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Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
61
2024
531 Gnutzmann Küster Schramm
Fremdsprachen Lehren und Lernen Herausgegeben von Birgit Schädlich, Karen Schramm und Britta Viebrock Themenschwerpunkt: Interaktion und Digitalisierung im Fremdsprachenunterricht koordiniert von Götz Schwab und Sabine Hoffmann F Lu L 53. Jahrgang · 1 Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL) Zur Theorie und Praxis des Sprachunterrichts Herausgegeben von: Birgit Schädlich (Göttingen) · Karen Schramm (Wien) Britta Viebrock (Frankfurt) Zuschriften, Manuskripte und Rezensionsexemplare erbeten an: Prof. Dr. Birgit Schädlich, Georg-August-Universität Göttingen, Seminar für Romanische Philologie, Humboldtallee 19, 37073 Göttingen, eMail: birgit.schaedlich@phil.uni-goettingen.de Prof. Dr. Karen Schramm, Universität Wien, Institut für Germanistik, Fachbereich DaF/ DaZ, Porzellangasse 4, A-1090 Wien, eMail: karen.schramm@univie.ac.at Prof. Dr. Britta Viebrock, Goethe Universität Frankfurt, Institut für England- und Amerikastudien, Norbert-Wollheim-Platz 1, 60323 Frankfurt am Main, eMail: viebrock@em.uni-frankfurt.de Beratende Mitarbeit: Sandra Ballweg (Paderborn) · Gabriele Blell (Hannover) · Daniela Caspari (Berlin) · Sabine Doff (Bremen) · Andreas Grünewald (Bremen) · Jürgen Kurtz (Gießen) · Grit Mehlhorn (Leipzig) · Claudia Riemer (Bielefeld) · Michaela Rückl (Salzburg) · Kathrin Siebold (Marburg) · Laurenz Volkmann (Jena) · Katharina Wieland (Halle) Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL) erscheint zweimal im Jahr mit einem Umfang von jeweils ca. 144 Seiten. Das Jahresabonnement kostet € 69,- (print) bzw. € 80,- (print + online), Vorzugspreis für private Leser € 50,- (print), das Einzelheft € 42,-. (alle Preise zzgl. Postgebühr). Das Abonnement verlängert sich jeweils um ein weiteres Jahr, wenn es nicht bis zum 15. November des laufenden Jahres beim Verlag gekündigt wird. © 2024 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG, Dischingerweg 5, 72070 Tübingen www.narr.de, eMail: info@narr.de Die in der Zeitschrift veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieser Zeitschrift darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Fotokopie, Mikrofilm oder andere Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsanlagen, verwendbare Sprache übertragen werden. Auch die Rechte der Wiedergabe durch Vortrag, Funk- und Fernsehsendung, in Magnettonverfahren oder auf ähnlichem Wege bleiben vorbehalten. Fotokopien für den persönlichen und sonstigen eigenen Gebrauch dürfen nur von einzelnen Beiträgen oder Teilen daraus als Einzelkopien hergestellt werden. Jede im Bereich eines gewerblichen Unternehmens hergestellte oder benutzte Kopie dient gewerblichen Zwecken gem. § 54 (2) UrhG und verpflichtet zur Gebührenzahlung an die VG WORT, Abteilung Wissenschaft, Goethestraße 49, 80336 München, von der die einzelnen Zahlungsmodalitäten zu erfragen sind. Printed in Germany ISBN 978-3-381-12231-8 · ISSN 0932-6936 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG (Fortsetzung umseitig) Th e m e n s c h w e rp u nkt: Interaktion und Digitalisierung im Fremdsprachenunterricht Koordination: G ÖTZ S CHWAB und S ABINE H OFFMANN G ÖTZ S CHWAB , S ABINE H OFFMANN Zur Einführung in den Themenschwerpunkt ....................................................... 3 N ILS D RIXLER Turn-Taking als Merkmal interaktionaler Kompetenz in einem Virtual Exchange - Konversationsanalyse von videogestützter Online-Interaktion zwischen israelischen und deutschen Englischstudierenden ......................................................... 9 C HRISTINE B IEBRICHER , D IANA F EICK , P ETRA K NORR Interaktionsprozesse in einem virtuellen Austauschprojekt - duoethnografische Reflexionen der begleitenden Lehrpersonen ....................................................... 27 B UDIMA U SKOKOVIC Aushandeln gemeinsamer Verständnisebenen in mehrsprachiger videobasierter Interaktion ............................................................................................................ 43 M ARTA G ARCÍA G ARCÍA , N AIARA M ARTÍNEZ N IÑO „Vielleicht kann ich meinen Bildschirm teilen“ - Management von Spanisch- Online-Interaktionen im Rahmen eines Virtual Exchange .................................. 59 S VENJA M EIER , G ÖTZ S CHWAB Identitätsarbeit und Rollenverständnis durch persönliche Narrationen in Virtuellen Austauschen zwischen deutschen und isrealischen Studierenden ...... 81 S INA W ERNER Task-in-Process in Breakout Rooms eines aufgabenbasierten Videokonferenzprojekts ....................................................................................... 101 53. Jahrgang • Heft 1 Herausgegeben von: Birgit S CHÄDLICH (Göttingen), Karen S CHRAMM (Wien), Britta V IEBROCK (Frankfurt) © 2024 Narr Francke Attempto Verlag Internet: www.narr.de/ linguistik/ zeitschriften/ flul/ 53 • Heft 1 Nicht-thematischer Teil M ARIA E ISENMANN Differenzierung und Individualisierung im Fremdsprachenunterricht - Ergebnisse einer deutschlandweiten schülerübergreifenden Befragung von Fremdsprachenlehrkräften ................................................................................... 120 Be sprechunge n Julia Magdalena P IECHOCKI -S ERRA : Das Museum im Unterricht und der Unterricht im Museum - Deutsch als Fremdsprache und interkulturelle Kompetenz im Rahmen des Museo Vostell. Bern: Peter Lang 2022 (L UISA A LFES )......................................................... 140 Marcus C ALLIES , Stefanie H EHNER , Philipp M EER , Michael W ESTPHAL (Hrsg.) (2021): Glocalising Teaching English as an International Language. New Perspectives for Teaching and Teacher Education in Germany. London/ New York: Routledge (G ÖTZ S CHWAB ) .................................................................................................................. 142 Carmen K ONZETT -F IRTH , Alexandra W OJNESITZ (H RSG .): Mündlichkeit im Französischunterricht: Multiperspektivische Zugänge / L'oralité dans l'enseignement du français: Perspectives multiples. Tübingen: Narr Francke Attempto 2022 (K ATHARINA D ELIUS ) ...... 145 Anika F REESE , Oliver Niels V ÖLKEL (Hrsg.): Gender Vielfalt_Sexualität(en) im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. München: iudicium 2022 [30,00 € und Open Access] (T HORSTEN M ERSE ) ................................................................................................ 148 JPB G ERALD : Antisocial Language Teaching. English and the Pervasive Pathology of Whiteness. Bristol/ Jackson: Multilingual Matters 2022 (B ARBARA S CHMENK ) .................... 150 Vorschau 153 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0001 G ÖTZ S CHWAB , S ABINE H OFFMANN * Zur Einführung in den Themenschwerpunkt Digitales Lehren und Lernen von Fremdsprachen hat in den letzten Jahren entscheidend an Bedeutung gewonnen und bestimmt mittlerweile weite Teile sowohl der akademischen Lehre als auch den Bereich der Fort- und Weiterbildung. Zahlreiche Anbieter stellen dafür eine weite Spannbreite von Konferenztools und Plattformen zur Verfügung, deren ständige Weiterentwicklung durch die Covid-Pandemie noch beschleunigt wurde. Sie bieten die Möglichkeit, mehr oder weniger zeitgleich video-, audio- oder textbasiert zu chatten, sowie Dokumente oder Materialien verschiedener Formate in einem geschützten Raum zu bearbeiten und zu speichern. Damit werden die synchronen, asynchronen und im Blended-Learning Format gehaltenen Veranstaltungen durch weitere interaktive oder individuelle Lernformen ergänzt, worüber diverse Mischformen entstehen. Einen ganz besonderen Impuls erhielt die Thematik nicht zuletzt durch die langanhaltende Pandemie, was sich auch in zahlreichen Publikationen widerspiegelt (als Überblick: OECD 2021 oder K NAUS / J UNGE / M ERZ 2021). Dabei wurde zunehmend deutlich, dass es sich hierbei um vielschichtige Vorgänge handelt, bei denen nicht einfach eine weitere, quasi digitale Dimension des Lernens berücksichtig wird, sondern vielmehr die Interaktionsabläufe zwischen den analogen und digitalen, face-to-face- und Online-Ebenen neu interpretiert und verstanden werden müssen (B ALAMAN / P EKAREK DOEHLER 2022). Hierbei sind die Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz (KI) für den FU bisher noch kaum berücksichtigt (S CHMIDT / S TRASSER 2022). Noch bis vor ein paar Jahren galten digitalen Lehr- und Lernformaten verhältnismäßig wenige empirische Studien (L EWIS / O’ DOWD 2016). Das oben erwähnte Ausweiten der digitalen Dimension hat aber zu einer verstärkten wissenschaftlichen Aus- * Korrespondenzadressen: Prof. Dr. Götz S CHWAB , Institut für Englisch, Pädagogische Hochschule Ludwigsburg Reuteallee 46, 71634 L UDWIGSBURG . E-Mail: goetz.schwab@ph-ludwigsburg.de Arbeitsbereiche: Virtual Exchange, Conversation Analysis (for SLA), Digitalisation, Bilingual Teaching (CLIL), Classroom Research Prof. Dr. Sabine H OFFMANN , Deutsch als Fremdsprache, Department für Geisteswissenschaften, Universität Palermo, Viale delle Scienze, 90128 P ALERMO - Italien. E-Mail: sabine.hoffmann@unipa.it Arbeitsbereiche: Videobasierte Kommunikation, Unterrichtsforschung, DaF-Lehrendenbildung, Multimodale Interaktionsanalyse, Internationalisierung Interaktion und Digitalis ierung im Fremdspra chenunterricht 4 Götz Schwab, Sabine Hoffmann DOI 10.24053/ FLuL-2024-0001 53 • Heft 1 einandersetzung mit dem Gegenstand geführt, was sich an dem Anstieg an Untersuchungen zum digitalen Lehren und Lernen von Fremdsprachen beobachten lässt (B URWITZ - MELZER et al. 2019; W ILL et al. 2022). So bildet sich nun langsam auch ein diesbezügliches Forschungsfeld heraus, wobei bislang die Untersuchungen zum Gegenstand „Lernen“ überwogen, während sich im Bereich der Lehrendenbildung noch deutlich weniger Studien finden lassen (vgl. z.B. H OFFMANN 2022, 2023). Interessant und wohl auch zukunftsweisend ist die Tendenz, dass die digitalen Formate auch oder sogar vor allem in internationalen Projekten ̶ ̶ ̶ oftmals auch außerhalb der durch die Curricula geregelten institutionalisierten Lehr-/ Lernkontexte ̶ erprobt werden. Während noch vor ein paar Jahren Mobilität mit einem Dozenten- und Studentenaustausch in Präsens gleichgesetzt war, verbindet sich mit dem Begriff heute keinesfalls mehr zwingend ein Auslandsaufenthalt. Die Erweiterung um die virtuelle Dimension und damit die Verzahnung von physischem und virtuellem Austausch, z.B. bei so genannten Virtual Exchange bzw. Telecollaboration Ansätzen (S CHWAB / D RIXLER 2020), liegt heute den meisten von der EU geförderten Projekten zugrunde und schafft vielfältige virtuelle Interaktionsräume, bei denen die Möglichkeiten der globalen Interaktion mithilfe von Videokonferenzen (z.B. Zoom, Teams oder WebEx) in umfassender Form genutzt werden (O’ DOWD 2011; O’ DOWD / O’ ROURKE 2019). Neben den technischen Herausforderungen der internetbasierten Kommunikation verlangt dieses Format nicht nur von den Lernenden zusätzliche interkulturelle Kompetenzen (O’ DOWD 2020; W ALDMAN / H AREL / S CHWAB 2019), sondern stellt auch für Lehrende eine große Herausforderung im Bereich Computer Mediated Communication (CMC) (O’ DOWD 2015) dar. Interessanterweise wurden dabei bisher die interpersonellen Aspekte der Interaktion noch recht wenig thematisiert (M EHALL 2020). Vielmehr liegt ein besonderer Schwerpunkt auf den Aspekten (fremdsprachlicher) Lernzuwachs und (mediale und/ oder interkulturelle) Kompetenzentwicklung (z.B. O’ DOWD 2021), in der Regel mit dem besonderen Schwerpunkt auf der Hochschullehre (W ANSTREET 2006). Aus interaktionaler Perspektive ergeben sich darüber hinaus noch weitere, wichtige Aspekte, die in digitalen Lernkontexten Berücksichtigung finden sollten. Hierzu zählen in erster Linie die Punkte interaktionale Kompetenz und multimodale Kommunikation. Schon 2017 haben sich B ALAMAN und S ERT erstmals mit dem Thema interaktionale Kompetenzen in online Lernsettings auseinandergesetzt. Seither sind weitere Arbeiten gefolgt (z.B. B ALAMAN 2019, vgl. hierzu auch B ALAMAN / P EKAREK DOEHLER 2022; D RIXLER 2022). Multimodale Kontexte dagegen wurden bisher eher weniger intensiv beforscht, wenngleich hierin wichtige Aspekte für gelungene Online-Kommunikation zu finden sind (S ATAR 2015). Was sicherlich zunehmend an Relevanz gewinnen wird, sind Lernorte, deren Zentrum nicht-traditionelle Lernformen darstellen (N GUYEN / C HOE / V ICENTINI 2022) oder gar außerhalb der Schule oder anderer Bildungseinrichtungen zu finden sind. Hierzu gehören so genannte (informelle) Gaming-Settings (z.B. R USK / S T Å HL 2022), aber auch Arbeiten, die häufig unter dem Stichwort ‚learning in the wild‘ subsumiert werden (z.B. T HORNE / H ELLERMAN / J AKONEN 2021). Insgesamt zeigen sich also vielfäl- Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 5 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0001 tige Möglichkeiten, interaktionale (Lern-)Prozesse in digitalen Lehr- und Lernformaten zu untersuchen und zu fördern. Unser Themenheft möchte einen Beitrag zu dieser breit gefächerten Auseinandersetzung leisten und sich dem interaktiven Geschehen beim digitalen Lehren und Lernen von Fremdsprachen widmen. Hierbei soll der Begriff nicht nur auf das Interagieren zwischen Personen begrenzt sein, sondern auch die Gegenstände und Artefakte, die Lehrende und Lernende in ihrer Kommunikation einsetzen, einbeziehen. Hierunter fällt die oben erwähnte für die digitale Interaktion typische Mischung von unterschiedlichen Kommunikationsmodi, wie Bild und Sprache bei Videokonferenzen. Zu diesem breiten Interaktionsspektrum haben wir Beiträge versammelt, die sich qualitativ mit dem Thema beschäftigen. Unser besonderes Interesse lag insbesondere auf mikroanalytischen Verfahren, wie der Konversations- und Gesprächsanalyse, aber auch anderen Vorgehen, die diese Interaktionsprozesse reflektieren. Die sechs Beiträge des Heftes sollen hier kurz vorgestellt werden: N ILS D RIXLER analysiert das „Turn-Taking als Merkmal interaktionaler Kompetenz in einem Virtual Exchange - Konversationsanalyse von videogestützter Online-Interaktion zwischen israelischen und deutschen Englischstudierenden“, wobei der Fokus auf dem Rederecht als Ressource interaktionaler Fremdsprachenkompetenz (L2 IC) bei Teilnehmenden aus unterschiedlichen Kulturen oder geographischen Regionen liegt. Die Zielsprache Englisch fungiert hierbei als Lingua Franca. Vor dem Hintergrund der Konversationsanalyse wird die Entwicklung von Turn-Taking als Merkmal interaktionaler Kompetenz innerhalb der Fokusgruppe aufgezeigt und diskutiert. Im Beitrag „Interaktionsprozesse in einem virtuellen Austauschprojekt - duoethnographische Reflexionen der begleitenden Lehrpersonen“ legen die Autorinnen C HRISTINE B IEBRICHER , D IANA F EICK und P ETRA K NORR dar, wie die in einem virtuellen Austauschprojekt involvierten Lehrenden ihre Erfahrungen besprechen und hinterfragen. Das Projekt richtet sich an angehende Englisch- und Deutschlehrende aus Deutschland und Neuseeland. Als methodischer Zugriff wurde die Duoethnographie gewählt, bei der sowohl die während des Projekts verschriftlichten individuellen als auch kollektiven Beobachtungen der Projektleitenden kritisch reflektiert und kontinuierlich diskutiert werden. B UDIMKA U SKOKOVIC fokussiert in ihrem Beitrag „Aushandeln gemeinsamer Verständnisebenen in mehrsprachiger videobasierter Interaktion“, welche Schritte von L1-Sprechenden in Videokonferenzen mit L2-Sprechenden unternommen werden, um deren Wissensstand zu eruieren und dann zu erweitern. Hierbei werden mittels der Konversationsanalyse verschiedene Vorgänge unterschieden, die aufzeigen, was geschieht, wenn z.B. beide Seiten keine klaren Kenntnisse bezüglich des besprochenen Gegenstands besitzen oder aber die L1-Sprechenden zunächst den Wissensstand der L2-Lernenden prüfen, um diesen dann zu erweitern. In ihrem Beitrag „Vielleicht kann ich meinen Bildschirm teilen“ - Management von Spanisch Online-Interaktionen im Rahmen eines Virtual Exchange“ zeigen M ARTA G ARCÍA G ARCÍA und N AIARA M ARTÍNEZ N IÑO , wie Spanischstudierende unter- 6 Götz Schwab, Sabine Hoffmann DOI 10.24053/ FLuL-2024-0001 53 • Heft 1 einander interagieren. Im Rahmen des ENLIGHT-Netzwerks trafen sich verschiedene Spanischstudierende aus unterschiedlichen Studiengängen in kleinen Gruppen auf Zoom, wobei kein Teilnehmender apriori die Rolle des/ r Lehrenden oder Leitenden übernommen hatte. Dabei lag das Forschungsinteresse darauf, wie sich das interaktionelle Selbstmanagement gestaltet hat. Insbesondere zeigt die Studie diverse Strategien der Studierenden, wie der Bildschirm auf Zoom geteilt wird. Auch der Beitrag von S VENJA M EIER und G ÖTZ S CHWAB befasst sich mit einem Mobilitätsprojekt und hat zum Thema: „Identitätsarbeit und Rollenverständnis durch persönliche Narrationen in Virtuellen Austauschen zwischen deutschen und israelischen Studierenden“. Die der Untersuchung zugrunde gelegten Daten stammen aus einem vierwöchigen virtuellen Austauschprojekt, in dem Studierende aus Israel und Deutschland gemeinsam an Konzepten für ihren zukünftigen Fremdsprachenunterricht arbeiten. Diese Zoom-Sitzungen wurden aufgezeichnet, multimodal transkribiert und dann mit Hilfe eines phänomenologischen Ansatzes die Diskursentwicklung der Nebengesprächen ("off-task-talks") und ihr (situiertes) Rollen- und Identitätskonzept analysiert, wie dieses im Gespräch hervortritt. Im höheren Schulbereich angesiedelt, ist der letzte Beitrag von S INA W ERNER : „Task-in-Process in Breakout Rooms eines aufgabenbasierten Videokonferenzprojekts“. Dabei handelt es sich um eine qualitative Studie, die darauf zielt, Merkmale von Gruppeninteraktion während einer gemeinsamen Bearbeitung von Aufgaben in Pausenräumen festzustellen. Anhand der Ergebnisse der Aufgabe und der aufgezeichneten Interaktionen der Lernenden wird zum einen gezeigt, wie verschiedene Gruppen die gemeinschaftliche Arbeit organisieren, und zum anderen, wie sie die Zielsprache, aber auch die technischen Möglichkeiten der Videokonferenz-App nutzen. Wir hoffen, mit dieser Auswahl ein Themenheft zusammengestellt zu haben, welches einen interessanten Beitrag zur Erforschung von fremdsprachlichem Lehren und Lernen im digitalen Zeitalter leistet und zugleich zu weiteren wissenschaftlichen Diskussionen in diesem Bereich anregt. Literatur B ALAMAN , Ufuk (2019): „Sequential organization of hinting in online task-oriented L2 interaction“. Text & Talk 39.4, 511-534. DOI: 10.1515/ text-2019-2038. B ALAMAN , Ufuk / P EKAREK DOEHLER , Simona (2022): „Navigating the complex social ecology of screen-based activity in video-mediated interaction“. In: Pragmatics 32.1, 54-79. DOI: 10.1075/ prag.20023.bal B ALAMAN , Ufuk / S ERT , Olcay. (2017): „Development of L2 interactional resources for online collaborative task accomplishment“. In: Computer Assisted Language Learning 30.7, 601-630. B URWITZ -M ELZER , Eva / R IEMER , Claudia / S CHMELTER , Lars (Hrsg.) (2019): Das Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen im digitalen Wandel: Arbeitspapiere der 39. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag. Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 7 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0001 D RIXLER , Nils (2022): „Features of online second language interactional competence in a German- Israeli virtual exchange“. In: TESOL in Context 30.2, 65-95. https: / / ojs.deakin.edu.au/ index.php/ tesol/ article/ view/ 1568/ 1491. H OFFMANN , Sabine (2022): „Kritisches Feedback in der DaF-Lehrendenbildung“. In: Studi Germanici 22, 219-240. H OFFMANN , Sabine (2023): „Ortsnamen als Identitätsstifter in internationalen Videokonferenzen“. In: B ARRALE , Natascia / D I B ELLA , Arianna / H OFFMANN , Sabine / W EERNING , Marion (Hrsg.): Menschen und Handeln im Zeichen transkulturellen Denkens. Festschrift für Laura Auteri. Lausanne: Peter Lang Verlag, 79-90. K NAUS , Thomas / J UNGE , Thorsten / M ERZ , Olga (2021): Lehren aus der Lehre in Zeiten von Corona. Mediendidaktische Impulse für Schulen und Hochschulen. München: Kopaed. 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Tübingen: Narr. 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0002 N ILS D RIXLER * Turn-Taking als Merkmal interaktionaler Kompetenz in einem Virtual Exchange - Konversationsanalyse von videogestützter Online-Interaktion zwischen israelischen und deutschen Englischstudierenden Abstract. This article investigates turn-taking as a feature of Second Language Interactional Competence (L2 IC) within a Virtual Exchange (VE) project involving undergraduate English Foreign Language (EFL) students. Through Conversation Analysis (CA), a German-Israeli focus group (n = 4) is monitored over seven online meetings. VE, or Collaborative Online International Learning (COIL), is a telecollaboration method involving participants from different cultures or geographical regions. The study refers to the Extended Telecollaboration Practice Project, with English as the target language serving as a Lingua Franca. Turn-taking processes within the focus group are considered and discussed, utilizing GAT2 transcription excerpts. Since the data pertains to a group of participants over the course of a semester, aspects of longitudinal conversation analysis are also incorporated. 1. Einleitung Der vorliegende Beitrag untersucht Zoom-Meetings zwischen deutschen und israelischen Englischstudierenden im Rahmen eines Virtuellen Austausches (von hier an „VA“ abgekürzt), respektive Collaborative Online International Learning (COIL) (O’D OWD 2018; R UBIN / G UTH 2015). Der Schwerpunkt der konversationsanalytischen Untersuchung liegt auf der Aushandlung von Rederechten (turn-taking und turn-management) und deren Bedeutung für die Interaktionale Kompetenz (K RAMSCH 1986; Y OUNG 2006), bzw. Second Language Interactional Competence (im Folgenden „L2 IC“ genannt) der Teilnehmenden während der Online-Projektarbeit. Der vorliegende Artikel begleitet eine einzelne Fokusgruppe (n = 4) über insgesamt sieben Online-Meetings und kann somit Einblicke in die Entwicklung von Turn- Taking-Praktiken im Laufe eines VAs geben. Das untersuchte Projekt, namentlich Extended Telecollaboration Practice (W ALDMAN / H AREL / S CHWAB 2019), ist ein andauernder und einmal im Jahr stattfindender VA zwischen Lehramtsstudierenden * Korrespondenzadresse: Nils D RIXLER , M.A., Institut für Englisch, Reuteallee 46, Pädagogische Hochschule L UDWIGSBURG . E-Mail: nils.drixler@ph-ludwigsburg.de Arbeitsbereiche: Linguistische Pragmatik, Konversationsanalyse, Interactional Competence 10 Nils Drixler DOI 10.24053/ FLuL-2024-0002 53 • Heft 1 des Faches Englisch in Israel und Deutschland. Die Video- und Transkriptionsdaten dieser Studie entstammen aus diesem Projekt, genauer der Kohorte 2019/ 20, welche kurz vor dem Ausbruch von COVID-19 endete. 2. Turn-Taking als Merkmal interaktionaler Online-Kompetenz Der Begriff der kommunikativen Kompetenz, der als Antwort auf C HOMSKYS Arbeit zur „linguistischen Kompetenz“ (1965) entstand, wurde von H YMES (1972) geprägt. Dessen Modell betonte die Analyse von Sprachformen im Anwendungskontext und kontrastierte C HOMSKY s Unterscheidung zwischen linguistischer Kompetenz und Performanz. Aufgrund von Kritiken an der Vernachlässigung spezifischer zwischenmenschlicher Interaktionspraktiken, führte K RAMSCH s Vorstellung der Interaktionalen Kompetenz im Fremdsprachenerwerb (1986) zu einer differenzierteren Sicht. Sie definierte Interaktion als Aushandlung von Bedeutungen, einschließlich der Antizipation von Hörerreaktionen und Missverständnissen, sowie des Erkennens und Verdeutlichens eigener und fremder Absichten, mit dem Ziel einer hohen Übereinstimmung zwischen beabsichtigten, wahrgenommenen und antizipierten Bedeutungsaushandlungen. Dies bezieht sich auf eine Bandbreite von Kontexten, von Alltagssituationen bis hin zur Vertragsverhandlung (ebd.: 366). L2 IC bezeichnet die Fähigkeiten 1 , interaktionale Merkmale, wie u.a. Reparatursequenzen, interaktives Zuhören, Sequenzorganisation oder Topic-Management (G ALACZI / T AYLOR 2018) mit Hilfe der verfügbaren sprachlichen Mittel so einzusetzen, dass kommunikative Absichten der Interaktanten in konkreten Situationen zum Ausdruck kommen. Die Erforschung von L2 IC in videogestützter Online-Interaktion, z.B. Videokonferenzen, ist ein junges Feld, das nicht zuletzt aufgrund von COVID-19 in der Sprachlehrforschung zunehmend an Bedeutung gewinnt (H OSHII / S CHUMACHER 2020; D AI / G RIEVE / Y AHALOM 2022; B ALAMAN / S ERT 2017; P EKAREK D OEHLER / B ALAMAN 2021). Auch im Online-Kontext erfordert L2 IC die Fähigkeit, Rederechte im Rahmen von Beitragskonstruktionseinheiten auszuhandeln, Überlappungen sowie Pausen zu vermeiden und auch in Gruppengesprächen erfolgreich das Rederecht zu ergreifen (J ENKS 2014: 126). Diese Praktiken sind Teil des zentralen Turn-Taking und -Managements in interaktionalen Kompetenzmodellen (G ALACZI / T AYLOR 2018). Ein erfolgreicher Turn-Taking-Prozess erfordert eine feine Abstimmung zwischen den Gesprächsteilnehmenden sowie ein Verständnis von Hinweisreizen, um zu erkennen, wann es angebracht ist, das Wort zu ergreifen oder abzugeben. G ALACZI / T AYLOR (2018: 8) sehen Turn-Taking als eines der zentralen Merkmale ihres interaktionalen Kompetenzmodells, von welchem wiederum sogenannte Microfeatures wie Beginn, Erhaltung, Beenden, Pausieren, Unterbrechen und Einklinken abzweigen. Konversationsanalytische Studien haben stabile, kontextspezifische Abläufe für Sprecherwechsel sowohl in Präsenzals auch in Remote-Interaktionen festgestellt (S ACKS / 1 Die weitgehend englischsprachige Fachliteratur zu L2 IC spricht i.d.R. von Features. Turn-Taking als Merkmal interaktionaler Kompetenz in einem Virtual Exchange 11 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0002 S CHEGLOFF / J EFFERSON 1974). Dennoch sind diese Regeln des Sprecherwechsels keinesfalls statisch, sondern werden insbesondere in neu aufkommenden Gesprächssituationen neu ausgehandelt und abgestimmt (J ENKS 2014). 2.1 Turn-Taking in videogestützter Kommunikation Einer dieser neueren Kontexte sind Videokonferenzplattformen, wie beispielsweise Zoom, Microsoft Teams oder Skype. Die tiefgreifenden Veränderungen im Alltag von Lernenden und Lehrenden aufgrund von COVID-19 haben in den vergangenen drei Jahren zahlreiche Forschende dazu motiviert, die Mechanismen des Sprecherwechsels 2 auf diesen Plattformen zu untersuchen (S TONE / B RINHAM 2022; S EUREN et al. 2021; S ATAR / W IGHAM 2023; T OMPROU et al. 2021). Das Turn-Taking in videogestützter Online-Kommunikation ist zu einem Hauptforschungsthema geworden, da einige Aspekte sich von bisherigen Erkenntnissen sowohl in Face-to-Face-Konstellationen als auch in Telefoninteraktionen (S ACKS / S CHEGLOFF / J EFFER - SON 1974) unterscheiden. Hierzu gehören: (1) Übertragungslatenzen beeinflussen die zeitliche Reihenfolge von Redebeiträgen, was Herausforderungen für flüssiges Turn-Taking birgt. Längere Pausen an übergaberelevanten Stellen führen oft zu ungewollten Überlappungen durch gleichzeitiges Ergreifen des Rederechts (S EUREN et al. 2021). (2) Nonverbale Hinweise wie Blickrichtung und Körperorientierung können aufgrund von Kamera-Positionierung, Videoqualität und Latenz verändert oder missverstanden werden. Dennoch nutzen Teilnehmende visuelle Informationen zur Gesprächskoordination (H EATH / L UFF 1993). T OMPROU et al. (2021) kommen hingegen zu dem Ergebnis, dass Teams ohne visuelle Hinweise, also nach Abschaltung ihrer Kameras, erfolgreicher in der Berücksichtigung stimmlicher Hinweise und der Synchronisation ihrer Redebeiträge sind. (3) Die Integration multimodaler Elemente wie Textchat, Bildschirmfreigabe und Emojis in Videokonferenzen präsentiert eine neue und vielschichtige Dimension der Sequenzorganisation (S ATAR / W IGHAM 2023), die bei der Datenanalyse berücksichtigt werden muss. So können beispielsweise längere Pausen sowohl Kommunikationsabbrüche als auch schriftliche Kommunikation über andere Plattformen signalisieren. (4) Aufgrund eingeschränkter visueller Hinweise in Online-Meetings nimmt die Bedeutung prosodischer Attribute zu. Tonhöhenänderungen können ein Hinweis auf eine terminale Positionierung des Sprechbeitrages sein und somit einen anstehenden Sprecherwechsel ankündigen (J ENKS 2014: 60). 2 Die Mechanismen des Sprecherwechsels, bzw. des Rederechts, werden in S ACKS / S CHEGLOFF / J EFFER - SON (1974: 725) als Turn-Taking-Machinery bezeichnet. 12 Nils Drixler DOI 10.24053/ FLuL-2024-0002 53 • Heft 1 2.2 Turn-Taking in Virtuellen Austauschen Bei Virtuellen Austauschen handelt es sich um Projekte zwischen zwei oder mehreren Bildungsinstitutionen, in denen Lernende aus unterschiedlichen Regionen online zusammenarbeiten. Diese können projektbasiert über einen längeren Zeitraum oder kürzer für einzelne Aufgaben, also task-basiert, organisiert werden. Die derzeit etabliertesten Bezeichnungen dieser Lehr-/ Lernmethode sind Virtual Exchange (O’D OWD 2021), Collaborative Online International Learning bzw. COIL und Telecollaboration. Konversationsanalytische (CA) Studien in VA stellen ein junges, aber wachsendes Forschungsfeld dar. Thematische Schwerpunkte liegen im Bereich des Topic Management (C IMENLI / S ERT / J ENKS 2022), multimodaler Interaktion (P OUROMID 2019), epistemischer Aushandlungen (B ALAMAN / S ERT 2017), linguistische Angemessenheit in Anfragesequenzen (C UNNINGHAM 2017), Storytelling (D OOLY / T UDINI 2022) und Übertragungslatenz (R USK / P ÖRN 2019). Lediglich letztere, sowie die vorliegende Studie thematisieren explizit den Sprecherwechsel in virtuellen Austauschen. 3. Forschungskontext und Methodologie Die vorliegende Studie setzt sich als Ziel, den Aushandlungsprozess von Rederechten (turn-taking und -management) in einem VA zu untersuchen und veranschaulicht dessen Bedeutung für die Interaktionale Kompetenz der Teilnehmenden. Es wird untersucht, welche Praktiken in Bezug auf das Rederecht sich im Laufe des Austausches etablieren und wie diese von Präsenz-Mechanismen abweichen. Daher hat die Studie einen explorativen Charakter und umfasst Elemente einer Langzeitstudie (P EKAREK D OEHLER / B ERGER 2018). 3.1 Kontext und Teilnehmende der Studie Die Daten für diese Studie wurden im Rahmen des VA-Projekts Extended Telecollaboration Practice (s. Abschnitt 1) zwischen November 2019 und Januar 2020 erhoben. Das Projekt besteht seit 2015 zwischen dem Kibbutzim College in Tel Aviv und der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Englischstudierende bilden Gruppen von 4-6 Personen und diskutieren wöchentlich in Zoom-Meetings den Stand ihrer Projekte mit dem Ziel, telekollaborative Unterrichtseinheiten für die Sekundarstufe zu entwickeln. Die Analyse basiert auf Aufzeichnungen und Transkripten der vierten Kohorte, mit Gruppensitzungen zwischen deutschen und israelischen Studierenden von insgesamt ca. 49 Stunden. Eine bezüglich der durchschnittlichen Gruppengröße sowie Gender-Verteilung der Teilnehmenden repräsentative Fokusgruppe (n = 4) wurde ausgewählt, um die Entwicklung der Turn-Taking-Prozesse und interaktionalen Ressourcen zu verfolgen. Turn-Taking als Merkmal interaktionaler Kompetenz in einem Virtual Exchange 13 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0002 Diese besteht aus zwei weiblichen Studierenden in Israel und einem männlichen und einer weiblichen Studierenden in Deutschland. Die Gruppe traf sich sieben Mal im Laufe des Semesters, was ein Datenkorpus von 283 Minuten ergibt, welches grob transkribiert wurde. Einzelne Exzerpte, die im Hinblick auf den Turn-Taking-Prozess besonders aufschlussreich sowie exemplarisch sind, wurden nach Gesprächsanalytischem Transkriptionssystem 2 / GAT 2 (S ELTING et al. 2009) feintranskribiert. Das Datenset unterscheidet sich von vielen anderen konversationsanalytischen Studien zur videogestützten Interaktion, da die Studierenden lokal an einem gemeinsam geteilten Endgerät sitzen und nicht, wie es während COVID-19 typisch war, räumlich getrennt am jeweils eigenen. Diese Verteilung erfolgte aufgrund begrenzter Räumlichkeiten und um die bestehenden Gruppen an den jeweiligen Hochschulstandorten nicht aufzulösen. Die Studierenden wurden von den Seminarleitenden in unterschiedliche Seminarräume oder Büros an ihren jeweiligen Hochschulen verteilt. Somit müssen die Interagierenden in einem hybriden Setting zwei Ebenen berücksichtigen: das Online-Gegenüber auf Zoom sowie die Gruppenmitglieder vor Ort. In einer beispielhaften und typischen Gruppenkonstellation sind also drei israelische Studierende physisch in einem Raum versammelt und nutzen gemeinsam einen Laptop, um über Zoom mit drei deutschen Studierenden zu interagieren, die sich in einer analogen Situation befinden. 