beziehen sich Verstehensprobleme oft auf Verbbedeutungen, auf komplexe Nebensatzkonstruktionen, hohe Informationsdichte und „uneindeutige Kohäsionsmittel” (ebd.: 86). Hier können im Rahmen der Sprachmittlung Rezeptionsstrategien wie Antizipieren und Inferieren geübt werden. Gleichzeitig kann über Transformationsstrategien wie Paraphrasieren nachgedacht werden (vgl. W IELAND 2016). Im Hinblick auf die fachsprachliche Literalität ist weiterhin neben der Klärung des Fachvokabulars die Auseinandersetzung mit fachlichen Textmustern wichtig (K ATELHÖN 2015; O LESCHKO 2017: 311). Hierzu bieten sich Vergleiche deutscher und französischer Texte, auch nicht linearer an, um spezifische Textmuster der jeweiligen Fachsprache herauszuarbeiten. Dieser Erkenntnisprozess entwickelt sich bestenfalls und durch entsprechende Aufgabenformate gestützt interaktional und führt zu Emergenz. 2.2 Gemeinsame fachlich-inhaltliche Wissenskonstruktion (Emergenz) Der Aspekt der Emergenz scheint zunächst stärker mit der Produktionsphase und mit einer Rückkopplung der Mittlung an den Adressaten verbunden, geht es doch um die Aushandlung von Bedeutung bzw. um Wissenskonstruktion. Gleichwohl hat jede Form der fachlich-inhaltlichen Bedeutungsaushandlung Rückwirkungen auf eine (erneute) Rezeption des Ausgangstextes sowie die Art und Weise, wie dieser im Hinblick auf eine verständliche Darstellung (hier sowohl für Mittler wie Adressaten) transformiert wird. B ONNET / B REIDBACH (2007: 254) verstehen unter Emergenz zum einen ein gegenseitiges Abgleichen von Verständnis (Viabilitätsprüfung), zum anderen die Tatsache, „dass in der Interaktion auch neue Bedeutungen entstehen können, die über die von den Beteiligten mitgebrachten Deutungsmuster hinausgehen” (ebd.). Konstitutiv für die Ko-Konstruktion neuer Erkenntnis durch die Lernenden ist, dass diese sich inhaltlich über die sachfachlichen Konzepte verständigen sowie deren sprachliche Übertragung wahrnehmen und reflektieren oder auch über die prinzipielle Übertragbarkeit der Konzepte von einer (Fach-)Kultur in die andere nachdenken. Ein oft genanntes Beispiel sind Wortpaare wie die Völkerwanderung/ les invasions barbares und die damit verbundenen unterschiedlichen Perspektiven auf das historische Ereignis (vgl. F RANKE 2016: 531). Nützlich kann die ergänzende Arbeit mit sogenannten Spiegeltexten oder Paralleltexten sein, welche das gleiche Thema in der anderen Sprache behandeln. Diese erleichtern zum einen die adäquate Formulierung in der Sprachmittlung, zum anderen liefern sie weitere kulturspezifische Informationen (vgl. L UKOSCHEK / M EURER 2018: 12, 15). Fachspezifische Aufgabenformate der Sprachmittlung, die den Aspekt der Emergenz berücksichtigen, wären beispielsweise Diskussionsrunden, die entweder mehrsprachig angelegt sind und mit Sprachmittlern erfolgen oder zuvor auf Basis ver- 94 Dagmar Abendroth-Timmer, Katharina Wieland DOI 10.2357/ FLuL-2019-0022 48 (2019) • Heft 2 schiedensprachiger Texte vorbereitet wurden. Ein Potenzial für fachliche Emergenz scheint gerade auch in diskontinuierlichen Texten zu liegen, deren visuelle Darstellung zu analysieren und deren Bedeutung erst noch zu versprachlichen ist. Dies führt weiterhin zu generischen Kompetenzen, wenn unterschiedliche fachliche Textformate in den Sprachen einander gegenübergestellt, verglichen und erprobt werden. 3. Ergebnisse einer Online-Befragung von Lehrkräften Im Folgenden gibt der Beitrag einen Einblick in die Sicht von Lehrkräften auf Sprachmittlung im SFU-F. Die Ergebnisse der Befragung sollen an den aufgeworfenen theoretischen Rahmen rückgebunden werden, um Perspektiven für die Weiterentwicklung spezifischer Formate von Sprachmittlung für den SFU-F aufzuzeigen. 3.1 Methodisches Vorgehen Für die Befragung von Lehrkräften zu Sprachmittlung im SFU-F wurde ein Online- Fragebogen erstellt. Darin wurde nach Sprachmittlung im bilingualen Sachfachunterricht und nach Besonderheiten der Arbeitssprache Französisch gefragt. Der Fragebogen wurde mit fünf Personen zunächst in zwei Versionen in einer Paper-and-Pencil- Fassung pilotiert. Die Erprobung der Online-Version erfolgte mit einer weiteren Person. Der Link zum Fragebogen wurde vor allem von der Arbeitsgemeinschaft der Gymnasien mit deutsch-französischen Zügen (LIBINGUA) verschickt, worüber 96 Schulen erreicht wurden. Der Fragebogenrücklauf lag bei einem Brutto-Rücklauf von 76 und einem Netto-Rücklauf von 23 vollständig ausgefüllten Fragebögen. Von diesen 23 Befragten wenden sechs Lehrpersonen Sprachmittlungsaufgaben nach eigenen Angaben im SFU-F nicht an. Dennoch drücken sie ihre Meinung zum Thema aus. Insgesamt bestand der Fragebogen aus 28 Fragen, davon waren die fünf abschließenden Fragen offen gestellt. Auch bei allen geschlossenen Fragen gab es ein optionales Kommentarfeld. 3.2 Ergebnisse Die 23 Personen blicken auf durchschnittlich 11,6 Jahre schulischer Lehrerfahrung im FSU seit Abschluss des Referendariats zurück. Der Durchschnittswert für die Lehrerfahrungen im SFU-F liegt bei den Befragten bei 9,7 Jahren. Fast alle Personen unterrichten an Schulen, an denen bilingualer Unterricht durchgehend in der Sekundarstufe I und II stattfindet. Angaben zum Umfang des Einsatzes von Sprachmittlung im SFU-F reichen von einer Nennung für den wöchentlichen Einsatz über vier Nennungen für die Verwendung einbis zweimal im Monat bis zu drei Nennungen jeweils in den Kategorien selten oder nie. Während Sprachmittlung im FSU von den Befragten vor allem mit Spracherwerb Sprachmittlungsaufgaben im bilingualen Sachfachunterricht Französisch 95 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0022 in Verbindung gebracht wird, ist im SFU-F der Spracherwerb zwar hinsichtlich der Fachsprachlichkeit ein wichtiges Ziel, ebenso aber auch die Sicherung des Textverstehens. Dennoch findet die Sprachmittlung häufiger ins Französische statt. Dieser allgemeine Einblick in die Fragebögen wird nun durch die Auswertung der qualitativen Daten ergänzt. Die Analyse erfolgte anhand einer computergestützten Inhaltsanalyse. 3.2.1 Potenzial und Ziele von Sprachmittlungsaufgaben Als Ziele von Sprachmittlung im SFU-F werden die Entwicklung des Fachvokabulars und die Verstehenssicherung mit Schwerpunkt auf inhaltlich-sachfachlichen Zielen gesehen (ID9; 10; 17; 24; 27; 41; 66; 74). Mit Sprachmittlung soll auch auf den rein fremdsprachlichen „bilingualen“ Unterricht in der Oberstufe vorbereitet werden (ID31; 76; 77). Demgemäß verwundert nicht, wenn einige Befragte Sprachmittlung gar nicht einsetzen, u.a. mit dem Hinweis auf die gute französischsprachige Materiallage (ID44). Andere Lehrkräfte (ID17; 33; 69; 74) nutzen Sprachmittlung hingegen, um gerade einem Materialmangel entgegenzuwirken. Es wird als zeitökonomisch betrachtet, einen deutschen Film oder Text einzusetzen und ihn dann auf Französisch zu besprechen (ID74). In diesem Zusammenhang wird die Authentizität des Materials als positiv und motivierend bewertet (ID9; 61). Zugleich wird auf die Fachspezifik der verwendeten Textgenres aufmerksam gemacht und auf den Umstand, dass diskontinuierliche Texte sich vermeintlich nicht für Sprachmittlungsaufgaben eignen: Im modernen Erdkundeunterricht sollten so wenig Texte wie möglich behandelt werden und stattdessen nicht-lineare Texte wie Karten, Diagramme oder Tabellen im Vordergrund stehen. Insofern bietet sich eine Sprachmittlung nicht immer an (ID74). Bezüglich der Eignung von Sprachmittlungsaufgaben werden weitere kritische Stimmen deutlich, da übliche kommunikative Sprachmittlungsaufgaben zeitaufwändig (ID61) und nicht zur Heranführung an die Fachsprachlichkeit des SFU-F in der Oberstufe geeignet seien (ID24). Jedoch sieht die gleiche Person in der Sprachmittlung auch einen Vorteil, da der Unterricht neue Impulse bekomme und mit den kreativen Aufgaben in der Oberstufe auch interkulturelle Kompetenzen angebahnt werden könnten (ID24). Zudem wird positiv hervorgehoben, dass Sprachmittlungsaufgaben durch die mehrfache Verarbeitung der Inhalte im Lösungsprozess zu einem tieferen und nachhaltigeren Verstehen und Vernetzen der Inhalte einerseits und zum Erwerb einer doppelten Sachfachsprachlichkeit andererseits beitragen (ID27; 31; 65; 66; 77). 3.2.2 Kriterien für die Erstellung von Sprachmittlungsaufgaben Neun der befragten Lehrpersonen geben an, dass sie Sprachmittlungsaufgaben selbst erstellen (ID9; 24; 31; 41; 49; 53; 74; 76; 77). Dies wird teils mit der geringen Passung der deutschen und französischen Lehrpläne begründet (ID74). Die Materialien ent- 96 Dagmar Abendroth-Timmer, Katharina Wieland DOI 10.2357/ FLuL-2019-0022 48 (2019) • Heft 2 stammen deutschen oder französischen Lehrbüchern oder Printbzw. Online-Quellen. Drei Personen geben an, dass sie keine Materialien selbst erstellen, dies auch mit dem Argument der erforderlichen Authentizität (ID33; 61; 69). Die Auswahl der Materialien folgt weiterhin dem Kriterium der sachfachlichen Ziele (ID17; 41; 49) sowie inhaltlicher Passung für die Lernenden mit dem Ziel der Motivierung (ID24). Zudem geht eine Lehrperson davon aus, dass nur das Übertragen ins Französische im SFU-F inhaltlich von Gewinn für die Lernenden und zudem zeitökonomisch sei (ID66). Als letztes Auswahlkriterium werden die Möglichkeit des Erwerbs von Kompensationsstrategien (ID9; 27) sowie das notwendige Scaffolding genannt (ID76). 3.2.3 Beispiele für Sprachmittlungsaufgaben Unterschiedliche Auffassungen von Sprachmittlung spiegeln sich in den von den Befragten gelieferten Aufgabenbeispielen wider. Sprachmittlung kommt bisweilen zum Tragen, wenn kein geeignetes französisches Material zu finden ist oder wird als Einstieg in ein als schwierig eingestuftes Thema verwendet, um das thematische Verstehen zu sichern (ID10; 17). Die in der Umfrage erwähnten Formate zeigen, dass Lehrkräfte ihre Aufgaben variantenreich und kompetent vor dem Hintergrund sachfachlicher Ziele gestalten. Es werden dabei auch zweisprachige Aufgaben eingesetzt, die der Verstehenssicherung dienen und eher Teilkompetenzen von Sprachmittlung (vgl. C ASPARI 2013; E UROPARAT 2018: 107-114) trainieren. Hierzu zählen Zusammenfassungen (ID33; 49) oder das Ausfüllen eines Lückentextes auf Französisch nach dem Anschauen eines Filmes auf Deutsch (ID69). Ein Aufgabenformat ist auch die Reiseberatung eines Freundes in ein Katastrophengebiet (ID9). Diese Beratung soll laut Angabe der befragten Lehrperson ohne Textvorlage aus dem offensichtlich zuvor vermittelten Wissen der Lernenden heraus geschehen und dadurch „die Fachsprache […] in tägliche Situationen einbetten“. Im Sinne eines „mentalen Sprachmittelns“ (vgl. K ÖNIGS 2015: 37) muss hier das auf Deutsch und/ oder Französisch erworbene Wissen mental sortiert und eventuell reduziert werden, um es dann im Französischen zu formulieren. Auch das Kommentieren eines Videos (ohne Ton) auf Deutsch, nachdem die Erarbeitung des Themas Vulkanausbrüche im Unterricht auf Französisch stattgefunden hat (ID24), basiert eher auf dem Vorwissen der Lernenden. Bei beiden Beispielen fällt die Abgrenzung zur eigenständigen Sprachproduktion schwer und es kann diskutiert werden, ob das Format überhaupt unter Sprachmittlung gefasst werden sollte. Sprachmittlungsaufgaben mit kommunikativer Prägung, wie sie aus dem FSU bekannt sind, finden sich in den Beispielen an zwei Stellen: • einem französischen Freund einen sachfachspezifischen deutschen Sachverhalt erklären (ID27; 31; 66); • eine Presseschau für eine französische Zielgruppe erstellen, z.B. Verarbeitung von ausgewählten deutschen Medienberichten und Interviews zu einem sachfachspezifischen Thema (ID 53). Sprachmittlungsaufgaben im bilingualen Sachfachunterricht Französisch 97 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0022 Daneben finden sich Beispiele, welche die vertiefte inhaltliche und sprachliche Auseinandersetzung mit Themen und den Prozesscharakter von Sprachmittlung fokussieren. So gibt eine Lehrkraft an, mit bewertenden Textvergleichen zu arbeiten (ID74). Eine weitere Lehrkraft schreibt: Besonders oft in der Sek. I gebe ich den SuS kurze Quellenauszüge auf Frz. mit Vokabelhilfen und frage eng geleitet inhaltliche Aspekte zumeist ebenfalls auf Frz. ab. In einem zweiten Schritt werden Aussageintention und Bezüge auf Dt. abgefragt. Ein Urteil wird komplett auf Dt. erbeten. Erst später in derselben Reihe gebe ich dann markierte Texte auf Frz., deren Inhalte auf Dt. neu zu strukturieren sind (ID76). 3.2.4 Besonderheit der Arbeitssprache Französisch Insgesamt äußern sich nur 11 Lehrkräfte zur Frage, ob durch die Arbeitssprache Französisch (im Vergleich zum Englischen) Besonderheiten im bilingualen Sachfachunterricht und hier im Bereich Sprachmittlung entstehen. Als spezifisch und gleichzeitig problematisch wird die Arbeitssprache Französisch wegen ihrer höheren Komplexität angesehen, so dass mehr Zeit für die Spracherwerbsarbeit vor dem und im bilingualen Sachfachunterricht investiert werden müsse (ID 24; 53; 61; 69). Eine weitere Besonderheit der Arbeitssprache Französisch wird auf der interkulturellen Ebene vermutet, nämlich in der sprach- und kulturvergleichenden Auseinandersetzung mit Fachbegriffen und kulturellen Konzepten (ID 49; ID77). Durch den Fokus auf deutsch-französische Beziehungen im Unterricht würden diese selbst gefestigt (ID27). Hierin könnte ein Alleinstellungsmerkmal des SFU-F liegen, welches aber eine Fokussierung auf Frankreich und weniger auf die Gesamtheit der Frankophonie vermuten lässt. Auf methodischer Ebene äußert eine Lehrkraft, dass über die Verwendung authentischer Materialien auch die französische Unterrichtsmethodik einbezogen werde, d.h. unterrichtliche Vorgehensweisen durch das Material nahegelegt werden (ID65) und französische Lehrwerke für das jeweilige Sachfach verwendet werden. Die genannten Besonderheiten scheinen mitunter auch im späteren Einsetzen des regulären Französischunterrichts (im Vergleich zum Englischen) als Vorbereitung auf den SFU-F zu liegen. Im bilingualen Unterricht stellen sich dann sprachliche Herausforderungen für Lernende und Lehrende, denen evtl. durch das Einbeziehen der deutschen Sprache im Rahmen von Sprachmittlung angemessen begegnet werden könnte. 3.3 Zusammenfassung der Ergebnisse In der Zusammenschau der Daten zeigt sich, dass die Entwicklung von Fachsprachlichkeit ein wichtiges Ziel von Sprachmittlung für die befragten Lehrkräfte darstellt. Im Fokus des SFU-F steht für die Lehrkräfte zu Recht das sachfachliche Lernen, das durch Sprachmittlung als Sicherung des Textverstehens gewährleistet werden kann. Da von den befragten Lehrkräften Sprachmittlung in einem fremdsprachendidaktischen Verständnis gesehen wird, erachten manche diese als zu zeitaufwändig für den 98 Dagmar Abendroth-Timmer, Katharina Wieland DOI 10.2357/ FLuL-2019-0022 48 (2019) • Heft 2 Sachfachunterricht. Von vielen wird aber auch die interkulturelle Zieldimension geschätzt. Aus den qualitativen Daten lässt sich schließen, dass einige Lehrkräfte Sprachmittlung zwar im SFU-F einsetzen und interessante Aufgabenstellungen konzipieren, insgesamt aber bei der Mehrzahl der befragten Lehrkräfte ein recht enger Blick auf Sprachmittlung vorliegt. Sprachmittlung geht relativ selten über die reine Verstehenssicherung im Sinne von Wort- oder Satzübersetzungen bzw. Textzusammenfassungen in der anderen Sprache hinaus, wird also von den Lehrkräften als eine Art Scaffolding verstanden. Weiterhin werden von den Lehrkräften kommunikative Sprachmittlungsaufgaben zu einer sachfachlichen Thematik eingesetzt. Eine weite Auffassung von Sprachmittlung, wie sie z.B. der GER (E UROPARAT 2001 und 2018) zugrunde legt, wird eher nicht vertreten. Dies wird u.a. daran deutlich, dass nicht-lineare Texte als ungeeignet für Sprachmittlung dargestellt werden (ID74). Sprachmittlung wird von den befragten Lehrkräften immer wieder als Möglichkeit betrachtet, die Fachinhalte tiefer zu durchdringen und doppelte Fachsprachlichkeit zu entwickeln. Dies setzt zugleich voraus, dass die Lernenden die Sprachmittlung ebenfalls als sinnträchtig und motivierend erachten, ein Aspekt, der auch von den Lehrkräften erwähnt wurde (vgl. hierzu auch L UKOSCHEK / M EURER 2018: 14). In der Befragung wird jedoch an keiner Stelle das Potenzial der gemeinsamen Bedeutungsaushandlung durch die Lernenden in Betracht gezogen. Die Perspektive auf Sprachmittlung für den bilingualen Sachfachunterricht in diesem Punkt zu erweitern, erscheint uns als ein wichtiges Anliegen, da gerade eine dialogische Ko-Konstruktion von Wissen durch den sprachlichen Wechsel ein besonderes Potenzial von Sprachmittlung im SFU-F bergen kann. 4. Ausblick Sprachmittlung im bilingualen Sachfachunterricht ist ein interdisziplinär noch zu entwickelnder Themenkomplex. Im vorliegenden Beitrag konnte nur aus fremdsprachendidaktischer Sicht argumentiert werden, zur konzeptuellen Weiterentwicklung wäre jedoch eine breite Diskussion mit den Sachfachdidaktiken wichtig. Diese könnte anschließen an Überlegungen zum sprachsensiblen Fachunterricht, welcher unter Berücksichtigung der (mehrsprachigen) Sprachkompetenzen der Lernenden gerade die Differenz von Alltags-, Unterrichts- und Fachkommunikation sowie die fachliche Symbolsprache in den Blick nimmt. Es wäre die Frage zu bearbeiten, welche Unterstützungsmaßnahmen Lehrende über einen differenzierenden Sprachgebrauch und diversifizierende Darstellungsformen den Schülerinnen und Schülern zum besseren Verstehen der fachlichen Inhalte bieten können. Hier liegen große Überschneidungen zur Diskussion über den bilingualen Unterricht vor, insbesondere beim Konzept der bilingual literacy, wenn es um die Entwicklung generischer Kompetenzen in mindestens zwei Sprachen geht. Bezogen auf fachsprachliches Handeln benennt L EISEN (2018: 11) unter anderem die Register „handlungsbegleitendes Sprechen” und „hand- Sprachmittlungsaufgaben im bilingualen Sachfachunterricht Französisch 99 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0022 lungsberichtendes Sprechen”, die ein Potenzial für spezifische Formate der Sprachmittlung im bilingualen Sachfachunterricht bergen. Ferner gibt es Anschlussmöglichkeiten an das Konzept des translanguaging. Dieses basiert auf der Vorstellung, dass das mehrsprachige Individuum über ein sprachübergreifendes sprachliches/ sprachstrategisches Repertoire verfügt, aus dem es erforderliche Strukturen je nach Kontext auswählt. Aufgabe des schulischen Unterrichts wäre es in diesem Sinne, den flexiblen Umgang mit dem jeweils lerner- und lehrerseits verfügbaren sprachlichen (und medial wie symbolischen) Repertoire anzustoßen und hierüber individuelle und kommunikativ-interaktionale Bedeutungskonstruktion und Bedeutungsvermittlung zu ermöglichen (vgl. G ARCÍA / W EI 2015: 233; V OGEL / G AR - CÍA 2017). Der SFU-F kann hierzu durch eine mindestens zweisprachige Beschäftigung der Lernenden mit fachlichen Konzepten beitragen (vgl. R YMARCZYK 2012: 118f.). Im Vergleich zum fremdsprachlichen Französischunterricht, in welchem Sprachmittlung gemäß den Rahmenvorgaben der bundesdeutschen Lehrpläne nur interlingual vorkommt, könnte im SFU-F unseres Erachtens ein Mehrwert von Sprachmittlung aber auch in der intralingualen Ausprägung liegen, im Sinn einer diskursiven (Re-)Konstruktion von Konzepten u.Ä. (vgl. E UROPARAT 2018: 103f.; siehe 1.2) und der Initiierung von Emergenz. Sowohl sprachliche Entlastung (zugunsten der Stärkung anderer Strategien) als auch der Fokus auf Bedeutungsaushandlung sind ebenso wichtig, wie translanguaging zu ermöglichen. Weiterhin sind empirische Studien erforderlich, welche sprachlich-inhaltliche Aushandlungsprozesse mit vergleichendem Bezug auf die Arbeitssprachen Deutsch und Französisch analysieren. Forschungsthemen können unter anderem sein: spezifische Modellierung von Sprachmittlung im Kontext des bilingualen Sachfachunterrichts, Ein- und Mehrsprachigkeit im bilingualen Sachfachunterricht, auch im Sinne von translanguaging sowie einzelfachspezifische Aufgabenformate und damit verbundene Lern- und Lehrprozesse. Literatur A BENDROTH -T IMMER , Dagmar (2016): „Sprachmittlung zwischen Renaissance und Innovation? “. In: H ARDY / H ERLING / S ÄLZER (Hrsg.), 491-517. A BENDROTH -T IMMER , Dagmar / P LIKAT , Jochen (2017): „Sprachmittlung − Warum gute Praxis gute Theorie braucht“. In: Hispanorama 155, 10-16. A HRENHOLZ , Bernt / H ÖVELBRINKS , Britta / S CHMELLENTIN , Claudia (Hrsg.) (2017): Fachunterricht und Sprache in schulischen Lehr- und Lernprozessen. Tübingen: Narr, Francke, Attempto. A RBEITSGEMEINSCHAFT DER G YMNASIEN MIT DEUTSCH - FRANZÖSISCHEN Z ÜGEN (LIBINGUA): Unterrichtsmaterialien. http: / / libingua.de/ service/ unterrichtsmaterialien/ . B ONNET , Andreas / B REIDBACH , Stephan (2007): „Reflexion inszenierbar machen. Die Bedeutung der Bildungsgangforschung für die Fremdsprachendidaktik“. In: D ECKE -C ORNILL , Helene / H U , Adelheid / M EYER , Meinert A. (Hrsg.): Sprachen lernen und lehren. Die Perspektive der Bildungsgangforschung. Opladen/ Farmington Hills: Barbara Budrich, 251-270. 100 Dagmar Abendroth-Timmer, Katharina Wieland DOI 10.2357/ FLuL-2019-0022 48 (2019) • Heft 2 C ASPARI , Daniela / S CHINSCHKE , Andrea (2012): „Sprachmittlung: Überlegungen zur Förderung einer komplexen Kompetenz“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 41.1, 40-53. C ASPARI , Daniela (2013): „Sprachmittlung als kommunikative Situation. Eine Aufgabentypologie als Anstoß zur Weiterentwicklung eines Sprachmittlungsmodells“. In: R EIMANN / R ÖSSLER (Hrsg.), 27-43. E UROPARAT (ed.) (2001): Common European Framework of Reference for Languages: Learning, Teaching, Assessment. https: / / rm.coe.int/ 1680459f97. E UROPARAT (ed.) (2018): Common European Framework of Reference for Languages: Learning, Teaching, Assessment. Companion Volume with New Descriptors. www.coe.int/ lang-cefr. F RANKE , Manuela (2016): „Sprachmittlung - Renaissance des Übersetzens im Unterricht der modernen Fremdsprachen? “. In: H ARDY / H ERLING / S ÄLZER (Hrsg.), 519-536. G ARCÍA , Ofelia / W EI , Li (2015): „Translanguaging, bilingualism, and bilingual education“. In: G ARCÍA , Ofelia et al. (eds.): The Handbook of Bilingual and Multilingual Education. Malden, MA: Wiley-Blackwell, 223-240. H ALL , Graham / C OOK , Guy (2012): „Own-language use in language teaching and learning”. In: Language Teaching 45, 271-308. H ARDY , Stéphane / H ERLING , Sandra / S ÄLZER , Sonja (Hrsg.) (2017): Innovatio et traditio - Renaissance(n) in der Romania. Festschrift für Franz-Josef Klein zum 65. Geburtstag. Stuttgart: ibidem. H OUSE , Juliane (2010): „Übersetzen und Sprachmitteln“. In: K RUMM , Hans-Jürgen / F ANDRYCH , Christian / H UFEISEN , Britta (Hrsg.): Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Ein internationales Handbuch. Berlin, New York: de Gruyter, 323-331. K ATELHÖN , Peggy (2015): „Sprachmittlung und Textmusterwissen“. In: N IED / K ATELHÖN / B AŠIĆ (Hrsg.), 259-274. K NAPP , Annelie (2016): „Alles schon mal dagewesen? Zur Renaissance der Übersetzung in der Fremdsprachendidaktik“. In: H ARDY / H ERLING / S ÄLZER (Hrsg.), 477-489. K OLB , Elisabeth (2016): Sprachmittlung. Studien zur Modellierung einer komplexen Kompetenz. Münster: Waxmann. K ÖNIGS , Frank G. (2013): „Mehrsprachigkeit und Bilingualer Unterricht. CLIL Die Begriffsvielfalt von Mehrsprachigkeit“. In: H ALLET , Wolfgang / K ÖNIGS , Frank (Hrsg.): Handbuch Bilingualer Unterricht. Content and Language Integrated Learning. Seelze-Velber: Klett, Kallmeyer, 32- 39. K ÖNIGS , Frank G. (2015): „Sprachen lernen − Sprachen mitteln: Warum das eine nicht ohne das andere geht“. In: N IED / C URCIO / K ATELHÖN / B AŠIĆ (Hrsg.), 29-40. L EISEN , Josef (2018): „Von der Alltagssprache über die Unterrichtssprache zur Fachsprache. Sprachbildung im Fachunterricht“. In: Fremdsprache Deutsch. Zeitschrift für die Praxis des Deutschunterrichts https: / / www.fremdsprachedeutschdigital.de/ fd.58.2018.010. L UKOSCHEK , André / M EURER , Olaf (2018): „Sauber in die Zukunft? Mit einem systematischen Zugang das neue Aufgabenformat Sprachmittlung anbahnen“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Französisch 153.52, 10−17. N IED C URCIO , Martina / K ATELHÖN , Peggy / B AŠIĆ , Ivana (Hrsg.) (2015): Sprachmittlung - Mediation - Mediazione linguistica. Ein deutsch-italienischer Dialog. Berlin: Frank & Timme. O LESCHKO , Sven (2017): „Domänenspezifische Schreibfähigkeit messen“. In: A HRENHOLZ / H ÖVELBRINKS / S CHMELLENTIN (Hrsg.), 307-322. R EIMANN , Daniel / R ÖSSLER , Andrea (Hrsg.) (2013): Sprachmittlung im Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Narr. R YMARCZYK , Jutta (2012): „‘Bilingual’ ist doch die richtige Bezeichnung’ - Code-Switching im Sprachmittlungsaufgaben im bilingualen Sachfachunterricht Französisch 101 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0022 englischsprachigen Kunstunterricht“. In: D IEHR , Bärbel / S CHMELTER , Lars (Hrsg.): Bilingualen Unterricht weiterdenken. Programme, Positionen, Perspektiven. Frankfurt/ M.: Lang, 111-130. S CHMELLENTIN , Claudia / D ITTMAR , Miriam / G ILG , Eliane / S CHNEIDER , Hansjakob (2017): „Sprachliche Anforderungen in Biologielehrmitteln“. In: A HRENHOLZ / H ÖVELBRINKS / S CHMEL - LENTIN (Hrsg.), 73-91. S INNER , Carsten / W IELAND , Katharina (2013): „Eine translationswissenschaftliche Sicht auf Sprachmittlung im Fremdsprachenunterricht“. In: R EIMANN / R ÖSSLER (Hrsg.), 93-113. S TAATSINSTITUT FÜR S CHULQUALITÄT UND B ILDUNGSFORSCHUNG M ÜNCHEN : Unterrichtsmaterialien für das Fach Geschichte und Geographie. www.bayern-bilingual.de. V OGEL , Sara / G ARCÍA , Ofelia (2017): „Translanguaging”. In: Oxford Research Encyclopedia of Education. DOI: 10.1093/ acrefore/ 9780190264093.013.181. W EINREICH , Uriel (1953): Languages in Contact. The Hague: Mouton. W IELAND , Katharina (2016): „Erkenntnisse aus Translationswissenschaft und -didaktik für die Entwicklung von Strategien und Techniken zur Sprachmittlung im Fremdsprachenunterricht“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 45.2, 108-123. DOI 10.2357/ FLuL-2019-0023 48 (2019) • Heft 2 L AURA N ICOLAS * Médiations d’enseignants et d’apprenants en classe de langue étrangère : des tâches prescrites aux pratiques réelles Abstract. This article aims to describe and to analyse teachers’ and learners’ mediations that take place during activities of « mediation of text and concept » (C OMMON E UROPEAN F RAMEWORK OF R EFERENCE 2018) in foreign language classrooms. By linking the observation of the activities frameworks with the interactions that actually occur while students mediate meaning and content, we found out that mediations have an interactive and cooperative character, and from a teaching perspective, a « didactic » function. Moreover, there is a strong relation between intra-individual and inter-individual mediations. 