Fremdsprachen Lehren und Lernen
0932-6936
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Narr Verlag Tübingen
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2020
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Gnutzmann Küster SchrammFremdsprachen Lehren und Lernen Herausgegeben von Lutz Küster, Karen Schramm und Britta Viebrock Themenschwerpunkt: Aussprache lehren, lernen und evaluieren koordiniert von Isabelle Mordellet-Roggenbuck und Julia Settinieri FLuL 49. Jahrgang (2020) · 2 Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL) Zur Theorie und Praxis des Sprachunterrichts Herausgeber: Lutz Küster (Berlin) · Karen Schramm (Wien) · Britta Viebrock (Frankfurt) Zuschriften, Manuskripte und Rezensionsexemplare erbeten an: Prof. Dr. Lutz Küster, Humboldt-Universität zu Berlin, Sprach- und literaturwissenschaftliche Fakultät, Institut für Romanistik, Unter den Linden 6, D-10099 Berlin, eMail: lutz.kuester@ rz.hu-berlin.de Prof. Dr. Karen Schramm, Universität Wien, Institut für Germanistik, Fachbereich DaF/ DaZ, Porzellangasse 4, A-1090 Wien, eMail: karen.schramm@univie.ac.at Prof. Dr. Britta Viebrock, Goethe Universität Frankfurt, Institut für England- und Amerikastudien, Norbert-Wollheim-Platz 1, 60323 Frankfurt am Main, eMail: viebrock@em.uni-frankfurt.de Beratende Mitarbeit: Gabriele Blell (Hannover) · Stephan Breidbach (Berlin) · Eva Burwitz- Melzer (Gießen) · Daniela Caspari (Berlin) · Sabine Doff (Bremen) · Daniela Elsner (Frankfurt) · Andreas Grünewald (Bremen) · Jürgen Kurtz (Gießen) · Claudia Riemer (Bielefeld) · Laurenz Volkmann (Jena) Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL) erscheint zweimal im Jahr mit einem Umfang von jeweils ca. 144 Seiten. Das Jahresabonnement kostet € 62,- (print) bzw. € 72,- (print + online), Vorzugspreis für private Leser € 46,-, das Einzelheft € 36,-. (alle Preise zzgl. Postgebühr). Das Abonnement verlängert sich jeweils um ein weiteres Jahr, wenn es nicht bis zum 15. November des laufenden Jahres beim Verlag gekündigt wird. © 2020 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG, Dischingerweg 5, 72070 Tübingen www.narr.de, eMail: info@narr.de Die in der Zeitschrift veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieser Zeitschrift darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Fotokopie, Mikrofilm oder andere Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsanlagen, verwendbare Sprache übertragen werden. Auch die Rechte der Wiedergabe durch Vortrag, Funk- und Fernsehsendung, in Magnettonverfahren oder auf ähnlichem Wege bleiben vorbehalten. Fotokopien für den persönlichen und sonstigen eigenen Gebrauch dürfen nur von einzelnen Beiträgen oder Teilen daraus als Einzelkopien hergestellt werden. Jede im Bereich eines gewerblichen Unternehmens hergestellte oder benutzte Kopie dient gewerblichen Zwecken gem. § 54 (2) UrhG und verpflichtet zur Gebührenzahlung an die VG WORT, Abteilung Wissenschaft, Goethestraße 49, 80336 München, von der die einzelnen Zahlungsmodalitäten zu erfragen sind. Printed in Germany ISSN 0932-6936 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG (Fortsetzung umseitig) Themenschwerpunkt: Au s s pr a c h e l e hr e n , l e rn e n u n d e v a l ui e r e n Koordination: Isabelle M ORDELLET -R OGGENBUCK und Julia S ETTINIERI I SABELLE M ORDELLET -R OGGENBUCK , J ULIA S ETTINIERI Zur Einführung in den Themenschwerpunkt ....................................................... 3 K ATHRIN W ILD Von guten Aussprachelernenden lernen .............................................................. 11 I SABELLE D ARCY , B RIAN R OCCA , Z OIE H ANCOCK , S EUNG S UK L EE Do Individual Differences in Stress Perception and in Selective Attention Relate to Improvements in Spontaneous Speech? ............................................... 28 M AREIKE M ÜLLER , J ULIA S ETTINIERI „Solange dieser Mann gut Deutsch sprechen kann, ist auch kein Problem …“ - Evaluative Reaktionen auf einen L2-Akzent aus Sicht von Sprecher*innen ....... 46 M ICHAELA S AMBANIS Embodied Learning im Kontext von Aussprache - State of the Art .................... 64 G RIT M EHLHORN Anbahnung von Aussprachediagnosekompetenzen in der Fremdsprachenlehrerausbildung ........................................................................... 79 49. Jahrgang (2020) • Heft 2 Herausgeber: Lutz K ÜSTER (Berlin), Karen S CHRAMM (Wien), Britta V IEBROCK (Frankfurt) © 2020 Narr Francke Attempto Verlag Internet: elibrary.narr.digital/ journal/ flul 49 (2020) • Heft 2 Nicht-thematischer Teil B EATE L ÜTKE Deutsch als Zweitsprache - Ausgewählte Schwerpunkte der didaktischen Diskussion in den Jahren 2009-2019 .................................................................. 98 J OCHEN P LIKAT Lexikalische Kompetenz - Stiefkind der fremdsprachendidaktischen Forschung im deutschsprachigen Raum? ............................................................ 114 P r o u n d C o ntr a : Die empirische Wende in der Fremdsprachendidaktik hat unser Verständnis von Fremdsprachenunterricht nicht wesentlich verändert 130 Buchbe s pre chung en • Re ze nsionsartikel Leo W ILL : Authenticity in English Language Teaching. An analysis of academic discourse. Münster/ New York: Waxmann 2018 (B ARBARA S CHMENK ) ......................... 132 Grit M EHLHORN , Bernhard B REMER (Hrsg.): Potenzial von Herkunftssprachen. Sprachliche und außersprachliche Einflussfaktoren. Tübingen: Stauffenburg 2018 (H EIKE W APENHANS ) ......................................................................................................... 134 Simone S CHIEDERMAIR (Hrsg.): Deutsch als Fremd- und Zweitsprache & Kulturwissenschaft. Zugänge zu sozialen Wirklichkeiten. München: Iudicium 2018 (J OCHEN P LIKAT ) .. 137 Christine H ÉLOT , Carolien F RIJNS , Koen VAN G ORP , Sven S IERENS (Hrsg.): Language Awareness in Multilingual Classrooms in Europe. Boston/ Berlin: De Gruyter Mouton 2018 (C LAUS G NUTZMANN ) ............................................................................................... 139 Kathleen P LÖTNER , Marc B LANCHER (Hrsg.): Aux frontières de l’autre. Kulturdidaktische und kulturwissenschaftliche Studien zu medialen Stereotypen. Berlin [etc.]: Lang 2019 (C HRISTIANE F ÄCKE ) ....................................................................................... 142 Vorschau • Erratum in Heft 49.1 145 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0015 I SABELLE M ORDELLET -R OGGENBUCK , J ULIA S ETTINIERI * Zur Einführung in den Themenschwerpunkt Der Bereich der Aussprache gilt in der Fremdsprachenforschung traditionell als besonders herausfordernd, und zwar sowohl in Bezug auf den Erwerb als auch auf die Vermittlung. Ein fremdsprachiger Akzent ist vielfach eines der letzten verbleibenden sprachlichen Merkmale, die von einem nicht-erstsprachigen Erwerb zeugen. Dass die Aussprache insgesamt ein immer noch zu wenig von der fachdidaktischen Forschung behandeltes Thema ist, erscheint paradox: Einerseits ist nicht abzustreiten, dass eine gute Aussprache für die mündliche Kommunikation förderlich, gar unabdingbar und somit zu lehren und zu erlernen ist. Andererseits hört man häufig von Lehrenden, dass es ihnen unangenehm sei, die Aussprache ihrer Lernenden zu korrigieren, oder auch, dass ihnen Aussprachekorrekturen wenig effektiv erschienen oder sie sich unzureichend ausgebildet fühlten (vgl. M ACDONALD 2002, B AKER 2011, A BEL 2018a, G EORGIOU 2019). Und auch die Frage der Evaluation der Aussprachekompetenz der (angehenden) Lehrenden selbst hat bislang relativ wenig empirischdidaktische Forschungsarbeiten hervorgebracht, wenngleich ihre Rolle als Aussprachevorbild der Lerner*innen wohl außer Frage steht. Lernende auf der anderen Seite können unter einem Akzent durchaus leiden, da er nicht nur auf die Verständlichkeit von Äußerungen, sondern auch auf deren soziale Evaluation Auswirkungen haben kann. Grundsätzlich kann mit K OHLER (2001: 39- 49) davon ausgegangen werden, dass sich Aussprachevarianten in einem Spannungsfeld von Verständlichkeit, Ökonomie und sozialer Akzeptanz ansiedeln, wobei die Forschung zur L2-Aussprache traditionell stark auf den Aspekt der Verständlichkeit fokussiert hat (vgl. z.B. H IRSCHFELD 1994, 1995, M UNRO / D ERWING 1995, D ERWING / M UNRO 1997, J ILKA 2000, H EY / N IMZ 2019), während Reduktionsprozesse (vgl. W ENK 1985, Y OUNG -S CHOLTEN 1993, K ALTENBACHER 1998, G UT 2003, R ICHTER 2008) und soziale Akzeptabilität (vgl. D RETZKE 1987, C UNNINGHAM -A NDERSSON * Korrespondenzadressen: Prof. Dr. Isabelle M ORDELLET -R OGGENBUCK , Pädagogische Hochschule Freiburg, Institut für Romanistik, Kunzenweg 21, 79117 F REIBURG E-Mail: isabelle.mordelletroggenbuck@ph-freiburg.de Arbeitsbereiche: Aussprachedidaktik, Professionalisierung im Lehrberuf, Mehrsprachigkeitsdidaktik Prof. Dr. Julia S ETTINIERI , Universität Bielefeld, Deutsch als Zweit- und Fremdsprache, Universitätsstraße 25, 33615 B IELEFELD E-Mail: julia.settinieri@uni-bielefeld.de Arbeitsbereiche: Sprachdiagnostik, Ausspracheerwerb und -didaktik, Durchgängige Sprachbildung, Forschungsmethodologie Au s s prac he le hr en , l erne n und ev alui ere n 4 Isabelle Mordellet-Roggenbuck, Julia Settinieri DOI 10.2357/ FLuL-2020-0015 49 (2020) • Heft 2 1997, D OELEMANN 1998, D ERWING 2003, L INDEMANN 2005, C OHRS 2007, S ETTI - NIERI 2011) bislang eine weniger prominente Rolle gespielt haben. Auch der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen (E UROPARAT 2018) betont in seinen Can-do-Skalen vor allem das Kriterium der Verständlichkeit. Die neuen Skalen des GeR versuchen dabei, die Schwächen des ersten Modells zu beheben (vgl. P ICCARDO 2016), indem detailliertere Deskriptoren eingefügt wurden, und eröffnen somit ein weiteres interessantes aktuelles Forschungsfeld. Gleichwohl stellt die Ausspracheschulung immer schon einen Kernbereich der Sprachpraxis dar, dem teilweise, insbesondere in der Erwachsenenbildung, sogar ganze Vorkurse gewidmet werden, da der Aussprachekompetenz eine hohe Relevanz für eine gelingende Kommunikation und damit für den Spracherwerb insgesamt zugeschrieben wird. Aus diesem Zusammenhang heraus schlussfolgert bspw. G ROTJAHN (1998: 42-43): [Es] ergibt sich als didaktische Konsequenz, daß eine verständliche und von einer als repräsentativ angesehenen Gruppe von Muttersprachlern nicht negativ sanktionierte Aussprache als wichtiges Minimalziel eines auf mündliche Kommunikationsfähigkeit abzielenden Fremdsprachenunterrichts anzusehen ist. Allerdings spannt sich auch die Lernzieldebatte vom im Zitat angesprochenen sog. phonetischen Minimum bis zu Fragen von nativelike competence bzw. ultimate attainment. Selbstverständlich spielt hier nicht zuletzt der Erwerbskontext eine entscheidende Rolle. Dabei lässt sich grundsätzlich zeigen, dass Ausspracheschulung durchaus effektiv sein kann (vgl. DE B OT / M AILFERT 1982, C HAMPAGNE -M UZAR / S CHNEIDERMAN / B OURDAGES 1993, D ERWING / M UNRO / W IEBE 1998, S TURM 2013). Sie kann als ein Zusammenspiel verschiedener Grundbausteine modelliert werden, die einen heuristischen Rahmen spannen können und von denen jeder einzelne wiederum ein eigenes, breites Forschungsfeld eröffnet. Zu nennen wären hier insbesondere die Fehleranalyse (in der Regel auf Grundlage von Diagnoseaufnahmen), kontrastive Analysen, die Vermittlung praktischer Aussprachefertigkeiten (durch Kognitivierung, Hören, Anbilden und Aussprechen) sowie in Abhängigkeit von der Lerngruppe weiterer theoretischer Kenntnisse (vgl. genauer S ETTINIERI 2010: 1003). Zu diesen Elementen sowie zu einzelnen spezifischen Ansätzen von Ausspracheschulung liegen mittlerweile zahlreiche einschlägige didaktische Publikationen sowie erste empirische Studien vor. Die Relevanz von Techniken des Anbildens (S LEMBEK 1995, R AUSCH / R AUSCH 1995, D IELING / H IRSCHFELD 2000, M ORDELLET -R OGGEN - BUCK 2010) und der Kognitivierung (R EBUSCHAT 2004) sind bereits seit längerem bekannt, wenngleich kaum systematisch erforscht; die Nutzung von visual speech (M EHLHORN / T ROUVAIN 2007) bzw. allgemein digitaler Lehr-/ Lernmedien wie z.B. Sprachlern-Apps (R EINKE 2016) stellen neuere relevante Ansätze dar. Darüber hinaus sind unter anderem Aussprachelernberatung (M EHLHORN 2007), Aussprachetandems (R ICHTER 2009), der Einsatz von Musik (W ILD 2015), auch in Kombination mit Elementen der Theaterpädagogik (F ISCHER 2007), Sprachlernspiele (K ANEMAN -P OU - GATCH / G UIMBRETIÈRE 1991; H IRSCHFELD / R EINKE 2009; S ÖNNING 2013) sowie Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 5 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0015 unterschiedliche (Selbst-)Bewertungsraster (D IELING / H IRSCHFELD 2000: 198; M EHL - HORN 2019: 269-272) erprobt und beschrieben worden. Bislang durchgeführte empirische Studien im Feld des Ausspracheerwerbs und der Aussprachedidaktik setzen häufig experimentelle oder quasi-experimentelle Gruppensettings, Testverfahren oder auch schriftliche oder mündliche Befragungen zur Datenerhebung ein. Zur Evaluation der Aussprachekompetenz zum Einsatz kommen im Standardfall Formen von Ratingverfahren, die auf auditiven Einschätzungen beruhen, aber auch akustische Analysen werden durchgeführt. Die Operationalisierung gestaltet sich allerdings durchaus schwierig. So muss Verständlichkeit in der Messung bspw. klar von Akzentuiertheit getrennt werden; Verständlichkeit kann ferner objektiv oder subjektiv betrachtet werden. Noch schwieriger zu messen ist die soziale Akzeptabilität non-normativer Aussprache, da nicht ohne Weiteres zu unterscheiden ist, ob Hörer*innen tatsächlich Akzentmerkmale, wie bspw. ein gerolltes R im Deutschen als L2, allgemeine voice setting features, wie bspw. eine tiefe Stimme, oder auch eine von ihnen bewusst oder unbewusst vorgenommene zutreffende oder auch nicht zutreffende Zuordnung zu bestimmten Herkunftsländern von Sprecher*innen einer sozialen Bewertung (z.B. hinsichtlich der Parameter Sympathie oder sozio-ökonomischer Status) unterziehen. Dabei werden Ausspracheerwerb und -didaktik in Deutschland je nach Fremdsprache unterschiedlich intensiv bearbeitet. Eine Vorreiterrolle kommt hier - wie in vielen Bereichen - sicherlich dem Englischen als Fremd- und Zweitsprache zu. Währenddessen gibt es derzeit vergleichsweise wenig empirische Forschungsarbeiten in diesem Bereich mit Fokus auf den romanischen Fremdsprachen zu verzeichnen, und diese geben auch nur vereinzelt Einsicht in die Erwerbsprozesse der Lernenden oder in die reale Praxis der Lehrenden (für den Grundschulbereich z.B. M ORDELLET - R OGGENBUCK 2002). Dennoch findet man neuere Studien zu den Einstellungen der Lehrkräfte zum Lehr-/ Lerngegenstand Aussprache (für Französisch z.B. die Dissertation von A BEL 2018b sowie für Französisch, Spanisch und Italienisch z.B. R EIMANN 2017), zahlreiche fachdidaktische Empfehlungen und Grundsätze für die Praxis der französischen Ausspracheschulung (z.B. M ICHLER 2017, M ORDELLET -R OGGENBUCK 2010, 2017) sowie Untersuchungen zum Umgang mit der Thematik der Aussprache in Lehrwerken (für das Spanische z.B. L EITZKE -U NGERER 2017). Zusammenfassend wird deutlich, dass die Aneignung sowie das Lehren und Evaluieren von Aussprache ein komplexes Forschungsfeld aufspannen, innerhalb dessen in den letzten Jahrzehnten zahlreiche didaktische Konzepte entwickelt worden sind. Nicht jeder dieser Ansätze ist jedoch auch bereits in seiner Wirksamkeit belegt. Ziel dieses Themenhefts ist es daher, einen Beitrag dazu zu leisten, unterschiedliche neuere Erkenntnisse und Ansätze in Lehre und Forschung im Bereich Ausspracheerwerb und -didaktik vorzustellen, um so perspektivisch einen Beitrag zu einer zunehmend stärker empirisch fundierten Ausspracheschulung (vgl. bspw. D ERWING / M UNRO 2015 oder die Beiträge im Journal of Second Language Pronunciation (JSLP: https: / / ben jamins.com/ catalog/ jslp) oder zur Phonetics Teaching and Learning Conference (z.B. PTLC 2017)) zu leisten. 6 Isabelle Mordellet-Roggenbuck, Julia Settinieri DOI 10.2357/ FLuL-2020-0015 49 (2020) • Heft 2 Die nachfolgenden Beiträge blicken aus ganz unterschiedlichen Perspektiven auf den Gegenstand, wobei sich die ersten beiden Beiträge mit dem Ausspracheerwerb, der dritte mit der Rolle eines Akzents in der Interaktion, der vierte mit Ausspracheschulung und der fünfte mit der Lehrerbildung beschäftigen. Zudem siedeln sie sich in der Anglistik, dem Deutschen als Fremd- und Zweitsprache oder der Slawistik an bzw. sind philologienübergreifend angelegt, so dass insgesamt eine gewisse Breite möglicher Ansätze weiterer Forschung aufgezeigt wird. K ATHRIN WILD beschäftigt sich im ersten Beitrag des Themenschwerpunkts mit einer Frage, die Fremdsprachenlehrer und -lerner von jeher beschäftigt hat und die vor mehr als 40 Jahren NAIMANN et al. (1978) in ihrer sehr bekannt gewordenen Studie „The Good Language Learner“ bereits stellten: Warum sind Lernende beim Erlernen von Fremdsprachen unterschiedlich erfolgreich? Die Frage, warum manche Lernende spezifisch beim Aussprachelernen erfolgreicher sind als andere, ist dagegen bis heute wenig erforscht worden. Hierzu präsentiert W ILD Erkenntnisse aus einer qualitativen Interviewstudie mit drei besonders erfolgreichen jungen erwachsenen Deutschlernenden, die auf Lernerstrategien im Ausspracheerwerb fokussiert. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass neben einer hohen (insbesondere intrinsischen) Motivation sowie einer positiven Einstellung zum Fremdsprachenlernen u.a. Ausdauer und die Beobachtung des eigenen Sprachenlernens von hoher Relevanz für einen erfolgreichen Ausspracheerwerb sind. I SABELLE D ARCY , B RIAN R OCCA , Z OIE H ANCOCK und S EUNG S UK L EE gehen in ihrer Studie der Frage nach, inwiefern sich unterschiedliche Ausgangsbedingungen von Englischlerner*innen hinsichtlich Akzentwahrnehmung sowie selektiver Aufmerksamkeit auf ihren Kompetenzzuwachs im Bereich der Aussprache ihrer L2 Englisch nach Abschluss eines siebenwöchigen Sprachkurses niederschlagen. Im Fokus der Untersuchung stehen somit einerseits das Interface zwischen Perzeption und Produktion, andererseits die Rolle der exekutiven Funktion der Aufmerksamkeitssteuerung für den Spracherwerb, wodurch ein weiterer Beitrag zum Verständnis individueller Unterschiede im Ausspracheerwerb geleistet wird. Zudem zeigen die Ergebnisse, dass eine Verbesserung in der Realisierung des Wortakzents und damit verbunden der Nebensilbenreduktion die Verständlichkeit der L2-Sprecher*innen signifikant verbessert. Die Interviewstudie von M AREIKE M ÜLLER und J ULIA S ETTINIERI siedelt sich im Bereich der Soziophonetik an und ist im Unterschied zu vielen bereits vorliegenden quantitativ und hörerseitig angelegten Studien qualitativ und sprecherseitig ausgerichtet. Mittels semi-strukturierter Interviews mit acht (angehenden) Studierenden wird untersucht, von welchen für sie persönlich bedeutsamen evaluativen Reaktionen auf ihren Akzent im Deutschen als L2 die Befragten berichten und wie sie ihrerseits emotional und interaktional auf diese erlebten Evaluationen reagiert haben. Dabei entsteht ein im Vergleich zu vorherigen Studien deutlich positiveres Bild der Rolle eines Akzents in der exolingualen Kommunikation, was die Autorinnen zum einen auf verschiedene Coping-Strategien der Befragten, zum anderen auf die in einer zunehmend globalisierten Welt besonders bildungserfolgreiche Stichprobe zurückführen. Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 7 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0015 In ihrem State-of-the-art-Beitrag referiert M ICHAELA SAMBANIS über das Konzept von Embodied Learning und eröffnet somit Perspektiven für einen weiteren besonders fruchtbar erscheinenden neuen möglichen Zugang zum Aussprachelernen und -lehren. Im ersten Teil des Beitrags geht die Autorin auf psychologische und neurowissenschaftliche Fundierungen des Konzepts ein, bevor sie im Rückgriff auf einschlägige allgemeindidaktische Studien Implikationen für die Ausspracheschulung aufzeigt. Dabei werden konkrete Maßnahmen wie bspw. rhythmische Stimulation oder Mirroring detailliert dargestellt, die den Nutzen des Einsatzes von Embodied Learning veranschaulichen. Der abschließende Beitrag von G RIT MEHLHORN siedelt sich im Feld der Ausbildung von Fremdsprachenlehrenden an und skizziert eine Möglichkeit des systematischen Ausbaus aussprachediagnostischer Kompetenzen im Rahmen eines Peer-Feedback-Modells. Dieses baut auf der Heterogenität der Studierendenschaft auf, die sich für das Unterrichtsfach Russisch häufig sowohl aus Erstals auch aus Fremdsprachler*innen zusammensetzt. Während die Fremdsprachenstudierenden des Russischen ein Ausspracheschulungsangebot im Blended-Learning-Format nutzen, erhalten sie von den Erstsprachler*innen im Kurs Rückmeldung auf ihre Diagnoseaufnahmen, wodurch diese ihrerseits diagnostische und pädagogisch-didaktische Kompetenzen im Bereich der Aussprache ausbauen (Reciprocal Teaching). Angeleitet werden die Rückmeldungen durch die Dozentin und eine Tutorin, woraus im Rahmen eines Aktionsforschungsprojekts u.a. ein Kompetenzraster zur Einschätzung der Aussprachediagnosekompetenz von Lehrenden entwickelt wurde. Literatur A BEL , Clémentine (2018a): „‚Aus Fehlern wird man schlau? ‘ Feedbackbezogene Praktiken und Kompetenzen von Französischlehrkräften“. In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 29.1, 73-95. 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Comparing the study‘s results with those from studies on good language learners, it becomes obvious that good language learners and good pronunciation learners have much in common: They profit from their learning environment, integrative motivation, positive attitudes towards the target language and especially its pronunciation, contact to L1 speakers as well as from taking responsibility for their learning, i.e. active and persistent learning in order to improve pronunciation as well as recognising own production and perception problems. Concerning practising pronunciation, it seems to be beneficial to work with listening, imitation and singing. 1. Einleitung Jugendliche und Erwachsene sind nur selten in der Lage, sich eine fremde Aussprache auf zielsprachlichem Niveau anzueignen. Dabei ist eine gute Aussprache wichtig für die mündliche Kommunikation (vgl. H IRSCHFELD 2007: 9), insbesondere für die Verständlichkeit, die Bewertung der Kompetenz, der Intelligenz und des sozialen Status durch den Gesprächspartner (vgl. D RETZKE 2009: 133; S ETTINIERI 2011; S TORCH 1999: 104). Aussprache wirkt sich außerdem auf alle Aspekte des Spracherwerbs - Syntax, Morphologie, Orthographie, Pragmatik, Hör- und Leseverstehen, Sprechen, Schreibkompetenz - aus (vgl. M EHLHORN 2019: 249 f.). Deshalb sollte Aussprachetraining ein wichtiger Bestandteil des modernen Fremdsprachenunterrichts sein. Aussprache wird im Fremdsprachenunterricht immer noch wenig vermittelt bzw. es wird erst eingegriffen, wenn die Aussprache der Lernenden gänzlich unverständlich und dieses nicht länger zu ignorieren ist (vgl. M AC D ONALD 2002: 8). Der Grund hierfür liegt u.a. in der zu selten stattfindenden Vermittlung von Aussprachelehrkompetenzen in der Lehrerausbildung (vgl. S ETTINIERI 2010: 1002). Um Lehrkräfte in diesem Bereich auszubilden, ist Forschung, die sich direkt für den Unterricht nutzen lässt, notwendig (vgl. D ERWING / M UNRO 2015: 50; H IRSCHFELD / T ROUVAIN 2007: 185 f.). Hierbei handelt es sich einerseits um Forschung zu Aussprachevermittlungsmethoden * Korrespondenzadresse: Dr. Kathrin W ILD , Europa-Universität Flensburg, Auf dem Campus 1b, 24943 F LENSBURG E-Mail: kathrin.wild@uni-flensburg.de Arbeitsbereiche: Aussprache; frühes Fremdsprachenlernen; Mehrsprachigkeit 12 Kathrin Wild DOI 10.2357/ FLuL-2020-0016 49 (2020) • Heft 2 und andererseits um Faktoren, die zu einem erfolgreichen Ausspracheerwerb beitragen. Während N AIMAN et al. (1978) in „The Good Language Learner“ aufzeigen, welche Faktoren ein erfolgreiches Fremdsprachenlernen fördern und welche Konsequenzen daraus für den Fremdsprachenunterricht gezogen werden können, wissen wir gut 40 Jahre später noch wenig darüber, was das Aussprachelernen nach der kritischen Phase gelingen lässt (vgl. dazu auch D ERWING / M UNRO 2015: 25) und können solche Erkenntnisse deshalb noch nicht für den Ausspracheunterricht nutzen. In diesem Beitrag werden zunächst empirische Forschungsergebnisse zum erfolgreichen Sprachenlernen und Aussprachelernen vorgestellt. Letzteres ist noch kaum beforscht. Es folgen drei Fallanalysen von erfolgreichen Aussprachelernenden. Diese Ergebnisse werden abschließend in Bezug zu den vorher vorgestellten empirischen Forschungsarbeiten gesetzt, um Empfehlungen für den Ausspracheunterricht ableiten zu können. 2. Erfolgreiches Sprachenlernen In den 1970er Jahren intensivierte sich das Interesse am Verhalten von Sprachenlernenden (vgl. B RUMFIT 1996: vii) und an der Frage, warum Lernende unterschiedlich erfolgreich beim Erlernen von Fremdsprachen sind. Die Ergebnisse dreier Studien, die eine größere Grundgesamtheit zum erfolgreichen Sprachenlernen empirisch untersuchen, werden zunächst vorgestellt, um diese mit der vorgestellten Interviewstudie abzugleichen. Mit „The Good Language Learner“ veröffentlichten N AIMAN et al. (1978) die bis heute wohl populärste und entsprechend schnell vergriffene Studie zum Thema, die fast 20 Jahre später nachgedruckt wurde (N AIMAN et al. 1996) und weiterhin nichts an Aktualität verloren hat. Mit dem Ziel, Hypothesen und Annahmen über (nicht) erfolgreiche Sprachenlernende zu überprüfen, interviewten N AIMAN et al. anhand eines Leitfadens 34 als hochkompetent beschriebene Personen (davon 59 % männlich) im Alter von 26 bis 65 Jahren. Bis auf eine Person verfügten alle über einen Universitätsabschluss. Nur zwei vergleichsweise erfolglose Lernende wurden interviewt. Auf der Basis der erhobenen Daten stellen N AIMAN et al. (ebd.: 39) fest, dass jeder Sprachlernprozess individuell ist, gute Sprachenlerner nicht in jeder Sprache gleich erfolgreich sind, jedoch gemeinsam über einige Charakteristika verfügen. Sie • gestalten ihr Sprachenlernen aktiv, • finden Wege, um Hindernisse zu überwinden, • beobachten ihr eigenes Sprachenlernen, • erforschen Gespräche, üben diese und beteiligen sich an ihnen. N AIMAN et al. (ebd.: 217) postulieren, dass Sprachlernbegabung, ein früher Lernbeginn sowie die Kontaktlänge weniger Einfluss auf erfolgreiches Sprachenlernen haben als eine starke Motivation, eine positive Einstellung der Aufgabe gegenüber, günstige Lernumstände wie z.B. Immersion, Persönlichkeitsmerkmale wie Gesellig- Von guten Aussprachelernenden lernen 13 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0016 keit und Ausdauer sowie die Entwicklung von Lerntechniken, die zu den persönlichen Bedürfnissen passen. In einer zweiten Studie (ebd.) wurden relevante Variablen bezüglich allgemeiner Eigenschaften, Charaktereigenschaften, kognitiver Stile, Strategien und Lernumgebungen in formalem kanadischen Französischunterricht isoliert. Hierzu wurden aus der International French Achievement test battery (IEA) zunächst Tests zur Ermittlung der rezeptiven und produktiven Sprachkompetenz mit Schülern der Klassen 8, 10 und 12 durchgeführt. Es folgte ein Test zu Persönlichkeit und kognitivem Stil, die Beobachtung von dyadischen Interaktionen im Unterricht und Interviews mit den beobachteten 72 Lernenden (29 davon männlich). Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass erfolgreiches Lernen korreliert mit • Ambiguitätstoleranz, insbesondere im früheren Sprachenlernstadium, • Feldunabhängigkeit, besonders bei fortgeschrittenen Lernenden, • Einstellungen zur Sprachlernsituation, möglicherweise sogar höher als integrative oder instrumentelle Motivation, • positiven Einstellungen gegenüber dem Sprachenlernen - insbesondere zu Lernbeginn -, wobei diese notwendig, aber nicht ausreichend sind (statistische Kennwerte vgl. ebd.: 102-141). N AIMAN et al. (ebd.: 225) zufolge müssen erfolgreiche Sprachenlernende • aktiv lernen und üben, • sich mit der Sprache als System auseinandersetzen, • die Zielsprache in realen Gesprächssituationen gebrauchen, • ihre Interlanguage überwachen, • die affektiven Anforderungen des Sprachenlernens bewältigen. T AKEUCHI (2003) verglich 160 Texte, die gute Lernende (davon 25 weiblich, mind. zwölf Jahre alt) verschiedener Fremdsprachen in Japan über ihr fremdsprachliches Lernen geschrieben hatten. Bis auf eine Person besaßen alle Autor*innen die japanische Staatsangehörigkeit. Eine Analyse der Texte ergab, dass gute Sprachenlernende • besonders metakognitive Strategien wie die Maximierung von Sprachverwendungsmöglichkeiten, intensives, regelmäßiges Lernen sowie planvolles Lernen verwenden, • intensiv zuhören, • laut lesen, gleichzeitig phonologische und semantische Aspekte fokussieren, um ein „Gefühl“ für die Sprache zu bekommen, • zu Lernbeginn ihren Wortschatz ausbauen und dabei Wert auf eine korrekte Aussprache legen, • das Erlernen einer korrekten Aussprache vorantreiben. Hierzu hören sie Laute und Prosodie viele Male, imitieren so perfekt wie möglich und versuchen, eigene Abweichungen von der Zielsprache zu erkennen. Sie beobachten Mund- und Lippenbewegungen von Zielsprachlern und benutzten das „shadowing“. 14 Kathrin Wild DOI 10.2357/ FLuL-2020-0016 49 (2020) • Heft 2 • regelmäßig in der Fremdsprache schreiben, sich korrigieren lassen, die Korrekturen auswendig lernen und • grammatische Kenntnisse wichtig finden. G RIFFITHS (2008) untersuchte spezifischer, welche Sprachlernstrategien erfolgreiche Lernende benutzen. Hierzu nahmen 131 Englischlernende (davon 55 weiblich) aus verschiedenen Herkunftsländern am Oxford Placement Test, der Grammatik und Hörverstehen überprüft, teil und beantworteten den English Language Learning Strategy Inventory. Es zeigt sich, dass diejenigen mit dem höheren Niveau mehr Sprachlernstrategien und ein breiteres Strategienrepertoire verwenden als die auf einem niedrigeren Niveau. Fortgeschrittenere Lernende benennen besonders häufig Strategien, die das eigene Lernen steuern, die Nutzung von Ressourcen sowie sozial orientierte Strategien. G RIFFITHS (ebd.) vergleicht ihre Ergebnisse mit eigenen vorausgegangenen Untersuchungsergebnissen und kommt zu dem Schluss, dass erfolgreiche Sprachenlernende Strategien benutzen, die • das eigene Lernen steuern, • zum Wortschatzausbau beitragen, • die Grammatikkenntnisse verbessern, • die Nutzung von Ressourcen wie TV oder Filme einbeziehen, • alle Sprachfertigkeiten berücksichtigen. Im folgenden Abschnitt wird eine Studie vorgestellt, die sich analog zum good language learner die Frage nach dem good pronunciation learner stellt. 3. Erfolgreiches Aussprachelernen Schon seit den 1960er Jahren wird untersucht, wodurch ein ultimativ erreichter Aussprachestand in einer Zweit- oder Fremdsprache beeinflusst wird (vgl. Forschungsüberblick in W ILD 2015: 26-63). Studien stellten fest, dass insbesondere der Faktor Alter eine Rolle spielt - je jünger, desto höher der erreichte Aussprachestand. Darüber hinaus wurden als förderlich ermittelt: • Diskriminierungs- und Artikulationstraining (vgl. B IRDSONG 2003; B ON - GAERTS 1999; H ENNING 1966), • kontinuierlicher, massiver Zugang zur Zielsprache (vgl. B ONGAERTS 1999), • Verwandtheitsgrad der Sprachen (vgl. B ONGAERTS et al. 2000), • hohe Motivation (vgl. Birdsong 2003; Bongaerts 1999; Bongaerts et al. 2000; Moyer 1999, 2004; Oyama 1976; Seliger/ Krashen/ Ladefoged 1975). Die verschiedenen Studien widmeten sich zumeist nur einzelnen der genannten Faktoren und erfassten nur in geringem Maße das Aussprachelernverhalten sowie die Einstellungen dazu. Eine Querschnittsstudie, die eine größere Anzahl von Faktoren, die mit einem Von guten Aussprachelernenden lernen 15 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0016 erfolgreichen Aussprachelernverlauf korrelieren, untersuchte, legte W ILD (2015) vor. Während eines Zeitraums von zwölf Monaten bearbeiteten 32 britische Germanistikstudierende (22 weiblich), 18 bis 22 Jahre alt, im ersten Studienjahr zu vier Zeitpunkten jeweils zunächst einen Fragebogen und nahmen danach an einer Überprüfung der Beherrschung des deutschen Wortakzents in Form eines Lesetexts und einer Dialogübung teil. Dabei wurden Lernstände zu vier verschiedenen Zeitpunkten sowie Lernverläufe für alle Zeitspannen zwischen dem ersten und vierten Testzeitpunkt statistisch berechnet. Für acht Probanden wurden zusätzlich individuelle Ausspracheverläufe nachgezeichnet und mit den quantitativen Daten abgeglichen. Insgesamt wurden 124 Fragebögen mit jeweils ca. 140 Variablen sowie 21 Stunden Tonmaterial in Form von Ausspracheüberprüfungen ausgewertet. Folgende Variablen korrelieren positiv mit dem Wortakzenterwerb der Probanden 1 : • Bedeutung von Aussprache für den Lernenden (r = 0,32), • Lernziel Ausspracheverbesserung (r = 0,3), • positive Haltung gegenüber Nachsprechen (r = 0,33 bis r = 0,66), Reimen (r = 0,66), Liedern (r = 0,6), Gedichten (r = 0,63 bis r = 0,82) und kinästhetischen Übungen (r = 0,87 bis r = 0,99) im Unterricht, • außerunterrichtliche Nachsprechübungen (r = 0,32 bis r = 0,34), Hörübungen mit Tonträger (r = 0,32 bis r = 0,35), Wortakzentübungen (r = 0,30 bis r = 0,41) und Satzintonationsübungen (r = 0,39 bis r = 0,68), • Erkennen von Problemen mit der Diskriminierung (r = 0,31 bis r = 0,48) und bei der Produktion des Wortakzents (r = 0,32 bis r= 0,59), • Spielen eines Instruments (r = 0,31), • eigenes Singen (r = 0,37 bis r = 0,44), • Selbsteinschätzung: musikalisch sein (r = 0,37 bis r = 0,38). Keine Korrelationen gibt es mit der Dauer von Aufenthalten in einem deutschsprachigen Land (W ILD 2015: 218). Auch wenn Korrelationen nicht per se kausale Zusammenhänge darstellen, können doch einige naheliegende Interpretationen vorgenommen werden. Ein wichtiger Faktor für den Ausspracheaneignungsprozess scheint Selbststeuerung zu sein. Diese zeigt sich darin, dass die erfolgreichen Probanden Aussprache eine hohe Bedeutung zumessen, zusätzlich als Lernziel die Verbesserung ihrer Aussprache angeben, eine positive Haltung gegenüber Ausspracheübungen und deren außerunterrichtliche Durchführung einnehmen sowie ihre Diskriminierungs- und Produktionsprobleme erkennen. Bestimmte Arten von Ausspracheübungen erscheinen besonders geeignet für das Erlernen des Wortakzents zu sein, und zwar Nachsprechübungen sowie Hörübungen 1 Da aufgrund der erläuterten Komplexität der Daten hier nicht alle Werte für die verschiedenen Zeitspannen wiedergegeben werden können, werden lediglich exemplarisch Effektstärken (bzw. -spannen) für signifikante Ergebnisse angegeben (alle für p ≤ 0,1, da es sich um eine vergleichsweise kleine Gruppe handelte). Umfängliche statistische Werte können in W ILD (2015: 207-223) nachgelesen werden. 16 Kathrin Wild DOI 10.2357/ FLuL-2020-0016 49 (2020) • Heft 2 mit Tonträger. Hierdurch werden Diskriminierungsfähigkeiten geschult. Lernende, die ein Instrument spielen, und besonders solche, die selbst singen, zeigen ebenfalls eine höhere zielsprachenkonforme Wortakzentproduktion. 4. Empirische Studie 4.1 Zielsetzung und Vorgehen Für die hier beschriebene Studie führte ich Leitfaden-Interviews mit drei Personen im Alter von 23 bis 29 Jahren durch, die erst im Jugendalter Deutsch erlernt haben, fließend (wenn auch nicht fehlerfrei) Deutsch (C1-C2 nach dem GeR) sprechen und über eine (nahezu) zielsprachliche Aussprache verfügen. 2 Ziel der 22bis 40-minütigen Interviews war es, Auskunft zu Einstellungen gegenüber Aussprache und zu Aussprachelernverhalten zu erhalten. Der Beitrag soll anhand der Analyse von drei Interviews zeigen, welche Formen und Strategien des Aussprachelernens diese besonders erfolgreichen Aussprachelernenden genutzt haben. Die Interview-Ergebnisse werden mit Faktoren, die zu einem erfolgreichen Sprachen- und Aussprachelernen beitragen (s. Abschnitt 2 und 3), abgeglichen. 4.2 Datenauswertung Für die Auswertung der Interview-Daten eignet sich ein qualitativer inhaltsanalytischer Ansatz, der sowohl eine deduktive als auch induktive Kategorienbildung zulässt. Die hier vorgestellten Interview-Daten wurden anhand der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse (vgl. F ENZL / M AYRING 2014; K UCKARTZ 2016) ausgewertet. S CHREIER (2014: 16) nennt als Merkmale qualitativer Inhaltsanalyseverfahren Kategorienorientierung, interpretatives Vorgehen, Einbeziehung latenter Bedeutungen, Entwicklung eines Teils der Kategorien am Material, systematisches, regelgeleitetes Vorgehen und Orientierung an sowohl Reliabilität als auch Validität (vgl. ebd.: 4). Orientiert am Interview-Leitfaden wurde für die Datenauswertung vorab deduktiv ein Kategoriensystem entwickelt. Dieses wurde an den nach GAT2-Konventionen (vgl. S ELTING et al. 2009) transkribierten Interviews überprüft, wobei sich keine induktiven Ergänzungen ergaben. Die Transkripte wurden sequenziell durchgegangen und den Textabschnitten Kategorien zugeordnet. Für die Forschungsfrage nicht relevante Textabschnitte blieben uncodiert. Enthält ein Textabschnitt mehrere Themen, wurde entsprechend in mehrere Kategorien codiert (vgl. K UCKARTZ 2016: 101-110.; S CHREIER 2014: 16). 2 Dieses wurde nicht über ein formales Rating-Verfahren bestimmt, sondern von der Autorin und Kolleg*innen informell eingeschätzt. Von guten Aussprachelernenden lernen 17 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0016 4.3 Datenanalyse Als Interviewpartner*innen wurden analog zu den in Abschnitt 2 beschriebenen Studien besonders erfolgreiche Lernende, in diesem Fall Aussprachelernende, für Interviews ausgewählt, um deren Lernstrategien zu erforschen. Folgende aus dem Interview-Leitfaden deduzierte Kategorien wurden zur Analyse an die transkribierten Interviews herangetragen: • Sprachlernbiographie, • Selbsteinschätzung der Fremdsprachenkenntnisse, • Ausspracheprobleme, • Aussprachelernstrategien, • genutzte Ausspracheübungen, • Emotionen in Bezug auf Ausspracheübungen, • Rolle von Musik im Leben, • Rolle von Musik beim Aussprachelernen, • Musik und Aussprache. Im Folgenden wird eine Kurzzusammenfassung der einzelnen Interviews gegeben. Diese werden in Abschnitt 5 mit den Kategorien der Studien aus Abschnitt 2 und 3 tabellarisch abgeglichen sowie unter deren Bezeichnungen zusammenfassend dargestellt. 4.3.1 David David, 23 Jahre alt, kommt aus Großbritannien, seine L1 ist Englisch. Er belegt einen MA-Studiengang in europäischen Sprachen und Kulturen an einer englischen Universität. David gibt an, Französisch, Deutsch, Spanisch und Katalanisch fließend zu sprechen, aber immer noch viele Fehler zu machen, wie sich auch in den Transkripten zeigt. Französisch hat er im Alter von 13 Jahren angefangen zu lernen, Deutsch mit 14 Jahren, Spanisch mit 16 Jahren und Katalanisch im dritten Studienjahr, als er ein Semester in Katalonien verbrachte. Letzteres lernte er, um sich nicht im Alltag ausgeschlossen zu fühlen, wenn alle um ihn herum Katalanisch sprachen. Das dritte BA- Studienjahr inkl. der vorlesungsfreien Zeit hat er für einen insgesamt fünfzehnmonatigen Aufenthalt in Frankreich, Deutschland und Spanien genutzt. Während dieser Zeit arbeitete er zwei Monate als Praktikant bei einem französischen Radiosender sowie je fünf Monate in einer Übersetzungsfirma in Deutschland bzw. Spanien. Die jeweiligen Aufenthalte hat er als zu kurz empfunden: es gab einige NACHteilen ((räuspert sich)) daran, und zwar also jedes mal als ich mich äähm ((räuspert sich)) eingeLEBT hatte in in dem LAND dann musste ich SCHON das land verLASsen also das war eigentlich SCHAdeweil es es DAUert ähm viele zeit bis man ähm verBINdungen anknüpft <<dim>und so weiter> [46-49] 18 Kathrin Wild DOI 10.2357/ FLuL-2020-0016 49 (2020) • Heft 2 Aufgrund seiner hohen Sprachkompetenz 3 ist Deutsch seine Lieblingsfremdsprache. Spanisch mag er hingegen „nicht so gerne“ [66], weil er beim Sprechen „nicht so selbstbewusst“ [66] und etwas „eingerostet“ [75] sei. Katalanisch findet er aufgrund der Mischung zwischen Französisch und Spanisch „sehr sehr interessant“ [77]. Die Ähnlichkeit vieler Wörter erleichtere das Lernen. Während seiner Auslandsaufenthalte habe er seine Sprachkenntnisse jeweils „erheblich“ [51] verbessert: „jeden tag war schul ein SCHULtag; ((lacht)) ähm aa ja also ich ich versuchte mich WIRKlich IN die sprache hinein also tief hinein zu gehen“ [52]. Er berichtet, in den jeweiligen Sprachen zu denken versucht zu haben, auch wenn das manchmal nicht funktioniert habe, aber es sei eine gute Übung gewesen. Zudem hat er in der Zielsprache ferngesehen, Sprachaustausch betrieben und am Ende des Tages dessen Verlauf mündlich zusammengefasst. Er habe kontinuierlich geübt und lese viel. Außerdem habe er immer versucht, laut zu lesen und zu singen: ich weiß nicht wie: aber ich kann das HÖren wenn das nicht gut klingt; <<p>also ich dann dann übe ich übe ich und also ja das mach ich weiter also> übe ich und also ja das mach ich weiter also> HAUPTsächlich beim singen und beim laut lesen habe ich ähm mich im in der aussprache trainiert ((lacht))“ [151-153]. Aussprache hat er nur in der ersten mündlichen Sprachfertigkeitsstunde in seinem ersten Studienjahr und seiner Meinung nach zu wenig geübt. Er findet, dass Aussprache im Studium intensiver geübt werden sollte, weil es für den Auslandsaufenthalt helfe. Er mag es nicht, die Aussprache in Gegenwart anderer zu üben, da ihm das peinlich sein könne, wenn er zu Anfang keine gute Aussprache habe. Es gefällt ihm jedoch, in der Gruppe ein Wort zu wiederholen, das die Lehrkraft vorspricht. Insgesamt betont er die Wichtigkeit einer guten Aussprache für das Sozialleben: ich hatte GUte tag und schlechte tage was <<: -)>aussprache betrifft und wenn ich ähm> wirklich eh gute aussprache hatte dann dann hat man mich auf deutsch geantwortet aber wenn als man bemerkt hat dass ich engländer war dann ä VIEL schwieriger also ins gespräch zu kommen mit deutschen und ja also deutsch zu Üben also es ist gansch ganz WICHtig (0.66) <<pp>die aussprache; > ((lacht) [145-149]. David meint, dass die deutsche Aussprache bis auf den ach-Laut nicht schwierig für ihn sei: „wenn man in dem land WOHNT HÖrt man wie man eigentlich <<all> deutsch spricht>“ [100-101]. Er gibt Beispiele für Laute, die im Deutschen und Englischen unterschiedlich realisiert werden. Diese „feinheiten“ [105] habe er bei seinen Auslandsaufenthalten festgestellt. David ist sich manchmal nicht sicher, wo die Betonung liegt. Normalerweise kann er sich daran erinnern, aber wenn er versucht, laut zu lesen, ist er sich nicht sicher und muss aufhören. Es fällt ihm nicht schwer zu hören, welche Silbe in einem Wort betont ist, sondern nur gelegentlich sich daran zu erinnern. 3 In den Transkripten gibt es bei allen Lernenden deutliche Abweichungen von der Zielsprache, die sich nicht auf die Aussprache beziehen, sondern vielmehr Phänomene gesprochener Sprache sind. Diese kommen auch bei L1-Sprechenden vor und sollten nicht über das Kompetenzniveau hinwegtäuschen. Von guten Aussprachelernenden lernen 19 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0016 Musik ist für David „sehr sehr wichtig“ [181]. Er spielt kein Instrument, möchte aber während eines geplanten Deutschlandaufenthalts Klavier spielen lernen. David hört gerne deutsche und französische Musik und mag es zu singen: „für mich ist das WIRKlich ä sta das angenehmeste von einer sprache also diese schönen STIMmen zu hören und alles zu verstehen und dann mitsingen und a es ist wirklich ein teil der kulTUR ich finde also die müsik ist <<p>also kein barrieren; >“ [184-187]. 4.3.2 John John, 24 Jahre alt, ist ebenfalls Brite mit Englisch als L1 und studiert Deutsch. Er verfügt über Kenntnisse in Französisch, Deutsch, Swahili, Japanisch und Chinesisch. Französisch begann er im Alter von zwölf Jahren, in der 7. Schulklasse, zu lernen. Später hat er versucht, von seinem Mitbewohner, der fließend Französisch spricht, die Sprache zu lernen. Im Alter von 13 bis 14 Jahren hat John für zwei Jahre in der Schule Deutsch gelernt. Er ist aber der Meinung, dass er alles vergessen hatte, als er mit 20 Jahren für zwei Jahre als Missionar nach Deutschland kam. Deutsch habe er erst dort gelernt; inzwischen spricht er es fließend. Während eines siebenmonatigen Aufenthalts in Tansania hat John außerdem Swahili erlernt. Weil er eine japanische Freundin hatte, hat er zudem ein Jahr lang an einer englischen Universität Japanisch gelernt. Als John alleine nach China ging, musste er des Weiteren Chinesisch lernen. Diese drei Sprachen spricht er nicht fließend. Im letzten Jahr ist er durch Osteuropa gereist und hat einige polnische Sätze gelernt. In der Schule hatte er keine Lust, Sprachen zu lernen, heute tut er es sehr gerne, besonders wenn seine Aussprache es ihm ermöglicht, in der Zielsprache mit Muttersprachlern zu kommunizieren. John mag es zu reisen und will mit Einheimischen sprechen. Deutsch hat er nicht gerne gelernt, weil die Leute mit ihm als Engländer nicht Deutsch sprechen wollen. Im Chinesischen ist es genau entgegengesetzt. John wollte für seine Kirche als Missionar arbeiten und konnte sich Deutschland als Zielland seines Einsatzes dabei nicht aussuchen. John lehnt sich in seiner eigenen Theorie, wie man Sprachen lernt, an die Pimsleur- Methode an, bei der Sprache rein über das Hören, ohne Unterstützung durch Schriftsprache, gelernt wird. Es wird deutlich, dass seine sprachliche Ausbildung im Missionary Training Center (MTC) in Utah/ USA, die er für seinen Einsatz als Missionar durchlaufen hat, sein Lernen wesentlich beeinflusst hat. John berichtet, dass die Schule bekannt sei für die Vermittlung einer hohen Sprachkompetenz innerhalb „sehr sehr kurzer zeit“ [59-60]. Er beschreibt eine immersive Umgebung in der Sprachschule, in der der Fokus auf permanenter Wortschatzwiederholung liegt. Er wurde von Amerikanern, die selbst zwei Jahre im Ausland gelebt hatten, in Kleingruppen von acht bis zwölf Personen unterrichtet. Von mindestens zwölf Stunden Unterricht täglich habe er ca. sieben Deutschstunden gehabt. Dieser hätte vor dem Frühstück begonnen und abends geendet. Das Vorgehen beschreibt er als drillartig mit vielen Wiederholungen. John hat die Bibelschriften zunächst auf Englisch gelesen, sich dann aber entschieden, diese auch auf Deutsch und laut zu lesen. Er hat zudem mit einem Bilderbuch 20 Kathrin Wild DOI 10.2357/ FLuL-2020-0016 49 (2020) • Heft 2 gearbeitet und dessen Wörter nachgeschlagen und aufgeschrieben. Darüber hinaus wurde nach dem Konzept „speak your language“ [111] verfahren, was bedeutet, dass die Lernenden jede Gelegenheit im Alltag nutzen sollen, ihre neu erworbenen Sprachkenntnisse sofort einzusetzen und miteinander in der Sprache zu sprechen. Am Ende seiner Zeit habe er „dann angefangen (-) ähm wirklich: gespräche auf deutsch zu haben (--) ähm und dann beim: mittagessen haben wir versucht dann (--) deutsch zu zu sprechen soviel wir konnten […] wir waren SO drauf fixiert halt. es gab nichts anderes im LEben“ [118-123]. Insgesamt beschreibt John sich als hochmotiviert, das Deutsche zu lernen. In den Minuten, in denen er im MTC nichts zu tun hatte, habe er mit seinem Vokabelheft Deutsch gelernt. Er bezeichnet diese Minuten als „entscheidend“, da dadurch im Laufe eines Tages mehrmals einige Minuten Lernzeit zusammen und viele Wiederholungen zustande kämen. Im Deutschstudium an der Universität hat er kein Aussprachetraining erhalten. Im ersten Jahr seines Studiums hat er an einer deutschen Theatergruppe teilgenommen und dort seine Aussprache mithilfe der deutschen Theatergruppenleiterin verbessert. Außerhalb des institutionellen Unterrichts nutzt John stete Wiederholung, Nachsprechen und das Befragen von Muttersprachlern als Strategien. Das Wiederholen von Wörtern und das Einholen von korrektivem Feedback durch Muttersprachler spielten auch in seinem Arbeitsalltag als Missionar eine große Rolle, denn er sprach am Tag mit ca. 50 Personen. Auch im Interview bittet er mehrfach um Korrektur und wiederholt sofort. John sagt: „mir wird sehr wenig peinlich also ich kann ich kann ruhig im ein bus im bus sitzen und einfach e: : die ganze zeit wiederholen“ [315-316]. Er arbeitet an der zielsprachlichen Aussprache schwieriger Laute, indem er die entsprechenden Wörter so lange wiederholt und auch Deutsche fragt, bis er selbst den Unterschied zwischen seiner ursprünglichen und der zielsprachlich korrekten Aussprache bemerkt: „und das das geht nicht nur einmal das muss hundert mal gemacht werden“ [237]. Im nächsten Schritt verwendet John die Wörter im Kontext und fügt auch Visuelles hinzu. Dass er während seiner Zeit in Deutschland eine Freundin hatte, hat ihm seiner Meinung nach für seine Aussprache sehr geholfen. Um die chinesische Aussprache zu lernen, hat er „immer kopfhörer (.) benutzt und so cd gespielt; °h und ähm einfach die Aussprache (.) gelernt die ganze zeit, weil , (--) ähm bei chinesisch geht es meistens um die AUSsprache; (--) halt wenn man DIE hinkriegt dann ist die grammatik gar nicht schwer“ [11-14]. Er hat sich dann „mit (-) manchen Chinesen „verSTEHen können […] die haben mich dann verstanden, weil ich die aussprache hingekriegt habe-“ [15-17]. John legt „viel wert auf die aussprache“ [131], wie auch die kontinuierlichen Ausspracheverbesserungsversuche zeigen. Er erkennt seine eigenen Ausspracheschwierigkeiten und arbeitet an diesen. Als problematisch gibt er den ich-Laut sowie den Auslaut [k] an. Diesen ersetzte er zunächst durch den ich-Laut, sodass er beispielsweise „Kritich“ sagt. Das Akzentmuster der Wörter Musik, Monate, Kritiker sowie solcher, die auf [k] enden, wie Grammatik und Linguistik, empfindet er als schwierig. Da er im Rheinland in Nordrhein-Westfalen gewohnt hat, neigte er dazu, „ein bischen dazu isch zu sagen son bischen“ [184]. Die Umlaute habe er ziemlich Von guten Aussprachelernenden lernen 21 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0016 schnell gelernt. John meint, dass in einer Fremdsprache andere Muskeln stärker als in der Erstsprache verwendet würden und dies eine gewisse Anstrengung mit sich bringe. Zu Anfang hat John nach eigenen Angaben Probleme gehabt, den deutschen Wortakzent richtig zu hören. Er merkt im Interview selbst, dass er das Wort Monate mit verschiedenen Akzentmustern produziert. Er kann bei anderen hören, wo bei deren Produktion der Akzent liegt. Um die Fehleranfälligkeit von Wörtern weiß er sofort, wenn er diese sieht. John spielt weder ein Instrument, noch singt er, hört jedoch gerne Musik. Seine Aussprache hat er nicht mit Musik zu verbessern versucht; es würde ihn jedoch interessieren. Um einem anderen Missionar mit dessen Aussprache zu helfen, hat er Lieder als „Lehrstrategie“ genutzt. 