3.2 Forschungsmethode Die Konversationsanalyse (s. Abschnitt 2) (S ACKS et al. 1974) zieht zur Analyse Audio- oder Videodaten von echten Sprechanlässen, auch Talk-In-Interaction genannt, vor. Dies ermöglicht es den Forschenden, die emische, d.h. teilnehmendenrelevante, Perspektive der Sprechenden/ Interaktanten einzunehmen, welche sich von der etischen, d.h. exogenen, Perspektive unterscheidet (B ALAMAN / S ERT 2017: 3). Ein herkömmliches konversationsanalytisches Verfahren besteht zunächst darin, eine Sammlung von Sprechanlässen in Form von Transkriptionen anzulegen (D AI / G RIEVE / Y AHALOM 2022). Dies erfolgt in der vorliegenden Studie mit einem Fokus auf Turn- Taking (S ACKS et al. 1974) nach den Konventionen des GAT 2. Die Transkriptionskonventionen lassen sich S ELTING et al. (2009) entnehmen, welches online frei zur Verfügung steht. 4 Analyse Ziel des empirischen Teils dieser Studie ist es, die Mechanismen des Turn-Takings während Video-Teammeetings im Rahmen eines virtuellen Austauschs offenzulegen und zu veranschaulichen. Die hierfür verwendeten Beispiele stammen aus dem Datenset (s. Abschnitt 3.1) und fokussieren sich auf eine Gruppe deutsch-israelischer Lehramtsstudierender im Fach Englisch. Die Transkriptionsexzerpte stammen aus 14 Nils Drixler DOI 10.24053/ FLuL-2024-0002 53 • Heft 1 unterschiedlichen Meetings besagter Gruppe, welche mit Datum und Zeitstempeln versehen sind. Zur besseren Verständlichkeit werden die vier Teilnehmenden besagter Fokusgruppe vorgestellt: Abb. 1: Deutsche Studierende Abb. 2: Israelische Studierende Von links nach rechts: G-MIA: weibliche Teilnehmerin aus Deutschland G-FLO: männlicher Teilnehmer aus Deutschland I-SIA: weibliche Teilnehmerin aus Israel I-LEE: weibliche Teilnehmerin aus Israel Bei einigen Ausschnitten spielen multimodale Ressourcen wie Mimik, Gestik oder Blickrichtung eine Rolle. Diese multimodalen Handlungen werden entlang M ONDA - DA s (2018) Konventionen für multimodale Transkription mit Bildausschnitten veranschaulicht und deren Dauer mit Zeichen wie im Folgenden begrenzt: 1 G-MIA + ja (.) ja + I-LEE +nickt----+ * begrenzt multimodale Handlungen von G-MIA ⊥ begrenzt multimodale Handlungen von G-FLO ∆ begrenzt multimodale Handlungen von I-SIA + begrenzt multimodale Handlungen von I-LEE Die Teammeetings wurden wenige Monate vor der COVID 19-Pandemie aufgezeichnet, somit ist der Umgang mit der Videokonferenzsoftware Zoom für die meisten Studierenden sprichwörtliches ‚Neuland‘, was stellenweise in deren Aussagen in den ersten Meetings zum Ausdruck gebracht wird: Sequenz 1: Meeting 1, Team 8, 0: 51: 38 - 0: 51: 49 01 G-MIA +<<lachend> wie man sie tippen + hörn (--)und schreiben I-LEE +tippt etwas am Laptop--------+ 03 sehen ´kann (.) °hh (--) its really cool ¯haha-> Turn-Taking als Merkmal interaktionaler Kompetenz in einem Virtual Exchange 15 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0002 In Sequenz 1 drückt G-MIA ihre Überraschung über verschiedene Aspekte der neuen multimodalen Umgebung, wie das Tippen der Israelis im synchronen Shared Document, sowohl verbal explizit als auch durch das Code-Switching zu ihrer Erstsprache aus. Dieses Code-Switching verstößt gegen eine vereinbarte Regel und unterstreicht die Herausforderungen des neuen Mediums. Die über Wochen des virtuellen Austausches entwickelten Online-Turn-Taking- Praktiken werden im Folgenden kategorisiert und besprochen: 4.1 Beitragskonstruktion; 4.2 Tag-Questions und Prosodie an finaler Position; 4.3 Selbstselektion, Überlappung und Unterbrechung; 4.4 Unterbrechung und Rolle technischer Probleme. 4.1 Beitragskonstruktion: Überblick unterschiedlicher Turn-Taking-Praktiken Das System des Rederechts von Online-Teammeetings ist höchst geordnet. Die Sprecherbeiträge dieses Systems bestehen aus Beitragskonstruktionseinheiten, respektive Turn-Constructional-Units (TCU), welche nicht ausschließlich aus ganzen Sätzen bestehen, sondern beispielsweise auch lediglich Backchanneling („mhm“) oder andere einzelne Wortsegmente beinhalten können (J ENKS 2014: 52). Oft werden innerhalb kurzer Zeitsegmente mehrere Strategien der Rederechtsübergabe praktiziert, wie in der folgenden Sequenz veranschaulicht: Sequenz 2: Meeting 1, Team 8, 0: 46: 14 - 0: 46: 28 01 G-MIA `e: : hm ↑FLO? (1.0) ↑EXpectations? * (1.1) * *lacht--* 02 G-FLO ⊥ `hm[m: : .] (---) ⊥ ⊥ blickt in Richtung Decke und verzieht Mund ⊥ 03 -SIA [ehm ] to work a: : [nd; = 04 -LEE =to to + tellt Blickkontakt zu I-SIA her (3.8)+ 05 -SIA +(hebräisch) +∆ -LEE +Israelis schauen sich gegenseitig an (4.2)+∆ 06 -LEE to meet new culture (.) ↑NO? + lickt weiterhin Richtung I-SIA+ Dieser Abschnitt von 14 Sekunden beinhaltet zahlreiche Merkmale des Online-Spreherwechsels, die sich teils vom Sprecherwechsel in Präsenz abheben; nämlich u.a.: (01): Fremdselektion der nächsten Sprechenden; (02): fehlgeschlagene Aufrechterhaltung des Rederechts (Turn-Maintenance), (03): Überlappung bzw. Unterbrechung 3 (Kap. 4.3); 3 Zur Unterscheidung zwischen Überlappung und Unterbrechung, vgl. O LBERTZ -S IITONEN (2009). 16 Nils Drixler DOI 10.24053/ FLuL-2024-0002 53 • Heft 1 (01 und 06): Signalisierung des Endes einer TCU durch terminale Marker „no? “ und/ oder deutlich ansteigender bzw. absinkender Prosodie (Kap. 4.2) und turn-finales Lachen (S HAW / H EPBURN / P OTTER 2013; S TONE / B RINHAM 2022: 20) (04-06): Herstellung einer ausschließlich lokalen Joint-Action durch multimodale Handlungen (Blickkontakt), direkten Anschluss (Latching) sowie Code-Switching in die Muttersprache. Auf einige dieser rederechtsbezogenen Online-Praktiken wird in den folgenden Abschnitten vertieft eingegangen. 4.2 Tag-Questions und Prosodie am Ende einer Beitragskonstruktionseinheit Ein in allen zehn Gruppen beobachtbares Phänomen ist die häufig frequentierte Verwendung finaler Marker, wie etwa „no? “, „right? “, „maybe? “, welche das Ende eines Turns und somit die Übergabe des Rederechts an die nächsten Sprechenden verdeutlichen sollen. Dies wird in folgendem Beispiel deutlich: Sequenz 3: Meeting 1, Team 8, 0: 50: 28 - 0: 50: 37 01 G-MIA so this (.) like this about teachers in ´generAL or is 02 it `li: ke. * (0.8) * *schließt Mund, blickt in Webcam* 02 I-SIA e: : h think its for teaching (.) ´no? Obwohl die grammatikalische Funktion der Präposition „`li: ke.“ eine weitere Nominalphrase von G-MIA erwarten lässt, schließt diese ihren Mund und blickt abwartend in die Kamera (01). Doch nicht nur die multimodalen Handlungen der Mundbewegung und Blickrichtung, sondern auch die fallende Prosodie des Wortes „like“ markieren das Ende ihres Turns. Häufig finden Absenkungen der Stimmlage am Ende einer TCU statt (S ELTING 2000) und geben somit das Wort an die nächste Interagierende ab. In diesem Fall lässt G-MIA ihren Gruppenmitgliedern zwei Möglichkeiten, nämlich entweder ihren Satz nach der Präposition zu vervollständigen und eine eigene Alternative zu nennen oder die fallende Stimmlage als Ende des Turns zu interpretieren. Von den deutschen Teilnehmenden wird dieses Stilmittel häufig mit anderen Präpositionen oder der Konjunktion „o: r“ angewandt (vgl. J ENKS 2014: 54f.). Der Ansatz der beiden israelischen Teilnehmerinnen kann hingegen als nahezu reversiv zur ‚deutschen‘ Vorgehensweise betrachtet werden. Wie in Zeile 02 zu erkennen, wird dabei die Verneinung „´no? “ im Sinne von „nicht wahr? “ verwendet. Diese Negation, welche eigentlich epistemische Bestätigung erfragt und das Rederecht abgibt, wird von einer prosodischen Hebung begleitet. Die Stimmlage geht demnach nicht nach unten, sondern akzentuiert nach oben. Turn-Taking als Merkmal interaktionaler Kompetenz in einem Virtual Exchange 17 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0002 Folglich kann das Anbahnen eines Sprecherwechsels sowohl mit steigender als auch fallender Prosodie erlangt werden. Auffallend bei den israelischen Teilnehmerinnen ist, dass sie fast ausschließlich das „´no? “ verwenden, von einem gelegentlichen „´maybe? “ einmal abgesehen. Über alle sieben Meetings im Laufe des Projektes wird das „´no? “ als terminale Position innerhalb des Beitrags insgesamt 57 Mal in Gruppe 8 und zudem in anderen Gruppen des Datensets sehr ausgiebig von israelischer Seite angewandt. Von den deutschen Teilnehmenden wird es hingegen nicht angewandt, sondern auf die o.g. Marker „`li: ke.“, „`o: r.“ oder auch „↑right? “ zurückgegriffen. 4.3 Selbst-Selektion, Überlappung und Unterbrechung Die folgende Sequenz wurde zur besseren Übersicht ohne multimodale Details transkribiert, da andere, verbale Beobachtungspunkte im Fokus stehen. Es handelt sich um das fünfte Zoom-Meeting der beobachteten Fokusgruppe, die sich als Ziel gesetzt hat, eine telekollaborative Lehreinheit zum Thema German and Israeli Snacks zu planen. Die Diskussion der Gruppe dreht sich um gemeinsame kulturelle Artefakte, welche sowohl in der israelischen wie auch in der deutschen Kultur bekannt sind. Der thematisierte Gegenstand Bamba entspricht dem Snack Erdnuss Flips in Deutschland. Sequenz 4: Meeting 5, Team 8, 0: 21: 04 - 0: 21: 40 01 G-MIA jaja (.) HOW do you call `them, (0.9) 02 I-SIA we call [´them ] ´bamba. (1.7) 03 I-LEE [bamba.] 04 G-FLO [( ) ] 05 I-SIA [so maybe] we can share (.) you know the similarities 06 in with the [snacks,] 07 G-MIA [its i think] its even the same but its 08 just called `differently-= 09 G-FLO =yeah 10 I-SIA ah_[really_cause_i] 11 G-MIA [made from] peanuts like (.) fluffy ´peanuts? 12 I-SIA ja: h (.) in Israel its like the national snack 13 [(.) like (.)] every: (.) 14 G-FLO [(inaudible ] 15 I-SIA like two years ´o: ld (.) like from two years_old we 16 start to eat it and (.) you know that's [why we ( )] 17 G-MIA [( ) not a ] 18 national snack but (.) i like it ´so: -= 19 G-FLO =yeah everybody knows it,= 20 G-MIA =its definitely something that people would ´ 21 know? [( )] 22 I-LEE [( i (.) )] showed you in the ´google `docs; 18 Nils Drixler DOI 10.24053/ FLuL-2024-0002 53 • Heft 1 23 G-FLO [<<pp> i: : (--) >] 24 I-SIA [you can ] see in the google docs how it looks 25 `like. Dieser Abschnitt ist durch viele Überlappungen und Unterbrechungen geprägt. Er beginnt mit einer Frage von G-MIA (01), die von den israelischen Teilnehmerinnen überlappend beantwortet wird, auf deren Turn wiederum eine Pause folgt (02). Da diese übergaberelevante Stelle mit 1.7 Sekunden ungewöhnlich lang ist und die deutschen Teilnehmenden zunächst nicht antworten, ergreift I-SIA wieder das Wort. Dies geschieht jedoch gleichzeitig mit G-FLOs Selbstselektion, wodurch eine Überlappung zu Beginn des Turns eintritt. Beide Interaktanten haben nun jeweils die Wahl, ihren Turn abzubrechen oder weiterzuführen. G-FLO entscheidet sich für ersteres, I-SIA spricht hingegen ohne weiteres Innehalten weiter. Auch in den Zeilen 14 und 23 versucht G-FLO das Wort zu ergreifen und überlappt sich dabei mit anderen Sprecherbeiträgen, wahrscheinlich ohne diese bewusst unterbrechen zu wollen. In Zeile 02 benötigt er zu viel Zeit, um das Wort zu ergreifen, sodass I-SIA ihren eigentlich beendeten Beitrag stattdessen mit einer thematischen Extension weiterführt. In Zeile 13 interpretiert er eine Pause von unter 0,5 Sekunden fälschlicherweise als Ende eines Turns, wohingegen seine Beitragsinitiation in Zeile 23 zu leise ist und deshalb, womöglich unwissentlich, von I-SIA unterbrochen wird. In dieser Sequenz wird deutlich, dass diejenigen Interaktanten, die im Falle einer Überlappung weitersprechen und nicht abbrechen, letztendlich ihren Turn ausführen können. Auch wenn sich bestimmte Teilnehmende als Hauptsprechende etablieren, bleibt auch für diese ‚Gruppenführenden‘ das Online-Rederecht umkämpft, da nicht nur unbeabsichtigte Überlappungen die Turn-Aufrechterhaltung erschweren, sondern auch zunehmend bewusste Unterbrechungen. Beispielsweise wird I-SIA vor Finalisierung ihres Turns von G-MIA unterbrochen (07), was sich in Zeile 17 in dieser Form wiederholt. Da es an diesen Stellen keinerlei Hinweis für eine baldige Finalisierung des Sprecherbeitrages von I-SIA gibt, kann tatsächlich von einer Unterbrechung und nicht von einer unbeabsichtigten Überlappung ausgegangen werden (s. Abschnitt 4.4). Dennoch ist nicht ersichtlich, dass diese Interruptionen den Gesprächsverlauf oder die Teilnehmenden stören. Manche Turns werden auch aufgrund von epistemischen Rückfragen unterbrochen, wie etwa in Zeile 11 ([made from] peanuts like (.) fluffy ´peanuts? ). Diese tragen zu einem besseren Verständnis und der „Sphäre der Intersubjektivität“ (K RAMSCH 1986: 367) aller Gruppenmitglieder bei. 4.4 Interruption und die Rolle technischer Schwierigkeiten Es ist in dieser fortgeschrittenen Phase des Projekts (die Teilnehmenden befinden sich in Meeting fünf von insgesamt sieben) auffällig, dass Unterbrechungen und Überlappungen nicht mehr von Reparatursequenzen oder gar expliziten Entschuldigungs- Turn-Taking als Merkmal interaktionaler Kompetenz in einem Virtual Exchange 19 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0002 äußerungen begleitet werden, wie es noch im ersten Meeting der Fall war. Folgende Sequenz zeigt eine gleichzeitige Selbstselektion mit darauffolgender Reparatur. Sequenz 5: Meeting 1, Team 8, 0: 35: 16 - 0: 35: 29 01 G-MIA [and if you’re if you’re; ] 02 I-SIA [( ) like I’m sure you have `eh.] (1.9) 03 G-MIA sorRY? (1.3) 04 I-SIA you_know i’m saying that you have eh (.) i’m sure you 05 have eh… Eine Erklärung für das häufige Unterbrechen in späteren Meetings könnte sein, dass die Teilnehmenden im Laufe des Projektes zahlreichen nicht-interaktionalen Interruptionen ausgesetzt sind. Hierzu gehören u.a. Störungen durch andere Gruppen, die sich zeitweise in denselben Räumlichkeiten aufhalten, vor allem aber technische Unterbrechungen durch schlechte Internetverbindung oder mangelhafte Sprachqualität durch minderwertige oder schlecht platzierte Mikrofone. Auch im folgenden Beispiel spielt ein schlecht platziertes Mikrofon mitunter eine Rolle, insbesondere wird aber die Akzeptanz von Unterbrechungen im Rahmen eines VA weiter verdeutlicht. Sequenz 6: Meeting 5, Team 8, 0: 22: 39 - 0: 23: 01 Abb. 3: Audiospur Sequenz 6 01 I-LEE <<pp> introduction yes (1.8) the: (0.7) the favorite 02 subject (1.6) eh how far they live from the ↑schoo: l 03 how they get to `school.> (--) 04 G-MIA ´mhm= 05 G-FLO <<p>=yeah a lot of them are also part of the: 06 [( )]> 07 G-MIA: [WELL]_I WANTed this to be (.) i wanted this be: 08 ehm a different lesson because i planned it or i was 09 thinking in a way that (.) ehm this is a `group ´work… Sequenz 6 knüpft an die zuvor besprochene Sequenz 4 über Snacks („Bamba“) an. Ursprünglich hatte G-MIA in einer schriftlichen Aufgabe das Thema „a school day in Israel and Germany“ vorgeschlagen und fragt nun die Gruppe, ob dieses Thema weiterhin verfolgt werden soll. I-LEE schlägt vor, beide Ideen zu vereinen und Aspekte 20 Nils Drixler DOI 10.24053/ FLuL-2024-0002 53 • Heft 1 von G-MIAs Vorschlag in die geplante Einführungsstunde zu integrieren (01). Diese Äußerung wird nach einer Pause mit dem Zustimmungssignal (Backchanneling Token) „mhm“ von G-MIA beantwortet (04). G-FLO greift das Thema auf und zeigt Zustimmung durch das Acknowledgement Token „yeah“ (05). Der deiktische Ausdruck „them“ bezieht sich auf die von G-MIA vorgeschlagenen und verschriftlichten Leitfragen der geplanten Stunde. G-FLO möchte seine Ausführungen vertiefen, allerdings unterbricht G-MIA dessen Beitrag und initiiert in Zeile 07 einen neuen Turn, indem sie ihren Wunsch äußert, dass die zu planende Lehreinheit einem bestimmten Plan oder einer Struktur folgen solle. Die Unterbrechung und die Verwendung des Diskursmarkers „WELL“ vor ihrer Wortergreifung verdeutlichen ihre Absicht, die Kontrolle über das Diskussionsthema zu übernehmen. Es wird deutlich, dass das Unterbrechen anderer Teilnehmender zu diesem Zeitpunkt des virtuellen Austauschs bereits als normales Gesprächsverhalten in Gruppe 8 betrachtet wird. Die Beobachtung, dass lokale Gruppenpartner*innen (G-MIA unterbricht G-FLO, 07) sich gegenseitig ins Wort fallen und dies nicht von einer Reparatur- oder Entschuldigungssequenz begleitet wird, zeigt, dass nicht nur technische Probleme und das gegenseitige Nicht-Hören für die Unterbrechungen verantwortlich sind, sondern sich das Kommunikationsverhalten der Teilnehmenden selbst verändert hat. Bei Betrachtung der Wellenform der Audio-Datei (s. Abb. 3) in Sequenz 6 wird zudem deutlich, wie groß die Lautstärkeunterschiede zwischen den einzelnen Sprechenden tatsächlich sind. Die mittlere Lautstärke von G-MIA beträgt dabei -12 dB während die mittlere Lautstärke von G-FLO ca. -22 dB beträgt. Obwohl sich beide im selben Raum und im selben Abstand zum Mikrofon befinden, ist G-MIAs Beitrag also in etwa doppelt so laut wie der Beitrag von G-FLO, da eine Amplitudendifferenz von 10dB einer wahrgenommenen Verdopplung der Lautstärke entspricht. I-LEE fällt in ihrer Beitragslautstärke noch weiter ab (-28dB), was jedoch nicht zwangsweise ins Gewicht fallen muss, da auf der deutschen Seite die Ausgabe-Lautstärke erhöht werden kann. 4 Sequenz 7: Meeting 3, Team 8, 0: 11: 51 - 0: 12: 01 4 Dennoch führt ein zu geringer Audiopegel (Abb. 4) zu Qualitätsverlusten und zu einer höheren Wahrscheinlichkeit von Tonübertragungsstörungen. Abb. 4: Screenshot aus der Transkriptions-Software Turn-Taking als Merkmal interaktionaler Kompetenz in einem Virtual Exchange 21 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0002 Abbildung 4 verdeutlicht, dass es auch lokal zu signifikanten Lautstärkeunterschieden kommen kann. In Sequenz 7 beträgt der Unterschied zwischen I-LEE und I-SIA 13 dB. Diese Diskrepanz entsteht durch die seitlich versetzte Position des Mikrofons, wie durch einen Kreis gekennzeichnet. Das betreffende Mikrofon ist Teil der In-Ear- Hörer, die von I-LEE und I-SIA gemeinsam genutzt werden, und es befindet sich deutlich näher am Mund von I-SIA. Dies führt dazu, dass die Stimme von I-LEE wesentlich leiser ist, was ihren Prozess der Turnergreifung und -Aufrechterhaltung (turn maintenance) erschwert. 5. Schlussfolgerung und Diskussion Die in dieser Studie behandelten Daten zeigen, dass viele multimodale Handlungen der Abgabe und des Ergreifens des Rederechts, wie etwa Blickkontakt (A UER 2021), respiratorische Signale (W ŁODARCZAK / H ELDNER 2016), gestisches Zeigen (M ON - DADA 2007) und weitere Embodied Actions (H OFFMANN / S CHWAB 2017) in VA nur eingeschränkt möglich sind bzw. von den Sprechenden stark verdeutlicht werden müssen. Im folgenden Kapitel werden die einzelnen rederechtsrelevanten und onlinespezifischen Praktiken der Teilnehmenden kategorisiert zusammengefasst, in Hinblick auf Interaktionale Kompetenz bewertet und mit der bestehenden Literatur abgeglichen. 5.1 Fremdselektion bei der Turnübernahme In der beobachteten Fokusgruppe stellt die explizite Fremdselektion ein probates Mittel in der kommunikativ herausfordernden Umgebung der Zoom Teammeetings dar. Es ist auffällig, dass sich die Teilnehmenden im Laufe des VA zunehmend gegenseitig beim Namen nennen, was Überlappungen sowie Pausen deutlich reduziert, jedoch auch eine gewisse Ausschlussdynamik mit sich bringt. So richten sich die israelischen Studierenden ab Meeting 5 vermehrt durch direkte Ansprache an G-MIA, die sich zu diesem Zeitpunkt als Gruppenführende etabliert hat, was wiederum eine deutliche Reduktion der Redeanteile von G-FLO nach sich zieht. G-MIA selbst selektiert in regelmäßigen Abständen die nächsten Sprechenden, in einer Art, die den Aufforderung-Antwort-Sequenzen aus dem Klassenzimmer ähneln (s. Sequenz 1, 01) und schwächt diese potenziellen Face-Threatening-Acts mit einem Lachen als turn-finalem Marker ab (S HAW / H EPBURN / P OTTER 2013; S TONE / B RINHAM 2022: 20). Da die gezielte multimodale Selektion des Next-Speakers per Blickkontakt (vgl. A UER 2021) über die Kamera nicht möglich ist, sondern nur die Gruppe adressiert werden kann, ist die gezielte Selektion der nächsten Sprechenden per Namensnennung eine wichtige Methode der Online L2 IC, um den Mechanismus des Rederechts in Videokonferenzen zu glätten. Dies gilt insbesondere für die Ansprache einzelner Teilnehmender auf der „anderen Seite“ des Austausches. Im spezifischen Kontext dieses Projektes müssen Teilnehmende allerdings berück- 22 Nils Drixler DOI 10.24053/ FLuL-2024-0002 53 • Heft 1 sichtigen, nicht nur ihre Partner*innen online anzusprechen, sondern auch ihre Gruppe vor Ort miteinzubeziehen und alle Teilnehmenden zu Wort kommen zu lassen. Dies hat in anderen Gruppen stellenweise besser funktioniert, indem Gruppenführende auf eine gleichmäßigere Verteilung des Rederechts geachtet und dies in Reparatursequenzen zum Ausdruck gebracht haben. 5.2 Selbstselektion: Überlappung und Unterbrechungen Die Selbstselektion ist im Kontext der Online-Video-Teammeetings ein weitaus schwierigerer Prozess. Hier kommt es in der Fokusgruppe regelmäßig zu unbeabsichtigten Überlappungen, aber auch zu intendierten Unterbrechungen (O LBERTZ - S IITONEN 2009), die in vielen Fällen von der Wortführerin der Gruppe ausgehen und somit auch ein Indikator für Hierarchie sein können (S CHEGLOFF 2001). In späteren Meetings folgen auf Überlappungen oder Interruptionen keine Reparatursequenzen der Teilnehmenden mehr, was darauf schließen lässt, dass über den Verlauf des Semesters eine Gewöhnung an diese Umstände und Praktiken stattgefunden hat. Gründe hierfür könnten u.a. die zahlreichen technischen Unterbrechungen, Latenzen und audiotechnischen Qualitäts- und Lautstärkedivergenzen (Sequenz 6-8) sein. Zahlreiche Studien (J ENKS 2014: 56; J ENKS 2009) haben sich mit der Problematik von Überlappungen bei synchroner Online-Kommunikation beschäftigt und bestätigen aufgrund der eingeschränkten non-verbalen Möglichkeiten die Notwendigkeit verdeutlichter verbaler Signale (s. Abschnitt 5.3). Jedoch wurde im Vergleich zur Telefonie oder zum Audio-Conferencing auch bereits in frühen Studien die Vorteile der Videokonferenz in diesem Bereich aufgezeigt (D ALY -J ONES / M ONK / W ATTS 1996). 5.3 Prosodische Hebungen und Senkungen sowie Turn-Final-Markers Sequenz 2 und 3 haben gezeigt, dass Teilnehmende verstärkt bestimmte Signale in der beitragsfinalen Position verwenden, um die Abgabe ihres Rederechts zu kennzeichnen und eine schnelle Turnübernahme zu gewährleisten. Hierzu gehören Signalwörter, wie etwa das auf der israelischen Seite vielfrequentierte „´no? “ oder das von den Deutschen gelegentlich implementierte „´right? “, welche mit prosodischen Hebungen am Ende einer Beitragskonstruktionseinheit einhergehen. Doch auch prosodische Senkungen in Kombination mit gedehnten Vokalen der Konjunktionen „`o: r“ oder „li: ke“ sind hierfür Indikatoren. Diese Erkenntnisse decken sich mit J ENKS (2014: 54f.), der in seiner Forschung zu audio-basierten, synchronen Chatrooms auf das Hinweiswort „`o: r“ eingeht. Turn-Taking als Merkmal interaktionaler Kompetenz in einem Virtual Exchange 23 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0002 5.4 Schlussfolgerungen für die Praxis virtueller Austausche In virtuellen Meetings ist eine bewusste Steuerung des Rederechts entscheidend, wobei die Beschränkungen multimodaler Ressourcen durch verstärkten Einsatz verbaler Techniken und prosodischer Signale kompensiert werden können. Eine klare Audioübertragung, optimierte Mikrofonplatzierung und die Fähigkeit, trotz technischer Herausforderungen die Interaktion fortzuführen, sind wesentlich. Eine gewisse Robustheit in der eigenen Turn-Aufrechterhaltung sowie Flexibilität im Umgang mit Überlappungen sowie mit beabsichtigten und unbeabsichtigten Unterbrechungen durch andere Teilnehmende können in der Gruppen-Partizipation hilfreich sein. Diese Aspekte und Techniken sollten im Rahmen einer Seminarsitzung bzw. Unterrichtsstunde zu Beginn eines Virtuellen Austausches besprochen und eingeübt werden. 6. Limitierungen und Ausblick Trotz ihrer Erkenntnisse weist die gegenwärtige Untersuchung Beschränkungen auf, die bei der Interpretation der Resultate zu berücksichtigen sind. Aufgrund des Umfangs und der Komplexität des Sprecherwechsels war es im Rahmen der räumlichen Beschränkungen eines Zeitschriftenartikels nicht möglich, alle relevanten Praktiken des Sprecherwechsels vollständig zu behandeln. Ebenso wurden messtechnische Aspekte, wie die Länge der Pausen bei der Redeübernahme und deren Abgleich mit F2F-Interaktion (vgl. L EVINSON / T ORREIRA 2015), in der vorliegenden Studie nicht umfassend berücksichtigt. Im Unterschied zu Langzeitstudien in sprachimmersiven Kontexten (vgl. P EKA - REK D OEHLER 2018) sind in dieser Untersuchung zudem nur limitierte Schlüsse zur Entwicklung von L2 IC möglich. Die Teilnehmenden befanden sich zu Beginn der Studie bereits auf fortgeschrittenem Sprach- und Kompetenzniveau und die geringe Häufigkeit und Dauer der wöchentlichen Treffen könnten für eine messbare Verbesserung der interaktionalen Kompetenz unzureichend sein. Zukünftige Studien könnten die Optimierung der Kommunikation in telekollaborativen Teams mittels Konversationsanalyse untersuchen. Schulungen zu Online- Kommunikation sowie zur Gestaltung bestmöglicher Arbeitsumgebungen für den Virtuellen Austausch könnten den interkulturellen Austausch verbessern und den Umgang mit spezifischen Herausforderungen fördern. Literatur A UER , Peter (2021): „Turn-allocation and gaze: A multimodal revision of the ‘current-speakerselects-next’ rule of the turn-taking system of conversation analysis“. In: Discourse Studies 23.2, 117-140. B ALAMAN , Ufuk / S ERT , Olcay (2017): „Development of L2 interactional resources for online collaborative task accomplishment“. 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We report on our experiences, interactions and reflections as supporting teacher educators in a VE project between German and New Zealand pre-service English teachers and New Zealand students of German. We employ the collaborative research approach of duoethnography to critically reflect on our experiences and practices with the VE as well as to portray our reflections on duoethnography as our chosen research approach. Our findings are based on continuous individual and collaborative written reflections throughout the project. 1. Einleitung Virtueller Austausch (auch: virtual exchange, VE) nimmt einen immer bedeutsameren Platz im Angebotsspektrum von Hochschulen, insbesondere im Rahmen der Umsetzung von Digitalisierungs- und Internationalisierungsstrategien ein. Ebenso wie physische haben auch virtuelle Austauschprojekte das Ziel, geographische, soziale und kulturelle Grenzen zu überwinden und Studierenden internationale Erfahrungen zu ermöglichen. Die Forschung in diesem Bereich zielt auf vielfältige Aspekte der * Korrespondenzadressen: Dr. Christine B IEBRICHER , Waipapa Taumata Rau / The University of Auckland, Faculty of Education and Social Work, School of Curriculum and Pedagogies, 10 Symonds Street, A UCKLAND 1010. E-Mail: c.biebricher@auckland.ac.nz Arbeitsbereiche: Lehrendenprofessionalisierung, interkulturelle Kommunikation, Virtueller Austausch. Dr. Diana F EICK , Waipapa Taumata Rau/ The University of Auckland, School for Cultures, Languages and Linguistics - German, 18 Symonds Street, A UCKLAND 1142. E-Mail: diana.feick@auckland.ac.nz Arbeitsbereiche: Digitale Medien, Virtueller Austausch, Interaktion. Dr. Petra K NORR , Universität Leipzig, Institut für Anglistik, Didaktik des Englischen, Beethovenstr. 15, 04107 L EIPZIG . E-Mail: pknorr@uni-leipzig.de Arbeitsbereiche: Lehrendenprofessionalisierung, Virtueller Austausch. 28 Christine Biebricher, Diana Feick, Petra Knorr DOI 10.24053/ FLuL-2024-0003 53 • Heft 1 Durchführung von VE. Dieser Beitrag widmet sich den Interaktions- und Reflexionsprozessen der projektbegleitenden Dozent: innen, einem zentralen, aber bisher noch wenig beforschten Aspekt von VE. Die erhobenen Daten, die in Form von schriftlichen Reflexionen und darauf aufbauenden schriftlichen Dialogen vorliegen, entstammen einem virtuellen Austauschprojekt zwischen (internationalen) neuseeländischen und deutschen Lehramtsstudierenden sowie neuseeländischen Deutschstudierenden. Die Studie folgt einem duoethnografischen Ansatz, demzufolge sich mehrere Forscher: innen kollaborativ zu einem bestimmten Phänomen kritisch austauschen. Im Folgenden geben wir einen kurzen Forschungsüberblick, nehmen eine Selbstpositionierung als Dozent: innen in einem VE vor, stellen die Duoethnografie und unser methodisches Vorgehen sowie zentrale Ergebnisse der Studie vor. 2. Virtueller Austausch und dialogische Reflexion Im Kontext des Einsatzes digitaler Medien im Fremdsprachenunterricht wird virtueller Austausch als Oberbegriff für „the engagement of groups of students in sustained online intercultural interaction and collaboration with international partners under the guidance of their teachers“ (O´D OWD / D OOLY 2022: 21) verwendet. Etablierte Konzepte wie beispielsweise E-Tandem, Telekollaboration oder Cooperative Online International Learning (COIL) werden darunter subsumiert und haben dabei die aufgabengeleitete, digital vermittelte Kommunikation zum Zwecke des sprachlichen und/ oder kulturellen Lernens von Angehörigen verschiedener Sprachen und Kulturen in selbst- oder lehrendengesteuerten Lernumgebungen zum Inhalt. In der Fremdsprachenforschung wurden VEs bereits umfangreich aus der Perspektive der beteiligten Lernenden und deren Lernprozessen untersucht (vgl. Forschungsüberblick bei D OOLY / V INAGRE 2022). Zunehmend stehen auch die in VEs involvierten Lehrpersonen im Zentrum des Forschungsinteresses, sodass VEs zum „Reflexionsraum für Sprachlehrprozesse“ (W ÜRFFEL / S CHUMACHER 2022: 144) werden. Die Perspektive der projektleitenden Lehrpersonen wurde bisher meist unter praxisrelevanten Gesichtspunkten erforscht. Diese reichen von Erfahrungsberichten (vgl. Beiträge in D OOLY / O’D OWD 2018) über Lehrendenwahrnehmungen (vgl. P ENNOCK -S PECK / C LAVEL -A RROITIA 2018) bis hin zu lehrendenseitigem interkulturellen Lernen (vgl. B ATUNAN et al. 2023). Wegweisend ist zudem das 2015 von O’D OWD entwickelte Lehrendenkompetenzmodell für Telekollaboration, welches 40 Kann-Deskriptoren in den Bereichen (A) Organisation, (B) Pädagogik, (C) digitale Kompetenz sowie (D) Einstellungen und Überzeugungen formuliert. Im Bereich A stehen dabei vor allem Aspekte der Zusammenarbeit mit den Partner-Lehrenden im Mittelpunkt, wie bspw. das effektive Aushandeln der Projektorganisation oder das Aufrechterhalten guter Arbeitsbeziehungen. Obwohl nicht explizit aufgeführt, liegt allen modellierten Kompetenzbereichen eine professionelle Reflexionskompetenz zugrunde, die individuell mittels Lehrendenlogbüchern, aber auch dialogisch mittels Duoethnografie (s. Abschnitt 4) angelegt sein kann. Die Interaktionsprozesse in einem virtuellen Austauschprojekt 29 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0003 Reflexion von VEs wurde bisher vornehmlich in der Sprachlehrendenausbildung untersucht. Für berufstätige Lehrpersonen in Schule und Hochschule besteht insbesondere bezüglich der dialogischen Reflexion über das VE im Allgemeinen sowie die projektbegleitenden Lehrendeninteraktionen im Besonderen eine Forschungslücke. Wir widmeten uns daher den Fragen, wie wir aus Sicht des Betreuungsteams ein VE- Projekt, insbesondere unsere Zusammenarbeit sowie die Arbeit mit den Studierenden, wahrnehmen und welche Erfahrungen wir mit der Durchführung duoethnografischer Forschung in unseren Reflexionen thematisieren. Die Daten für die vorliegende Studie entstanden im Rahmen eines VE-Projekts 1 (April-Juni 2023) zwischen TESOL- und Deutschstudierenden der Waipapa Taumata Rau/ The University of Auckland (UoA/ NZ) sowie Lehramtsstudierenden für das Fach Englisch der Universität Leipzig (UL) und der PH Ludwigsburg (PHL). Sie arbeiteten in binationalen, zwei- oder englischsprachigen Teams zusammen. Konzeptionell wurde ein aufgabenorientierter Ansatz verfolgt: Die Projektaufgabe bestand darin, dem Thema Diversität in urbanen Sprachlandschaften (linguistic landscapes) nachzugehen und damit verbundene sozio-kulturelle Praktiken vergleichend zu untersuchen. Die Projektarbeit hatte die Erstellung eines digitalen, interaktiven Lernangebots für Fremdsprachenlernende sowie die Erarbeitung einer Open Educational Resource (OER) zum Ziel, die abschließend auf einer OER-Plattform 2 der UL veröffentlicht wurde. Das Projekt sollte Studierenden fremdsprachlicher Fächer internationale Erfahrungen ermöglichen und sie in ihrer Entwicklung interkultureller, fremdsprachlicher, fremdsprachendidaktischer, digitaler sowie telekollaborativer Kompetenzen unterstützen. Die Zusammenarbeit der Projektleitenden umfasste eine Kennenlern- und Vorbereitungsphase vor Beginn des Austauschs, regelmäßige digitale Projekttreffen, E-Mail- und Messenger-Kommunikation sowie das Schreiben individueller und dialogischer Reflexionstexte. 