Fremdsprachen Lehren und Lernen
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
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2021
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Gnutzmann Küster SchrammFremdsprachen Lehren und Lernen Herausgegeben von Lutz Küster, Karen Schramm und Britta Viebrock Themenschwerpunkt: Berufsbezogenes Fremdsprachenlernen und -lehren koordiniert von Karin Vogt und Hermann Funk FLuL 50. Jahrgang (2021) · 2 Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL) Zur Theorie und Praxis des Sprachunterrichts Herausgeber: Lutz Küster (Berlin) · Karen Schramm (Wien) · Britta Viebrock (Frankfurt) Zuschriften, Manuskripte und Rezensionsexemplare erbeten an: Prof. Dr. Lutz Küster, Humboldt-Universität zu Berlin, Sprach- und literaturwissenschaftliche Fakultät, Institut für Romanistik, Unter den Linden 6, D-10099 Berlin, eMail: lutz.kuester@ rz.hu-berlin.de Prof. Dr. Karen Schramm, Universität Wien, Institut für Germanistik, Fachbereich DaF/ DaZ, Porzellangasse 4, A-1090 Wien, eMail: karen.schramm@univie.ac.at Prof. Dr. Britta Viebrock, Goethe Universität Frankfurt, Institut für England- und Amerikastudien, Norbert-Wollheim-Platz 1, 60323 Frankfurt am Main, eMail: viebrock@em.uni-frankfurt.de Beratende Mitarbeit: Gabriele Blell (Hannover) · Stephan Breidbach (Berlin) · Eva Burwitz- Melzer (Gießen) · Daniela Caspari (Berlin) · Sabine Doff (Bremen) · Daniela Elsner (Frankfurt) · Andreas Grünewald (Bremen) · Jürgen Kurtz (Gießen) · Claudia Riemer (Bielefeld) · Laurenz Volkmann (Jena) Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL) erscheint zweimal im Jahr mit einem Umfang von jeweils ca. 144 Seiten. Das Jahresabonnement kostet € 65,- (print) bzw. € 76,- (print + online), Vorzugspreis für private Leser € 46,- (print), das Einzelheft € 38,-. (alle Preise zzgl. Postgebühr). Das Abonnement verlängert sich jeweils um ein weiteres Jahr, wenn es nicht bis zum 15. November des laufenden Jahres beim Verlag gekündigt wird. © 2021 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG, Dischingerweg 5, 72070 Tübingen www.narr.de, eMail: info@narr.de Die in der Zeitschrift veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieser Zeitschrift darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Fotokopie, Mikrofilm oder andere Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsanlagen, verwendbare Sprache übertragen werden. Auch die Rechte der Wiedergabe durch Vortrag, Funk- und Fernsehsendung, in Magnettonverfahren oder auf ähnlichem Wege bleiben vorbehalten. Fotokopien für den persönlichen und sonstigen eigenen Gebrauch dürfen nur von einzelnen Beiträgen oder Teilen daraus als Einzelkopien hergestellt werden. Jede im Bereich eines gewerblichen Unternehmens hergestellte oder benutzte Kopie dient gewerblichen Zwecken gem. § 54 (2) UrhG und verpflichtet zur Gebührenzahlung an die VG WORT, Abteilung Wissenschaft, Goethestraße 49, 80336 München, von der die einzelnen Zahlungsmodalitäten zu erfragen sind. Printed in Germany ISSN 0932-6936 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG (Fortsetzung umseitig) In e i g e n e r S a c h e : e i n b e s o n d e r e s J u bil ä u m 3 Themenschwerpunkt: Berufsbezogenes Fremdsprachenlernen und -lehren Koordination: K ARIN V OGT und H ERMANN F UNK K ARIN V OGT , H ERMANN F UNK Zur Einführung in den Themenschwerpunkt ....................................................... 5 O LAF B ÄRENFÄNGER Sprachliche Kompetenzen im Beruf messbar machen: Die „Deutscheinschätzung für Stellensuchende“ ................................................................................... 18 M ICHAEL C. P RUSSE , L UKAS R OSENBERGER Englischunterricht an Berufsschulen: Die Balance zwischen Allgemeinbildung und Berufsorientierung ........................................................................................ 37 H ERMANN F UNK , C HRISTINE K UHN Die GER-Niveaustufen als normative Zulassungskriterien - zur Problematik des B2-Kriteriums am Beispiel der Pflegeberufe ................................................ 53 E LKE Z APF , K ARIN V OGT Französischunterricht an beruflichen Schulen - eine Bestandsaufnahme ........... 69 A NDREA D AASE Berufssprachliche kommunikative Handlungskompetenz in der Zweitsprache Deutsch: Befähigung und Beschränkung aus Sicht von Lernenden .................... 85 H ONG C AI Bedarfsanalysen im Unternehmenskontext - Verfahren und Schwierigkeiten .... 101 50. Jahrgang (2021) • Heft 2 Herausgeber: Lutz K ÜSTER (Berlin), Karen S CHRAMM (Wien), Britta V IEBROCK (Frankfurt) © 2021 Narr Francke Attempto Verlag Internet: www.narr.de/ linguistik/ zeitschriften/ flul/ 50 (2021) • Heft 2 Nicht-thematischer Teil H EIKE N IESEN , A NNIKA K REFT , B RITTA V IEBROCK , D ANIELA E LSNER Respect matters: A position paper for standards of good conduct in videobased foreign language teacher professional development................................... 117 P r o u n d C o ntr a : Der Fremdsprachendidaktik fehlt derzeit eine Streitkultur 136 Be sprechunge n Marie V ANDERBEKE : Authentisierungsprozesse und die Nutzung Fremdsprachlicher „Affordances“ in Bilingualen Schülerlaborprojekten. Eine qualitative Studie. Berlin: Lang 2019 (W OLFGANG Z YDATIß ) ..................................................................................... 138 Eva W ILDEN , Henning R OSSA : Fremdsprachenforschung als interdisziplinäres Projekt. Berlin et al.: Lang 2019 (B IRGIT S CHÄDLICH ) .................................................................... 140 Annika K REFT : Transkulturelle Kompetenz und literaturbasierter Fremdsprachenunterricht. Eine rekonstruktive Studie zum Einsatz von fictions of migration im Fach Englisch. Berlin: Lang 2020 (B ERND T ESCH ) .................................................................... 142 Eva R EID : English Language Education to Pupils with General Intellectual Giftedness. Berlin: Lang 2020 (J UDITH B ÜNDGENS -K OSTEN ) ............................................................... 145 Sebastian M IEDE : Förderung des Sprechens im kompetenzorientierten Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe. Tübingen: Narr 2019 (P ETRA K IRCHHOFF ) ........... 147 Vorschau 149 50 (2021) • Heft 2 Wer auf das Cover unserer Zeitschrift schaut, wird es schon bemerkt haben: Fremdsprachen Lehren und Lernen ist 50 geworden. Dies Jubiläum nehmen wir zum Anlass, einen kurzen Blick auf einige Wegmarken der Entwicklung zu werfen. Ins Leben gerufen wurde die Zeitschrift im Jahre 1972 unter dem Namen Bielefelder Beiträge zur Sprachlehrforschung (BBS) von Manfred S PRISSLER , dem damaligen Geschäftsführenden Direktor des im selben Jahr gegründeten Sprachenzentrums der Universität Bielefeld. Bis Ende 1979 erschienen in loser Reihenfolge insgesamt 14 Hefte im Format A4, bevor die Zeitschrift ab Jahrgang 9 (1980) mit zwei Heften jährlich vom E. Keimer-Verlag Bad Honnef vertrieben wurde. Veränderungen gab es in den Folgejahren nicht nur in der Herausgeberschaft: neben Manfred S PRISSLER zeichneten ab 1984 Gert H ENRICI und Käthe H ENKE als Mit-Herausgeber, ab 1986 dann des Weiteren Ekkehard Z ÖFGEN verantwortlich. Auch konzeptuell wurde bereits mit Jahrgang 15 (1986) eine Neuausrichtung - u.a. durch stärkere Einbindung in- und ausländischer Autor*innen, durch Themenschwerpunkte sowie die Bildung eines wissenschaftlichen Beirates - eingeleitet, die mit Jahrgang 16 (1987) auch zur Änderung des Namens in Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL) und einer Umstellung auf Jahreshefte führte. Die größere Publizität, die sich das neuformierte Herausgebergremium (Gert H ENRICI , Kurt Otto S EIDEL und Ekkehard Z ÖFGEN ) von dieser Öffnung erhofft hatte, wurde allerdings nicht in dem gewünschten Maße erreicht, was nicht zuletzt mit der fehlenden Marktpräsenz des Keimer-Verlages im Bereich Fremdsprachendidaktik/ Sprachlehrforschung zusammenhing. Als Glücksfall erwies sich der mit Jahrgang 21 (1992) vollzogene Wechsel zum Gunter Narr Verlag, der großen Anteil daran hatte, dass die Zeitschrift nunmehr als forschungsorientierte Publikation von der anvisierten Zielgruppe stärker wahrgenommen wurde. Als Herausgeber und Schriftleiter fungierten bis Jg. 29 (2000) Gert H EN - RICI und Ekkehard Z ÖFGEN . Um bei der Wahl der Themenschwerpunkte ein möglichst breites Spektrum inhaltlich abdecken zu können, wurde für Jg. 24 (1995) erstmals ein für das Thema „Kontrastivität und kontrastives Lernen“ fachlich ausgewiesener Kollege als Koordinator eingeworben, nämlich Claus G NUTZMANN - eine Praxis, die sich bis heute bewährt hat. Zu den nach der Jahrtausendwende vollzogenen Veränderungen in der Herausgeberschaft gehören u.a. die Mitgliedschaft unseres verstorbenen Kollegen Frank G. K ÖNIGS (2001-2017) und von Claus G NUTZMANN (2005-2019) sowie das Ausscheiden von Gert H ENRICI (2004) und von Ekkehard Z ÖFGEN (2010), womit dann zugleich ein Generationswechsel vollzogen war. Sukzessive fanden in der Folge neue Kolleg*innen Eingang in das jeweilige Herausgebertrio: Lutz K ÜSTER im Jahre 2010, Karen S CHRAMM in 2017, Britta V IEBROCK in 2019. In e i g e n e r S a c h e : e i n b e s o n d e r e s J u b il ä u m 4 In eigener Sache: ein besonderes Jubiläum 50 (2021) • Heft 2 Bliebe noch die vom Verlag gewünschte und mit Jg. 40 (2011) erfolgte Umstellung von einer Jahresschrift auf das halbjährliche Erscheinen zu erwähnen, mit der sich die Zeitschrift nicht nur in einem neuen Format, sondern auch mit einem geänderten Cover präsentiert. Wir blicken zuversichtlich in die Zukunft und sind sicher, Ihnen auch weiterhin wissenschaftlich anspruchsvolle Beiträge zu Fragen des Lehrens und Lernens von Sprachen vermitteln zu können. Die H ERAUSGEBER * INNEN mit herzlichem Dank an E KKEHARD Z ÖFGEN , ohne den die obige Rekonstruktion in dieser Form nicht möglich gewesen wäre 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0015 K ARIN V OGT , H ERMANN F UNK * Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 1. Charakteristika berufsbezogenen Fremdsprachenunterrichts Der Bereich des berufsbezogenen bzw. berufsorientierten Fremdsprachenlernens ist ein Praxisfeld der Fremdsprachendidaktik, das nach wie vor seltener als andere im Fokus der fremdsprachendidaktischen Diskussion steht. Sprachlernmotivation auch am Arbeitsplatz, situative Flexibilität, Verbindlichkeit der Kommunikate, d.h. kommunikative Präzision in der schriftlichen und mündlichen Interaktion und Kompetenz im Umgang mit digitalen Werkzeugen stellen beispielsweise besondere Herausforderungen an das sprachliche Handeln in beruflichen Domänen und unterscheiden dieses Feld, das i.d.R. früher auf ökonomische, gesellschaftliche, sprachen- und migrationspolitische sowie auch medientechnische Veränderungen reagiert, in Bezug auf die Lernorte, die Lernenden und ihre Motivationen deutlich von anderen Praxisfeldern fremdsprachlichen Lernens und Handelns. In den grundlegenden didaktischen Konzepten kann dabei unterschieden werden zwischen einem berufsvorbereitenden (preexperience) und einem berufsbegleitenden Fremdsprachenunterricht (post-experience, S TREVENS 1977). In der Berufsvorbereitung kann zwar von einer allgemeinen berufsorientierten Lernmotivation ausgegangen werden, aber i.d.R. nicht von Berufserfahrung und Fachkenntnissen. Allgemeines Lernziel ist hier die Vorbereitung auf die fremdsprachlichen Anforderungen beruflicher Sprachverwendung ohne Berufsspezifik. In diesem Sinne bereitet Fremdsprachenunterricht in der Erwachsenenbildung häufig auch auf berufliche Sprachverwendung vor. Berufsbegleitender Fremdsprachenunterricht kann dagegen von mehr oder weniger beruflicher Erfahrung ausgehen und hat i.d.R. Lernziele, die mit der Bewältigung bekannter zukünftiger (Auslandsentsendung) oder konkreter aktueller fremdsprachlicher Anforderungen eines bestimmten Berufs bzw. einer konkreten beruflichen Situation zu tun haben. Das * Korrespondenzadressen: Prof. Dr. Karin V OGT , Pädagogische Hochschule Heidelberg, Institut für Fremdsprachen, Abteilung Englisch, Keplerstraße 87, 69120 H EIDELBERG E-Mail: vogt@ph-heidelberg.de Arbeitsbereiche: u.a. berufsorientierter Fremdsprachenunterricht, Assessment, interkulturelles Lernen Prof. Dr. Hermann F UNK , Friedrich-Schiller-Universität, Arbeitsstelle für Lehrwerkforschung und Materialentwicklung, Leutragraben 1, 07743 J ENA E-Mail: hermann.funk@uni-jena.de Arbeitsbereiche: Allgemeine Fremdsprachendidaktik & Methodik, Lehrwerkforschung und Materialentwicklung, berufsorientiertes Fremdsprachenlernen Berufsbezogenes Fremdsprachenlernen und -lehren 6 Karin Vogt, Hermann Funk DOI 10.2357/ FLuL-2021-0015 50 (2021) • Heft 2 Fremdsprachenlernen in der beruflichen Bildung, begleitend oder integral, ist weder dem einen noch dem anderen Feld vollständig zuzuordnen und kann von allgemeiner beruflicher Motivation bei geringer Expertise ausgehen (vgl. Z APF 2009). International und im deutschsprachigen Raum dominiert hier die Fremdsprache Englisch, abgesehen von grenznahen Schulen, in denen die Nachbarsprachen (Französisch und vereinzelt Polnisch und Tschechisch) im Hinblick auf die berufliche Mobilität unterrichtet werden. Obwohl gerade letzterem Aspekt insbesondere in den EUREGIOS wie Oberrhein, Saar-Lor-Lux und Maas-Rhein besondere Bedeutung zukommt und eine Vielzahl lokaler grenzüberschreitender Initiativen zu verzeichnen ist, fehlen übergreifende didaktisch-methodische Konzepte. Für das berufsvorbereitende Sprachenlernen für Migrantinnen und Migranten in Deutschland hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nach § 45a des Aufenthaltsgesetzes die Berufssprachkurse eingerichtet, die sich an die Integrationskurse ab dem Niveau B1 anschließen und auf eine Berufsausbildung bzw. allgemein auf berufliche Sprachanforderungen vorbereiten sollen. In diesem Kontext wurden auch die Qualifikationsanforderungen für Lehrkräfte in der berufsorientierten Sprachvermittlung und für den sprachsensiblen Fachunterricht festgelegt und diesbezüglich verpflichtende Fortbildungsangebote konzipiert. In Bezug auf die Pflegeberufe wird von den meisten Bundesländern das Niveau B2 als berufsqualifizierende Eingangsvoraussetzung festgelegt. Für dieses Berufsfeld, in dem in Deutschland bereits 2018 mehr als 134.000 Personen mit Migrationshintergrund arbeiteten, ist derzeit der stärkste Anstieg an berufsorientierter Sprachvermittlung zu verzeichnen (s. Beitrag von F UNK / K UHN in diesem Heft). Das deutsche Beispiel verdeutlicht zum einen die starke Abhängigkeit des Bedarfs und der Konzepte berufsorientierter Sprachvermittlung von gesellschaftlichen Entwicklungen. Eine zentrale Rolle spielen dabei die internationale dynamische Entwicklung der Migration sowie der beruflichen Mobilität in einer zunehmend mehrsprachigen Berufswelt in einer globalisierten Wirtschaft. Internationale Unternehmen sind in sprachgrenzenüberschreitenden Wirtschaftsräumen mit entsprechend mehrsprachigen Belegschaften tätig. 2. Entwicklungsphasen des Handlungsfelds Der skizzierte Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und berufssprachlichen Entwicklungen lässt sich chronologisch in drei Phasen unterteilen - ohne dass diese zeitlich klar abgrenzbar wären. Sie sind eher als Kontinuum zu verstehen, das auch in aktuellen Kurskonzeptionen und Unterrichtsmaterialien zu finden ist. In einem wirtschaftlichen Umfeld, das von Nationalökonomien und dem Export/ Import-Paradigma dominiert wurde, war der Sprachunterricht i.d.R. an den sprachlichen Formen (fachsprachlich-frequente Formen und Fachwortschatz) orientiert. Die Kommunikation in Schriftform war in Unterrichtskonzepten und Texten dominant. Varianten der sog. Handelskorrespondenz (Angebot => Bestellung => Rechnung…) mit ihren zahlreichen formalisierten Wendungen und Konventionen bildeten das Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 7 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0015 Marktgeschehen ab und waren primärer Unterrichtsgegenstand. In Fachsprachenkursen war das Ziel die grundlegende Vermittlung des Fachwortschatzes unabhängig von Verwendungskontexten als Voraussetzung beruflicher Qualifikation. Mehr als in Westdeutschland hatte sich in der DDR bereits seit den 70er Jahren vor allem in Leipzig (H OFFMANN 1987) und in Karl-Marx-Stadt (W EBER 1985) eine differenzierte fachsprachliche Forschung etabliert, die auch fremdsprachenmethodische Fragen einbezog, insbesondere die mündliche Sprachverwendung und die „Aufgabenbezogenheit“ (F ISCHER 1989: 3) des Fremdsprachenunterrichts in Bezug auf die „realen Aufgaben“ (ebd.) der Kommunikation im Ingenieurstudium in den Sprachen Russisch und Deutsch. Einsetzend mit Beginn der 90er Jahre, einer dynamischen Entwicklung des europäischen Binnenmarktes und der Entwicklung neuer medialer Kommunikationswege (Internet) stieg der Bedarf an direkter fremdsprachlicher Kommunikation im Beruf. Analog zur Entwicklung in der allgemeinen Fremdsprachendidaktik fanden pragmatische Lernziele vor allem im Bereich der mündlichen Kompetenz verstärkt Eingang in die berufliche Sprachvermittlung, während der Bedarf an formalisierter schriftlicher Kommunikation zurückging und durch konzeptuelle Mündlichkeit (E-Mail) abgelöst wurde. Ausdruck der Veränderung war für Deutsch als Fremdsprache das vom G OETHE -I NSTITUT entwickelte Zertifikat Deutsch für den Beruf (1995) mit einer Mischung aus fachsprachen-grammatischer Orientierung und sprachpragmatischen Lernzielen. Das Konzept geht von einer vertikalen (Fremdsprachenbedarf auf allen Unternehmensebenen im Gegensatz zum Konzept des/ der „Fremdsprachenkorrespondent/ in“), horizontalen (mehr fremdsprachliche Kontakte und situative Anforderungen im betrieblichen Alltag) und einer qualitativen (mehr Mündlichkeit und interkulturelle Kompetenzanforderungen) Erweiterung des Anforderungsprofils als Grundlage der Lernzielgestaltung aus. Business English und Wirtschaftsdeutsch-Kurse jener Zeit waren z.T. Ausdruck dieser Veränderung der Anforderungsprofile, basierten aber ebenso oft noch auf formal-sprachlichen Vermittlungskonzepten. Business English war ein Wachstumsmarkt mit entsprechender Nachfrage nach Kursen, Tests etc. Ausgehend von der Test-Tradition des englischsprachigen Raums fand gleichzeitig auch eine quantitative und qualitative Ausweitung und Professionalisierung der Testentwicklung in allen Fremdsprachen statt (ALTE 1998). In den letzten 20 Jahren hat die dynamische Entwicklung der globalisierten und regional komplementären Produktion (Beteiligung internationaler Produktionsstätten eines einzelnen Unternehmens an einem Produkt) in Verbindung mit einer sich verstärkenden Migration und den erweiterten Potenzialen der medial-gestützten Kommunikation und digital basierter Wertschöpfung die berufliche Kommunikation grundlegend verändert und die berufsorientierte Fremdsprachendidaktik jeweils vor neue Herausforderungen gestellt. Auf der Grundlage des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens (GeR) entstand zuerst 2001 (DIHK 2018) mit Arbeitsplatz Europa eine nach dem Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen profilierte Beschreibung beruflicher Fremdsprachenanforderungen am Arbeitsplatz. Die dynamische Entwicklung digital basierter Arbeitsabläufe und Kommunikationsprozesse förderte vor allem 8 Karin Vogt, Hermann Funk DOI 10.2357/ FLuL-2021-0015 50 (2021) • Heft 2 im berufsbegleitenden Fremdsprachenunterricht den Einsatz digital gestützter bzw. digital basierter Trainingsverfahren. Spezialisierte Sprachanforderungen machten zudem die systematische empirische Ermittlung individueller Sprachbedarfe und die Entwicklung entsprechend profilierter Trainingskonzepte und -materialien erforderlich, die aufgabenorientiert (task-based) und multimedial strukturiert und von qualitätssichernden formativen und summativen Evaluationen und von individualisierten Instruktions-Settings wie Sprachcoaching und Einzelunterricht begleitet waren. Die Interdependenz beruflicher und sprachlicher Kompetenz, ihre dynamische und bidirektionale Beziehung stellen besonders in den Handlungsfeldern der Berufsvorbereitung und der Berufsausbildung eine Herausforderung für Lehrkräfte dar, während in berufsbegleitenden Settings knappe Zeitvorgaben und spezifische Lernbedarfe die Handlungsoptionen für Lehrkräfte und Sprachtrainerinnen und -trainer bestimmen und zur Entwicklung neuer Formen praxisbegleitender sprachlicher Instruktion (oneto-one settings, Sprachcoaching) geführt haben. Die neuen Herausforderungen und Kompetenzprofile für Lehrkräfte im berufsorientierten Sprachtraining wurden nicht zufällig allerdings weitgehend folgenlos zuerst von der ERFA-Wirtschaft-Sprache 2013 zusammengestellt. Mit der gesetzlichen Festschreibung von Sprachkompetenzen für Zuwanderung, Aufenthalt und Beruf wurden in den letzten 10 Jahren auch die beruflichen Sprachanforderungen in vielen Ländern formalisiert, ohne dass dies allerdings flächendeckend in den Ausbildungscurricula für Sprachlehrkräfte ihren Niederschlag gefunden hätte Vielmehr übernehmen etwa Sprachkompetenzniveaus auf der Grundlage des GeR vielerorts eine politisch gesetzte Gatekeeper-Funktion, die wissenschaftlicher Grundlagen entbehrt und zu kritisieren ist. Der dynamischen Entwicklung des Handlungsfeldes steht seine relative Unzugänglichkeit als Forschungsfeld gegenüber. Empirische Projekte zur Erforschung von Sprachbedarfen und beruflicher Kommunikation am Arbeitsplatz werden von Firmen nur selten und unter erheblichen Auflagen ermöglicht (s. C AI in diesem Heft). Eine weitere Herausforderung besteht in einer gegenläufigen Entwicklung: Während in der betrieblichen Praxis kommunikative Kompetenz immer mehr zum Teil der internen Wertschöpfungskette geworden ist, wurde Sprachtraining gleichzeitig flächendeckend in jenen sprachindustriellen Komplex überregional und weltweit agierender Fremdsprachen-Dienstleister ausgelagert, die unabhängige Forschung eher als potenzielle Bedrohung ihres Geschäftsmodells und ihrer Unique Selling Points erachten. Ziel des Themenheftes ist es, den derzeitigen Stand der Forschung im deutschsprachigen Raum in unterschiedlichen Fremdsprachendidaktiken und Praxisfeldern darzustellen. Zu den Herausforderungen im Einzelnen: 3. Terminologische Herausforderungen: Zur Abgrenzung von Fach- und Bildungssprache, Berufs- und Fachsprachen Besonders im Bereich Deutsch als Fremdsprache / Deutsch als Zweitsprache ist der Begriff der Bildungssprache als spezieller Ausschnitt der Sprachfähigkeit in Kontexten formaler Bildung im Rahmen eines Anspruchs an durchgängige Sprachbildung Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 9 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0015 (allgemein z.B. B ECKER -M ROTZEK / J UNG 2013) auch für den beruflichen Bereich dort relevant, wo es um berufliche Qualifikationsstufen und Weiterbildung geht. Es bedarf einer Abgrenzung des Bildungssprachenbegriffs (L ANGE 2020) zu dem der Fachsprache und der beruflichen Sprachverwendung (T SCHIRNER et al. 2016). Hier sind derzeit unterschiedliche definitorische Zugänge zu beobachten. Sie reichen von einer Infragestellung des Begriffs der Bildungssprache, die nicht als linguistisch beschreibbare Sondersprache, sondern eher als Sprachausbau, d. h. Erwerbskontinuum gesehen werden sollte (O HM 2017), bis zu seiner umfassenden Verwendung als Merkmal sprachlicher Spezifik (K NIFFKA / R OELCKE 2016). L ANGE (2020) sieht die Bildungssprache als Grundvoraussetzung für erfolgreiches Lernen in Bildungskontexten, was berufliche Kontexte einbezieht, mit dem Ziel des erfolgreichen Lernens in Bildungsinstitutionen und der gesellschaftlichen Teilhabe, die auch die Arbeitswelt mit einbezieht. Definitorische Abgrenzungen und Überschneidungen von Bildungssprache zu anderen Sprachkonzepten wie z.B. Fachsprache sieht sie nicht als widersprüchlich, sondern aus ihrer jeweiligen Perspektive entstehend. Das berufs- und studienvorbereitende immersive schulische Konzept eines sprachlich und fachlich integrierten Lernens (CLIL) ist seit ca. 20 Jahren weltweit Grundlage zahlreicher schulischer Entwicklungsmodelle, wird aber in seinen Umsetzungsmöglichkeiten praktisch begrenzt u.a. durch defizitäre Voraussetzungen in der entsprechenden Ausbildung der Lehrkräfte (T HOMSON / M C K INLEY 2018). Eine kritische Sicht auf die Ergebnisse von CLIL vertritt L ONG unter Verweis auf drei Studien (L ONG 2019: 30f.). International spielt Englisch als Zweit- (v. a. USA) bzw. Fremdsprache im beruflichen Bereich mit weitem Abstand die größte Rolle, insbesondere English for Specific Purposes (ESP). H UTCHINSON und W ATERS (1987) betonen die Zugehörigkeit von ESP zu English as a Foreign Language und legen folgende immer noch viel zitierte Definition vor (1987: 19): ESP is not a particular kind of language or methodology, nor does it consist of a particular type of teaching material. ESP, then, is an approach to language teaching in which all decisions as to content and method are based on the learner’s reason for learning. Dabei konstatieren H YLAND und W ONG (2019) eine internationale Entwicklung insbesondere von ESP von einer Randerscheinung in der Englischdidaktik hin zum dominanten Mainstream. Berufliches Fremdsprachenlernen (Vocationally Oriented Language Learning) bzw. im Falle von Englischunterricht English for Occupational Purposes ist nur ein Bereich des Gebietes, das sich ESP (English for Specific Purposes) nennt und wiederum Teil des allgemeineren Gebiets LSP (Language for Specific Purposes) ist. Vocationally oriented bzw. berufsorientiert bezieht sich dabei verstärkt auf die Gesamtheit beruflicher Sprachverwendung, im Unterschied zu den Begriffen specific purpose und Fachsprache, die nur einen kleinen Teil der beruflichen Kommunikation abdecken - insbesondere in der mündlichen Kommunikation. Annäherungen an eine Begriffsbestimmung von ESP lassen sich durch Charakteristika (vgl. S TREVENS 1998, zitiert nach D UDLEY -E VANS / S T . J OHN 1998: 3), Schlüsselkriterien (vgl. R OBINSON 1991) und Klassifikationen insbesondere durch Abgren- 10 Karin Vogt, Hermann Funk DOI 10.2357/ FLuL-2021-0015 50 (2021) • Heft 2 zung von anderen Gebieten (vgl. H UTCHINSON / W ATERS 1987; D UDLEY -E VANS / S T . J OHN 1998) vornehmen. H UTCHINSON und W ATERS (1987) treffen generell die Unterscheidung zwischen zwei Haupttypen von ESP, nämlich English for Academic Purposes und English for Occupational Purposes, wobei diese Unterscheidung nicht trennscharf ist. ESP wird jeweils weiterhin differenziert durch die allgemeine Richtung der Spezialisierung der Lerner, z.B. English for Social Sciences (ESS). Bedingt durch gestiegene Mobilität sowie die Gewinnorientierung englischsprachiger Universitäten, die eine Vielzahl von internationalen Studierenden mit einem Bedarf an akademischen Englischkenntnissen haben, hat der Bereich des English for Academic Purposes (EAP) in den letzten Dekaden international erheblich an Bedeutung gewonnen (z.B. H YLAND 2014; H YLAND / S HAW 2016). Damit eng verbunden ist der Status von Englisch als Lingua Franca (ELF), definiert von M AURANEN (2019: 10) als „[...] a complex, second-order contact language [...] [that] involves contact between speakers of mutually comprehensible varieties.“ Für den Bereich ELF hat sich für die berufliche bzw. wirtschaftliche Domäne mittlerweile der Begriff BELF (Business English as a Lingua Franca, z.B. K ANKAARANTA / P LANKEN 2010) durchgesetzt. Die französische Terminologie unterscheidet den allgemeinsprachlichen Bereich FLE (français langue étrangère) vom berufssprachlichen FLP (français langue professionelle) bzw. der fachbezogenen Sprachverwendung FOS (français sur objectifs spécifiques) (vgl. C RIP 2018; L ATOUR 2012; M OURLHON -D ALLIES 2009). Im deutschsprachigen Bereich ist eine Klassifikation von F UNK (2010) abhängig von der beruflichen Erfahrung in berufsvorbereitenden, berufsbegleitenden und berufsqualifizierenden Fremdsprachenunterricht gängig, da sie Ziele, Motivationen und Methoden der jeweiligen Unterrichtskonzeption determiniert. Als am allgemeinsten bzgl. der beruflichen Hintergrunderfahrung kann die Definition von berufsorientiertem Fremdsprachenunterricht von V OGT (2011: 153) gelten: ein eigenständiger, thematisch und pragmatisch zweckorientierter und nicht per definitionem berufsspezifischer Sprachunterricht charakterisiert werden, den Lernende mit dem vorwiegenden Ziel der beruflichen Handlungsfähigkeit in der Fremdsprache erlernen, der jedoch auf Grund der Unteilbarkeit von fremdsprachlicher Kompetenz auch auf nicht-berufliche Handlungszusammenhänge vorbereitet. 4. Forschungspraktische Herausforderungen: Fremdsprachliche Bedarfsanalysen für den innerbetrieblichen bzw. unternehmensbezogenen Fremdsprachenunterricht Die Beforschung von Bedarfen an fremdsprachlicher Kommunikation in beruflichen Kontexten i.S.v. sprachlichen Handlungsfeldern einerseits und der berufsspezifischen Lernziele im Fremdsprachenunterricht andererseits ist seit längerer Zeit ein Schwerpunktthema im Bereich des berufsbezogenen Fremdsprachenlernens (vgl. C AI 2017; L ONG 2005; Überblick in V OGT 2011). In der Lernzielplanung sind Bedarfe und Anforderungen der Unternehmen der Hauptfaktor, (s. z.B. S CHÖPPER -G RABE / W EIß 1998). Bedürfnisse von Kursteilnehmenden und Fremdsprachenlehrkräften treten Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 11 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0015 dagegen in den Hintergrund, haben aber ebenfalls Einfluss auf die Kursplanung (vgl. H UHTA et al. 2013). Neben Bedarfsanalysen, für die in Deutschland häufig quantitative (z.B. R ÖMER et al. 2004) oder Mixed Methods Zugänge (V OGT 2011) typisch sind, sind besonders im internationalen Bereich qualitative Studien mit einem Schwerpunkt auf der Diskursanalyse von schriftlichen Dokumenten (z.B. Korpora) und Fallstudien verbreitet (Überblick in G OLLIN -K IES 2014). Auch ethnografische Ansätze sind vorzufinden, im deutschen Kontext z.B. bereits 1984 vorgelegt von S CHRÖDER , der in einem Pharmaunternehmen Arbeitsplatzanalysen auf der Grundlage teilnehmender Beobachtung vornahm. Die Möglichkeiten, die sich der Forschung durch die digitale Transformation (Big Data etc.) und öffentlich verfügbare Daten etwa in sozialen Netzwerken bieten (z.B. die Nutzung von Scrapern zu fremdsprachlichen Anforderungen in Stellenanzeigen oder Unternehmenskommunikation), werden unseres Wissens im deutschsprachigen Raum (noch) nicht genutzt. Die Erprobung und praktische Verfügbarkeit von bewährten Instrumenten der Bedarfsermittlung stößt auf das Praxisproblem der betrieblichen Datensicherheit und erfordert Flexibilität und Kreativität von Forscherinnen und Forschern, da die konkreten Forschungsermöglichung vor allem wegen zunehmend strenger Compliance- Regeln erschwert werden (s. den Beitrag von C AI in diesem Heft). Zu beobachten ist in der Folge eine Diskrepanz zwischen den spezifischen Bedarfen der Unternehmen bzw. Organisationen und den (zu allgemeinen) zur Verfügung stehenden Materialien (vgl. L OCKWOOD 2019), was auf die fehlende Passung von Materialien und tatsächlichen Bedarfen hinweist. Externe Lernangebote sind i.d.R. wenig zielführend in Bezug auf spezifische Sprachbedarfe in Unternehmen. Der Nutzung netzgestützter Lernsysteme und Apps auf innerbetrieblichen Lernplattformen sind aus Gründen des betrieblichen Datenschutzes enge Grenzen gesetzt. Die Teilnahme am Forschungsdiskurs auf der Grundlage empirischer Daten wird damit verhindert, mit einem negativen Einfluss auf Forschungsermöglichung und Theoriebildung. 5. Fremdsprachenmethodische Herausforderungen: Informelles berufsorientiertes Fremdsprachenlernen und Digitalisierung Informelles Lernen bezeichnet das Lernen außerhalb von formalen Kontexten u.a. bei der Arbeit und ist ein wichtiger Bereich in der Erwachsenenbildung. Dabei ist informelles Fremdsprachenlernen etwa am Arbeitsplatz ein wenig beforschtes Gebiet. Der Adult Education Survey charakterisiert informelles Lernen als intentional, aber nicht in einem institutionalisierten Kontext stattfindend. Der Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2020 weist eine Teilnehmerquote von 45% bei der Altersgruppe der 25bis 64jährigen aus, mit steigender Tendenz (BIBB 2020). Informelles Fremdsprachenlernen für den Beruf wird insbesondere durch die erweiterten Möglichkeiten einer Digitalisierung befördert, die in beruflichen Kontexten gleichzeitig Ziel und Mittel ist. In keiner Domäne sprachlicher Kommunikation wurden digitale Lernformate so früh und konsequent eingesetzt, ohne dass allerdings publizierte Begleitforschung zu tatsächlichen Lernerfolgen vorläge, die aus wenigen Praxisbereichen eher skeptisch 12 Karin Vogt, Hermann Funk DOI 10.2357/ FLuL-2021-0015 50 (2021) • Heft 2 eingeschätzt werden müssen. Andererseits ändern digitale Technologien und global agierende Teams gleichzeitig die Art und Weise von Kommunikation am Arbeitsplatz (Videokonferenzen etc.) und damit die Inhalte von berufsbezogenem Fremdsprachenlernen und -lehren. Als ein Beispiel seien customer service chats als Service von Unternehmen für Kundenbetreuung genannt, die als neue Textsorte und Kommunikationsform am Arbeitsplatz kaum beforscht sind und bisher entsprechend wenig Eingang in den Fremdsprachenunterricht gefunden haben (z.B. L OCKWOOD 2017). 6. Herausforderung: Der sprachindustrielle Komplex als Deprofessionalisierung von Fremdsprachentraining Während zunehmend betriebsinterne und extern/ kundenorientierte Kommunikation als integraler Bestandteil der Wertschöpfungskette eines Unternehmens anerkannt wird und zunehmend Mehrsprachigkeit sowohl an Einzelstandorten bzw. bei regionalkomplementären firmeninternen und externen Zulieferern der Regelfall ist, hat das firmeninterne Sprachtraining parallel dazu eher mit sinkender Akzeptanz zu kämpfen. Eine Strategie, die bereits in der ELAN-Studie (C I LT 2006: 56) konstatiert worden war, ist verstärkt beobachtbar: Auch international agierende Mittelständler stellen zur Deckung des Sprachbedarfs eher native speakers ein, bzw. erwarten, dass Fremdsprachenkenntnisse beim Personal vorhanden sind. Insbesondere die innerbetriebliche fremdsprachliche Weiterbildung steht zudem unter einem enormen Kostendruck, der sich in den letzten zwanzig Jahren in Kürzungen, Schließungen und Zusammenführungen der Sprachabteilungen und Weiterbildungsbereiche in Unternehmen widerspiegelt. Innerbetriebliches Fremdsprachentraining wird vorgeblich aus Kostengründen vielerorts outgesourct und an lokale Sprachenschulen und/ oder digitale international agierende Sprachdienstleister und Kursanbieter ausgelagert. Über Auftragsvergaben entscheidet in der Regel die zuständige Abteilung Einkauf, deren primäres Kriterium der Preis ist. Damit findet ein sich auf mehreren Ebenen gleichzeitig verstärkender Prozess der Deprofessionalisierung statt: Firmeninterne Expertise ist immer weniger vorhanden, in der Personalabteilung kann die Anbieterqualität mangels Expertise nicht mehr eingeschätzt werden, und extern eingesetzte Lehrkräfte verfügen selten über Kenntnisse aktueller betrieblicher Kommunikationsanforderungen. Ergebniskontrollen fehlen weitgehend, Inhouse-Lösungen zu Trainingskonzepten werden damit praktisch ausgeschlossen. In einigen Fällen (CONTI, Hannover) wurden ganze Sprachabteilungen als Betriebseinheiten outgesourct und konnten sich anschließend beim Einkauf um Kursvergaben in Konkurrenzverfahren mit industriellen international agierenden Kurs- und App-Anbietern bewerben. Diese lassen ihrerseits i.d.R. nur eigene Auftragsforschung zu. Hoher Marketingeinsatz generiert hier digitalen traffic und damit Umsatz. Subjektive Lernerfolge, deren Belege und Kontrollen spielen dabei keine Rolle. Das von der ERFA-Wirtschaft-Sprache (ERFA 2013) entwickelte differenzierte Kompetenzprofil für Trainerinnen und Trainer als zielführende und von der Unternehmenspraxis her definierte Grundlage läuft somit an dieser Stelle ins Leere. Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 13 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0015 7. Herausforderungen: Ausbildungs- und Sprachbedarf von Lehrenden und Lernenden Berufsbezogener Fremdsprachenunterricht richtet sich überwiegend an erwachsene Lernende und folgt damit andragogischen Prinzipien. Erwachsene Lernende unterscheiden sich in Hinblick auf ihre Lebens- und Berufserfahrung und ihre Lernbiografie von jugendlichen Lernenden einer Fremdsprache. Sie haben nicht selten Migrationshintergrund und interkulturelle Alltagserfahrungen. Sie haben erste Arbeitserfahrungen gemacht mit positiven oder negativen Auswirkungen auf Sprachlernmotivationen, Lernverhalten und -erwartungen. Lehrende im berufsbezogenen Fremdsprachenunterricht müssen daher über besondere fremdsprachliche und lehrbezogene fremdsprachendidaktische Kompetenzen verfügen. Hinzu treten, anders als bei allgemeinbildenden Fremdsprachenlehrkräften, noch zumindest grundlegende berufsbezogene Kenntnisse, bzw. Interessen, bzw. zumindest die Fähigkeit und Bereitschaft, sich zügig in berufsbezogene Inhalte einzuarbeiten (s. den Beitrag von Z APF / V OGT in diesem Heft). Damit verschiebt sich auch u.U. der Begriff von Expertise im berufsbezogenen Fremdsprachenunterricht, da die Lehrkraft zwar Expert/ in für die Sprachvermittlung ist, typischerweise aber keine oder wenig Expertise oder Erfahrung im konkreten Berufsfeld hat. Dieses Spannungsfeld, das besonders im berufsbegleitenden und innerbetrieblichen Sprachunterricht, weniger in der Berufsschule entsteht, hat Auswirkungen auf die Beziehungen im Unterricht, da Lernende als inhaltliche Expert/ innen fungieren und Lehrkräfte von ihnen lernen können. Hier gewinnt der Aushandlungsprozess, der Negotiating Syllabus (B REEN / L ITTLEJOHN 2000) in Bezug auf Lernziele und -prozesse an Bedeutung. Auch die Selbstwahrnehmung der Lehrkraft bezüglich ihrer eigenen Qualifikation weicht ggf. ab von der einer Fremdsprachenlehrkraft im allgemeinbildenden Fremdsprachenunterricht. Die Gegenstände berufsorientierten bzw. berufsspezifischen Fremdsprachenunterrichts (i.S.v. „Was ist technisches Deutsch / Englisch / Französisch? “) variieren in der Wahrnehmung der fremdsprachlichen Lehrpersonen ebenso wie der Stellenwert einzelner Komponenten sprachlichen Lernens, etwa die Zunahme der Entwicklung des Lexikons gegenüber grammatischer Kompetenz, d.h. formaler Korrektheit. Auf diese erweiterten Anforderungen des berufsorientierten Fremdsprachenunterrichts sind Fremdsprachenlehrkräfte in ihrer Ausbildung weltweit kaum systematisch vorbereitet. Weder sind Fremdsprachen in der Berufsschule ein großes Thema, noch Berufsschulen für zukünftige Fremdsprachenlehrkräfte. In der fremdsprachendidaktischen Lehre und Forschung wird diesem Feld kaum Aufmerksamkeit geschenkt (vgl. M ALTRITZ 2016). In den beruflichen Schulen wird in der Folge selten berufliche Sprachhandlungskompetenz ausgebildet. Daran hat auch der verstärkte Bedarf an Englisch- und Deutschals-Zweitsprache Kenntnissen in allen Berufen letztlich nichts geändert. 14 Karin Vogt, Hermann Funk DOI 10.2357/ FLuL-2021-0015 50 (2021) • Heft 2 8. Herausforderungen: Berufliche Mehrsprachigkeit und Globalisierung Kennzeichnend für die Sprache beruflichen Handelns ist eine vielschichtige Mehrsprachigkeit und kulturelle Diversität in Gesellschaft und Unternehmen migrationsgeprägter Industriestaaten, sowohl in der Folge als auch als Teil von Entwicklungen in exportorientierten Ökonomien: Sowohl die Binnenkommunikation in migrationsgeprägten Belegschaften als auch die Kundenkommunikation und das Marketing sind funktional mehrsprachig mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen: offizielle und gesprochene Konzernsprachen (i.d.R. Englisch), die (Fach-)Sprache der Produktion, Umgebungs- und Standortsprache und die Sprache(n) der Kundenkommunikation differieren in der Regel und erfordern diverse und mehrsprachige Kompetenzen sowie unterschiedliche Lern-Settings. Wer dieser vielschichtigen Bedarfslage mit einer Englisch-als-Lingua-Franca-Strategie begegnen will, wie jene großen Unternehmen, die Englisch einfach zur Konzernsprache erklären, verkennt die Vielschichtigkeit mehrsprachiger Settings, Kompetenzen und interkultureller Erfahrungen. 9. Zu den Beiträgen des vorliegenden Bandes Die Beiträge des vorliegenden Bandes beziehen sich auf unterschiedliche Forschungs- und Praxisaspekte eines äußerst vielfältigen Arbeitsfeldes der Fremdsprachendidaktik und -methodik ohne den Anspruch, dieses Arbeitsfeld umfassend zu beschreiben: den Fremdsprachenbedarf in der Industrie (C AI ), die Messung berufssprachlicher Kompetenzen (B ÄRENFÄNGER ), grundsätzliche Fragen sprachlicher Handlungskompetenz im Beruf (D AASE ), eine Analyse konkreter Sprachpraxis im Berufsfeld Pflegeberufe (F UNK / K UHN ), den Französischunterricht an beruflichen Schulen (Z APF / V OGT ) und den Englischunterricht an Berufsfachschulen (P RUSSE / R OSENBERGER ). Mehrere Beiträge nehmen dabei kritisch Bezug auf die Vorgaben des Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (B ÄRENFÄNGER , D AASE , F UNK / K UHN ) sowie auf Ausbildungsdesiderata (Z APF / V OGT , D AASE , F UNK / K UHN ). O LAF B ÄRENFÄNGERS Beitrag zeigt am Beispiel einer empirischen Studie des Schweizerischen Bundesamt für Migration zur Erhebung sprachlicher Bedarfe von Migrant/ innen, welche Bedeutung der Sprachdiagnostik in einer mehrsprachigen Berufswelt als Grundlage der Curriculumentwicklung zukommt. Gegenstand des Beitrags von M ICHAEL P RUSSE und L UKAS R OSENBERGER ist eine Erhebung an acht Schweizer Berufsfachschulen in den Berufsfeldern Technik und Wirtschaft, in der auf der Grundlage von Leitfrageninterviews, Befragungen von Schulleitungen und einer Erhebung der Kompetenzen von ca. 1000 Lernenden ein Zustandsbericht eines Faches im Spannungsfeld zwischen Allgemein- und Fachsprache gezeichnet wird. H ERMANN F UNK und C HRISTINA K UHN stellen Ergebnisse eines Forschungsprojektes zur Beschreibung der Sprachhandlungspraxis im Berufsfeld der Pflegeberufe vor und setzen sich in diesem Rahmen kritisch mit den Vorgaben des Europäischen Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 15 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0015 Referenzrahmens bzw. von Profile Deutsch für Berufssprachkurse für Migrantinnen und Migranten auseinander. E LKE Z APF und K ARIN V OGT beschreiben exemplarisch am Beispiel des Landes Baden-Württemberg und einer Grenzregion zu Frankreich vor allem die Defizite einer Ausbildungssituation und eine schulische Praxis, in der ein abgestimmtes länder- und sprachenübergreifendes Konzept der Kompetenzentwicklung fehlt. A NDREA D AASE weist auf den Widerspruch zwischen den Erfordernissen subjektiver Kompetenzentwicklung und berufssprachlicher Vorgaben sowie auf die Unzulänglichkeit eines an formaler Korrektheit orientierten Konzeptes angesichts einer komplexen beruflichen Sprachhandlungspraxis hin. Sie zeigt, dass eine Orientierung an neueren Trainingsformen wie Sprachcoaching und Sprachmentoring diesen Zielkonflikt auflösen kann. H ONG C AI kategorisiert Verfahren der Bedarfsanalyse und ihre Entwicklung im Verlauf der Methodenentwicklung. Vor diesem Hintergrund macht sie auf die engen Grenzen der Verfahren von Bedarfsanalysen im Kontext von Unternehmen aufmerksam, die zwar Bedarf an empirisch begründetem zielgenauen Sprachtraining haben, aber kaum eine systematische Datenerhebung zulassen. Literatur ALTE M EMBERS (Hrsg.) (1998): The Multilingual Glossary of Language Testing Terms. Cambridge: Cambridge University Press (Studies in Language Testing 6). 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This is followed by an explanation of the impact that an analysis of the language needs of this target group can have on the test design. The article concludes with a strong plea for an even more consistent focus on the target group and its language needs in the development of vocational diagnostic instruments. 1. Einleitung Arbeitgeber/ innen und Politik stehen durch die anhaltenden Migrationsbewegungen in die deutschsprachigen Länder vor besonderen Herausforderungen. Neben der Aufgabe, den Neubürger/ innen zu der für eine uneingeschränkte gesellschaftliche Teilhabe erforderlichen sprachlichen und kulturellen Kompetenz zu verhelfen, ist die Vermittlung von berufsbezogenen sprachlichen Kompetenzen unerlässlich. Der vorliegende Beitrag geht der Frage nach, wie diagnostische Instrumente beschaffen sein müssen, um dem spezifischen Informationsbedarf von Arbeitgeber/ innen und politisch Verantwortlichen bestmöglich Rechnung zu tragen. Grundannahme ist dabei, dass sie die sprachlichen Kompetenzen erfassen müssen, die in der realen Berufs- und Arbeitswelt relevant und typisch sind. Der vorliegende Beitrag zeichnet daher nach, welchen zentralen Stellenwert Sprachbedarfsanalysen und die ihnen vorgelagerten Zielgruppenanalysen für das Design berufssprachlicher Prüfungen haben. Dies soll am Beispiel der „Deutscheinschätzung für fremdsprachige Stellensuchende“ des Zürcher Amts für Wirtschaft und Arbeit erfolgen. Deren Zweck ist es, berufssprachliche * Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Olaf B ÄRENFÄNGER , Sprachenzentrum der Universität Leipzig, Goethestr. 2, 04105 L EIPZIG E-Mail: baerenfaenger@uni-leipzig.de Arbeitsbereiche: Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, Testforschung, Forschungsmethoden Sprachliche Kompetenzen im Beruf messbar machen 19 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0016 Kompetenzen in drei unterschiedlichen Leistungsgruppen in den Fertigkeiten Lesen, Hören, Schreiben und Sprechen gemäß dem Skalensystem des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (E UROPARAT 2001) zu ermitteln. Das zu erfassende Leistungsspektrum reicht von Nullanfängern (Niveaustufe A0) bis zur kompetenten Sprachverwendung (Niveaustufe C1). Testmodule liegen für die Leistungsgruppen A0 - A2, A2 - B2 und B2 - C1 vor. Zusätzlich zu den fertigkeitsbezogenen Prüfungsteilen wurde ein kurzer Vortest im C-Test-Format entwickelt, der die Zuweisung von Testkandidaten zu einer der drei Niveaugruppen erlaubt, ein Fragebogen zur Erfassung der Bildungsbiographie, sowie ein Test zur Ermittlung eines möglichen Alphabetisierungsbedarfs mit den Prüfungsteilen Lesen und Schreiben. Der vorliegende Beitrag referiert im folgenden Abschnitt, in welcher Weise Zielgruppen- und Sprachbedarfsanalysen mit Blick auf die Konzeption und Entwicklung von diagnostischen Instrumenten fungiert haben. Im Anschluss wird die Zielgruppenanalyse für die Deutscheinschätzung für fremdsprachige Stellensuchende vorgestellt. Besonderes Interesse gilt dabei den Schlussfolgerungen, die aus der Zielgruppenanalyse für das Testdesign gezogen wurden. Dieser Abschnitt wird ergänzt durch Ausführungen zur Ermittlung des Sprachbedarfs, die auf der Zielgruppenanalyse aufbaute. Auch hier werden die wesentlichen Konsequenzen für die Testkonzeption diskutiert. 