4.3.3 Sina Sina, 29 Jahre alt, kommt aus Russland, ihre L1 ist Russisch. Nach einem Germanistik-Studium in Russland kam sie vor 9 Jahren nach Deutschland, um Deutsch als Fremdsprache zu studieren und promoviert inzwischen in Deutsch als Zweitsprache. Sie spricht neben Deutsch noch Englisch und Türkisch als Fremdsprachen. Deutsch hat sie ab der 4. Grundschulklasse gelernt, als sie zehn Jahre alt war. Englisch hat sie ab dem Alter von 17 Jahren als zweite Fremdsprache an der Universität gelernt und Türkisch mit 22 Jahren, als sie ihren türkischen Ehemann kennengelernt hat. Ihre Sprachkenntnisse schätzt sie für das Deutsche als sehr gut ein. Im Türkischen sei ihre Alltagssprache sehr gut, das Schriftliche jedoch sehr schlecht. Im Englischen sei es umgekehrt: Die rezeptive und schriftliche Kompetenz im Englischen sei sehr gut, die mündliche Kompetenz hingegen mittelmäßig. Das Deutsche gefiel Sina an der Schule ausnehmend gut, auch wegen der Lehrerin. Sie spricht es sehr gerne im Gegensatz zum Englischen, das sie als lingua franca, die man können muss, gelernt hat. Türkisch hat Sina aus privaten Gründen gelernt und mag es. Zu Aussprachelernstrategien macht Sina verschiedene Angaben. Sie berichtet, dass ihre Lehrerin früher bei jeder Silbe auf den Tisch geklopft oder geklatscht habe und sie selbst das in ihrer eigenen Lehrtätigkeit ebenfalls angewendet habe. Im Unterricht hat Sina viel gesungen, was ihr großen Spaß bereitet hat. Sie vermutet, dass das Singen zum Aussprachelernen beiträgt. Intonation hat Sina anhand von sog. Dirigieren, also dem Anzeigen von Intonationshöhen mit der Hand, und dem Einzeichnen von Intonationskurven in ein Notenheft geübt. Das hat ihr allerdings keine Freude bereitet. Zungenbrecher haben Sina Spaß gemacht und sie glaubt, dass diese ihr bei der Verbesserung ihrer Aussprache geholfen haben. Sie hat Zungenbrecher auch schon oft im eigenen Unterricht angewendet. Besonders hebt Sina hervor, dass sie jedes Jahr während ihrer Schulzeit begeistert an einem Wettbewerb zum Gedichtrezitieren teilgenommen hat. Insgesamt habe ihr „so alles RHYTHmische und meLOdische immer SU: per SPASS gemacht“ [261-262]. Sie berichtet, dass sie eine Lehrerin hatte, die zu schwierigen Sätzen russische Musik oder die Melodie eines russischen Liedes gespielt hat und dass die Schüler/ innen dazu gesungen haben. Das Beispiel, 22 Kathrin Wild DOI 10.2357/ FLuL-2020-0016 49 (2020) • Heft 2 das Sina im Interview gibt, klingt heute noch überaus rhythmisch gesprochen und entspricht dem deutschen Sprechrhythmus. Sie meint, dass die Musik helfe, flüssiger in der Sprache zu werden. Sina erwähnt in einem Nebensatz, dass sie Kassetten mit deutschen Texten gehabt habe, als sie in der Schule gewesen sei. Unklar bleibt, inwieweit sie diese genutzt hat. Ihr Vater habe sich selbst aufgenommen und sich die Aufnahme dann angehört. Er habe das sehr hilfreich gefunden, sie hat das auch ausprobiert, fand es aber schrecklich. Hingegen helfe es ihr, in Lautschrift inkl. Akzentzeichen zu transkribieren. Sie gibt allerdings gleichzeitig an, dass sie nicht bewusst versucht habe, in ihrer Freizeit ihre deutsche Aussprache zu verbessern. In Sinas Studium lag ein Fokus auf Aussprache, was ihren Vorstellungen entsprach. Sie betont, dass es wichtig sei, Phonetik in den Unterricht miteinzubeziehen. Der Phonetik-Unterricht im Studium hat ihr im hohen Maße geholfen: ich fand das ganz toll an der uni dass wir sodass (.) hm mehr oder weniger (.) kontrastiv gemacht haben russisch deutsch (.) und äm welche auffälligkeiten russischsprachige lerner haben (-) und (.) da wusste ich ganz genau zum beispiel die: : das feste ansatz (-) oder der (- -) d den nebenakzent im: komposita oder (-) keine ahnung (.) äm (-) die behauchung von den konsonanten p t k die russischsprachigen lerner sonst nicht machen oder die intonatur (-) äm intonation und so weiter ( ) ) und das fand ich sehr, sehr hilfreich [48-55]. Für Sina hat Aussprache eine große Bedeutung. Ihr Lernziel, eine möglichst zielsprachenkonforme Aussprache zu erwerben, spricht sie deutlich an: [U]nd irgendwie man hat da auch den ehrgeiz oder hm nicht den ehrgeiz man kann denk ich mal wenn man so in einem fremden land oder beziehungsweise nicht in der im zielsprachenland und schon als fast erwachsener mensch (.) eine fremdsprache lernt man kann den akzent äm (-) nicht weg machen (.) das ist mir schon klar aber man hat so irgendwie den (.) anspruch äm so (.) möglichst (-) doch (-) zielsprachlich auch im artikulatorisch zu sprechen <<lachend>> und das finde ich immer sehr traurig wenn ich sage hallo und dann (.) sagen sie mir sie kommen aber aus russland <<lachend>>“ [55-62]. Sina führt im Laufe des Interviews verschiedene Beispiele für Probleme, die sie mit der Aussprache hat, an. Sie erkennt somit ihre Produktionsprobleme. Sie gibt an, dass sie während ihrer Schulzeit Probleme mit der Diskriminierung beim Wortakzent hatte. Dieses sei jetzt aber nicht mehr der Fall. In diesem Zusammenhang weist sie auf verschiedene Wörter hin, die ihr schwerfielen, und erklärt außerdem, in welchen Wörtern die Betonung für Lerner mit Erstsprache Russisch schwierig sei. Sie war an einer Musikschule, wo sie mehrere Jahre Musikunterricht erhalten hat. Sie spielt Klavier und hat in der Schule im Chor mitgesungen. Im Deutschunterricht wurde viel gesungen, was ihr große Freude bereitet hat. 5. Diskussion der Ergebnisse Die Ergebnisse der Interviewstudie werden im Folgenden mit denen der empirischen Studien aus Abschnitt 2 und 3 abgeglichen. Aufgrund der Fokussierung der vorliegenden Studie auf das Aussprachelernen werden nur Kriterien der vorgestellten Stu- Von guten Aussprachelernenden lernen 23 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0016 dien zu erfolgreichen Sprachenlernenden berücksichtigt, die spezifisch die Aussprache berühren (können). Unberücksichtigt bleiben Kriterien zu anderen Sprachfertigkeiten sowie zu Ambiguitätstoleranz und Feldunabhängigkeit, wie sie von Naiman et al. (1996) festgestellt wurden (vgl. Abschnitt 2), da beide auch nicht als neue Kategorien aus den Interviews abgeleitet werden konnten. Vielmehr haben sich alle deduktiv gebildeten Kategorien in den Interviews bestätigt. Die Tabellen zeigen die Interviewdaten im Abgleich mit den Studienergebnissen aus Abschnitt 2 und 3. In Tab. 1 sind zusammenfassend die Eigenschaften aufgeführt, die der Studie von N AIMAN et al. (1996) zufolge einen guten Sprachenlerner ausmachen (s. Abschnitt 2) und die sich in den Interviews zum Aussprachelernen gezeigt haben. David, John und Sina haben das Deutsche zumindest teilweise unter immersiven Bedingungen erlernt. Dabei verfügen sie bereits über Vorkenntnisse im Deutschen und Sprachlernerfahrungen in anderen Sprachen und lassen eine integrative Motivation erkennen. Beteiligung an Gesprächen mit Zielsprachlern, dabei erfolgende Erforschung von Sprache sowie Geselligkeit lassen sich aus den Interviews mit David und John ableiten. Alle Interviewten sind der Zielsprache und besonders der Aussprache gegenüber positiv eingestellt. Es wird eine große Ausdauer beim Sprachenlernen deutlich. Dessen affektive Anforderungen werden ebenso wie die sprachlichen bewältigt. Außerdem gestalten sie ihr Sprachenlernen aktiv, beobachten dieses sowie ihre Interlanguage. Alle haben Lerntechniken ausgewählt, die zu ihren Bedürfnissen passen. David John Sina günstige Lernumstände (z.B. Immersion) + + + integrative Motivation + + + Gesprächsbeteiligung und -erforschung + + k.A. Geselligkeit + + k.A. positive Einstellung zur Sprache + + + positive Einstellung zur Aussprache + + + Ausdauer + + + Bewältigung affektiver Anforderungen des Sprachenlernens + + + Auseinandersetzung mit dem zielsprachlichen System + + + aktive Sprachlerngestaltung + + + Beobachtung des eigenen Sprachenlernens und der Interlanguage + + + Lerntechniken, die zu den persönlichen Bedürfnissen passen + + + Tab. 1: Eigenschaften eines guten Sprachenlerners nach N AIMAN et al. (1996) bei den Interviewten 24 Kathrin Wild DOI 10.2357/ FLuL-2020-0016 49 (2020) • Heft 2 Wie Tab. 2 zeigt, erfüllen David, John und Sina ebenso fast alle Kriterien, die nach T AKEUCHIS (2003) Studie einen guten Sprachenlerner ausmachen (s. Abschnitt 2). Sie lernen planvoll, intensiv und regelmäßig. Zudem nutzen sie metakognitive Strategien und hören intensiv zu. David und John lesen laut, um ihre Aussprache zu üben und ein Gefühl für die Sprache zu bekommen. Bei beiden kann von einer aktiven Wortschatzerweiterung durch zielsprachliches Lesen und Kommunikationsstrategien ausgegangen werden. David gibt zudem an, das Fernsehen als sprachliche Ressource zu nutzen. Alle Interviewten legen Wert auf eine korrekte Aussprache und bemühen sich aktiv um diese. Sie konzentrieren sich dazu regelmäßig auf Laute und Prosodie und versuchen möglichst genau zu imitieren und eigene Abweichungen von der Zielsprache zu erkennen. David John Sina planvolles Lernen + + + intensives, regelmäßiges Lernen + + + metakognitive Strategien + + + intensives Zuhören + + + lautes Lesen + + k.A. aktive Wortschatzerweiterung + + k.A. Wertschätzung korrekter Aussprache + + + aktives Erlernen einer korrekten Aussprache + + + Tab. 2: Eigenschaften eines guten Sprachenlerners nach T AKEUCHI (2003) bei den Interviewten Auch G RIFFITHS (2008) (s. Abschnitt 2) hat festgestellt, dass gute Sprachenlerner ihr eigenes Lernen steuern, den Wortschatzerwerb vorantreiben und sprachliche Ressourcen wie TV und Filme nutzen. Dass die hier vorgestellten Lernenden alle die ersten zwei Punkte erfüllen und David auch fernsieht, wurde bereits in Verbindungen mit den Untersuchungsergebnissen von N AIMAN et al. (1996) und T AKEUCHI (2003) festgestellt. Tab. 3 (S. 25) zeigt, dass alle Interviewten die von W ILD (2015) festgestellte Selbststeuerung bei erfolgreichem Aussprachelernen (s. Abschnitt 3) vollumfänglich erfüllen. So messen sie Aussprache eine hohe Bedeutung zu, sind Ausspracheübungen sowie deren außerunterrichtlicher Durchführung gegenüber positiv eingestellt und streben kontinuierlich nach einer Verbesserung ihrer Aussprache. Bei allen liegt ein ausgeprägtes Problembewusstsein für Produktions- und Diskriminierungsschwierigkeiten vor. Sie geben an, Wörter nachzusprechen. David und John nutzen das Interview, um der Interviewerin Wörter nachzusprechen. Die Nutzung von Hörübungen mit Tonträger wird von John und Sina angegeben. Bei David kann aufgrund seiner Angabe, dass er zielsprachliches Fernsehen schaut, angenommen werden, dass dieses Von guten Aussprachelernenden lernen 25 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0016 eine ähnliche Hörübungsfunktion erfüllt. Nur Sina spielt ein Instrument, David hat es geplant. Alle drei singen gerne in der Zielsprache. David John Sina Selbststeuerung: große Bedeutung von Aussprache/ Lernziel Ausspracheverbesserung/ positive Haltung ggü. Ausspracheübungen & deren außerunterrichtlichen Durchführung/ Erkennen von Produktions- & Diskriminierungsschwierigkeiten + / + / + / + + / + / + / + + / + / + / + Nachsprechen + + + Hörübungen mit Tonträger + + + Instrument / Singen geplant / + - / + + / + Tab. 3: Eigenschaften eines guten Aussprachelerners nach W ILD (2015) bei den Interviewten 6. Fazit Wünschenswert ist die Untersuchung einer größeren Stichprobe, um belastbarere Aussagen über Eigenschaften von erfolgreichen Aussprachelernenden treffen zu können. Dennoch zeigen die vorliegenden Ergebnisse, dass Eigenschaften guter Sprachenlernender die Basis, aber nicht hinreichend für erfolgreiches Aussprachelernen sind. Für das Erlernen einer zielsprachenkonformen Aussprache reichen eine positive Einstellung der Zielsprache gegenüber, Motivation, selbstgesteuertes Lernen und Kontakt zu Zielsprachlern im Allgemeinen nicht aus. Vielmehr müssen diese Eigenschaften durch die Lernenden (explizit) auf das Aussprachelernen übertragen werden. Es ist möglich, dass ganz allgemein eine hohe Motivation, eine Sprache zu erlernen, vorliegt. Das heißt aber nicht, dass die lernende Person gleichzeitig motiviert in Bezug auf die Aussprache ist, zumal diese eng mit der eigenen Identität verknüpft und dadurch stark affektiv besetzt ist, sodass Lernende es durchaus als unangenehm empfinden können, zielsprachlich zu klingen. Die Wichtigkeit einer hohen Aussprachekompetenz muss erkannt werden, um dieser Fertigkeit eine angemessene Wertschätzung entgegenzubringen. Aussprachespezifische Motivation ist die Grundlage, um planvoll, aktiv und ausdauernd an diesem gerade für ältere Lernende schwierig zu erlernenden Bereich zu arbeiten. Wichtig ist, Lerntechniken zu verwenden, die zu den persönlichen Bedürfnissen passen. Um Lernende bei der Wahl der für sie passenden Aussprachelernstrategien zu unterstützen, können entsprechende Listen (vgl. M EHL - HORN 2019: 268-272) von der Lehrkraft bereitgestellt werden. Diese sollten auch Hinweise auf Hör- und Nachsprechübungen, Reime, Lieder, Gedichte und kinästhetische Übungen enthalten. Wenden Lernende diese an, setzen sie sich gleichzeitig mit dem Lautsystem auseinander, wobei sie das eigene Aussprachelernen beobachten können. 26 Kathrin Wild DOI 10.2357/ FLuL-2020-0016 49 (2020) • Heft 2 Dadurch ist es wahrscheinlicher, dass Produktions- und Diskriminierungsschwierigkeiten erkannt werden. Singen in der Zielsprache sowie das Erlernen eines Instruments scheinen ebenfalls in einem positiven Zusammenhang mit dem Aussprachelernen zu stehen. Dies kann durch eine stärkere Sensibilisierung des Gehörs sowie das Training von artikulatorischer Feinmotorik erklärt werden. Bei bereits vorhandenen musikalische Erfahrungen liegt es zudem nahe, dass entsprechende Lernstrategien bevorzugt werden. Für den fremdsprachlichen Unterricht bedeuten die Ergebnisse der vorliegenden Studie, dass Aussprachetraining als ein wichtiger Bestandteil des Unterrichts angesehen werden sollte. Der Grundstein für eine erfolgreiche Anleitung zum Aussprachetraining und zur Motivation von Lernenden wird in einer gründlichen Aus- und Fortbildung der Lehrenden gelegt. Aussprache sollte deshalb bereits in der Ausbildung von Sprachlehrkräften ein wichtiger Bestandteil sein, in dem verschiedene Lehr- und Lernstrategien, insbesondere solche zur Förderung der Selbststeuerung, vermittelt werden. Literatur B IRDSONG , David (2003): „Authenticité de prononciation en français L2 chez des apprenants tardifs anglophones analyses segmentales et globales“. In: AILE: Acquisition et Interaction en Langue Étrangère 18, 17-36. B ONGAERTS , Theo (1999): „Ultimate attainment in L2 pronunciation: the case of very ADVANCED late learners“. In: B IRDSONG , David (Hrsg.): Second language acquisition and the critical period hypothesis. Mahwah, NJ: Lawrence Erlbaum Associates, 133-159. 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The results reveal that individual differences in word stress encoding are moderately related to the speech measures, but selective attention is not. 1. Introduction A growing number of studies examine how individual differences in perception or cognitive abilities impact second language (L2) phonological processing. Studies have shown that more accurate perception seems to correlate with more accurate production and that higher executive functioning (e.g. attention, inhibition, working * Addresses for correspondence: Prof. Dr. Isabelle D ARCY , Indiana University, Dept. of Second Language Studies, Morrison Hall 231, 1165 E. 3rd St., B LOOMINGTON , IN 47405, USA E-mail: idarcy@indiana.edu Research areas: pronunciation instruction, second language phonology, the bilingual mental lexicon. Brian R OCCA , Ph.D. student, Indiana University, Dept. of Second Language Studies, Morrison Hall 231, 1165 E. 3rd St., B LOOMINGTON , IN 47405, USA E-mail: brocca@iu.edu Research areas: pronunciation instruction, second language phonology. Zoie H ANCOCK , MA student, University of Hawaiʻi at Mānoa, Dept. of Second Language Studies, Moore Hall 570, 1890 East-West Road, H ONOLULU , HAWAI'I 96822, USA E-mail: zhancock@hawaii.edu Research areas: pronunciation instruction, second language phonology. Seung Suk L EE , Ph.D. student, University of Massachusetts Amherst, Dept. of Linguistics, Integrative Learning Center, 650 N. Pleasant St., A MHERST , MA 01003, USA E-mail: seungsuklee@umass.edu Research areas: pronunciation instruction, phonological learning, phonetics, Korean linguistics. Do Individual Differences in Stress Perception and in Selective Attention Relate to …? 29 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0017 memory) seems to correlate with higher fluency and more accurate pronunciation or phonological processing. However, few studies have examined how such individual differences might relate to learners’ improvements as a result of pronunciation instruction. In the domain of L2 pronunciation, the ability to focus one’s attention combined with more accurate phonological processing could provide learners with larger benefits from instruction. This could be potentially important for understanding which instructional strategies are effective for particular learners depending on their specific abilities (as suggested, for example, by the Aptitude-Treatment Interaction framework, S NOW 1989). 1.1 More accurate perception of a phonological dimension can benefit production Many L2 speech learning studies have shown an interest in understanding whether the perception and production modalities are related, and if so, how. This relationship is a central tenet of one of the major theoretical models of the field, the Speech Learning Model (cf. F LEGE 1988, 1995), which assumes that the accuracy with which nonnative sounds are produced is in part determined by perceptual accuracy. Across studies that examined whether accurate perception correlates with accurate production of a phonological dimension, however, the picture is mixed. Some find that performance in perception and production of a contrast can be dissociated, showing no correlation in performance between perception and production modalities (cf. e.g. D ARCY / K RÜGER 2012; K ARTUSHINA / F RAUENFELDER 2014; P EPERKAMP / B OU - CHON 2011), while others find evidence that there is such a relationship (cf. e.g. F LEGE 1993; F LEGE / B OHN / J ANG 1997; K LUGE et al. 2007; S EBASTIAN -G ALLES / B AUS 2005). Interestingly, effects showing a relationship at the level of experimental groups tend to disappear when individuals are considered (cf. also K ARTUSHINA / F RAUENFELDER , 2014). A study by B RADLOW and colleagues (1997) suggests that perception training of a non-native contrast can improve the production of that contrast, as shown by the fact that production improvements were observed in a group of learners who received perceptual training, but not in the control group (no perceptual training). However, after analyzing the individual improvement data to test the hypothesis that the subjects who show the most perceptual learning will also show the most production improvement, no correlation between perception and production was found. This led the authors to conclude that “it is not the case that improvement in perception and production proceeded in parallel within individual subjects” (B RADLOW et al. 1997: 2307). Generally however, it seems to be the case that perceptual training can help L2 learners to improve both their perception and production of segmentals and suprasegmentals (cf. B RADLOW / A KAHANE -Y AMADA / P ISONI / T OHKURA 1999; L EE / L YSTER 2017; W ANG / J ONGMAN / S ERENO 2003). A recent meta-analysis examined whether perception training can lead to improvements in production accuracy. The findings 30 Isabelle Darcy, Brian Rocca, Zoie Hancock, Seung Suk Lee DOI 10.2357/ FLuL-2020-0017 49 (2020) • Heft 2 converge to suggest that “perception training affords medium-sized gains on perception, and the experimental groups experience a small but trustworthy improvement in their production after perception training” (S AKAI / M OORMAN 2018: 204). However, this relationship may be weaker at the individual level. 1.2 Higher executive functioning can benefit production, too In a similar vein to the relationship between perception and production, extensive research has uncovered a number of factors underlying differences in individual attainment among (mostly instructed) L2 learners. Of course, certain conditions of learning (such as the learners’ first language [L1], or their age and length of learning) are known to affect pronunciation accuracy and the degree to which pronunciation is comprehensible. However, individual differences often remain after these variables are controlled (cf. B RADLOW et al. 1997; G OLESTANI / Z ATORRE 2009). In the realm of cognitive abilities and executive control, three main components of “executive functions” have been found to relate to language learning outcomes: working memory (cf. M IYAKE / F RIEDMAN 1998), attention (cf. S EGALOWITZ / F REN - KIEL -F ISHMAN 2005), and inhibitory control (cf. M ERCIER / P IVNEVA / T ITONE 2014). These components have been associated with higher proficiency or more efficient processing, and overall, higher abilities in executive control have also been found to relate to more accurate pronunciation and phonological processing (cf. e.g. A LIAGA - G ARCIA / M ORA / C ERVIÑO -P OVEDANO 2011; D ARCY / M ORA / D AIDONE 2016; D ARCY / P ARK / Y ANG 2015; H U et al. 2013; L EV -A RI / P EPERKAMP 2013). However, this line of research has mostly evaluated isolated dimensions of phonological systems or their specific acoustic-phonetic properties (e.g. vowel categorization, voice onset time) and not global characteristics of L2 speech, such as comprehensibility or accentedness, although limited evidence suggests that more effective attention control may be related to increased L2 fluency (cf. G ARCIA -A MAYA / D ARCY 2013) and comprehensibility (cf. M ORA / D ARCY 2017). One area in particular - selective attention - is relevant for the present study: various perspectives suggest a relationship between pronunciation accuracy and directing attention towards phonological dimensions (cf. also S CHMIDT 1990). For example, instructional methods in which learners’ attention is drawn to phonological dimensions, such as explicit pronunciation instruction (cf. D ERWING / M UNRO / W IEBE 1998; G ORDON / D ARCY / E WERT 2013; P ENNINGTON / E LLIS 2000), or corrective feedback (cf. H ARDISON 2004; S AITO 2011), lead to measurable improvement. Thus, it is possible that learners who can 1) focus attention on speech dimensions in the input or in their own productions (noticing), and 2) inhibit irrelevant information (such as L1-interference) at the same time, are better equipped to benefit more from explicit instruction techniques (cf. T ROFIMOVICH / G ATBONTON 2006). In fact, a recent dissertation (cf. G ÖKGÖZ -K URT 2016) found that the more efficient the attention control, as measured by one verbal and one non-verbal task, the more gains were made between the preand post-test on a connected speech perception task. However, this study did not Do Individual Differences in Stress Perception and in Selective Attention Relate to …? 31 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0017 examine global pronunciation patterns such as comprehensibility, nor did it examine phonological perception separately. In the current study, we examine whether individual differences in lexical stress perception and in selective attention relate to comprehensibility improvements observed in students after seven weeks of instruction in an oral communication course. 2. The present study 2.1 Method We measured pronunciation improvements in 25 L2 learners of English enrolled in a 7-week oral communication course. Improvements in overall comprehensibility and in word stress realization were obtained through ratings of spontaneous speech recordings made at the beginning and end of the course, six weeks apart (see 2.1.2). We also measured their ability to perceive and encode word stress placement in English with an auditory lexical decision task (e.g. girAFFE (real word, with second syllable stress) vs. *GIRaffe (non-word) see 2.1.5); additionally, we measured their selective attention using the Attention Network Test (ANT), specifically the flankers component (see 2.1.4; cf. F AN et al. 2002; W EAVER et al. 2009; W EAVER / B ÉDARD / M C A ULIFFE 2013) and the derived conflict effect (see 2.2.2 for more details). Language learning history and demographic information about participants were obtained through a background questionnaire. 2.1.1 Participants A group of 25 L2 learners of English and 5 native speakers of English participated in the study. The learners were from six different intact classes in an Intensive English program at a large Midwestern university in the U.S., and had various L1s. All students were enrolled in an oral communication course, not a pronunciation-focused course, lasting 7 weeks. Of the six classes, four received explicit pronunciation feedback and some form of pronunciation training (the role of this training and feedback on speech samples is discussed in a separate manuscript; cf. D ARCY / R OCCA / H ANCOCK / L EE in preparation); however, the sample size does not allow us to examine here the effect of instruction on individual differences. In addition, while instruction differences may ultimately affect the outcome measures we examine, they are unlikely to impact the stress perception or the selective attention measures since these tests were performed in the first or second week. Actual enrollment numbers were slightly higher, but only learners who participated in both the pre-test and the posttest were included in the analyses (see 2.1.2 and Table 1). The native speakers were enrolled as graduate students at the same institution at the time of the study. They all reported being exposed only to American English (from various areas) or Canadian English (British Columbia) from infancy, and have remained dominant in that language since. They all knew additional languages learned after the age of 10. 32 Isabelle Darcy, Brian Rocca, Zoie Hancock, Seung Suk Lee DOI 10.2357/ FLuL-2020-0017 49 (2020) • Heft 2 Learners Native Speakers N 25* 5 Mean age, SD 26.5 (7.2) 32 (6.2) Mean length of learning English (years), SD 11.9 (5.8) N/ A Gender (m, f) (15, 21) (2, 3) Mean age of first exposure to English, SD 14.7 (8.9) N/ A Mean self-estimated proficiency (added across all four skills), SD 6.2 (1.5) N/ A Mean number of L2s spoken, SD 1.3 (0.7) 1.4 (0.5) Note. The “mean number of L2s spoken” is the mean number of L2s (including English) spoken by each participant. *25 learners provided speech samples at two times, but 35 learners were enrolled across the six classes. Some fields were not applicable (N/ A) for native speakers. Table 1: Group sample size in the study and demographic information 2.1.2 Speech samples Speech samples were recorded in week 1 (pretest, T1) and in week 6 (post-test, T2) from learners. We used 3 tasks to measure changes from preto post-test (see Table 2) adapted from H ASLAM (2017). To obtain recordings that were as natural and as high-quality as possible, and to encourage students to forget about the microphones, we equipped each student with a Polsen PL-2WC directional Cardioid Lavalier microphone and a Zoom ZH1 recorder on the days of the recordings. Students were recorded in their classroom, separated from each other for individual tasks (1 and 3), and divided into groups for the group task (2). The order of tasks was variable between the preand the post-test. Each student was provided with a handout containing instructions and the materials for the speaking tasks. 1: Controlled reading task Reading the “Jones Family” passage (recorded individually) 2: Group discussion task Problem solving in an information gap task - recorded individually but performed in small groups (open a restaurant, find an apartment) 3: “Transfer” speaking task Speaking spontaneously on a given topic such as travel, holidays, food, etc. - recorded individually Table 2: Overview of tasks used to obtain the speech recordings The five native speakers of English were also recorded while completing the same tasks, only once, using the very same equipment and handouts as the L2 learners. Their recordings were handled in the same way and mixed with the learners’ in the rating tasks. Participants productions were orthographically transcribed. Twelve comparable sentences (based on length and complexity) were then selected among the transcripts Do Individual Differences in Stress Perception and in Selective Attention Relate to …? 33 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0017 by an assistant unaware of the purpose of the sentences or of the experiment (and who did not hear the samples) for all 25 students (6 for T1 and 6 for T2 per student). Six sentences for each of five native speakers were also extracted. Two sentences for a student were excluded because noise levels were too high in the entire recording for that student, resulting in a total of 328 audio samples. 2.1.3 Rating of speech samples All samples obtained for a given task (reading, group, speaking) were randomly ordered and presented to 5 trained raters who rated the comprehensibility of each item. Comprehensibility was defined as ease of understanding on a 1-9 scale (1: very easy to understand; 9: impossible to understand). Raters also marked specific errors pertaining to word stress and vowel reduction on the transcript of each item. Sentences were grouped by task to facilitate the rating task. To keep the length of a given rating session manageable and to allow for breaks, blocks of about 55 sentences were created, two per task, and resulted in six blocks of sentences for the word stress rating, and another six blocks of sentences (in a different random order) for the vowel reduction rating. The sentences for reading were presented first, followed by the group and finally the speaking task. During each rating block, raters heard a sentence and first rated its comprehensibility. Then, they marked word stress errors on the transcript of the sentences. After all samples had been rated once, a new set of rating blocks with a new random order was presented for vowel reduction errors. Again, upon hearing a sample, raters rated its comprehensibility and then marked vowel errors. They were allowed to listen to each sample up to 8 times. All raters first rated word stress, and then vowel reduction. Comprehensibility was rated in both rating tasks. All raters were trained beforehand on unrelated sentences to determine, for example, a word-stress error in a multisyllabic word vs. a vowel reduction error in function words. Each rating task produced 6 datasets per rater (2 for each task). Due to a computer error, one dataset for one rater was not saved, resulting in 59 datasets instead of 60. Ratings were administered with the Praat software, version 6.0.52 (cf. B OERSMA / W EENINK 2019). Overall, completing all ratings took 11-12 hours per rater, and ratings were spread over 6 or more sessions of 2 hours at most. Frequent breaks were encouraged. Raters performed the rating task individually in a quiet research lab on a university campus and were paid for their time. Given that the same order was presented to all raters, the possibility of sequence effects on the ratings exists. However, the lack of any clear relationship between the order number and the proportion of errors raters noted (r = .007 for word stress order; r = -.119 for vowel reduction order) suggests that the possibility is low (if not zero). Comprehensibility ratings were averaged for each student/ time/ task. For word stress, scores were extracted by counting the number of errors marked by raters for each student at each time in each task, and expressed as a ratio of the total number of multisyllabic words and compound nouns in a given person’s samples. This number 34 Isabelle Darcy, Brian Rocca, Zoie Hancock, Seung Suk Lee DOI 10.2357/ FLuL-2020-0017 49 (2020) • Heft 2 was the same in the reading samples but differed in both other speaking sample types that were more spontaneous. A higher ratio corresponds to more errors. For vowel reduction, the number of syllables in each individual sample was automatically extracted. Since essentially any word can produce an error (including function words), the scores were calculated as a proportion (in %) from the total tallied errors by all raters divided by the total number of syllables in the transcript of each sample (multiplied by the number of raters). While the rating was long, all raters expressed confidence in their rating. The interrater reliability scores for each rating task (comprehensibility, word stress, vowel reduction) were high. The intraclass correlation coefficient (ICC), which reflects both the degree of correlation and agreement between measurements was used for the analysis of interrater reliability among the raters for each group of ratings (comprehensibility; vowel reduction errors; word stress errors). ICC estimates and their 95% confident intervals were calculated using SPSS 26 based on a mean-rating (k = 5), consistency, 2-way random-effects model. 1 For the comprehensibility and vowel reduction models, the inter-rater reliability was excellent, for word stress, it was good: Comprehensibility: ICC(2, 5) = .901 [.888 - .913]; Vowel-reduction: ICC(2, 5) = .913 [.896 - .928]; Word stress: ICC(2, 5) = .896 [.877 - .913]. 2.1.4 Selective attention task: flankers To obtain a measure of selective attention, we used the short ANT task using flankers without the orienting cues (cf. W EAVER / B ÉDARD / M C A ULIFFE 2013). At each trial, participants were shown an image of five arrows in the middle of the screen and were asked to press either the left or right arrow key on the keyboard to match the direction of the arrow in the center, ignoring all the adjacent arrows (the flankers). There were two types of images, where the arrow sequence was congruent or incongruent. Congruent images had all the arrows pointing in the same direction (all left or all right, e.g. → → → → →). Incongruent images had the center arrow pointing opposite the flanking ones (e.g. → → ← → →). All images had 5 arrows each and the arrows were the same size, color, and location in the picture. Most participants were tested individually in a quiet research lab on a university campus. A small number of them were tested in a quiet computer lab, at individual workstations separated by partitions. They were seated at a desktop computer, wearing high quality headphones. Written instructions were displayed on the screen and orally supplemented by the experimenter following a defined protocol. Speed was emphasized. After an 8-item trial session, with feedback indicating reaction time (RT) to encourage speeding up responses, participants started the experimental block, where no feedback was provided. On each trial, a fixation cross was first shown, followed by one of the four images. Participants then indicated their answer using the arrow keys on the keyboard. The software PsychoPy (cf. P EIRCE 2007) was used to 1 Cf. K OO / L I 2016 for justification of these choices. Do Individual Differences in Stress Perception and in Selective Attention Relate to …? 35 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0017 present stimuli and record responses. The RT from the beginning of the trial until the key-press was measured, as well as accuracy. 2.1.5 Stress perception To evaluate learners’ ability to perceive word stress and associate it with English word forms, we used an auditory phonological judgment task which involved deciding whether a spoken word form was the expected pronunciation for a picture presented on the screen. Specifically, participants were asked to judge whether the pronunciation they heard was the way native speakers of American English usually pronounced the word. If they thought the audio stimulus they heard corresponded to a common, expected pronunciation of this word in American English, they pressed the right arrow; if not, they pressed the left arrow key on the keyboard. 2.1.5.1 Materials and conditions There were two conditions: the test condition (condition S), where the difference between expected and unexpected (*) was in the stress placement (e.g. respectively girAFFE vs. *GIRaffe); and the control condition (condition P), where the difference between expected and unexpected (*) was in phonemes, either vowels or consonants (e.g. board vs. *noard, for a picture of a blackboard). For each condition, 28 frequent and picturable words were chosen; 14 were modified for stress, and 14 for phonemes, resulting in 28 test pairs, and 28 control pairs, and a total of 112 unique audio stimuli. The test stimuli consisted of 14 diand 14 trisyllabic words; half of the words were stressed on the first syllable, the other half on the second. The stress placement was then modified to either the second (e.g. Canada [ˈkænədə] - *[kəˈnædə]), or the first syllable (e.g. Japan [dʒəˈpæn] - *[ˈdʒæpən]). It was never placed on the last syllable. Vowel reduction such as schwa was also adjusted, along with the word stress. The control stimuli contained more varied changes in phonemes: 21 had a consonant variation (e.g. eggs vs. *etts) and 7 had a vowel variation (e.g. plane vs. *plone). There were 15 mono-, 9 diand 4 trisyllabic words. The audio files were recorded in a soundisolated recording booth by a phonetically trained female native speaker of English. Individual stimuli were cut and normalized for amplitude. Two pictures were chosen for each pair, so that both versions of a word would not be paired with the same picture. For instance, the expected and the unexpected pronunciation of giraffe did not appear with the very same picture, but two different pictures of a giraffe. Pictures were selected from the website Pixabay. Care was taken to select the most unambiguous and simple pictures available. To limit the influence of the pairing between stimulus and picture on the responses, two lists were created. In list 1, the expected stimulus was paired with picture 1, and the unexpected with picture 2. In list 2, this pairing was reversed: expected with picture 2, unexpected with picture 1. Participants were assigned to one or the other list. All 112 stimuli were split into two blocks, so that each member of a pair occurred in a different block. Stimuli within 36 Isabelle Darcy, Brian Rocca, Zoie Hancock, Seung Suk Lee DOI 10.2357/ FLuL-2020-0017 49 (2020) • Heft 2 each block, and the order of blocks were randomized by the experimental program PsychoPy (cf. P EIRCE 2007). 2.1.5.2 Procedure Participants were tested immediately following the Flankers task, in the same conditions. Before the experiment, each participant was pseudo-randomly assigned to a list (1 or 2) by the experimenter. After clarifying any questions about the instructions, a short practice session with three pairs (containing both expected and unexpected versions) was provided with feedback to familiarize participants with the task. All practice pairs had a phonemic change. Feedback emphasized both accuracy and speed, and it provided the RT to encourage speedy responses. Instructions (see fig. 1) stressed that participants should focus on whether the pronunciation was expected or unexpected in typical American English realizations of this word. Fig. 1: Instructions screen for the phonological judgment task After completing the practice, participants started the experimental blocks. Each trial started with a 300 ms fixation cross. The object image was first presented on the screen for 1000 ms. The audio stimulus was then played. Participants had 3000 ms to respond before the script moved to the next trial. There was a 300 ms inter-trial interval (blank screen). Participants had to indicate their answer on the keyboard using the arrow keys and no feedback was provided. There were two experimental blocks of 56 trials each. Between blocks, participants were given time for a break. The total experiment took approximately 12 minutes to complete. Accuracy and RTs (from the end of the sound file) were measured. 2.2 Results by task 2.2.1 Speech samples comprehensibility, vowel reduction and word stress For each participant, six scores were generated from the ratings: comprehensibility at T1, at T2; vowel reduction errors at T1, T2; and word stress errors at T1, and T2. These six scores were also converted into “gain” scores, that is, the difference between Do Individual Differences in Stress Perception and in Selective Attention Relate to …? 37 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0017 T1 and T2. For example, a participant whose vowel error score at T2 is 4, and at T1 was 6, has a gain score of -2 points, indicating that this learner has reduced their errors by 2 points. Negative gains correspond to improvement, as they indicate a reduction in errors, or a smaller comprehensibility score. Recall that a score of 1 corresponds to highest comprehensibility on our task. Table 3 shows central tendencies and the amount of variability for the three measures at T1, T2, and the gain scores. Measure Mean T1 (SD) Mean T2 (SD) Mean gain, T2-T1 (SD) Vowel reduction errors 8.06 (2.85) 7.21 (3.59) -0.85 (2.47) min max 2.30 - 13.15 1.94 - 14.23 -6.53 - 4.37 Word stress errors 19.68 (8.26) 18.33 (10.14) -1.35 (6.58) min max 7.22 - 36.58 4.46 - 38.61 -2.76 - 16.67 Comprehensibility 4.62 (1.00) 4.52 (1.16) -0.10 (0.53) min max 2.78 - 6.52 2.36 - 6.72 -1.07 - 1.53 Note. Comprehensibility scores are on a scale of 1 to 9, where 1 is most comprehensible. Vowel and word stress errors are proportions converted to percentages. Table 3: Central tendencies, minimum and maximum scores for the learners at T1, T2, and for the gain scores (T2-T1), in each measure 2.2.2 Flankers Data for one participant were excluded because this person did the task twice. The final sample is n = 35 for this experiment (learners n = 30; native speakers n = 5). Only RT for correct answers were considered. Further, all datapoints that were either under 300 ms (n = 0) or beyond 2 SD from the mean RT were discarded (n = 40 datapoints, or 3% of the total dataset). The mean RT for congruent trials was 504 ms (SD = 91), and the mean RT for incongruent trials was 529 ms (SD = 81), indicating that responses were significantly slower in incongruent trials, t(34) = -3.98, p < .001, as expected. The mean RT for each congruency condition for each person was used to compute the conflict effect as the difference in RTs between congruent and incongruent trials (cf. B UGG / C RUMP 2012) (M_incongr. - M_congr. = conflict effect). A smaller conflict effect indicates a more efficient control of selective attention (M = 24.5; SD = 36.5). Values ranged from -58 to +135 ms, with a similar mean and variance in both native speakers and learners. Conflict effect scores were used in the correlation analysis below. 2.2.3 Stress perception Because error rates can depend on a person’s response strategy (saying ‘yes’ all the time to both expected and unexpected forms, for example), it is useful to compute a sensitivity measure that takes such biases into account (cf. M ACMILLAN / C REELMAN 38 Isabelle Darcy, Brian Rocca, Zoie Hancock, Seung Suk Lee DOI 10.2357/ FLuL-2020-0017 49 (2020) • Heft 2 2005: 8ff.). Therefore, a d’ (dee-prime) measure of sensitivity was calculated from the responses. Answers on each trial were first coded into Hits (“yes” for expected), False Alarms (“yes” for unexpected), Misses (“no” for expected) and Correct Rejections (“no” for unexpected), in order to compute the d’ score for each participant in each condition (stress vs. phoneme). d’ scores are calculated by comparing the rate of hits with the rate of false alarms, converted into z-scores (standard deviation units). When participants cannot discriminate at all and respond randomly, hits = false alarms and d’ = 0. The higher the hit rate compared to false alarms, the higher the d’ and the higher the sensitivity. A d’ value below 0.75 can be interpreted as a lack of discrimination sensitivity, whereas values at or above 3.0 show a very strong discrimination sensitivity. The data on the control (phoneme) condition was then screened for outlier performance, which might indicate that a participant did not know a reliable number of words or did not understand the task. For learners, the mean accuracy on this condition was 86% (SD = 12). Three outliers were detected, whose performance was below 2 SD from the mean on this condition in the learner group, and were excluded from further analyses. No outlier was detected among the native speakers (M = 99%, SD = 1.6). The resulting final sample is 29 learners, and 5 native speakers. Figure 2 illustrates the mean d’ for each condition in each group (learners, native speakers). It becomes clear that the learner group is much more variable in performance on stress condition, with d’ scores ranging from > 3 (indicating very high sensitivity) to < 1 (indicating limited sensitivity). For the other condition, no d’ was below 2. Similarly for the native speakers, sensitivity is very high regardless of condition. Fig. 2: Boxplot of d’ score averages in each condition (phoneme, stress) for learners and native speakers Do Individual Differences in Stress Perception and in Selective Attention Relate to …? 39 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0017 A correlation was conducted to estimate how strongly the learners’ performance in one condition was linked to the other condition. No clear relationship emerged (r(29) = .209, p = .277). Therefore, the d’ scores on the stress condition, which reflect individual performance in word stress lexical encoding, will be used in the correlation analysis. 2.3 Correlations The main variables of interest in each task are as follows. For comprehensibility (COMP), word-stress (WS) and vowel reduction (VR) errors, we examine scores at T1 and T2, and the difference between T1 and T2 (GAIN). For the attention task, we use the conflict effect, indexing selective attention. For the phonological judgment task, we use the d’ score for the stress condition (S-dprime), indexing the extent to which a learner perceives and encodes lexical stress. Except where otherwise indicated, two-tailed Pearson correlations were conducted with only the participants who were not outliers in any task. Native speakers are not included. The final sample is n = 22. 