3. Selbstpositionierung des Forschungsteams Duoethnografisch angelegte Studien beinhalten die Darlegung einer Selbstpositionierung der involvierten Forschenden (in diesem Fall das Autorinnenteam und Götz Schwab in der Doppelrolle der Forschenden und VE-Lehrpersonen). Bevor wir in Kapitel 4 ausführlich auf das methodische Vorgehen eingehen, stellen wir Auszüge aus unseren ersten Reflexionen vor dem Projektstart vor, um die kontextuelle Einbettung weiterer individueller und dialogischer Reflexionen zu ermöglichen. 3 1 Weitere Informationen zum Projekt: https: / / www.philol.uni-leipzig.de/ institut-fuer-anglistik/ forschung/ virtual-exchange-ve 2 https: / / oer.uni-leipzig.de/ ? r=1&fsubjects%5B0%5D=englisch#fjt 3 Es wird fortan auf die VE-Lehrpersonen / Forschenden mit der Nennung des ersten Buchstabens der Vornamen verwiesen. Die Datenquelle wird mit Refl. I / II oder III plus Autor/ in angeben. Dialogische Passagen, in denen auf Reflexionen der Projektpartner: innen reagiert wurde, sind kursiv und eingerückt dargestellt. 30 Christine Biebricher, Diana Feick, Petra Knorr DOI 10.24053/ FLuL-2024-0003 53 • Heft 1 C: Uns verbindet, dass wir alle aus Deutschland kommen und Deutsch als Muttersprache haben. Wir alle haben in Deutschland studiert und sind dort als Lehrer: innen ausgebildet worden. (Refl.I_Christine) D: Ich habe als einzige in der Gruppe kein Lehramtsstudium absolviert, sondern einen Magister in DaF, der zwar auch diverse Unterrichtspraktika vorsah, aber kein Referendariat, Staatsexamen etc. C: Innerhalb der Gruppe gibt es weitere Verbindungen und Schnittmengen, z.B.: Götz und Christine stammen aus Baden-Württemberg, Petra und Diana aus Sachsen. Götz und Petra arbeiten an deutschen Universitäten und mit Lehramtsstudierenden. Christine und Diana leben in Neuseeland und arbeiten an unterschiedlichen Fakultäten der gleichen Universität. D: Wir beide bilden zudem in mehr oder weniger großem Umfang zukünftige ESOL- Lehrende aus (jedoch in zwei unterschiedlichen Studiengängen). C: Götz und Christine kennen sich aus Zeiten, in denen beide an der PH Ludwigsburg gearbeitet und promoviert haben. Diana und Petra kennen sich aus der Zeit an der Universität Leipzig, wo sie beide gearbeitet und promoviert haben. Götz, Petra und Christine haben Englisch als Lehr- und Forschungsbasis, Diana Deutsch. Alle Mitglieder des Forschungsteams positionieren sich beruflich als Ausbildner: innen von Sprachlehrenden bzw. Language Teacher Educators. Dabei setzen sie zum Teil unterschiedliche Akzente, was ihre eigene Rolle betrifft: als „Facilitator / Lernpartner, der die Studierenden bei ihrer Entdeckungsreise begleitet und da unterstützt, wo es nötig ist“ (Refl.I_Götz), „als teacher educator an der Schnittstelle von Theorie und Praxis“ (Refl.I_Petra), als Lehrperson, für die „Ausbildung und Forschung in einem sich gegenseitig befruchtenden Wechselverhältnis stehen“ (Refl.I_Diana) oder als Initiatorin methodischer Experimentierfreude, „die Studierende mit anderen Methoden oder provokanten Materialien herausfordert“ (Refl.I_Christine). Bezüglich ihrer wissenschaftlichen Sozialisierung und Forschendenidentität werden unterschiedliche Arbeitsschwerpunkte deutlich, welche alle der mehrperspektivischen Beforschung von virtuellen Austauschprojekten zuträglich sind: Internationalisierung (Götz), Digitalisierung (Götz und Diana), interkulturelles Lernen (Götz, Christine) und die Lehrendenprofessionalisierung (Petra und Christine). Biographisch sind alle Teammitglieder durch mehrmalige, längere Austauscherfahrungen auch im außereuropäischen Ausland nachhaltig geprägt, welche zur eigenen Kultursensibilität und Positionierung als Ausbildner: in beigetragen haben. Aus persönlichen positiven und z.T. auch herausfordernden Erfahrungen mit Aufenthalten in anderen Ländern während der eigenen Berufs(ausbildungs)laufbahn sowie der aktuellen Berufstätigkeit im Ausland zweier Teammitglieder ergab sich die gemeinsame Motivation, virtuelle Austausche in die eigene Lehre zu implementieren. Das gemeinsame virtuelle Austauschprojekt VELLA23 entstand vor dem Hintergrund, dass Petra und Diana bereits drei VEs gemeinsam durchgeführt und begleitend erforscht hatten (vgl. F EICK / K NORR 2021a; b; 2022). Christine und Diana arbeiteten in einem Forschungsnetzwerk zusammen und konnten eine Forschungsförderung für Interaktionsprozesse in einem virtuellen Austauschprojekt 31 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0003 eine gemeinsame VE-basierte Studie einwerben. Christine lud Götz ins Team ein, welcher ebenfalls seit vielen Jahren zu VE arbeitet (vgl. S CHWAB / D RIXLER 2020). 4. Methodisches Vorgehen - Duoethnografie Die Duoethnografie ist ein interaktiver dialogischer Forschungsansatz, der zunächst in den Geistes- und Sozialwissenschaften an Bedeutung gewann, aber zunehmend auch in anderen Bereichen wie der Bildungsforschung sowie angewandter Sprachwissenschaft und Fremdsprachenforschung genutzt wird (vgl. z.B. B ANEGAS / G ERLACH 2021; L OWE / L AWRENCE 2020). Sie baut auf der Vorgehensweise der Autoethnografie und der narrative enquiry auf und wird teils auch als collaborative autoethnography bezeichnet (vgl. B LALOCK / A KEHI 2018). In der Fremdsprachenforschung wird Duoethnografie bislang entweder zur Unterstützung reflexiver Prozesse im Sinne des reflective practitioners genutzt (vgl. L OWE / L AWRENCE 2020) oder in Bereichen, die sich mit (Sprach)Lehrer: innen- oder Lerner: innenidentitäten befassen, verwendet (vgl. B ANEGAS / G ERLACH 2021; B IEBRICHER / Y OU 2022). In der Duoethnografie beschäftigen sich zwei oder mehrere Forscher: innen gemeinsam mit einem ihrer Erfahrungswelt entstammenden Thema. Die Forscher: innen bringen sich mit persönlichen Erfahrungen, Perspektiven und Reflexionen ein und ermöglichen somit eine vielschichtige Erfassung des jeweiligen Forschungsgegenstands (vgl. B URLEIGH / B URM 2022). In Bezug auf das zu erforschende Thema konstruieren die Forscher: innen ihre Erfahrungen narrativ und entwickeln diese im Forschungsprozess dialogisch weiter. Forscher: innen sind in der Duoethnografie so gleichzeitig Forschende und Beforschte (vgl. N ORRIS / S AWYER 2012). Der Forschungsansatz erweitert existierende qualitative Forschungsmethoden und Teilnehmer: innen „use themselves to assist themselves and others in better understanding the phenomenon under investigation“ (N ORRIS / S AWYER 2012: 13). Duoethnografie ist eine flexible, methodenplurale und kontextgebundene Forschungsstrategie. Kritische Selbstreflexion, Subjektivität und dialogisches Vorgehen sind entscheidende Bestandteile des Forschungsansatzes. Individuelle Sichtweisen, die möglicherweise auch gegensätzlich sein können, stehen im Mittelpunkt und tragen zur Vielschichtigkeit des dargestellten Phänomens bei (vgl. B URLEIGH / B URM 2022). Weitere wichtige Grundsätze der Duoethnografie sind gegenseitiges Vertrauen der Beteiligten und Respekt füreinander. Kritische Selbstreflexion kann nur stattfinden, wenn sich die Beteiligten vertrauen und bereit sind, sich in ihren Reflexionen zu öffnen. Die Methoden der Datenerhebung und -analyse in der Duoethnografie sind unterschiedlich und folgen häufig (auto-)ethnografischen Forschungsprinzipien, wie beispielsweise der Selbstpositionierung der Forschenden, der kritischen Reflexivität und einem Fokus auf persönlichen Erfahrungen (L OWE / L AWRENCE 2020). Obwohl in der Duoethnografie, ähnlich wie bei anderer qualitativer Forschung, Daten auf herausragende Themen, interessante oder unerwartete Inhalte hin untersucht werden, gibt es keine präskriptiven Vorgaben zur Datenauswertung und es findet sich häufig der 32 Christine Biebricher, Diana Feick, Petra Knorr DOI 10.24053/ FLuL-2024-0003 53 • Heft 1 Begriff der ‚Sinngebung‘ (meaning making) statt der der Datenanalyse (B URLEIGH / B URM , 2022). Jegliche Analyse beruht jedoch stets auf dialogischen Verfahren und Diskussionen, aus denen sich im gemeinschaftlichen Diskurs thematische Fokusse entwickeln (L OWE / L AWRENCE 2020). In unserer Studie erstreckte sich der dialogische Prozess der Datenerhebung insgesamt über neun Monate. Primäre Datenquelle waren unsere schriftlichen narrativen Reflexionen, die durch Dialoge der virtuellen Treffen ergänzt wurden. Wir kamen im Vorfeld des Projekts dreimal im Abstand von vier bis sechs Wochen zusammen und trafen uns dreimal während des Projekts im Abstand von ungefähr vier Wochen. Inhalte dieser virtuellen Treffen waren Fragen zur Projektplanung und -durchführung, Feedback zum Verlauf in den einzelnen Kursen und Diskussionen zum Umgang mit Herausforderungen und Schwierigkeiten. Die Reflexionstexte, die durch ihren dialogischen Charakter auch konzeptionell mündliche Elemente enthalten, erfassten wir zu drei verschiedenen Zeitpunkten: in der Planungsphase, während des VEs und nach Abschluss des Projekts. Geleitet wurden unsere jeweiligen Reflexionen durch schriftliche Impulse einer der Verfasserinnen 4 . Hierdurch waren verschriftlichte Themen bereits vorstrukturiert, obwohl die Möglichkeit bestand, Gedanken und Themen jenseits der vorgeschlagenen Impulse anzusprechen. Wir verständigten uns darauf, dass wir idealerweise mehrere Einträge während einer Reflexionsphase verfassten, um kontinuierlich zu kommentieren und zu reflektieren. Wie oft und in welchem Umfang wir unsere Eindrücke verschriftlichten, war jedoch jedem/ r selbst überlassen. Jede Reflexion wurde nach individueller Fertigstellung, aber spätestens an einem zuvor festgelegten Zeitpunkt auf unsere gemeinsame Plattform geladen. So entstanden 12 unterschiedlich strukturierte dialogische Reflexionen von je 1300 - 6200 Wörtern Länge. In einem folgenden Schritt lasen wir alle unsere Reflexionen und ergänzten entweder unsere eigenen Texte mit Zusätzen wie beispielsweise, „Christines Darstellung ihres Werdegangs erinnerte mich daran, dass…“ oder kommentierten, wie im folgenden Ausschnitt zu sehen ist, direkt in die Reflexionen anderer: C: Vielleicht hätten wir auch mehr Zeit auf die Diskussion zu Diversität verwenden sollen. Ich hatte angenommen, dass dies ein Konzept ist, mit dem sich Studierende bereits beschäftigt haben […]. Bei Diskussionen hat sich rausgestellt, dass doch recht unklar ist, was damit gemeint ist. Eine intensivere Diskussion mit allen in einer weiteren synchronen Sitzung wäre vielleicht gut gewesen. Aber das ist natürlich ein Balanceakt, da wir die Teilnehmerinnen nicht mit zu vielen synchronen zusätzlichen Sitzungen überfordern wollten. (Refl.III_Christine) 4 Impulse Reflexion I: Selbstverständnis als Betreuende des VE, Erwartungen, Herausforderungen, Wahrnehmung der Methode der Duoethnografie, Impulse Reflexion II: Eindrücken zum laufenden VE, zum Begleitendenteam, eigene Befindlichkeit während des Projekts, Potentiale und Herausforderungen durch das schriftliche Reflektieren, Impulse Reflexion III: Bilanz bezüglich des VEs, überraschende Entwicklungen, Eindruck zur Methode. Interaktionsprozesse in einem virtuellen Austauschprojekt 33 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0003 G: So ging es mir auch. Im Nachhinein denke ich, dass wir eigentlich einen Anschlusskurs zum Thema Diversity anbieten müssten, in dem wir genau diese ganzen Punkte vertieft aufgreifen - basierend auf dem, was die Studierenden herausgearbeitet haben. D: Ich fand es aber auch spannend so einem mehr oder weniger unbekannten Thema ganz bottom-up zu begegnen, also über die Exploration im eigenen Umfeld und den Austausch darüber erst die Augen dafür zu öffnen. […] Die Aha-Effekte entstehen denke ich eher im explorierenden Handeln bei solchen Projekten, aber Vertiefung als followup finde ich auch eine gute Idee. P: Ich finde aber auch, wie Christine, dass eine Rahmung zu Beginn wichtig ist, um neben den anderen Hürden (Tools, Kollaboration, …) inhaltlich zu motivieren. Sie müssten wissen, mit welcher Brille sie explorieren sollen, um sich nicht verloren zu fühlen. Rückmeldungen, Kommentare und schriftliche Dialoge wurden Teil des sich verändernden Datensatzes und zeigen den iterativen Charakter der Methode. Nachdem alle Reflexionen in den drei Phasen verfasst, gelesen und kommentiert waren, lasen wir alle erneut die Gesamtheit des entstandenen Datensatzes und begannen zunächst individuell die Daten auszuwerten und inhaltlich zu kodieren. Im Anschluss teilten wir unsere Datenanalyse miteinander und diskutierten die entstandenen Themen in einem weiteren virtuellen Treffen. In diesem handelten wir aus, welche Schwerpunkte sich durch unsere Reflexionen ergaben und welche Aspekte wir in welcher Form vorstellen möchten. 5. Ergebnisse der dialogischen Reflexionen Im Folgenden stellen wir ausgewählte Themen vor, die sich aus der Analyse unserer Reflexionen ergaben und sich für unseren Forschungsfokus als zentral erwiesen. Sie befassen sich mit Aspekten unserer Zusammenarbeit als Projektleitende, mit unserer Arbeit mit Studierenden und mit unseren Überlegungen zur Methode der Duoethnografie. 5.1 Zusammenarbeit der Projektleitenden Als zentrale Themen innerhalb der Reflexionen zur Zusammenarbeit des Projektteams erwiesen sich die Arbeitsatmosphäre, Arbeitsstile, Verantwortung sowie Zeitmanagement. Von Anfang an heben alle Teammitglieder die äußerst positive Arbeitsatmosphäre, das gegenseitig entgegengebrachte Vertrauen und die dadurch gut funktionierende Zusammenarbeit hervor. Diese Wahrnehmung erstreckt sich über den gesamten Projektverlauf, d.h. sie wird in der zweiten Reflexion wieder aufgegriffen und bestätigt sowie auch nach Projektende rückblickend manifestiert. Es wird reflektiert, dass die gute Zusammenarbeit vermutlich auch auf unseren gemeinsamen kultu- 34 Christine Biebricher, Diana Feick, Petra Knorr DOI 10.24053/ FLuL-2024-0003 53 • Heft 1 rellen Hintergrund zurückgeführt werden kann, welcher für multinationale VE- Projekte sonst eher unüblich ist. Bezüglich der individuellen Arbeitsweisen innerhalb der Kooperation im Team zeigten die Reflexionen auch selbstwahrgenommene Unterschiede im Arbeitsstil und der Entscheidungsfindung, welche dennoch das erfolgreiche Lösen von auftretenden Problemen im Projektverlauf nicht behinderten: G: Dennoch merke ich auch, dass ich im Gegensatz zu den anderen nicht immer so schnell auf Schwierigkeiten und Anfragen der Studierenden reagiere. Das liegt z.T. an der Zeit, aber wohl auch an unseren unterschiedlichen Arbeitsweisen. (Refl.II_Götz) D: Ja, gerade wenn es darum ging, Probleme schnell lösen zu müssen, war ich öfters mal in der Zwickmühle erst alle Reaktionen des Teams abzuwarten oder aus Zeitgründen eine Entscheidung (hoffentlich) im Sinne aller allein zu treffen. Grundsätzlich denke ich, dass ich das Vertrauen dafür von allen gehabt hätte, aber es war mir prinzipiell wichtiger, einen Konsens herzustellen als im Alleingang zu handeln, auch wenn das den Arbeitsprozess natürlich insgesamt verzögert hat. Die persönlichen Präferenzen und die Praktikabilität der Arbeitsstile (z.B. vorausschauendes Planen und reaktives Problemlösen), u.a. in der Kommunikation mit den Studierenden, sind sicherlich auch auf die kontextuellen Gegebenheiten und die institutionell verankerten Erwartungen an die Lehrkräfte zurückzuführen. Damit einher geht der Faktor Zeitmanagement. In den Reflexionen wurde ersichtlich, dass wir unterschiedlich viel Zeit in das Projekt investieren konnten, eine zunehmende zeitliche Belastung verspürten und z.T. auch an das Limit des Machbaren stießen. Im Hinblick auf das Thema Verantwortung wurde deutlich, dass wir uns besonders für unsere eigenen Studierendengruppen und deren jeweilige Herausforderungen zuständig sowie dem Team gegenüber dafür verantwortlich fühlten: C: Wenn sich meine Studierenden nicht melden, stelle ich fest, dass ich mich dafür verantwortlich fühle, was streng genommen nicht stimmt, ist aber so. (Refl.II_Christine) D: Ja, geht mir ganz genauso. Dies ist gekoppelt an die Wahrnehmung eines gewissen Drucks oder einer Art Bringschuld jedes/ r einzelnen gegenüber dem Team, dass die eigenen Studierenden zum Projekterfolg beitragen. Die Identifikation mit und Betreuung der eigenen Lernendengruppe stellt somit einen nicht zu unterschätzenden Einflussfaktor auf die Zusammenarbeit im Projektteam dar, da wir dazu tendierten, den z.T. als hoch empfundenen Erwartungen unserer Studierenden Rechnung zu tragen. Vor diesem Hintergrund artikulierte Petra (in Refl. II_Christine) deshalb den Bedarf, von Anfang an das gemeinsame Gruppengefühl auch auf Dozent: innenseite und in Hinblick auf die anderen Projektgruppen systematisch auszubauen und zu stärken. Interaktionsprozesse in einem virtuellen Austauschprojekt 35 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0003 5.2 Arbeit mit den Studierenden Die Reflexionsimpulse richteten das Augenmerk neben dem Fokus auf die Zusammenarbeit der Projektleitenden auch auf die Arbeit mit den Studierenden. Themen, die für alle Teammitglieder Anlass zu intensiverer Reflexion boten, waren die Projektprodukte, die gestellten Aufgaben und die Unterstützung der Studierenden bei der kollaborativen Projektarbeit. Die von den Studierendenteams erstellten Produkte erfüllten zu einem Großteil unsere Erwartungen und übertrafen sie sogar bisweilen: „Es hat mich überrascht, welche kreativen und hochwertigen Produkte viele Studis erstellt haben und wie viel Fleiß und Knowhow in viele der Aktivitäten geflossen ist, z.B. der Escape Room.“ (Refl.III_Diana). Neben diesen positiven Erfahrungen wurden während des Projektverlaufs ebenso diverse Herausforderungen wahrgenommen. Diese unterschieden sich je nach Studierendengruppe. Diana und Christine thematisierten Schwierigkeiten in ihren Gruppen in Bezug auf die Erstellung eines interaktiven (didaktisierten) Projektprodukts, was sie in der relativ großen Offenheit der Aufgabe begründet sahen (Refl.III_Diana, Refl.II_Christine). Alle Teammitglieder berichteten zudem über wiederholte Nachfragen der Projektteilnehmenden zum Aufgabenverständnis. So schildert Götz z.B., dass es ihn verwundere, „wie viele Fragen von Studierendenseite aufkamen, obwohl m.E. die Vorbereitung sehr gut und durchdacht war“ (Refl.III_Götz). Gerade aufgrund der Erfahrungen und bereits erstellter und erprobter Dokumente sowie der Lernplattform aus Vorgängerprojekten gingen wir davon aus, dass Anforderungen umfassend, klar und ausreichend veranschaulicht wurden. P: Diesen Eindruck scheinen einige Studierende nicht zu teilen. Woher rührt diese Diskrepanz? […] Vielleicht müsste man sich auch die Zeit nehmen, zu Beginn des Projekts über die Spezifika einer komplexen Projektarbeit zu sprechen, zu der es ja auch gehört, sich eigenverantwortlich zu informieren und zu organisieren. Vielleicht liegt es auch an der generellen Informationsflut, mit der alle konfrontiert sind, die dazu führt, dass Texte nur noch überflogen werden. (Refl.III_Petra) G: M.E. liegt es auch (oder vor allem? ) an den zwei Gruppen, mono- und bilingual. Gefühlt hatte sich dadurch die Menge der Informationen verdoppelt. Finde ich aber im Nachhinein gar nicht so tragisch. Das Leben ist leider recht komplex … gerade auch im interkulturellen Kontext. Auch die anderen Teammitglieder stimmten zu, dass aufgrund dieser Schwierigkeiten die Treffen mit den einzelnen Gruppen vor Ort äußerst wichtig waren, um offene Fragen zu klären (Refl.II_Christine, Refl.III_Diana, Refl.III_Götz). Aufgrund der Erfahrungen aus anderen VE-Projekten stellte Petra die Überlegung an, ob diese Art der Unsicherheit Teil komplexer Projekte ist, die alle aushalten müssen. Auch Christine argumentierte ähnlich: „Es scheint, nicht alle Schritte waren allen in vollem Umfang klar; das überrascht mich nicht, es war ein ziemlich komplexes Projekt mit vielen kleinen Schritten und Arbeitsaufgaben“ (Refl.III_Christine). Wie auch Götz (s. oben), führten die anderen Projektleitenden die Komplexität der Aufgabenstruktur u.a. auch auf die Integration von zwei Studienfächern zurück (DaF sowie TESOL/ TEFL) 36 Christine Biebricher, Diana Feick, Petra Knorr DOI 10.24053/ FLuL-2024-0003 53 • Heft 1 (Refl.I_Christine, Refl.III_Diana, Refl.III_Petra). Eine weitere Schwierigkeit stellte der eng gesteckte zeitliche Rahmen dar, der jedoch durch die unterschiedliche Struktur des akademischen Jahres beider Länder nicht zu vermeiden war. Eine weitere Relevanzsetzung erfuhr das Thema der optimalen Unterstützung der Studierenden seitens der Projektleitenden, insbesondere in Bezug auf wahrgenommene Schwierigkeiten sowie die Heterogenität der Projektgruppen. In den Reflexionstexten kommt es wiederholt zu Aushandlungsprozessen darüber, wie die kollaborativen Arbeitsprozesse der Studierenden vorstrukturiert, angeleitet und unterstützt, oder inwiefern Leerstellen bewusst zugelassen und eingeplant werden. Das Datenbeispiel in Kapitel 4 verdeutlicht einen solchen Aushandlungsprozess, der sich auf die Unterstützung der Studierenden zum Thema Diversität bezog. Ähnliche Überlegungen und Dialoge ergaben sich in Bezug auf das Für und Wider hinsichtlich der Arbeit mit konkreten Beispielen von Projektergebnissen, das Vorschlagen bzw. Vorgeben ausgewählter digitaler Anwendungen für die Produkterstellung oder die Unterstützung in didaktischer Hinsicht bei der Erstellung der OERs. Dabei zeigte sich, dass die Studierendengruppen sich z.T. stark voneinander unterschieden und die Herausforderung darin bestand, sie jeweils gemäß ihrer (didaktischen, sprachlichen oder digitalen) Voraussetzungen, ihres Weltwissens oder ihrer individuellen Bedürfnisse (kulturell geprägte Arbeitsstile, Vorerfahrungen) optimal zu unterstützen. P: Die etwas offenere Arbeit in Projekten müsste unseren Studierenden bekannt sein, für die TESOL Studierenden ist dies vielleicht neu. Auch inhaltlich sind unsere Studierenden mit gewissen Konzepten (e.g. diversity) und Arbeitsweisen (e.g. self-directed learning, critical reflection) bereits vertraut. Ich kann nicht einschätzen, ob dies auch bei den TESOL Studierenden der Fall ist. In den Treffen mit den Studierenden in Leipzig wurde viel über die Aufgabenstellungen diskutiert. Sehr gern hätten sie mit konkreten Beispielen gearbeitet. Andererseits wurde auch berichtet, dass sie die Offenheit schätzen würden. Vielleicht ist dies auch von Person zu Person unterschiedlich. (Refl.III_Petra) Lösungsansätze im Umgang mit der Heterogenität der Teilnehmenden waren z.B. ein stärker exemplarisches Vorgehen, die Erarbeitung einer FAQ-Liste, das Anregen von peer-scaffolding oder auch die Anpassung der Ansprüche an Projektprodukte. In Bezug auf die sehr stark variierenden digitalen Kompetenzen fragte Götz, ob „wir den Studierenden mehr Zeit einräumen [müssten], dass sie sich gegenseitig ‚schulen‘ und sie selbst noch mehr explorativ vorgehen können.“ (in Refl.III_Christine). Diana überlegte, ob „wir mehr support [hätten] anbieten sollen, evtl. auch durch die Projektassistentin bzw. in Austauschforen unter Studis, die einige Tools schon besser kannten“ (in Refl.III_Christine). Das Reflektieren über verschiedene Lösungsansätze führte auch dazu, sich über eigene Bedürfnisse und Sichtweisen in Bezug auf die Rolle der Projektleitenden in einem VE bewusst zu werden und sie gegebenenfalls kritisch zu reflektieren. Petra stellte sich diesbezüglich z.B. die Frage „inwiefern wir selbst Offenheit aushalten und mehr Verantwortung abgeben sollten, um Kreativität und Reflektiertheit zu fördern“ (Refl.III_Petra), während Götz sich klar für „mehr Verantwortung auf Seiten der Studierenden“, „nicht so schnell auf Anfragen der Studierenden reagieren“ und „erst einmal abwarten“ (Refl.II_Götz) positionierte, und ihn seine Interaktionsprozesse in einem virtuellen Austauschprojekt 37 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0003 Studierenden „in ihrer Kreativität und (z.T.) Reflektivität nicht enttäuscht, sondern eher positiv überrascht [haben]“ (Götz in Refl.III_Petra). Hier zeigen sich Unterschiede in der Arbeitsweise (s. Kap. 5.1) oder den Ansprüchen der VE-Partner: innen, wobei das Erfahren alternativer Vorgehensweisen und Einstellungen Prozesse konstruktiver Selbstreflexion in Gang setzte. Ein wichtiger Aspekt in Hinblick auf eine optimale Unterstützung der Studierenden ist den Reflexionen zufolge auch die sich im Projektverlauf entwickelnde Beziehung zu den Projektteilnehmenden. Nachdem wir zu Beginn gespannt waren, wie die Studierenden auf ihre Partner: innen und die Projektaufgaben reagieren, dachten wir in späteren Texten gemeinsam darüber nach, „ob durch dieses intensive Projekt auch unsere Beziehungen zu den Studis intensiver sind als in herkömmlichen Kursen, z.B. dass wir sie ganzheitlicher mit ihren Problemen, Lebensrealitäten und Einstellungen kennenlernen“ (Diana in Refl.II_Christine). Christine resümierte: C: Ich glaube, dass ich auf jeden Fall ein etwas engeres Verhältnis zu dieser Gruppe habe. Das zeigt sich auch in unseren regelmäßigen Sitzungen, in denen die Gruppe immer offener wird, auch mal über Privates gesprochen wird, kleine Witze gemacht werden, etc. (Refl.II_Christine) Auch Petra berichtete, dass sich in ihren Gruppentreffen eine Entwicklung von einer anfänglich „sehr kritischen Anspruchshaltung“ hin zu konstruktiven gemeinsamen Gesprächen über Gelingensbedingungen für VE gezeigt hätte. Es kam auch wiederholt die Idee auf, noch stärker mit den anderen Gruppen in Verbindung zu treten. Da das Projekt vor allem Tandemcharakter hatte, waren nur drei gemeinsame Treffen vorgesehen. Gerade auch vor dem Hintergrund auftauchender Probleme mit einzelnen Kollaborationen oder in Hinblick auf die Kommunikation von Anforderungen an eine Gruppe, stellten wir fest, dass es gut gewesen wäre, als Projektleitende die anderen Gruppen besser kennenzulernen: P: Vielleicht wäre ein direkterer Austausch hier auch für mich gut, um mich auch in meine Studierenden besser eindenken zu können. Wäre z.B. mal ein online team teaching mit Christine sinnvoll gewesen? (Es wäre auch interessant gewesen, mehr Kontakt nach Ludwigsburg zu haben.) Auch von den Studierenden kam die Frage, ob wir da in einen Austausch kommen würden. (Refl.II_Petra) Da wir uns vor allem für unsere eigenen Studierendengruppen verantwortlich fühlten (s. Kapitel 5.1), diese auch am besten kannten, jedoch wenig von den anderen Projektgruppen im VE wussten, wäre es vermutlich zuträglich, auch in den Partnerinstitutionen in einzelnen Sitzungen aufzutreten, sich vorzustellen oder Inhalte zu übernehmen. Dies würde es nicht nur ermöglichen, alle Studierenden besser kennenzulernen, sondern würde der Studierendengruppe auch die Zusammengehörigkeit des Betreuendenteams zeigen, die wiederum Inhalte auf gleiche Weise in allen Gruppen vermitteln könnten. 38 Christine Biebricher, Diana Feick, Petra Knorr DOI 10.24053/ FLuL-2024-0003 53 • Heft 1 5.3 Das duoethnografische Vorgehen In allen drei Phasen der schriftlichen Reflexion setzten sich die Teammitglieder mit der gewählten Methode der Duoethnografie auseinander, wobei sich über die Dauer des Projekts hinweg folgende Themen herauskristallisierten: a) der zeitliche Aufwand, b) die möglichen Formate der Methode und c) gegenseitiges Vertrauen und Offenheit als Voraussetzung. Wie sich der zeitliche Aufwand schon bei der Durchführung des VE für das Team als Herausforderung darstellte, galt dies auch für die Erstellung der dialogischen Reflexionen, sodass beispielsweise „obwohl geplant, keine Zeit blieb regelmäßig zu schreiben“ (Refl.II_Diana). Petra stimmte zu, dass regelmäßiges, tagebuchartiges Schreiben sinnvoll wäre, aber dass auch sie „nicht dazu gekommen [ist]“ (Refl.II_ Petra). In Verbindung mit dem zeitlichen Aufwand, Gedanken und Gefühle zu verschriftlichen, reflektierte das Team auch darüber, ob möglicherweise andere Vorgehensweisen denkbar wären. Die Stütze und Vorstrukturierung durch Prompts wurde von allen als hilfreich empfunden, die aber durch unstrukturiertes, notizartiges Schreiben ergänzt werden könnten, wie Diana und Petra vorschlugen (Refl.II_Petra, Refl.III_ Diana), da Eindrücke sonst schnell von Neuem überlagert oder ganz vergessen werden können (Refl.II_Petra). Grundsätzlich überlegten Diana, Götz und Petra, ob die schriftlichen Reflexionen nicht durch gemeinsame Gespräche ergänzt oder ersetzt werden könnten: G: Manchmal habe ich mir gewünscht, dass wir die Fragen und Aufgaben direkt in gemeinsamen Gesprächen in der Gruppe oder mit einzelnen Partnern hätten diskutieren und bearbeiten können. (Refl.III_Götz) Dieser Aspekt findet sich in Christines Reflexionen nicht und sie hebt eher die Vorteile einer schriftlichen Reflexion hervor, da ihr „im Schreibprozess oft auch einige Gedanken, Gefühle, Herausforderungen, etc. erst bewusstwerden“ (Refl.II_Christine), die sie spontan im Gespräch vielleicht nicht angesprochen hätte. Trotz der dialogischen Auseinandersetzung mit anderen Reflexionsformaten findet sich in allen individuellen Reflexionen auch Wertschätzung des schriftlichen Formats, das ermöglicht, Gedanken zu vertiefen, offener und ehrlicher zu sein (Refl.II_Petra, Refl.II_ Götz, Refl.III_Christine, Refl.III_Diana) und ein detailliertes Bild der Eindrücke im Projektverlauf vermitteln zu können (Refl. III_ Petra). Ein wichtiger Aspekt, der in allen drei Reflexionen auftaucht, ist die Tatsache, dass die Methode gegenseitiges Vertrauen voraussetzt. Wie Götz anmerkte, gab es auch in anderen VE-Projekten Überlegungen zur kollaborativen Reflexion, die möglicherweise jedoch nicht stattfanden, da dies zu persönlich war (Refl.I_Götz). Auch Diana und Christine waren sich sehr bewusst darüber, dass die Methode persönliche Öffnung erfordert. So stellte Christine fest, dass man „sich in den Reflexionen angreifbar und verletzbar [macht]“ (Refl.III_Christine) und Diana fragte sich, „wieviel Persönliches man preisgibt oder ob man das später bedauert“ (Refl.I_Diana). Das Team war sich Interaktionsprozesse in einem virtuellen Austauschprojekt 39 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0003 ebenfalls bewusst, dass die Reflexionen die Beziehung zu anderen im Team beeinflussen könnten und dass wir möglicherweise bereits „im Kopf Kategorien bilde[n]“ (Refl.III_Petra) und vorstrukturieren, was wir niederschreiben. Während des Schreibprozesses mussten wir daher stets die Balance zwischen persönlicher Öffnung und dem Wissen finden, dass unsere Reflexionen auch von anderen gelesen werden. Die Methode erfordert jedoch nicht nur Vertrauen im Team, sondern auch Vertrauen in die weitere Öffentlichkeit und in die Leserschaft einer Publikation, die Informationen, Gedanken und Eindrücke des Forschungsteams in den Mittelpunkt rückt. Forschungsdaten sind üblicherweise ano- oder pseudonymisiert, während in unserem Datensatz klar zu erkennen ist, wem eine Aussage zugeordnet werden kann. So bedarf es auch während des Schreibens des vorliegenden Textes der stetigen Kollaboration, in der wir „gemeinsam entscheiden, was wir gewillt sind mit der Öffentlichkeit zu teilen“ (Refl. III_Christine). 