2. Sprachbedarfsanalysen als Grundlage für diagnostische Instrumente zur Erfassung berufssprachlicher Kompetenz Eine umfassende empirische Beschäftigung mit den sprachlichen Anforderungen einzelner Berufe oder der Arbeits- und Berufswelt als Ganzes setzte erst vergleichsweise spät ein. Dabei ist die Beschreibung der Zielgruppe eines Tests sowie eine genaue Beschreibung des Testkonstrukts gemäß den Prinzipien guter Testerstellung, wie sie beispielsweise von der Association of Language Testers in Europe (ALTE 2020: 13) formuliert wurden und zu deren Einhaltung sich die großen europäischen Testinstitute selbst verpflichtet haben, unerlässlich. Auch in der Forschungsliteratur besteht zumindest theoretischer Konsens über die Schlüsselstellung von Zielgruppen- und Sprachbedarfsanalysen im Prozess der Testentwicklung (vgl. etwa B ACHMANN / P ALMER 2010). Nachfolgend wird diskutiert, in welcher Weise Verfahren zur Erfassung sprachlicher Kompetenzen im Bereich Deutsch als Zweitsprache in diesem Sinne von Ziel- und Sprachbedarfsanalysen Gebrauch machen. Für nach Deutschland Zugewanderte ist der Deutschtest für Zuwanderer die am weitesten verbreitete Prüfung. Ihr Ziel ist es, diejenigen Deutschkenntnisse zu überprüfen, die für eine gesellschaftliche Teilhabe Voraussetzung sind. Überprüft werden demnach allgemeinsprachliche Kompetenzen auf den Niveaus A2 und B1. Zwar nicht vor der Entwicklung des Deutschtests für Zuwanderer, jedoch flankierend dazu, führten E HLICH / M ONTANARI / H ILA (2007) eine Sprachbedarfsanalyse durch. Auf der Basis von 113 Leitfadeninterviews und 206 Fragebögen identifizierten die Autor/ innen 18 Handlungsfelder, die für Migrantinnen und Migranten von Bedeutung sind. 20 Olaf Bärenfänger DOI 10.2357/ FLuL-2021-0016 50 (2021) • Heft 2 Auf dieser Basis wurden dann im Nachgang sprachliche Kompetenzen mit besonderer Relevanz für Migranten beschrieben, wobei der Bezug zur Berufs- und Arbeitswelt mit den beiden Handlungsfeldern Arbeit und Arbeitssuche nur schwach ist. W EISSENBERG (2010) isolierte auf der Basis einer Literaturanalyse zwölf Handlungsfelder, die für Arbeitnehmer primär relevant sind: Arbeitsaufgabe, Materialbeschaffung und -annahme, Arbeit mit Maschinen und Elektrogeräten, Arbeit mit Menschen, Qualitätskontrolle und -sicherung, Produktübergabe und -ausführung, Störungen der Arbeitsabläufe, Lernsituationen am Arbeitsplatz, Kommunikation mit Kolleg/ innen, Kommunikationen mit externen Akteur/ innen, Kommunikation mit Vorgesetzten sowie Kommunikation im Arbeitsplatz. Diesen Katalog ergänzt W EISSENBERG (ebd.) selbst um sechs weitere Kategorien, die seiner Ansicht nach für die Arbeitswelt zusätzlich entscheidend sind: Elektronische Medien am Arbeitsplatz, Rechte und Pflichten von Arbeitnehmer/ innen, Berufliche Weiterbildung, Kommunikation mit Ämtern und Behörden, Wirtschaft und Unternehmen sowie Bewerbung um einen Arbeitsplatz. Die resultierende Systematik darf fraglos als wichtige Heuristik zur Beschreibung der sprachlichen Anforderungen von Berufs- und Arbeitswelt gelten. Als präzise und umfassende Beschreibung von berufssprachlichen Kompetenzen kann sie jedoch nicht angesehen werden. Ein System von berufsbezogenen Deutschtests, dem sowohl die Arbeit von W EISSENBERG (2010) zugrunde liegt als auch eine Sichtung der deutschsprachigen Literatur zu sprachlichen Bedarfen in Beruf und Arbeitswelt, sind die Deutschtests für den Beruf. Diese Prüfungen adressieren die Niveaus A2, B1, B2 und C1 und bilden den Abschluss der offiziellen Berufssprachkurse der Bundesregierung (s. den Beitrag von F UNK / K UHN in diesem Heft). Der Testentwicklung ging eine umfassende Modellierung berufssprachlicher Kompetenzen voraus. Der so genannte Lernzielkatalog von B ÄRENFÄNGER / N ITSCHE / P LASSMANN (2019) ordnet dabei sprachliche Situationen, mit denen Arbeitnehmer/ innen vor, während oder zum Ende ihrer Berufstätigkeit in Berührung kommen, dafür erforderliche sprachliche Kompetenzen zu und skaliert diese gemäß dem Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen. Kompetenzdeskriptoren für die Fertigkeiten Lesen, Hören, Sprechen und Schreiben sowie strategisches berufsbezogenes Wissen und deklaratives berufsbezogenes Wissen sind dabei den nach dem life cycle eines Arbeitnehmers oder einer Arbeitnehmerin angeordneten Handlungsfeldern Arbeitssuche und Bewerbung, Arbeitsantritt, Arbeitsalltag: innerbetriebliche Kommunikation, Arbeitsalltag: Außenkontakte, Regularien am Arbeitsplatz, Berufliche Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie Wechsel bzw. Beendigung des Arbeitsverhältnisses zugeordnet. Ergänzt werden diese um übergreifende Handlungsfelder wie Soziale Kontakte am Arbeitsplatz gestalten, Umgang mit Dissens und Konflikten, Realisierung von Gefühlen, Haltungen und Meinungen sowie Austausch von Informationen. Die hier genannten 11 Handlungsfelder umfassen insgesamt 60 Groblernziele, 88 kommunikative Szenarien, 344 Feinlernziele und ca. 1.250 skalierte Kompetenzbeschreibungen. Damit liegt eine umfassende Beschreibung sprachlicher Anforderungen der Arbeitswelt vor. Die Beschäftigung mit den sprachlichen Bedarfen von Migrant/ innen begann in Sprachliche Kompetenzen im Beruf messbar machen 21 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0016 der Schweiz früher als in Deutschland. 2009 hatte das Schweizerische Bundesamt für Migration eine empirische Studie zur Erhebung sprachlicher Bedarfe von Migrant/ innen Auftrag gegeben (B EAUD / G ROUSSON / K UTZ / L ANARI / M ÜLLER / S INGH 2012). Insgesamt wurden Leitfadeninterviews mit Expert/ innen aus Politik, Sprachwissenschaft und Sprachkursorganisation, mit Kursleitenden aus unterschiedlichen Teilen der Schweiz sowie mit Kursteilnehmenden in Integrationskursen durchgeführt. Diese Daten wurden ergänzt durch angeleitete Brainstormings mit weiteren etwa 300 Teilnehmenden an Integrationskursen. Zusätzlich wurden die zuvor erhobenen Bedarfe mit Erkenntnissen aus ca. 50 Leitfadeninterviews abgeglichen, die das Forschungsteam mit Personen mit häufigem Kontakt zu Migrantinnen und Migranten geführt hatte. Im Ergebnis identifizierten die Autor/ innen 100 kommunikative Szenarien in 11 Handlungsfeldern für Migrant/ innen als relevant; allerdings betreffen lediglich zwei Handlungsfelder die Arbeits- und Berufswelt. Für jedes der Szenarien ist für die Niveaus A1, A2 und B1 des Referenzrahmens im Sinne von Feinlernzielen formuliert, welche kommunikativen Kompetenzen Sprachverwender/ innen dafür im Einzelnen benötigen. Die Ergebnisse der Studie von B EAUD et al. (2012) flossen wesentlich in das fide- Projekt ein (https: / / www.fide-info.ch/ ). Die Webseite stellt gemäß dem Referenzrahmen skalierte Kann-Beschreibungen in den o.g. elf Handlungsfeldern für die Niveaus A1, A2 und B1 in einer Datenbank bereit, mit deren Hilfe sich von Kursleitenden oder Lehrwerks- und Testautor/ innen ermitteln lässt, in welchen sprachlichen Szenarien auf welchem Niveau welche Detailkompetenzen vorhanden sind. Die Referenzniveaus wurden zusätzlich mit 72 kommentierten Filmaufnahmen illustriert. Nicht zuletzt wurde ein fide-Sprachtest beauftragt und ein Sprachenpass entwickelt. Damit zeigt fide vorbildlich, wie Sprachbedarfsanalysen der Curriculumentwicklung und der Testerstellung zugrunde gelegt werden können. Demgegenüber verfolgt das SECO-Rahmenkonzept (M AURER 2010) dezidiert den Gedanken einer arbeitsmarktlichen Integration von Migrant/ innen in der Schweiz. Als Grundlagenwerk, „welches konzeptionelle Eckpfeiler zur Planung und Realisierung von arbeitsmarktbezogenen Sprachförderungsangeboten setzt“ (M AURER 2010: 3), kann es natürlich auch zur Testerstellung herangezogen werden. Besonders verdienstvoll ist dabei der Katalog von Lernzielen für den Aufbau von arbeitsmarktbezogenen sprachlich-kommunikativen Fertigkeiten (ebd.: 61 ff.). Allgemeinere Deskriptoren aus dem Referenzrahmen werden dabei mit Beispielen aus dem Arbeitsmarkt illustriert, z.B. der A1-Deskriptor „Kann in mündlichen Texten häufig gebrauchte Formeln (z.B. für Begrüßungen, Verabschiedungen oder Entschuldigungen) verstehen“ mit dem Beispiel „Kann verstehen, wenn die Arbeitskollegen ein schönes Wochenende wünschen“. Das SECO-Rahmenkonzept ist somit als wegweisender Meilenstein bei der Modellierung berufs- und arbeitsweltlicher Sprachkompetenzen anzusehen. Allerdings liegen Kann-Beschreibungen nur für die Niveaus A1 bis B1 vor. Wie die Ausführungen in diesem Abschnitt nahelegen, ist mit Blick auf Zielgruppen- und Sprachbedarfsanalysen die konzeptuelle Basis selbst bei etablierten Tests und Prüfungen nicht durchgängig wie von professionellen Fachverbänden und in der 22 Olaf Bärenfänger DOI 10.2357/ FLuL-2021-0016 50 (2021) • Heft 2 Forschungsliteratur gefordert umgesetzt worden. Im Folgenden wird dargestellt, wie bei der Deutscheinschätzung für fremdsprachige Stellensuchende mit Blick auf Zielgruppen- und Sprachbedarfsanalysen vorgegangen wurde. 3. Zielgruppenanalyse Die durchgeführte Zielgruppenanalyse beruht auf Datensätzen des Amts für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich aus den Jahren 2014-2017. Ausgewertet wurden dabei für den Berichtszeitraum 2014-2016 die Daten von 64.955 Personen. Für das Jahr 2016 sowie das erste Halbjahr 2017 lag zudem ein kleinerer Datensatz von 2.972 Arbeitssuchenden vor, für die auch das Sprachniveau bekannt war. Im Gesamtdatensatz erfasst sind Angaben zu dem Alter der Arbeitssuchenden, ihren Herkunftsändern, ihrem Bildungsniveau, zu bisher ausgeübten Tätigkeiten, der Zugehörigkeit dieser Tätigkeiten zu bestimmten Branchen, zu bereits vorhandenen Deutschkenntnissen sowie zu einem möglicherweise geringen Grad an Literalisierung. 3.1 Alter der Arbeitssuchenden Abb. 1 zeigt die Altersverteilung in der Zielgruppe in den Jahren 2014-2016. Die Arbeitssuchenden waren durchschnittlich 37,9 Jahre alt (SD = 10,8). Die ermittelten Häufigkeiten entsprechen weitgehend einer Normalverteilung. Abb. 1: Altersverteilung in der Zielgruppe (n = 63.709) Sprachliche Kompetenzen im Beruf messbar machen 23 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0016 Aus dem Alter der Teilnehmenden lassen sich erste Schlussfolgerungen zu ihrer Lebenssituation ziehen. So handelt es sich bei den Testteilnehmenden praktisch durchweg um erwachsene Lernende. Der Mittelwert von 37,9 Jahren lässt vermuten, dass ein Großteil der Teilnehmenden familiär gebunden ist. 3.2 Herkunftsländer der Arbeitssuchenden Die Arbeitssuchenden (n = 64.953) kamen aus insgesamt 164 Ländern; 36 Arbeitssuchende hatten keine Staatsangehörigkeit angegeben, 18 waren staatenlos. Tab. 1 gibt die zahlenmäßig bedeutendsten Herkunftsstaaten wieder. Herkunftsland Absolute Häufigkeit Relative Häufigkeit [%] Balkanstaaten (Bosnien und Herzegowina, Jugoslawien, Kosovo, Kroatien, Mazedonien, Serbien, Montenegro) 10.432 16,0 Brasilien 1.044 1,0 Italien 6.568 10,1 Frankreich 1.078 1,7 Polen 1.219 1,9 Portugal 5.476 8,4 Schweiz 13.762 21,2 Spanien 2.996 4,6 Tschechien und Slowakei 1.570 2,3 Türkei 2.426 3,7 Ungarn 1.205 1,9 Vereinigtes Königreich 1.154 1,8 Sonstige Herkunftsländer 16.023 24,6 Tab. 1: Herkunftsländer der Arbeitssuchenden Wie Tab. 1 belegt, stammt mit etwa drei Viertel die überwiegende Mehrheit der Arbeitssuchenden aus Europa. Bei den Herkunftssprachen dominieren romanische Sprachen wie Italienisch, Französisch, Spanisch und Portugiesisch (viele der Arbeitssuchenden mit Herkunftsland Schweiz dürften ebenfalls der französischen oder italienischen Sprachgemeinschaft angehören). Eine weitere bedeutende Sprachgruppe wird von südslawischen Sprachen (Balkanstaaten) gestellt. Ost- und westslawische Sprachen spielen demgegenüber eine untergeordnete Rolle wie auch die unterschiedlichen regionalen Varianten des Arabischen. Vor diesem Hintergrund dürften die meisten Arbeitssuchenden mit dem lateinischen Alphabet vertraut sein. 24 Olaf Bärenfänger DOI 10.2357/ FLuL-2021-0016 50 (2021) • Heft 2 3.3 Bildungsniveau Eine zentrale demographische Dimension der Zielgruppe sind die erworbenen Bildungsabschlüsse der Arbeitssuchenden. Tab. 2 schlüsselt die Wertigkeit dieser Bildungsabschlüsse auf. Höchster Bildungsabschluss Absolute Häufigkeit Relative Häufigkeit [%] Primarstufe 1.008 1,6 Sekundarstufe I 24.562 37,8 Berufliche Grundbildung EBA oder äquivalent, Weiterführende Schule 2.597 4,0 Berufliche Grundbildung EFZ, Berufsmaturität, Gymnasiale Maturität 13.435 20,7 Hochschulabschluss 11.993 18,5 Ohne Angabe 11.358 17,4 Tab. 2: Wertigkeit der Bildungsabschlüsse (n = 64.953) Tab. 2 belegt, dass sich die Zielpopulation schwerpunktmäßig aus drei heterogenen Gruppen zusammensetzt. Die erste Gruppe mit 43,4% der Arbeitssuchenden weist nur einen grundlegenden Bildungsabschluss aus dem Elementarbereich oder dem unteren Bereich der Sekundarstufe II auf. Die zweitgrößte Gruppe, etwa ein Fünftel der Stichprobe, verfügt über einen Maturitätsabschluss. Ein weiteres Fünftel rekrutiert sich aus der Gruppe der Arbeitssuchenden mit Hochschulabschluss. Diese Schlussfolgerung wird erhärtet durch die Analyse des kleineren Datensatzes (n = 2.971). Demnach sind ca. 6 Prozent unzureichend literalisiert. Ca. 54 % der Arbeitssuchenden sind als schulgewohnt einzustufen und immerhin ca. 40 Prozent als schulungewohnt. Für das Testdesign ist also von einem bildungsmäßig eher unteren Teilnehmerniveau auszugehen. Entsprechend leicht sollten die Aufgabenstellungen zu verstehen und zu bearbeiten seien. Der Testablauf sollte ebenfalls so einfach wie möglich gestaltet werden. Nach Möglichkeit ist ein Wechsel der Aufgabenformate zu vermeiden. Beim Einsatz elektronischer Medien muss eine extrem einfache Bedienbarkeit gewährleistet sein. Die Instruktionen für den Test insgesamt sowie für die einzelnen Aufgaben müssen einfach formuliert werden und sollten ggf. durch Abbildungen unterstützt werden. 3.4 Ausgeübte Tätigkeiten Tab. 3 ( S. 25) gibt Auskunft über das Niveau der von den Arbeitssuchenden ausgeübten Tätigkeiten. Sprachliche Kompetenzen im Beruf messbar machen 25 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0016 Wertigkeit der Tätigkeit Absolute Häufigkeit Relative Häufigkeit [%] Hilfsfunktion 31.433 48,5 Fachfunktion 28.714 44,3 Leitungsfunktion 2.429 3,7 Sonstige 2.377 3,7 Tab. 3: Wertigkeit der ausgeübten Tätigkeiten (n = 64.953) Demnach übt etwa die Hälfte der Arbeitssuchenden eine wenig anspruchsvolle Tätigkeit aus. Die zweite große Gruppe mit 44,3% der Arbeitssuchenden geht einer Tätigkeit mit mittlerem Anspruchsniveau nach. Nur wenige Arbeitssuchende üben eine leitende Tätigkeit aus. Insgesamt ist aus Tab. 3 die Schlussfolgerung zu ziehen, dass schwerpunktmäßig den kommunikativen Bedarfen der unteren und mittleren Tätigkeitsgruppen Rechnung getragen werden sollte. 3.5 Relevante Branchen Obwohl die Branchen, in denen die Arbeitssuchenden zuletzt tätig waren, stark variieren, lassen sich einige besonders relevante Branchen identifizieren. Branchen der ausgeübten Tätigkeiten Absolute Häufigkeit Relative Häufigkeit [%] Baugewerbe 10.356 15,9 Gastgewerbe 10.980 16,9 Gesundheitswesen 2.030 3,1 Handel und Verkauf 4.624 7,1 Kaufmännische und administrative Berufe 2.016 3,1 Reinigung, Hygiene, Körperpflege 7.179 11,1 Verarbeitende Berufe 7.088 10,9 Diverse sonstige Berufe 20.680 31,9 Tab. 4: Branchen der von den Arbeitssuchenden ausgeübten Tätigkeiten (n = 64.953) Für die Testkonzeption ergibt sich aus Tab. 4 die Schlussfolgerung, dass insbesondere die kommunikativen Anforderungen in den Branchen Baugewerbe in Verbindung mit verarbeitenden Berufen (Gruppe I) sowie Gastgewerbe, Gesundheitswesen sowie Reinigung, Hygiene, Körperpflege (Gruppe II) Berücksichtigung finden sollten. Eine dritte Gruppe könnte sich auf die kommunikativen Bedarfe in den Branchen Handel und Verkauf sowie auf kaufmännische und administrative Berufe (Gruppe III) beziehen. Damit die Deutscheinschätzung auch für alle übrigen Branchen Relevanz besitzt, 26 Olaf Bärenfänger DOI 10.2357/ FLuL-2021-0016 50 (2021) • Heft 2 sollten durch sie nach Möglichkeit branchenübergreifende kommunikative Anforderungen mit klarem Bezug zum Arbeitsmarkt erfasst werden. 3.6 Sprachstand Die Arbeitssuchenden weisen den in Abb. 2 wiedergegebenen Sprachstand auf. Abb. 2: Verteilung der Sprachniveaus über die Zielgruppe (n = 2.965) Der Anteil an Personen mit unzureichender Literalisierung beträgt in der Zielgruppe ca. 5,9%. Nur minimale Deutschkenntnisse weisen immerhin ca. 18,1% der Arbeitssuchenden auf. Auf der Ebene der elementaren Sprachkenntnisse verfügen ca. 39,6% der Arbeitssuchenden über A1-Kenntnisse und ca. 24,3% über A2-Kenntnisse. Demgegenüber bildet der Anteil von Arbeitssuchenden auf dem mittleren Kompetenzniveau mit ca. 8,8% auf B1-Niveau und ca. 3,1% auf B2-Niveau nur einen vergleichsweise kleinen Teil der Zielgruppe. Es besteht ein klarer Zusammenhang zwischen der Wertigkeit der ausgeübten Tätigkeit und dem Sprachniveau. Je anspruchsvoller die ausgeübte Berufstätigkeit, desto höher ist tendenziell das Sprachniveau. Umgekehrt sinkt der Anteil von Personen mit Alphabetisierungsgrad, je anspruchsvoller die ausgeübten Tätigkeiten sind. Tabelle 5 ( S. 27) gibt diesen Sachverhalt wieder. Sprachliche Kompetenzen im Beruf messbar machen 27 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0016 Alpha A0 A1 A2 B1 B2 Hilfstätigkeiten 6,8% 19,9% 42,7% 24,1% 5,7% 0,8% Fachtätigkeiten 4,8% 15,4% 34,9% 24,9% 13,4% 6,6% Leitungstätigkeiten 0,0% 4,2% 29,2% 14,6% 31,3% 20,8% Tab. 5: Zusammenhang von Sprachniveau und Wertigkeit der ausgeübten Tätigkeit (n = 2.940) Die Verteilung der Sprachniveaus lässt sich auch für einzelne Branchen beziffern, in denen die Arbeitssuchenden zuletzt tätig waren. Eine entsprechende Übersicht über diese Zusammenhänge lässt sich Tab. 6 entnehmen. Alpha A0 A1 A2 B1 B2 Baugewerbe (n = 640) 9,4% 27,7% 43,1% 17,2% 1,7% 0,3% Gastgewerbe (n = 582) 8,6% 16,3% 42,4% 26,1% 5,5% 1,0% Gesundheitswesen (n = 59) 1,7% 6,8% 30,5% 28,2% 22,0% 10,2% Handel und Verkauf (n = 101) 0,0% 8,9% 28,7% 27,7% 25,7% 8,9% Kaufmännische und administrative Berufe (n = 53) 0,0% 1,9% 32,1% 18,9% 34,0% 13,2% Reinigung, Hygiene, Körperpflege (n = 476) 8,4% 22,3% 45,0% 19,5% 4,2% 0,4% Verarbeitende Berufe (n = 298) 2,7% 18,1% 39,3% 32,6% 5,7% 1,7% Tab. 6: Verteilung der Sprachniveaus in den ausgeübten Berufsbranchen (n = 2.971) Aus Tab. 6 lässt sich ein im Vergleich zu den übrigen Branchen erhöhter Alphabetisierungsbedarf für die Branchen Baugewerbe, Gastgewerbe sowie Reinigung, Hygiene und Körperpflege ableiten. In diesen drei Branchen ist auch die sprachliche Kompetenz geringer ausgeprägt als in den übrigen Branchen mit Ausnahme der verarbeitenden Berufe. Insgesamt ergibt sich aus diesen Daten erstens die Schlussfolgerung, dass die zwar nicht sehr große, aber auch nicht zu vernachlässigende Teilgruppe der Personen mit Alphabetisierungsbedarf mit auf sie abgestimmten Testformaten bedient werden muss. Um Förderentscheidungen zu treffen, muss die Ausprägung der Schriftkompetenz mithilfe geeigneter Testitems festgestellt werden. Zweitens befindet sich der ganz überwiegende Teil der Arbeitssuchenden auf den Niveaus A1 und A2. Zusammengenommen rekrutieren sich aus diesen beiden Teilgruppen 63,9% der gesamten Zielgruppe. Bei der Testkonzeption sollte daher besonderes Augenmerk auf sprachliche Funktionen gelegt werden, die Sprachverwender mit elementarer Kompetenz in den 28 Olaf Bärenfänger DOI 10.2357/ FLuL-2021-0016 50 (2021) • Heft 2 besonders relevanten Branchen Baugewerbe und verarbeitende Berufe (Gruppe I) sowie Gastgewerbe und Reinigung, Gesundheitswesen, Hygiene, Körperpflege (Gruppe II) ausführen können. Für Handel und Verkauf sowie für kaufmännische und administrative Berufe (Gruppe III) könnten schwerpunktmäßig Aufgaben auf den mittleren und höheren Kompetenzniveaus vorgesehen werden. Im höheren Kompetenzbereich gilt es Aufgabenstellungen zu entwickeln, die die sprachlichen Anforderungen in dem kleinen Bereich der Berufe mit Leitungsfunktion möglichst repräsentativ abbilden. 3.7 Alphabetisierungsbedarf Für ca. 6% der Population ergibt sich ein Alphabetisierungsbedarf. Diese Gruppe lässt sich unterteilen in primäre Analphabet/ innen (1,6% der Gesamtpopulation); sie haben nie Kompetenz in einem Alphabet entwickelt. Sekundäre Analphabet/ innen weisen demgegenüber Kompetenzen in einem anderen Schriftsystem als dem Lateinischen auf (1,2% der Gesamtpopulation). Funktionale Analphabet/ innen, die bereits ganz elementare Kenntnisse in der lateinischen Schrift aufweisen, machen 2,7% der Gesamtpopulation aus. Hinsichtlich ihrer Herkunftsländer stechen Italien (17,1%), Portugal (22,3%), die Schweiz (8,6%), Spanien (5,7%) sowie Sri Lanka (5,1%) hervor. Die verbleibenden 41,2% verteilen sich auf 27 weitere Länder. Damit ist die Gruppe der Analphabet/ innen relativ heterogen. Dies lässt sich nicht ausschließlich durch die Notwendigkeit erklären, ein fremdes Schriftsystem zu erlernen. Angesichts des niedrigen Bildungsniveaus in der Zielgruppe ist davon auszugehen, dass viele Arbeitssuchende zwar bereits mit dem lateinischen Alphabet in Berührung gekommen sind, dass sie darin allerdings keine ausreichend hohe Schriftkompetenz aufbauen konnten. Für die Testkonzeption ergibt sich daraus die Notwendigkeit, im Rahmen eines kompetenzbasierten Ansatzes mit Hilfe geeigneter Aufgabenstellungen die Ausprägung des vorhandenen Alphaniveaus zu ermitteln. Auf dieser Grundlage können dann maßgeschneiderte Förderempfehlungen getroffen werden. 3.8 Schlussfolgerungen Aus einer statistisch fundierten Analyse der Zielgruppe lassen sich wesentliche Schlussfolgerungen mit Blick auf das Testdesign ziehen. Konkret ist zunächst das Durchschnittsalter von 37,9 Jahren bei der Wahl der Themen sowie bei der Gestaltung der kommunikativen Aufgaben als lebensweltliches Element zu berücksichtigen. Wie gesehen ist die Zielpopulation zwar hinsichtlich der Herkunftsländer außerordentlich heterogen, die meisten Arbeitssuchenden stammen jedoch aus europäischen Ländern. L1 des überwiegenden Teils sind romanische oder südslawische Sprachen. Das Bildungsniveau in der Zielgruppe ist insgesamt eher niedrig. Der hohe Anteil an schulungewohnten oder nicht bzw. gering literalisierten Deutschlernenden erfordert eine extrem einfache Nutzbarkeit der Deutscheinschätzung, möglichst einheitliche Aufga- Sprachliche Kompetenzen im Beruf messbar machen 29 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0016 benformate, klare Instruktionen und eine einfache Bedienungsführung bei Verwendung elektronischer Medien. Weiterhin lassen sich die Arbeitssuchenden branchenmäßig drei Großgruppen zuordnen, die bei der Auswahl von Themen, sprachlichen Funktionen und Strukturen berücksichtigt werden sollten: dem Baugewerbe in Verbindung mit verarbeitenden Berufen (Gruppe I), dem Gastgewerbe, Gesundheitswesen sowie Reinigung, Hygiene, Körperpflege (Gruppe II); dem Handel und Verkauf sowie kaufmännische und administrative Berufe (Gruppe III). Der überwiegende Teil der Zielpopulation weist lediglich elementare Deutschkenntnisse auf. Für den operativen Testbetrieb ergibt sich die Schlussfolgerung, dass überwiegend Tests auf den Niveaus A1 und A2 benötigt werden. Diese dürften schwerpunktmäßig die sprachlichen Anforderungen in den Branchen Baugewerbe, verarbeitende Berufe, Gastgewerbe, Gesundheitswesen, Reinigung, Hygiene und Körperpflege abbilden. Das mittlere Kompetenzniveau sollte sich auf die sprachlichen Anforderungen in den Branchen Handel und Verkauf sowie auf kaufmännische und administrative Berufe orientieren. Im oberen Kompetenzbereich werden schwerpunktmäßig sprachliche Anforderungen an Berufe mit Leitungsfunktion adressiert. Ca. 6% der Zielpopulation weist einen Alphabetisierungsbedarf auf. Die Deutscheinschätzung sollte kompetenzbasiert eine exakte Bestimmung des Alphaniveaus bzw. des Alphatyps ermöglichen, um optimale Förderentscheidungen treffen zu können. 4. Sprachbedarfsanalyse zur Deutscheinschätzung für fremdsprachige Stellensuchende In diesem Abschnitt wird dargestellt, über welche sprachlichen Funktionen und Mittel die Mitglieder der o.g. Zielgruppen für eine erfolgreiche Berufsausübung verfügen müssen. Hierfür wurden im Rahmen einer umfassenden Literaturrecherche einerseits solche Informationen zusammengetragen, die Auskunft über die spezifischen sprachlichen Anforderungen an Angehörige dieser drei Subgruppen geben, andererseits sollten auch sprachlichen Anforderungen identifiziert werden, die sich an alle Berufsgruppen stellen. Mit Blick auf das zugrundeliegende Kompetenzmodell folgt die Beschreibung des Sprachbedarfs dem aufgabenbasierten Ansatz des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens. Ein Sprachbedarf charakterisiert sich demgemäß als Summe derjenigen sprachlichen Funktionen und Mittel, die für die Zielgruppe zur erfolgreichen Bewältigung einer kommunikativen Aufgabe erforderlich sind (vgl. dazu A VERMAET / G YSEN 2006). Dementsprechend sind die Kommunikationssituationen, die für die Zielgruppen relevant sind, so ausführlich wie möglich zu beschreiben wie auch die typischerweise damit verbundenen Textsorten. Auf ihrer Grundlage sind dann besonders häufige bzw. relevante oder typische Kommunikationssituationen auszuwählen, die im nächsten Schritt wiederum Gegenstand von Testaufgaben werden. Methodisch wurde zunächst eine Matrix für die systematische Beschreibung von Kommunikationssituationen der drei Teilnehmergruppen entwickelt, in der gemäß 30 Olaf Bärenfänger DOI 10.2357/ FLuL-2021-0016 50 (2021) • Heft 2 dem fide-Ansatz (L ENZ / A NDREY / L INDT -B ANGETER 2009) kommunikative Szenarien sowie die für ihre erfolgreiche Realisierung notwendigen Handlungsschritte und pragmatischen Kompetenzen erfasst werden. Die kommunikativen Situationen wurden den 18 Handlungsfeldern von W EISSENBERG (2010) zugeordnet, wodurch Sprachverwendung im Beruf in ihrer ganzen Breite erfasst wurde. Im Anschluss an die Identifikation von Szenarien, Handlungsschritten und pragmatischen Kompetenzen wurden exemplarisch Textsorten identifiziert, die typischerweise in diesen kommunikativen Settings auftreten. Im Zuge der Literaturrecherche ergab sich unmittelbar, dass eine Reihe der Handlungsfelder W EISSENBERG s (2010) tendenziell branchenspezifisch sind, während andere eher branchenübergreifend relevant sind. Tab. 7 führt eher branchenspezifische und eher branchenübergreifende Handlungsfelder auf: Branchenspezifische Handlungsfelder Branchenübergreifende Handlungsfelder (1) Arbeitsaufgabe (9) Lernsituationen am Arbeitsplatz (2) Materialbeschaffung und Annahme (10) Kommunikation mit Kollegen (3) Arbeit mit Maschinen und Elektrogeräten (12) Kommunikation mit Vorgesetzten (4) Arbeit mit Menschen (13) Soziale Kontakte am Arbeitsplatz (5) Elektronische Medien am Arbeitsplatz (14) Rechte und Pflichten als Arbeitnehmer (6) Qualitätskontrolle und -sicherung (15) Berufliche Weiterbildung (7) Produktübergabe und -ausführung (16) Kommunikation mit Behörden und Ämtern (8) Störungen der Arbeitsabläufe (17) Wirtschaft und Unternehmen (11) Kommunikation mit externen Akteuren (18) Bewerbung um einen Arbeitsplatz Tab. 7: Branchenspezifische und branchenübergreifende Handlungsfelder Grundlage für die Beschreibung der sprachlichen Bedarfe waren publizierte Bedarfsanalysen und konzeptuelle Arbeiten. Die in Tab. 8 ( S. 32) angeführten eckigen Klammern verweisen auf die für die Analyse verwendeten Referenzen. Aus Ressourcengründen musste auf eine eigene empirische Erhebung von Sprachbedarfen verzichtet werden. Im Detail fanden die folgenden Dokumente Eingang in die Analyse: [1] fide-Konzept (L ENZ / A NDREY / L INDT -B ANGETER 2009) [2] vox.no Basic Job Profiles (S KILLS N ORWAY 2015) [3] CLAC-Studie - Was hat der Referenzrahmen mit der Schweizerischen Bundesbahn zu tun? (M ÜLLER / W ERTENSCHLAG 2002) [4] Rahmencurriculum für Integrationskurse - Deutsch als Zweitsprache (G OETHE -I NSTITUT 2016) [5] SECO Rahmenkonzept (M AURER 2006) [6] berufenet.arbeitsagentur.de (B UNDESAGENTUR FÜR A RBEIT 2017) Sprachliche Kompetenzen im Beruf messbar machen 31 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0016 [7] Profile Deutsch (G LABONIAT / M ÜLLER / R USCH / S CHMITZ / W ERTENSCHLAG 2005) [8] Recherche und Dokumentation hinsichtlich der Sprachbedarfe von Teilnehmenden an Integrationskursen DaZ (E HLICH / M ONTANARI / H ILA 2007) Die Beschreibung kommunikativer Szenarien und Schritte konnte zu großen Teilen auf die Publikationen von fide, das SECO-Rahmenkonzept sowie auf die CLAC- Studie zurückgreifen. Hierdurch wird in besonderer Weise den Spezifika des schweizerischen Arbeitsmarkts Rechnung getragen. Publikationen aus dem bundesdeutschen Raum ergänzen die schweizerische Perspektive um einige zentrale Aspekte. Nachstehend sind auszugsweise einige kommunikativen Anforderungen und Textsorten wiedergegeben, die branchenübergreifend im Handlungsfeld „Kommunikation mit Vorgesetzten“ als zentral ermittelt wurden. Tab. 8, S. 32 Mit dieser Sprachbedarfsbeschreibung konnte ein umfassendes Bild über die sprachlichen Anforderungen an die Zielgruppe gezeichnet werden, die zudem berufsbezogenen und berufsübergreifenden Handlungsfeldern zugeordnet wurden. Mit Blick auf die Testerstellung sind nun auf dieser Grundlage Rückschlüsse auf das Testdesign zu ziehen. Insbesondere sind aus der großen Menge an kommunikativen Situationen, pragmatischen Handlungen und Textsorten diejenigen auszuwählen, die für die Zielgruppe besonders relevant und typisch sind. Zu diesem Zweck wurden Kursleitende in Berufssprachkursen um eine Einschätzung gebeten. Bei der Ausbalancierung von berufsspezifischen und berufsübergreifenden Sprachkompetenzen wurde eine weitere wichtige Entscheidung getroffen. So bietet der mündliche Teil der Prüfung, der als Einzelgespräch zwischen einem Testkandidaten oder einer Testkandidatin und einem/ einer Prüfenden stattfindet, die Option, individuell auf jeden Kandidaten oder jede Kandidatin einzugehen. Geeignete Testaufgaben können hier bevorzugt berufsspezifische Kompetenzen abdecken. Demgegenüber bietet der schriftliche Teil einer Prüfung mit den Prüfungsteilen Lesen, Hören und Schreiben nur dann die Möglichkeit berufsspezifische Kompetenzen zu adressieren, wenn unterschiedliche Prüfungsaufgaben entwickelt werden. Dies würde sich nachteilig auf die Praktikabilität der Prüfung auswirken, weshalb dieser Weg bei der Deutscheinschätzung für fremdsprachige Stellensuchende nicht beschritten wurde. Durch die schwerpunktmäßige Zuordnung von berufsspezifischen Kompetenzen zum Prüfungsteil Sprechen und von berufsübergreifenden Kompetenzen zu den Prüfungsteilen Lesen, Hören und Schreiben konnte eine Balance zwischen den entsprechenden Handlungsfeldern hergestellt werden. Zugleich war der Einbezug eines breiten Spektrums an Einzelkompetenzen möglich. 32 Olaf Bärenfänger DOI 10.2357/ FLuL-2021-0016 50 (2021) • Heft 2 Szenarien/ Handlungsschritte Kommunikative Kompetenzen Textsorte Mit dem/ der Vorgesetzten das Anstellungsgespräch führen den Mitarbeiter am neuen Arbeitsplatz begrüßen, sich vorstellen, auf die Verabredung mit dem/ der Vorgesetzten hinweisen und fragen, wo man ihn/ sie findet [1] den/ die Vorgesetzte/ n im Büro begrüßen und sich vorstellen [1] mit dem/ der Vorgesetzten Informationen über die Anstellungsbedingungen austauschen [1] den Arbeitsvertrag lesen und unterschreiben [1] die Anweisungen des/ der Vorgesetzten zum ersten Arbeitstag entgegennehmen [1] sich beim/ der Vorgesetzten bedanken und verabschieden [1] • Gruß und Dank • Mitteilung, Telefonat • E-Mail, formeller Brief • Terminanfrage, Terminverschiebung • Teambesprechung, Meeting, (De-)Briefing, Mitarbeitergespräch • Besprechungsprotokoll • Notizen • Arbeitsanweisung, Anleitung • Vorgangsbeschreibung, Stellungnahme • Handzettel • Arbeitsbericht • mündliche oder schriftliche Beschwerde • (Gruppen-)Kalender, Einsatz-/ Zeit-/ Arbeitsplan • Ferienplan, Ferienschein • ärztliches Zeugnis, Krankmeldung • Formulare (z. B. für die Rückerstattung von Auslagen, Beantragung einer Geschäftsreise) • Mitarbeiternewsletter, Firmenzeitung • (schriftliche) Bekanntmachung, Aushang Vorgesetzte geben Anweisungen zur weiteren Arbeitsweise / Aufträge für den Arbeitstag entgegennehmen Instruktionen, Beschreibungen, Erklärungen und Ankündigungen verstehen [4] Beschreiben, erklären [4] Etwas vorschlagen [4] Um Rat bitten [4] die Arbeitskolleg*innen und Vorgesetzte am Arbeitsplatz begrüßen [1] mündliche Arbeitsaufträge von Vorgesetzten entgegennehmen [1] mit Vorgesetzten Detailinformationen zu den Aufträgen austauschen [1] sich bei Vorgesetzten bedanken, gute Wünsche für den Tag äußern und sich verabschieden [1] Einen Arbeitsbericht erstellen / Über den Stand der Arbeit informieren Vorgesetzte im Büro begrüßen [1] Sich mit dem Vorgesetzten über ausgeführte Tätigkeiten und spezielle Vorkommnisse austauschen [1] Auf Kommentare des/ der Vorgesetzten und auf weitere Anweisungen hören und Fragen zum Fortgang der Arbeit stellen [1] sich bei dem/ der Vorgesetzten bedanken und sich verabschieden [1] einen Arbeitsbericht für den/ die Vorgesetzte schreiben bzw. das entsprechende Formular ausfüllen [1] Tab. 8: Branchenübergreifende Situationen und Kompetenzen im Handlungsfeld „Kommunikation mit Vorgesetzten“ Exemplarisch ist nachstehend für den Prüfungsteil Hören wiedergegeben, wie auf der Grundlage der Sprachbedarfsanalyse Einzelkompetenzen in konkrete Prüfungsaufgaben zu übersetzen sind. Ausgangspunkt ist das Szenario „Ein Vorgesetzter gibt Anweisungen zur weiteren Arbeitsweise / Aufträge für den Arbeitstag entgegennehmen“. Für das Leistungsniveau A1/ A2 wurde eine Höraufgabe mit sechs kurzen Texten entwickelt, bei denen die Testteilnehmenden entscheiden sollen, ob eine von drei gegebenen Aussagen auf den Hörtext zutrifft oder nicht. Deutlich wird anhand der Tabelle auch, wie auf der Grundlage des Szenarios konkrete Kompetenzbeschreibung Sprachliche Kompetenzen im Beruf messbar machen 33 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0016 in der Form von Kann-Deskriptoren formuliert wurden, die als operationalisierbare Testkonstrukte fungieren können. Aufgabe 1 Zielniveau A1 Konstrukte • Kann in Anweisungen, Anleitungen, Wegbeschreibungen, Teambesprechungen oder einem Anruf/ in einer Nachricht des Regionalen Arbeitsvermittlungszentrums (RAV) vertraute Wörter und ganz einfache Sätze verstehen. • Kann sich in Anweisungen, Anleitungen, Wegbeschreibungen, Teambesprechungen oder einem Anruf/ in einer Nachricht des RAV eine Vorstellung vom Inhalt machen. Handlungsfeld Kommunikation mit Kolleg/ innen Kommunikation mit Vorgesetzten Kommunikation mit Behörden und Ämtern Anzahl der Hörtexte 6 Textfunktionen des Hörtextes Deskription Instruktion Kommunikatives Setting • Gesprächssituationen bei der Arbeit und auf Ämtern, auch am Telefon Textsorten • Mitteilungen/ Nachrichten, z.B. Termin/ Ort für Besprechung, Kurs, Mittagspause; Bitte um Rückruf; Bitte um Hilfe; Informationen von Kantinenbedienung (Preise) etc. • Anweisungen, Anleitungen • Wegbeschreibungen • Teambesprechung: z.B. Absprachen zu bzw. Änderungen von Terminen/ Orten • RAV-Anruf/ -Nachricht (auf Anrufbeantworter): Termin, Adresse, Öffnungszeiten Länge der Texte 10-20 Wörter pro Text Anzahl der Items 2 pro Lesetext, insgesamt 12 Itemformat Multiple-choice mit 3 Wahlmöglichkeiten Instruktionen Hören Sie zu und kreuzen Sie die richtige Antwort an. Sie hören jeden Text zwei Mal. Es gibt zwei Fragen pro Hörtext. Hier sehen Sie ein Beispiel. Tab. 9: Generische Beschreibung einer Testaufgabe Einerseits kann nur eine Sprachbedarfsanalyse als belastbare Grundlage für Testkonstrukte dienen, die die tatsächlichen kommunikativen Anforderungen an die Zielgruppe des diagnostischen Verfahrens präzise und repräsentativ widerspiegelt. Sie sorgt also für eine größere lebensweltliche Nähe des Tests zu den lebensweltlichen Gegebenheiten der Zielgruppe und damit für Konstruktvalidität und Authentizität. Die 34 Olaf Bärenfänger DOI 10.2357/ FLuL-2021-0016 50 (2021) • Heft 2 Zuordnung der Konstrukte resp. der Testaufgabe zu Handlungsfeldern erlaubt zudem eine ausgewogene Verteilung von kommunikativen Aufgaben über die einzelnen Prüfungsaufgaben. Damit wird sichergestellt, dass die zentralen sprachlichen Anforderungen an Arbeitnehmer/ innen auch in der Prüfung repräsentiert sind. Die ausreichende Repräsentation des Konstrukts in einem diagnostischen Instrument stellt wiederum eine wichtige Facette der Konstruktvalidität dar. Eine weitere bedeutende Funktion von Sprachbedarfsanalysen besteht darin, solche kommunikativen Situationen zu identifizieren, die für die Zielgruppe des diagnostischen Instruments zentral sind. Für den Prozess der Testerstellung bzw. genauer gesagt des Item Authoring können aus der Bedarfsanalyse kommunikative Settings für Testaufgaben abgeleitet werden. Je besser sich dabei die kommunikativen Situationen im Test mit den kommunikativen Situationen in der Lebenswelt von Arbeitnehmern decken, desto größer die Authentizität, Konstruktvalidität und Augenscheinvalidität des diagnostischen Instruments. Als besonders wertvoll erweisen sich aussagekräftige Sprachbedarfsanalysen schließlich auch mit Blick auf die Auswahl geeigneter Lese- und Hörtexte bzw. Sprech- und Schreibanlässe. Strategisch empfiehlt es sich bereits im Stadium der Sprachbedarfsanalyse, typische und relevante Texte zu sammeln und mit ihnen ein Textkorpus aufzubauen, das dann im Zuge der Testaufgabenproduktion eingesetzt, modifiziert oder als Ausgangspunkt für das Verfassen eigener Stimulustexte verwendet werden kann. Auch dieses Vorgehen trägt dazu bei, eine ausreichende Repräsentation des Konstrukts im Test sicherzustellen ebenso wie Authentizität, Konstrukvalidität und Augenscheinvalidität. 5. Ausblick Kernanliegen des vorliegenden Beitrags war es, den Stellenwert von Zielgruppen- und Sprachbedarfsanalysen für die Entwicklung von diagnostischen Instrumenten zur Erfassung von Sprachkompetenz darzustellen und anhand der Deutscheinschätzung für fremdsprachige Stellensuchende des Kantons Zürich zu illustrieren. Es wurde deutlich, dass die berufssprachliche Kompetenzdiagnostik bei Weitem nicht in dem Umfang auf Sprachbedarfsanalysen beruht, wie dies vor dem Hintergrund ihrer besonderen gesellschaftlichen Bedeutung sachlich geboten wäre. Auch wurde greifbar, welche grundlegenden Entscheidungen für das Testdesign bereits in diesem Analyseschritt zu ziehen sind. Bei der nachgelagerten Sprachbedarfsanalyse zeigte sich, dass sie wesentliche Informationen liefert, mit denen sich die Aufgaben eines Tests der sprachlichen Wirklichkeit und den sprachlichen Anforderungen der Nutzer/ innen des Sprachtests anpassen lassen. Angesichts der enormen Bedeutung von Sprachbedarfsanalysen für die Konstruktvalidität, die hinreichende Repräsentation des Konstrukts in einem Test, die Authentizität von Testaufgaben und kommunikativen Situationen sowie die Augenscheinvalidität des Verfahrens drängt sich die Schlussfolgerung auf, dass kein aussagekräftiges diagnostisches Verfahren ohne diese Analysen konstruiert werden sollte. Umso dringlicher ist das Desiderat, verstärkt die Sprachliche Kompetenzen im Beruf messbar machen 35 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0016 sprachlichen Bedarfe von zentralen Zielgruppen zu erheben. Wie die Forschungslage zeigt, stehen insbesondere im Bereich der Berufssprache empirische Analysen weitgehend aus, die die Entwicklung passgenauerer diagnostischer Instrumente sicherstellen würden. Damit wäre auch der Grundstein für eine insgesamt besser gelingende sprachliche, berufliche und gesellschaftliche Integration gelegt. 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It intends to validate a hypothesis raised in the pilot study (section 3) and to establish the competencies that vocational learners achieve. The research data (section 4) encompasses seventeen guided interviews with teachers and quantitative data obtained from a placement test and from leaving certificates. The results (section 5) show that the hypothesis must be modified and that many learners surpass the exigencies of the current vocational curricula. Vocational education has to pay continuous attention to linguistic skills (section 6) and curricula will need to be adapted to develop the learners’ competencies. This is significant to facilitate lifelong learning and future career changes (section 7). 1. Einleitung Wirksamer Englischunterricht auf jeglicher Stufe ist durch das Handeln der einzelnen Lehrkraft geprägt (vgl. L EGUTKE / S CHART 2016; M ALTRITZ 2016; P RUSSE -H ESS / P RUSSE 2018). In einem Kontext, in dem Lehrer*innen entweder Expertise im Fremdspracherwerb oder im Berufsfeld, aber nur in Ausnahmefällen in beidem vorweisen können, hängt der Englischunterricht wesentlich davon ab, inwiefern sich Lehrende in diesem Umfeld orientieren und wie sie den Balanceakt zwischen Allgemeinbildung und berufsspezifischen Anforderungen meistern. Die Ergebnisse einer Pilotstudie verdeutlichen, dass dem Englischunterricht an Schweizer Berufsfachschulen mit dem Fokus Technik bzw. Wirtschaft häufig ein unterschiedliches Verständnis des Lerngegenstands (learning domain) zugrunde liegt (vgl. P RUSSE / R OSENBERGER 2019). * Korrespondenzadressen: Prof. Dr. Michael C. P RUSSE , Pädagogische Hochschule Zürich, Abteilung Master Fachdidaktik, Lagerstraße 2, 8090 Z ÜRICH , Schweiz. E-Mail: michael.prusse@phzh.ch Arbeitsbereiche: Berufsbezogener Englischunterricht, Literatur im Englischunterricht, Didaktik des Englischunterrichts. Dr. Lukas R OSENBERGER , Pädagogische Hochschule Zürich, Abteilung Master Fachdidaktik, Lagerstraße 2, 8090 Z ÜRICH , Schweiz. E-Mail: lukas.rosenberger@phzh.ch Arbeitsbereiche: Berufsbezogener Englischunterricht, individuelle und gesellschaftliche Mehrsprachigkeit, discourse analysis. 38 Michael C. Prusse, Lukas Rosenberger DOI 10.2357/ FLuL-2021-0017 50 (2021) • Heft 2 Diese Unterschiede beruhen mindestens zum Teil auf einer (oft unbewussten) unterschiedlichen Interpretation der Curricula durch die Anstellungsverantwortlichen, die dadurch bei der Rekrutierung von Lehrkräften unterschiedliche Kriterien zur Anwendung bringen. In der vorliegenden Untersuchung werden Englischlehrer*innen an Berufsfachschulen und Berufsmaturitätsschulen mittels strukturierter Leitfadeninterviews zur Rolle und Funktion ihres Englischunterrichts in der Ausbildung ihrer Lernenden befragt und diese Befunde werden mit den Erkenntnissen aus einer Umfrage bei Schulleitungsmitgliedern ergänzt, die für die Rekrutierung des Lehrpersonals zuständig sind. Neben dem Blick auf Lehrpläne, Inhalte von Abschlussprüfungen und den erwähnten Interviews, die primär die Sicht von Schulleitungen, Berufsverbänden und Lehrkräften wiedergeben, wird die Balance zwischen allgemeinbildendem und berufsspezifischem Englisch zusätzlich aus der Perspektive der Lernenden begutachtet, indem ihr Wahlverhalten bei verschiedenen Varianten der Abschlussprüfung analysiert wird. Das Forschungsprojekt ist noch nicht abgeschlossen; es werden hier als Folge auf die Pilotstudie erste Zwischenergebnisse präsentiert. 2. Englischunterricht im dualen Berufsbildungssystem der Schweiz Im Kontext des Schweizer Bildungssystems konzentriert sich das Forschungsprojekt auf die duale Ausbildung auf der Sekundarstufe II und berücksichtigt dort Ausbildungswege, die mit einem Eidgenössischen Fähigkeitszeugnis (EFZ) bzw. mit der Berufsmaturität (BM) abgeschlossen werden. Die BM, ein allgemeinbildender Abschluss, der den Zugang für ein Fachhochschulstudium eröffnet, wird entweder parallel zum EFZ oder konsekutiv im Anschluss an den Berufsabschluss erworben. Gemäß Bundesamt für Statistik (BFS 2020) verlassen mehr als 90% der Bevölkerung die Sekundarstufe II mit einem allgemeinbildenden oder berufsbefähigenden Abschluss. Das Schweizer Berufsbildungssystem ermöglicht nach dem Motto „kein Abschluss ohne Anschluss“ eine hohe Durchlässigkeit, insbesondere zwischen Sekundarstufe II und der nachfolgenden tertiären Stufe. Die berufliche Grundbildung in der Schweiz bedingt, dass die Lernenden drei bis vier Tage pro Woche im Ausbildungsbetrieb verbringen und, je nach gewähltem Beruf bzw. bei gleichzeitigem Absolvieren der Berufsmaturität, ein bis zwei Tage pro Woche in der Berufsfachschule. Komplettiert wird die Grundbildung durch den dritten Lernort, die überbetrieblichen Kurse, in denen Lernende verschiedener Ausbildungsbetriebe zusammengenommen werden, um bestimmte Berufskenntnisse im Verbund zu erwerben. Der Berufsschulunterricht unterteilt sich in allgemeinbildende (Gesellschaft, Sprache und Kommunikation) und berufskundliche Fächer (je nach Ausbildungsfeld z.B. Werkstofftechnik, Elektrotechnik oder Labormethodik). Gute Fremdsprachenkenntnisse sind in den meisten Berufen relevant, da die kleine, mehrsprachige Schweizer Volkswirtschaft in hohem Maß vom Export von Produkten und Dienstleistungen Englischunterricht an Berufsschulen 39 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0017 abhängig ist. Den Organisationen der Arbeitswelt (OdA) wird allerdings bei der Ausgestaltung ihrer Bildungsverordnungen eine hohe Autonomie zugestanden, was dazu führt, dass diese gerade mit Bezug auf Fremdsprachen unterschiedlich ausgestaltet sind. Die Bildungsverordnungen werden alle fünf Jahre auf ihre wirtschaftliche, technologische, ökologische und didaktische Aktualität überprüft und, falls notwendig, revidiert. Aufgrund der divergenten Interessen der verschiedenen OdA spiegelt sich die volkswirtschaftliche Relevanz des Fremdsprachenunterrichts lediglich beschränkt darin. Stattdessen ergibt eine Analyse der Bildungsverordnungen ein heterogenes Bild, teils mit und teils ohne Englischunterricht in der Grundbildung. Dort wo Englischunterricht vorgesehen ist, können die zahlreichen Varianten für Verwirrung sorgen. Der Englischunterricht kann allgemeinbildend oder berufsorientiert sein (z.B. technisches Englisch, Laborenglisch oder Wirtschaftsenglisch) und, je nach Beruf, besuchen die Lernenden sowohl allgemeinbildendes als auch berufsorientiertes Englisch oder nur eine Ausrichtung davon (vgl. P RUSSE / R OSENBERGER 2019: 144). 