2.3.1 Speech measures correlations First, the relationship of the speech measures at T1 and T2 to one another was examined. All were highly correlated with each other, which suggests that performance at T1 related to each person’s performance at T2. In addition, both word stress and vowel reduction errors correlate with comprehensibility, underscoring their role in how easily a listener understands their speech (for WS and COMP at T2, r = .755, p = .001; for VR and COMP at T2, r = .715, p = .001; similar values were obtained for T1 between these variables). 2.3.2 Speech measures with cognitive and perception variables In the current study, our main research question is whether individual differences in lexical stress encoding and in selective attention relate to comprehensibility as well as word stress or vowel reduction errors, or to improvements in these speech measures after an oral communication course. To answer these questions, several correlation analyses were performed in SPSS 26, between the speech measures, the gain scores, and the individual differences measures. If they are related, we expect that a higher d’ in lexical stress encoding and a lower conflict effect are associated with both lower error rates and a lower comprehensibility score (which indicates higher comprehensibility on our Likert scale), as well as more negative gain scores (which indicate improvement). That is, we expect a negative correlation between d’ and the speech measures. Conversely, a positive correlation is expected between the conflict score (a smaller conflict effect indicates a more efficient control of selective attention), and error rates/ comprehensibility score (where smaller values indicate more target-like 40 Isabelle Darcy, Brian Rocca, Zoie Hancock, Seung Suk Lee DOI 10.2357/ FLuL-2020-0017 49 (2020) • Heft 2 performance). Given the expected direction of the effect, the correlations were onetailed. The results are presented in Table 4. Measure Conflict effect S-dprime T1 WS Pearson Correlation -.301 -.540 ** Sig. (1-tailed) .087 .005 T1 VR Pearson Correlation -.311 -.678 ** Sig. (1-tailed) .079 .000 T1 COMP Pearson Correlation -.229 -.304 Sig. (1-tailed) .153 .084 T2 WS Pearson Correlation -.148 -.502 ** Sig. (1-tailed) .256 .009 T2 VR Pearson Correlation -.216 -.309 Sig. (1-tailed) .167 .081 T2 COMP Pearson Correlation -.235 -.267 Sig. (1-tailed) .146 .115 GAIN WS Pearson Correlation .202 -.019 Sig. (1-tailed) .184 .467 GAIN VR Pearson Correlation .048 .323 Sig. (1-tailed) .417 .071 GAIN COMP Pearson Correlation -.093 -.027 Sig. (1-tailed) .340 .453 N 22 22 Note. WS = word stress; VR = vowel reduction; COMP = comprehensibility; S-dprime = d’ on stress condition; ** Correlation is significant at the 0.01 level (1-tailed). Table 4: Correlations between speech measures and individual differences measures of attention (Conflict effect) and word stress perception (S-dprime) The results indicate that the conflict effect consistently shows no significant relationship in the predicted direction with any of the speech measures. However, the perception score (S-dprime) relates moderately and significantly, in the expected direction, with T1 WS and VR errors (r = -.540; r = -.678, both p < .01), as well as with T2 WS errors (r = -.502; p = .009; r 2 = .252). A similar relationship, albeit weaker, and marginally significant (r = -.309; p = .081; r 2 = .095), also in the expected direction, is found with VR errors at T2 and S-dprime. Interestingly, the relationship between stress perception and T1 speech measures seems stronger than at T2. This might be due to the effect of instruction received by some learners in our sample. We address this possibility in the discussion. There were no correlations between gain scores and either of the individual differences variables. Do Individual Differences in Stress Perception and in Selective Attention Relate to …? 41 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0017 Finally, correlations examined whether the T1 scores might predict the gain size. But they did not. One relationship emerged: The gain scores in word stress errors were positively related with gain scores in comprehensibility, indicating that reducing word stress errors might contribute to increased comprehensibility (Figure 3). However, since correlations are not causal, such a conclusion cannot be drawn definitively. Fig. 3: Scatterplot of the gain in word stress errors (T2 - T1), and the comprehensibility gains (T2 - T1) - For both, a negative score indicates a more target-like performance, since a lower score at T2 is desirable. 3. Discussion In the current study, we set out to explore whether individual differences in lexical stress encoding and in selective attention relate to comprehensibility improvements as well as in word stress or vowel reduction errors after an oral communication course. Our results indicate that in our sample, selective attention consistently did not relate to any speech measure at T1 or T2, or to the size of the gain between T1 and T2. The absence of relationship in our relatively small sample may not be surprising. While it could emerge in a study with a much larger sample, its strength may still be moderate. A clearer relationship emerged between the lexical stress encoding ability (indexed by the d’ score on the stress condition) and several speech measures at T1, and also, albeit weaker, at T2. The strongest relationship was found between lexical stress d’ and the vowel reduction errors at T1. Similar, but weaker relationships were also observed at T2 with word stress and vowel reduction errors, and with comprehensi- 42 Isabelle Darcy, Brian Rocca, Zoie Hancock, Seung Suk Lee DOI 10.2357/ FLuL-2020-0017 49 (2020) • Heft 2 bility - where it did not reach significance however. Again, significance levels are likely a matter of power, but it is striking that lexical stress encoding is more clearly related to the speech measures at T1 than at T2. The reasons for this phenomenon are not immediately clear, yet we think it is possibly the case that the relationships at T2 were blurred as a result of instruction during the course. Recall that four classes received instruction and/ or feedback on the pronunciation of word stress and vowel reduction among others. It is therefore possible that the initial relationship we observed at T1 became less relevant or defining of a given student’s performance at T2 as a result of instruction. Our sample size does not allow us to explore this development. Future research is definitely needed to understand how instruction interacts with the relationship between stress perception and speech measures. Another avenue to explore the factors that modulate the relationship between lexical stress encoding and comprehensibility is the L1 background of the participants. In our sample, learners had different L1 backgrounds (Arabic, Chinese, and Korean were the most common ones, and there was one Spanish student). It is possible that, even though all students had difficulties with producing lexical stress and vowel reduction on the appropriate syllables in English words, some students might have fewer issues because of their L1, such as Spanish students. More experimental evidence taking this aspect into account is needed, and would contribute to generating a comprehensive overview of the relative importance of pronunciation areas for increasing comprehensibility based on the learners’ language backgrounds. Clearly though, even when instructional effects are not yet visible (at T1), individual differences in stress perception are correlated to speech outcomes; they remain so (even if less) at T2. While the consistency of this relationship should be verified with a larger sample, these findings, taken together, paint a coherent picture. It seems to be the case that word stress and vowel reduction errors both contribute to comprehensibility scores. In turn, these are associated to performance in a lexical phonological judgment task comparing word-stress differences. This relationship thus indicates that someone’s ability to produce word stress (and by extent, vowel reduction in unstressed positions) in English words and sentences is related to their ability to memorize the stress pattern of English words they learned. The presence of such a relationship highlights the usefulness for teachers to address the stress pattern of words explicitly when teaching new words. In terms of the gain between T1 and T2, no clear picture emerged from our investigation, and no clear link to either individual difference variable was found. More research with more participants in classrooms is sorely needed here. In our case, it should again be noted that instructional differences also affected how much learners improved over time, and possibly more so than individual differences at the outset. While it would be very interesting to compare different types of instruction and the role of individual differences as a function of instructional method, the current sample was clearly too small to address this question. It is also possible that the fairly short duration of the course was too short to generate large differences in gain scores, which might affect the visibility of relationships between the speech measures. Do Individual Differences in Stress Perception and in Selective Attention Relate to …? 43 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0017 In conclusion, our results indicate that improvements in spontaneous speech are moderately related to the accuracy of lexical stress encoding. Acknowledgments The authors wish to thank the teachers Lynn McKenzie and Sofiya Asher, our raters Danielle Daidone, Ryan Lidster, John H.G. Scott, Sadi Phillips, Tory Robinson. We are grateful to the Intensive English Program at Indiana University for their support of this work. We further thank Claudia Serrano Romero for her help with testing participants and constructing stimuli for the perception tasks, Houston McClure for his help in selecting the sentences, John Rothgerber for his expert advice on instruction implementation, and all the students who took part. References A LIAGA -G ARCIA , Cristina / M ORA , Joan C. / C ERVIÑO -P OVEDANO , Eva (2011): “L2 speech learning in adulthood and phonological short-term memory”. In: Poznań Studies in Contemporary Linguistics 47, 1-14. B OERSMA , Paul / W EENINK , David (2019): Praat: doing phonetics by computer [Computer program]. Version 6.0.52. http: / / www.praat.org/ (02/ 05/ 2019). B RADLOW , Ann R. / A KAHANE -Y AMADA , Reiko / P ISONI , David B. / T OHKURA , Yoh’ichi (1999): “Training Japanese listeners to identify English / r/ and / l/ : Long-term retention of learning in perception and production”. In: Perception & Psychophysics 61, 977-985. 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The study draws on 8 international students at a German university. The data were collected in semi-structured interviews and analyzed within the framework of qualitative content analysis. The results give insight into conditions and strategies that may support learners in establishing constructive interpretations of the effects of their accents on their social acceptance. 1. Einleitung Jede*r Mehrsprachige erinnert sich wahrscheinlich an Situationen, in denen sie/ er ganz unvermittelt von Unbekannten auf ihren/ seinen Akzent bzw. damit verbunden auf ihre/ seine Herkunft angesprochen wurde. Die Verknüpfung von Aussprache und Identität wird hier unmittelbar deutlich, ebenso wie Prozesse sozialer Evaluation von L2-Akzenten. Während das Feld der anecdotal evidence in diesem Bereich nahezu unerschöpflich erscheint, ist der Aspekt der sozialen Akzeptanz und Evaluation von Ausspracheabweichungen bislang noch wenig systematisch erforscht worden, insbesondere nicht aus Sicht von L2-Sprecher*innen. Bisherige Studien widmen sich * Korrespondenzadressen: Dr. Mareike M ÜLLER , Universität Paderborn, Institut Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft, Warburger Straße 100, 331098 P ADERBORN . E-Mail: mareike.mueller@upb.de Arbeitsbereiche: Ausspracheerwerb und -didaktik, Fremdsprachenlernen in Study-abroad-Kontexten, Subjektive Theorien und Identitätskonstruktionen von Lernenden Prof. Dr. Julia S ETTINIERI , Universität Bielefeld, Deutsch als Zweit- und Fremdsprache, Universitätsstraße 25, 33615 B IELEFELD E-Mail: julia.settinieri@uni-bielefeld.de Arbeitsbereiche: Sprachdiagnostik, Ausspracheerwerb und -didaktik, Durchgängige Sprachbildung, Forschungsmethodologie Evaluative Reaktionen auf einen L2-Akzent aus Sicht von Sprecher*innen 47 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0018 zumeist der Hörer*innenperspektive und lassen dabei die Wirkungen eben solcher Evaluationen auf L2-Sprecher*innen weitgehend außer Acht. Die vorliegende Studie möchte daher beleuchten, wie L2-Sprecher*innen Reaktionen auf ihren Akzent in sozialen Interaktionen erleben. In welchen Situationen wird ein L2-Akzent von Interaktionspartner*innen auf welche Weise thematisiert? Und wie reagieren L2-Sprecher*innen ihrerseits darauf? Um diesen Fragen nachzugehen, werden acht (angehende) Studierende mit unterschiedlichem erstsprachigen Hintergrund interviewt. Die semi-strukturierten Interviews werden mittels qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet mit dem Ziel, einen Beitrag zur Modellierung der Rolle von L2-Akzenten in der Interaktion zu leisten. 2. Konzeptioneller Rahmen Die Aussprache von Lernenden ist ein komplexes Phänomen, das dynamisch interagierende segmentale und suprasegmentale Gewohnheiten umfasst, „that convey linguistic meaning along with social and situational affiliation“ (M OYER 2014: 11). Demnach handelt es sich bei der Aussprache nicht nur um eine kognitiv gesteuerte Fertigkeit; vielmehr ist sie auch Ausdruck der Beziehungen zwischen dem Individuum, seinem Umfeld, der Zielsprache und der kommunikativen Absicht. Zugleich ist die Aussprache ein Instrument, das von Hörer*innen genutzt wird, um Annahmen zu diversen sprecher*innenbezogenen Charakteristika aufzubauen, die u.a. „ethnicity, social status, enthusiasm, confidence, intelligence, academic success, and even their physical height“ (K ANG / R UBIN 2014: 241) umfassen können. Dieser Prozess, bei dem Hörer*innen Bewertungen von Sprecher*innen anhand deren individueller (Aus-) Sprache vornehmen, wird als linguistic stereotyping bezeichnet (ebd.). Heuristisch zu trennen ist die soziale Akzeptanz (impression of the speaker, personality traits) unterschiedlicher Ausspracheformen von ihrer objektiven (intelligibility) bzw. subjektiven (comprehensibility) Verständlichkeit und ihrer Akzentuiertheit (degree of foreign accent; vgl. M UNRO / D ERWING 1995; D ERWING / M UNRO 1997). Darüber hinaus ist zu beachten, dass in die Bewertung der sozialen Akzeptabilität auch Einstellungen zu mit dem Akzent assoziierten Herkunftsländern sowie individuelle Unterschiede zwischen Sprechstimmen (z.B. voice setting features) einfließen können. Zum Ausgangspunkt unserer Überlegungen zur sozialen Akzeptanz von L2-Aussprache haben wir Berichte über Interaktionen genommen, in denen ein Akzent in der interpersonalen Kommunikation offen thematisiert wird, was wiederum Reaktionen hervorruft. Diese evaluativen Reaktionen können sowohl externaler (verbaler, paraverbaler, non-verbaler) als auch internaler (emotionaler, kognitiver) Natur sein und sowohl auf Seiten der Sprecher*innen als auch der Hörer*innen bewusst oder unbewusst stattfinden. In der vorliegenden Untersuchung werden diese Interaktionserfahrungen und evaluativen Reaktionen aus der Sicht von L2-Sprecher*innen betrachtet und sind somit 48 Mareike Müller, Julia Settinieri DOI 10.2357/ FLuL-2020-0018 49 (2020) • Heft 2 als soziale Konstrukte zu verstehen, die die kontextgebundenen, idiosynkratischen und identitätsbezogenen subjektiven Theorien der Lernenden (vgl. B ARCELOS 2003; W OODS 2003), in der anglophonen Literatur als learner beliefs bezeichnet, widerspiegeln. Sie stellen keine Fakten dar, sondern sind vielmehr als Mittel zu interpretieren, mit dem Lernende ihre (Selbst-)Wahrnehmung ausdrücken und ihren Erfahrungen Sinn verleihen. 3. Forschungsüberblick Dass die soziale Evaluation, insbesondere das Prestige einer (Erst-)Sprache, Einfluss auf die Bewertung einzelner Sprecher*innen haben kann, zeigt die sehr bekannt gewordene Studie von L AMBERT et al. (1960). Kanadische Sprecher*innen in Montreal mit L1 Englisch bzw. Französisch bewerten vier Sprecher auf einer sechsstufigen Likert-Skala hinsichtlich unterschiedlicher Persönlichkeitsmerkmale (z.B. good looks, intelligence, character). Dabei werden sie nicht darüber aufgeklärt, dass sie bilinguale Sprecher einmal auf Englisch und einmal auf Französisch hören werden, sondern gehen vielmehr davon aus, acht verschiedene Sprecher, die zur Hälfte Englisch und zur Hälfte Französisch sprechen, zu hören (matched guise technique). Im Ergebnis zeigen die frankophonen Befragten eine Art Minderheitenreaktion (ebd.: 50-51), da sie die Sprecher der eigenen L1-Gruppe im Durchschnitt negativer bewerten als es die anglophonen tun. Dies wird mit dem geringeren sozialen Prestige der frankophonen Kanadier*innen im Verhältnis zu den anglophonen erklärt. In der Folge entstanden einige zunächst vor allem quantitative soziophonetische Studien im Bereich des L2-Erwerbs, die sich zumeist unterschiedlicher Varianten der beschriebenen matched guise technique bedienen und hörer*innenseitige Bewertungen von Aussprachevarianten erheben. Diese Studien können ebenfalls zeigen, dass unterschiedliche Akzente hinsichtlich ausgewählter Sprecher*innenmerkmale, die sich zusammenfassend entweder auf den Status von Sprecher*innen oder auf die mit ihnen wahrgenommene Solidarität beziehen (vgl. die Diskussion bei D OELEMANN 1998), tatsächlich unterschiedlich positiv bzw. negativ evaluiert werden. In diesem Zusammenhang konnte auch belegt werden, dass einzelne Akzentmerkmale dabei signifikant positiver bzw. negativer bewertet werden und dass einige dieser Merkmale als Schibboleth wirksam werden können (vgl. C UNNINGHAM -A NDERSSON 1997; S ETTINIERI 2011). Darüber hinaus spielen, wie auch bereits bei L AMBERT et al. (1960), soziopolitische Faktoren eine große Rolle bei der Bewertung der (Akzent-)Gruppen (vgl. D OELEMANN 1998; G ATBONTON / T ROFIMOVICH / M AGID 2005; L INDEMANN 2005; M C K ENZIE / G ILMORE 2017), aber auch die (Nicht-)Vertrautheit der Hörer*innen mit unterschiedlichen Akzenten sowie der Grad der Akzentuiertheit haben Einfluss auf deren Evaluation (vgl. G ATBONTON / T ROFIMOVICH / M AGID 2005; L INDE - MANN 2005; C OHRS 2007; H ENDRIKS / VAN MEURS / DE GROOT 2017). Viele dieser Studien kommen somit zu dem didaktischen Schluss, dass eine gezielte Reduktion bestimmter Akzentmerkmale die soziale Akzeptabilität einer L2-Aussprache verbes- Evaluative Reaktionen auf einen L2-Akzent aus Sicht von Sprecher*innen 49 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0018 sern könnte (vgl. D RETZKE 1987; C UNNINGHAM -A NDERSSON 1997; C OHRS 2007; S ETTINIERI 2011). Weiter liegen auch erste, zum Teil qualitativ ermittelte Forschungsergebnisse vor, die Perspektiven von L2-Sprecher*innen hinsichtlich der interaktionalen Auswirkungen ihrer Aussprache beleuchten. So zeigt D ERWING (2003) in einer Interviewstudie mit 100 ESL-Sprecher*innen in Kanada, dass diese ihren Akzent als wichtigen Faktor für das Erreichen von Akzeptanz in Interaktionen mit Muttersprachler*innen wahrnehmen. Sprecher*innen sogenannter visible minorities berichten dabei mit höherer Wahrscheinlichkeit (X 2 (1) = 4.36, p < .05), dass sie aufgrund ihres Akzents diskriminiert werden, was insgesamt ca. ein Drittel der Befragten angeben. Generell zeigen die Teilnehmenden dieser Studie kein Interesse daran, ihren Akzent aus identitätsbezogenen Gründen beibehalten zu wollen. Auf das Interview-Item If it were possible, I would pronounce English like a native speaker. reagieren 95% mit Zustimmung. In der introspektiven Analyse ihrer eigenen Lernerfahrung beschreibt auch M ARX (2002), wie sie als anglophone Kanadierin in Deutschland bewusst versucht, ihren Akzent in L2-Interaktionen gemäß ihrer angestrebten Selbstdarstellung und erhofften sozialen Evaluation zu modulieren. Während sie zu Beginn ihres Auslandsaufenthalts versucht, mit einem französischen Akzent beim Sprechen der L2 Deutsch über ihre vermeintlich amerikanische Herkunft hinwegzutäuschen, strebt sie später eine muttersprachliche L2-Aussprache an, um gar nicht als ‘Fremde’ aufzufallen (vgl. auch Ausführungen zum passing bei P ILLER 2002). Während D ERWING (2003) und M ARX (2002) somit eher ein Streben nach Assimilation skizzieren, können B ŁASZCZAK und Ż YGIS (2014) bei bilingual mit Polnisch und Deutsch in Deutschland aufwachsenden Jugendlichen an deutsch-polnischen Berliner Schulen beobachten, dass diese durchaus als polnischsprachig erkennbar sein möchten. So beantworten 65% der insgesamt 48 Befragten die Frage Wenn Du Deutsch akzentfrei sprechen könntest, würdest Du trotzdem durch Deine Aussprache zeigen, dass Du eine Polin/ ein Pole bist? mit ja. Auch wenn das n der Studie vergleichsweise klein ist und sicherlich auch Stichprobensowie Methodeneffekte in Betracht gezogen werden können, verweisen diese Ergebnisse doch darauf, dass es durchaus L2-Sprecher*innen gibt, die ihre Nichtmuttersprachlichkeit absichtlich in der Aussprache markieren. Somit kann davon ausgegangen werden, dass Sprecher*innen ein Bild von der sozialen Wirkung ihrer Aussprache haben und diese modulieren (style shifting), um bewusst oder unbewusst Aspekte sozialer Identität und Zugehörigkeit auszudrücken (vgl. auch B EEBE 1977; Z UENGLER 1982, 1988) oder zu verschleiern (vgl. auch R EGAN 1995). M ÜLLER (2016) zeigt zudem, dass die vermutete Wirkung der eigenen L2-Aussprache in Verbindung mit angestrebten Identitätskonstruktionen, subjektiven Theorien zur Rolle der Aussprache in Interaktionen und der Definition von Lernzielen beeinflusst, inwieweit sich Austauschstudierende auf Interaktionen und Lernangebote in der L2-Umgebung einlassen. Wie M ÜLLER und S CHMENK (2017) beobachten, orientieren sich Lernende in ihren subjektiven Theorien zur Akzeptabilität ihrer Aussprache mitunter stark am Konstrukt des/ der Muttersprachlers/ in. Entgegen der ein- 50 Mareike Müller, Julia Settinieri DOI 10.2357/ FLuL-2020-0018 49 (2020) • Heft 2 schlägigen Kritik am Nativeness-Diskurs (z.B. K RAMSCH 1997; C ANAGARAJAH 1999; C OOK 1999) erweist sich diese Orientierung aber nicht zwangsläufig als hinderlich für die Selbstwahrnehmung und Lernbzw. Interaktionsbereitschaft von Lernenden. Bisher von der Forschung weitgehend unberücksichtigt bleibt, inwieweit L2- Akzente in konkreten Interaktionen explizit oder implizit aus Sicht der L2-Sprecher*innen zum Tragen kommen und wie diese auf die Thematisierung ihres Akzentes reagieren. Da derartige Erlebnisse und wahrgenommene soziale Evaluationen jedoch vermutlich Konsequenzen auf das Selbstbild, das kommunikative Verhalten und die Lernbereitschaft der L2-Sprecher*innen haben, eröffnet sich hier ein bedeutsames Untersuchungsfeld, in dem die vorliegende Studie zu verorten ist. 4. Studie 4.1 Untersuchungsteilnehmende Befragt wurden sechs angehende Studierende, die sich in Intensivkursen an einer mittelgroßen deutschen Universität auf die Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang (DSH) vorbereiteten, sowie zwei internationale Studierende derselben Hochschule (vgl. Tab. 1). Für die Teilnahme an der Studie wurde zunächst nur in den DSH- Oberstufenkursen geworben. Um auch die stetig wachsende Gruppe der chinesischen Studierenden, von denen sich in den DSH-Kursen niemand gemeldet hatte, in der kontrastiv nach Erstsprache und Herkunftsregion zusammengestellten Stichprobe zu berücksichtigen, wurden darüber hinaus über einen WeChat-Verteiler zusätzlich zwei chinesische Studierende gewonnen. Beim Sampling wurde darauf geachtet, dass sich die Sprecher*innen zum Zeitpunkt des Gesprächs seit mindestens drei Monaten in Deutschland aufhielten, so dass sie bereits Interaktionserfahrungen sammeln konnten, und dass sie Deutsch mindestens auf B2-Niveau sprachen, da die Interviews durchgehend auf Deutsch durchgeführt wurden. Zum einen sollte so ermöglicht werden, gleichzeitig einen Einblick in die (quasi-)natürliche Aussprache der Befragten im Deutschen als L2 zu erhalten. Zum anderen wären eine Durchführung der Interviews in vier verschiedenen Sprachen sowie die erforderliche Übersetzung und Rückübersetzung (vgl. D AASE / H INRICHS / S ETTINIERI 2014: 115) forschungspragmatisch mit in Bezug auf den Forschungsgegenstand u.E. unverhältnismäßig hohem Aufwand verbunden gewesen. Evaluative Reaktionen auf einen L2-Akzent aus Sicht von Sprecher*innen 51 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0018 Sprecher*in (Datum) G A L1 HL L2 AO AIM LOR AIN LZ S1 (27.1.20) w 23 Fr Kamerun 1 (Eng) 12 22 8 1756 --- S2 (28.1.20) m 26 Ar Jordanien 1 (Eng) 23 24 11 1450 --- S3 (31.1.20) m 27 Fr Kamerun 1 (Eng) 20 27 10 1360 Afrika S4 (31.1.20) w 27 Ar Syrien 1 (Eng) 26 25 27 1000 --- S5 (3.2.20) m 22 Ukr, Rus Ukraine 5 (Fr, Eng, It, Pol, Ar) 22 22 6 500 --- S6 (4.2.20) m 27 Rus Weißrussland 3 (Eng, Ukr, Pol) 7 26 6 1344 --- S7 (27.2.20) m 23 Ch China 2 (Eng, Jap) 17 21 29 1504 China S8 (3.3.20) m 20 Ch China 2 (Eng, Kor) 18 20 7 1920 Japan Tab. 1: Sprachlernbiographische Merkmale der acht Interviewteilnehmenden S = Sprecher*in; G = Geschlecht; m = männlich; w = weiblich; A = Alter; L1 = Erstsprache(n): Fr = Französisch, Ar = Arabisch, Ukr = Ukrainisch, Rus = Russisch, Ch = Chinesisch, Eng = Englisch, It = Italienisch, Pol = Polnisch, Jap = Japanisch, Kor = Koreanisch; HL = Herkunftsland; L2 = Weitere Sprachen neben L1 und Deutsch; AO = age of onset; AIM = age of immersion (mind. 3 Monate in einem deutschsprachigen Land); LOR = length of residence in Deutschland in Monaten; AIN = amount of instruction in Stunden; LZ = Land, dem Sprecher*in eigenen Angaben zufolge von Gesprächspartner*innen in Deutschland am häufigsten zugeordnet wird 4.2 Datenerhebung und -auswertung Die Teilnehmenden dieser Studie wurden einmalig im Rahmen eines semi-strukturierten Interviews von einer monolingual mit der Erstsprache Deutsch in Deutschland aufgewachsenen, mitteleuropäisch aussehenden Interviewerin, die den Teilnehmenden zuvor nicht bekannt war, befragt. Die Gespräche wurden mittels Voice Recorder aufgezeichnet und variieren in der Länge von ca. 20 bis 50 Minuten. Die Befragung orientiert sich dabei an den Prinzipien des episodischen Interviews (F LICK 1996), das grundsätzlich davon ausgeht, „dass Erfahrungen der Subjekte hinsichtlich eines bestimmten Gegenstandsbereichs in Form narrativ-episodischen Wissens und in Form semantischen Wissens abgespeichert und erinnert werden“ (F LICK 2011: 238). Insofern kombiniert das episodische Interview das bereichsbezogene 52 Mareike Müller, Julia Settinieri DOI 10.2357/ FLuL-2020-0018 49 (2020) • Heft 2 Erzählen von Situationen mit „Argumentationen, die sich jeweils von solchen Kontexten zugunsten der Orientierung an dem daraus entstandenen begrifflichen und regelorientierten Wissen lösen“ (ebd.: 239). Neben der regelmäßigen Aufforderung zum Erzählen von Situationen wurden die Teilnehmenden somit auch mit zielgerichteten Fragen zu subjektiven Einschätzungen („subjektiven Definitionen“ bei ebd.: 241), abstrakten Zusammenhängen und Wünschen („Phantasien“ bei ebd.: 241) befragt. Abweichend von den Prinzipien des episodischen Interviews füllten die Teilnehmenden zum Ende des Gesprächs zudem einen sprachlernbiographischen Fragebogen aus. Um dem Datenmaterial einerseits mit der erforderlichen Offenheit (vgl. L AMNEK 2005: 518) zu begegnen und andererseits eine handhabbare Reduktion des Materials zu erreichen, wurde im Anschluss an die Transkription (weitestgehend nach CHAT- Konventionen; M AC W HINNEY 2020) eine qualitative strukturierende Inhaltsanalyse durchgeführt, die sich an M AYRING (2010) anlehnt. Nach einer ersten Sichtung des Materials wurden aus den theoretischen Vorüberlegungen gewonnene Forschungsfragen an die Einzelfälle herangetragen. Das Herausfiltern relevanter Inhalte aus den Interviews wurde durch die folgenden Hauptkategorien geleitet: evaluative Reaktionen von Interaktionspartner*innen auf einen L2-Akzent, Reaktionen von L2-Sprecher*innen auf eine Relevantsetzung ihres Akzents in der Interaktion, Bewertung von und Einstellungen zu unterschiedlichen Ausspracheformen sowie Mechanismen der Zuordnung zu einer Gruppe. Diese Hauptkategorien wurden jeweils durch Unterkategorien ausdifferenziert, die die Basis für die inhaltliche Strukturierung des Interviewmaterials bildeten. Das zunächst deduktive Vorgehen wurde zudem durch einen zweiten, datengeleiteten Schritt ergänzt, in dem die gebildeten Kategorien über die theoretischen Vorüberlegungen hinaus weiter ausdifferenziert wurden. 4.3 Ergebnisse Befragt nach Interaktionserfahrungen, bei denen ihr Akzent im Deutschen als L2 eine Rolle gespielt hat, beziehen sich die Sprecher*innen auf Situationen im öffentlichen (Arzt, Bank, Post, Ausländerbehörde), beruflichen (Jobcenter, Arbeit, Vorstellungsgespräch) und Bildungsbereich (mündliche Prüfung). Die Mechanismen der Zuordnung zu einer Gruppe, evaluative Reaktionen von Muttersprachler*innen auf einen L2-Akzent sowie die Reaktionen der Sprecher*innen ihrerseits, ergänzt durch Bewertungen eines muttersprachlichen Akzents sowie durch Strategien zur Erhöhung der sozialen Akzeptanz, werden im Folgenden unter Rückgriff auf Datenbeispiele genauer erläutert und am Ende dieses Abschnittes in Abb. 1 (S. 58) zusammengefasst. Wenn Teilnehmende von einer Gruppenzuordnung ihrer Person auf der Basis von Aussprache berichten, so handelt es sich hierbei um sprachlich-geografische Zuordnungen oder aber die gesellschaftliche Klassifikation als Nicht-Deutsche, die aus ihrer Sicht eine zunächst orientierende und keine wertende Funktion zu besitzen scheint. Während die Teilnehmenden aus Kamerun von Situationen berichten, in denen sie auf der Basis ihres Akzentes der L1 Französisch oder ihrem Herkunftsland korrekt zuge- Evaluative Reaktionen auf einen L2-Akzent aus Sicht von Sprecher*innen 53 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0018 ordnet wurden, erklären andere Teilnehmende, dass ihr Akzent bei der erlebten geografischen Zuordnung nur eine untergeordnete bzw. gar keine Rolle gespielt hat. Beide chinesischen Sprecher und die syrische Teilnehmerin sind der Auffassung, dass ihr äußeres Erscheinungsbild in persönlichen Interaktionen bzw. das Nennen ihres Namens bei Telefonaten die Zuordnung stärker bestimmt als ihr Akzent, auch wenn sich die Gesprächspartner*innen hinsichtlich des Herkunftslandes mitunter irren. Gleichzeitig gibt es aber auch Teilnehmende, die in ihren Interaktionen zwar eine Klassifizierung als Ausländer*in bzw. eine Zuordnung zu geografischen Regionen aufgrund ihrer Aussprache vermuten, allerdings feststellen: „[…] ich habe nie so eine (.) eh: Erfahrung gehabt, (.) wo man könnte: kla: r fühlen, […] dass das Verhalten ist verändert, nach ich eh: sprechen begonnen habe“ (S5) und somit keine weiteren Reaktionen wahrnahmen. Zu dieser Gruppe gehören insbesondere die Sprecher aus der Ukraine und Weißrussland. Die häufig erlebte Zuordnung als Nicht-Deutsche wird im Rahmen der hier vorliegenden Narrationen von den Teilnehmenden gleichwohl zumeist als vorteilhaft präsentiert. So berichten jeweils beide kamerunische und chinesische Sprecher*innen von Situationen, in denen diese Zuordnung den Effekt hatte, dass sie für ihre sprachlichen Kompetenzen von Muttersprachler*innen gelobt wurden und diese entweder ihre Aufenthaltsdauer in Deutschland überschätzten oder positive bildungsbzw. berufsbezogene Zuschreibungen vornahmen (1). (1) S8: Wenn ich eh die [/ ] die Deutschen kennengelernt, sagen sie immer mir ehm „Du [/ ] du sprichst so gut Deutsch“ und ehm „Du eh [/ ] du musst viele Jahre gelernt“ ehm (.) und „Was [/ ] was möchtest du später werden, ein Deutschlehrer oder etwas? “ Als bedeutsam im Rahmen positiver Evaluation erscheint mehreren Teilnehmenden das Erreichen oder Überschreiten einer bestimmten Erwartungsschwelle, die sie auf Seiten der Muttersprachler*innen annehmen. Hierbei kann es sich um das (relativ mühelose) Erreichen von Verständlichkeit oder von einem eher vage formulierten Sprachniveau handeln, das als Voraussetzung für ihre Akzeptanz in der deutschen Gesellschaft und für kooperatives Verhalten der Muttersprachler*innen konstruiert wird (2). (2) S7: Naja ich glaube, […] die allermeiste Deutsche in Deutschland sind nett also ehm. Ich bin und bleibe ein Ausländer. Aber ich glaube, solange so eine Ausländer gut […] Deutsch sprechen kann, ist es […] für die Gesellschaft akzeptabel. Es [/ ] es macht keinen Unterschied, […] ob dieser Mann eh Deutscher oder Chinesisch, oder […] welche […] Nationalität hat, solange ehm dieser Mann gut Deutsch sprechen kann, eh ist auch kein Problem. Demnach scheinen personenbezogene Bewertungen in der Wahrnehmung der Teilnehmenden eine eher orientierende Funktion zu besitzen, die es Gesprächspartner*innen erlaubt, das Gegenüber sprachlich, geografisch oder gesellschaftlich zuzuordnen. Im Falle daran anschließender positiver Evaluationen berichten die Teilnehmenden, dass die empfundene Aufwertung lern- und personenbezogener Aspekte und erhöhte gesellschaftliche Akzeptanz wichtige Vorteile mit sich bringen. Sie rea- 54 Mareike Müller, Julia Settinieri DOI 10.2357/ FLuL-2020-0018 49 (2020) • Heft 2 gieren auf derartige Evaluationen nicht nur bereitwillig mit Informationen über ihre Lernbiografie, sondern oft auch mit erhöhter Lernmotivation, leichterem Verkraften von Misserfolgen beim Deutschlernen und Reduktion von Angst in Interaktionen mit Muttersprachler*innen (3). (3) S3: Und also ich habe verstanden, ehm das war eine [/ / ] ein Lob. […] Ich habe nur „Dankeschön“ gesagt. […] Ich sagte immer „ah, Deutsch schwer, schwer“ aber diese Dame […] das war für mich gut […] und also ich war so zufrieden, und ich habe gesagt also „ich muss weiter, ja, ich muss weiter“. Egal, ob ich ein schlechte Tag habe oder [/ ] oder etwas nicht gut mache, oder vielleicht eine Übung (.) nicht gut löst, also, egal, also ich muss […] mich entspannen, ja. Neben positiven Reaktionen der Gesprächspartner*innen kommt es auch zu korrektivem Feedback, zur Aufforderung zur Verbesserung bestimmter Ausspracheelemente sowie zur Bitte um Wiederholung. Diese Reparaturinitiierungen werden erwartungsgemäß einerseits von Lehrkräften im Unterrichtskontext ausgeübt, andererseits aber auch von außerunterrichtlichen Gesprächspartner*innen. Trotz ihrer an sich kritisierenden Kernbotschaft werden diese Maßnahmen von den Teilnehmenden zumeist als reine Reaktionen auf das Sprachsignal und dessen Verständlichkeit, nicht aber als Bewertungen ihrer Persönlichkeit dargestellt (4). (4) S3: Manche sagen immer, […] ich muss noch gut, ja, die Aussprache ja formulieren. […] Ich habe mich mit einem Deutsche und ja unterhalten […]. Am Ende hat […] er mir gesagt, dass ich muss ein bisschen also in meine Betonung, meine Aussprache ein bisschen achten. […] Weil (.) w: enn ich [/ ] ich spreche, ja, so er immer, immer viel, also soll sich viel konzentrierten ja, weil er sagt, mein Aussprache ist noch nicht gut. Einige Teilnehmende berichten dabei, gerade auf korrektives Feedback mit hoher Kooperations- und Lernbereitschaft zu reagieren (5). Dieser Schritt erscheint v.a. deshalb möglich, weil diese Form von Kritik eben nicht als Bewertung der eigenen Person verstanden wird. (5) S3: Der Vorwurf war ein bisschen positiv, nicht negativ, ja […] das ist normal, weil ich […] mein Studium au(f) ja auf Deutsch lernen möchte […] und der Mann hat total Recht, und ich habe das gut genommen und ja. Int: Hmm also wie hast du reagiert, als er das gesagt hat? S3: Sehr gut. Ich hab nur gesagt “Dankeschön, ich habe verstanden” […] ich finde das gut, wenn zum Beispiel bei [/ ] bei eine Diskussion, ehm wenn ich ein Fehler mache, […] den Vorwurf, wenn du sag, also, du hast etwas, das da, das falsch gemacht, und es wäre besser, ehm also das zu zeigen […] ich finde das gut. Nur wenige Sprecher*innen berichten von Situationen, in denen sie die Reaktion der Gesprächspartner*innen als grundsätzlich negativ empfunden haben. Bei Sprecherin S1 kam es kurz nach ihrer Ankunft in Deutschland zu einer Interaktion mit Kindern, bei der ihre Kritik am Verhalten der Kinder von diesen mit Nichtverstehen aufgrund ihrer vermeintlich falschen Aussprache quittiert wurde. Die Sprecherin versuchte ihrerseits zwar mit Reparaturmaßnahmen entgegenzuwirken, reagierte jedoch innerlich frustriert (6). Evaluative Reaktionen auf einen L2-Akzent aus Sicht von Sprecher*innen 55 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0018 (6) S1: Ich war noch neu in Deutschland und […] ich hatte Angst beim Sprechen ja und wollte gar nix sagen. &=lachen Aber im Zug habe ich eh zwei Kinder gefunden und sie haben ihren Füße im Stuhl gesitzen und ich wollte ihnen sagen „Hallo, das ist nicht gut“ und ich habe gesprochen und sie hatten so „Ha: llo, was hast du gesagt? “ und si(e) sie haben mit ihre Freundinnen […] quatschen „was sagt sie? “ &=lachen und ich habe gedacht, vielleicht habe ich falsch eh ausgesprochen. […] Ich habe verstanden, dass sie haben nix verstanden, und ich hatte nochmal versucht, aber dieses Mal habe ich langsam und deutlich gesagt, und sie haben gesagt „Oh“ ja und ich war immer frustriert, ich wollte nicht mehr sprechen. Neben dieser Situation, in der das Gefühl, nicht verständlich zu sprechen, zu Selbstzweifeln und Frustration führte, berichtet die Sprecherin von einer weiteren Situation, in der es auf Basis eines Telefonats zu einer inkorrekten Zuordnung ihrer Person kam, was bei persönlichem Kennenlernen letztendlich Enttäuschung und eine abwertende Haltung auf Seiten der Gesprächspartnerin auslöste (7). (7) S1: Manche Leute machen so (.) also, nach diesem ehm Erkennen, das heißt ehm, du gehörst zu dieser Nationalität. […] Ich bin einmal beim eine Restaurant zur Vorstellungsge: spräch […] gegangen, und beim Telefonat hab ich versucht, wie eine Deutsche zu sprechen. &=lachen […] Ja, und wenn ich da war, und sie war enttäuscht, wenn sie hat mir gesehen, vielleicht dachte sie, das [/ ] das ist eine Deutsche […] ja und wenn wir anfangen zu sprechen, dann hab ich bemerkt, oh, diese Job kann ich das nicht machen, denn sie hat schon etwas eh in seinem Kopf. Während die Sprecherin, deren Akzent häufig als Französisch erkannt wird, am Telefon versuchte, ihre Herkunft zu verschleiern und sich als Deutsche zu präsentieren, nahm sie im persönlichen Gespräch wahr, dass das Aufdecken ihrer Herkunft bzw. die nun stattfindende Korrektur ihrer geografischen Zuordnung in einer Bewertung ihrer Person als nicht geeignet für diesen Job resultierte. In dieser Situation rückt also das überwiegend als akzeptanzfördernd bewertete Kriterium der Verständlichkeit in den Hintergrund und die sonst eher als orientierend fungierenden geografisch-gesellschaftlichen Zuordnungen führen aus Sicht der Sprecherin zu einer Abwertung ihrer Person, wobei offen bleibt, ob sie diese Evaluation eher auf ihre (Aus-)Sprache und/ oder ihr äußeres Erscheinungsbild zurückführt. Negative Evaluationen der Aussprache, wie sie z.B. Sprecherin S1 berichtet, können Gefühle der Frustration, Angst und Demotivation verursachen. Während bei Sprecherin S1 das Nichterreichen von Verstehen aufgrund ihrer Aussprache zumindest zeitweilig ihre Kommunikationsbereitschaft verringerte (6), berichtet Sprecher S2 von einer Situation, in der er aufgrund des Nichtverstehens seines Gesprächspartners eine bildungsbezogene Abwertung seiner Person befürchtete und dementsprechend mit Scham reagierte (8). (8) S2: Ich bin in Deutschland seit 10 Monaten und wenn ich eh mein Konto im dem Bank geöffnet möchte, ehm ich sage „ich möchte Bank [: : Bankkonto] öffnen“ […] Der Bestätigte [: : Beschäftigte] sagt mir „Kann ich noch einmal wiederholen? “, weil meine Aussprache nicht sehr gut war. Sie konnte nicht sehr gut hören. Int: Okay, wie hast du dich in der Situation gefühlt? 56 Mareike Müller, Julia Settinieri DOI 10.2357/ FLuL-2020-0018 49 (2020) • Heft 2 S2: Schlecht […] ja, schlecht […] mein Gesicht eh &=lachen wird rot sein und ich hasse dieses Gefühl, weil ich fühle mich eh ungebildet. Zugleich zeigt Sprecher S2 eine hohe Bereitschaft, dieser potentiellen Evaluation strategisch entgegenzuwirken, um seine soziale Akzeptanz trotz der Ausspracheschwierigkeiten zu erhöhen und somit aktiv die Wahrnehmung und Bewertung seiner Person zu beeinflussen. Neben seiner Lernbereitschaft betont er sowohl seinen Status als Student als Gegenmaßnahme zum Gefühl des Ungebildetseins als auch seine erst kurze Aufenthaltsdauer in Deutschland in Kombination mit seiner Position als Sprachlernender (9). (9) S2: Ich habe ihnen gesagt „ich bin Student, ich bin neuer Student […]“ […] Ich spreche deutsche Sprache, aber nicht eh (.) wie die Deutsche. Ich lerne nur. […] Manchmal, wenn ich mit den anderen treffe, […] ich sage eh (.) „ich bin nicht eh (.) perfekt Sprecher, aber ich lerne“ und im Laufe der Zeit hoffe ich, dass meine deutsche Sprache zu verbessern. Alle Teilnehmenden erleben bzw. vermuten nicht nur Bewertungen ihrer Aussprache durch Gesprächspartner*innen, sondern evaluieren auch ihrerseits die Aussprache anderer Sprecher*innen. Hinsichtlich der Bewertung deutscher Muttersprachler*innen fällt auf, dass die Teilnehmenden - ähnlich wie bei den erlebten Evaluationen - keine Zuschreibungen bezüglich der Persönlichkeitsmerkmale der Sprechenden vornehmen, sondern eher die Qualität des Sprachsignals bewerten. Häufig nehmen die Sprecher*innen dabei Bezug auf ihre eigene Fähigkeit, Muttersprachler*innen verstehen zu können, wobei sie vor allem die Sprechgeschwindigkeit als problematisch empfinden, ohne jedoch die positive Bewertung einer muttersprachlichen Aussprache grundsätzlich in Frage zu stellen (10). (10) S3: Ja, also dies(e) ihre Aussprache sind gut, sehr gut. […] Das klingt ehm für mich […] ja, das klingt gut. […] Aber am schwierigsten ist, dass sie ein bisschen schnell […] ja sprechen. Einige Teilnehmende verbinden ihre positive Bewertung der deutschen Aussprache zudem mit individuellen, regionalen und registerbezogenen Variationen, denen sie in ihrem Alltag begegnen. Variation wird dabei als natürliches Phänomen beschrieben (11), das einerseits als Lernhilfe im Bereich Hörverstehen und Ausspracheimitation dienen kann, andererseits aber auch das Verstehen erschweren kann, wenn es zu alltagssprachlichen Reduktionen und Elisionen kommt (vgl. auch R ICHTER 2008 zur Überartikulation von Nichtmuttersprachler*innen im Deutschen). Wie (11) außerdem zeigt, wird die Normalannahme individueller Variation auch zur Relativierung der eigenen Ausspracheabweichungen angeführt. (11) S7: Meine Aussprache muss nicht unbedingt mit anderen eh übereinstimmen. […] Also selbst bei Deutschen gibt es auch eh: Unterschied zwischen Aussprachen. Zum Beispiel, manche sagen Universi<tet> [! ], und manche sagen Universi<tät> [! ]. Manche sagen Übun<g> [! ], also ohne K am Ende, manche Übun<k> [! ]. Int: Und ehm wie wirkt das auf dich? Evaluative Reaktionen auf einen L2-Akzent aus Sicht von Sprecher*innen 57 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0018 S7: Eh: das ist doch normal &=lachen oder? Also, Mann aus [/ ] aus verschiedenen Regionen haben seinen […] eigenen Dialekt sozusagen. Eh das ist eh vollkommen in Ordnung. Dass dabei nicht nur Ausspracheabweichungen an sich zu relativieren sind, sondern auch die gesellschaftliche Rolle von Muttersprachler*innen als Sprachvorbild kein personengebundenes, unverrückbares Konstrukt darstellt, zeigen die weiteren Reflexionen des Sprechers S7. In Situationen, in denen deutsche Muttersprachler*innen selbst zu L2-Sprecher*innen werden, können sich Kompetenzen und aussprachebezogene Vorteile verschieben, sodass deutsche Muttersprachler*innen mitunter ebenfalls an „Grenzen“ (12) stoßen und sich gegenüber Sprecher*innen anderer Erstsprachen, in diesem Fall Chinesisch, im Nachteil befinden. (12) S7: Also eh es könnte sein, dass Menschen mit verschiedenen eh Hintergründen, zum Beispiel ich [/ ] ich bin eh ein chinesischer Muttersprachler und [x 3] Menschen mit verschiedenen […] Hintergründen, also […] bestimmte eh Grenzen haben, zum Beispiel für deutsche Muttersprachler dann ist es eh schwierig eh level [= lɛvəɫ] normal zu sagen. Man sagt immer level [= lɛvɛl], people [= pipɛl] und sowas. Ein paralleles Beispiel dazu findet sich auch bei Teilnehmer S6, der humorvoll feststellt, dass er nicht nur so manche Nichtmuttersprachler*innen des Deutschen schwer verständlich findet, sondern manchmal auch deutsche Muttersprachler*innen nicht verstehen kann. Somit können die Sprecher*innen, die selbst Bewertungen als Nicht- Deutsche erleben, auf Basis aussprachebezogener Reflexionen herausarbeiten, dass die Hierarchien zwischen Muttersprachler*innen und Nichtmuttersprachler*innen keine inhärenten Merkmale einer Person, sondern vielmehr fluide und kontextabhängige Konstrukte sind. 58 Mareike Müller, Julia Settinieri DOI 10.2357/ FLuL-2020-0018 49 (2020) • Heft 2 L1-Sprecher*in L2-Sprecher*in ordnet L2-Sprecher*in auf Grundlage von • Akzent (Schibboleth) • Aussehen • Name (z.B. Nennung am Telefon) • expliziter Thematisierung zu Beginn der Interaktion zu Gruppen nach: • Nicht-Deutsche*r • L1 • Region/ Land Evaluation Reaktion evaluiert L1-Sprecher*in im Allgemeinen • als positiv • trotz (zu) hoher Sprechgeschwindigkeit, Elisionen, Reduktionen • als (auch) nicht immer deutlich/ verständlich unter der Grundannahme: • individuelle Variation = „Normalfall“ auf Aussprache von L2- Sprecher*in: a) keine b) bei positiver Evaluation: Staunen, Lob, Fragen nach Aufenthaltsdauer/ Lernzeit, Berufsziel (V ERSTÄNDLICHKEITSSCHWELLE ) c) Reparaturinitiierung: Bitte um Wiederholung, Aufforderung zur Verbesserung der Aussprache, Korrektur d) bei negativer Evaluation: Nichtverstehen, Enttäuschung bei Verständlichkeit kein Problem will grundsätzlich Sprachkompetenz verbessern Strategien zur Erhöhung der sozialen Akzeptanz: Betonung von Status, Lerndauer, Engagement auf Bewertung von L1-Sprecher*in: a) keine b) bei positiver Evaluation: Entspannung, Ermutigung, erhöhte Lernmotivation, Reduktion von Angst, Auskunft über Lernzeit/ Aufenthaltsdauer, Dank, Bescheidenheit c) Reparaturbemühung: Verständnis für die Reaktion, Wille zu lernen, deutliche und langsame Wiederholung d) bei negativer Evaluation: Angst, Anspannung, Scham, Gefühl des Ungebildetseins, Selbstzweifel, Frustration, Demotivation Abb. 1: Evaluationen von Aussprache und resultierende Reaktionen zwischen L1- und L2-Sprecher*innen 5. Diskussion Grundsätzlich lässt sich bzgl. der oben beschriebenen interaktionsbasierten Evaluationen feststellen, dass die Aussprache, neben anderen Faktoren, aus Sicht der Teilnehmenden dazu dient, die sprachlich-geografische Herkunft und gesellschaftliche Evaluative Reaktionen auf einen L2-Akzent aus Sicht von Sprecher*innen 59 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0018 Position als Nicht-Deutsche zu identifizieren, was (im Unterschied zu D ERWING 2003) in den meisten Fällen nicht als Auf- oder Abwertung ihrer Person dargestellt wird, sondern vielmehr als Teil des Erkennungs- und Orientierungsprozesses seitens der Gesprächspartner*innen. Neben diesen Faktoren scheint sprecher*innenseitig nur ein weiterer Evaluationsbereich von besonderer Relevanz zu sein, nämlich Bildungsgrad bzw. berufliche Qualifikation (d.h. der soziale Status; D OELEMANN 1998), was sich auch in den relevant gesetzten Interaktionssituationen widerspiegelt. Vor allem in diesem Bereich nehmen Lernende positive bzw. negative Evaluationen ihrer Person wahr, was eine Einschränkung im Vergleich zu verschiedenen hörer*innenseitigen Studien darstellt, die wertende Evaluationen auf der Basis vielfältiger status- und solidaritätsbezogener und sogar soziopolitischer Faktoren belegen (z.B. L AMBERT et al. 1960; D OELEMANN 1998; C UNNINGHAM -A NDERSSON 1997; L INDEMANN 2005; S ETTINIERI 2011). Nur eine Sprecherin, die wie in D ERWING s (2003) Untersuchung einer visible minority zugerechnet werden kann, berichtete auf dieser Basis von einer tatsächlichen Form der Diskriminierung (7). Somit wird auch die als unumgänglich angenommene, erlebte