6. Fazit Die Ergebnisse unserer duoethnografischen Studie konnten bestätigen, dass die Kompetenz VEs erfolgreich zu organisieren, eine effektive Zusammenarbeit der Projektleitenden (vgl. Kompetenz A4 nach O’D OWD 2015) zur Basis hat und dabei gute Arbeitsbeziehungen im Projektverlauf aufrechterhalten werden müssen (ebd. A6), welche mit einer Offenheit gegenüber den pädagogischen Überzeugungen der Partner: innen einhergehen (ebd. D2). Gerade in komplexen Projekten mit mehreren Partnerinstitutionen ist hierfür ein hochfrequenter Austausch nötig, der z.B. auch in Form duoethnografischer dialogischer Reflexion stattfinden kann. Setzt man unsere Befunde weiterführend mit dem Lehrendenkompetenzmodell für Telekollaboration (O’D OWD 2015) in Beziehung, erscheint uns diese Reflexionsbereitschaft als zentral (Bereich B / attitudes and beliefs). Das Modell könnte durch folgenden Zusatz ergänzt werden: „The teachers’ willingness to reflect dialogically and systematically throughout the project to enhance the overall project success“. Als ebenso bedeutsam erachten wir das Aushandeln von Verantwortlichkeiten vor oder während des Prozesses der gemeinsamen Projektleitung und schlagen folgenden Zusatz vor: „Negotiate effectively the responsibilities of the partner-teachers and the procedures for decisionmaking within the team“. In Bezug auf Aufgabenstruktur und optimale Unterstützung der Teilnehmenden zeigte sich in unseren Reflexionen, dass verschiedene Studierendengruppen aufgrund institutioneller Regelungen und sozio-kultureller Hintergründe mehr oder weniger kleinschrittig unterstützt werden müssen, während andere Gruppen von einem autonomieförderlichen Betreuungsansatz profitieren. Aufgrund dessen erscheint es bedeutsam, dass das jeweils betreuende Teammitglied dies individuell einschätzt und die Betreuung entsprechend anpasst. Auch im Spannungsfeld von Aufgabenkomplexität (vgl. O’D OWD / W ARE 2009) auf der einen und passendem Scaffolding auf der anderen Seite gilt es zielgruppespezifisch zu handeln, wobei die Aufgabenstruktur 40 Christine Biebricher, Diana Feick, Petra Knorr DOI 10.24053/ FLuL-2024-0003 53 • Heft 1 aufgrund des kollaborativen Aspekts der Projektarbeit im Idealfall gleich ist, während Unterstützungsangebote an die Bedürfnisse, Voraussetzungen und Kompetenzen der Studierenden angepasst werden sollten. Dies setzt voraus, die Teilnehmenden gut zu kennen. Gerade das projektbasierte Arbeiten im VE hat hier gezeigt, dass die (relative) Offenheit der Aufgaben und der Austausch auf persönlicher Ebene dazu führen (können), dass sich die Teilnehmenden gegenüber den Projektleitenden, aber auch untereinander stärker öffnen. Dies erscheint uns gerade vor dem Hintergrund motivationaler Aspekte sowie potenzieller Schwierigkeiten sehr bedeutsam. In Bezug auf letztere kann die lokale Kleingruppe, aber auch die gesamte Projektgruppe eine zusätzliche unterstützende Rolle einnehmen. Das Gruppengefüge auf Mikro- und Makroebene sollte daher im Fokus der Betreuenden einen wichtigen Stellenwert einnehmen. Im Bereich B des telekollaborativen Kompetenzmodells (Pädagogische Kompetenz) von O’Dowd (2015) hat sich daher aus unserer Sicht folgende Fähigkeit als ergänzenswert erwiesen: „to foster a group identity built on trusting and understanding relationships between students and teachers“. In Bezug auf die verwendete Methode der Duoethnografie lässt sich festhalten, dass sie die Gestalt der gewonnenen Daten und die daraus ermittelten Erkenntnisse stark beeinflusst hat. Die Ausführlichkeit unserer schriftlichen Reflexionen und die dialogische Auseinandersetzung damit ermöglichte es uns, tiefere Einsichten in die Gedanken und Befindlichkeiten des Teams zu erlangen, die uns sonst verborgen geblieben wären, da sich Themen erst durch duoethnografisches Schreiben herauskristallisiert haben. Da die Methode selbst ebenfalls Gegenstand unserer Reflexionen war, lassen sich daraus auch Implikationen zu deren Einsatz ableiten. Grundsätzlich für jedes Team, das kollaborativ in einem VE zusammenarbeitet, aber insbesondere für Teams, die die Duoethnografie in einem VE nutzen möchten, ist es empfehlenswert, sich bereits im Vorfeld des Projekts besser kennenzulernen, evtl. über Audio- oder Videoaufnahmen, um so bereits Vertrautheit miteinander fördern zu können. Schriftliche, durch Prompts vorstrukturierte Reflexionen erwiesen sich für uns als sinnvoll, doch ließen diese sich gleichzeitig durch regelmäßige und unstrukturierte Tagebucheinträge ergänzen. Das Verfassen von Notizen oder die Erstellung von Audio-Dateien im Anschluss an Veranstaltungen mit Studierenden würden es ermöglichen, Eindrücke festzuhalten, die später weiter reflektiert werden könnten. Idealerweise werden schriftliche Reflexionen mit mündlichen Diskussionen und Dialogen ergänzt, die sich nicht nur, wie in unserem Fall, überwiegend auf Organisatorisches beziehen, sondern ebenfalls Prompts zur eigenen Reflexion im Dialog diskutieren. Eine kontinuierliche projektbegleitende dialogische Reflexion wie in der vorliegenden Studie mit Mitteln der Duoethnografie umgesetzt, erscheint dabei als geeignetes Instrument diese Prozesse zu initiieren und aufrechtzuerhalten sowie zu einer professionellen Reflexionskompetenz im Rahmen von VEs beizutragen. Interaktionsprozesse in einem virtuellen Austauschprojekt 41 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0003 Literatur B ANEGAS , Darío L. / G ERLACH , David (2021): „Critical language teacher education: a duoethnography of teacher educators’ identities and agency“. In: System 98, 102474. https: / / doi.org/ 10.1016/ j.system.2021.102474 B ATUNAN , Deisyi A. / K WELDJU , Siusana / W ULYANI , Anik N. / K HOTIMAH , Khusnul (2023): „Telecollaboration to promote intercultural communicative competence: insights from Indonesian EFL teachers“. In: Issues in Educational Research 33.2, 451-470. B IEBRICHER , Christine / Y OU , Yue (2022): „Understanding pre-service teachers’ study abroad experiences through duoethnography: challenges, emotions and developments“. In: B ARKHUIZEN , Gary (Hrsg.): Language Teachers Studying Abroad: Identities, Emotions and Disruptions. Bristol: Multilingual Matters, 233-244. 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By analyzing practices to establish common ground, this paper demonstrates the ways in which L1 speakers establish common ground with L2 speakers, namely 1) by co-constructing the meaning of the word without even having direct epistemic access to a particular cultural product, 2) by checking L2 speaker’s epistemic status, and 3) by asking follow-up questions. 1. Einleitung In diesem Beitrag geht es darum, Gemeinsamkeiten in der Interaktion zwischen deutschen L1-Sprechenden und Studierenden mit Englisch als Erstsprache (L2-Sprechenden) im dritten Semester (GER A2) an einer amerikanischen Universität in den videobasierten Interaktionen festzustellen. Es werden die Theorie und die Methodik der Konversationsanalyse (S ACKS et al. 1974; H ERITAGE 1988; H UTCHBY / W OOFITT 1998) und der Multimodalität (M ONDADA 2018) verwendet, um zunächst zu untersuchen, wie sich L1-Sprechende gegenüber L2-Sprechenden in mehrsprachigen Interaktionen positionieren und wie sie versuchen, ein gemeinsames Verständnis herzustellen, bevor sie ihre Vorstellungen und Wissensbestände (epistemics) darlegen. Die Frage, die in diesem Beitrag beantwortet werden soll, lautet wie folgt: Wie stellen L1- Sprechende in Frage-Antwort-Sequenzen mit L2-Sprechenden verbal und multimodal ein gemeinsames Verständnis in Bezug auf kulturelles Wissen her? * Korrespondenzadresse: Dr. Budimka U SKOKOVIC , Lektorin und Leiterin des deutschen Sprachprogramms, The Ohio State University, USA E-Mail: Uskokovic.2@osu.edu Arbeitsbereiche: Interkulturelle Kompetenz, Konversationsanalyse, Lehrerfortbildung 44 Budimka Uskokovic DOI 10.24053/ FLuL-2024-0004 53 • Heft 1 Die für diesen multimodalen und konversationsanalytischen Beitrag ausgewählten Sequenzen stammen aus einem umfangreichen Datensatz, der in einem Deutschkurs gesammelt wurde. Das Lernziel dieses Kurses war es, die Deutschkenntnisse zu verbessern und etwas über verschiedene kulturelle Themen (z.B. Verkehrsmittel, Wohnsituationen, Unterhaltung, Sport, etc.) zu erfahren und darüber dann mit L1-Sprechenden zu sprechen und ihnen weitere Fragen zu stellen, um interkulturelle Kompetenz in der Zielsprache zu entwickeln. Die Sequenzen sind nach den folgenden Kriterien ausgesucht: 1) Sie stammen aus verschiedenen Konversationen zwischen L1- und L2- Sprechenden; 2) Interagierende sprechen über ein kulturspezifisches Produkt, z.B. einen Film oder eine BahnCard; 3) L2-Sprechende zeigen Interesse an dem kulturspezifischen Produkt, indem sie Fragen stellen, was dazu führt, dass L1-Sprechende mehr Informationen liefern. In den Sequenzen wird gezeigt, wie L1-Sprechende ein gemeinsames Verständnis mit L2-Sprechenden herstellen, um ihre Fragen in der videobasierten Interaktion zu beantworten (M LYNÁŘ et al. 2018). Der Schwerpunkt der vorliegenden Untersuchung liegt auf der Verwendung von fremd-initiierten Reparaturen, denn L1-Sprechende stellen L2-Sprechenden Fragen zum Hintergrundwissen, um deren Wissensbestände zu überprüfen. Anhand der Videoaufzeichnungen, die im Laufe des dritten Semesters 2019 gesammelt wurden, werden im vorliegenden Beitrag drei Beispiele vorgestellt, in denen gezeigt wird, wie L1-Sprechende verbal und multimodal ein gemeinsames Verständnis mit L2-Sprechenden herstellen. Ein solch gemeinsames Verständnis wird hier definiert als der Austausch von Wissen, Überzeugungen und Annahmen mit L2-Sprechenden (C LARK 1996; E NFIELD 2006; G ARFINKEL 1967; T ARASAKI 2004). Die Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen, dass L1-Sprechende, um ein gemeinsames Verständnis mit L2-Sprechenden auszuhandeln, folgende Reparaturpraktiken anwenden: a) fremd-initiierte Reparatur eine Reparatur, die von Mitsprechenden (nicht den aktuellen Sprechenden) im Gespräch aufgrund kultureller Expertise veranlasst wird, undb) fremd-initiierte Reparatur als Mittel zur Überprüfung der Wissensbestände von L2-Sprechenden. Da dieser Beitrag auf den videobasierten Interaktionen basiert und da das gemeinsame Verständnis (common ground) eng mit dem Bereich der Epistemik verbunden ist, wird nun auf diese beiden Bereiche näher eingegangen. 2. Videobasierte Interaktionen Aktuelle Forschungen zu videobasierten Interaktionen haben gezeigt, wie die verbalen und verkörperlichten Handlungen der Interagierenden durch die Möglichkeiten und Beschränkungen des jeweiligen durch Technologie unterstützten Umfelds geprägt sein können (A RMINEN et al. 2016; M LYNÁŘ et al. 2018). Diese Ergebnisse präsentieren, wie die Organisation und Abfolge sozialer Handlungen, z. B. die Eröffnung von videobasierten Gesprächen (G AN et al. 2020), die Koordinierung und Orga- Aushandeln gemeinsamer Verständnisebenen in mehrsprachiger videobasierter Interaktion 45 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0004 nisation mehrerer zeitlicher und sequenzieller Aktivitäten (T UNCER et al. 2020) und die Navigation bei kollaborativen, aufgabenbasierten Online-Aktivitäten (P EKAREK D OEHLER / B ALAMAN 2021) an die videobasierten Interaktionen angepasst wurden. 3. Epistemik (epistemics) Epistemik ist ursprünglich ein philosophisches Konzept, das insbesondere von John Heritage in Zusammenarbeit mit Geoffrey Raymond für die Konversationsanalyse nutzbar gemacht wurde (H ERITAGE / R AYMOND 2005; R AYMOND / H ERITAGE 2006). Es "konzentriert sich auf die Wissensansprüche, die Interagierende in und durch Gesprächsrunden und Interaktionssequenzen geltend machen, bestreiten und verteidigen“ (H ERITAGE 2013: 371, eigene Übersetzung). Das soll an folgendem Beispiel dargelegt werden: JS : II : 28 (zitiert in D REW 2012: 135) 01 Jon: T’stsuh beautiful day out isn’t it 02 Lin: Yeh it’s jus’ gorgeous … Diese Sequenz spielt sich zwischen Jon und Lin an einem „schönen Tag“ ab. Jon beendet seinen Turn in Zeile 01 mit einer Frage, die Lin signalisiert, dass sie an der Reihe ist, die Frage zu beantworten, entweder um Jons Einschätzung zuzustimmen oder um ihm zu widersprechen. Da sie beide zur gleichen Zeit am gleichen Ort sind, erleben sie gemeinsam diesen „schönen Tag“, zu einer gegenseitigen Referenz wird. Lin versteht also Jons Frage, stimmt seiner Einschätzung in Zeile 02 zu und wertet seine Einschätzung sogar noch auf, indem sie das Adjektiv "gorgeous‘‘ verwendet (siehe H ERITAGE 2002). Wenn die Realität distanzsprachlich vermittelt ist, haben nicht alle Sprechenden zur gleichen Zeit Zugang zu demselben Wissen. Daher unterschieden bereits L ABOV / F ANSHEL (1977: 100, zitiert in H ERITAGE 2013: 374) zwischen den folgenden Wissenskategorien: A-Event: der/ die Sprechende hat einen primären Zugang dazu B-Event: der/ die Zuhörende hat einen primären Zugang dazu AB-Event: der/ die Sprechende und der/ die Zuhörende haben beide Zugang dazu Wenn zum Beispiel nur Jon an diesem Ort wäre, würde er Lin berichten, wie schön der Tag bei ihm war, und somit wäre er die einzige Person, die weiß, wie schön der Tag ist (A-Event). Damit wäre er der Wissende (K+). Würde Lin beschreiben, wie schön der Tag bei ihr war, und Jon hätte keinen Zugang dazu, wäre dies ein B-Event, was bedeuten würde, dass Jon der Nicht-Wissende (K-) wäre. Da sie sich in diesem Fall am selben Ort befinden, können sie beide erleben, wie schön der Tag ist, und somit handelt es sich in diesem Beispiel um ein AB-Event, das beiden bekannt ist. In Bezug auf ihr Wissen sind sie gleich positioniert. Diese relative Positionierung innerhalb des Konzepts der Epistemik wird als epistemischer Status bezeichnet (H ERITAGE 46 Budimka Uskokovic DOI 10.24053/ FLuL-2024-0004 53 • Heft 1 2012: 376, Hervorhebung im Original). H ERITAGE (2012) zufolge "geht es dabei um die gemeinsame Anerkennung des vergleichenden Zugangs, des Wissens und der Rechte der Gesprächspartner in Bezug auf einen Wissensbereich als mehr oder weniger feststehende Tatsache“ (ebd., eigene Übersetzung). Die Art und Weise, wie Jon die Frage formuliert, signalisiert, dass er weiß, dass der Tag schön ist und dass er sich Lins Bestätigung einholt. Wäre sein epistemischer Status K-, würde er seine Frage anders formulieren, z. B. "Wie ist das Wetter in deiner Stadt, Lin? “, was bedeuten würde, dass er keinen Zugang zum Wetter an ihrem Aufenthaltsort hat und ihr nur glauben kann. Auch wenn sein epistemischer Status zu Beginn ihres Gesprächs Kist, wäre er, sobald Lin das Wetter beschrieben hat, u.U. daran interessiert, mehr zu erfahren, was bedeutet, dass sich seine epistemische Haltung (H ERITAGE 2012: 377, Hervorhebung im Original) von Moment zu Moment ändert und dass die epistemische Haltung "durch die Gestaltung von turns-at-talk gesteuert wird‘‘ (ebd., eigene Übersetzung). Es ist also offensichtlich, dass der epistemische Status und die epistemische Haltung in die alltägliche Konversation eingebettet sind und dass Wissen in Anwesenheit anderer Sprechenden durch Reparatur, Turn-Design und Bewertung ko-konstruiert wird. Im Bereich der Konversationsanalyse kann Wissen zudem in Erfahrungswissen und Fachwissen unterteilt werden (H ERITAGE 2013). Erfahrungswissen umfasst Gedanken über etwas, was Sprechende aus erster Hand erfahren haben, während sich Fachwissen auf spezifisches Wissen in einem bestimmten Bereich bezieht, wie z. B. Wissen über den Motor eines Autos oder eine bestimmte Kultur. In ähnlicher Weise gibt es einen Unterschied zwischen Typ-1-Wissen (aus erster Hand, z. B. direkt erfahren) und Typ-2-Wissen (abgeleitet, z. B. nur vom Hörensagen oder durch andere indirekte Mittel bekannt) (P OMERANTZ 1980, zitiert in H ERITAGE 2013: 374). Für die Analyse der Gespräche in diesem Beitrag werden die Begriffe Erfahrungswissen und Fachwissen sowie Typ-1-Wissen und Typ-2-Wissen weiter verwendet. 4. Datenmaterial Die Sequenzen in der vorliegenden Studie stammen aus einem umfangreichen Datenkorpus, das aus 28 Stunden videoaufgezeichneten TalkAbroad-Interaktionen zwischen deutschen L1-Sprechenden und Deutschlernenden mit Englisch als Erstsprache besteht. TalkAbroad ist eine videobasierte, synchrone Plattform, die einen Ort für Echtzeitgespräche zwischen L1- und L2-Sprechenden bietet. Die L2-Sprechenden in dem vorliegenden Beitrag sind Studierende, die in einem Deutschkurs der oberen Anfängerstufe (A2) eingeschrieben waren und 30 Minuten lang viermal im Semester mit L1-Sprechenden sprachen. Das TalkAbroad-Gespräch wurde als integrale Unterrichtsaufgabe an einer staatlichen Universität in den USA aufgezeichnet, bei der die Teilnehmenden über Verkehrsmittel, Wohnungen, Entertainment und Sport sprachen. Die L2-Sprechenden machten diese Aufgaben zu Hause, indem sie zehn Fragen vorbereiteten, die sie den L1-Sprechenden nachher stellten, um mehr über die Themen Aushandeln gemeinsamer Verständnisebenen in mehrsprachiger videobasierter Interaktion 47 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0004 zu erfahren und auch das im Deutschkurs Gelernte am Ende jedes Kapitels zu hinterfragen. Anhand dreier Beispiele wird gezeigt, wie die L1-Sprechenden versuchen, ein gemeinsames Verständnis mit weniger erfahrenen L2-Sprechenden herzustellen. Außerdem werden in einem Beispiel (5.2) verkörperlichte Handlungen aufgezeigt. Diese Sequenz enthält anonymisierte Screenshots der Interagierenden. 5. Analyse - Aushandeln gemeinsamer Verständnisebenen In interkulturellen Interaktionen, d.h. in Gesprächen zwischen Interagierenden, die keinen gemeinsamen kulturellen Hintergrund haben und die aus verschiedenen Ländern kommen, ist es auffallend, dass Sprachlernende Fragen zum Wissen des Typ-2- Wissens stellen, da sie keinen direkten Zugang zu Produkten und Praktiken in der Zielkultur haben, insbesondere wenn sie noch nie in der Zielkultur waren, wie L2- Sprechende, die Deutsch in den USA lernen. Das zeigt sich auch in den Stereotypen, die in manchen Gesprächen zu finden sind und von den Studierenden eingebracht wurden. In den vorliegenden Beispielen werden Gesprächspraktiken aufgezeigt, wie L1-Sprechende ein gemeinsames Verständnis mit L2-Sprechenden herstellen, nämlich 1.) durch die gemeinsame Klärung von Begriffen oder Erzeugnissen, zu denen die Deutschlernenden bisher keinen direkten Zugang bzw. keine Kenntnisse besitzen; 2.) durch Überprüfung deren Wissensbestände und 3.) durch Nachfragen. Anhand des ersten Beispiels wird gezeigt, dass der Deutschlernende gehört hat, dass die Menschen in Deutschland eine BahnCard benutzen, um vergünstigte Zugtickets zu kaufen, und versucht, mehr Informationen über dieses kulturelle Produkt zu erhalten. 5.1 Herstellung einer gemeinsamen Verständnisebene durch die gemeinsame Klärung von Begriffen Bezüglich der Art und Weise, wie L1-Sprechende in den Daten ein gemeinsames Verständnis mit L2-Sprechenden herstellen, fällt zunächst der Umgang mit dem Mangel an kulturellem Fachwissen auf, z.B. kein detailliertes Wissen über kulturelle Fakten, kulturspezifische Produkte, etc. Das folgende Beispiel stammt aus der ersten Interaktion zwischen Noah (NOA, L2-Sprecher) und Mark (MAR, L1-Sprecher) über verschiedene Verkehrsmittel in Deutschland und die BahnCard. Beispiel 1: BahnCard 1 NOA: ähm hast du ein bahncard 2 (0.2) 3 MAR: eine bahncard? 4 (0.2) 5 NOA: ja: 6 MAR: ä: : : hm mmm m: hm .hhh ä-was meinst du mit bahncard 7 (0.8) 48 Budimka Uskokovic DOI 10.24053/ FLuL-2024-0004 53 • Heft 1 8 MAR: was-[was-was ist eine bahncard >für dich< 9 NOA: [u: hm 10 u: hm ein card für (0.2) m: hm die bahnhof 11 MAR: ah okay m: hm ja also: ich habe von meinem 12 von meiner universität eine bahncard ä: hm 13 ich kann in hamburg ä: hm mit dem ba- 14 mit der bahn fahren 15 kostenlos und mit der-mit dem bus und mit der mhm 16 mit der u-bahn 17 also: mit dem bus der nicht ähm 18 auf der straße fährt 19 sondern unter der straße 20 NOA: ja 21 MAR: ja ja also: Um mehr Informationen über die BahnCard zu erhalten, stellt Noah die Ja-Nein Frage „ähm hast du eine bahncard“ (Z. 1). Er gibt keine weiteren Informationen über das kulturspezifische Produkt, da er davon ausgeht, dass Mark es kennt. Damit positioniert er sich als jemand, der indirekt Zugang zu diesem Kulturprodukt hat, denn er war noch nie in Deutschland, was in einem der Gespräche deutlich wurde. Das heißt, er weiß um die Existenz dieses Produkts in Deutschland und vielleicht auch, bei welchen Gelegenheiten man es aufgrund der Informationen, die er im Unterricht und durch Unterrichtsmaterialien erhalten hat, verwenden kann. Zugleich zeigt er seine Erwartung, dass Mark, der L1-Sprecher, der in Deutschland lebt, nicht nur weiß, was eine BahnCard ist, sondern auch eine besitzen könnte. Dadurch ist Mark in der Lage, aus erster Hand Erfahrungen und Wissen über die BahnCard und ihre Vorteile zu vermitteln. Anders formuliert: Noah erwartet, dass Mark über Typ-1-Wissen verfügt (P OMERANTZ 1980). Indem er Noah "ä: : : hm mmm m: hm .hhh ä-was meinst du mit bahncard u-was meinst du mit bahncard“ (Z. 6) fragt, zeigt Mark, dass er die BahnCard nicht kennt. Man beachte, dass Mark das Verb „meinen“ (S CHMITT / D EPPERMANN 2009) verwendet, um Noahs epistemischen Status zu überprüfen. Hier zeigt sich, dass ein semantisches Problem in Bezug darauf besteht, was das lexikalische Element für die jeweilige Person bedeutet. Darüber hinaus macht Mark Noah für die Produktion des Wortes BahnCard verantwortlich und fordert ihn auf, sein kulturspezifisches Wissen durch die Benutzung des Begriffs auch zu demonstrieren, indem er eine Definition des Wortes liefert und darlegt, was das Wort für ihn bedeuten könnte (Z. 8: "für dich“). Mit dieser Frage zeigt Mark auch seinen Status als der Nichtwissende, anstatt im nächsten Turn eine Antwort zu geben. Gleichzeitig zeigt Markus durch die Überprüfung von Noahs epistemischem Status, dass die Herstellung einer gemeinsamen Verständnisebene in dieser Sequenz Priorität hat. Ohne die Seitensequenz (insertion sequence, L EVINSON 1983) (2 ̶ 10) ̶ die Unterbrechung der Kontinuität des ersten und zweiten Teils eines Adjazenzpaares, deren primäre Funktion darin besteht, etwas zu klären (J EFFERSON 1972; S CHEGLOFF 2007) ̶ wären die Interagierenden nicht in der Lage Aushandeln gemeinsamer Verständnisebenen in mehrsprachiger videobasierter Interaktion 49 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0004 gewesen, kulturelles Wissen weiter zu ko-konstruieren, d.h. weiter über das kulturspezifische Produkt zu sprechen und sich über die Nutzung der BahnCard in Deutschland auszutauschen. In Zeile 10 signalisiert Noah Mark durch das Wort Bahnhof, dass sich diese (kulturelle) Assoziation auf das Bahn fahren und den Ticketkauf bezieht. Mark lässt sich von Noah keine vollständige Definition des Begriffs BahnCard geben, oder zumindest sein Verständnis davon, da er "ah okay“ (‘change-of-state token, H ERITAGE 1984) (Z. 11) sagt, um den Erhalt der neuen Information zu bestätigen und daran anknüpfend hinzuzufügen, die Definition nicht vollständig verstanden zu haben (O LOFF 2019) und den Begriff BahnCard umzudeuten. Da er keine weiteren Fragen hat und Noahs Turn für ausreichend erachtet (B ETZ / D EPPERMANN 2018), beginnt Mark trotz der grammatikalischen Unkorrektheit mit der Schilderung seiner persönlichen Erfahrung. Zu Beginn seiner Schilderung verwendet er den Diskursmarker "also“ (Z. 11) (D EPPER - MANN / H ELMER 2013), um seine Erfahrung zu vermitteln (Z. 11 ̶ 19). In seiner Schilderung zeigt Mark sein Wissen über das Kulturprodukt, nämlich dass er ein Semesterticket von der Hochschule hat (Z. 12) und dass er kostenlos mit dem Zug durch Hamburg fahren kann (Z. 13 ̶ 15). In Zeile 15 fügt er Details über andere öffentliche Verkehrsmittel hinzu, nämlich die U-Bahn, wie aus seiner Beschreibung hervorgeht. In Zeilen 17 ̶ 19 verwendet er nicht den Begriff U-Bahn. Vielmehr paraphrasiert er es als Bus, „der nicht ähm auf der straße fährt“ (Z. 17 ̶ 18), sondern "unter der straße“ (Z. 19). Damit behandelt er Noah als jemanden, der aufgrund des linguistischen Repertoires das Wort U-Bahn nicht verstehen würde und der mit dem kulturellen Konzept des U-Bahn-Systems in Deutschland nicht vertraut sein könnte. In Zeile 20 bestätigt Noah die erhaltenen Informationen durch die Verwendung des Kontinuums "ja“ (Günthner 2017) und zeigt damit seine Erwartung, dass Mark mehr Informationen über dieses kulturspezifische Produkt liefern sollte, was Mark in Zeile 21 auch tut und durch den Diskursmarker "also“ einleitet. In dieser Sequenz orientiert sich der L2-Sprecher an den Fragen, die er schon vorbereitet hat, um seine Aufgabe zu erfüllen, und er bestätigt, dass er die erhaltenen Informationen verstanden hat (Z. 5 und 20). Er zeigt sein Verständnis, und als er aufgefordert wird, eine Definition zu einem Kulturprodukt zu geben, um zumindest eine Grundlage für das Gespräch zu schaffen, sagt er lediglich "u: hm ein card für (0.2) m: hm die bahnhof“ (Zeile 10). Die Pause und die Dehnung des L2-Sprechers offenbaren hier offensichtlich seine Schwierigkeiten, sich an das Wort Bahnhof zu erinnern, was einer der Gründe sein könnte, warum er in seinem Turn nicht mehr Informationen liefert. Der L1-Sprecher hingegen hält diese Informationen für ausreichend, weshalb er weder Nachfragen stellt noch eine Reparatur initiiert. Interessanterweise veranlasst der L2-Sprecher durch die Produktion seiner Fragen und die Bedeutung des Wortes BahnCard den L1-Sprecher zu einer Reaktion. Mark unterlegt dagegen den Begriff mit einer anderen Bedeutung, da sich sein Wissen auf sein lokales Gebiet beschränkt (Hamburg, Z. 13) und er daher nur auf seine eigenen Erfahrungen zurückgreifen kann. Diese beziehen sich auf ein Semesterticket, nicht auf die BahnCard, d.h., sein Wissen spiegelt seine kulturelle Expertise wider als 50 Budimka Uskokovic DOI 10.24053/ FLuL-2024-0004 53 • Heft 1 jemanden, der in Hamburg aufgewachsen ist und dessen Erfahrungen sich von den Informationen unterscheiden, die der Leser im Lehrbuch oder im Internet finden kann. Hinzu kommt, dass jeder Sprechende wegen der Umdeutung des Begriffs eine andere Bedeutung des Wortes BahnCard hat, was ein Problem auf semantischer Ebene zu sein scheint, was beide Sprecher lösen müssen, bevor sie eine gemeinsame Verständnisebene aushandeln können. 5.2 Herstellung einer gemeinsamen Verständnisebene durch die Überprüfung der Wissensbestände der L2-Sprechenden L1- und L2-Sprechende stellen eine gemeinsame Verständnisebene her, indem erstere den epistemischen Status der L2-Sprechenden überprüfen. Eine der wichtigsten Regeln in der Interaktion lautet: „Sag anderen nicht, was sie bereits wissen! “ (S ACKS 1995, eigene Übersetzung). Dieser Regel folgend, können L1-Sprechende L2-Sprechende nicht grundsätzlich als Nichtwissende (K-) in Bezug auf ihre kulturelle Expertise einstufen. Vielmehr prüfen sie zunächst den epistemischen Status der L2-Sprechenden und geben entweder status- oder quellengestützte Informationen über die kulturellen Produkte, Perspektiven oder Praktiken, je nachdem, wie gering der epistemische Status der L2-Sprechenden ist. In Beispiel 2 sprechen Sophia (SOP, L2-Sprecherin) und Theodor (THE, L1-sprecher) zwar wieder über die BahnCard, aber Beispiel 2 unterscheidet sich von Beispiel 1, indem die Interagierenden multimodale Ressourcen benutzen, um eine gemeinsame Verständnisebene herzustellen. Beispiel 2: Rabatte 1 SOP: ahm (.) hast du eine eh eh-bahncard? 2 fur-für eine zug 3 (0.2) 4 THE: a: : h eine BAHNcard? 5 SOP: mHM 6 (0.2) 7 THE: [wo-woher kennst du bahncard? 8 SOP: [JA 9 (0.2) 10 SOP: a: hm (.) [ich a: hm ^%zu #1*a: hm (0.3) a: h% sop: %tippt ------------->% ^sieht nacht u.-----------> the: *zeigt seine bahncard---> Aushandeln gemeinsamer Verständnisebenen in mehrsprachiger videobasierter Interaktion 51 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0004 Sophia (SOP) Theodor (THE) Abb. 1: Das erste Zeigen der BahnCard 11 ra-rabatte? ^ sop: ----------->^ the: ---------------> 12 O: H $JA JA$ [(lacht the: ---------------------> (0.2) the: -----------------------> 13 THE: [(grinst)* the: ------------------------>* 14 SOP: [JA (lacht) 15 THE: ja ja ja genau 16 ähm warst DU schon mal in deutschland? 17 (0.2) 18 SOP: a: h 19 THE: hast du deutschland schon mal besucht? 20 (0.3) 21 SOP: deutschland a: : hm% (0.2)% %tippt % 22 THE: bist du nach deutschland gereist? 