3. Fragestellungen Die laufende Erhebung zum Englischunterricht an Berufsfachschulen basiert auf einer Pilotstudie (P RUSSE / R OSENBERGER 2019), in der an zwei großen Berufsfachschulen im Kanton Zürich, eine für Wirtschaft und eine für Technik, je eine kleine Gruppe von Englischlehrkräften befragt wurde. Diese explorative Arbeit bezweckte primär, das Wissen und die Einstellungen der Lehrkräfte zum berufsorientierten Englisch präziser beschreiben zu können. Die in den Antworten formulierten Perspektiven regten die Autoren dazu an, für das Ausbildungsfeld Technik analog zur native speaker fallacy (P HILLIPSON 1992: 195) eine professional expert fallacy als Hypothese zu postulieren. Diese professional expert fallacy bezeichnet die falsche Vorstellung bestimmter Lehrer*innen und Schulleitungen, dass berufliche Fachexperten automatisch einen besseren berufsorientierten Englischunterricht erteilen als Englischlehrkräfte ohne derartige Berufserfahrung. Die Hypothese versuchte eine Erklärung für das Phänomen zu liefern, dass in der Berufsschule für Technik primär fachlich qualifizierte Expert*innen ohne Lehrqualifikation für den Englischunterricht für den Unterricht von technischem Englisch oder Laborenglisch zum Einsatz kommen. Die Evidenz in den Interviews der Pilotstudie deutete zudem darauf hin, dass Schulleitungen (und potentiell auch die entsprechenden Organisationen der Arbeitswelt) an Berufsfachschulen für Wirtschaft (genauer im ISCED-Ausbildungsfeld 34: Wirtschaft und Verwaltung) 1 und an Berufsfachschulen für Technik (ISCED- Ausbildungsfeld 52: Ingenieurwesen und technische Berufe) die Inhalte und die Form von Wirtschaftsenglisch beziehungsweise technischem Englisch oder Laborenglisch 1 Klassifikation gemäß https: / / ec.europa.eu/ eurostat/ ramon/ statmanuals/ files/ fields_of_training_1999_ DE. pdf (02.06.2021) 40 Michael C. Prusse, Lukas Rosenberger DOI 10.2357/ FLuL-2021-0017 50 (2021) • Heft 2 unterschiedlich interpretieren. Während im Ausbildungsfeld Wirtschaft das berufsorientierte Englisch als Bestandteil des Fremdsprachenunterrichts erachtet wird, definieren die Verantwortlichen im Ausbildungsfeld Technik das Fachenglisch größtenteils als der Berufskunde zugehörig, in der berufliches Expertenwissen in englischer Sprache vermittelt wird. Die Pilotstudie formulierte somit die These, es handle sich möglicherweise um unterschiedliche Interpretationen des Zwecks des Englischunterrichts. Im Ausbildungsfeld Wirtschaft, für das es in der Schweiz lediglich einen Bildungsplan gibt, nämlich Kaufmann/ Kauffrau, wird die Unterrichtszeit für Englisch zwischen allgemeinbildendem und berufsorientiertem Englisch aufgeteilt. Im Ausbildungsfeld Technik ist die Ausgangslage bereits aufgrund der 49 verschiedenen darin angesiedelten Berufsausbildungen um einiges heterogener und resultiert in einem breit differenzierten Verständnis von technischem Englisch oder Laborenglisch, das je nach auszubildendem Beruf anders umgesetzt wird. Das zentrale Erkenntnisinteresse der erweiterten Untersuchung zielt demnach darauf ab, ob die Hypothese zur professional expert fallacy erhärtet werden kann. Da sich die Erkenntnisse aus der Pilotstudie auf lediglich zwei große Berufsfachschulen im Kanton Zürich stützten, interessiert insbesondere die Frage, inwiefern das Verständnis und die Funktion des Zusammenspiels zwischen allgemeinbildendem Englisch und berufsorientiertem Englisch (in erster Linie technisches Englisch und Wirtschaftsenglisch) auch in anderen Kontexten zu analogen Umsetzungen in den Berufsfachschulen geführt haben. Darüber hinaus soll die in der Pilotstudie kurz angeschnittene Frage zur Perspektive der Lernenden und den Trends bei ihrem Wahlverhalten bei den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten für die Abschlussprüfungen im Fach Englisch präziser bestimmt werden (vgl. P RUSSE / R OSENBERGER 2019: 152). Als neues Element in unserer Untersuchung wurden die Englischkompetenzen der Lernenden erhoben, mit denen sie nach der Volksschule in die Berufsfachschule eintreten. Mit dieser Erhebung sollte die von Lehrkräften in den Befragungen des Pilotprojekts geäußerte Vermutung überprüft werden, dass die kontinuierliche Entwicklung der Englischkompetenzen über die Schulstufen hinweg durch überholte Vorgaben in den Bildungsplänen gestört werde. Zusätzlich werden von den Fachhochschulen verstärkt höhere Englischkompetenzen von den Berufsmaturanden gefordert, als dies vom entsprechenden Bildungsplan vorgesehen ist, und diese Komponente der Untersuchung ist gleichzeitig Teil eines von Fachhochschulen und Berufsmaturitätsschulen initiierten Dialogs mit dem Ziel, für diese Diskrepanz bei Übergängen zwischen den Schulstufen Lösungen zu finden (vgl. M EIER L EU 2019). Englischunterricht an Berufsschulen 41 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0017 4. Untersuchungsdesign Das Forschungsprojekt gliedert sich in vier Bestandteile (s. Abb. 1): • eine erweiterte Befragung von Lehrkräften an Berufsfachschulen, die allgemeinbildendes und bzw. oder berufsorientiertes Englisch unterrichten; • eine Befragung von Schulleitungen an Berufsfachschulen zu den Auswahlkriterien bei der Anstellung von Englischlehrkräften; • eine Auswertung von Bildungsverordnungen, Curricula und Lehrabschlussprüfungen (vgl. P RUSSE / R OSENBERGER 2019: 146, 149); • eine statistische Auswertung der Englischkompetenzen der Lernenden beim Eintritt in die Berufsfachschule (einmalige Erhebung im September 2020) und beim Austritt aus der Berufsfachschule (konsolidierte Auswertung der Abschlüsse von 2012-2019). Dieser letzte Teil des noch nicht abgeschlossenen Projekts stützt sich für den vorliegenden Beitrag ausschließlich auf die Daten der Berufsfachschule für Wirtschaft im Kanton Zürich, an der im Rahmen der Pilotstudie eine Gruppe von Englischlehrerinnen befragt wurde. Abb. 1: Untersuchungsdesign (eigene Darstellung) Aus der Pilotstudie von 2017 stehen je vier Interviews einer großen Berufsfachschule für das Ausbildungsfeld Wirtschaft und für das Ausbildungsfeld Technik im Kanton Zürich zur Verfügung. Zusätzlich wurde 2017 die Fachvorsteherin Englisch in der Abteilung Informatik an der technischen Berufsfachschule befragt, da diese ein alternatives Verständnis und Umsetzungskonzept des Englischunterrichts darlegte. Diese neun Interviews wurden für die vorliegende Studie gezielt durch acht weitere Befragungen ergänzt. Ein Interview wurde mit einer Lehrerin einer ländlichen Berufsfachschule im Ausbildungsfeld Technik geführt, um allfällige Gemeinsamkeiten und Differenzen zur großen städtischen Berufsfachschule zu eruieren; eine Befragung einer Englischlehrerin an einer ländlichen Berufsfachschule für Wirtschaft erfolgte mit der gleichen Absicht. Da diese Lehrerin gleichzeitig als Mitglied der Schulleitung fungiert, deckt sie eine weitere Dimension der Rahmenbedingungen, der Gestaltung und des Kontexts von Englischunterricht in diesem Ausbildungsfeld ab. 42 Michael C. Prusse, Lukas Rosenberger DOI 10.2357/ FLuL-2021-0017 50 (2021) • Heft 2 Der Englischunterricht in der Berufsmaturität ist generell allgemeinbildend (SBFI 2013), die Lehrkräfte sind jedoch mehrheitlich nicht nur in der BM, sondern auch in den EFZ-Ausbildungen im Einsatz. Fünf Interviews mit Lehrerinnen in der BM, aus vier verschiedenen Schulen, erlauben es, diese Kombination auszuloten. Das Korpus der Studie umfasst somit siebzehn Leitfadeninterviews mit Lehrkräften aus acht verschiedenen Berufsfachschulen (s. Tab. 1). Art der Berufsfachschule Kanton Anzahl Interviews Lehrperson(en) für Code(s) Große kaufmännische Berufsfachschule* Zürich 5 Allg. u. Wirtschaftsenglisch WB 1 - WB 5 Kleine kaufmännische Berufsfachschule* Zürich 1 Allg. u. Wirtschaftsenglisch WB 6 Große technische Berufsfachschule Zürich 5 Technisches Englisch TB 1 - TB 5 Kleine technische Berufsfachschule Glarus 1 Technisches Englisch TB 6 Große Berufsmaturitätsschule* Zürich 2 Englisch Berufsmaturität BM 1 - BM 2 Kleine Berufsmaturitätsschule 1 Zürich 1 Englisch Berufsmaturität BM 3 Kleine Berufsmaturitätsschule 2* Zürich 1 Englisch Berufsmaturität BM 4 Private Berufsmaturitätsschule Zürich 1 Englisch Berufsmaturität BM 5 Tab. 1: Übersicht über die Leitfadeninterviews An den mit einem Stern gekennzeichneten Schulen erfolgt zudem die Überprüfung der Englischkompetenzen der neuen Lernenden im Schuljahr 2020/ 2021 mittels des Oxford Online Placement Test (OOPT 2 ). Die große Berufsfachschule für Wirtschaft setzt diese Online-Prüfung schon seit mehreren Jahren zur Selektion der Lernenden ein, die einen der Vorbereitungskurse mit beschränkter Teilnehmerzahl für ein internationales Cambridge Diplom absolvieren. Aus Sicht der Fachschaft Englisch hat sich der Test als zuverlässig erwiesen. Der OOPT besteht aus zwei Komponenten, die direkt getestet werden, nämlich Hörverstehen und Use of English. Indirekt wird auch das Leseverstehen geprüft, weil die Testteilnehmenden jeweils die Fragen und die Auswahl auf dem Computer lesen und verstehen müssen, um die korrekte Antwort zu wählen. Es handelt sich beim OOPT um einen adaptiven Test, der jeweils mit einer 2 https: / / elt.oup.com/ feature/ global/ oxford-online-placement/ (02.06.2021) Englischunterricht an Berufsschulen 43 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0017 Frage auf einem mittleren Niveau anfängt und dann aus seiner Datenbank immer schwierigere oder leichtere Fragen stellt, bis er die Sprachkompetenz der Teilnehmenden präzise eingegrenzt hat. Damit können die Englischkenntnisse nach Abschluss der Volksschule annähernd bestimmt und mit den Anforderungen der Bildungsverordnungen verglichen werden. Die produktiven Kompetenzen (Sprechen, Schreiben) werden nicht getestet und die Ergebnisse sind deshalb in Bezug auf die berufssprachliche Kompetenz nur von eingeschränkter Aussagekraft. Ein weiterer Mosaikstein in dieser Untersuchung ist die Analyse der Englischkompetenzen der Lernenden zum Zeitpunkt des Lehrabschlusses. Die Berufsfachschule Wirtschaft aus der Pilotstudie ermöglichte den Autoren den Zugang zu den gesammelten Ergebnissen der Abschlussprüfungen der vergangenen acht Jahre. Diese mehr als 10.000 Datensätze wurden statistisch ausgewertet und geben einen Einblick in die Fortschritte bei den Englischkompetenzen, welche im Verlauf der Ausbildung an der Berufsfachschule und im Betrieb erreicht werden. Die Befragung der Schulleitungen erfolgte im direkten Gespräch bei den beiden großen Schulen, die bereits an der Pilotstudie beteiligt waren, und bei weiteren, mit denen die Autoren im Rahmen des Forschungsprojekts ins Gespräch kamen. Ergänzt wurden diese Aussagen durch die Interviewten, die neben der Tätigkeit als Englischlehrkraft zusätzlich eine Funktion in der Schulleitung bekleiden. Eine Online- Umfrage bei Schulleitungsmitgliedern in der Deutschschweiz bezweckte, die Befunde aus den Interviews und die Hypothese zur professional expert fallacy aus der Pilotstudie zu verifizieren. Als Ergänzung zu dieser Umfrage wurden Stelleninserate ausgewertet, in denen Berufsfachschulen Lehrkräfte für berufsbezogenes Englisch suchten. Aus den darin geforderten Qualifikationen können ebenfalls Erkenntnisse zur Einstellungspraxis gewonnen werden. 5. Ergebnisse 5.1 Befragung der Lehrpersonen und Schulleitungen Die Perspektive der Lehrkräfte ist, wie das nicht nur M ALTRITZ (2016: 74) treffend festhält, „das zentrale Bindeglied zwischen der Forschung und der Praxis“; dieser Befund wird auch durch H ATTIE (2009) und H ELMKE (2012) bestätigt. Diese Sicht nimmt darum eine zentrale Rolle in dieser Untersuchung ein. In den Interviews wurde zunächst der Ausbildungs- und Erfahrungshintergrund der Lehrkräfte festgehalten. Die Befragten zeichnen sich über beide Ausbildungsfelder hinweg durch differente Qualifikationen und Laufbahnen aus. An den Berufsfachschulen für Wirtschaft gibt es ein fast einheitliches Profil, weshalb nicht im Detail auf die individuell bemerkenswerten Laufbahnen eingegangen wird. Summarisch sei hier festgehalten, dass alle Englischlehrerinnen ein Anglistikstudium und anschließend entweder ein Lehrdiplom für Berufsfachschulen oder für Maturitätsschulen absolvierten. Bei den Lehrerinnen in der Berufsmaturität sind die Vorgaben des Bundes zur Anerkennung der Bildungsgänge so strikt, dass hier sämtliche Interviewte ein Anglis- 44 Michael C. Prusse, Lukas Rosenberger DOI 10.2357/ FLuL-2021-0017 50 (2021) • Heft 2 tikstudium vorweisen können und, darauf aufbauend, ein Lehrdiplom für Maturitätsschulen und/ oder Berufsmaturitätsschulen. Allerdings hat diese akademische Laufbahn auch einen Nachteil, indem diese Lehrkräfte nur einen beschränkten Einblick in den beruflichen Alltag ihrer Lernenden haben. Deshalb wird in der durch den Bund erlassenen Berufsbildungsverordnung (D ER S CHWEIZERISCHE B UNDESRAT 2003: BBV, Kapitel 6, Artikel 46, Absatz 1c) verlangt, dass alle Berufsbildungsverantwortliche mindestens sechs Monate betriebliche Erfahrungen vorweisen müssen. Zudem fordert dieselbe Verordnung in Artikel 48, dass die Qualifikation von Berufsbildungsverantwortlichen eine berufspädagogische Komponente enthält. Eine Lehrerin mit einem ausländischen Masterabschluss in Anglistik, die in der Schweiz das Lehrdiplom für Berufsmaturitätsschulen erwarb (BM 5), betont, dass die Kenntnis des Berufsbildungssystems sich als unabdingbar für ihre Tätigkeit erwiesen habe, weil sie nur so den Lernenden bei Fragen mit Rat und Tat zur Seite stehen könne. Allen Lehrkräften, die in der Berufsmaturität oder an einer Wirtschaftsschule tätig sind, ist gemeinsam, dass sie in den Interviews der Arbeitstätigkeit der Lernenden großen Respekt zollen, da sich diese neben ihrer Teilnahme am Unterricht in der Berufsfachschule auch in ihrem Betrieb beruflichen und sprachlichen Kompetenzanforderungen stellen müssen (z.B. WB 5). Im Englischunterricht thematisieren sie deshalb Gespräche mit Kunden (Smalltalk) oder trainieren die Fähigkeit, über den Betrieb und die Arbeit berichten zu können (z.B. BM 3; WB 5). Die divergentesten Profile finden sich bei den sechs Lehrkräften im technischen Englisch: Hier fließen heterogene Erfahrungen und Qualifikationen zusammen, die nachfolgend kurz zusammengefasst werden. • TB 1, eine Mikro- und Meeresbiologin mit Lehrdiplom für Biologie auf der Sekundarstufe II, unterrichtet vier Lektionen Englisch bei den Laborberufen, sowohl im allgemeinbildenden als auch im berufsbezogenen Bereich. Sie hat zwar den größten Teil ihrer Studien in englischer Sprache und ein Cambridge English Examen auf Niveau C2 Proficiency absolviert, besitzt aber keine Qualifikation für den Englischunterricht. • TB 2 absolvierte ein Studium als Elektroingenieur, arbeitete im Ausland, besuchte zahlreiche Englischkurse und unterrichtet gegenwärtig eine Doppellektion technisches Englisch pro Woche. Er hat keine Ausbildung als Englischlehrer und findet dies auch nicht notwendig: „Die Qualifikation kommt nicht über ein Papier, sondern über die praktische Anwendung“. • TB 3, Laborantin mit Fähigkeitszeugnis, arbeitete für achtzehn Monate an einer Universität in den USA, bevor sie in die Schweiz zurückkehrte, wo sie an einer Universitätsklinik tätig ist. Als Nebentätigkeit unterrichtet sie zehn Lektionen Englisch, sowohl im allgemeinbildenden Bereich als auch für Laborberufe. TB 3 hat eine Lehrbefähigung als Berufsfachschullehrerin im Nebenberuf (basierend auf Kursen mit insgesamt 10 ECTS-Punkten) und ein Cambridge English Examen auf Niveau C2 Proficiency; sie weist ebenfalls keine Qualifikation für den Englischunterricht aus. Englischunterricht an Berufsschulen 45 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0017 • TB 4 ist Primarlehrer, studierte anschließend Sport und erwarb berufsbegleitend das Lehrdiplom für allgemeinbildenden Unterricht auf der Sekundarstufe II. Er schätzt an seiner Tätigkeit insbesondere die Abwechslung zwischen allgemeinbildendem Unterricht, Sport und technischem Englisch. Aufgrund eines Sabbaticals in den Vereinigten Staaten sowie einer einjährigen Tätigkeit an einer amerikanischen High School und einem Cambridge English Examen auf Niveau C1 Advanced, wurde er für den Unterricht von technischem Englisch angefragt, obwohl er weder für das Fach noch für den Englischunterricht qualifiziert ist. Er hat sich in die Materie eingearbeitet, geht sehr pragmatisch mit den Inhalten um und möchte primär erreichen, dass sich die Lernenden im betrieblichen Umfeld in der Fremdsprache verständigen können. • TB 5, Fachverantwortliche für Englisch an der Informatikabteilung der großen Berufsfachschule für Technik, hat ein Anglistikstudium und ein Lehrdiplom für Maturitätsschulen absolviert. Nach Absprachen mit ihrem Team und der Schulleitung fiel der Beschluss, in den verfügbaren Lektionen der Informatiklernenden nur auf allgemeinbildenden Englischunterricht zu setzen. Der Hauptgrund lag darin, dass die berufsbezogenen Englischlehrmittel zum Zeitpunkt der Drucklegung jeweils bereits veraltet waren und die Lernenden aufgrund der täglichen Auseinandersetzung in ihren Betrieben keinerlei Schwierigkeiten mit den technischen Begriffen hatten: „Das Fachspezifische eignen sie sich im Beruf an“. • TB 6 arbeitet an einer ländlichen Berufsfachschule. Nach einer Erstausbildung als Sekundarlehrerin mit Englisch im Profil und nach mehrjähriger Tätigkeit auf dieser Stufe qualifizierte sie sich im berufsbegleitenden Studium als Lehrerin für Allgemeinbildung an Berufsfachschulen. Dort wird sie auch primär eingesetzt; daneben unterrichtet sie auch ein kleines Pensum an Sport und in technischem Englisch. Ihr Unterricht sei „explizit auf das berufliche Lernen ausgerichtet“ und sei gemäß Bildungsverordnung der MEM-Berufe (Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie) eindeutig als Berufskundeunterricht einzuordnen. Da sie selbst nicht aus diesem Ausbildungsfeld kommt, musste sie sich das notwendige Hintergrundwissen aneignen, um Begriffe wie z.B. „Pleuelstange“ nicht nur auf Englisch, sondern auch im beruflichen Kontext ihrer Lernenden zu verstehen. Im Gegensatz zum in der Pilotstudie gezogenen Schluss kann zusammenfassend festgehalten werden, dass die Lehrkräfte im Bereich technisches Englisch oder Laborenglisch in drei Profile differenziert werden müssen. Einerseits gibt es berufliche Fachleute ohne Englischlehrdiplom, die sich aber keines Mankos bewusst sind und - das ist ohne Unterrichtsbeobachtung nicht zu überprüfen - mit den Lernenden vermutlich auch nicht wirklich an der Sprache arbeiten, sondern einfach ihr Fachwissen in englischer Sprache vermitteln (TB 1; TB 2; TB 3). Andererseits gibt es einen Lehrer (TB 4), der beruflich nicht aus dem Ausbildungsfeld kommt, pragmatisch damit umgeht und, analog zu den drei Fachpersonen, ebenfalls kein allfälliges Defizit in seinen Qua- 46 Michael C. Prusse, Lukas Rosenberger DOI 10.2357/ FLuL-2021-0017 50 (2021) • Heft 2 lifikationen feststellt. Im Gegensatz dazu steht die Lehrerin an der kleinen Schule, die den Unterricht aufgrund ihrer Vorbildung als Englischlehrerin für die Sekundarstufe I erteilen kann, die sich aber ihres fehlenden berufsbezogenen Fachwissens sehr bewusst ist (TB 6). Die professional expert fallacy erweist sich als nicht so ausgeprägt, wie aufgrund der Pilotstudie vermutet wurde. Die Rücklaufquote der Befragung von Schulleitungsmitgliedern zur Einstellungspraxis bei Lehrkräften für technisches Englisch bzw. Laborenglisch blieb bescheiden, was vermutlich auf deren große Belastung in der Pandemiesituation im Jahr 2020 zurückzuführen ist. Die Antworten können deshalb lediglich als Stichprobe gelten, die aber die in den Interviews gewonnenen Aussagen zur Qualifikation von Englischlehrkräften für technisches, Labor- oder Wirtschaftsenglisch größtenteils bestätigen. Die beigezogenen Stellenausschreibungen aus anderen Kantonen als dem Kanton Zürich suchten berufliche Fachexpert*innen mit einem Lehrdiplom für berufskundlichen Unterricht. Somit bestätigen beide in Ergänzung zugezogenen Datensätze die Erkenntnisse zu den Lehrkräften für technisches bzw. Laborenglisch: Fachenglisch wird auch in einem weiteren Umfeld an Berufsfachschulen in der deutschsprachigen Schweiz von den drei unterscheidbaren Profilen unterrichtet, die im kleinen Sample dieser Studie enthalten sind. Die im Rahmen der Pilotstudie postulierte Hypothese zur professional expert fallacy kann aufgrund dieser Erkenntnisse nicht als allgemeingültiges Konstrukt bestätigt werden; sie bewahrheitet sich nur teilweise in einem Umfeld, in dem mindestens zwei weitere Ausprägungen von berufsbezogenem Englischunterricht existieren. 5.2 Englischkompetenzen der Lernenden Die Sicht der Lernenden im Ausbildungsfeld Wirtschaft auf die Relevanz von allgemeinbildendem bzw. berufsorientiertem Englisch wurde zumindest der Tendenz nach in der Pilotstudie angedeutet (vgl. P RUSSE / R OSENBERGER 2019: 152), nämlich als allmähliche Bewegung weg von den berufsorientierten Sprachzertifikaten und hin zum vermehrten Absolvieren von allgemeinbildenden Diplomen. Aufgrund der nun verfügbaren Daten zu den Lehrabschlussprüfungen in Englisch über die letzten acht Jahre (2012-2019) kann dieser Trend bestätigt werden; nachfolgend wird zunächst die Entwicklung für die beiden Ausbildungsprofile Basis-Grundbildung (B-Profil) und Erweiterte Grundbildung (E-Profil) nachgezeichnet. Grundsätzlich haben die Lernenden der B- und E-Profile die Wahl, im Rahmen des Qualifikationsverfahrens entweder die vom kaufmännischen Verband erstellte nationale Abschlussprüfung im Fach Englisch zu absolvieren oder aber ein internationales Sprachdiplom der Universität Cambridge in allgemeinbildendem oder berufsbezogenem Englisch abzulegen. Im Zeitraum 2012-2019 haben sich im Durchschnitt knapp zwei Drittel der Lernenden im B-Profil für ein Sprachzertifikat entschieden, wobei dieser Anteil im Verlaufe der Jahre leicht zugenommen hat. Im E-Profil haben Englischunterricht an Berufsschulen 47 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0017 sich im gleichen Zeitraum jeweils durchschnittlich 84% der Lernenden für ein Sprachzertifikat anstelle der Lehrabschlussprüfung entschieden. Da die Lernenden bei den Sprachzertifikaten zusätzlich zwischen berufsorientierten und allgemeinbildenden Sprachzertifikaten wählen können, ist diese Wahl im Kontext der vorliegenden Studie von besonderem Interesse. 2012 absolvierten 96% der Lernenden im B-Profil, die mit einer internationalen Prüfung abschlossen, ein berufsorientiertes Zertifikat (Cambridge Business Preliminary), und nur 4% ein allgemeinbildendes Cambridge B2 First Certificate. 2019 hingegen wählten nur noch 80% den Abschluss in Business English, während bereits 20% ein allgemeinbildendes Sprachdiplom absolvierten, d.h. entweder ein B2 First Certificate oder sogar ein C1 Advanced. Bei den Lernenden im E-Profil ist der Trend analog, allerdings auf deutlich höherem Niveau: 2012 absolvierten 80% ein Business Preliminary und 20% entweder ein B2 First Certificate oder ein C1 Advanced; der Anteil des Business Preliminary schrumpfte bis 2019 auf 62%, während im Gegensatz dazu die allgemeinbildenden Abschlüsse bereits einen Anteil von 38% ausmachen. Die Ergebnisse legen nahe, dass die Lernenden selbst erkennen, dass fachsprachliche Konstrukte von beschränkter Nützlichkeit sind und die berufssprachlichen Anforderungen mehr allgemein-kommunikativer Natur sind. Im M-Profil (Berufsmaturität) besteht die Wahl zwischen der kantonalen Berufsmaturitätsprüfung im Fach Englisch oder einem international anerkannten Sprachdiplom. Eine überwiegende Mehrheit von durchschnittlich 98% der Lernenden im M- Profil nutzte im Zeitraum 2012-2019 die Möglichkeit, ein internationales Sprachzertifikat zu erwerben. Einer der Gründe für diesen hohen Anteil an Sprachdiplomen liegt darin, dass Ausbildungsbetriebe dazu tendieren, diese u.a. mittels monetärer Anreize zu fördern. Die Englischkompetenzen bei Lehrabschluss liegen teilweise deutlich über dem in der Bildungsverordnung festgeschriebenen Austrittsniveau (B1). Die Überprüfung der Kompetenzen der neu eingetretenen Lernenden mittels des Einstufungstests an einer großen kaufmännischen Berufsfachschule im Kanton Zürich liefert ebenfalls bemerkenswerte Ergebnisse. 60% der Lernenden im B-Profil weisen bereits zu Beginn ihrer Berufslehre die Englischkompetenzen aus, die für den Austritt vorausgesetzt werden, nur 40% liegen noch darunter (s. Tab. 2). Bei den Lernenden im E- Profil sind sogar 77% zu Beginn der Lehre bereits auf dem für den Lehrabschluss verlangten Niveau oder darüber, während nur 23% dieses noch nicht erreicht haben. Im M-Profil, also bei den Lernenden, die im Rahmen ihrer Berufsausbildung integriert auch gleich die Berufsmaturität ablegen, muss mit dem Abschluss das Niveau B2 erreicht werden. Hier haben nur 37% der Neueintretenden das geforderte Austrittsniveau noch nicht erreicht, während 45% dieses bereits mitbringen und 18% dieses Sprachniveau beim Eintritt in die Berufslehre sogar übertreffen. 48 Michael C. Prusse, Lukas Rosenberger DOI 10.2357/ FLuL-2021-0017 50 (2021) • Heft 2 Tab. 2: Sprachniveau gemäß Oxford Online Placement Test in den KV-Profilen B, E und M zum Zeitpunkt des Eintritts in die Berufslehre 6. Diskussion der Ergebnisse 6.1 Sicht der Lehrkräfte Eine Reihe von Erkenntnissen der Pilotstudie kann aufgrund der erweiterten Untersuchungsanlage weitgehend bestätigt werden; im zentralen Punkt der postulierten professional expert fallacy trifft dies allerdings nicht zu. Die Englischlehrkräfte im Ausbildungsfeld Technik bilden nicht die prognostizierte einheitliche Gruppe, deren Zustandekommen, Hintergrund und Haltungen mit der professional expert fallacy elegant erklärt werden kann. Es eröffnet sich stattdessen, wie für den Englischunterricht in der Berufsbildungsszene der Schweiz insgesamt, ein Bild von unterschiedlichen Praktiken, die zumindest teilweise auf lokalen Traditionen gründen. Unterschiedliche Interpretationen der in den Bildungsverordnungen summarisch dargelegten Inhalte von Fachenglisch oder technischem Englisch führen zu den drei in den Ergebnissen aufgeführten Profilen, die sich zwischen einem generellen technischen Englisch und einem spezifischen beruflichen Wissen auf Englisch bewegen. Grundsätzlich wäre es die Funktion einer Berufsfachschule, die Lernenden, die in ihren Betrieben ohnehin jeweils in eine individuelle Arbeitsumgebung eingebunden sind, breit auf ihre Zukunft in der Arbeitswelt vorzubereiten. Die Frage der Spezifität in den verschiedenen Berufsausbildungen bleibt eine Herausforderung. Lehrkräfte, die in ihren Klassen mehrere Berufsausbildungen vereinen (z.B. TB 4), behandeln in ihrem Unterricht allgemeine Grundlagen des technischen Englisch und erfüllen damit die Vorgabe von W IDDOWSON , wonach für gute Kommunikationsfertigkeiten am Arbeitsplatz eine generelle Fähigkeit benötigt werde, sich spezifisch entwickeln zu können, „on being contextually specific“ (2003: 71). In anderen Worten, die generelle Basis muss ausreichend sein, damit sich die Lernenden die spezifisch benötigte Fachsprache innert nützlicher Frist aneignen können. Analysen des berufsbezogenen Englischunterrichts haben zur Erkenntnis geführt, dass eine solide sprachliche Grundlage zu übertragbaren Fertigkeiten führt, die es gestatten, sich in einem neuen beruflichen Kontext rasch zurecht zu finden und die Fachsprache zu lernen (H ALL 2013; W IDDOWSON 23% 44% 33% 0% 10% 20% 30% 40% 50% < B1 B1 > B1 E-Profil (n=664) 37% 45% 18% 0% 10% 20% 30% 40% 50% < B2 B2 > B2 M-Profil (n=285) 41% 42% 18% 0% 10% 20% 30% 40% 50% < B1 B1 > B1 B-Profil (n=108) Englischunterricht an Berufsschulen 49 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0017 2003). Analog zur Ausbildung von Berufslernenden sollte auch in der Ausbildung von Lehrkräften für Berufsfachschulen die Maxime gelten, dass diese Lehrkräfte „transferable knowledge and skills“ (M ALTRITZ 2016: 265) erwerben und somit in den unterschiedlichsten Berufsfeldern erfolgreich Englischunterricht gestalten können. In einer vernetzten Welt ist berechtigterweise die Frage zu stellen, welcher Grad an Spezifität überhaupt anzustreben ist (vgl. H ALL 2013: 5). Die Berufsfachschullehrkräfte, die ihr Fachwissen auf Englisch weitergeben, müssten sich die Frage stellen, was denn nun wirklich das Spezifische an dem Englisch ist, das sie unterrichten (vgl. H UHTA et al. 2013: 34). Wenn die Spezifität von gewissen Exponenten auf die Spitze getrieben wird, muss jedoch wie bereits in der Pilotstudie darauf hingewiesen werden, dass domänenspezifische Sprache, Terminologie, Akronyme und Neologismen mehr mit der Rolle zu tun haben, die am Arbeitsplatz eingenommen wird, als mit Grundlagen des berufsorientierten Englisch (vgl. ebd.: 35; K ANKAANRANTA / L OU - HIALA -S ALMINEN 2010: 207). Schließlich verlaufen Fachdiskurse zwar durchaus unterschiedlich, aber die Grundelemente einer Diskursfähigkeit bleiben, unabhängig vom spezifischen Fachgebiet, bestehen (vgl. H UCKIN 2003: 8). Entscheidend ist nicht das zufällige Lernen, in dem die Sprache z.B. am Arbeitsplatz erweitert wird, sondern die bewusste Arbeit an der Sprache (vgl. H ULSTIJN 2013: 4). Zur gleichen Schlussfolgerung kommt auch eine Studie an Berufsschulen in Deutschland: Es ist unklar, wie Fachlehrer*innen ohne Qualifikation für den Englischunterricht „die Schülerinnen und Schüler bei der Entwicklung fremdsprachlicher Kompetenzen unterstützen können“ (M ALTRITZ 2016: 105). Die Lehrkräfte an den kaufmännischen Berufsfachschulen erwähnten mehrfach, dass sie ihre fehlenden Kenntnisse im Berufsfeld ihrer Lernenden als Manko erachteten, während dies, interessanterweise, von den meisten im technischen Ausbildungsfeld (mit Ausnahme von TB 5 und TB 6) nicht erwähnt wurde, obwohl die Qualifikationen auch bei diesen Lehrkräften nicht immer auf das Berufsfeld zugeschnitten sind. Wenn der Fokus des Unterrichts aber auf der Arbeit an der Sprache liegt, dann sind diese Defizite kein Hindernis für eine erfolgreiche Lehrtätigkeit. Entscheidend ist vielmehr die Kompetenz der Lehrer*innen im Sprachunterricht, wenn sie gleichzeitig das Interesse für die sprachlichen Nuancen der Spezialgebiete entwickeln, welche die Lernenden in ihrem beruflichen Umfeld benötigen (vgl. T RANTER 2020: 28). Im Interview mit TB 6 wurde T RANTERS Einschätzung bestätigt: Diese Lehrkraft beschreibt, wie sie sich allmählich in die Materie eingearbeitet hat und den Lernenden Möglichkeiten gibt, ihre Fachexpertise in einen englischsprachigen Kontext zu überführen. Die häufige Vergabe eines Pensums im berufsbezogenen Englisch an fachliche Expert*innen ermöglicht diesen zwar, ihr Fachwissen auf Englisch weiterzugeben; die Arbeit an der Sprache wird mit diesem Entscheid jedoch vernachlässigt mit den entsprechenden Konsequenzen für die fremdsprachliche Kompetenzentwicklung. Ob nun bei den angestoßenen Reformen der Bildungsverordnungen, insbesondere wie gerade aktuell im Ausbildungsfeld Wirtschaft, der Fokus beim Englischunterricht eher auf berufliches Wissen, das durch Fachexpert*innen auf Englisch vermittelt wird, oder aber eher auf Allgemeinbildung gelegt wird, wodurch stärker an der 50 Michael C. Prusse, Lukas Rosenberger DOI 10.2357/ FLuL-2021-0017 50 (2021) • Heft 2 Sprachkompetenzentwicklung gearbeitet wird, hängt vermutlich stark von den Intentionen der Akteur*innen im schweizerischen Berufsbildungssystem ab. Diese Entscheide sollten jedoch im Bewusstsein darüber getroffen werden, was sie bei den längerfristigen beruflichen (Weiter-)Entwicklungsmöglichkeiten der Lernenden bewirken. 6.2 Perspektive der Lernenden Eine erste Auswertung der Daten der Abschlussprüfungen Englisch im Bereich Wirtschaft gestattet folgende Feststellungen: 1. Die Lernenden kommen nach der Volksschule mit besseren Englischkompetenzen in die Berufslehre, als dies aufgrund der in den Rahmenlehrplänen geforderten Bildungsziele erwartet werden könnte. Viele verfügen bereits beim Eintritt in die Berufslehre über das geforderte Austrittsniveau. Dieser Umstand birgt die Gefahr einer Rückbeschulung, da die Schulen nur eine beschränkte Autonomie im Hinblick auf die z.T. national bzw. kantonal geregelten Qualifikationsverfahren haben. 2. Bei den Abschlussprüfungen im Bereich Wirtschaft zeigt sich ein klarer Trend in Richtung allgemeinbildende Englischdiplome; im Gegensatz dazu drängen die Organisationen der Arbeitswelt in den laufenden Reformen der Bildungsverordnungen auf betriebsnahe Handlungskompetenzen, was für das Fach Englisch gleichbedeutend ist mit rein berufsorientiertem Englischunterricht, also einer Reduktion auf Fachverständnis und Fachvokabular. Der Englischunterricht an Berufsfachschulen müsste deshalb mit Blick auf die Entwicklung der Lernenden zwei Bedingungen erfüllen: Er muss einerseits die Kompetenzen der Lernenden nach Abschluss der Volksschule aufnehmen und weiterentwickeln. Andererseits ist eine permanente Arbeit an der Sprache zwingend, damit die Lernenden vor dem Hintergrund einer zunehmend vernetzten und globalisierten Welt in der Fremdsprache breit handlungsfähig werden und bleiben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es auch bei beruflichen Kommunikationssituationen nicht nur um sprachliche, sondern immer auch um interkulturelle Kompetenzen geht (vgl. M ALTRITZ 2016: 117). 7. Schlussgedanken Das Spannungsfeld des Englischunterrichts in der Berufsbildung zwischen Allgemeinbildung und Berufsorientierung wird sich in Zukunft noch akzentuieren. Grundsätzlich ist die intensive Diskussion über Inhalte und Kompetenzen eines jeglichen Ausbildungsformats zu begrüßen, da sich Bildung immer an den Werten und Erwartungen der sich wandelnden Gesellschaft auszurichten hat. Die beiden Pole müssten allerdings keine Gegensätze sein, wie das bereits in der Pilotstudie mittels der Begriff- Englischunterricht an Berufsschulen 51 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0017 lichkeiten der learning domain (Lerngegenstand) und der exemplifying domain (exemplifizierende Domäne bzw. inhaltliche Thematik) mit Verweis auf R ENKL et al. (2009) erläutert wurde (vgl. P RUSSE / R OSENBERGER 2019: 148). Entscheidend ist die Arbeit an der Sprache, um den Lernenden Fortschritte in diesem Bereich zu ermöglichen, wohingegen der Inhalt durchaus berufsbezogen sein darf - und im Kontext der Berufsbildung auch sein soll. Der Lerngegenstand sollte demnach die Fremdsprache an sich sein, während die berufskundlichen Inhalte als exemplifizierende Domäne dienen, in der die Fremdsprache angewendet und geübt wird, also im Sinne eines fachbezogenen Sprachunterrichts (vgl. L EISEN 2020: 91). Es gilt demnach diese verschiedenen Perspektiven zu berücksichtigen, wenn man ein lebenslanges Lernen der Berufslernenden im Blick hat. Die Notwendigkeit, kontinuierlich an der Sprache zu feilen, bedingt, dass der berufsbezogene Englischunterricht von ausgebildeten Sprachlehrkräften erteilt wird, die ihre Lernenden nicht nur auf die Lehrabschlussprüfung oder auf ihr erstes berufliches Einsatzfeld vorbereiten, sondern auf eine längerfristige Berufslaufbahn. Dieser weitere Horizont sollte auch in den entsprechenden Bildungsverordnungen aufgenommen werden, damit nicht bloß Berufskunde ohne Spracharbeit unterrichtet wird. Es darf zudem für die Lernenden keine Diskrepanz geben zwischen den fremdsprachlichen Kompetenzen, die sie bereits mitbringen, und denjenigen, die für die nächsthöhere Bildungsstufe vorgegeben sind. Der Übergang zwischen den verschiedenen Stufen, von der Volksschule über die Sekundarstufe II in die Tertiärbildung, muss kohärent gestaltet sein, so dass die Lernenden mit ihren Englischkompetenzen für die Zukunft in sich wandelnden Berufsfeldern hinreichend gewappnet sind. Literatur BFS B UNDESAMT FÜR S TATISTIK (2020): Sekundarstufe II: Abschlussquote. https: / / www.bfs.admin.ch/ bfs/ de/ home/ statistiken/ bildung-wissenschaft/ bildungsindikatoren/ themen/ bildungserfolg/ abschlussquote-sekii.html (01.05.2021). D ER S CHWEIZERISCHE B UNDESRAT (2003): BBV Berufsbildungsverordnung. https: / / www.admin.ch/ opc/ de/ classified-compilation/ 20031709/ index.html#a46 (01.05.2021). H ALL , David R. (2013): „Introduction“. 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Prusse, Lukas Rosenberger DOI 10.2357/ FLuL-2021-0017 50 (2021) • Heft 2 DOI: 10.1002/ 9781405198431.wbeal0530. K ANKAANRANTA , Anne / L OUHIALA -S ALMINEN , Leena (2010): „‚English? - Oh, it’s just Work‘: A Study of BELF Users’ Perceptions“. In: English for Specific Purposes 29, 204-209. L EGUTKE , Michael K. / S CHART , Michael (2016): „Fremdsprachliche Lehrerbildungsforschung: Bilanz und Perspektiven“. In: L EGUTKE / S CHART (Hrsg.): Fremdsprachendidaktische Professionsforschung: Brennpunkt Lehrerbildung. Tübingen: Narr, 9-46. L EISEN , Josef (2020): „Methoden der Fremdsprachenförderung im Fachunterricht“. In: H ALLET , Wolfgang / K ÖNIGS , Frank G. / M ARTINEZ , Hélène (Hrsg.): Handbuch Methoden im Fremdsprachenunterricht. Hannover: Klett Kallmeyer, 89-91. M ALTRITZ , Mandy (2016): Das berufliche Selbstverständnis als Determinante des professionellen Handelns: Empirische Studie im Englischunterricht an berufsbildenden Schulen. Bielefeld: Bertelsmann. 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They are also prerequisite for professional training and several jobs, although there seems to be little empirical validation. Findings of an international research project dedicated to the analysis of audio data of oral communication in standard professional situations of the nursing profession such as reporting and hygiene instruction suggest that there is only a weak reference to the CEFR level descriptions. Professional communication rather consists of frequently repeated formulaic chunks with no clear reference to grammatical and lexical B2-level descriptions. Based on these findings, the authors suggest a replacement of the B2-level entry criteria for the field of nursing and medical professions by a successfully completed specialized training with a clear professional reference to the field. 1. Der GER-Referenzrahmen als Mittel normativer Standardsetzung Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen (GER) (E UROPARAT 2001) hat den Fremdsprachenunterricht in Europa und darüber hinaus verändert wie kein anderes Dokument der Sprachenpolitik zuvor. Für die Fremdsprache Deutsch folgte mit Profile Deutsch (G LABONIAT et al. 2005) eine sprachliche Beschreibung der Niveaustufen, die in Bezug auf die zu vermittelnden Kenntnisse zu einer normativen Grundlage von Sprachtests wurde. Von Beginn an hat sich die fachliche Kritik am GER (zuerst B AUSCH et al. 2003) auf die Tatsache konzentriert, dass weder die Kann-Beschreibungen noch grammatische oder lexikalische Anforderungen und deren Einteilung in Kompetenzstufen auf Korpora oder empirischen Daten basierte. * Korrespondenzadressen: Prof. Dr. Hermann F UNK , Friedrich-Schiller-Universität Jena, Institut für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache und Interkulturelle Studien, Leutragraben 1, 07743 J ENA . E-Mail: hermann.funk@uni-jena.de Arbeitsbereiche: Allgemeine Fremdsprachendidaktik & Methodik, Lehrwerkforschung und Materialentwicklung, berufsorientiertes Fremdsprachenlernen. Dr. Christina K UHN , Friedrich-Schiller-Universität Jena, Institut für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache und Interkulturelle Studien, Ernst-Abbe-Platz 8, 07743 J ENA . E-Mail: christina.kuhn@uni-jena.de Arbeitsbereiche: Deutsch für den Beruf, Mediendidaktik und Medienforschung, Lehrwerkforschung und Materialentwicklung. 54 Hermann Funk, Christina Kuhn DOI 10.2357/ FLuL-2021-0018 50 (2021) • Heft 2 Parallel zur Entwicklung der Test-Industrie wurde der GER rechtsverbindliche Grundlage zahlreicher Einwanderungsgesetze in Europa. Im § 9 des ersten deutschen Zuwanderungsgesetzes von 2005 (§ 43 in der aktuellen Fassung des Gesetzes von 2018) wird als Voraussetzung eines Aufenthaltstitels der erfolgreiche Abschluss eines Integrationskurses mit dem Erreichen des Niveaus B1 festgehalten, in seiner ersten Neufassung 2007 für den Ehegatt*innen-Nachzug das Niveau A1 als Voraussetzung der Visa-Erteilung genannt. Die „Deutschsprachförderverordnung“ von 2016 (BAnz AT 04.05.2016 V1) legt B2 als Abschluss-Niveau für die Spezial-Berufssprachkurse fest (vgl. B UNDESAMT FÜR M IGRATION UND F LÜCHTLINGE / IQ-F ACHSTELLE 2021: 4f.). Dabei machen die Teilnehmer*innenzahlen der Spezialkurse für Pflege- und Pflegehilfspersonal mit knapp 80% nach einer Auswertung des IB (Internationaler Bund Freier Träger der Jugend-, Sozial- und Bildungsarbeit e.V.) im Zeitraum 2015 - 2017 den weitaus größten Anteil der Spezialkurse des BAMF aus. Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) ging bereits vor der Pandemie von einem Fehlbedarf von 110.000 ausgebildeten Pflegekräften für 2025 aus. 1 Die Anwerbung ausländischer Fachkräfte wird dementsprechend auch ein Arbeitsschwerpunkt des 2021 gegründeten „Bundesamtes für auswärtige Angelegenheiten“ sein. Der rechtliche Rahmen dafür wurde im März 2020 durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz geschaffen. Die wachsende Zahl der Behörden und Organisationen, die sich der Fachkräftezuwanderung widmen, belegen die Bedeutung sprachlicher Qualifikationskurse für den Beruf sowie die individuelle Bedeutung entsprechender Sprachnachweise für Lebenswege und Berufsperspektiven der Kursteilnehmer*innen, auch und vor allem im Pflegebereich. 2. Berufliches Handeln und (fremdsprachliche) Kommunikation In kaum einem zweiten Bereich ist berufliches Handeln so fest mit Kommunikation verbunden wie in der Medizin und Pflege, denn „Pflege ist Beziehungsarbeit; ein Beruf in dem es auf eine professionelle Kommunikation ankommt“ (Z EGELIN 2018: 51). Die 92. Gesundheitsministerkonferenz (GMK) hat daher 2019 in einem Beschluss „Eckpunkte zur Überprüfung der für die Berufsausübung erforderlichen Deutschkenntnisse in den Gesundheitsfachberufen“ als verbindlich benannt (vgl. 92. Gesundheitsministerkonferenz 2019a: 2) und für einzelne Berufe differenziert. So wird für so unterschiedliche Berufe wie Physiotherapeut*innen, Masseur*innen, Podolog*innen, Notfallsanitäter*innen und Altenpfleger*innen durchgängig B2 verlangt, für Logopäd*innen sogar C2. Das Niveau B2 bedeutet laut Anlage zum Eckpunktebeschluss der Gesundheitsministerkonferenz 1 https: / / www.bundesgesundheitsministerium.de/ themen/ pflege/ pflegekraefte/ beschaeftigte.html (24.06.2021). Aktuelle Bedarfsermittlungen des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe gehen inzwischen von weit höheren Zahlen aus. Die GER-Niveaustufen als normative Zulassungskriterien 55 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0018 […] dass die betreffende Person zur selbständigen Sprachverwendung in der Lage ist. Sie kann die Hauptinhalte komplexer Texte zu konkreten und abstrakten Themen verstehen und sich im eigenen Spezialgebiet auch an Fachdiskussionen beteiligen, wenn in der Standardsprache gesprochen wird. Sie kann sich so spontan und fließend verständigen, dass ein normales Gespräch mit Muttersprachlern ohne größere Anstrengung auf beiden Seiten gut möglich ist. Sie kann sich zu einem breiten Themenspektrum klar und detailliert ausdrücken, einen Standpunkt zu einer aktuellen Frage erläutern und die Vor- und Nachteile verschiedener Möglichkeiten angeben. (92. G ESUNDHEITSMINISTERKONFERENZ 2019b: 1). Für die Altenpflege konzediert die Anlage damit implizit, dass allgemeinsprachliche B2-Kenntnisse für den Berufsalltag letztlich nicht ausreichen: Die Antragstellenden müssen dabei über die Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen, die für eine umfassende altenpflegerische Tätigkeit erforderlich sind. Sie müssen Menschen mit Unterstützungs- und Betreuungsbedarf inhaltlich einschließlich altersbedingter sprachlicher Besonderheiten verstehen und sich insbesondere so spontan und fließend verständigen können, dass sie ohne größere Anstrengung in der Lage sind, bei der umfassenden und geplanten Pflege alter Menschen einschließlich der medizinischen Diagnostik und Therapie mitzuwirken und ärztliche Verordnungen durchzuführen, alte Menschen und ihre Angehörigen und Bezugspersonen zu beraten, zu begleiten und anzuleiten, sowie die Pflege alter Menschen zu planen, durchzuführen, zu dokumentieren und zu evaluieren. In der Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen, mit Angehörigen anderer Berufe sowie Hilfspersonen müssen sie sich so klar und detailliert ausdrücken können, dass beim Mitwirken an der ärztlichen Diagnostik und Therapie sowie im arbeitsteiligen Pflegeprozess wechselseitige Missverständnisse sowie hierauf beruhende fehlerhafte Pflegehandlungen ausgeschlossen sind (92. G ESUNDHEITSMINISTERKONFERENZ 2019b: 3). Für B1 und B2 werden vom BAMF die folgenden berufsspezifischen sprachlichen Handlungen benannt: Der/ die Teilnehmende kann im Einzelnen o Pflegehandlungen schriftlich und mündlich begründen und diese darlegen, im Übergabegespräch oder einer Fallbesprechung diskutieren und strukturiert argumentieren. o eine nicht-vorstrukturierte Pflegedokumentation im Freitext verfassen. o den eigenen Standpunkt zu Behandlung und Betreuung mündlich darlegen (auch am Telefon). o gezielte Gespräche mit Patienten führen, die auf die Stimmung, Motivation oder Haltung einwirken. o Patienten, Angehörige und Auszubildende informieren, anleiten und beraten. o Pflegefachtexte und Pflegestandards lesen. o Pflegemaßnahmen schriftlich planen und begründen. o non-verbale Äußerungen eines anderen verbalisieren (BAMF/ IQ, 2021: 13). In den Bundesländern gab es allerdings auch bedingt durch den Pflegenotstand schon vor der Pandemie Probleme mit der Umsetzung. Insbesondere das für den Abschluss der Integrationskurse zu erreichende A2-Niveau war 2020 Gegenstand einer sprachenpolitischen Kontroverse (vgl. C INDARK et al. 2019). Zwar wird die mündliche Kommunikation in der o.g. Studie als besondere berufssprachliche Herausforderung beschrieben und die Bedeutung der Kommunikation im Pflegebereich immer wieder hervorgehoben (vgl. u.a. Z EGELIN 2013). Es gibt aber bisher nur wenige Untersuchun- 56 Hermann Funk, Christina Kuhn DOI 10.2357/ FLuL-2021-0018 50 (2021) • Heft 2 gen zur mündlichen Kommunikation für diesen Bereich (vgl. Haider 2010). Für die Pflege und weitere Berufsbereiche wollte deshalb das Projekt Deutsch am Arbeitsplatz (DaA) eine auf einen mündlichen Korpus gestützte Untersuchungsgrundlage schaffen. 3. Die Studie In dem Maße, in dem sich die digitalen Zugriffsmöglichkeiten entwickelt haben, erhielten auch größere Korpora mehr Aufmerksamkeit in der linguistischen und diskursanalytischen Forschung (vgl. u.a. F ELDER / M ÜLLER / V OGEL 2012). Doch während Korpora von schriftlichen Texten gut zugänglich sind 2 , ist die Datenbasis für das gesprochene Deutsch wesentlich schmaler. Das Institut für Deutsche Sprache (IDS) baut zwar derzeit mit FOLK ein Korpus auf, das Gesprächsdaten aus unterschiedlichen Lebensbereichen (z.B. Arbeit, Bildung, Freizeit, öffentliches Leben, Dienstleistungen usw.) im deutschen Sprachraum erschließt 3 , aber eine umfassende Datenbasis zur Sprache in der Arbeitswelt ist nach wie vor nicht vorhanden, u.a. weil Mitschnitte authentischer Kommunikation am Arbeitsplatz häufig z.B. von Behörden, Unternehmen oder im Pflegebereich als besonders sensibel eingestuft und deshalb abgelehnt werden, was die systematische Sammlung, Analyse und Bewertung authentischer Beispiele aus der Sprachpraxis erschwert. 3.1 Die Studiengruppe Deutsch am Arbeitsplatz (DaA) Im Projekt „Deutsch am Arbeitsplatz“ (DaA 1) konnten von 2007 bis 2009 einige Teilbereiche der mündlichen und schriftlichen Kommunikation in unterschiedlichen Branchen (u.a. Küche, Altenpflege, Materiallager, Erntetechnik, Büro, Kunststoffverarbeitung) und betrieblichen Kontexten erhoben und unter Bezugnahme auf betriebliche Organisationsstrukturen und Inhalte didaktisch analysiert werden (vgl. G RÜN - HAGE -M ONETTI 2010; G RÜNHAGE -M ONETTI / S VET 2013; K IMMELMANN / B ERG 2013; K UHN 2014). Die Ergebnisse flossen in ein Folgeprojekt zur Gestaltung von Weiterbildungsmodulen für Lehrende bzw. planendes und organisierendes Personal ein (DaA 2, 2010-2013). In beiden Projekten arbeiteten unter der Federführung des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung (DIE) und finanziert durch die Volkswagen Stiftung Expertinnen und Experten u.a. aus dem Institut für Gesprächsforschung (IGF) Mannheim, dem Institut für Auslandsgermanistik/ DaF/ DaZ der Friedrich- Schiller-Universität Jena, dem Verband Wiener Volksbildung, der VHS Arbeit und Beruf GmbH Braunschweig sowie dem Erfahrungskreis Fremdsprachen in der Wirt- 2 Vgl. u.a. das Korpusarchiv des IDS in Mannheim, http: / / www1.ids-mannheim.de/ kl/ projekte/ korpora/ archiv.html (29.03.2021). 3 Zum Forschungs- und Lehrkorpus Gesprochenes Deutsch (FOLK), http: / / agd.ids-mannheim.de/ folk. shtml (29.03.2021). Die GER-Niveaustufen als normative Zulassungskriterien 57 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0018 schaft (ERFA) in einer interdisziplinären Studiengruppe zusammen. Im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses standen die Sprachhandlungen und damit die Frage, welche konkreten Sprachereignisse (vgl. B ARKOWSKI 2010: 302) wie und mit welchen Wirkungen im Handlungsvollzug eingesetzt werden und welche berufsspezifischen Muster sich ableiten und ggfs. mit Hilfe des GER differenzieren lassen. 3.2 Datenerhebung und fachübergreifende Ergebnisse Durch die interdisziplinäre Zusammensetzung der Studiengruppe konnten Synergien zwischen unterschiedlichen Praxis- und Forschungserfahrungen und -interessen geschaffen sowie Kontakte zu Unternehmen und Pflegeeinrichtungen genutzt werden, um Daten für die kommunikative Praxis an ausgewählten betrieblichen Arbeitsplätzen unterschiedlicher Branchen und im Altenpflegebereich zu erheben. Insgesamt wurden 70 Gespräche am Arbeitsplatz als MP3-Dateien aufgezeichnet und ca. 150 schriftliche Dokumente gesammelt (E-Mails, Fotos von Aushängen, Pflegedokumentationen, etc.). 56 Gespräche und 100 Mails wurden bis zum Ende des Projektes sprachdidaktisch analysiert und Empfehlungen für die Weiterbildung formuliert. Hinzu kamen Interviews mit Führungskräften und Beschäftigten und zehn ethnographische Firmenportraits (vgl. K IMMELMANN / B ERG 2013: 89, vgl. S PRADLEY 1979). Ziel der Interviews war es auch, vertrauensvolle Kontakte aufzubauen, um Audioaufnahmen von Gesprächen durchführen und schriftliche Dokumente sammeln zu können. Mit ihrer Hilfe konnte z.B. der für alle untersuchten Branchen geltende enge Zusammenhang zwischen Arbeitsplatzkommunikation und Arbeitsorganisation (vgl. G RÜNHAGE - M ONETTI 2010; G RÜNHAGE -M ONETTI / S VET 2013) empirisch belegt werden, der kommunikative Kompetenzen der Beschäftigten auf allen Hierarchieebenen erfordert und diese damit zu einem konstitutiven Bestandteil beruflicher Handlungskompetenz macht (vgl. D EUTSCHER V OLKSHOCHSCHUL -V ERBAND / G OETHE -I NSTITUT 1995: 13f.). So erfüllen z.B. innerbetriebliche Absprachen eine zentrale Funktion, wie ein Betriebsleiter Metall stellvertretend für viele andere Arbeitsbereiche hervorhebt: „Absprechen müssen wir uns eigentlich alle untereinander, weil wir alle miteinander arbeiten und das muss alles ineinander übergehen“. In nahezu allen untersuchten Branchen und besonders im Pflegebereich kommt zudem die Orientierung an Qualitätsstandards hinzu, die Kontrolle und schriftliche Dokumentation der Arbeitsprozesse und von allen Beschäftigten selbstständiges und abgestimmtes Arbeiten verlangt, wie ein weiterer Betriebsleiter festhält: „[...] um die Arbeit verständlich zu machen, die Qualität herzustellen, Ziele zu vermitteln, Arbeitsabläufe zu gewährleisten“. Außerdem konnte gezeigt werden, dass sich - unabhängig von betrieblichen Bereichen oder Qualifikationsprofilen - u.a. durch technische Entwicklungen und damit einhergehenden Veränderungen in der Arbeitsorganisation ein laufender Qualifizierungsbedarf ergibt, der hohe Anforderungen an die Diskursfähigkeit der Beschäftigten stellt (vgl. G RÜNHAGE -M ONETTI 2010), etwa wenn es um die Teilnahme an Schulungen geht. 58 Hermann Funk, Christina Kuhn DOI 10.2357/ FLuL-2021-0018 50 (2021) • Heft 2 3.3 Hypothesen zur didaktischen Analyse Da es Projektziel war, u.a. auf einem authentischen Korpus basierende Empfehlungen zur Weiterentwicklung und Optimierung berufsbezogener Kompetenzfeststellung sowie zur Kurs- und Materialentwicklung und Lehreraus- und -weiterbildung zu formulieren, und keine linguistische Detailauswertung angestrebt war, erschien eine einfache Transkription der Audiodaten nach D RESING / P EHL (2015) basierend auf K UCKARTZ (2018) ausreichend. 