1. Introduction En 2001, le Cadre européen commun de référence pour les langues (CECRL) introduisait la notion de médiation en tant que dénomination d’une forme d’activité visant « par la traduction ou l’interprétariat, le résumé ou le compte rendu, de produire à l’intention d’un tiers une (re)formulation accessible d’un texte premier auquel ce tiers n’a pas d’abord accès direct » (C ONSEIL DE L ’E UROPE 2018: 18). Presque deux décennies après leur introduction, il est constaté, pour le système éducatif français, que ces tâches concernent particulièrement l’activité interlinguistique et plus rarement intralinguistique (M ELO -P FEIFER / S CHRÖDER -S URA 2018: 8) et que les activités de médiation s’apparentent à des exercices de traduction ou à une forme de contrôle de la compréhension écrite (N ORTH / P ICCARDO 2016: 11). En réaction à ces constats, les récents travaux de rénovation de la notion plaident pour son élargissement à d’autres formes d’activités cognitives et relationnelles (C OSTE / C AVALLI 2015: 29 et 2018: 9; CECRL 2018: 106-136). On la définit maintenant comme toute tentative de mise en lien entre deux pôles altéritaires, qu’il s’agisse de médiation didactique, linguistique ou interculturelle. Face au foisonnement des réalités recouvertes par le terme, le but de cet article est de répondre, modestement, au souhait de voir « des descriptions lin- * Adresse pour correspondance: Dr. Laura N ICOLAS , Université Paris Est Créteil, 61 avenue du Général de Gaulle, 94010 C RÉTEIL CEDEX , France E-Mail : laura.nicolas@u-pec.fr Champ de recherche : agir professoral, interactions didactiques, médiation interculturelle Médiations d’enseignants et d’apprenants en classe de langue étrangère 103 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0023 guistiques et pragmatiques du fonctionnement de pratiques discursives « réelles » de médiation en situations de communication exolingues » (M ELO -P FEIFER / S CHRÖDER - S URA 2018: 14). On postule en effet que l’analyse des médiations à partir de leurs caractéristiques langagières permettra d’en isoler les caractéristiques effectives, telles qu’elles se produisent dans le hic et nunc de l’interaction didactique exolingue. 2. Analyser les médiations en interaction didactique : théorie et méthode Cet article tente de faire le lien entre deux conceptions de la notion de médiation et des applications respectives qui en découlent dans le champ de la didactique des langues et cultures étrangères : d’une part, celle qui circonscrit les compétences et stratégies sociales, relationnelles et cognitives des apprenants (CECRL 2001 et 2018), et, d’autre part, celle qui se focalise sur les opérations langagières des personnes (courant interactionniste des recherches en acquisition des langues). Ce rapprochement est proposé à partir de l’analyse de la réalisation langagière des activités dites « de médiation » par le CECRL. Lier les deux approches consistera à observer comment les mouvements discursifs dits « de médiation » apparaissent, chez les enseignants et les apprenants, au sein d’activités dites « de médiation ». De fait, des fondements théoriques proches sous-tendent ces deux conceptions de la médiation : elles postulent que la création et le maintien du lien social et sémantique en interaction exolingue relèvent d’une nécessité sociale, tant au niveau des apprenants que des enseignants et tant sous un angle psycho-sociologique que didactique. Elles donnent également la primauté à l’activité langagière en tant que moyen d’expression des compétences de médiation : « Médiation cognitive et médiation relationnelle passent par des reformulations linguistiques et sémiotiques, une médiation langagière, travaillant les termes, les textes, les genres discursifs » (C OSTE / C AVALLI 2015: 29). Elles s’accordent sur le fait que la notion de médiation ne présenterait, en effet, qu’un intérêt empirique réduit si elle s’affranchissait de tout rapport avec les éléments interactionnels, linguistiques et pragmatiques qui la composent. C’est précisément le repérage de ces éléments que permet l’analyse des interactions. Dans une perspective pragmatique et interactionniste, l’interaction désigne « toute forme de discours produit collectivement, par l’action ordonnée et coordonnée de plusieurs ‘interactants’ » (K ERBRAT -O RECCHIONI 1990: 55). Intersubjective et collaborative, l’interaction est nécessairement sociale et suppose de ce fait une influence mutuelle entre les participants. Les notions d’« interaction » et de « médiation » entretiennent, dans cette perspective, une relation indissociable et réciproque : la première caractérise l’habileté des participants à faire usage du langage - et de toute autre ressource - dans l’objectif de médier et d’accompagner l’apprentissage (W ALSH 2011: 21). 1 La médiation, pour sa part, circonscrit l’usage que font les participants de l’in- 1 Notre traduction. 104 Laura Nicolas DOI 10.2357/ FLuL-2019-0023 48 (2019) • Heft 2 fluence mutuelle contenue dans le fait même d’interagir. Médier serait alors une sorte d’usage plus ou moins conscientisé de l’interaction pour influer sur son propre apprentissage ou celui d’un tiers. Médier constitue une démarche d’intermédiarisation entre soi et l’autre ou entre l’autre et l’objet dans un objectif de construction du sens. De fait, la médiation contient en elle-même la visée d’agir sur quelqu’un, qu’il s’agisse de résolution de conflit, de pédagogie interculturelle ou d’acquisition des savoirs. L’intérêt d’une telle vision de la médiation est, entre autres, qu’elle permet de travailler sur la notion en dehors du paradigme du plurilinguisme ou du seul domaine de la traduction : la médiation ne circonscrit pas (seulement) le passage d’une langue à l’autre ou d’une référence culturelle à une autre mais s’applique à toute entreprise d’intermédiarisation, quelle soit intraou interlinguistique et intraou interculturelle. Dans la perspective didactique qui nous occupe, on décrit la posture d’entre-deux endossée par le médiateur à partir de différents descripteurs dit « d’étayage », qui correspondent à « l’ensemble des interactions d’assistance [permettant] d’apprendre à organiser ses conduites afin de résoudre seul un problème qu’[on] ne savait pas résoudre au départ » (B RUNER 1991: 148). Dans cette perspective, la médiation n’est pas exclusivement considérée sous l’angle d’une compétence ou d’une stratégie (CECRL 2001) ou bien comme un mode d’activité pédagogique (N ORTH / P ICCARDO 2016; CECRL 2018), mais également comme une habileté interactionnelle plus ou moins didactisée : la médiation s’entend comme une « compétence communicationnelle mise au service, en classe de français, de la réalisation d’activités didactiques et du processus d’enseignement-apprentissage » (L ECLÈRE 2018: 3). Elle circonscrit alors : • des « actions » effectivement menées (étayer, accompagner, guider, etc.) ; • des « stratégies », entendues comme « un ensemble final d’actions sélectionnées et agencées en vue de concourir à la réalisation du but final » (B ANGE 1992: 75-76). Les stratégies dites « langagières » sont réalisées via des mouvements discursifs identifiables que l’on peut définir comme des « procédés d’ajustement réciproque, d’auto/ hétéro facilitation » (D E P IETRO 1988: 71) ; • des « rôles » ou des « postures » (ceux de facilitateur et d’intermédiaire entre langue, public et activités). Dans cette étude, les médiations des enseignants et apprenants ont été observées au sein d’activités visant à susciter ou à améliorer, chez 17 apprenants de Français langue étrangère niveau B1, des compétences de médiation. Au niveau B1, la médiation, en général, renvoie aux compétences suivantes : « Peut présenter des personnes de différents milieux, montrer qu’il a conscience que certaines questions peuvent être perçues différemment et inviter d’autres personnes à apporter leur expertise et leur expérience. Peut transmettre les informations données dans des textes informatifs clairs et bien structurés liés à des sujets d’ordre familier, personnel ou courant, en ayant de temps en temps des problèmes de formulation dus à son lexique limité » (CECRL 2018: 108). Médiations d’enseignants et d’apprenants en classe de langue étrangère 105 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0023 Deux activités, l’une de « médiation de texte » (transmission d’un contenu par reformulation en langue française d’un texte source en langue 1) et l’autre de « médiation de concept » (facilitation de l’accès au savoir par un débat en langue française) ont été mises en place et filmées (la durée des activités est respectivement de 40 et de 30 minutes) 2 . Le corpus analysé est constitué de la transcription des interactions ayant eu lieu au sein de chacun des sept binômes et d’un trinôme d’étudiants. On fait premièrement l’hypothèse que les activités de médiation mises en place provoqueront effectivement la mise en acte des compétences de médiation par les apprenants, compétences étayées par les médiations d’enseignants. La seconde hypothèse pose que certains mouvements de médiation linguistique (reprises, citations, reformulations, répétitions, exemplifications, etc.) apparaitront lors de l’exercice des compétences de médiation. On suppose également que l’on trouvera, chez les apprenants opérant comme médiateurs, certains marqueurs de médiation langagière attribués classiquement aux seuls enseignants. Ces marqueurs indiquent une forme de médiation didactique que l’on définira comme une « guidance », « un processus dynamique construit de manière séquentielle et collective par les participants » (F IL - LIETTAZ 2010: 175) 3 . On s’interrogera alors sur la distinction entre médiations enseignantes et apprenantes en posant l’hypothèse que les médiations enseignantes constituent un « savoir-être spécifique » (L ÉVY / Z ARATE 2003: 187) intégré à tel point qu’il devient une sorte d’habitude d’agir transversal (qui s’observe donc en-dehors des seules activités de médiation). En revanche, les médiations des apprenants nécessitent la mise en place de situations spécifiquement dédiées à leur apprentissage. 3. Une « médiation de texte » premièrement cognitive et monologale La compétence de médiation de texte, telle qu’elle est décrite dans le CECRL et telle qu’elle peut apparaître sur le terrain, se traduit premièrement par un format langagier de type monologal. Cette compétence repose sur la maîtrise, par l’apprenant-médiateur, des formules relevant de la synthèse, de l’énumération (« le premier point est », « après », « ensuite », « enfin », etc.), de la connexion logique (« donc », « par conséquent », « parce que », etc.) et du discours rapporté (« il a dit » - avec ou sans le relatif « que » -, « le texte parle à propos que… », et, plus rarement, de l’exemplification (par ex : « de façon exponentielle ça veut dire que ça va monter très vite »). Du point de vue socio-constructiviste, il s’agit d’un discours typique d’une médiation de soi au 2 Par manque d’espace, plusieurs choix méthodologiques ont dû être posés en termes de type de médiation (absence de la médiation de communication), de type de compétences visées (sur les sept compétences relevant de la médiation de texte, seule « traiter un texte » a pu trouver sa place ici et, sur les quatre compétences relevant de la médiation de concept, seules « gérer les interactions » et « faciliter la coopération entre pairs » ont été choisies) et enfin en termes de descripteurs analysés (tous les descripteurs de chaque compétence ne sont pas intégrés). On renvoie au CECRL 2018 pour l’intégralité de ces informations. 3 Notre traduction 106 Laura Nicolas DOI 10.2357/ FLuL-2019-0023 48 (2019) • Heft 2 sens : l’apprenant retravaille un contenu qu’il emprunte à d’autres voix et se l’approprie tout en le produisant à destination du pair avec qui il est en binôme lors de l’activité. Des expressions de la pensée intérieure, typiques de cette médiation cognitive de soi à l’objet, apparaissent de manière récurrente à travers des expressions à fonction méta-communicative (« comment dire », « je ne sais pas comment », « comment s’appelle euh : : »). En B1, on voit effectivement surgir les « problèmes de formulation dus [au] lexique limité » mentionnés par le CECRL (2018: 108). On peut néanmoins préciser que les difficultés rencontrées sont davantage d’ordre syntaxique que lexical car l’apprenant se réfère au texte-source pour le lexique thématique (on voit, sur les corpus vidéo de notre étude, que les étudiants regardent leur texte quand ils recherchent un terme spécifique). De plus, on voit surgir de nombreuses reformulations correctives auto-formulées par l’apprenant (par ex : « dans la Istanbul … dans le Istanbul … dans Istanbul »). Or ces reformulations figurent parmi les médiatifs de soi à soi qui indiquent le plus explicitement qu’une modification de l’interlangue, « processus de mise en mémoire entraînant la reconstitution et la restructuration d’un input textuel » (G RIGGS / B LANC 2010: 169) est provoquée par l’activité. En effet, la médiation de texte de type monologal constitue une activité de médiation cognitive mettant en lien deux pôles qui sont le texte-source (et la pensée de son auteur) et l’apprenant luimême. A la base de toute activité de médiation inter-individuelle (en binôme, par exemple) se trouve donc un nécessaire travail de médiation cognitive intra-individuel. Mais ce travail se trouve doublé ou suivi de traces de médiation collaborative qui repose sur des compétences dites « d’interaction ». 4. La médiation, une entreprise interactive et collaborative La caractéristique essentielle des compétences de médiation réside dans leur nature intrinsèquement interactive et collaborative. Premièrement, la distinction entre une activité de reformulation-médiation effectuée individuellement et une activité telle que la médiation de texte à destination d’un pair se situe dans la portée acquisitionnelle fondamentale de l’interaction sociale : l’individu ne reformule pas seulement pour lui-même mais il projette son action vers le pair qu’il a en face de lui. Comme toute activité réalisée en groupe, le fait même de devoir prononcer son travail en face de son pair amplifie l’enjeu socio-affectif contenu dans l’activité et double obligatoirement l’objectif linguistique d’un but communicatif et actionnel. Le pair est ainsi visible dans le discours de l’apprenant-médiateur, même lors d’une seule reformulation de texte en face à face. La prise en compte de son interlocuteur dans le discours du locuteur est rendue visible par l’expression de régulateurs interactionnels (« tu vois ? », « tu comprends ? », « ça va ? », « tu sais que ») et les nombreux coups d’œil en direction du pair, qui incluent ce dernier dans l’espace discursif monopolisé par l’apprenant-médiateur. Du point de vue pragmatique, on dira que ces régulateurs ont pour fonction de s’assurer de la compréhension du pair. Les descripteurs de la « médiation de texte » pourraient ainsi, afin de lier pleinement les deux pôles de la produc- Médiations d’enseignants et d’apprenants en classe de langue étrangère 107 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0023 tion et de la réception, intégrer une mention telle que : « Sait résumer […] tout en s’assurant de la compréhension de son interlocuteur ». On se trouve dès lors dans un type de médiation qu’on pourra qualifier de communicative-didactique : il y a reconnaissance interactionnelle du pôle « récepteur » en même temps qu’un souci d’ordre didactique pour la qualité de sa réception. De ce fait, la majorité des mouvements de médiation observés (traduction en anglais, reformulations, etc.) qui sont des autoétayages dans l’élaboration du discours, fusionne avec des médiations adressées au pair (une hétéro-élucidation du sens). Entre nécessité d’une production (de la part du médiateur) et d’une compréhension (par son interlocuteur), il y a indissociabilité entre auto et hétéro étayages. Ensuite, l’un des constats majeurs de l’analyse est le fait qu’on ne peut isoler les mouvements de médiation du cadre de l’interaction qui les fait naître, et, donc, des autres mouvements qui les entourent. L’extrait suivant montrera leur enchâssement séquentiel et les liens indissociables qu’entretiennent, de ce fait, les discours du médiateur et de son interlocuteur : 1 Ali deuxièmement on peut euh euh comment dire ++ (fait le geste de décoller en avion) 2 Elisa voyager ou : : 3 A non non c’est pas voyager + oui un peu comme voyager mais euh dans le Schengen dans le Schengen pays 4 E ah d’accord 5 A on a pas besoin de visa 6 E oui 7 A troisièmement on peut habiter moins ++ je sais pas comment (lit l’article sur son téléphone) ah : : + il a dit que +++ oui ++ on peut vivre au moins sept jours chaque année 8 E combien de jours ? 9 A moins de 7 jours [Extrait 1] De la même manière que l’apprenant-médiateur s’assure que son pair comprend son résumé (en médiation de texte) ou son argumentation (en médiation de concept), l’interlocuteur manifeste au médiateur, à travers des signes phatiques, qu’il suit la discussion : de nombreux « hum », « oui », « ah », « d’accord » ponctuent le discours du médiateur, comme dans l’extrait 1 en tours de parole (désormais TP) 4 et 6. Dans l’extrait, l’interlocutrice (Elisa) est particulièrement investie dans la co-construction du sens. Face aux difficultés rencontrées par Ali pour trouver le terme adéquat (TP1), elle propose le terme « voyager » qui vient étayer la reformulation d’Ali. Elle lui adresse également une demande de clarification du sens en TP8. On est ici face à une médiation dialoguée, une construction du sens collective, entre élaboration et élucidation. On peut parler de « guidance partagée » (F ILLIETAZ 2010) si l’on considère que les gloses méta-communicatives, telles celles d’Ali (« comment dire », « je ne sais pas comment »), s’adressent aux pairs. On en voit un autre exemple cidessous, où la guidance est à double sens : 108 Laura Nicolas DOI 10.2357/ FLuL-2019-0023 48 (2019) • Heft 2 1 Fatemeh en Iran beaucoup de choses interdites pour les femmes + par exemple le hijab + c’est obligatoire 2 Erin c’est quoi le : : 3 F. hijab c’est (geste de mettre un foulard) 4 E. ah cagoule 5 F. non pas cagoule c’est trop ++ 6 E. extrême 7 F. oui extrême + euh hijab vient de tous les vêtements 8 E. ah d’accord […] 9 F. il dit le : : comment s’appelle + euh en général mariage elle monte 10 E. diminuer 11 F. ah diminuer + merci [Extrait 2] Fatemeh, qui officie comme médiatrice dans cette activité, initie une définition du terme « hijab » en réaction à la demande de clarification d’Erin (TP2). Cette dernière lui fait alors une offre de synonyme (« cagoule ») que Fatemeh refuse mais peine à rectifier (TP5-8). C’est Erin qui, par une complétion (« extrême ») vient étayer les propos de Fatemeh. En fin de dialogue, Fatemeh sollicite elle-même l’aide d’Erin, qui lui fait une proposition (« diminuer »). Le caractère collaboratif de la médiation entre pairs fait apparaître la flexibilité du rôle de médiateur : quand un apprenant endosse le rôle de médiateur, quels que soient l’activité et le type de médiation, il initie le dialogue en tant que tel. Mais au fur et à mesure de l’interaction, selon les besoins des participants, se dessinent de nouvelles dynamiques, où l’un des pairs peut intervenir dans le guidage, la clarification du sens, la structuration de l’activité, etc. Cela est très visible au sein d’activités de « médiation de concept », de type « débat » où dans la moitié des cas, l’apprenant en charge de médiation se voit secondé, voire dépassé, par les médiations de ses pairs. Par exemple, ci-dessous, l’étudiant-médiateur Pravi, en charge de modérer le débat, poursuivra un monologue régulé par un pair (Salib) : 1 Lee parce que pour les enfants il doit immigration entrer en France mais maintenant c’est le contraire + c’est trop 2 Pravi non ! ! c’est contraire oui 3 Salib vas-y vas-y oui + pourquoi tu n’es pas d’accord ? 4 P. il y a déjà crise économique […] on doit payer loyer en avance + trois mois et 5 S. et les français ils- 6 P. si les réfugiés vient en France comment on peut trouver des logements ? [Extrait 3] En TP3, Salib invite Pravi à poursuivre son propos, et, ce faisant, officie comme médiateur improvisé dans le débat, et ce à plusieurs reprises. Ainsi, la compétence de médiation ne se restreint pas à un rôle figé, pas plus qu’elle ne s’enferme dans un type particulier d’activités. Elle peut être mise en acte par tout apprenant en fonction du contexte de communication et des besoins qui émergent dans l’interaction. Un autre point, qui vient renforcer le constat d’une médiation nécessairement Médiations d’enseignants et d’apprenants en classe de langue étrangère 109 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0023 interactive, est le fait qu’on assiste davantage à des médiations sollicitées (par les pairs) qu’à des médiations spontanées (par les étudiants médiateurs) : ce sont les interventions des pairs qui provoquent, en retour, la plupart des mouvements typiques de médiation linguistique et didactique chez l’apprenant-médiateur : 1 Tah il a dit il donne beaucoup de chance pour euh invinvestir oui pour investir 2 Fari investir ça veut dire quoi ? 