23 (0.3) 24 SOP: .tsk NEIN 25 THE: du warst nie in deutschland okay 26 a: h #2*wie-wie kennst du die bahncard *zeigt seine bahncard--------->* Abb. 2: Ein weiteres Zeigen mit dem Zeigefinger 52 Budimka Uskokovic DOI 10.24053/ FLuL-2024-0004 53 • Heft 1 27 *woher kennst du die bahncard * *hält seine bahncard in der hand* 28 SOP: a: : hm%(0.2) %in-no: t a: hm (0.2) .tsk %tippt->% 29 nicht habe eine bahncard in die us 30 a: hm studenten habe a: hm eine ^(0.2) #3^sieht nach hinten-> Abb. 3: Drehung nach hinten 31 ahm studenten id for eine [bus ------------------------------> 32 THE: [mhm (0.3) 33 SOP: ja a: : hm& (lacht) sop: #4&zeigt ihren studentenausweis Abb. 4: Der Studentenausweis 34 THE: ah okay okay ja↓ a: hm diese-diese a: hm *bahn[card the: #5 *zeigt seine bahncard--> Abb. 5: Die BahnCard 35 SOP: [mhm Aushandeln gemeinsamer Verständnisebenen in mehrsprachiger videobasierter Interaktion 53 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0004 Nachdem Sophia und Theodor über Autos gesprochen haben und darüber, ob Theodor ein eigenes Auto hat und wie beliebt Autos in den USA und in Deutschland sind, schließt Theodor das Thema ab, indem er "okay“ sagt. Sophia stellt in Zeile 1 eine neue Ja-Nein Frage, und zwar fragt sie Theodor "hast du eine eh eh-bahncard? “ Anstatt sofort Auskunft über die BahnCard zu geben, nimmt Theodor nach der Pause zwischen den Turns in Zeile 4 eine fremd-initiierte Reparatur (insertion sequence) vor, um einem Missverständnis vorzubeugen. Die Pause deutet zusammen mit dem plötzlichen Themenwechsel darauf hin, dass Theodor Probleme haben könnte, Sophias Frage zu verstehen, obwohl sie in Zeile 2 "fur-für einen zug“ hinzugefügt hat. Hier liefert er einen Verstehensversuch (candidate understanding), der Verstehen und Hören überprüft. Er wiederholt das Gesagte, um sicherzustellen, dass er Sophia gut verstanden hat. Diese Reparatur könnte auf den plötzlichen Themenwechsel zurückzuführen sein. Nachdem Sophia in Zeile 5 bestätigt hat, dass er richtig gehört und das Gesagte verstanden hat, führt Theodor nach der Pause in Zeile 6 eine weitere fremd-initiierte Reparatur durch, diesmal jedoch nicht, um zu zeigen, dass er mit dem Kulturprodukt möglicherweise nicht vertraut ist, sondern um eine gemeinsame Verständnisebene herzustellen und in Zeile 7 Sophias epistemischen Status zu überprüfen.Als Antwort auf Theodors Frage in Zeile 7 wendet sich Sophia dem Bildschirm zu, um wahrscheinlich nach dem lexikalischen Element in Zeile 10 zu suchen, da sie sich nicht an das Wort erinnern kann oder es nicht kennt. Das wird in Zeile 11 deutlich, als sie das Wort "Rabatte“ liest und versucht zu markieren. Während Sophia ein elektronisches Wörterbuch benutzt, zeigt Theodor ihr seine BahnCard und damit seinen direkten epistemischen Zugang (G OODWIN / G OODWIN 1987; H ERITAGE 2002) zu diesem Kulturprodukt. In Zeile 12 zeigt Sophia ihre Überraschung, indem sie die Interjektion "O: H“ (change-of-state-token) zusammen mit "ja“ und Lachen verwendet, um den Erhalt der neuen Information, ihr Verständnis und ihre Überraschung zu bestätigen. In Zeile 15 prüft Theodor mit "ja ja ja“ nicht nur genau das Verstehen im Rahmen der Herstellung einer gemeinsamen Verständnisebene, sondern er zeigt auch das epistemische Vorrecht (epistemic primacy), die Information zu ratifizieren. Indem er seine BahnCard zeigt, impliziert er, dass er nicht nur mit dem Produkt vertraut ist, weil er in Deutschland lebt, sondern weil er tatsächlich eine besitzt. Auf diese Weise kann er sein Wissen über das Kulturprodukt unter Beweis stellen. Er fragt weiterhin nach der Quelle von Sophias Wissen über die BahnCard, d. h. wie sie davon erfahren hat (Zeilen 17, 20 und 23), bis sie "NEIN“ in Zeile 24 sagt. Dieses Negationswort zeigt an, dass Sophia keinen direkten epistemischen Zugang zu dem Kulturprodukt hat und dass sie in einem ihrer Deutschkurse davon gehört hat; das heißt, sie hat sie selbst nie benutzt. In Zeile 26 zeigt Theodor, dass er verstanden hat, dass Sophia noch nie in Deutschland gewesen ist, und schließt mit "okay“ das Thema ab. Zu Beginn von Zeile 30 verwendet er jedoch die Interjektion "a: h“ (O LOFF 2019), die anzeigt, dass er nicht verstanden hat, woher Sophia dieses Produkt kennt und warum sie diese Frage überhaupt gestellt hat, und fährt dann mit seinen Fragen "wie-wie kennst du die bahncard? “ (Zeile 27), "woher kennst du die bahncard“ (Zeile 54 Budimka Uskokovic DOI 10.24053/ FLuL-2024-0004 53 • Heft 1 28) fort. In Zeile 33 erklärt Sophia, dass es in den USA keine BahnCard gibt, sondern dass die Student: innen einen Busausweis haben (Zeile 32). In Zeile 33 zeigt Theodor sein Verständnis durch "mhm“, und nachdem Sophia ihren Studentenausweis gezeigt hat, beginnt er, weitere Informationen über das Produkt zu geben. In Zeile 34 sagt er "ah okay okay“, um diese Seitensequenz zu beenden (O LOFF 2019) und um weitere Informationen über die BahnCard selbst zu geben. Mit der Ja-Nein Frage in Zeile 1 positioniert sich Sophia als jemand, der ein vermeintliches Wissen in den laufenden Diskurs einpflegt. Da Theodor über diese plötzliche Frage überrascht ist, versucht er, Sophia als K- oder K+ in Bezug auf das Kulturprodukt zu positionieren. Er überprüft im Diskurs die tatsächlichen Wissensbestände, indem der versucht festzustellen, ob sie es jemals benutzt hat (Typ-1-Wissen) oder ob sie es durch Unterrichtsmaterialien kennt (Typ-2-Wissen). In letzterem Fall müsste Theodor als L1-Sprechende in diesem Kulturbereich Informationen aus erster Hand liefern. Erst nachdem er festgestellt hat, inwieweit Sophia mit diesem Produkt vertraut sein könnte, und nachdem er die Information erhalten hat, dass sie noch nie in Deutschland war und keine Angaben über die Quelle ihres Wissens machen kann, beginnt Theodor mit seiner Darstellung. Im Gegenzug dazu zeigt Sophia, anstatt zu sagen, woher sie die BahnCard kennt, ihren Studentenausweis. Indem sie angibt, dass es in den USA keine BahnCard gibt und mit Theodor das mögliche vergleichbare Kulturprodukt aus ihrer eigenen Kultur teilt, zeigt sie ihr kulturelles Wissen. Theodor positioniert Sophia also nicht von vornherein als K-. Vielmehr positioniert sie sich als K+ Sprecherin in Bezug auf den kulturellen Unterschied zwischen BahnCard und Studentenausweis. Theodor prüft zunächst Sophias epistemischen Status und nimmt erst dann die Position eines Experten ein, dessen Aufgabe es ist, so viele Informationen wie möglich über das Produkt zu liefern. 5.3 Herstellung einer gemeinsamen Verständnisebene durch Nachfragen Das folgende Beispiel stammt aus dem Gespräch zwischen Emma (EMM, L2-Sprecherin) und Amber (AMB, L1-Sprecherin), die sich zum ersten Mal treffen und über Sportarten in Deutschland sprechen. Nach einem kurzen Gespräch, in dem sich die beiden Teilnehmerinnen kennenlernen, reden sie über verschiedene in Deutschland beliebte Sportarten, insbesondere Fußball und dessen Bedeutung für die Deutschen und die deutsche Kultur im Allgemeinen. In diesem Zusammenhang stellt Emma eine Nachfrage, ob Fußball für die Kultur wichtig sei (Zeile 1 und 2). Beispiel 3: Fußball 1 EMM: ist ahm ist wichtig auch ist ahm für die kult(h)ur 2 hehe Fussba[ll,? 3 AMB: [ähm also ich kann das mal erklären=habt 4 ihr über den film das wunder von bern gesprochen.= 5 EMM: [=*nein * *schüttelt den Kopf* Aushandeln gemeinsamer Verständnisebenen in mehrsprachiger videobasierter Interaktion 55 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0004 6 AMB: [habt ihr über diesen film-also okay gut .hhh 7 ä: hm ä-ä-das ist ein sehr sehr wichtiger film 8 für uns [ähm ä: der ähm 9 EMM: [ha 10 AMB: der das-@also das: -das geht nämlich um den fussball @tippt------------------------------->> In den Zeilen 1 ̶ 2 stellt Emma eine Ja-Nein Frage "ist ahm ist wichtig auch ist ahm für die kult(h)ur hehe Fussba[ll,? “ Damit positioniert sich Emma als weniger wissende Teilnehmerin, die versucht, durch eine Frage an die wissende Sprecherin an kulturell relevantere Informationen zu erlangen und so ihr kulturelles Wissen über diese Domäne des Fachwissens zu eruieren und einige Details über die Bedeutung des Fußballs für die deutsche Kultur zu erhalten. Indem sie daraufhin "ähm auch ich kann das mal erklären“ (Zeile 3) sagt, zeigt Amber ihr Wissen und damit ihre Fähigkeit zu erklären, d.h. ihren epistemischen Status (K+). In Fortsetzung ihres Gesprächszuges stellt sie eine Nachfrage, nämlich "ob ihr über den film das wunder von bern gesprochen habt“, um zu überprüfen, ob Amber und Emma eine gemeinsame Verständnisebene aushandeln können. Die Antwort auf diese Frage würde Amber auch bei der Gestaltung ihrer Antwort im nächsten Turn helfen, da sie dann wüsste, welche Informationen die Interagierende bereits hat. In der Überlappung (Zeilen 5 ̶ 6) äußert Emma ein Nein, das sich an Ambers Frage anlehnt, während Amber die Frage teilweise wiederholt. Als Emma das minimale Negationswort (I MO 2017) verwendet, um Amber zu signalisieren, dass sie den Film nicht kennt, beginnt Amber, ihren epistemischen Status darzulegen und ihren Bericht über die Bedeutung des Fußballs für die deutsche Kultur zu liefern. Auf diese Weise positioniert sie sich als (vermeintlich) sachkundige Sprecherin, die eine Beschreibung des Films liefern kann, und informiert die L2-Sprecherin durch quellenbasierte Informationen über ihr Fachgebiet. Nach Zögern und Abbrüchen in Zeile 7 erklärt sie, dass der erwähnte Film "ein sehr sehr wichtiger Film ist“, was eigentlich nur eine Behauptung ist, denn das ‚Wunder von Bern‘ kann als identitätsstiftendes Kulturphänomen bezeichnet werden, muss aber nicht unbedingt als sehenswerter Film gelten. Damit liefert sie die Relevanz für die Erweiterung ihres Turns. In Zeile 8 erweitert Amber ihren Turn, indem sie die Präpositionalphrase "für uns“ verwendet, um sich auf alle Deutschen einschließlich ihrer selbst und auf die deutsche Kultur zu beziehen. Sie schließt damit die gegenübersitzende Interaktandin aus. Damit positioniert Amber Emma als jemanden, der nicht zur deutschen Kultur gehört. In ihrer Antwort (Zeile 9) signalisiert Emma an, dass sie Ambers vorangegangenen Redebeitrag verstanden hat und dass diese fortfahren kann. Nach der Selbstreparatur in Zeile 10 verwendet Amber den Diskursmarker "also“ (D EPPERMANN / H ELMER 2013), der auf eine folgende Erklärung oder auch Reformulierung hindeutet, und beginnt, den Inhalt des Films nachzuerzählen (10-12). Anhand dieses Beispiels wird gezeigt, dass L1-Sprechende in einigen Fällen ihren epistemischen Status dadurch rechtfertigen, dass sie sich zusätzlich zu ihrer eigenen 56 Budimka Uskokovic DOI 10.24053/ FLuL-2024-0004 53 • Heft 1 Erfahrung auf bestimmte Wissensbestände beziehen, z.B. durch den Verweis auf Filme oder andere Medien. Gleichzeitig wird gezeigt, wie L1- und L2-Sprechende sich selbst sowie der/ dem Gesprächsparter: in gegenüber positionieren, und sich dabei die gegenseitige Positionierung Schritt für Schritt ändert. Da Emma ihr Verständnis nicht durch eine Nachfrage demonstriert, bleibt es jedoch fraglich, ob und wie viel sie verstanden hat. 6. Fazit und Ausblick In Beispielen 1, 2 und 3 wurde untersucht, wie L1- und L2-Sprechende eine gemeinsame Verständnisebene schaffen. Dabei wurden drei Extrempunkte auf einer epistemischen Skala aufgezeigt: Beispiel 1, in dem der L1-Sprecher die Bedeutung des Wortes mit dem L2-Sprecher ko-konstruiert, ohne direkten epistemischen Zugang zu diesem Kulturprodukt zu haben. In Beispiel 2 äußert der L2-Sprecher einige Annahmen über das Kulturprodukt und in Beispiel 3 hat der L2-Sprecher keine Informationen über den Film. Anhand dieser Beispiele wird veranschaulicht, wie L1-Sprechende L2-Sprechende in der Interaktion positionieren, d. h. wie L1-Sprechende deren kulturelle Wissensbestände überprüfen und ihnen anschließend helfe, ihr Wissen zu erweitern. Darüber hinaus wurde gezeigt, dass die L2-Sprechenden Interesse daran haben, mehr über die Zielkultur zu erfahren, indem sie Fragen stellen und dass die L1-Sprechenden sich die Zeit nehmen, bestimmte kulturelle Produkte oder Perspektiven zu erläutern, um sicherzustellen, dass die L2-Sprechenden wirklich verstehen, was sie mit den verwendeten (neuen) Begriffen meinen. Hinsichtlich der Qualität der neuen Informationen, die L2-Sprechende erhalten, ist ein großer Unterschied zwischen statusbasiertem und quellenbasiertem epistemischen Wissen zu beobachten. In Beispiel 1 gibt der L1-Sprecher nämlich seine eigene Erfahrung wieder, die von der tatsächlichen Bedeutung des Wortes abweicht. In Beispiel 2 gibt der L1-Sprecher seine eigene Erfahrung mit der BahnCard wieder, während die L1-Sprecherin in Beispiel 3 anhand der konkreten quellengestützten Beispiele detailliert darlegt, wie wichtig Fußball für Deutschland ist. Auch wenn L2- Sprechende manchmal von den individuellen Erfahrungen der L1-Sprechenden profitieren können, ist es wichtig, dass Deutschlernende wissen, dass individuelle Erfahrungen nicht repräsentativ für das Wissen aller Menschen in Deutschland und über Deutschland sind und dass der vermeintliche epistemische Status auch eine Reduktion auf stereotypische Phänomene darstellen kann. Aushandeln gemeinsamer Verständnisebenen in mehrsprachiger videobasierter Interaktion 57 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0004 Literatur A RMINEN , Iikka / L ICOPPE , Christian / S PAGNOLLI Anna (2016): "Respecifying mediated interaction“. In: Research on Language and Social Interaction 49.4, 290 ̶ 309. B ETZ , Emma / D EPPERMANN , Arnulf (2018): "Indexing priority of position: Eben as response particle in German“. In: Research on Language and Social Interaction 51.2, 171 ̶ 193. 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During the project various students of Spanish from different study backgrounds met in small groups via Zoom. The interactions, therefore, had the character of conversations-for-learning (Kasper/ Kim 2015). None of the participants had the official role of a teacher or leader. The focus of this paper is on the question of the interactional self-management which means that we are looking at how the leading roles are managed. Specifically, we will analyze the common strategy of sharing the screen on Zoom. By comparing groups, we also provide insights into the effects of this particular practice on the interactions. 1. Einleitung In Zeiten der Globalisierung und Digitalisierung kommt es immer häufiger vor, dass Menschen mit Situationen konfrontiert werden, in denen sowohl unterschiedliche Sprachkenntnisse als auch interkulturelle und digitale Kompetenzen gefragt sind. Deshalb unternehmen Hochschuleinrichtungen vielfältige Bemühungen und Anstrengungen, um die Studierenden mit ihren Angeboten auf diese Herausforderungen vorzubereiten. Ein Großteil dieser Initiativen wird in Form von Online-Projekten durch- * Korrespondenzadressen: Prof. Dr. Marta G ARCÍA G ARCÍA , Georg-August-Universität Göttingen, Seminar für Romanische Philologie, Humboldtallee 19, 37073 G ÖTTINGEN . E-Mail: marta.garcia@phil.uni-goettingen.de Arbeitsbereiche: Konversationsanalyse, Unterrichtsinteraktion, Spanisch als Herkunftssprache, Gamifizierung. Naiara Martínez Niño, Georg-August-Universität Göttingen, Seminar für Romanische Philologie, Humboldtallee 19, 37073 G ÖTTINGEN . E-Mail: naiara.martinez@uni-goettingen.de Arbeitsbereiche: Virtual Exchange, Digitalisierung, Konversationsanalyse und Fremdsprachenlernen (CA-for-SLA) 60 Marta García García, Naiara Martínez Niño DOI 10.24053/ FLuL-2024-0005 53 • Heft 1 geführt, in denen das Englische die Lingua franca der Teilnehmenden ist. 1 Werden andere Sprachen eingesetzt, geschieht dies eher im Rahmen eines Tandem-Modells, dem zufolge die Studierenden teilweise in ihrer L1, teilweise in der L2 (die L1 der Partnerinstitution) interagieren und abwechselnd als ‚Expert: innen‘ ihrer Sprache fungieren. Ein virtueller Austausch, der in einer anderen Lingua franca als Englisch durchgeführt wird und in dem der Zweck eher in der gemeinsamen Kommunikation als im Erlernen der Partnersprache liegt, findet jedoch eher selten statt. Der vorliegende Beitrag stellt einen ersten Ergebnisbericht über ein solches Projekt dar, das zwischen November und Dezember 2021 online stattfand und von der Georg-August-Universität Göttingen organisiert wurde. Nach einer ausführlichen Beschreibung der Projektziele sowie deren Organisation und Durchführung (Kap. 2) wird seine Verortung innerhalb der beiden relevanten pädagogischen Formate, Virtual Exchange und Conversations-for-Learning, diskutiert. Damit werden die zentralen Fragen der Studie präsentiert, die überdies den Forschungsstand aufgreifen (Kap. 3). Nach der Erläuterung der erhobenen Daten und Methodologie (Kap. 4) werden die im Rahmen des Projektes durchgeführten Gespräche analysiert: zum einen das interaktionale Management anhand von ausgewählten Episoden (Kap. 5), zum anderen die Praktik des Bildschirmteilens mithilfe einer Videokonferenz-Software (Kap. 6). Die Ergebnisse und die Implikationen für die Gestaltung weiterer Projekte werden abschließend dargestellt (Kap. 7). 2. Das Projekt EN-INTERÉS Das europäische Hochschulnetzwerk ENLIGHT (enlight-eu.org) aus zehn europäischen Universitäten in zehn unterschiedlichen Ländern zielt auf eine „Transformation der Hochschulbildung zur Förderung globalen Handelns sowie nachhaltiger und gerechter Lebensqualität“ (ENLIGHT 2021) durch fünf sogenannte Flaggschiff-Themen ab (Gesundheit und Wohlbefinden, Digitale Revolution und Einfluss der Digitalisierung, Klimawandel, Energie und Zirkularwirtschaft sowie Gerechtigkeit). Das Netzwerk wurde im Jahr 2020 gegründet und von der europäischen Hochschulinitiative Erasmus+ offiziell gestartet. Im Jahr 2021 wurden ergänzende Mittel vom Programm Horizon 2020 eingeworben. Im Kern aller ENLIGHT-Aktivitäten steht die Vernetzung der teilnehmenden Institutionen und ihrer Studierenden sowie Mitarbeitenden. Regelmäßig starten innerhalb der Hochschulallianz kollaborative Lehr-Lernprojekte: Eines dieser von ENLIGHT geförderten Projekte war EN-INTERÉS (ENLIGHT INTercambio intERrcultural en ESpañol) 2 , das von November bis 1 Sucht man z.B. auf der Website von UNICOLLABORATION (https: / / www.unicollaboration.org/ index.php/ finding-a-ve-partner) nach einem Projektpartner, so erscheinen 53 Angebote für Englisch gegenüber zwei Angeboten für Deutsch und drei für Französisch und Spanisch. 2 En interés de todos (im Interesse aller) ist ein üblicher Ausdruck im Spanischen. Der Titel des Projekts spielt somit auf das Motto der Universität Göttingen („Zum Wohle aller“) an. Management von Spanisch-Online-Interaktionen im Rahmen eines Virtual Exchange 61 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0005 Dezember 2021 lief. Ziel von EN-INTERÉS war es, einen Anlass für Studierende zu schaffen, um mit (jungen) Menschen aus anderen Ländern über hochaktuelle, teilweise kontroverse Themen zu diskutieren und andere (nationale) Perspektiven kennenzulernen - und dies alles mit Spanisch als Lingua franca. Mit der Wahl der spanischen Sprache wollten wir, die Projektinitiatorinnen und Autorinnen, nicht nur weitere Sprachpraxis anbieten, sondern auch • die europäische Mehrsprachigkeit, hier verstanden als die Vielfalt der in der EU als L1 oder L2 gesprochenen Sprachen, sichtbar machen, • einen Beitrag zur Internationalisierung und Vernetzung zwischen den ENLIGHT-Partnerinstitutionen leisten, und zwar bewusst über die englische Sprache hinaus, • und vor allem die Teilnehmenden für die zentrale Rolle von Sprachen und kulturellen Perspektiven bei der Wahrnehmung von und Kommunikation über globale Krisen, sowie deren mögliche Lösungen, sensibilisieren (vgl. M EER ET AL . 2023: 7). Für das Projekt meldeten sich insgesamt 35 Studierende von sieben ENLIGHT- Universitäten freiwillig an (Universität Bordeaux, Comenius Universität Bratislava, Universität Gent, Universität des Baskenlandes, Universität Tartu, Universität Uppsala und die Georg-August-Universität Göttingen), deren Sprachkenntnisse vom B1bis C2-Niveau reichten. Die Teilnehmenden waren sehr unterschiedlicher Herkunft sowie mit einem unterschiedlichen akademischen Hintergrund und verschiedenen Erfahrungen ausgestattet. Die einzige Gemeinsamkeit war das Interesse an der spanischen Sprache, sei es durch das eigene Studium (Angewandte Linguistik, Übersetzung, Master of Education im Fach Spanisch etc.) oder aus persönlichen Gründen (bspw. Erasmus-Aufenthalt in Spanien oder Tätigkeit als Spanischlehrkraft). Das Projekt erstreckte sich über vier Sitzungen, die im zweiwöchigen Rhythmus zwischen November und Dezember 2021 stattfanden. Vor der ersten Sitzung wurden alle Teilnehmenden gebeten, sich persönlich durch eine Notiz auf einem Padlet vorzustellen. Am 4. November 2021 war Projektauftakt, der über die Zoom-Plattform stattfand. 3 Als Erstes wurden zehn Netiquette-Regeln vorgestellt, über die im Anschluss in kleinen Gruppen diskutiert wurde. 4 Diese Aktivität trug dazu bei, dass jede: r sich Gedanken über das eigene Verhalten im Netz machte. Nachdem über einige der Punkte in der großen Runde gesprochen worden war, sollten die Teilnehmenden drei der fünf Flaggschiff-Themen von ENLIGHT auswählen. Die Abstimmung ergab folgende Reihenfolge: 1) Gerechtigkeit, 2) Digitale 3 Zoom ist eine der von der GAU-Göttingen zur Verfügung gestellten Plattformen für Videokonferenzen. Sie wurde vor allem ausgewählt, weil die meisten Studierenden damit vertraut waren und sich die Aufnahme der Videokonferenzen sehr einfach gestaltet. 4 Einige dieser Regeln waren zum Beispiel, dass man sich im Netz genauso wie im echten Leben verhalten oder die Sprach-Niveaus der verschiedenen Teilnehmenden respektieren soll. 62 Marta García García, Naiara Martínez Niño DOI 10.24053/ FLuL-2024-0005 53 • Heft 1 Revolution und Einfluss der Digitalisierung sowie 3) Gesundheit und Wohlbefinden. Diese Themen bildeten die Diskussionsgrundlage für die folgenden drei Sitzungen. Ungefähr eine Woche vor jeder Sitzung wurden zwei Dokumente in einer Cloud zur Verfügung gestellt: Das erste enthielt hilfreiche Links zu Artikeln und Videos über das entsprechende Thema und das zweite eine Reihe von Fragen, die während der Sitzung als Leitfaden verwendet werden konnten. Dies ermöglichte allen Teilnehmenden, sich inhaltlich und sprachlich (Wortschatz, Argumente, Fragen, etc.) auf die Diskussion vorzubereiten. Da die Teilnehmenden unterschiedliche Sprachniveaus hatten, war der Zeitaufwand für die Lektüre der Texte bzw. das Betrachten der Videos sehr individuell. Aber letztendlich war es den Teilnehmenden überlassen, wie viel Zeit sie für die Vorbereitung investieren wollten. Die Sitzungen 2 bis 4 fanden jeweils an zwei Tagen statt. 5 Am Anfang jeder Sitzung wurden zwei bis sechs heterogene Kleingruppen aus drei bis vier Personen gebildet. Im Idealfall sollten alle Teilnehmenden aus unterschiedlichen Ländern stammen, doch dies war nicht immer möglich und manchmal gab es mehr als eine Person aus dem gleichen Land oder sogar von derselben Universität. Aus organisatorischen Gründen konnten die Gruppenkombinationen nicht immer wiederholt werden, was eventuell für die Entwicklung einer gewissen Vertrautheit zwischen den Teilnehmenden von Vorteil gewesen wäre. Jede Gruppe besprach sich in einem getrennten virtuellen Raum (Breakout-Room in Zoom), und jeweils eine Person war für das Aufnehmen der Sitzung zuständig, was spontan besprochen und entschieden wurde. Zu jedem Thema wurden optional ca. sechs Fragen als Leitfaden zur Verfügung gestellt. Wie mit dem Leitfaden umzugehen war, wurde den Teilnehmenden selbst überlassen, denn es gab weder eine Lehrkraft noch eine Moderatorin. Alle Entscheidungen zu Dauer und Inhalt des Gesprächs wurden intern getroffen. Die Koordinatorin besuchte gelegentlich die virtuellen Räume, nahm jedoch nur aktiv an dem Gespräch teil, wenn sie direkt angesprochen wurde, was aber selten geschah. Am Ende jeder Sitzung fand eine kurze Feedback-Runde statt, in der wiederholt auftretende sprachliche Schwierigkeiten besprochen wurden. Zum Abschluss wurde das Projekt mittels einer Umfrage intern evaluiert, die von mehr als 80% der Teilnehmenden als „sehr positiv“ oder „positiv“ bewertet wurde. 6 Außerdem gaben alle an, dass sie gerne nochmal an einem ähnlichen Projekt teilnehmen wollen würden. Die Studierenden erwähnten mehrfach, dass die Teilnahme am EN-INTERÉS zur Verbesserung der eigenen Sprachkompetenz, insbesondere in Bezug auf das interaktive Sprechen beigetragen hat, wobei sie den Austausch mit Gesprächspartner: innen aus unterschiedlichen Ländern als interessant und bereichernd erlebt haben. 5 Da die Gruppe mit 35 eine hohe Teilnehmendenzahl hatte, konnten die Studierenden auswählen, ob sie mittwochs oder donnerstags teilnahmen. Dies ermöglichte, mit kleineren Gruppen zu arbeiten, und gab den Studierenden mehr zeitliche Flexibilität. 6 Die Umfrage wurde von 26 Teilnehmenden beantwortet. Management von Spanisch-Online-Interaktionen im Rahmen eines Virtual Exchange 63 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0005 3. Sprachen lernen mittels digitaler Kooperationen: Virtual Exchange und Conversations-for-Learning Zu den Kernanliegen der Fremdsprachendidaktik gehört es, Anlässe zur Sprachpraxis und zum interkulturellen Austausch 7 zu schaffen. Als Formate bieten sich hierzu beispielsweise Virtual Exchange und Conversations-for-Learning an. Die beiden Begriffe stehen für verschiedene Arten von digitalen Kooperationen, wobei je nach Bedarf die eine oder die andere Variante ausgewählt werden kann. Beide teilen jedoch die Fokussierung auf Austausch: Im Fall von Virtual Exchange basiert dieser mehr auf interkulturellem Lernen (OʼD OWD 2018, 2021); bei den Conversations-for-Learning liegt der Schwerpunkt auf der Sprachpraxis in der Zielsprache. Im Folgenden wird auf die spezifischen Merkmale dieser beiden Formate kurz eingegangen. 3.1 Virtual Exchange Der Austausch und die Kooperation zwischen geografisch entfernten Gruppen von Studierenden ist keine Erfindung der digitalen Gesellschaft. Bereits Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts sind solche Initiativen laut D OOLY (2017: 169) dokumentiert, wie z. B. die Klassenkorrespondenz in der Freinet-Pädagogik. Allerdings konnte sich diese Art von Bestrebungen mit klarem Fokus auf die Kommunikation und den interkulturellen Austausch (B ELZ 2003) erst mit der Etablierung eines kostengünstigen Internetzugangs verbreiten, hauptsächlich in den sprachlichen Fächern und zunächst unter den Namen Telecollaboration oder Online Intercultural Exchange (O’D OWD 2007). Seit Ausbruch der Coronapandemie und im Zuge der Internationalisierung und Digitalisierung von Hochschuleinrichtungen (B RUHN 2020) erleben internationale Lehr-Lern-Projekte einen außerordentlichen Aufschwung, die mittels digitaler Kommunikationstechnologien wie bspw. Videokonferenzsystemen stattfinden - und dies über alle Fächer und Disziplinen hinweg. Für diese Initiativen hat sich im europäischen Raum der Begriff Virtual Exchange (VE) eingebürgert: Virtual Exchange refers to the engagement of groups of learners in extended periods of online intercultural interactions and collaboration projects with partners from other cultural contexts or geographical locations as an integrated part of their educational programmes and under the guidance of educators and/ or expert facilitators. ( O’D OWD 2018: 1) Unser Projekt EN-INTERÉS teilt viele Merkmale mit dieser Definition: Mit Unterstützung einer Projektkoordinatorin wurden die Teilnehmenden über einen Zeitraum von ca. zwei Monaten in einem interkulturellem Austausch mit Partner: innen unterschiedlicher Länder eingebunden. Allerdings haben die Studierenden an keiner gemeinsamen Aufgabe gearbeitet, wenn man darunter ein Endprodukt (work output) 7 „[Intercultural] exchanges typically involve tasks where partners present aspects of their culture to each other, compare their cultural practices and perspectives; or engage in discussions based on shared texts“ (OʼDowd 2021: 2). 64 Marta García García, Naiara Martínez Niño DOI 10.24053/ FLuL-2024-0005 53 • Heft 1 wie bspw. einen Unterrichtsentwurf versteht. Die einzige ‚Aufgabe‘ für die Teilnehmenden bestand darin, sich auf Spanisch über die ENLIGHT-Themen zu unterhalten. Darüber hinaus war das Projekt komplett freiwillig und kein (Pflicht-)Teil ihrer BA- oder MA-Studiengänge. Diese beiden Eigenschaften, der außercurriculare Charakter und das Sprechen in der Zielsprache, zeigen die Nähe des Projekts EN-INTERÉS zum Setting von Gesprächsrunden oder Conversations-for-Learning, dem wir uns im nächsten Abschnitt widmen. 3.2 Conversations-for-Learning In Anlehnung an K ASPER / K IM (2015) sind Conversations-for-Learning (CfL) als regelmäßige Aktivitäten außerhalb des Unterrichts zu definieren, die spezifisch als Gesprächsanlass in der Zielsprache arrangiert werden, insbesondere in Kontexten, in denen dies rar ist. CfL werden daher besonders häufig von Institutionen organisiert, die Fremdsprachenkurse anbieten, kommen aber durchaus auch in zweitsprachlichen Kontexten vor, generell unter den Namen conversation club oder language cafés (K UNITZ / M AJLESI 2022). Trotz ihres außerunterrichtlichen Charakters sind die CfL nicht mit den Begegnungen „in the wild“ (W AGNER 2015) vergleichbar, denn Letztere sind spontane (nicht arrangierte) Ereignisse, bei denen das Sprachenlernen kein primäres Ziel ist. CfL können deshalb als eine Mischform zwischen Sprachunterricht, dessen Ziele sie teilen, und spontanen Gesprächen, die sie nachahmen wollen, und damit als „nonformal institutional interaction“ (H AUSER 2008) bezeichnet werden. Sie weisen Merkmale beider Arten von Aktivitäten auf: „the flexible format enables participants to conduct their talk in a manner similar to ordinary conversation while also allowing them to contingently generate moments for teaching and learning language and culture“ (K ASPER / K IM 2015: 392). Diese Orientierung am Lehren und Lernen wird beispielsweise in den Situationen sichtbar, in denen die Teilnehmenden nach einem Wort suchen (S KOGMYR M ARIAN / P EKAREK D OEHLER 2022; C HOE / N GUYEN / V ICENTINI 2022) oder wenn kompetentere Sprecher: innen reformulieren (K UNITZ / M AJLESI 2022). Aber im deutlichen Unterschied zur Interaktion im Fremdsprachenunterricht ist die sprachliche Leistung der Teilnehmenden in einem CfL kein Bewertungsgegenstand, oder in den Worten von K ASPER / K IM (2015: 391) ausgedrückt: „the talk has no institutional consequences“. Anders als im Fremdsprachenunterricht wird zudem der Sprecherwechsel 8 nicht von der Lehrkraft zugeteilt, sondern lokal ausgehandelt (ebd.). Allerdings wurde beobachtet, dass die Präsenz einer L1-sprechenden Person häufig dazu führt, dass diese eine Moderationsrolle übernimmt und sich um die Zuteilung des Rederechts bemüht (K ASPER 2004; H AUSER 2008), was gleichzeitig Vor- und Nachteile mit sich bringt: 8 Bei der Übersetzung konversationsanalytischer Begriffe wie z.B. next speaker verzichten wir aus Gründen der leichteren Lesbarkeit auf die Verwendung einer gendergerechten Sprache. Management von Spanisch-Online-Interaktionen im Rahmen eines Virtual Exchange 65 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0005 By distributing speaking opportunities more equally among the participants, these practices advance the institutional goal of the conversation-for-learning as a site for language practice. At the same time, by moderating the talk, the conversation partners remove the need for the L2 participants to self-select for taking turns and to initiate topics ( K ASPER / K IM 2015: 397). 3.3 Forschungsstand und Forschungsfragen VE ist aufgrund seiner Popularität mittlerweile ein sehr gut erforschtes pädagogisches Format (für einen Überblick vgl. z.B. Ç IFTÇI / S AVAŞ 2018 und EVOLVE Project Team 2020). Dennoch war die Interaktion zwischen den Teilnehmenden an einem VE bisher selten Untersuchungsgegenstand wissenschaftlicher Studien, wenngleich ein VE per se ein interaktives Unterfangen ist, in dem Gespräche im Mittelpunkt stehen (bspw. B ALAMAN / S ERT 2017; D RIXLER 2022 als Ausnahmen). Es besteht vor allem Forschungsbedarf an mikroanalytischer Perspektive (D OOLY 2017). Aber auch die Forschungsliteratur zum Thema CfL ist eher spärlich. Insbesondere haben zwei Settings noch kaum wissenschaftliche Aufmerksamkeit erhalten: die CfL mittels digitaler Kommunikationskanäle (vgl. z.B. C HOE / N GUYEN / V ICENTINI 2022 als eine Ausnahme) und solche, die in der Lingua franca durchgeführt werden, d.h. zwischen Teilnehmenden unterschiedlicher L1 und ohne die Anwesenheit von Muttersprachler: innen. Das von uns durchgeführte Projekt EN-INTERÉS befindet sich nicht nur an der Schnittstelle zwischen VE und CfL (s. Abb. 1), sondern es versucht darüber hinaus, die Forschungslücken der beiden Formate zu füllen (Interaktionsmanagement einerseits; Einfluss von digitalen Medien und Lingua-franca-Setting andererseits). Abb. 1: Das Projekt EN-INTERÉS an der Schnittstelle zwischen VE und CfL Im Mittelpunkt dieses Beitrags steht zum einen das interaktionale Selbstmanagement der Gruppen, insbesondere wie die Teilnehmenden den Sprecherwechsel lokal, d.h. unter sich und in Abwesenheit einer Lehrperson, aushandeln sowie ob, von wem und 66 Marta García García, Naiara Martínez Niño DOI 10.24053/ FLuL-2024-0005 53 • Heft 1 auf welche Art und Weise die Moderationsrolle übernommen wird. Zum anderen interessieren uns die Ressourcen, auf welche die Teilnehmenden zurückgreifen, um das Gespräch in dieser digitalen Umgebung zu strukturieren. Unsere Forschungsfragen lauten demnach: 1. Wie wird zwischen den Teilnehmenden das Rederecht ausgehandelt, eingenommen, verteilt bzw. abgelehnt? 2. Welche Auswirkungen hat die Strategie des Bildschirmteilens auf Zoom auf den weiteren Gesprächsverlauf? 4. Design der Studie und Methodologie Im Rahmen des Projekts wurden 20 Videos mit einer Gesamtdauer von 870 Minuten aufgenommen, die jeweils von einer Person pro Gruppe aufgezeichnet und zentral gespeichert wurden. 