4 Bezüglich des Fachwortschatzes und der fachsprachlichen Realisierungsmuster wurde im Projekt von der Hypothese ausgegangen, dass sich diese gestuft, aber doch auf allen Hierarchieebenen finden lassen - insbesondere dann, wenn sich die Beschäftigten in einem fachlichen Kommunikationskontext spezifischer sprachlicher Mittel bedienen, um eine gleichermaßen präzise wie ökonomische Verständigung zu gewährleisten (vgl. H OFFMANN 1982: 2). Durch ihre exklusive Wirkung schließt die Fachsprache dann jedoch diejenigen aus, denen die fachliche Basis fehlt und die nicht die Denk- und Mitteilungsstrukturen des Faches erschließen können (ausführlicher dazu K UHN 2007: 107). Den Überlegungen lag zudem das Modell der fachsprachlichen Schichtung von B UHLMANN / F EARNS (2000) zugrunde, das die fachlichen Kommunikationsbereiche horizontal differenziert. Auf der Vertikalen unterscheidet das Modell unterschiedliche Sprachebenen bzw. soziale Handlungsbereiche, die sich „an der sprachlichen Auswahl sowie an den pragmatischen Einsatz-Umständen fachsprachlicher Kommunikation“ (K ALVERKÄMPER 1998: 50) zeigen. D.h., dass je nach Kommunikationssituation und -partner*innen pragmatisch entschieden werden muss, wie hoch der fach(sprach)liche Spezialisierungsgrad sein kann (vgl. B UHLMANN / F EARNS 2000: 14, 2018: 27f.) bzw. in welchem Maße der Austausch fachlicher Inhalte in der Fach- oder eher in der Allgemeinsprache erfolgen kann oder muss. Es wurde von der Prämisse ausgegangen, dass die Verständigung über Inhalte letztlich zwischen Menschen erfolgt, die sich in der Arbeitswelt und darüber hinaus in unterschiedlichen sozialen Kontexten und auf sozial und fachlich unterschiedlichen Niveaus bewegen und in mehreren Sprachen kommunizieren. Die Analyse war somit (fremd)sprach(en)didaktisch ausgerichtet und sollte Situationen und Sprachhandlungen einbeziehen, um u.a. auf Basis empirischer Daten zu zeigen, „welche Ausschnitte fachlicher Kommunikation und welche sprachlichen Mittel für die Vermittlung fachlicher Inhalte und die Produktion und Rezeption von Fachtexten relevant sind“ (F LUCK 1992: 26) - und deshalb in der Planung und Ausgestaltung von Kursen, aber auch in der Material- und Testentwicklung Berücksichtigung finden sollten. Im Gegensatz zur linguistischen steht die fachdidaktische Korpusforschung noch ganz am Anfang. Die eingangs beschriebenen B2-Deskriptoren sind, wie alle Deskriptoren des GER nicht korpusbasiert und empirisch validiert, sondern im besten Fall plausible Hypothesen, deren Überprüfung Gegenstand des beschriebenen Projektes war. 4 Aus rechtlichen Gründen konnte das Korpus nicht öffentlich zugänglich gemacht werden. Die GER-Niveaustufen als normative Zulassungskriterien 59 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0018 4. Die sprachdidaktische Analyse Die Analyse erfolgte auf Basis von Profile deutsch (G LABONIAT et al. 2005). Diese Umsetzung des GER für die Einzelsprache Deutsch ordnet auf der Basis von Kann- Beschreibungen den jeweiligen Kompetenzniveaus A1 bis C2 einzelne Sprachhandlungen und die jeweils zu ihrer Realisierung benötigten sprachlichen Mittel (Grammatik, Wortschatz) zu und wird als Planungsinstrument auf zentralen didaktischen Entscheidungsebenen, von der Kursplanung bis zur Testerstellung, eingesetzt (vgl. K UHN 2009: 169-173). Mit der Benennung von Sprachhandlungen, sprachlichen Mitteln (Grammatik und Wortschatz), Textsorten und kommunikativen Strategien bot Profile deutsch die zentralen Kategorien für die didaktische Analyse des Datenmaterials. Auf der Grundlage der Transkription wurde der Versuch unternommen, Äußerungen in ihrer Funktion zu identifizieren und ihre lexikalischen und grammatischen Realisierungen den Sprachhandlungsbeschreibungen niveaustufenbezogen zuzuordnen. Die folgenden Beispiele stammen aus dem Pflegebereich, für den, wie oben beschrieben, das sprachliche Zugangsniveau B2 gesetzlich festgelegt wurde, was die Relevanz der empirischen Überprüfung dieser normativen Setzung unterstreicht. 4.1 Fachsprachliche Elemente in der Kommunikation im Pflegebereich Da Fachsprache zur präzisen und ökonomischen Weitergabe von Informationen und zur Wissensvermittlung eingesetzt wird, wurde vor allem in kollegialen Gesprächen zur Pflegeanleitung oder -übergabe ein erhöhter fachsprachlicher Anteil erwartet. Dies war aber nicht unbedingt der Fall, wie der Analyseausschnitt zur Übergabe zwischen Nachtpflege (Sprecherin A) und Tagpflege (Sprecherin B) zeigt, in der Informationen ausgetauscht bzw. Absprachen über die Pflegedurchführung getroffen werden. Text Textsorte Sprachhandlung 5 Niveau sprachliche Strukturen: Grammatik Niveau A: Diese schwarze Stelle, wie eine große Punkt. Demonstrativartikel DIESE; Vergleichspartikel WIE ? / B1 Ich hab gewaschen und geguckt, was so... schwarz aus Beschreiben A1/ A1 Perfekt, Indikativ A1/ A1 Was ist das, wie eine… Informationen erfragen A1/ A1 Vergleichspartikel WIE ? / B1 B: Mikrotisch? Auskunft geben durch Frage A2/ B2 5 Klassifikation angelehnt an Profile Deutsch 60 Hermann Funk, Christina Kuhn DOI 10.2357/ FLuL-2021-0018 50 (2021) • Heft 2 Text Textsorte Sprachhandlung 5 Niveau sprachliche Strukturen: Grammatik Niveau A: Nekrotisch, ja aber entweder... Bejahen A1/ A1 Alternativer Konjunktor ENTWEDER ? / B1 ich kann nicht sagen, das sind Hämorrhoiden oder so was. Nichtwissen ausdrücken A1/ A1 ELLIPSE [Ich kann nicht sagen, (DASS) das…]; Modalverb KÖNNEN A1/ A1 aber wenn du Zeit hast, dann kannst du gu... Von Eventuellem sprechen A1/ A2 Konditionalsatz mit WENN und DANN; Modalverb KÖNNEN B: [Name]? Informationen erfragen A1/ A1 A: [Name], ja [Name]. Auskunftsgespräch Bejahen A1/ A1 [Name] war heute ganze Nacht so laut und [Name] hat Dipiperon gegeben. Als gegeben, wahr darstellen A1/ A1 Präteritum, Indikativ; Perfekt, Indikativ A1/ A1 Und [Name] früh war auch etwas laut, aber jetzt ist beruhigt, hat sehr gut gegessen und hat siebenhundert ausgetrunken Als gegeben, wahr darstellen A1/ A1 Präteritum, Indikativ; Perfekt, Indikativ A1/ A1 Dieser Becher mit halbe Saft steht noch im Zimmer. Als gegeben, wahr darstellen A1/ A1 Demonstrativartikel DIESER; Modale Präposition MIT + Dativ; Lokale Präposition IN + Dativ (im) ? / B1 Tab. 1: Ausschnitt aus Pflegeübergabegespräch: Absprachen über Ausführung Die Analyse mit dem auf Basis von Profile deutsch erstellten Raster zeigt eine Vielzahl von Sprachhandlungen auf unterschiedlichen GER-Niveaus auf, die deutlich unter B2 verortet werden können. Die Analyse weiterer Beispiele ergab, dass in der mündlichen Unterweisung überwiegend auf handlungsregulierende Sprachhandlungen zurückgegriffen wird, die ebenso in der Allgemeinsprache eingesetzt werden, wie z.B. die Redeorganisation (auf etwas aufmerksam machen, etwas zusammenfassen, explizieren etc.), der Informationsaustausch (u.a. Fragen stellen und beantworten) oder Signale des Zuhörens geben, wie der folgende Ausschnitt aus einem Gespräch zwischen der Pflegekraft (A) und der Seniorin (B) zeigt: Die GER-Niveaustufen als normative Zulassungskriterien 61 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0018 A: Gut. Die Füßchen noch oben drauf. Den anderen auch. Voilà. Anweisung A1/ A1 Anordnen A1/ A1 Danke. So. Und jetzt einmal nach unten, gä? Ankündigung Sich bedanken; anordnen A1/ A1 Haben Sie schon Hunger? Smalltalk Informationen erfragen A1/ A1 B: Ne. Negation A1/ A1 A: Nö? Sich vergewissern A1/ B1 B: Ich habe nie Hunger. Verallgemeinern, generalisieren (nie) A1/ A2 A: Oh, das glaub ich Ihnen nicht. Das glaub ich gar nicht. Zweifel ausdrücken A1/ A1 Tab. 2: Hilfe zur Mobilisierung: Fragen stellen, Signale des Zuhörens Die Ausschnitte kommunikativer Praxis bestätigen auch für den Pflegebereich die Annahme, dass die berufsinterne mündliche Kommunikation zu einem großen Teil aus Sprachhandlungen besteht, die wenig berufsspezifisch oder fachsprachlich orientiert sind (vgl. F UNK 2010: 1149). Der Großteil der im Pflegealltag zu bewältigenden Anforderungen gehört zu den grundlegenden Formen der Kommunikation, wie z.B. die systematische Verarbeitung mündlicher und schriftlicher Informationen, die aktive Teilnahme an Gesprächen (z.B. etwas explizit machen, zusammenfassen, Fragen stellen etc.) oder der Aufbau und das Abwägen von Argumenten etc. Diese werden in der Regel bereits im Fremdsprachenunterricht auf Niveaus unterhalb von B2 vermittelt. Die Beispiele zeigen auch, dass eine spezifische Handlungssituation typischerweise Strukturen auf unterschiedlichen GER-Niveaus umfasst. Im GER bleiben zudem einige zentrale Aspekte authentischer Kommunikation, wie die Wahrnehmung und Erschließung situativer Kontexte, prosodischer Merkmale oder elliptischer Strukturen, unberücksichtigt. Eine erreichte Niveaustufe lässt zwar einerseits keine Aussagen über die tatsächliche sprachlich-kommunikative Handlungsfähigkeit am Arbeitsplatz zu, andererseits zeigt das Analyseraster aber auch, dass pflegerelevante Sprachhandlungen durchaus bereits auf den Niveaustufen A1 oder A2 realisiert werden können. In den untersuchten Ausschnitten sprachlicher Praxis trat im Bereich der (Alten)Pflege mit der ‚Beschreibung einer Tätigkeit während des Vollzugs‘ lediglich ein einziges spezifisch fachsprachliches Phänomen gehäuft auf (vgl. K UHN 2014: 233). 62 Hermann Funk, Christina Kuhn DOI 10.2357/ FLuL-2021-0018 50 (2021) • Heft 2 A: Dann geht´s weiter, gä? Ich dreh Sie mal auf die Seite, gä Herr [Name]. Stückchen rum. Und nochmal zu mir. Anweisung/ Ankündigung A1 Anordnen A1/ A1 DREHEN + Akkusativ; Lokale Präposition AUF + Akkusativ; Lokale Präposition ZU + Dativ A1/ A1 Ok. So. Kleinen Augenblick, und dann tun wir Sie raus zum Frühstück, gä? Anweisung/ Ankündigung A1 ELLIPSE [(Einen) kleinen Augenblick] A1/ A1 Kleinen Moment, gä? Tab. 3: Ausschnitt Grundpflege: Altenpflegerin kündigt Pflegehandlungen an Die Beschreibung einzelner Schritte während einer medizinischen oder pflegerischen Behandlung ist typisch für Gespräche zwischen medizinischen oder Pflegekräften und Patient*innen, wie auch andere Untersuchungen gezeigt haben (vgl. F RIEBE 2006; H AIDER 2010). Weitere berufsfeldspezifische Sprachhandlungen waren im Projekt jedoch weder für die Pflegenoch für die anderen untersuchten Bereiche eindeutig differenzierbar. 4.2 Schulungen als Bildungsmaßnahmen Da sich neben technischen Bedingungen vor allem auch die Standards in operativen, also planenden, steuernden oder überwachenden Prozessen ständig verändern, sind Anpassungsqualifizierungen und damit die Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen heute für die Mehrzahl der Beschäftigten obligatorisch. Diese finden häufig in Form von Vorträgen und Workshops, also überwiegend mündlich statt. Einige solcher Schulungen konnten in den Bereichen Hygiene und Gefahrenstoffe mitgeschnitten werden. Erwartungsgemäß stiegen die fachsprachlichen Anteile, wie der folgende Ausschnitt aus einer Hygiene-Schulung belegt 6 : Frau A. (Schulungsleiterin): „Ja, hier sind jetzt noch mal alle meldepflichtigen Krankheiten aufgelistet, eben die unter dieses Tätigkeitsverbot fallen. Also dazu gehören akute Magen- Darm-Erkrankungen, die mit Brechdurchfall einhergehen, dann die Salmonellenerkrankungen, Typhus, Paratyphus, Cholera, die Shigellenruhr, und bei der Hepatitis die Formen A und E. Bei der Hepatitis gibt es natürlich auch noch die Formen B und C. […] da liegt der Unterschied darin, dass die Formen B und C nur über Körperflüssigkeiten übertragen werden können, also über Blut zum Beispiel. Hepatitis A und E können über Husten oder Niesen […] übertragen werden. Typhus, Cholera, Shigellenruhr kommt eigentlich in unseren Breiten hier so gut wie gar nicht mehr vor.“ 6 Das Beispiel zeigt einen Ausschnitt aus der einfachen Transkription. Die GER-Niveaustufen als normative Zulassungskriterien 63 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0018 Der mündlich vorgetragene Text weist neben fachsprachlichen Strukturen und Fachwortschatz auch Merkmale schriftlicher Texte auf. Als Vortrag konzipiert, ist er zwar medial mündlich. Betrachtet man jedoch Wortwahl und Versprachlichungsstrategien, dann ist der Text eher konzeptionell schriftlich bzw. schriftsprachlich (vgl. K OCH / O ESTERREICHER 1985), d.h. er wird monologisch präsentiert, fokussiert auf ein mehr oder weniger bekanntes Thema, ist um Objektivität bemüht und findet öffentlich statt (vgl. G ÜNTHER 1997: 66). Er ist also medial mündlich, konzeptionell aber eher schriftlich formuliert. Neben Komposita und hypotaktischen Strukturen weist der Ausschnitt bereits auch z.T. die für schriftliche Fachtexte typischen Grundthemen wie 1. (Werk)Stoffe, Materialien und Produkte, 2. Arbeitsabläufe, -anweisungen, Produktionsverfahren und 3. Arbeitsmaterialien mit Aufbau und Wirkungsweise sowie die mit ihnen korrespondierenden Mitteilungsfunktionen 1. charakterisieren (beschreiben), 2. diskriminieren (unterscheiden) und 3. generalisieren (verallgemeinern, Regeln formulieren) auf (vgl. O HM / K UHN / F UNK 2007: 105-107). Die konzeptionelle Mündlichkeit ist durch dialogisch-interaktive Kommunikationsbedingungen, Vertrautheit mit Gesprächspartner*innen, Affektivität und durch einen parataktischen Stil gekennzeichnet. Die analysierten Texte, wie z.B. E-Mails, waren zwar auf medialer, aber nicht unbedingt auch auf konzeptioneller Ebene schriftlich, sondern je nach Sprachhandlung und Sprechbzw. Mitteilungsabsicht eher konzeptionell mündlich (z.B. eine Einladung zur Geburtstagfeier) oder eher konzeptionell schriftlich (z.B. eine Bitte um Verlegung des Kursraums). In den analysierten Texten stieg die konzeptionelle Schriftlichkeit, je formeller ein Schreibanlass eingeschätzt wurde. Dies wäre zwar an weiteren Texten zu überprüfen, jedoch zeigen die Beispiele, dass die Anforderungen an die sprachlichen Handlungskompetenzen der Beschäftigten neben den sprachlichen Erscheinungen besonders auch die Fähigkeit zur Beurteilung situativer Kontexte und das entsprechend zu erwartende Sprachhandeln bzw. Grade von Formalität betreffen. Beides sind Aspekte, die demnach stärker in der (berufsbezogenen) Sprachausbildung berücksichtigt werden müssten und in kommunikationsrelevanten Zusammenhängen und Abläufen, wie z.B. Szenarien (vgl. E ILERT -E BKE / S ASS 2014), trainiert werden könnten. 4.3 Fachwortschatzauswahl Die Analyse deutet auch auf einen Zusammenhang zwischen dem Anteil von Fachwortschatz (besonders Komposita, Substantivierungen von Verben, stilistische Ebene) und dem Grad der konzeptionellen Schriftlichkeit bzw. Mündlichkeit hin. Je geringer der Grad der konzeptionellen Schriftlichkeit der kommunikativen Äußerungen war, desto geringer fiel im untersuchten Korpus auch der Anteil an Fachwortschatz aus. Dies müsste allerdings in detaillierteren Analysen und auf Basis eines größeren Korpus noch genauer untersucht werden. Der Fachwortschatzanteil war auch in weiteren Mitschnitten mündlicher Äußerungen überraschend gering und oft nicht abgrenzbar von anderen Berufsfeldern. Anders als erwartet, ergaben die Daten also keine Entscheidungsgrundlage für die Fachwortschatzauswahl. 64 Hermann Funk, Christina Kuhn DOI 10.2357/ FLuL-2021-0018 50 (2021) • Heft 2 Auch wenn die Datenbasis zu schmal für umfassende Frequenzanalysen war, fielen doch einige, allerdings in allen untersuchten Arbeitsbereichen häufiger vorkommende Strukturen auf, wie z.B. der Konjunktiv II in Verbindung mit einem Modalverb bzw. die häufig verwendeten Modalverben ‚sollen‘, ‚können‘ und ‚müssen‘ - grammatische Phänomene also, die bereits auf dem Niveau A2/ B1 trainiert werden. Sie sind in der sehr oft handlungsregulierenden Funktion der Äußerungen in der Berufspraxis begründet. Die Vermittlung von Verstehen und Produktion kann bereits auf A1 durch Chunks erfolgen (vgl. E LLIS 2004; H ANDWERKER / M ADLENER 2009), also mit Hilfe ganzheitlich vermittelter, nicht-analysierter Wendungen wie z.B. ‚Ich hätte gern…‘, ‚Wir müssten mal…‘, um Wünsche zu äußern oder Vorschläge zu machen. Die von W RAY (2008) differenzierten Funktionen des Gebrauchs von Chunks sind in den o.g. Beispielen nachweisbar, u.a. „buys time for processing and provides textual bulk, organizes and signals the organization of discourse, gets the hearer to do things: manipulation of the speaker’s world, indicates the speaker’s individual identity“ (W RAY 2008: 92). W RAY gibt damit Hinweise auf didaktische Konsequenzen: Die auf Partikel- und Adverbgebrauch basierende handlungsregulierende Funktion und vor allem die dabei genutzten prosodischen Merkmale müssen bewusst gemacht und trainiert werden. Durch die einfache Audio-Transkription konnten zwar paraverbale Kommunikationsbereiche wie Intonation, Lautstärke, Sprechtempo und -rhythmus nicht systematisch betrachtet werden. Jedoch deuten einige Äußerungen auf die Unterstützung der handlungsregulierenden Funktion hin, z.B. indem durch Veränderungen in der Klangfarbe Emotionen deutlich werden oder Fragevon Aussagesätzen nur durch den Intonationsverlauf unterschieden werden (vgl. K UHN 2014: 232f.). Die Analyseergebnisse deuten auch auf die Bedeutung deiktischer Ausdrücke (z.B. lokal bzw. als Nah- oder Ferndeixis: ‚dies‘, ‚hier‘, ‚dort‘, ‚da‘, oder temporal: ‚jetzt‘, ‚gleich‘, ‚vorhin‘) in der mündlichen Kommunikation hin, mit deren Hilfe relativ häufig und oft redeverkürzend auf Personen, Gegenstände, Zeiten oder Orte Bezug genommen wird. Auf deiktische Ausdrücke und ihre kommunikativen Funktionen sollte also in Unterrichts- und vor allem Musterdialogen verstärkt eingegangen werden. 5. Konsequenzen für die Sprachförderung von Pflegepersonal Die Analyseergebnisse lassen somit einige Schlussfolgerungen in Bezug auf didaktische Konzepte zur Entwicklung beruflicher Handlungskompetenz im Pflegebereich zu. So kann z.B. das Training beruflicher Sprachhandlungskompetenz auf dem A1- Niveau beginnen und im Verlauf des Erwerbsprozesses bedarfsgerecht und handlungsorientiert einen Zuwachs fachsprachlicher Anteile erfahren, wie das Modell der gegenläufigen Pyramiden zeigt (vgl. F UNK 1999, zuletzt in P RIKOSZOVITS 2017). Grundlage der Auswahl von Sprachhandlungen sollte ihr Transferpotenzial in unterschiedliche berufliche und alltagsbezogene Bereiche sein. Ein systematisch handlungsorientiertes allgemeinsprachliches Training von Anfang an, bezogen auf unter- Die GER-Niveaustufen als normative Zulassungskriterien 65 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0018 schiedliche (berufliche, private, öffentliche oder bildungsbezogene) Lebensbereiche (vgl. E UROPARAT 2001: 52f.) erscheint damit als effektivste Form sprachlicher Berufsvorbereitung. Der folgende Auszug aus einem Interview mit einer Pflegerin zeigt exemplarisch, dass fremdsprachliches Personal auf die Besonderheiten der Sprachverwendung in speziellen beruflichen Kontexten nicht vorbereitet wird und dass das Lernen am Arbeitsplatz der Regelfall ist. A: Besonders schwer war für mich die Sprache, muss ich ganz ehrlich sagen [B: Ja.], weil ich bin hierher gekommen, ein halbes Jahr Sprachkurs gemacht, aber das war echt, echt wenig, muss man sagen [B: Mhm.]. Musst ich beno.. die Sachen beno.. von Anfang alles [B: Bei Null anfangen, ja.]. Ja, das war eigentlich so… Aber eigentlich… Ich hab das Praktikum im Krankenhaus gemacht, und dann danach eigentlich ging schon, konnt ich schon mich so mit den Leuten sprechen. Zuerst hab ich immer Angst gehabt, ach spricht mich jemand an, und dann kann ich nicht antworten, oder versteh ich nicht, was sie sagen, das war sehr [B: Mhm.] peinlich für mich, sowas. Aber jetzt eigentlich hab ich keine Angst, […brauch…] ich sprech sogar selber die Leute an. B: Ja, Sie sprechen ja auch sehr gut deutsch. A: Ja, und ich kann auch verstehen, was sie sagen alles, hab ich kein Problem [B: Mhm.] Na ja, ich weiß, es geht noch nicht so ganz, wie es muss sein, aber trotzdem… Die Datenanalyse zeigt, wie fragwürdig eine normative Setzung allgemeinsprachlicher Niveau-Anforderungen für die Bewältigung konkreter beruflicher Sprachanforderungen ist. Ein Konzept, das fachsprachliche Besonderheiten als Zusatzqualifikation zu einem abgeschlossenen Niveaustufen-Test vermittelt, kann der Bedarfslage nicht gerecht werden. Die Orientierung an Sprachhandlungen aus dem beruflichen Alltag mit einer Konzentration auf frequente Routineformeln im Bereich deiktischer und handlungsregulierender Sprechakte sollte bereits unterhalb des B2-Niveaus zu alternativen Kursdesigns führen, die handlungs- und aufgabenorientierte Szenarien zur Grundlage des berufsorientierten Kommunikationstrainings machen (vgl. E ILERT - E BKE / S ASS 2014; K UHN / S ASS 2018). Die Untersuchung konnte zudem die wichtige Rolle fachtexttypischer Grundthemen und Mitteilungsfunktionen in der schriftlichen und mündlichen Kommunikation (s. Beispiel Hygiene-Schulung) zeigen. Um die Lernenden z.B. auf die Teilnahme an unterschiedlichen Bildungs- und Qualifikationsmaßnahmen vorzubereiten, sollten ihre rezeptiven Kompetenzen deshalb mit schriftlichen und mündlichen Texten gleichermaßen gefördert werden. Die handlungsregulierende Funktion prosodischer Merkmale, die sich in der Mehrzahl der Audio-Mitschnitte zeigte, spricht für eine deutliche Ausweitung des Hörtrainings unter besonderer Berücksichtigung zentraler bedeutungstragender Prosodieverläufe. Die Berufssprache wird in der eingangs zitierten Publikation BAMF/ IQ unterteilt in Alltagssprache, Pflegejargon - gemeint sind hier wohl frequente Routineformeln - und Fachsprache (vgl. BAMF/ IQ 2021: 5f.). Die Analyse tatsächlicher Sprachhandlungen im Projekt zeigt, dass diese Dreiteilung keine zielführende Definition als 66 Hermann Funk, Christina Kuhn DOI 10.2357/ FLuL-2021-0018 50 (2021) • Heft 2 Grundlage berufssprachlicher Qualifikation ist, da sie die wesentlichen handlungsregulierenden Strukturen allgemein-beruflicher Szenarien nicht einschließt. Insgesamt ist die Datenbasis sicher zu schmal für umfassende Schlussfolgerungen in Bezug auf frequente Muster beruflicher Kommunikation. Die Projektergebnisse deuten allerdings auf eine Reihe sprachlicher Strukturen hin (z.B. Handlungsabläufe, Deixis, konzeptionelle Mündlichbzw. Schriftlichkeit), die berufsfeldübergreifend für die Abläufe beruflicher Szenarien besonders frequent sein dürften und unterstreichen damit die Bedeutung einer speziellen berufssprachlichen Vorbereitung von Migrant/ innen auf die Arbeitswelt von Anfang an anstelle einer umfassenden normativen Niveaustufenvorgabe. Literatur B ARKOWSKI , Hans (2010): „Sprachhandlung“. In: B ARKOWSKI , Hans / K RUMM , Jürgen (Hrsg.): Fachlexikon Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Tübingen, Basel: Francke, 302. B AUSCH , Karl-Richard / C HRIST , Herbert / K ÖNIGS , Frank / K RUMM , Hans-Jürgen (2003): Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen in der Diskussion. Arbeitspapiere der 22. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr. 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The aim of this article is to present an overview of vocational French teaching as a neglected part of foreign language education using the example of Baden-Württemberg. In this context, student numbers, curricular tendencies as well as various initiatives for vocationally oriented French teaching and learning are discussed as well as the suitability of different models of professional competence for foreign language teachers at vocational schools. Subsequently, potential for the development of vocational French teaching will be identified. 1. Einleitung Die Ziele von Französischunterricht beinhalten neben der Vermittlung von zielsprachlichen Kompetenzen die Entfaltung der Persönlichkeit, die Unterstützung zur Teilhabe an der (multilingualen) Gesellschaft sowie die Vorbereitung auf eine sich dynamisch ändernde Arbeitswelt. Der Stellenwert der Vorbereitung auf die Berufswelt ist bei beruflichem Französischunterricht entsprechend hoch, auch weil Frankreich mit Deutschland auf das Engste verflochten und ein wichtiger Handelspartner ist. Die Bedeutung von (beruflichem) Französisch etwa in der Grenzregion Saar-Lor-Lux oder Elsass-Baden auf der Grundlage des regionalen Sprachbedarfs (vgl. F UNK 2020) findet jedoch keine Berücksichtigung im beruflichen Französischunterricht. Besonders in der Grenzregion sollte in einer entsprechenden Qualifizierung von Lehrenden und Lernenden dem beruflichen Französisch Rechnung getragen werden. Umso erstaunlicher ist es, dass ein „leises Sterben“ dieser Fremdsprachen auf beiden Seiten des Rheins kaum bemerkt und von vielen Entscheidungsträgern hingenommen wird * Korrespondenzadressen: Dr. Elke Z APF , Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung, Regionalstelle Karlsruhe, Benzstraße 1, 76185 K ARLSRUHE . E-Mail: elke.zapf@zsl-rska.de Arbeitsbereiche: u.a. berufliches Französisch, Interkulturelle Kompetenz, Lehrkräftefortbildung. Prof. Dr. Karin V OGT , Pädagogische Hochschule Heidelberg, Institut für Fremdsprachen, Abteilung Englisch, Keplerstraße 87, 69120 H EIDELBERG . E-Mail: vogt@ph-heidelberg.de Arbeitsbereiche: u.a. berufsorientierter Fremdsprachenunterricht, Assessment, interkulturelles Lernen. 70 Elke Zapf, Karin Vogt DOI 10.2357/ FLuL-2021-0019 50 (2021) • Heft 2 (vgl. allgemein zur Situation der zweiten und dritten Fremdsprache C ASPARI 2020). Die Erwartung, dass Integrationsprozesse in Grenzregionen dazu führen, dass Lernende die entsprechende Sprache motivierter lernen, ist laut F UNK (2020) nicht automatisch berechtigt. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, zum beruflichen Französischunterricht als vernachlässigtem Teil der Fremdsprachendidaktik eine Bestandsaufnahme am Beispiel von Baden-Württemberg (BW) als Grenzregion vorzulegen und für Fremdsprachenlehrkräfte an beruflichen Schulen ein Modell von professioneller Kompetenz als Adaptation vorzuschlagen, das den Anforderungen eines Französischunterrichts an berufsbildenden Schulen gerecht wird. Es werden anschließend Entwicklungspotenziale sowie Forschungsdesiderata aufgezeigt. 2. Die Bedeutung des beruflichen Französisch Der am 22. Januar 2019 in Aachen unterzeichnete Deutsch-Französische Vertrag ergänzt den Elysée-Vertrag von 1963 und hebt die besondere Bedeutung der deutschfranzösischen Verflechtungen auf politischer, wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und kultureller Ebene hervor. Beide Verträge bekräftigen als Herzstück des europäischen Verständigungsprozesses den politischen Willen, die jeweilige Partnersprache, die Anzahl der Schüler/ innen sowie die Schaffung von deutsch-französischen Exzellenzinstrumenten für Ausbildung, Berufsbildung und Forschung zu fördern (vgl. B UNDESREPUBLIK D EUTSCHLAND / F RANZÖSISCHE R EPUBLIK 2019, Kap. 3, Art. 10). Stand 1963 die deutsch-französische Versöhnung im Zentrum, liegt der Schwerpunkt im Vertrag von 2019 darauf, dass sich beide Länder auf der Basis ihrer Freundschaft gemeinsam den aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen stellen und somit Frankreich und Deutschland fest in Europa verankert für die Zukunft gut aufstellen. Hierfür wurden bspw. ein Bürgerfonds sowie ein Zukunftswerk eingerichtet; ebenso sollen beide Volkswirtschaften derart verknüpft werden, damit ein gemeinsamer Wirtschaftsraum entsteht. Die (berufliche) Bedeutung der französischen Sprache ist vielen Nicht-Romanist/ innen, Eltern, Lehrkräften sowie Entscheidungsträgern nicht mehr bewusst. Französisch ist Arbeits- und offizielle Sprache zahlreicher internationaler Organisationen (vgl. M INISTÈRE DE L 'E UROPE ET DES A FFAIRES ÉTRANGÈRES 2019). Nach einer Projektion der internationalen Organisation der Frankophonie (Organisation internationale de la Francophonie) wird es im Jahr 2050 weltweit 700 Millionen Menschen geben, die Französisch (auch als Fremd- und Zweitsprache) sprechen (vgl. S CHMIDT / G IRARDEAU 2014). Die wirtschaftlichen deutsch-französischen Verflechtungen sind bedeutend (vgl. ebd.). So ist Frankreich beim Export innerhalb Europas Deutschlands wichtigster Handelspartner, beim Import der zweitwichtigste (vgl. S TATISTISCHES B UNDESAMT 2019). Global betrachtet steht Frankreich beim Export mit 106,8 Milliarden Euro Handelsvolumen nach den USA an zweiter Stelle, beim Import (66,1 Milliarden Euro) für Französischunterricht an beruflichen Schulen - eine Bestandsaufnahme 71 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0019 Deutschland an vierter Stelle nach China, den Niederlanden und den USA. Laut C ONNEXION E MPLOI 2020 wurden „[i]m Jahr 2019 [...] insgesamt 5 337 Filialen in Deutschland registriert, welche von französischen Unternehmen oder Institutionen gesteuert werden.“ Umgekehrt gilt: „Le tissu économique français compte 2.500 entreprises contrôlées par des investisseurs allemands, employant plus de 320.000 personnes en France“ (AHK 2020: 8). Insgesamt haben Fremdsprachenkenntnisse für das Arbeitsleben im Zuge der Internationalisierung und Globalisierung eine große Bedeutung. Im deutschsprachigen Kontext liegen nur wenige aktuelle Studien zum Fremdsprachenbedarf in Unternehmen vor (s. jedoch den Beitrag von C AI in diesem Heft). Seit Ende der 90er Jahre ist die Anzahl der Erwerbstätigen, die Fachkenntnisse im Bereich Fremdsprachen an ihrem Arbeitsplatz verwenden, kontinuierlich gestiegen. In der repräsentativen Befragung von Arbeitnehmenden geben lediglich 34,6% an, dass keine Fremdsprachenkenntnisse an ihrem Arbeitsplatz erforderlich sind (H ALL 2021). Zwar differenziert H ALL (2021) nicht nach Einzelsprachen, aber nach unterschiedlichen Berufen und Anforderungsniveaus. Je höher das Anforderungsniveau des Arbeitsplatzes, desto größer ist der Bedarf an Fremdsprachen und das erforderliche Fremdsprachenniveau am Arbeitsplatz (ebd). R OTHE / P RAKOPCHYK (2019: 41) zufolge benötigen 80 Prozent der Fachkräfte wenigstens grundlegende Fremdsprachenkenntnisse, wobei der Schwerpunkt analog zu früheren Bedarfserhebungen (z.B. S CHÖPPER -G RABE / W EIß 1998) auf dem Englischen liegt (R OTHE / P RAKOPCHYK 2019: 15). Auf berufliche Französischkenntnisse bezogen sind kaum empirische Daten verfügbar, um verlässliche Aussagen bezüglich des Fremdsprachenbedarfs von Unternehmen treffen zu können, die sich dann ggf. in der Kursplanung widerspiegeln könnten. 1 Eine weitere Überlegung zu berufsbezogener Fremdsprachendidaktik und berufsbezogenem Fremdsprachenunterricht ist die Frage nach dem Bedarf und der Vermittlung interkultureller Kompetenz (B ERTELSMANN S TIFTUNG 2006). Selbst wenn in deutsch-französischen Geschäftsbeziehungen inzwischen auch häufig auf Englisch verhandelt wird (vgl. R ÖMER et al. 2004), begegnen sich doch Menschen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund, was das Erkennen, die Reflexion und das sukzessive Beherrschen von Kommunikationsprozessen erfordert, die die Menschen befähigt, kritische Situationen gelungen zu gestalten (vgl. Z APF 2014). Dem Centre national britannique des langues (S CHMIDT 2014) zufolge verlieren 11% der kleinen und mittleren europäischen Unternehmen Aufträge wegen nicht ausreichender Fremdsprachenkenntnisse und 18% dieser Unternehmen gehen Aufträge verloren wegen mangelnder interkultureller Kompetenz. Noch immer „muss bei der Frage nach interkultureller Kompetenz im beruflichen Schulwesen auf andere Disziplinen rekurriert werden“ (Z APF 2009: 65). In Verbindung mit der fehlenden empirischen Basis zu beruflichem Französischunterricht und einer kaum existierenden beruflichen Fremd- 1 Vgl. jedoch R ÖMER et al. (2004) zum Fremdsprachenbedarf in Großunternehmen in Deutschland und Frankreich, die die Dominanz des Englischen bestätigen. 72 Elke Zapf, Karin Vogt DOI 10.2357/ FLuL-2021-0019 50 (2021) • Heft 2 sprachendidaktik deutet dies auf eine Lücke in der Forschung (vgl. L ÜSEBRINK 2005: 67) und in der schulischen Praxis. In Ermangelung einer berufsbezogenen Fremdsprachendidaktik (vgl. schon S CHÖPPER -G RAB / W EIß 1998: 272) bieten vor allem die allgemeine Fremdsprachendidaktik und die Berufsbildungsforschung inhaltliche Bezugspunkte. Speziell in den Grenzregionen entsteht aufgrund der engen Verflechtungen auf regionaler Ebene ein Bedarf an berufsorientierter Fremdsprachenkompetenz in Französisch sowie an interkultureller Kompetenz. Bezogen auf die Grenzregion von BW spielen die deutsch-französischen Beziehungen in wirtschaftlicher Hinsicht eine besondere Rolle. Täglich pendeln ca. 46.000 Personen aus dem Elsass ins Badische zur Arbeit; aus dem Badischen ins Elsass sind es ca. 2000 Personen (vgl. L INK 2019). Die besondere Verbundenheit von BW mit Frankreich findet ihren Niederschlag in der Partnerschafts-Konzeption Baden-Württemberg und Frankreich (hernach Partnerschafts-Konzeption), die neben anderen Maßnahmen für das Französischlernen und die berufliche Bildung nach Auskunft des Staatsministeriums Maßnahmen speziell für berufliche Schulen vorsieht. Hierzu zählen die Konzeption und Umsetzung einer altersgerechten Image-Kampagne (2020/ 21), die das Interesse von Schüler/ innen am Erlernen der französischen Sprache wecken, sie auf entsprechende Angebote hinweisen und ihnen und ihren Eltern bei der Entscheidungsfindung zur Fremdsprachenwahl unterstützen soll. Weiterhin wird der Austausch von Schüler/ innen des beruflichen Schulwesens aufgrund des Deutsch-Französischen Abkommens vom 05. Februar 1980 befördert. Mittel- und langfristig soll die grenzüberschreitende berufliche Bildung und Weiterentwicklung des Modellprojekts „Azubi-BacPro“ weiter gefördert werden mit dem Ziel, verstärkt gemeinsamen integrativen Unterricht und einen zeitlich umfassenderen Austausch inkl. Betriebspraktika und interkultureller Qualifizierung anzubieten (s. Abschnitt 3.2). Durch die seitens der Landesregierung vorangetriebene Partnerschafts-Konzeption mit einem Schwerpunkt auf dem beruflichen Französisch sind Entwicklungschancen für den beruflichen Französischunterricht gegeben. 3. Französischunterricht an beruflichen Schulen 3.1 Überblick am Beispiel von Baden-Württemberg Die institutionalisierte (berufliche) Bildung an staatlichen beruflichen Schulen ist gekennzeichnet durch unterschiedliche Bezeichnungen der vielfältigen Bildungsgänge. Berufliche Schulen bieten eine Fülle von Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten und sind keineswegs gleichzusetzen mit der (Teilzeit)Berufsschule als einem wichtigen, aber nicht alleinigem Teil (P AHL 2012). Neben vollzeitschulischer Berufsvorbereitung, Berufsgrund- und -ausbildung bietet das berufliche Schulwesen zahlreiche qualifizierende allgemeinbildende Schulabschlüsse vom Hauptschulabschluss über das Abitur (vgl. M INISTERIUM FÜR K ULTUS , J UGEND UND S PORT BW 2018) bis Französischunterricht an beruflichen Schulen - eine Bestandsaufnahme 73 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0019 hin zu Master-Abschlüssen (Bachelor / Master Professional; vgl. B UNDESMINISTE - RIUM FÜR B ILDUNG UND F ORSCHUNG 2020) an. Mehr als die Hälfte der Hochschulzugangsberechtigungen wird an beruflichen Schulen erworben (S TATISTISCHES L ANDESAMT BW 2020). In Baden-Württemberg wird Französischunterricht im beruflichen Schulwesen in zahlreichen Bildungsgängen erteilt, an Berufsschulen (als schulischem Teil der dualen Ausbildung) als Wahlpflichtfach mit max. zwei Wochenstunden, an beruflichen Gymnasien als zweite Fremdsprache, fortgeführte Fremdsprache (mit Zielniveau B2) oder neu einsetzende Fremdsprache (Zielniveau B1), an Berufsoberschulen, die als vollzeitschulischer Bildungsgang zur Hochschulreife mit Französisch als zweiter oder dritter Fremdsprache führt, und am kaufmännischen Berufskolleg etwa, das Bildungsgänge für Lernende mit abgeschlossener Berufsausbildung anbietet, als zweite Fremdsprache alternativ zu Spanisch. Grundsätzlich gibt es ein breites Spektrum an Angeboten für Französischunterricht im beruflichen Schulwesen in BW. Die Schüler/ innenzahlen sprechen jedoch eine andere Sprache. Während im Schuljahr 2015/ 2016 in BW 424.404 Schüler/ innen die unterschiedlichen Bildungsgänge der beruflichen Schule besuchten 2 , war es bezogen auf das Schuljahr 2018/ 2019 mit 11.500 Schüler/ innen nur ein Bruchteil der Schüler/ innen, die Französisch an beruflichen Schulen lernten. Verglichen mit 2013/ 2014 (18.500 Lernende) sind die Zahlen sogar um 38% rückläufig. Der dramatische Rückgang der Schüler/ innenzahlen ist erkennbar im Vergleich zu den Zahlen für Spanisch am beruflichen Gymnasium: Im Schuljahr 2018/ 2019 lernten in der Eingangsklasse 11 in BW nur ca. 3.400 Schüler/ innen Französisch im Vergleich zu ca. 10.100 Spanischlernenden (ebd.). Die Zahlen machen die besorgniserregende Entwicklung des beruflichen Französischunterrichts deutlich, wobei sie nicht nur auf BW bezogen ist. Diese Entwicklung steht diametral entgegengesetzt zu der Vielzahl der politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen mit Frankreich. 3.2 Curriculare Tendenzen und Programme zur Förderung des beruflichen Französisch in BW Die exemplarische Analyse der Bildungspläne für Französisch für die Berufsschule, das berufliche Gymnasium und das Berufskolleg Fremdsprachen in BW ergibt, dass die Arbeitswelt zumindest im fortgeschrittenen Französischunterricht berücksichtigt wird. In der kaufmännischen Berufsschule sollen sich die Lerninhalte an fremdsprachlich relevanten Situationen der Arbeitswelt der Auszubildenden richten (M INISTE - RIUM FÜR J UGEND , K ULTUS UND S PORT BW 2000). Jedoch sind die Bildungspläne in der Berufsschule mehr als zwanzig Jahre alt (M INISTERIUM FÜR J UGEND , K ULTUS UND S PORT BW 1996, 2000) und können weder aktuelle fremdsprachendidaktische Diskurse berücksichtigen noch relevante Entwicklungen in Wirtschaft und Technik auf- 2 Laut S TATISTISCHES L ANDESAMT BW (2017) fielen hiervon 16% auf berufliche Gymnasien. Den weitaus größeren Anteil nehmen berufliche Schulen ein; D ESTATIS (2020) weist für das Schuljahr 2019/ 20 in BW die Zahl von 392.843 Schüler/ innen aus. 74 Elke Zapf, Karin Vogt DOI 10.2357/ FLuL-2021-0019 50 (2021) • Heft 2 greifen. Zudem spielt der Bereich der interkulturellen Kompetenz keine Rolle. Die Möglichkeit für Lernende der Berufsschule, eine zusätzliche Prüfung für das berufsbezogene KMK-Zertifikat abzulegen (Ó D ÚILL 2007), ist positiv festzuhalten. In den Bildungsplänen der beruflichen Gymnasien ab Klasse 8 in BW ab Schuljahr 2021/ 2022 sind für die Fachrichtung Wirtschaft die Themenbereiche Arbeitswelt und interkulturelle Kompetenz explizit erwähnt und ausdifferenziert, so z.B. kommunikative Bewältigung von Situationen im Beruf, Schul- und Ausbildungssysteme in Deutschland und Frankreich im Vergleich (M INISTERIUM FÜR K ULTUS , J UGEND UND S PORT BW 2021). Für die Oberstufe (12./ 13. Klasse) werden in der Fachrichtung Wirtschaft volks- und betriebswirtschaftliche Zusammenhänge wie die Bedeutung des Tourismus für die französische Wirtschaft aufgeführt oder Strukturen von Unternehmen in Frankreich. Interkulturelle Kompetenz ist als Ziel vorgesehen mit einer Progression von soziokulturellem Orientierungswissen bis zu komplexen Lernzielen die Lösung von interkulturellen Konflikten betreffend, aber nicht explizit für berufliche Settings. Der Bildungsplan Französisch für das Berufskolleg Fremdsprachen (M INISTERIUM FÜR J UGEND , K ULTUS UND S PORT BW 2009) deckt berufsbezogene Bereiche wie Handelskorrespondenz sowie interkulturelle Kompetenz ab. Die Lernenden legen den schriftlichen Teil des berufsbezogenen KMK-Zertifikates auf B1-Niveau ab. Innovativ ist in diesem Bildungsgang der Schulversuch „Internationale Wirtschaftskompetenz“, in dessen Rahmen Lernende das Fach „Interkulturelle Kompetenz“ belegen, Wirtschaftsenglisch sowie (Wirtschafts-)Französisch lernen und mittels einer Prüfung sowohl die Fachhochschulreife erlangen als auch den Abschluss des/ der Wirtschaftsassistenten/ -in erwerben. 3 Bundesweit als Novum, werden (seit 2018/ 2019) berufliche, fremdsprachliche und interkulturelle Anteile in dem Bildungsgang integriert. Neben beruflich orientierten Inhalten des Französischunterrichts an beruflichen Schulen in BW existiert eine Reihe von Programmen, die das berufsorientierte Fremdsprachenlernen befördern sollen. Das Deutsch-Französische Jugendwerk (DFJW) bietet für das berufliche Schulwesen aufgelegte Programme an mit mehr als 10.000 Teilnehmenden an berufsbezogenen Austauschen in verschiedenen Ausprägungen (OFAJ/ DFJW 2018: 3), als bi- oder trilaterale Austausche zwischen Einrichtungen der beruflichen Bildung, Drittortbegegnungen mit beruflichem Projekt oder als Einzelmaßnahmen zur Aneignung von (berufsbezogenen) sprachlichen Kompetenzen und Berufserfahrung. Pro-Tandem als ehemaliges Deutsch-Französisches Sekretariat hat mittels eines Angebotes an Gruppen- und Individualaustauschen für unterschiedliche Zielgruppen (Jugendliche, Lehrkräfte, Ausbilder/ innen) der beruflichen Bildung das Ziel, die Mobilität in der beruflichen Bildung zwischen Deutschland und Frankreich zu fördern (P RO T ANDEM o.J.). 3 Interkulturelle Kompetenz wird in dieser Schulart nicht in der Fremdsprache unterrichtet. Die berufsbezogenen Beispiele beziehen sich jedoch vornehmlich auf das Land, mit dem die jeweilige Schule ein Partnerschaftsprogramm unterhält. Insgesamt deckt der Bildungsplan eine grundlegende interkulturelle Qualifizierung sowie eine länderbezogene interkulturelle Qualifizierung ab. Französischunterricht an beruflichen Schulen - eine Bestandsaufnahme 75 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0019 Außer dem DELF/ DALF-Zertifikat (berufsorientierte Form als DELFpro für A1 - B2, vgl. I NSTITUT FRANÇAIS 2021) hat sich in Deutschland das KMK-Fremdsprachenzertifikat zur Bescheinigung berufsbezogener Fremdsprachenkenntnisse für verschiedene berufliche Bereiche etabliert. Das KMK-Zertifikat wird in BW auch in Französisch für die Sprachniveaus A2 und B1 angeboten. Der Name Azubi-BacPro setzt sich aus den Wörtern Azubi für „Auszubildende“ und „Baccalauréat Professionel“ (berufliches Abitur), zusammen. In dem seit 2014 in BW und den Akademien Elsass, Dijon und Lyon durchgeführten Modellprojekt erhalten Jugendliche neben der Ausbildung die Möglichkeit, ein in beiden Ländern anerkanntes Zertifikat zu erwerben. In BW besteht zudem die Möglichkeit, dass auch Schüler/ innen des Berufskollegs Fremdsprachen mit der Zweitsprache Französisch daran teilnehmen. In dieser Zusatzqualifikation werden für internationale Bildung relevante Kompetenzen gezielt und gemeinsam vermittelt (vgl. W ILKENS 2019): Fachkompetenz, Berufsbezogene Fremdsprachenkompetenz, Interkulturelle Kompetenz und Berufserfahrung im Rahmen eines Praktikums im jeweiligen Partnerland. In BW können die Fremdsprachenkompetenzen über die KMK-Prüfung zertifiziert werden. Für Interkulturelle Kompetenz hat ein deutsch-französisches Fachteam einen Bildungsplan entwickelt und führt in gemeinsamen Fortbildungen mit französischen und deutschen Lehrkräften entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen durch 4 mit dem Ziel der Etablierung grenzüberschreitender Maßnahmen gegen die Jugendarbeitslosigkeit und für die Ausbildung von Fachkräften. Das Ziel, Azubi-BacPro im Rahmen der Partnerschafts-Konzeption weiterzuentwickeln (Näheres bei P LUMECOQ 2020), verdeutlicht den Stellenwert des Modellprojektes. Das Euregio-Zertifikat (E UREGIO -Z ERTIFIKAT 2021) bietet Auszubildenden die Möglichkeit, im Rahmen eines vierwöchigen Praktikums berufliche Erfahrungen in einem Partnerland in der Grenzregion des Oberrheins zu sammeln. Neben den offiziellen Programmen und Zertifizierungsmöglichkeiten gibt es zahlreiche Einzelinitiativen von Schulen, Lehrkräften, Schüler/ innen sowie Schulleitungen, z.B. Lehrkräfte, die an der Partnerschule wechselseitig Fach- oder Sprachunterricht übernehmen, Schülerpraktika in Eigeninitiative oder gemeinsame Projekte in der Beruflichen Bildung von Schulen in BW und der Nachbarregion. Trotz dieser Initiativen verringert sich die Attraktivität von Französisch als Fremdsprache im beruflichen Schulwesen, was sich in zurückgehenden Zahlen der Französischlernenden ausdrückt. Die Gründe dafür sind komplex, die Konsequenzen jedoch offensichtlich. Sinkende Schüler/ innenzahlen resultieren in der Notwendigkeit, Kurse jahrgangs- oder schulübergreifend zusammenzulegen, was u.U. eine noch größere Heterogenität der Kurse bedingt und mit größerem organisatorischem Aufwand einhergeht. Wenn aber bspw. Nullanfänger/ innen mit Lernenden, die bereits vier Jahre Französischunterricht absolviert haben, gemeinsam unterrichtet werden, ist der Auf- 4 Dieser Bildungsplan wurde als Grundlage genommen, überarbeitet und wird seit dem Schuljahr 2018/ 19 im Berufskolleg Fremdsprachen eingesetzt und in einer mehrmoduligen Qualifizierungsreihe für Lehrkräfte im Rahmen von Fortbildungen multipliziert. 