3 T. investir quand on donne l’argent à quelqu’un + et euh quelqu’un qui peut euh augmenter élever notre l’argent 4 F. ah ouais 5 T. par exemple si je euh donne l’argent à quelqu’un pour euh pour achète une maison et après le maison le prix augmenter et après on va on va gagner un peu l’apport [Extrait 4] Les mouvements d’auto-reformulations, d’exemplifications, d’explications, s’ils peuvent survenir ponctuellement au sein d’une médiation monologale, lors de médiation de texte surtout, apparaissent de manière beaucoup plus fréquemment en réaction aux demandes de clarifications que les pairs adressent à l’apprenant-médiateur. C’est la demande de Fari, en TP2, qui génère, de la part de l’apprenant-médiateur (Tah), une définition (TP3), puis une exemplification (TP5). La « guidance sollicitée » (F ILLIETAZ 2010) par les interlocuteurs fonctionne alors comme stratégie collaborative d’élucidation du sens. Sur le terrain, la compétence de médiation s’apparente, le plus souvent, à un « savoir guider » l’interlocuteur dans le texte ou dans le débat. Ce « savoir guider » répond la plupart du temps à un « savoir demander » (ou « faire clarifier » dans le CECRL), qui est ancré dans des compétences dites d’interaction (« indiquer qu’on a compris ou qu’il y a un problème de compréhension ; demander de répéter ; poser des questions pour vérifier qu’on a compris ou demander des précisions » (CECRL 2018: 205)). Cela amène à une dernière considération, qui apparaît explicitement à la lecture des corpus : le fait que l’exercice des médiations repose sur la maîtrise des compétences dites « d’interactions » qui rassemblent des éléments linguistiques, sociolinguistiques et interactionnels. En B1, on trouve des descripteurs tels que : • « Peut exprimer poliment ses convictions, ses opinions, son accord et son désaccord » (par ex. « je ne suis pas d’accord avec ça parce que… ») ; • « Commencer, maintenir et terminer une conversation (par ex. « alors on va parler de ») ; • « Intervenir dans une conversation ou une discussion (par ex. « moi je pense que » ; « je peux dire quelque chose ? ») ; • « Peut inviter quelqu’un à se joindre à la discussion » (par ex : « qu’est-ce que tu penses par rapport à moi ? ; « tu veux dire quelque chose ? »). 110 Laura Nicolas DOI 10.2357/ FLuL-2019-0023 48 (2019) • Heft 2 L’exercice des médiations repose ainsi sur une nécessaire maîtrise de compétences langagières et interactionnelles. Et cela vaut en premier lieu pour les enseignants : interpellant l’un, invitant les moins loquaces à s’exprimer, forçant légèrement les plus bavards à céder la parole, initiant un débat, clôturant un dialogue qu’ils jugent peu productif, gérant la circulation de la parole dans le groupe, les professeurs jouent sur toute la gamme interactionnelle afin de médier texte et concepts à destination des élèves. Il serait néanmoins restrictif d’assimiler la médiation à l’interaction. De la même manière que la médiation peut supposer un exercice de traduction ou une posture de traducteur face au texte, elle suppose une interaction ou une posture d’interactant. Mais elle ne s’y résume pas. La posture de l’étudiant Pravi (extrait 3) exemplifie à quel point le rôle de médiateur est difficile à tenir. En effet, ce dernier n’est pas censé « imposer ses propres idées mais favoriser l’émergence de celles de ses pairs » (CECRL 2018: 123). Or cet étudiant monopolise la conversation (70% des TP) et coupe la parole à ses pairs (TP6), tandis que ces derniers s’invitent mutuellement à l’expression de leurs opinions respectives. Les compétences linguistiques et interactionnelles sont effectivement présentes chez l’apprenant mais elles ne sont pas pour autant orientées dans un objectif de médiation vers autrui. Cela amène nécessairement à interroger les médiations sous l’angle de leur didacticité. 5. Didacticité des médiations enseignantes et apprenantes Les médiations enseignantes ont ceci de particulier qu’elles se déclinent transversalement aux types d’activités tout en se « spécialisant » en fonction des compétences devant être travaillées par les apprenants, ce qui génère un dynamisme complémentaire dans l’exercice des médiations en classe : • Transversalité : il est intéressant de voir que le descripteur de « médiation générale » du niveau C2 résume les grandes caractéristiques des médiations linguistiques et culturelles des enseignants, tout type d’activités confondus. 4 A ces dernières s’ajoutent les médiations qu’on peut qualifier de « professionnelles » ou « didactiques », elles-aussi transversales à l’agir professoral : « La médiation est omniprésente dans l’action de l’enseignant : permettre aux élèves de s’approprier des contenus nouveaux par le biais d’approximations, de reformulations et d’explications (médiation cognitive) est bien au cœur des activités pédagogiques » (B EACCO et al. 2016: 57). A travers ces mouvements discursifs 4 « Peut jouer le rôle de médiateur de façon efficace et naturelle, endosser des rôles différents en fonction des besoins et des situations, identifier les subtilités et les sous-entendus et guider une discussion sensible ou délicate. Peut expliquer, dans un langage clair, fluide et bien structuré, de quelle façon les faits et les arguments sont présentés, transmettre précisément les aspects évaluatifs et la plupart des nuances et souligner les implications socioculturelles (par ex. le registre utilisé, les euphémismes, l’ironie et le sarcasme) » (CECRL: 108). Médiations d’enseignants et d’apprenants en classe de langue étrangère 111 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0023 hétérogènes, l’enseignant étaye l’ensemble du travail des élèves. Il s’agit là du fondement de l’agir professoral. • Spécificité : il faut néanmoins préciser que, en parallèle, les médiations enseignantes s’ajustent au type d’activité mené et surtout aux compétences en cours d’apprentissage par les apprenants. Lors d’activités non considérées comme « de médiation » (par exemple lorsque, en grand groupe, l’enseignant fait travailler les élèves sur du lexique ou qu’il dirige lui-même une conversation sur un sujet de société), ce sont les conduites d’élucidation et d’aide à l’élaboration du sens qui prédominent. Lors d’activité dites de médiation, on assiste à une répartition explicite des stratégies et des rôles médiateurs : les enseignants délèguent la conduite de l’activité et la transmission du contenu à l’apprenantmédiateur et conservent la structuration de la tâche (tuilage, énoncé de la consigne, répartition des rôles, des tâches et du matériel et gestion du temps). • Complémentarité : cette complémentarité des rôles médiateurs des enseignants et des apprenants s’effectue sereinement dans la classe à partir de la reconnaissance d’attributs partagés : l’enseignant reste le référent linguistique et pédagogique tandis que les élèves-médiateurs facilitent l’inter-compréhension textuelle et/ ou verbale, linguistique et/ ou communicative. Les activités de médiation tirent leur intérêt du fait même qu’elles obligent, de par leur format, les apprenants à prendre le rôle de médiateur, rôle qu’ils délèguent autrement à l’enseignant. En effet, l’habileté avec laquelle l’enseignant mène ses médiations peut, en effet, empêcher les postures de médiateurs chez les élèves : puisque l’enseignant étaye spontanément et professionnellement, et plus rapidement que ne le feraient les élèves, ces derniers lui reconnaissent généralement ce rôle. Les activités de médiation - peut-être plus par leur format (en petits groupes) que par leur contenu ? - amplifient les opportunités d’exercice de médiation parallèles et complémentaires. Parce que ce sont des compétences professionnelles, développées dans, par et pour l’univers didactique, les compétences de médiation des enseignantes dépassent nécessairement celles des apprenants et les étayent. Mais leur distinction ne se situe pas tant au niveau de leur didacticité qu’à celui de leur nature, plus pro-actives que rémédiatrices. En effet, les compétences de médiation, telles qu’on les a vues s’exercer par les apprenants, possèdent a priori une fonction didactique, dimension que l’on retrouve explicitement dans cette consigne d’activité de médiation donnée aux élèves : « Faire le médiateur peut signifier : aider des personnes qui ne se comprennent pas à surmonter les obstacles ; comprendre correctement les idées ou les intentions des autres ; tenir compte des différences culturelles ; traduire d'une langue vers une autre ; (…) A ces fins, tu peux utiliser, par exemple, les stratégies suivantes : choisir des moyens linguistiques qui tiennent compte des personnes auxquelles on s'adresse ; choisir des formes linguistiques adaptées au contexte ; formuler des hypothèses sur les connaissances des personnes concernées ; tenir compte des problèmes de compréhension et les anticiper ; régler les problèmes de compréhension » (B EACCO et al. 2016: 58). 112 Laura Nicolas DOI 10.2357/ FLuL-2019-0023 48 (2019) • Heft 2 La lecture de ces conseils adressés à des apprentis-médiateurs amènera tout enseignant de langues à y reconnaître son quotidien. La didacticité - le caractère propre des actions effectuées en vue d’une transmission d’un savoir disciplinaire - se retrouve en effet dans cette description concrète des médiations. Mais dans le cas où une telle orientation méta-communicative n’est pas adressée aux apprenants au sein des consignes d’activités, on peut s’interroger sur la « conscience didactique » possédée par les participants. Et l’on risque de voir l’activité se restreindre à une interaction, au sein de laquelle les stratégies et compétences mises en œuvre sont davantage d’ordre interactionnel que didactique : on médie pour pouvoir communiquer soi-même et non plus pour étayer une production collective. On peut dire que, contrairement aux médiations enseignantes, didactiques par nature, si la didacticité des médiations apprenantes apparaît dans le travail qui est prescrit, c’est une dimension difficilement observable - puisqu’elle fait intervenir une analyse des perceptions et intentions des participants - lors des pratiques réelles. Ce qui, en revanche, apparaît très nettement à l’observation des corpus, est le fait que les médiations enseignantes et apprenantes diffèrent en ce qu’elles ne se situent pas au même moment de l’interaction, et, ne remplissent pas, de fait, les mêmes fonctions. Parce qu’elles arrivent le plus souvent en réaction à une demande de clarification des pairs, les reformulations, répétitions, exemplifications, invitations au dialogue, etc. des apprenants s’apparentent davantage à des médiations de type « remédiations » ou « réparations » qu’à des médiations « pro-actives ». A part quelques exceptions (par ex : « vous connaissez [le terme] chômage ? », Pradi), les médiations des apprenants ont pour objectif de résoudre un problème déjà-là. Elles se caractérisent par une forme de guidance sollicitée et partagée. Si cette caractéristique est également partagée par les médiations enseignantes, ces dernières apparaissent aussi sous une forme « pro-active » : le guidage est proposé en amont d’un problème que l’enseignant a déjà anticipé. Les « médiations prévues » et les « étayages planifiés » seraient ainsi l’apanage des enseignants, et, en cela, sont la marque d’une professionnalité en acte. Pistes conclusives : L’objectif de cet article relevait d’un rapprochement entre des recommandations d’ordre actionnel et communicatif concernant les compétences de médiation et leurs mises en acte empiriques. Cette analyse, non exhaustive, des interactions effectivement produites lors de différentes activités de médiation de texte et de concept renseigne, entre autres points, sur : • le caractère intrinsèquement collaboratif et interactif des médiations enseignantes et apprenantes, à la fois en termes interactionnels (couplage des prises de parole, influence des propos de l’interlocuteur sur ceux du médiateurs, lien entre demande de clarification et (re)médiation, etc.) et en termes de rôles (fluidité et complémentarité des postures de médiateurs) ; • la nécessité d’une maîtrise des compétences d’interaction pour mener à bien celles de médiation, sans pour autant que la médiation ne se résume à une interaction entre pairs ; Médiations d’enseignants et d’apprenants en classe de langue étrangère 113 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0023 • la double présence de médiation monologale et intra-individuelle, d’une part, et dialogale et inter-individuelle, d’autre part, les secondes venant amplifier, de par la présence des pairs, les opportunités de co-construction du sens ; • la complémentarité des médiations enseignantes et apprenantes, les premières possédant un objectif nécessairement didactique et intervenant en pro-action à des difficultés anticipées et les secondes survenant plutôt en réaction à des difficultés déjà-là. La trop brève analyse ici proposée a permis de reconnaître un lien entre les types d’activités, les compétences visées et le travail réalisé dans l’interaction : les mouvements typiques de médiation linguistique et didactique montrent effectivement que des médiations hétérogènes sont probablement en cours d’apprentissage. Il convient, pour aller plus loin, de s’interroger sur les conditions de la réussite de ces médiations. En effet, ces dernières s’opèrent quand il y a ajustement des conditions interactionnelles et cognitives nécessaires à l’effort de distanciation (C OSTE / C AVALLI 2018) qu’implique la médiation de soi au sens ou de soi à l’autre. Or ces conditions se rencontrent dans une dynamique progressive, ce qui amène à considérer comme improbable la réalisation d’une médiation par le seul effet d’un mouvement langagier, surtout quand l’analyse du mouvement n’est pas accompagnée par celle de la perception, par les interlocuteurs, de leurs focalisations à ce moment-là de l’interaction. Les exemples donnés dans l’article montrent qu’il est illusoire de réduire la médiation aux seuls mouvements discursifs de reformulation, par exemple. S’il y a bien médiation linguistique et trace dialogique dans ce type de mouvements, ils n’apparaissent pas suffisants pour l’analyse de la construction du sens en interaction. En effet, c’est la succession des mouvements et l’écho sémantique qu’ils se renvoient les uns aux autres qui constituent une démarche de médiation du sens. Articuler l’analyse locale des mouvements de médiation avec la dynamique globale qu’ils créent conjointement et s’attacher à décrire la temporalité des médiations langagières, faites d’allerretour, de ruptures et de circularité, renseignerait certainement sur l’aboutissement des mouvements médiateurs et sur la construction des compétences de médiation qu’ils traduisent. Bibliographie B ANGE , Pierre (1992): Analyse conversationnelle et théorie de l’action. Paris: Hatier - Didier. B EACCO , Jean-Claude / B YRAM , Michael / C AVALLI Marisa / C OSTE , Daniel / E GLI C UENAT , Mirjam / G OULLIER , Francis / P ANTHIER , Johanna (2016): Guide pour le développement et la mise en œuvre de curriculum pour une éducation plurilingue et interculturelle. Strasbourg: Éditions du Conseil de l'Europe. B RUNER , Jerome (1991): Car la culture donne forme à l’esprit. De la révolution cognitive à la psychologie culturelle. Genève: Eshel. C ONSEIL DE L ’E UROPE (2018): Cadre européen commun de référence pour les langues : apprendre, enseigner, évaluer. Volume complémentaire avec de nouveaux descripteurs. 114 Laura Nicolas DOI 10.2357/ FLuL-2019-0023 48 (2019) • Heft 2 https: / / rm.coe.int/ cecr-volume-complementaire-avec-de-nouveaux-descripteurs/ 16807875d5 (03/ 11/ 2018). C OSTE , Daniel / C AVALLI , Marisa (2015): Éducation, mobilité, altérité. Les fonctions de médiation de l’école. Strasbourg: Éditions du Conseil de l’Europe. C OSTE , Daniel / C AVALLI , Marisa (2018): « Retour sur un parcours autour de la médiation» . In: Recherches en didactique des langues et des cultures, n°15, vol.3 http: / / journals.openedition.org/ rdlc/ 2975 (03/ 11/ 2018). D E P IETRO , Jean-François (1988): « Vers une typologie des situations de contacts linguistiques ». In: Langage et société, n°43, 65-89. F ILLIETTAZ , Laurent (2010): « Guidance as an interactional accomplishment. Practice-based learning within the Swiss VET System ». In: B ILLETT , Stephen (éd.): Learning through practice. Models, traditions, orientations and approaches. New-York: Springer, 156-179. G RIGGS , Peter / B LANC Nathalie (2010): « Reformulations et apprentissages dans le contexte plurisémiotique d'une classe de langue » In: R ABATEL , Alain (éd.): Les reformulations pluri-sémiotiques en contexte de formation. Besançon: Presses Universitaires de Franche-Comté, 169-190. K ERBRAT -O RECCHIONI , Catherine (1990): Les interactions verbales. Tome I. Paris: Armand Colin. L ECLÈRE , Malory (2018): « Matérialité de la médiation du sens en classe de langue pour enfants ». In: Recherches en didactique des langues et des cultures. http: / / journals.openedition.org/ rdlc/ 3480 (03/ 11/ 2018). L ÉVY , Danièle / Z ARATE , Geneviève (2003): « La place de la médiation dans le champ de la didactique des langues et des cultures ». In: Le Français dans le Monde. R&A, numéro spécial, 186- 189. M ELO -P FEIFER , Sílvia / S CHRÖDER -S URA , Anna (2018): « Les tâches de médiation dans les manuels de Français Langue Étrangère pour le secondaire en Allemagne ». In: Recherches en didactique des langues et des cultures. https: / / journals.openedition.org/ rdlc/ 3589 (03/ 11/ 2018). N ORTH , Brian / P ICCARDO , Enrica (2016): Developing illustrative descriptors of aspects of mediation for the Common European Framework of Reference (CEFR). https: / / rm.coe.int/ developingillustrative-descriptors-of-aspects-of-mediation-for-the-co/ 1680713e2c (03/ 11/ 2018). W ALSH , Steve (2011): Exploring Classroom Discourse. New York: Routledge. 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0024 G RIT M EHLHORN * Russischdidaktik - State of the Art Forschungsüberblick 2008 - 2018 Abstract. It is the purpose of this paper to review the research literature on Russian language learning and teaching published in Germany between 2008 and 2018. These studies include research in multilingualism, teacher education, subjective theories and aspects of heritage language education. The review shows that research in Russian language teaching rests on the shoulders of only a few researchers. As a natural consequence, many interesting research topics in the field such as intercultural learning, teaching of literature and content and language integrated learning, remain unexplored. In addition to sketching avenues for future research, the paper recommends closer cooperation with researchers working on different target languages and from neighbouring fields of research. 1. Einleitung Dieser Beitrag gibt einen Überblick zu wissenschaftlichen Arbeiten im Bereich der Russischdidaktik im deutschsprachigen Raum in den letzten zehn Jahren. Die Fachdidaktik Russisch ist die Wissenschaft vom Lehren und Lernen der russischen Sprache sowie der Literaturen und Kulturen russischsprachiger Länder. Russisch gilt - in Bezug auf die Zahl der Lernenden - als sog. kleine Sprache: Im Schuljahr 2017/ 18 lernten 106.028 Schülerinnen und Schüler (SuS) an allgemeinbildenden Schulen und 11.447 SuS an beruflichen Schulen Russisch (S TATISTISCHES B UNDESAMT 2018). Damit liegt die Sprache an fünfter Stelle nach Englisch, Französisch, Latein und Spanisch. Die Russischdidaktik in Deutschland ist auf wenige Personen konzentriert, davon nur drei Professuren (an der Humboldt-Universität zu Berlin eine Professur für Fachdidaktik Russisch, an der Universität Leipzig eine Professur für Didaktik der slawi- * Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Grit M EHLHORN , Universität Leipzig, Institut für Slavistik, Beethovenstr. 15, 04107 L EIPZIG . E-Mail: mehlhorn@rz.uni-leipzig.de Arbeitsbereiche: Methodik und Didaktik der slawischen Sprachen, Mehrsprachigkeit, Erwerb von Herkunftssprachen. N i c h t t h e m a t i s c h e r T e i l 116 Grit Mehlhorn DOI 10.2357/ FLuL-2019-0024 48 (2019) • Heft 2 schen Sprachen, beide besetzt seit 2007, sowie eine Juniorprofessur für Fachdidaktik Russisch an der Ruhr-Universität Bochum seit 2016). Neue Tendenzen in der Russischdidaktik liegen v.a. in der Positionierung des Russischen im Rahmen von Mehrsprachigkeitsansätzen sowie in Konzepten für den Umgang mit heterogenen Lerngruppen, um den speziellen Bedürfnissen von Lernenden mit russischsprachigem Hintergrund im Unterricht des Russischen als Fremdsprache gerecht zu werden. Im Beitrag wird zudem auf die Russischlehrerbildung und subjektive Theorien angehender Russischlehrkräfte eingegangen. 2. Mehrsprachigkeit Russisch wird zumeist als zweite (v.a. in den neuen Bundesländern) bzw. dritte Schulfremdsprache (in den alten Bundesländern) gelernt und stellt somit eine typische Tertiärsprache (L3) dar (vgl. Z AWADZKA 2011). Wegweisend für die Mehrsprachigkeitsdidaktik der letzten zehn Jahre im Bereich des Russischen war die empirische Arbeit von B EHR (2007) zum sprachenübergreifenden Lehren und Lehren in der Sekundarstufe I, in der die Autorin ein Kooperationsprojekt der drei Phasen der Lehrerbildung vorstellt. Ergebnisse dieser Arbeit fanden Eingang in die Lehrwerkgeneration ab 2008 1 , in der sich systematische Vergleiche mit anderen Sprachen und Anregungen zum entdeckenden Lernen finden (vgl. M EHLHORN / W APENHANS 2011). Die Sicht von Lehrenden auf sprachenübergreifendes Lernen im Unterricht der Folgefremdsprachen Russisch und Spanisch war Gegenstand eines Forschungsprojekts von M EHLHORN / N EVELING (2012), bei dem bundesweit Russisch- und Spanischlehrende schriftlich befragt und in Sachsen Experteninterviews mit Lehrkräften durchgeführt wurden. Dabei überwogen positive Einstellungen zu sprachenübergreifenden Vermittlungsansätzen und es wurde deutlich, dass Lehrende, die selbst gezielt Sprachen vergleichen, auch eher Transfer bei ihren Schülerinnen und Schülern (in der Folge: SuS) beobachten. Bei mehreren befragten Russischlehrenden konnte die subjektive Überzeugung, dass man Sprachvergleiche nur anstellen könne, wenn man die betreffenden Fächer unterrichte und die Sprachen sehr gut beherrsche, rekonstruiert werden (vgl. M EHLHORN / W AHLICHT 2011). Im Rahmen dieses Forschungsprojekts wurde zudem ein Experiment zur sprachfamilienübergreifenden Interkomprehension mit 123 SuS durchgeführt, die Russisch als dritte Schulfremdsprache ab Klasse 8 lernten. Die SuS hatten zu diesem Zeitpunkt nur wenige Wochen Russischunterricht hinter sich und bis auf das gerade erlernte kyrillische Alphabet keine Vorkenntnisse in der Zielsprache. Dennoch konnte etwa die Hälfte der getesteten SuS den Inhalt des russischen Originaltextes grob zusammenfassen sowie Fremdwörter und Internationalismen auf Russisch durch die kyrillische Schrift erschließen. Der Vergleich mit den zuvor ausgefüllten Fragebögen der SuS ergab, dass eine große wahrgenommene 1 Dialog und Konečno für Russisch als zweite Fremdsprache, Privet für Russisch als dritte Fremdsprache sowie Vmeste und Dal’še für die Oberstufe. Russischdidaktik - State of the Art. Forschungsüberblick 2008 - 2018 117 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0024 typologische Distanz zwischen den zuvor gelernten Sprachen und dem Russischen positiven Transfer beim Erschließen verhindert (M EHLHORN 2014: 157). Aufbauend auf diesen Ergebnissen und den Überlegungen von B EHR / W APEN - HANS (2016) wurde das Konzept der Slawiniade entwickelt - ein seit 2014 regelmäßig stattfindendes Schülerseminar zum sprachenübergreifenden Lernen, bei dem Polnisch-, Sorbisch-, Tschechisch- und Russischlernende in gemischten Teams Aufgaben in zuvor noch nicht gelernten slawischen Sprachen lösen (vgl. M EHLHORN 2016). Die teilnehmenden SuS erkennen dabei, wie ähnlich sich die Sprachen sind, dass bereits ihre eine gelernte slawische Schulfremdsprache ein Potenzial darstellt, um weitere Slawinen zu verstehen, und erfahren einen Anwendungsbezug für ihre Sprachkenntnisse an einem außerschulischen Lernort. 