9 Für den vorliegenden Beitrag wurden sechs Aufnahmen zur Analyse herangezogen, die eine gleichmäßige Auswahl der Themen sowie eine ausgewogene Vertretung der Herkunftsuniversitäten und der Teilnehmenden bieten. Wie sich Gruppen zusammensetzten und wie lange die ausgewählten Gespräche dauerten, lässt sich der folgenden Tabelle (Tab. 1) entnehmen: Teilnehmende (Herkunftsuniversität / L1) Datum und Thema der Sitzung Dauer (in Min.) Gruppe 1 Mario (Universität des Baskenlandes / Italienisch) Mar (Universität Göttingen / Spanisch) Valeria (Universität Bratislava / Slowakisch) Loreto (Universität Gent / Niederländisch) 16.12.2021 Mentale Gesundheit 38: 38 Gruppe 2 Paula (Universität Bordeaux / Hindi) Adriana (Universität Gent / Niederländisch) Jaime (Universität des Baskenlandes / Deutsch) 15.12.2021 Mentale Gesundheit 43: 14 Gruppe 3 Jade (Universität Göttingen / Deutsch) Carlos (Universität Tartu / Englisch) Abril (Universität Göttingen / Russisch) David (Universität Gent / Niederländisch) 18.11.2021 Energetische Gerechtigkeit 48: 21 9 Dieses Korpus bildet die Datengrundlage für das Promotionsvorhaben der Zweitautorin. Management von Spanisch-Online-Interaktionen im Rahmen eines Virtual Exchange 67 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0005 Teilnehmende (Herkunftsuniversität / L1) Datum und Thema der Sitzung Dauer (in Min.) Gruppe 4 Mario (Universität des Baskenlandes / Italienisch) Iris (Universität Gent / Französisch) Santi (Universität Gent / Französisch) Esther (Universität Uppsala / Türkisch) 18.11.2021 Energetische Gerechtigkeit 32: 35 Gruppe 5 Sara (Universität des Baskenlandes / Bulgarisch) Iris (Universität Gent / Französisch) Álvaro (Universität Gent / Spanisch) Jade (Universität Göttingen / Deutsch) 02.12.2021 Digitale Kluft 43: 13 Gruppe 6 Berto (Universität Gent / Niederländisch) Adela (Universität Göttingen / Deutsch) Ada (Universität Gent / Niederländisch) Jaime (Universität des Baskenlandes / Deutsch) 01.12.2021 Digitale Kluft 53: 44 Tab. 1: Datenkorpus der Studie In diesen sechs Videos wurden in einem zweiten Schritt diejenigen Sequenzen identifiziert, in denen interaktionales Management zur Gesprächsstrukturierung sichtbar wird. An erster Stelle wurden die sieben Anfangssequenzen ausgewählt, in denen die Teilnehmenden aushandeln, ob sie den Bildschirm teilen oder nicht und wer wie mit der Diskussion beginnen soll. Weiteres Selektionskriterium waren die Momente, in denen Topic Management durch folgende Phänomene beobachtbar ist: expliziter Bezug auf den Leitfaden oder lautes Lesen der Fragen sowie Initiierung oder Vertiefung von Themen, unabhängig vom vorgegebenen Rahmen. Beide Autorinnen kodierten jeweils eine Hälfte des Korpus unabhängig voneinander und im Anschluss wurden die ausgewählten Sequenzen gemeinsam besprochen. Schließlich wurde ein Konsens von sieben relevanten Sequenzen erzielt, die das Datenmaterial für den vorliegenden Beitrag bilden. Im Einklang mit der Zielsetzung und den Forschungsfragen wurde als Methode die Konversationsanalyse ausgewählt, denn sie bietet das analytische Werkzeug, die Interaktion Zug um Zug und losgelöst von inhaltlichen Aspekten zu beschreiben. Damit liegt das Interesse der Konversationsanalyse darin, Phänomene des Wie — und nicht des Was — von Gesprächen zu rekonstruieren. Das mikroanalytische Vorgehen fokussiert auf die „Details des Miteinander-Sprechens“ (H ELLER / M OREK 2016: 222) und die strenge emische Perspektive auf die Daten, welche externe Kategorisierungen und Deutungen außen vor lässt (vgl. ebd.), weshalb es sich für das vorliegende Vorhaben eignet. Aufgrund des fremdsprachendidaktischen Interesses lässt sich diese Studie im Forschungsfeld Conversation Analysis for Second Language Acquisition (CA-for-SLA) verorten (u.a. K ASPER 2006; M ARKEE 2008; K ASPER / W AGNER 2011). 68 Marta García García, Naiara Martínez Niño DOI 10.24053/ FLuL-2024-0005 53 • Heft 1 5. Eröffnungssequenzen Unter Eröffnungssequenzen bezeichnen wir den Gesprächsausschnitt zwischen dem Moment, in dem die Organisatorin (die Zweitautorin) den Breakout-Raum in Zoom verlässt, und dem Zeitpunkt, in dem die Teilnehmenden mit der inhaltlichen Diskussion (die Fragen auf dem Leitfaden) beginnen. Das Verlassen des Raums seitens der Koordinatorin ist ein zentraler Augenblick in den Videos, weil in diesem Moment die Dozentin-Studierenden-Beziehung erlischt und somit alle Gruppenmitglieder gleichzeitig in die Rolle von vollberechtigten Gesprächspartner: innen wechseln. Dieser Übergang löst eine Reihe von Aushandlungen aus: Neben der Etablierung des neuen Interaktionsrahmens zählt dazu das Teilen bzw. Nicht-Teilen des Bildschirms sowie die Zuweisung bzw. Vermeidung von Redebeiträgen. 5.1 „Puedo compartir mi pantalla“ - Ich kann meinen Bildschirm teilen Ein Beispiel für diese Aushandlungsprozesse zeigt sich im Ausschnitt (1), der dem Video der Gruppe 2 entnommen ist. Beteiligt sind Paula, Jaime und Adriana, die sich untereinander nicht kennen. Für alle drei ist dies zusätzlich die erste Sitzung des VE- Projektes. Paula hat sich gerade vorgestellt und erzählt, dass sie zurzeit als Englischlektorin an der Universität Bordeaux arbeitet. Anschließend hat sie Jaime gefragt, was er studiert. Abb. 2: Ausschnitt 1 (Zeilen 1-6) In Zeile 1 beendet Jaime seinen Redebeitrag mit der Information, dass er gerade ein Erasmussemester in Bilbao absolviert. Diese Information ist für Paula neu und scheint überraschend, wie der change-of-state Marker „ah“ (H ERITAGE 1984) und die Nachfrage („estás en Bilbao“; du bist in Bilbao mit leichter steigender Betonung) offenbaren (Z. 3). Jaime bejaht und Paula reagiert mit einer positiven Bewertung („qué interesante“, wie interessant), wobei unklar bleibt, was genau das Interessante ist. Es wirkt leicht gekünstelt; denn auch die Partikel „sí“, mit der Paula ihre eigene Bemerkung kommentiert und die Frage/ Antwort-Sequenz abschließt, entspricht keiner typischen natürlichen Redesituation. Nun wäre die dritte Teilnehmerin, Adriana, mit ihrer Selbstvorstellung an der Reihe. Aus dem bisherigen Gesprächsverlauf wäre erwartbar, Management von Spanisch-Online-Interaktionen im Rahmen eines Virtual Exchange 69 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0005 dass einer von ihren beiden Gesprächspartner: innen sie mit einer Frage (z.B. zum Wohnort oder Studium) anspricht, um sie als nächste Sprecherin zu selegieren. Dies passiert allerdings nicht, sodass Adriana ausgelassen wird. Paula nutzt die entstandene Pause (Z. 6) zur Selbstwahl: Abb. 3: Ausschnitt 1 (Zeilen 7-13) Mit dem Diskursmarker („muy bien“, sehr gut) erklärt Paula in Zeile 7 die vorangegangene (Vorstellungs-)Sequenz als beendet und bekräftigt damit ihre Moderationsrolle. Als Konsequenz dessen („pues entonces ah empezamos? “, also dann fangen wir an? ) eröffnet sie explizit eine neue Phase der Interaktion: Somit wird die (unvollständige) Vorstellungsrunde für beendet erklärt, um zu einer neuen Aktivität überzugehen. Bevor sie genau präzisiert, womit begonnen werden kann, bricht Paula ihre Turnerweiterung in Zeile 10 ab und schlägt etwas anderes vor, nämlich, dass sie ihren Bildschirm teilen kann (Z. 11). Diese Selbstreparatur und der gleichzeitige Wechsel zu einer neuen Aktivität wird vom Diskursmarker „bueno“ signalisiert (Engl. well; Dt. etwa also). Der Vorschlag wird mit der Abtönung „si queréis“ (wenn ihr wollt) ergänzt. Die Moderationsrolle, die Paula eingenommen hat, wird auch daran sichtbar: Sie organisiert das Gespräch, leitet die Phasen ein und vergibt das Rederecht. Abb. 4: Ausschnitt 1 (Zeilen 14-20) 70 Marta García García, Naiara Martínez Niño DOI 10.24053/ FLuL-2024-0005 53 • Heft 1 An diesem Punkt (Z. 14) ergreift Jaime das Wort mit dem Ausdruck „yo también“ (ich auch), mit dem er die bisherige Rollenzuweisung entkräftet, denn er sagt, dass er ebenfalls den Bildschirm teilen kann. Damit positioniert er sich als genauso fähig und zeigt gleichzeitig die Bereitschaft, diese Aufgabe zu übernehmen. Allerdings gibt Jaime zu verstehen, dass es ihm gleichgültig ist und dass Paula gerne weitermachen kann („si lo quieres (.9) hágalo“, wenn du es willst, tue es 10 ); diese Indifferenz wird mit seiner wiederholten Handbewegung nach oben und unten unterstrichen. Das Teilen des Bildschirms wird jetzt auf Augenhöhe ausgehandelt und nicht top-down von einer einzigen Person entschieden. Auf die Aufforderung von Jaime in Zeile 16 reagiert Paula mit einer Pause und einer Verzögerung, die als Dispräferenzsignale 11 fungieren (Z. 17-18). Anschließend akzeptiert sie Jaimes Vorschlag („bueno sí está bien“, ok ja es ist ok) und erteilt ihm die Erlaubnis („puedes hacerlo“, du kannst es tun). Somit behält sie ihre moderierende Rolle inne, denn sie behandelt Jaimes Turn als wäre er ein Schülerbeitrag. Jaimes Reaktion in Zeile 19 ist wiederum typisch für eine symmetrische Interaktion. Im Gegensatz zu einem schulischen bzw. institutionellen Kontext kann er das Angebot ablehnen („no“, nein). Er kommentiert sogar, dass ihm die Tatsache gelegen kommt, dass Paula zum Teilen des Bildschirms bereit ist („perfecto“, perfekt), weil er sein Dokument zuerst suchen müsste (Z. 20). Beobachten lässt sich im Laufe der Sequenz der Aushandlungsversuch, zwei unterschiedliche Partizipationsrahmen zu etablieren: ein symmetrisches Gesprächsverhältnis zwischen Interagierenden mit gleichen Rechten und ein asymmetrisches, wie es u.a. typisch für Lern- und Vermittlungskontexte ist. Abb. 5: Ausschnitt 1 (Zeilen 21-25) Obwohl die Frage nicht mehr im Raum steht, ob der Bildschirm geteilt wird, sondern nur noch, wer dies macht, unterbreitet Adriana einen alternativen Vorschlag, nämlich, 10 Im Transkript wechselt Jaime von der Du-Form („si lo quieres“) in die Sie-Form („hágalo“), was eventuell von einer Verwechslung der Imperativformen verursacht sein kann. 11 Dispräferenzsignale, wie Verzögerungen, Abtönungspartikeln, Diskursmarker usw., markieren eine Gesprächshandlung, die nicht den normativen Erwartungen entspricht (Schegloff 2007: 67 - 73). In diesem Fall wäre die erwartbare Reaktion von Paula, dass sie dem Vorschlag (Z. 14) bzw. der Aufforderung (Z. 16) von Jaime folgt. Management von Spanisch-Online-Interaktionen im Rahmen eines Virtual Exchange 71 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0005 die Fragen vorzulesen (Z. 21-22). Sowohl Paula als auch Jaime lehnen diese Möglichkeit ohne viel Argumentation schnell ab, sodass der Bildschirm nun geteilt wird. Abb. 6: Ausschnitt 1 (Zeilen 26-31) In den Zeilen 26-31 ergreift Paula erneut ihre Moderationsrolle. Sie beginnt zunächst mit dem Ausdruck „como podemos ver“ (wie wir sehen können), der eher in einen Unterrichtskontext passen würde und der einen längeren Turn bspw. eine Erklärung erwartbar macht. Sie bricht aber ab, initiiert eine Selbstreparatur und re-designt den Turn diesmal als eine Frage an ihre Gesprächspartner: innen. Damit positioniert sie sich wieder als „die Lehrerin“, die die Fragen stellt und das Rederecht verteilt. Gleichzeitig befreit sie sich geschickt vom Zugzwang, eine Antwort liefern zu müssen. 5.2 „Aquí tengo las preguntas“ - Hier habe ich die Fragen Im folgenden Ausschnitt (2) sind Abril, Jade (beide aus Deutschland), Carlos (aus den USA) und David (aus Belgien) anwesend. Die Transkription beginnt in dem Moment, in dem die Organisatorin den Breakout-Raum verlassen hat. Abb. 7: Ausschnitt 2 (Zeilen 1-7) In Zeile 1 ergreift Carlos das Wort durch Selbstwahl, benutzt den Transitionsmarker „bien“ (hier etwa gut, okay), um das Ende der vorherigen Phase und den Beginn einer 72 Marta García García, Naiara Martínez Niño DOI 10.24053/ FLuL-2024-0005 53 • Heft 1 neuen zu signalisieren. Durch die Aufforderung „empezamos“ (lasst uns beginnen) wird ähnlich wie im Ausschnitt (1) diese neue Phase als die tatsächliche Aktivität deklariert, was gestisch auch durch das Hände-Reiben als eigentlicher Arbeitsbeginn markiert wird. Ähnlich wie Paula im Ausschnitt (1) nimmt Carlos die Moderationsrolle ein und fängt an, den Rahmen für die Diskussion zu setzen. Zunächst verweist er auf die Fragen, die ihm vorliegen (Z. 2). Dabei stellt er zwei Optionen zur Disposition, nämlich entweder die allgemeine Idee der Videos zu besprechen oder direkt mit den Fragen des Leitfadens zu starten (Z. 5-6). Es folgt eine zwei-Sekunden-Pause als deutliches Dispräferenzsignal und als Zeichen, dass niemand diesen vorgeschlagenen Alternativen zustimmt. Abb. 8: Ausschnitt 2 (Zeilen 8-13) Jade lehnt mit Abtönungspartikeln sehr höflich beide Vorschläge ab („bueno quizás“, Z. 8) und macht einen vorsichtigen, im Konditional formulierten Gegenvorschlag (das eigene Herkunftsland zu nennen), der von den anderen Teilnehmenden entweder aktiv (Z. 10) oder aber schweigend angenommen wird. Carlos beginnt mit der Selbstvorstellung und erzählt, dass er aus den USA kommt, ca. 10 Jahre in Mexiko gelebt und als Englischlehrer gearbeitet hat, aber zurzeit in Estland studiert (hier ausgelassen). Management von Spanisch-Online-Interaktionen im Rahmen eines Virtual Exchange 73 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0005 Abb. 9: Ausschnitt 2 (Zeilen 14-30) Nachdem sich alle vorgestellt haben, schließt Abril die Phase mit dem Transitionsmarker „vale“ (okay) ab und schlägt vor anzufangen, wozu Carlos und David zustimmen. Erneut wird damit die Vorstellungsrunde als ein Teil heruntergestuft, der nicht zur eigentlichen Aufgabe gehört. Obwohl alle einverstanden sind anzufangen, kommt es zunächst zu einer Reihe von Verzögerungen und Pausen (Z. 17-20). Schließlich bezieht sich Abril auf die Fragen (Z. 21), signalisiert mit der abfallenden Betonung bei „preguntas“ (Fragen), dass sie das Rederecht gleich abgibt. Nun ergreift Carlos das Wort, indem er die erste Frage vorliest (Z. 23-24), die mit „tu país“ (dein Land) endet. Anstatt auf eine Antwort zu warten, gruppiert er unmittelbar im Anschluss die Teilnehmenden je nach Herkunftsland. Dadurch organisiert er die Antwortmöglichkeiten und die Gesprächsstruktur (Z. 25-26), ohne sich selbst einzuschließen. Die Pausen und Verzögerungen zeigen erneut an, dass niemand beginnen möchte und dass das Beginnen insbesondere in virtuellen Räumen eine schwierige interaktionale Handlung darstellt. Ähnlich wie Paula im Ausschnitt (1) positioniert sich Carlos als der Moderator, der das Rederecht zuweist, selbst aber - gerade deshalb - nicht an der Interaktion teilnimmt. Dies bleibt von Jade nicht unbemerkt, schließlich fragt sie ihn, welches Land er präsentieren wird (Z. 30). Mit dieser Frage wird er zum Teilnehmenden repositioniert. 74 Marta García García, Naiara Martínez Niño DOI 10.24053/ FLuL-2024-0005 53 • Heft 1 Abb. 10: Ausschnitt 2 (Zeilen 47-60) Nachdem geklärt wurde, dass Carlos über Mexiko und nicht über USA sprechen möchte (nicht im Transkriptausschnitt), schlägt er vor, dass Abril und Jade anfangen sollen, da sie beide Deutschland repräsentieren (Z. 48-49). Es entsteht wieder eine lange Pause (Z. 50), da keine den Anfang macht. Mit einer ähnlichen Vermeidungsstrategie wie Carlos fragt Jade ihre Kommilitonin, ob sie starten möchte (Z. 51), somit setzt sie Abril unter Zugzwang, die darauf zunächst nicht reagiert (Z. 52). Jade fragt nach einem anderen Vorschlag (Z. 53). Schließlich gibt Abril zu, unvorbereitet zu sein (Z. 57-59), weshalb sie nun ihre Präferenz äußert: Sie überlässt lieber ihrer Partnerin den Vortritt („mejor tú“, besser du, Z. 55). In den beiden analysierten Eröffnungssequenzen (1 und 2) sind ähnliche Praktiken beobachtbar, sowohl bzgl. des Einnehmens bzw. Zurückweisens der Moderationsrolle als auch bzgl. des Erteilens und Verzichtens auf das Rederecht. Dennoch unterscheiden sich beide Gruppen in einem wesentlichen Aspekt, nämlich im Teilen (Ausschnitt 1) vs. Nicht-Teilen (Ausschnitt 2) des Bildschirms. Im nächsten Ausschnitt wird der Frage nachgegangen, welche Auswirkungen diese Entscheidung auf die Interaktion hat. Management von Spanisch-Online-Interaktionen im Rahmen eines Virtual Exchange 75 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0005 6. Das Teilen des Bildschirms 6.1 „Seguimos con la tres“ — Wir machen mit Nummer 3 weiter Der folgende Ausschnitt ereignete sich in Gruppe 6 (s. Tab. 1). Hier nehmen Jaime (derselbe wie im Ausschnitt 1), Adela, Berto und Ada teil und diskutieren das Thema „Digitale Kluft“. Von Beginn an wurde der Bildschirm geteilt (s. Abb. 10), auf dem die Leitfragen der Sitzung abgebildet sind. Abb. 11: Geteilter Bildschirm von Gruppe 6 12 Der Ausschnitt beginnt in Minute 18 der Aufnahme, als die Teilnehmenden über die Effekte der Pandemie auf die Digitalisierung diskutieren. In den Zeilen 1-5 erzählt Jaime von der Debatte in Deutschland über die Schulschließungen während der Pandemie. Dabei wird „wieder“ (Z. 5) wie bereits im früheren Verlauf des Gesprächs 12 Auf dem geteilten Bildschirm steht folgender Text: Sitzung 2 - Die digitale Kluft. Nun kennt ihr die Situation in einigen Ländern Lateinamerikas. Besprich mit deiner Gruppe die folgenden Fragen: 1. Existiert eine digitale Kluft in deinem Land? Falls ja, in welcher Situation seid ihr? 2. Wie hat sich deiner Meinung nach die aktuelle Corona-Krise auf die Digitalisierung deines Landes ausgewirkt? 3. Denkst du, dass die Veränderungen die gesamte Bevölkerung erreicht haben? 4. Welche Folgen wird die Art und Weise, wie diese Änderungen umgesetzt wurden, deiner Meinung nach haben? 5. Wenn es in deinem Land eine digitale Kluft gibt, was ist deiner Meinung nach die Lösung, um sie zu überwinden? 6. Denkst du, dass andere Lösungen, die von anderen Personen in deiner Gruppe vorgeschlagen wurden, auch in deinem Land auch angewendet werden könnten? 76 Marta García García, Naiara Martínez Niño DOI 10.24053/ FLuL-2024-0005 53 • Heft 1 angemerkt, dass kein allgemeingültiges Kriterium in dieser Ausnahmesituation vorgeherrscht hat. Abb. 12: Ausschnitt 3 (Zeilen 1-18) Jaimes langer Multi-Unit-Turn schließt, ohne den nächsten Sprecher zu selegieren oder eine nächste Handlung relevant zu setzen. Es kommt also zu einer topic-closing Sequenz mit Pausen und Rezeptionssignalen (Z. 6-10). Darauf folgt der Vorschlag von Berto, mit der Beantwortung der Leitfaden-Fragen fortzufahren („pues seguimos“, Z. 11). Dieser Beitrag wird von Jaime vervollständigt („con la tres“, mit der Nummer drei, Z. 13) und von Berto abschließend ratifiziert. Nach einer vier-Sekunden-Pause (Z. 15) ergreift Adela das Wort und erläutert ihre Meinung zur Verbreitung der digitalen Veränderungen. Ihr Turn ist als Antwort, d.h. als zweiter Paarsequenzteil einer Frage-Antwort-Sequenz realisiert, ohne dass die Frage (der erste Teil) verbalisiert wurde. Dies erscheint den Gesprächsteilnehmenden unnötig, da der Leitfaden mit den Fragen allen sichtbar vorliegt. Der geteilte Bildschirm übernimmt hier die Funktion einer Sprecherinstanz (bzw. die Moderationsfunktion). Die Länge der Pause in Zeile 15 lässt sich damit erklären, dass die Teilnehmenden einen Teil der vier Sekunden in die Lektüre der Frage investiert haben. Darüber hinaus wird die Formu- Management von Spanisch-Online-Interaktionen im Rahmen eines Virtual Exchange 77 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0005 lierung der Frage in Adelas Turn praktisch wortwörtlich wiederholt: eine Praktik, die eher in formellen, institutionellen Kontexten (wie z.B. im Unterricht) üblich ist. 6.2 „Mucho sol“ - Viel Sonnenschein Ein gänzlich anderes Interaktionsmuster findet sich in Ausschnitt (4), in welchem die Gruppe 7 (wie im Ausschnitt 2), d.h. Carlos, Jade, Abril und David, über das Energiemodell ihrer jeweiligen Länder diskutieren. Carlos, der − wie wir im Ausschnitt 2 gesehen haben − aus der mexikanischen Perspektive spricht, erklärt in den Zeilen 1- 4, wie die mexikanische Regierung es gerade versäumt, den Wandel zu erneuerbaren Energien zu vollziehen. Abb. 13: Ausschnitt: 4 (Zeilen 1-18) Da niemand nach Carlos Turn das Wort ergreift (Z. 5), spricht er weiter und fragt sich laut, was er noch („qué más“) erzählen kann. Somit bleibt er wegen der fehlenden Turnübernahme aufgrund der Pausen und Verzögerungen (Z. 7-9) als nächster Sprecher legitimiert und auch verpflichtet. Erst dann wirft Jade eine Rückfrage zu Mexikos Energiemodell auf (Z. 11-17), zu der sie mit der Rückversicherungsformel (verdad? ) nach Zustimmung fragt. Dies durchbricht das Muster der abwechselnden Berichte und führt zu einem spontaneren und interessengeleiteten Gesprächsverlauf, bei dem die 78 Marta García García, Naiara Martínez Niño DOI 10.24053/ FLuL-2024-0005 53 • Heft 1 vorgegebenen Themen vertieft werden und neue aus den Fragen der Teilnehmenden entstehen. 7. Diskussion der Ergebnisse und Fazit Hinsichtlich der Aushandlung der unterschiedlichen Gesprächsrollen lässt sich zur Beantwortung der ersten Forschungsfrage festhalten, dass Teilnehmende mit Erfahrung als Sprachlehrkräfte (wie Paula und Carlos) dazu tendieren, Moderationsaufgaben übernehmen zu wollen. Sie übernehmen die Aufgabe der Gesprächsorganisation, indem sie versuchen, den Ablauf festzulegen, das Rederecht zu verteilen, oft den nächsten Sprecher durch Fragen zu selegieren und sich selbst von der Antwortpflicht auszuschließen. Mit diesen sprachlichen Handlungen ähnelt der Gesprächsverlauf einer Lehr-Lern-Interaktion: Er entspricht mehr for learning in einem institutionellen Kontext als conversation in einem informellen. Die Reaktion der anderen Teilnehmenden hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie zum Beispiel ihrer Interaktions- und Sprachkompetenz. Diejenigen Teilnehmenden mit einer höheren Kompetenz wie Jaime und Jade lehnen die Einteilung als vermeintliche Schüler: innen ab und in der Regel gelingt es ihnen, einen symmetrischen Partizipationsrahmen herzustellen. Hingegen neigen Teilnehmende mit geringeren Sprachkenntnissen wie David oder Ada dazu, die Lernenden-Rolle zu akzeptieren. Besonders erwähnenswert sind Teilnehmende mit guten oder sehr guten Sprachkenntnissen, wie Adriana im ersten Beispiel (s. insbesondere Abb. 2), die es jedoch nicht schaffen, sich als interaktiv kompetent darzustellen. Da die Interaktionskompetenz, so wie diese aktuell definiert wird (N GUYEN 2019; P EKAREK D OEHLER 2021a, 2021b), keine absolute, unveränderbare Eigenschaft einer Sprecher: in ist, sondern kontingent und von der konkreten Situation abhängig, bleibt abzuklären, inwiefern sich Teilnehmende wie Adriana mit anderen Gesprächspartner: innen auch anders zeigen würden. Darüber hinaus ist eine wichtige Erkenntnis der Analyse, dass die Teilnehmenden einerseits die Fragen des Leitfadens als die Hauptaufgabe bzw. als die Aufgabe verstanden haben und sich daran stark orientieren. Andererseits und unabhängig von der Rolle, die sie übernehmen, neigen die Teilnehmenden dazu, keine Initiative beim Beantworten der Fragen ergreifen zu wollen. Dafür setzen sie hauptsächlich zwei Strategien ein: a) Sie lesen die Fragen vor und setzen somit die anderen unter Zugzwang oder b) sie sagen, sie hätten sich nicht ausreichend vorbereitet. Auch bei der Frage nach den Auswirkungen des Bildschirmteilens auf den weiteren Gesprächsverlauf zeigen sich Unterschiede zwischen den Gruppen. Diejenigen, die auf die Bildschirmfreigabe verzichtet haben, rahmen die Aktivität eher als eine gemeinsame Diskussion. Sie unterbrechen sich mehr und stellen Fragen über den Leitfaden hinaus, die ein eigenes Interesse am Thema zeigen. Die Pausen zwischen den verschiedenen Sprecher: innen sind kürzer, und das Gespräch wirkt insgesamt flüssiger. Wenn sich die Gruppen hingegen für die Bildschirmfreigabe entscheiden, nimmt das Gespräch eher die Form einer institutionellen Lehr-Lern-Interaktion an, denn alle Management von Spanisch-Online-Interaktionen im Rahmen eines Virtual Exchange 79 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0005 Beteiligten orientieren sich am Abarbeiten der Fragen. In solchen Fällen sind die Pausen länger und es werden keine weiteren Fragen zwischendurch gestellt. Die Gespräche verlieren somit an Spontaneität. Da der Zweck des EN-INTERÉS-Projekts darin bestand, den Teilnehmenden die Möglichkeit eines informellen Austausches über aktuelle, relevante Themen anzubieten, ohne ein Klassenzimmergespräch zu reproduzieren, lässt sich generell die Empfehlung aussprechen, den Bildschirm bei solchen Gelegenheiten nicht zu teilen. Darüber hinaus könnte es, sofern organisatorisch möglich, von Vorteil sein, die Teilnehmenden abwechselnd mit Gesprächspartner: innen ähnlichen und unterschiedlichen Sprachniveaus einzuteilen. Allerdings sind weitere, umfangreichere Studien notwendig, um das Verständnis zu vertiefen, wie solche Empfehlungen konkret die Interaktion im Rahmen eines VE oder online CfL beeinflussen können. Literatur B ALAMAN , Ufuk / S ERT , Olcay (2017): „The coordination of online L2 interaction and orientations to task interface for epistemic progression“. In: Journal of Pragmatics 115, 115-129. B ELZ , Julie A. (2003): „From the Special Issue Editor“. 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In: C ADIERNO , Teresa / E SKILDSEN , Søren W. (Hrsg.): Usage-based Perspectives on Second Language Learning. Berlin: De Gruyter/ Mouton, 75-102. 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0006 S VENJA M EIER , G ÖTZ S CHWAB * Identitätsarbeit und Rollenverständnis durch persönliche Narrationen in Virtuellen Austauschen zwischen deutschen und israelischen Studierenden Abstract. Digitalization is essential in daily life, especially in education, and has been further emphasized by the COVID-19 pandemic since 2020. Schools and universities are demanding digital development. To date, little progress has been made in virtual and transnational exchange programs for foreign language student teachers from diverse cultural backgrounds. These learners could greatly benefit from enhanced development of foreign language and intercultural communicative competencies (O’Dowd 2006, 2021). A group of Israeli and German students took part in a four-week virtual exchange project. The students collaborated on concepts for their future foreign language classroom, drawing from their (digital) pandemic experiences. Zoom meetings were recorded and multimodally transcribed for research purposes. The essay provides insight into a conducted PhD research project analyzing online personal narratives resulting from given impulses and assigned tasks. Using a phenomenological approach, an example sequence was selected. The findings will illuminate the discourse development of participants' secondary conversations („off-task-talks“) and their (situated) concept of roles and identities presented in the discourse. 1. Einleitung Bereits vor der COVID-19 Pandemie sammelten viele Studierende interkulturelle Erfahrungen in der digitalen Welt (R ICHARDSON , 2016). Im Hochschulkontext finden diese häufig im Kontext von Virtual Exchange/ Virtueller Austausch oder Collaborative Online International Learning (COIL) statt (S CHWAB / D RIXLER 2020). Mit diesem Konzept wird im Allgemeinen die Zusammenarbeit von Personen aus unterschiedlichen Ländern zu einem bestimmten Thema verstanden. Manche kollaborativen Projekte (B AILEY / R AKUSHIN -L EE 2021) folgen außerdem dem Konzept der blen- * Korrespondenzadressen: Svenja M EIER , wiss. Mitarbeiterin, Institut für Englisch, Pädagogische Hochschule Ludwigsburg Reuteallee 46, 71634 L UDWIGSBURG . E-Mail: svenja.meier@ph-ludwigsburg.de Arbeitsbereiche: Conversation Analysis, Virtual Exchange, Teacher Education Research Prof. Dr. Götz S CHWAB , Institut für Englisch, Pädagogische Hochschule Ludwigsburg Reuteallee 46, 71634 L UDWIGSBURG . E-Mail: goetz.schwab@ph-ludwigsburg.de Arbeitsbereiche: Virtual Exchange, Conversation Analysis (for SLA), Digitalization, Bilingual Teaching (CLIL), Classroom Research 82 Svenja Meier, Götz Schwab DOI 10.24053/ FLuL-2024-0006 53 • Heft 1 ded mobility (B ÖHMER / I SSO / S CHWAB / S AHIN 2022: 3), indem sich die teilnehmenden Studierenden gegenseitig besuchen (W ALDMAN / H AREL / S CHWAB 2019). Erworbene Kompetenzen gehen hierbei über traditionelle Konzepte wie Lesen und Schreiben hinaus (R EDING 2007 zitiert in B UCKINGHAM 2009), denn sie umfassen eine weltoffene Kompetenzentwicklung, wobei die Studierenden ihr Interesse an anderen Kulturen bekunden und mit ihrer eigenen vergleichen (O’D OWD 2021: 2). O’D OWD (2021) stellt bei seinen Untersuchungen fest, dass die Studierenden durch digitale Projekte vorhandene Stereotypen überwinden und Empathie entwickeln, ohne dabei auf oberflächliche Unterschiede fixiert zu sein. Identitätsarbeit bedeutet dabei die Auseinandersetzung mit sich selbst als Individuum und im sozialen Kontext (N ORTON 2000). Gerade an dieser Stelle können COIL-Projekte einen Rahmen für interkulturelle Begegnungen schaffen, in denen der Erfahrungsaustausch die Studierenden ermutigt, die eigene sowie auch ihre professionelle Identität als angehende Lehrende zu reflektieren und zu hinterfragen. Narrationen spielen hierbei eine bedeutende Rolle, da die erzählten Geschichten und der Erfahrungsaustausch die eigene Rolle innerhalb der Interaktion sichtbar macht und gleichzeitig die eigene Wahrnehmung (B IETTI ET . AL 2017; F IVUSH 2011) und die der anderen Studierenden beeinflusst. Die geteilten Erzählungen erweitern den persönlichen Horizont und bilden die Basis einer (temporären) Gemeinschaft, welche gemeinsame Interessen vertritt und zugleich an Unterschieden wächst (O ES - TERLE / S CHWAB / H OFFMANN / B ALDWIN 2020; O ESTERLE 2022). Besonders die Sprachnutzung, welche für die Teilnehmenden in COIL-Projekten überwiegend fremdsprachlich ist, hat dabei einen wichtigen Stellenwert. Hierbei stellen sich die Studierenden nicht nur auf unterschiedliche Sprachen ein, sondern auch auf die kulturell unterschiedlichen Ausdrucksweisen. Die Art und Weise, wie die Teilnehmenden sich ausdrücken, sich gegenseitig im Diskurs respektieren und aufeinander eingehen, kann somit das gegenseitige Verständnis und Akzeptanz fördern oder dem auch entgegenwirken (F IVUSH 2011). Folglich soll im Rahmen dieser Arbeit der Frage nachgegangen werden, wie sich die Identitätsarbeit und das Rollenverständnis von Lehramtsstudierenden einer Fremdsprache (foreign language student teachers) in den einzelnen Narrationen manifestieren. Der gewählte phänomenologische Ansatz ist in der ethnomethodologischen Konversationsanalyse (S ACKS et. al. 1992) begründet und stellt die Grundlage für die Interpretation der Daten her. Methodologisch erweitert werden soll diese Vorgehensweise durch die Zuhilfenahme der Kulturellen Diskursanalyse (Cultural Discourse Analysis, CuDA) nach C ARBAUGH (2007). Dadurch wollen wir den Blick auf und das Verständnis für das interkulturelle Handeln der Partizipienten spezifizieren und näher beleuchten. Eine solche Erweiterung der konversationsanalytischen Herangehensweise hat sich bereits in zahlreichen anderen Studien bewährt (z.B. K ENDRICK 2017; E ILITTÄ ET AL . 