76 Elke Zapf, Karin Vogt DOI 10.2357/ FLuL-2021-0019 50 (2021) • Heft 2 bau von notwendigen Kompetenzniveaus erschwert, was das Fach in Bezug auf den Lernertrag verglichen mit anderen Fächern unattraktiver macht und sprachliche Anschlüsse auf hohem Niveau erschweren könnte. Sinkende Lernendenzahlen in Französisch bedeuten einen reduzierten Bedarf an Französischlehrkräften, was sich in der Bereitschaft niederschlagen könnte, Französischlehrkraft an beruflichen Schulen zu werden. Sichtbar ist diese Entwicklung bereits jetzt an den Zahlen der Lehramtsanwärter/ innen Französisch für das berufliche Schulwesen z.B. im Regierungspräsidium Stuttgart, die sich seit fünf Jahren im unteren einstelligen Bereich (1-3) bewegen. In zwei Jahrgängen gab es gar keine Lehramtsanwärter/ innen für Französisch an berufsbildenden Schulen (Andrea K NUPFER , Seminar für Ausbildung und Fortbildung der Lehrkräfte Berufliche Schulen, persönliche Kommunikation). In plötzlich entstehenden Bedarfen wird häufig auf Lehrkräfte für das allgemeinbildende Schulwesen rekurriert, die die Komplexität der beruflichen Schulen sowie die Erfordernisse der beruflichen Arbeitswelt erst kennenlernen müssen. Dabei stellt das Kompetenzprofil von beruflichen Fremdsprachenlehrkräften besondere Anforderungen an die Aus- und Weiterbildung dieser Zielgruppe, wie im folgenden Abschnitt dargelegt ist. 4. Französischlehrkräfte im beruflichen Bereich - eine Annäherung an ein Kompetenzprofil Die professionelle Kompetenz von Fremdsprachenlehrkräften ist zentral, insbesondere im beruflichen Bereich, in dem das Spannungsfeld von sprachlicher und beruflicher Kompetenz prägend ist. Die Lehrenden werden als Spezialist/ innen für fremdsprachliche Kompetenzentwicklung (s. auch den Beitrag von P RUSSE / R OSENBERGER in diesem Heft) wahrgenommen, jedoch stellt die Vermittlung von fachsprachlichen bzw. berufsorientierten Elementen in berufsbezogenem Fremdsprachenunterricht weitergehende Anforderungen an sie. Eine Lehrkraft braucht zugleich Fach- und Sprachkenntnisse (D LASKA / K REKELER 2009: 121), nicht immer jedoch fühlen sich Lehrkräfte, die etwa mit der Fakultas für die allgemeinbildende Schule in beruflichen Schulen unterrichten, für den Fachfremdsprachenunterricht ausreichend kompetent und lehnen diesen daher ab, während er bei Lernenden, die sich auf eine Berufstätigkeit in der Fremdsprache vorbereiten, auf eine hohe Akzeptanz stößt (ebd.). Professionelle Kompetenz ist prinzipiell erlernbar und mit der Frage nach professioneller Identität von Französischlehrkräften in der beruflichen Schule verbunden. Im weiteren Verlauf sollen Modelle zur professionellen Kompetenz von Lehrkräften analysiert werden in Hinblick auf Fremdsprachenlehrkräfte im beruflichen Schulwesen. In dem aktuell in der Lehrerbildungsforschung etablierten Modell der professionellen Kompetenz von Lehrkräften wirken die Bereiche Professionswissen, Überzeugungen, motivationale Orientierungen und selbstregulative Fähigkeiten zusammen (COACTIV-Modell nach B AUMERT / K UNTER 2006, zu fachspezifischem Professionswissen vgl. K RAUSS et al. 2017). Das Modell professioneller Handlungskompetenz integriert, angelehnt an S HULMANS (1986) PCK-Modell, das Professionswissen mit Französischunterricht an beruflichen Schulen - eine Bestandsaufnahme 77 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0019 den Bereichen Fachwissen i.S.v. fachlichem Hintergrundwissen auf hohem Niveau (vgl. B AUMERT / K UNTER 2006), fachdidaktisches Wissen als „Wissen darüber, wie fachliche Inhalte im Unterricht vermittelt werden können“ (K UNTER / P OHLMANN 2015: 265) sowie pädagogisches Wissen über die Schaffung und Optimierung von Lehr-Lern-Situationen auf der Basis von entwicklungspsychologischem und pädagogisch-psychologischem Grundwissen (vgl. ebd.). Hinzu kommen Überzeugungen als individuelle, auch wertende Annahmen von Lehrkräften bezogen auf die Mikro-, Meso- und Makroebene. Der multidimensionale Kernaspekt der Motivation (ebd.) umfasst stabile, für Lehrkräfte handlungsleitende Motive. Professionelle Selbstregulation als dritter Bereich ist die Fähigkeit zum angemessenen Umgang mit herausfordernden Situationen mit dem Ziel einer dauerhaften beruflichen Leistungsfähigkeit. Trotz der Relevanz der überfachlichen Komponenten auch für Fremdsprachenlehrkräfte ist der Bereich des Fachwissens als Teil des Professionswissens differenzierter zu sehen. Der Bereich der Fachkompetenz müsste wegen der Doppelfunktion von Fremdsprache als Medium und Gegenstand des Unterrichts das fachliche Hintergrundwissen in (fremd)sprachliches Wissen bzw. Kompetenzen sowie fremdsprachenbezogene fachliche Inhalte differenziert werden, auch interkulturelle Kompetenz ist hier notwendig als fachliches Wissen (vgl. Z APF 2009, 2014). Für Fremdsprachenlehrkräfte im beruflichen Bereich kommen bei den sprachlichen Kompetenzen die fachsprachlichen bzw. berufsbezogenen Fremdsprachenkompetenzen hinzu, und in die fachlichen Inhalte müssen auch berufsfachliche Inhalte je nach beruflicher Fachrichtung integriert werden. Bereits an dieser Stelle wird deutlich, dass es zahlreiche Überschneidungen in diesem Modell gibt, und dass die Komponenten nicht trennscharf genug sind. Besonders die im beruflichen Bereich relevante Notwendigkeit der ständigen Professionalisierung wegen der dynamischen Veränderungen in der jeweiligen beruflichen Fachrichtung ist in dem Modell von B AUMERT und K UNTER (2006) nicht abgebildet. Das von B LEICHENBACHER et al. (2019) in einem ECML-Projekt ausgearbeitete Kompetenzmodell ( Abb. 1, S. 78) für unterschiedliche Kontexte von Fremdsprachenlernen und -lehren entspricht in größerem Maße den Anforderungen an Fremdsprachenlehrkräfte im beruflichen Schulwesen. Basierend auf aktuellen fremdsprachendidaktischen Konzepten wie der Handlungs- und Aufgabenorientierung, die auch kompatibel sind mit den Ansätzen der Berufsbildung, wurden existierende Kompetenzraster auch speziell für Fremdsprachenlehrkräfte identifiziert und kategorisiert, aus denen sich acht Bereiche ergeben: 78 Elke Zapf, Karin Vogt DOI 10.2357/ FLuL-2021-0019 50 (2021) • Heft 2 Abb. 1: Kompetenzmodell nach B LEICHENBACHER et al. (2019: 10) Das Kompetenzmodell besteht aus zwei übergeordneten Bereichen, professionelle Werte und Prinzipien (1) sowie Möglichkeiten der professionellen Weiterentwicklung, wobei letzteres keinen Kompetenzbereich im engeren Sinne darstellt, sprachlich-kommunikative Kompetenzen (2) sowie IT-Kompetenzen (3) werden vielmehr als transversale Kompetenzen aufgefasst. Zu den sprachlich-kommunikativen Kompetenzen werden neben rein zielsprachlichen Kompetenzen auch Aspekte der Mehrsprachigkeit wie Interkomprehension, Mediation etc. subsumiert. Die verbleibenden vier Kompetenzbereiche sind Metalinguistische, metadiskursive und metakulturelle Kompetenzen (4), Lehrkompetenzen (5), Kompetenzen zur Kooperation (6) und Kompetenzen für Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften (7). Die „Meta“kompetenzen beziehen sich auf bewusstseinsbezogene Aspekte von Sprache(n), Sprachgebrauch und Kultur und sind relevant für alle Lehrkräfte, für Fremdsprachenlehrkräfte jedoch sind sie Teil ihrer fachlichen Kernkompetenzen (vgl. B LEICHENBACHER et al. 2019: 15). Die bewusstseinsbezogenen Kompetenzen stellen eine wesentliche spezifisch fremdsprachendidaktische Komponente dar, die effektiv die besonderen Voraussetzungen für Fremdsprachenlehrkräfte abbilden. Lehrkompetenzen kommen einerseits S HULMANS (1986) pädagogischem Wissen nahe und sind andererseits fremdsprachendidaktisch fokussiert. Die formative und summative Beurteilung von fremdsprachlicher Leistung nimmt einen großen Raum ein, was auf die Kongruenz von Lernen, Lehren und Beurteilen hinweist. Die Kompetenzen zur Kooperation mit allen am Lehr-/ Lernprozess Beteiligten verdeutlichen die wichtige Rolle von Teamarbeit mit anderen Lehrkräften, in multibzw. interprofessionellen Teams sowie der Zusammenarbeit mit Eltern und Bildungsbehörden, im beruflichen Bereich auch Unternehmen. Ein adäquates Modell von professioneller Kompetenz von Fremdsprachenlehr- Französischunterricht an beruflichen Schulen - eine Bestandsaufnahme 79 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0019 kräften für berufliche Schulen integriert Anforderungen auf der allgemeinsprachlichen und der fachsprachlich-berufsbezogenen Ebene, denn allgemeine kommunikative Kompetenzen werden vervollständigt von sprachlichen Kompetenzen in beruflichen Situationen, die mehr oder weniger fachsprachliche Kompetenzen erfordern. Der berufliche Französischunterricht kann ein „Lernort sein, in dem spezifische soziokulturelle und damit interkulturelle Kompetenz auf [die] frankophone[n] Kultur[en] bezogen vermittelt werden kann“ (Z APF 2014: 169f.), zeigt die Wichtigkeit interkultureller Kompetenz, abgebildet im Modell von B LEICHENBACHER et al. (2019). Durch die sich im beruflichen Bereich schnell ändernden Fachinhalte ergeben sich dynamische Fortbildungsbedarfe, was im Modell in den Möglichkeiten zur professionellen Weiterbildung (8) berücksichtigt ist. Insbesondere für fremdsprachliche Lehrkräfte an beruflichen Schulen ist eine ausgeprägte Professionskompetenz wichtig, u.a. damit eine positive Prägung ihrer beruflichen Identität erfolgen kann und sich diese Lehrkräfte als kompetent erleben können. Im folgenden Abschnitt werden Entwicklungspotenziale sowie Forschungsdesiderata für den beruflichen Französischunterricht dargelegt. 5. Entwicklungspotenziale und Forschungsdesiderata: Ausblick Ausgehend vom Beispiel BWs wurde die Situation des Französischunterrichts an beruflichen Schulen dargelegt, die trotz vielfältiger Initiativen, um dessen Attraktivität zu steigern, als prekär bezeichnet werden muss. Die Bedeutung des Französischen ist trotz der Dominanz des Englischen durch die vielfältigen Verflechtungen zwischen Deutschland und Frankreich unumstritten, insbesondere in Grenzregionen. Um den besonderen Anforderungen des beruflichen Französischunterrichts mit dem Ziel der Ausbildung von allgemeinsprachlichen und berufssprachlichen Kompetenzen auf einem berufsfachlichen Hintergrund sowie interkultureller Kompetenzen gerecht zu werden, braucht es u.a. ein entsprechendes Anforderungsprofil der Fremdsprachenlehrkräfte an beruflichen Schulen. Die Komponenten der fachsprachlich-berufsbezogenen Sprachkompetenzen, des berufsfachlichen Hintergrundwissens und der auf berufliche Settings bezogenen interkulturellen Kompetenz treten zu den Kompetenzen von Fremdsprachenlehrkräften im allgemeinbildenden Französischunterricht hinzu und sind im Kompetenzmodell von B LEICHENBACHER et al. (2019) dargestellt. Zwischen dem (idealisierenden) Kompetenzmodell, den beruflichen Anforderungen und der Realität gibt es aktuell jedoch eine Diskrepanz, die es zu beheben gilt, die jedoch auch zu verminderten beruflichen Erfahrungen führt. So führt die Abschaffung des verpflichtenden Berufspraktikums im Vorbereitungsdienst in BW und die weniger nachgefragte Möglichkeit der Betriebspraktika für Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen in den Sommerferien zu einem reduzierten Kontakt mit der Berufswelt. Mangelnde Berufserfahrung von Lehrkräften könnte wiederum darin resultieren, dass das Anforderungsprofil für Französischlehrkräfte an berufsbildenden Schulen nicht ausreichend erfüllt werden kann. Auch auf die erforderliche Vielfalt und das fachlich 80 Elke Zapf, Karin Vogt DOI 10.2357/ FLuL-2021-0019 50 (2021) • Heft 2 anspruchsvolle Niveau von Fort- und Weiterbildungen der Lehrkräfte kann dies Auswirkungen haben. Daraus ergibt sich u.U. ein Legitimationsproblem des beruflichen Französischunterrichts, denn das besondere Profil dieser Form von Fremdsprachenunterricht wird schlicht übersehen und führt evtl. zu mangelnder Attraktivität bei den Lernenden. Dabei gibt es zahlreiche Anknüpfungspunkte für eine geschärfte Profilierung. Die Schülerschaft an berufsbildenden Schulen ist durch die zahlreihen unterschiedlichen Bildungsgänge divers, was positiv nutzbar ist als Ressource für die Vielfalt im Berufsleben, auf das die berufsbildenden Schulen vorbereiten sollen. Die im Abschnitt 2 aufgeführten Programme und Initiativen stehen für unterschiedliche Bildungsgänge und Zielgruppen zur Verfügung, müssen aber an Bekanntheit gewinnen und breit nutzbar sein, mit dem Ziel der Attraktivitätssteigerung des beruflichen Französischunterrichts z.B. durch eine Austauschkomponente mit Unternehmen. Die didaktisch-methodischen Zugänge betreffend ist die berufliche Anwendungsorientierung (vgl. V OGT 2011) maßgeblich, auch schon für berufsvorbereitenden Fremdsprachenunterricht. Zielsprachliche Situationen im beruflichen Fremdsprachenunterricht sind eng mit der beruflichen Praxis verknüpft und bieten ein großes Potenzial für authentisches berufliches Fremdsprachenlernen. Wenn sie eingebettet sind in aufgabenorientierte Zugänge, sind selbst komplexe Kompetenzaufgaben möglich durch multimodale Hilfen und die situative Einbettung der Sprache in den konkreten beruflichen Kontext, der lernfördernd wirkt. Auch das seit langem in der beruflichen Bildung angewandte Prinzip der Handlungsorientierung steht in Einklang mit dem Prinzip der Handlungsorientierung des Europarats (E UROPARAT 2020), ebenso wie dem Mehrsprachigkeitsansatz. Interkomprehensionsdidaktische Zugänge werden bereits in der Praxis des beruflichen Französischunterrichts eingesetzt mit dem Ziel, die sprachlichen Ressourcen der Lernenden, inkl. Herkunftssprachen, als Potenzial für das Französischlernen einzusetzen, was eine große Chance für das berufliche Fremdsprachenlernen darstellt, aber noch systematischer zum Einsatz kommen sollte. Lehrkräfte müssen in diesen didaktisch-methodischen wie anderen Bereichen die Möglichkeit erhalten, sich in vielfältiger Form zu professionalisieren, von informellem Lernen über soziale Netzwerke oder MOOCs bis hin zur Möglichkeit des Absolvierens von Praktika (außerhalb der Ferienzeiten). Auf die zu erreichenden Kompetenzniveaus bezogen ist eine realistische Sicht der erzielbaren Sprachniveaus wichtig und eine Möglichkeit zur Ausbildung von fremdsprachlichen Kompetenzprofilen, bei deren Ausbildung aber das Kommunizieren auf der Beziehungsebene im Vordergrund steht (wenn auch „nur“ auf Niveau A2 oder B1), das maßgeblich ist für eine spätere Geschäftsbeziehung, auch unter Berücksichtigung der interpersonalen und interkulturellen Aspekte. Auf pragmatischer Ebene bedeutet das ein Zulassen von kleinen Gruppengrößen, ein Zusammenlegen von Kursen zur Ermöglichung von kontinuierlicher Kompetenzentwicklung etwa auf der Kursstufe, um dem politischen Willen zu Mehrsprachigkeit Taten folgen zu lassen. Die Forschungslage im Bereich des beruflichen Französischunterrichts kann als desolat bezeichnet werden. Es gibt nur wenige Erkenntnisse zum Fremdsprachen- Französischunterricht an beruflichen Schulen - eine Bestandsaufnahme 81 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0019 unterricht oder zu dessen Akteur/ innen im beruflichen Schulwesen. Das ist teilweise begründet in der universitären Stellenstruktur der französischen Fachdidaktik, rührt aber auch von einer mangelnden Bearbeitung von „praktisch“ orientierten Themen der beruflichen Fremdsprachendidaktik. Es wäre sicher lohnenswert, mehr Berührungspunkte von Fremdsprachenunterricht an beruflichen Schulen und der Fremdsprachenforschung zu identifizieren und ihnen empirisch nachzugehen, damit entscheidende Parameter von beruflichem Französischlehren und -lernen besser verstanden und analysiert werden können, um die Attraktivität dieses wichtigen Bereichs von Fremdsprachenunterricht zu steigern. Literatur AHK (= LA C HAMBRE DE C OMMERCE ET D 'I NDUSTRIE FRANCO - ALLEMANDE ) / E RNST & Y OUNG (2020): Les entreprises allemandes en France. 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In: Französisch heute 45.4, 169- 177. 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0020 A NDREA D AASE * Berufssprachliche kommunikative Handlungskompetenz in der Zweitsprache Deutsch: Befähigung und Beschränkung aus Sicht von Lernenden Abstract. This article outlines, compares and critically discusses prevailing understandings of professional language competence and its sedimentation in current concepts of German as a second language for the workplace. It becomes clear that a reified view of language and thus a shortening of the complex process of second language acquisition as well as the conditions of language use in the search for work and at the workplace in migration societies can be discerned. Subsequently, these learning conditions are contrasted with views of learners from selected qualitative data. This points to an understanding of language as social practice, which is briefly outlined before examples of good practice are presented. 1. Einleitung Erwachsene, die Deutsch als Zweitsprache (DaZ) für den Beruf lernen, werden von Anfang an in ihrem Sprachaneignungsprozess damit konfrontiert, dass ihre Deutschkenntnisse - nicht selten ungefragt und häufig auch unautorisiert - von außen produktorientiert begutachtet werden, was zudem in der Regel im Vergleich mit monolingualen L1-Sprechenden des Deutschen geschieht. Ihre Subjektivität wird dabei nicht wahrgenommen, verschwindet gewissermaßen hinter der Sprache, bei der es zum einen alleine um das Deutsche, zum anderen in erster Linie um ihre Funktion für die berufliche Handlungskompetenz im Sinne der reibungslosen Aufrechterhaltung betrieblicher Prozesse geht. Auch in Konzepten und Curricula der entsprechenden Kurse geht es einzig um die Sprache, spezifiziert als Berufssprache und deren möglichst korrekte Beherrschung auf Basis der Erwartungen von außen. Die lernenden Subjekte in ihrem historisch-biographischen Gewordensein und mit ihren daraus resultierenden Bedürfnissen wie auch Machtaspekte, die in die Bewertung von Zweit- * Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Andrea D AASE , Universität Bremen, Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaften, Universitäts-Boulevard 13, 28359 B REMEN . E-Mail: adaase@uni-bremen.de Arbeitsbereiche: Migrationsbedingte Mehrsprachigkeit und Deutsch als Zweitsprache im Kontext von Schule, Ausbildung und Beruf; Soziokulturelle Theorien der Zweitsprachaneignung, Professionalisierung von Fachlehrkräften in Deutsch als Zweitsprache. 86 Andrea Daase DOI 10.2357/ FLuL-2021-0020 50 (2021) • Heft 2 sprachkenntnissen unweigerlich einfließen, werden in entsprechenden Konzepten komplett ausgeblendet. In diesem Beitrag wird anhand ausgewählter Datenauszüge veranschaulicht, dass Lernende zwar durchaus an den oben genannten Inhalten und Zielen interessiert sind, diese rein auf dem produktbezogenen Bedarf basierende Konzipierung von Kursen aber der Komplexität der Aneignung des Deutschen als Zweitsprache für den Beruf nicht gerecht wird bzw. sich für den Prozess sogar als kontraproduktiv erweisen kann. Zudem wird deutlich, dass Sprache als soziale Praxis verstanden werden muss und Konzepte und Curricula darauf reagieren müssen. Basierend auf diesen Erkenntnissen werden exemplarisch Anpassungen und Ergänzungen bzw. Alternativen für klassische Unterrichtssettings aufgezeigt. 2. Berufssprachkurse - eine kurze Genese Trotz der späten offiziellen Anerkennung Deutschlands als Einwanderungsland haben Angebote zur Aneignung des Deutschen als Zweitsprache für den Beruf eine lange Tradition (vgl. D AASE 2018a: 64-70). Während erste Angebote in den 1960er Jahren - entstanden aufgrund sprachlicher und daraus resultierender arbeitsorganisatorischer Probleme an den Arbeitsplätzen - zunächst fern jeglicher Curriculumsplanungen und festgeschriebener Sprachniveaus bedarfs- und handlungsorientiert - auf die jeweilige Situation vor Ort abstellten und auch genau dort, also in den Betrieben, stattfanden, erfolgte durch die Arbeit des Sprachverbandes ab 1974 eine sukzessive fachliche und fachdidaktische Entwicklung und Professionalisierung (vgl. S ZABLEWSKI 1976). Die Entwicklung und Veröffentlichung des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GeR) zur Jahrtausendwende veränderte auch das Angebot der berufsbezogenen DaZ-Kurse insofern nachhaltig, als sie hinsichtlich ihres Sprachniveaus vergleichbarer wurden und - sofern die Nachfrage vor Ort es zuließ - die Einteilung sprachniveauhomogenerer Gruppen unterstützte. Diese Entwicklung fiel in Deutschland - und vergleichbar in anderen europäischen Ländern - mit der Diskussion über ausreichende Deutschkenntnisse für die Integration (und später auch Zuwanderung aus Drittstaaten) zusammen. So entwickelte sich ein Sprachkurssystem, in dem allgemeinsprachliche Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 für die sogenannte gesellschaftliche Integration (s.u.) auch als Grundlage für die Aneignung berufssprachlicher Kenntnisse angesehen wurden, obwohl bisherige Erfahrungen dem widersprachen und empirische Untersuchungen die Schwierigkeit der Graduierung authentischer Kommunikation im Beruf und am Arbeitsplatz hervorgehoben haben (vgl. u.a. K UHN 2014). 1 Nachdem berufsbezogene Kurse viele Jahre von der Arbeitsverwaltung und dem Europäischen Sozialfonds (ESF) projektbezogen und zwischen 2009 und 2017 in einem eigenen Programm finanziert wurden, wurden die sogenannten Berufssprachkurse 2016 in die nationale Finanzierung überführt und in das Gesamtpro- 1 Siehe den Beitrag von F UNK und K UHN in diesem Heft (S. 53-68). Berufssprachliche kommunikative Handlungskompetenz in der Zweitsprache Deutsch 87 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0020 gramm Sprache eingegliedert. Der Förderumfang wurde quantitativ erweitert, die Angebotspalette hinsichtlich der Berufsfelder wie auch der Niveaus diversifiziert und durch Konzepte und die 2020 eingeführte Lehrkräftequalifizierung für die Berufssprachkurse qualitativ neu ausgerichtet. Allerdings wurden auch die als Qualitätsmerkmal erachteten Praktika abgeschafft, womit der für den Sprachaneignungsprozess so wichtige Lernort Arbeitsplatz nicht mehr genutzt werden kann; zudem wurden Abschlussprüfungen verpflichtend, die aber bis dato für die meisten Konzepte noch nicht existieren. Die zurzeit eingesetzten Sprachtests weisen damit kein Alignment zu den Konzepten auf, so dass teaching to the test, welches aufgrund der Wichtigkeit der Testergebnisse für den Zugang zu Beruf und Arbeitsmarkt (high-stakes tests) nachvollziehbar ist, die Konzepte unterlaufen und damit hinfällig machen. Die Verdinglichung von Sprache im gesellschafts-politischen Diskurs „Integration durch Sprache“ als einseitige sprachliche Anpassung der eingewanderten Menschen und nicht als eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, der spätestens seit der Diskussion um das sog. Zuwanderungsgesetz und der Einführung der Integrationskurse Anfang der Jahrtausendwende seine Wirkmächtigkeit entfaltet, sedimentiert sich somit naturgemäß auch in den Kursen, die dem Ausbau der Deutschkenntnisse zur Ausübung einer beruflichen Tätigkeit dienen: Zum Teil allgemein bezogen auf Berufstätigkeit, zum Teil für bestimmte Berufssparten und auf verschiedenen Niveaus soll eine wie auch immer geartete „Berufssprache“ (u.a. BAMF 2018: 12) erworben und deren Beherrschen durch Prüfungen belegt werden. Ziel ist, die Lernenden allgemein für den Arbeitsmarkt oder für die jeweiligen Berufsfelder sprachlich-kommunikativ handlungsfähig bzw. -kompetent 2 werden zu lassen. Im Folgenden wird daher auf den Begriff der berufssprachlichen Handlungskompetenz und seine Implikationen eingegangen. 3. Berufliche Handlungskompetenz in der Zweitsprache Deutsch In der beruflichen Bildung wird (berufliche) Handlungskompetenz nach der KMK (2018: 15) definiert als Fähigkeit und Bereitschaft von Individuen, „sich in beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen sachgerecht durchdacht sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten“. Operationalisiert wird sie durch die Dimensionen Fachkompetenz, Selbstkompetenz und Sozialkompetenz, zu denen Methodenkompetenz, Lernkompetenz und kommunikative Kompetenz querliegen bzw. Teilkompetenzen aller Dimensionen darstellen und sich durch deren Entwicklung entfalten sollen. In allen Dimensionen und Teilkompetenzen wird Kompetenz sowohl als Fähigkeit als auch als Bereitschaft verstanden (vgl. ebd.). In ihrer Dimensionierung stellt Handlungskompetenz somit eine individuelle Voraussetzung für Handeln dar (vgl. D ILGER / S LOANE 2012: 32). Durch die Ausformulierung kompetenzbasierter Ziele innerhalb einzelner Lernfelder kommen konkrete Anforderungen in beruflichen 2 Beide Begriffe werden in den Konzepten verwendet (u.a. BAMF 2018: 11, 12, 14). 88 Andrea Daase DOI 10.2357/ FLuL-2021-0020 50 (2021) • Heft 2 Anwendungskontexten in den Blick und damit eine eher performanzbezogene Sichtweise (vgl. ebd.: 33). Neben der beruflichen Handlungskompetenz als individuelle Voraussetzung und bezogen auf situative Anforderungen weisen D ILGER und S LOANE (2012: 35) auf einen dritten Zugang hin, der sich durch die Aufnahme der Phasen der vollständigen Handlung in den KMK-Handreichungen ab 2011 ergibt: „Offen bleibt jedoch, wie diese drei Zugänge zueinander in Relation gebracht werden können, da sie jeweils aus einer anderen Perspektive und nach jeweils anderen Strukturmustern die Kompetenzen beschreiben.“ (ebd.) In der Sprachwissenschaft wurde ausgehend von C HOMSKY Kompetenz zunächst als allgemeine Sprachfähigkeit oder (unbewusstes) Sprachwissen im Gegensatz zur Performanz, der situativen Sprachverwendung, verstanden. Das heutige Verständnis der kommunikativen Kompetenz hat sich vor allem ausgehend von H YMES entwickelt, der an C HOMSKYS Verständnis von Kompetenz den fehlenden Einbezug soziokultureller Merkmale durch die Konzentration auf ideale Sprecher*innen-Hör*innen in idealen und damit abstrahierten Kommunikationssituationen und homogenen Sprecher*innengemeinschaften kritisierte (vgl. H YMES 1972: 269, 271). Spätestens die kommunikative Wende in der Fremdsprachendidaktik der amtlich deutschsprachigen Länder führte zu einem Verständnis, welches den Kommunikationsabsichten und Rollen der Gesprächspartner*innen eine höhere Bedeutung als der Korrektheit zuwies (vgl. P IEPHO 1974: 16) und eine Orientierung an den Lernenden sowie eine anwendungsbezogene Gestaltung der Unterrichtsprozesse nach sich zog (vgl. K UHN 2007: 47). Nach dem GeR, der trotz aller Kritik (vgl. B ÄRENFÄNGER et al. 2019) seit seiner Einführung zur Jahrtausendwende zum „wirkmächtigste[n] sprachenpolitische[n] Dokument der letzten Jahrzehnte“ (ebd.: 7) wurde und mit dem Begleitband 2018 eine Überarbeitung erfahren hat, benötigen wir zur Umsetzung kommunikativer Absichten sowohl allgemeine Kompetenzen (deklaratives Wissen, Fertigkeiten und prozedurales Wissen, persönlichkeitsbezogene Kompetenz, Lernfähigkeit) als auch spezifisch sprachbezogene kommunikative Kompetenzen im engeren Sinn (linguistische, soziolinguistische, pragmatische Kompetenzen), die zusammen mit Aktivitäten und Strategien in den vier Modi der Kommunikation die allgemeine Sprachbeherrschung ausmachen (vgl. E UROPARAT 2020: 38). Ebenso wie im Verständnis der KMK wird Kompetenz in der Fremd- und Zweitsprachendidaktik als individuelle Voraussetzung verstanden, die sich Lernende aufgrund (zukünftig zu erwartender) situativer Anforderungen aneignen müssen - obwohl sie sowohl explizites als auch implizites Wissen beinhaltet und situationsbedingt ist. Auch hier wird von einem mehrdimensionalen Verständnis ausgegangen, in dem unterschiedliche Arten von Wissen und Können miteinander interagieren, so dass sich kommunikative Kompetenz „erst in diesem mehrdimensionalen Zusammenspiel entfalten kann“ und „eine ganzheitliche und damit unteilbare Grundkategorie dar[stellt]“, woraus geschlossen werden kann, „dass die separate Entwicklung […], etwa nur für den beruflichen oder nur für den privaten Bereich, nicht möglich ist“ (K UHN 2007: 44). Aufgrund der Genese der berufsbezogenen Deutschkursangebote steht im Ver- Berufssprachliche kommunikative Handlungskompetenz in der Zweitsprache Deutsch 89 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0020 ständnis beruflicher Handlungskompetenz für nach Deutschland migrierte Menschen, die sich im Erwachsenenalter die Zweitsprache Deutsch aneignen, vor allem die sprachliche und in diesem Fall ausschließlich die deutschsprachige Kompetenz im Fokus. Neben dem dargestellten Diskurs „Integration durch Sprache“, in den diese Angebote eingebettet sind, hängt dies sicher aber auch damit zusammen, dass insbesondere die Spezialmodule dieser Kurse, die sich auf den Ausbau der Deutschkenntnisse in ausgewählten Berufsbereichen bzw. für ausgewählte Berufe beziehen (z.B. Deutsch für Mediziner*innen, nicht-akademische Gesundheitsberufe, für den gewerblich-technischen Bereich etc.) in erster Linie an Menschen richten, welche durch entsprechende Ausbildungen im Heimatland bereits über die jeweiligen beruflichen Kompetenzen verfügen. Jedoch heißt es dazu im Konzept für das Spezialmodul Gewerbe-Technik (und analog dazu ebenfalls in Konzepten für andere Berufe): Die Teilnahme am Spezialmodul „Gewerbe-Technik“ ist ein Schritt hin zum Auf- und Ausbau einer berufsfachlichen kommunikativen Handlungskompetenz am Arbeitsplatz, bei der die Fachlichkeit und die Sprachlichkeit nicht voneinander entkoppelt, sondern ineinandergreifend vermittelt werden. Ausgehend von dem für dieses Spezialmodul vorausgesetzten Deutschsprachniveau B1 des GER wird grundsätzlich ein Kompetenzzuwachs oberhalb von B1 und damit der Aus- und Aufbau einer selbstständigen Sprachverwendung angestrebt. Ein Lernzuwachs im Spezialmodul wird insbesondere daran gemessen, ob spezifische sprachlich-kommunikative Anforderungen und Aufgaben am Arbeitsplatz oder in einer beruflichen Qualifizierung bewältigt werden können. (BAMF 2018: 11) Die in solchen Kursen zu vermittelnde kommunikative Handlungskompetenz bezieht sich also auf das berufsfachliche Handeln in einem bestimmten Bereich. Auch wenn hier zunächst eine analytische Trennung von Fachlichkeit und Sprachlichkeit vorgenommen wird, so wird doch die verzahnte Vermittlung hervorgehoben, als die sprachliche Vermittlung an bestimmten berufsfachlichen Inhalten erfolgt, indem die Bewältigung „authentische[r] berufstypische[r] Kommunikationssituationen“ und deren Bewältigung im Mittelpunkt steht (ebd.: 14). Analog den bereits dargestellten Verständnissen wird also auch hier zum einen von (deutsch)sprachlichen Voraussetzungen des einzelnen Individuums und zum anderen von kommunikativen Anforderungen bestimmter beruflicher Situationen ausgegangen, an die sich das Individuum anpassen und dafür die notwendigen (deutsch)sprachlichen Teilkompetenzen bereits mitbringen, sich diese also vor der Konfrontation mit der Situation angeeignet haben muss. Um den Lernenden die notwendige berufssprachliche kommunikative Kompetenz in einer - von der in diesem Verständnis so wichtigen - Berufssituation isolierten Unterrichtssituation, zu vermitteln, werden in sprachliche Teilfähigkeiten operationalisierte Kompetenzen als Kann-Beschreibungen abgeleitet, wie sie dem kompetenzorientierten Verständnis des GeR und seinem pragmatischen Ansatz entsprechen. Die beruflichen Situationen mit ihren durch Hierarchie- und Machtgefälle konstituierten Beziehungen zwischen den Akteur*innen können dabei naturgemäß nur annähernd simuliert werden. Belegt wird die berufssprachliche kommunikative Handlungskompetenz allerdings nicht in einem Setting, in dem in beruflichen Situationen mit anderen (zumindest annäherungsweise) kommunikativ gehandelt wird, wie dies zum Bei- 90 Andrea Daase DOI 10.2357/ FLuL-2021-0020 50 (2021) • Heft 2 spiel im Rahmen von Szenarien möglich ist (vgl. E ILERT -E BKE 2016) 3 , sondern Sprachkompetenz muss auf einem vorgeschriebenen Niveau nach dem GeR mittels einer standardisierten Sprachprüfung (s. Abschnitt 2) nachgewiesen werden, dann gilt die für das entsprechende Berufsfeld erforderliche sprachlich-kommunikative Handlungskompetenz als angeeignet. Inwiefern sich die Menschen selbst als handlungsfähig erleben und was sie ihres Erachtens dafür brauchen bzw. auch einbringen können, spielt im Gesamtprogramm Sprache des BAMF keine Rolle. Die kompetenzorientierte Ausrichtung der berufssprachlichen Angebote fügt sich in die generelle Konjunktur des Kompetenzbegriffs, wie er nicht nur in der beruflichen, sondern auch in der allgemeinen und der Hochschulbildung, der Arbeitsmarktpolitik und eben der sprachlichen Bildung vorzufinden ist. Sie alle eint, dass sie (berufssprachliche kommunikative) Kompetenz alleine bis vorwiegend in den Lernenden verorten, welche sich diese aneignen müssen, bevor sie Zugang zum Feld und dessen sprachlich-kommunikativen Praktiken erhalten. Diese Sichtweise verweist auf ein Verständnis der Menschen als cartesianisches Subjekt, welches der Gesellschaft gegenübersteht, und der Lernenden, das diese in erster Linie auf ihre Identität als Lernende des Deutschen reduziert. Trotz eines dezidiert handlungsorientierten Sprachverständnisses werden die Subjektivitäten der Akteur*innen wie auch Macht- und Hierarchieaspekte nicht ausreichend einbezogen. Im Folgenden sollen nun zunächst exemplarisch Sichtweisen von Lernenden zu sprachlich-kommunikativen Handlungskompetenz für den Beruf und ihre Aneignung dargestellt werden. Sie verweisen auf ein Verständnis von Sprache als sozialer Praxis, welches im Anschluss als Ausgangspunkt für ein Verständnis von berufssprachlicher Handlungskompetenz und ihrer Aneignung als Subjektivierungsprozess umrissen wird. 4. Die Sicht von Lernenden auf berufssprachliche Kompetenzen und ihre Aneignung Im Folgenden wird ein kursorischer Blick auf unterschiedliche Daten (Gruppendiskussion, narrative Interviews und Protokolle aus Sprachcoaching-Sitzungen) 4 zur emischen Perspektive von Lernenden aus dem Bereich Deutsch als Zweitsprache für den Beruf geworfen. Auf die Darstellung der Datenerhebung und -auswertung wird verzichtet und diesbezüglich auf frühere Texte verwiesen (vgl. u.a. D AASE 2018a; 2018b; D AASE / F ALKENSTERN 2020), da es in diesem Text um die Veranschaulichung gemeinsamer Momente in der Sicht der Lernenden geht, die in den gesellschaftlichen, 3 Siehe dazu auch Abschnitt 6. 4 Die Erzählpersonen waren zum jeweiligen Zeitpunkt der Erhebung in unterschiedlicher Art mit der Aneignung des Deutschen für den Beruf beschäftigt, über das sie mindestens auf dem Niveau B2 verfügten. Alle hatten eine Berufsausbildung oder ein Studium im Heimatland abgeschlossen bzw. die Schule mit dem Abitur beendet. Berufssprachliche kommunikative Handlungskompetenz in der Zweitsprache Deutsch 91 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0020 politischen, fachdidaktischen und curricularen Diskussionen zu wenig bis keine Aufmerksamkeit erhalten. Die daher anekdotisch anmutende Darstellung ergibt sich hier aus der Darstellungslogik und entspricht nicht der Forschungslogik. Die Zitate dienen einzig dazu, die Wahrnehmungen der Lernenden exemplarisch zu verdeutlichen. Durchgehend wird deutlich, dass Zweitsprachenlernende sich vor allem in der Abwesenheit ihrer Handlungsfähigkeit und -macht oder agency erleben. Häufig wird die agency im Heimatland mit ihrem Nichtwissen und der darauf bezogenen Handlungsunfähigkeit in Deutschland kontrastiert und eine dadurch erfolgende Entfremdung der eigenen Subjektivität zur Darstellung gebracht (vgl. D AASE 2018a). 4.1 Sprache im Sinne muttersprachlicher Kompetenz als Zugangs- und Zugehörigkeitsbarriere „Die Sprache“ wird von Lernenden immer wieder als Barriere bei ihren Wunsch nach beruflicher Integration, also einem ihren Qualifikationen entsprechenden Arbeitsplatz genannt. Dabei überdecke das Merkmal, Zweitsprachensprecher*in zu sein, andere individuelle Ressourcen wie Berufs- und Bildungsabschlüsse oder Arbeits- und Lernmotivation. Die Lernenden erleben stattdessen, keinen Zugang zu einer Arbeitstätigkeit, die der eigenen Qualifikation entspricht, zu erhalten und stattdessen die „niedrigsten“ Arbeiten angeboten zu bekommen. Das Problem der herrschenden Arbeitsmarktpolitik besteht darin, dass Arbeitslose im SGB II-Bezug verpflichtet sind Jobangebote anzunehmen, auch wenn diese unter den im Heimatland erworbenen beruflichen Qualifikationen liegen. Dies ist in der Wahrnehmung und Erfahrung der Lernenden der Weg in die De-Qualifizierung, aus dem es kaum noch die Möglichkeit gibt umzukehren: „das ist ENde danach meines berUFliche LEben, dieses ERSTE job am lager ist ENDE meiner beruflichen karriere.“ Der Eintritt in den erlernten Beruf wiederum bleibt mit dem Verweis auf unzureichende Deutschkenntnisse verwehrt, die wiederum in den angebotenen Kursen nicht immer bedarfsgerecht für den jeweiligen Job auszubauen sind. Auch wenn man sich in einem Arbeitsverhältnis befindet, bleibt die Kategorisierung wirkmächtig: aber das bleibt IMMER so, ich glaube unser leben lang (.) wir können nicht deutsch sprechen wie eine muttersprachler […]. und dann, es gibt immer problem (.) EGAL wie gut wir sprechen, es gibt IMMER chance zu verbessern\ und dann das geht leben lang und immer hören wir zu/ (.), dass (.) wenn zum beispiel ich gehe in eine firma ich mache alles gut wenn es gibt KEINE anderes grund die firma sagt ja ihr DEUtsch ist so (.) und es ist immer ein grund zum okAY tschüss Damit wird auf die potentiell ausschließende Dichotomie von Muttersprachler*innen - einerseits gleichgesetzt mit vermeintlich perfekten Deutschkompetenzen, die sich Individuen aneignen können, andererseits auf eine Erwerbsmodalität und Kategorisierung verweisend, die für Zweitsprachenlerner*innen/ -sprecher*innen unerreichbar ist - und Nicht-Muttersprachler*innen. Sie fühlen sich damit auch innerhalb der 92 Andrea Daase DOI 10.2357/ FLuL-2021-0020 50 (2021) • Heft 2 beruflichen community immer potenziell am Rand und auf Abruf, die volle Zugehörigkeit bleibt damit verwehrt. Paradoxerweise kontrastierend dazu wird trotz der Kategorisierung Zweitsprachler*innen im alltäglichen Umgang nicht selten erlebt, dass auf die - ja durchaus von den Gesprächspartner*innen wahrgenommene - Zweitsprachigkeit keine Rücksicht genommen wird, z.B. durch Drosselung der Redegeschwindigkeit, was auf mangelnde Erfahrungen zurückgeführt wird. Die Verständigung sowie die Wahrnehmung der eigenen Deutschkenntnisse und ihre erfolgreiche Anwendung ist immer auch abhängig von den Gesprächspartner*innen und deren Bereitschaft zur Interaktion. 4.2 Arbeitsplatz als Möglichkeit der Teilhabe an und Aneignung von (berufssprachlichen) Praktiken Allerdings wird gerade die Teilhabe an den Praktiken der beruflichen community am Arbeitsplatz als sehr wertvoll für den Sprachaneignungsprozess hervorgehoben, der in dieser Form aber zuweilen mit dem Hinweis auf mangelnde Deutschkenntnisse von Arbeitgeber*innen unterbrochen wird: „VIEle sachen habe ich gelernt und TROTZdem haben sie gesagt nein.“ Der Sprachkurs wird also von vielen Arbeitgeber*innen immer noch als einziger Lernort für die Zweitsprache angesehen. Zwar wird die Wichtigkeit von Kursen für die Aneignung des Deutschen auch von den Lernenden hervorgehoben und nachgefragt, aber: „eGAL welche kurs das ist\ (0.58) das macht NICHT ! SO=o! sta=ark als äh als arbeit und und die leben\“. Sprachkurse werden zwar als hilfreich und notwendig empfunden, aber auch als isolierende Parallelwelt: aber das ist probLEM (.) wir sind in einem platz wir treffen NICHT mit der deutschen wir sind äh nur mit ! AUS! länder und so (.) du musst ! GEH! EN wo die ! DEUTSCHE! sind\ du musst gehen zu ARbeit wo die DEUTSCHE arbeiten oder eh in schule wo die ↑DEUTSCHE schüler sind und ! DANN! werst du etwas anders vielleicht sehen/ Dabei wird generell in den Daten auf die Wichtigkeit ausreichender Deutschkenntnisse für den Beruf verwiesen und der Wunsch nach weiteren Lernmöglichkeiten geäußert. 4.3 Flexiblere und individuellere Angebote und langfristige Verknüpfung von Berufssprachkurs und berufspraktischen Erfahrungen Obwohl ein grundsätzlicher Wunsch nach Teilnahme an institutionell organisierten und finanzierten Kursangeboten in Form von Deutschunterricht besteht, die möglichst ohne Pause aneinander anschließen und dem jeweiligen individuellen Sprachniveau sowie im fortgeschrittenen Bereich den beruflichen Hintergründen entsprechend zu einem Niveau führen, das sprachlich für eine Tätigkeit im erlernten Beruf qualifiziert, wird übereinstimmend nach möglichst umfangreichen Praxiserfahrungen schon während der Sprachaneignung gefragt. So werden die vierwöchigen Praktika 5 in den 5 Die Daten stammen noch aus der Zeit vor den aktuellen Berufssprachkursen. In den früheren ESF- Berufssprachliche kommunikative Handlungskompetenz in der Zweitsprache Deutsch 93 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0020 früheren ESF-BAMF-Kursen als - je nach zur Verfügung stehender Möglichkeiten - überwiegend positiv, aber als zu kurz wahrgenommen. Um Einblicke in das Arbeitsfeld zu bekommen und vor allem, um in - den eigenen Qualifikationen entsprechende - berufliche Praktiken eingebunden werden zu können, ist nach Ansicht der Lernenden mehr Zeit notwendig. Generell werden organisatorische und arbeitsmarktpolitische Bedingungen und Regelungen häufig eher als Behinderung denn als Unterstützung wahrgenommen, was zu Frustration führt, die sich an der schwankenden Mitarbeit in den Kursen bemerkbar machen - insbesondere bei Personen mit einem hohen Lernengagement: „du willst etwas ↑! MEHR! machen und du hast die tür zu/ “. Integrationsbemühungen als Aufstiegsambitionen werden in der Wahrnehmung der Lernenden ausgebremst: „naTÜRlich will ich schritt für schritt nach VORne gehen/ aber wenn immer ein ↑stein vor meinen füßen steht ↑wie soll ich dann WEItermachen\“. 4.4 Grammatik- und Perfektionsfokussierung als constraint Im Sprachcoaching (s. Abschnitt 6) ist häufig zu beobachten, dass Klient*innen in Kursen ein übergroßes Fehlerbewusstsein gegenüber einzelnen grammatischen Phänomenen entwickeln, welches zum Gegenstand in den Coachingsitzungen wird, da es sich zum constraint (Begrenzung, Beschränkung) entwickelt hat. Exemplarisch wird hier der Fall einer Lehrerin aus der Türkei skizziert, die seit neun Jahren in Deutschland lebt und nun wieder im pädagogischen Bereich arbeiten möchte. Die B2-Prüfung hat sie erfolgreich abgelegt. Da Kontakte zu deutschsprachigen Personen nicht vorhanden sind, ist sie sehr verunsichert, die deutsche Sprache anzuwenden. Sie hat ehrenamtlich in einer OGS (Offene Ganztagsschule) gearbeitet, sich dort aber aufgrund wahrgenommener mangelnder Sprachkenntnisse unwohl gefühlt, da sie v.a. wegen Problemen mit dem deutschen Artikelsystem große Sprechhemmungen hat. Sie führt mehrere Argumente an, warum ihr Vorhaben, in Deutschland eine Stelle im pädagogischen Bereich aufzunehmen, nicht gelingen könne und spielt mit dem Gedanken, in die Türkei zurückzukehren. Die korrekte Beherrschung der Artikel sieht sie auf dem Niveau B2 als selbstverständlich und als Voraussetzung für eine mögliche Arbeitsaufnahme an. Da dieses Problem so grundlegend wie allumfassend ist, stellt sie sich die Frage, ob sie diese Herausforderung überhaupt je bewältigen könne. Die Schwierigkeit ist mit der Zeit in ihrer sprachlichen Selbstwahrnehmung so groß geworden, dass sie sie in allen beruflichen Bemühungen und Plänen ausbremst. Im Sprachcoaching wird eine realistischere Selbsteinschätzung ihrer gesamten Ressourcen erarbeitet. Sie lernt, sich auf ihre Stärken zu konzentrieren und diese zu nutzen sowie die kommunikative Rolle von Artikeln realistisch zu bewerten. Zudem erkennt sie, dass das wahrgenommene Problem auch eine Chance für ihre berufliche Tätigkeit sein kann, da auch in der OGS viele Kinder und Eltern mit DaZ mit ähnlichen Schwie- BAMF-Kursen waren Praktika in Verknüpfung mit der sprachlichen Qualifizierung möglich und Usus. In der Regel wurden sie über vier Wochen mit einem sogenannten Rückholtag im Sprachkurs durchgeführt. 94 Andrea Daase DOI 10.2357/ FLuL-2021-0020 50 (2021) • Heft 2 rigkeiten kämpfen. Durch das Sprachcoaching wird es ihr möglich, ihre eigene Lernerfahrung anders zu bewerten und zu erkennen, dass diese auch und gerade beruflich gesehen sehr hilfreich sein kann, so dass sie eine Weiterqualifizierung (im Kursformat) „Deutsch für pädagogische Fachkräfte“ aufnimmt. Die (weitgehend ausschließliche) Fokussierung der Deutschkurse für den Beruf auf deutschsprachliche kommunikative Kompetenzen der Lernenden als individuelle Voraussetzung für den Eintritt ins Berufsleben verhindert den Blick auf die Ressourcen der Menschen, die sowohl für den Zugang als auch für das (kommunikative) Bestehen in beruflichen (wie in allen sozialen) Kontexten eine ebenso wichtige Rolle spielen. 5. Ein praxistheoretischer Blick auf berufssprachliche Handlungskompetenz und ihre Aneignung Ein Verständnis von Sprache als sozialer Praxis bedeutet, sie nicht als ein von einzelnen Individuen praktiziertes Instrument zur Kommunikation und Informationsvermittlung zu verstehen, sondern als ein lebendiges Medium, das nicht losgelöst von der es konstituierenden kontextuellen und situativen Einbettung und Kontingenz verstanden werden kann. (Sprachliche) Zeichen sind nicht neutral, sie präsentieren die Realität nicht lediglich, sondern haben je nach Verwendungskontext die Macht, sie zu verändern. Für den hier interessierenden Kontext formulieren G RÜNHAGE -M ONETTI und K LEPP (2004: 16) es folgendermaßen: Vielmehr geht es um Interaktion mit anderen in einer spezifischen Zeit in einem spezifischen Raum. Wie in anderen Kontexten ist Sprache am Arbeitsplatz gekennzeichnet von expliziten und impliziten sozio-kulturellen Regeln der jeweiligen ‚Community of practice‘. Wie diese zusammengesetzt ist - z. B. Ethnie, Alter, Gender usw., gestaltet die Kommunikation, genauso wie die Einbettung in soziale, ökonomische, kulturelle und politische Interaktionen. Alle Beteiligten an diesen Kommunikationsprozessen tragen also in gleichem Maße Verantwortung für Erfolge und Misserfolge. Dementsprechend müssen alle Akteur*innen in ihren verschiedenen Rollen und Funktionen als Zielgruppe für Initiativen zur Verbesserung von Kommunikation am Arbeitsplatz betrachtet werden (vgl. ebd.). Einzig auf Kurse für Zugewanderte zu setzen, in denen ihnen vor dem Eintritt in den deutschen Arbeitsmarkt alle notwendigen Deutschkenntnisse vermittelt werden, wird der Komplexität der sprachlichen Praxis am Arbeitsplatz nicht gerecht (s. Abschnitt 4.2). Im Folgenden wird dargelegt, was aus diesem Sprachverständnis für berufssprachliche Handlungskompetenz abgeleitet werden kann. Das Verständnis von Sprache als sozialer Praxis impliziert eine Sicht auf Sprachaneignung als sozialer, dynamischer, interaktiver und lebenslanger Prozess, der - wie jede menschliche Entwicklung - im Sozialen verortet ist, also von dort seinen Ausgang nimmt (vgl. L ANTOLF / P AVLENKO 2011: 144; V AN L IER 2000: 246). Individuelle (kommunikative) Handlungsfähigkeit, hier im Verständnis von agency erweitert um Berufssprachliche kommunikative Handlungskompetenz in der Zweitsprache Deutsch 95 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0020 Handlungsmacht, kann immer nur in ihrer Einbettung in (machtvolle) Strukturen erfasst werden (vgl. L ARSEN -F REEMAN 2019: 62). Agency wird somit nicht als Eigentum eines bestimmten Individuums gesehen, sondern als Beziehung, die permanent ko-konstruiert wird und sowohl mit den Menschen der direkten Umgebung als auch der Allgemeinheit im Vollzug gemeinsamer Praxis ausgehandelt werden muss und damit nur in verteilter Handlungsträgerschaft besteht (vgl. L ANTOLF / P AVLENKO 2001: 148; A LKEMEYER / B USCHMANN 2017: 273). Praktiken können sich somit nicht umfassend in einem isolierten Setting angeeignet werden, sondern Menschen werden „erst in ihrer Teilnahme zu Trägern bestimmter Fähigkeiten“ (A LKEMEYER / B USCH - MANN 2017: 273) (s. Abschnitt 4.4). Zur Befähigung gehört auch, in der jeweiligen Situation von anderen Kompetenz zuerkannt zu bekommen (vgl. ebd.) (s. Abschnitt 4.1). Durch diese An- und Zuerkennung und Zuschreibung von Kompetenzen kann die Aneignung berufssprachlicher Handlungskompetenz im Sinne von agency als Subjektivierungsprozess verstanden werden. Das menschliche Subjekt entsteht und verändert sich durch Beziehungen zu anderen Subjekten sowie die Manifestation dieser Beziehungen durch das Erzeugnis der Sprache: „When we speak, then we do two things: a) we create the contexts of use to which our utterance typically belong and, at the same time, (b) we create a space for our own voice“ (H ALL et al. 2005: 2). Ein mit dieser Sicht kompatibles Lernkonzept ist jenes des situated learning von L AVE und W ENGER (1991), in dem Zugehörigkeit zur jeweiligen community of practice, einer Gemeinschaft, die durch gemeinsame Handlungen und (implizite) Werte miteinander verbunden ist, als Voraussetzung für Lernen gesehen wird. Damit wird Partizipation an berufssprachlichen Praktiken im Sinne einer „legitimate peripheral participation“ (ebd.: 27) möglichst früh zugelassen. Noviz*innen werden von Beginn an als legitime Mitglieder betrachtet, ihnen wird aber der Status als Lernende auf dem Weg zur vollen Partizipation zugestanden. Voraussetzung dafür ist „access to a wide range of ongoing activity, old-timers, and other members of the community, and to information, resources and opportunities for participation“ (ebd.: 101). Dies ermöglicht den Lernenden Zugang zu (implizitem) kollektivem Wissen (s. Abschnitt 4.2) - dem knowing how statt lediglich dem knowing that (vgl. R ECKWITZ 2003: 289), wie es in Kursen vermittelt wird - welches „in den Interaktionen zugleich hergestellt wird“ (A LKEMEYER / B USCHMANN 2017: 278), aber auch transformiert werden kann. 6. Anregungen für Konzepte und Curricula Während die Arbeit mit (Sprach-)Portfolios in diversen Fremdsprachenlernsettings einen festen Bestandteil darstellt (vgl. B ALLWEG / K ÜHN 2019) und aktuell vermehrt in diversen Lehr-/ Lernkontexten eingesetzt wird, fristet sie im DaZ-Bereich nach wie vor ein Schattendasein. Mit dem Sprachen- und Qualifikationsportfolio haben P LUTZAR und H ASSLINGER (2005) ein Instrument vorlegt, was zwar für die heutige Zeit einer Überarbeitung bedarf, aber in der Anlage eine Unterstützung für die Ler- 96 Andrea Daase DOI 10.2357/ FLuL-2021-0020 50 (2021) • Heft 2 nenden und die Gestaltung des Unterrichts darstellt, um „Fähigkeiten, Kenntnisse, Kompetenzen und Qualifikationen bewusst“ (ebd.: 6) zu machen, die Lernenden dadurch zu stärken und in ihrer Subjektivierung zu begleiten. Das Sprachcoaching (s. Abschnitt 4.4) ist im Rahmen des Projektes SPRUNQ - Sprachcoaching für berufliche Unterstützung und Qualifizierung (2013-2015) im Landesnetzwerk NRW des bundesweiten Netzwerkes IQ - Integration durch Qualifizierung als kursunabhängiges Angebot - zusammen mit einer modularen Weiterbildung für Lehrkräfte zu Sprachcoaches - entwickelt (vgl. D AASE et al. 2014) und mittlerweile auf unterschiedliche Kontexte (vgl. u.a. S TALLBAUM / T HOMAS 2020) übertragen worden. Im Gegensatz zu den auf eine homogenisierte Zielgruppe ausgerichteten und relativ einheitlichen Kursformaten stehen hier die jeweils spezifischen individuellen Bedürfnisse der Lernenden hinsichtlich ihres Eintrittes in das Arbeitsleben im Zentrum, ohne die spezifischen Bedarfe des jeweiligen Arbeitsplatzes und der Arbeitgeber*innen zu missachten. Nach individuellen zeitlichen Absprachen wird gemeinsam - wenn möglich auch unter Einbezug von Kolleg*innen und Vorgesetzten - an der Erreichung der zuvor gemeinsam herausgearbeiteten Ziele gearbeitet. Grundlegendes Prinzip ist dabei die Hilfe zur Selbsthilfe. Sowohl Ziele und Inhalte als auch Methoden werden gemeinsam ausgehandelt, die Coaches machen jeweils Angebote. Die vereinbarten Ziele bleiben nicht auf der sprachlichen Ebene, sondern sprachliche Mittel werden immer als Funktion für sprachliches Handeln in und Partizipation an konkreten communities of practice verstanden. Dafür werden bewusste wie unbewusste Ressourcen aller Art, aber auch Hemmnisse, Motive der Sprachaneignung und die individuellen Ziele, die häufig hinter den sprachlichen Zielen verschwinden, in gemeinsamer Arbeit zwischen Coach und Klient*in herausgearbeitet. Die drei Komponenten kooperative Bestandsaufnahme, Sprachlernberatung und Spracharbeit sind miteinander verzahnt, kommen also nicht in linearer Abfolge, sondern situationsbezogen zu unterschiedlichen Zeitpunkten des Sprachcoachings zum Einsatz (D AASE et al. 2014: 13). Im Gegensatz zu standardisierten Sprachtests geht es in der kooperativen Bestandsaufnahme nicht um eine Momentaufnahme und eine isolierte Sicht auf die Kenntnisse in der Zielsprache der Lernenden, sondern um ein kontinuierliches Evaluationsinstrument, welches die Menschen nicht nur als Sprachlernende zum aktuellen Zeitpunkt versteht, sondern sie in ihrer soziokulturellen und historisch-biographischen Einbettung und ihrer dynamischen und komplexen Subjektivität sieht. Dafür kommen diverse - z.T. angepasste - Methoden und Instrumente aus der Portfolioarbeit, der (Sprach-)Lernberatung und der Sprachbedarfserhebung zur Anwendung. So wird „einerseits die Ausgangslage hinsichtlich ihrer/ seiner Kompetenzen und verfügbaren Ressourcen erfasst, andererseits werden ihre/ seine beruflichen Ziele identifiziert sowie jene sprachlichen Faktoren, die berufliche Handlungsfähigkeit ermöglichen und bedingen.