und akzeptierte Klassifizierung als Nichtmuttersprachler*in nicht automatisch als negativ dargestellt. Ähnlich wie bei M ÜLLER / S CHMENK (2017) greifen die Lernenden nicht nur häufig auf das Konstrukt des native speaker zurück, sondern konstruieren diese Rollen sogar als vorteilhafte Grundlage für positive Evaluationen ihrer sprachlichen Lernerfolge, die wiederum als Basis für ihre Akzeptanz in der Gesellschaft gesehen werden (vgl. auch D ERWING 2003 zur Rolle der Aussprache bei der Generierung gesellschaftlicher Akzeptanz). Das explizite Thematisieren eines Akzents und eine daran gekoppelte positive Evaluation durch muttersprachliche Interaktionspartner*innen scheinen dabei eine Art Katalysatorfunktion zu erfüllen, deren Folge Entspannung und Ermutigung auf Seiten der Nichtmuttersprachler*innen sind. Als Voraussetzung einer positiven Evaluation wird das Überschreiten einer gewissen Verständlichkeitsschwelle angesehen, die somit nicht mit dem native speaker als idealem Lernziel verbunden ist, sondern vielmehr mit dem Konzept der intelligibility/ comprehensibility (vgl. M ÜLLER 2016; M ÜLLER / S CHMENK 2017). Dabei brechen die Sprecher*innen hierarchische Rollenmuster und Sprachnormen mittels eigener Evaluationen der muttersprachlichen Aussprache auf und konstruieren Variation als Teil der Individualität eines jeden Sprechenden. Diese Sichtweise scheint sich durchaus lern- und identitätsfördernd auszuwirken, indem sie nicht nur die Lernmotivation und das Verkraften von Misserfolgen begünstigt, sondern auch als Schutzmechanismus vor potentiellen Abwertungen dient. Folglich werden selbst Reparaturinitiierungen der muttersprachlichen Interaktionspartner*innen, die im Kern eine Kritik darstellen, und mitunter sogar das Signalisieren von Nichtverstehen oftmals (wenngleich nicht immer) als reine Bewertungen der Verständlichkeit interpretiert und nicht auf die eigene Persönlichkeit bezogen. Das Streben nach (einer Erhöhung der) Verständlichkeit ist allerdings nicht, wie bei B ŁASZCZAK und Ż YGIS (2014), mit dem Wunsch verbunden, die eigene Herkunft oder den Status als Nichtmuttersprachler*in gezielt durch die Aussprache zu markie- 60 Mareike Müller, Julia Settinieri DOI 10.2357/ FLuL-2020-0018 49 (2020) • Heft 2 ren. Vielmehr nehmen viele Sprecher*innen die Rolle der Aussprache hierbei als nur sekundär wahr, da ihr äußeres Erscheinungsbild und/ oder das Nennen ihres Namens aus ihrer Sicht primär die Herkunft offenlegen (Faktoren, die bei B ŁASZCZAK und Ż YGIS ‘ polnisch-stämmigen Teilnehmenden möglicherweise weniger stark ausgeprägt waren, sodass hier der Aussprache als Herkunftsindikator eine bedeutendere Rolle zugeteilt wurde). Folglich berichtete auch nur eine Sprecherin von dem Versuch, ihre Herkunft (am Telefon) zu verschleiern und sich als Deutsche auszugeben (vgl. M ARX 2002). Deutlich häufigere Strategien zur Erhöhung der sozialen Akzeptanz basierten wiederum auf dem Status als Nichtmuttersprachler*in, genauer gesagt als engagiert Lernende*r. Somit kann insgesamt festgestellt werden, dass Lernende eine Reihe von interaktionalen und interpretativen Strategien einsetzen, die die Effekte positiver Evaluationen ihrer Aussprache und Person verstärken und negativen Evaluationen entgegenwirken. Limitationen der Ergebnisse dieser Studie ergeben sich allerdings daraus, dass die Interviewpartner*innen zum einen aus einer vergleichsweise kleinen, homogenen und sehr bildungserfolgreichen Gruppe rekrutiert wurden. Untersuchungen mit Teilnehmenden aus bildungsfernen und sozioökonomisch niedrigeren Statusgruppen könnten hier möglicherweise zu ganz anderen Ergebnissen kommen. Einfluss auf die Ergebnisse haben darüber hinaus das Sprachniveau der Befragten sowie der Umfang ihrer Interaktionserfahrungen mit Muttersprachler*innen genommen. Selbst auf B2-/ C1- Niveau ist es den Sprecher*innen ganz unterschiedlich leichtbzw. schwergefallen, zu den Interviewfragen Stellung zu nehmen. Trotz des deutlich höheren Aufwands sollten Folgestudien hier idealerweise in der Erstsprache befragen. Und auch wenn die Teilnehmer*innen zum Zeitpunkt der Datenerhebung seit mindestens drei Monaten in Deutschland lebten, verfügten sie teilweise aufgrund der starken Konzentration ihres Lebens auf den Sprachkurs über relativ wenig Interaktionserfahrung außerhalb des Deutschkurses. Hier wäre sicherlich interessant, Sprecher*innen zu befragen, die bereits arbeiten und dadurch regelmäßig verschiedene Kontaktmöglichkeiten mit Muttersprachler*innen haben. Zudem ist auch davon auszugehen, dass die Interviewsituation Einfluss auf die Ergebnisse genommen hat, da diese die oft erwähnte Konstellation zwischen Muttersprachler*innen und Nichtmuttersprachler*innen widerspiegelte. Dies könnte z.B. beeinflusst haben, inwieweit die Teilnehmenden Einblicke in ihre emotionalen Reaktionen zuließen bzw. diese gesichtswahrend verbargen. Im Rahmen qualitativer Forschung wird jedoch der Einfluss von Subjektivität, und darüber hinaus des Untersuchungskontextes, aufgefasst als „inevitable engagement with the world in which meanings and realities are constructed (not just discovered) and in which the researcher is very much present“ (D UFF 2008: 56). Während diese Effekte somit unvermeidbar sind, ist es dennoch wichtig, ihren Einfluss auf die Ergebnisse zu bedenken. Evaluative Reaktionen auf einen L2-Akzent aus Sicht von Sprecher*innen 61 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0018 6. Schlussfolgerungen Insgesamt zeichnet die vorliegende sprecher*innenseitig ausgerichtete Studie im Vergleich zu vorherigen Studien im Feld ein deutlich positiveres Bild der interaktionalen Auswirkungen eines L2-Akzents. Dies mag zum Teil allerdings auch an der überdurchschnittlich bildungserfolgreichen Gruppe der Befragten liegen, die einen sehr konstruktiven Umgang mit ihrer Mehrsprachigkeit gefunden haben. Nichtsdestotrotz unterstreichen ihre Aussagen einige bereits bekannte Zusammenhänge, wie bspw. die zentrale Rolle der Verständlichkeit oder die Orientierungsfunktion eines Akzents. Darüber hinaus geben sie Einblick in eine Reihe erfolgreicher Coping-Strategien und weisen möglicherweise auch darauf hin, dass ein L2-Akzent in einer zunehmend globalisierten Gesellschaft zumindest in bildungserfolgreichen, sozioökonomisch starken Gruppen deutlich weniger stigmatisierend wirkt, als dies den einschlägigen Studien zufolge noch vor einigen Jahrzehnten der Fall war. Gleichzeitig lassen sich durchaus komplexe Dynamiken beobachten, die insbesondere im Falle von Telefonaten oder in berufsbezogener Interaktion entstehen bzw. im Falle von Interaktionen mit für Sprechende gewichtigen persönlichen Konsequenzen (z.B. Bankgespräche). Insofern stimmen wir Moyer zu, die angesichts der Faktorenkomplexion soziophonetischer Forschung festhält: „[I]n trying to understand how all of this affects communicative dynamics, we have barely scratched the surface, research-wise. Too much is assumed, and too little verified, when it comes to the factors that guide actual communicative behaviors“ (M OYER 2013: 172). Literatur B ARCELOS , Ana Maria Ferreira (2003): „Researching beliefs about SLA: A critical review“. In: K ALAJA , Paula / B ARCELOS , Ana Maria Ferreira (Hrsg.): Beliefs about SLA: New Research Approaches. Dordrecht: Kluwer Academic, 7-33. B EEBE , Leslie M. (1977): „The influence of the listener on code-switching“. In: Language Learning 27, 331-339. 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The following article draws on findings from the field of Embodied Cognition and Embodied Learning, thus bringing together evidence from neuroscience and didactics. It outlines the interaction between body and mind in learning and describes relevant sensor and motor processes involved in listening and speaking (brain activation). The article raises the question if, based on the current body of knowledge in the afore-mentioned field of research, it is reasonable to assume that the integration of body-movements can support and enrich pronunciation practice in foreign language classrooms. By way of example, the text proposes movement-based pronunciation activities inspired by Performative Didactics in order to illustrate the concept of Embodied Pronunciation Practice. 1. Einleitung Aussprache ist ein „zentraler Baustein kommunikativer Kompetenz“ (D OFF 2017: 11), wobei „Ausspracheabweichungen […] das Verstehen und Verstandenwerden oft stärker [beeinträchtigen] als Grammatik- oder Lexikfehler“ (D AHMEN / H IRSCHFELD 2016: 3). Ein Vernachlässigen dieses Bereichs im Fremdsprachenunterricht bzw. die ab der kommunikativen Wende vielfach propagierte Annahme, die Aussprache entwickle sich von selbst, wenn die Fremdsprache in ausreichendem Maße präsent sei (vgl. B OYE 2019: 85), ist nicht zielführend genug für das Fremdsprachenlernen in institutionellen Kontexten. Was aber ist zielführend? Die Relevanz, sich der Aussprache im Fremdsprachenunterricht anzunehmen, ist erkannt und mehr oder weniger neue Verfahren, z.B. bewusstmachende Verfahren oder der Einsatz von Spracherkennung (vgl. K ANG ET AL . 2018) sind entwickelt worden. Die empirische Erforschung und die fremdsprachendidaktische Evaluation derselben sind in vielen Fällen jedoch noch nicht abgeschlossen bzw. stehen noch aus. Es gibt gleichwohl, teilweise außerhalb der Fremdsprachendidaktik, bereits vorliegende empirische Befunde, auf die zurückgegriffen werden kann und die als Ausgangsbasis für die Generierung weiterer - auch spezifisch fremdsprachendidaktischer - Evidenz zur Aussprache nutzbar gemacht werden können. Einen vielverspre- * Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Michaela S AMBANIS , Freie Universität Berlin, Institut für Englische Philologie, Habelschwerdter Allee 45, 14195 Berlin E-Mail: sambanis@zedat.fu-berlin.de Arbeitsbereiche: Didaktik und Neurowissenschaften; Lehrkräftebildung; Performative Didaktik Embodied Learning im Kontext von Aussprache - State of the Art 65 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0019 chenden Ansatzpunkt bildet die Embodied Cognition, deren seit einigen Jahren aktiv betriebene Erforschung zunächst vor allem in den Neurowissenschaften und der Psychologie erfolgte. Mittlerweile befassen sich auch unterschiedliche Didaktiken mit der sogenannten Body-Mind-Interaction, wobei empirisch erforscht wird, wie Geist und Körper, insbesondere in Form von Bewegung beim Lernen, zusammenwirken (für einen ausführlichen Überblick vgl. A RNDT / S AMBANIS 2017: 129-142 kompakt in S AMBANIS / W ALTER 2019: 7-17). In der Didaktik spricht man auch von Embodied Learning: Darunter werden Ansätze zusammengefasst, die die enge Interaktion von Körper und Geist berücksichtigen und fürs Lernen nutzen, denn Gehirn und Körper bilden eine funktionale Einheit. Dafür finden sich in neuen Forschungsarbeiten zunehmend Belege (vgl. K IEFER 2018a, 2018b; A NDRÄ / M ACEDONIA 2020). Embodied Learning kann grundsätzlich verschiedene Arten der Verkörperung durch Beteiligung bzw. Enhancement sensorischer und motorischer Prozesse beim Lernen bezeichnen, am einfachsten umzusetzen ist Embodiment jedoch durch den Einbezug von Bewegungen beim Lernen; und auf die Steigerung bestimmter kognitiver Prozesse durch Bewegung konzentriert sich auch die Forschung (Forschungsüberblick in A RNDT / S AMBANIS 2017: 129-142). Daneben gibt es einzelne Befunde zur sensorischen Koppelung von Inhalten bzw. von Lernereignissen z.B. mit Düften, in der Regel Rosenduft, und einer Unterstützung von Konsolidierungsprozessen durch erneute Duftexposition während nachfolgender Tiefschlafphasen (vgl. D IEKELMANN 2014). Solche Forschungsarbeiten belegen ebenfalls die enge Body-Mind-Interaction. Sie sind als die Befundlage verdichtende Erkenntnisse interessant, aber im Hinblick auf Umsetzungsmöglichkeiten im Unterricht und hinsichtlich der Praktikabilität sind Bewegungen überlegen, nicht zuletzt da Bewegungen unmittelbar und variabel ohne zusätzliche Materialien einsetzbar sind. Im Sinne der Transfermöglichkeiten des Referierten in die Praxis fokussieren die folgenden Darstellungen daher Embodied Learning mittels Bewegungen. Eine Verbindung zwischen bewegungsbasiertem Embodied Learning und der Ausspracheschulung liegt nahe, denn Aussprache ist keine rein kognitive Leistung, sondern im Besonderen durch sensorische und motorische Komponenten geprägt, d.h., Aussprache ist per se verkörperlicht. Neurowissenschaftliche Studien liefern klare Belege für die Interaktion zwischen Sprache und Gesten im Gehirn (vgl. W ILLEMS / H AGOORT 2007: 278). Dabei zeigt sich die Verbindung von Sprache und Motorik nicht nur beim sensomotorischen Akt des Sprechens selbst, sondern z.B. auch beim Hören: „[P]erceiving a speech sound activates similar brain regions as producing that speech sound“ (W ILLEMS / H AGOORT 2007: 280). Die Autoren verweisen in diesem Zusammenhang auf die Motor Theory von Liberman und Mattingly (1985), die davon ausgeht, dass wahrgenommene Sprachlaute im Gehirn den Repräsentationen entsprechender artikulatorischer Bewegungen zugeordnet werden. Dies konnte durch neurowissenschaftliche Studien belegt werden, und zwar nicht nur für Wörter, sondern auch für Nicht-Wörter (vgl. W ILLEMS / H AGOORT 2007: 279). Für den Zugriff auf Sprache scheint die motorische Information von großer Relevanz zu sein. Erkenntnisse aus 66 Michaela Sambanis DOI 10.2357/ FLuL-2020-0019 49 (2020) • Heft 2 Studien mit fMRT 1 finden Bestätigung durch Daten, die mit TMS 2 gewonnen wurden. Beide Verfahren erbrachten Hinweise auf die Aktivierung von motorischen Zentren nicht nur beim Sprechen, sondern auch bei der Perzeption von Sprachlauten (vgl. W ILLEMS / H AGOORT 2007: 281). Die Aktivierungen wurden vor allem im Bereich der Repräsentationen der Lippen und der Zunge im prämotorischen Kortex nachgewiesen. Darüber hinaus - und das erscheint aus fremdsprachendidaktischer Sicht besonders interessant, wenn im Sinne von Embodied Learning gearbeitet werden soll - liegen z.B. auch Nachweise für die Aktivierung der Repräsentationen der Hände vor (vgl. ebd.). Hier schließt sich die Frage an, in welcher Form weitere motorische Komponenten, jenseits der Sprechbewegung, bei der Ausspracheschulung genutzt werden können, denn: „[P]erforming directed motor actions entails activating a spatio-motor representation, whereas saying a word […] does not [necessarily]“ (C ASASANTO / DE B RUIN 2019: 181, kursiv im Original). Die folgenden Abschnitte möchten zur Beantwortung dieser Frage beitragen, indem zunächst einige Einblicke in die Erforschung von Embodied Cognition und Embodied Learning eröffnet werden und exemplarisch ausgewählte Unterrichtselemente Erwähnung finden, durch welche Ausspracheschulung im Sinne von Embodied Learning als Embodied Pronunciation Practice gestaltet werden kann. Im letzten Teil des Beitrags wird Embodied Pronunciation Practice mit der Performativen Didaktik in Verbindung gebracht, indem Schlaglichter auf die Frage gesetzt werden, wie durch Theaterimpulse Ausspracheübungen ermöglicht werden können bzw. wie mit performativem Vorgehen unterrichtsmethodisch abwechslungsreich, kognitiv aktivierend, motorisch involvierend und emotional anregend an Ausspracheübungen angeknüpft werden kann. 2. Einblicke in die Forschung zu Embodied Learning Bei der Beurteilung der Effekte von Bewegung auf kognitive Funktionen muss unterschieden werden zwischen moderat intensiven Aktivitäten, die sich auf die Herzrate auswirken, und solchen, die unter der Schwelle bleiben, an der der Puls aufgrund von körperlicher Aktivität aus dem Ruhebereich heraus erhöht wird. Die im Gehirn ablaufenden Prozesse, u.a. auf Ebene der Neurotransmitter sowie im Hinblick auf die Erhöhung der Gehirndurchblutung, sind nicht zwingend dieselben, wobei auch die intendierten Ziele wie Körperbeherrschung, Ausdauer, Gesundheitsförderung etc. (Sportunterricht) einerseits sowie die gezielte Unterstützung der kognitiven Verarbeitung spezifischer Inhalte andererseits (Embodied Learning im Fachunterricht) nicht 1 Funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) stellt ein bildgebendes Verfahren dar, das lokale Unterschiede des Sauerstoffgehalts als Indikator für Aktivität erfasst und die Daten in Differenzbilder mit farbiger Hervorhebung jener Regionen mit besonders hoher Aktivität überführt. 2 Transkranielle Magnetstimulation (TMS) arbeitet ebenfalls im weiteren Sinne bildgebend. Sie kann mittels magnetischer Felder bestimmte Hirnareale hemmen oder erregen und dadurch in Hirnprozesse eingreifen. Embodied Learning im Kontext von Aussprache - State of the Art 67 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0019 identisch sind. Die im Fachunterricht eingesetzten Bewegungen bleiben im Hinblick auf ihre Intensität in der Regel gering. Sie verstehen sich nicht als konkurrierende Angebote zu solchen, die im Sportunterricht eingesetzt werden, und sie müssen so beschaffen sein, dass sie im Klassenzimmer umsetzbar sind. Effekte von Embodied Learning werden mittlerweile seit einigen Jahren in unterschiedlichen Fachdidaktiken im Hinblick auf verschiedene (Teil-)Kompetenzen erforscht. Die bislang vorliegenden Studien lassen insgesamt auf ein beachtenswertes Potenzial von Embodied Learning schließen: „Bewegungen können das Aufnehmen, Verarbeiten und Abspeichern verschiedenster Lerninhalte unterstützen, sodass diese zu soliden, gut abrufbaren Gedächtnisinhalten werden“ (S AMBANIS / W ALTER 2019: 8). Auf Basis der weiter oben referierten Befunde (vgl. W ILLEMS / H AGOORT 2007; A RNDT / S AMBANIS 2017) ließe sich ergänzen: Auch beim Zugriff auf sprachlich repräsentierte Inhalte ist die motorische Spur von Bedeutung. In vielen Studien (aktuelle Einblicke in A NDRÄ / M ACEDONIA 2020), darunter wiederum neurowissenschaftliche und psychologische, werden Daten auf der Grundlage von Wortlernexperimenten generiert, wobei zumeist mit einer Experimentalbedingung (je eine Bewegung pro zu lernender lexikalischer Einheit) und einer Kontrollbedingung (ohne Bewegung; beide Verfahren werden sonst im Ablauf parallelisiert; Faktoren wie Zeit, Material, Übungsfrequenz etc. kontrolliert) gearbeitet wird. Erfasst werden zunächst zeitnah der Lernertrag sowie in der Regel zumindest die mittelfristige Behaltensleistung, außerdem oftmals Reaktionszeiten, die als Indikator dafür hinzugezogen werden können, wie erfolgreich die Gedächtnisbildung im Hinblick auf die Zielitems gewesen ist: Kurze Reaktionszeiten lassen auf das Schaffen von Repräsentationen schließen, auf die schnell zugegriffen werden kann. Die Forschungslage verdichtet sich zunehmend dahingehend, dass sich verarbeitungs- und behaltensförderliche Effekte beim sprechbegleitenden Einsatz von Bewegungen zeigen, wobei sich die Effekte im Lernprozess nicht zwingend unmittelbar manifestieren müssen, sondern erst über den weiteren Verlauf der Zeit hinweg als meist deutlich stabilere Behaltensleistung abbilden. Für dieses Ergebnis ist die durch die Bewegungskomponente angelegte motorische Spur, da andere Variablen nicht variiert werden, als entscheidend zu betrachten. Einer der führenden Experten auf diesem Gebiet, der Psychologe und Hirnforscher Markus K IEFER , fasst die Ergebnisse von Studien zum Wortlernen mit Bewegungen wie folgt zusammen: „Man könnte hier sagen: Doppelt genäht hält besser. [Wenn] eine zusätzliche motorische Spur angelegt ist, dann ist das effizienter“ (K IEFER 2018a: 53). Andere Studien, hierunter inzwischen auch fremdsprachendidaktische zur Koppelung von Inhalten an Bewegungen, befassen sich mit Effekten des Anlegens einer zusätzlichen motorischen Spur auf die Konzeptbildung (vgl. K IEFER 2018b; B ITMANN 2018) oder auf das Verarbeiten, Erfassen und Abrufen von grammatischen Strukturen (vgl. W ITT 2018). Weitere fokussieren die Morphemebene oder sie vergleichen Effekte von Gesten auf Satz- und Morphemebene (vgl. J ANZEN U LBRICHT 2018). Auch zur Aussprache liegen erste Erkenntnisse vor (vgl. H ILLE et al. 2010), die darauf hinweisen, dass Embodied Learning nicht nur bei Wortschatz und Grammatik, 68 Michaela Sambanis DOI 10.2357/ FLuL-2020-0019 49 (2020) • Heft 2 sondern auch im Bereich des produktiven Aussprachetrainings im Fremdsprachenunterricht als Lernzugang und Lernstütze genutzt werden kann. Ähnlich wie bei den sogenannten Codified Gestures, die kleineren linguistischen Einheiten, oftmals Morphemen, zugeordnet und lernbegleitend eingesetzt werden können (vgl. hierzu J ANZEN U LBRICHT 2018), lassen sich auch bei der Ausspracheschulung Gesten mit Lauten, Lautfolgen bzw. mit intonatorischen Mustern koppeln. In einer Studie im Französischunterricht mit Sechst- und Siebtklässlern (vgl. H ILLE et al. 2010) wurde die französische Aussprache ausgehend von einem Lesetext geübt, und zwar in der Experimentalgruppe begleitet von vereinbarten Bewegungen und in der Kontrollgruppe ohne diese Bewegungen. Bei den Bewegungen handelte es sich vor allem um Gesten, die bestimmte Merkmale der Aussprache im Französischen verkörperlichen sollten: Bei stimmhaften Lauten wurde eine weich fließende Handbewegung zum Körper hin ausgeführt, bei stimmlosen eine harte Geste vom Körper weg, als wolle man einen Schnitt symbolisieren. In beiden Gruppen wurde die Aussprache im gleichen Umfang mit demselben Text geübt, dann wurden Tonaufnahmen erstellt, die von vier verblindeten Expertinnen anhand eines Ratingbogens unabhängig voneinander beurteilt wurden. Die zu beurteilenden Kategorien waren Phonetische Korrektheit (Vokale, Konsonanten, Liaison etc.), Sprachfluss sowie Indikatoren für Sinnverständnis. Die Ergebnisse der Mittelwertsvergleiche [von Klasse 6] zeigen, dass die Gruppe, die den Text [mit zugeordneten Gesten] eingeübt hat, in allen Kategorien hinsichtlich phonetischer Korrektheit, Sprachfluss, Sinnverständnis und Verlesungen 3 signifikant besser beurteilt wurde als die Kontrollgruppe. Auch der Gesamteindruck der Artikulations- und Sprechfähigkeit beim Lesen eines französischen Textes wird bei der Gruppe besser eingeschätzt, die [mit Bewegungen] gelernt hat (H ILLE et al. 2010: 345). Die Effektstärken (Cohens d) decken, betrachtet für die einzelnen Kategorien, einen Range zwischen d = 0,78 (niedrigster Einzelwert) und d = 1,40 (höchster Einzelwert) ab, insgesamt liegt die Effektstärke bei d = 1,27 (ebd.). Auch die in Klasse 7 gewonnenen Erkenntnisse weisen in dieselbe Richtung, ein Befund, der zumindest die Annahme stützt, dass durch sinnvoll zugeordnete Bewegungen Merkmale der Aussprache verdeutlicht, verkörperlicht und dadurch besser verarbeitet werden können. Anfängliche Befürchtungen, durch die Handbewegungen könne sich möglicherweise eine Überforderung der Lernenden samt Ablenkung vom gedruckten Text einstellen, hat die Studie nicht bestätigt; allerdings bleibt zu bedenken, dass selbst durch einfache Gesten eine zusätzliche Information vom Gehirn verarbeitet werden muss. Dies kann, besonders jeweils zu Beginn, eine spezielle Herausforderung darstellen, sorgt aber dadurch für eine größere kognitive Aktivierung und ermöglicht, wie weiter oben schon ausgeführt, das Anlegen einer stützenden motorischen Spur. 3 Verlesungen bezeichnen z.B. Fehler beim Sprechen oder Häsitationen im Lesefluss. Embodied Learning im Kontext von Aussprache - State of the Art 69 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0019 3. Mögliche Implikationen für die Ausspracheschulung Anstelle reiner Handbewegungen, wie in der Studie von H ILLE et al. (2010) eingesetzt, erscheint es auch plausibel sowie methodisch reizvoll, z.B. bei langen und kurzen Lauten oder bei Intonationsverläufen, mit einem Gummiband zu arbeiten, durch welches die lautlichen bzw. melodischen Merkmale (mittels Auseinanderziehen oder am einen Ende Festhalten und mit dem anderen eine Kurve in die Luft zeichnend) dargestellt werden können. Um klangliche Merkmale zu verkörperlichen, z.B. im Deutschen für stimmlosen velaren Frikativ in Dach, krachen, Drachen, kann auch das Streichen oder Kratzen über eine Oberfläche passend sein. Desgleichen sind Körperbewegungen denkbar, die über Gestik hinausgehen, aber auch das Klopfen des Sprechrhythmus mit den Fingern oder dem Fuß sowie das Gehen im Takt von betonten Sprechsilben bilden Möglichkeiten zur Umsetzung von Embodied Pronunciation Practice. In der Fachliteratur finden sich Hinweise auf eine Steigerung der Durchblutung der Großhirnrinde bei intensiveren Körperbewegungen sowie bei koordinativen, dem Klavierspielen vergleichbaren Fingerbewegungen (vgl. F OLTA -S CHOOFS / O STER - MANN 2019: 204). Diese Durchblutungssteigerung wird wiederum in Verbindung gebracht mit einer Erhöhung der Produktion sogenannter neurotropher Faktoren (vgl. F OLTA -S CHOOFS / O STERMANN 2019: 205), wie z.B. dem Wachstumsfaktor BDNF (Brain-Derived Neurotrophic Factor), der für die Bildung und Erhaltung von Neuronen und ihrer Verknüpfungen zuständig ist. Da neuronale Strukturen samt ihrer synaptischen Verbindungsstellen Lernen ermöglichen, indem sie Reize, d.h. auch Informationen und Lerninhalte wie das Lautrepertoire einer Fremdsprache, durch entsprechende Aktivierungsmuster repräsentieren und so in die Sprache des Gehirns übersetzen, sind derlei Zusammenhänge auch aus Sicht der Didaktik keineswegs unbedeutend. 3.1 Rhythmische Stimulation Zur Rhythmic Stimulation (Klopfen oder Gehen im Sprechrhythmus) bei der Ausspracheschulung liegen ebenfalls schon Befunde aus der Forschung vor. Beispielsweise haben Studien gezeigt (vgl. K OTZ 2020), dass Französinnen und Franzosen gewissermaßen „betonungstaub“ sind und Schwierigkeiten haben mit dem Wechsel bei Wortbetonungsmustern (vgl. S CHMIDT -K ASSOW et al. 2011: 568). Bei Lernenden, denen das Metrum Schwierigkeiten bereitet, können sich Defizite nicht nur bei der Aussprache, sondern auch bei der Syntaxverarbeitung zeigen (vgl. K OTZ 2020). In ihrem Beitrag (ebd.) berichtet Sonja K OTZ von einer Studie mit französischen Erasmusstudierenden, die zum Deutschlernen nach Deutschland gekommen waren. Einem Teil der Probandinnen und Probanden gelang es trotz Aufenthalt im Zielsprachenland und Sprachunterricht nicht, die Betonung im Deutschen korrekt zu produzieren. Diese Studierenden zeigten auch keine überzeugenden syntaktischen Leistungen. Dem anderen Teil der Deutschlernenden hingegen gelang die Betonungsrealisierung. Als entscheidenden Einflussfaktor identifizierten die Forschenden das auf rhythmischer Stimula- 70 Michaela Sambanis DOI 10.2357/ FLuL-2020-0019 49 (2020) • Heft 2 tion basierende Unterrichtsvorgehen, das von einer Lehrkraft offenbar konsequent angewandt und auch von den Lernenden in Form von Klopfen des Rhythmus auf den Tisch im Unterricht eingefordert wurde (vgl. ebd.). Die Lernenden mit guten Performanzwerten und Betonungsfähigkeit hatten auf diese Weise, also mit rhythmischer Stimulation, gelernt. Mit dem Klopfen, Gehen oder Ähnlichem wird die motorische Repräsentation, die durch die Sprechbewegung gelegt wird, sozusagen verstärkt, also als Enhancer genutzt: Eine zweite motorische Information, die die sprechmotorische anreichert und ausschärft, indem sie wesentliche Merkmale, in diesem Fall die Betonung, gesondert repräsentiert, ergänzt das Sprechen als motorischen Akt. 3.2 Aufbau von Übungsbereitschaft durch Bewegung Eine besondere Herausforderung bei der Ausspracheschulung stellt die Notwendigkeit des wiederholten Übens dar: Wie alle motorischen Leistungen - sei es das Laufenlernen im Kleinkindalter oder das Binden von Schuhen, das Schreiben von Hand etc. - , ist auch der Aufbau neuer Ausspracheleistungen auf Training angewiesen. Nur durch aktives Üben und Beobachten, Wiederholen, Einschleifen und Flexibilisieren gelingt es, die Repräsentationen im Gehirn samt passendem motorischem Repertoire aufzubauen, welche unerlässlich sind, um in einer Fremdsprache eine Aussprachequalität zu erreichen, die Verständlichkeit und soziale Akzeptanz (vgl. S ETTINIERI 2011) ermöglicht. Gezielte Übungsphasen sind hierfür unentbehrlich; ihnen kommt bei der Aussprache sogar ein besonders hoher Stellenwert zu (vgl. D OFF 2017: 12). Obschon bei rationaler Betrachtung die Notwendigkeit zu üben einleuchtend erscheint, berichten viele Lehrkräfte von Widerständen, die sich häufig als Unlust und mangelnde Übungsbereitschaft manifestieren. Verantwortlich für die Dysphorie dem Wiederholen und Üben gegenüber ist das Lernorgan selbst, denn das Gehirn will im Grunde nicht wiederholen und macht nur wenige Ausnahmen: „Es sträubt sich sozusagen, [für die Wiederholung von Inhalten] Energie aufzuwenden, weil es ursprünglich, das ist gewissermaßen in seinem Grundprogramm festgelegt, immer nach Neuem Ausschau hält und dafür die verfügbare Energie nutzen möchte. Das ist im Grunde sinnvoll […]“ (S AMBANIS / W ALTER 2019: 15), denn so wird sichergestellt, dass Weiterentwicklung durch das beständige Aufspüren von Neuem möglich ist, anstatt zu verharren. Das Problem ist aber, dass ohne Üben Inhalte verblassen, da die Aktivierungsmuster wieder zerfallen und die zugehörigen Repräsentationen im Gehirn, wenn sie nicht in ausreichendem Maße genutzt werden, zumeist früher oder später rückgebaut werden. Dem Zerfallen und Rückbau kann nur durch Nutzung, im Bereich der Aussprache insbesondere in Form gezielter Übungsphasen, entgegengewirkt werden. Werden beim Üben Bewegungen eingesetzt, kann dies bei der Überwindung von Unlust helfen, denn dann erhält das Gehirn das Signal, dass es Bewegungsabläufe zu lernen gelte. Erfahrungsbasiert verfügt das Gehirn über die Information, dass ein Erwerben von Bewegungsabläufen stets mit intensivem Trainieren derselben verbunden ist. Die Wiederholung motorischer Prozesse hat dadurch quasi einen Sonderstatus, bildet eine Ausnahme von der Regel, sonst möglichst nur Neues oder, das wäre Embodied Learning im Kontext von Aussprache - State of the Art 71 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0019 die zweite Ausnahme, als relevant Beurteiltes zu fokussieren. Wenn nun also, wie anhand der Studien von H ILLE et al. (2010), S CHMIDT -K ASSOW et al. (2011) sowie unter Bezugnahme auf K OTZ (2020) anhand einiger Beispiele aufgezeigt wurde, eine zur Verkörperung beitragende Bewegungskomponente hinzukommt, kann Ausspracheschulung vom Gehirn als einer jener Ausnahmefälle, bei denen es um das Training motorischer Abläufe geht, klassifiziert und Übungsbereitschaft oftmals besser hergestellt werden. Hinzu kommt die erfrischende Wirkung von Bewegungen, denn diese regen das Wachheitssystem des Gehirns an. 3.3 Mirroring als Beispiel eines verkörperlichten Verfahrens Das in der Fachliteratur mitunter erwähnte Verfahren des Mirroring (vgl. u.a. B RINTON 2018: 450, 452) ist, als ein verkörperlichtes Verfahren, dem Feld von Embodied Pronunciation Practice zuzurechnen. Es ermöglicht die Verbindung von Sprache und Bewegung, und der Lernende kann das Lerntempo sowie die Wiederholungsfrequenz je nach Bedarf individuell justieren. Beim Mirroring werden zumeist Videomitschnitte von Native Speakers genutzt - für fortgeschrittene Lernerinnen und Lerner des Englischen beispielsweise TED Talks (vgl. https: / / www.ted.com/ ). Die Aufgabe besteht darin, den Sprechenden so genau wie möglich zu spiegeln, d.h. den Text portionsweise samt Gestik, Mimik und Körperbewegungen nachzuahmen. Der Text muss dafür genau erschlossen werden. Wird er dabei aufgeschrieben, kann das Skript als Stütze dienen bei der Echo Practice: „Echo practice can later be augmented by other forms of shadowing or mirroring practice such as synchronous reading“ (B RINTON 2018: 452). Mirroring nutzt die Fähigkeit des Gehirns, durch Nachahmen zu lernen: „Nachahmungslernen oder Lernen am Modell ist im Menschen neuronal fest verankert“ (A RNDT / S AMBANIS 2017: 157). Erfolgreiches Mirroring gelingt nur durch intensives und wiederholtes Mitsprechen und Nachahmen. Medien können bei diesem Verfahren sinnvoll genutzt werden, zum einen bei der Bereitstellung geeigneter Videosequenzen, zum anderen als Informationsquelle bei der Klärung von Schreibweisen oder der Aussprache einzelner Wörter, und ferner, wie oben schon angesprochen, erlauben sie ein Wiederholen je nach individuellem Bedarf. Ergänzend kann bedarfsorientiert die Expertise der Lehrkraft angefragt und vom Lernenden als wertvoll und nützlich erlebt werden, z.B. indem Hilfe bei Ausspracheschwierigkeiten und Übungsmöglichkeiten erfragt oder Sprechbewegungen am lebenden Vorbild unmittelbar beobachtet werden können. Mirroring bietet außerdem die Möglichkeit der Umsetzung in Tandems, wobei jeweils zwei Lernende gemeinsam an derselben Sequenz arbeiten. Das hat den Vorteil, dass in der Kollaboration zwischen den beiden Lernenden soziale Interaktion stattfindet, was zur Relevanz der Lernsituation beitragen und zugleich eine Entlastung darstellen kann, besonders dann, wenn den Lernenden die Möglichkeit gegeben wird, das Mirroring der Sequenzen untereinander aufteilen oder komplett gemeinsam ausführen zu können. Damit wird die Möglichkeit zur Differenzierung und Mitbestim- 72 Michaela Sambanis DOI 10.2357/ FLuL-2020-0019 49 (2020) • Heft 2 mung gegeben. Auch ein Austausch über Strategien zwischen den Lernenden kann in dieser Konstellation stattfinden sowie gegenseitiges Unterstützen bzw. Lernen durch Lehren. Bei der Zusammensetzung der Zweiergruppen für Mirroring ist es wichtig, die Lernenden mitbestimmen zu lassen, denn für dieses Verfahren ist ein sog. entspanntes Feld von Bedeutung: „Arbeitet eine Gruppe oder auch ein Zweierteam gut zusammen, ergibt sich […] positive soziale Resonanz (und damit die lernförderliche Ausschüttung von Dopamin)“ (A RNDT / S AMBANIS 2017: 182). Müssen hingegen Lernende zusammenarbeiten, die das nicht aus freien Stücken täten, kann sich insbesondere bei Vorgehensweisen mit einem gewissen Wagnisgrad, wie dem Mirroring, statt positiver Resonanz Stress einstellen. Durch unfreiwillige Gruppenzusammensetzungen ergeben sich zwar mitunter spannende Anlässe für soziales Lernen, wenn aber die Zielsetzung im inhaltlichen Lernen besteht, d.h. im vorliegenden Fall in der Arbeit an der Aussprache, sind Neigungsgruppen geeigneter. Mirroring kann auch als Verfahren zur Erarbeitung von Rollen eingesetzt werden, was im Kontext eines auf Theaterimpulse rekurrierenden Fremdsprachenunterrichts interessant erscheint. Viele dieser Impulse erlauben es, Ausspracheschulung durchbzw. weiterzuführen und in einen besonderen Anwendungskontext zu stellen. Vom Theater inspirierte Verfahren werden in der aktuellen fremdsprachendidaktischen Diskussion im Feld der Performativen Didaktik verortet. Diese versteht sich als ein Ansatz, der ästhetische Verfahren aus den Performativen Künsten, insbesondere dem Theater, adaptiert und im didaktischen Feld nutzt (vgl. C RUTCHFIELD / S CHEWE 2017: XIV; W ALTER 2020: 6). 3.4 Ausspracheschulung performativ weitergedacht Theaterimpulse arbeiten in der Regel im Sinne von Embodied Learning. Der Körper wird als Ausdrucksmittel und als Lernwerkzeug genutzt, wodurch eine entsprechende Aktivierung im Gehirn samt Anlegen von motorischen Spuren zu den Inhalten unterrichtsmethodisch unterstützt wird. Dass motorische Spuren wesentlich zum Behalten beitragen können, wurde weiter oben ausgeführt. Darüber hinaus können Theaterimpulse das Spektrum der Lernangebote erweitern und so die Ausspracheschulung methodisch beleben. Strukturiertes, systematisches Üben von Aussprache leistet zweifellos einen wichtigen Beitrag, indem es zum einen Klarheit verschaffen und damit das Anlegen passender Repräsentationen im Gehirn unterstützen sowie zum anderen für den Aufbau der Sprechmotorik die nötige Wiederholungsfrequenz sicherstellen kann. Es bleibt jedoch von der tatsächlichen Kommunikationswirklichkeit in der Regel recht weit entfernt. Bemerkenswerterweise hat selbst die moderne Sprachtherapie, die sich mit der Wiederherstellung sprachlicher Funktionen bei aphasischen Erscheinungen, d.h. der Einschränkung bzw. dem Verlust von Sprechvermögen oder Sprachverstehen nach einer Hirnschädigung (z.B. durch Unfall mit Hirnverletzung oder Schlaganfall) befasst, die Relevanz von Handlungsaufforderungen im Gegensatz zu reinem Nach- Embodied Learning im Kontext von Aussprache - State of the Art 73 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0019 sprechen erkannt. Ein zentrales Prinzip der Sprachtherapie ist mittlerweile das Sprachhandlungsprinzip: „Phoneme, Wörter, Sätze [sollen] in kommunikative Handlungszusammenhänge integriert geübt werden […], [sodass die Sprache bei den Sprechbzw. Ausspracheübungen] ihre normale Funktion als Werkzeug der Verständigung erfüllt“ (P ULVERMÜLLER 2016: 79). Neurowissenschaftliche Studien zeigen bessere Ergebnisse, wenn Sprache bzw. das Sprechen in Handlungskontexten geübt wird (vgl. P ULVERMÜLLER 2016; K IEFER 2018b). Der gemessene Effekt sei auf eine stärkere Aktivierung im Gehirn beim Sprechhandeln zurückzuführen: Eine „stärker handlungseingebettete Form der Sprachverwendung“ (P ULVERMÜLLER 2016: 83) aktiviert bzw. interessiert das Gehirn mehr als reines Nachsprechen oder bloßes Benennen. Da auch die Ausspracheschulung beim Fremdsprachenlernen Sprechhandlungen braucht und sich nicht auf die Ebene von Drills beschränken sollte, möchte der Beitrag abschließend ausgewählte Vorschläge unterbreiten, wie durch die „Einbettung des Geübten in einen kommunikativen Kontext“ (D OFF 2017: 12) die Drill-Ebene verlassen und wie dabei mit Embodiment gearbeitet werden kann. Impulse aus der Performativen Fremdsprachendidaktik als ein Ansatz, der verkörperlichtes Handeln besonders betont (vgl. C RUTCHFIELD / S CHEWE 2017: XIV, kursiv im Original), bieten Möglichkeiten, der u.a. von D OFF (2017) geforderten Einbettung Rechnung zu tragen und dabei Verlebendigung, oftmals besonders einprägsame Kontextualisierung und mitunter überdies ästhetisches Erleben zu erreichen. An einem konkreten Beispiel illustriert, könnte das auf Mirroring basierende Erarbeiten eines Sprechtextes, der einen Tagesablauf, den Ablauf einer Reise oder Ähnliches schildert, durch die Basisübung aus dem Improvisationstheater Ja genau, und dann. Eine bewegte Tandemerzählung (S AMBANIS / W ALTER 2019: 27f.) im Unterricht aufgegriffen und weitergeführt werden. Erinnerte Passagen aus dem erarbeiteten Sprechtext können bei dieser Übung neu kombiniert, zur Schaffung eines Kontextes bzw. in diesem Fall einer Narration genutzt und dabei die Aussprache weiter geübt werden. Bei Ja genau, und dann stehen zwei Lernende beieinander und berichten, einem vorher festgelegten Frage-Antwort-Schema folgend, von ihrem Tagesablauf. Die Festlegung des Frage-Antwort-Schemas dient insbesondere als Scaffolding Technique und wirkt Beliebigkeit, möglicher Orientierungslosigkeit und daraus dann oftmals resultierender Frustration entgegen. Als Eröffnung wird, in der jeweiligen Zielsprache vorab zur Verfügung gestellt, die Frage Weißt du noch, wie wir gestern aufgestanden sind? von einem der beiden Lernenden gestellt und beide mimen zusammen das Aufwachen und Aufstehen. Darauf folgt zum ersten Mal der entscheidende, den Lernenden ebenfalls vorab in der Zielsprache zur Verfügung gestellte Satzanfang, Ja genau, und dann …, der ab da konsequent verwendet und jeweils von einer der beiden Personen im Wechsel ergänzt wird. Die jeweils benannte Handlung wird sogleich von beiden pantomimisch dargestellt, was zum einen der Verkörperlichung Rechnung trägt und zum anderen dem Lernenden, der den nächsten Satzanfang vervollständigen soll, einen Moment des Überlegens und Auswählens einer Formulierung gewährt. Der Satzanfang selbst, der im Verlauf der Improvisationsübung viele Male aufgegriffen wird, bietet in verschiedenen Zielsprachen die 74 Michaela Sambanis DOI 10.2357/ FLuL-2020-0019 49 (2020) • Heft 2 Möglichkeit des Wiederholens von für Schülerinnen und Schüler herausfordernden Lauten oder Lautfolgen. So würde man im Englischen eine Formulierung mit then verwenden und damit th mit hoher Frequenz aufgreifen, im Französischen ließe sich mit puis eine nicht minder herausfordernde Lautfolge fokussieren, wobei dennoch das Hauptaugenmerk bei dieser Übung nicht vorrangig auf einzelnen Lauten, sondern im Besonderen auf intonatorischen Mustern liegt. Überdies erfordert Ja genau, und dann? das Anwenden der Vergangenheitsform, d.h. z.B. von Simple Past im Englischen oder des Passé Composé im Französischen (die Liste der Zielsprachen ließe sich beliebig erweitern). Die Vergangenheit bildet wiederum einen Übungsgegenstand, der einiger Beachtung bedarf, damit Lernende entsprechendes Wissen samt Anwendungskompetenz aufbauen können. Viele Vergangenheitsformen, darunter regelmäßige und unregelmäßige, sind im Hinblick auf ihre Aussprache anspruchsvoll, z.B. im Englischen showed, went, was, bought, thought etc. Ausgehend von bereits zugänglichen Erkenntnissen zu möglichen Effekten von Theaterimpulsen 4 liegt die Vermutung nahe, dass durch den Einbezug performativer Vorgehensweisen bei der Ausspracheschulung nicht nur Lernbereitschaft und Motivation unterstützt werden können, sondern insbesondere das episodische Gedächtnis adressiert wird. Dieses Gedächtnissystem dient häufig als Zugang, über den Inhalte auch in andere Gedächtnissysteme (z.B. das semantische, prozedurale oder assoziative) gelangen, sodass schließlich Kompetenzen aufgebaut werden können. Dem Remember-Know-Paradigm von T ULVING (1985) zufolge lassen sich zwei Typen oder Stadien im Verlauf der Gedächtnisbildung unterscheiden: Zunächst werden Inhalte oftmals über den Lernkontext erinnert (Remember), d.h. als persönliche Ereignisse im episodischen Gedächtnis verortet. Da das Gehirn besonders im Wachzustand unaufhörlich mit einer unvorstellbaren Fülle an Impulsen konfrontiert ist - man geht von etwa zehn Millionen aus, die pro Sekunde eingehen und das Gehirn beständig zu radikalem Ausfiltern zwingen (vgl. S AMBANIS 2013: 20) - ist die Salienz der Eindrücke didaktisch von Bedeutung. Salienz entsteht durch Neuigkeitswert, aber auch durch die Relevanz, die aus Lernendensicht Inhalten beigemessen wird, durch emotionales Potenzial, die Aussicht auf soziale Resonanz bzw. auf ein Erleben, das soziale Zugehörigkeit vermittelt, oder die Möglichkeit, sich selbst herauszufordern samt Aussicht auf Belohnungserleben. Solche Faktoren entscheiden darüber, ob das episodische Gedächtnis angesprochen und als Zugang genutzt werden kann oder nicht. Wurde einem Lernangebot Beachtung geschenkt, befindet sich die im Gehirn angelegte Repräsentation oben genannter Theorie zufolge zunächst im Remember- Stadium und ist noch fragil: Mit dem Verblassen der Erinnerung an das Lernereignis stehen auch die Inhalte in Gefahr, wieder zu verblassen, es sei denn, Nachbereitungsprozesse im Gehirn sorgen im Zuge der Konsolidierung dafür, dass es zur Reaktivierung und Vernetzung der Inhalte bzw. der zugehörigen Repräsentationen kommt und dadurch Löschprozessen entgegengewirkt werden kann. Gelingt es den Inhalten, sich 4 Für Querverbindungen zur Hirnforschung vgl. S AMBANIS (2013), für die Konkretisierung einiger Facetten des aktuellen Forschungsbedarfs vgl. W IRAG (2019). Embodied Learning im Kontext von Aussprache - State of the Art 75 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0019 auf diesem Weg von der Lernkontextassoziation zu lösen und sich dadurch gewissermaßen zu emanzipieren, also für sich selbst zu stehen, wird das Know-Stadium erreicht. Im Zusammenhang mit der Ausspracheschulung kann Theaterimpulsen zum einen Potenzial zugesprochen werden, um einen ersten, beachtenswerten Eindruck zu schaffen, sodass die im Unterricht gerade fokussierten Aussprachephänomene über das episodische Gedächtnis, im Sinne des Paradigmas von T ULVING gesprochen, das Remember-Stadium erreichen können. Zum anderen geben Theaterimpulse auch anregende Übungsanstöße, durch die sich Inhalte festigen und somit aus der Fragilitätszone herausführen lassen. Beispielsweise kann Ausspracheschulung durch das Einnehmen verschiedener Rollen oder Stimmungen (Wir sprechen die Übungswörter überheblich/ euphorisch/ gelangweilt etc. aus) zu einer dynamischen Übungsphase und einem Gemeinschaftserlebnis mit hoher Sprechfrequenz werden. Das wiederholende Üben, das auf die Überführung ins Know-Stadium zielt, wird bei solchen, auf Abwechslung und Gemeinschaftserleben setzenden Vorgehen in der Regel nicht so schnell als eintönig oder langweilig erlebt. Um Inhalte tatsächlich festigen zu können, braucht das Gehirn letztlich zweierlei, nämlich zum einen Anstöße, die zu einer wiederholten Aktivierung führen, und zum anderen Ruhe für die Nachbereitung. Erste Konsolidierungsprozesse führt das Gehirn bereits im Wachzustand aus, nämlich in Momenten, in denen nicht allzu viele neue Impulse zu verarbeiten sind. Mitunter kommt es zu einem kurzen Zurückziehen der Person aus dem sie umgebenden Geschehen, beispielsweise beobachtbar, wenn Hörerinnen und Hörer während eines Vortrags nach einer Weile kurz abwesend wirken, sich aber nicht anderweitig beschäftigen und wenig später dem Vortrag wieder mit erkennbarer Aufmerksamkeit folgen. Die wichtigsten Konsolidierungsprozesse laufen jedoch während des Schlafs ab. Die Chancen auf erfolgreiches Weiterverarbeiten von relevanten Inhalten lassen sich durch ansprechende Lernangebote erhöhen (das Gehirn befasst sich mit dem, was es für relevant erachtet; unwichtig Erscheinendes wird eher gelöscht, vgl. S AMBANIS / W ALTER 2019: 34-39). Außerdem sorgt Üben dafür, dass Relevantes hervorgehoben und von weniger wichtigen Eindrücken getrennt werden kann und dass das Gehirn auch in der Konsolidierungsphase das bereits durch das Üben angestoßene wiederholte Reaktivieren der Repräsentationen relevanter Inhalte fortsetzt. Mit jeder Reaktivierung wird das Aktivierungsmuster im Gehirn ein bisschen stärker. Theaterimpulse müssen nicht auf Phasen des weiteren Übens im Rahmen von Ausspracheschulung beschränkt bleiben; sie können auch, wie oben erwähnt, als Einstiegsaktivitäten zur Schaffung eines ansprechenden Lernangebots genutzt werden, sodass die Inhalte über das episodische Gedächtnis Zugang zu den Speicherungssystemen finden können. Unterrichtsmethodisch zu bedenken wäre das Anforderungsniveau: Als Einstiegsaktivitäten müssten Impulse gewählt werden, die spontansprachlich und im Hinblick auf die inhaltliche Ausgestaltung weniger anspruchsvoll sind als Ja genau, und dann, da sich sonst Überforderung einstellt und der intendierte positive Effekt nicht erreicht wird. Es bieten sich z.B. Aktivitäten an, bei denen Lernende und Lehrkraft im Kreis stehen und verbale Impulse, wahlweise einzelne Wörter oder bereits etwas komplexere Wendungen, weitergeben. Dies kann von der Lehrkraft vor- 76 Michaela Sambanis DOI 10.2357/ FLuL-2020-0019 49 (2020) • Heft 2 bereitetes, auf Karten ausgedrucktes Sprachmaterial sein, das bestimmte Aussprachephänomene fokussiert, z.B. Reimwörter wie wild - child, win - twin, whale - sale. Ein erstes Item wird genannt, die oder der Sprechende gibt das Rederecht durch Adressieren einer Person per Klatschimpuls weiter. Möchte man vermeiden, dass die Lernenden in diesem frühen Stadium schon einzeln sprechen müssen, können die oben erwähnten Karten mit dem Sprachmaterial durchnummeriert werden. Empfängt ein Lernender den Klatschimpuls, besteht die Aufgabe lediglich darin, eine der Nummern zu nennen. Alle sprechen dann zusammen im Chor das auf der korrespondierenden Karte Abgedruckte aus. Bei dieser Version werden alle Lernenden mehrmals aktiviert, niemand muss sich vorgeführt fühlen und die Lernenden können durch das Auswählen und Nennen der Zahlen mitentscheiden. Die Bewegungskomponente besteht in diesem Fall im Aufstehen und Zuspielen der Klatschimpulse, wodurch nach längerem Sitzen ein Erfrischungseffekt erzielt werden kann. Wird auf ein Steigern des Tempos beim Weitergeben der Impulse und Ansagen der Kartennummern geachtet, kann einem zu schnellen Verblassen der Attraktivität des Arrangements entgegengewirkt werden. 