2023; S IDNELL / S TIVERS 2012). Die Erkenntnisse dieser Arbeit sollen dazu beitragen, das Verständnis für die komplexe Dynamik von Identitätsarbeit und Rollenverständnis im interkulturellen Kontext zu vertiefen und Impulse für zukünftige COIL-Projekte zu geben. Identitätsarbeit und Rollenverständnis durch persönliche Narrationen 83 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0006 2. Konzeptionelle Einordnung 2.1 Identitätsarbeit und Rollenverständnis Zu Beginn des Beitrags werden verschiedene theoretische Ansätze und Perspektiven beleuchtet, die die Grundlage für das Verständnis von Identitätsarbeit und Rollenzuweisung bilden. Jede Interaktion beinhaltet einen Prozess zur Bildung und Wahrnehmung individueller Identitäten in sozialen Kontexten. Es ist eine Auseinandersetzung zwischen dem Ich und dem Du (N ORTON 2000; K LEINKE / H ERNÁNDEZ / B ÖS 2018). Dies impliziert u.a. die Frage, ob das persönliche Verständnis von der Welt mit dem der Mitmenschen übereinstimmt oder ob die eigenen Wertvorstellungen angepasst werden müssen, damit das Zusammenleben gelingt. In der einschlägigen Literatur gibt es bereits zahlreiche Studien, die sich mit der individuellen Identitätsbildung im digitalen Raum auseinandersetzen. Innerhalb dieses Forschungsfeldes konzentriert sich ein spezifischer Bereich z.B. darauf, wie Ich- Aussagen in Blogs verwendet werden (S ALONEN , 2018). Der Identitätsbegriff richtet sich hier nach den Definitionen von N ORTON (2000) und B UTLER (2006). Unter Identität wird verstanden, wie sich ein Individuum im Verhältnis zur restlichen Welt positioniert (N ORTON 2000: 5) und wie Einzelne ihr Konzept von Identität innerhalb sozialer Strukturen im täglichen Leben konstruieren (N ORTON 2000: 5) sowie performativ zum Ausdruck bringen (B UTLER 2006; A MOTT 2021). Gerade in diesem Zusammenhang thematisiert N ORTON (2013) die Wichtigkeit und Bedeutsamkeit der Sprachnutzung. Zur konzeptionellen Schärfung soll an dieser Stelle die Sichtweise von D AVIES / H ARRÉ (1990) in der Definition für das Rollenverständnis herangezogen werden: Taking conversation as the starting point we proceed by assuming that every conversation is a discussion of a topic and the telling of, whether explicitly or implicitly, one or more personal stories whose force is made determinate for the participants by that aspect of the local expressive order which they presume is in use and towards which they orient themselves (ebd: 7, unsere Betonung). Dies bedeutet, dass Identitäten im permanenten Wandel sind. Identitäten wird hier bewusst im Plural gewählt, da Interaktanten je nach Kontext (N ORTON 2000) und auf der Grundlage von Herkunfstkultur (home culture) Umgebung oder Erziehung (G EE 2015; B UTLER 2006) eine andere Identität konstruieren. Die eigene Identität formt sich, wie am Anfang beschrieben, individuell und in der Auseinandersetzung mit anderen (N ORTON 2000: 5). Folglich ist der Einblick über das individuelle Rollenverständnis (D AVIES / H ARRÉ 1990; A MOTT 2021), welches jemand in einer autobiographischen Erzählung bietet, relevant für die Positionierung innerhalb der Gruppe oder Gemeinschaft (Community). Community meint in diesem Zusammenhang den Zusammenschluss einer sozialen Gruppe, die aufgrund ihrer sozialen oder geografischen Herkunft gemeinsame Ziele und Werte vertritt und gemeinsame Erfahrungen sammelt (M C M ILLAN 1996), häufig auch temporär (O ESTERLE 2022). Jedoch bedarf es der sprachlichen Mittel, um diese Erfahrungen zu teilen. Ohne 84 Svenja Meier, Götz Schwab DOI 10.24053/ FLuL-2024-0006 53 • Heft 1 Sprache bleibt die Sichtbarkeit einer Person auf das Äußerliche beschränkt (M C B RIDE 2014). Speziell im digitalen Kontext ist die visuelle Sichtbarkeit des Gegenübers eingeschränkt, und oft kann nur die Sprache, ohne Gestik und Mimik, mehr Einblicke in das Leben und Denken des anderen leisten. Auch im internationalen Kontext bedarf es der Sprachnutzung, um Brücken der Verständigung zu bauen. Durch die in einem COIL Projekt gestellten Aufgaben und den damit verbundenen Austausch zeigt sich die individuelle Kultur, und die Gespräche bieten einen Raum, um sich über Ähnlichkeiten und Unterschiede auszutauschen (O’D OWD 2021: 11). Unser Kulturbegriff richtet sich nach dem soziokulturellen Konzept von Barbara R OGOFF (2003). Ihrer Ansicht nach wird Kultur durch die Traditionen innerhalb verschiedener Strukturen und Institutionen geformt, wie beispielsweise der Familie (ebd.: 10). Dabei ist die menschliche Entwicklung ein nie endender Prozess, der durch die Interaktion in kulturellen Aktivitäten geprägt wird und diese wiederum die Kultur beeinflussen (ebd.: 37). Die dabei verwendete Sprache, in diesem Kontext Englisch, wird als Medium („vehicle“, K ACHRU 1992) verwendet, um z.B. problem- und leistungsorientiert zu arbeiten (O’D OWD 2021: 3). Teilnehmende können sich beispielsweise bei einem solchen interkulturellen Projekt über ihre länderspezifischen Bildungswege austauschen (W ALDMAN / H AREL / S CHWAB 2016). O’D OWD (2011) skizziert in einer qualitativen Inhaltsanalyse die Ergebnisse einer Studie, in der Studierende an einem kooperativen virtuellen Austausch teilgenommen haben. Die Mehrsprachigkeit und Vielfältigkeit des kulturellen Austauschs, welcher zu der Zeit noch als Telekollaboration (heute: COIL/ Virtual Exchange) bezeichnet wurde, ermöglicht eine Zusammenarbeit, in der beide Seiten sich mit der Sprachkultur des anderen befassen (ebd.: 2). Mit Sprachkultur ist die Kombination aus Sprache und Kultur gemeint, in der mehrere Faktoren wie soziale Normen und Werte, miteinander verflochten sind und welche auf der Grundlage von vergangenem Wissen existieren. Hier stellt sich die Frage, wie Narrationen, die außerhalb der gestellten Aufgaben (off-task-talks) stattfinden, gestaltet werden, um persönliche Geschichten der Identitätskonstruktion zu erzählen. 2.2 Narrationen - eine konversationsanalytische Sichtweise In unserer Studie greifen wir auf unterschiedlichen methodologischen Ansätzen zurück, um den Spannungsbogen zwischen sprachlicher Interaktion und (inter-)kulturellem Handeln besser und umfassender abbilden zu können. Die grundsätzliche Herangehensweise an das Datenmaterial basiert auf der Konversationsanalyse (KA) (S ACKS et. al. 1992). Damit wollen wir die systematische und zugleich mikroanalytische Perspektive vom Gesprochenem in alltäglichen menschlichen Interaktionen untersuchen. H UTCHBY / W OFFITT (2008) nutzen den Begriff „talk-in-interaction“ (ebd.: 11) und bezeichnen damit natürliche Gespräche, die durch transkribierte Videoaufnahmen sichtbar gemacht werden können. Durch die konversationsanalytische Aufarbeitung werden Interaktionsprozesse an der sprachlichen Oberfläche herausgearbeitet und verdeutlicht („next-turn proof procedure“, ebd.: 41). Eine ergänzende Identitätsarbeit und Rollenverständnis durch persönliche Narrationen 85 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0006 Sichtweise wird von G EE (2011) vertreten, der sich diskursanalytisch mit der Bedeutung des Gesagten („informing“) im Zusammenhang mit dem Tun („doing“) und dem Sein („being“) auseinandersetzt (ebd.: 8). (vgl. ebd. „language has meaning only in and through social practices“: 12). Er macht dies an sieben Faktoren fest: Signifikanz, Gebrauch, Identitäten, Beziehungen, Politik, Verbindungen und das System der Zeichen (ebd.: 17-20) und untersucht damit wie Sprache genutzt wird, um etwas Signifikantes mitzuteilen (ebd.: 17-18). Ähnlich wie bei B UTLER (2006) handelt es sich bei dem Konzept der Identität um performatives Handeln, welche in Abhängigkeit zum Kontext steht. Hierbei spielen die Beziehungen eine wichtige Rolle, denn die Art und Weise, wie Sprache genutzt wird, sagt etwas darüber aus, in welchem Verhältnis die Gesprächsteilnehmer zueinanderstehen (G EE 2011: 19). Laut C ARBAUGH (2017) erfolgt beim Sprechen immer eine Auseinandersetzung mit der Persönlichkeit und anderen sozio-kulturellen Faktoren (ebd.: 17). Um diese Einflussfaktoren im interkulturellen Forschungskontext zu berücksichtigen, kann die Kulturelle Diskursanalyse (CuDA) als Ergänzung herangezogen werden. Beim Kulturbegriff wird in dieser Arbeit auf C ARBAUGH (2005): From this view, then, culture is not a physical place, a social group of people, nor a whole way of living, although it does create, when used, mutually intelligible senses of place, persons, and patterns of living. What culture is, from this view, is a system of expressive practices that is fraught with feeling, and grandly implicates beliefs about persons, places, and patterns of living (ebd.: 60). und H OFSTEDE (2011): „Culture is the collective programming of the mind that distinguishes the members of one group or category of people from others“ (ebd.: 3) zurückgegriffen. Das bedeutet, dass jedes Individuum Teil einer Kultur und somit einer Gruppe zugehörig ist. Diese Gruppe wird durch gemeinsame Wertvorstellungen, wie beispielsweise Religion, oder Herkunft definiert. Aber auch das Geschlecht oder die Berufsgruppe sind jeweils eine eigene Kultur. Laut C ARBAUGH (2007) stellt sich die Frage, inwiefern die Kommunikation durch das kulturelle Tun, sprich die Interaktion innerhalb einer Gruppe, geprägt ist und welche für die Community bedeutungsvolle Inhalte hierbei generiert werden (ebd.: 168). Folglich ist für ihn Kommunikation eine Sprachhandlung (‚Performanz‘) innerhalb einer Kultur (ebd.: 169). Um auf der Basis der CuDA Gespräche zu analysieren, bedarf es laut C ARBAUGH (2007) fünf Interpretationsebenen: sein (being), betreffen (relating), tun (acting), fühlen (feeling) und wohnen (dwelling) (ebd.: 174). Insbesondere Narrationen transportieren umfassendes Wissen über eine Kultur und geben dieses an die nachkommenden Generationen sprachlich-interaktional weiter (B IETTI et. al 2017). Geschichten zu erzählen ist ein sozialer Akt, welcher für das Zusammenleben von Nöten ist (D UNBAR 2014) und in der Literatur als „social cohesion“ (B IETTI et. al 2019: 724) bezeichnet wird. Verschiedene Formen von Geschichten lassen sich in jeder Gesellschaft wiederfinden (H EATH 1983; S CALISE S UGIYAMA 2001). Sie können gleichsam eine Parallelwelt erschaffen, mit physischen, sozialen und mentalen Wirklichkeiten, in denen der/ die Erzählende Erinnerungen über Inhalte, 86 Svenja Meier, Götz Schwab DOI 10.24053/ FLuL-2024-0006 53 • Heft 1 Ort und Zeit (F IVUSH 2011) weitergibt oder die gesammelten Erfahrungen teilt (B ROWN 2017). Besonders Fremdsprachenlernende greifen auf das Wissen aus ihren gemachten Erfahrungen zurück (vgl. K RAMSCH 2014). In der (fremd-)sprachlichen Begegnung generieren sie eine neue Community (ebd.: 303). Bei Betrachtung dieser Kommunikationsprozessen soll analysiert werden, wie die Gesprächsteilnehmer ihre Realität in dem Prozess konstituieren (D EPPERMANN 2008) und relevante Inhalte bezüglich ihrer Identität und ihres Rollenverständnisses in der Interaktion zur Geltung kommen. Eine ergänzende Sichtweise durch die CuDA soll bei der Beantwortung der Frage nach dem „Wozu? “ dienlich sein und einen Einblick darüber geben, wie die Beziehungsarbeit („relating“, C ARBAUGH 2007; G EE 2011) zur social cohesion, nämlich zum sozialen Zusammenhalt, in der temporären Community beiträgt. 3. Datensammlung und Methodik Die hier benutzten Daten wurden im Rahmen eines vom DAAD geförderten Seminars an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg (Deutschland) und am Kibbutzim College of Education, Technology and the Arts in Tel Aviv (Israel) erhoben. Das Digital and International Virtual Academic Cooperation (DIVA)-Projekt (B ÖHMER et. al. 2022) fand im Sommersemester 2021 statt, an dem insgesamt 43 Lehramtsstudierende teilnahmen. Darunter waren 10 männliche und 33 weibliche Studierende aus Deutschland und Israel. Aufgrund der Ausbildungsstruktur war der Altersunterschied sehr groß, sodass zwar beide Gruppen einen Master-Studiengang besuchten, aber die deutschen Studierenden im Alter von 21 bis 27 Jahren waren, während die israelischen Studierenden teilweise 10 bis 25 Jahre älter waren und viele bereits eine vorherige Ausbildung oder ein Studium absolviert hatten. Aus diesem Grund brachten die israelischen Studierenden eine andere Lebens- und Berufserfahrung mit, die sie nun durch ein einjähriges Lehramtsstudium erweiterten und eine Lehrerlaubnis erwerben konnten.Über einen Zeitraum von vier Wochen setzten sich die Studierenden gemeinsam über synchrone digitale Meetings auf der Plattform Zoom mit kleineren Projekten und Aufgaben auseinander, welche sich mit der COVID-Pandemie befassten. Der Begriff „Meeting“ soll an dieser Stelle nicht als umgangssprachlicher Ausdruck genutzt werden, sondern beschreibt ein Treffen mit Austausch auf beruflicher bzw. akademischer Ebene (C AMBRIDGE D ICTIONARY 2014). Bei diesen Meetings erstellten die Studierenden mithilfe digitaler Medien Konzepte für die eigene Lehrpraxis. Diese enthielten pädagogische und methodische Herangehensweisen, welche die Studierenden als Konsequenz aus der Lehre im Lockdown zogen. Beispielhaft hierfür wären der Mehrwert und Einsatz von digitalen Medien im regulären Unterricht. Zu Beginn jeder Sitzung stellten die beiden kooperierenden Dozierenden die Aufgaben vor und organisierten die verschiedenen Breakout Rooms, in denen sich die Studierenden in ihren Gruppen einfinden konnten. In den ersten beiden Sitzungen Identitätsarbeit und Rollenverständnis durch persönliche Narrationen 87 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0006 bekamen die Studierenden die Möglichkeit, sich gegenseitig kennenzulernen und über Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede zu sprechen. Dafür wurden zwei Padlets erstellt, die zum einen eine Landkarte zeigten, auf der die Studierenden ihren Wohnort markieren sollten, und zum anderen persönliche Artefakte aufführte. Beide Padlets wurden vorab von den Studierenden mit Informationen bestückt und bildeten eine Basis für die Kennenlerngespräche. In den letzten beiden Sitzungen sollten sich die Studierenden mit der Schul- und Unterrichtspraxis während der COVID-19-Pandemie auseinandersetzen. Jede der vier Sitzungen wurde aufgezeichnet (insgesamt 10 Stunden und 31 Minuten) und mit TRANSANA nach den Vorgaben von GAT 2 transkribiert (S ELTING et al. 2009) und mikroanalytisch aufbereitet. Bei der Sichtung der Videos zeigten sich Unterschiede in der Gesprächsentwicklung und Intensivität der Auseinandersetzung mit dem Erzählten. Dieses Phänomen erweckte das Interesse für eine genauere Betrachtung der unterschiedlichen Sequenzen. Daher wurden Exzerpts, die dieses Phänomen aufzeigten in einer Excel-Übersicht mit Zeitangaben festgehalten und sortiert. Anschließend wurden einzelne Sequenzen als exemplarische Phänomene herausgenommen und multimodal transkribiert. MAXQDA wurde hierbei zur Sortierung der Auffälligkeiten und Beobachtungen genutzt. Abb. 1: Sortierung in MAXQDA Um die Entwicklung der Narrationen im Diskurs sichtbar zu machen, wurde die social cohesion, sprich die Aspekte des relatings, beim Sortieren in Teilaspekte untergliedert. Hierunter fallen: aktives Zuhören, Fragen stellen, Komplimente machen und die Reaktionen darauf, so wie die Reaktionen auf das Gesagte und das Stellen von weiterführenden Fragen. Mithilfe dieser Unterkategorien konnte das Exzerpt analysiert werden. Durch diese Herangehensweise wurden die Reaktionen der Teilnehmenden offengelegt (vgl. S ALONEN 2018), die für das Fortführen der Gespräche ausschlaggebend sind. 88 Svenja Meier, Götz Schwab DOI 10.24053/ FLuL-2024-0006 53 • Heft 1 Nach dem das „Wie“ der Gesprächsführung farblich sichtbar gemacht wurde, konnte durch das Heranziehen der CuDA das „Wozu“ analysiert werden. An dieser Stelle wurden die oben genannten fünf Faktoren des CuDA: being, relating, acting, feeling und dwelling in Betracht gezogen und im Verhältnis zu den Fragen nach: professional identity (Professionelle Identität), emotions (Emotionen), COVID-19, interests (Interessen), attitude (Einstellung) und die social cohesion (Beziehungsarbeit) gesetzt. Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse soll die anschließende Analyse die Entwicklung der Narrationen in den Gesprächen aufzeigen und die CuDA-relevanten Faktoren beleuchten. Beides ist für die Beantwortung der anfänglich gestellten Forschungsfrage: Wie sich die Identitätsarbeit und das Rollenverständnis von Lehramtsstudierenden einer Fremdsprache (foreign language student teachers) in den einzelnen Narrationen manifestieren, von Interesse. 4. Datenanalyse & Interpretation Die hier ausgewählte Sequenz, entstand während des ersten Meetings von Gruppe 3. Die Gruppe bestand aus drei deutschen Studierenden (einer männlichen und zwei weiblichen Personen) und aus drei weiblichen israelischen Studierenden. Die Studierenden widmeten sich nach etwa der Hälfte des Meetings dem zweiten Padlet und präsentierten ihre Artefakte. Aus dieser Kennenlernphase stammt das vorgelegte Exzerpt, an dem sich drei Studierende aktiv beteiligten, eine aus Israel, welche im Folgenden als I1 bezeichnet wird, und zwei aus Deutschland, welche als G1 (weiblich) und G2 (männlich) bezeichnet werden. Transkript 1 G2 stellt die Frage, ob er als Nächster sein Artefakt vorstellen soll, nachdem keiner das Gespräch fortsetzt und so eine kurze Pause entsteht (Z. 35-36). In seinem anschließenden Redebeitrag geht G2 explizit auf sein Artefakt ein. Er entschied sich für die Fotografie seiner Spielkarte und den dazugehörigen Würfeln aus dem Spiel „Magic: The Gathering“ (Z. 43-44). Diese Abbildung vereint seine beiden Interessen: Kartenspiele und Fotografie, die zu einer Vielzahl seiner Hobbies gehören (Z. 43-47). Identitätsarbeit und Rollenverständnis durch persönliche Narrationen 89 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0006 Interessanterweise leitet G2 sein Gespräch ein, indem er offenbart, dass er ein „Nerd“ sei (Z. 37). Gleichzeitig verweist er darauf, dass alle anderen etwas „Normales“ hochgeladen hatten und er sich mit seinem Upload mehrfach als „Nerd“ definiert (Z. 40- 42). Seine Manier sich selbst so zu bezeichnen, schafft für die anderen eine angenehme Atmosphäre und fungiert als eine Art Icebreaker. Das zeigt sich darin, dass alle in sein Lachen einstimmen (Z. 38-39). Interessant ist an dieser Stelle auch, dass G2 das Thema „Nerd“ erneut aufgreift und sagt, dass sogar mehrere Faktoren dafürsprechen, dass er als solches bezeichnet werden kann, wohingegen alle anderen normal seien (Z. 40-42). Transkript 2 Seine Entscheidung sich als ‚Nerd‘ zu bezeichnen, bekräftigt G2 in Zeile 53 erneut, indem er sagt: „yeah I don’t know I’m a nerd what else to say“. Mit seiner Art und Weise, das auszudrücken, lässt er keinen Raum für die anderen, darauf zu reagieren. Intonation und Gesichtsausdrücke von G2 sind bezeichnend für seine Aussagen und unterstreichen diese. Seine Art sich zu repräsentieren ist sehr direkt und gibt Anlass zu der Annahme, dass G2 sich als solcher definiert. Jedoch kommt das Gespräch an dieser Stelle nicht ins Stocken, sondern I1 spricht G2 direkt auf seine Bilder an und macht ihm das Kompliment, dass es sich bei der Darstellung um ein sehr schönes Bild handle (Z. 54). Dieses Kompliment wird durch das Nicken der anderen Teilnehmer bestätigt (Z. 55). An dieser Stelle zeigt I1 ihr Interesse an einer Beziehung zu den anderen. G2s Gesprächsstruktur zeigt zum einen die Beziehung zu G1 und das Interesse daran, Gemeinsamkeiten zu finden, und zum anderen besteht seine Narration aus dem persönlichen Zugang zur gestellten Aufgabe. Ein Teil der Narration beinhaltet beispielsweise den Beginn seines Fotografierens während der Pandemie, da er einen Anreiz suchte, sich draußen zu bewegen (Z. 47-51). Faszinierend ist außerdem, dass nachdem G2 über seine Hobbies spricht, er seine Aussage erneut damit beendet, dass er sich als ‚Nerd‘ bezeichnet (Z. 53), also diese Rollenzuweisung erneut betont. Abb. 2: Padlet Artefakt 1 90 Svenja Meier, Götz Schwab DOI 10.24053/ FLuL-2024-0006 53 • Heft 1 Transkript 3 I1 unterstreicht ihr vorheriges Kompliment dadurch, dass sie erwähnt, wie sein Bild ihr ins Auge gestochen (Z. 56) sei und dass sie, durch die Farben inspiriert, etwas Arbeit in ihr Artefakt investieren wollte (Z. 59-60, 67). Auch dabei handelt es sich um ein indirektes Kompliment und I1s Haltung wird durch ihre Ausdrucksweise und Gesprächsführung deutlich. G2s Reaktion (Z. 61, 63-63, 68) zeigt, dass er an dieser Beziehung im Gespräch interessiert ist und bedankt sich mehrfach für das gemachte Kompliment. Transkript 4 Durch ihre proaktiven Fragen über das abgebildete Monster (Z. 77-78) zeigt I1 erneut ihre Stärke in der Beziehungsarbeit. Laut G2 handelt es sich bei dem Monster um kein bestimmtes Wesen, aber für ihn selbst hatte es scheinbar eine besondere Bedeutung, da es die erste Karte war, die er damals aus einem Kartenpack gezogen hatte (Z.79- 85). Besonders interessant an dieser Stelle ist die Art und Weise, wie er über das Kartenspiel und die abgebildete Karte spricht. Die Karte selbst erzählt in seinen Augen eine eigene Geschichte, da sein Freund diese für ihn aufbereitet und mit einem goldenen Rand verziert hatte (Z. 89-94). G2 spricht in Zeile 94 direkt an, dass die Karte dadurch einen besonderen Platz in seinem Herzen erhielt (Z. 89-90) und dies wollte er gerne mit den anderen teilen (Z. 89-98). Identitätsarbeit und Rollenverständnis durch persönliche Narrationen 91 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0006 Transkript 5 Diese besondere Geschichte wird durch die Bewegung des Cursors, welcher um den Rand der Karte gleitet, verdeutlicht (Z. 90-91). Auch seine Ausdrucksweise sowie leidenschaftlichen Beschreibungen der gezeigten Karte „the first card I got obsessed with“ (Z. 81), „oh my god that’s so cool“ (Z. 84-85) oder „it still holds a place in my heart“ (Z. 89) zeigen G2s Gefühle. Transkript 6 Ferner schließt sich G1 dem Gespräch an und erzählt, dass sie etwas anderes auswählen wollte, aber dass das in ihren Augen nichts Normales sei, was sie gestisch durch Anführungszeichen verdeutlicht (Z. 102-103). Sie zeigt anschließend auf das Kleid im Hintergrund, welches ihr Cosplay Kostüm (Z. 106-107) darstellt. In dem folgenden Exzerpt offenbart sie, welches Artefakt, nämlich das Cosplay Kostüm (Z. 106-109), ihre Persönlichkeit besser repräsentiert hätte, aber sie sich dagegen entschieden hatte und lieber Kopfhörer wählte, weil es in ihren Augen nicht normal sei (Z. 101-103) und sie sich damit nicht vorstellen wollte. 92 Svenja Meier, Götz Schwab DOI 10.24053/ FLuL-2024-0006 53 • Heft 1 Transkript 7 Die drei finden hier ihre Gemeinsamkeiten (Z. 117-122, 125-126, 130-133). An dieser Stelle überschneiden sich die Gespräche und es sprechen alle drei Teilnehmer gleichzeitig. G1 wird gefragt, um welchen Charakter es sich handle, und sie sagt, dass es Arwen von „Der Herr der Ringe“ werden sollte, aber aktuell noch die Ärmel fehlten (Z. 123-124, 127-128). Es zeigt sich, dass sie dieses Hobby nicht nur auslebt, indem sie in den jeweiligen Charakter schlüpfe, sondern sie erstellt das jeweilige Kostüm auch selbst. Die Zeilen 123-124 und 127-128 offenbaren nämlich, dass G1 eigens an dem Kostüm arbeitet. In Zeile 116 wird I1 erneut aktiv und stellt eine Verständnisfrage: „Did you say cosplay? “. Hierbei lässt sie ihre eigenen Fragen nicht unkommentiert, sondern reagiert auf die erhaltenen Antworten mit einem „cool“ (Z. 99) oder „oh wow“ (Z. 119), was für die Gesprächsführung förderlich ist. I1 findet, dass Cosplay ein sehr kreatives Hobby ist und auch G2 kann wiederum eine Beziehung zu seinen Interessen herstellen, da für ihn beide Hobbies sehr kreativ sind (Z. 130, 134-141). Gerade das Thema Cosplay wird von den Studierenden verstärkt besprochen und auch wenn I1 selbst nicht an Cosplay interessiert ist, so erklärt sie, dass ihre Tochter involviert sei (Z. 121-122). Transkript 8 Ohne danach gefragt zu werden, spannt G2 den Bogen zu seiner zukünftigen Lehrertätigkeit, denn er will das Kartenspielen, welches Mathematik und Logik braucht, in die Schule einfließen lassen (Z. 134-140). Identitätsarbeit und Rollenverständnis durch persönliche Narrationen 93 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0006 Transkript 9 Eine direkte Bezugnahme zum professionelle Sein lässt sich hier in G2s Narration finden, denn das Interesse an Kartenspielen verbindet er mit der zukünftigen Berufsausübung. In dem Moment, als sich die Gesprächsteilnehmer über das kreative Hobby von G1 unterhalten, ergänzt G2 seine Intention, Kartenspiele in den Unterricht einfließen zu lassen (Z. 135-136). In seiner Vorstellung würde er gerne eine Art Club oder Arbeitsgemeinschaft in der Schule gründen, in der die SchülerInnen spielen können (Z. 136-137). Fortan rechtfertigt G2 seine Einstellung mit: „because there’s so much Math and logic and reading involved in the card game“ (Z. 138-140). Er begründet, dass das Kartenspielen viele Kompetenzen fördere und miteinander vereine, welche für SchülerInnen wichtig sind. Transkript 10 G2 verbalisiert erneut die Wichtigkeit, die das Kartenspielen für ihn hat, indem er sagt, dass es einen besonderen Platz in seinem Herzen hätte, also hier eine ausgeprägte emotionale Bindung anführt (Z. 142-145). Transkript 11 Abermals stellt I1 eine weiterführende Frage. Sie will wissen, wie das Spiel heißt (Z.146) und G2 beantwortete diese Frage ausführlich und gibt dabei noch weitere Details zum Spiel, nämlich das Erscheinungsjahr, preis (Z. 150-154). I1 ist begeistert 94 Svenja Meier, Götz Schwab DOI 10.24053/ FLuL-2024-0006 53 • Heft 1 (Z. 155) und versucht anschließend das Gespräch fortzuführen, indem sie die nächste Teilnehmerin nach ihrem Artefakt fragt (Z. 155-156). 5. Diskussion Die ausgewählten Exzerpte zeigen, wie sich die Gespräche innerhalb der Community entwickelt haben und wie die persönlichen Narrationen Einblicke in die Erfahrungswelt der Einzelnen geben. In der folgenden Diskussion soll sich nun kritisch mit den Ergebnissen der Analyse auseinandergesetzt werden. Dieser Abschnitt der Arbeit zielt darauf ab, die Bedeutung sowie Implikationen der Ergebnisse zu verstehen und sie in den Kontext relevanter theoretischer Ansätze einzuordnen. Auf der Grundlage der vorgenommenen Analyse soll nun die Diskussion die zwei wichtigsten Aspekte in der Beantwortung der anfangs gestellten Frage: Wie manifestiert sich die Identitätsarbeit und das Rollenverständnis von Lehramtsstudierenden einer Fremdsprache (foreign language student teachers) in den einzelnen Narrationen, der off-task-talks, die während eines COIL Projektes stattfinden, darstellen. Zum einen handelt es sich um die Beziehungsarbeit, welche im Kontext der Identitätsarbeit und dem Rollenverständnis zum Tragen kommt und zum anderen um die Struktur der Narrationen. 5.1 Identitätsarbeit und Rollenverständnis Wie bereits beschrieben, ist das Rollenverständnis an verschiedene Faktoren gebunden. Die aus den Daten sichtbaren Faktoren umfassen: das individuelle Sein (being), welches sich in der Einstellung und Haltung der Einzelnen zeigt, die (emotionale) Ausdrucksweise (feeling) sowie das soziale Geflecht (social cohesion). Die in den erhobenen Daten sichtbarwerdende Attitüde (M AIO et. al 2003) kann in zwei verschiedene Ausdrucksweisen untergliedert werden. Zum einen zeigt sie sich in der Verhaltensweise, wie die Teilnehmenden aktiv das Gespräch mitgestalten und zum anderen wie sie sich während ihrer aktiven Redezeit präsentieren. Die folgenden Auszüge sind beispielhaft für diese beiden Repräsentationen und zum Teil ineinander verwoben. Innerhalb des vorgefundenen Kontexts (B UTLER 2006) öffnen sich die Teilnehmenden den anderen gegenüber, sodass G1 den Mut aufbringen kann (Vgl. acting, C ARBAUGH 2007), über ihr Hobby als Cosplayerin (Z. 105-133) zu sprechen. Sie spricht dabei direkt an, dass es zwar etwas „Unnormales“, aber in dieser temporären Community angebracht ist (G EE 2011). Durch das Cosplay fühlt G1 sich dieser Gruppe zugehörig (H OFSTEDE 2011; C ARBAUGH 2007). G2s acting zeigt sich nicht nur durch seine verbalen Äußerungen, sondern auch durch seine nonverbale Performation (B UTLER 2006). Beispielsweise wippt (Z. 25- 26) er während des Sprechens auf seinem Stuhl und unterstricht physisch seine Aussage. Aber auch seine visuelle Performation, indem er den Cursor über den Rand der Spielkarte fährt (Z. 90-91), zeigt wie seine Taten das Gesagte untermauern. Ebenso Identitätsarbeit und Rollenverständnis durch persönliche Narrationen 95 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0006 stellt I1 eine Verbindung zwischen dem Gesagten und dem Tun her, als sie davon berichtet, wie G2s Artefakt sie inspirierte und ihr Sein sich nun in der neuen Handlung widerspiegelt, nämlich darin Energie in ihr eigenes Artefakt zu investieren (Z. 56- 68). Die bereits genannten Beispiele sind wiederum eng mit der Gefühlswelt (vgl. feeling, C ARBAUGH 2007) der Gesprächsteilnehmer verbunden, da diese sowohl die Wahl der Artefakte als auch deren bildliche Präsentation beeinflusst. G1 fühlte sich beispielsweise nicht sicher genug darin, sich als Cosplayerin vorzustellen, wohingegen G2 selbstbewusster über seine Hobbies sprechen konnte. Ein detaillierteres Bild von G2s Gefühlen ergibt sich aus dem nachfolgenden Beispiel: „i like to take photos […] i love photography“ (Z. 46-47). G2 steigert in diesem Beispiel seine Wortwahl, aber auch seine Intonation und den Gesichtsausdruck, um seine Begeisterung für das Fotografieren auszudrücken. Im Gegensatz dazu zeigt I1 ihre Gefühle nicht durch das Gesagte, sondern in der Art und Weise, wie sie ihre Gedanken zum Ausdruck bringt. In Zeile 58 beschreibt sie, wie sehr G2s Bild sie beeindruckt hat, indem sie das „OH my god“ betont. Sie möchte damit ihre Bewunderung für G2s Bild zum Ausdruck bringen, was ein Bestandteil von der Beziehung zwischen den Sprechenden ist. Bei den genannten Beispielen kommt vor allem die persönliche Ebene der Identitätsbildung zum Vorschein. Jedoch zeigten sich in den Exzerpten auch Ansätze der sich bildenden professionellen Identität. Diese offenbart sich häufig ganz unmittelbar und direkt, indem die Gesprächspartner sie unvermittelt adressieren, aber auch indirekt können Rückschlüsse auf die Professionalität der Einzelnen gezogen werden. Ein Beispiel hierfür wäre die Handlungsweise von I1. Während der hier dargestellten Sequenz stellt sie mehrfach Verständnisbzw. Informationsfragen. Zum einen möchte sie wissen, welche Wichtigkeit das Monster hat (Z. 77-78) oder wie das Spiel heißt (Z. 146). Des Weiteren fragt sie nach, ob es sich bei dem Erwähnten um Cosplay handle (Z. 116). Da sie bereits als Lehrerin tätig ist, könnte man an dieser Stelle vermuten, dass ihre Fragestellungen mit ihrem Beruf zusammenhängen und sie dadurch das Gespräch voranbringen und aufrechterhalten möchte. Die professionelle Identität wird von G2 direkt thematisiert, als er davon spricht, wie er gerne das Kartenspielen in seine zukünftige Lehrertätigkeit (Z. 134-145) einfließen lassen möchte. Er beschreibt seine Idee mit einer Art Arbeitsgemeinschaft und argumentiert, warum es sich anbieten würde (Z. 137-144). 5.2 Gesprächsentwicklung der Narrationen In dem ausgewählten Datenbeispiel zeigte sich die Entwicklung der Narrationen im Gesprächsverlauf zum einen darin, wie die persönlichen Erfahrungen und Ansichten mitgeteilt wurden. Zum anderen führten die Narrationen zu einer temporären Community, in der sich alle wohlzufühlen scheinen. Überwiegend auf der Grundlage von Ich-Aussagen (S ALONEN 2018) werden die persönlichen Informationen der Teilnehmenden mitgeteilt. Ähnlich spielt die Reaktion der Gesprächsteilnehmer auch hier 96 Svenja Meier, Götz Schwab DOI 10.24053/ FLuL-2024-0006 53 • Heft 1 eine essentielle Rolle in der Art wie die Identitäten sich abbilden. Gerade I1 stärkt mit ihren Komplimenten, wie beispielsweise in Z. 54 („G2, it’s a beautiful picture“) und den Rückfragen (z.B. Z. 78-79) das Selbstbewusstsein der anderen. Ihr Verhalten kann beispielsweise auf den gemachten Erfahrungen (M AIO et. al 2003) als Lehrerin beruhen. Hier wird das individuelle Rollenverständnis sichtbar, welches sich in aktiven und passiven Momenten zeigt und zu der Gesprächsentwicklung beiträgt. Dabei werden verschiedene Themen miteinander verknüpft oder neue Sichtweisen in Betracht gezogen. Aufgrund des stattgefundenen Meetings und der geteilten Narrationen ist eine temporäre Community entstanden (O ESTERLE / S CHWAB / H OFFMANN / B ALDWIN 2020; O ESTERLE 2022). Hierbei ist ein wichtiger Bestandteil einer solchen Community die sichtbare Beziehung zwischen den Gesprächsteilnehmern, nämlich die Social Cohesion (B IETTI et. al 2019). Gerade zu Beginn des Ausschnitts zeigt sich, dass es innerhalb der Gespräche aktive Rollen gibt, welche für das Fortführen des Gesprächs verantwortlich sind. Es wird deutlich, dass Teilnehmer, wie I1, Überleitungen schaffen und auf die anderen, beispielsweise durch Komplimente, eingehen. Gleichzeitig ist die emotionale Ebene (feeling) (C ARBAUGH 2007) ein wichtiger Bestandteil der Interaktion. Zum einen gewinnen die Teilnehmenden an Sicherheit und Selbstvertrauen, wie es sich im Beispiel von G1 zeigt, die zu Beginn nicht über ihr Hobby als Cosplayerin sprechen möchte und dies erst nach G2s Narration tut. Zum anderen wird an dieser Stelle auch deutlich, dass das eigene Identitätsverständnis abhängig ist von der Norm und von dem, was die Community als normal empfindet. Durch die Auseinandersetzung mit anderen (N ORTON 2000) manifestiert sich die eigene Identität und es findet ein wichtiger Austausch in der Beziehungsarbeit im Hinblick auf die Social Cohesion (B IETTI et. al 2019) statt. Darüber hinaus zeigt sich in der sprachlichen Performanz, wie die Teilnehmenden sich selbst präsentieren und sich im Verhältnis zu den anderen setzen (N ORTON 2013). 