“ (D AASE et al. 2014: 13) Dass Sprachförderung auch nach oder mit Beginn der Einstellung in einem Betrieb berufsbezogen und - je nach Anforderungen an die kommunikativen deutschsprachigen Kompetenzen - auch auf einem relativ niedrigen Niveau erfolgen kann, zeigt ein Projekt in einer Kartoffelmanufaktur (vgl. S TALLBAUM / T HOMAS 2020), das mit einem Berufssprachliche kommunikative Handlungskompetenz in der Zweitsprache Deutsch 97 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0020 Sprachkurs für Mitarbeiter*innen mit geringen Deutschkenntnissen in der Produktion startete und sukzessive über drei Jahre hinweg und in engem Austausch mit der Unternehmensleitung zu einem Gesamtförderkonzept „innerhalb der betrieblichen Strukturen“ (ebd.: 108) ausgebaut wurde. Aufbauend auf diesen mehrjährigen Erfahrungen wird das Zusammenspiel eines Dreiklangs aus einem betrieblich ausgerichteten Sprachtraining, Sprachcoaching am Arbeitsplatz und betrieblichem Sprachmentoring als Grundlage für eine erfolgreiche integrative Deutschförderung im Betrieb beschrieben (ebd.: 107), welches alle Akteur*innen einbezieht. Für den Unterricht werden von der Lehrkraft (ggf. auch gemeinsam mit den Lernenden) auf den jeweiligen Arbeitskontext abgestimmte Szenarien entwickelt und verwendet, so dass arbeitsplatzrelevante Kommunikationssituationen im Kurs geübt und Gelerntes am Arbeitsplatz angewendet werden kann. So können „auch Vorgesetzte an Unterrichtssituationen, in denen die Teilnehmenden die Szenarien durchlaufen, als Beobachtende oder sogar Kommunikationspartner oder -partnerin teilnehmen“ (S TALLBAUM / T HOMAS 2020: 110). Die Unterrichtsszenarien fanden im alltäglichen Arbeitsgeschehen statt: „So wurden die kommunikativen Fortschritte der Teilnehmenden sofort spürbar. Dies ersetzte die abschließende Leistungsstandmessung, wie sie ursprünglich - auf Drängen des Betriebes hin - im Rahmen des Kurskonzepts vorgesehen war.“ (ebd.: 111). Auf diese Weise kann ein Instrument, das ursprünglich für den Ausbau der Deutschkenntnisse einiger Mitarbeitenden gedacht war, der Organisationsentwicklung dienen und den gesamten Betrieb bzw. den Arbeitsbereich stärken. 7. Fazit Korrekte - hier nicht verstanden als perfekte, sondern vielmehr im Sinne von angemessener - Sprachverwendung ist in beruflichen Kontexten ein wichtiges Merkmal beruflicher Handlungsfähigkeit, sie ist aber allein nicht hinreichend. In der Regel ist es Lernenden ein Anliegen, eine möglichst korrekte Verwendung der Zielsprache zu erreichen. Nicht selten sagen Lernende, wenn sie bei Einstufungstests oder zu Beginn eines Kurses nach ihren Wünschen und Zielen gefragt werden, dass sie die deutsche Sprache - häufig explizit gleichgesetzt mit der deutschen Grammatik - perfekt lernen möchten. Diese Ambition, die kompatibel ist mit dem Überprüfen von Sprachkompetenzen durch standardisierte Abschlusstests und sicher auch in den o.g. Diskurs eingebettet ist, kann aber, wie in diesem Beitrag dargestellt wurde, durch Überfokussierung zur Beschränkung beruflicher Handlungsfähigkeit führen. Sprachlich-kommunikative Handlungskompetenz im Beruf als eine Fähigkeit in geteilter Trägerschaft zwischen den Kommunikationspartner*innen (s. Abschnitt 5) zu betrachten, öffnet den Weg, Angebote zu konzipieren, die nicht nur zugewanderte Menschen in den Blick nimmt, sondern sprachliche Bildung als betriebliche bzw. gesamtgesellschaftliche Angelegenheit und Aufgabe zu betrachten und die Lernenden in ihrer Subjektivierung ernst zu nehmen. 98 Andrea Daase DOI 10.2357/ FLuL-2021-0020 50 (2021) • Heft 2 Literatur A LKEMEYER , Thomas / B USCHMANN , Nikolaus (2017): „Praxistheoretische Überlegungen zur Subjektivierung von Mitspielfähigkeit“. In: R IEDER -L ADICH , Markus / G RABAU , Christian (Hrsg.): Pierre Bourdieu: Pädagogische Lektüren. Wiesbaden: Springer VS, 271-297. B ALLWEG , Sandra / K ÜHN , Bärbel (Hrsg.) 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Needs analysis is widely used for vocationally oriented foreign language teaching. The article focuses on methodological issues in needs analysis in companies from a practical perspective. Following a brief review of the development of needs analysis from a cross-national and cross-language perspective, the article introduces the latest research on concepts, procedures and methods in performing needs analysis. Furthermore, it discusses the difficulties concerning needs analysis based on the author’s own experience and the viewpoints of other researchers in doing the research under specific contextual constraints. The aim of this article is to shed light on requirements for researchers or teachers and get them prepared for foreign language needs analysis in the job-related context. 1. Überblick über Bedarfsanalysen für Fremdsprachenunterricht Die Bedarfsanalyse, „the systematic collection and analysis of all information necessary for defining and validating a defensible curriculum“ 1 (B ROWN 2016: 4), ist als Forschungsverfahren zur Curricula-Planung im Fremdsprachenunterricht stark anwendungsbezogen, aber die Handhabung von Bedarfsanalysen in der Praxis wird noch nicht gründlich erforscht. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich vor allem mit der Frage, welche Schwierigkeiten Forschenden bei der Durchführung von Bedarfsanalysen im Unternehmenskontext vorstehen können. Insofern wird im Folgenden zuerst die Entwicklung der Bedarfsanalysen im fremdsprachen-didaktischen Bereich chronologisch dargestellt. Anschließend werden im zweiten Teil methodologische Diskussionen in Bezug auf Arbeitsverfahren der Bedarfsanalysen kurzgefasst. Im Rahmen des Verfahrensablaufs (vor-während-nach) geht der dritte Abschnitt auf einige allgemeine Schwierigkeiten bei Bedarfsanalysen in Unternehmen ein. Zum Schluss wird ein Ausblick auf die Entwicklung in diesem Forschungsfeld gegeben. * Korrespondenzadresse: Dr. Hong C AI , German Department, Shanxi University, Wucheng Road 102, T AIYUAN 030006, Shanxi Provinz, China. E-Mail: sophiecaihong@hotmail.com Arbeitsbereiche: DaF, Bedarfsanalyse, berufsbezogener Fremdsprachenunterricht. 1 Aufgrund des Ursprungs und grundlegender Beiträge zum Thema „Bedarfsanalyse“ aus der englischsprachigen Literatur werden im vorliegenden Beitrag viele englische Begriffe und Zitate verwendet. Für eine bessere Nachvollziehbarkeit und Lesbarkeit werden Schlagwörter und wichtige Zitate im Original auf Englisch (z.T. auch neben deutschen Übersetzungen) angeführt. 102 Hong Cai DOI 10.2357/ FLuL-2021-0021 50 (2021) • Heft 2 Der Einsatz von Fremdsprachenbedarfsanalysen zum Unterrichtszweck stammt aus der ESP/ LSP-Forschung (English/ Language for Specific Purposes). In der englischsprachigen Forschung fokussierten die ersten Beiträge zum Thema Bedarfsanalysen in den 1970er Jahren auf ESP-Unterricht 2 (vgl. W EST 1994: 1). Später werden Bedarfsanalysen zwar auch für allgemeinen Sprachenunterricht eingesetzt, allerdings wesentlich weniger erforscht als für berufsbezogene Kurse (vgl. O NDER O ZDEMIR 2018: 1). Die Diskussionen über Bedarfsanalysen im deutschsprachigen Raum und in China bauen beide auf den Forschungsgrundlagen im ESP-Kontext auf. In Deutschland kamen die ersten Untersuchungen 3 zur Vermittlung des Fremdsprachenbedarfs ungefähr in den 1960er Jahren in ERFA 4 -Unternehmen zustande (vgl. V OGT 2011: 160). Später finden Bedarfsanalysen ihre Anwendung vor allem in der Berufs- und Weiterbildung und in den letzten Jahren zunehmend im berufsorientierten DaZ- Unterricht (vgl. C AI 2017: 42). In China werden Bedarfsanalysen zum Zweck des Fremdsprachenunterrichts erst gegen Ende der 1990er Jahren eingeführt (vgl. C AI 2019: 161). Die Forschungsbeiträge konzentrieren sich hauptsächlich auf den berufsvorbereitenden Fremdsprachenunterricht (für pre-service-Lernende) an Hochschulen. Somit zeigen sie, ähnlich wie die Beiträge in der englischsprachigen und deutschsprachigen Forschung, eine starke Berufsorientierung. Die Entwicklungsgeschichte von Bedarfsanalysen ist als eine ständige Interaktion zwischen Praxis und Theorie zu betrachten. Die Aufbereitung der Bedarfsanalysen in verschiedenen Regionen ist auf den Ursprung und die Veränderungen des Fremdsprachenbedarfs in der Wirtschaft zurückzuführen: in den 1960-70er Jahren in den USA und in Europa aufgrund des wirtschaftlichen Aufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg sowie der Regionalisierung wie z.B. der Gründung der EWG 5 und in China durch die sich vertiefende Öffnung des Marktes vor dem Hintergrund des WTO-Eintritts Chinas am Ende der 1990er Jahre. Gleichzeitig spiegeln Bedarfsanalysen Forschungsinteressen und Forschungsstand im Bereich Angewandter Linguistik und Fremdsprachendidaktik wider. Schließlich bildet die aktuelle Forschung stets den Rahmen für die Möglichkeiten dessen, was genau, auf welche Art und Weise und mit welcher Zielsetzung analysiert werden kann und wird. In diesem Sinne ist eine Weiterentwicklung der Bedarfsanalysen an bestehenden Studien zu beobachten, die erstens durch einen Wechsel von Forschungsparadigmen (vgl. C AI 2017: 54) und zweitens durch einen methodischen Wandel gekennzeichnet ist. In den 1980er Jahren etwa wird der Forschungsgegenstand der Bedarfsanalysen 2 In der ersten Hälfte der 1970er Jahren konzentrierten sich die Beiträge auf EOP (English for Occupational Purposes) und in der zweiten Hälfte auf EAP (English for Academic Purposes). 3 W EBER / B ECKER / L AUE (2000: 9) deuten an, dass Bedarfsanalysen im Bildungsbereich bereits mit der Rezeption des Situationsqualifikationsansatzes (R OBINSOHN 1969) am Ende der 1960er Jahre häufig durchgeführt wurden. 4 Der ERFA-Ring ist ein Unternehmensverbund und steht für „Erfahrungsaustauschring Fremdsprachenlabor Wirtschaft“ (vgl. V OGT 2011: 160). Heute heißt das Netzwerk „Erfahrungsaustausch-Wirtschaft-Sprache“. 5 Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Bedarfsanalysen im Unternehmenskontext - Verfahren und Schwierigkeiten 103 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0021 allmählich von einer linguistischen Orientierung hin zu Aspekten der Kommunikation, Aufgaben und Kompetenzen erweitert, in Analogie zum Aufschwung der kommunikativen, aufgabenorientierten sowie interkulturellen Ansätze im Fremdsprachenunterricht (vgl. H UHTA et al. 2013: 14; L ONG 2005b: 2-4). Mit dem steigenden Interesse an empirischer Forschung im linguistischen und fremdsprachlichen Wissenschaftsdiskurs werden seit der Mitte der 1990er Jahre zunehmend komplexe (qualitative/ gemischte), aufgabenorientierte (vgl. L ONG 2005a) und triangulierte Methoden (vgl. V OGT 2011: 165f.; S ERAFINI / L AKE / L ONG 2015) für Bedarfsanalysen eingesetzt. Laut einer Untersuchung zu Bedarfsanalysen für ESP-Kurse zwischen 1984 und 2014 kommen S ERAFINI / L AKE / L ONG (2015: 16) zu dem Ergebnis, dass die neueren Bedarfsanalysen (2000-2014) gegenüber den ersten Bedarfsanalysen (1984-1999) ein wachsendes methodologisches Bewusstsein sowie eine verbesserte methodische Kompetenz der Forschenden belegen. In der folgenden Tabelle wird die Entwicklung der Bedarfsanalysen mit wichtigen Zeitangaben zusammenfassend dargestellt. Zeit 1960 1970 1980 1990 2000 seit 2010 Untersuchungen erste NAs 6 in Dtld. erste NAs in ESP Einsatz in general language teaching Ende der 1990er Jahre: Einführung in China Anwendung der theoretischen Erkenntnisse; wissenschaftlich konzipiert und durchgeführt Beispielsstudien in ERFA- Unternehmen ELTDU (1970) A LLWRI - GHT (1982) N ORDPROJEKT - GRUPPE (1998) W EBER / B ECKER / L AUE (2000): PROLANG, L ONG (2005a), C OWLING (2007), G RÜNHAGE -M ONETTI (2010), H UHTA et al. (2013) Theorie keine Definitionsdiskussion zunehmender Fokus auf Verfahren und Qualität Verfahren und Methoden undurchsichtige, methodisch nicht solide Forschungsdesigns Beginn des methodidischen Wandels: Erweiterung des Forschungsgegenstandes komplexe, aufgabenorientierte, triangulierte Methoden wichtige Werke über Arbeitsverfahren kaum R ICHTERICH / C HANCEREL (1977/ 1980); M UNBY (1978); H UTCHISON / W ATERS (1987) B ENESCH (1996, 1999): kritischer Ansatz; D UDLEY - E VANS / S T J OHN (1998): multiperspektivische Definition G RÜNHAGE - M ONETTI et al. (2000); L ONG (2005a): aufgabeorientierter Ansatz; B ROWN (2006, 2009) V OGT (2011); W EISSENBERG (2012); H UHTA et al. (2013); L ONG (2015); B ROWN (2016); C AI (2017) Tab. 1: Entwicklung der Bedarfsanalysen 6 NA steht für needs analysis. 104 Hong Cai DOI 10.2357/ FLuL-2021-0021 50 (2021) • Heft 2 2. Methodologische Entwicklung der Bedarfsanalysen Wie oben skizziert war die Durchführung der ersten Bedarfsanalysen selten wissenschaftlich begleitet. Die unzureichende theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema Bedarfsanalyse ist den Forscher*innen bereits in den 80er Jahren aufgefallen, wie z.B. Y ALDEN (1987, zit. nach W EST 1994: 2). Etwas später weist S EEDHOUSE (1995: 60) auf die Schwierigkeiten der Lehrkräfte hin, welche praktische Anweisungen benötigten, um Bedarfsanalysen für ihre Kursplanung zu praktizieren. Insofern plädiert L ONG (2005a: 2; 2005b: 20) angesichts des Forschungsstands im ESP- Bereich dafür, dass generalisierbare methodologische Diskussionen im Vergleich zu Projektberichten dringend gefördert werden sollten, um qualitative Ansprüche an Bedarfsanalysen aus der komplexen Praxis der Wirtschaft und des Fremdsprachenunterrichts zu befriedigen. Dieser Forschungsmangel beschränkt sich nicht allein auf den ESP-Bereich. Im deutschsprachigen Raum wird wegen der fehlenden Verbindung zwischen den meisten quantitativ-produktbezogenen Untersuchungen und der Curriculum-Planung dazu aufgerufen, das Forschungsinteresse bei Bedarfsanalysen auf die Erstellung von handhabbaren, generalisierbaren oder übertragbaren Verfahren umzustellen (vgl. W EBER / B ECKER / L AUE 2000: 9f.). Auch in China wird bemängelt, dass durch den Fokus auf die Praxis von Bedarfsanalysen die theoretische Diskussion zu kurz komme, was die konzeptionelle Entwicklung von Bedarfsanalysen behindere (vgl. N I / L IU 2006: 21). Vor diesem Hintergrund widmen sich folgende Arbeiten der systematischen Theoriebildung der Bedarfsanalysen (in chronologischer Reihenfolge): B ENESCH (1996, 1999), D UDLEY -E VANS / S T J OHN (1998), L ONG (2005a), B ROWN (2006, 2009, 2016), H UHTA et al. (2013), V ANDERMEEREN (1998), G RÜNHAGE -M ONETTI et al. (2000), V OGT (2011), W EISSENBERG (2012) und C AI (2017). Hinsichtlich des Verfahrens werden Grundkonzepte zur „Analyse“ des „Bedarfs“, also das Definieren und das Beschreiben des Bedarfs, jeweils in B ROWN (2016) und C AI (2017) zusammengefasst. Die wesentlichen Ansätze aus den beiden Arbeiten lassen sich in die folgenden drei Kategorien gliedern: Bedarfsanalysen im Unternehmenskontext - Verfahren und Schwierigkeiten 105 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0021 Tab. 2: Ansätze der Bedarfsanalysen 7 Übersetzt und überarbeitet von der Verfasserin. 8 Kritische Bedarfsanalysen werden später auch als „rights analysis“ bezeichnet (B ENESCH 1999). Bedarfsanalysen, die sich mit einem konkreten Forschungsgegenstand befassen, werden in B ROWN (2016: 19f.) als elf „analysis strategies/ analysis options“ betrachtet. Diese sind „Target-situations use analyses, Target-situation linguistic analyses, Target-situation learning analyses, Present-situation analyses, Gapanalyses, Individual-differences analyses, Rights analyses, Classroom-learning analyses, Classroomteaching analyses, Means analyses, Language audits“. Fokus der Verfahren Ansatz 7 Merkmal Kategorie 1 (vgl. B ROWN 2016: 13-16) aufgrund Definitionen des Bedarfs (1) der demokratische Ansatz: das von den meisten Lernenden/ Stakeholdern Verlangte quantitative Forschungsdesigns (2) der Diskrepanz-Ansatz: der Mangel oder die Lücke zwischen Zielsituationen und aktuellen Situationen auf der Basis von linguistischorientierten Annahmen (3) der analytische Ansatz: das nächste Lernziel im Lernprozess, definiert als Bedarf zukunftsorientiert, aus Sicht des Fremdsprachenerwerbs (4) der diagnostische Ansatz: necessities, das Notwendige Prognose aus einer praktischen oder einer Lehrer-Perspektive Kategorie 2 (vgl. C AI 2017, auf der Basis von B ENESCH 1996) Einstellungen zu Gegebenheiten sowie zur Deckung des Bedarfs aus Sicht der Forschenden (1) der deskriptive Ansatz: umfassende Beschreibungen von kontextuellen Informationen sowie deren Auswirkungen auf den Bedarf eine eher statistische, passive Annahme die Anpassung der Sichtweise auf die Gegebenheiten (2) der kritische Ansatz 8 : Anerkennung der subjektiven Einflüsse und der sozialen Hierarchien von Stakeholdern bei Bedarfsanalysen eine praktische, realistische Vorgehensweise die aktive und kritische Auseinandersetzung mit Rahmenbedingungen und ungleichgewichtigen Machtverhältnissen Kategorie 3 Zeitpunkt und Rhythmus bei der Durchführung von Bedarfsanalysen der prozessorientierte Ansatz (vgl. C AI 2017, auf der Basis von D UDLEY -E VANS / S T J OHN 1998; W EISSENBERG 2012) eine enge Verbindung zu Curricula 106 Hong Cai DOI 10.2357/ FLuL-2021-0021 50 (2021) • Heft 2 Zu einer praktischen Handhabung werden die oben genannten Ansätze aus vorhandenen Forschungsdesigns der Bedarfsanalysen generalisiert. Die Ansätze in der ersten Kategorie fokussieren auf den Inhalt des Lernens/ des Unterrichts, während sich die Konzepte der zweiten Gruppe durch die unterschiedlichen Rollen der Forschenden hinsichtlich der möglichen Maßnahmen zur Deckung des Bedarfs unterscheiden. Der letzte, der prozessorientierte Ansatz, zeichnet sich hingegen durch den Einbezug des Qualitätsmanagements aus. An dieser Stelle ist zu betonen, dass sich die Konzepte, unabhängig von ihrer Zuordnung oder Reihenfolge, in allen Kategorien nicht gegenseitig ausschließen, sondern miteinander in einer Bedarfsanalyse kombiniert vorkommen können (vgl. B ROWN 2016: 17; C AI 2017: 63). In Hinblick auf den Arbeitsverlauf kann das Verfahren von Bedarfsanalysen grob in zwei Teilprozesse eingeteilt werden: Datenerhebung und Datenauswertung (vgl. W EISSENBERG 2012: 4). Noch detaillierter listet B ROWN (2009: 271) drei Arbeitsphasen und insgesamt zehn Schritte auf. Später wird die Handhabung 9 überarbeitet und in folgende sieben Schritte gegliedert: 1. Vorbereitung (1) Definition des Bedarfs (2) Festlegung von dem Untersuchungsumfang und Untersuchungsschwerpunkten (3) Auswahl und Sequenz der Methoden zur Datenerhebung mit Rücksicht auf Einflussfaktoren 2. Durchführung (4) Datenerhebung: Handhabung der einzelnen Methoden, Strategien sowie Ansprüche an Methodenkompetenzen (5) Datenanalyse und Interpretation: Triangulation und Validation 3. Anwendung der Ergebnisse (6) Anwendung der Ergebnisse im Curriculum: Bedarfsbeschreibung und klassifikation, Strategien zur Integration der Ergebnisse in ein Curriculum (7) Bericht: Gültigkeit, Zusammenfassung und Bedeutung der Untersuchung (vgl. B ROWN 2016) Auf jeden Arbeitsschritt geht B ROWNS Arbeit (2016) ausführlich ein. Damit ist sie bisher die vollständigste methodische Einführung, die den gesamten Ablauf der Bedarfsanalyse von der Vorbereitung über die Konzeption bis zur Durchführung schildert. Darüber hinaus wird die Curricula-Entwicklung aus einer holistischen Perspektive (vgl. H UHTA et al.: 2013) einbezogen. Im Vergleich dazu konzentriert sich L ONG (2005b) auf die Auswahl und Sequenz der Methoden zur Datenerhebung sowie die Interaktion zwischen Methoden und Informationsquellen. Die Studien von V OGT (2011) und H UHTA et al. (2013) präsentieren exemplarische Beispiele von Bedarfsanalysen mit GeR-basierten Instrumenten (E UROPARAT 2001). 9 Die Arbeit von B ROWN (2016) ist im ESP-Kontext angesiedelt. Im vorliegenden Beitrag liegt der Schwerpunkt auf dem Verfahren der Bedarfsanalyse, deswegen werden die Schritte unabhängig von der Zielsprache generalisiert. Bedarfsanalysen im Unternehmenskontext - Verfahren und Schwierigkeiten 107 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0021 3. Einsatz im Unternehmenskontext aus der Perspektive der Forschenden Wenn die unsystematischen theoretischen Grundlagen bzw. die ungleichmäßige Entwicklung von Bedarfsanalysen lange Zeit als Schwierigkeit galten, sollten die im letzten Abschnitt dargestellten Verfahren und Positionen helfen, die Optionen im Handlungsfeld Bedarfsanalysen aufzuzeigen und arbeitstechnische Hinweise zu geben. Dieser Abschnitt fokussiert die Umsetzung der theoretischen Kenntnisse in die Praxis. Dabei geht es hauptsächlich um Schwierigkeiten 10 in der Praxis, die bei der Konzeption bzw. Durchführung von Bedarfsanalysen und bei der Anwendung von den Ergebnissen im Unternehmenskontext auftreten können. Schwierigkeiten im Verfahren der Bedarfsanalyse, wie z.B. zu wenig Probanden, beschränkte Auswahl von Methoden oder bei der Durchführung gescheiterte Interviews, werden bisher in der Forschung zu Bedarfsanalysen wenig explizit thematisiert. In Bedarfsanalysen werden sie oft zur Vorstellung des Forschungsdesigns überblickartig zusammengefasst, denn bei veröffentlichten Studien handelt es sich normalerweise um gelungene Untersuchungen, die Projektbefunde zum Bedarf vorstellen. Gescheiterte Versuche werden kaum diskutiert. In Werken zur empirischen Forschung werden sie meistens unter einzelnen Methoden kontextneutral, d.h. weder im Zusammenhang mit Bedarfsanalysen noch im Unternehmenskontext, erläutert. Einen Transfer von methodischen Kenntnissen auf einen spezifischen Kontext müssen Forschende selbst vornehmen. Aus diesem Grund gibt der nachfolgende Teil zuerst einen Überblick über mögliche Einschränkungen bei Bedarfsanalysen und geht danach speziell auf prototypische Schwierigkeiten bei Bedarfsanalysen in Unternehmen ein. 3.1 Klassifikation potenzieller Einschränkungen bei Bedarfsanalysen In der englischsprachigen Literatur wird der Begriff „Einschränkungen“ (constraints) (vgl. B ROWN 2009; 2016 als Fortsetzung von S INGH 1983; H UTCHINSON / W ATERS 1987; W EST 1994: 4; ) genutzt, um auf mögliche Schwierigkeiten zur Umsetzung von Bedarfsanalysen in spezifische Kontexte zu deuten. Diese Einschränkungen typisiert B ROWN (2016: 38) in drei Gruppen: (1) situative Einschränkungen, darunter Einflüsse von Gesellschaft, Politik, [verfügbaren] Ressourcen und Rahmenbedingungen 11 (society, politics/ policy, resource, curriculum) 10 Der Begriff „Schwierigkeiten“, in der Bedeutung von Problemen oder Hindernissen, wird hier anstatt anderer evtl. positiv konnotierten Synonymen wie „Herausforderungen“ oder „Einschränkungen“ (constraints) (B ROWN 2016) aufgeführt, um die Wichtigkeit möglicher Einflussfaktoren für Forschungserfolge hervorzuheben. 11 Im Folgenden wird der Begriff „Rahmenbedingungen“ als Ersatz für die englische Bezeichnung „curriculum“ weiterverwendet, da die Letztere im vorliegenden Beitrag bezüglich der deutschen Bezeichnung „Curriculum“ im Sinne von Kursplanung verwirrend wirkt. 108 Hong Cai DOI 10.2357/ FLuL-2021-0021 50 (2021) • Heft 2 (2) [Einflüsse von] Stakeholdern, darunter vor allem Lernenden, Lehrkräften und der lokalen Verwaltung mit ihren ethnographischen Eigenschaften, Hintergründen, Kompetenzen und Einstellungen zu Bedarfsanalysen usw. (3) theoretische Einschränkungen, die in dem Fall vorkommen, wenn Stakeholder verschiedene Meinungen von fremdsprachendidaktischen Ansätzen und Lehrplänen vertreten und miteinander nicht übereinstimmen können Diese Klassifikation richtet sich vor allem auf den jeweiligen Ursprung der Einflussfaktoren: Beispielsweise beziehen sich situative Einschränkungen auf externe Gegebenheiten aus dem Umfeld, während es sich bei Stakeholdern um personenabhängige Faktoren handelt. Mit theoretischen Einschränkungen werden indirekte Einflüsse von Fremdsprachentheorien über beteiligte Stakeholder auf Bedarfsanalysen thematisiert. Da Bedarfsanalysen „kontextspezifisch“ (situation-specific) (vgl. P URPURA et al. 2003: 9, zit. nach B ROWN 2009: 273) sind, sind eingesetzte Verfahren und Methoden an lokale Kontexte anzupassen (vgl. S ERAFINI / L AKE / L ONG 2015: 11). Die nachfolgende Diskussion befasst sich hauptsächlich mit situativen Einschränkungen von dem Unternehmenskontext auf Bedarfsanalysen. 3.2 Schwierigkeiten bei Bedarfsanalysen im Unternehmenskontext Der Fremdsprachenbedarf in Unternehmen ist das am meisten erforschte Gebiet im Bereich ESP oder des berufsbezogenen Fremdsprachenunterrichts. In diesem Teil wird versucht, Schwierigkeiten bei Bedarfsanalysen im allgemeinen Unternehmenskontext durch Erkenntnisse der Verfasserin (C AI 2017) 12 exemplarisch vorzustellen. Hinzugezogen werden auch Einträge aus der betreffenden Literatur und Berichte von zwei chinesischen Expertinnen 13 , die im Dezember 2020 bezüglich ihrer Erfahrungen mit empirischen Untersuchungen 14 in Unternehmen telefonisch interviewt wurden. 3.2.1 Zugang zu Unternehmen In der Vorbereitungsphase stellt sich der Zugang zu Unternehmen, nämlich zu Informationen über die Fremdsprachenkommunikation in Unternehmen, als die erste und eine wesentliche Schwierigkeit dar, besonders wenn eine Bedarfsanalyse nicht im 12 In diesem Projekt wurde der Fremdsprachenbedarf von 30 chinesischen Mitarbeiter*innen aus insgesamt 20 Branchen und 17 Abteilungen online erfragt. Darunter arbeiteten 27 Befragte an einem deutschen Unternehmen (Hauptsitz in Deutschland). Geographisch gesehen arbeiteten 63% der Befragten in Deutschland und 37% in China. Zum Triangulationszweck wurden in der Bedarfsanalyse neben der Online-Befragung noch Experteninterviews, Jobanzeigenanalysen und eine Forumsdiskussion durchgeführt. 13 Frau Prof. Jingping W ANG und eine Expertin Y, deren Name bei der Veröffentlichung anonymisiert wurde. 14 In der Arbeit von W ANG (2007) haben zwei Studierende unter ihrer Betreuung den mehrsprachigen Sprachengebrauch in Unternehmen aus deutschsprachigen Ländern hinsichtlich der Berufsperspektive Germanistikabsolventen in China untersucht. Die Untersuchungen der Expertin Y fokussieren auf den interkulturellen Aspekt des Fremdsprachenbedarfs in Unternehmen. Bedarfsanalysen im Unternehmenskontext - Verfahren und Schwierigkeiten 109 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0021 Auftrag von Unternehmen durchgeführt wird. In fast allen Ansätzen von Bedarfsanalysen (s. Tab. 2, S. 105) sind spezifische kontextuelle Informationen unerlässlich, wie z.B. Informationen über Ziel- und aktuellen Situationen (Target- und Present-situation analyses) im Diskrepanz-Ansatz und im deskriptiven Ansatz sowie Informationen über Machtverhältnisse der Stakeholder (rights analysis) im kritischen Ansatz. Die Verfügbarkeit der Informationsquellen beeinflusst stark das Forschungsdesign, indem sie bestimmt, wieviel, welche und wie detailliert Daten erhoben werden. Bei L ONG (2005b: 25) werden fünf Informationsquellen zusammengefasst: Literatur, Lernende, Lehrkräfte/ Angewandte Sprachwissenschaftler (als Forschende), Fachexpert*innen und triangulierte Informationsquellen. Für Bedarfsanalysen im Unternehmenskontext sind Mitarbeiter*innen normalerweise Lernende und gleichzeitig Insider*innen/ Fachexpert*innen hinsichtlich der Arbeitsstruktur, arbeitsplatzbezogener Aufgaben usw. Sie sind wesentliche und primäre Quellen für authentische Informationen. Aus diesem Grund spielen die Beteiligung und die Unterstützung von Unternehmen für eine gelungene Bedarfsanalyse eine große Rolle. In B ROWNS (2016) Klassifikation gehört der Zugang zu Informationsquellen zu Ressourceneinschränkungen (resource constraints), die zu situativen Einschränkungen zählen. Bei der Anwerbung von Informanten ist eine gute Verbindung mit Unternehmen von Vorteil, was eine soziale Ressource darstellt. Durch Vertrauen oder auch Vermittlung von vertrauten persönlichen Kontakten kann „eine Menge Überzeugungsarbeit“ (a lot of persuasive work) (V ANDERMEEREN 2003: 16) vermieden werden. Im Vergleich dazu erzielt das anonyme Anschreiben ohne konkreten Adressaten oft nur Zufallserfolge: In der Studie von C AI (2017) betrug die Rücklaufquote der Online-Umfrage ca. 6% bei über 100 Anschreiben; W ANG (2007) bestätigt ebenfalls aus ihrer Erfahrung, durch die E-Mailanfrage an Firmen im AHK-Register in Peking am Anfang nur wenige Feedbacks erhalten zu haben; eine größere Untersuchung vom Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft in Österreich erzielte eine Rücklaufquote von fast 10% bei insgesamt 26.817 Anfragen (vgl. A RCHAN / D ORNMAYR 2006). In einer solch großen Studie können also trotz niedriger Antwortrate auch repräsentative Stichproben gewonnen werden. Bei einer kleinen Stichprobe ist hingegen die Triangulation für valide Ergebnisse erforderlich wie z.B. durch den Einsatz von mixed methods (s. Abschnitt 3.2.2). Bestimmte Werbetechniken wie eine persönliche Kontaktaufnahme bzw. ein Gespräch können dabei helfen, die Rücklaufquote zu erhöhen. In der Studie von C AI (2017) wurde das Vorgehen später auf die Kontaktvermittlung durch Bekannte umgestellt. W ANG (2007) erklärte zum Ergebnis der Datenerhebung (103 Antworten von 600 Fragebögen), dass die Studierenden später die meisten Unternehmen durch persönliche Gespräche auf Messen befragt hätten. Expertin Y plädiert aufgrund ihrer reichen Erfahrung im Interviewen von Angehörigen in mehr als 80 Unternehmen für ein persönliches (face-to-face) Treffen, bei dem eine vertrauensvolle Beziehung leichter als per Telefongespräch aufgebaut werden könne. Der Unterschied sei besonders beim Umgang mit vorher unbekannten Gesprächspartnern*innen zu spüren. Neben der Form der Kontaktaufnahme ist auch der Inhalt des Anschreibens von 110 Hong Cai DOI 10.2357/ FLuL-2021-0021 50 (2021) • Heft 2 großer Bedeutung, um fremde Unternehmen zur Teilnahme an einer wissenschaftlichen Studie zu bewegen. 15 Auf Vorschlag von H EIDENREICH (2017, zit. nach C AI 2017: Anhang 408) sollten Forschende im Interesse der Unternehmen den Sinn der Studie für die Unternehmen und für die Wirtschaft gut begründen. Die Reaktion der Unternehmen bleibt dann realistisch abzuwarten: Während einige Unternehmen, besonders die großen, keine Kapazität für ständige Anfragen haben könnten, so H EIDENREICH (vgl. ebd.: 409), freuten sich manche Unternehmen laut Expertin Y darüber, wenn sich Forschungsfragen aus ihrem betrieblichen Alltag ergäben und unterstützten die Forschung gerne. Expertin Y gibt zu, dass jungen Akademiker*innen im Vergleich zu ihren älteren Kolleg*innen tendenziell weniger soziale Ressourcen zur Verfügung stünden. Jedoch sollte diese Herausforderung nicht abschrecken, denn Kompetenz, Ressourcen oder Forschungserfahrung erwirbt man durch eine bewusste, konsequente und langfristige Beschäftigung mit dem Thema. Diese Erkenntnis lässt sich aus der positiven Erfahrung der Expertin Y beim Umgang mit Unternehmen herauskristallisieren. 3.2.2 Einsatzmöglichkeit von Mixed-methods-Designs Die Unterstützung von Unternehmen wirkt sich nicht nur auf die Kontaktaufnahme am Anfang einer Bedarfsanalyse, sondern auch auf deren Durchführung und die Curricula-Planung aus. Gute Kontakte zu Unternehmen führen nicht unmittelbar zu zuverlässigen und validen Daten. Der Einsatz von mixed methods (vgl. D UDLEY - E VANS / S T J OHN 1998: 133-137; H UHTA 2002: 21, zit. nach G RÜNHAGE -M ONETTI 2010: 15) und Triangulationen von Methoden und Informationsquellen (vgl. L ONG 2005b: 32; S ERAFINI / L AKE / L ONG 2015: 12) werden zur Validierung der Daten befürwortet und haben sich als nützlich erwiesen. Wie viele und welche Methoden zum Einsatz kommen können und dürfen, darf nicht theoretisch allein auf methodischen Überlegungen basieren und hängt zusätzlich stark von der Unterstützung von dem jeweiligen Unternehmen ab. Auf der Basis des Methodenkomplexes aus der Fachliteratur wird ein Überblick von 21 Methoden bei C AI (2017: 86-88) gegeben. Diese Methoden sollten nach genauer Erwägung ihrer Methodenspezifik ausgewählt und in bestimmter Reihenfolge eingesetzt werden (s. Abschnitt 2, Schritt 3). Im Allgemeinen gilt das Prinzip 16 „offene vor geschlossenen Methoden“ (open before closed) (S ERAFINI / L AKE / L ONG 2015: 13), z.B. stehen (unstrukturierte) Interviews zwecks eines Überblicks zum Thema oder der Formulierung von Hypothesen vor Umfragen oder vor Tests zum Belegen oder Widerlegen der Hypothesen. Auch wenn keine sorgfältige Sequenz möglich ist, hilft eine umfassende Datenerhebung, die Datenqualität zu verbessern. Beispielsweise wurde in der Umfrage bei C AI (2017: 190) nach Kommunikationspart- 15 Vgl. auch K AUFMANN / G RÜNHAGE -M ONETTI (2003: 45f.). 16 L ONG (2005b: 33f.) erläutert das Prinzip ausführlich mit einem Beispielsablauf (graphische Darstellung vgl. C AI 2017: 93). Bedarfsanalysen im Unternehmenskontext - Verfahren und Schwierigkeiten 111 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0021 nern*innen in verschiedenen Sprachen gefragt. Eine Befragte gab an, mit mehreren Gesprächspartnern*innen in Englisch, aber nur mit einem Gesprächspartner auf Deutsch zu kommunizieren. Eine realistische Interpretation der Daten ist mithilfe von umfangreichen Informationen über die Kommunikationssituation möglich: Diese Befragte arbeitet als Assistentin eines deutschen Managers in einem deutschen Unternehmen in China. Der eine Kommunikationspartner in deutscher Sprache war ihr Chef und sie übernahm die Rolle seines „Mundes und Ohres“ am Arbeitsplatz. Die Schwierigkeit bei der Datenerhebung liegt trotz der Wichtigkeit von dem Mixed-methods-Design darin, dass im Unternehmenskontext nicht zu viele Methoden zur Anwendung kommen dürften, sondern nur beschränkte Methoden seitens der Unternehmen zugelassen werden, am häufigsten Fragebogen und Interview (vgl. L ONG 2005b: 37, 39; 2015: 150, 154; V OGT 2011: 160). Bei der Auswahl von Methoden geht es meistens nicht darum, welche Methode besser bzw. effektiver wäre, sondern welche Methode überhaupt unter den gegebenen Umständen anwendbar erscheint. Abgesehen von ausreichender Zeit und adäquaten Ressourcen (vgl. L ONG 2005b: 33) haben Unternehmen bei Anfragen zur Datenerhebung normalerweise Bedenken hinsichtlich des Schutzes ihrer geschäftlichen Informationen. „Während es einige Unternehmen ermöglichen, mit den Arbeitskräften zu sprechen und sich ein Bild der Arbeitsaufläufe zu machen, verweigern sich andere aus Gründen der Sicherheit [von Unternehmensinformationen] u.a.“ (K AUFMANN / G RÜNHAGE -M ONETTI 2003: 45, Ergänzung H.C.). Beispielsweise scheiterte die geplante teilnehmende Beobachtung am Arbeitsplatz in der Studie von C AI (2017) trotz Unterstützung der Kontaktperson an einer Genehmigung auf der Managementebene. Ähnlich war eine authentische Audio-/ Videoaufzeichnung über den betrieblichen Alltag im Leonardo- Projekt „PROLANG“ nicht erfolgreich (vgl. W EBER / B ECKER / L AUE 2000: 70). Außer der Datenerhebung unterliegt die Veröffentlichung von Befunden der Bedarfsanalysen strengen Vorschriften von Unternehmen hinsichtlich der Informationssicherheit, sodass viele betriebsintern durchgeführte Studien gar nicht publiziert werden dürfen. Das bedeutet zur Theoriebildung im Bereich der Bedarfsanalyse, dass vor allem die Kontextspezifik sowohl bei der Bewertung bestehender Studien als auch bei der Generalisierung von methodologischen Erkenntnissen nicht außer Acht gelassen werden darf. Lediglich Hinweise auf Forschungslücken, prototypische Forschungsdesigns sowie Arbeitsschritte oder die Betonung der Methodenkompetenz der Forschenden reichen nicht aus, um theoretische Kenntnisse erfolgreich in die Praxis umzusetzen. Nicht nur die Interaktion zwischen Methoden und Informationsquellen (vgl. L ONG 2005b: 64), sondern auch die zwischen Methoden und spezifischen Untersuchungssituationen sollte vor Untersuchungen gründlich überlegt und evtl. erforscht werden. Schließlich ist es sinnvoll, in empirischen Studien wichtige Entscheidungen beim Forschungsdesign nachvollziehbar zu beschreiben, besonders wenn der Fokus auf den Arbeitsverfahren von Bedarfsanalysen liegt. Auch explizite Reflexionen gescheiterter Versuche können Anregungen zu weiteren Arbeiten in ähnlichen Kontexten liefern. Auf der Handlungsebene sollten Forschende deswegen erstens den Unternehmen 112 Hong Cai DOI 10.2357/ FLuL-2021-0021 50 (2021) • Heft 2 entgegenkommen und sich fest an Formalitäten, Vorschriften und die Geheimhaltungspflicht halten. Zweitens sollte man sich vor der Untersuchung umfassend über das Unternehmen informieren, das Ziel und den Forschungsumfang inhaltlich gut überlegen, Strategien einsetzen oder auch selbst entwickeln, um möglichst viele ausreichend spezifische Informationen für eine realitätsnahe Interpretation des Bedarfs zu sammeln. Außerdem ist ein kritischer, aktiver und flexibler Umgang mit spezifischen Praxissituationen bei Bedarfsanalysen im Unternehmenskontext hilfreich, das heißt, bei der Anwendung von bestimmten Ansätzen die Rahmenbedingungen zu prüfen, praktisch vorzugehen, nach Kooperations- und Veränderungsmöglichkeiten zu suchen und auch während der Untersuchung das Forschungsdesign bei Bedarf zu modifizieren bzw. umzugestalten. 3.3 Ansprüche auf die Curriculum-Planung Zum Schluss ist die Planung und Durchführung eines Fremdsprachentrainings (s. Abschnitt 2, Schritt 6), das auf den Ergebnissen der Bedarfsanalyse basiert, aufgrund des Zugangsproblems (s. Abschnitt 3.2.1) schwer zu realisieren. Beispielsweise war in der Studie der Verfasserin (C AI 2017) kein einzelner Fremdsprachenkurs im Anschluss an die Bedarfsanalyse planbar, sodass lediglich Curriculum-Vorschläge auf der Basis der Bedarfsanalyse entwickelt wurden. Diese Schwierigkeit erklärt zum Teil die Problematik von Bedarfsanalysen in Bezug auf die fehlende inhaltliche Kopplung von Bedarfsanalysen mit der Curricula-Planung (s. Abschnitt 2; H UHTA et al. 2013: 3f.; T ULKKI / H UHTA 2007: 2). Nach Bedarfsanalysen ist einerseits aus Unternehmenssicht meistens zu erwägen, ob sich ein maßgeschneidertes Kursangebot lohnt und ob eine kostengünstigere, schnellere und effektivere Lösung 17 als ein Trainingsprogramm verfügbar wäre, wie z.B. Einstellung von Muttersprachler*innen oder Einsatz von Dolmetscher*innen. Im Vergleich zu der Teilnahme an einem allgemeinen Sprachtraining wie z.B. „Wirtschaftsdeutsch B1“ an einer Sprachbildungsinstitution beansprucht die Konzeption eines spezifischen Trainings einen hohen Zeit- und Arbeitsaufwand und ist somit kostenintensiv. Ein bedarfsgerechtes Fremdsprachentraining hat aber den Vorteil, dass die Lernenden zielgerichtet auf die Bewältigung von bestimmten Kommunikationsaufgaben vorbereitet werden können und nicht selbst die erlernten Sprachkenntnisse an spezifische Praxissituationen anpassen müssen. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass bei der Bewertung einer fremdsprachlichen Trainingsmaßnahme weniger die Qualität einer Bedarfsanalyse als die sprachlichen Leistungen der Lernenden im Vordergrund steht. Jedoch kann der Einsatz von Bedarfsanalysen keine Erhöhung der sprachlichen Leistungen der Lernenden garantieren. Neben Bedarfsanalysen und Curricula wird ein Kurserfolg noch zum großen Teil durch die Motivation, die regelmäßige Teilnahme und die Mitarbeit der Lernen- 17 Mehr zu Fremdsprachenmanagement-Strategien im Umgang mit Fremdsprachenbedarf s. C ILT (2006: 6, 14). Bedarfsanalysen im Unternehmenskontext - Verfahren und Schwierigkeiten 113 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0021 den bestimmt, in diesem Fall der weiterzubildenden Mitarbeiter*innen. Zeitmangel und berufliche Auslastung zählen oft zu Gründen einer gescheiterten Weiterbildung. Beispielsweise äußert sich ein Unternehmensexperte dazu, dass nur ungefähr 20% der Weitergebildeten ihre Trainingsziele erreichen könnten (vgl. H OU 2015: Anhang 42). Das ungünstige Preis-Leistungs-Verhältnis, d.h. hohe Kosten und großer Aufwand bei wenigem Gewinn, würde die Zugangsproblematik bei Bedarfsanalysen in Unternehmen verschlimmern. Hingegen könnten erfolgreiche Kurse Unternehmen zur Beteiligung an ähnlicher Forschung motivieren und einen positiven Beitrag zur Entwicklung von Bedarfsanalysen leisten. 4. Ausblick Durch die Auseinandersetzung mit Verfahren und Schwierigkeiten bei Bedarfsanalysen bietet der vorliegende Beitrag einen Einblick in die Praxis der fremdsprachendidaktischen Forschung im berufsbezogenen Kontext. Mit Kenntnissen über mögliche Forschungseinschränkungen in spezifischen Kontexten können Forschende sich vor der Erarbeitung eines Forschungsprojekts darauf einstellen, unnötige Arbeit ersparen und vernünftige und realistische Forschungsziele setzen (vgl. B ROWN 2016: 55). Mit der fortschreitenden Entwicklung der Methodik von Bedarfsanalysen werden erhöhte Ansprüche an Forschende und Lehrkräfte gestellt, die Bedarfsanalysen durchführen wollen oder müssen. Erstens sollten Forschende und Durchführende von Bedarfsanalysen auf der individuellen Ebene Grundkenntnisse über Konzepte, Ansätze und Verfahren der Bedarfsanalyse erwerben und sich mit der jeweiligen Praxissituation (z.B. Unternehmen, Krankenhäuser, Behörden) bekannt machen. Zweitens sollten Forschende in diesem Feld eine umfassende Methodenkompetenz aufweisen, d.h. nicht nur die Anwendung einzelner Methoden beherrschen, sondern auch den Einsatz einer oder mehrerer Methoden hinsichtlich der Methoden-Informanten-[Kontext]-Interaktion (vgl. L ONG 2005b: 61). Darüber hinaus sind eine holistische Perspektive und methodische Flexibilität bei der Bedarfsanalyse stets von Vorteil, damit durch den methodischen Einsatz oder eine spontane Notbzw. Korrekturmaßnahme das Forschungsziel weiterverfolgt und das Forschungsdesign ggf. angepasst werden kann. Im ganzen Ablauf der Bedarfsanalysen von der Kontaktaufnahme mit Unternehmen bis zur Entwicklung von Curricula muss das übergeordnete Interesse der Unternehmen im Vordergrund stehen. Um die Anwendungsbereiche von Bedarfsanalysen zu erweitern und ihr Potenzial voll auszuschöpfen, sind einerseits kontextuelle Faktoren der Bedarfsanalysen ins Forschungsspektrum einzubeziehen. Wie für den berufsbezogenen Fremdsprachenunterricht, der im Laufe der Entwicklung im Bereich Fremdsprachenunterricht allmählich als eigenständiges Fach etabliert ist, sind Merkmale der Bedarfsanalysen in Bezug auf die Theoriebildung und die praktische Handhabung je nach der Kontextspezifik zu generalisieren. Andererseits ist auf der institutionellen Ebene die Kooperation von Unternehmen mit Hochschulen zu verstärken. In einer Welt mit sich rasant ver- 114 Hong Cai DOI 10.2357/ FLuL-2021-0021 50 (2021) • Heft 2 ändernden Marktbedingungen und somit ständig neuen Herausforderungen an Bildung und Forschung kann ein reger Austausch dabei helfen, dass Forschende mit praxistauglichen Forschungsergebnissen Unternehmen zufriedenstellen können und gleichzeitig Zugang zu Unternehmen bzw. zu authentischen Informationen erhalten. Dadurch wird ein gesunder Kreislauf entstehen, in dem die Erkenntnisse aus der Forschung in die Praxis umgesetzt werden und gleichzeitig die Theoriebildung zugunsten einer nachhaltigen Entwicklung durch Erprobungen in der Praxis überprüft bzw. bereichert wird. Zu guter Letzt ist zu ergänzen, dass Bedarfsanalysen im Unternehmenskontext keinesfalls nur Schwierigkeiten bereiten. Im Vergleich zu Bedarfsanalysen im allgemeinen oder berufsvorbereitenden Fremdsprachenunterricht sind Mitarbeiter*innen im Unternehmenskontext den pre-service-Lerner*innen an Schulen und Hochschulen überlegen, da sie oft ein klares Bild über ihre zu bewältigenden Aufgaben haben und eine starke Motivation und Zielorientierung beim Lernen zeigen, was die erwähnten Schwierigkeiten gewissermaßen ausgleicht. Vielmehr geht es hier um die Wahrnehmung und Generalisierung von Erkenntnissen aus einer reflektierenden Sicht über die Methodik der Bedarfsanalysen. Als Ausblick auf die weitere Forschung ist außer der Ausarbeitung einer praktischen Handhabung auch ein angemessenes und praxistaugliches Bewertungskriterium für Bedarfsanalysen zu erstellen. Literatur ALLWRIGHT , Richard (1982). „Perceiving and pursuing learner's needs“. In: G EDDES , Marion / S TURTRIDGE , Gill (Hrsg.): Individualisation. Oxford: Modern English Publications, 24-31. A RCHAN , Sabine / D ORNMAYR , Helmut (2006): Fremdsprachenbedarf und -kompetenzen: Unternehmensbefragung zu Ausbildungsqualität und Weiterbildungsbedarf. Wien: Ibw - Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft. B ENESCH , Sarah (1996): „Needs analysis and curriculum development in EAP: An example of a critical approach“. In: TESOL Quarterly 30.4, 723-738. B ENESCH Sarah (1999): „Rights analysis: Studying power relations in an academic setting“. In: English for Specific Purposes 18.4, 313-327. B ROWN , James Dean (2006): „Second language studies: curriculum development“. 