3. Russisch als Herkunftssprache 3.1 Charakteristika der Herkunftssprache Russisch Mit derzeit 4,5 Mio. Russischsprachigen gilt Russisch als die meistgesprochene Migrantensprache in Deutschland (A NSTATT 2011: 103). In der deutschen Russistik erfreut sich das Thema Russisch als Herkunftssprache in den letzten Jahren daher großer Beliebtheit. Zurzeit dominieren drei unterschiedliche Forschungsstränge die Diskussion (vgl. auch B REHMER / M EHLHORN 2015: 87f. sowie die Beiträge in W ITZ - LACK -M AKAREVICH / W ULFF 2017): (1) soziolinguistische Studien zu Sprachlernbiografien, Spracheneinstellungen, Identitätskonstruktionen der Zugewanderten und außersprachlichen Faktoren für den Spracherhalt der mitgebrachten Sprache Russisch (z.B. M ENG / P RO - TASSOVA 2016; R IES 2013), (2) psycholinguistische Studien, die den simultanen oder sukzessiven Erwerb der Sprachen Russisch und Deutsch sowie den Verlust sprachlicher Kompetenzen im Russischen bei Kindern aus zweisprachigen Familien in den Blick nehmen (z.B. A NSTATT 2011), (3) kontaktlinguistische Studien, die die wechselseitige Beeinflussung von Russisch und Deutsch sowie Abweichungen auf verschiedenen sprachlichen Ebenen im Vergleich zu monolingualen Sprechern behandeln (z.B. K ARL 2012; B RÜGGEMANN 2018). Die Dissertationsschrift von Jule B ÖHMER (2015) zur Beherrschung literaler Strukturen bei russisch-deutschen Bilingualen ist eine der ersten Arbeiten, die beide Sprachen von Herkunftssprechern in den Blick nimmt. Sie kann durch den Vergleich der Daten mit monolingualen Kontrollgruppen aufzeigen, welche sprachlichen Kategorien durch den deutsch-russischen Sprachkontakt beeinflusst werden. Zudem identifiziert sie mithilfe einer Clusteranalyse unterschiedliche bilinguale Sprechertypen und bestätigt die Annahme von Cummins’ Interdepenzhypothese: Gute sprachliche Kom- 118 Grit Mehlhorn DOI 10.2357/ FLuL-2019-0024 48 (2019) • Heft 2 petenzen der Herkunftssprecher im Deutschen fallen mit guten sprachlichen Fähigkeiten im Russischen zusammen, sofern die Jugendlichen im Russischen alphabetisiert wurden. Diese Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit eines gesteuerten Schriftspracherwerbs in der Herkunftssprache für die Entwicklung einer kompetenten Mehrsprachigkeit der SuS. In einer insgesamt vier Jahre umfassenden Längsschnittstudie (2014-2018) untersuchten B REHMER / M EHLHORN (2015, 2018a) jugendliche Herkunftssprecher des Polnischen und Russischen in drei deutschen Großstädten in Bezug auf ihre sprachlichen Kompetenzen in der Herkunftssprache und der Umgebungssprache Deutsch. In dieser Studie wurden mehrere Sprachstandserhebungsinstrumente erstmalig für slawische Sprachen adaptiert bzw. neu entwickelt. Die Rolle des Inputs und des Unterrichts auf die Entwicklung der Herkunftssprache konnte durch Einbeziehung von Sprachstandsdaten der Eltern und die Triangulation mit longitudinal erhobenen Interviewdaten zum Sprachgebrauch in der Familie und im schulischen Kontext, zu Spracheinstellungen und Unterricht in der Herkunftssprache nachvollzogen werden. 3.2 Entwicklung einer Herkunftssprachendidaktik Die Ergebnisse der Herkunftssprachenforschung der letzten Jahre zeigen deutlich Lernbedürfnisse von Herkunftssprechern im schriftsprachlichen Bereich, im bildungssprachlichen Wortschatz sowie bei konkreten grammatischen Phänomenen, der Orthografie und Registerkompetenz (für einen Überblick vgl. B REHMER / M EHLHORN 2018b: Kap. 3). Sowohl für den herkunftssprachlichen Unterricht als auch den Fremdsprachenunterricht mit heterogenen Lerngruppen aus fremd- und herkunftssprachlichen Lernenden, wie er für den Russischunterricht typisch ist (vgl. T ICHOMIROWA 2011, M EHLHORN 2013), erweist sich die Entwicklung einer Herkunftssprachendidaktik als unabdingbar. B ÖHMER (2016) diskutiert die Übertragbarkeit didaktischer Prinzipien aus der USamerikanischen Forschung für den Kontext an deutschen Schulen, wobei sie auf Lehrwerke für den herkunftssprachlichen Russischunterricht in verschiedenen Ländern sowie auf aktuelle bildungspolitische Dokumente und Curricula in Deutschland Bezug nimmt und die Relevanz der Bereiche „Reflexion über Sprache“ und „Sprachmittlung“ betont. Ein weiteres wichtiges Prinzip für den Unterricht mit Herkunftssprechern stellt die Binnendifferenzierung dar (vgl. B REHMER / M EHLHORN 2018b: Kap. 5.4.1). Die neue Lehrwerkgeneration für Russisch als zweite Fremdsprache Dialog (2016ff.) bietet bereits systematisch Differenzierungsangebote für Herkunftssprecher an. Für eine empirisch fundierte Herkunftssprachendidaktik muss jedoch auch der Russischunterricht selbst gezielter untersucht werden. Die Studie von K REß (2014) mit einem diskursanalytischen Zugriff auf videografierten herkunftssprachlichen Unterricht bietet einen denkbaren Ansatz. Die Machbarkeit von Differenzierungsmaßnahmen kann mithilfe von Aktionsforschung untersucht werden. Vielversprechend erscheint hierbei eine enge Zusammenarbeit von Praxisvertretern der Schule und Fachdidaktikern weiterer Sprachen, die Interesse an der Entwicklung Russischdidaktik - State of the Art. Forschungsüberblick 2008 - 2018 119 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0024 konkreter Materialien und Handreichungen für den Unterricht mit Herkunftssprechern haben. 4. Russischlehrerbildung Die bundesweite Befragung von Russisch- und Spanischlehrkräften (M EHLHORN / N EVELING 2012) hatte u.a. ergeben, dass erstere durchschnittlich 21 Jahre und letztere 8 Jahre im Schuldienst tätig waren, wobei die Unterschiede in den neuen Bundesländern noch größer ausfielen. Das Fach Russisch befindet sich derzeit in einer Umbruchphase, die dadurch gekennzeichnet ist, dass ein Großteil der bisher tätigen Russischlehrkräfte gerade aus dem Schuldienst ausscheidet und - nachdem nach der Wende über 20 Jahre lang kaum Russischlehrkräfte eingestellt wurden - nun v.a. neu ausgebildete Lehrkräfte mit russischsprachigem Hintergrund an die Schulen und in den Russischunterricht kommen. Die Erforschung der Besonderheiten dieser Zielgruppe ist für die Russischdidaktik von besonderer Relevanz (vgl. S AVCHUK 2011). Natalia K URZ (2015) untersucht in ihrer Dissertationsschrift mit dem Titel „Muttersprachler ist kein Beruf! “ anhand von qualitativen Interviews das berufliche Selbstverständnis von Lehramtsstudierenden, Referendaren und bereits tätigen Russischlehrkräften mit russischer Zuwanderungsgeschichte. Neben der Offenlegung von Berufswahlmotiven konnten durch die Befragung von (angehenden) Lehrenden in verschiedenen Phasen der Ausbildung und die retrospektive Sicht der Interviewten Entwicklungstendenzen sichtbar gemacht werden, z.B. die Veränderungen von Einstellungen zur persönlichen Relevanz sprachpraktischer Lehrveranstaltungen, sowie die Neubewertung der Vorzüge und Nachteile ihres russischsprachigen Hintergrunds. K URZ (ebd.) hatte in ihrer Studie herausgearbeitet, dass Herkunftssprecher zu Studienbeginn ihre sprachlichen Kompetenzen oft überschätzen und vertane Lernchancen bzgl. der Weiterentwicklung ihrer Russischkenntnisse mehrfach erst zum Studienende oder in der zweiten Phase der Lehrerausbildung erkennen. Ausgehend von diesem Ergebnis wurde nach Möglichkeiten gesucht, wie die heterogenen Sprachkompetenzen von Studierenden zu einem früheren Zeitpunkt ihres Lehramtsstudiums gezielt diagnostiziert, bewusstgemacht und differenziert gefördert werden können. Im Rahmen des Projekts Russian HQ (high quality) wurde ein Konzept zur Individualisierung und Förderung der Lernerautonomie von Lehramtsstudierenden entwickelt und in einem Modul zu russischen Fachtexten als Blended Learning-Szenario mit selbstständiger Arbeit an einer webbasierten Studienplattform und begleitender Präsenzveranstaltung in zwei Durchläufen (2012-2013) pilotiert (M EHLHORN / W ASCHIK 2015). Die teilnehmenden Studierenden - Fremdsprachenlernende, Herkunftssprecher und russische Muttersprachler - erhielten auf ihr Niveau zugeschnittene Aufgaben und individuelles Feedback und lernten im Verlaufe des Semesters, ihre sprachlichen Kompetenzen selbst besser einzuschätzen und Kommilitonen Feedback zu geben. Zum Ende des Moduls verzeichneten die Studierenden nicht nur sprachliche Zuwächse, sondern auch Fortschritte in ihren Diagnose- und Medienkompetenzen. 120 Grit Mehlhorn DOI 10.2357/ FLuL-2019-0024 48 (2019) • Heft 2 Gleichzeitig wurde deutlich, dass diese Ergebnisse nur mit einem hohen individuellen Beratungsaufwand vonseiten der Modulverantwortlichen zu erreichen sind. 5. Weitere Forschungsbereiche Für den Russischunterricht gelten ähnliche Kompetenzziele wie für andere moderne Schulfremdsprachen. Christine H EYER (2016) gibt mit Blick auf die anderen Schulfremdsprachen wertvolle Anstöße für Kompetenzorientierung und Schüleraktivierung im Russischunterricht. Aufgabenorientierung und das Testen sprachlicher Kompetenzen sind Forschungsschwerpunkte von Anastasia D RACKERT . Sie hat mit quantitativen statistischen Methoden die intrinsische Motivation von 120 erwachsenen Russischlernenden auf A1-Niveau in Bedingungen mit verschiedenen Wahlmöglichkeiten erforscht und konnte - entgegen der self determination theory - zeigen, dass zu viel Wahlfreiheit bei Lernaufgaben kontraproduktiv sein kann (M OZGALINA 2015; D RACKERT 2018). In ihrer Dissertation (D RACKERT 2016) hat sie den elicited imitation test - ein Instrument zur Erhebung mündlicher Sprachkompetenzen - für das Russische adaptiert und erwachsene Russischlernende in Deutschland und den USA damit eingestuft. Mithilfe des Tests konnte sie zwischen verschiedenen Sprachniveaus differenzieren und ihre Ergebnisse durch die Triangulation mit weiteren Tests statistisch absichern. Im Rahmen einer Online-Fragebogenstudie haben D RACKERT / S TADLER (2017) die Beurteilungskompetenzen und Lernbedarfe im Bereich Testen von 198 Russischlehrenden in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Südtirol (DACHS) erhoben und konkreten Fortbildungsbedarf eruiert. Wolfgang S TADLER (2018) konnte belegen, dass sich die soziopragmatische Kompetenz von Studierenden nicht im selben Ausmaß wie ihre sprachliche Kompetenz entwickelt, und er konnte falsche sprachliche Register, mangelnde sprachliche Emotionalität und fehlende illokutive Kraft der Äußerungen in ihrer russischen Lernersprache nachweisen. Fachdidaktische Forschung wird v.a. auf den seit 2008 jährlich stattfindenden Konferenzen des Verbands Russisch und Mehrsprachigkeit, in der Didaktiksektion des zweijährlich stattfindenden Deutschen Slawistentages und der Russischsektion des GMF-Kongresses sowie im „Arbeitskreis slawische Sprachen“ (2016 Berlin, 2018 Innsbruck) präsentiert und in Sammelbänden (M EHLHORN / H EYER 2011; B ERGMANN 2016; B ERGMANN / C ASPERS / S TADLER 2018; D RACKERT / K ARL 2019) publiziert. Im Jahr 2014 erschien eine Einführung in die russische Fachdidaktik, herausgegeben von Anka B ERGMANN . Neue Impulse für die Lehrplanentwicklung und lehrwerkbegleitende Materialien für das Russische kommen seit vielen Jahren aus dem Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien (ThILLM), wo unter der Leitung von Ursula B EHR zahlreiche Materialien für den Russischunterricht entstanden sind (vgl. u.v.a. B EHR 2011; T H ILLM 2012). Russischdidaktik - State of the Art. Forschungsüberblick 2008 - 2018 121 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0024 6. Ausblick In einem kleinen Fach wie der Russischdidaktik geht Forschung in der Regel von Einzelpersonen aus. Gegenwärtig überwiegen Einzelforschungen gegenüber Verbundprojekten und qualitative gegenüber quantitativen und Mixed Methods-Ansätzen. Forschungsthemen, die in anderen Schulfremdsprachen eine wichtige Rolle spielen, wie der Fremdsprachenfrühbeginn und bilingualer Unterricht, wurden für Russisch bisher nicht bearbeitet. Aber auch der Bereich des inter-/ transkulturellen Lernens und der Literaturdidaktik erweist sich in der Rückschau der letzten zehn Jahre als unterbeleuchtet. Hilfreiche Best practice-Beispiele für die Vermittlung der verschiedenen Teilkompetenzen im Russischunterricht werden in der 6-mal jährlich erscheinenden Zeitschrift „Praxis Fremdsprachenunterricht Russisch“ publiziert, aber es gibt wenig Forschung dazu. Es erscheint sinnvoll, auch weiterhin Forschungsergebnisse der anderen Fremdsprachendidaktiken zu rezipieren und kritisch auf ihre Anwendbarkeit für die Russischdidaktik zu prüfen, die eigenen Spezifika im Auge zu behalten und - wo notwendig - eigene Forschungszugriffe zu entwickeln. Im Bereich der Herkunftssprachendidaktik kann Russisch durch die bisherigen Vorarbeiten eine Vorreiterrolle einnehmen, sollte jedoch eng mit den Didaktiken der anderen Schulfremdsprachen und Herkunftssprachen sowie mit Forschern verwandter Disziplinen (z.B. Sprach-, Literatur-, Kultur-, empirische Bildungswissenschaften) zusammenarbeiten. Dabei haben standortübergreifende Forschungsverbünde und Projekte mit Beteiligung weiterer Sprachen ein besonderes Potenzial. Literatur A NSTATT , Tanja (2011): „Russisch in der zweiten Generation. Zur Sprachsituation von Jugendlichen aus russischsprachigen Familien in Deutschland“. In: E ICHINGER , Ludwig M. / P LEWNIA , Albrecht / S TEINLE , Melanie (Hrsg.): Sprache und Integration. Über Mehrsprachigkeit und Migration. Tübingen: Narr, 101-128. B EHR , Ursula (2007): Sprachenübergreifendes Lernen und Lehren in der Sekundarstufe I. Ergebnisse eines Kooperationsprojekts der drei Phasen der Lehrerbildung. Tübingen: Narr. B EHR , Ursula (2011): Anregungen für die Sprachmittlung im Russischunterricht der Sekundarstufe II. Bad Berka: ThILLM. B EHR , Ursula / W APENHANS , Heike (2016): „Sprachenübergreifendes Lehren und Lernen im Russischunterricht der Sekundarstufe 1 - wie geht das? “ In: B ERGMANN (Hrsg.), 167-179. B ERGMANN , Anka (Hrsg.) (2014): Fachdidaktik Russisch: eine Einführung. Tübingen: Narr. B ERGMANN , Anka (2016) (Hrsg.): Kompetenzorientierung und Schüleraktivierung im Russischunterricht. Frankfurt/ M.: Lang. B ERGMANN , Anka / C ASPERS , Olga / S TADLER , Wolfgang (Hrsg.) (2018): 1. Arbeitskreis „Didaktik der Slawischen Sprachen“ in Berlin (12.-14.9.2016). Innsbruck University Press. B ÖHMER , Jule (2015): Biliteralität. Eine Studie zu literaten Strukturen in Sprachproben von Jugendlichen im Deutschen und im Russischen. Münster, New York: Waxmann. B ÖHMER , Jule (2016): „Ausprägungen von Biliteralität bei deutsch-russisch bilingualen Schülern 122 Grit Mehlhorn DOI 10.2357/ FLuL-2019-0024 48 (2019) • Heft 2 und die daraus resultierenden Konsequenzen für den schulischen Russischunterricht“. In: R OSENBERG , Peter / S CHROEDER , Christoph (Hrsg.): Mehrsprachigkeit als Ressource in der Schriftlichkeit. Berlin: de Gruyter, 127-151. B REHMER , Bernhard / M EHLHORN , Grit (2015): „Russisch als Herkunftssprache in Deutschland. Ein holistischer Ansatz zur Erforschung des Potenzials von Herkunftssprachen“. In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 26.1, 85-123. B REHMER , Bernhard / M EHLHORN , Grit (2018a): „Unterricht in den Herkunftssprachen Russisch und Polnisch - Einstellungen und Effekte“. In: M EHLHORN , Grit / B REHMER , Bernhard (Hrsg.): Potenziale von Herkunftssprachen: Sprachliche und außersprachliche Faktoren. Tübingen: Stauffenburg, 259-292. B REHMER , Bernhard / M EHLHORN , Grit (2018b): Herkunftssprachen. Tübingen: Narr. B RÜGGEMANN , Natalia (2018): „SchreibanfängerInnen im herkunftssprachlichen Russischunterricht“. In: B ERGMANN et al. (Hrsg.), 177-192. D RACKERT , Anastasia (2016): Validating language proficiency assessments in second language acquisition research. Applying an argument-based approach. Frankfurt/ M.: Lang. D RACKERT , Anastasia (2018): „Autonomie, Motivation und Aufgabenerfüllung im Anfangsunterricht Russisch“. In: B ERGMANN et al. (Hrsg.), 33-56. D RACKERT , Anastasia / K ARL , Katrin Bente (Hrsg.) (2019): Beiträge zum 2. Arbeitskreis in Innsbruck (19.-20.2.2018). Innsbruck University Press (Innsbrucker Beiträge zur Fachdidaktik 5). D RACKERT , Anastasia / S TADLER , Wolfgang (2017): „Beurteilungskompetenz von Russischlehrkräften in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Südtirol (DACHS): Zwischen Status Quo und aktuellen Bedürfnissen“. Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 28.2, 233-258. H EYER , Christine (2016): Kompetenzorientierung und Schüleraktivierung - zwei einander bedingende Seiten zeitgemäßen Unterrichtens. In: Bergmann (Hrsg.), 27-42. K ARL , Katrin Bente (2012): Bilinguale Lexik: Nicht materieller lexikalischer Transfer als Folge der aktuellen russisch-deutschen Zweisprachigkeit. München: Sagner. K REß , Beatrix (2014), „‛Was habt ihr Neues erfahren, wovon ihr vorher nichts wusstet? ’ Diskursive Formen der Wissensverarbeitung im russischen Sprachförderunterricht“. In: Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 19.1, 169-182. K URZ , Natalia (2015): „Muttersprachler ist kein Beruf! “ Eine Interviewstudie zu subjektiven Sichtweisen von (angehenden) Russischlehrenden mit russischsprachiger Zuwanderungsgeschichte. Tübingen: Stauffenburg. M EHLHORN , Grit (2013): „Identitätsangebote und Bedrohung der Identität russischsprachiger Lernender durch den schulischen Russischunterricht“. In: B URWITZ -M ELZER , Eva / K ÖNIGS , Frank G. / R IEMER , Claudia (Hrsg.): Identität und Fremdsprachenlernen: Anmerkungen zu einer komplexen Beziehung. Tübingen: Narr, 183-193. M EHLHORN , Grit (2014): „Interkomprehension im schulischen Russischunterricht? Ein Experiment mit sächsischen Schülerinnen und Schülern der Klassenstufe 8“. In: Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 19.1, 148-168. M EHLHORN , Grit (2016): „Die Slawiniade - ein neues Format für sprachenübergreifendes Lernen im schulischen Kontext“. In: Die Neueren Sprachen 4, 89-100. M EHLHORN , Grit / H EYER , Christine (2011) (Hrsg.): Russisch und Mehrsprachigkeit. Lehren und Lernen von Russisch an deutschen Schulen in einem vereinten Europa. Tübingen: Stauffenburg. M EHLHORN , Grit / N EVELING , Christiane (2012): „Sprachenübergreifendes Lehren und Lernen in der Schule: Ergebnisse einer Befragung von Russisch- und Spanischlehrenden“. In: B ÄR , Marcus / B ONNET , Andreas / D ECKE -C ORNILL , Helene / G RÜNEWALD , Andreas / H U , Adelheid (Hrsg.): Globalisierung - Migration - Fremdsprachenunterricht. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 383-396. Russischdidaktik - State of the Art. Forschungsüberblick 2008 - 2018 123 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0024 M EHLHORN , Grit / W AHLICHT , Madlen (2011): „Mehrsprachigkeit im Russischunterricht aus der Sicht der Lehrenden“. In: M EHLHORN / H EYER (Hrsg.), 33-67. M EHLHORN , Grit / W APENHANS , Heike (2011): „Die neue Lehrwerkgeneration für Russisch als zweite und dritte Fremdsprache“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 40.2, 49-63. M EHLHORN , Grit / W ASCHIK , Klaus (2015): „Möglichkeiten für den Umgang mit heterogenen Lerngruppen in der Sprachausbildung für angehende Russischlehrende am Beispiel der interaktiven Studienplattform RussianHQ“. In: B ÖCKER , Jessica / S TAUCH , Anette (Hrsg.): Konzepte aus der Sprachlehrforschung - Impulse für die Praxis. Frankfurt/ M.: Lang, 629-647. M ENG , Katharina / P ROTASSOVA , Ekaterina (2016): Deutsch und Russisch: Herkunftssprachen in russlanddeutschen Aussiedlerfamilien. Mannheim: Institut für deutsche Sprache. M OZGALINA , Anastasia (2015): „More choice or less choice? The influence of autonomy on task motivation and task engagement“. In: System 49, 120-132. R IES , Veronika (2013): „da kommt das so quer rein“ - Sprachgebrauch und Spracheinstellungen Russlanddeutscher in Deutschland. Münster: Waxmann. S AVCHUK , Natalia (2011): „Subjektive Sichtweisen von angehenden Russischlehrenden mit russischsprachigem Hintergrund“. In: M EHLHORN / H EYER (Hrsg.), 135-160. S TADLER , Wolfgang (2018): „ʻČto vy skažete v ėtoj situacii? ’ Die soziopragmatische Komponente kommunikativer Kompetenz im Russischunterricht - wie entwickeln, wie bewerten? “. In: B ERGMANN / C ASPERS / S TADLER (Hrsg.), 79-109. S TATISTISCHES B UNDESAMT (Hrsg.) (2018): „Schüler/ innen mit fremdsprachlichem Unterricht“. http: / / www.destatis.de (01.10.2018). T H ILLM (Hrsg.) (2012): Russisch. Über Sprache, Sprachverwendung und Sprachenlernen reflektieren. Impulsbeispiele für die Lehrplanimplementation. Bad Berka. T ICHOMIROWA , Anna (2011): „Schüler mit slawischsprachigem Hintergrund im Fremdsprachenunterricht Russisch“. In: M EHLHORN / H EYER (Hrsg.), 109-133. W ITZLACK -M AKAREVICH , Kai / W ULFF , Nadja (Hrsg.): Handbuch des Russischen in Deutschland. Migration - Mehrsprachigkeit - Spracherwerb. Berlin: Frank & Timme. Z AWADZKA , Agnieszka (2011): „Zur Spezifik des Russischunterrichts als dritte bzw. weitere Fremdsprache in der Schule“. In: M EHLHORN / H EYER (Hrsg.), 69-90. DOI 10.2357/ FLuL-2019-0025 48 (2019) • Heft 2 Internationalität scheint, zumindest in wirtschaftlichen und akademischen Kreisen unserer „vernetzen“ Welt, eine begehrte Eigenschaft zu sein. Das schlägt sich auch in der deutschen Fremdsprachenforschung und Fremdsprachendidaktik und deren Förderung nieder. Inzwischen ist fast jede Tagung und jeder Workshop hierzulande „international“ (auch wenn daran fast ausschließlich Kolleg(inn)en aus dem bundesdeutschen Kontext teilnehmen), deutsch(sprachig)e Publikationsorgane und Förderausschreibungen verlangen „international zugängige“, d.h. englischsprachige, Abstracts, Beurteilungen der fachlichen Qualität von Forschenden werden mancherorts anhand der Anzahl „internationaler“ (sprich: englischsprachiger) Publikationen gefällt etc. In Forschung und Lehre erfüllt Internationalität aber andere Funktionen als diese eher sozialsymbolische, bei der Englisch langsam, aber sicher zu einem sprachlichen Herrschaftsinstrument i.S. Bourdieus mutiert. Ihre zentrale Funktion ist eine kommunikative: das (Er-) Schaffen einer gemeinsamen Diskursbasis unterschiedlichster Wissenschaftler(innen) und Praktiker(innen), um das kollektive Arbeiten an einem gemeinsamen Erkenntnisweg zu ermöglichen. Sie ist damit Teil guter Wissenschaft. Soll die deutsche Fremdsprachendidaktik internationaler werden? Die Frage mag banal klingen, ist es ihr doch ein zentrales Anliegen, unterschiedliche Kulturräume zu berücksichtigen. Dennoch lohnt es sich, auch hier das Ziel von Internationalität differenzierter zu reflektieren. Denn eine echte Internationalität meint nicht nur das Überschreiten nationaler Grenzen, sondern greift in vieler Hinsicht weiter. Neben dem Bruch mit einer mononationalen Ausrichtung bedeutet sie insbesondere die Überwindung monotheoretischer, monomethodischer, monodisziplinärer und monolingualer Zugänge. Eine solche Internationalität wird allerdings nicht durch das Aufgeben der Breite eigener Forschungskulturen zugunsten einer Festlegung auf bestimmte Ansätze und eigener Sprache(n) zugunsten des Englischen erreicht, denn damit wird eine Monoperspektivität weiter propagiert. Sie wird auch nicht durch reduktionistische Ansätze wie das Verfassen englischsprachiger Abstracts und Zusammenfassungen ermöglicht, denn dadurch werden komplexe fachliche Erkenntnisse stark verkürzt und ohne den notwendigen wissenschaftlichen Kontext mundgerecht serviert. Und schließlich wird sich Internationalität nicht entfalten, wenn sie