4. Schlussbemerkung Während hinsichtlich der Relevanz einer Aussprachequalität, welche Verständlichkeit ermöglicht und sozialer Ablehnung vorbeugt, ein gewisser Konsens zu bestehen scheint, zeigt sich im Hinblick auf bekannte und anerkannte Verfahren sowie deren tatsächlichen Einsatz im Unterricht noch einiger Handlungs- und Forschungsbedarf. Befragt man Lehramtsstudierende zu Verfahren der Ausspracheschulung, lautet die Antwort in der Regel „nachsprechen lassen“, worauf meist rasch die Frage folgt, wann die Aussprache im Fremdsprachenunterricht eigentlich korrigiert werden müsse und wann man sich besser zurückhaltend zeige. Doch nicht nur Lehramtsstudierende, die bei der Beantwortung dieser Frage oft auf Erfahrungen aus ihrer eigenen Schulzeit zurückgreifen sowie gegebenenfalls auf das, was sie in Praktika beobachten konnten, sondern auch Lehrkräfte schenken Strategien, die bei der Ausspracheschulung eingesetzt werden können, eher selten herausragende Beachtung. Es wird vor allem auf Vor- und Nachsprechen gesetzt und zwar sowohl präventiv beim Einführen neuer Wörter als auch korrektiv, wenn es zu Fehlern kommt. Eine Erhebung von R EID / H ORVÁTHOVÁ (2018: 230-236) in der Primar- und Sekundarstufe in der Slowakei führt vor Augen, dass auf beiden Stufen eine kaum nennenswerte Breite an Pronunciation Strategies von den Lehrkräften genutzt wird, sondern zumeist nur das Nachsprechen. Ob die Ergebnisse in Deutschland anders ausgefallen wären, kann auf Grundlage der von R EID / H ORVÁTHOVÁ referierten Studie nicht beantwortet werden, erscheint aber eher unwahrscheinlich. Interessanterweise zeigte die Erhebung auch eine Fokussierung auf einzelne Laute; suprasegmentale Merkmale wurden bei der Ausspracheschulung fast nicht berücksichtigt. Der vorliegende Beitrag zu Embodied Learning im Kontext von Aussprache Embodied Learning im Kontext von Aussprache - State of the Art 77 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0019 möchte den Blick ein wenig erweitern, indem er auch einige Befunde aus der Hirnforschung referiert und über das Konzept des Embodiment eine Brücke zum Lernen mit Bewegungen und schließlich zur Performativen Didaktik schlägt. Damit sollen Anstöße für einen sinnvollen Einbezug von Ausspracheschulung in den Fremdsprachenunterricht und eine planvolle Erweiterung der dabei eingesetzten Vorgehensweisen gegeben werden. Literatur A NDRÄ , Christian / M ACEDONIA , Manuela (Hrsg.) (2020): Bewegtes Lernen - Handbuch für Forschung und Praxis. Berlin: Lehmanns Media. 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The article focuses on learners of Russian, their difficulties with Russian pronunciation and the progress made during self-directed learning, as well as on teacher trainees in the role of advisors, their initial uncertainties in diagnosis, their learning growth and the increasing diagnostic certainty due to the intensive study of spoken learner language and feedback on their advisory activities. 1. Einleitung Das Erkennen von Ausspracheabweichungen sowie Feedback zu Ausspracheleistungen und -fortschritten stellen sehr hohe Anforderungen an Fremdsprachenlehrkräfte. Viele Lehrkräfte unterrichten ungern Aussprache, weil sie sich in diesem Bereich nur unzureichend ausgebildet fühlen (vgl. H IRSCHFELD / R EINKE 2016). So zeigt Clémentine A BEL s (2018) schriftliche Befragung von 54 Französischlehrkräften, dass diese sich in Bezug auf das aussprachebezogene Feedback nicht immer kompetent fühlen und dass Ausspracheschulung „daher notgedrungen intuitiv und ohne ein zugrundeliegendes Konzept“ (ebd.: 91) stattfinde. Katrin V IERTEL (2018) berichtet in ihrer Interviewstudie mit Russischlehrkräften ebenfalls von meist intuitivem Vorgehen und „Improvisieren“ (ebd.: 39) sowie von Unsicherheiten der Befragten bei der Aussprachevermittlung, die Zweifel an deren Aussprachediagnosekompetenzen aufkommen lassen. Diese Unsicherheiten lassen sich bereits bei Lehramtsstudierenden beobachten. So reflektiert eine Lehramtsstudentin der Universität Leipzig dies in ihrem Praktikumsportfolio in Bezug auf den von ihr gehaltenen Russischunterricht folgendermaßen: * Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Grit M EHLHORN , Universität Leipzig, Institut für Slavistik, Beethovenstr. 15, 04107 L EIPZIG E-Mail: mehlhorn@rz.uni-leipzig.de Arbeitsbereiche: Methodik und Didaktik der slawischen Sprachen, Mehrsprachigkeit, Herkunftssprachendidaktik, Sprachlernberatung, Ausspracheerwerb und Didaktik der Phonetik 80 Grit Mehlhorn DOI 10.2357/ FLuL-2020-0020 49 (2020) • Heft 2 Die Vermittlung von Aussprachephänomenen habe ich während meines Praktikums nicht durchgeführt. Ich habe die SchülerInnen zwar korrigiert, wenn z.B. die Betonung falsch war, und auf die Beachtung der Betonungsstriche verwiesen, aber das schließt auch schon meinen Erfahrungsschatz ab. In diesem Bereich sehe ich starken Nachholbedarf für mich. Ich vermute, dass ich den SchülerInnen die Aussprachephänomene nicht richtig erläutern könnte (DK 2018: 29). Die angedeuteten Unsicherheiten hängen sicher zum einen mit der graduellen Natur von Ausspracheabweichungen sowie der Flüchtigkeit gesprochener Sprache zusammen, aber v.a. auch mit fehlendem Fachwissen. Fremdsprachenlehrende benötigen Diagnosekompetenzen, um Lerneräußerungen adäquat einschätzen und Feedback geben sowie um unterrichtliche Maßnahmen gezielt auf die Bedürfnisse der Lernenden ausrichten zu können. Aussprachediagnosekompetenzen umfassen dabei phonetisches Wissen über die L1 und die Zielsprache, die Fähigkeit zum „kritischen Hören“ (G ROTJAHN 1998: 66) einschl. der Wahrnehmung von Ausspracheabweichungen, Wissen um Ausspracheerwerbsprozesse und individuelle Unterschiede sowie die Fähigkeit zur Beschreibung und Erklärung von Ausspracheschwierigkeiten mithilfe phonetischer Terminologie. Bei aussprachebezogenem Feedback spielt jedoch auch methodisch-didaktisches Wissen zur Ausspracheschulung eine wichtige Rolle, da die Passung von Lernwegen (Strategien), Lernprogression und Differenzierungsmöglichkeiten für individuelle Lernende eingeschätzt werden muss. Die Aussprachediagnosekompetenzen von angehenden Lehrkräften wurden im Rahmen eines Sprachpraxismoduls in der Russischlehrerausbildung an der Universität Leipzig untersucht. Kapitel 2 geht zunächst auf die wichtigsten Ausspracheschwierigkeiten deutschsprachiger Russischlernender ein. In Kap. 3 werden der Kontext und die Ziele der Untersuchung vorgestellt. Kap. 4 erläutert die Datenerhebung und -analyse mithilfe eines Diagnosebogens, bevor in Kap. 5 konkrete Ergebnisse der Studie vorgestellt werden. Der Beitrag schließt mit einem kurzen Ausblick. 2. Ausspracheschwierigkeiten deutschsprachiger Russischlernender Merkmale eines fremdsprachigen Akzents bzw. phonetische Abweichungen sind stärker als Fehler anderer linguistischer Ebenen auf Phänomene in der L1 der Lernenden zurückzuführen. Anders als in der Grammatik gibt es im Bereich der Phonetik jedoch meist kein ,Richtig‘ oder ,Falsch‘; „vielmehr befinden sich Segmentalia und Suprasegmentalia in der Lernersprache auf einem Kontinuum zwischen stark abweichender und zielsprachennaher Realisierung“ (M ARX / M EHLHORN 2016: 301). Das Russische ist ebenso wie das Deutsche eine indoeuropäische Sprache, gehört zur slawischen Sprachfamilie und verwendet die kyrillische Schrift. Im Russischen gibt es keine feste Wortakzentposition. Gleichzeitig ist der Wortakzent bedeutungsunterscheidend; eine falsche Betonung kann zu Missverständnissen in der Kommunikation führen. Deshalb wird in Lehrwerken, Wörterbüchern und Materialien für Russischlernende die Wortakzentposition in Form eines Betonungszeichens direkt über Anbahnung von Aussprachediagnosekompetenzen in der Fremdsprachenlehrerausbildung 81 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0020 dem betonten Vokalbuchstaben angegeben. Das Russische stellt den Prototyp einer akzentzählenden Sprache dar: Es gibt starke Kontraste zwischen betonten und unbetonten Silben. Alle unbetonten Silben werden quantitativ und qualitativ reduziert, wobei je nach Entfernung von der Akzentsilbe zwei Reduktionsstufen unterschieden werden. So wird bspw. das <o> in dem Wort космодрóм / kosmodrom (‚Kosmodrom‘) nur in betonter Position als / / ausgesprochen. In der vortonigen Silbe wird es als kurzes, ungespanntes / / (1. Reduktionsstufe) und in der satzinitialen Silbe als Schwa / / (2. Reduktionsstufe) realisiert: / k sm dr m/ (vgl. B ENDIXEN / K RÜGER / R OTHE 2012: 146). Das russische Konsonantensystem ist mit 33 Phonemen wesentlich komplexer als das deutsche. Neben der Unterscheidung von Artikulationsmodus, -stelle und Stimmbeteiligung stellt Palatalisierung ein distinktives Merkmal dar: Deutschen Russischlernenden fällt es oft schwer, perzeptiv und artikulatorisch zwischen palatalisierten („weichen“) und nichtpalatalisierten („harten“) Konsonanten zu differenzieren. Anders als im Deutschen verläuft die Assimilation im Russischen meist regressiv: Nachfolgende Konsonanten beeinflussen vorangehende z.B. in Bezug auf die Stimmhaftigkeit (z.B. спортзал / sportzal ‚Turnhalle‘ / dz/ ), auch über Silbengrenzen hinweg. Reduktionen und Assimilationen werden oft nicht in der Schreibung abgebildet, sodass es ohne die Kenntnis phonologischer Regeln häufig zu Schriftbildinterferenzen kommt. Im Vergleich zur deutschen Intonation ist das sehr viel größere Melodieintervall im Russischen auffällig (vgl. H IRSCHFELD / R EINKE 2016: 119); russische Sprecher/ innen nutzen einen wesentlich größeren Sprechstimmumfang als deutsche. Aber auch der Melodieverlauf unterscheidet sich in beiden Sprachen (zu einer umfassenden phonetischen Beschreibung des Russischen vgl. B ENDIXEN / K RÜGER / R OTHE 2006 sowie zu einem Überblick den Diagnosebogen in Kap. 4). 3. Untersuchungskontext und -ziele 3.1 Untersuchungskontext Studierende in der Russischlehrerausbildung an deutschen Universitäten stellen in der Regel sehr heterogene Lerngruppen aus russischen Muttersprachlern und Russischlernenden dar, wobei letztere Studierende umfassen, für die Russisch eine Fremdsprache darstellt, und solche, die Russisch im familiären Kontext als Herkunftssprache erworben haben und diese Sprache im Studium weiterlernen. 1 In Bezug auf das Berufsziel Russischlehrer/ in haben Fremdsprachenlernende den Vorteil, dass sie sich 1 Fremdsprachenlernende und Herkunftssprecher/ innen erwerben die Zielsprache auf verschiedene Weise und unterscheiden sich daher auch in ihrer Aussprache. In den phonetisch-phonologischen Kompetenzen (rezeptiv wie produktiv) sind Herkunftssprecher/ innen Fremdsprachenlernenden oft überlegen (vgl. B REHMER / M EHLHORN 2018: 50). Das betrifft jedoch nicht gleichermaßen das laute Lesen (vgl. K RAUSE / S AVENKOVA 2016). 82 Grit Mehlhorn DOI 10.2357/ FLuL-2020-0020 49 (2020) • Heft 2 aufgrund ihrer eigenen Lernerfahrungen meist gut in Russisch lernende Schüler/ innen hineinversetzen können. Ihr explizit erlerntes fremdsprachliches - auch phonetisches - Wissen kann ihnen bei der späteren Vermittlung des Russischen nutzen. Russische Muttersprachler/ innen, die erst im Erwachsenenalter nach Deutschland gekommen sind, verwenden die Sprache zwar intuitiv richtig, tun sich aber oft schwer bei der Erklärung von Aussprachephänomenen, der Diagnose lernersprachlicher Abweichungen sowie konstruktivem Feedback. Die Modulteilnehmenden befanden sich im dritten Studienjahr und hatten somit eine Einführung in die russische Sprachwissenschaft absolviert sowie an einem theoretischen Phonetikseminar und einer Übung zur praktischen russischen Phonetik teilgenommen, wobei die russischen Muttersprachler/ innen diese Übung in der Regel nicht besuchten. Alle Studierenden hatten zudem bereits das erste Didaktikmodul absolviert, in dessen Rahmen zwei Seminartermine à 90 Minuten der Didaktik der Ausspracheschulung gewidmet waren. Den unterschiedlichen Lernbedarfen der Zielgruppen (Herkunftssprachen-, Fremdsprachenlernende und Muttersprachler/ innen des Russischen) sollte in einem stark differenzierten Blended-Learning-Szenario Rechnung getragen werden. In dem speziell für Lehramtsstudierende konzipierten Wahlmodul „Russische Fachtexte: Lesen, Besprechen, Reflektieren“ wurde die von Klaus Waschik und seinem Team an der Ruhr-Universität Bochum entwickelte webbasierte, interaktive Studienplattform RussianHQ (www.lesenhq.net) genutzt, die mit 450 russischsprachigen Texten auf den Niveaus B1 bis C2, 2.500 textbezogenen Übungen sowie zahlreichen Assistenz- und Hilfeoptionen gute Voraussetzungen für individuelles Lernen im Bereich des fremdsprachlichen Lesens bietet (vgl. M EHLHORN / W ASCHIK 2015). Zur Unterstützung des Kompetenzerwerbs hält die Plattform u.a. ein satzkontextbezogenes Übersetzungswörterbuch, eine Textansicht mit Betonungszeichen sowie eine Vertonung der Texte durch russische Muttersprachler/ innen bereit. Die eigenständige Lektüre im Selbststudium sollte in einen intensiven Austausch im Präsenzunterricht münden (Anschlusskommunikation). Mit dem Blended-Learning-Format wurde das Ziel verfolgt, die angehenden Russischlehrenden mit verschiedenen Aspekten der Sprachlernberatung vertraut zu machen (vgl. M EHLHORN / K LEPPIN 2006), insbesondere in Bezug auf Diagnosekompetenzen und Feedback zu Lernfortschritten. In der einführenden Sitzung wurden die Studierenden darüber informiert, dass das Modul jeweils verschiedene Ziele für russische Muttersprachler/ innen und Russischlernende und somit unterschiedliche Anforderungen vorsieht. Vier Semesterwochenstunden (SWS) waren für das Lesen von mindestens 20 auf der Studienplattform eingestellten russischen Texten und die Bearbeitung entsprechender Übungen zum Leseverstehen vorgesehen. Auch die Vor- und Nachbereitung der Präsenzveranstaltung, z.B. durch das Verfassen von schriftlichen Texten, die Vorbereitung mündlicher Kurzpräsentationen sowie die gezielte Arbeit an der Aussprache der gelesenen Texte, gehörten zu dieser Selbststudienphase. Das Modul wurde von der modulverantwortlichen Dozentin geleitet und von einer Tutorin begleitet, die gleichzeitig das Präsenzseminar durchführte und in den Distanz- Anbahnung von Aussprachediagnosekompetenzen in der Fremdsprachenlehrerausbildung 83 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0020 lernphasen als eTutorin zur Verfügung stand. In dem zwei SWS umfassenden Präsenzseminar wurde über die gelesenen Texte gesprochen. Dazu wurden vielfältige Sprechanlässe genutzt und kreative Aufgaben in Partner- und Kleingruppenarbeit gelöst, wobei grundsätzlich Russischlernende und Muttersprachler/ innen zusammenarbeiteten. Aufgabe der letztgenannten war es, die Russischlernenden zum Sprechen zu ermutigen und sie während der Gruppenarbeit sprachlich zu unterstützen und zu beraten. Die Präsentationen der Arbeitsergebnisse fand durch die Russischlernenden statt. Die Modulanforderungen für die Russischlernenden bestanden neben der intensiven Bearbeitung der Lesetexte in - drei mündlichen Kurzpräsentationen zu gelesenen Fachtexten im Umfang von jeweils ca. drei Minuten während des Präsenzseminars, - drei schriftlichen Texten zu gelesenen Fachtexten im Laufe des Semesters, - zwei Ausspracheaufnahmen zu einem gelesenen Text im Abstand von einem Monat, - einem Laut-Denk-Protokoll. 2 Die größte Herausforderung für die russischen Muttersprachler/ innen in diesem Modul stellten die eingeforderten Feedbacks zu den Sprachproduktionen ihrer Kommiliton/ inn/ en dar. So musste jede/ r russische Muttersprachler/ in eine schriftliche Rückmeldung zu den Ausspracheaufnahmen und audiografierten mündlichen Kurzpräsentationen von zwei Kommiliton/ inn/ en verfassen. Zu diesem Zweck wurden die Aufnahmen mehrfach gehört, Abweichungen identifiziert und benannt sowie Vorschläge für die Verbesserung der Abweichungen gegeben. Dafür stand den Studierenden neben dem Diagnosebogen eine umfangreiche Checkliste mit Aussprachelernstrategien zur Verfügung (vgl. M EHLHORN 2016: 141-144), aus der sie Empfehlungen für die Kommiliton/ inn/ en auswählen konnten. Die Russischlernenden hatten nach Erhalt des Feedbacks einen Monat Zeit, um gezielt mit dem Diagnosetext weiterzuarbeiten und ihre Aussprache zu verbessern, bis sie eine zweite Aufnahme dieses Textes einreichen sollten. Bei der Diagnose zur zweiten Aufnahme sollten die muttersprachlichen Studierenden Vergleiche zur ersten Sprachproduktion anstellen und eventuelle Lernfortschritte benennen. Ihr Feedback zu jeder Aufnahme schickten die russischsprachigen Studierenden an die Dozentin und erhielten von ihr eine inhaltliche Rückmeldung dazu, bevor das überarbeitete Feedback an die jeweiligen Lernenden weitergeleitet wurde. Zum Ende des Semesters nahmen alle Studierenden an einer schriftlichen Abschlussevaluation des Moduls in Form eines Fragebogens mit geschlossenen und offenen Fragen teil. Die Beratungstätigkeit der Muttersprachler/ innen im Modul umfasste intensive Lernbegleitung während der Partner- und Gruppenarbeit im Präsenzseminar sowie Rückmeldungen zu mündlichen Präsentationen und schriftlichen Textproduktionen 2 Das Laut-Denk-Protokoll diente der Erfassung der Lesestrategien der Studierenden und ist hier nur insofern von Interesse, als es zeigt, ob die Lernenden bei der Bearbeitung des Textes auch auf Aspekte der Aussprache geachtet haben. 84 Grit Mehlhorn DOI 10.2357/ FLuL-2020-0020 49 (2020) • Heft 2 der Russisch lernenden Kommiliton/ inn/ en. Im Rahmen des vorliegenden Beitrags stehen jedoch die Aussprachediagnosekompetenzen im Fokus. Abbildung 1 illustriert das Vorgehen in Bezug auf das aussprachebezogene Feedback im Rahmen des Moduls. Abb. 1: Untersuchungssetting 3.2 Ziele der Untersuchung Gute Fremdsprachenlehrende müssen Karin K LEPPIN (2001) zufolge auch über Beratungskompetenzen verfügen. Sie benötigen Diagnosekompetenzen, um Lerneräußerungen adäquat einzuschätzen und Feedback zu geben sowie um unterrichtliche Maßnahmen gezielt auf die Bedürfnisse der Lernenden ausrichten zu können. Diagnosekompetenzen bilden die Voraussetzung für eine gezielte Ausspracheschulung und die individuelle Beratung von Lernenden. Im Rahmen des Reciprocal Teaching (Lernen durch Lehren) sollten die russischsprachigen Lehramtsstudierenden die sprachlichen Schwierigkeiten der Russisch lernenden Kommiliton/ inn/ en analysieren, individuelle Rückmeldungen zu eingesendeten Audioaufnahmen geben und dadurch ihre Aussprachediagnosekompetenzen entwickeln. Die teilnehmenden Studierenden waren keine Anbahnung von Aussprachediagnosekompetenzen in der Fremdsprachenlehrerausbildung 85 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0020 ausgebildeten Sprachlernberater/ innen, jedoch angehende Russischlehrende. Im Rahmen eines Moduls ist natürlich keine komplette Beraterausbildung möglich, wohl aber die Integration von Beratungselementen wie individuellem Feedback. Die Lehrenden (Modulverantwortliche und Tutorin) gaben im Sinne von Supervision ihrerseits individuelles Feedback zu den schriftlichen Rückmeldungen der russischen Muttersprachler/ innen. Diese sollten auf diese Weise in die Lage versetzt werden, spontan fachlich fundierte Rückmeldungen zu geben - eine Kompetenz, die sie im Fremdsprachenunterricht in der Schule benötigen werden. Durch die Auseinandersetzung mit den sprachlichen Abweichungen ihrer Russisch lernenden Kommiliton/ inn/ en mussten sich die Muttersprachler/ innen ebenfalls mit phonetischen Lernschwierigkeiten auseinandersetzen. Im Rahmen des Moduls wurde Aktionsforschung (vgl. A LTRICHTER / P OSCH / S PANN 2018) durchgeführt, die in erster Linie die folgenden Ziele verfolgte: (1) Verbesserung der Aussprachekompetenzen der Russischlernenden, (2) Entwicklung der diagnostischen Kompetenzen der russischen Muttersprachler/ innen, (3) Vertiefung des phonetischen Wissens, des differenzierenden Hörens und des methodisch-didaktischen Wissens beider Gruppen in Bezug auf die russische Aussprache. Implizit ging es auch um die Förderung der Lernerautonomie der Russischlernenden - v.a. durch zunehmendes Wissen über die eigene Aussprache sowie die Wahrnehmung von Lernfortschritten und einer daraus resultierenden Selbstwirksamkeit (vgl. S EDLACZEK 2008). Im Fokus stand jedoch die Erfassung des Professionswissens und des Professionalisierungsprozesses in Bezug auf die Diagnosekompetenzen der ,Sprachlernberater/ innen‘ im Verlaufe des Semesters. D IEHR (2018: 45) zeigt in ihrem Überblick zu Studien aus der Professionsforschung, dass für fachspezifische Kompetenzen von Fremdsprachenlehrkräften noch keine (vollständige) Modellierung vorliegt sowie Konzepte und Instrumente zur Erfassung von Entwicklungen und Zuwächsen im Verlauf des Studiums und zur Rückmeldung derzeit noch fehlen, unterbreitet jedoch einen Vorschlag zur Kompetenzdimension „Planung von Sprachlernprozessen“ (ebd.: 53). Ein weiteres Erkenntnisinteresse der Aktionsforschung bezog sich darauf, inwieweit die genannten Lernziele für die unterschiedlichen Zielgruppen unter den Modulteilnehmenden im Rahmen des oben beschriebenen Differenzierungsszenarios erreicht werden können und wie sich die Aussprachelernschwierigkeiten und -fortschritte von Fremdsprachen- und Herkunftssprachenlernenden unterscheiden. 86 Grit Mehlhorn DOI 10.2357/ FLuL-2020-0020 49 (2020) • Heft 2 4. Datenerhebung und -analyse An dem Wahlmodul im Bereich der russischen Sprachpraxis nahmen in zwei aufeinanderfolgenden Semestern jeweils zehn Lehramtsstudierende teil, wovon drei bzw. vier russische Muttersprachler/ innen waren, die ihre Schullaufbahn zuvor in einem russischsprachigen Land absolviert hatten. Die Russischlernenden rekrutierten sich jeweils zur Hälfte aus Fremdsprachenlernenden und Herkunftssprecher/ inne/ n mit sehr unterschiedlich ausgeprägten Kompetenzen im Russischen. Um die zu lesenden Texte von der Studienplattform RussianHQ für die Verbesserung der Aussprache der Russischlernenden zu nutzen, wurde eine Vorgehensweise aus der individuellen Aussprachelernberatung (vgl. M EHLHORN 2007) übernommen. Die Russischlernenden lasen einen kürzeren russischen Text von der Studienplattform und wurden dabei aufgenommen. Sie erhielten zu dieser Aufnahme ausführliches schriftliches Feedback von einer russischsprachigen Kommilitonin in Form eines Diagnosebogens sowie konkreter Erläuterungen der Ausspracheabweichungen und Tipps zur Verbesserung. Nach dieser Rückmeldung hatten sie einen Monat Zeit, selbstständig an ihrer Aussprache zu arbeiten - u.a. mithilfe der Betonungsansicht des Textes sowie der von einem Muttersprachler vertonten Version auf der Studienplattform -, und reichten danach eine zweite Aufnahme desselben Textes ein, die mit der ersten Diagnoseaufnahme verglichen wurde. Das Diagnoseinstrument (vgl. Abb. 2, S. 87) war in Anlehnung an den Diagnosebogen von D IELING / H IRSCHFELD (2000: 198) für deutschsprachige Russischlernende erstellt worden (vgl. M EHLHORN 2016: 139). Darin werden die typischen Ausspracheschwierigkeiten in den Bereichen Prosodie, Artikulation und Koartikulation dargestellt, die sich aus einer kontrastiven Analyse des phonetischen Systems der deutschen und russischen Sprache ergeben (vgl. B ENDIXEN et al. 2006 sowie H IRSCHFELD / R EINKE 2016: 119-122). Im Unterschied zum Diagnosebogen von D IELING / H IRSCH - FELD (2000: 198), der in Bezug auf die Aussprache die Kategorien „immer richtig“, „oft richtig“ und „selten richtig“ unterscheidet, wurde zu Beratungszwecken eine Diagnose auf einer 7-stufigen Skala von „kaum abweichend“ bis „stark abweichend“ vorgenommen, damit bei der zweiten Aufnahme auch kleine Fortschritte sichtbar gemacht werden konnten. Zudem bestand die Möglichkeit, zusätzlich zu den prognostizierten Ausspracheabweichungen weitere wahrgenommene Abweichungen hinzuzufügen. Die Feedbackgeber/ innen sollten die diagnostizierten Schwierigkeiten mit konkreten Beispielen aus dem Lernertext belegen. Für ihre schriftliche Rückmeldung wurden sie dazu angehalten, mit positiven Aspekten zu beginnen und zum Schluss Empfehlungen zu formulieren, wie die Russisch lernenden Kommiliton/ inn/ en ihre Aussprache verbessern könnten. Aufnahme vom: ............. von: ........................... 1. Diagnose von: ........................ Diagnosebogen zur Aussprache deutschsprachiger Russischlernender ( ) Anbahnung von Aussprachediagnosekompetenzen in der Fremdsprachenlehrerausbildung 87 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0020 kaum abweichend stark abweichend 1 2 3 4 5 6 7 Prosodie 1 2 3 4 5 6 7 a) Wortakzent, z.B. *термомéтра, *сибиря́ ка, *на рéке, *сáма X b) Satzakzent (auf dem sinnwichtigsten Wort) X c) rhythmische Gliederung (Pausen nach Sinneinheiten) X d) grundlegende Intonationsmuster X … Artikulation und Koartikulation I. Vokale 1 2 3 4 5 6 7 a) betontes <ы> [ ], z.B. in быть, слышишь, цифра [ы] X b) betontes [o], z.B. in óчень, тóлстый, мóжет X c) Reduktion; unbetonte Vokale (аканье, иканье, nachtonige Silben), z.B. in выходи́ть, хóлодно, от сибирякá, обязáтельный, отменя́ ют, себé X … II. Konsonanten 1 2 3 4 5 6 7 a) stimmhaft vs. stimmlos, z.B. in южные, зимой, ездили, из-за, воздуха, совсем, сибиряка X b) Palatalisierung („weiche“ Konsonanten), z.B. in честно, нормально, лёд, выходишь, с удовольствием X c) nicht palatalisierte („harte“) Konsonanten, z.B. in толстый, понял, шагнул, цифра, страшно, слышишь X d) gerolltes Zungenspitzen-[r], z.B. in страшно, спрашивали, мороз, термометра X e) Wortbindung, z.B. in в_детстве, как_это, может_быть, из_Сибири X f) regressive Assimilation, z.B. in как же, сделать, совсем X g) Konsonantenverbindungen, -häufungen, z.B. in взрослые, мнe, вдох X h) (im Russischen nicht übliche) Behauchung *[p h , t h , k h ], z.B. in толстый, там, потом, как, какой, первый X … Abb. 2: Diagnosebogen für die Aussprache deutscher Russischlernender 88 Grit Mehlhorn DOI 10.2357/ FLuL-2020-0020 49 (2020) • Heft 2 Für die erste und zweite Aufnahme wurde bewusst derselbe Diagnosetext gewählt: im ersten Moduldurchlauf ein Text aus dem Bereich Politik, „Кто он, мистер Медведьев? “ / Kto on, mister Medved'ev? (‚Wer ist dieser Mister Medwedjew? ‘), und im zweiten Semester ein literarischer Text, „Сибирь“ / Sibir' (‚Sibirien‘), weil somit ein Vergleich der Ausspracheabweichungen zu verschiedenen Zeitpunkten möglich ist und anhand desselben Textes Lernfortschritte aufgezeigt werden können. Im Gegensatz zu anderen Originaltexten der Studienplattform handelte es sich bei den Diagnosetexten um gekürzte Texte (im Umfang von 160 bzw. 142 Wörtern). Sie gehörten in Bezug auf die Lexik und die sprachlichen Strukturen zu den einfacheren Texten der Studienplattform und waren dort dem Niveau B1-B2 zugeordnet. Gleichzeitig umfassten sie alle relevanten Aussprachephänomene des Russischen. Die Studierenden erhielten ein ausgedrucktes Exemplar des Textes mit markierten Betonungszeichen, sollten vor der ersten Aufnahme den Text still lesen und konnten alle ihnen unbekannten Vokabeln mündlich erfragen. Trotz der kleinen Teilnehmerzahl wurde im Laufe des Semesters eine Fülle an Daten erhoben: neben den Audiodateien von allen Russischlernenden zu zwei Zeitpunkten, den ausgefüllten Diagnosebögen, schriftlichen Feedbacks einschl. der überarbeiteten Versionen, Laut-Denk-Protokollen, Nutzungsdaten zur Studienplattform von allen teilnehmenden Studierenden, den schriftlich ausgefüllten Evaluationsbögen zum Semesterende auch das Forschungstagebuch der Dozentin sowie Beobachtungsprotokolle während der audiografierten Präsenzveranstaltungen. Die Daten wurden mithilfe der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach K UCKARTZ (2016) analysiert, wobei sich die hier vorgenommene Auswertung auf die Aussprachediagnose der Studierenden konzentriert. 5. Ergebnisse Im Folgenden werden exemplarisch Ergebnisse aus den beiden Moduldurchläufen präsentiert, wobei bewusst eine Beschränkung auf die Arbeit an der Aussprache erfolgt. Wörtliche Zitate der Studierenden werden sprachlich leicht geglättet wiedergegeben und aus Anonymitätsgründen mit Kennbuchstaben versehen. 5.1 Aussprachekompetenzen der Russischlernenden Aus den Laut-Denk-Protokollen war ersichtlich, dass die Studierenden beim Lesen von Texten auf der Studienplattform Aussprachelernstrategien wie das Anhören der Audioversion bei gleichzeitigem Mitlesen des Textes sowie das Setzen von Betonungszeichen in der ausgedruckten Textversion oder die Konsultation eines vertonten Aussprachewörterbuchs kaum von sich aus nutzten, sodass sie im zweiten Moduldurchlauf explizit auf diese Strategien hingewiesen wurden. Die prognostizierten Ausspracheschwierigkeiten sind tatsächlich aufgetreten, wenn auch in individuell unterschiedlicher Ausprägung. So waren in der ersten Auf- Anbahnung von Aussprachediagnosekompetenzen in der Fremdsprachenlehrerausbildung 89 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0020 nahme bspw. zwischen zwei und 46 Wortakzentfehlern feststellbar. Drei Studierende haben versucht, den Text möglichst schnell zu lesen, haben dabei Gliederungssignale nicht beachtet und Pausen an nicht passenden Stellen - häufig mitten in einem Wort - gemacht oder benötigten mehrere Anläufe bis zur flüssigen Artikulation einzelner Wörter. Ein Student hat phonotaktisch schwierige Konsonantenverbindungen wie [dm] im Vornamen Дмитрий / Dmitrij oder [mn] in мне / mne (‚mir‘) durch den Einschub von Sprossvokalen (*Dimitrij, *mine) aufgelöst. Ein Student mit Bulgarisch als Herkunftssprache wies von Beginn an eine wesentlich bessere russische Aussprache auf als die anderen Fremdsprachenlernenden. Deutliche Abweichungen in Bezug auf die Stimmbeteiligung der Konsonanten, insbesondere der S-Laute, zeigten sich bei zwei Lernenden, die aufgrund ihres sächsischen Dialekts auch in der L1 nicht trennscharf zwischen stimmhaften und stimmlosen Konsonanten differenzieren. Die zweite Aufnahme belegt, dass alle Russischlernenden (N=13) ihre Aussprache verbessern konnten, wobei das Ausmaß der Verbesserung individuell sehr unterschiedlich sowie im Bereich der Suprasegmentalia (Prosodie) generell größer als bei den Segmentalia (einzelnen Lauten) war. Alle Studierenden konnten Fortschritte im Bereich des Wortakzents, die meisten (N=11) zudem hinsichtlich der rhythmischen Gliederung und Pausierung verzeichnen. In Bezug auf die Reduktion unbetonter Vokale (N=10), die Wortbindung (N=8) und die Palatalisierung von Konsonanten (N=4) waren ebenfalls Verbesserungen hörbar. Drei Studierende, die besonders intensiv mit der muttersprachlichen Audioversion gearbeitet hatten, konnten deutliche Fortschritte bei grundlegenden Intonationsmustern verzeichnen. Außer einzelnen Aussprachephänomenen wurde bei der zweiten Diagnoseaufnahme auch die Sprechgeschwindigkeit deutlich verbessert. Alle Russischlernenden trugen den Text beim zweiten Mal wesentlich flüssiger vor, wobei die Fremdsprachenlernenden ihn ca. um ein Viertel bis ein Drittel schneller lasen und die Herkunftssprecher/ innen ihre Sprechgeschwindigkeit des Diagnosetextes sogar verdoppeln konnten. Weil die Herkunftssprecher/ innen vor dem Modul nur wenig auf Russisch gelesen hatten, bereitete ihnen beim ersten Vorlesen des Diagnosetextes die Erfassung des Sinns einiger Vokabeln noch Schwierigkeiten, sodass sie die Laut-Buchstaben- Beziehungen nicht immer adäquat realisierten. Beim freien Sprechen haben sie dagegen kaum Ausspracheschwierigkeiten; daher zahlte sich das mehrfache stille Mitlesen und anschließende laute Lesen für sie aus. Zwei Studierende gaben an, nach einiger Zeit versucht zu haben, den Text synchron mit der vertonten Version mitzusprechen. Da die Leseflüssigkeit bei der Arbeit an demselben Text so schnell verbessert werden kann, ist es überlegenswert, ob dieses Kriterium - auch zur Motivation der Lernenden - zusätzlich in den Diagnosebogen aufgenommen werden sollte, zumal es in anderen Bereichen wie einzelnen Lauten wesentlich schwieriger ist, innerhalb kurzer Zeit hörbare Verbesserungen zu erreichen. 90 Grit Mehlhorn DOI 10.2357/ FLuL-2020-0020 49 (2020) • Heft 2 5.2 Diagnosekompetenzen der russischen Muttersprachler/ innen Bei den Rückmeldungen zur ersten Ausspracheaufnahme zeigt sich ein großes Spektrum hinsichtlich der Treffsicherheit bei der Einschätzung und Beschreibung der Ausspracheabweichungen. Alle russischen Muttersprachler/ innen (N=7) haben Wortakzentfehler bemerkt, vier von ihnen neigten jedoch dazu, diese zu streng zu bewerten und sie nicht im Verhältnis zur Anzahl der korrekt gesetzten Betonungen zu sehen. Zwei Studentinnen haben bereits bei ihrem ersten Feedback eine Positivkorrektur vorgenommen, d.h. lobend Phänomene hervorgehoben, die korrekt produziert wurden, bspw. „In dir geläufigen Wortgruppen klingt die Aussprache schon richtig gut“. Generell vermieden die meisten Studierenden anfangs die Verwendung phonetischer Termini und neigten zu einer laienhaften Darstellung, wenn sie bspw. schrieben, dass „Buchstaben betont“ oder „verschluckt“ wurden. Diese Verwechslung von lautlicher und grafischer Ebene konnte insgesamt bei vier Studierenden beobachtet werden. Mehrfach wurden Ausspracheregeln vereinfacht und damit falsch dargestellt, z.B. in Bezug auf die Vokalreduktion: „Denk dran, dass unbetontes <o> immer als [a] ausgesprochen wird.“ Auffällig bei den ersten Rückmeldungen war zudem, dass festgestellte Abweichungen nicht oder kaum mit konkreten Beispielen belegt wurden (N=4) und dass zu einigen Aussprachekategorien im Diagnosebogen eine Bewertung vermieden wurde, weil die Studierenden entweder nicht wussten, was unter dem jeweiligen Kriterium (z.B. regressive Assimilation) zu verstehen ist, oder weil sie das jeweilige Phänomen nicht hören konnten (N=2). Das aussprachebezogene Feedback der einzelnen Studierenden unterschied sich von Beginn an hinsichtlich der Tiefgründigkeit und Fachlichkeit. Die Fähigkeit zum differenzierenden Hören war ebenfalls sehr unterschiedlich ausgeprägt, sodass man sie den Niveaustufen I bis III (vgl. Tab. 1) zuordnen konnte. Beim Feedback zur zweiten Aufnahme tauchten wesentlich weniger Unsicherheiten in der Beschreibung der Abweichungen auf, die Studierenden beurteilten alle im Diagnosebogen vorgesehenen Kategorien und verwendeten häufiger Fachbegriffe. Zudem konzentrierten sie sich zu Beginn ihres Feedbacks auf die Hervorhebung von Lernfortschritten: (1) Liebe S., man merkt deutlich, dass du an dem Text gearbeitet hast. Dieses Mal hast du viel ruhiger gelesen, was einen allgemein positiven Eindruck macht. Weiter so! Die Prosodie ist in dieser Aufnahme noch abweichend, aber schon wesentlich besser als bei der ersten Aufnahme. Du hast dich sehr bemüht die für deutsche Muttersprachler untypische russische Intonation bewusst und angemessen wiederzugeben. Das ist dir u.a. in den folgenden Sätzen gut gelungen: [...]. Solche Wörter wie [...] sind vermutlich schwer auszusprechen, deswegen machst du vor ihnen immer eine Pause, die in Bezug auf den Sinn des Satzes nicht immer logisch ist. Versuche mit den Augen etwas schneller vorauszulesen, um solche Umbrüche wie im Satz [...] zu vermeiden (TS, 2. Feedback). (2) Du hast dem russischen [r] viel Aufmerksamkeit gewidmet und es klingt in vielen Wörtern nicht mehr so auffällig „deutsch“ (EB, 2. Feedback). Anbahnung von Aussprachediagnosekompetenzen in der Fremdsprachenlehrerausbildung 91 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0020 Bei den Rückmeldungen zur zweiten Aufnahme musste die Dozentin seltener korrigierend eingreifen; die Bewertungen der Studierenden und der Dozentin näherten sich stärker an, auch wenn es immer noch kleinere Unterschiede im Ausmaß der bewerteten Abweichungen gab. Die Studierenden konnten sich innerhalb der einzelnen Kompetenzen (vgl. Tab. 1, S. 93) um ca. eine Niveaustufe verbessern. In ihrer individuellen Rückmeldung nutzte die Dozentin allerdings eine verbale Beschreibung der verbesserten Diagnosekompetenz, ohne eine Niveaukonkretisierung vorzunehmen. 5.3 Empfehlungen der russischen Muttersprachler/ innen Aufgabe der Studierenden war es, konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Aussprache in ihr Feedback zu integrieren. Während ein Teil der Studierenden hierfür von der Fachliteratur zur Phonetikdidaktik Gebrauch machte, gingen andere rein intuitiv vor. So gab ein Student seiner Kommilitonin, die das apikale [r] im Russischen nicht artikulieren konnte, den Tipp, mit Zungenbrechern zu üben. Dieser Rat wurde aufgrund der Intervention der Dozentin nicht in dieser Form an die Lernerin weitergegeben, sondern in eine alternative Empfehlung umgewandelt: Die Studentin sollte darauf achten, jedes geschriebene <r> im Russischen als konsonantisches / r/ zu produzieren, d.h. die Artikulation eines vokalisierten [ ] zu vermeiden. Um das konsonantische / r/ , das sie als deutschen uvularen Frikativ [ ] produzierte, für russische Muttersprachler/ innen prominenter und somit verständlicher zu machen, könnte sie versuchen, das [ ] am Zäpfchen zu rollen - eine im Deutschen mögliche R-Variante, die man beim Gurgeln erzeugt. Das wäre zwar noch kein russisches Zungenspitzen-[r], aber zumindest ein deutlich erkennbarer R-Laut. Auch der Vorschlag, vertonte Vokabeln in Online-Wörterbüchern wie PONS oder Leo zum Aussprachelernen zu nutzen, wurde dahingehend relativiert, dass es sich bei den russischsprachigen Audiodateien dieser Plattformen um synthetisierte Sprache handelt, mit der Wortakzent und Vokalreduktion im Russischen bisher nicht adäquat wiedergegeben werden. Als Alternative wurde ein russisches Aussprachewörterbuch mit Vertonung der Vokabeln durch mehrere muttersprachliche Sprecher/ innen (vgl. B ENDIXEN et al. 2012) empfohlen. Zwei Studentinnen gelang es, sehr individuell auf die Russischlernenden einzugehen: (3) Vielleicht hilft dir die Vorstellung, dass in der russischen gesprochenen Sprache viel Musik steckt. Kürzere Texte könntest du ähnlich wie ein Musikstück auf dem Klavier oder dem Akkordeon erarbeiten. Nachdem der Inhalt (die Noten) bekannt und eine gewisse Sprechgeschwindigkeit (Geläufigkeit der Finger) abgesichert sind, solltest du an der Dynamik und Phrasierung arbeiten und durchaus auch Lautstärke und Geschwindigkeit variieren. Übertreibe ruhig einmal die großen Tonsprünge in der russischen Sprechmelodie, spiele mit der Tonhöhe in deiner Stimme! Erst wenn du die russische Intonation viel imitiert und dich an den Klang deiner Stimme dabei gewöhnt hast, kann es dir auch später beim freien Sprechen gelingen, deine Tonhöhe entsprechend zu variieren (TS, 1. Feedback). 92 Grit Mehlhorn DOI 10.2357/ FLuL-2020-0020 49 (2020) • Heft 2 (4) Wenn dir das Langsamsprechen auf Russisch widerstrebt, stell dir vor, du tust es für deine Schüler, die beim Zuhören möglichst viel verstehen sollen (AG, 2. Feedback). Weitere von den russischen Muttersprachler/ inne/ n empfohlene Vorgehensweisen beim Aussprechen und lauten Lesen betrafen u.a. das Silbifizieren, d.h. die Aufteilung schwierig auszusprechender Wörter in Sprechsilben, das vorausschauende stille Lesen, um Äußerungen beim Vorlesen sinnvoll zu gliedern, das Hören des Textes und Nachsprechen ohne Texteinsicht (Shadowing) sowie die bei S IEBOLD (2004: 37-40) beschriebene Technik „Lesen - Aufschauen - Sprechen“, wobei immer größere Wortgruppen aus dem Gedächtnis zitiert werden sollten. Die Empfehlung möglicher Lerntechniken und -strategien stellt eines von mehreren Beratungselementen im Fremdsprachenunterricht dar. 3 Durch das Feedback zu ihren Ideen wurden die Studierenden in konstruktiven Vorschlägen bestärkt und konnten ihr Strategienrepertoire erweitern bzw. verfeinern. In der zu Semesterende durchgeführten schriftlichen Abschlussevaluation schätzten die Studierenden das Modul als sehr arbeitsintensiv, aber hilfreich ein. Besonders hervorgehoben wurde das ausführliche individuelle Feedback sowie der Wissens- und Könnenszuwachs in den Bereichen Aussprache und Lernstrategien. Eine russische Muttersprachlerin formulierte ihre Eindrücke folgendermaßen: (5) Ich finde das ganze Modul nützlich und sinnvoll sowohl für die deutschen als auch für die russischen Studierenden. Durch die Zusammenarbeit konnten wir voneinander profitieren. Durch die vorgeschlagene Tandemarbeit konnten die deutschen Studierenden ihre Sprechhemmungen abbauen. Was die russischen Studierenden angeht, hatten wir die Möglichkeit zu beobachten, wie man im Fremdsprachenunterricht die Arbeit mit der Klasse organisieren kann, so dass die Lernenden mehr im Unterricht sprechen können. Was ich noch für mich als wichtig einschätze, ist die Möglichkeit, den deutschen Kommilitonen mündlich und schriftlich Feedback zu geben. Das ist genau, was wir als zukünftige Lehrer in der Lage sein müssen zu tun. Und die deutschen Studierenden lernten auch die Kritik anzunehmen, um sich verbessern zu können (AG). Zwei Herkunftssprecherinnen hoben hervor, dass sie inzwischen viel flüssiger lesen, was sich sowohl auf das stille als auch das laute Lesen bezog. Die russischen Muttersprachler/ innen äußerten, nun konkrete Vorstellungen zu haben, wie sie Feedback zur Aussprache geben können, während die Russischlernenden es als sinnvoll empfanden, so detaillierte Rückmeldungen erhalten zu haben. Eine Studentin schrieb: „Dadurch konnte ich gezielt auf Dinge achten, die ich vorher gar nicht wahrgenommen habe“ (KF) und eine andere: „Sich selbst zu hören, ist sehr hilfreich. Ebenso das Feedback. Es war nützlich, so intensiv mit dem Text zu arbeiten“ (SW). 3 G ROTJAHN (1998) plädiert für den Einsatz bewusstmachender Verfahren in der Ausspracheschulung mit erwachsenen Lernenden: „Vielfach lassen sich schon durch einige wenige einfache kognitivierende Hinweise erstaunliche Verbesserungen erreichen und langwierige imitative Übungsphasen vermeiden“ (ebd.: 70). Anbahnung von Aussprachediagnosekompetenzen in der Fremdsprachenlehrerausbildung 93 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0020 5 4 3 2 1 Vorschläge zur Ausspracheschulung unterbreiten Aussprachefortschritte wahrnehmen Ursachen für Abweichungen erkennen Ausspracheabweichungen beschreiben Ausspracheabweichungen hören und gewichten Niveaustufen Kompetenzen Es werden wenige pauschale, laienhafte Tipps gegeben. Es werden lediglich Abweichungen festgestellt. Es werden keine Gründe für Abweichungen genannt. Die Beschreibung ist laienhaft, subjektiv und fehlerhaft; es werden keine Beispiele für Abweichungen benannt. Es werden kaum Abweichungen gehört und benannt. I Die Vorschläge sind eher unspezifisch und passen nur teilweise zu den festgestellten Ausspracheschwierigkeiten. Fortschritte werden in verallgemeinerter Form benannt. Es werden laienhafte Vermutungen über Ursachen für Ausspracheschwierigkeiten angestellt. Die Beschreibung erfolgt weitgehend ohne Terminologie und mit wenigen, nicht immer passenden Beispielen; sie ist inhaltlich nur teilweise korrekt. Einige Abweichungen werden benannt, allerdings ohne Gewichtung hinsichtlich der Verständlichkeit. II Zu verschiedenen Ausspracheschwierigkeiten werden didaktisch passende Strategien und Vorgehensweisen empfohlen. Einige konkrete Veränderungen der Aussprache werden benannt und als geringe bzw. deutliche Fortschritte klassifiziert. Es werden mögliche Ursachen für Ausspracheschwierigkeiten benannt, zum Teil unter Nutzung adäquater Terminologie. Die Beschreibung erfolgt zum Teil mithilfe linguistischer Termini und treffender Beispiele; sie ist inhaltlich häufig korrekt. Die meisten Abweichungen werden benannt und in verständlich / unverständlich klassifiziert. III Zusätzlich werden alternative Strategien erläutert, Hilfsmittel und eine fachlich begründete Progression im Vorgehen empfohlen. Es werden graduelle phonetische Fortschritte in unterschiedlichen Ausspracheparametern terminologisch korrekt beschrieben und ggf. transkribiert. Es werden verschiedene Ursachen (z.B. perzeptiver, artikulationsmotorischer Natur) für Abweichungen und Interferenzen in Betracht gezogen und terminologisch korrekt dargestellt. Die Beschreibung erfolgt überwiegend mithilfe linguistischer Termini, treffender Beispiele und ggf. phonetischer Transkription; sie ist inhaltlich korrekt. Alle Abweichungen werden benannt und hinsichtlich der Verständlichkeit wird eine graduelle Abstufung vorgenommen. IV Tab. 1: Kompetenzraster „Aussprachediagnosekompetenzen“ 94 Grit Mehlhorn DOI 10.2357/ FLuL-2020-0020 49 (2020) • Heft 2 Das Kompetenzraster „Aussprachediagnosekompetenzen“ (Tab. 1) ist im Zuge der Auswertung der äußerst unterschiedlichen studentischen Rückmeldungen entstanden. Jede Einzelkompetenz wird - wie bei D IEHR (2018: 53) - durch vier komplexer werdende Niveaustufen konkretisiert, die den angestrebten Professionalisierungsprozess bzw. die inhärente Progression in der Kompetenzentwicklung darstellen sollen. Das Instrument kann zur individualdiagnostischen Rückmeldung, aber auch zur Selbsteinschätzung in allen Phasen der Lehrerausbildung eingesetzt werden, da es die Anforderungen an ausspracheseitiges Feedback transparent aufzeigt und gleichzeitig den individuellen Stand der Professionalisierung der angehenden Lehrkräfte abbildet. 6. Ausblick Die gezielte Differenzierung der Aufgaben und Anforderungen für die verschiedenen Zielgruppen in diesem Modul wurde im Präsenzseminar bewusst thematisiert und kann von den Lehramtsstudierenden als eine Möglichkeit gesehen werden, mit heterogenen Gruppen umzugehen, zumal sie im schulischen Russischunterricht ebenfalls mit Fremdsprachen- und Herkunftssprachenlernenden konfrontiert sein werden. Bei den meisten Russischlernenden hat die ausführliche Diagnose eine Sensibilisierung für ihre Abweichungen bewirkt, die sie in Zukunft gezielt für die weitere Arbeit an ihrer Aussprache nutzen können. Durch die Diagnose konnten die russischen Muttersprachler/ innen in fachlicher Hinsicht hinzulernen und konkreten Lernbedarf für ihr weiteres Studium identifizieren. Dabei hat sich der Diagnosebogen (vgl. Abb. 2) als nützliches Instrument erwiesen, durch das die Aufmerksamkeit der Feedbackgebenden bewusst auf potenzielle Abweichungen gelenkt wurde. Zudem diente es als Hilfsmittel, um tatsächliche Schwierigkeiten wahrnehmen und beschreiben zu lernen. Andererseits ist dieser Bogen ein Gerüst, das nur die Erst- und Zielsprache der Lernenden berücksichtigt, während die individuellen Sprachlernbiografien der Studierenden wesentlich komplexer sind und auch weitere gelernte (Fremd-)Sprachen einen Einfluss auf die konkrete Aussprache haben können. Das wichtigste Beratungselement in dem hier beschriebenen Modul ist das systematische Feedback. Im Rahmen des Moduls ist es gelungen, eine Feedbackkultur zu etablieren, bei der Rückmeldungen zu den Leistungen der Studierenden als selbstverständlich angesehen werden und von den Lernenden als Hilfe zum Weiterlernen und weniger als Bewertung ihrer Person verstanden werden. Dem Ziel, als Russischlehrkraft spontan und kompetent Rückmeldung zu mündlichen Schülerleistungen geben zu können, sind die Studierenden durch das Modul ein Stück nähergekommen. Ein positives Nebenergebnis der Beschäftigung mit der eigenen Aussprache bzw. der von Kommiliton/ inn/ en bestand darin, dass den Lehramtsstudierenden dadurch die Relevanz sprachwissenschaftlicher Lehrveranstaltungen im Studium, insbesondere zur Phonetik, bewusst geworden ist. Insofern stellt das vorgestellte Modul eine sinnvolle Möglichkeit dar, im Lehramtsstudium Inhalte der Sprachpraxis, der Didaktik und der Fachwissenschaften sinnvoll miteinander zu verzahnen. Die Analyse von Anbahnung von Aussprachediagnosekompetenzen in der Fremdsprachenlehrerausbildung 95 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0020 gesprochener Lernersprache sollte demzufolge generell Bestandteil der sprachwissenschaftlichen Ausbildung von Lehramtsstudierenden sein. Dafür bieten sich eigene Sprachaufnahmen in besonderem Maße an. Die Aussprache der Russischlernenden dieses Moduls war auch zum Semesterende weiterhin verbesserungswürdig. Es war nicht zu erwarten, dass sich innerhalb eines Moduls die Aussprache um mehrere Niveaustufen verbessern kann. Aber die Voraussetzungen für die individuelle Weiterarbeit der Studierenden an ihrer Aussprache sind nun gegeben durch - phonetisches Wissen und die Kenntnis ihrer individuellen ,Problemzonen‘, - die Überzeugung, sich durch gezieltes Üben verbessern zu können, - eine erhöhte Sprachaufmerksamkeit, - ein gewisses Repertoire an ,funktionierenden‘ Aussprachelernstrategien. Im Rahmen individueller Aussprachelernberatung über einen längeren Zeitraum hinweg (vgl. M EHLHORN 2007) ist es möglich, dass sprachbewusste Studierende auf ihre als verbesserungswürdig wahrgenommenen Ausspracheabweichungen auch in neuen, noch nicht geübten Texten achten, dass sie beginnen, an das Vorlesen neuer Texte strategisch anders heranzugehen und dass sie auf bestimmte individuelle Ausspracheschwierigkeiten auch beim freien Sprechen achten (Transfer). Dies konnte im Rahmen des beschriebenen Moduls nicht erreicht werden, aber die Sensibilisierung für ihre Ausspracheschwierigkeiten stellt einen ersten Schritt zur Befähigung zum autonomen Weiterlernen dar. An dieser Stelle soll nicht verschwiegen werden, dass das Blended-Learning-Format auch für die Modulverantwortliche und die Tutorin mit einem immensen Arbeitsaufwand verbunden war. Als besonders betreuungsintensiv stellten sich die Rückmeldungen zu den Feedbacks der Studierenden heraus. Sowohl die muttersprachlichen Feedbackgeber/ innen als auch die eTutorin mussten bei ihrer Beratung intensiv angeleitet und konstruktiv begleitet werden. Fremdsprachenlehrende sind jedoch Aussprachelernvorbilder für ihre Schüler/ innen und müssen zielsprachige Texte phonetisch korrekt und ausdrucksvoll vortragen können. Daher handelt es sich hierbei um eine sinnvolle und notwendige Investition in die Lehrerausbildung. Da im Rahmen dieser Aktionsforschung nur russische Muttersprachler/ innen als Feedbackgeber/ innen fungierten, handelt es sich bei dem individualdiagnostischen Kompetenzraster zum aussprachebezogenen Feedback um ein vorläufiges Ergebnis. Die anstehende Überprüfung mit Russisch lernenden Lehramtsstudierenden könnte dazu führen, dass das Raster weiter ausdifferenziert und z.B. um die Kompetenzdimension der eigenen Aussprache der Lernenden erweitert wird. Auch eine Evaluation in der Lehrerausbildung für andere Fremdsprachen sollte sich anschließen. 