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Based on our own research and other studies focusing on the use of videos in teacher education contexts, we elaborate on this principle in a theoretical and application-oriented manner. After reviewing research on video-based foreign language teacher education we illustrate subject-specific insights to be gained from video studies and explain why these might be challenging when used in teacher education. Then, we introduce our English as a foreign language (EFL) teacher professional development program and explain how we apply and evaluate our principle within it. 1. Introduction The value of teaching videos for teacher professional development (PD) has been discussed across nations, school levels and subjects. Fueled by research on US mathematics teachers’ PD in video clubs (cf. S HERIN / H AN 2004; S HERIN / VAN E S 2009), an array of studies has emerged which address pre-service as well as in-service teachers’ development through teaching videos in the UK (cf. L EFSTEIN / S NELL 2011), Germany (cf. K LEINKNECHT / S CHNEIDER 2013), Switzerland (cf. P AULI / R EUSSER / G ROB 2007), France (cf. G AUDIN / C HARLIÈS 2015), Australia (cf. M ACLEAN / W HITE 2007), and the Czech Republic (cf. M INAŘÍKOVÁ et al. 2015). - the lion’s share of investigations * Addresses for correspondence: Dr. Heike N IESEN , Dr. Annika K REFT , Prof. Dr. Britta V IE - BROCK , Prof. Dr. Daniela E LSNER , Goethe University Frankfurt/ M., Faculty of Modern Languages, Department of English and American Studies, Norbert-Wollheim-Platz 1, 60323 F RANKFURT / M., Germany E-Mail: niesen@em.uni-frankfurt.de; a.kreft@em.uni-frankfurt.de; viebrock@em.uni-frankfurt.de; elsner @em.uni-frankfurt.de Research areas: Video-based foreign language teacher professional development, multilingualismsensitive English language teaching, transcultural awareness. N i c h t t h e m a t i s c h e r T e i l 118 Heike Niesen, Annika Kreft, Britta Viebrock, Daniela Elsner DOI 10.2357/ FLuL-2021-0022 50 (2021) • Heft 2 clusters around mathematics and science teacher PD. What most studies have in common is that they ascribe videos a high potential for PD. This view is supported by educational researchers who stress that “no medium is more suitable than film recordings of lessons to become aware - in discourse with colleagues - of one’s own intuitive theories about teaching and learning” (H ELMKE 2017: 349; our trans.). This is equally true for investigations which examine the use of videos in foreign and second language teacher PD (cf. B ECHTEL / M AYER 2019; G IEßLER 2018). Videos are perceived as “essential educational tool[s]” (B AECHER et al. 2013: 195) in this specific context as well. Despite their positive attributions, videos are not used systematically in teacher PD programs, a finding that is especially true in the German context. It is H ELMKE (2017: 345) again who notes that the use of teaching videos is rare in initial teacher training and further education, especially because of a lack of teacher cooperation and what he calls the “teaching-is-private syndrome” due to which many teachers shy away from being filmed. Teachers’ concerns are not unfounded. First, observers cannot be expected to be objective video analysts for what is perceived is subject to various distortions (cf. K RAMMER / R EUSSER 2005: 43). Second, it has been shown that at the onset of video-based teacher PD projects, teachers’ videos often fall victim to “premature” and “hasty judgements” (K RAMMER et al. 2015: 133f.). The situation becomes even more delicate when foreign language (FL) teachers are asked to have their teaching filmed and discussed, especially when teachers are not only supposed to provide their students with high-quality language input and enhance their communicative competences in the target language, but are also expected to incorporate the learners’ diverse language backgrounds and foster their multilingual competences. Without questioning the importance of other challenges teachers (and teacher educators) currently face, such as the digital transformation in teaching and learning or inclusive classrooms, multilingualism-sensitive (E)FL teaching has gained momentum not only on a political, but also on an empirical (cf. B UENDGENS -K OSTEN / E LSNER 2018; H OPP / J AKISCH 2020) and more practical level (cf. E LSNER / L OHE 2021). Although the question of how to deal with the multilingual resources of learners in FL classrooms is a central one, many teachers report to feel ill-prepared to engage in multilingualism-sensitive teaching (cf. B REDTHAUER / E NGFER 2016), and thus fear the criticism of not teaching what is being expected of them. What is more, teachers’ skeptical attitudes towards the inclusion of pupils’ languages acquired prior to the target language are often rooted in the conviction that strict monolingual approaches serve best to develop communicative competences in the FL while research starts to prove the opposite (cf. B UENDGENS -K OSTEN / E LSNER 2018; J AKISCH 2014). With regard to another relevant domain in FL teaching, the development of transcultural awareness and competences 1 , similar observations can 1 Transcultural awareness describes an awareness of the hybridity and performativity of contemporary cultures, which are no longer confined to a restricted group of people in fixed national or geographical spaces. Transcultural competences denote those competences needed to deal with this hybridity and Respect matters: A position paper for standards of good conduct 119 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0022 be found. Teachers report insecurities concerning the practical application of these objectives, show idiosyncratic understandings of the concepts and tend to rely on simplistic (binary) cultural comparisons (cf. H EYDER / S CHÄDLICH 2014; V IEBROCK 2018). Instances of cultural or even racial stereotyping have been documented in video studies (cf. K REFT / V IEBROCK 2020) that run the risk of exposing FL teachers and, thus, require a fair amount of sensitivity when dealing with these videos. Against this backdrop, we address ethical considerations concerning the use of videos in teacher education: How can videos with all the potentials they offer for FL teacher PD be utilized while at the same time taking their specific challenges into account? E.g., how can teachers’ skeptical attitudes be overcome - particularly in a context where they report insecurities and might feel exposed? How can video excerpts that contain critical incidents of FL teacher behavior be turned into a valuable PD experience? As academics working in the field of EFL pedagogy, our understanding of research includes the transfer of research results from different disciplines, incorporating our own and neighbouring ones, into domain-specific paradigms that inform EFL teaching. Thus, based on our own observations and research as well as insights from other video-based studies from different subject-specific disciplines and education research, we will elaborate on seven principles of good conduct for videobased FL professional development, which we will summarize under the acronym RESPECT. In the following, we will elaborate on the use of videos in language teacher education (section 2) and briefly touch upon the context out of which the RESPECT Principle arose (section 3). We will then explain the seven constitutive parts of the RESPECT Principle and by way of best practice examples illustrate how they are realized in our video-based teacher education projects LEVEL 2 and The Next LEVEL (TNL) 3 (sections 3.1 - 3.7). 2. Research review: the use of videos in foreign language teacher education Videos in language teacher PD have been used in both deductive and inductive ways. As “objects of reference” (S CHRAMM / B ECHTEL 2019: 4f.; our trans.) they have been used to illustrate theoretical aspects of FL teaching and learning and enable teachers to recognize these aspects in classroom interaction. As “cases” (ibid.: 5; our trans.) they have been used to engage teachers in reflecting professional behavior. Also, different kinds of teaching videos have been employed, such as simulated or authentic ones, (pre-service) teachers’ own, their peers’/ colleagues’ videos as well as videos which show teaching performed by teachers unknown to the observers. Table 1 properformativity, i.e. with increasingly fuzzy categories, with hybrid identities, dynamic group affiliations and shifting borders of any kind (cf. K REFT / V IEBROCK 2020). 2 LEVEL (2015-2018), FKZ 01JA1519 3 The Next LEVEL (2019-2021), FKZ 01JA1819 120 Heike Niesen, Annika Kreft, Britta Viebrock, Daniela Elsner DOI 10.2357/ FLuL-2021-0022 50 (2021) • Heft 2 vides a selective overview of research conducted in the field of video implementation for foreign and second language teacher PD. Addressees Function of video use/ objectives Kinds of videos used Languages / domains addressed A BENDROTH - T IMMER (2011) pre-service reflective and analytic processes simulated peer and authentic videos French/ traditional and alternative teaching methods, teaching material B AECHER et al. (2013) pre-service self-evaluation peer (unknown to observers) and own videos TESOL B ECHTEL & M AYER (2019) pre-service professional vision, self-reflection authentic French/ listening comprehension G IEßLER (2018) pre-service professional vision authentic English/ lexical learning J ANÍK and J ANÍKOVÁ (2019) pre-service professional vision, reflective processes authentic German/ language learning tasks and language skills N IESEN (2018) pre-service professional vision simulated peer (known to observers) and own videos English/ multilingualism-sensitive EFL teaching M INAŘÍKOVÁ et al. (2015) in-service professional vision authentic own, colleagues’ and videos of teachers unknown to observers English/ pupils‘ communicative competence W IPPERFÜRTH (2019) in-service professional vision authentic own and colleagues’ videos English/ listening comprehension/ monolingual EFL teaching Tab. 1: Selection of video-based studies in (foreign) language teacher education Research which focuses on pre-service teacher education mainly looks at the question of how prospective language teachers’ PD can be propelled in video-based settings. A BENDROTH -T IMMER ’ S (2011) study reveals that authentic expert videos serve as teaching models for pre-service teachers and help them put their own aspirations into perspective (cf. ibid.: 33, 36). B AECHER et al. (2013) show how the guided use of model videos can enhance pre-service teachers’ evaluations of their own teaching. In the TUD-SYLBER project, B ECHTEL and M AYER (2019) found that different observation prompts influenced what pre-service French teachers notice in videos of listening comprehension lessons. In the LexLern study, G IEßLER (2018) has suggested the Respect matters: A position paper for standards of good conduct 121 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0022 implementation of various observation tasks to help pre-service EFL teachers explore video scenarios which illustrate lexical learning. J ANÍK and J ANÍKOVÁ (2019) found that carefully designed instructions supported pre-service teachers in formulating coherent commentaries about student thinking and learning after they had taken part in the online platform “DAF-VideoWeb” (ibid.: 63). With regard to affective aspects, the prospective teachers in N IESEN ’ S (2018) investigation stressed the positive and negative feelings which emerged when analyzing their own and their peers’ teaching videos, such as excitement, pride, shame or embarrassment. In a nutshell, these studies show that a thoroughly structured and prompts-based analysis, allowing for active negotiation of meaning by the observers, can be seen as important quality criteria for the use of videos in pre-service teachers’ PD. These results are in line with the small range of studies focusing on the use of videos in in-service teacher education, yet the focus of these studies rather lies on teachers’ professional knowledge, identity and interactional behavior in video-based trainings. M INAŘÍKOVÁ et al. (2015) reported that when EFL teachers engage in analyses of their own and their colleagues’ teaching videos, their attention gradually changes from focusing on teacher behavior towards the pupils’ development of communicative competences. W IPPERFÜRTH (2019) has shown how different kinds of teacher knowledge operate when teachers elaborate on their own and their peers’ teaching videos. The list of studies mentioned here is not exhaustive. However, and to the best of our knowledge, no study so far has investigated the use of videos to support EFL teachers’ ability to analyze classroom teaching with a focus on the subject-specific domains of multilingualism-sensitivity and transcultural awareness. The question of how they need to be implemented in video-based FL teacher education to spark subject-specific PD is a central concern in our projects LEVEL and TNL. 3. Origins of the RESPECT Principle In the LEVEL project, we have used videos to enable pre-service teachers to notice and engage in EFL teaching that is sensitive to multilingualism and aims at the development of transcultural awareness (cf. E LSNER et al. 2020). Some video samples from this context (figures 4 and 5, page 128 and 130) show critical incidents in classroom interaction and teaching behavior that offer potential for PD in these subject-specific domains, but at the same time pose serious ethical challenges. To address these challenges, we have developed our RESPECT Principle, which informs the use of teaching videos in the TNL project. Unlike LEVEL, TNL aims at the PD of in-service language teachers and clusters around four video-based digital modules in the course of which EFL and German as a second language teachers’ attitudes towards, knowledge about, and ability to conduct teaching which considers multilingualism as a resource and objective and addresses transcultural awareness are to be developed. The RESPECT Principle tries to balance a general appreciation of the experiential 122 Heike Niesen, Annika Kreft, Britta Viebrock, Daniela Elsner DOI 10.2357/ FLuL-2021-0022 50 (2021) • Heft 2 knowledge of in-service teachers and the need to make visible and reflect upon subject-specific demands and objectives. The following passages illuminate the constitutive parts of the acronym RESPECT, which read as follows: “Rooms for diverse perspectives”, “Establishment of a structured learning setting”, “Shared professional language for mutual understanding”, “Privacy in digital learning surroundings”, “Encouragement for evidencebased perspectives”, “Context and contextualization” as well as “Teambuilding in video discussion groups”. Each of these sub-principles is explained with reference to respective previous research, and accompanied by examples from the TNL project. 3.1 Rooms for diverse perspectives Addressing teachers’ “professional vision” (PV), i.e. their ability to “notice and interpret significant features of classroom interactions” (S HERIN / VAN E S 2009: 20), we present teachers with critical incidents of classroom interaction that demand careful reflection with regard to multilingualism sensitivity or aspects of transcultural awareness. In doing so, we draw on G OODWIN ’s (1994: 606, 626) understanding of PV within which a plurality of visions is inherent: “Professional vision is perspectival, lodged within specific social entities, and unevenly allocated.” According to the author, there is no “neutral vision of objective events unambiguously visible on […] tape”, from which we conclude that in video-based PD teachers need to be provided the space to voice different perspectives (cf. also VAN E S 2012: 190). Differences in perspectives are also observable amongst teachers and course facilitators. What they see in teaching videos, and what they think deserves attention, can be quite disparate. The power dimension involved here is most obvious when preservice teachers discuss videos with their university instructors. It may be less obvious when it comes to experienced teachers, but it would be naïve to assume it does not operate. In line with A RAFEH and M C L AUGHLIN (2002) we would like to stress that the dimension of power involved in the teacher educator/ teacher dynamic is an important ethical issue (ibid.: 21). When teacher educators’ and teachers’ visions do not match, it is often the case that the latter is perceived as inferior or deficient. As L EFSTEIN and S NELL (2011: 507) put it: “[O]ne correct way of seeing is authorised as professional; deviations from it are positioned as lacking in expertise.” In TNL, we include teachers’ perspectives in various contexts. For example, when the notion of multilingualism sensitivity is introduced, teachers are invited to share their thoughts and experiences on this aspect in a more general sense first while commenting on a selection of newspaper articles (figure 1). Respect matters: A position paper for standards of good conduct 123 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0022 Fig. 1: Task material (TNL introductory module) Not only does this openness value teachers’ perspectives, it also informs course instructors about which aspects to draw upon in follow-up discussions with teachers. In a similar vein, open questions are used in the initial encounters with video excerpts showing critical incidents: “What do you think is noteworthy about the way the teacher acts in the clip? Do you think teacher behavior contributes to pupils’ learning processes? Please choose examples of what, from your perspective, strengthens the pupils’ learning (and what does not). What makes you think so? ” Our tasks are grounded in the conviction that teaching innovations such as multilingualism sensitivity and transcultural awareness must not be dealt with in a normative sense, i.e. we reject an understanding of professional vision as “good” or “correct” as long as it is “well-aligned with the goals of reform”, a perception which has become known as “professional vision for reform teaching” ( VAN E S / S HERIN 2008: 244). 3.2 Establishment of a structured learning setting Video-based teacher PD programs differ in their degrees of structuring and guidance. Guided settings have been associated with “systematic” PD (K RAMMER et al. 2015: 127), but these settings might also be prone to a “mimicking effect” (G AUDIN / C HAR - LIÈS 2015: 56). When this effect occurs, teachers “simply express more of what they perceive are the ‘right’ reform-minded ideas […]” (ibid.: 56). What is of interest here 124 Heike Niesen, Annika Kreft, Britta Viebrock, Daniela Elsner DOI 10.2357/ FLuL-2021-0022 50 (2021) • Heft 2 is the context which frames this shortcoming: Classroom videos which show innovative teaching approaches (“reform-minded ideas”), such as multilingualism-oriented approaches in the context of EFL, seem to demand for specifically structured videobased PD settings to avoid simple imitation of these ideas. In TNL, we have implemented a structured stetting for video observation and analyses. As can be seen in the example below (figure 2) from the module ‘enhancement of target language and multilingual competence’, teacher observation is scaffolded by initial guidance which is then slowly withdrawn: First, the teachers’ attention is directed towards a specific scene in the video which illustrates the introduction of a multilingual task. To avoid pre-mature judgments, the scene is to be described first. Teachers are then to notice theoretical concepts of multilingualism-sensitive teaching, which have been elaborated on earlier in the module. In a more inductive manner, observers are then to identify two scenes which mirror multilingualism-sensitive elements. The learning objective pursued with this approach covers teachers’ ability to recognize elements of multilingualism-sensitive EFL teaching and learning and serves as an important step towards enhancing their PV (section 3.1) by identifying video scenes which demand for multilingualism-sensitive teaching. Fig. 2: Video observation tasks (TNL module 3) 3.3 Shared professional language for mutual understanding Language is of particular importance during video analyses. W IPPERFÜRTH (2015) identified various functions of professional language in video-based “teacher network” discussions such as enabling novice and more experienced teachers to discuss specific aspects of observed teaching and carry out in-depth video analyses and reflections (cf. ibid.: 83f., 163-165). Besides uncovering teachers’ (“ambivalent”) perceptions of the use of professional language, she emphasizes the intertwined rela- Respect matters: A position paper for standards of good conduct 125 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0022 tion between a shared professional language, shared teaching experiences and shared professional vision (cf. ibid.: 83, 183). Another aspect is worth mentioning here: When teachers and facilitators use different terms for the same phenomenon or the same term for different phenomena, misunderstandings are likely to occur. Misunderstandings, in turn, can be a threat to group dynamics and distract video observants from in-depth video analysis. U LEWICZ and B EATTY (2001) have strongly argued for the development of a “shared language of practice” to avoid “vague generalities” and, instead, add depth to video observations through the use of accurate language. Language also plays an important role when teachers’ identities come into play during video discussions. As M ACLEAN and W HITE (2007) have noted, the way novice teachers whose teaching videos were subject to analyses formed their “identity as competent teachers […] by the use of professional teacher language to justify their actions as seen in the video” (ibid.: 53). Not only do classroom videos require the use of precise language, they also serve to create it (cf. K RAMMER / R EUSSER 2005). Facilitators can and should stimulate teachers to describe in detail what they see in a video. The use of observation tasks aiming at teachers’ abilities to precisely describe “in-depth structures of teaching” with appropriate “technical terminology” (S CHRAMM / B ECHTEL 2019: 4; our trans.) is an important step towards enabling teachers to analyze their own professional actions through subject-specific terminology (cf. B ROUWER 2014). Figure 2 above shows how the use of precise language is established in the TNL project with a focus on multilingualism-sensitive teaching. When teachers identify scenes in the classroom video which mirror multilingualism-sensitive teaching approaches, they are explicitly requested to use precise terminology to name these approaches (“Please try to label the aspects identified using scientific terminology”). Additional reference is made to a terminological glossary, which defines basic concepts such as “first”, “second” or “foreign language” alongside more specific notions such as “language maintenance” or “language transfer”. The provision of technical terms in glossaries has been put in relation to teachers’ understanding for they are considered as bases for students’ declarative, procedural, and even metacognitive knowledge about teaching processes, and serve as a springboard for their professional development (cf. F REY / J ÄGER 2008: 733). 3.4 Privacy in digital learning surroundings The use of digital tools has been established in video-based teacher education (cf. N IESEN et al. 2020) as “[m]odern technologies make it possible to store systematically video clips […]” [sic! ] (J ANÍK et al. 2009: 208). The seemingly infinite options created by technology pose a number of challenges: What happens when classroom videos are not analyzed by observants in “the privacy of their computer station” (J ANÍK et al. 2009: 213), but, instead, in virtual learning settings and online discussion forums? Is it justifiable to spread teaching videos, especially when ordinary or even flawed teaching is shown, just because technology offers the opportunity to do so? 126 Heike Niesen, Annika Kreft, Britta Viebrock, Daniela Elsner DOI 10.2357/ FLuL-2021-0022 50 (2021) • Heft 2 It is our firm belief that our actions as TNL course developers and instructors need to be judged by an “ethic of responsibility in a teleologic sense” shaped by “integrity” (T RAUTMANN 2018: 110f.). We take specific measures to meet this responsibility. First, in some of the videos used, the course instructors put themselves up for discussion by acting as teachers in EFL classrooms. Second, in a more technical sense, TNL participants’ privacy is protected when using the course platform and the e-portfolio, which facilitate the sharing of video-based reflection tasks, self-designed teaching materials, and other artefacts such as pictures, audio recordings or short films and allow for the provision of feedback. It goes without saying that every teacher determines who has access to their artefacts, especially when they include personal information of the teachers’ cultural affiliations and experiences or their language learning biographies. As such information is deeply rooted in personal identity structures it must be the teachers themselves to decide whether or not to share it - and with whom. 3.5 Encouragement for evidence-based perspectives Video-based PD requires encouragement for precise analysis, i.e. for a differentiated professional vision and well-founded reasoning. When expressing observations, evaluations and suggestions teachers need to be encouraged to adopt a micro-analytic perspective and refer back to specific situations in the classroom videos, a point which has been stressed by both, facilitators and teachers alike (cf. K RAMMER / R EUSSER 2005; S ACHER 2010). Teachers need to be encouraged to “identify interpretive questions or disagreements and then attempt to resolve them through close and specific attention to the available evidence in the recording” (L EFSTEIN / S NELL 2011: 512). In TNL, we engage teachers in controversial discussions and challenging assessments of classroom sequences. In the final part of the module that focuses on diagnosing transcultural competences, for example, we use a video excerpt from an English literature class that documents a complex negotiation of questions of origin and belonging (figure 3). The teachers need to assess whether the sequence is to be regarded as best practice or improvable practice concerning the topical focus, i.e. they have to focus on a selected subject-specific aspect and base their arguments closely on evidence from the recording. Respect matters: A position paper for standards of good conduct 127 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0022 Fig. 3: Study unit on diagnosing transcultural competences (TNL module 2) Another example (figure 4, page 128) illustrates the tension between the potential classroom recordings offered for in-depth analysis of content-based interaction and the problem of exposure. The scene is from a literature-based English lesson and documents a discussion of the novel The Reluctant Fundamentalist (H AMID 2013), which tells the story of the radicalisation of a Pakistani immigrant to the United States in the wake of 9/ 11. The class reflects upon the reason for the protagonist’s development and explores the influence of one’s outward appearance on the perception by others. The teacher’s remark in ll. 12-13 is of particular interest as the statement on human skin colours is a clear instance of everyday racism (cf. S CHRAMKOWSKI / I HRING 2018) which might have gone unnoticed in classroom interaction if it was not for a close analysis of the transcript. While the teacher probably intends no harm, the remark contributes to problematic and simplistic categorisations of people. 1 Sf6: kann man sagen dass Changez äh sich geändert hat weil er einfach nicht akzeptieren konnte dass 2 die Menschen in seinem Umfeld andere Menschen nach ihrem Aussehen und nach ihrer Herkunft 3 beurteilen und nicht nach ihrer Persönlichkeit und ihren Charakter und der die damit so- 4 LP3: well, it’s not about him really I mean that’s a natural process that you can’t accept this because that’s 5 not what his real personality is eh all about (.) and that’s natural; I mean he changed because of 9/ 11 6 basically. Because of he forgotten- 7 Sf6: ja aber weilweil die meisten Leute dann gedacht haben er ist ein potentialer Terrorist. 8 LP3: hm: : yes 9 Sf6: und deshalb changed er. Weil die Leute dachten immer he is a potential terrorist. [LP3: yeah] 10 irgendwie (for the patriots with his beard.) 128 Heike Niesen, Annika Kreft, Britta Viebrock, Daniela Elsner DOI 10.2357/ FLuL-2021-0022 50 (2021) • Heft 2 11 LP6: but also- I mean if you can’t identify with people who don’t look like you that’s also natural. So 12 someone being black will always be looked at, 13 Sf? : ehrlich? 14 S? : Sf4 von mir auch weil der schwarz ist. 15 LP3: yewell yeah. ehm but (.) still. Fig. 4: Excerpt from literature-based classroom interaction (K REFT / V IEBROCK 2020) By making visible certain pitfalls from a subject-specific perspective, teachers are provided with the opportunity to develop their transcultural awareness and adapt their actions accordingly. At the same time, we are aware of a danger of exposing the teacher’s lack of racial sensitivity that comes along with highlighting and singling out the teacher’s actions from a specific perspective in what is otherwise a highly complex situation. However, the learners’ ironic reactions in ll. 13-14 show that they have realised the teacher’s misapprehension and lack of awareness here, again stressing the need for PD. 3.6 Context and contextualization When teachers are shown videos of unfamiliar settings or unknown teaching, the provision of context information about the group of learners, teaching objectives etc. is of indispensable value (cf. K LEINKNECHT / S CHNEIDER / S YRING 2014). Videos alone only capture behavior in a specific situation at a specific point in time, and, depending on the camera angle and field size, only parts of what happens in a classroom. Contextual material such as lesson plans or pupils’ learning products can provide teachers with additional perspectives for analyzing aspects of classroom interaction or learning outcome. In spite of its importance, the provision of context information or detailed information requires careful considerations: The more detail is provided, e.g. clearly visi- Respect matters: A position paper for standards of good conduct 129 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0022 ble faces and classrooms in teaching videos, the more one may enter dangerous ethical (and legal) fairways. The tension between detailed information and privacy issues (section 3.4) has also been acknowledged from a research perspective which fears a change of data in undesirable ways: “The question of what constitutes a significant alteration of the data to render the video less amenable to particular analyses is a sticky one” (A RAFEH / M C L AUGHLIN 2002: 11). In TNL, we prioritize privacy issues and considerations of good conduct over research interests, but trust that teachers will be provided with sufficient information to gain valuable insights and advance in their PD. Figure 2 (section 3.2) illustrates the provision of context information prior to video analysis: Pupils’ learning prerequisites and teachers’ learning objectives are specified. Moreover, TNL participants are provided with information about what guided teacher behavior in the lessons filmed (the attempt to create a teaching example of multilingualism-sensitive ways to include pupils’ first languages in the learning process). 3.7 Teambuilding in video discussion groups The notions of identity and face are of importance when establishing a community of teachers in video-based education. Following M ACLEAN and W HITE (2007), “[t]eacher identity is unstable and in continual flux” as well as “inextricably linked to professional practice and to continued professional learning and development” (ibid.: 48). In addition, the notion of face has received considerable attention in research on video-based teacher PD programs. It can have a major impact on what teachers think can legitimately be talked about in video discussion groups (cf. L EFSTEIN / S NELL 2011). S ACHER (2010: 106f.; our trans.) points out that face is mutually constructed by oneself and others, in a sense that the ways we want to be perceived is (or not) confirmed by other’s reactions. So-called “face-work” denotes efforts in potentially face-threatening situations, either to protect one’s own face, or to save somebody else’s face. Face-saving activities also help secure teambuilding and a respectful working atmosphere between teachers and PD course facilitators. This is by no means trivial, as it has been reported that teachers involved in video-based inquiry stood together “posing a united front against the researchers’ criticism” (L EFSTEIN / S NELL 2011: 21). The following example serves to illustrate a face-threatening situation for a student due to critical classroom behavior by her peers. Figure 5 shows an excerpt from a 6 th grade that is engaged in language comparisons on a lexical level. Pupils were encouraged to name items depicted on pictures in their first languages. The teacher intended to write these terms down on an overhead transparency next to the respective English expressions. 130 Heike Niesen, Annika Kreft, Britta Viebrock, Daniela Elsner DOI 10.2357/ FLuL-2021-0022 50 (2021) • Heft 2 1 LP: ok, let’s talk about the pictures and the words (.) [name of student S1] 2 S1: Das ist aber komisch auszusprechen (.) 3 LP: It’s ok 4 S1: kitap [Arabic word for ‚book‘] 5 Class bursts with laughter Fig. 5: Excerpt from multilingualism-sensitive EFL teaching (unpublished) The video uncovers the challenges of multilingualism-sensitive teaching: After a student adds a term in her first language (l. 4), she is laughed at because the pronunciation of the term sounded unfamiliar to her peers. Pupils may feel awkward about using their first languages in class and may even feel humiliated by their peers’ reaction (cf. E LSNER 2010). Situations like this call for the teacher’s ability to raise pupils’ awareness of differences between languages and how language comparisons can be used strategically for further language learning. We take a number of measures in TNL to establish a community whose joint concern it is to foster its members’ PD, including the stimulation of online communication and exchange (forum, topical discussion groups encouraging teachers to share their practical teaching experiences with multilingualism-sensitive and transcultural teaching). To avoid teachers having to defend their face or protect their identity, not everything that can be discussed will ultimately be discussed. For example, in TNL teachers can analyze teaching videos individually before they do so with a colleague and, finally, in a group. It is up to the instructors to be sensitive towards teachers’ attempts to defend their face in group discussions. Further, there is room for teacher self-evaluation, especially in the e-portfolio. Here, teachers may document and deal with their personal learning process without any kind of pressure. 4. Conclusion and outlook We have presented seven standards of good conduct which derived from the LEVEL project and the TNL teacher PD course. We understand these standards as appreciative Respect matters: A position paper for standards of good conduct 131 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0022 and shaped by trust and respect. None of the principles outlined unfolds its potential in isolation, rather, they build on each other and are mutually dependent: For instance, the inclusion of teachers’ perspectives on multilingualism-sensitive and transcultural EFL teaching and learning need to be transferred to structured video observation tasks and group discussions. These discussions, in turn, need to be guided by instructors who are sensitive to teachers’ attempts to express their thoughts while simultaneously adjusting their guidance towards the intended learning objectives. Although the RESPECT Principle originated from a specific context here, it can be assumed that it is of relevance for other domain-specific video-based teacher PD programs as well, albeit with a change in focus: For example, the subject-specific challenges teachers of physical education face when being filmed and, possibly, exposed will probably differ from those relevant for EFL teachers. Hence, the specifics of the RESPECT Principle might have to be slightly adapted. One thing, however, is of utmost importance, namely that the quality of teacher PD endeavors should be measured against to what extent they are guided by RESPECT. Acknowledgements The LEVEL project and TNL are part of the “Qualitätsoffensive Lehrerbildung”, a joint initiative of the Federal Government and the Länder which aims to improve the quality of teacher training. The programme is funded by the Federal Ministry of Education and Research. The authors are responsible for the content of this publication. 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Im Rahmen einer Pro- & Contra-Diskussion zu behaupten, dass es der Fremdsprachendidaktik (FSD) derzeit an einer Streitkultur mangle, droht diese Aussage unmittelbar ad absurdum zu führen. Pro & Contra stehen doch geradezu paradigmatisch für Streit und zeugen damit auch vom Vorhandensein einer Streitkultur. Jein. Denn das hängt davon ab, was man unter Streit und auch Streitkultur versteht. Das Gegenüberstellen von Pro und Contra innerhalb eines gegebenen Streitraums zeugt (noch) nicht vom Vorhandensein einer Streitkultur. Streit klingt zunächst negativ. Wer sich streitet, entzweit sich, wird mitunter zu erbitterten Gegnern. Nicht nur in der Geschichte der FSD gibt es einige Beispiele für solche Verfeindungen unter zerstrittenen Streithähnen. Sie haben Formen des Streits etabliert oder perpetuiert, die wenig zur Errichtung oder Ermöglichung eines produktiven kritischen Diskurses beigetragen haben. Bei manchen Beteiligten und Augenzeugen dürfte das zweifellos ein erhöhtes Harmoniebedürfnis ausgelöst haben, so dass sie sich zumindest zeitweilig vor dem Streiten hüten. Es gibt aber auch Beispiele dafür, dass es in der FSD durchaus Streitkulturen gegeben hat. Man denke nur an die Auseinandersetzungen zum Sinn und Unsinn des interkulturellen Lernens oder des Referenzrahmens. Derzeit ist allerdings eine erstaunlich geringe Bereitschaft zum Streiten auszumachen. Man streitet zu wenig, um eine Streitkultur zu etablieren oder wiederzubeleben. Woran liegt das? Hierzu drei Hypothesen: 1. Die häufig enge Anbindung an Schule und damit eine institutionelle Einschränkung, die sich auf die Wahrnehmung der zentralen Aufgaben und Gegenstandsbereiche der FSD verengend niederschlägt. Dabei droht das Fach zum Handlanger bildungspolitischer und institutioneller Vorgaben zu werden. Dabei ließe sich hier über vieles trefflich streiten! 2. Empirische Forschung als methodisches Paradigma (ver)führt dazu, von Daten statt von Positionen und der Positionierung von datengenerierenden Forschungsprojekten und Fragestellungen im weiteren institutionellen, theoretischen, epistemologischen, konzeptuellen, sozialen, historischen und politischen Kontext zu reden. Empirie bietet eine Insel der empirisch abgesicherten Unstrittigkeit, wenn man diese Kontexte nur bruchstückhaft berücksichtigt. 3. Verführbarkeit durch attraktive Bildungsrhetorik. Kommunikativ, authentisch, autonom klingen unbestreitbar besser als unkommunikativ, unauthentisch oder fremdgesteuert. Unter dem Deckmantel vermeintlich klarer und attraktiver Begriffe wird übersehen, dass man mit modischen Wellen schwimmt, die selbstverständlich und unstrittig - nicht frag-würdig - erscheinen. Streitbare Positionen sind in einer Forschungsgemeinschaft zweifellos notwendig. Sie anzufechten, sich damit kritisch zu befassen, erfordert ebenso wie das Verfechten solcher Positionen eine Streitkultur, die die Trennung von Person und Position garantiert. Kontroverse Diskussionen muss man nicht nur aushalten, sondern man muss sie kultivieren. Streiten ist wichtig. Vermeintliche oder auch intentionale Harmonie und Streitvermeidung drohen ansonsten zu intellektueller Entropie und damit dem Ende einer lebendigen Wissenschaft zu führen. Waterloo (CDN) B ARBARA S CHMENK Der Fremdsprachendidaktik fehlt derzeit eine Streitkultur Pro und Contra 137 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0023 Eine Streitkultur ist für eine wissenschaftliche Disziplin in etwa das, was die Hefe für den Teig darstellt; sie macht ihn durch Gärung lebendig, lässt ihn aufgehen und bereitet ihn auf die spätere Verarbeitung vor. Für die Fremdsprachendidaktik und -forschung bedeutet dies, dass die Streitkultur die Disziplin beleben kann, zur Überprüfung von alten Argumenten und zu neuen Hypothesen anregt und im besten Falle gezielte empirische Forschung hervorbringt. Aus meiner Sicht ist eine professionelle Streitkultur also unabdingbar für eine lebendige wissenschaftliche Disziplin. Zwei etwas ältere Beispiele für eine befruchtende Streitkultur sind noch gut in Erinnerung: Zum einen die Kontroverse um Inter- und Transkulturalität (ca. 2000 bis 2015), die gelegentlich hart, aber auch belebend war, indem sie die Kontrahenten dazu veranlasste, ihre Argumente und Hypothesen zu den beiden Vorsilben „trans“ und „inter“ immer wieder genau zu überprüfen. Die zweite Kontroverse (ca. 2003 bis 2018) bezog sich auf die Standard- und Output-Orientierung, die durch den Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen (E UROPARAT 2001) und die Nationalen Bildungsstandards in den meisten Sprachenfächern ausgelöst wurde. Hier waren zwei Positionen deutlich zu unterscheiden: Die eine befürchteten einen Wertverlust der Sprachenfächer, die einen Bildungsauftrag hätten, der sich nicht quantifizieren und messbar machen lasse. Andere hingegen begrüßten die genauere Operationalisierung von Einzelkompetenzen und verwiesen auf eine fairere Diagnostik im Klassenzimmer. Mein aktuelles Beispiel für eine befruchtende Streitkultur beschäftigt sich mit dem Begleitband zum Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen (E UROPARAT 2020) und seiner momentanen Rezeption. Im Gegensatz zu der früheren Diskussion um den GeR geht es nun um eine genaue und sehr differenzierte Rezeption dieses europäischen Dokuments, das nicht mehr so sehr als Flaggschiff der Output-Orientierung eingeschätzt wird, sondern das in Hinsicht auf die Genauigkeit in der Abbildung fremdsprachendidaktischer Konzepte und Lerntheorien, aber auch wegen seiner politischen Implikationen detailliert unter die Lupe genommen wird. Man war sich auf Seiten der Fremdsprachendidaktiken einig, dass der GeR dringend einer Überarbeitung bedurfte. Immer wieder war in der jüngeren Vergangenheit auf Defizite in den Konzepten (z.B. in Bezug auf Literaturdidaktik, Interkulturelles Lernen und auch auf Einzelskalen zu bestimmten Kompetenzbereichen) hingewiesen worden. Seit dem Erscheinen des Begleitbands ist der Streit um seine Aussagekraft aber neu entflammt: Die begeisterten Befürworter und Befürworterinnen, die die Nachbesserungen im GeR für gut und ausreichend halten, stehen jenen gegenüber, die viele Neuerungen für wenig fundiert, verwirrend oder auch schlicht für nicht ausreichend halten. In einigen Publikationen aus der jüngsten Zeit ist diese Kontroverse deutlich absehbar. Der Begleitband zum GeR, der durch mehrere Konferenzen (z.B. an den Universitäten in Gießen und Bremen 2019), durch mehrere Sammelbände (u.a. V OGT / Q UETZ 2018) und einige Beiträge in der Zeitschrift für Fremdsprachenforschung (Band 30, 2019) bereits deutlich als neues und befruchtendes Streitobjekt der Fremdsprachendidaktik und -forschung in Erscheinung tritt, fordert die Disziplin dazu auf, ihre Konzepte und Ziele erneut gegeneinander abzuwägen und endlich gründlich empirisch zu beforschen. Gießen E VA B URWITZ -M ELZER DOI 10.2357/ FLuL-2021-0024 50 (2021) • Heft 2 Marie V ANDERBEKE : Authentisierungsprozesse und die Nutzung Fremdsprachlicher „Affordances“ in Bilingualen Schülerlaborprojekten. Eine qualitative Studie. Berlin: Lang 2019, 421 Seiten [€ 78,50] Das der Veröffentlichung zugrunde liegende Projekt ist an der Professional School of Education der Ruhr-Universität Bochum 2017 im Promotionskolleg „Wissenschaftsvermittlung im Schülerlabor“ entstanden. Von daher ist das Kolleg für den naturwissenschaftlichen Unterricht bilingual ausgelegt (Englisch als Arbeitssprache für das Fach Biologie). Die Verfasserin greift auf englisch und deutsch unterrichtete Oberstufenkurse für ihre deskriptiv-qualitative Studie zurück, um den Authentisierungsprozessen (der Nutzung des Englischen für die naturwissenschaftliche Interaktion) auf die Spur zu kommen. In dieser Hinsicht gibt es zwei reziprok-komplementäre Beziehungen zwischen den Eigenschaften des Individuums und den bisherigen Umwelterfahrungen: die Schule und die Mitglieder der Klasse, repräsentiert durch die Lehrkräfte und die Schüler/ innen (=SuS) als komplexe und dynamische Systeme. Sie definieren die Handlungsmöglichkeiten, sodass der Außenstehende nicht weiß, welche Faktoren erleichternd oder erschwerend waren, denn die Selbstorganisation des Lernens ist bestimmend (T OMASELLO ). Interaktionen werden als kognitive Bereicherung für die SuS begriffen, was W ERTSCH (aufbauend auf V YGOTSKY und B RUNER , der die Erkenntnisse V YGOTSKY s in Harvard überprüft) lobend in dem Begriff der ‚affordances‘ hervorhebt (= ‚appropriation‘ als Synonym). Leider nennt er nur die positiven, während die Verfasserin zeigt, dass es auch negative gibt. Der Neologismus von G IBSON (affordance) ist der Sinneswahrnehmung entnommen, besonders der ökologischen Sichtweise der Visualität, die als der Umwelt inhärente Bedingungen angesehen werden und die die Handlungen der Menschen in einer Situation beeinflussen. W ERTSCH in Harvard benutzt diesen Begriff innerhalb der Soziokulturellen Theorie, aber VAN L IER führt ihn endgültig in die Theorie des fremdsprachigen Lernens ein. Er geht vom aktiven, konstruktivistischen Lernen in einem situitierten Kontext aus und sieht Sprache als gedanklich vermittelte Handlungen zwischen Individuum und Umgebung - nicht als isolierte Wörter, Sätze oder Regeln. Vor allem grenzt er sich vom Input ab, den er als Konzept zu starr einstuft. Zusammenfassend verwiesen sei auf H ALLIDAY s Systemic Functional Linguistics, die in einer älteren Arbeit erwähnt wird (bei Q UASTHOFF ), nachdem H ALLIDAY 1976 von Großbritannien gen Australien im Anschluss an das erbärmliche Scheitern des schulischen Programms Language Across the Curriculum emigriert war. In dem Aufsatz wird die funktionale Relation zwischen Sprache und Sozialstruktur thematisiert. Der nach Kanada ausgewanderte Ire C UMMINS spricht bereits 1978 und 1979 von Basic Interpersonal Communicative Skills vs. Cognitive- Academic Language Proficiency (BICS v. CALP). Im Deutschen nennen wir das heute Alltagsvs. Bildungssprache, wobei CALP als Common Underlying Proficiency (= CUP) konzipiert wird. Der Sprachgebrauch ist generell ein gesellschaftliches Phänomen, ein Enkulturalisationsprojekt, der bei der Bildungssprache in der Entwicklung sehr viel länger als bei der Alltagssprache dauert (C UMMINS ). Ich habe auf H ALLIDAY , T OMASELLO , VAN L IER , C UMMINS , B RUNER , V YGOTSKY u.a. verwiesen, weil hier Nuklei sowohl für die Authentisierungsprozesse als auch für die affordance- Theorie zu verzeichnen sind; etwa Lernsetting, Fremdsprachennutzung, Handlungsoptionen, fachliches Fähigkeitskonzept, Partnerarbeit, schulische Vorerfahrungen, Laborant/ in usw. B e s p r e c h u n g e n Besprechungen 139 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0024 Damit soll in eine Richtung gewiesen werden, die das Erkenntnisinteresse der Autorin unterstreicht, denn bisher sind bilinguale Schülerlabore meines Erachtens nicht hinreichend untersucht worden. Das zeigen die vorliegenden Fragebogenstudien, von denen sich die qualitative Evaluationsforschung positiv abhebt (nicht zuletzt über die Dokumentarische Methode). Sie bringt forschungsethische Aspekte ein und das fremdsprachliche scaffolding. Zu erwähnen wäre, dass H ALLIDAY eine educational linguistics gefördert hat: vgl. G IBBONS / H AMMOND , sein Student M OHAN im kanadischen Vancouver sowie D ALTON -P UFFER mit ihren kognitiven Diskursfunktionen. Marie V ANDERBEKE unterscheidet verschiedene affordances (darunter auch negative); z. B. die schulischen Vorerfahrungen, die zu kurzen SuS-Antworten im Anschluss an einen Vortrag des Lehrers/ der Lehrerin führen. Abgesehen von der schweigenden Arbeit werden die sozialen affordances häufiger benutzt, sodass für das bilinguale Schülerlabor die Theorie differenziert werden muss. Auffällig ist ferner, dass die erkenntnistheoretische Richtung der Sachfächer (hier: Biologie) bei den SuS reduziert ist. Die kognitiv-akademischen Ziele werden somit oft nicht realisiert, wie es das bilinguale CALP-Konzept und die ministeriellen Vorgaben vorsehen. Die SuS reagieren mit klarer Anlehnung an das Skript, d.h. an die Aufgabe, und zwar meist mittels „Kochbuch“-Versuchen. Die Fremdsprache (wünschenswert wären inzwischen Englisch und andere Sprachen für ein bilinguales Schülerlabor, da sich der Kreis erweitert hat; vgl. bereits G RADDOL ) wird oft nicht für die inhaltlich-fachliche Reflexion genutzt. Von daher sollte man die SuS mit der Wissenschaftssprache im internationalen Kontext vertraut machen oder aber momentan zur Erstsprache zurückkehren, wenn die Einheitlichkeit unter den SuS gegeben ist. Auf jeden Fall sind lexikogrammatische Hilfestellungen anzubieten, vor allem Fachbegriffe in der Fremdsprache. Die argumentative Lehrerzentrierung, sprich die diskursive Verbindung von längeren Interaktionen in der Fremdsprache, ist zu durchbrechen. Hier sind institutionelle Höflichkeitszwänge am Werk, die auch viel mit Machtstrukturen, Notendruck und Sprachbewusstheit zu tun haben. Die reflexive Literalität und das Hintergrundwissen sind zu stärken, das Schreiben ist generisch zu begründen, im fremdsprachigen Sachfachunterricht wie im bilingualen Schülerlabor. Der fremdsprachliche Projekttag ist vor- und nachzubereiten, im Gegensatz zum ‚reinen Tun‘ ist die Zielsprachennutzung zu begünstigen. Angesichts dieser Leistung, den Schülerlabortag nach den Authentisierungsprozessen und den affordances differenziert in einer qualitativen Studie zu untersuchen, sind die Heterogenität (bilinguale und nichtbilinguale SuS) und die geringe Anzahl von Probanden (drei Kurse der Oberstufe) nachgeordnet. Der Einsatz der Bildungssprache (hier einer Fremdsprache) stellt sich als ungewohnt bzw. artifiziell dar, als individuelle Einschränkung und kommunikative Barriere. Das Englische wird von den SuS mit der Alltagssprache assoziiert, d.h. es gibt keine authentische Beziehung zur Wissenschaftssprache. Diese ist jedoch auch in einen sozial-kulturellen Raum eingeordnet und ist folglich im Schülerlabortag didaktisch zu inszenieren, damit die SuS sich als selbstwirksam verstehen und eigene Gedanken produzieren. Die Verständnisüberprüfung der Lehrkraft reicht nicht, um inhaltliche Authentisierung zustande kommen zu lassen. Vorsicht ist allerdings geboten, denn SuS übernehmen zuweilen Konzepte von der science fiction. Es muss also ein integratives, sprachsensibles (L EISEN ) Modell entwickelt werden, da die Bildungssprache konzeptuell-reflexives Wissen vermittelt, was auch für die bilingual eingesetzten Sprachen gilt. Dazu sind Unterstützungssysteme für wissenschaftlich geprüfte Wahrscheinlichkeiten, ggf. revidierte persönliche Standpunkte, sachbezogene Diskussionen, verbales Denken und eine generische Textsortenkompetenz notwendig. Berlin W OLFGANG Z YDATIß 140 Besprechungen DOI 10.2357/ FLuL-2021-0025 50 (2021) • Heft 2 Eva W ILDEN , Henning R OSSA : Fremdsprachenforschung als interdisziplinäres Projekt. Berlin et al.: Lang 2019, 229 Seiten [51,40 €] Die Zeiten, in denen