nicht auf Gegenseitigkeit beruht. Denn eine echte Internationalisierung kann nur gelingen, wenn sie reziprok ist. Eine erstrebenswerte Internationalität, die durch ihre Interperspektivität die epistemische Entwicklung eines Faches ermöglicht, wird auf zwei Ebenen erreicht. Auf individueller Ebene ist ein wiederholter und oft kleinschrittiger Versuch notwendig, mit Kolleg(inn)en aus anderen Fächern, Ländern und Sprachen in einen intensiven Austausch zu kommen und an gemeinsamen Erkenntnissen zu arbeiten, ohne auf oberflächliche (Mono-)Lösungen zurückzugreifen. Auf systemischer Ebene heißt es, dass die Unterstützung der Funktionen von Internationalität - und nicht (nur) deren Schein - durch Hochschulen, Forschungsförderung und Bildungspolitik neu überdacht wird. Ob die deutsche Fremdsprachendidaktik in diesem Sinne internationaler werden soll, lässt sich m.E. eindeutig mit JA beantworten. Köln N ICOLE M ARX Die deutsche Fremdsprachendidaktik mus s internationaler werden Pro und Contra 125 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0025 Die deutschsprachige Fremdsprachendidaktik ist im Rahmen der nationalen Lehrerbildung verankert. Hinzu kommt ein weltweites Angebot an Deutsch als Fremdsprache für rund fünfzehn Millionen Deutschlernende, das in absoluten Zahlen die nationalen fremdsprachlichen Bildungsbedarfe mit etwa zehn Millionen Schülern sogar noch übertrifft. Die absoluten Zahlen dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die deutsche Fremdsprachendidaktik in vielfältige Sprachen gegliedert ist, in ihrem Bildungsauftrag die regionalen Gegebenheiten in den Bundesländern aufgreift, dabei spezifische Bedarfe identifiziert und auf gesellschaftlichen Wandel und nationale Bildungsreformen reagiert. Auch die Lehrerbildungsmodelle unterscheiden sich in den Bundesländern nicht unerheblich (mit und ohne Praxissemester, unterschiedliche Verzahnungsformen der drei Phasen, Staatsexamen oder Bachelor/ Master). Die besondere Bedarfslage lässt sich auch daran erkennen, dass der Englischunterricht in Deutschland keinesfalls mit EFL, der Französischunterricht nicht mit FLE, der Spanischunterricht nicht mit ELE, usw. gleichgesetzt werden kann. Die Verlage tragen den regionalen Besonderheiten mit sehr spezifischen und an das nationale und regionale Zielpublikum adressierten Lehrwerken Rechnung. Gewichtiger dürfte jedoch sein, dass es innerhalb der deutschsprachigen Fachdidaktik eigene Schwerpunkte, Entwicklungslinien und Diskurstraditionen gibt, die sich mehr oder minder deutlich von internationalen Konzepten unterscheiden. Als Beispiel sei das Konzept der Lernaufgabe genannt, das nicht mit dem task based teaching and learning-Ansatz angelsächsischer Prägung identisch ist. Die hiesigen Ausprägungen umfassen sowohl komplexe Lernaufgaben wie auch kompetenzorientierte Lernaufgaben, die beide eng mit der seit 2003 in Deutschland eingeführten Kompetenzorientierung verbunden sind. Auch die Debatten um die Einführung der Bildungsstandards sind vor dem Hintergrund nationaler Traditionen und Diskurse zu verstehen. Dies bedeutet jedoch weder eine Rechtfertigung für nationale fachdidaktische Filterblasen noch für eine Beschränkung auf deutschsprachige Literatur, was aber nach meinem Überblick auch nicht zutrifft. Das Problem liegt eher in der nicht zu bewältigenden Flut nationaler und internationaler Titel. Für die romanistische Fachdidaktik kommt noch hinzu, dass neben englischsprachigen vor allem auch französischsprachige und spanischsprachige Veröffentlichungen rezipiert werden müssen. Gleiches gilt für die slawistische Fachdidaktik. Man ist also auf eine Vorselektion relevanter internationaler Titel angewiesen, die tatsächlich meist ohnehin die gebührende Prominenz erhalten und sich wellenartig auf die übrige fachdidaktische Welt ausbreiten. Wenn man als Fachdidaktiker/ in überdies an internationalen Kongressen teilnimmt, partizipiert man zwangsläufig auch an den internationalen Diskursen. Problematisch ist dagegen, dass deutschsprachige Autoren zwangsläufig auf Englisch bzw. in englischsprachigen Organen publizieren müssen, um außerhalb des deutschsprachigen Raums überhaupt wahrgenommen zu werden und am internationalen Dialog teilzunehmen. Hier steht die nicht anglistische deutsche Fremdsprachendidaktik vor einer besonderen Anstrengung. Die Herausforderung besteht also nicht darin, internationaler zu werden, sondern vielmehr, die internationale Wissenschaftssprache, die nun einmal Englisch ist, zu benutzen. Tübingen B ERND T ESCH DOI 10.2357/ FLuL-2019-0026 48 (2019) • Heft 2 Gabriele B LELL , Gabriela F ELLMANN , Stefanie F UCHS (Hrsg.): Die Sprachlernklasse(n) im Fokus. Deutsch als Zweitsprache und Englischunterricht. Frankfurt/ M.: Lang 2017 (Fremdsprachendidaktik inhalts- und lernerorientiert, Band 34), 232 Seiten [€ 49,95] Thematisch befasst sich der Band mit der Frage, inwiefern zwischen dem Englischunterricht und dem Unterricht in Deutsch als Zweitsprache (im Folgenden kurz: DaZ) bzw. zwischen diesen beiden Sprachlernkontexten Synergieeffekte hergestellt und nutzbar gemacht werden können. Dabei sind die Beiträge allesamt in der Praxis verortet und fokussieren sog. Sprachlernklassen 1 an Gymnasien bzw. Sprachlernklassen der Sekundarstufe. Dies ist insofern erwähnenswert, als sowohl das Gymnasium als auch der Englischunterricht häufig als Lernorte gelten, die nicht bzw. kaum für den DaZ-Erwerb zuständig seien. Dem gegenüber steht die Tatsache, dass gerade DaZ-Schüler(innen) an Gymnasien i.d.R. bereits über gute Englischkenntnisse verfügen, sodass Englisch im Umgang mit diesen Schüler(inne)n als Mittler- oder Brückensprache sowie aufgrund der Sprachverwandtschaft mit dem Deutschen für interkomprehensives Lernen nutzbar gemacht werden kann (vgl. dazu bspw. den Beitrag von F UCHS / R EINECKE ). Gegliedert ist der Band in eine Einführung, in fünf Buchteile mit je zwei bis drei Beiträgen sowie in ein Autorenverzeichnis. Die Einleitung fällt mit 21 Seiten - auch im Vergleich zu den inklusive Literaturverzeichnissen und Anhängen mit durchschnittlich 14 Seiten eher kurzen Beiträgen - recht lang aus. Sie enthält eine Einführung in die Thematik und eine Vorstellung der einzelnen Beiträge. Zwölf der insgesamt dreizehn Beiträge sind in deutscher Sprache abgefasst, ein Beitrag liegt in englischer Sprache vor. Zu allen dreizehn Beiträgen liegt ein englischsprachiges Abstract vor. Zwei Beiträgen ist im Titel der Hinweis „Kurz Angemerkt“ vorangestellt; hierbei handelt es sich um Kurzberichte über Abschlussarbeiten - im Falle des Beitrags von F UCHS um die Masterarbeit von Arnela Skrijelj, im Falle des Beitrags von B LELL um die Masterarbeit von Dorothea Stechert. Auch zwei weitere Beiträge des Bandes basieren (in Teilen) auf studentischen Abschlussarbeiten (nämlich der Beitrag von F UCHS / R EINECKE auf der Masterarbeit von Linda Reinecke sowie der Beitrag von B LELL / R ANKE auf der Masterarbeit von Sascha Ranke). Warum diese beiden Studierenden in Co-Autorenschaft treten, die anderen beiden hingegen nicht, bleibt für den Leser/ die Leserin ungeklärt. Bei allen Beiträgen handelt es sich um gelungene Beispiele für gelebte Mehrsprachigkeitsdidaktik, für Mittlerspracheneinsatz, sprachsensiblen Fachunterricht und Binnendifferenzierung. Von vielen Autor(inne)n werden hierzu konkrete Unterrichtsbeispiele vorgestellt, wobei die Arbeitsmaterialien im Text oder im Anhang häufig mit abgebildet sind (vgl. bspw. den Beitrag von S CHWEER ). Drei Beiträge thematisieren zudem die Professionalisierung von (angehenden) Lehrer(inne)n, wobei die äußerst konkreten Ausführungen zu Seminargestaltungen mittels Unterrichtsvideos im Beitrag von VON B REMEN / B LELL besonders inspirierend sind. Auf zwei sehr lesenswerte Praxisbeiträge möchte ich an dieser Stelle exemplarisch näher eingehen: F UCHS / R EINECKE präsentieren in ihrem englischsprachigen Beitrag „English as Bridge Language“ eine Fallstudie zu einer Unterrichtseinheit, die darauf abzielt, DaZ-Schü- 1 Als Sprachlernklassen werden im vorliegenden Band solche Klassen bezeichnet, die von neu zugewanderten DaZ-Schüler(inne)n bzw. von sogenannten Seiteneinsteiger(inne)n mit dem Ziel des intensivierten Deutscherwerbs besucht werden (vgl. B LELL / F ELLMANN / F UCHS im vorliegenden Band, S. 9). B u c h b e s p r e c h u n g e n • R e z e n s i o n s a rti k e l Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 127 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0026 ler(inne)n eines Gymnasiums an die Verwendung der sog. „Sieben Siebe“ des EuroComGerm- Konzeptes 2 heranzuführen und so rezeptive Mehrsprachigkeitskompetenz aufzubauen bzw. das Englische beim Erschließen von deutschsprachigen Texten zu nutzen. Insbesondere zur Vorbereitung der Schüler(innen) auf den Umgang mit Fachtexten im Regelunterricht scheint diese Methode äußerst vielversprechend. B AUER präsentiert und reflektiert in ihrem Beitrag mit dem Titel „Formen der Differenzierung im Englischunterricht einer Sprachlernklasse - Reflexionen und Umsetzungsmöglichkeiten“ einen Unterrichtswurf für den Englischunterricht in einer Sprachlernklasse, der nach dem Prinzip „themengleich aber aufgabendifferenziert“ (S. 101) angelegt ist und der damit ein überzeugendes Beispiel für eine gelungene Binnendifferenzierung darstellt. Zwar bezeichnet B AUER die vorgenommene Differenzierung in der abschließenden Reflexion als „unerlässlich und letztlich alternativlos, wenn Unterricht in einer Lerngruppe mit so vielfältiger Heterogenität gelingen […] soll“ (S. 107), doch räumt sie gleichzeitig ein, dass „der Aufwand der Vorbereitung für diese eine Doppelstunde […] den Vorbereitungsaufwand einer regulären Doppelstunde im Englischunterricht erheblich [überstieg]“ (S. 108). Auffällig ist ferner, dass viele Autor(inn)en in ihren Beiträgen zu bedenken geben, dass den Schüler(inne)n der Sprachlernklassen das für ein binnendifferenziertes und die verschiedenen (Erst- und Fremd-)Sprachen einbeziehendes Arbeiten notwendige selbstregulierte und selbstständige Lernen häufig recht schwer gefallen sei (vgl. bspw. F ELLMANN / T ERHORST , S. 74; B AUER , S. 107f.; S CHOFELD , S. 124 sowie F UCHS , S. 144f.). Zudem seien kooperative oder offene Lernformen von den Schüler(inne)n oftmals mit der Frage: „Wann lernen wir (endlich) richtig? “ kommentiert worden (vgl. bspw. F ELLMANN / T ERHORST , S. 74). Die Reserve gegenüber offenen, selbstbestimmten Lernformen kann in kulturell unterschiedlich geprägten Unterrichts- und Lernstilen begründet liegen; sie weist aber auch auf die hohe Lernbereitschaft und den empfundenen Druck hin, unter dem die Schüler(innen) stehen, um den Leistungserwartungen im (gymnasialen) Regelunterricht gerecht zu werden. Wie damit umgegangen werden kann und ob es gelingt, die Schüler(innen) an derartige Lernformen heranzuführen, ist eine wichtige Frage für die Unterrichtspraxis. Die starke Fokussierung auf die unterrichtliche Praxis erfolgt in den Beiträgen überwiegend zu Ungunsten einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Bei einem Gros der Beiträge handelt es sich um detaillierte und reflektierte Einblicke in die Unterrichtspraxis, nicht jedoch um fachwissenschaftliche Auseinandersetzungen oder (unterrichts-)empirische Untersuchungen. Damit kommt der Band einerseits dem Desiderat nach, konkrete Umsetzungen für die unterrichtliche Praxis bereitzustellen. Andererseits wäre die wissenschaftliche Begleitung dieser Umsetzungen (bspw. mittels Feld- oder Aktionsforschung) ebenfalls wünschenswert gewesen. Einige wenige Beiträge des Bandes (F UCHS / R EINECKE , B LELL / R ANKE sowie F ELLMANN / K IER - MEIER / N EUMANN ) schaffen diesen Spagat allerdings sogar zu leisten. Zu bemängeln ist an einigen Stellen ein terminologisch etwas unsauberer Sprachgebrauch. So ist im Kontext der Sprachlernklassen häufiger von „DaF“ (und damit von „Deutsch als Fremdsprache“) anstelle von „DaZ“ („Deutsch als Zweitsprache“) die Rede (vgl. bspw. S. 83, 130, 151ff.). Auch wenn der DaZ-Spracherwerb an Schulen unterrichtlich gesteuert wird, handelt es sich dabei aufgrund der erfolgten Migration und der kommunikativen Relevanz der zu erlernenden Sprache für den Alltag lange noch nicht um DaF-Unterricht. Besonders augenfällig ist diese fälschliche Zuschreibung im Beitrag von F UCHS / R EINECKE ; hier ist bereits in der Überschrift von „German as Foreign [sic] Language Acquisition“ zu lesen. 2 Vgl. auch Britta H UFEISEN , Nicole M ARX (Hrsg.): EuroComGerm - Die sieben Siebe. Germanische Sprachen lesen lernen. Aachen: Shaker ²2014. 128 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel DOI 10.2357/ FLuL-2019-0027 48 (2019) • Heft 2 Fazit: Der Band ist insbesondere für (angehende) Lehrer(innen), aber auch für Sprachdidaktiker(innen) und Erziehungswissenschaftler(innen) lesenswert. Die Beiträge sind sprachlich allesamt gut lesbar und inhaltlich inspirierend - zeigen sie doch, dass eine Binnendifferenzierung in der Praxis ebenso möglich ist wie die Umsetzung mehrsprachigkeitsdidaktischer Ansätze - und das auch bzw. gerade in Sprachlernklassen und mit DaZ-Schüler(inne)n. Eventuell hätte die Fokussierung auf die unterrichtspraktische Umsetzung (und eben nicht auf die Beforschung unterrichtlicher Praxis) für potenzielle Käufer(innen) bzw. Leser(innen) bereits über einen entsprechend gewählten Untertitel auf dem Buchcover deutlich gemacht werden können. Passau J ULIA R ICART B REDE Ulrike E DER , Friederike K LIPPEL (Hrsg.): Sprachenunterricht im Kontext gesellschaftlicher und politischer Ereignisse und Entwicklungen. Historische Vignetten. Münster: Waxmann 2017 (Münchener Arbeiten zur Fremdsprachenforschung, Bd. 36), 201 Seiten [39,90 €] Der hier vorgestellte Sammelband geht auf die Arbeit der historischen Sektion während des 26. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung im Jahr 2015 in Ludwigsburg zurück. Er greift einen bislang weitgehend vernachlässigten Fokus der historischen Forschung zum Fremdsprachenunterricht auf, indem er primär gesellschaftliche, wirtschaftliche, technische und politische Kontexte, die das Lehren und Lernen von Fremdsprachen bedingen, sowie die Motive von Einzelnen und Gruppen, Fremdsprachen zu lernen, thematisiert. Die vorliegenden Vignetten historischer Forschung zum Fremdsprachenlehren und -lernen zeigen eingängig, dass es lohnt, sich mit der Vielfalt historischer Kontexte des Sprachenlernens in der Welt zu befassen und auf diese Weise auch in ihren Konstanten und Brüchen die gesellschaftliche Bedingtheit des Sprachenlernens nachzuvollziehen. Der Sammelband enthält Beiträge, die sich auf die Zeit vom 16. bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts beziehen und sowohl spezifische Einblicke in die (institutionalisierte) Fremdsprachenvermittlung als auch breitere, sprachen- und länderübergreifende Analysen zu individuellen Motiven und gesellschaftlichen Bedingungen und Herausforderungen bieten. Annette H ASENEDER zeigt in ihrem Beitrag Grundzüge der Mobilität und des Fremdsprachenlernens im Europa der frühen Neuzeit auf. Zunächst skizziert sie die international durch Konflikte geprägte Lage im Europa des 16. Jahrhunderts sowie die Bedeutung von Exil und Migration in dieser Zeit. Im Mittelpunkt des Beitrags stehen die Analyse zum Fremdsprachenlernen in England sowie Einblicke in den Englischunterricht im Exil, etwa in den Schulen der Mary Ward. Die Autorin macht deutlich, dass die Frühe Neuzeit im Kontext des kulturellen Wandels und der Migration eine europaweite Neubewertung der modernen Fremdsprachen mit sich brachte. Walter K UHFUSS stellt in seinem Beitrag Französischunterricht für Reisen in Kriegs- und Friedenszeiten vor, wie ihn der Straßburger Sprachlehrer Daniel Martin während des Dreißigjährigen Krieges konzipierte. Der Autor zeigt auf, dass ein von Martin herausgegebenes Gesprächsbuch nicht nur das sprachliche und landeskundliche Rüstzeug für den Aufenthalt in Straßburg, für die Reise ins französischsprachige Ausland sowie für eine Vielzahl von Berufen bot. Es war zudem dem Militär und für die Kriegsführung nützlich, diente zugleich aber auch als Grundlage einer kritischen Diskussion des Krieges und der professionellen Reflexion über das Handeln als Sprachlehrer und gesellschaftliche Aufgaben des Unterrichts. Stefan Michael N EWERKLA beschreibt die Entstehungsgeschichte des institutionalisierten Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 129 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0027 Fremdsprachenunterrichts im Wien der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. N EWERKLA erläutert dabei die spezifische Motivation zur Einführung des modernen Fremdsprachenunterrichts und die Sprachenwahl in Wien und Wiener Neustadt mit Blick auf die im Habsburgischen gesprochenen Sprachen. Die Vorrangstellung des Tschechischen etwa, so N EWERKLA , ist diesbezüglich wesentlich durch rationalistischen Pragmatismus und Utilitarismus und durch einen staatspolitischen Zentralismus der agierenden Regierungen geprägt. Ulrike E DER schließt hieran an und gibt einen Einblick in die Vermittlung des Deutschen als Zweitsprache im elementaren und sekundären Bildungsbereich Böhmens unter der Herrschaft Maria Theresias und Josephs II. Dabei wird ersichtlich, wie sich das Deutsche als Zweitsprache, mehr noch als Unterrichtssprache in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts an Gymnasien in Böhmen entwickelt und wie zugleich das Tschechische als Unterrichtssprache in Böhmen verdrängt wurde. Gleichwohl kann davon ausgegangen werden, so die Autorin, dass die tschechische Sprache nicht ganz aus den Gymnasien verschwand. Marina A NDRAZASHVILI befasst sich in ihrem Beitrag mit dem Deutschunterricht in Georgien von den Anfängen bis zur Sowjetzeit. Sie skizziert dabei, welche Relevanz den Nachbarsprachen (wie Armenisch Türkisch, Persisch, Aserbaidschanisch) als alltägliche, kommunikativen Zwecken dienende Sprachen und den Sprachen des Westens (wie Französisch, Italienisch, Deutsch) als Sprachen kultureller Bedeutung in je spezifischen kultur- und sprachenpolitischen Kontexten zugeordnet wurden. So spielte nach A NDRAZASHVILI etwa die deutsche Sprache als „Kultursprache“ durchaus eine Rolle, was sich erst in der Zeit des zaristischen Regimes bis zur vorsowjetischen Zeit änderte. Ekaterina S HAVERDASHVILI knüpft an den vorgenannten Beitrag an. Sie befasst sich mit der Vermittlung des Deutschen als Fremdsprache in Sowjetgeorgien von 1921 bis in die 1980er Jahre und fasst die zentralen methodischen Entwicklungen, aber auch inhaltliche Aspekte des Deutsch als Fremdsprache-Unterrichts zusammen. Die Autorin konzentriert sich dabei auf drei zentrale Reformphasen in den 1930er, 1960er und 1980er Jahren und hebt hervor, dass die Zeit der Perestroika letztlich eine Fokussierung auf pragmatische Ziele des Fremdsprachenunterrichts einleitet. Tim G IESLER thematisiert in seinem Beitrag norddeutsche Englischlehrerbiographien im 19. Jahrhundert. Dabei rekonstruiert er, wie drei Generationen von Englischlehrern aufgrund ihrer Berufsbiographie den Unterricht an Bremer Schulen spezifisch prägen, aber auch Reformen etwa der Lehrerbildung den Englischunterricht verändern. Der Autor legt dar, dass Englisch an der Bürgerschule in Bremen als erste Fremdsprache unterrichtet wurde und gerade in der Handelsstadt mit Verbindungen in alle Welt das Ziel der Befähigung zur Kommunikation in Alltag und Beruf / Handel im Mittelpunkt stand, was sich erst mit der Angliederung Bremens an den Norddeutschen Bund und eine Neuausrichtung des Unterrichts durch Lehrpersonen, die das preußische Ausbildungswesen durchlaufen hatten, änderte. Marlis S CHLEICH fasst die Anfänge des internationalen Schüleraustauschs an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zusammen und legt dar, wie dieser erstmals systematisch organisiert wurde. S CHLEICH zeichnet nach, dass insbesondere der Wandel in Verkehr und Tourismus, bedingt durch die Entwicklung des europäischen Bahnnetzes, aber auch das mit der neusprachlichen Reform und der Friedensbewegung einhergehenden Ziel der Völkerverständigung diesem systematischen Ausbau Vorschub leisteten. Sie präsentiert die historische Entwicklung des Schülerbriefwechsels und des internationalen Schüleraustauschs, der durch den Beginn des Ersten Weltkrieges jedoch zunächst ein Ende fand. Camilla B ADSTÜBNER -K IZIK gibt einen Einblick in Lehrwerke des Deutschen als Fremdsprache bzw. in Selbstlernwerke des Polnischen für deutschsprachige Verwalter in den polnischsprachigen, aber auch in den deutschsprachigen Gebieten. Die Autorin legt die komplexen 130 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel DOI 10.2357/ FLuL-2019-0028 48 (2019) • Heft 2 Zusammenhänge sprachlicher, wirtschaftlicher und politischer Entwicklungen dar. Sie zeigt am Beispiel von Lehrwerken, Selbstlernwerken und Gesprächsbüchern aus der Zeit zwischen 1903 und 1940, in welcher Weise in diesen Publikationen Machtpositionen des Deutschen gegenüber der polnischen Sprache, insbesondere der deutschsprachigen Verwalter gegenüber den polnischsprachigen Landarbeitern und Gefangenen, fixiert werden. Dorottya R UISZ befasst sich mit der Frage, inwiefern der Fremdsprachenunterricht der Nachkriegszeit seitens US-amerikanischer Neusprachler als Vehikel für Demokratieerziehung und Völkerverständigung gesehen wurde. Artikel des Modern Language Journal der Jahre 1944 bis 1950 zeigen, dass nur wenige Texte sich mit Fragen der Demokratieerziehung befassen, weithin aber Aspekte der internationalen Völkerverständigung und des Weltfriedens thematisiert wurden. Zugleich legt die Autorin dar, dass im Rahmen der reeducation im Deutschland der Nachkriegszeit andere Schwerpunkte gesetzt wurden und ein direktes Propagieren von Zielen und Inhalten nicht dem Anspruch der Entwicklung einer Demokratie entsprach. Meike H ETHEY schließt den Band mit ihrem Beitrag zum Stellenwert der Literatur im westdeutschen Französischunterricht der 1950er Jahre ab. Den Bogen spannend vom Richert´schen Kulturkonzept der 1920er Jahre bis zu Adolf Bohlens Entwurf eines Modernen Humanismus im Jahr 1959 analysiert H ELTHEY Lehrwerke und Lesebücher der 1950er Jahre. Diese zeigen, dass der Französischunterricht vorrangig auf die hohe kulturelle Bedeutung der Literatur und das Kennenlernen der anderen Nationalkultur abhob. Darüber hinaus aber stellen die Lehrwerke und gerade auch die Auseinandersetzung mit literarischen Texten einen Beitrag dazu dar, die Aussöhnung mit dem Erbfeind, die Verständigung der Nachbarn nach dem Zweiten Weltkrieg, den dauerhaften Frieden und das Zusammenwachsen Europas voranzutreiben. Fazit: Die in diesem Band gesammelten Vignetten verweisen auf je spezifische Weise auf die komplexen Verflechtungen gesellschaftlicher, politischer, ökonomischer und technischer Entwicklungen mit sprachenpolitischen Entscheidungen, sprachdidaktischen Innovationen und Rückschritten sowie individuellen (Sprachlern-)Biographien und Aspirationen. Es greift zu kurz, die Geschichte des Fremdsprachenunterrichts auf die Analyse theoretischer Konzepte oder praktischer Überlegungen zur Unterrichtspraxis zu beschränken. Der Sammelband veranschaulicht vielmehr in frappierender Weise die Bedeutung der Sprachen für den Einzelnen, für Gruppen und Gesellschaften im Ganzen; und er zeigt exemplarisch, dass der Fremdsprachenunterricht gerade mit Blick auf je vorfindliche gesellschaftliche Bedingungen und Herausforderungen konsequent und in diachroner und synchroner Perspektive weiterhin zu erforschen ist. Trier A NKE W EGNER Engelbert T HALER (Hrsg.): Singer-Songwriters. Music and Poetry in Language Teaching. Tübingen: Narr/ Francke/ Attempto 2018 (Studies in English Language Teaching, Volume 4), 206 Seiten [39,00 €] Neben der Wahl Donald Trumps zum 45. Präsidenten der USA hat im Jahr 2016 sicherlich auch diese Nachricht weltweit für große Aufmerksamkeit gesorgt: Bob Dylan - der Vertreter