96 Grit Mehlhorn DOI 10.2357/ FLuL-2020-0020 49 (2020) • Heft 2 Literatur A BEL , Clémentine (2018): „‚Aus Fehlern wird man schlau? ‘ Feedbackbezogene Praktiken und Kompetenzen von Französischlehrkräften“. In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 29.1, 73-95. A LTRICHTER , Herbert / P OSCH , Peter / S PANN , Harald ( 5 2018): Lehrerinnen und Lehrer erforschen ihren Unterricht. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt. 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Over the last decade (2009-2019), the academic discussion and research in the field of German as a second language (GSL)-didactics have been influenced by three main developments: first, research that encourages empirically and linguistically based GSL-teaching and its didactics; second, efforts to support students in gradually acquiring more abstract and academic language and establish systematic language learning in content-matter classrooms; and third, consequences of recent migration processes for the educational system and its teachers and learners. The article gives an overview over six central fields of research and discussion 2 that are mainly influenced by those three developments: (1) GSL, multilingualism and migration; (2) GSL in kindergarten, school and professional learning contexts; (3) developments in diagnostics; (4) GSL-courses for minors and adults; (5) teaching literacy, lexic and grammar; (6) teacher qualification. It will be shown how despite many new developments in GSL-didactics, there is still a great need for research in the described fields. 3 * Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Beate L ÜTKE , Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, Unter den Linden 6, Sitz: Dorotheenstraße 24, 10099 B ERLIN E-Mail: beate.luetke@hu-berlin.de Arbeitsbereiche: Didaktik der deutschen Sprache, Deutsch als Zweitsprache, Sprachbildung für alle Lehramtsfächer 1 In Gedenken an Bernt A HRENHOLZ , der während der gemeinsamen Konzeption dieses Beitrags im November 2019 verstarb. 2 Die Literaturrecherche erfolgte über den Primus-Online-Katalog der HU Berlin und daran angeschlossene Datenbanken aus dem DBIS-Sortiment (Bibliographie der deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft, MLA International Bibliography, Bibliography of Linguistic Literature), weiterhin über pädagogische Fachdatenbanken (FIS Bildung, pedocs, Fachportal Pädagogik) und das ‚Linguistik: Portal für Sprachwissenschaft‘. 3 Weitere, insbesondere linguistische Bereiche haben in diesem Beitrag keinen eigenen Abschnitt erhalten. Das heißt nicht, dass sie als weniger relevant erachtet werden. Ziel des Beitrags ist es jedoch, neuere Entwicklungen zu beschreiben und in Bewegung befindliche Bereiche zu akzentuieren. Das führt aufgrund des begrenzten Rahmens notwendigerweise zu einer Auswahl. N i c h t t h e m a t i s c h e r T e i l Deutsch als Zweitsprache - Ausgewählte Schwerpunkte der didaktischen Diskussion 99 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0021 1. Deutsch als Zweitsprache (DaZ)-Didaktik, Mehrsprachigkeit und Migration Die Aneignung der Zweitsprache (L2) Deutsch ist maßgeblich durch das Leben in der zielsprachlichen Umgebung geprägt. In Ländern wie Deutschland oder Österreich erfolgt der L2-Aneignunsgprozess in großen Teilen beiläufig bzw. ungesteuert; darüber hinaus unterstützen Bildungsangebote in Kindergärten, Schulen und anderen Bildungsinstitutionen im Sinne eines gesteuerten L2-Erwerbs individuelle Aneignungsverläufe. Aufgrund einer dynamischen Zuwanderungsgeschichte im deutschsprachigen Raum erweist sich die Gruppe der Deutsch-als-Zweitsprache-Lernenden in sich als höchst heterogen und es wird davon ausgegangen, dass diese Heterogenität u.a. aufgrund der aktuellen Migrationsbewegungen auch weiterhin zunehmen wird (B ECKER -M ROTZEK / R OTH 2017a: 27). Sprachliche Heterogenität resultiert vor diesem Hintergrund aus einem breiten Spektrum an unterschiedlichen Spracherwerbs- und Lernbedingungen, die sich aus familialen, sozialen und gesellschaftlichen Lebensumständen, individuellen Persönlichkeitsmerkmalen L2-Lernender, der individuellen Sprachlernbiographie und Mehrsprachigkeit, Migrationserfahrungen sowie Einflüssen von Bildungsinstitutionen ergeben (vgl. u.a. ausführlich A HRENHOLZ 2017). Ein erster Diskussionsstrang, der migrationsgesellschaftliche Heterogenität und Diversität als gesellschaftliche Normalität feststellt und vor diesem Hintergrund seit einiger Zeit eine Neuausrichtung des pädagogischen Handelns postuliert, entspringt aus der Migrationspädagogik. D IRIM / P OKITSCH (2017: 100) beschreiben eine migrationspädagogisch perspektivierte Initiative, die eine (auch begriffskritische) fachinterne Diskussion zu DaZ anstoßen und zur Entwicklung eines „disziplinären und erkenntnisbezogenen Selbstverständnisses“ beitragen soll. Erst eine reflexive Verortung des Faches ‚Deutsch als Zweitsprache‘ im migrationspädagogischen Diskurs, so der Anstoß, ermögliche Autonomie gegenüber politischen Positionen und könne eine Grundlage für wissenschaftspolitische Forderungen bilden. Für das pädagogische Handeln wird dies auch deshalb als wichtig erachtet, weil so einer Festschreibung von Differenz und dadurch erzeugter Ungleichheit entgegnet werden könne (vgl. auch R ÖSCH 2017b: 138f.). In der Professionalisierungsforschung liegen diesbezüglich erste Untersuchungen zu mehrsprachigkeits- und heterogenitätsbezogenen Überzeugungen von Lehramtsstudierenden vor (vgl. u.a. H AMMER / F ISCHER / K OCH -P RIEWE 2018). In enger Verbindung mit dem vorab beschriebenen Diskussionsstrang steht die disziplinäre Auseinandersetzung mit migrationsbedingter Mehrsprachigkeit. Hierin wird zum einen das Problem reflektiert, dass migrationsbedingte Mehrsprachigkeit bzw. einige Migrantensprachen im Gegensatz zu z.B. schulischen Fremdsprachen wie Englisch oder Französisch im öffentlichen und auch schulischen Raum teilweise inferiorisiert werden und im schulischen Kontext unterrepräsentiert sind (vgl. B ECKER -M ROTZEK / R OTH 2017a: 26; R ÖSCH 2017b: 198; T RACY 2014). T RACY (2014: 32) hebt in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit hervor, mit „Mythen“ 100 Beate Lütke DOI 10.2357/ FLuL-2020-0021 48 (2019) • Heft 2 und Negativzuschreibungen migrationsbedingter Mehrsprachigkeit aufzuhören. Stattdessen seien die damit verbundenen (auch kognitiven) Ressourcen anzuerkennen und im Unterricht zu berücksichtigen. Die damit einhergehende Notwendigkeit einer stärkeren Verankerung des Themas ‚Mehrsprachigkeit‘ in den Curricula (vgl. grundlegend R EICH / K RUMM 2013) findet seit kurzem in Form administrativer Handreichungen und Fortbildungen zunehmend Niederschlag im schulischen Raum. Eine pädagogische Konsequenz, die mit der Abkehr von einer isolierten Betrachtung und Förderung der Zweitsprache einhergeht, liegt in der stärkeren Berücksichtigung von Herkunftssprachen und Herkunftssprachenunterricht (HSU) an Schulen (vgl. u.a. EHLICH 2017; MEHLHORN 2017). Darüberhinausgehend wird eine Verzahnung von HSU, DaZ-, Fremdsprachen-, Deutschunterricht sowie dem weiteren Fachunterricht im Sinne eines Gesamtsprachencurriculums diskutiert (vgl. L UTJEHARMS / H UFEISEN 2005; E HLICH 2017). Insbesondere fremdsprachliche Mehrsprachigkeitskonzepte bieten z.B. mit Ansätzen wie Interkomprehension, Translanguaging und strategischem Sprachlernen wichtige Impulse für die neuere DaZ-Didaktik (vgl. zu Schnittstellen L OHSE 2017). 2. DaZ-Didaktik auf den Bildungsstufen 2.1 Elementarstufe Angestoßen durch Forschungsergebnisse zu zuwanderungsbezogenen Disparitäten im Bereich der Deutschleistungen (vgl. im Überblick B ÖHME / S TANAT / H EPPT 2017) wurden auch Aufgaben und Ziele der sprachbezogenen Frühförderung neu definiert. So zeichnet sich seitdem eine stärker linguistisch und spracherwerbsbasierte Didaktik für den Elementarbereich ab, die sich diagnosebasiert (unter Einbezug des Alters bei Erwerbsbeginn und der Kontaktdauer mit der L2) am kindlichen Sprachstand (vgl. zur Diagnostik Kap. 3) und in ihrer Progression an empirisch gewonnenen Erkenntnissen zu (Zweit-)Spracherwerbsverläufen orientieren soll (vgl. H OPP / T HOMA / T RACY 2010; G EYER / S CHWARZE / M ÜLLER 2018). 4 Damit einhergehend hat das Konzept einer „alltagsintegrierten Sprachbildung“ zunehmend an Bedeutung gewonnen; Kindergärten sollen demnach nicht mehr nur als Betreuungs-, sondern vielmehr als Bildungseinrichtungen fungieren (L ENGYEL 2017: 272) und damit gezielt - und nicht beiläufig - einem „sprachlichen Bildungsauftrag“ nachkommen (ebd.: 275). Der Fokus hat sich dahingehend erweitert, dass alle Kinder, unabhängig davon, ob ein- oder mehrsprachig aufwachsend, die Zielgruppe „alltagsintegrierte[r] Sprachbildung“ bilden (ebd.). Ein- und mehrsprachige Kinder mit diagnostizierten Sprachförderbedarfen bzw. mit 4 G EYER / S CHWARZE / M ÜLLER (2018: 166) zeigen z.B. einen Kreislauf aus „Bausteine[n] einer linguistisch fundierten Sprachförderung, an dessen Anfang (1) das Ermitteln des kindlichen Sprachstandes steht, gefolgt von (2) dem Festlegen von Förderbereichen und Förderzielen, (3) der Auswahl von Methoden, Inhalten und Materialien, (4) der Durchführung der Fördereinheit und (5) der Reflexion und Dokumentation der Ergebnisse, um dann wieder mit (1) zu beginnen. Deutsch als Zweitsprache - Ausgewählte Schwerpunkte der didaktischen Diskussion 101 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0021 einem verzögerten (Zweit-)Spracherwerb und solche mit sprachtherapeutischen Bedarfen sollen darüber hinaus zusätzliche Maßnahmen erhalten (vgl. K UCHARZ 2018: 215; zu Kindern mit Sprachentwicklungs- oder Sprechstörungen vgl. C HILLA / R OTHWEILER / B ABUR 2013). Das Attribut ‚alltagsintegriert‘ entspricht den Forderungen einer „[l]inguistisch fundierten Sprachförderung und Sprachdidaktik“ (K LAGES / P AGONIS 2015) dahingehend, dass es per se eine situativ-kommunikative Einbettung des Sprachlernens impliziert. Eine große Bedeutung wird im Zusammenhang der Frühförderung der Ausbildung (prä-)literaler Fähigkeiten zugewiesen (vgl. L ENGYEL 2017: 278f.). Dabei zeigten ein häufiges gemeinsames Bilderbuchlesen - auch mit zweisprachigen Büchern - und dialogisches Lesen positive Effekte in der Zweitsprachförderung (ebd.: 278). Als weitere zentrale Größe steht zudem die Sprachförderkompetenz von pädagogischen Fachkräften im Fokus von Diskussion und Forschung (vgl. u.a. H OPP / T HOMA / T RACY 2010; G EYER / M ÜLLER / S CHWARZE 2018). Betont wird die Rolle der pädagogischen Fachkraft als Sprachvorbild (Korrektheit, Standardnähe der Sprache) und die Bedeutung einer positiv geprägten Lernatmosphäre (K UCHARZ 2018: 220f.; vgl. auch die „Fördergrundsätze“ von C HILLA / R OTHWEILER / B ABUR 2013: 119-123). Zu den Sprachlehrstrategien von Fachkräften werden u.a. Stimulierungs- und Modellierungstechniken sowie Formen des korrektiven Feedbacks gezählt (vgl. K UCHARZ 2018: 222-224). H OPP / T HOMA / T RACY (2010: 612) verweisen außerdem in Orientierung an Erkenntnissen der L2-Erwerbsforschung auf die Notwendigkeit, dem Kind relevanten Input anzubieten, d. h. einen variations- und kontrastreichen Input, der sprachhandlungsbezogen „strukturzentriert“ und „entwicklungsproximal“ an den individuellen Entwicklungsstand angepasst wird (C HILLA / R OTHWEILER / B ABUR 2013: 120). Die vorigen Ausführungen verdeutlichen, dass mit den neuen Anforderungen an pädagogische Fachkräfte auch deren Professionalisierung und diesbezügliche Forschung an Bedeutung gewinnt (vgl. G EYER / S CHWARZE / M ÜLLER 2018: 173f.; als theoriebasiertes Kompetenzmodell H OPP / T HOMA / T RACY 2010). 2.2 DaZ in Primar- und Sekundarstufen sowie in der beruflichen Bildung Auf- und Ausbau bildungssprachlicher Kompetenzen von Schüler*innen prägt die schulbezogene Diskussion der letzten Dekade. Ausschlaggebend sind Befunde, dass formelle Sprachkompetenzen eine wesentliche Voraussetzung für fachliche Leistungen und qualifizierende Schulabschlüsse bilden (vgl. B ÖHME / H EPPT / S TANAT 2017: 196). Empirisch belegte Nachteile haben insbesondere Kinder und Jugendliche aus Familien mit einem niedrigen sozioökonomischen Status. Betroffen sind außerdem Schüler*innen mit einem Zuwanderungshintergrund, insbesondere, wenn sich ein niedriger sozioökonomischer Status und ein eingeschränkter Zugang zur deutschen Sprache überlagern (vgl. ebd.: 190). Für den Erwerb und Ausbau der für das schulische Lernen erforderlichen bildungssprachlichen Register (vgl. T HÜRMANN / V OLL - MER 2017) bringen viele Kinder sozialisationsbedingt nicht die notwendigen Voraussetzungen mit. Unter anderem angestoßen durch den 15. Weltkongress für ange- 102 Beate Lütke DOI 10.2357/ FLuL-2020-0021 48 (2019) • Heft 2 wandte Linguistik im Jahr 2008 zum Thema „Multilingualism: Challenges and Opportunities“ hat sich diesbezüglich eine rege interdisziplinäre Debatte entwickelt (vgl. B ECKER -M ROTZEK / R OTH 2017a), die zu vielfältigen Forschungsinitiativen geführt hat (vgl. bspw. A HRENHOLZ et al. 2019; G OGOLIN / L ANGE 2011; R EDDER / N AUMANN / T RACY 2015; T ITZ et al. 2018; zum Modell „Durchgängige Sprachbildung“ G OGOLIN / L ANGE 2011). Weiterhin entstand eine Vielzahl schulbezogener Vorschläge (vgl. u.a. B EESE et al. 2014; B RANDT / G OGOLIN 2017). Sprachbildung und -förderung wird im Kontext dieser Entwicklung nicht mehr allein als Aufgabe des Deutsch- oder DaZ-Unterrichts verstanden, sondern als fachübergreifende Verantwortung. Zudem wird die Notwendigkeit gesehen, dass jedes Schulfach die facheigenen bildungssprachlichen Bereiche selbst erarbeiten muss (vgl. B ECKER -M ROTZEK / S CHRAMM / T HÜRMANN / V OLLMER 2013; A HRENHOLZ / H ÖVELBRINKS / S CHMELLENTIN 2017). Hinsichtlich der fachübergreifenden und fachspezifischen Entwicklungen stehen Diskurs- und Textfunktionen wie u.a. Argumentieren, Benennen, Beschreiben, Berichten, Erklären oder Erzählen im Fokus (vgl. u.a. T HÜRMANN / V OLLMER 2017). Orientierung für einen sprachbildenden und -fördernden Fachunterricht bilden die Vorschläge von G IBBONS (2002/ 2015) und darin ausgeführte rezeptive und produktive Maßnahmen aus dem Bereich des Makro- und Mikro-Scaffoldings. Vorschläge zur Berücksichtigung von Mehrsprachigkeit im Fachunterricht liegen jedoch erst ausschnitthaft und kaum evidenzbasiert vor (vgl. u.a. B RANDT / G OGOLIN 2017: 55-64; R ÖSCH 2017b für den Deutschunterricht). Theoretische und praktische Impulse kommen zudem aus bilingualen Beschulungsmodellen bzw. dem Content and Language Integrated Learning (CLIL) (vgl. zu CLIL in German/ CLILiG H AATAJA / W ICKE 2018; zur Integration von Migrationssprachen in bilinguale Modelle Rösch 2017b: 204). Für die berufliche Bildung und den Arbeitsmarkt wird einerseits das hohe Potenzial von Zuwanderung hervorgehoben (vgl. R IEDL 2017: 21f.), andererseits liege die Ausbildungsquote von Personen mit Zuwanderungshintergrund deutlich unter der von Auszubildenden ohne Zuwanderungshintergrund und insbesondere die Einbindung von Geflüchteten gelinge erst deutlich verspätet (ebd.: 22). Dies wird auch mit den sprachlichen Anforderungen, die als Zugangsvoraussetzung in der beruflichen Bildung fungieren, in Zusammenhang gebracht. Deshalb wird (die in weiten Teilen noch ausstehende) fachintegrierte und außerdem eine ergänzende ausbildungsbegleitende Sprachförderung als dringende Aufgabe verstanden (vgl. N IEDERHAUS 2011); gleichzeitig werden fehlende Materialien und Diagnoseinstrumente konstatiert (vgl. zu Entwicklungen und Fördervorschlägen T ERRASSI -H AUFE & B ÖRSEL 2017). 3. DaZ-Diagnostik U.a. G OGOLIN (2010) konstatierte vor zehn Jahren einen Mangel im Bereich mehrsprachigkeitsbezogener Diagnostik, insbesondere hinsichtlich förderdiagnostischer Verfahren und mehrsprachiger Diagnoseverfahren. Seitdem hat sich die Lage in Teilen verändert (vgl. J EUK / S ETTINIERI 2019 mit Beiträgen zu Diagnostik u.a. in Phone- Deutsch als Zweitsprache - Ausgewählte Schwerpunkte der didaktischen Diskussion 103 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0021 tik, Orthographie, Lexik, Syntax/ Morphologie, Hören, Sprechen, Pragmatik, Lesen und Schreiben). Als neuer Teilbereich ist die Diagnose bildungssprachlicher Kompetenzen hinzugekommen (vgl. F ORNOL / H ÖVELBRINKS 2019). Jedoch, so resümieren S ETTINIERI / J EUK (2019: 12), liegen im Vergleich zu sprachdiagnostischen Verfahren, die für Kinder und Jugendliche mit deutscher Erstsprache entwickelt wurden, immer noch erst wenige mehrsprachigkeitsbezogene Verfahren vor, vor allem fehlten solche, die auch Kompetenzen in der Herkunftssprache einbeziehen (vgl. im Überblick J EUK / L ÜTKE 2019). Von einem „zufriedenstellenden Stand“ (G OGOLIN 2010: 1313) kann also auch zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht gesprochen werden. Die nach wie vor rege Diskussion zur Sprachdiagnostik, geführt von Linguistik, Sprachdidaktik, Zweitspracherwerbsforschung und Sprachpsychologie, betrifft weitere grundsätzliche Problemfelder (vgl. S ETTINIERI / J EUK 2019: 10-12). Das Spannungsfeld zwischen einer zumeist standardisierten, häufig bildungspolitisch initiierten Selektionsdiagnostik und einer binnendifferenzierenden, individuell ausgerichteten Förderdiagnostik (vgl. ebd.: 4) gewinnt auch vor dem Hintergrund der inklusiven Schule eine neue Brisanz (vgl. ebd.: 16). Ein weiteres Spannungsfeld betrifft die Diskussion um das Verhältnis von quantitativen, zeitökonomischen und normierten Screening- und Testverfahren im Vergleich zu qualitativen, individualdiagnostischen und zumeist nicht-normierten Verfahren (vgl. ebd.). Insbesondere für den Elementarbereich liegen viele Screening- und Testverfahren vor (vgl. D ECKER -E RNST 2019: 155). Das einzige psychometrische Verfahren für dreibis siebenjährige Kinder mit der Erst- und Zweitsprache Deutsch, dessen Normierung das Kontaktalter in der Zweitsprache Deutsch berücksichtigt, ist die Linguistische Sprachstandserhebung Deutsch als Zweitsprache (LiSe-DaZ) (S CHULZ / T RACY 2011). Zu den nicht-normierten sprachdiagnostischen Grundverfahren gehören u.a. Beobachtungsverfahren, Profilanalysen und Schätzverfahren. Sie sind zeitaufwändiger in der Durchführung und teils nicht standardisiert, außerdem erfordern sie eine umfangreiche linguistische Expertise beim durchführenden pädagogischen Personal (vgl. die Problematisierung von G OGOLIN 2010: 1312). In den letzten zehn Jahren wurden eine Reihe nicht-normierter, teils halb-standardisierter Verfahren für den Einsatz bei Kindern und Jugendlichen mit der Zweitsprache Deutsch entwickelt (vgl. den Überblick von J EUK / L ÜTKE 2019; vgl. zur Diagnostik bei Sprachentwicklungs- und Sprechstörungen C HILLA / R OTHWEILER / BABUR 2013). Auch wenn informelle Verfahren wegen ihrer mangelnden Objektivität und Vergleichbarkeit teils kritisch kommentiert werden (vgl. z.B. G OGOLIN 2010: 1309), finden sie insbesondere im unterrichtspraktischen Kontext Anwendung: bspw. Beobachtungsverfahren wie die Niveaubeschreibungen Deutsch als Zweitsprache für die Primar- und Sekundarstufen (u.a. D ÖLL / R EICH 2013), der USB DaZ (F RÖHLICH / D ÖLL / D IRIM 2014) oder profilanalytische Verfahren (u.a. H EILMANN 2012). Sprachdiagnoseverfahren für Erwachsene werden insbesondere unter dem Gesichtspunkt sogenannter „High-Stakes-Tests“ diskutiert, da sie weitreichende Konsequenzen für die Lernenden mit sich bringen (vgl. P ORSCH / W ENDT 2019). Hierzu werden Tests im Kontext von Ehepartner*innennachzug, Integrationskursen und 104 Beate Lütke DOI 10.2357/ FLuL-2020-0021 48 (2019) • Heft 2 Hochschulzugangsberechtigungen gezählt. In der kritischen Debatte werden dahingehende Forderungen erhoben, „migrationsbezogene […] Qualitätskriterien“ anzulegen und diesbezüglich Konstrukte und Messvalidität zu prüfen; weiterhin wird auf die häufig mangelnde Passung von Sprachkursen in den Herkunftsländern und staatlich empfohlenen Testverfahren hingewiesen (vgl. ebd.: 237). 4. DaZ-Kurse für Schüler*innen und Erwachsene Neben den vorab dargestellten integrierten Unterrichtskonzepten steht (schon seit längerem) ein den Regelunterricht ergänzender Deutsch-als-Zweitsprache-Förderunterricht im Zentrum öffentlicher und fachlicher Debatten. Solche „DaZ-Kurse“ (R ÖSCH 2017a: 590) werden von Schüler*innen mit Sprachförderbedarf über einen bestimmten Zeitraum besucht und sind vor dem Hintergrund der verstärkten Zuwanderung der letzten Jahre zum Gegenstand der wissenschaftlichen Auseinandersetzung geworden (vgl. zu unterschiedlichen Beschulungsmodellen M ASSUMI / VON D EWITZ 2015: 7; zu Curricula D ECKER -E RNST 2017: 220f.; zur kritischen Diskussion u.a. R EICH 2017; F ÜLLEKRUSS / D IRIM 2019). Sprachförderangebote sind in diesem Zusammenhang entweder vorbereitend (Übergang vom Kindergarten in die Grundschule oder in eine Regelklasse), regelklassenbegleitend oder auch in Teilungsgruppen organisiert (vgl. R ÖSCH 2017a: 590). Die kontinuierliche Zuwanderung im letzten Jahrzehnt hat zu einem großen Engagement in der DaF/ DaZ-Fachgemeinschaft geführt (vgl. D RONSKE et al. 2016a), weiterhin auch zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem staatlichen Umgang mit Migrant*innen und der Lehr- und Lernsituation an Institutionen (vgl. u.a. S CHRAMM 2011). Im Bereich didaktischen Handelns werden Themen wie Diagnostik (vgl. u.a. D ECKER -E RNST 2019), bildungssprachliche Anforderungen und schul- und unterrichtspraktische Modelle diskutiert (vgl. u.a. verschiedene Beiträge in D RONSKE et al. 2016b und Einzelbeiträge in H AATAJA / W ICKE 2018). Erst seit kurzem liegen auch Forschungsergebnisse zur Bildungsbeteiligung und den Lebensbedingungen der 2013/ 14 eingewanderten Kinder und Jugendlichen vor (vgl. D E P AIRA L AREIRO 2019), außerdem werden temporäre Sprachlernangebote evaluiert (vgl. u.a. K ARA - KAYALI et al. 2016; D E P AIRA L AREIRO 2019; zu Integrationskursen T ISSOT et al. 2019). K ARAKAYALI et al. (2016: 7) 5 empfehlen auf Basis ihrer Daten u.a. eine integrierte Beschulung von neu zugewanderten Grundschulkindern in der Regelklasse anstelle von separierten „Willkommensklassen“; sie betonen außerdem die Notwendigkeit einer Einbindung von DaZ-Lehrkräften in den Regelunterricht. Als Probleme identifizieren sie bspw. den mangelnden Kontakt der WK-Kinder mit Kindern aus den Regelklassen, fehlende Curricula für den WK-Unterricht und fehlende/ unpassende 5 Insgesamt wurden 18 „Willkommensklassen“ an zehn Grundschulen in acht Berliner Bezirken untersucht (auf Basis teilnehmender Beobachtungen und Interviews mit Leitungen von Koordinierungsstellen). Deutsch als Zweitsprache - Ausgewählte Schwerpunkte der didaktischen Diskussion 105 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0021 Materialien sowie mangelnde Konzepte für den Übergang in die Regelklassen (vgl. zum Problem von Orts- und Schulwechseln D E P AIRA L AREIRO 2019: 1). Darüber hinaus zeigen die Daten der ReGES-Studie (W ILL et al. 2018: 32, 34), dass insgesamt zu wenige ergänzende (auch außerschulische) Sprachförderangebote für Kinder und Jugendliche existieren. In Ergänzung oder Ermangelung an Förderangeboten greifen viele Jugendliche auf internetbasierte Möglichkeiten des Sprachlernens und Fernsehen zurück (vgl. W ILL et al. 2018: 33; zu digitalen Sprachlernangeboten B IEBIG - HÄUSER / FEICK 2020). In Bezug auf Sprachkurse für Erwachsene stehen insbesondere Integrationskurse und daran gekoppelte Sprachlern- und Alphabetisierungsangebote im Fokus der wissenschaftlichen Debatte (vgl. u.a. L OCHNER 2016; P IETZUCH 2015: 39-42; S CHRAMM 2011). Aus Begleituntersuchungen des BAMF geht hervor, dass die Teilnehmer*innen höchst heterogene Lernvoraussetzungen und Bildungsbiographien aufweisen (vgl. T ISSOT et al. 2019: 25). Insbesondere Alphabetisierungs- und die seit 2017 eingeführten Zweitschriftlernkurse werden von Zuwander*innen aus Gebieten mit hoher „Schutzquote“ 6 absolviert (ebd.: 23). Nach Einschätzung der Kursteilnehmer*innen steht der Erwerb von Deutschkenntnissen mit dem Besuch der Integrationskurse in einem positiven Zusammenhang (vgl. ebd.); gleichwohl wird deutlich, dass für eine weiterführende Berufsorientierung Unterstützung benötigt wird (vgl. ebd.). In der wissenschaftlichen Debatte werden Vorschläge formuliert, die sich auf über das Sprachlernen hinausgehende curriculare Erweiterungen (vgl. S CHRAMM 2011: 227; H AMMAN / S TEIN / F EICK / P IETZUCH 2013: 30) und eine stärker binnendifferenzierende und bedarfsorientierte Ausrichtung der Kurse richten (vgl. K AUFMANN 2010: 1099-1100; hinsichtlich einer berufsbezogenen Ausrichtung D AASE 2018; zu Bedarfen hochqualifizierter Migrant*innen P IETZUCH 2015). Kurse und vor allem Kanones zur Wertevermittlung werden diskriminierungskritisch diskutiert (vgl. S CHMÖLZER -E IBINGER / A KBULUT / B USHATI 2019: 7f.). Sprachförderung und -diagnostik Erwachsener zeichnen sich weiterhin als Feld mit dringendem Handlungsbedarf aus. 5. Förderung sprachlicher Teilbereiche 5.1 Literale Kompetenzen Im Bereich des Lesens werden für den Grundschul- und Sekundarbereich seit ca. 15 Jahren vielfältige Lesefördermaßnahmen umgesetzt (vgl. als Überblick zu L2-geeigneten Verfahren K ALKAVAN -A YDIN 2018). Positiv evaluiert wurden leseflüssigkeits- und lesestrategiefördernde Maßnahmen, die sich für schwache Leser*innen generell (unabhängig ob ein- oder mehrsprachig) als geeignet erwiesen (vgl. L ÜTKE 2019: 282f.). Von einer DaZ-spezifischen Leseförderung kann in diesem Zusammenhang 6 Hierzu gehören Eritrea, Irak, Iran, Somalia und Syrien. 106 Beate Lütke DOI 10.2357/ FLuL-2020-0021 48 (2019) • Heft 2 nicht gesprochen werden, außer wenn Vorschläge aus dem angloamerikanischen Raum einbezogen werden, wonach erstsprachliche Kompetenzen und kulturelle Aspekte in den Leseprozess einbezogen werden (vgl. K ALKAVAN -A YDIN 2018: 242; R ÖSCH 2017b). Für die Sekundarstufe wird verstärkt auf die Rolle einer lesebegleitenden, bildungssprachlich ausgerichteten Wortschatzarbeit hingewiesen (vgl. u.a. P HILIPP / E FING 2018: 200f., 209f.). Hinsichtlich des Schreibens in der Zweitsprache (vgl. G RIEßHABER / S CHMÖLZER - E IBINGER / R OLL / S CHRAMM 2018) werden zumeist aus der angloamerikanischen Schreibforschung rezipierte Ansätze adaptiert, wobei sich aus der L2-Erwerbsforschung abgeleitete Vorschläge mit solchen aus der Deutsch-als-Erstsprach- und Fremdsprachendidaktik überlagern. Im Zentrum verschiedener schreibdidaktischer Perspektiven steht eine kommunikativ ausgerichtete, schreibprozess- und produktorientierte Ausbildung literaler Fähigkeiten mit dem Ziel, funktionale Texthandlungskompetenzen auszubilden (vgl. S CHMÖLZER -E IBINGER 2018). Zu den Maßnahmen, die für schwache Schreiber*innen generell geeignet sind, zählen u. a. Schreibflüssigkeits- und -strategietrainings (vgl. L ÜTKE 2019: 284f.). Die Bewusstmachung von Schreibstrategien und damit die Fähigkeit zunehmend selbst-reguliert den Schreibprozess (Planung, Formulierung, Überarbeitung) zu überwachen und das eigene Produkt zu beurteilen (vgl. zum Potenzial bewusstmachender Feedbackgespräche bei L2- Studienbewerber*innen L AMMERS 2017), wird vermehrt mit textmuster- und -sortenbezogenem Schreiben verbunden. Hierdurch werden auch Bezüge zum Schreiben im Fachunterricht und im Herkunftssprachenunterricht möglich (vgl. u.a. zum mehrschriftlichen Schreiben G ÜRSOY / R OLL 2018). Vor dem Hintergrund der heterogenen literalen Ausgangslagen Neuzugewanderter ist der Bedarf nach einer stärker forschungs- und diagnosebasierten sowie binnendifferenzierenden L2-Alphabetisierung gestiegen, die dieser Heterogenität auch in Bezug auf didaktische Maßnahmen und Fortbildungsangebote Rechnung trägt (vgl. F EICK / P IETZUCH / S CHRAMM 2013). Sowohl die Art des erstsprachlichen Analphabetismus (primärer, sekundärer, totaler oder funktionaler Analphabetismus) 7 , die damit verbundenen Schrift- und Schulerfahrungen sowie die erstsprachliche Beschaffenheit und das jeweilige Schriftsystem - handelt es sich um eine lateinische, lateinverwandte oder nicht-lateinische Alphabetschrift oder um eine nicht-alphabetische Schrift - werden als relevante Ausgangsinformationen für die Alphabetisierung angesehen; ebenso sollten mündliche Kompetenzen und Fähigkeiten im Hörverstehen auch aus der L1 berücksichtigt werden (B ERKEMEIER 2018; für die Alphabetisierung Erwachsener M EMPEL / O CHS / S CHRAMM 2013). Für die Alphabetisierung Erwachsener im Kontext von Integrationskursen wird dem Konzept der Lernberatung eine wichtige Rolle für die Überwindung von Lernschwierigkeiten, die Regulation des eigenen Lernprozesses 7 Primärer Analphabetismus oder totaler Analphabetismus bezeichnet die Ausgangslage, dass eine Person aufgrund von Krieg, Armut oder mangelnden Bildungsmöglichkeiten im Herkunftsland im Laufe ihres Lebens keine Schule besuchen konnte und dementsprechend in ihrer L1 nicht alphabetisiert ist; bei sekundärem bzw. funktionalem Analphabetismus hat eine Person, z. B. aufgrund einer lückenhaften Schullaufbahn, schriftbezogene Fähigkeiten wieder verlernt (vgl. M ARKOV / W AGGERSHAUSER 2018: 396). Deutsch als Zweitsprache - Ausgewählte Schwerpunkte der didaktischen Diskussion 107 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0021 und die Ausbildung von Lernstrategien zugewiesen (vgl. M ARKOV / S CHEITHAUER / S CHRAMM 2015). Für die L2-Alphabetisierung bei Eintritt in die Grundschule wird mittlerweile davon ausgegangen, dass mehrsprachige Kinder mit gut ausgebildeten mündlichen Kompetenzen beim Erwerb der deutschen Schriftsprache im Grunde die gleichen Strategien anwenden wie Kinder mit der L1 Deutsch, sodass bei dieser Ausgangslage ein einheitliches Vorgehen empfohlen wird (vgl. zu methodischen Verfahren B ERKEMEIER 2018). Kontrastiven Einflüssen aus der L1 wird vor dem Hintergrund der vorliegenden Forschung nur ein marginaler Einfluss zugewiesen. Zur Orientierung für die L2-Alphabetsierung Erwachsener werden momentan in Ermangelung zielgruppenspezifischer Modelle hauptsächlich Schriftspracherwerbsmodelle aus dem Grundschulbereich herangezogen (vgl. M ARKOV / W AGGERSHAUSER 2018: 397f., zu einem Kompetenzmodell für Arbeitskräfte ebd.: 400). 5.2 Wortschatz und Grammatik Kinder, die Deutsch als L2 erwerben, treten häufig mit einem geringeren Wortschatz im Deutschen in die Schule ein als die monolingual-deutschsprachige Vergleichsgruppe; gleichwohl haben sie einen vergleichbaren Umfang, wenn der Wortschatz in beiden Sprachen berücksichtigt wird (vgl. u.a. A PELTAUER 2017). Da Umfang und Tiefe des Wortschatzes eine wichtige Voraussetzung für Leseverstehen und schriftliche Textqualität bilden, wird einer systematischen unterrichtlichen (auch mehrsprachig angelegten) Wortschatzarbeit eine hohe Bedeutung beigemessen (vgl. L ÜTKE 2019: 277; P ETERSEN / K ILIAN 2017: 112). Erste Untersuchungen zeigen, dass der Umgang mit bildungssprachlichen Ausdrücken für Schüler*innen unabhängig davon, ob sie Deutsch als L1 oder L2 erwerben, herausfordernd ist (vgl. B ÖHME / H EPPT / S TANAT 2017: 200-202). Deshalb wird dem Wortschatzbereich auch im Kontext von fachintegrierter Sprachbildung und -förderung eine wichtige Rolle zugewiesen. Im Fokus stehen dabei u.a. semantische Aspekte (Begriffsbildung, Wissen zur Bedeutungsvielfalt und Wortbildung) und textgrammatische lexikalische Mittel (vgl. P HILIPP / E FING 2018: 199f.). Für den deutschsprachigen Raum gibt es bisher wenig empirische Evidenz, welche Verfahren der Wortschatzvermittlung langfristig wirksam werden (vgl. P ETERSEN / K ILIAN 2017: 110). Förderprinzipien werden deshalb noch größtenteils aus angloamerikanischen Wirksamkeitsuntersuchungen abgeleitet (vgl. P HILLIP / E FING 2018: 210). Im Zentrum stehen dabei Formen der impliziten und expliziten Wortschatzvermittlung (vgl. hierzu auch A PELTAUER 2017: 318-320; L ÜTKE 2019). Auch im Hinblick auf die Förderung grammatischer Kompetenzen bildet die Zielsetzung des Auf- und Ausbaus bildungssprachlicher Register eine zentrale Perspektive. Daneben wird das konzeptionelle Spektrum zwischen Grammatikförderung im Deutsch-Fachunterricht, in dem Schüler*innen mit Deutsch als L1 und L2 gemeinsam lernen, und einer ergänzenden bzw. additiven Förderung differenzierter betrachtet (vgl. u.a. P ETERSEN / K ILIAN 2017; R ÖSCH 2017a). Zur Anwendung kommen grammatikdidaktische Prinzipien des Deutsch-Fachunterrichts, des DaF-Unterrichts sowie 108 Beate Lütke DOI 10.2357/ FLuL-2020-0021 48 (2019) • Heft 2 DaZ-didaktische Elemente (R ÖSCH 2017a: 590). Empfohlen wird ein systematisch angelegter, sprachhandlungsbezogener, integrierter, d. h. im Kontext von mündlichen und schriftlichen Sprachgebrauchssituationen verankerter, funktional ausgerichteter Grammatikunterricht (vgl. z.B. K NAPP / O OMEN -W ELKE 2017: 186f.; zur Orientierung an DaF im Hinblick auf Chunks vgl. P ETERSEN / K ILIAN 2017: 88). Auch im Bereich der Grammatikförderung werden Vor- und Nachteile expliziter und impliziter Aufmerksamkeitssteuerung und Vermittlung - teilweise unter Bezugnahme auf die Konzepte des Focus on Meaning und Focus on Form(s) - diskutiert (vgl. u.a. P AGONIS 2015). 6. Qualifizierung im Bereich DaZ In der universitären Lehrkräfteausbildung wurden seit 2007 - mittlerweile teils gesetzlich verankert wie in Berlin und NRW - und eingeschränkt auch im Vorbereitungsdienst unterschiedliche Formen von Deutsch als Zweitsprache-Modulen oder -Seminaren integriert (vgl. L ÜTKE 2017) sowie ein breites Spektrum an Materialien und Studienbüchern publiziert. Damit einhergehend zeichnet sich eine DaZbezogene Professionalisierungsforschung ab (vgl. B ECKER -M ROTZEK et al. 2017; E HMKE et al. 2018). Für die empirische Beforschung von Sprachförder- und DaZ- Kompetenzen liegen mit dem SprachKoPF-Modell (H OPP / T HOMA / T RACY 2010) und dem DaZKom-Modell (vgl. O HM 2018) mittlerweile zwei theorie- und empiriebasierte Kompetenzmodelle vor, die für Kompetenzforschung in der universitären Ausbildung, dem Vorbereitungsdienst und Fortbildungen herangezogen werden (vgl. u.a. die Beiträge zu „Lehrkräftebildung“ in A HRENHOLZ et al. 2019). 7. Ausblick Der Überblick zeigt, dass sich DaZ-didaktische Entwicklungen in den letzten zehn Jahren in einem interdisziplinären Spannungs- und Wirkungsfeld bewegt haben. Die verschiedenen Diskussionsstränge und Forschungsfelder sind durch Anerkennung und Wertschätzung von mehrsprachlicher und kultureller Heterogenität und Diversität geprägt und verstärkt von fachinternen problemorientierten Reflexionen begleitet, die die verschiedenen Disziplinen unter einem gemeinsamen Interesse zusammenführen. Die Ausführungen machen deutlich, dass bereits viele Prozesse in allen Bereichen angestoßen wurden. Insbesondere für die Elementar- und schulische Bildung, vergleichsweise weniger für Sprachlerner*innen im Beruf und Erwachsene, liegen mittlerweile einige Verfahren und Konzepte für Diagnose und Sprachbildung und -förderung vor. Gleichwohl bestehen nach wie vor weitreichende Entwicklungs-, Qualifizierungs- und Forschungsbedarfe. Besonders dringend erscheinen u.a. evidenzbasierte Angebote für eine diagnosebasierte, ressourcenorientierte und binnendifferenzierte Alphabetisierung in der L2, vor allem für Jugendliche und Erwachsene, ein Deutsch als Zweitsprache - Ausgewählte Schwerpunkte der didaktischen Diskussion 109 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0021 größeres (kostenfreies) Angebot an digitalen Sprachlernprogrammen und autonomen Lernmöglichkeiten auch berufsorientierter Art für diese Zielgruppen sowie weitere wissenschaftliche Bestrebungen, um benachteiligten Lerner*innen durch eine diagnosebasierte, systematische und durchgängige mehrsprachliche Bildung Chancen für eine gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe und Partizipation zu ermöglichen. Literatur A HRENHOLZ , Bernt (2017): „Zweitspracherwerbsforschung“. In: A HRENHOLZ , Bernt / O OMEN - W ELKE , Ingelore (Hrsg.): Deutsch als Zweitsprache. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren, 102-120. 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Furthermore, it highlights the neglect of lexical competence in research, especially in the field of Romance and Slavic languages. Finally, it deduces suggestions for the development of research and teaching of lexical competence. 1. Lexik als zentrales Komplexitätsmerkmal natürlicher Sprachen Die Lexik einer beliebigen lebenden Sprache ist äußerst umfangreich und komplex. Sie zu erforschen und zu beschreiben ist die Aufgabe der Sprachwissenschaft und Lexikografie. Sie für Lernende zugänglich zu machen ist Aufgabe der Didaktik. Für den L1-Erwerb wie für das Lernen einer Fremdsprache gilt, dass der Aufbau einer umfangreichen Sprachkompetenz nur Hand in Hand mit dem Aufbau einer umfangreichen lexikalischen Kompetenz erfolgreich sein kann. Lexikalische Kompetenz wird hier im Anschluss an T ARGOŃSKA / S TORK (2013) verstanden als komplexe Kompetenz, die neben klassischen Subkompetenzen (phonetisch-phonologische Kompetenz, orthographische Kompetenz, semantische Kompetenz etc., vgl. ebd.: 88) weitere Subkompetenzen einschließt (Wortbildungskompetenz, Kollokationskompetenz, lexikalische Strategien und reflexive Teilkompetenz, vgl. ebd.: 90-100). Eine in diesem Sinne umfassende lexikalische Kompetenz stellt sich beim L1- Erwerb scheinbar mühelos und vorwiegend durch implizites Lernen ein. Beim gesteuerten Fremdsprachenlernen, das meist von einer mehr oder weniger zufälligen Kombination aus implizitem und explizitem Lernen geprägt ist (vgl. D E F LORIO -H ANSEN 2006), bleibt ein solcher Erfolg jedoch häufig trotz jahrelanger Anstrengungen aus * Korrespondenzadresse: Jun.-Prof. Dr. Jochen P LIKAT , Technische Universität Dresden, Fakultät Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften, Institut für Romanistik, 01062 D RESDEN . E-Mail: jochen.plikat@tu-dresden.de Arbeitsbereiche: Didaktik des kulturellen Lernens, digitale Medien, Kompetenzentwicklung im Bereich der Lexik. Lexikalische Kompetenz - Stiefkind der fremdsprachendidaktischen Forschung? 115 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0022 (vgl. B ÜRGEL / S IEPMANN 2010, 2012; B ÜRGEL et al. 2016). In der Tat ist die Lexik einer beliebigen natürlichen Sprache so komplex, dass sie selbst die ambitioniertesten Lernenden in die Verzweiflung treiben kann. Diese Komplexität zeigt sich in mehrerlei Hinsicht: Erstens zeigt sie sich sowohl an der schieren Zahl von Wörtern 1 als auch an deren jeweils inhärenter Vielschichtigkeit. Schätzungen für den Umfang der Lexik z.B. des Englischen liegen zwischen 100.000 und einer Million Wörtern (vgl. L IGHTBOWN / S PADA 2013: 61). Wie viele dieser Wörter L1-Sprecherinnen und -Sprecher kennen, ist ebenfalls bis heute sehr umstritten. Die Zahl dürfte nur selten unter 10.000 liegen, in den allermeisten Fällen jedoch deutlich darüber (vgl. ebd.; H AUSMANN 2005). Nun verfügt darüber hinaus jedes einzelne Wort hinsichtlich seiner Erscheinungsformen (v.a. Flexionsformen), seiner Grundbedeutung(en) und seines grundlegenden Gebrauchs über eine eigene, teils erhebliche Komplexität. Nicht ohne Grund bezeichnet A ITCHISON (2012: 52) Wörter daher als „slippery customers“ („aalglatte Burschen“). Dabei handelt es sich zunächst um ein lexikografisches, im selben Maße jedoch auch um ein didaktisches Problem. Dessen Ausgangspunkt ist die nur auf den ersten Blick triviale Frage, was es bedeutet, ein Wort zu ‚kennen‘. Auch L IGHTBOWN und S PADA (2013: 64) stellen sie: What does it mean to ‚know‘ a word: • Grasp the general meaning in a familiar context? • Provide a definition or a translation equivalent? • Provide appropriate word associations? • Identify its component parts or etymology? • Use the word to complete a sentence or to create a new sentence? • Use it metaphorically? • Understand a joke that uses homonyms ([…] such as ‚cents‘, ‚sense‘, ‚scents‘? ) Um das Niveau C1 oder gar C2 zu erreichen, müssten Fremdsprachenlernende zu alldem in der Lage sein (vgl. ebd.). Der zweite Komplexitätsfaktor liegt darin, dass Wörter häufig über eine kulturelle Aufladung (mots à charge culturelle partagée, vgl. G ALISSON 2000: 50) und somit einen großen semantischen Nuancenreichtum verfügen. Dieses Phänomen sei hier anhand der subtilen Bedeutungsverschiebung im Englischen von underdeveloped zu developing illustriert: underdeveloped countries wird heutzutage aufgrund seiner pejorativen, mutmaßlich neokolonial geprägten Färbung weniger genutzt als früher. Vielmehr ist es inzwischen üblich, von developing countries zu sprechen. Dies ist einerseits eine schlichte Frage des Gebrauchs, den sich Lernende im Sinne einer nor- 1 Ich verzichte hier aus Platzgründen auf eine sprachwissenschaftliche Diskussion der einschlägigen, z.T. sehr differenzierten Terminologie. ‚Wort‘ ist der etablierte linguistische Terminus für die sinntragende, „intuitiv gut erfassbare, doch theoret. schwer zu definierende Grundeinheit des Wortschatzes“ (G LÜCK / R ÖDEL 2016: 769). ‚Wort‘ wird alltagssprachlich, aber auch in der Linguistik, Lexikografie und Didaktik in aller Regel als Synonym für ‚Lexem‘ verwendet. 116 Jochen Plikat DOI 10.2357/ FLuL-2020-0022 49 (2020) • Heft 2 mativen Vorgabe vergleichsweise leicht einprägen können. Eine vertiefte Kenntnis würde jedoch bedeuten, vor dem Hintergrund politikwissenschaftlicher, ökonomischer und postkolonialer Diskurse zumindest ansatzweise mit den Gründen für diese Verschiebung vertraut zu sein. Kreative Sprachverwendungen wie z.B. in dem Buchtitel How Europe Underdeveloped Africa (R ODNEY 1981) zeigen in diesem Zusammenhang, welche Ausdrucksmöglichkeiten sich bieten, wenn man die formalen, semantischen und kulturell-diskursiven Konventionen von Wörtern nicht nur kennt, sondern sie auch bewusst zu überschreiten weiß. Neben der großen Zahl an Einzelwörtern, die menschliche Sprachen ausmachen, und ihren vielfältigen Bedeutungsnuancen gewinnt das Thema Lexik, drittens, auf der Ebene von Mehrwortverbindungen in erheblichem Maße an zusätzlicher Komplexität. Wie sich u.a. an der weiterhin häufig anzutreffenden säuberlichen Trennung zwischen Wortschatz- und Grammatikteilen in Lehrwerken ablesen lässt, scheint bis heute die Vorstellung verbreitet zu sein, bei der produktiven Sprachverwendung entnehme man dem mentalen Lexikon Einzelwörter, die zur jeweiligen Mitteilungsabsicht passen, und füge sie nach grammatischen Regeln zu wohlgeformten Äußerungen zusammen (words-and-rules-approach, vgl. dazu kritisch S IEPMANN 2007: 63), und bei der Rezeption gehe man entsprechend umgekehrt vor. So belegt etwa S IEPMANN (2014) in einer Analyse der Wortschatzteile von gängigen Englischlehrwerken, dass selbst in Materialien für das Fach Englisch weiterhin Einzelwörter eine viel zu große und Phraseme eine viel zu geringe Rolle spielen. Der words-and-rules-approach ist jedoch irreführend, denn der Gebrauch natürlicher Sprachen ist weniger auf der Einzelwortebene strukturiert, sondern zu über 80 % idiomatisch geprägt (vgl. B ÜRGEL / S IEPMANN 2010: 192). Dabei spielen Kollokationen eine Schlüsselrolle, unter anderem im Hinblick auf die Sprachökonomie. Bei Kollokationen handelt es sich nach H AUSMANN (1984: 398f.) um „[…] Halbfertigprodukte der Sprache, welche der Sprecher nicht kreativ zusammensetzt, sondern als Ganzes aus der Erinnerung holt und der Hörer als bekannt empfindet.“ S IEPMANN (2002: 254) schlägt eine weit gefasste frequenzbasierte Definition vor, der ich mich anschließe: „Kollokationen sind in großen, repräsentativen Korpora (Mindestgröße: eine Milliarde Wörter) mit einer bestimmten Mindestfrequenz […] auftretende Kookkurrenzen von lexikalischen Einheiten.“ 2 N ATION (2013: 48-50) nennt allein für das ‚Kennen‘ des Wortes underdeveloped 19 Can-do-Deskriptoren - eine Liste, die verdeutlicht, wie fein ausdifferenziert lexikalische Kompetenz sein muss, wenn man ein hohes Sprachniveau erreichen möchte. Die Liste würde für viele Wörter bei einer erschöpfenden Berücksichtigung von Kollokationen noch deutlich länger ausfallen. Die aus didaktischer Sicht besondere Tücke von Kollokationen liegt nun in dem Umstand, dass sie in der Rezeption häufig transparent oder zumindest semitransparent und somit unauffällig sind. Wie sagt man aber z.B. decken auf Italienisch, wenn es um einen Tisch geht? Wer hier *coprire la tavola (dt. decken - ital. coprire) oder 2 Zum Kollokationsbegriff vgl. u.a. R EDER (2006), F ORKL (2010), R ÖSSLER (2010). Lexikalische Kompetenz - Stiefkind der fremdsprachendidaktischen Forschung? 117 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0022 *mettere la tavola (frz. mettre la table) vermutet, liegt falsch - korrekt wäre apparecchiare la tavola (vgl. Z ÖFGEN 2001: 91; H AUSMANN 2005: 7; R ÖSSLER 2010). Zur Komplexität der Lexik natürlicher Sprachen trägt, viertens, der Umstand bei, dass Mehrwortverbindungen in zahlreichen Fällen selbst als komplexe bedeutungstragende Einheiten auftreten. Deren Semantik kann auf Grundlage der Einzelwörter mehr oder weniger transparent, aber auch vollkommen opak sein. Sie werden häufig als (halbfeste) ‚Idiome‘ oder ‚Phrasen‘ bezeichnet (dt. jemandem einen Bären aufbinden, span. cantar las cuarenta a alguien, engl. to go down the rabbit hole etc.). Darüber hinaus treten Mehrwortverbindungen auch als fest gefügte ‚Sprichwörter‘ auf (dt. Morgenstund hat Gold im Mund, ital. Invan si pesca, se l'amo non ha l'esca, span. ¡Hay ropa tendida! , poln. Co ma wisieć, nie utonie etc.), ebenfalls mit - bei Kenntnis der Einzelwörter - weitgehend transparenter bis hin zu vollkommen opaker Bedeutung. Die Betrachtung von Lexik auf der Ebene von Mehrwortverbindungen statt auf der Einzelwortebene stellt auch die traditionelle Rolle der Grammatik im Fremdsprachenunterricht in Frage. So betont L EWIS (2000: 15), dass Grammatik im herkömmlichen Fremdsprachenunterricht ohnehin Dinge leisten soll, für die sie nie gedacht war: No wonder students make so many grammar mistakes! They are using grammar to do what it was never meant to do. Grammar enables us to construct language when we are unable to find what we want ready-made in our mental lexicons. But so much of the language of the effective language user is already in prefabricated chunks, stored in their mental lexicons just waiting to be recalled for use. Die dichotomische Gegenüberstellung von Grammatik und Wortschatz, die dem words-and-rules-Ansatz entspricht, zeigt sich in diesem Licht als eindeutig obsolet. Diese Erkenntnis wurde in der fachdidaktischen Diskussion bereits vielfach thematisiert und mit der Forderung nach einer starken Aufwertung der Rolle von Kollokationen (im oben vorgeschlagenen weit gefassten Sinne) bei der Wortschatzvermittlung verbunden (vgl. u.a. H AUSMANN 1984; Z ÖFGEN 2001; S IEPMANN 2007; R ÖSSLER 2010; K ÜSTER / K RÄMER 2013). Gleichwohl ist bis heute empirisch vollkommen ungesichert, inwieweit solche Ansätze in den schulischen und hochschulischen Fremdsprachenunterricht übernommen wurden und werden (s.u. Abschnitt 3). Eigene Beobachtungen in zahlreichen Unterrichtsbesuchen sowie der Aufbau vieler Lehrwerke (vgl. S IEPMANN 2014) legen jedoch die Vermutung nahe, dass die Dichotomie von Grammatik und Wortschatz den Fremdsprachenunterricht weiterhin massiv bestimmt. Die Lexik natürlicher Sprachen zeigt sich somit gerade im Hinblick auf Kollokationen als äußerst komplex, ist jedoch gleichzeitig entscheidend für das tatsächliche Erreichen von Kompetenzen, und zwar sowohl funktional-kommunikativer Kompetenzen wie auch ‚weicher‘ Kompetenzen wie z.B. literarisch-ästhetischer Kompetenzen. Dies legt nahe, vertiefte lexikalische Kenntnisse zwar weiterhin in dienender Funktion, aber dennoch als eigenständige Kompetenz zu definieren (vgl. insbesondere T ARGOŃSKA / S TORK 2013). Derartige Modelle - auch im Licht etablierter Modellie- 118 Jochen Plikat DOI 10.2357/ FLuL-2020-0022 49 (2020) • Heft 2 rungen wie z.B. des ‚mentalen Lexikons‘ - zu diskutieren und empirisch zu überprüfen, ist eine dringende Aufgabe für die fremdsprachendidaktische Forschung. 