Fachdidaktiker*innen in forschungsmethodologischer Hinsicht einzelkämpferische Autodidakt*innen waren, sind glücklicherweise vorbei. Dennoch ist die Disziplin weit entfernt von einheitlichen Standards, die vergleichbar wären mit denen stärker etablierter Fachwissenschaften. Disziplinäre Selbstverortungen und -befragungen gehören daher in den letzten Jahren zum Interesse von Tagungen und Publikationen, wie auch im Band von Eva W ILDEN und Henning R OSSA deutlich wird. Dieser führt die Beiträge einer Sommerschule der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung (DGFF) zusammen und fokussiert dabei auf Interdisziplinarität als prägendes Merkmal fremdsprachendidaktischer Forschung (vgl. S. 22, S. 36, S. 68). Unter dem Motto „This is my truth, tell me yours” (S. 12) interessieren sich W ILDEN und R OSSA für eine Bestandsaufnahme der Disziplin, die sich einerseits per se inter- und transdisziplinär versteht und durch Verfahren der „Anleihe“ (S. 151) ein „Schmoren im eigenen Saft“ (S. 31) zu verhindern sucht, andererseits jedoch auf einem inhärent disziplinären Geltungsanspruch beharrt, der aus dem Gegenstand des Fremdsprachenlehrens- und -lernens selbst herrührt. In den zwei Großrubriken des Bandes werden zunächst Grundlagen der Interdisziplinarität diskutiert und dann in Forschungsmethoden der Fremdsprachendidaktik konkretisiert. Die Beiträge stammen von Fremdsprachenforscher*innen und Bildungswissenschaftler*innen sowie von so genannten Nachwuchswissenschaftler*innen, die an der Sommerschule beteiligt waren. Dem ersten Teil zugehörig sind eine Diskussion des Verhältnisses von Fremdsprachendidaktik und ihren Bezugswissenschaften (Barbara S CHMENK ), eine Aufarbeitung des Begriffs der Interdisziplinarität (W ILDEN und R OSSA ) sowie ein Beitrag zu forschungsethischen Fragen (Britta V IEBROCK ). Im zweiten Teil schließen sich jeweils Überblickstexte und Projektbeschreibungen zu qualitativen und quantitativen Methoden an: Der Teil zu den qualitativen Methoden wird eingeleitet durch einen Beitrag zur Vielfalt qualitativer Datenerhebungsverfahren (Karin A GUADO ) und eine Diskussion zum Verhältnis fachdidaktischer, erziehungs- und sozialwissenschaftlicher Perspektiven in rekonstruktiven Forschungsansätzen (Matthias M ARTENS und Marie V ANDER - BEKE ). Als Konkretisierungen werden eine Dissertationsstudie zu transkulturell orientierter Literaturarbeit vorgestellt (Annika K REFT ) und ein Beitrag, der die Angemessenheit kodierender oder sequenzanalytischer Auswertungsverfahren für bereits vorhandenes empirisches Material diskutiert (Franziska P RÜSMANN ). Es schließt sich ein Überblickstext zu gängigen Methoden und jüngeren Entwicklungen quantitativer Fremdsprachenforschung an (Julia S ET - TINIERI ), dem drei Beiträge folgen, die sich jeweils mit Problemen von Mixed Methods und Triangulation befassen. Akzentuiert werden Herausforderungen der Arbeit mit quantitativen Daten und ihrer Generalisierbarkeit im Kontext der Schulforschung (Josefine K LEIN ), Prozesse und Werkzeuge zur Quantifizierung empirischer Daten (Susanne G NÄDIG und Madeleine D OMENECH ) sowie Probleme der Triangulation von standardisierten Tests mit Leitfadeninterviews (Patricia U HL ). Die Orientierung aller Beiträge an Möglichkeiten und Herausforderungen von Interdisziplinarität erweist sich als äußerst ergiebig, obschon das Verhältnis zu Bezugswissenschaften wie pädagogischer Psychologie, Soziologie, Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften als mindestens spannungsgeladen gelten kann: Zwar profitiert die Fremdsprachenforschung vom Methodentransfer aus diesen Disziplinen, umgekehrt scheint dies jedoch kaum der Fall zu sein, denn Soziolog*innen und Psycholog*innen wären - so S CHMENK s Vermutung - von den Besprechungen 141 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0025 Arbeiten der Fremdsprachenforschung „höchstwahrscheinlich nur mittelmäßig beeindruckt“ (S. 32). Es ist ein Verdienst von W ILDEN und R OSSA , Interdisziplinarität geradezu handwerklich in ihrem Funktionieren vorzuführen, statt sie lediglich als worthülsigen Aufruf zu proklamieren. In der Einleitung werden die pädagogische Psychologie und die Soziologie als maßgebliche Bezugswissenschaften der Fremdsprachenforschung genannt, einschließlich der forschungsmethodischen Konsequenzen, die mit der Herstellung entsprechender Bezüge einhergehen, in dem Sinne, wie A GUADO (S. 69) betont, als Methoden immer auch eine Theorie ihres Gegenstands inhärent ist. Anschaulich zeigen W ILDEN und R OSSA an vier Dissertationsstudien, wie Interdisziplinarität durch den Bezug auf mindestens einen fremdsprachendidaktischen und einen bezugswissenschaftlichen Diskurs ausgestaltet wird und wie sich die Arbeiten im Spannungsfeld von „Transfer von Wissen und Methoden zwischen den Disziplinen einerseits und disziplinär eigenständige[n] Perspektiven auf den Gegenstand der Forschung andererseits“ (S. 38) positionieren. Dass im zweiten Teil des Bandes ein deutliches Interesse an Mixed Method Designs erkennbar wird, erklärt sich zum einen als eine mögliche forschungspraktische Antwort auf den von W ILDEN und R OSSA konstatierten complexity turn (S. 44). Zum anderen ergibt sich das Interesse aus der nach wie vor wenig ausgeprägten Präsenz quantitativer Fremdsprachenforschung, die - wie im Beitrag von K LEIN (S. 174f.) plausibel nachgezeichnet wird - unter anderem aus den Besonderheiten der Schule als Forschungsfeld heraus erklärbar ist: Überschaubare Stichprobengrößen und problematische Störungen des Unterrichts durch Forschungsprojekte bestimmen in praktischer Hinsicht methodische Entscheidungen. Die Unterscheidung zwischen quantitativer und qualitativer Forschung wird im Band an mehreren Stellen ausdifferenziert, indem ergänzende oder alternative Bezeichnungen für Forschungsstile und -paradigmen eingebracht und diskutiert werden, z.B. „subsumptionslogisch vs. rekonstruktiv“ (S. 88), oder indem die Zuordnung numerischer und verbaler Daten zu einzelnen Auswertungsverfahren problematisiert wird (S. 190f.). Den roten Faden bei der Diskussion von Mixed Methods bildet die immer wieder konstatierte paradigmatische Inkompatibilität verschiedener Forschungsstile mit ihren erkenntnistheoretischen Prämissen bei gleichzeitiger Formulierung der Notwendigkeit, mehrperspektivisch auf den Gegenstand ‚Sprachenlernen‘ zu blicken - denn wer wollte bestreiten, dass hier innere, kognitive (Perspektive der pädagogischen Psychologie) und äußere interaktionalsoziale Prozesse (Perspektive der Soziologie) gleichermaßen relevant und daher als Gegenstände des Erkenntnisinteresses plausibel sind. Besonders interessant und gegebenenfalls diskussionswürdig ist der Vorschlag, den philosophischen Pragmatismus als „drittes Paradigma“ (S. 177) zur Lösung der Unvereinbarkeit positivistischer und konstruktivistischer Paradigmen heranzuziehen und in Mixed Method Designs qualitative und quantitative Verfahren chronologisch alternieren zu lassen. Einen Schwerpunkt bildet die Auseinandersetzung mit Problemen der Generalisierbarkeit von Forschungsergebnissen. Dass quantitative Studien keineswegs per se den ihnen zugeschriebenen Gütekriterien genügen, problematisiert S ETTINIERI am Beispiel unzulässiger Schlüsse, die sich häufig in quantitativen Studien finden lassen, deren komplexe Datenlage diese jedoch eigentlich nicht erlaubt. Hier wird ein Bogen zu dem von V IEBROCK (S. 54) aufgeworfenen ethischen Problem möglicher Verkürzungen von Studienergebnissen sichtbar, wenn beispielsweise ambivalente Befunde in medialen Kontexten zu vermeintlichen Objektivitäten verknappt werden. Generalisierbarkeit ist kein ‚natürliches‘ Merkmal quantitativer Forschung, sie muss reflektiert und transparent hergestellt werden, indem die Quantifizierungs- und Transformationsverfahren selbst zum Gegenstand des Forschungsprozesses gemacht werden, wie bei- 142 Besprechungen DOI 10.2357/ FLuL-2021-0026 50 (2021) • Heft 2 spielsweise die Diskussion von Visualisierungsfunktionen des Programms MAXQDA zeigt (S. 194f.). Auch die Stärkung der Arbeit mit Metaanalysen und Replikationsstudien wird in diesem Kontext als Desiderat formuliert (S. 159). Der Band dürfte eine gewinnbringende Lektüre vor allem für Dozierende der Fremdsprachenforschung und Nachwuchswissenschaftler*innen sein, weil die Reflexion erkenntnistheoretischer Inkompatibilitäten mit ihren ‚handfesten‘ forschungspraktischen Konsequenzen modellhaft vorgeführt wird. Auch für eine thematisch orientierte Querlektüre ist er geeignet, denn seine Einzelbeiträge geben en passant auch über aktuell besonders interessierende Themen des Sprachenlernens Aufschluss: Zum Thema Gender in fremdsprachendidaktischer Perspektive finden sich gleich drei Arbeiten (S. 207f., S. 39, S. 50), ähnlich zum bilingualen Sachfachunterricht (S. 42, S. 169f.). Zu weiteren Gegenständen wie Mehrsprachigkeit (S. 40f.), Transkulturalität (S. 107f.), Identität (S. 41f.) oder Grammatik (S. 194f.) können forschungsmethodische Diskussionen nachvollzogen werden. Dass die Fremdsprachenforschung nach wie vor als „Zulieferer“ (S. 18) schulischen Sprachenunterrichts angesehen wird, wird zwar kritisch thematisiert, hätte jedoch durchaus Vertiefung verdient. Interessant wäre hier die Erörterung der Frage, inwieweit forschungsmethodologische Entscheidungen möglicherweise mit Blick auf bildungspolitische Anreizsysteme oder Fördermaßnahmen gefällt werden, die ihrerseits bestimmte Verfahren der Wissensproduktion favorisieren und andere nicht. Das Gros der Beiträge stammt aus der DaF/ DaZ-Forschung und der Englischdidaktik. Lediglich U HL untersucht Lernende des Französischen und Spanischen und K LEIN problematisiert die Dominanz des Englischen als Sprache bilingualer Sachfachformate. Abschließend bleiben demnach auch intradisziplinär Mehrstimmigkeit und die gegenseitige Bezugnahme einzelsprachlicher Didaktiken aufeinander ein Desiderat. Relevanz und Brisanz interdisziplinärer Fremdsprachenforschung werden allerdings von W ILDEN und R OSSA sowie den anderen Beiträger*innen äußerst erhellend dargelegt. Göttingen B IRGIT S CHÄDLICH Annika K REFT : Transkulturelle Kompetenz und literaturbasierter Fremdsprachenunterricht. Eine rekonstruktive Studie zum Einsatz von fictions of migration im Fach Englisch. Berlin: Lang 2020, 389 Seiten [69,95 €] Die hier besprochene Dissertationsschrift begegnet einem offenkundigen Desiderat in der fremdsprachlichen literatur- und kulturdidaktischen Forschung: Konzeptionell-theoretische Schriften und Aufgabenvorschläge sind Legion, über das jedoch, was in der Unterrichtspraxis geschieht und wie es geschieht - kurz: die „Logik der Praxis“ (B OURDIEU ) - wissen wir sehr wenig. Bei Ersteren geht es darum, Kultürlichkeit in den fachlichen Gegenständen (Texten, Inhalten, Erzählweisen, etc.) zu verorten und Verstehensleistungen durch geeignete Aufgabenstellungen anzubahnen, bei Letzteren hingegen zu rekonstruieren, auf welche Weise (inter- / trans-)kulturelles Wissen im Vollzug der Unterrichtspraxis hergestellt wird. Kreft widmet sich in ihrer Dissertation dieser Rekonstruktion. Die Arbeit reiht sich in die Forschungstradition der rekonstruktiven Unterrichtsforschung ein. Damit ist ein bisher vor allem erziehungswissenschaftlich bedeutsames Paradigma gemeint, in dem Unterricht als Ausdruck sozialer Verfasstheit verstanden wird, d.h. im Zusammenspiel von symbolischem Handeln (sprachlich, körperlich, materiell) von Akteuren mit ihren Besprechungen 143 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0026 Normen, Zielen und Plänen. Bereits in Titel und Untertitel der Dissertationsschrift deutet sich ein Spannungsfeld an, das für die publizierte Arbeit bereichernd wirkt, gleichzeitig jedoch auch Fragen aufwirft. Während der Untertitel klar den rekonstruktiven Ansatz betont, wird im Haupttitel der normative Anspruch, der mit der Kompetenzorientierung verbunden ist, in den Blick genommen. Eine zentrale epistemologische Frage lautet daher: Werden mit der Setzung einer transkulturellen Kompetenz als fachdidaktische Norm bestimmte darauf bezogene Praktiken erst gesucht, oder wird ihre Existenz bereits vorausgesetzt? Betrachten wir zunächst den Gegenstand der Studie: transkulturelle Kompetenz im literaturbasierten Fremdsprachenunterricht. Die Verfasserin skizziert in zwei gegenstandstheoretischen Kapiteln den Weg „von einer interzu einer transkulturellen Perspektive“ (S. 7) und stellt u.a. die Frage, ob „Kultur und Kompetenz zwei zu vereinbarende Konzepte“ seien. Sie beantwortet diese Frage affirmativ mit Verweis auf einschlägige fachdidaktische Modellierungen sowie Ländercurricula. Ihre eigene Position bzgl. der Förderung transkultureller Kompetenz umschreibt sie als „einen subjektgebundenen Prozess, in welchem SuS relevantes soziales, historisches und politisches Wissen erweitern, lernen, Bedeutungen (auf der Grundlage von lehrpersonenseitig gemachten Sinn- und Reflexionsangeboten wie Perspektivenwechsel) auszuhandeln sowie essentialisierende Bedeutungszuschreibungen kritisch wahrzunehmen und zu reflektieren“ (S. 81). Etwas unklar bleibt, ob „subjektgebunden“ auf eine individualistisch-kognitivistische Sicht im Sinne der Kompetenzorientierung verweist. Im Sinne soziologisch-rekonstruktiver Theoriebildung würde man an Subjektivierungen in sozialen Rahmungsprozessen denken. Im zweiten gegenstandstheoretischen Kapitel geht es um Transkulturalität im literaturbasierten Fremdsprachenunterricht und insbesondere um die Gattung der fictions of migration. Beide theoretischen Kapitel sind überaus informativ und vermitteln den aktuellen Kenntnisstand. Im empirischen Teil ihrer Arbeit greift Kreft - wie im vierten Kapitel überzeugend von ihr ausgeführt - auf die sozialwissenschaftliche methodologische Fundierung der Dokumentarischen Methode zurück. Die Verwendung dieser Grundlagentheorie impliziert einen Blick auf den Fremdsprachenunterricht, bei dem Interaktionsstrukturen als Praktiken der Sinnkonstruktion im Vordergrund stehen. Mit anderen Worten: es wird angestrebt, Prozesse der sozialen Wissenskonstruktion zu rekonstruieren, die sich in (hier konkret videographisch) beobachteten Praktiken empirisch nachweisen lassen. Diese Rekonstruktionen beruhen auf der Unterscheidung von kommunikativem, d.h. den Akteuren bewusstem, und implizitem, den Akteuren nicht bewusstem bzw. von ihnen nicht reflektiertem sozial geteilten Wissen. Damit eignet sich dieser methodische Ansatz in besonderer Weise für den Forschungsgegenstand der transkulturellen Kompetenz im Fremdsprachenunterricht, sofern wie hier bei Kreft Kompetenz als soziale Wissenskonstruktion im Spannungsfeld von Norm und Habitus verstanden wird und die bisher wenig erforschte „Logik der Praxis“ im Mittelpunkt steht. Im sechsten Kapitel stellt die Verfasserin das Untersuchungsdesign vor. Bemerkenswert ist, dass für eine Einzelstudie immerhin vier Klassen in insgesamt 67 Unterrichtsstunden beobachtet wurden. Vier verschiedene literarische Texte kommen dabei zum Einsatz. Die Quantität des beobachteten Unterrichts spielt für eine rekonstruktive Studie zwar keine unmittelbare Rolle, doch lassen sich bei einem breiten Sampling wie in dieser Studie u.U. mehr kontrastive Vergleichsfälle finden. Die Ergebnisse gruppiert und typisiert die Verfasserin auf drei Ebenen, einer Ebene A der „Sinn- und Reflexionsaushandlungsangebote seitens der Lehrperson“, einer Ebene B „des schülerseitigen Umgangs mit der Dichotomie eigen-fremd“, sowie einer Ebene C der Impulse durch literarische Texte. Die Ebene A ist in zwei Typen, den Typus leitendstrukturierend und den Typus frei-entwickelnd, und Ebene B in vier Typen gegliedert, nämlich 144 Besprechungen DOI 10.2357/ FLuL-2021-0026 50 (2021) • Heft 2 Übernahme und doing pupil, Übernahme und Perspektivvergleich, Überwindung und Abgrenzung und Überwindung und Aushandlung. Unter „Übernahme und doing pupil“ ist die Übernahme der eigen-fremd-Dichotomie sowie die rollenförmige, „jobartige“ Erledigung von Arbeitsaufträgen gemeint. Bei „Übernahme und Perspektivvergleich“ wird dagegen im Sinne der interkulturellen Didaktik Byrams der Versuch unternommen, durch Perspektivvergleich zwischen Dichotomien zu vermitteln. Bei „Überwindung und Abgrenzung“ unternehmen Lernende den Versuch, Dichotomien zu überwinden, indem sie sich von Orientierungen der Lehrperson abgrenzen. Und bei „Überwindung und Aushandlung“ werden dichotomisierende Angrenzungen im Rückgriff auf „übergreifende, transkulturelle Parameter“ (S. 300) überwunden. Interessant erscheint an diesem Modell, dass die Objektebene C als gleichberechtigter Aktant im unterrichtlichen Interaktionssystem anerkannt wird, was zeigt, dass die Dokumentarische Methode - anders als bei einigen erziehungswissenschaftlichen Studien, die mit diesem Analyseverfahren arbeiten - auch geeignet ist, Fachlichkeit adäquat abzubilden. Die auf transkulturelle Kompetenz gründende Fachlichkeit taucht im Übrigen explizit in den Kriterien für die Musterfallbestimmung auf, so dass klar wird, welche Kriterien wie relationiert werden. Kreft vermeidet es, diese Relationierungsleistung unter der Annahme kausaler Zusammenhänge zu vollziehen. Vielmehr wird deutlich, dass es sich um ein komplexes Zusammenspiel aller drei genannten Ebenen handelt, wobei „der Einfluss der Fremdsprache auf die drei Ebenen und damit die Frage, inwieweit die Fremdsprache ein Hemmnis für kulturelle Bedeutungsaushandlungsprozesse darstellt, auf der Grundlage der vorliegenden Daten nicht eindeutig beantwortet werden kann“ (S. 310). Dies ist natürlich aus fremdsprachendidaktischer Perspektive unbefriedigend, kann aber der Verfasserin nicht angelastet werden, sondern muss künftigen rekonstruktiven Studien vorbehalten bleiben, bei denen eventuell eine Triangulation mit schriftlichen Schülertexten sowie stärker die Körpersprache in den Fokus genommen werden. Stimme, Mimik und Gestik können eine wertvolle Auskunftsquelle für derartige Fragestellungen sein. Krefts Studie ist für die fachdidaktische Theoriebildung in vielfältiger Hinsicht sehr bedeutsam. Sie zeigt zum einen, wie sehr die Umsetzung fachdidaktischer Ansätze von der Professionalisierung der Lehrkräfte abhängt. Sind diese mit innovativen Konzepten unvertraut oder stehen ihnen gar ablehnend gegenüber, werden sie entsprechende Lernangebote minimieren. Dies trifft umso mehr zu, wenn von Konzepten die Rede ist, die von gesellschaftlichen Auseinandersetzungen kontaminiert sind, wie dies auch beim Transkulturalitätskonzept der Fall ist. Diesbezügliche unterrichtliche Aushandlungsprozesse sind zum anderen geprägt von Machtgefällen und Anerkennungskämpfen, die sich in normativen Vorgaben wie Lehrplänen und Lehrwerken, aber auch in interaktionalen Rollenverteilungen sowie in Herrschaftsausübung durch und mit Sprache niederschlagen. Die Anwendung eines soziologischen Analyseverfahrens wie der Dokumentarischen Methode ist geeignet, diese Verhältnisse zu rekonstruieren. Die Arbeit von Kreft stellt mithin einen bedeutenden Beitrag zur fachdidaktischen Theoriebildung im Bereich der praxeologischen Erforschung des Fremdsprachenunterrichts dar. Sie ist zudem auch stilistisch ausgesprochen lesenswert und vermeidet, wo immer möglich, überflüssigen Fachjargon. Um auf die oben gestellte Frage zurückzukommen: Werden mit der Setzung einer transkulturellen Kompetenz als fachdidaktische Norm bestimmte darauf bezogene Praktiken erst gesucht, oder wird ihre Existenz bereits vorausgesetzt? Krefts Arbeit kann als methodisch musterhaft für den Umgang mit dieser Frage betrachtet werden, indem sie in der Analyse auf normativ-theoretische Vorabsetzungen verzichtet und die Daten sprechen lässt. Tübingen B ERND T ESCH Besprechungen 145 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0027 Eva R EID : English Language Education to Pupils with General Intellectual Giftedness. Berlin: Lang 2020, 174 Seiten [42,20 €] Ein sich als inklusiv verstehender Fremdsprachenunterricht muss von den jeweiligen Lernendenvoraussetzungen ausgehen. Während der enge Inklusionsbegriff dabei insbesondere diagnostizierte Sonderförderbedarfe in den Blick nimmt, weitet der breite Inklusionsbegriff dies auf alle den Unterricht und die Schulkultur berührenden Aspekte von Heterogenität aus. Eine solche Lernendenvoraussetzung ist intellektuelle Hochbegabung. Hierbei handelt es sich um eine intellektuelle Leistungsfähigkeit, die deutlich vom Mittelwert abweicht und (in der häufigsten Lesart) die oberen beiden Perzentile in der Begabungsverteilung abdeckt. Hochbegabten Kindern fallen manche Aufgaben besonders leicht; ihre Begabung erlaubt ihnen, manche Kompetenzen schneller oder früher zu erwerben. Einige hochbegabte Schüler*innen erleben dabei Unterricht als wenig fordernd oder gar als langweilig. Hochbegabung als solche beschreibt ein Potenzial und ist damit erst einmal wertfrei. Sie führt weder automatisch zu besonderen Problemen in der Schule, noch zu automatischer Höchstleitung - beides ist aber, selbstverständlich, möglich. Bei etwa 160.000 hochbegabten Schüler*innen in Deutschland (23.000 in Österreich, 26.000 in der Schweiz) ist die Frage, wie hochbegabte Schüler*innen optimal gefördert werden können, eine hochrelevante Frage. Gerade für den Englischunterricht gibt es hier aber kaum empirische Befunde. Eva R EID (Philosoph Konstantin-Universität Nitra/ Univerzita Konštantína Filozofa v Nitre) nimmt sich dieses wichtigen Themas in ihrer Monographie English Language Education to Pupils with General Intellectual Giftedness an. Ihre Arbeit konzentriert sich auf einen Kontext, der sich von dem üblicherweise in D-A-CH vorzufindenden deutlich unterscheidet: das slowakische System separater Klassen ausschließlich für hochbegabte Schüler*innen. R EID präsentiert neben der theoretischen Einbettung sowie einiger konzeptioneller Überlegungen insgesamt vier Studien, die sich allesamt auf den Grundschulkontext beziehen. Im ersten Kapitel präsentiert die Autorin eine ganze Reihe bekannter Erwerbstheorien, ohne sich jedoch selbst theoretisch festzulegen oder für fachdidaktisch grundlegend vorgebildete Personen viel Neues zu bieten. In Kapitel 2, „Defining terms of giftedness and talent“, definiert sie ihre Kernbegriffe und geht auf die Geschichte der schulischen Hochbegabtenförderung sowie die Praxis schulischer Hochbegabtenförderung in mehreren Ländern ein. Dieses Kapitel bietet relevanten Kontext, hat aber zuweilen Längen. Kapitel 3 („Teaching English to gifted learners“) ist das konzeptionelle Herz der Arbeit. R EID geht hierbei von fünf „principles of educating gifted pupils with regard to English language education“ aus: „Developing creativity“, „Developing divergent thinking“, „Developing high level thinking skills“, „Facilitating learning study skils“ sowie „Attending to personal qualities, attitudes, values and feelings“. Die Begründung der fünf Prinzipien fällt leider sehr kurz aus. Warum z.B. die Entwicklung von Kreativität oder divergentem Denken ganz speziell für den Englischunterricht mit hochbegabten Lerner*innen leitend sein soll, wird nicht ausreichend expliziert. Auf der Basis dieser Prinzipien benennt R EID eine ganze Reihe von „Teaching techniques in teaching English to gifted pupils“. Die verschiedenen Techniken werden kurz angerissen und machen durchaus Lust auf mehr. Die oben benannten Defizite werden hier jedoch auch nicht ausgeglichen. Die Durchführung von Projekten, das Erstellen von Mindmaps oder Total Physical Response etwa sind sicherlich nicht nur für hochbegabte Lerner*innen hilfreich - was, in inklusiven Kontexten, durchaus als Vorteil der benannten Techniken gesehen werden kann. Leider werden keine Überlegungen zur Differenzierung oder gezielten Unterstützung angestellt 146 Besprechungen DOI 10.2357/ FLuL-2021-0027 50 (2021) • Heft 2 - obwohl die Autorin mehrfach betont, dass selbst segregierte Klassen von hochbegabten Schüler*innen durch Heterogenität geprägt sind. Die Autorin gibt im Verlaufe des Buchs teilweise Beispiele dafür, wie diese Techniken inhaltlich gefüllt werden können. Zusätzliche Details (z.B. konkrete Arbeitsmaterialien oder Lernendenprodukte aus der schulischen Praxis) hätten den Wert dieses Kapitels für Leser*innen deutlich erhöhen können. Storytelling und Tasks werden - abgesehen von einem Absatz zu „Task Based Learning Method“ in Kapitel 1.4 - leider nicht thematisiert. Kapitel 4, 5, 6 und 7 konzentrieren sich auf die durchgeführten empirischen Arbeiten. Die Fallstudie besteht aus Unterrichtsbeobachtung mit „Teaching intervention“, Interviews mit Lehrkräften sowie einem Strategiefragebogen für Schüler*innen. Die Autorin hat den Unterricht in einer vierten Klasse (8 Schüler, 5 Schülerinnen) über mehrere Monate (insgesamt 40 Unterrichtsstunden) beobachtet, und dabei erhoben, wie oft die Techniken, die sie für besonders geeignet für hochbegabte Schüler*innen hält, im Unterricht vorkamen. Außerdem dokumentierte sie die verwendeten Medien. In derselben Klasse unterrichtete sie vier Unterrichtsstunden (eine davon als spontane Vertretungsstunde), was sie als „Teaching intervention“ dokumentiert. Die Unterrichtsbeobachtung war zwar sehr umfangreich, aber der Bericht vermittelt kein wirkliches Bild davon, wie Unterricht für hochbegabte Schüler*innen aussehen kann, bzw. was die Gelingensbedingungen für solchen Unterricht sein könnten. Der Schluss „I believe that the majoritiy of activites during lessons should be carried out through the recommended teaching techniques“ (S. 111) wird nicht ausreichend an konkreten empirischen Beobachtungen festgemacht. Zu ihrer Intervention berichtet sie „it was observed by me and the teacher that the pupils enjoyed these types of activites, they were eager to work and practice such activities. The teacher was very inspired by the types of activities I used“ (S. 117f.). Hier wäre eine tiefere Betrachtung - und eine Befragung der Schüler*innen selbst - sehr wünschenswert gewesen. In Interviews mit neun Lehrkräften der Schule, die allesamt sowohl hochbegabte als auch nicht-hochbegabte Schüler*innen unterrichteten, erhob sie ihre Erfahrungen und Meinungen zur Lehrerbildung und den vorhandenen Materialien. Nur fünf der neun befragten Lehrkräfte hatten ein Weiterbildungsangebot zu Hochbegabung erhalten, nur vier fühlten sich ausreichend für die Arbeit mit hochbegabten Schüler*innen vorbereitet (vgl. S. 122). Alle Lehrkräfte gaben an, sich Ergänzungsmaterial zum Lehrbuch zu wünschen (vgl. S. 122), was mit der mehrfach im Buch gemachten Feststellung, dass hochbegabte Schüler*innen vorhandenes Material oft in kürzester Zeit bearbeiten, zusammenhängt. Außerdem wurden die Lehrkräfte zu ihrem subjektiven Eindruck zur Arbeit mit hochbegabten und nicht-hochbegabten Schüler*innen befragt (vgl. Tabelle, S. 125f.). Die letzte Teilstudie basiert auf einem Fragebogen zur Strategienutzung im Englischunterricht, der von insgesamt 13 hochbegabten Grundschüler*innen ausgefüllt worden war. Ein Vergleich, z.B. zu Schüler*innen von Regelklassen, wird nicht geleistet. Insgesamt bleibt der Gesamteindruck nach der Lektüre unbefriedigend. Die Kritik an mangelnden Lehrkräftebildungsangeboten sowie die Feststellung eines Mangels an auf die Zielgruppe (Gruppen hochbegabter Schüler*innen im Englischunterricht der Grundschule) zugeschnittener Lehrbücher sind für den konkreten Unterrichtskontext sicherlich relevant, können aber nur sehr eingeschränkt auf den D-A-CH Kontext übertragen werden. Bei der Beobachtungsstudie sowie der Intervention fehlt der Grad an Details und Tiefe, der notwendig wäre, um hieraus wirklich Schlüsse für den eigenen Unterricht ziehen zu können. Weitergehende Arbeiten zu diesem wichtigen Thema wären also sehr wünschenswert. Frankfurt/ M. J UDITH B ÜNDGENS -K OSTEN Besprechungen 147 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0028 Sebastian M IEDE : Förderung des Sprechens im kompetenzorientierten Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe. Tübingen: Narr 2019 (Gießener Beiträge zur Fremdsprachenforschung), 318 Seiten [64,00 €] Das Sprechen gewann in den vergangenen Jahrzehnten durch die Umsetzung von kompetenzorientierten Lehrplänen und die Etablierung mündlicher Prüfungsformen sowie den korrespondierenden Washback-Effekten zunehmend an Bedeutung. Insbesondere in den Abschlussklassen sollte die systematische und effektive Schulung der Sprechfertigkeit aufgrund der vielen mündlichen Abschlussprüfungen einen hohen Stellenwert einnehmen. Wie die Sprechkompetenz auch in der Oberstufe tatsächlich gefördert wird, wurde jedoch bislang noch wenig betrachtet. Insofern fehlt ein wichtiger Baustein der fremdsprachendidaktischen Unterrichtsforschung. Dieses Forschungsdesiderats nimmt sich die hier rezensierte Studie an, indem sie nicht weniger als den Ist-Stand der schulischen Praxis und deren Stärken und Schwächen abbilden sowie Impulse für Forschung und Lehrer*innenbildung liefern möchte. Kern der empirischqualitativen Arbeit sind sechs Fallstudien, für die zunächst einzelne Englischstunden mit jeweils einem Schwerpunkt auf interaktionalem oder transaktionalem Sprechen in der gymnasialen Oberstufe in den Bundesländern Hessen und Niedersachsen videografiert und in der Zusammenschau mit weiterem Datenmaterial aus der Befragung von Schüler*innen und Lehrer*innen ausgewertet wurden. In der weiteren Diskussion stellt der Autor mehrfach klar, dass er keinesfalls die Wirksamkeit von Lernaufgaben zum Sprechen untersuchen will, sondern dass sein Fokus auf einer Beschreibung einer „authentischen Unterrichtspraxis“ liegt. Eine Diskussion des Begriffs „Authentizität“ in diesem Kontext bleibt jedoch leider aus. Der Band gliedert sich insgesamt in sieben Kapitel. Das erste skizziert kurz die Zielsetzung, das Forschungsdesign und den Aufbau der Arbeit. Das zweite liefert einen Überblick zur Förderung der Sprechkompetenz im Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe in Bildungspolitik und Forschung. Der bildungspolitische Rahmen wird ausführlich referiert. Bei der Aufarbeitung des Forschungsstands widmet Miede sich vor allem der Methodik des Fremdsprachenunterrichts und darunter insbesondere der Aufgabenorientierung sowie der Beurteilung von Sprechfertigkeit. Eher linguistisch oder empirisch-quantitativ geprägte Forschungsarbeiten werden leider nur am Rande rezipiert. Einer genauen Schilderung des Erkenntnisinteresses und des Untersuchungsdesigns (Kapitel 3) folgt eine Darlegung der Kodierungssysteme zur qualitativen Inhaltsanalyse der videografierten Unterrichtsstunden. Die Codes zur Bestimmung der Sprechleistung der Schüler*innen beim interaktiven und monologischen Sprechen werden anhand des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen entwickelt und sinnvoll ergänzt. Zur aufgabenbezogenen Interaktion sowie zum Handeln der Lehrkraft werden zudem gesonderte Listen an Codes auf der Basis normativer Setzungen erstellt. Eine genaue Herleitung aus den Ergebnissen bereits existierender theoretischer und empirischer Arbeiten wäre hier wünschenswert gewesen. Kriterien von Unterrichtsqualität, die aus bildungswissenschaftlicher Perspektive erforscht sind und für die es aus fremdsprachendidaktischer Perspektive erste Hinweise gibt, hätten zumindest in Teilen als evidenzbasierte Grundlage für die Festlegung der Codes zur Beurteilung des Lehrerhandelns sowie der Interaktion dienen können. Im Anschluss erfolgt eine erste, pilotierende Analyse von zwei Unterrichtsvideos sowie eine Interpretation der korrespondierenden Lehrer*innen- und Schüler*innenbeiträge. Alle Daten wurden vom Autor erhoben und untersucht, um die Komplexität der Vermittlung von Sprechkompetenz fallbezogen abzubilden. Damit auch die Perspektiven der beforschten Personen einbezogen werden können, werden die Videoaufnahmen mit retrospektiven Interviews der Schüler*innen und der Lehrer*innen sowie mit Notizen der Lernenden ergänzt. Diese Perspek- 148 Besprechungen DOI 10.2357/ FLuL-2021-0028 50 (2021) • Heft 2 tiventriangulierung liefert auch eine Chance zur Validierung der hochinferenten Ratings sprechfertigkeitsspezifischer Unterrichtsqualität. Ebenso hätte ein Augenmerk auf die Interrater-Reliabilität die Güte der Analysen sinnvoll untermauern können. Die Kapitel 5 und 6 beschäftigen sich, dem gleichen systematischen Aufbau folgend, eingehend mit der Analyse der weiteren Unterrichtsvideos und Daten aus einem Leistungskurs der 13. Klasse (Thema Südafrika) und einem Grundkurs der 12. Klasse (Thema Harlem Renaissance). Auf das Vorhandensein von systematischen Ansätzen zur Förderung von Sprechfertigkeit in der Oberstufe des Gymnasiums kann aus der Analyse der Oberflächenstrukturen der wenigen Unterrichtsstunden nicht geschlossen werden. Vielmehr noch scheint es in den analysierten Stunden nicht zu gelingen, den allgemeingültigen Kriterien guten Unterrichts, wie gute Klassenführung, kognitive Aktivierung der Schüler*innen sowie konstruktive Unterstützung, zu genügen. So bleibt etwa das Feedback zu sprachlichen Aspekten der Schüler*innenleistungen häufig aus oder es ist unvollständig. Die Auswertungen der retrospektiven Interviews sowie der Notizen der Schüler*innen und der Lehrpersonen bestätigen tendenziell die Ratings des Unterrichts. Zusammenfassend wird im siebten Kapitel unter anderem resümiert, dass in den analysierten Beispielen die thematische und fremdsprachliche Vorbereitung der mündlichen Phase sowie die Aufgabenstellung selbst einen enormen Einfluss auf die Qualität der Förderung von Mündlichkeit haben. In den Fallstudien dienen vor allem literarische Texte als springboard for language production und es wird bei der Lektüre der ausführlichen Stundenbeschreibungen sehr deutlich, wie eng das Gelingen der anschließenden, sprachproduktiven mündliche Phase an das vorausgehende Verstehen und das Niveau der individuellen kritischen Auseinandersetzung mit den literarischen Texten geknüpft ist. Über die Fallstudien hinweg, wird zudem herauszuarbeitet, welch schwieriges Unterfangen alleine schon die schüler*innengerechte Konzeption und Erklärung der Aufgaben zur Förderung der Sprechkompetenz sowie die Gesprächsführung in Diskussionsphasen für die Lehrpersonen darstellt. Das siebte Kapitel schließt den Band mit einem sehr umfangreichen Katalog an Hypothesen zu einer gelingenden, aufgabenorientierten Förderung der Sprechfertigkeit im Oberstufenunterricht. Die abschließenden Hinweise der Studie möchten einer Identifikation von Merkmalen für die Förderung der Sprechfertigkeit auf hohem fremdsprachlichem Niveau dienen. Damit verfolgen sie ein ergebnisorientiertes Verständnis von Unterrichtsqualität und verweisen auf eine in diesem Band noch nicht geleistete zukünftige Auseinandersetzung mit den empirisch abgesicherten Erkenntnissen der Bildungswissenschaften zu Kriterien der Unterrichtsqualität sowie deren Erweiterung um fremdsprachenspezifische Aspekte. Die hier anhand von sechs ausgesuchten Fällen gewonnen Einblicke werfen so ein Schlaglicht auf die Notwendigkeit weiterer Unterrichtsforschung zur Entwicklung der Sprechfertigkeit im Fremdsprachenunterricht. Erfurt P ETRA K IRCHHOFF 50 (2021) • Heft 2 Vorschau auf Jahrgang 51.1 (2022) Der von N IKOLA M AYER (Pädagogische Hochschule Zürich) koordinierte Themenschwerpunkt für den Jahrgang 51.1 (2022) trägt den Titel Jugendliteratur im Fremdsprachenunterricht der Sekundarstufe I für alle. Literatur und Lesen erschließen uns unsere sich ständig wandelnde Welt und eröffnen uns neue Welten. Diese gilt es in den Blick zu nehmen, wenn man das Potenzial von Literatur im Fremdsprachenunterricht ausloten will und sich mit dem handlungs- und aktionsbzw. produktionsorientierten Einsatz von Jugendliteratur befasst. Es geht darum, fiktionale Texte auszuwählen, die Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I ansprechen und bei ihnen eine (individuelle) Resonanz hervorrufen, die in die fremde Sprache übertragen bzw. in der fremden Sprache ausgedrückt werden kann. Aus methodisch-didaktischer Sicht geht es beim Einsatz von Literatur im Fremdsprachenunterricht um die Förderung von Multiliteralität, und zwar betrifft dies vor allem die literarische Literalität (im Englischen: literary literacy), die visuelle Literalität (im Englischen: visual literacy) und schließlich die kritisch-kulturelle Literalität (im Englischen: critical cultural literacy). Im Hinblick auf Romane für jugendliche Leserinnen und Leser der Sekundarstufe I (im Englischen Young Adult Fiction), die im Zentrum des Themenheftes stehen, ergeben sich daraus verschiedene Schwerpunkte und Desiderata: • Im 21. Jahrhundert entsprechen Texte, bei denen Bild und Wort miteinander in Beziehung gesetzt werden und die visuelle Literalität verlangen, der generellen Entwicklung. Literatur umfasst nicht nur reine Verbaltexte, sondern auch multimodale Texte wie Comics, Graphic Novels und bebilderte Bücher, die innerhalb der literarischen Entwicklung einen besonders innovativen Strang bilden. Sie erfreuen sich bei vielen Jugendlichen hoher Beliebtheit und werden deshalb in verschiedenen Textbeiträgen thematisiert. • Literatur ist immer auch ein Spiegel der Gesellschaft und bildet aktuelle Themen ab, wodurch die kritisch-kulturelle Literalität gefördert werden kann. Das gilt für auch für die Jugendliteratur und zeigt sich z.B. bei Themen wie der Klimadiskussion und den Demonstrationen für soziale Gerechtigkeit, die im Sinne einer kulturellen und literarischen Aufarbeitung in den Fremdsprachenunterricht geholt werden können. Darüber hinaus nimmt Jugendliteratur auch Fragen der Genderthematik auf und thematisiert ein sich wandelndes Rollenverständnis und geschlechtliche Identität. • Literaturunterricht «für alle» bezieht sich auf Text- und Gestaltungsformen, die alle Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I ansprechen sollen, auch die, die keinen oder nur einen begrenzten Zugang zum Lesen haben. Dazu gehört das große Angebot an vereinfachten Texten (easy readers oder graded readers), wobei der Fokus besonders auf die lernschwachen Schülerinnen und Schüler gelegt wird. Das Angebot ist hier bunter, vielfältiger und ansprechender denn je. • Methodisch haben sich in den vergangenen Jahren für die Sekundarstufe I vor allem solche Zugänge als relevant herauskristallisiert, die die Schülerinnen und Schüler aktivieren und sie zu einer persönlichen Auseinandersetzung und Reaktion auf literarische Texte einladen. Dies können autonome Arbeitsformen wie der Einsatz von Lesetage- V o r s c h a u 150 Vorschau 50 (2021) • Heft 2 büchern und Lesestrategien sein (wie sie in der Corona-Krise häufig eingesetzt wurden), oder aber kreative und handlungsorientierte Zugänge zu Texten, auch als ‘Doing’ Literature bezeichnet. Das Themenheft „Literatur im Fremdsprachenunterricht der Sekundarstufe I für alle“ bündelt diese Aspekte und bietet Einblicke in einen zeitgemäßen fremdsprachlichen Literaturunterricht, bei dem die Interessen und Anliegen der Jugendlichen und der Blick in und auf deren Welt im Zentrum stehen. Bei Redaktionsschluss lagen Zusagen für die folgenden Beiträge vor: Christoph Oliver M AYER (Technische Universität Dresden): Frankophone Jugendliteratur im Französischunterricht der Sekundarstufe 1: Simon Boulerices „Le dernier qui sort éteint la lumière“ Daniela C ASPARI (Freie Universität Berlin): Francomics, Prix des Lyçéens oder: Was „bringt“ die Teilnahme an einem Literaturwettbewerb? Elisabeth L EHRNER - TE L INDERT (Universität Utrecht): Förderung literarischer Kompetenzen im DaF-Unterricht (Sek I) Heiko K IST , Annika K OLB (Pädagogische Hochschule Freiburg): Picturebook for teenagers? Erzählen mit Bild und Text in der Sekundarstufe Sabine B INDER (Pädagogische Hochschule Zürich): Reading South Africa as an Adolescent Nikola M AYER (Pädagogische Hochschule Zürich): “Breaking down barriers” - Englische Lektüre in einfacher Sprache Britta F REITAG -H ILD (Universität Potsdam): Young Adult Literature und Critical Literacy: Politische Bildung im fremdsprachlichen Literaturunterricht Geplanter Themenschwerpunkt für Jahrgang 51.2 (2022) Mehrsprachiges Forschen (koordiniert von D AGMAR A BENDROTH -T IMMER und B RITTA V IEBROCK ) Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL) Themenschwerpunkte (1992 - 2020) 21 (1992): Idiomatik und Phraseologie (koord. von Ekkehard Zöfgen) 22 (1993): Fehleranalyse und Fehlerkorrektur (koord. von Gert Henrici und Ekkehard Zöfgen) 23 (1994): Wörterbücher und ihre Benutzer (koord. von Ekkehard Zöfgen) 24 (1995): Kontrastivität und kontrastives Lernen (koord. von Claus Gnutzmann) 25 (1996): Innovativ-alternative Methoden (koord. von Gert Henrici) 26 (1997): Language Awareness (koord. von Willis J. Edmondson und Juliane House) 27 (1998): Subjektive Theorien von Fremdsprachenlehrern (koord. von Inez De Florio-Hansen) 28 (1999): Neue Medien im Fremdsprachenunterricht (koord. von Erwin Tschirner) 29 (2000): Positionen (in) der Fremdsprachendidaktik (koord. von Frank G. Königs) 30 (2001): Leistungsmessung und Leistungsevaluation (koord. von Rüdiger Grotjahn) 31 (2002): Lehrerausbildung in der Diskussion (koord. von Frank G. Königs und Ekkehard Zöfgen) 32 (2003): Mündliche Produktion in der Fremdsprache (koord. von Karin Aguado u.a.) 33 (2004): Wortschatz - Wortschatzerwerb - Wortschatzlernen (koord. von Erwin Tschirner) 34 (2005): `` Neokommunikativer AA Fremdsprachenunterricht (koord. von Franz-Joseph Meißner) 35 (2006): Sprachdidaktik - interkulturell (koord. von Claus Gnutzmann und Frank G. Königs) 36 (2007): Fremdsprache als Arbeitssprache in Schule und Studium (koord. von Claus Gnutzmann) 37 (2008): Lehren und Lernen mit literarischen Texten (koord. von Eva Burwitz-Melzer) 38 (2009): Strategien im Fremdsprachenunterricht (koord. von Manfred Raupach) 39 (2010): Geschichte des Fremdsprachenunterrichts (koord. von Claus Gnutzmann und Frank G. Königs) 40.1 (2011): Fremdsprachenforschung in Europa (koord. von C. Gnutzmann, F.G. Königs und L. Küster) 40.2 (2011): Lehrwerkkritik, Lehrwerkverwendung, Lehrwerkentwicklung (koord. von Jürgen Kurtz) 41.1 (2012): Kompetenzen konkret (koord. von Lutz Küster) 41.2 (2012): Fremdsprachen in nichtsprachlichen Studiengängen (koord. von Claus Gnutzmann) 42.1 (2013): Entwicklungslinien. Standpunkte der Fremdsprachenforschung (koord. von Jenny Jakisch, Frank G. Königs und Lutz Küster) 42.2 (2013): Tasks revisited (koord. von Wolfgang Hallet und Michael K. Legutke) 43.1 (2014): Der Fremdsprachenlehrer im Fokus (koord. von Frank G. Königs) 43.2 (2014): Multiliteralität (koord. von Lutz Küster) 44.1 (2015): Wissenschaftliches Schreiben in der Fremdsprache (koord. von Claus Gnutzmann) 44.2 (2015): Mehrsprachigkeitsdidaktik (koord. von Jenny Jakisch) 45.1 (2016): (Fremd-)Sprachenlernen mit Film (koord. von Gabriele Blell und Carola Surkamp) 45.2 (2016): L2-Motivation - internationale und sprachspezifische Perspektiven (koord. von Claudia Riemer und Kathrin Wild) 46.1 (2017): Sprachenpolitik (koord. von Eva Burwitz-Melzer und Jürgen Quetz) 46.2 (2017): Frühes Fremdsprachenlernen (koord. von Heiner Böttger) 47.1 (2018): Fachlichkeit und Bildungsauftrag im schulischen Fremdsprachenunterricht (koord. von Lutz Küster und Jochen Plikat) 47.2 (2018): Digitalisierung und Differenzierung (koord. von Torben Schmidt und Nicola Würffel) 48.1 (2019): Videobasierte Lehre in der Fremdsprachendidaktik (koord. von Mark Bechtel und Karen Schramm) 48.2 (2019): Sprachmittlung (koord. von Andrea Rössler und Birgit Schädlich) 49.1 (2020): Fremdsprachliches Schreiben (koord. von Hans P. Krings) 49.2 (2020): Aussprache lehren, lernen und evaluieren (koord. von Isabelle M ORDELLET -R OGGENBUCK und Julia S ETTINIERI ) Hinweise zu Beiträgen für FLuL FLuL begrüßt forschungsbasierte Beiträge zu allen für den Fremdsprachenunterricht und die Förderung der Mehrsprachigkeit relevanten Bereichen. Einzelheiten zur Gestaltung der Manuskripte sind dem ausführlichen ,style sheet‘ zu entnehmen, das bei der Redaktion (Anschrift siehe 2. Umschlagseite) angefordert werden kann. Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL) Themenschwerpunkte (1994 - 2021) 23 (1994): Wörterbücher und ihre Benutzer (koord. von Ekkehard Zöfgen) 24 (1995): Kontrastivität und kontrastives Lernen (koord. von Claus Gnutzmann) 25 (1996): Innovativ-alternative Methoden (koord. von Gert Henrici) 26 (1997): Language Awareness (koord. von Willis J. Edmondson und Juliane House) 27 (1998): Subjektive Theorien von Fremdsprachenlehrern (koord. von Inez De Florio-Hansen) 28 (1999): Neue Medien im Fremdsprachenunterricht (koord. von Erwin Tschirner) 29 (2000): Positionen (in) der Fremdsprachendidaktik (koord. von Frank G. Königs) 30 (2001): Leistungsmessung und Leistungsevaluation (koord. von Rüdiger Grotjahn) 31 (2002): Lehrerausbildung in der Diskussion (koord. von Frank G. Königs und Ekkehard Zöfgen) 32 (2003): Mündliche Produktion in der Fremdsprache (koord. von Karin Aguado u.a.) 33 (2004): Wortschatz - Wortschatzerwerb - Wortschatzlernen (koord. von Erwin Tschirner) 34 (2005): `` Neokommunikativer AA Fremdsprachenunterricht (koord. von Franz-Joseph Meißner) 35 (2006): Sprachdidaktik - interkulturell (koord. von Claus Gnutzmann und Frank G. Königs) 36 (2007): Fremdsprache als Arbeitssprache in Schule und Studium (koord. von Claus Gnutzmann) 37 (2008): Lehren und Lernen mit literarischen Texten (koord. von Eva Burwitz-Melzer) 38 (2009): Strategien im Fremdsprachenunterricht (koord. von Manfred Raupach) 39 (2010): Geschichte des Fremdsprachenunterrichts (koord. von Claus Gnutzmann und Frank G. Königs) 40.1 (2011): Fremdsprachenforschung in Europa (koord. von C. Gnutzmann, F.G. Königs und L. Küster) 40.2 (2011): Lehrwerkkritik, Lehrwerkverwendung, Lehrwerkentwicklung (koord. von Jürgen Kurtz) 41.1 (2012): Kompetenzen konkret (koord. von Lutz Küster) 41.2 (2012): Fremdsprachen in nichtsprachlichen Studiengängen (koord. von Claus Gnutzmann) 42.1 (2013): Entwicklungslinien. Standpunkte der Fremdsprachenforschung (koord. von Jenny Jakisch, Frank G. Königs und Lutz Küster) 42.2 (2013): Tasks revisited (koord. von Wolfgang Hallet und Michael K. Legutke) 43.1 (2014): Der Fremdsprachenlehrer im Fokus (koord. von Frank G. Königs) 43.2 (2014): Multiliteralität (koord. von Lutz Küster) 44.1 (2015): Wissenschaftliches Schreiben in der Fremdsprache (koord. von Claus Gnutzmann) 44.2 (2015): Mehrsprachigkeitsdidaktik (koord. von Jenny Jakisch) 45.1 (2016): (Fremd-)Sprachenlernen mit Film (koord. von Gabriele Blell und Carola Surkamp) 45.2 (2016): L2-Motivation - internationale und sprachspezifische Perspektiven (koord. von Claudia Riemer und Kathrin Wild) 46.1 (2017): Sprachenpolitik (koord. von Eva Burwitz-Melzer und Jürgen Quetz) 46.2 (2017): Frühes Fremdsprachenlernen (koord. von Heiner Böttger) 47.1 (2018): Fachlichkeit und Bildungsauftrag im schulischen Fremdsprachenunterricht (koord. von Lutz Küster und Jochen Plikat) 47.2 (2018): Digitalisierung und Differenzierung (koord. von Torben Schmidt und Nicola Würffel 48.1 (2019): Videobasierte Lehre in der Fremdsprachendidaktik (koord. von Mark Bechtel und Karen Schramm) 48.2 (2019): Sprachmittlung (koord. von Andrea Rössler und Birgit Schädlich) 49.1 (2020): Fremdsprachliches Schreiben (koord. von Hans P. Krings) 49.2 (2020): Aussprache lehren, lernen und evaluieren (koord. von Isabelle Mordellet-Roggenbuck und Julia Settinieri) 50.1 (2021) Bilingualer Unterricht. Aktuelle Herausforderungen und neue Chancen (koord. von Bärbel Diehr und Dominik Rumlich) 50.2 (2021) Berufsbezogenes Fremdsprachenlernen und -lehren (koord. von Karin Vogt und Hermann Funk) ISSN 0932-6936 www.narr.digital www.narr.de Themenschwerpunkt: Berufsbezogenes Fremdsprachenlernen und -lehren K arin V ogt , H ermann F unK Zur Einführung in den Themenschwerpunkt ........................................................... 5 o laF B ärenFänger Sprachliche Kompetenzen im Beruf messbar machen: Die „Deutscheinschätzung für Stellensuchende“ ................................................. 18 m icHael c. P russe , l uKas r osenBerger Englischunterricht an Berufsschulen: Die Balance zwischen Allgemeinbildung und Berufsorientierung ............................................................ 37 H ermann F unK , c Hristine K uHn Die GER-Niveaustufen als normative Zulassungskriterien - zur Problematik des B2-Kriteriums am Beispiel der Pflegeberufe ................................ 53 e lKe Z aPF , K arin V ogt Französischunterricht an beruflichen Schulen - eine Bestandsaufnahme ............... 69 a ndrea d aase Berufssprachliche kommunikative Handlungskompetenz in der Zweitsprache Deutsch: Befähigung und Beschränkung aus Sicht von Lernenden ........................ 85 H ong c ai Bedarfsanalysen im Unternehmenskontext - Verfahren und Schwierigkeiten ........ 101