des nordamerikanischen Liedermacher-Genres und Vorbild für deutsche Klangpoeten wie Wecker, Wader oder Biermann - gewinnt den Literaturnobelpreis für „seine poetischen Neuschöpfungen in der großen amerikanischen Songtradition“ (dt. Übersetzung der englischen Pressemitteilung Svenska Academien 13.10.2016). Im Gegensatz zum Erhalt des Nobelpreises ist die unmittelbare Bedeutung Dylans für und seine Wirkung auf das Singer-Songwriter-Genre unbe- Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 131 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0028 stritten, und so definiert auch Engelbert T HALER die literarisch-kulturellen Qualitäten der Singer-Songwriter-Texte mit ihren „personal and confessional, serious and profound [lyrics], veiled by elaborate metaphors and vague imagery“ (S. 7) als wesentlich für sinnstiftende und lebhafte Diskussionen im Englischunterricht. Auf das „didaktische“ Potenzial, welches in den Songs von Dylan und Co (z.B. Cohen, Cash, Donovan, Baez, Springsteen, Mitchell, Morissette, Gallagher, Amos) in Verbindung mit heutigen Formen von (Singer-)Songwriting oder music und poetry (Archy Marshall, Ed Sheeran etc.) steckt, sollte auf keinen Fall verzichtet werden. Diesem Grundgedanken widmet sich der Sammelband und zeigt in verschiedenen Facetten die Richtigkeit der folgenden Feststellung von T HALER auf: „[a] combination of music and poetry can be suitable material for promoting various foreign language competences“ (S. 7). Grundlegend verschreibt sich die in drei Teile strukturierte Publikation (Theory - Methodology - Lessons) auch einem Dreierlei an Zielstellungen: 1) TEFL mit verwandten akademischen Disziplinen zu verbinden, 2) eine Balance zwischen der TEFL-Forschung und der Anwendung im Klassenzimmer herzustellen und 3) Theorie, Methode und praxisnahe Unterrichtsbeispiele zu integrieren. Teil 1 Theory (T HALER / Z EHELEIN / D EAN , S. 13-62) stellt Verbindungen zwischen den Disziplinen der englischen Fachdidaktik, der Literatur- und der Kulturwissenschaften in Bezug auf die Thematik Songs/ Singer-Songwriters her. THALER führt in die Begrifflichkeiten poetries (enlarging the canon, S. 14f.), pop-try (including music, S. 15f.) und poe-try (varying methodology, S. 17-21) ein und beschreibt den Ist-Stand der Diskussion zu song lyrics und/ oder poems und deren Verwendung im Klassenzimmer. Neben kurzen Definitionsversuchen zum Begriff Singer-Songwriting und dem Genre allgemein finden sich hier, etwas lose zusammengefügt wirkende, chronologische Übersichten von berühmten Singer-Songwriters oder Top- Ten-Listen der bekanntesten Songwriter der letzten Jahrzehnte. Anschließend beleuchtet Eva- Sabine Z EHELEIN aus literaturwissenschaftlicher Sicht die Potenziale der amerikanischen Nationalhymne für den Englisch- und CLIL-Unterricht in Form einer tiefgründigen formalen wie inhaltlichen Analyse der Hymne und des ihr zugrundeliegenden Gedichts in der gesamten historischen Breite. Besonders interessant ist Z EHELEIN s Kurzvorstellung von „six (in)famous cases of the last fifty years […] [when] Key’s poem-song has been employed by various individuals to voice their opinions and sentiments thus challenging society at large to revisit its narrative of and by and for itself“ (S. 36). Hier zeigen sich neben den für eine Nutzung im EFL classroom doch sehr elaborierten Ausflügen in die Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte der amerikanischen Hymne die deutlichsten Anknüpfungspunkte für das englischsprachige Klassenzimmer. Den Theorieteil beschließt aus kulturwissenschaftlicher Perspektive John D EAN mit dem Fokus auf den US Protestsong beispielsweise vor dem Hintergrund des War of Independence (Yankee Doodle, interpretiert von Pete Seeger), dem American Civil War (John Brown’s Body, interpretiert von Seeger und Cash im Vergleich), des Vietnam War (Fortunate Son, Creedence Clearwater Revival) oder des Pinckney Eulogy (Obama singt Amazing Grace). Sehr ansprechend ist hier die detaillierte musikalische Beschreibung bzw. Analyse der Interpretationen. DEAN generiert eine Vielzahl interessanter Fragen, die an das jeweilige Stück gestellt und mit Schülerinnen und Schülern bearbeitet werden können, gibt aber gleichzeitig sehr eindeutig bindende Interpretationsmöglichkeiten vor. Der zweite Teil, Methodology (S. 65-146), besteht aus sechs, in Anlage und Herangehensweise unterschiedlichen Beiträgen. Diese thematisieren ausgesuchte Songs sowie bestimmte Techniken und Methoden zur Vermittlung (V OLKMANN , E ISENMANN , VON BLANCKENBURG , BISHARA , H UGO / SCHULZE , D EAN / L EGNER ). Mit Fokus auf language und language awareness (literary and stylistic devices; representations of „truth“ and manipulation of feelings like empathy in songs, vgl. S. 67f.) führt Laurenz V OLKMANN die Leserschaft in das Innere vier 132 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel DOI 10.2357/ FLuL-2019-0028 48 (2019) • Heft 2 verschiedener Pet Shop Boys-Lieder und präsentiert dabei ambiguity, persona und unreliable narration (S. 69f.) als mögliche Herangehensweisen an song-poetry im Englischunterricht. Maria E ISENMANN beschwört den ‚musikalischen Geist‘ Shakespeares und, nach grundsätzlichen Überlegungen zu The Role of Music in Shakespeare’s Work (S. 82f.) und Music in the EFL Classroom (S. 85-87), stellt sie neben Shakespeare-Adaptionen in der klassischen Musikwelt vor allem moderne Lieder in den Vordergrund, die in Teilen oder ganz von Shakespeares Texten inspiriert sind (89-96). Sie bespricht King Nothing (Metallica), Love Story (Taylor Swift) sowie verschiedene Hip Hop- und Rap-Versionen vor dem Hintergrund von kompetenzorientiertem Englischunterricht. Übergeordnete song tasks bestehend aus content-based, linguistic, musical und holistic tasks werden näher erläutert. Einen besonderen Schwerpunkt auf die bei E ISENMANN schon benannten musical tasks legt der Beitrag von Max VON B LANCKENBURG . Hier werden fast ausschließlich musikalische Komponenten bei der Erarbeitung von songs im Klassenzimmer beleuchtet wie beispielsweise making music: physical and vocal performances, body and rhythm (body percussion) und singing. Diese spielen bei der Betrachtung von Musik auch im Englischunterricht eine wichtige Rolle. Das Potenzial dieser ganzheitlichen wie auch fächerübergreifenden Herangehensweise sollte definitiv nicht vernachlässigt werden. Das Unterkapitel zu Songwriting as Making Music (S. 107-110) schließt dann doch noch den Bogen zur Gesamtthematik des Sammelbands und liefert praxisnahe Unterrichtsideen zu conceptualizing a pop song based on a poem (S. 107) oder turning a poem into song (S. 109). Ein lebenswie schülernahes Projekt (The Poem Day Project, S. 119-121) innerhalb eines Task-based Language Learning Settings (TBLL) beschreibt Nina B ISHARA mit dem Schwerpunkt auf die Entwicklung von oral fluency bei Fremdsprachenanfängern. Nach einem Überblick über die einschlägig bekannten Forschungsergebnisse zur mündlichen Kommunikation im Englischunterricht und einer Einordnung dieser innerhalb der KMK Bildungsstandards von 2012 erläutert B ISHARA , wie das Poem Day Project im Speziellen und die Auseinandersetzung mit Gedichten im Allgemeinen zu meaningful communication auch bei jungen Lernenden anregen kann. Neben den bereits erwähnten Bildungsstandards und den Kompetenzmodellen im Fach Englisch spielen für die Leserschaft dieses Sammelbandes (sicherlich vorrangig Lehrkräfte und Lehramtsstudierende) Bezüge zu den unterschiedlichen Curricula bzw. Lehrpläne eine wichtige Rolle. Diesen trägt der Beitrag von Claudia-Maria H UGO und Christian S CHULZE Rechnung. Hier finden sich lehrplanbezogene Listen mit thematisch und nach Jahrgangsstufe geordneten Beispielen, aber auch elaborierte Beispiele für die Unterrichtspraxis (z.B. Robbie Williams’ Party Like A Russian oder Lenkas Everything At Once). Im letzten Beitrag des Teils Methodology kommen John D EAN und Udo L EGNER endlich, wenn auch nur kurz, auf Bob Dylan zu sprechen. Sie beschreiben einen Workshop, welcher Dylans Musik in Verbindung mit philosophischen Strömungen (Plato, Rousseau, Camus etc.) in den Mittelpunkt stellt, und lassen den Lesenden skizzenhaft Möglichkeiten der Workshop-Gestaltung und Songauswahl nachvollziehen. Der dritte Teil (Lessons, S. 149-206) umfasst sechs ausgearbeitete Unterrichtsbeispiele, sozusagen ready made für die sofortige Verwendung im Unterricht (S CHRATT / S CHUHWERK , S CHOLZ , M ANNERT / M ERKLINGER , K RUSHCKE / W ISNON , S INGER , H ÄCKEL / K ATZMAYR ). Diese vom Herausgeber zusammen mit Studierenden entworfenen sowie von Lehrkräften durchgeführten Sequenzen haben nach entsprechender Überarbeitung Eingang in den Sammelband gefunden und sind leserfreundlich aufbereitet sowie klar strukturiert: 1) kurze Einführung in die Thematik und Hintergrundinformationen zum Song, Sänger(in) oder der Band; 2) Durchführung (Kompetenzen, Ziele, Stufe etc.); 3) Materialien; 4) Erwartungshorizont sowie 5) Bibliographie/ Quellen. Sie bieten viele interessante Ideen zu music and poetry für die unterrichtliche Praxis. Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 133 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0029 Insgesamt besticht die Veröffentlichung durch eine facettenreiche Auswahl an Beispielen für die Unterrichtspraxis, die bei der Bearbeitung verschiedener Aspekte zur Thematik Singer- Songwriter eine Rolle spielen könn(t)en. Von Bob Dylan über Michael Jackson und den Pet Shop Boys bis zu Lenka beschäftigt sich dieser Band mit einer Vielzahl von Interpretinnen und Interpreten, was sicherlich, entgegen musikwissenschaftlicher Perspektiven, eine sehr weitgefasste Definition von Singer-Songwriting voraussetzt - allerdings vor dem Hintergrund eines balanced approach durchaus Berechtigung findet. Wenn auch die Einzelbeiträge in Qualität und Quantität variieren, ist die Darstellung der verschiedenen Perspektiven auf den Gegenstand, insbesondere der in der Fremdsprachendidaktik nicht sehr oft behandelten musikalischen Dimension, gelungen. Das Buch lädt dazu ein, die Kombination aus poetry und music im Englischunterricht immer wieder neu für die Schülerinnen und Schüler erfahrbar zu machen. Jena C HARLOTT F ALKENHAGEN Roger Dale J ONES : Developing Video Game Literacy in the EFL Classroom. A Qualitative Analysis of 10th Grade Classroom Game Discourse. Tübingen: Narr Francke Attempto 2018 (Gießener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik), 361 Seiten [64,00 €, 51,20 € als ebook] Die fortschreitende Digitalisierung bringt auch für den schulischen Fremdsprachenunterricht zahlreiche Herausforderungen wie Handlungspotenziale mit sich. Die Bedeutung und Reichweite von digitalen Videospielen oder Computerspielen im Allgemeinen ist für den außerschulischen Lebensbereich vieler Kinder und Jugendlicher hinlänglich bekannt und Gegenstand zahlloser wissenschaftlicher Abhandlungen. Mit Blick auf den Fremdsprachenunterricht und insbesondere den Englischunterricht in Deutschland kann davon jedoch keine Rede sein: Zwar werden viele Englischlehrkräfte informell bestätigen können, dass Computerspiele zur Sprachkompetenz ihrer Schülerinnen und Schüler (im Folgenden SuS) beitragen und als mediale Artefakte einer englischsprachigen Welt unter Umständen auch kulturelle Lernprozesse anstoßen oder beeinflussen, eine systematische Auseinandersetzung mit der didaktischen Bedeutung von video games für den allgemeinbildenden Englischunterricht stand bisher hingegen noch aus. Diese Lücke füllt die vorliegende Dissertationsschrift, die sich ausgehend von der oben angedeuteten Feststellung, dass Computerspiele zu einer zentralen Quelle englischer Sprache und Kultur im weitesten Sinne geworden sind, zum Ziel setzt, diese Quelle nicht einfach nur für sprachliche Zwecke nutzbar zu machen, sondern darüber hinaus den SuS zu einer umfassenden video game literacy zu verhelfen, die verstanden wird als „the ability to interpret games, game experiences, and discourse ‚artifacts‘ around games, in order to critically and constructively participate in the English language discourse on games“ (S. 15). Eben diese video game literacy zieht sich als Konstrukt durch die gesamte Arbeit, beginnend mit ihrer detaillierten theoretischen Entwicklung in Teil I (Video Game Literacy in the EFL Classroom) über ihre konzeptuelle Erprobung als Analysetool für Computerspieldiskurse in Fan-Comics in Teil II (Gamer Discourse: A Possible Link? ) bis zur exemplarischen unterrichtspraktischen Erprobung in drei verschiedenen Unterrichtssettings in Teil III (Challenges of Classroom Game Discourse. Three Case Studies). Am Ende steht ein theoretisch wie empirisch erprobtes „discourse model of video game literacy“, zu dem der Verfasser selbstkritisch anmerkt, „[i]t is an initial attempt to conceptualize and structure the complexities of game discourse, and further research (even empirical) is required to establish a more solid framework“ (S. 326). Insbesondere die drei Unterrichtsversuche mit ihren flankierenden Lehrer- und Schüler- 134 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel DOI 10.2357/ FLuL-2019-0029 48 (2019) • Heft 2 interviews belegen jedoch - bei aller sympathischen Bescheidenheit gegenüber der eigenen wissenschaftlichen Leistung - die grundsätzliche Tragfähigkeit des entwickelten Diskursmodells, denn am Ende zeigt sich in der Unterrichtsrealität der drei Fallbeispiele die Reichweite und Belastbarkeit des entwickelten theoretischen Konstrukts. Ohne an dieser Stelle bereits ins Detail zu gehen, sei der ungeduldige Leser auf Abschnitt 9.2 der Arbeit verwiesen, in dem die zentralen Probleme und Herausforderungen der unterrichtlichen Beschäftigung mit Computerspielen mit dem entwickelten Diskursmodell in Beziehung zueinander gesetzt werden. Auch hier gesteht der Verfasser - in beeindruckend selbstkritischer Offenheit - „the vast discrepancy between the potentials of game discourse at all three levels [game, player, world; M.R.] and the reality of classroom game discourse“ (S. 310) ein. In diesem Sinne ist die Arbeit in vorbildlicher Weise fremdsprachendidaktisch motiviert, indem sie auch unbequeme und zunächst unverständliche Theorie-Praxis-Beziehungen aufgreift und problematisiert, statt sie zu ignorieren oder sprachlich nur zu übertünchen. Aus der Besprechung des Werks bis zu dieser Stelle sollte bereits angeklungen sein, dass es sich um einen außerordentlich anspruchsvollen und ergiebigen Text handelt, der einen komplexen, zudem bislang wenig konturierten Forschungsgegenstand in gut lesbarer Form aufbereitet und entwickelt. Natürlich liefert jeder Text dieser Komplexität und Länge auch Anlass für kritische Nachfragen oder den Wunsch nach weiterer Präzisierung. Diese Haltung soll bei der nun folgenden Auseinandersetzung mit einigen zentralen Aussagen des Textes allerdings nicht im Vordergrund stehen. Teil I der Arbeit entwickelt ein insgesamt plausibles und handhabbares Modell von video game literacy, indem es an das Modell des Spieledesigners Jesper Juul aus game, player, world anknüpft und vor dem Hintergrund der Zielperspektive fremdsprachiger Diskursfähigkeit in ein mehrschichtiges Diskursmodell überführt, dessen drei Ebenen (game program, game play, cultural context, vgl. S. 111) vielfältig miteinander verschränkt sind und zwischen denen sich der kulturelle Diskurs zu Computerspielen entfaltet. Der Verfasser gesteht am Ende seiner Arbeit selbst ein, dass discourse ein slippery concept sei, und der Begriff Gefahr laufe, alles und damit nichts mehr zu bedeuten (vgl. S. 326). Wenngleich es in der Tat einiger Mühen auf Seiten des Lesers bedarf, in der Entwicklung des Konzepts nicht den Fokus zu verlieren, kann der nachfolgende zweite Teil der Arbeit als Indiz dafür gelten, dass eine Perspektivierung nach game, player, world zu sinnvollen Kategorisierungen der dort untersuchten Fan-Comics führt (vgl. z.B. S. 150). Teil II bleibt jedoch eher ein philologisch orientiertes, literatur- oder kulturwissenschaftliches Unterfangen, während der dritte Teil der Arbeit sich wie im Titel versprochen dem EFL Classroom stellt. Auch hier zeigt sich, zumindest auf dem Papier, erneut die Kompatibilität zwischen den drei Dimensionen des Computerspiel-Diskurses und den critical incidents des Unterrichtsgeschehens (vgl. S. 311). In dieser Fokussierung auf die „challenges“, die sich aus der Unterrichtsplanung und -interaktion ergeben, liegt nach meiner Einschätzung die besondere Stärke der vorliegenden Arbeit, denn dem Verfasser gelingt es in diesen Zuspitzungen insbesondere, die unterschiedlichen Kenntnisstände, Einstellungen und Erwartungshaltungen der Lehrkräfte einerseits und der SuS andererseits miteinander abzugleichen und daraus Schlüsse für die Einbeziehung von Computerspielen in den Englischunterricht zu ziehen, etwa in Bezug auf die (mangelnde) Bereitschaft vieler SuS, sich diesem Thema zu öffnen (vgl. S. 315f.), die Notwendigkeit, tradierte Lehrer- und Schülerrollen zu überwinden (vgl. S. 320f.) oder die Ambivalenz von Gamifizierungstendenzen im schulischen und gesellschaftlichen Bereich (vgl. S. 259). Es ist das Verdienst dieser Arbeit, einen ersten umfassenden Beitrag für den deutschsprachigen Raum zur Bedeutung von Computerspielen im Englischunterricht zu leisten. Video games sind allerdings nur eine Facette einer zunehmend digitalisierten Gesellschaft und es Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 135 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0030 sollte auch nicht unerwähnt bleiben, dass ein durchaus erheblicher Anteil von Kindern und Jugendlichen Computerspielen nichts oder nur wenig abgewinnen kann. Dennoch wird es Aufgabe der Fremdsprachendidaktik (neben vielen weiteren Disziplinen) sein, digital literacy als eine umfassende Kernkompetenz der nächsten Generationen zu begreifen, in die video game literacy als ein Bestandteil mit einfließt. Bochum M ARKUS R ITTER Bianca R OTERS , David G ERLACH , Susanne E ßER (Hrsg.): Inklusiver Englischunterricht. Impulse zur Unterrichtsentwicklung aus fachdidaktischer und sonderpädagogischer Perspektive. Münster: Waxmann 2018, 216 Seiten [27,90 €] Erst in den letzten Jahren ist in der Fremdsprachendidaktik die Diskussion zu Fragen der Inklusion im Fremdsprachenunterricht in das Zentrum der Aufmerksamkeit getreten, haben doch zuvor allgemeindidaktische oder sonderpädagogische Beiträge die Diskussion dominiert. Erste konzeptionelle englischdidaktische Arbeiten sowie die zunehmende Anzahl von empirischen Arbeiten zum inklusiven Englischunterricht verlagern den Schwerpunkt der Diskussion zugunsten von mehr Fachlichkeit. Der vorliegende Sammelband stellt einen Beitrag zu dieser Diskussion dar, indem er Beiträge von Praktiker/ innen, Lehrerausbildner/ innen und Wissenschaftler/ innen sowohl aus dem deutschsprachigen Kontext als auch international (USA) zusammenbringt. Der Band erschien in der Reihe „Beiträge zur Schulentwicklung“, die herausgegeben wird von der Qualitäts- und UnterstützungsAgentur - Landesinstitut für Schule (QUA- LiS) des Landes Nordrhein-Westfalen. Er gliedert sich neben einem einleitenden Beitrag in Prinzipien und Leitlinien, Umsetzungsmöglichkeiten und Anwendungskontexte inklusiven Englischunterrichts, inklusiven Englischunterricht und Lehrerbildung sowie internationale Perspektiven des Themas. In ihrem einleitenden Beitrag unterstreichen die Herausgeber/ innen Susanne E ßER , David G ERLACH und Bianca R OTERS die Verknüpfung von Fremdsprachendidaktik und Sonderpädagogik als Voraussetzung für die konzeptionelle Weiterentwicklung eines inklusiven Englischunterrichts, die der Band leisten soll. Ausgehend von einem eher engen, auf sonderpädagogischem Förderbedarf fußenden Inklusionsbegriff entwickeln die Autor/ innen basierend auf Qualitätsmerkmalen inklusiven Unterrichts ein Unterrichtsentwicklungsmodell für zieldifferentes Lernen im inklusiven Fachunterricht, das sowohl differenzierende Aufgabengestaltung als auch eine entwicklungsfördernde Lernumgebung seitens der Unterrichtsplanung berücksichtigt. Aufbauend auf dem Prinzip der Aufgabenorientierung stellen sie im Anschluss ein Unterrichtsplanungsmodell für den inklusiven Englischunterricht vor, das die oben ausgeführten Kompetenzen und Entwicklungschancen innerhalb eines Lernaufgaben-Planungsmodells aufgreift und weiterentwickelt. Die anschließende Vorstellung der einzelnen Beiträge des Sammelbandes fällt vergleichsweise knapp aus und hätte ggf. in einem separaten einleitenden Kapitel besser gepasst. Carolyn B LUME , Christina K IELWEIN und Torben S CHMIDT befassen sich in ihrem Beitrag mit Potenzialen und Grenzen von Task-based Language Teaching in einem inklusiven Unterricht mit Lernenden mit Lernbesonderheiten. Sie diskutieren die potenziellen Vorteile des aufgabenorientierten Ansatzes für einen individualisierenden Fremdsprachenunterricht sowie die Herausforderungen für Lernende mit metakognitiven, kognitiven und interaktionalen Schwierigkeiten und beschreiben jeweils die Auswirkungen auf diese Lernenden, bevor sie Entwick- 136 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel DOI 10.2357/ FLuL-2019-0030 48 (2019) • Heft 2 lungs- und Forschungsperspektiven für inklusives aufgabenorientiertes Fremdsprachenlernen formulieren. Natascha S TAHL -M ORABITO befasst sich im zweiten Beitrag des Abschnitts „Prinzipien und Leitlinien“ mit dem zieldifferenten Lernen im inklusiven Englischunterricht insbesondere für Lernende mit den Förderschwerpunkten Lernen und Geistige Entwicklung. Ausgehend vom Ziel der „persönlichen Exzellenz“ und mit hilfreichen Beispielen diskutiert sie für den zieldifferenten Englischunterricht die Rolle der Diagnose sprachlicher Lernstände und einer darauf aufbauenden Förderung, die Stellung des Classroom Discourse, den Einsatz von Schriftsprache sowie Üben im und außerhalb des Unterrichts. Sie stellt diverse Unterrichtsformate auf dem Weg zu Lernaufgaben mit ihrem Potenzial für zieldifferentes Lernen vor, bevor sie die Wichtigkeit von Teamarbeit auf unterschiedlichen Ebenen betont. Die Umsetzungsmöglichkeiten und Anwendungskontexte inklusiven Englischunterrichts nehmen die Beiträge von Janna B UCK , Vera W INDMÜLLER -J ESSE und Marco T ALARICO sowie Jan S PRINGOB in den Blick. Janna B UCK identifiziert in ihrem Beitrag dramapädagogische Methoden als eine Möglichkeit, Individualisierung und inhaltliche Gemeinsamkeit im inklusiven Englischunterricht zu vereinbaren. Sie hebt das Potenzial dramapädagogischer Methoden für die Gestaltung von Lernprozessen im inklusiven Englischunterricht hervor. Sie kommt zu dem Schluss, dass Lernenden im inklusiven Englischunterricht auf Grund der holistischen Herangehensweise von dramapädagogischen Methoden individuelle Zugangsebenen im Sinne eines Frei- und Experimentalraumes jenseits rein kognitiver Auseinandersetzung mit Themen und Inhalten ermöglicht werden, dem jedoch die hohen Anforderungen an Lernende auf kognitiver, physischer und sozialer Ebene entgegen stehen. Die Chancen und Möglichkeiten digitaler Mediennutzung für den inklusiven Englischunterricht zeigen Vera W INDMÜLLER -J ESSE und Marco T ALARICO in ihrem Beitrag auf, wobei sie als übergeordnetes Ziel die Teilhabe an der digitalen Gesellschaft formulieren. Neben einer Diskussion des „Mehrwerts“ digitaler Medien für den Unterricht im Allgemeinen und den inklusiven Englischunterricht im Besonderen stellen sie die Vorteile von Bring Your Own Device (BYOD) zur Unterstützung individualisierten Lernens dar, die sie an dem Beispiel einer digital eingebetteten und individualisierenden Lernaufgabe, einem Explainity-Clip zur persönlichen Vorstellung für den Beginn der Klasse 5, ausführen. Jan S PRINGOB beantwortet in seinem Beitrag basierend auf den Erfahrungen und Ergebnissen einer empirischen Studie die Frage, ob an einer leistungs- und selektionsorientierten Schulform wie dem Gymnasium Lernende mit sonderpädagogischem