2. Quantitative Vorgaben zur lexikalischen Kompetenz in bildungsadministrativen Dokumenten Wie die oben ausgeführten Überlegungen zeigen, ist die Lexik natürlicher Sprachen so komplex, dass selbst mit der besten Lernstrategie vielfältige Frustrationserlebnisse unvermeidlich sind. In jedem Fall müssen Lernende einer Fremdsprache über Jahre hinweg eine doppelte Überforderung aushalten: bei der Rezeption, weil es so oft viel zu viele Wörter gibt, die sie entweder einzeln oder in ihrer spezifischen Verwendung nicht verstehen, und bei der Produktion, weil sie so oft nicht ausdrücken können, was sie eigentlich ausdrücken wollen. Diese doppelte Überforderung stellt hohe Anforderungen an ihre Frustrationstoleranz, insbesondere bei der freien Sprachverwendung in der außerschulischen Lebenswelt. Über diese Anforderungen lassen sich durchaus auch quantitative Angaben machen. Zu erwarten wäre somit, dass solche Angaben in den relevanten bildungsadministrativen Vorgaben zu finden sind. Inwieweit trifft dies zu? Die Zielsetzungen im Bereich der Lexik für die verschiedenen Bildungsgänge in Schulen und Universitäten finden sich in den bundesweit verbindlichen Bildungsstandards für die Sekundarstufe 1 und 2 (vgl. KMK 2003, 2012) sowie in den Ländergemeinsamen inhaltlichen Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in der Lehrerbildung (KMK 2008 i.d.F. von 2018, in Folge LiA). In den Bildungsstandards für die Sekundarstufe 1 heißt es im Abschnitt „Wortschatz“: Die Schülerinnen und Schüler verfügen über einen hinreichend großen Wortschatz, um sich mit Hilfe von einigen Umschreibungen über die häufigsten Alltagsthemen der eigenen und der fremdsprachlichen Gesellschaft und Kultur (vgl. Kapitel 3.3) äußern zu können. Darüber hinaus sind sie in der Lage, zusätzliche lexikalische Einheiten hörend oder lesend zu verstehen (rezeptiver Wortschatz) oder selbstständig aus Texten zu erschließen (potentieller Wortschatz). Die Schülerinnen und Schüler machen aber noch elementare Fehler, wenn es darum geht, komplexere Sachverhalte auszudrücken und wenig vertraute Themen und Situationen zu bewältigen. (KMK 2003: 14f.) Diese Zielsetzung erscheint realistisch. Gleichwohl ist eine durchaus mögliche Aussage darüber, wie viele Wörter und Mehrwortverbindungen ein „hinreichend großer Wortschatz“ mindestens umfassen muss, nicht zu finden. Steil bergauf geht es von hier aus bis zum Abitur, also in den nächsten - je nach Bundesland - anderthalb bis zweieinhalb Schuljahren. So lautet die Vorgabe in den Standards für die fortgeführte Fremdsprache: Die Schülerinnen und Schüler greifen bei der Sprachrezeption und -produktion auf ein breites Repertoire lexikalischer, grammatischer, textueller und diskursiver Strukturen zurück, um die Fremdsprache auch als Arbeitssprache in der Auseinandersetzung mit komplexen Sachverhalten zu verwenden. [Sie können] Lexikalische Kompetenz - Stiefkind der fremdsprachendidaktischen Forschung? 119 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0022 - einen erweiterten allgemeinen und thematischen Wortschatz sowie einen Funktions- und Interpretationswortschatz nutzen - ihre lexikalischen Bestände kontextorientiert und vernetzt verwenden und dabei auch Wörter und Wendungen aus dem Bereich informeller mündlicher Sprachverwendung einsetzen. […] (KMK 2012: 20) Quantitative Aussagen zum Umfang der zu beherrschenden Lexik sind auch hier nicht vorhanden, ebenso wenig wie in den LiA (vgl. KMK 2008 i.d.F. von 2018: 44f.) Die Bildungsstandards für die Sekundarstufen 1 und 2 nehmen explizit Bezug zu den Niveaustufen des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens (vgl. E UROPA - RAT 2001, in Folge GeR). So wird am Ende der Sekundarstufe 1 im Wesentlichen das Niveau B1, in Englisch das Niveau B1+ angestrebt (vgl. KMK 2003: 11). Im Abitur wird dagegen das Niveau B2, in Englisch in Teilen auch das Niveau C1 angestrebt (vgl. KMK 2012: 10). In den LiA fehlt hingegen jeder Bezug zum GeR. Die dort verwendete Zielformulierung eines „nativnahe[n] Sprachkönnen[s]“ lässt sich jedoch kaum anders deuten als Niveaustufe C2, „Kompetente Sprachverwendung/ Mastery“ (E UROPARAT 2001: 34f.). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in den deutschlandweit verbindlichen Vorgaben selbst approximative Hinweise auf den zahlenmäßigen Umfang des rezeptiv und produktiv auf den verschiedenen Niveaustufen (B1/ B1+, B2 und C2) zu erwartenden Wortschatzes fehlen. Das ist in einer Zeit, in der im Bildungsbereich buchstäblich alles quantifiziert wird, doch überraschend. Zugegeben, das Vorhaben wäre keineswegs trivial. Man könnte sich dabei jedoch auf umfangreiche Vorarbeiten stützen, denn es liegen für die verschiedenen Schulfremdsprachen wissenschaftlich fundierte und aktuelle Wortschatzsammlungen vor, die zumindest in Bezug auf die Einzelwörter eine recht gute Orientierung geben. Für Französisch ist beispielsweise das bereits Ende der 1950er-Jahre von Georges G OUGENHEIM (1973) erstellte und mehrfach aktualisierte Français fondamental zu nennen, das ca. 3500 Einträge umfasst. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass 3500 Wörter mit dem gleichen Aufwand gelernt werden müssten, denn viele von ihnen lassen sich intralingual erschließen. Wer travail kennt, muss travailler und travailleur nicht mehr extra lernen. Durch die geschickte Ausnutzung von Familienähnlichkeiten lässt sich somit die Zahl der opaken, also nicht durch inter- oder intrasprachliche Vernetzungen erschließbaren und somit jeweils neu zu lernenden Wörter auf ca. 1000 bis 1500 reduzieren (vgl. H AUSMANN 2005: 7) - für einen vierbis fünfjährigen Bildungsgang in der zweiten Fremdsprache eine durchaus realistische Zielsetzung. Vergleichbare Sammlungen liegen für andere Schulfremdsprachen, z.B. Italienisch, vor. Die Sammlung „Nuovo vocabolario di base della lingua italiana“ (D E M AURO 2016) umfasst ca. 2000 grundlegende Wörter, ca. 3000 stark gebrauchte Wörter und zusätzlich 2500 hoch verfügbare Wörter. Auch diese Liste ließe sich jedoch auf der Grundlage von Familienähnlichkeiten deutlich reduzieren (z.B. insegnamento, insegnante, insegnare). H AUSMANN (2005) hat am Beispiel des Französischen den Umfang des Wortschatzes bestimmt, welcher auf Abiturniveau, auf Zwischenprüfungsbzw. BA-Niveau sowie am Ende eines philologischen Hochschulstudiums angestrebt werden muss, um 120 Jochen Plikat DOI 10.2357/ FLuL-2020-0022 49 (2020) • Heft 2 die jeweils vorgegebenen Kompetenzniveaus tatsächlich zu erreichen. Für das höchste Niveau („nativnah“, also C2) kommt er auf einen Wert von 20.000 Wörtern und Wendungen, von denen jedoch lediglich 10.000 opak sind, d.h. von Lernenden mit L1 Deutsch nicht durch verschiedene inter- und intralinguale Strategien erschlossen werden können. Auf dieser Grundlage schlägt er für das Abschlussniveau der Schule 2150 opake Wörter vor, für das Abschlussniveau des Grundstudiums/ BA weitere 3200 opake Wörter und für das Studienabschlussniveau/ MA weitere 3200 opake Wörter. Die verbleibenden 1500 Einheiten entfallen auf die häufigsten Wendungen (vgl. ebd.). Ob diese Zielsetzungen realistisch oder zu hoch gegriffen sind, ist an anderer Stelle zu diskutieren. In jedem Fall scheint es angebracht, sich auf den Umfang der rezeptiv und produktiv zu beherrschenden Lexik zu einigen und diesen zur Orientierung in curricularen Vorgaben anzugeben. 3. Lexikalische Kompetenz als Gegenstand der fremdsprachendidaktischen Forschung im deutschsprachigen Raum in den Jahren 2011-2020 Zum Umfang der englischsprachigen Forschungsliteratur im Feld der applied linguistics und Sprachlehrforschung notiert Rod E LLIS (2009: 335): „It is probably true to say that during my editorship of Language Teaching Research there have been more articles published on vocabulary teaching than on any other topic.“ Daran hat sich nach Einschätzung von S CHMITT (2019) auch in den seither vergangenen gut 10 Jahren nichts geändert. Wie zeigt sich demgegenüber die Lage in der fremdsprachendidaktischen Forschung im deutschsprachigen Raum? 2011 notieren G NUTZMANN , K ÖNIGS und K ÜSTER dazu in dieser Zeitschrift in einem Beitrag über die damaligen Tendenzen fremdsprachendidaktischer Forschung: So kann man durchaus mit einer gewissen Überraschung feststellen, dass Grammatik- oder Wortschatzvermittlung aktuell keine brisanten Forschungsthemen zu sein scheinen. Daraus den Schluss zu ziehen, dass diese Bereiche keine fremdsprachenunterrichtlichen Problemzonen mehr darstellen, scheint uns indes unangemessen. Wahrscheinlicher ist, dass mit typisch deutscher Gründlichkeit die neu aufkommenden Themen dazu geführt haben, dass die altbekannten, aber noch nicht gelösten Fragen des Fremdsprachenunterrichts durch die neuen Themen (unbeabsichtigt? ) entsorgt wurden. […] (ebd.: 12) Und an derselben Stelle fahren sie in einer kommentierenden Fußnote fort: Die ursprünglich kritisch gemeinte und aus einer nicht ganz unberechtigten Sorge um die Weiterentwicklung der Grammatikvermittlung im Fremdsprachenunterricht entstandene Frage, ob wir eine Wortschatzwende brauchen […], scheint sich derzeit deshalb nicht zu stellen, weil kaum ein Forscher sich der Frage einer angemessenen Grammatik- oder Wortschatzvermittlung im Fremdsprachenunterricht zuzuwenden scheint - so als habe die Praxis diesbezüglich weder Alltagsprobleme noch Anliegen an die Forschung. (ebd.) Eine systematische Erhebung und vertiefte inhaltliche Diskussion der im deutschsprachigen Raum entstandenen fremdsprachendidaktischen Forschung zum Thema lexi- Lexikalische Kompetenz - Stiefkind der fremdsprachendidaktischen Forschung? 121 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0022 kalische Kompetenz in den Jahren, die seit dieser Einschätzung vergangen sind, steht noch aus. 3 Für den hier vorliegenden Beitrag wurde zumindest ein Versuch in diese Richtung unternommen. So wurden auf Grundlage der für diesen Zeitraum relevanten sog. Sauer-Klippel-Listen die Titel der zwischen 2011 und 2018 abgeschlossenen Dissertationen und Habilitationen ausgewertet. 4 Für einen vertieften Einblick in die Dissertationen der Jahre 2014-2016 wurde zudem eine Studie von C ASPARI (2019) herangezogen. Weiterhin wurden die Forschungsreihen „Kolloquium Fremdsprachenunterricht“ (Peter Lang) sowie „Romanistische Fremdsprachenforschung und Unterrichtsentwicklung“ und „Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik“ (beide narr/ francke/ attempto) von 2011-2020 berücksichtigt. Zudem wurden die Beiträge in den sprachenübergreifenden forschungsorientierten Zeitschriften „Fremdsprachen Lehren und Lernen“, „Zeitschrift für Fremdsprachenforschung“, „Zeitschrift für Romanische Sprachen und ihre Didaktik“ sowie „Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht“ für den genannten Zeitraum gesichtet. Schließlich wurden aus dem Bereich DaF die Zeitschriften „Informationen Deutsch als Fremdsprache“, „Deutsch als Fremdsprache“ sowie „German as a foreign language“ ausgewertet. Dabei erfolgte in durchsuchbaren Textdokumenten und Webseiten zunächst eine maschinelle Suche mit sieben an die gängige Terminologie angelehnten trunkierten Suchbegriffen, und zwar ‚Wort*‘‚ ‚Lexik*‘, ‚Kollokation*‘, ‚Mittel*‘, ‚Vokabel*‘, ‚Chunk*‘ und ‚Konstruktion*‘. Anschließend erfolgte eine vollständige Durchsicht der Listen und Inhaltsverzeichnisse, um Studien zu angrenzenden, aber auch für die Lexik relevanten Themenfeldern berücksichtigen zu können. Ich gebe im Folgenden einen zusammenfassenden Überblick über die Ergebnisse der Recherche. In Daniela C ASPARI s (2019) Analyse der in den Jahren 2014-2016 veröffentlichten Dissertationen, die insgesamt 73 Arbeiten berücksichtigt, findet sich keine Studie zum Themenfeld Lexikalische Kompetenz. Die Sauer-Klippel-Listen der Jahre 2006- 2015 sowie 2014-2018 weisen dagegen seit 2011 mit der genannten Suchstrategie drei Treffer auf, und zwar zur Rolle von Bedeutungserklärungen beim Zugriff auf lexikalisches Wissen (N EZHAD M ASUM 2012) sowie zu Kollokationen in Wissenschaftssprachen (W ALLNER 2014). Weiterhin ist die Arbeit von Jennifer S CHLUER (2017a) zur „Lexical and Conceptual Awareness in L2 Reading“ zu nennen. Für das 3 Die Sichtung und Diskussion der Beiträge in Psychologie oder (angewandter) Sprachwissenschaft kann in diesem Rahmen nicht erfolgen, da es hier um eine überblicksartige Darstellung genuin fremdsprachendidaktischer Forschungsbeiträge gehen soll. Gleichwohl sei zumindest exemplarisch der Sammelband von T INNEFELD (2014) genannt. Nicht berücksichtigt werden zudem Beiträge in unterrichtspraktisch ausgerichteten Zeitschriften sowie Publikationen zum Wissenstransfer, die an der Schnittstelle von Forschung und Unterrichtspraxis anzusiedeln sind (vgl. z.B. K ÜSTER / K RÄMER 2013, K ÖTTER 2017). Weiterhin wurden angrenzende Themenfelder wie z.B. Mehrsprachigkeitsdidaktik, Leseforschung etc. nicht berücksichtigt, obwohl das Themenfeld Lexikalische Kompetenz in ihnen naturgemäß eine Rolle spielen kann. Die Studie von M ÜLLER zur Kollokationskompetenz wurde 2010 abgeschlossen und erschien 2011. Sie stellt somit einen Grenzfall für den hier berücksichtigten Zeitraum dar. 4 Die „Chronologie der Dissertationen und Habilitationen in den fremdsprachendidaktischen Disziplinen“ ist in zwei PDF-Dokumenten auf der Webseite der DGFF verfügbar. www.dgff.de/ publikationen/ qualifikationsarbeiten/ (19.8.2020). 122 Jochen Plikat DOI 10.2357/ FLuL-2020-0022 49 (2020) • Heft 2 hier diskutierte Themenfeld spielen zwei weitere Studien zwar eher eine marginale Rolle, seien aber ebenfalls erwähnt. In der einen geht es um gezieltes Üben zur Vermittlung des Wortakzentes (W ILD 2015), in der anderen um die Nutzung elektronischer Wörterbücher (K ASSEL 2018). In der Reihe „Kolloquium Fremdsprachenunterricht“ sind von 2011-2019 insgesamt 25 Bände erschienen. Keiner von ihnen widmet sich gezielt einer Frage aus dem Themenfeld Lexikalische Kompetenz im engeren Sinne. Lediglich ein Band, die Studie von Corinna K OCH (2013) zu Metaphern im Fremdsprachenunterricht, berührt das Themenfeld am Rande. In der Reihe „Romanistische Fremdsprachenforschung und Unterrichtsentwicklung“ sind seit 2011 insgesamt 15 Bände erschienen. Von ihnen widmet sich einer gezielt dem Themenfeld, und zwar Band 7: „Sprachliche Mittel im Unterricht der romanischen Sprachen. Aussprache, Wortschatz und Morphosyntax in Zeiten der Kompetenzorientierung“ (B ÜRGEL / R EIMANN 2017). Mehrere Beiträge im Band beschäftigen sich mit - teils wichtigen - Teilaspekten des Feldes, z.B. der Aussprache (vier Beiträge), der Pragmatik (vier Beiträge) und der Mehrsprachigkeit (ein Beitrag). Ein weiterer Beitrag nennt zwar im Titel das Schlagwort ‚Vokabeln‘, handelt aber von anderen Themen, nämlich den Einstellungen von Lernenden an Berliner Schulen sowie der Rolle des Verbs (P LÖTNER 2017). Lediglich ein Beitrag im Band nimmt das Thema Wortschatzaneignung direkt in den Blick (V ENUS 2017). In den „Giessener Beiträgen zur Fremdsprachendidaktik“ sind von 2011-2020 insgesamt 61 Bände erschienen. Ein Band hat das lexikalische Lernen im Englischunterricht zum Gegenstand (vgl. G IEßLER 2018). Ein weiterer Band handelt vom Üben und Übungen in Fremdsprachenunterricht und betrifft das Themenfeld Lexikalische Kompetenz somit zumindest indirekt (B URWITZ -M ELZER et al. 2016). In der Zeitschrift „Fremdsprachen Lehren und Lernen“ finden sich in den Jahren 2011 bis 2020 insgesamt vier Beiträge zum Themenfeld, davon zwei mit direktem und zwei mit indirektem Bezug. In die erste Kategorie fallen ein Beitrag zur Nutzung von Lateinkenntnissen beim Lernen englischer Vokabeln (L ENZ 2012) sowie ein weiterer zum Türkischen als Brücke für den Wortschatzerwerb im Französischen (B RÜSER / W OJATZKE 2013). Zwei weitere Beiträge in FLuL betreffen das Themenfeld indirekt: Ein Beitrag von K LIPPEL (2013) diskutiert die Rolle des Übens beim Fremdsprachenlernen, ein weiterer Beitrag von H ERBST (2017) beschäftigt sich mit dem Thema Konstruktionsgrammatik. Keine FLuL-Ausgabe der Jahre 2011-2020 widmet dem Themenfeld einen eigenen Schwerpunkt. In der „Zeitschrift für Fremdsprachenforschung“ finden sich in den Jahren 2011- 2019 insgesamt drei Beiträge zur lexikalischen Kompetenz. Bei einem Beitrag handelt es sich um die bereits erwähnte Modellierung dieser Kompetenz aus der Feder von T ARGOŃSKA und S TORK (2013). Zwei weitere Beiträge fassen die bereits oben erwähnten Studien von S CHLUER (2017a) bzw. K ASSEL (2018) zusammen (vgl. D IEHR / G IESELER / K ASSEL 2013, S CHLUER 2017b). In der „Zeitschrift für Romanische Sprachen und ihre Didaktik“ finden sich seit 2011 zwei Beiträge zum Themenfeld Lexikalische Kompetenz: „‚Da fehlen mir die Lexikalische Kompetenz - Stiefkind der fremdsprachendidaktischen Forschung? 123 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0022 Wörter‘ - Chancen und Grenzen ausgewählter Wortschatzübungen zur Verbesserung der Sprachkompetenz“ (S CHLAAK 2017) sowie „Konstruktionen und chunks im Fremdspracherwerb: Zur Bedeutung von Frequenz und Gebrauchspräferenz am Beispiel von Unterschieden zwischen L1- und L2-Sprechern bei der Bildung von Kollokationen mit quedarse, volverse, hacerse und ponerse“ (W OLF 2018). In der „Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht“ finden sich insgesamt vier Beiträge, die dem Themenfeld Lexikalische Kompetenz eindeutig zuzuordnen sind. Von besonderem Interesse ist im hier diskutierten Zusammenhang die Studie von J URECKA , C INAR und H ARDY (2019) zur „Messung von Wortschatztiefe und -breite bei mono- und bilingualen Vorschulkindern“. Sie wurde allerdings von einem rein erziehungswissenschaftlichen Team durchgeführt. Eine insgesamt deutlich größere Rolle - zumindest im Vergleich zur anglistischen und besonders zur romanistischen und slavistischen Fremdsprachenforschung - scheint das Themenfeld Lexikalische Kompetenz im Bereich DaF zu spielen. So finden sich in den drei ausgewerteten Zeitschriften („Informationen Deutsch als Fremdsprache“, „Deutsch als Fremdsprache“ und „German as a foreign language“) seit 2011 zahlreiche Beiträge, die dem Themenfeld direkt oder wenigstens indirekt zugeordnet werden können. Während sich in „German as a foreign language“ seit 2011 immerhin vier Beiträge zum Thema finden, können in „Deutsch als Fremdsprache“ im selben Zeitraum sogar zehn der seit 2011 erschienenen Beiträge dem Themenfeld Lexikalische Kompetenz im engeren Sinne zugeordnet werden. Zwei von ihnen seien hier exemplarisch genannt: „Wortschatz und Worthäufigkeit - wie frequent ist eigentlich der Lernwortschatz aus DaF-Lehrwerken für Jugendliche? “ (L YMPERAKAKIS / S APIRIDOU 2012) sowie „Von wegen „häufige Wörter = leicht lernbare Wörter“ - (hoch)frequente Wörter in der Wortschatzvermittlung“ (K OESTERS G ENSINI 2017). Noch mehr Aufmerksamkeit wurde dem Themenfeld Lexikalische Kompetenz in „Informationen Deutsch als Fremdsprache“ zuteil. Hier finden sich nicht nur regelmäßig einschlägige Beiträge, sondern auch zwei Hefte, welche sich dem Themenfeld in einer Reihe mit dem Titel „Wörterbücher für Deutsch als Fremdsprache“ schwerpunktmäßig widmen (Ausgaben 4 und 5/ 2015). Bei den im deutschsprachigen Raum entstandenen Qualifikationsschriften finden sich somit in den Jahren 2011 bis 2018 lediglich drei Arbeiten, die dem Themenfeld Lexikalische Kompetenz im engeren Sinne zugeordnet werden können. Von ihnen sind zwei in der DaF- und eine in der Englischdidaktik entstanden. Keine einzige Arbeit zum Themenfeld ist in der Forschung zu den romanischen oder slavischen Schulfremdsprachen zu finden. Auch in den wichtigsten forschungsorientierten Buchreihen und Fachzeitschriften sind von 2011 bis heute kaum Beiträge zur lexikalischen Kompetenz zu finden - mit Ausnahme der einschlägigen Zeitschriften aus dem Bereich DaF. Der Befund von G NUTZMANN , K ÖNIGS und K ÜSTER , die 2011 verwundert die fast vollständige Vernachlässigung der Lexik als Thema der fremdsprachendidaktischen Forschung konstatieren, kann somit lediglich für den Bereich DaF in nennenswertem Umfang rela- 124 Jochen Plikat DOI 10.2357/ FLuL-2020-0022 49 (2020) • Heft 2 tiviert werden. Insbesondere für die romanischen und slavischen Schulfremdsprachen scheint er jedoch im deutschsprachigen Raum auch 2020 noch uneingeschränkt zuzutreffen. Gibt es hier vielleicht tatsächlich „keine Alltagsprobleme“ und „keine Anliegen an die Forschung“ (ebd.)? Für die ‚weiteren‘ Schulfremdsprachen, also alle Sprachen, die in der Regel nach Englisch gelernt werden, deuten Symptome wie z.B. ein ausgeprägtes Abwahlverhalten am Ende der 10. Klasse (für Französisch und Spanisch vgl. F RITZ 2019) in eine andere Richtung. Empirische Erhebungen von Christoph B ÜRGEL und Dirk S IEPMANN (2010, 2012) zum rezeptiven Wortschatz im Französischen lassen zudem erhebliche Defizite nicht nur bei Schülerinnen und Schülern, sondern auch bei Lehrkräften befürchten. So blieben selbst die rezeptiven Wortschatzkompetenzen auf allen untersuchten Lernniveaus erheblich hinter dem von H AUSMANN (2005) geforderten Umfang, aber ebenso deutlich hinter den Anforderungen etwa des français fondamental zurück. Ca. ein Drittel der Schüler […] beherrscht somit [am Ende von] Klasse 10 weniger als 540 opake Wörter des französischen Grundwortschatzes rezeptiv. […] Besonders erschreckend ist, dass ca. die Hälfte der Schüler weniger als 700 opake Wörter kennt, d.h. insgesamt weniger als ca. 1000 Wörter rezeptiv beherrscht! (B ÜRGEL / S IEPMANN 2010: 199) Für die produktiven Kompetenzen dürfte sich bei entsprechenden Studien ein noch deutlich desolateres Bild ergeben. Es liegt für die weiteren Schulfremdsprachen nahe, einen Zusammenhang zwischen solchen sehr schwach ausgeprägten lexikalischen Kompetenzen, häufigen Frustrationserlebnissen im Unterricht und einem ausgeprägten Abwählverhalten nach Klasse 10 zu vermuten. Ob dies zutrifft, wäre eine der zahlreichen Fragestellungen zur Lexik, mit denen sich die romanistische und slavistische fremdsprachendidaktische Forschung beschäftigen sollte. 4. Desiderata für Forschung und Unterrichtsentwicklung Als Fazit lässt sich festhalten, dass das Themenfeld Lexikalische Kompetenz dringend verstärkt auf die Agenda der fremdsprachendidaktischen Forschung und Unterrichtsentwicklung im deutschsprachigen Raum gesetzt werden sollte, insbesondere im Bereich der romanischen und slavischen Schulfremdsprachen. Für die wesentlich weiter fortgeschrittene englischsprachige Forschung zu diesem Themenfeld hat S CHMITT (2019: 261) den aktuellen Stand gesichtet und auf dieser Grundlage insgesamt sechs Bereiche identifiziert, in denen er Handlungsbedarf sieht: (1) developing a practical model of vocabulary acquisition, (2) understanding how vocabulary knowledge develops from receptive to productive mastery, (3) getting lexical teaching/ learning principles into vocabulary and language textbooks, (4) exploring extramural language exposure and how it can best facilitate vocabulary acquisition, (5) developing more informative measures of vocabulary knowledge, and (6) measuring fluency as part of vocabulary competence. Lexikalische Kompetenz - Stiefkind der fremdsprachendidaktischen Forschung? 125 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0022 Aufgrund des großen Rückstandes, den die Forschung im deutschsprachigen Raum zu diesem Thema aufweist, besteht dieser Bedarf hier in noch größerem Maße. Besonders auffällig ist dabei, dass über den aktuellen status quo fast ausschließlich gemutmaßt werden kann, denn es gibt kaum empirische Studien zur Förderung und zum tatsächlichen Erreichen lexikalischer Kompetenz an deutschen Bildungseinrichtungen. Lediglich die Erhebungen Christoph B ÜRGEL s und Dirk S IEPMANN s (u.a. 2010, 2012) stellen hier eine rühmliche Ausnahme dar. Auch auf der Grundlage von bislang sehr spärlichen empirischen Erkenntnissen lassen sich jedoch tentativ folgende Gelingensfaktoren für den Aufbau lexikalischer Kompetenz im hierzulande erteilten Fremdsprachenunterricht umreißen. Sie sollten sowohl in der Forschung als auch in der Unterrichtsentwicklung verstärkt in den Blick genommen werden: 1. Lernvoraussetzungen: Da die romanischen und slavischen Fremdsprachen in aller Regel als L3 und somit nach Englisch gelernt werden, gelten für sie andere Voraussetzungen. In Bezug auf die Lexik sind insbesondere die Potentiale des interlingualen Transfers zwischen Englisch und den romanischen Sprachen verstärkt zu beachten. Weitere bislang wenig genutzte Potentiale liegen in Herkunftssprachen wie z.B. Türkisch (vgl. B RÜSER / W OJATZKE 2013). In Abhängigkeit von den Vorkenntnissen in anderen Sprachen fällt der Umfang der opaken Lexik für Lernende höchst unterschiedlich aus. Bereits in beachtlichem Umfang vorliegende mehrsprachigkeitsdidaktische Ansätze sollten daher verstärkt unterrichtlich umgesetzt werden, und diese Versuche gilt es empirisch zu begleiten. 2. Lernbedingungen: Englisch ist im Alltag der meisten in Deutschland aufwachsenden Jugendlichen durch Anglizismen, Plakat- und Internetwerbung, Popmusik, Video-Streamingdienste, Computerspiele etc. in hohem Maße präsent. In Bezug auf die Lexik des Englischen dürfte inzidentelles Lernen daher wesentlich besser gelingen als z.B. in den romanischen und slavischen Sprachen, und die erhebliche Bedeutung der außerschulischen Präsenz des Englischen ist inzwischen für andere nordeuropäische Länder mehrfach belegt worden (vgl. S CHMITT 2019: 267f.). Es dürfte sich daher lohnen, die spezifischen Bedingungen für den Erwerb lexikalischer Kompetenzen in den ‚weiteren‘ Schulfremdsprachen in Deutschland gesondert in den Blick zu nehmen. 3. Lernstrategien: Unbestritten ist, dass lexikalische Kompetenz eine dienende Funktion haben soll. Gleichwohl stellt sie die vermutlich größte Herausforderung für Fremdsprachenlernende dar und ist mit allen anderen Kompetenzen engmaschig vernetzt. Daher könnte der Lernerfolg insgesamt in hohem Maße davon abhängen, ob Lernende effektive und effiziente Strategien für den Aufbau lexikalischer Kompetenz kennenlernen und einsetzen. Als besonders vielversprechend hierfür erscheinen bereits vorliegende Überlegungen zur Überwindung der Dichotomie von Wortschatz und Grammatik (Lexiko-Grammatik, Konstruktionsgrammatik, Kollokationen/ Chunks etc.), die Nutzung mehrsprachigkeitsdidaktischer Ansätze sowie die Arbeit mit spaced repetition-Software (z.B. Anki). 126 Jochen Plikat DOI 10.2357/ FLuL-2020-0022 49 (2020) • Heft 2 4. Lernmaterialien: Es ist davon auszugehen, dass Lernmaterialien in hohem Maße prägen, wie gelehrt und gelernt wird. Die Unterrichtsentwicklung kann im Hinblick auf eine verstärkte Förderung lexikalischer Kompetenz daher nur gelingen, wenn auch die Lernmaterialien im Sinne der vorgestellten wortschatzdidaktischen Überlegungen weiterentwickelt werden. Hierbei spielen zunächst die Schulbuchverlage eine Schlüsselrolle. Unabhängig von ihnen könnten jedoch auch Universitäten und Einrichtungen wie z.B. das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) eine Rolle übernehmen, etwa indem sie Open Access-Wortschatzsammlungen für bestimmte Lernergruppen erstellen. So könnte z.B. das français fondamental gezielt im Hinblick auf die wichtigsten Kollokationen aufbereitet und anschließend in mehreren Versionen mit unterschiedlichen mehrsprachigen Vernetzungen (z.B. Deutsch und Englisch vs. Deutsch, Englisch und Türkisch) als Sammlungen von Anki-Lernkarten zur Verfügung gestellt werden. 5. Lernerfolgskontrollen: Klassische Vokabelkontrollen in Form der einmaligen mündlichen oder schriftlichen Abfrage von Einzelwortpaaren spielen in deutschen Klassenzimmern vermutlich weiterhin eine wichtige Rolle. Hier ist zunächst zu erheben, inwieweit dies zutrifft. Weiterhin sind alternative Formen des Testens lexikalischer Kompetenz zu erproben und zu evaluieren. Da mit einem erheblichen washback-Effekt in Bezug auf die eingesetzten Lernstrategien zu rechnen ist, sind die eingesetzten Lernerfolgskontrollen in Übereinstimmung mit den angestrebten Lernstrategien zu gestalten. Schließlich ist die Diskussion zu führen, welchen Umfang die gezielte Förderung lexikalischer Kompetenz im Fremdsprachenunterricht in Zukunft insgesamt einnehmen sollte. N ATION (2007: 11) hat vorgeschlagen, im Fremdsprachenunterricht vier ‚Stränge‘ (strands) etwa gleich stark zu gewichten: „meaning-focused input, meaning-focused output, language-focused learning and fluency development.“ Der Vorschlag scheint mir ein guter Ausgangspunkt für diese Diskussion zu sein. Literatur A ITCHISON , Jean (2012): Words in the Mind: An Introduction to the Mental Lexicon. 4th ed. Chichester, West Sussex / Malden, MA: Wiley-Blackwell. B RÜSER , Babett / W OJATZKE , Julia (2013): „Das Türkische als ‚Brücke‘ zum Wortschatzerwerb im Französischen. 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So besteht spätestens seit der Einführung des Konzepts der „Faktorenkomplexion“ in der einschlägigen fremdsprachendidaktischen Diskussion Konsens darüber, dass es sich beim Fremdsprachenunterricht um einen mehrdimensionalen, interdependenten und dynamischen Wirklichkeitsbereich handelt. Dieser Komplexität im Rahmen empirischer Untersuchungen angemessen Rechnung zu tragen, stellt Forschende vor große methodologisch-methodische Herausforderungen: Kann der Gegenstand „Lehren und Lernen von fremden Sprachen“ empirisch überhaupt sinnvoll untersucht werden und, wenn ja, wie ist dabei vorzugehen, damit über den Einzelfall hinausreichende praxisrelevante Erkenntnisse gewonnen werden können? Wenngleich also das Postulat der empirisch begründeten Handlungsempfehlungen - anstelle einer „Rezeptologie-Didaktik“ - von niemandem ernsthaft in Zweifel gezogen wird, so erwachsen daraus Erwartungen an die empirische Forschung, die nicht ohne Weiteres „mal eben so“ erfüllt werden können. Paradoxerweise stellen gerade die im Zuge der inzwischen seit über 30 Jahren in der Fremdsprachenforschung geführten methodologischen Diskussion initiierten und durchgeführten Maßnahmen zur forschungsmethodologischen Ausbildung empirischer Forscher/ -innen eine zentrale Ursache für den in der hier diskutierten These bemängelten status quo dar: Man hat erkannt, dass sich Vorhaben, die den Fremdsprachenunterricht in seiner Gesamtheit untersuchen wollen, nicht für empirische Studien eignen. Damit Forschungsfragen angemessen operationalisiert und systematisch bearbeitet werden können, müssen sie fokussiert, konkret und präzise sein. Dies führt i.d.R. dazu, dass jeweils nur kleine Ausschnitte oder Einzelaspekte untersucht werden können. Die Folge sind Studien, die z.T. hochgradig spezialisiert und häufig so kleinteilig sind, dass dabei nicht selten der Blick für das Ganze verloren geht. Aus forschungspragmatisch notwendigen Beschränkungen können also erhebliche Nachteile im Hinblick auf die Verallgemeinerbarkeit sowie auf die Praxisrelevanz der gewonnenen Ergebnisse resultieren. Für eine wesentliche Veränderung unseres Verständnisses von Fremdsprachenunterricht bedarf es vielmehr eines anderen Typs empirischer Forschung. Einen ideal geeigneten, aber bisher nach wie vor zu wenig praktizierten Ansatz stellt die Aktionsforschung dar, deren übergeordnetes Ziel darin besteht, dass Lehrer/ -innen ihr unterrichtspraktisches Handeln gezielt betrachten, analysieren und reflektieren, um es kontinuierlich weiterentwickeln und so begründete Verbesserungen im Praxisfeld vornehmen zu können. Die Aktionsforschung ist hinsichtlich ihrer ökologischen Validität und ihrer praktischen Relevanz maximal gegenstandsangemessen und somit optimal geeignet, einen konstruktiven Beitrag zu einer Theorie lokaler Unterrichtspraxis bzw. zu einer Unterrichtspraxistheorie lokaler Reichweite zu leisten. Kassel K ARIN A GUADO Die empirische Wende der Fremdsprachendidaktik hat unser Verständnis von Fremdsprachenunterricht nicht wesentlich verändert Pro und Contra 131 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0023 Mit der empirischen Wende wird üblicherweise das Ende eines Dornröschenschlafs der Fremdsprachendidaktik gemeint, das mit einer Verschiebung ihres Selbstkonzepts von einer Transferwissenschaft und Rezeptologie hin zu einer eigenständigen, evidenzbasierten Disziplin einherging. Ein wichtiger Auslöser für diesen paradigm shift waren die internationalen large-scale assessment Studien der 1990er Jahre, obwohl diese nicht fremdsprachliches, sondern mathematisch-naturwissenschaftliches Lernen und fächerübergreifende Basiskompetenzen in den Blick nahmen. Dieses bildungspolitisch befeuerte Interesse an den Ergebnissen schulischer Bildung verlangt seitdem offensiver als zuvor nach Erkenntnissen, die auf empirischen, d.h. systematisch und reproduzierbar erhobenen Daten beruhen. Eine Intensivierung entsprechender Forschungsanstrengungen ist seit der Jahrtausendwende auch in der Fremdsprachenforschung zu beobachten. Empirische Forschung in diesem weiten Sinne zählt aber zweifelsohne schon seit den Anfängen der Fremdsprachendidaktik (in Deutschland) zu ihren zentralen Arbeitsfeldern, denn wir sind im Wortsinne selbstverständlich daran interessiert, ein möglichst umfassendes, präzises und valides Verständnis der Praxis ‚Fremdsprachenunterricht‘ zu erreichen. Da Praxis in erster Linie eine Erfahrung der beteiligten Akteure ist, liegt das Potential eines empirischen Ansatzes auf der Hand: Empirie zielt darauf ab, Wissen über und anhand von Erfahrungen zu gewinnen. Aus einer kritischen sozialwissenschaftlichen Perspektive ist die Validität der Eingangsthese deshalb in Frage zu stellen: Wenn das Sein (wie wir forschen) das Bewusstsein (unser Verständnis von Fremdsprachenunterricht) bestimmt, dann ist davon auszugehen, dass empirische Forschung durchaus für wichtige Bereiche fremdsprachendidaktischer Theoriebildung verantwortlich zeichnet. Aus der These spricht aber offenbar Enttäuschung über ein (bislang) nicht eingelöstes Versprechen der empirischen Forschung, unser Verständnis von Fremdsprachenunterricht wesentlich zu verändern. Dies mag darauf zurückzuführen sein, dass mit dem Begriff ‚empirische Wende‘ im engeren Sinne eine Verlagerung des Forschungsinteresses auf die outputfokussierte Erfassung von Kompetenzen gemeint ist. Ich halte diese Deutung des Begriffs für eine unangemessene Engführung, aber auch die Erfassung von Lernergebnissen leistet aus meiner Sicht einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Unterricht ist ein politisch und gesellschaftlich legitimierter, zielgerichteter Prozess. Wie vollständig wäre ein Verständnis unseres Forschungsfeldes ohne Erkenntnisse darüber, inwiefern im Unterricht Ziele erreicht werden und antizipierte Wirkungen didaktischer Konzepte eintreten? Empirische Forschung liefert wichtige Indikatoren für die Weiterentwicklung eines Fremdsprachenunterrichts, in dem Lernende mit ihren individuellen Voraussetzungen dabei unterstützt werden, ihre Potentiale zu entfalten. Empirischen Forschungsprojekten in der Fremdsprachendidaktik ist zu wünschen, dass es ihnen zukünftig besser gelingt, inhaltliche Bezüge zwischen Kompetenzmessungen und stärker an den vielfältigen Prozessen und Kontexten des Lehrens und Lernens orientierten Studien aufzuzeigen. Trier H ENNING R OSSA DOI 10.2357/ FLuL-2020-0024 49 (2020) • Heft 2 Leo W ILL : Authenticity in English Language Teaching. An analysis of academic discourse. Münster/ New York: Waxmann 2018, 266 Seiten [34,90 €] „Authentizität“ gehört zu denjenigen Begriffen, die im Rahmen der Fremdsprachendidaktik seit den 1970er Jahren besondere Beliebtheit genießen. Diese Beliebtheit ist nicht nur der Tatsache geschuldet, dass die Forderung nach Authentizität im Rahmen des Lernens und Lehrens von Sprachen inzwischen sehr verbreitet und weitgehend unumstritten ist, sondern der Begriff der Authentizität ist auch im Alltag grundsätzlich positiv konnotiert. Wer würde sich schon für Inauthentizität, für inauthentisches Lernen oder die Verwendung inauthentischer Materialien aussprechen? „Authentizität“ reiht sich insofern in einen fremdsprachendidaktischen Kanon von meist fraglos als positiv bewerteten Begriffen ein - Ähnliches gilt für die Begriffe „Ganzheitlichkeit“ oder „Autonomie“. Dergleichen Idealisierungen von Begriffen, zumal wenn diese sowohl im Alltag als auch im Fachdiskurs verbreitet sind und als erstrebenswert gelten, weisen allerdings immer auch eine gewisse Anfälligkeit für konzeptuelle Ungenauigkeiten auf. Anders gesagt: Die Verwendung des Etiketts „authentisch“ oder „Authentizität“ (im Sinne von signifiant) garantiert keinesfalls eine konzeptuelle Konsistenz dessen, was jeweils mit diesem Etikett bezeichnet wird (signifié). Der einheitlichen Bezeichnung „authentisch“ oder „Authentizität“ steht also eine konzeptuelle Vielfalt gegenüber, die sich nicht nur in unterschiedlichen Bedeutungsauffassungen zeigt, sondern auch mitunter zu Ungereimtheiten und Widersprüchen im fachdidaktischen Diskurs führt. Leo W ILL widmet sich in seiner Schrift eben diesem Befund und legt eine umfassende und systematische Analyse des fremdsprachendidaktischen Diskurses (mit Fokus Englisch als Fremdsprache) zur Authentizität im englisch- und deutschsprachigen Raum vor. Um es vorweg zu sagen: W ILL s Studie ist eine überaus detailreiche und durchdachte Diskursanalyse, die zu einer Reihe von durchweg aufschlussreichen Befunden kommt und neue Standards setzt, sowohl was den Umgang mit dem Begriff der Authentizität im fachdidaktischen Diskurs, als auch was methodologische Überlegungen und Herangehensweisen im Bereich von Analysen fachwissenschaftlicher Diskurse betrifft. Ausgehend vom gegenwärtigen Forschungsstand zur „Authentizität“ und der verschiedentlich dokumentierten Beobachtung, dass sich der Authentizitätsbegriff im Laufe der vergangenen Jahrzehnte zwar im Wissenschaftsdiskurs etablieren konnte (was etwa an der Tatsache ablesbar ist, dass sich in Handbüchern und anderen Übersichtspublikationen zur Fremdsprachendidaktik spätestens seit der Jahrtausendwende durchweg Einträge zum Stichwort „Authentitizität“ finden), jedoch häufig wenig trennscharf definiert und konzeptuell reflektiert wird, formuliert der Autor sein Anliegen: „Although authors have offered insightful synopses of the different meanings of authenticity, a systematic and extensive discourse analysis has not yet been conducted. With the study at hand I endeavour to fill this void. This work scrutinizes and categorizes the precise concepts that are referred to as authentic in the academic EFL discourse“ (S. 9). Die bereits vorliegenden Synopsen zum Authentizitätsbegriff nimmt W ILL zur Grundlage für die Entwicklung einer eigenen Taxonomie von insgesamt sechs Authentizitätskonzepten (S. 62): 1. textual authenticity, 2. authenticity of text reception, 3. real-world authenticity (typical activities of native speakers; typical activities of the learners in the future), 4. classroom authenticity, 5. authenticity of individual behaviour, 6. cultural authenticity B u c h b e s p r e c h u n g e n • R e z e n s i o n s a rti k e l Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 133 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0024 (behavioral cultural authenticity; ethnographic cultural authenticity). Diese Taxonomie dient ihm als Basis für seine darauffolgenden Analysen des Fachdiskurses. Methodisch folgt W ILL zunächst Überlegungen zu historischen und wissenssoziologischen Diskursanalysen, die sich auf Foucaults frühe Schriften berufen. Er leitet daraus Kriterien zur Analyse von fachdidaktischen Publikationen ab, die sowohl Inhalte (Konzeptualisierung von Authentizität) als auch die Signifikanz des entsprechenden Beitrags im Fachdiskurs betreffen (z.B. Status der Autorin/ des Autors, bibliometrische Analysen). Zur Abgrenzung des Authentizitätsdiskurses von anderen Fachdiskursen der Fremdsprachendidaktik greift W ILL zudem auf Kategorien zur Bestimmung und Abgrenzung von Diskursformationen (basierend auf H ALLI - DAY s systemic functional linguistics) zurück. Diese bilden die Parameter für die Auswahl von Publikationen, die er in seiner Studie untersucht: Er stellt ein Korpus von insgesamt 130 Titeln zusammen, die in den Jahren 1971-2014 in deutscher und englischer Sprache publiziert wurden und die sich mit konzeptuellen Fragen zum Authentizitätsbegriff beschäftigen (letzteres ist das Ausschlusskriterium für zahlreiche Publikationen, die zwar den Authentizitätsbegriff behandeln, dies jedoch nicht in konzeptueller Hinsicht tun). W ILL untergliedert dieses Korpus chronologisch (nach Jahrzehnt) und unterzieht die so ermittelten vier Korpora einer sehr detaillierten Analyse (1971-79: 8 Titel, 1980-89: 33 Titel, 1990-99: 31 Titel, 2000-2009: 34 Titel, 2010-2014: 24 Titel). Die Analysen stellen das Herzstück der Studie dar und fördern zahlreiche Ergebnisse zutage, die nachweisen, wie der Begriff der Authentizität im Laufe der ersten Jahrzehnte zunächst konzeptuell aufgefächert und erweitert wurde und wie seit der Jahrtausendwende die bestehenden sechs Konzepte (s.o.) zwar weiter diversifiziert, jedoch konzeptuell nicht mehr wesentlich verändert wurden. Selbst technologische Entwicklungen wie die Digitalisierung und damit die Verfügbarkeit umfangreicher Textkorpora haben zwar zu einer erhöhten Anzahl von fachdidaktischen Publikationen geführt, die die „Authentizität“ der Korpora häufig in den Vordergrund stellen; der Authentizitätsbegriff selbst ist dabei aber nicht konzeptuell verändert worden: Meist wird hier auf das tradierte Konzept der textual authenticity zurückgegriffen (S. 188-192). Im Rahmen seiner Analysen identifiziert W ILL spezifische Schwerpunktthemen und Konzeptualisierungen, die in den jeweiligen Zeiträumen besonderes Interesse fanden; er arbeitet konzeptuelle Ungereimtheiten und Widersprüche heraus; er stellt Querverbindungen zwischen Einzeltiteln her; er verfolgt die Entwicklung einzelner Authentizitätskonzeptionen innerhalb des Diskurses und innerhalb des Werks einzelner Autor(inn)en; er zeigt die Kanonisierung bestimmter Konzepte anhand von Zitationsmustern auf; kurz: Er demonstriert in eindrucksvollen, auf close-reading Sequenzen basierenden Analysen, wie sich der Authentizitätsdiskurs entwickelt hat und wie unterschiedlich der Authentizitätsbegriff gefüllt und im Rahmen der fachdidaktischen Diskussion verwendet und bisweilen instrumentalisiert wird. Um an dieser Stelle nur ein Beispiel zu nennen: W ILL arbeitet systematisch heraus, welchen Einfluss die Arbeiten von Henry W IDDOWSON auf die konzeptuelle Entwicklung des Authentizitätsbegriffs (nicht nur) in der Englischdidaktik hatten und weiterhin haben. Dieser Befund ergibt sich erstens aus den konzeptuellen Beiträgen von W IDDOWSON und seiner Weiterentwicklung des eigenen Authentizitätsbegriffs der 1970er Jahre (authenticity of text reception); zweitens verfolgt W ILL die Rezeption von W IDDOWSON s Arbeiten in der Englischdidaktik und weist ihren Einfluss auf nachfolgende Schriften aus (sowohl durch konzeptuelle Übernahme und Diskussion als auch durch Zitationsfrequenz). Daneben unterzieht W ILL die Rezeption von W IDDOWSON s Schriften aber auch einer kritischen Analyse und zeigt auf, dass W IDDOWSON zwar häufig zitiert wird, seine konzeptuellen Überlegungen und Weiterentwicklungen jedoch oft auch nicht berücksichtigt werden. Das Phänomen des blackboxing, also das pauschale Verweisen auf Publikationen, ohne sich auf die konkreten Konzepte und Überlegungen der betref- 134 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel DOI 10.2357/ FLuL-2020-0025 49 (2020) • Heft 2 fenden Verfasser(innen) zu beziehen, macht W ILL mehrfach aus. So kann er etwa zeigen, dass sich der Fachdiskurs zum Authentizitätsbegriff im Bereich des Testens und Assessment als isolierter Paralleldiskurs entwickelt hat. Zwar werden dort einschlägige Titel aus der fachdidaktischen Authentizitätsdiskussion angeführt; doch das Authentizitätskonzept, mit dem z.B. im Bereich von authentic assessment gearbeitet wird, bleibt weitgehend intuitiv und ist nicht an die konzeptuellen Überlegungen aus der Fachdidaktik angebunden (vgl. S. 166, 180f., 193f., 208). Hier wird W IDDOWSON zwar wiederholt zitiert, doch auf seine Überlegungen zur Authentizität wird nicht eingegangen bzw. es finden sich dem widersprechende, meist intuitive Annahmen zur Authentizität. W ILL bezeichnet solche Verweispraktiken deshalb als „tokenistic, since the authors show no intention of incorporating Widdowson into their conceptualization“ (S. 181). Insgesamt ist W ILL s Schrift überaus lesenswert und man kann nur wünschen, dass das Interesse an konzeptuellen Fragen in der Fremdsprachenforschung groß genug ist, um diese kenntnis- und detailreiche Schrift gebührend zu würdigen. In jedem Fall stellt W ILL s Arbeit einen Meilenstein dar für den Authentizitätsdiskurs nicht nur in der Englisch-, sondern in der Fremdsprachendidaktik allgemein. Wer in Zukunft über Authentizität schreibt oder forscht, hat mit dieser Arbeit ein wertvolles kategoriales und konzeptuelles Repertoire für einen differenzierten und reflektierten Umgang mit dem Authentizitätsbegriff zur Hand. Es ist zu wünschen, dass diese Arbeit nicht geblackboxed, sondern wirklich gelesen und vielleicht auch zum Anlass für einen (selbst-)kritischeren Umgang mit nicht oder wenig hinterfragten Begriffen der Fremdsprachenforschung genommen wird. Waterloo (Kanada) B ARBARA S CHMENK Grit M EHLHORN , Bernhard B REMER (Hrsg.): Potenzial von Herkunftssprachen. Sprachliche und außersprachliche Einflussfaktoren. Tübingen: Stauffenburg 2018 (Forum Sprachlehrforschung, Band 14), 295 Seiten [€ 49,80] Der hier vorgestellte Band beinhaltet mehrheitlich Beiträge, die aus der gleichnamigen Konferenz im September 2016 hervorgegangen sind und Ergebnisse aus verschiedenen Projekten der Herkunftssprachenforschung präsentieren. Dabei handelt es sich einerseits um Artikel zu den Ergebnissen eines dreijährigen Verbundforschungsprojekts zu sprachlichen Potenzialen von russisch- und polnischsprachigen Jugendlichen, das an den Universitäten Leipzig und Greifswald realisiert und vom BMBF im Rahmen des Schwerpunktprogramms „Sprachliche Bildung und Mehrsprachigkeit“ gefördert wurde, und andererseits um Beiträge zu weiteren Projekten aus dem genannten Schwerpunktprogramm sowie aus ähnlichen Kontexten. Allen vierzehn Einzeltexten ist gemein, dass sie der Frage nachgehen, wie die Potenziale von mehrsprachigen Kindern und Jugendlichen adäquat erfasst, gefördert und in den familiären und schulischen Alltag eingebracht werden können. Die gesellschaftliche Relevanz dieser Ausrichtung resultiert aus der sprachlichen Diversität an deutschen Schulen und der damit einhergehenden Mehrsprachigkeit vieler Schüler/ innen, die neben Deutsch über eine Herkunftssprache (HS) verfügen, d.h. eine zusätzlich erworbene Familiensprache. Die einzelnen Beiträgen dieses Bandes zugrundeliegenden empirischen Untersuchungen berücksichtigen verschiedene HS - neben Russisch und Polnisch auch Griechisch, Italienisch, Portugiesisch, Slowenisch und Türkisch - und sind vorrangig auf bisherige Forschungsdesiderate ausgerichtet, die den Erwerb und Erhalt der HS sowie die Einstellungen zu HS und zum Herkunftssprachenunterricht (HSU) betreffen. Die fünf Abschnitte des Bandes bilden die damit verbundenen Schwerpunkte entsprechend ab. Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 135 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0025 Die beiden Artikel des 1. Abschnitts beleuchten den Einfluss des Inputs auf die sprachliche Entwicklung von HS-Sprechern. Tanja A NSTATT stellt eine Pilotstudie vor, die auf der Grundlage von mit drei deutsch-russisch bilingualen jungen Männern durchgeführten Leitfadeninterviews und Sprachtests zu der Schlussfolgerung kommt, dass bei ihnen rezeptiver Bilingualismus vorliegt: Sie setzen ihre HS spätestens ab dem Grundschulalter nur noch rezeptiv ein. Die jeweilige Zeitspanne, in der die einzelnen Probanden russischdominierten Input erhielten und selbst russischsprachig produktiv agierten, dient als mögliche Erklärung für die ermittelten Unterschiede im Umfang ihrer rezeptiven Kenntnisse. Die Autorin fordert in diesem Kontext für den rezeptiven Bilingualismus dieselbe Wertschätzung, wie sie der Interkomprehension in der Mehrsprachigkeitsdidaktik zuteilwird. Tatjana K URBANGULOVA belegt mit den Daten einer Untersuchung von 35 bilingual polnischbzw. russisch-deutschen Jugendlichen, dass die Qualität des elterlichen Sprachinputs ein relevanter Faktor für die Produktion stimmloser Verschlusslaute und somit für den phonetischen Spracherwerb von HS-Sprechern darstellt. Die vier Einzeltexte im 2. Abschnitt gehen der Frage nach, ob und inwiefern HS (positive) Auswirkungen auf den Fremdsprachenerwerb haben. Holger H OPP , Teresa K IESEIER , Markus V OGELBACHER und Dieter T HOMA konstatieren als vorläufiges Ergebnis ihres Projekts, dass sich die vergleichsweise niedrigen Kompetenzen, die mehrsprachige Schüler in Deutsch und in anderen Fächern aufweisen, auch auf den Fremdsprachenunterricht in der Primarstufe erstrecken und dass ihre Mehrsprachigkeit keinen Vorteil für die Entwicklung von Wortschatz und Grammatikverständnis im Englischen darstellt. Simone L ECHNER untersucht in ihrer Pilotstudie, ob und inwiefern sich das gesprochene Englisch als Fremdsprache zwischen türkisch-deutschen Probanden mit unterschiedlichem Sprachstand in ihrer HS unterscheidet und ob es signifikante Unterschiede zwischen türkisch-deutschen und monolingual deutschen Probanden in der Aussprache des Englischen gibt. Die Sprachdaten von 12 Erwachsenen, die von 10 englisch monolingualen Probanden in Bezug auf Verständlichkeit, Flüssigkeit und Akzentgrad bewertet wurden, belegen, dass gute Kenntnisse sowohl im Deutschen als auch in der HS zu einer besseren Bewertung des gesprochenen Englisch führen. Auch Claudia Maria R IEHL , Seda Yilmaz W OERFEL , Teresa B ARBERIO , Eleni T ASIOPOULOU untersuchen im Rahmen ihres Projekts, wie außersprachliche Faktoren die Textkompetenzen der bilingualen Probanden in ihren HS (Griechisch, Italienisch oder Türkisch) und im Deutschen beeinflussen. Die Auswertung von 174 Datensätzen offenbart, dass sich der außerschulische HSU erst bei einer Dauer ab 7 Jahren positiv auf die HS auswirkt. Einen signifikanten Einfluss auf die schriftsprachlichen Kompetenzen in der Erst- und Zweitsprache haben die literalen Praktiken der Probanden sowie die Spracheinstellungen im Elternhaus. Anja W ILDEMANN , Muhammed A KBULUT und Lena B IEN - M ILLER erforschten im Rahmen ihres Projekts die Qualität und Quantität metasprachlicher Interaktion in mehrsprachigen Lernsettings, d.h. wie bilinguale Grundschulkinder ihre HS- Kompetenzen beim Bearbeiten mehrsprachiger Reflexionsanlässe nutzen. Die Landauer Gruppe stellte fest, dass die HS-Ressourcen verstärkt für die Sprachreflexion und den Sprachvergleich herangezogen wurden, wenn im Lernsetting die jeweilige HS (Russisch bzw. Türkisch) vertreten war. In den zwei Beiträgen des 3. Abschnitts stehen die familiären Spracheinstellungen und die Wahrnehmung des Potenzials von HS im Mittelpunkt. Ekaterina P ROTASSOVA vergleicht die Einstellungen russischsprachiger Familien in Deutschland und Finnland in Bezug auf die bilinguale Erziehung ihrer Kinder in Kindergärten bzw. Schulen und den Erhalt der Familiensprache Russisch. Ihre Betrachtungen beruhen auf Untersuchungen in den Jahren 2011-2017 und berücksichtigen Daten aus anderen länderübergreifenden Projekten. Wie die Ergebnisse belegen, schätzen die befragten Eltern in beiden Ländern die bilinguale Erziehung als wichtig ein und unternehmen große Anstrengungen, um die HS ihrer Kinder zu entwickeln und zu erhalten, 136 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel DOI 10.2357/ FLuL-2020-0025 49 (2020) • Heft 2 wobei die Wertschätzung und Förderung von Mehrsprachigkeit in Finnland im Vergleich zu Deutschland jahrzehntelange Traditionen aufweist. Johanna B URKHARDT , Grit M EHLHORN und Maria Y ASTREBOVA werten in ihrem Beitrag qualitative Daten aus Leitfadeninterviews mit 22 polnisch-deutschen und 25 russisch-deutschen bilingualen Jugendlichen und jeweils einem Elternteil aus. Das Erkenntnisinteresse richtet sich dabei auf Einstellungen der Jugendlichen und ihrer Eltern zur HS, auf Strategien bilingualer Erziehung in den Familien, auf die Wahrnehmung von Potenzialen der Mehrsprachigkeit und die Rolle der HS für die Identität der Jugendlichen sowie auf Faktoren, die diese Einstellungen beeinflussen. Der Rolle von HS im beruflichen und institutionellen Kontext widmen sich die beiden Artikel im 4. Abschnitt. So präsentiert Sara R OMANO -B OTTKE die Analyse zweier Interviews aus ihrem Dissertationsprojekt zur Verwertbarkeit migrationsbedingter Mehrsprachigkeit während der Ausbildung und im Beruf. Die beiden befragten Mütter konnten ihre Mehrsprachigkeit als Ressource für den Beruf mobilisieren und erkennen das Potenzial von Kenntnissen der HS Portugiesisch im Hinblick auf die Schullaufbahnen und Ausbildungswege ihrer Kinder an. Bernd M EYER thematisiert in seinem Beitrag den Umgang mit HS-Kompetenzen in öffentlichen Einrichtungen. Fehlende Regelungen für die mehrsprachige Kommunikation, naive Einschätzungen der Nutzungsmöglichkeiten vorhandener Kompetenzen sowie ihre Überschätzung ohne vorherige Diagnose führen häufig dazu, dass in bestimmten Kontexten Personen mit Sprachmittlungsaufgaben betraut werden, denen sie nicht gewachsen sind. Daraus leitet der Autor für Institutionen die Aufgabe ab, sich systematisch und langfristig der Präsenz von HS zuzuwenden.Die vier Beiträge im 5. Abschnitt betrachten die Facetten und die Wirkung von HS- Förderung für den Erwerb und den Erhalt der HS. Mit ihrer multiplen Querschnittsuntersuchung zum Wortschatzerwerb von russisch-deutschen bilingualen Grundschüler/ innen belegen Elke M ONTANARI , Roman A BEL , Barbara G RAßER und Lilia T SCHUDINOVSKI die Wirksamkeit von HS-Förderung auf den Wortschatzumfang. Als besorgniserregend bewerten sie die bereits in dieser Altersgruppe beobachtete Stagnation und Attrition des Wortschatzes in der HS. Sie schlussfolgern, dass die beobachtete Dauer der HS-Unterstützung zu gering und ihre Qualität zu wenig gesichert sei, um einen altersentsprechenden Wortschatzaufbau in der HS zu ermöglichen. Ursula D OLESCHAL präsentiert Ergebnisse ihres Projektes, in dem sie ein duales Unterrichtsmodell mit zeitbasiertem Sprachenwechsel (ein Tag - eine Sprache) untersucht. Die analysierten Daten von vier Slowenischtagen an einer Privatschule in Kärnten zeigen, dass die konsequente Zweisprachigkeit neben dem Erhalt der HS zum Lernen des Slowenischen bei Schüler/ innen mit deutscher oder anderer L1 sowie zu einer positiven Einstellung zu Sprachen generell führen. Bernhard B REHMER und Grit M EHLHORN leisten mit den vorgelegten Ergebnissen ihrer Studie, die auf Daten ihres Projekt zu Polnisch und Russisch als HS basieren, einen empirisch fundierten Beitrag zur Diskussion um Einstellungen und Effekte des Besuchs von HSU und alternativen HS-Angeboten. Die Auswertung der Leitfadeninterviews mit bilingualen Schüler/ innen, ihren Eltern und Lehrkräften einerseits und die Ergebnisse der erhobenen Sprachstandsdaten anderseits ermöglichen Schlussfolgerungen zu positiven Effekten des HSU, z.B. im Schreiben und beim Wortschatz, aber auch zum dafür benötigten Bedingungsgefüge. Hans H. R EICH vermittelt in zehn prägnant formulierten Thesen seine Sicht auf Stand, Spezifik und Perspektiven eines institutionalisierten HSU, der den Anforderungen funktionaler Mehrsprachigkeit gerecht wird. In den Fazits der Einzeltexte wird übereinstimmend hervorgehoben, dass weiterhin großer Bedarf an theoretischen und empirischen Untersuchungen zu Herkunftssprachen, ihrem Erwerb und Erhalt besteht. Die Beiträge des Bandes unterstützen das Erkenntnisinteresse derjenigen, die sich mit sprachlichen Potenzialen von Herkunftssprachen-Sprechern, ihrer Förderung sowie Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 137 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0026 ihrer Implementierung in die familiäre und institutionelle Praxis beschäftigen und richten sich somit nicht nur an Wissenschaftler und Lehrkräfte, sondern auch an Akteure in Bildungsinstitutionen und Bildungspolitik. Berlin H EIKE W APENHANS Simone S CHIEDERMAIR (Hrsg.): Deutsch als Fremd- und Zweitsprache & Kulturwissenschaft. Zugänge zu sozialen Wirklichkeiten. München: Iudicium 2018, 296 Seiten [39,00 €] Kraut und Rüben - zu eben diesem Schluss kommen möglicherweise alle, die sich in die umfangreiche Literatur zum kulturwissenschaftlich ausgerichteten kulturellen Lernen einarbeiten. Grund dafür ist die Vielzahl an Ansätzen, die zu einer erheblichen konzeptionellen und terminologischen Unübersichtlichkeit des Feldes geführt hat. Barbara S CHMENK verwendet die Formulierung - mit einem Fragezeichen versehen - bereits 2006 im Titel eines Aufsatzes; 12 Jahre später greift Simone S CHIEDERMAIR sie in der Einführung in den von ihr herausgegebenen und gerade erschienenen Sammelband auf. Sie teilt allerdings nicht nur S CHMENKS Einschätzung, dass wir es mit „ansonsten höchst disparaten Ansätze[n]“ (S. 9) zu tun haben, sondern auch, dass diese in zweierlei Hinsicht übereinstimmen: Erstens gehe es immer um den „Blick auf die Konstruktion kollektiver Sinnstiftung bzw. Orientierungsmuster“ (ebd., Zitat S CHMENK ), und zweitens um das „Aufbrechen der unglücklichen Verquickung von Kultur, Nation und Sprache“ (ebd., Zitat S CHMENK ). Angesichts der seit Jahren andauernden lebhaften Diskussion um den landeskundlichen Ansatz sieht S CHIEDERMAIR diesen in einem „Paradigmenwechsel“ (S. 10) begriffen. Ihr erstes Anliegen lautet, eben diesen Paradigmenwechsel herauszuarbeiten und so eine Grundlage für weitere Forschung und Lehre zu schaffen (S. 10f.). Dabei beobachtet die Herausgeberin in den Beiträgen des Bandes, der aus einer im Oktober 2016 an der Friedrich-Schiller-Universität Jena veranstalteten Tagung hervorgegangen ist, als gemeinsamen Nenner „die Annahme von der diskursiven Verfasstheit sozialer Wirklichkeiten“ (S. 10). Das kulturwissenschaftlich beeinflusste kulturelle Lernen hat unter anderem die Konzepte Erinnerungsorte, linguistic landscapes, Kultursemiotik, Symbolische Kompetenz, Integrative Landeskunde und Kulturelle Deutungsmuster hervorgebracht. Diese strukturieren den Band in insgesamt sechs Teile, denen jeweils zwei bis drei Aufsätze zugeordnet sind. Die unterschiedlichen Termini verstärken tatsächlich erneut den Eindruck eines disparaten Feldes; sie in einem Band zu vereinen und so ihre Gemeinsamkeiten aufzuzeigen, ist das zweite Anliegen der Herausgeberin. Die beiden ersten Teile, „Erinnerungsorte“ und „Linguistic Landscapes“, lassen sich dem spatial turn der Kulturwissenschaften zuordnen. Dabei können sowohl geographische als auch symbolische Räume im Mittelpunkt stehen. So thematisiert Uwe K OREIK die Bedeutung des so genannten deutschen ‚Wirtschaftswunders‘ für den Unterricht in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Unter Rückgriff auf eigene frühere Arbeiten und auf Überlegungen des Politikwissenschaftlers Herfried M ÜNKLER sieht er im rasanten wirtschaftlichen Aufstieg Westdeutschlands nach dem zweiten Weltkrieg einen der Gründungsmythen der Bundesrepublik, die bis heute wirken. Bei der Bearbeitung des Themas, das häufig auf A2/ B1-Niveau erfolgt, stellt K OREIK jedoch zwei Schwierigkeiten fest: erstens die bei der - auch kulturwissenschaftlich ausgerichteten - Landeskunde häufig zu beobachtende Reduktion auf wenige Stereotype, hier z.B. auf das „Festfoto zum einmillionsten VW-Käfer von 1955“ (S. 31). Zweitens geht er davon aus, dass 138 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel DOI 10.2357/ FLuL-2020-0026 49 (2020) • Heft 2 Reduktionen und Stereotypisierungen auch auf Wissensdefizite bei den Lehrkräften zurückzuführen sein könnten (ebd.). Um zu illustrieren, wie komplex etwa die Gründe für das deutsche Wirtschaftswunder sind, umreißt er insgesamt 13 Einflussgrößen, unter anderem die vermutlich entscheidende, aber in diesem Zusammenhang zumindest in DaF-Materialien selten berücksichtigte Korea-Krise (S. 35). Auf dieser Grundlage formuliert er die Frage, „[…] ob wir tatsächlich darauf setzen können, im Landeskundeunterricht rein diskursiv vorzugehen und weitgehend auf dem vorhandenen (oder eben nicht vorhandenen) Vorwissen der Lernenden aufzubauen. Ich habe bei der rein diskursiven Variante meine Zweifel! “ (S. 42) Die antithetische Gegenüberstellung von ‚Wissen‘ und ‚diskursivem Vorgehen‘ ist sicher in mehrerlei Hinsicht eine Zuspitzung. K OREIK erinnert mit ihr aber zu Recht daran, dass ein diskurstheoretischer Blick auf kulturelle Phänomene nicht mit postmoderner Beliebigkeit oder Geschichtsvergessenheit gleichgesetzt werden sollte. Sein Beitrag ist somit ein Plädoyer dafür, die Komplexität von kulturell relevanten Themen auch im Fremdsprachenunterricht zu berücksichtigen. Darüber hinaus stellt er eine mögliche Folie für die Lektüre der weiteren Beiträge dar. Die Entscheidung der Herausgeberin, K OREIKS Plädoyer für ein historisch fundiertes kulturelles Lernen gleich an den Beginn des Sammelbandes zu platzieren, überzeugt daher. ‚Erinnerungsorte‘ können mythische Orte wie die westdeutschen Wirtschaftswunderjahre sein, die mit geographischen Orten - hier: Korea oder Wolfsburg - in Verbindung stehen. Umgekehrt werden Erinnerungsorte oft zuerst als reale geographische Orte verstanden, an denen sich vielfältige kollektive Erinnerungen bündeln und die auf diese Weise mythisch überhöht werden. Silke P ASEWALCK und Dieter N EIDLINGER weisen auf den interessanten Umstand hin, dass der Ansatz in jüngster Zeit nach Ostmitteleuropa „‚gewandert‘ ist, […] die kulturellen Kristallisationspunkte zugleich Schnittmengen mehrerer kultureller Gedächtnisse respektive Narrative und rollendivergierender Gewalterfahrungen wurden.“ (S. 51) In ihrem Beitrag, in dem sie sowohl mit dem Konzept der Erinnerungsorte als auch mit dem Ansatz der linguistic landscapes arbeiten, untersuchen sie die sprachlich-kulturhistorischen Besonderheiten der estnischen Stadt Tartu/ Dorpat/ Jurjew. Dabei greifen sie auf den Palimpsest-Begriff zurück und illustrieren an anschaulichen Beispielen (historischen Postkarten, Lithographien von Gebäuden, Banknoten), dass sich Mehrsprachigkeit häufig nicht durch ein additives Nebeneinander, sondern eher durch eine Überlagerung von Sprachen in mehreren Schichten auszeichnet. Die Idee, mit Lernenden auf „Spurensuche“ (S. 53) zu gehen, hat daher ohne Zweifel das Potential, ein sprachlich-kulturelles Lernen anzubahnen, das dem aktuellen Stand der Kulturwissenschaften entspricht. Auch dieser Beitrag führt anschaulich vor Augen, dass ein diskursanalytischer Blick wenig mit subjektiver Beliebigkeit, viel dagegen mit der archäologischen Freilegung von Zeichen und Bedeutungen zu tun haben sollte. Ihren eigenen Beitrag ordnet die Herausgeberin dem Ansatz der linguistic landscapes zu. Im Anschluss an die Arbeiten Ingo W ARNKES stellt sie in ihm das Anliegen vor, Lernenden das bewusste Lesen von sprachlichen und nichtsprachlichen Zeichen im öffentlichen, vor allem urbanen Raum zu vermitteln. Es handelt sich somit in erster Linie um eine Wahrnehmungsschulung (S. 75). Dabei geht es darum, die automatisierte Alltagswahrnehmung, die bei den meisten Menschen beim Gang auf ihren alltäglichen Wegen dominieren dürfte, „zu durchbrechen, die Stadt in ihrer Komplexität sichtbar zu machen.“ (S. 86) Eines der Beispiele, das sie dafür anführt, ist die Arbeit mit Plakatwerbung: So bildet etwa eine Kampagne der Berliner Stadtreinigung den Ausgangspunkt für Überlegungen zum alltagspraktischen, aber auch sprachlichen Umgang mit dem Themenfeld Müll in Deutschland. Dazu gehört unter anderem die Feststellung, dass der Begriff ‚Müll‘ negativ konnotiert ist. In Gesetzes- und Behördentexten wird daher meist der neutralere Begriff ‚Abfall‘ verwendet, und auf den Plakaten der BSR wird ‚Biomüll‘ gar zum ‚Biogut‘ (S. 85). Auf diese Weise wird sprachlich markiert, dass es Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 139 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0027 sich um etwas Wertvolles handelt, das man nicht achtlos wegwirft, sondern säuberlich getrennt von anderen Abfällen in die passende Tonne gibt. Das Beispiel zeigt anschaulich, wie Sprache ganz gezielt dazu verwendet werden kann, bei den Adressaten eine Verhaltensänderung zu bewirken - und wie Lernende eben dies durch sinnvolle Lernarrangements selbst entdecken und kritisch reflektieren können. Die weiteren, ebenfalls überzeugenden Beiträge zum Thema linguistic landscapes beschäftigen sich mit der Unterscheidung zwischen primären und sekundären linguistic landscapes (Camilla B ADSTÜBNER -K IZIK ) sowie mit dem Umgang mit Mehrsprachigkeit im öffentlichen Raum in mehrsprachigen Städten, hier am Beispiel der Tschechischen Republik und der Schweiz (Claudio S CARVAGLIERI , Ruth P APPENHAGEN ). Es folgen Beiträge, die unter den Überschriften „Kultursemiotik“, „Symbolische Kompetenz“, „Integrative Landeskunde“ und „Kulturelle Deutungsmuster“ zusammengefasst sind. In den theoretischen Grundlagen setzen sie jeweils eigene Akzente. Beispielhaft sei hier der Beitrag von Eva R EBLIN genannt („Das Spiel der urbanen Signifikanten - die Dinge, die Stadt und die Kultur(en) erkunden“). Sie stützt sich auf die Kultursemiotik, insbesondere auf die Arbeiten Roland B ARTHES ‘ und seinen „syntaktischen Ansatz“ (S. 169). Die methodischen Vorschläge zur Erkundung des urbanen Raumes ähneln - trotz abweichender theoretischer Fundierung - gleichwohl jenen, die sich z.B. in der Rubrik „Erinnerungsorte“ finden. Natürlich lassen sich die Prinzipien eines solchen Vorgehens auch anwenden, ohne dass man den Klassenraum verlässt. Dies zeigt sich beispielsweise in den Überlegungen von Claire K RAMSCH zur „Symbolischen Kompetenz“ oder im Beitrag von Jens G RIMSTEIN und Almut H ILLE , die sich mit Essays zum Thema Globalisierung beschäftigen. Es stellt sich daher die Frage, ob die offenkundig großen Überschneidungen beim kulturwissenschaftlich ausgerichteten sprachlich-kulturellen Lernen nicht allmählich auf eine gemeinsame theoretische und terminologische Basis gestellt werden sollten - andernfalls wird der Eindruck, es handle sich um ‚Kraut und Rüben‘, vielleicht länger bestehen bleiben als nötig. Nach gut 20 Jahren, die der Paradigmenwechsel inzwischen andauert, ist die Zeit dafür ohne Zweifel reif. Die Herausgeberin beantwortet die Frage selbst, wie die genannte Basis aussehen könnte: „Wie sich in den hier vorliegenden Beiträgen herauskristallisiert, ist ein Diskursbegriff nötig, der eine kritische, differenzierte und konstruktive Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Mustern und Prozessen erlaubt und damit für Forschung, Lehre und Unterricht im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache produktiv ist.“ (S. 10) Dieser Einschätzung ist auch in Bezug auf andere Fächer und ihre Didaktiken, z.B. Französisch, Spanisch und Italienisch, ohne Einschränkungen zuzustimmen. Der insgesamt sehr gelungene Sammelband legt noch einen anderen Schluss nahe, was zu tun wäre, um das lange geforderte „Aufbrechen der unglücklichen Verquickung von Kultur, Nation und Sprache“ (S. 9, Zitat S CHMENK ) zu erreichen. Nämlich den, dass man sich auch vom Landeskundebegriff endlich verabschieden sollte. Dresden J OCHEN P LIKAT Christine H ÉLOT , Carolien F RIJNS , Koen VAN G ORP , Sven S IERENS (Hrsg.): Language Awareness in Multilingual Classrooms in Europe. Boston/ Berlin: De Gruyter/ Mouton 2018, 305 Seiten [91,99 €] Die dem Vorwort des kanadischen Mehrsprachigkeitsforschers und angewandten Linguisten Jim C UMMINS folgende Einführung der vier Herausgeber steckt den Rahmen des Buches ab, 140 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel DOI 10.2357/ FLuL-2020-0027 49 (2020) • Heft 2 informiert über seine theoretischen Grundlagen und Zielsetzung und gibt einen orientierenden synoptischen Überblick zu den acht Folgekapiteln. In diesen werden Fragen zur Definitionsproblematik und Relevanz des Konzeptes Language Awareness (LA), seine Umsetzung im Klassenzimmer und seine Wirkungen auf Lernende und Lehrende behandelt. Während die ersten drei Kapitel sich mit definitorischen und konzeptuellen Aspekten von LA befassen, liegt der Schwerpunkt der fünf Folgekapitel in der empirischen Erforschung von LA-fundierten Unterrichtsprojekten unterschiedlicher theoretischer Provenienz. Für die Zielsetzung von LA bzw. MLA (Multilingual Language Awareness) ist charakteristisch, dass es vor allem um die außersprachliche Disposition der Lernenden geht: „LA focuses on speakers rather than on the languages themselves“ (S. 4). Das heißt auch, dass LA hier weniger auf den Erwerb sprachlicher Handlungsfähigkeit in der Bildungssprache abzielt, sondern als Legitimation dafür dienen soll, dass Lernende beispielsweise ihre Herkunftssprachen nach Belieben verwenden dürfen sollen, um sich schulisches Wissen anzueignen. Ein solcher Ansatz wirkt aus pädagogischempathischer Sicht nachvollziehbar, wirft aber auch Probleme auf, wenn gefordert wird, dem Erwerb der schulischen Bildungssprache als „normative vision of language education“ (18) vor allem kritisch zu begegnen und diese als in scharfem Gegensatz zu unseren alltäglichen Kommunikationsbedürfnissen stehend zu beurteilen. Aber lassen sich fachliche Inhalte ohne die entsprechende bildungssprachliche Kompetenz wirklich angemessen verstehen und kommunizieren? Beim Beitrag von Sven S IERENS , Carolien F RIJNS , Koen VAN G ORP , Lies S ERCU und Piet VAN A VERMAET handelt es sich um einen Forschungsbericht, in dem auf der Grundlage von 40 empirischen, zwischen 1995 und 2013 erschienenen Arbeiten zu verschiedenen Ländern bzw. Regionen (Frankreich, Flandern, Galizien) die Auswirkungen von LA-Interventionen auf Lernende, Lehrer und Eltern im Hinblick auf die bekannten LA-Dimensionen kognitiv, sozial, affektiv, politisch und Performanz untersucht werden. Bevorzugte erforschte Domänen waren die kognitive und die Performanzdomäne, wahrscheinlich auch deshalb, weil sie sich als eher ‚formaleʻ Kategorien leichter messen ließen. Insgesamt konnte der Einfluss von LA- Interventionen als positiv veranschlagt werden, wobei die Autoren Überraschungen feststellen mussten. So wurde in einem der zwei Projekte, in denen der Einfluss von LA auf die Eltern im Zentrum stand, ermittelt, dass die überwiegende Mehrheit der Eltern von Immigrantenkindern tatsächlich einen einsprachigen Unterricht in der Bildungssprache bevorzugt und interessanterweise nicht mit der Zielsetzung des Projektes übereinstimmt: „[Parents favour] L2-only pedagogical regimes and school policies in spite of the project’s aim to promote the pedagogical use of L1’s as a resource for cognitive learning, well-being and positive attitude formation“ (S. 73). Könnte es sein, dass der Weg über die Herkunftssprachen zur schulischen Bildungssprache von den Eltern vielleicht als herablassend und als pädagogischer und sprachlicher Umweg für ihre Kinder empfunden wird? Ausgehend von einer Analyse von LA-Forschungen in verschiedenen europäischen Ländern postulieren Carolien F RIJNS , Sven S IERENS , Piet VAN A VERMAET , Lies S ERCU und Koen VAN G ORP zwei Hauptentwicklungslinien in der Geschichte von LA: eine mehr kognitiv orientierte, auf die Verbesserung von Sprachkompetenzen ausgerichtete und eine eher soziokulturell orientierte, Offenheit gegenüber allen Sprachformen und die Abkehr vom „monolingualen Habitus“ betonende. Die Autoren gelangen des Weiteren zu dem Ergebnis, dass für eine fruchtbare Fortführung von LA eine dezidierte, bedingungslose („unconditional/ ly“ taucht mehrfach auf) Einbeziehung einer lernerautonomen agency-Perspektive (B OURDIEU ) unter Einschluss der Herkunftssprachen erforderlich sei, weil man erst so ein „emotionally safe learning environment“ (S. 110) für erfolgreiches Lernen sicherstellen könne. Der Beitrag von Christine H ÉLOT beschäftigt sich mit den Herausforderungen, die sich aus Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 141 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0027 der zentralistischen französischen Sprachenpolitik für die Praxis des Sprachenunterrichts, insbesondere den daraus folgenden negativen Konsequenzen von Lernenden nicht-französischer Muttersprache, ergeben. Für die Lehrerbildung müsse es deshalb eine vordringliche Aufgabe sein, der ungleichen Wertschätzung von Sprachen entgegenzuwirken und dadurch Ungleichheit, Ausgrenzung und Diskriminierung abzubauen. Die Verfasserin kritisiert die unzureichende Durchlässigkeit der Sprachenpolitik, die die Verbindung von Sprache und Identität negiere und Neuerungen gegenüber wenig aufgeschlossen sei. Ein wenig Licht an diesem dunklen Himmel wird in den Aktivitäten von einschlägigen NGOs wie DULALA (D’Une Langue à L’Autre) gesehen, deren Einfluss, so die Autorin, sich auf die Willkommenskultur von Sprachen und Kulturen zukünftiger Mitbürgerinnen positiv auswirken werde. Die Untersuchung von Nicola B ERMINGHAM und Bernadette O’R OURKE befasst sich mit Problemen der Mehrsprachigkeit im schulischen Kontext in der Kleinstadt As Rocas in Galizien am Beispiel von 16-18jährigen Jugendlichen, die von den kapverdischen Inseln stammen und sprachlich ihre Erstsprache Krioli, eine portugiesische Kreolsprache, und Portugiesisch mitbringen. 50% der Einwohner von As Rocas reklamieren Galizisch als Erstsprache für sich, während für größere Städte Galiziens dieser Anteil lediglich 15% beträgt. Auf der Grundlage einer interviewbasierten Studie und unter Berücksichtigung der besonderen soziolinguistischen Situation von As Rocas kritisieren B ERMINGHAM / O’R OURKE , dass das Spanische im Gegensatz zum Galizischen obligatorisch für die schulische Leistungsbewertung der Jugendlichen sei, obwohl eine relativ große sprachliche, lernerleichternde Nähe zwischen dem Portugiesischen und dem Galizischen bestehe. Darüber hinaus empfinden die Jugendlichen das Galizische als eine Sprache, die hilfreich für die soziale Integration ist. Die Kritik der Autorinnen, dass die Mitglieder der kapverdischen Gemeinschaft andererseits Vorurteile über den Wert des Galizischen hegen, weil sie das Spanische als „the language with greater opportunity for social mobility“ (S. 164) positionieren, lässt sich angesichts der höheren Verbreitung des Spanischen als nationale und internationale Sprache jedoch nicht nachvollziehen. Der Beitrag von David L ITTLE und Deirdre K IRWAN hebt sich auffällig von den meisten anderen Beiträgen ab: Sein Hauptanliegen, wie man es für Sprachunterricht erwarten würde, ist der mehrsprachige Spracherwerb und nicht so sehr die soziopolitische und ideologiekritische Analyse der Rahmenbedingungen desselben. Die beiden Autoren berichten über den Sprachenunterricht an einer irischen Grundschule (1.-8. Schuljahr) für Mädchen in Dublin mit einem migrantischen Anteil von fast 80%, der sich auf 49 verschiedene Sprachen verteilt. Die sprachendidaktische Konzeption dieser Schule zeichnet sich durch die konsequente Anwendung klarer Unterrichtsprinzipien aus, z.B. aktive schülerseitige Gestaltung ihrer Lernprozesse, Rückgriff auf das vorhandene Wissen und Erfahrung als Grundlage des Lernens sowie kollaboratives Lernen. Die Schülerinnen werden dazu ermutigt, ihr mehrsprachiges Repertoire als Werkzeug für das Erlernen der im Fokus stehenden Sprachen zu nutzen, d.h. Englisch als Hauptunterrichtssprache sowie Irisch und Französisch im 7. und 8. Schuljahr. Das erzieherische Lernziel, so wird betont, ist nicht eine höchstmögliche Kompetenz im Code-switching, sondern Kompetenz in den fokussierten Einzelsprachen, womit auch ein Fokus für formale Sprachkorrektheit, „a concern for grammatical and orthographic accuracy“ (S. 198), verbunden ist. Die Kompetenz der nicht-muttersprachlich englischen Schülerinnen in der Unterrichtssprache Englisch unterscheidet sich nicht von der ihrer englisch-muttersprachlichen Schüler; auch in den jährlich durchgeführten Tests in Englisch und Mathematik schneiden Migrantenkinder überdurchschnittlich gut ab. Ausgehend von vergleichbaren Untersuchungen in Toronto beschäftigt sich der Aufsatz von Gail P RASAD mit den Potenzialen von „collaborative multilingual identity texts“ für den Erwerb von LA und Schreibkompetenzen am Beispiel zweier französischer Grundschulen. Die Mög- 142 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel DOI 10.2357/ FLuL-2020-0028 49 (2020) • Heft 2 lichkeit und Notwendigkeit, kollaborativ mehrsprachige Texte zu produzieren, kann dazu beitragen, dass Lernende in der gemeinsamen Arbeit an „identity projects“ die unterschiedlichen, aber sich ergänzenden sprachlichen und kulturellen Potenziale ihrer Mitschüler kennenlernen, und zwar in „authentic, non-threatening and productive ways“ (S. 230). Wie bereits der vorausgehende Artikel, so befasst sich auch der von Koen V AN G OERP und Steven V ERHEYEN mit dem Erwerb von LA durch Grundschüler, in diesem Fall von sieben Klassen in Flandern, am Beispiel mehrsprachiger Aufgaben. Die Autoren gehen davon aus, dass translanguaging und die Fokussierung auf Mehrsprachigkeit hilfreiche Instrumente sind, um Sensibilität und Bewusstheit gegenüber sprachlicher und damit assoziierter kultureller Vielfalt zu erreichen und den flämischen „monolingualen Habitus“ zu durchbrechen. Die Auswertung von Gruppenarbeiten, die Sprachenwahlen der Lernenden wie auch deren Interaktionen mit den Unterrichtenden haben ergeben, dass lernerseitige LA-Erkenntnisse sich vor allem dann herausbilden, wenn die Lernenden im Klassenzimmer auf ihr gesamtes sprachliches Repertoire zurückgreifen können. Latisha M ARY und Andrea S. Y OUNG widmen sich in ihrem Beitrag der Frage, in welchen Phasen der Lehrerausbildung in Frankreich die hierfür notwendigen Kompetenzen erworben werden können. Dabei standen für die Verfasserinnen im Hinblick auf die Lehramtsstudierenden die folgenden Forschungsfragen durchgehend im Vordergrund: 1. Erwerb eines kritischen Bewusstseins zur Diskriminierung von Sprachen und den unterliegenden Einstellungen, 2. Sensibilisierung für die mehrsprachigen und -kulturellen Bedürfnisse der Lernenden sowie 3. Bereitstellung von Strategien zur Schaffung von Lernumgebungen, die Diversität wertschätzen und gleichzeitig „safe spaces“ (S. 277) schaffen, in denen Kinder lernen können. Es ist das Verdienst des vorliegenden Bandes, dass er einen umfassenden, aber auch kritischen Beitrag zur aktuellen theoretischen Diskussion von LA liefert und durch die empirische Fundierung der Beiträge wichtige neue Einsichten in die Potenziale, aber auch Unzulänglichkeiten des Konzeptes LA vermittelt. Die in einigen Beiträgen stark durchscheinende politische Agenda ist einem offenen Erkenntnisinteresse nicht immer zuträglich. Braunschweig C LAUS G NUTZMANN Kathleen P LÖTNER , Marc B LANCHER (Hrsg.): Aux frontières de l’autre. Kulturdidaktische und kulturwissenschaftliche Studien zu medialen Stereotypen. Berlin [etc.]: Lang 2019, 228 Seiten [56,95 €] Seit Jahrzehnten werden Stereotype, Klischees und Vorurteile in den Sozial- und Kulturwissenschaften ebenso wie in der Fremdsprachenforschung diskutiert, definiert, voneinander abgegrenzt und analysiert. Auseinandersetzungen mit ihren Ursprüngen, Rollen und Funktionen erfolgen in der Regel mit der Zielsetzung einer Relativierung, Überwindung, Differenzierung oder auch Dekonstruktion. Diesem umfangreichen Diskurs fügen die Autorinnen und Autoren des Sammelbands Aux frontières de l’autre nun einen weiteren Beitrag hinzu, der sich daran messen lassen muss, ob und inwieweit hier neue Aspekte thematisiert werden. Darüber hinaus stellt sich auch die Frage, ob diese Publikation nun - wie immer wieder in diesem Feld - Stereotype thematisieren kann, ohne selbst in Stereotype zu verfallen. Insgesamt können beide Fragen positiv beantwortet werden. Der Sammelband enthält zunächst einen einleitenden Beitrag der beiden Herausgeber über sprachliche und visuelle Stereotype, in dem an bestehende Diskurse angeknüpft und der aktuelle Stand der Forschung zusammenfassend dargestellt wird. Die Leistung des Bandes besteht sicherlich in der Fokus- Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 143 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0028 sierung auf Frankreich und Deutschland sowie in der differenzierten kulturwissenschaftlichen und kulturdidaktischen Aufarbeitung konkreter Beispiele. Die Beiträge umfassen eine Analyse nationaler Klischees in ausgewählten Antikriegsliedern, vor allem eines Chansons von Georges Brassens (Cordula N EIS ), eine kulturlinguistische Analyse der Bezeichnungen La Mannschaft und La Grande Nation (Sylvie M UTET ) oder auch eine Analyse der sprachlichen Stereotypisierung in der Comic-Reihe Asterix und Obelix (Julia L ANGE ). Die jeweiligen Themen werden ausführlich vorgestellt, Ursprünge und Kontexte analysiert und schließlich auf ihr Potenzial zur Thematisierung im Französischunterricht reflektiert. Die Lektüre vermittelt zahlreiche kulturwissenschaftliche Einsichten z.B. in Klischees in dem antimilitaristischen Chanson Les deux oncles und der darin enthaltenen stereotypen Darstellung der „Tommies“ und der „Teutonen“, in Kontexte des in Frankreich gebräuchlichen Ausdrucks La Mannschaft zur Bezeichnung der deutschen Fußballnationalmannschaft und des in Deutschland verwendeten Begriffs La Grande Nation für Frankreich, oder auch in zahlreiche Mechanismen in den Sprachkarikaturen und stereotypisierten Sprachen in der Comic-Reihe Asterix und Obelix. Ein weiterer Schwerpunkt der Publikation sind Geschlechterstereotype. In einer Analyse der „Jungenkrise“ und „Jungenförderung“ im Französischunterricht (Matthias G REIN ) geht es um Stereotype in Diskursen der Französischdidaktik selbst. Ausgehend von einer stereotypisierten Wahrnehmung des Französischen als feminin konnotierter Sprache wird der Versuch einer Dekonstruktion der sogenannten „Jungenkrise“ des Französischunterrichts unternommen. Ein weiterer Fokus liegt auf Geschlechterstereotype in der politischen Karikatur in den deutschfranzösischen Beziehungen (Regina S CHLEICHER ). Die detaillierten Analysen erörtern le couple franco-allemand am Beispiel u.a. von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy in der deutschen und in der französischen Presse. Neben Geschlecht als sozialer Strukturkategorie werden auch politische Diskurse zur ethnischen Herkunft zum Gegenstand gemacht. Dabei geht es um derzeit in der Öffentlichkeit relevante Themen wie den Islam, Islamismus und Terrorismus oder auch um aktuelle politische Entwicklungen im rechten Parteienspektrum. Konkret wird die neue Terrorismusgefahr im Fremdsprachenunterricht anhand französischer Karikaturen beleuchtet (Benjamin I NAL ). Es erfolgt ein Plädoyer zur Analyse von Karikaturen im Kontext des Attentats auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo 2015 mit dem Ziel, transkulturelle Lernprozesse im Französischunterricht anzustoßen. Unter dem Motto Gemeinsam gegen Rechts wird das Potenzial politischer Bildung zur Demokratieförderung im Französischunterricht erörtert (Aline W ILLEMS ). Im Mittelpunkt der Analyse stehen La Présidente, eine Uchronie bzw. Dystopie über die ersten 100 Tage Marine le Pens im Amt der französischen Staatspräsidentin, sowie Vorschläge zum Einsatz des Textes im Französischunterricht. Ein weiterer Schwerpunkt umfasst die Analyse medial transportierter Stereotype. Dazu gehört die Auseinandersetzung mit nationaler Identität im französischen Kino der letzten Jahre, konkret in den Filmen Bienvenue chez les Ch’tis. Intouchables und Qu’est-ce qu’on a fait au Bon Dieu? (Christophe L OSFELD ). In diesen an den Kinokassen überaus erfolgreichen Komödien wird die Auseinandersetzung mit Vorurteilen als Schlüssel zum Verständnis der jeweiligen karikierten Zielkulturen und Zielgruppen genutzt. Ein weiterer Beitrag umfasst eine Analyse des Stereotyps in der (inter)medialen Praxis und im Unterricht des Französischen als Fremdsprache (Français langue étrangère) (Marc B LANCHER ). Ausgehend von B AKHTINS Überlegungen zum Chronotop werden wiederum Stereotype in der Populärkultur, d.h. in Kino und Fernsehen, auf ihr didaktisches Potenzial beleuchtet. Die genannten Beiträge sind hermeneutisch angelegt und eröffnen zahl- und detailreiche kulturwissenschaftliche Analysen. Daneben steht ein weiterer Beitrag mit einem empirischen 144 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel DOI 10.2357/ FLuL-2020-0028 49 (2020) • Heft 2 Forschungsdesign. Es handelt sich um eine Studie zu Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit Stereotypen und Klischees im Klassenraum, in der Sichtweisen Jugendlicher auf Stereotype und Klischees dargestellt werden (Claudia S CHLAAK ). Die Studie analysiert, wie Schülerinnen und Schüler von Klischees und Stereotypen geprägt sind und wie Lehrerinnen und Lehrer diese Vorstellungen im Unterricht thematisieren und hinterfragen können. Die Lektüre des Bandes eröffnet interessante Perspektiven auf kulturwissenschaftliche Fragen zur Darstellung des Anderen und schreibt sich damit in bestehende interkulturelle Diskurse mit neuen Aspekten ein. Der Schwerpunkt liegt mehrheitlich auf den Kulturwissenschaften, didaktische Fragestellungen zur Umsetzung schließen sich daran an und werden - nachrangig, aber fundiert - diskutiert. Als Leserin stelle ich mir mehrere Fragen: Zunächst, ob und wenn ja, inwieweit Wissen, d.h. landeskundliches und kulturwissenschaftliches Wissen sowie fundierte Kenntnisse beispielsweise über die genannten Themen, Auswirkungen auf Stereotype und Klischees hat. Was bewirkt mein Wissen über die Karikaturen um Charlie Hebdo oder über die Darstellung des deutsch-französischen Verhältnisses in der Presse? Führt solches Wissen zu differenzierteren Einstellungen, zur Reduktion von stereotypisierten Denkweisen? Die Hoffnung auf eine bejahende Antwort stellt sicher die Grundlage jeglichen pädagogischen Handelns dar, doch zeigt die Realität heute die Nachhaltigkeit und Hartnäckigkeit stereotypisierter und klischeehafter Sichtweisen sowie die Wirkmächtigkeit eines solchen Denkens. Eine weitere Frage kommt auf: Sie gilt der Begründung und Begründbarkeit bestimmter, in den Texten unhinterfragter „Wahrheiten“ und Postulate. Diese Postulate beinhalten bestimmte Setzungen wie Gemeinsam gegen Rechts oder „Wahrheiten“ wie, man möge das Andere - die Ch’tis, die Behinderten oder die Multi-Kulti-Gesellschaft - nicht ausgrenzen. Ja! Natürlich! Selbst wenn ich diese Positionen teile, bleibt das Unbehagen an der unhinterfragten Setzung dieser politischen Positionen. Wenn der Band die Grenze zu dem Anderen thematisiert, wie der Titel Aux frontières de l’autre nahelegt, so bleibt ein Unbehagen dahingehend, dass bestimmte gesellschaftliche Gruppen als das Andere definiert sind, - und andere gesellschaftliche Gruppen nun eben nicht. Wie steht es nun um Minderheiten, die in aktuellen gesellschaftlichen Diskursen nicht in gleichem Maße thematisiert werden? Beispielsweise Angehörige autochthoner Minderheiten oder die Mitglieder von Vertriebenenverbänden, z.B. die Siebenbürger Sachsen oder die Banater Schwaben? Dies führt zu einer letzten Frage: Wie ist es möglich, das Ziel Gemeinsam gegen Rechts zu verfolgen und dabei genau diejenigen anzusprechen, die in diesem Diskurs das Andere sind? Wie kann beispielsweise die Auseinandersetzung mit einem Anhänger der AfD gelingen? An dieser Stelle anzusetzen wäre sicher ein lohnendes Projekt und eine Möglichkeit zur Weiterentwicklung bestehender Diskurse. Eine Antwort ist sicher nicht leicht zu finden, doch würde ich mir von den Autoren des vorliegenden Sammelbandes einen differenzierten zweiten Band zu diesen Fragen wünschen. Augsburg C HRISTIANE F ÄCKE 49 (2020) • Heft 2 Vorschau auf Jahrgang 50.1 (2021) Der von B ÄRBEL D IEHR (Bergische Universität Wuppertal) und D OMINIK R UMLICH (Universität Paderborn) koordinierte Themenschwerpunkt für Jahrgang 50.1 (2021) trägt den Titel Bilingualer Unterricht. Aktuelle Herausforderungen und neue Chancen. Konzeptuell-fachliches Lernen, Förderung der Kulturbewusstheit, Sprachbildung und Erziehung zur Mehrsprachigkeit zählen zu den Kernaufgaben der Schule und müssen daher über alle Fächer realisiert werden. Der Bilinguale Unterricht ist für ein zukunftsfähiges Bildungswesen unverzichtbar, da er die involvierten Fächer auf besondere Weise unterstützt, ihre Kernaufgaben zu erfüllen. Die Expansion und Diversifizierung der bilingualen Angebote, die Komplexität bilingualen Lernens, aber auch die demografischen Veränderungen der Gesellschaft machen dabei eine kontinuierliche Weiterentwicklung des bilingualen Unterrichts notwendig, um die existierenden Potentiale noch besser ausschöpfen zu können. Zu dieser Weiterentwicklung und Qualitätssicherung, aber auch zur Konsolidierung guter Ansätze soll der Themenschwerpunkt beitragen. Die neusten Entwicklungen und Erkenntnisse, sowohl in theoretisch-konzeptueller als auch in empirischer Hinsicht, dienen als Ausgangspunkt, das Themenfeld aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten - denn es ist ebendiese Perspektivenvielfalt und gelebte Interdisziplinarität, die als konstituierendes Merkmal eine der genuinen Stärken des bilingualen Unterrichts in der Praxis darstellen. Nach der Einführung in den Themenschwerpunkt aus Sicht der Fremdsprachendidaktik kommen Vertreterinnen und Vertreter aus Psychologie und Bildungswissenschaften, aus der Didaktik des Französischen und des Englischen, aus Deutsch als Fremdsprache sowie Deutsch als Zweitsprache und dem Sachfach Mathematik zu Wort. Die Beiträge diskutieren aktuelle Herausforderungen und neue Chancen des Bilingualen Unterrichts auf der Grundlage neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse der Beitragenden, insbesondere zu Fragen des konzeptuellen Lernens, des didaktisch begründeten Einsatzes zweier Sprachen und in Bezug auf ihre Implikationen für die Unterrichtspraxis. Dabei sollen vor allem die Heterogenität der Lerngruppen, der Anspruch eines breiten bilingualen Angebots für alle, die Verknüpfung von konzeptuellem und sprachlichem Lernen, das Ziel der doppelten Fachliteralität sowie der Einsatz von zwei Sprachen und systematischen Sprachwechseln beleuchtet werden. Bei Redaktionsschluss lagen Zusagen für die folgenden Beiträge vor: Bärbel D IEHR (Bergische Universität Wuppertal) und Dominik R UMLICH (Universität Paderborn): Zur Einführung in den Themenschwerpunkt Oliver M EYER , Margarete I MHOF , Nicole B ERG , Teresa C ONNOLLY , Cornelia D OLD (alle Johannes Gutenberg Universität Mainz), Do C OYLE (University of Edinburgh): Researching pluriliteracies development: Towards an evidence-based understanding of deeper learning in CLIL Tobias S CHOLL , Lars S CHMELTER (beide Bergische Universität Wuppertal): Zur Integration von sprachlichem und konzeptuellem Lernen im bilingualen Unterricht - Potenziale inszenierter Sprachmittlung im deutsch-französischen Geschichtsunterricht Stefanie F RISCH (Bergische Universität Wuppertal): Bilinguales Lernen in der Grundschule: Einblicke in sprachliche und naturwissenschaftliche Kompetenzen V o r s c h a u • I n f o 146 Vorschau • Info 49 (2020) • Heft 2 Johanna F LECKENSTEIN (Leibnitz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik), Jens M ÖLLER (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel): Motivation und Selbstkonzept im bilingualen Unterricht: Ein Vergleich dual-immersiv und konventionell unterrichteter Schülerinnen und Schüler Katharina Z ENTGRAF , Susanne P REDIGER , (beide Technische Universität Dortmund), Anne B ERKEMEIER (Westfälische Wilhelms-Universität Münster): Fach- und sprachintegrierter Mathematikunterricht am Sprachanfang: Diskursiv reichhaltige, lexikalisch und grammatisch fokussierte Zugänge zum mathematischen Funktionskonzept für Neuzugewanderte Michael S CHART : Interaktion und Konzepterwerb im fach- und sprachintegrierten Unterricht (DaF) Geplanter Themenschwerpunkt für Jahrgang 50.2 (2021) Fremdsprachen für den Beruf (koordiniert von H ERMANN F UNK und K ARIN V OGT ) Erratum in Heft 49.1 (2020) Im Beitrag von B ERND T ESCH : „Formen und Funktionen des Schreibens im Fremdsprachenunterricht“ ist in Kap. 3.2 (S. 60) bedauerlicherweise ein wichtiger Literaturhinweis versehentlich nicht gesetzt worden. Nach Zeile 36 müsste ergänzt werden: „(vgl. P ELCHAT i.V.)“. Im Literaturverzeichnis fehlt dementsprechend der Eintrag: P ELCHAT , Linda (i.V.): Fremdsprachliches Schreiben. Eine rekonstruktive Studie zu Problemlösepraktiken beim kollaborativen Schreiben im Französischunterricht. Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL) Themenschwerpunkte (1994 - 2020) 23 (1994): Wörterbücher und ihre Benutzer (koord. von Ekkehard Zöfgen) 24 (1995): Kontrastivität und kontrastives Lernen (koord. von Claus Gnutzmann) 25 (1996): Innovativ-alternative Methoden (koord. von Gert Henrici) 26 (1997): Language Awareness (koord. von Willis J. Edmondson und Juliane House) 27 (1998): Subjektive Theorien von Fremdsprachenlehrern (koord. von Inez De Florio-Hansen) 28 (1999): Neue Medien im Fremdsprachenunterricht (koord. von Erwin Tschirner) 29 (2000): Positionen (in) der Fremdsprachendidaktik (koord. von Frank G. Königs) 30 (2001): Leistungsmessung und Leistungsevaluation (koord. von Rüdiger Grotjahn) 31 (2002): Lehrerausbildung in der Diskussion (koord. von Frank G. Königs und Ekkehard Zöfgen) 32 (2003): Mündliche Produktion in der Fremdsprache (koord. von Karin Aguado u.a.) 33 (2004): Wortschatz - Wortschatzerwerb - Wortschatzlernen (koord. von Erwin Tschirner) 34 (2005): `` Neokommunikativer AA Fremdsprachenunterricht (koord. von Franz-Joseph Meißner) 35 (2006): Sprachdidaktik - interkulturell (koord. von Claus Gnutzmann und Frank G. Königs) 36 (2007): Fremdsprache als Arbeitssprache in Schule und Studium (koord. von Claus Gnutzmann) 37 (2008): Lehren und Lernen mit literarischen Texten (koord. von Eva Burwitz-Melzer) 38 (2009): Strategien im Fremdsprachenunterricht (koord. von Manfred Raupach) 39 (2010): Geschichte des Fremdsprachenunterrichts (koord. von Claus Gnutzmann und Frank G. Königs) 40.1 (2011): Fremdsprachenforschung in Europa (koord. von C. Gnutzmann, F.G. Königs und L. Küster) 40.2 (2011): Lehrwerkkritik, Lehrwerkverwendung, Lehrwerkentwicklung (koord. von Jürgen Kurtz) 41.1 (2012): Kompetenzen konkret (koord. von Lutz Küster) 41.2 (2012): Fremdsprachen in nichtsprachlichen Studiengängen (koord. von Claus Gnutzmann) 42.1 (2013): Entwicklungslinien. Standpunkte der Fremdsprachenforschung (koord. von Jenny Jakisch, Frank G. Königs und Lutz Küster) 42.2 (2013): Tasks revisited (koord. von Wolfgang Hallet und Michael K. Legutke) 43.1 (2014): Der Fremdsprachenlehrer im Fokus (koord. von Frank G. Königs) 43.2 (2014): Multiliteralität (koord. von Lutz Küster) 44.1 (2015): Wissenschaftliches Schreiben in der Fremdsprache (koord. von Claus Gnutzmann) 44.2 (2015): Mehrsprachigkeitsdidaktik (koord. von Jenny Jakisch) 45.1 (2016): (Fremd-)Sprachenlernen mit Film (koord. von Gabriele Blell und Carola Surkamp) 45.2 (2016): L2-Motivation - internationale und sprachspezifische Perspektiven (koord. von Claudia Riemer und Kathrin Wild) 46.1 (2017): Sprachenpolitik (koord. von Eva Burwitz-Melzer und Jürgen Quetz) 46.2 (2017): Frühes Fremdsprachenlernen (koord. von Heiner Böttger) 47.1 (2018): Fachlichkeit und Bildungsauftrag im schulischen Fremdsprachenunterricht (koord. von Lutz Küster und Jochen Plikat) 47.2 (2018): Digitalisierung und Differenzierung, koord. von Torben Schmidt und Nicola Würffel 48.1 (2019): Videobasierte Lehre in der Fremdsprachendidaktik (koord. von Mark Bechtel und Karen Schramm) 48.2 (2019): Sprachmittlung (koord. von Andrea Rössler und Birgit Schädlich) 49.1 (2020): Fremdsprachliches Schreiben (koord. von Hans P. Krings) Hinweise zu Beiträgen für FLuL FLuL begrüßt forschungsbasierte Beiträge zu allen für den Fremdsprachenunterricht und die Mehrsprachigkeit relevanten Bereichen. Einzelheiten zur Gestaltung der Manuskripte sind dem ausführlichen ,style sheet‘ zu entnehmen, das bei der Redaktion (Anschrift siehe 2. Umschlagseite) angefordert werden kann. ISSN 0932-6936 www.narr.digital www.narr.de Themenschwerpunkt: Aussprache lehren, lernen und evaluieren I sabelle M ordellet -r oggenbuck , J ulIa s ettInIerI Zur Einführung in den Themenschwerpunkt ........................................................... 3 k athrIn W Ild Von guten Aussprachelernenden lernen .............................................................. 11 I sabelle d arcy , b rIan r occa , Z oIe h ancock , s eung s uk l ee Do Individual Differences in Stress Perception and in Selective Attention Relate to Improvements in Spontaneous Speech? ................................. 28 M areIke M üller , J ulIa s ettInIerI „Solange dieser Mann gut Deutsch sprechen kann, ist auch kein Problem …“ - Evaluative Reaktionen auf einen L2-Akzent aus Sicht von Sprecher*innen .......... 46 M Ichaela s aMbanIs Embodied Learning im Kontext von Aussprache - State of the Art .......................... 64 g rIt M ehlhorn Anbahnung von Aussprachediagnosekompetenzen in der Fremdsprachenlehrerausbildung ......................................................................... 79