Förderbedarf und solche mit einer gymnasialen Empfehlung integriert und alle adäquat gefördert werden können. S PRINGOB zeichnet am Beispiel des Geschwister-Scholl-Gymnasiums in Pulheim bei Köln die Chancen und Herausforderungen auf rechtlich-systemischer und auch fachdidaktisch-inhaltlicher Ebene nach, mit einem Fokus auf der Konzeption herausfordernder Lernaufgaben und auf der Anleitung zum selbstständigen Arbeiten. Er resümiert die positiven Ergebnisse der Leistungsüberprüfungen nach zwei Jahren, nach denen die zieldifferent unterrichteten Lernenden vergleichbare sprachliche und fachliche Leistungen erzielen. Perspektivisch regt er eine inklusive Schule an, die alle Bildungsabschlüsse vergeben kann, um eine individualisierte Schullaufbahn für alle Schüler/ innen zu gewährleisten. Im Abschnitt „Inklusiver Englischunterricht und Lehrerbildung“ entwirft Christiane D OMS ein Anforderungsprofil für inklusiv arbeitende Englischlehrkräfte für die erste, zweite und dritte Phase der Lehrerbildung. Dabei geht sie jeweils von den rechtlichen Rahmenbedingungen für Nordrhein-Westfalen aus und fokussiert die Bereiche Diagnose und Förderung sowie Kooperation, darüber hinaus erörtert sie methodische Zugänge wie Unterrichtsmitschnitte oder Konzeption von Lernaufgaben für die unterschiedlichen Phasen. Sie hält eine offene Haltung, fachwissenschaftliche und fachdidaktische Kenntnisse, auch über Lernvoraussetzungen, pädagogi- Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 137 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0030 sche und hermeneutische Kenntnisse sowie ein hohes Maß an Teamfähigkeit für wesentlich. Markus K ÖTTER und Matthias T RAUTMANN präsentieren die Ergebnisse einer empirischen Studie zu Erfahrungen, die Englischlehrkräfte in der Sekundarstufe I mit der Inklusion machen. In Interviews (n=19) werden die Lehrkräfte zu Ressourcen und Bedingungen in ihrem inklusiven Englischunterricht befragt, zu ihren Überzeugungen bzgl. dieses Unterrichts und zu ihren Unterrichtspraktiken. Die befragten Lehrkräfte fühlen sich nicht ausreichend auf die Herausforderungen des inklusiven Englischunterrichts vorbereitet und erfahren unterschiedlich effektive Unterstützung etwa durch Sonderpädagog/ innen. Sie beschreiben trotz der Wichtigkeit von temporären Pull-Out-Phasen, d.h. äußerer Differenzierung in Kleingruppen, eine defizitäre räumliche Infrastruktur. Der inklusive Englischunterricht erfordert laut der Befragten ein kleinschrittiges Vorgehen und eine Reduktion der Unterrichtsziele. Die Effekte des gemeinsamen Unterrichts werden widersprüchlich benannt, ebenso wie die Wahrnehmung der Lernenden mit besonderem Förderbedarf. Drei Beiträge gewähren die „Blicke über den Tellerrand“. Veronika T IMPE -L AUGHLIN und Michael K. L AUGHLIN stellen das aus den USA kommende Universal Design for Learning (UDL) als einen integrativen Ansatz von Lehre und Lernen vor, der Zugang zum Lernen für alle erleichtern und die Lernbedürfnisse aller berücksichtigen soll. Basierend auf dem Prinzip der multiplen Darstellungsformen, vielfältigen Ausdrucks- und Handlungsmöglichkeiten sowie zahlreichen Arten der Beteiligungsmöglichkeiten zum affektiven Lernen versuchen sie exemplarische Richtlinien von UDL auf eine Lerngruppe und Lernsituation zu übertragen, um die Anwendungsmöglichkeiten zu exemplifizieren. Katharina K RAUSE und Jan K UHL greifen ausgehend von einem weiten Begriff von Inklusion entscheidende individuelle Lernvoraussetzungen von erfolgreich Lernenden sowie Qualitätsmerkmale von inklusivem Fachunterricht auf und verknüpfen sie mit UDL als flexiblem Rahmenkonzept zur Berücksichtigung der individuellen Lernvoraussetzungen. Bezogen auf den inklusiven Englischunterricht schlagen die Autoren UDL als verbindendes didaktisches Prinzip zwischen verschiedenen Heterogenitätsdimensionen vor und regen an, Elemente der UDL-Checkliste mit fachdidaktischen Erkenntnissen zu verknüpfen. Mary Caitlin W IGHT geht in ihrer Fallstudie mit fünf 12jährigen Fremdsprachenlerner/ innen mit besonderem Förderbedarf in den USA der Frage nach, welche Sprachlernidentitäten durch privilegierte Praktiken und bevorzugte Lernercharakteristika im Unterricht von den Lernenden ausgebildet werden. Sie problematisiert exkludierende Praktiken im Fremdsprachenunterricht, was Lernende mit besonderem Förderbedarf angeht, da in ihrer Studie weder Unterrichtsgegenstand und -zugänge noch Praktiken der Lehrkraft an die Bedürfnisse der Lernenden angepasst werden, was sich ggf. negativ auf die Identitätsbildung auswirkt. Insgesamt stellt der Band eine interessante Sammlung von Beiträgen mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten dar, die ein umfassendes Gesamtbild geben von dem Status Quo inklusiven Englischunterrichts. Zwar ist mit dem QUA-LiS als Herausgeberin die NRW- Perspektive verständlich, jedoch hätte man sich hier Vergleiche zwischen Bundesländern gewünscht, denn Inklusion wird innerhalb Deutschlands durchaus unterschiedlich umgesetzt. Es wird deutlich, dass die fachdidaktische Diskussion noch in den Anfängen steht, da viele Beiträge erst grundlegende Begriffsklärungen vornehmen. Damit entstehen vermeidbare Redundanzen. Ich halte ihn für eine lohnende Lektüre, empfehlenswert für Wissenschaftler/ innen, Lehrkräfte bzw. Lehrerausbildner/ innen und Multiplikator/ innen. Heidelberg K ARIN V OGT 138 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel DOI 10.2357/ FLuL-2019-0031 48 (2019) • Heft 2 Simone S CHIEDERMAIR (Hrsg.): Literaturvermittlung: Texte, Konzepte, Praxen in Deutsch als Fremdsprache und den Fachdidaktiken Deutsch, Englisch, Französisch. München: iudicium 2017, 273 Seiten [42.00 €] Der vorliegende Sammelband, der aus einer interdisziplinären und internationalen Fachtagung am Alfried Krupp Wissenschaftskolleg in Greifswald im Herbst 2015 hervorgegangen ist, diskutiert aus verschiedenen Perspektiven Fragen der Literaturvermittlung im Fremdsprachenunterricht: aus bildungspolitischen, historischen, hochschuldidaktischen und unterrichtspraktischen Perspektiven. Die Beiträge kommen aus dem Bereich Deutsch als Fremdsprache, aus der Germanistik in skandinavischen Ländern und aus den Fachdidaktiken Deutsch, Englisch und Französisch. Schon zu Beginn sei positiv hervorgehoben, dass die Beiträge nicht isoliert nebeneinander stehen. Vielmehr thematisieren (zumindest fast) alle als gemeinsame Klammer die Frage, wie sprachliches, literarisches und kulturelles Lernen ineinandergreifen. Wie die Herausgeberin Simone S CHIEDERMAIR in ihrem eigenen Beitrag betont, beschäftigen sich die Autor(inn)en mit Formen der Literaturvermittlung, bei denen es nicht vornehmlich um die Frage geht, wovon literarische Texte handeln, sondern darum, was sie wie verhandeln (S. 27). Es stehen also die gesellschaftlichen Funktionen von literarischen Texten (S. 26), z.B. als Träger gesellschaftlicher Diskurse, sowie ihre besondere Literarizität im Mittelpunkt (S. 7). Eng damit verknüpft ist ein „(be)deutungsorientierter Kulturbegriff“ (S. 98), wie ihn Almut H ILLE in ihrem Beitrag benennt. Durch ihn wird der Konstrukt- und Prozesscharakter von Kultur in Form von Bedeutungszuschreibungen und -aushandlungen hervorgehoben - etwas, das sich ebenfalls in literarischen Texten manifestiert. Um diese Art der Literatur- und Kulturbetrachtung in fremdsprachliche Lehr- und Lernkontexte zu transferieren, werden verschiedene literatur- und kulturwissenschaftliche Ansätze, Konzepte und Kategorien auf innovative Weise für den Literaturunterricht fruchtbar gemacht. Hier sind insbesondere Theorien zum kollektiven und individuellen Gedächtnis, zu Erinnerungskulturen und zum autobiografischen Erzählen zu nennen. Deren vielversprechendes didaktisches Potential für den Literaturunterricht ist in den Fremdsprachendidaktiken bislang noch kaum herausgearbeitet worden. Die Autor(inn)en beschäftigen sich also mit Kategorien wie ‚Verfremdung‘, ‚Deautomatisierung‘, ‚Heterogenität‘, ‚Diskursivität‘, ‚Narrativität‘ und ‚Medialität‘ und gehen - teilweise auch exemplarisch durch die intensive Auseinandersetzung mit konkreten Einzeltexten - der Frage nach, was diese Kategorien für die unterrichtliche Praxis bedeuten. Ausgegangen wird dabei von einem weiten Textbegriff, der autobiografische Erinnerungen und digitales Erzählen ebenso einschließt wie das Narrative in Sachtexten, die mit Bild-Schrift-Kombinationen arbeiten. Nach einer Einführung in die Inhalte und Ziele des Bandes, in der auch aktuelle Theoriediskussionen in Literatur- und Kulturwissenschaft kurz skizziert werden, gliedern sich die zwölf Beiträge in drei Großkapitel: „Deutsch als Fremdsprache“, „Germanistik in Skandinavien“ und „Fachdidaktik Deutsch, Englisch, Französisch“. Im ersten Beitrag liefert die Herausgeberin einen „Rückblick und Ausblick auf die Rolle der Literatur im Unterricht Deutsch als Fremdsprache“. Indem sie bei ihrem fachhistorischen Überblick und ihrer Diskussion neuer Konzepte insbesondere drei Zusammenhänge in den Blick nimmt - „Literatur und Sprache“, „Literatur und Kultur“ sowie „Literatur und Interkulturalität“ - schafft sie einen äußerst geeigneten, die Lektüre strukturierenden Rahmen für die folgenden Beiträge im Buch. Michael E WERT geht sodann anhand von zwölf Thesen und unter Berücksichtigung verschiedener Perspektiven in Migrationsdebatten der Frage nach, welche Rolle die mehr- und transkulturelle Literatur in deutscher Sprache im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 139 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0031 neuen Migrationskonzepten in Lehrzusammenhängen spielen kann. Hieran schließen sich zwei grundlegende Beiträge an. Renate R IEDNER widmet sich auf konzeptioneller Ebene der Kategorie der ‚Narrativität‘ und dem Stellenwert des literarischen Erzählens im Fremdsprachenunterricht, indem sie es als „sprachliche Handlung, als literarische Form und als grundlegendes Verfahren der Sinngebung“ (S. 59) begreift. Es geht ihr um einen Dreischritt aus „Erzählen lernen“, „Lernen aus Erzählungen“ und „Lernen durch Erzählen“ (S. 62), wobei ihr besonderes Interesse an literarisch basierter Spracharbeit besteht. Almut H ILLE beschäftigt sich mit autobiografischen Texten und (Erinnerungs-)Diskursen in der Ausbildung von Lehrkräften für das Fach Deutsch als Fremdsprache. Am Beispiel eines Projektseminars zweier deutscher und zweier polnischer Universitäten, in dessen Rahmen angelehnt an Claire K RAMSCH s Konzept der ‚symbolischen Kompetenz‘ Unterrichtsvorschläge zu deutsch-polnischen Erinnerungsorten gemeinsam erarbeitet wurden, zeigt sie auf, welches kultur- und texttheoretische Fachwissen Lehrkräfte benötigen, um diskursanalytische Lektüren mit Lernenden durchführen zu können. Konkretisiert wird die Erarbeitung des Verhältnisses von Texten und Erinnerungsdiskursen an Erich Kästners autobiografischer Erzählung Als ich ein kleiner Junge war. Im zweiten Großkapitel zur Germanistik in Skandinavien analysiert Ingvild F OLKVORD im Werk von Georges-Arthur Goldschmidt Formen und Funktionen mehrsprachiger Erinnerungsarbeit, z.B. hinsichtlich des Sprachwechsels beim Erzählen von Flucht und Migration. Aus literatur- und kulturwissenschaftlicher Perspektive ist dies ein interessanter Beitrag; Fragen der Literaturvermittlung werden jedoch leider nicht diskutiert. Dies hingegen geschieht auf innovative Weise im Beitrag von Karen B AUER und Lise S ANDVIK , die sich ebenfalls mit Erinnerungsarbeit als Gegenstand des Fremdsprachenunterrichts beschäftigen und diese methodisch an das digitale Geschichtenerzählen binden, um Prozesse des sprachlichen und kulturellen Lernens zu initiieren (S. 122). Es wird eine Projektarbeit zu einem komplexen landeskundlichen Thema präsentiert, bei der Studierende u.a. über Interviews mit Zeitzeugen aus der eigenen Familie individuelle Erinnerungen aus einer deutsch-norwegischen Kontaktzone durch neue Ausdrucksmöglichkeiten multimodal aufbereitet und dadurch erzählbar gemacht haben. Das Ziel, ein persönliches Verhältnis der Lernenden zu ihrem Lerngegenstand zu etablieren, verfolgt auch Linda K ARLSSON H AMMARFELT in ihrem Beitrag zum Thema „Nachhaltigkeit und die Undine im Universitätsfach Tyska“. Gemäß den Zielen der Bildung für nachhaltige Entwicklung setzt sie literarische Wasserdarstellungen ein, um über die Auseinandersetzung mit Motiven und besonderen Erzählweisen in der Literatur bei Studierenden das Denken in Zusammenhängen zu fördern. Eher hochschul- und sprachpolitisch ausgerichtet ist der Artikel von Moritz S CHRAMM „Zur Stellung der deutschsprachigen Literatur im dänischen Universitätsbetrieb“, in dem verschiedene Thesen zu Einsatzmöglichkeiten von literarischen Texten in der Germanistik außerhalb der deutschsprachigen Länder aufgestellt werden, um zu zeigen, dass Literatur relevante Beiträge zu aktuellen Debatten liefern kann. Eine literaturdidaktische Perspektive jenseits von Deutsch als Fremdsprache nehmen die letzten vier Beiträge des Bandes ein. Ricarda F REUDENBERG fokussiert zunächst Literaturvermittlung in hochschuldidaktischen Zusammenhängen und begreift sie dort als interdisziplinäre Aufgabe, die z.B. über Kooperationsseminare zwischen Fachwissenschaft und Fachdidaktik erfolgen kann. Laurenz V OLKMANN wiederum erörtert grundlegende literaturdidaktische Positionen innerhalb der Englischdidaktik und plädiert für integrative Modelle der Literaturvermittlung (S. 216), die auch die neuen Anforderungen des Fremdsprachenunterrichts hinsichtlich Inklusion und Frühbeginn berücksichtigen. Der Funktion literarischer Texte im Fremdsprachenunterricht aus bildungspolitischer Sicht geht Daniela C ASPARI nach, indem sie ausgewählte Dokumente sowie Lehrwerke vor und nach Einführung der Bildungsstandards unter der Fragestellung analysiert, welcher Stellenwert der Beschäftigung mit literarischen Texten im Fremd- 140 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel DOI 10.2357/ FLuL-2019-0032 48 (2019) • Heft 2 sprachenunterricht jeweils beigemessen wird und welche Zielsetzungen und Methoden in den Blick genommen werden. Im letzten Beitrag verbindet Markus R AITH literarisches, sprachliches und medienästhetisches Lernen und stellt dabei auf der Basis von anschaulichen Pressetext- Analysen die Bedeutung der Literaturvermittlung auch für die Arbeit mit nicht-literarischen Texten heraus. Durch die bei der Literaturarbeit erworbenen Kompetenzen könnten Lernende bei der Lektüre von Sachtexten über eine bloße Informationsentnahme hinauskommen und auch deren mitunter komplexe Ästhetik im Rezeptions- und Verstehensprozess berücksichtigen, so die Hauptthese des Autors. Insgesamt trägt der Band maßgeblich zur von Laurenz V OLKMANN formulierten „Positivperspektive auf die Verwendung von literarischen Texten im fremdsprachlichen Unterricht“ (S. 206) bei. Ich habe jedenfalls schon länger keinen für literatur- und kulturdidaktische Forschungs-, Lehr- und Unterrichtszusammenhänge so anregenden Sammelband mehr gelesen. Neben Kolleg(inn)en aus dem Bereich Deutsch als Fremdsprache sei er insbesondere auch Vertreter(innen) der anderen Fremdsprachendidaktiken wärmstens zur Lektüre empfohlen. Viele der im Band zu verfolgenden Diskussionen über die (Neu)Konturierung einer kulturwissenschaftlichen Literaturdidaktik (oder einer literaturwissenschaftlichen Kulturdidaktik) werden jedenfalls so bislang in der Englisch-, Französisch- oder Spanischdidaktik (noch? ) nicht geführt. Göttingen C AROLA S URKAMP Lars R ÜßMANN : Schreibförderung durch Sprachförderung. Eine Interventionsstudie zur Wirksamkeit sprachlich profilierter Schreibarrangements in der mehrsprachigen Sekundarstufe I. Münster: Waxmann 2018, 254 Seiten [34,90 €] Gegenstand der vorliegenden Rezension ist die Dissertation von Lars B ENDER (geb. R ÜßMANN ), die Teil des vom BMBF geförderten Verbundprojekts S IMO (Schreibförderung in der multilingualen Orientierungsstufe) ist. In seiner Arbeit untersucht B ENDER , inwiefern Textprozeduren - integriert in Schreibarrangements - ein schreiblernwirksames Hilfsmittel darstellen und inwiefern multilinguale Schüler(innen) sowie solche mit geringen literalen Erfahrungen besonders davon profitieren. Dazu legt er in einem ersten Teil die theoretischen Grundlagen dar, bevor er im zweiten Teil die Interventionsstudie mit ihren Ergebnissen vorstellt. Im Wesentlichen werden Textprozeduren von B ENDER - aufbauend auf den Arbeiten von Helmuth F EILKE - als prozedural wiederkehrende Handlungsmuster in Texten verstanden, die sowohl textkonstituierend als auch prozessstrukturierend sind und in diesem Sinne auch eine handlungsleitende Funktion im Textproduktionsprozess übernehmen können. Die Intervention variiert die sprachliche Profilierung und unterscheidet vier Experimentalgruppen: E1 Basisprofil: ohne textprozedurale Hilfestellungen E2 Schemaprofil: nur Handlungsschema wie bspw. Vergleichen: Vergleiche [Figur X] mit Dingen und Personen). E3 Ausdrucksprofil: nur Ausdruck wie bspw. …erinnert an … oder … sieht aus wie … E4 Prozedurprofil: E2 und E3 werden kombiniert angeboten. Das Schreibarrangement bestand aus einer Aufgabe, bei der die Schüler(innen) nicht einen eigenständigen Text verfassen, sondern einen nicht gelungenen Ausgangstext zu einer abgebildeten Figur überarbeiten sollten; dazu wurde ihnen ein kurzer Lehrfilm gezeigt. Ziel der Über- Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 141 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0032 arbeitung war, dass sie sich die Figur besser vorstellen können. Der Ausgangstext enthielt alle Textprozeduren, die im Rahmen von E2-E4 gefördert wurden, wenn auch nur rudimentär. Je nach Experimentalgruppe erhielten die Schüler(innen) entsprechend unterschiedliche Unterstützungsmaterialien. Auf diese Weise kann genauer geprüft werden, welchen Beitrag E2-E4 leisten. Insgesamt umfasst die Intervention vier Sequenzen. Die dabei überarbeiteten Ausgangstexte flossen in die Auswertung ein: Zusammen mit dem Prätest und den beiden Posttests liegen damit pro Schüler(in) sieben überarbeitete Ausgangstexte vor. Zusätzlich wurden der Frankfurter Leseverständnistest 5-6 (FLVT) sowie ein Fragebogen eingesetzt, der in erster Linie personenbezogene Daten wie sprachlichen Hintergrund oder literale Praktiken erfasst. Die Operationalisierung der Literalitätserfahrung erfolgt über Fragen zu Büchern im Haushalt, zur elterlichen Literalitätspraxis, zur eigenen Lese- und Schreibpraxis, wird jedoch nicht theoretisch hergeleitet. Die Datenauswertung und -aufbereitung wird von B ENDER ausführlich und nachvollziehbar beschrieben (inkl. Ausschluss von Daten oder auch Imputation fehlender Daten). Die überarbeiteten Ausgangstexte werden kriterial ausgewertet: Jede der acht Prozeduren kann maximal vier Punkte erhalten, die mit Blick auf inhaltliche und grammatische Korrektheit, Textkohärenz sowie Leserorientiertheit zu vergeben sind. Dabei sollten die Rater(innen) immer vom Ganztext ausgehen und eine Prozedur erst anschließend bewerten. Zusätzlich wurden die Texte analytisch nach dem NAIV-Verfahren bewertet, das stärker globale Aspekte in den Blick nimmt. Zur Bestimmung der Textqualität wurden die Werte aus dem kriterialen, dem NAIV-Rating sowie der Textlänge aggregiert und z-standardisiert. Die Interrater-Reliabilität wird von B ENDER mit zwei Werten angegeben: Während Cohens Kappa für das NAIV-Rating mit κ=.45 deutlich unter dem akzeptablen Wert liegt, ergibt sich mit Kendalls Konkordanzkoeffizienten ein sehr guter Wert von W=.84 (für die kriteriale Auswertung liegen die Werte bei κ=.7 bzw. W=.94). Wünschenswert wäre, dass die Interrater- Reliabilität nicht mit dem günstigeren, sondern mit dem passenden Maß berechnet wird. Im Wesentlichen zeigt sich unabhängig vom Messzeitpunkt kein Überlegenheitseffekt für eine der Experimentalgruppen, wohl aber abhängig vom Messzeitpunkt. Dabei kann B ENDER für E2 (nur Schema) und besonders E4 (Schema mit Ausdruck) eine signifikant höhere Textqualität ausweisen. Das führt er darauf zurück, dass E2 und vor allem E4 einen klaren Bezug zum sprachlichen Handeln herstellen. Besonders relevant ist der Befund, dass sich die signifikanten Unterschiede im Rahmen der 1., 2. und 4. Sequenz zeigen, was von B ENDER in seiner Dissertation wie folgt interpretiert wird: Eine mehrfache Teilnahme an sprachlich profilierten Schreibarrangements führt nur dann zur Produktion besserer Texte, wenn die textprozeduralen Artefakte den Schülerinnen und Schülern während des Schreibens als Material zur Verfügung stehen (R ÜßMANN 2018: 192). Wenn Textprozeduren nicht nur textkonstituierend, sondern auch prozessstrukturierend und damit handlungsleitend sind, ist zu fragen, was es braucht, damit Textprozeduren im Textproduktionsprozess tatsächlich handlungsleitend werden, und zwar auch dann, wenn sie den Schülern und Schülerinnen nicht (mehr) als Unterstützungsmaterial zur Verfügung stehen. Da im ersten Teil des Bandes die theoretische Fundierung von Textprozeduren ausgesprochen knapp ausfällt - v.a. im Vergleich etwa zur Darstellung verschiedenster Schreibprozessmodelle oder der Schreibentwicklung, ohne dass dabei deutlich wird, inwiefern diese für die Fragestellung relevant sind -, kann B ENDER Fragen dieser Art auch nicht aufgreifen, sondern belässt es bei der zitierten Feststellung. Ein weiterer Befund ist, dass weder multilinguale Schüler(innen) noch solche mit geringen 142 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel DOI 10.2357/ FLuL-2019-0033 48 (2019) • Heft 2 literalen Erfahrungen von E2-E4 besonders profitieren. B ENDER selbst geht darauf ebenfalls nicht weiter ein. Bedauerlich ist, dass er im theoretischen Teil Schreiben in der Erst-, Zweit- und Fremdsprache nicht thematisiert. Zu fragen wäre mit Blick auf die Befunde, wie sich Textprozeduren auf den Schreibprozess in der Erst-, Zweit- und Fremdsprache auswirken, wie sie den Textproduktionsprozess genauer beeinflussen - Fragen, die hinsichtlich des sprachlichen Wissens sowie des Abrufens von Sprachwissen im Textproduktionsprozess in anderen Studien untersucht wurden, mit dem Ergebnis, dass weniger das sprachliche Wissen, sondern vielmehr das Abrufen von Sprachwissen zwischen den Gruppen differenziert. B ENDER betont im Sinne eines Fazits, dass man Schreiben ‹nur› durch Schreiben lerne, dass alle Arrangements (inkl. E1) im Verlauf der Studie mit η 2 =.229 - umgerechnet entspricht dies d=1.09 - einen großen Zuwachs in der Textqualität verzeichnen können. Angemerkt sei, dass jedoch zumindest E2-E4 mit einer (materialbasierten) Vermittlung einhergehen. Zudem ist bei einer Erhöhung der täglichen Schreibzeit um etwa 15 Minuten - ohne dass damit eine Instruktion verbunden wäre - nur ein kleiner Effekt von d=.24 auf die Textqualität erwartbar, wie sich über verschiedene Studien hinweg nachweisen lässt. 1 Mit Blick auf eine genauere Klärung von Textprozeduren ist des Weiteren der Befund von Interesse, dass für das NAIV-Rating und für die Textlänge isoliert betrachtet keine signifikanten Unterschiede nachzuweisen sind, dass mit den Schreibarrangements E2-E4 die Textqualität bezogen auf globale Aspekte also nicht zunimmt. Das könnte so interpretiert werden, dass die Textprozeduren eher lokale Aspekte fokussieren. Zu fragen wäre in diesem Sinne aber auch, inwiefern die Annahme, dass Textprozeduren textkonstituierend sind, aufrechterhalten werden kann. Anders formuliert: Es wäre erst noch empirisch zu prüfen, welchen Beitrag Textprozeduren zur Textqualität leisten. Zu fragen wäre als Letztes auch danach, ob die Ergebnisse widerspiegeln, dass es sich beim Schreibarrangement genau genommen um eine sprachliche Überarbeitung handelt: Damit kann zwar überprüft werden, inwiefern es den Schülern und Schülerinnen gelingt, die angebotenen sprachlichen Werkzeuge beim Überarbeiten aufzunehmen, nicht aber, wie sie diese im Rahmen einer eigentlichen Textproduktion aufgreifen. Insgesamt kann die Dissertation von B ENDER als ein höchst aktueller empirischer Beitrag mit bemerkenswerten Ergebnissen zu Textprozeduren aufgefasst werden: Trotz der Relevanz und trotz des überzeugenden Designs gelingt es dem Verfasser jedoch nicht, dem Diskurs über Textprozeduren eine eigene Prägung zu geben bzw. ihn mit weiterführenden Fragen, die sich aus seiner Arbeit durchaus ergeben, anzureichern. Brugg-Windisch A FRA S TURM Beate B AUMANN : Sprach- und kulturreflexives Lernen in Deutsch als Fremdsprache. Berlin: Frank & Timme 2018, 269 Seiten [34,80 €] Die Literaturdidaktik in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache wurde in den letzten Jahren in mehrfacher Hinsicht weiterentwickelt: durch eine (Re-)Fokussierung auf die formalen und ästhetischen Aspekte literarischer Texte, durch eine intensive Diskussion zu den literatur- und kulturtheoretischen Grundlagen und durch eine Auseinandersetzung mit der Frage, wie sich 1 Steve G RAHAM , Karen R. H ARRIS , Tanya S ANTANGELO : „Research-Based Writing Practices and the Common Core: Meta-Analysis and Meta-Synthesis“. In: The Elementary School Journal 115/ 4 (2015), 498-522. Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 143 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0033 literarisches Lernen in einem Unterricht gestalten lässt, der von Kompetenzorientierung und einem funktional-pragmatischen Verständnis des Sprachenlernens geprägt ist. Als richtungsweisend erwies sich einerseits ein literarizitätsorientierter Zugang, durch den die Form der Texte besonders große Bedeutung gewann, beispielsweise im Hinblick auf die Förderung von (Critical) Language Awareness. Literarische Texte werden in diesem Sinne gerade im Hinblick auf ihre ästhetische Qualität und ihre formalen Besonderheiten gelesen. Andererseits wurde durch Bezugnahme auf die Kulturwissenschaften in DaF/ DaZ, auf postkoloniale Theorie und Migrationspädagogik und auf Ansätze kulturreflexiven Lehrens und Lernens ein fundierter und differenzierter Kulturbegriff etabliert. Die Vermittlung von symbolischer Kompetenz, die auf das Verstehen bedeutungserzeugender Prozesse abzielt, wurde als ein zentrales Ziel der Arbeit mit Literatur identifiziert. Was allerdings weitgehend fehlt, sind empirische Untersuchungen, die den mithilfe literarischer Texte initiierten Lernprozessen auf die Spur zu kommen versuchen. Die vorliegende Studie von Beate B AUMANN trägt dazu bei, diese Lücke allmählich zu schließen. Gegenstand der Untersuchung sind die Lernerfahrungen im Rahmen eines virtuellen Austausch- und Begegnungsprojekts zwischen der Universität Catania und der Freien Universität Berlin unter dem Titel „Interkulturelles Lernen im internationalen universitären Kontext. Ein Austauschprojekt mit Texten zur deutsch- und italienischsprachigen Migrationsliteratur“. Die Studierenden beschäftigten sich im Rahmen dieses Projekts mit Texten von Emine Sevgi Ö ZDAMAR , Franco B IONDI , Yoko T AWADA , Rafik S CHAMI , Feridun Z AIMOGLU und Zsuzsa B ANK . Die in den Texten feststellbare Auseinandersetzung mit Fragen der sprachlichen und kulturellen Diversität, der Mehrsprachigkeit, des Sprachenlernens oder der Zugehörigkeit in einer Migrationsgesellschaft wurden zum Ausgangspunkt der Lernprozesse, die B AUMANN empirisch erforschte. Die Verfasserin widmet sich zunächst den theoretischen Perspektiven, die für ihre Untersuchung im Besonderen und für ihre Arbeit mit Literatur im Allgemeinen bestimmend sind. Reflexivität ist dabei die zentrale Kategorie, mit Blick sowohl auf kulturelle Lernprozesse als auch auf das Sprachenlernen. Erkenntnisleitend ist zudem das Konzept einer Critical Cultural Awareness nach Michael B YRAM auf der Basis seiner Ausdifferenzierung von Intercultural Competence. Eingehend setzt sich die Autorin nicht nur damit, sondern auch mit den unterschiedlichen Ausprägungen des Language Awareness-Ansatzes auseinander. In literaturdidaktischer Hinsicht orientiert sie sich am Konzept der symbolischen Kompetenz nach Claire K RAMSCH und am Ansatz der Literarizität, der in den vergangenen Jahren vor allem in der Formulierung durch Michael D OBSTADT und Renate R IEDNER zu einer Neuperspektivierung geführt und den Blick wieder stärker auf die formal-ästhetische Ebene literarischer Texte im DaF-Unterricht gelenkt hat. Größeres Augenmerk wird in der empirischen Untersuchung jedoch den kulturbezogenen Lernprozessen geschenkt, denn übergeordnetes Ziel des Projekts war der Ausbau interkultureller Kompetenz, orientiert an Michael B YRAM s wirkmächtigem Modell. Die Arbeit zeichnet sich insgesamt durch eine hohe begriffliche Reflektiertheit und einen kritischen Umgang mit Konzepten sprach- und kulturbezogenen Lernens aus. Eine konsistente und umfassende Theorie als Grundlage für eine literaturdidaktische Verbindung von sprach- und kulturreflexivem Lernen im Fremd- und Zweitsprachenunterricht bleibt allerdings weiterhin ein Desiderat. Beate B AUMANN führte in ihrem Projekt einen literarizitätsorientierten und einen kulturreflexiven Zugang mit einem translatorischen Ansatz zusammen und setzte daher in der Beschäftigung der Studierenden mit den Texten das Übersetzen als Methode ein. Die Stolpersteine, die gerade im Übersetzungsprozess der ausgewählten Texte interkultureller Literatur deutlich wahrzunehmen sind, bieten Anlass zur Sprach- und Kulturreflexion und lenken den Blick auf sprachliche und kulturelle Transferprozesse. 144 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel DOI 10.2357/ FLuL-2019-0033 48 (2019) • Heft 2 Aufgrund der Erfahrungen in der Durchführung des Projekts modifizierte die Verfasserin ihr Forschungsinteresse: Standen zu Beginn noch didaktische Fragen zum interkulturellen Lernen mit literarischen Texten im universitären Kontext im Mittelpunkt, so verschob sich das Hauptforschungsinteresse auf „Reflexions- und Bewusstwerdungsprozesse“ (S. 126), die in den Arbeiten der Studierenden sichtbar wurden. Diese Verschiebung ist gerade in der Kontroverse zum Begriff des Interkulturellen signifikant: Im Mittelpunkt steht nun Reflexivität und damit auch die kritische Auseinandersetzung mit der Bedeutung der Differenzkategorie Kultur. Analog zur Sprachbewusstheit im Sinne der Language Awareness dient die Auseinandersetzung mit Literatur der Kulturbewusstheit oder Cultural Awareness. Die Frage stellt sich, weshalb dennoch am Begriff des Interkulturellen festgehalten und sowohl von der „Erweiterung interkultureller Kompetenzen“ als auch vom „Auf- und Ausbau von (kritischer) Sprach- und Kulturbewusstheit“ (S. 126) gesprochen wird. Auch wenn diese Frage mit der Herleitung der Konzepte, mit der Dominanz des interkulturellen Paradigmas im DaF-Bereich oder mit der Orientierung an etablierten Konzepten wie Michael B YRAM s Modell der interkulturellen Kompetenz erklärt werden kann, bleibt sie letztlich jedoch offen. Gerade durch die Verschiebung des Forschungsinteresses und damit der Analyseperspektive wird aber in der vorliegenden Arbeit eine wichtige Weiterentwicklung in der Debatte zum Konzept Interkulturalität deutlich. Es erfordert ein komplexes Forschungsdesign, um den mentalen Prozessen auf die Spur zu kommen, die durch die Beschäftigung mit literarischen Texten ausgelöst werden. Beate B AUMANN generierte in ihrer Untersuchung eine große Menge an Daten, die aus Aufzeichnungen der Videokonferenzen zwischen den Studierenden aus Berlin und Catania, den Nachbesprechungen im Unterricht, aus narrativen Interviews, Lerntagebüchern, Fragebögen und mehreren Kursprodukten bestanden. Die Untersuchung erhebt keinen Anspruch auf Repräsentativität, sondern versucht anhand von vier Fallbeispielen die individuellen Lernprozesse nachzuvollziehen, die im Lauf des Projekts angestoßen wurden. Die Verfasserin berücksichtigt in der Auswertung mittels qualitativer Inhaltsanalyse Lerntagebücher, Fragebögen und narrative Interviews und wählt dabei eine Verbindung aus deduktiver und induktiver Vorgehensweise bei der Bildung der Analysekategorien. Die vier Fälle werden der Reihe nach vorgestellt und mit einer Darstellung des (sprach-)biografischen Hintergrunds der Studierenden eröffnet. Ausführlich erörtert werden die sprachlich-ästhetischen Erfahrungen und die kulturbezogenen Lernprozesse, aber auch dem kooperativen Lernen und seinen Effekten wird Augenmerk geschenkt. In einem Zwischenfazit werden die einzelnen Falldarstellungen mit den zentralen Forschungsfragen zusammengeführt. In einem Fall lässt sich in der Auswertung der Daten beispielsweise „eine Fokusverschiebung von einem stark wissens- und wissenserwerbsorientierten Umgang mit Sprache hin zu einer bewussteren Wahrnehmung ihrer symbolischen Dimension sowie ihrer Verankerung in einem heterogenen soziokulturellen Kontext“ erkennen (S. 183). Immer wieder ist in den Ausschnitten aus den Interviews, Lerntagebüchern, Aufzeichnungen von Gruppenarbeiten und schriftlichen Evaluationen davon die Rede, wie die Studierenden Überraschungsmomente erlebt haben, die neue Perspektiven eröffneten; wie sie unerwartete Erkenntnisse und neue Einsichten gewonnen haben oder wie die Lernerfahrungen zu einem kritischeren Bewusstsein und zu einem Verständnis der Komplexität in sprach- und kulturbezogenen Fragen führten. Als wesentliche Faktoren erwiesen sich dabei neben dem hohen Reflexionspotential der Texte die emotionale Komponente und die Zusammenarbeit und der Austausch mit den Studierenden in Berlin. Im knappen Fazit weist die Verfasserin auf einen weiteren Aspekt hin, der in der Analyse der Daten deutlich hervortrat und über den Rahmen des universitären Unterrichts hinausweist: Die sprachliche und kulturelle Bewusstheit der Studierenden wurde um eine politische Dimension erweitert. Die ganzheitliche und kooperative Auseinandersetzung mit Literatur führte zu Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 145 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0034 Verstehens- und Aushandlungsprozessen, die zur Herausbildung einer Global Citizenship beitragen. Es ließen sich aus dem Projekt und den gewonnenen Daten eine Reihe von Fragestellungen generieren, die Anlass zu weiteren empirischen Untersuchungen geben könnten. So könnten beispielsweise unterschiedliche Aufgabenstellungen im Hinblick auf ihr reflexionsförderliches Potential miteinander verglichen werden. Oder es könnte die durch die Auseinandersetzung mit literarischen Texten angestoßene Veränderung kultur- und sprachbezogener Deutungsmuster über einen längeren Zeitraum untersucht werden. Beate B AUMANN s Studie ist in jedem Fall ein wichtiger Beitrag zur empirischen Erforschung von sprach- und kulturbezogenen Lernprozessen mit Literatur im Fremd- und Zweitsprachenunterricht. Dass die Autorin im Titel ihrer Arbeit und in der Ausrichtung des Projekts die Reflexivität in den Mittelpunkt rückt, ist gerade in der fortwährenden Debatte über den Begriff des interkulturellen Lernens ein wichtiges Signal. Auch deshalb sind dieser fundierten, anregenden und materialreichen empirischen Untersuchung, die auf einer Zusammenführung eines literarizitätsorientierten und eines kulturreflexiven Ansatzes beruht, viele Leserinnen und Leser zu wünschen. Wien H ANNES S CHWEIGER Viviane L OHE : Die Entwicklung von Language Awareness bei Grundschulkindern durch mehrsprachige digitale Bilderbücher. Eine quasi-experimentelle Untersuchung zum Einsatz von MuViT in mehrsprachigen Lernumgebungen. Tübingen: Narr Francke Attempto 2018, 320 Seiten [78,00 €] Obwohl mittlerweile ein großer Teil der Kinder im Grundschulalter mit mehreren Sprachen aufwächst, wird die multilinguale Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler im Fremdsprachenunterricht noch wenig berücksichtigt. Neuere Ansätze der Mehrsprachigkeitsdidaktik versuchen daher, alle sprachlichen Ressourcen der Kinder für den Unterricht nutzbar zu machen und versprechen sich davon auch eine Förderung von Language Awareness (LA). Für die Primarstufe wurde dazu auf europäischer Ebene das MuViT (Multiliteracy Virtual) Projekt entwickelt. Digitale Bilderbücher in fünf Sprachen, sogenannte Multilingual Virtual Talking Books sollen sowohl das Wissen über Sprachen als auch eine positive Einstellung zu Mehrsprachigkeit fördern. Die Geschichten werden am Bildschirm gelesen, dabei wird der Leseprozess durch Illustrationen sowie eine Vorlesefunktion mit gleichzeitigem Text-Highlighting unterstützt. Es ist jederzeit möglich, die Sprache zu wechseln. Als weitere Hilfen dienen eine dem Lesen vorangestellte Wortschatzeinführung sowie post-reading activities, die das Textverständnis, Sprachbewusstheit, sprachenübergreifende Vergleiche sowie Sprachreflexion fördern sollen. Mit Hilfe eines Authoring Tools können die Kinder außerdem selbst Geschichten entwerfen und in einer Web Community publizieren. Viviane L OHE untersucht in ihrer Studie, inwieweit die Arbeit mit den im Rahmen des Projekts entwickelten digitalen Bilderbüchern zur Förderung von LA bei Grundschulkindern beiträgt. Ihre Ergebnisse beruhen auf einer Interventionsstudie, die sie in einer Frankfurter Grundschule im zweiten Halbjahr eines vierten Schuljahres durchführte. Im theoretischen Teil der Arbeit wird die angestrebte Kompetenz LA zunächst konzeptionell aufgearbeitet. Dazu stellt die Verfasserin verschiedene mehrsprachigkeitsdidaktische Ansätze vor, in denen LA von Bedeutung ist. Sie präsentiert unterschiedliche Begriffsbestimmungen von LA und kommt schließlich auf dieser Basis zu einer eigenen Definition, die sie der Forschungsarbeit zugrunde legt: 146 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel DOI 10.2357/ FLuL-2019-0034 48 (2019) • Heft 2 Language Awareness wird daher definiert als die Fähigkeit Sprache und Sprachen als Konstrukt aus einer Metaperspektive kognitiv betrachten zu können, Regelmäßigkeiten und Unterschiede wahrnehmen zu können und in der Lage zu sein, diese in Rückgriff bzw. im Vergleich und unter möglicher Verwendung aller vorhandenen Sprachen verbalisieren zu können. Zudem bezieht sich Language Awareness auch auf affektive Faktoren, die Neugier, Interesse und Toleranz gegenüber Sprachen umfassen (S. 34). Mit Blick auf den kognitiven Entwicklungsstand der Zielgruppe Grundschulkinder wird überzeugend dargestellt, warum die Konzentration auf die affektive und die kognitive Dimension sinnvoll ist und die kulturell-politische Dimension von LA nur in Ansätzen berücksichtigt werden kann. Schließlich wird die mehrsprachige Lebenswelt heutiger Grundschulkinder als Zielgruppe näher bestimmt. Wichtig ist, dass LA nicht nur auf der Ebene der Zielsprache angestrebt wird, sondern explizit auch die Herkunftssprachen der Kinder einbezogen werden, so dass „Language Awareness im besten Falle in allen in der Klasse vorhandenen Sprachen und gleichzeitig ein sehr viel übergreifenderes metalinguistisches Bewusstsein“ (S. 39) entwickelt wird. Die recht ausführliche Betrachtung der Curricula der einzelnen Bundesländer zeigt, dass LA oder deutsche Entsprechungen wie Sprach(en)bewusstheit oder Sprachbewusstsein in allen Dokumenten verankert sind, was einen gewissen Gegensatz zur unterrichtlichen Realität darstellt, in der die mehrsprachige Lebenswelt der Kinder oftmals keine große Rolle spielt. Dies zeigt sich auch an der überschaubaren Anzahl an methodischen Anregungen in Fachzeitschriften und Lehrmaterialien sowie den spärlichen Forschungsergebnissen in diesem Bereich. Die Analyse der MuViT Software konzentriert sich auf das Potential der digitalen Bilderbücher für die Entwicklung von multiliteracies sowie für den produktiven Einsatz mehrsprachiger Kommunikationsstrategien, beispielsweise des code-switching. Bei der Darstellung zu bisherigen Forschungsarbeiten zu MuViT ist vor allem interessant, dass auch Kinder mit einer gemeinsamen Erstsprache (z.B. Türkisch) vor allem auf die Schulsprache Deutsch als Referenzsprache zum Erschließen des Textes zurückgreifen. Hier werden die Möglichkeiten der Software nicht vollständig ausgeschöpft. Der empirische Teil der Studie untersucht die Frage, ob sich die Software dazu eignet, LA auf affektiver und kognitiver Ebene bei Kindern am Ende der Primarstufe zu fördern. Der Untersuchung liegt ein Mixed-Method-Design zugrunde. Im Zentrum steht ein Kontrollgruppenexperiment, bei dem die Kinder vor und nach der Arbeit mit der Software im Hinblick auf ihre LA getestet wurden. Dazu wurde zum einen ein Fragebogen eingesetzt, der verschiedene Dimensionen der affektiven Ebene von LA erhebt. Zum anderen überprüft ein Test mit Aufgaben zur Phonologie, Morphologie, Syntax, Lexikologie und Orthographie sowie zu metalinguistischen Fähigkeiten die kognitive Ebene von LA. Ergänzt werden diese Daten durch Beobachtungen der Kinder während der Arbeit mit der Software sowie durch Gruppeninterviews mit den Schülerinnen und Schülern. Von den teilnehmenden Kindern sind fast drei Viertel zwei- oder mehrsprachig. Die Studie kommt zu folgenden Ergebnissen: Im affektiven Bereich führt die Beschäftigung mit der Software zu einer ergiebigen Auseinandersetzung mit der Thematik. Während die quantitativen Daten nur vereinzelt Zuwächse im affektiven Bereich zeigen, wird dies vor allem in den qualitativen Daten deutlich. Die Kinder werden zu Gesprächen über verschiedene Sprachen angeregt, in denen sie ihre Einstellungen und Assoziationen austauschen. Dabei zeigt sich ein Bewusstsein für individuelle Bewertungen, beispielsweise des Klangs und der Schwierigkeit verschiedener Sprachen. Deutlich wird auch ein Perspektivwechsel, wenn eine Schülerin beispielsweise auf die Äußerung eines Mitschülers „Das ist lustig und so schnell“ entgegnet „Das ist nicht schnell, für die Türken hört sich Deutsch auch so an“ (S. 230). Die Kinder zeigen Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 147 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0034 außerdem ein Bewusstsein für Mehrsprachigkeit und reflektieren die Rolle der englischen Sprache in der Welt. Auf der kognitiven Ebene von LA zeigen sich maßgebliche Zuwächse im Test, vor allem in den Bereichen Phonologie und Syntax. Die qualitativen Daten machen deutlich, dass die Kinder neue Wörter lernen und von sich aus Sprachvergleiche anstellen, beispielsweise vergleichen sie Aussprachephänomene oder die Anzahl der Wörter in einem Satz. In diesem Bereich zeigt sich auch ein leichter Vorteil der mehrsprachigen Kinder. Diese waren in der Lage, Beispiele für lexikalische, phonologische oder syntaktische Ähnlichkeiten oder Unterschiede zwischen verschiedenen Sprachen zu benennen. In den übrigen Daten lassen sich allerdings keine Unterschiede zwischen ein- und mehrsprachig aufwachsenden Kindern feststellen, was die Autorin auf die geringe Fallzahl zurückführt. Ein besonders interessantes Ergebnis der Untersuchung ist, dass sich das Potential der Software, LA zu fördern, in besonderem Maße in der Interaktion mit anderen (entweder mit Mitschüler/ innen oder der Forscherin in der Interviewsituation) realisiert. Die Autorin schließt daraus: Es müssen Gelegenheiten geschaffen werden, Language Awareness im Englischunterricht unter Bezugnahme auf Vorwissen und Einstellungen entwickeln zu können - dies kann dann autonom und unangeleitet geschehen, führt allerdings durch zusätzliche Akteure (Material, Schülerinnen und Schüler, Lehrperson) im Bereich der Affordanzen zu noch tiefergehenden Erkenntnissen und Entwicklungen der Kinder (S. 282). Eine besondere Rolle kommt dabei auch den peers zu, die als „Katalysatoren“ (S. 283) wirken und Denkprozesse in Gang setzen können. Die Untersuchung zeigt demnach, dass LA auch schon bei Grundschulkindern entwickelt werden kann. Dabei wird deutlich, dass zum einen die Lehrkräfte, die die Verwendung aller Sprachen im Klassenzimmer aktiv unterstützen und zur Reflexion über Sprache und Sprachgebrauch anregen, eine wichtige Rolle spielen. Zum anderen gibt die Interaktion der Kinder untereinander maßgebliche Impulse zur Förderung von Sprachbewusstheit, die sich nicht nur auf die Zielsprache, sondern auf alle im Klassenzimmer vorhandenen Sprachen bezieht. Freiburg A NNIKA K OLB 48 (2019) • Heft 2 Vorschau auf Jahrgang 49.1 (2020) Der von Hans K RINGS (Universität Bremen) koordinierte Themenschwerpunkt für Jahrgang 49.1 (2020) trägt den Titel „Fremdsprachliches Schreiben“. Das fremdsprachliche Schreiben war viele Jahre lang ein eher vernachlässigtes Thema der Sprachlehr- und -lernforschung. Darin spiegelte sich der eher geringe Stellenwert, der dieser „vierten Fertigkeit“ in den verschiedenen fremdsprachendidaktischen Methodenkonzeptionen zugewiesen wurde. Entsprechend gering war die Zahl wissenschaftlicher Arbeiten, die das fremdsprachliche Schreiben nicht einfach nur methodisch-konzeptionell modellierten, sondern empirisch fundiert erforschten. Dies hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten nachhaltig geändert. Insbesondere im angelsächsischen Sprachraum sind in diesem Zeitraum hunderte von Studien entstanden, die das Schreiben in seiner ganzen Vielgestaltigkeit mit einem breiten Spektrum an quantitativen und qualitativen Methoden differenziert erforschen. Die Zahl der Publikationen, die sich mit dem Thema beschäftigen, liegt weltweit mittlerweile sogar im vierstelligen Bereich. Ein entscheidender Faktor dabei war der Wechsel der Perspektive weg vom Schreiben als bloßer kommunikativen Fertigkeit hin zu einer Sprachverwendungsform, die zahlreiche kognitive Prozesse in Gang setzt, die sich nicht nur auf den Schreibkompetenzerwerb, sondern auf den Spracherwerbsprozess als ganzen auswirken, also eine Fokusverschiebung vom „learning-to-write“ zum „writing-to-learn“. Ziel des Themenheftes ist es, aus der vielgestaltigen Thematik eine Reihe von zentralen Aspekten herauszugreifen und dabei sowohl die theoretisch-konzeptuellen Grundlagen als auch mögliche unterrichtspraktische Konsequenzen zu fokussieren. Einen Schwerpunkt bildet dabei naturgemäß die Bestimmung der Besonderheiten des klassischen fremdsprachlichen Schreibens, so wie es an Schulen und Hochschulen gelehrt und gelernt wird, in Abgrenzung vom erstsprachlichen Schreiben, aber auch die zunehmend wichtiger werdende Frage nach der Vorortung des Schreibens in einer Zweitsprache im Schreibkompetenzerwerb von mehrsprachig lebenden Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Aus einer mehr unterrichtspraktischen Perspektive sollen des Weiteren Fragen des Schreibkompetenzerwerbs vor dem Hintergrund der Vorgaben von Bildungsstandards und Lehrplänen und die sich daraus ergebenden methodischen Konzepte für die Vermittlung behandelt werden. Zur Sprache kommen auch Konzepte zur Beurteilung von Schreibkompetenz, ohne die eine planmäßige Förderung nur schwer zu initiieren und zu lenken wäre. Und angesichts der großen Unterschiede in den Formen und Funktionen des Schreibens je nach institutionellem Kontext wird sich ein Beitrag auch speziell mit dem fremdsprachlichen Schreiben auf akademischem Niveau beschäftigen. Bei Redaktionsschluss lagen Zusagen für Beiträge mit folgenden Arbeitstiteln vor: Hans P. K RINGS (Bremen): Schreiben in der Fremdsprache - Wo steht die Forschung und was folgt aus ihr für die Vermittlung fremdsprachlicher Schreibkompetenz? Esther Odilia B REUER (Köln): Schreibprozesse in der Erst- und in der Fremdsprache Nicole M ARX (Köln), Marie Christin R EICHERT (Köln): Mehrsprachige Schreibende - mehrsprachiges Schreiben? Bernd T ESCH (Tübingen): Formen und Funktionen des Schreibens im Fremdsprachenunterricht I n f o • V o r s c h a u Info • Vorschau 149 48 (2019) • Heft 2 Raphaela P ORSCH (Münster): Fremdsprachliches Schreiben in der Schule lehren Claudia H ARSCH (Bremen): Schreibkompetenz beurteilen und rückmelden Julia H ÜTTNER (Wien), Angelika R IEDER -B ÜNEMANN (Wien): Growing into academic L2 writing: Perceptions, practices and challenges of student authors Geplanter Themenschwerpunkt für Jahrgang 49.2 (2020) Aussprache lehren, lernen und evaluieren (koordiniert von Isabelle M ORDELLET -R OGGENBUCK und Julia S ETTINIERI )