5.3 Limitationen Sicherlich haben auch COIL Projekte ihre Einschränkungen. Insbesondere aufgrund der Verwendung von Technologie kann es zu Verständigungsschwierigkeiten oder Problemen kommen. Dies ist beispielsweise in den oben angeführten Daten ersichtlich (Z. 141-142). An dieser Stelle (Z. 140) spricht G2 leiser als zuvor und verleiht damit seiner Aussage eine besondere Tiefe. Außerdem gestikuliert er mit seinen Händen und unterstreicht dabei das Gesagte. Allerdings stockt in diesem Moment das Bild, sodass es nicht möglich ist seine unterstützende Gestik zu sehen. Solche Schwierigkeiten können gerade im virtuellen Austausch Verständnislücken schaffen und je nach Dauer der Störung für Irritationen oder Kommunikationsabbrüche sorgen. Das Gleiche gilt auch für die Verwendung von Kommunikationstools, wie beispielsweise Zoom. Hier müssen alle Teilnehmenden einen Zugang haben, damit eine reibungslose Zusammenarbeit gewährleistet werden kann. Identitätsarbeit und Rollenverständnis durch persönliche Narrationen 97 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0006 6. Fazit Narrationen, die die Teilnehmenden in COIL-Projekten teilen, ermöglichen eine Reflexion über die gezeigten und geteilten Identitäten der Interaktanten und ermöglichen ggf. eine Atmosphäre der Offenheit und des Verständnisses für die anderen. Die gesammelten Erfahrungen, z.B. während der COVID-19 Pandemie, verdeutlichen das gegenseitige Verständnis (relating) (C ARBAUGH 2007), auf der die Community ruht. Des Weiteren offenbart sich durch die persönlichen Erzählungen und den damit verbundenen Ich-Aussagen (S ALONEN 2018) ein Einblick in die Erlebniswelt der einzelnen Personen. Unter Berücksichtigung der Einschränkungen könnten zukünftige COIL-Projekte von den gewonnenen Erkenntnissen profitieren, indem sie verstärkt auf die Förderung der Identitätsarbeit und das interkulturelle Verständnis durch gezielte (ziel-)sprachliche und kulturelle Sensibilisierung setzen. Mit einer solchen Fokussierung können COIL-Projekte zu einem wichtigen Beitrag in der internationalen Aus- und Weiterbildung und zur Förderung einer inklusiven und offenen Community beitragen. Insgesamt zeigt die Betrachtung der Identitätsarbeit und der Rollenverständnisse in Narrationen bei off-task-talks, gleichsam als by-products (G OODSON / B IESTA / T EDDER / A DAIR 2010: 2) von COIL-Projekten, dass diese Art der internationalen Zusammenarbeit eine wertvolle Möglichkeit bietet, ein interkulturelles Verständnis zu entwickeln und gleichzeitig kommunikative (Fremdsprachen-)Kompetenzen auszubauen. Literatur A MOTT , Penny. 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The study addresses a gap in existing research by examining the actual execution of tasks in BOR, offering insights into the dynamics of student collaboration and language use in a technologyenhanced language learning environment. 1. Einleitung Die jüngsten Entwicklungen der Digitalisierung und der Zugang zu zukunftsweisenden Technologien sind nicht nur der Grund für grundlegende Veränderungen in vielen Teilen unseres Alltags, sondern bieten auch das Potenzial, den Bildungssektor und unsere Art des Unterrichtens zu verändern (S TALDER 2016). Die neuen Möglichkeiten werden auch im Sprachunterricht deutlich: Lehrkräfte können beispielsweise auf unzählige Ressourcen für nicht-didaktisiertes Material zugreifen oder Lernende aus der ganzen Welt zusammenbringen (O’D OWD / O’R OURKE 2019). Dabei ist es nicht nur wichtig, sich auf die neuen Anforderungen an die digitalisierungsbezogenen Kompetenzen der Lehrkräfte zu konzentrieren (D RACKERT / K ÜPLÜCE / W ERNER 2022), sondern auch die Umsetzung eines technologiebasierten Unterrichts zu untersuchen. Eine besondere Rolle spielen hier Programme wie Zoom oder Teams, welche über eine Videokonferenzfunktion verfügen. Durch ihren Einsatz wurde während des Emergency Remote Teaching (ERT), also der plötzlichen Verlagerung des Unterrichts vom Klassenzimmer in einen virtuellen Kontext während der Pandemie (H ODGES et * Korrespondenzadresse: Sina W ERNER , wiss. Mitarbeiterin, Institute of English Studies, Leuphana Universität Lüneburg, Universitätsallee 1, 21335 Lüneburg. E-Mail: sina.werner@leuphana.de Arbeitsbereiche: CALL, TBLT, Virtual Exchange, Blended Mobility, Virtual Reality 102 Sina Werner DOI 10.24053/ FLuL-2024-0007 53 • Heft 1 al. 2020), ein für viele Schülerinnen und Schülern (SuS) und Lehrkräfte neuer Unterrichtskontext geschaffen. Im Forschungsfeld des computer-assisted language learning (CALL) gibt es schon seit dem Beginn der 2000er Jahre Studien, die Interaktionen von Sprachenlernenden in Videokonferenzen mit unterschiedlichen Fokussierungen analysieren. Weniger aber wurde bisher erforscht, wie Gruppen in Breakout Rooms zusammenarbeiten. Es war besonders die Entwicklung dieser Funktion, die eine Kollaboration von Lernenden in Videokonferenzen überhaupt erst ermöglicht hat. Insbesondere zur Zeit der pandemie-bedingten Schulschließungen konnte durch den Einsatz von BOR eine technische Lösung für die fehlende soziale Interaktion zwischen SuS, die normalerweise im Klassenzimmer stattgefunden hätte und ein Kernmerkmal von (Fremdsprachen-)Unterricht darstellt, angeboten werden. Ein fremdsprachendidaktischer Ansatz, der Interaktionen zwischen SuS besonders fokussiert, ist der des task-based language teaching (TBLT, z.B. L ONG 1985, E LLIS 2003, W ILLIS 1996). Tasks verlangen häufig gemeinsame Aushandlungs- und Planungsprozesse, denen allerdings, auch digital, Raum gegeben werden muss. BOR scheinen hier als geeigneter Ort, um solche Gruppeninterkationen zu ermöglichen. Wie das Angebot von SuS genutzt wird und welche Interaktionen entstehen, gilt es zu explorieren und zu analysieren. An dieser Stelle setzt auch die vorliegende Studie an: Sie zeigt auf, wie Schüler*innengruppen in BOR ihren Arbeitsprozess organisieren und eine task, konstruiert im Sinne von TBLT, umsetzen. Zugrunde liegt hier das Verständnis, dass die Offenheit und Variationsbreite potenzieller Lern- und Gruppenarbeitswege und -formen begrüß[t], wenn nicht gar erhoff[t werden], weil sie eine ungleich reichere Lernumgebung kreiert, die Mitsprache ermöglicht und zahlreiche Aushandlungsprozesse erfordert, die ihrerseits ein dichtes Netz von Angeboten für Mediatisierungen und somit Lernprozesse darstellen. (S CHMENK 2012: 85f) 2. Theoretischer Hintergrund und Forschungsstand Dieser Beitrag widmet sich zunächst dem theoretischen Hintergrund dieser Studie, dem task-based language teaching (TBLT) und technology-mediated TBLT und beschreibt den Forschungsstand zu Studien, die sich auf BOR fokussieren, um dann einen Einblick in die Interaktionen von SuS-Gruppen in BOR zu geben. 2.1 Task-based Language Teaching TBLT gilt mittlerweile als ein gut erforschter und auf solider theoretischer Basis beruhender Ansatz des Fremdsprachenunterrichts (B RYFONSKI / M C K AY 2019). Nicht nur die breite Fundierung in Theorien des Zweitspracherwerbs, sondern auch der Kontrast zu traditionelleren, vor allem Grammatik-fokussierenden Ansätzen macht ihn zu einer beliebten Grundlage für die Planung fremdsprachlichen Unterrichts (B RY - FONSKI / M C K AY 2019). TBLT rückt Interaktionen, die von möglichst authentischen Task-in-Process in Breakout Rooms eines aufgabenbasierten Videokonferenzprojekts 103 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0007 tasks initiiert werden, in den Mittelpunkt des Sprachenlernens (B RYFONSKI / M C K AY 2019) und bietet Möglichkeiten zur Kollaboration zwischen Lernenden im Sinne eines soziokulturellen Verständnisses des Lernprozesses (V YGOTSKY 1978). Seit seiner Entstehung in den 80er Jahren gibt es viele verschiedene Auslegungen des Ansatzes (z.B. L ONG 1985, E LLIS 2003, W ILLIS 1996, M ÜLLER -H ARTMANN und S CHOCKER - VON D ITFURTH 2011 und H ALLET 2013), welche unterschiedliche Definition von tasks hervorgebracht haben. Als Grundlage für diese Studie soll eine Definition von E LLIS dienen: 1. A task is a workplan. 2. A task involves a primary focus on meaning. 3. A task involves real-world processes of language use. 4. A task can involve any of the four language skills. 5. A task engages cognitive processes. 6. A task has a clearly defined outcome. (E LLIS 2003: 9f) Das erste von E LLIS aufgeführte Kriterium „A task is a workplan.“ basiert auf Überlegungen von B REEN (1985, 1987, 1989), der zwischen einer task als Aufgabenplan (workplan) und ihrer Umsetzung (process) unterscheidet. Dieser Ansatz wird als Grundgerüst für diesen Artikel herangezogen und im Folgenden beschrieben. 2.2 Tasks-as-workplan und tasks-in-process Das TBLT-Konzept von B REEN stellt einen Ansatz dar, der die Rolle der Lernenden im Bearbeitungsprozess und die Situation, in der sie sich befinden, hervorhebt. Durch die Unterteilung von Aufgaben in „task-as-work-plan“ und „task-in-process“ wird deutlich, dass ein zentraler Aspekt dieser Auslegung des TBLT darin besteht, wie die Lernenden ihren eigenen Lernprozess, der auf diesem Plan basiert, ausgestalten (B REEN 1989). B REEN definiert eine task lediglich als einen Strukturplan und einen Ausgangspunkt, der die Kommunikation zwischen Lernenden initiiert (B REEN 1989: 187). Grundsätzlich beruht dieser Ansatz auf der Prämisse, die Vielfalt der Lernergebnisse zu begrüßen, denn, jedes Lernergebnis hänge weitgehend davon ab, wie die Lernenden die Lernsituation, die Anforderungen der Aufgabe und ihren eigenen erwarteten Beitrag dazu wahrnehmen (B REEN 1987: 24). Dies ist in der folgenden Abbildung verdeutlicht (s. Abb. 1,  S. 104; B REEN 1987: 42). Seine Grundidee, dass die Umsetzung von tasks nicht vorhersehbar ist und von den jeweiligen Lernenden abhängt (B REEN 1989), ist der Ausgangspunkt dieser Studie, wobei der Kontext der Aufgabenbearbeitung hier durch ein technologiebasiertes Setting determiniert ist. Werden tasks mit dem Einsatz von Technologien kombiniert, spricht man von technology-mediated TBLT (G ONZÁLEZ -L LORET / O RTEGA 2014). 104 Sina Werner DOI 10.24053/ FLuL-2024-0007 53 • Heft 1 Abb. 1: Learner reinterpretations during the task-in-process (B REEN 1987: 42) E LLIS et al. (2019) bezeichnen den Einsatz von Technologien als eine der wichtigsten Entwicklungen im Sprachunterricht. Dass tasks und Technologien sich gegenseitig positiv beeinflussen, wurde bereits in verschiedenen Veröffentlichungen aufgezeigt, z. B. T HOMAS und R EINDERS (2010) oder L AI und L I (2011). Die Beziehung dieser beiden Bereiche wird im folgenden Zitat von L AI und L I (2011) gut zusammengefasst: On one [sic] hand, technology facilitates and enhances TBLT both in terms of its effectiveness and its contribution to our understanding of TBLT; on the other hand, TBLT serves as a useful pedagogical framework and set of principles that enrich and maximize the use of technology for language learning (L AI / L I 2011: 499). Weitere Metaanalysen wie von Z IEGLER (2016) oder C HONG und R EINDERS (2020) heben die Vorzüge von Technologien für den Spracherwerb in tasks hervor und befassen sich ausführlich mit den Merkmalen von technology-mediated TBLT, den Möglichkeiten und Grenzen und mit Faktoren, die dessen Wirksamkeit beeinflussen. Task-in-Process in Breakout Rooms eines aufgabenbasierten Videokonferenzprojekts 105 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0007 Nichtsdestotrotz betonen beispielsweise J IANG et al. (2022: 5), dass sich bisher nur wenige Studien mit der tatsächlichen Umsetzung von tasks befassen. Genau hier setzt die vorliegende Studie an, die die Interaktionen von Schüler*innen (SuS) einer zehnten Jahrgangsstufe in Breakout Rooms (BOR) erforscht. 2.3 Interaktionen in Breakout Rooms Da der Fokus dieser Studie auf Interaktionen in BOR liegt, werden im Folgenden Studien rezipiert, die in diesem Interaktionskontext angesiedelt sind. Sicherlich ist es gerade durch die Entwicklungen während der COVID19-Pandemie zu erklären, warum die meisten Publikationen seit 2020 veröffentlicht wurden. Allerdings gab es schon zuvor vereinzelt Studien, die den Einsatz von BOR in Sprachlernkontexten untersuchen. Veröffentlichungen, die auf Lehrerfahrungen und Beobachtungen beruhen, wurden z. B. von C HANDLER (2016) und S ILTALA (2015) verfasst. So vermerkt C HANDLER (2016), dass Studierende in BOR mehr kommunizieren als im Haupt- Meeting, in dem die Lehrkraft anwesend ist, und BOR ihnen die Möglichkeit geben, sich gegenseitig zu unterstützen. S ILTALA (2015) beschreibt ähnliche Vorzüge, wie z. B., dass BOR die Fähigkeit zur Zusammenarbeit fördern. Während diese Veröffentlichungen auf den Lehrerfahrungen der Autor*innen beruhen, zeichnet sich die Studie von G UO und M ÖLLERING (2016) dadurch aus, dass sie auf Videoaufzeichnungen der Interaktionen basiert. Die Autorinnen kommen, wie z. B. auch H AMPEL und S TICKLER (2012), zu dem Ergebnis, dass der größte Sprechanteil eindeutig bei der Lehrperson liegt, wenn im Haupt-Meeting kommuniziert wird. Ein für diese Studie besonders interessantes Ergebnis ist, dass sich die Strategien der Lernenden unterscheiden, wenn sie sich in den BOR befinden. G UO und M ÖLLERING (2016) leiten aus ihren Beobachtungen ab, dass die Lernenden in den BOR mehr auf ihre Kollaboration (also z. B. auf das gemeinsam erstellte Whiteboard) fokussiert sind und darauf, die Aufgaben gemeinsam zu erarbeiten. Auch sie kommen in ihrer Studie zu dem Schluss, dass die Nutzung von BOR förderlich für den Zweitspracherwerb und die Kollaboration der Lernenden ist. Seit Beginn der Pandemie sind weitere Veröffentlichungen entstanden, die sich den Möglichkeiten von BOR konzeptionell widmen. So betonen L AY und G IBLETT (2020) und K OHNKE und M OORHOUSE (2022), dass es ohne Videokonferenzprogramme wie Zoom kaum Möglichkeiten zum Sprechen und damit zur Förderung der Mündlichkeit im Online-Unterricht gäbe. Diese ermöglichten ein synchrones Arbeiten und Begegnungen in „Echtzeit“ (L AY / G IBLETT 2020: 555). Allerdings, so halten die Autoren fest, kann die Lehrkraft nicht alle Gruppenarbeiten gleichzeitig überblicken, jedoch in die Gruppenräume eintreten, wenn die Studierenden um Hilfe bitten. Neben den oben beschriebenen Veröffentlichungen gibt es bisher nur wenige Studien, die sich auf Grundlage verschiedener Datenquellen mit Interaktionen in BOR befassen. Aktuelle Studien, die Interaktionen in BOR untersuchen sind zwar bisher nicht bekannt, dafür aber Studien, deren Datengrundlage Interviews und Fragebögen darstellen. Hier ist z. B. die Untersuchung von L EE (2021) zu nennen, die basierend auf 106 Sina Werner DOI 10.24053/ FLuL-2024-0007 53 • Heft 1 Fragebögen und Gruppen- und Einzelinterviews die Perspektive von Studierenden auf Zoom und BOR erfasst. Ihre Ergebnisse zeigen, dass die Studierenden sehr zufrieden mit der Arbeit in BOR sind, da ihnen die BOR ermöglicht haben, mit anderen Studierenden zu kommunizieren und gemeinsam zu arbeiten. L EE schließt aber auch, dass die Gruppenräume strenger bzw. intensiver beobachtet werden sollten, um die Beteiligung aller Lernenden zu garantieren und nachweisen zu können (L EE 2021: 518). In einer weiteren Studie, die auf Fragebögen und Interviews beruht, befassen sich die Autorinnen A LM und F EICK (2022) mit der Wahrnehmung von BOR durch Studierende und Lehrende im DaF-Kontext. Ein Ergebnis ihrer Studie ist, dass es durch den Einsatz von BOR möglich ist, einen sicheren Kommunikationskontext zu schaffen und fokussierter zusammenzuarbeiten. Darüber hinaus bieten BOR laut den Autorinnen die Möglichkeit, Gruppenkohäsion und -dynamik und auch soziale Beziehungen zu stärken. Sie sehen generell das Potenzial für die größere Handlungsfähigkeit Einzelner sowie zugleich für eine größere Autonomie und einen stärkeren Zusammenhalt von Gruppen. Alle bisher aufgeführten Studien basieren auf Daten aus dem tertiären Bildungssektor, weshalb sich primär zwei Forschungslücken ergeben: (1) Bisher gibt es nur wenige Studien, die auf Grundlage von Aufnahmen Interaktionen in BOR erforschen und (2) es zeigt sich basierend auf der Recherche, dass es bisher keine Studien gibt, die Interaktionen von SuS in BOR in einem Fremdsprachlernkontext erforschen. Daher verfolgt die hier vorliegende Arbeit ein exploratives Vorgehen und analysiert, wie verschiedene SuS-Gruppen die task-as-workplan in ihrem BOR umsetzen. Fokussiert wird vor allem die Organisation der Gruppenarbeit. Überdies wird untersucht, wie die Lernenden die Zielsprache und die technologischen Möglichkeiten des Videokonferenzprogrammes nutzen. 3. Studienkontext Die von den SuS umzusetzende task, auf der diese Studie beruht, wurde im Rahmen eines task-based Projekts eingesetzt . Das blended learning-Projekt „Going Green“ wurde u.a. von der Leuphana Universität und der US-amerikanischen Botschaft entwickelt. Es kombiniert die Bereiche TBLT, CALL und interkulturell-kommunikative Kompetenz. Seit 2014 haben über 3.000 SuS an dem Projekt teilgenommen, dessen Hauptziel die Entwicklung der Handlungsfähigkeit der SuS zum Thema Nachhaltigkeit darstellt (S CHMIDT 2021). Nach einer Einführungsphase, in der die SuS ihre Einstellungen zum Thema Nachhaltigkeit reflektieren, bearbeiten sie in Gruppen verschiedene Module zu den Themen fast fashion, Plastikverschmutzung, nachhaltige Städteplanung und Nachhaltigkeit in der Ernährung. Sie recherchieren Fallstudien und entwickeln schließlich einen eigenen Aktionsplan, um die nachhaltigkeitsbezogenen Probleme in ihrer Stadt anzugehen. Ein Großteil des Materials wurde ersetzt und die Aufgaben für emergency remote teaching via Videokonferenz-Programm Teams angepasst. Diese Version des Projekts umfasste fünf Aufgaben, bei denen die SuS für Task-in-Process in Breakout Rooms eines aufgabenbasierten Videokonferenzprojekts 107 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0007 die letzten drei creative tasks bzw. co-construction of information-tasks 1 PowerPoint- Präsentationen, Poster oder Videos erstellen sollten. Bei den Teilnehmer*innen handelt es sich um 12 SuS, die die Einführungsphase an einem Gymnasium, d.h. Jahrgangsstufe zehn besuchen. Sie waren zum Zeitpunkt der Datenerhebung zwischen 15 und 17 Jahren alt und haben in Gruppen von je drei SuS zusammengearbeitet. Die Untersuchungen in dieser Studie beziehen sich auf die vierte und damit vorletzte Aufgabe, die im Folgenden genauer beschrieben wird. Ziel des hier vorgestellten Aufgabenplans ist die vertonte Präsentation zu einer „case study“ verschiedener Themen: Die SuS sollten ein Video oder eine Präsentation zu einem Projekt erstellen, das/ die sich mit bestimmten, konkreten Umweltproblemen befasst und Lösungswege anbietet. Sie sollten der Präsentation Audioaufnahmen hinzufügen oder ein Video aufnehmen, damit die SuS anderer Gruppen die Ergebnisse eigenständig rezipieren können (s. Abb. 2,  S. 108). Die task - wie auch schon die vorherigen drei tasks - wurde in zwei Phasen aufgeteilt, da die SuS einmal pro Woche via Videokonferenz im Fach unterrichtet wurden. Sie arbeiteten zunächst selbstständig mit dem Aufgabenmaterial und daraufhin in Gruppen, um ihre Präsentation zu erstellen. Von der Lehrkraft wurde betont, dass die Lernenden die Präsentation gemeinsam als Gruppenprodukt erstellen sollten und die Co-Authoring-Funktion sowie die Funktion zum Teilen des Bildschirms als wichtige Elemente der Kollaboration hervorgehoben. 3.1 Funktionen BOR in Teams Das in dieser Studie verwendete Videokonferenz-Tool ist Microsoft Teams, welches synchrone Kommunikation per Videokonferenzen ermöglicht und von der Schule, an der das Projekt durchgeführt wurde, als Lösung für den Online-Unterricht während der Pandemie eingeführt wurde. Innerhalb der Videokonferenz-Sitzungen können Lehrkräfte BOR für die Zusammenarbeit von SuS einrichten. Die Lehrkraft kann während der Sitzung auf alle Gruppenräume zugreifen und zwischen ihnen hin- und herwechseln. In den BOR selbst haben Teilnehmer*innen die Möglichkeit, ihren Bildschirm zu teilen, ihre Kameras ein- oder auszuschalten, sich stumm zu schalten und einen Gruppenchat zu nutzen. Sie können außerdem die Lehrkraft in ihren Gruppenraum einladen. 1 Task - Definitionen: information co-construction: „Students create or design products through group work“ (J IANG et al. 2022: 9); creative tasks: „[I]nvolve pairs or groups of learners in some kind of freer creative work. They also tend to have more stages than other tasks, and can involve combinations of task types: listing, ordering and sorting, comparing and problem solving. Out-of-class research is sometimes needed. Organisational skills and team-work are important in getting the task done“ (W ILLIS 1996: 27). 108 Sina Werner DOI 10.24053/ FLuL-2024-0007 53 • Heft 1 Abb. 2: Unterrichtsmaterial (adaptiert von www.teachaboutus.org) Task-in-Process in Breakout Rooms eines aufgabenbasierten Videokonferenzprojekts 109 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0007 3.2 Datensammlung und -aufbereitung Die aufgezeichneten Interaktionen der SuS-Gruppen in den BOR bilden die Datengrundlage für die hier präsentierte Studie. Die Studie fokussiert die vierte Aufgabe des Projekts, die für jede der insgesamt vier analysierten Gruppen etwa 1h 15min umfasst (insgesamt ca. 5h Aufnahmen). Die Aufnahmen wurden auf Grundlage der im Anhang aufgeführten Konventionen transkribiert. In der Transkription wurden die Tätigkeiten der SuS, die durch die Funktion „Bildschirm teilen“ erkennbar sind, miteinbezogen. Im Vorlauf der Studie wurde das Einverständnis der Schulleitung, der Lehrkraft, der SuS und ihren Erziehungsberechtigten eingeholt. Die entstandenen Daten wurden ausschließlich von der Autorin und einer Hilfskraft aufbereitet. Um einen Überblick darüber zu gewinnen, wie die Gruppen in ihrem Arbeitsprozess vorgehen, wurden die Arbeitsprozesse in verschiedene Segmente aufgeteilt und verglichen . Basierend auf S TORCH (2001) wurden die Kategorien on-task talk, abouttask talk und off-task talk verwendet, die wie folgt definiert sind: on-task talk S TORCH (2001: 128-129) Phasen, in denen die SuS die Aufgabe aktiv bearbeiten, z. B. Ideen entwickeln, über Sprache und Struktur der Präsentation Änderungen vorschlagen und vornehmen about-task talk S TORCH (2001: 130) Segmente, in denen in den Gruppen diskutiert wird, wie sie die Aufgabe erledigen möchten und sich orientieren, z. B. die Klärung der Aufgabenanforderungen und Zuständigkeiten der einzelnen Mitglieder off-task talk S TORCH (2001: 131) Wenn die SuS Gespräche führen, die nicht mit der Bearbeitung der Aufgabe zusammenhängen Interaktion mit Lehrkraft Phasen, in denen die Lehrkraft im BOR anwesend ist keine Interaktion Segmente, in denen keine Interaktion im BOR vernommen werden können Tab. 1: Code-Definitionen Nachdem alle Aufnahmen nach dem im Anhang aufgeführten Transkriptionsregeln transkribiert wurden, wurden die Transkripte in die verschiedenen Kategorien eingeteilt. In dieser Phase der Analyse wurde mit einer zweiten Kodiererin konsensuell kodiert und zunächst die deduktiv gebildeten Kategorien angewandt (K UCKARTZ 2012). Während dieses Prozesses haben sich zwei weitere Kategorien aus dem Datenmaterial ergeben, welche bei S TORCH (2001) nicht erwähnt werden: Phasen, in denen keine Interaktion in der Aufnahme zu erkennen war, wurden mit „keine Interaktion“ und Phasen, in denen die Lehrkraft in den BOR anwesend war, wurden mit „Interaktion mit Lehrkraft“ gekennzeichnet. Für eine feinere Mikroanalyse der Organisation der Gruppenarbeit wurde je Gruppe diejenige Sequenz ausgewählt, in dem die Gruppe zu Beginn einen Arbeitsweg vereinbart. 110 Sina Werner DOI 10.24053/ FLuL-2024-0007 53 • Heft 1 4. Ergebnisse 4.1 Makroanalyse Es soll zunächst ein Überblick über die Vorgehensweisen der Gruppen gegeben werden, bevor die Analyseergebnisse der einzelnen Fragmente der Gruppenarbeiten präsentiert werden . Im folgenden Diagramm abgebildet sind die 75 Minuten der Erarbeitungsphase der jeweiligen Gruppen, die mit den Codes „on-task talk“ (gepunktet), „about-task talk“ (hellgrau), „off-task talk“ (mittelgrau), „Interaktion mit der Lehrkraft“ (dunkelgrau) und „keine Interaktion“ (weiß) kodiert wurden. Abb. 3: Übersicht task-in-process in den verschiedenen Gruppen Auf den ersten Blick ist erkennbar, dass die Gruppen 1, 2 und 4 innerhalb der ersten drei Minuten die Aufgabenanforderungen und ihre Vorgehensweise klären. Hierbei einigen sie sich auf die Darstellungsform ihres Lernproduktes (vertonte Präsentation oder Video). Gruppe 3 hingegen beginnt direkt damit, Inhalte zu diskutieren und Notizen zu vergleichen (s. Abb. 2 erster Schritt in „To-Do-Liste“). Den weiteren Verlauf ihrer Arbeit besprechen die Mitglieder von Gruppe 3 erst anschließend. Ein weiterer bemerkenswerter Aspekt ist, dass der Großteil der Gruppen (ausschließlich Gruppe 4) in den ersten etwa 40 Minuten hauptsächlich mit der gemeinsamen Erstellung des Lernproduktes beschäftigt ist. Diese Gruppen wenden sich daraufhin dem Aufnehmen einer Audiospur zu und wechseln zwischen der Aufnahme (gekennzeichnet durch den Buchstaben R in der Abbildung) und der Organisation dieser hin und her. Im Vergleich der Gruppen fällt insbesondere Gruppe 4 durch ihre fehlende Interaktion auf: Von insgesamt 75 Minuten Bearbeitungszeit vergehen 50 Minuten, in denen in der Gruppe keine Interaktionen zwischen den Mitgliedern vermerkt werden können. Zur Anwesenheit der Lehrkraft in den Gruppenräumen lässt sich festhalten, dass sie insgesamt drei Mal von einem in einen anderen BOR wechselt und dort für ein bis zwei Minuten verweilt und darüber hinaus zwei Mal von Gruppe 4 (in Minute Task-in-Process in Breakout Rooms eines aufgabenbasierten Videokonferenzprojekts 111 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0007 45) und von Gruppe 1 (in Minute 50) in den jeweiligen Raum gebeten wird, wo sie etwa drei beziehungsweise sechs Minuten anwesend ist. 4.2 Mikroanalyse Im Folgenden werden Fragmente aus den Gruppenarbeiten analysiert, in denen die SuS die Vorgehensweise in der task-in-process organisieren und sich auf die Darstellungsform ihrer Ergebnisse einigen. Diese Interaktionen finden vor allem zum Beginn der Erarbeitung statt. Die Markierung zeigt an, zu welchem Zeitpunkt die Interaktion stattfindet. Gruppe 1 Abb. 4: Task IV Gruppe 1, Pos. 7-24 123 A1: ((lacht)) okay um: ((räuspern)) I can't talk right now. um: but we don't have to record ourselves. do we? like not= 4 A6: =no: we can do a power point and (.) speak 567 A1: yeah but we can=we could do an an imovi: e for example and just (.) do a voiceover and put like photos in there (#2) 8 A7: yeah 910 A1: yeah but we can do a power point. (.) I think that's better 11 A7: jap. 12 A6: i: t's: er easier I think 13 A1 yeah okay. 14 A7: [(? )] 15 16 A1: who wants to create like a power point? I can't do this, (.) because (#1) yeah. [I dont know how it works] 17 18 A7: [okay let's (? ) discuss our results and [[(? )] 19 20 21 A1: [alright then] (#2) (A7: räuspern) the first question. what is the concept of veganuary? 22 A7 wait a moment 23 A1 ((kichert)) yeah. 24 A7 m: (#5) okay ((räuspern)) 25 A1 who wants to start? 26 A7 ((räuspern)) I can start. 27 A1 okay. Zu Beginn der Gruppenarbeitsphase findet die oben dargestellte Interaktion statt: Die SuS klären in den ersten beiden Minuten ihr Aufgabenverständnis und diskutieren, 112 Sina Werner DOI 10.24053/ FLuL-2024-0007 53 • Heft 1 was sie aufzeichnen müssen (Zeile 1-3). A1 fragt die anderen beiden Gruppenmitglieder, ob das der Fall sei, woraufhin A6 dies verneint und vorschlägt, eine Power- Point-Präsentation zu erstellen. Jedoch scheint A1 die Aufgabe so zu verstehen, wie sie von der Lehrkraft geplant war, nämlich die Präsentation mit einer Audioaufnahme zu versehen und das Programm iMovie zu nutzen (Zeile 5-7). A7 stimmt dem Vorschlag von A1 zu. A1 schlägt jedoch erneut vor, dass eine PowerPoint-Präsentation besser wäre. A7 und A6 stimmen zu und A6 ergänzt, dass dies einfacher sei. In dieser Sequenz ist erkennbar, dass A1 Vorschläge zur Zusammenarbeit macht, die von A6 und A7 bestätigt werden. Die Art und Weise, wie sie sich äußert, indem sie auf ihren eigenen Vorschlag antwortet (in Zeile 9 „yeah but“), erweckt den Eindruck, dass sie laut nachdenkt. Als A1 fragt, wer die Präsentation erstellen soll - sie selbst scheint nicht zu wissen, wie man eine PowerPoint-Präsentation erstellt - wendet sie sich direkt an ihre Gruppenmitglieder (Zeile 15-16). Diese Anfrage bleibt jedoch unbeantwortet. Daraufhin schlägt A7 vor, zunächst Notizen zu vergleichen (Zeile 17-18). A1 übernimmt die Gesprächsführung und fragt, wer beginnen möchte, und A7 beginnt (Zeile 19-27). Zusammenfassend leitet A1 diese Phase an, macht Vorschläge, lässt aber Raum für die Perspektiven der anderen Mitglieder und deren Ideen. Einige ihrer Vorschläge bleiben jedoch unbeantwortet. Die Gruppe entscheidet gemeinsam, eine PowerPoint-Präsentation zu erstellen, an der sie zusammenarbeiten. Es fällt auf, dass die Kommunikation in diesem Fragment ausschließlich auf Englisch stattfindet. Vom Anfang der Interaktionen bis Minute 45 nutzt die Gruppe die Co-Authoring- Funktion, ohne den Bildschirm zu teilen. Das heißt, die SuS arbeiten größtenteils selbstständig; dennoch gibt es keine Interaktionspausen. Das liegt wohl daran, dass die Gruppe während des Prozesses darüber spricht, wie das Co-Authoring funktioniert, aber auch zwischendurch über Lerninhalte diskutiert. A1 dominiert mit vielen Beiträgen, indem sie kontinuierlich ihre Arbeit an der Präsentation kommentiert. Die Gruppenmitglieder unterstützen sich gegenseitig bei technischen Problemen und nutzen dafür die Bildschirm-Teilen-Funktion. Insbesondere am Ende der Erarbeitung, wenn sie die individuellen Audioaufnahmen durchführen, wird vermehrt Unterstützung benötigt. Die Gruppenmitglieder geben sich hier zum Teil auch Feedback zur Audioaufnahme. Während der gesamten Interaktion haben die SuS ihre Kameras allerdings ausgeschaltet, auch als die Lehrkraft den Raum betritt. Gruppe 2 Abb. 5: Task IV Gruppe 2, Pos. 14-21 123 A4: äh ich hab nen Text geschrieben zur ersten Frage. Soll ich den einfachalso ich hab die [Informationen] so darein gepackt, 4 A5: [so Stichpunkte? ] Task-in-Process in Breakout Rooms eines aufgabenbasierten Videokonferenzprojekts 113 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0007 567 A4: Ich hab soja. ich les einfach mal vor, (.) ähm: (#2) ah da. Wie heißt das? Ist das Ranaa Plaza oder was ist das? 89 A5: Ja bestimmt. Ich weiß nicht wie man das ausspricht. ((lacht)) 10 11 A4: (liest ihre Notizen vor)) The Ranaa Plaza building is a big building ((lacht)) with many […] 12 A5: ((ergänzt Ideen auf Deutsch)) 13 14 A4: Okay. (#1) Kannst du eben ne PowerPoint erstellen? Weil dann versuch ich da auch reinzukommen, obwohl= 15 A5: =ja. (#35) ((Klickgeräusche)) 16 17 18 A4: Dann schick die einfach bei uns in diesen (.) Group zwei Dingen wenn das geht. Oh. Ich hab die immer noch nicht angeschrieben, 19 A5: Wen? 20 A4: Unsere Austauschschüler. Naja. (#3) 21 22 23 24 25 A5: Die (schaffen) das schon. Ähm. Warum funktioniert denn das jetzt nicht hier? Wir können das Dokument nicht teilen, weil es sich auf OneDrive (.) zu befinden scheint, möglicherweise wurde es entfernt oder umbenannt. Stellen Sie sicher dass (? ) 26 27 28 29 A4: Warte ich versuchs mal, ich geb einfach mal den Titel fast fashion, fast fashion ((Tippgeräusche)) speicher ich das mal, (#11) nein! ich hab schon eine die heißt genau auch fast fashion. Scheiße. 30 A5: mh 31 A4: äh ((Tippgeräusche)) ich versuchs mal. 32 A5: Ah jetzt jetzt gehts. Ist doch schön. In Gruppe 2 sind zu Beginn der task-in-process nur zwei SuS anwesend. Schüler A8 betritt den Raum erst in der achten Minute (s. Abb. 3). Ausgehend von A4s Vorschlag, ihren Text vorzulesen (Zeile 1-3), vergleichen die beiden ursprünglich anwesenden SuS zunächst ihre Antworten. Ohne auf eine Antwort von A5 zu warten und nach einer kurzen Rückfrage zur Aussprache des Wortes „Ranaa Plaza“ beginnt A4 eine längere monologische Äußerung, in der sie ihre Antworten vorliest (Zeile 5-11). Daraufhin fragt A4, ob A5 eine Präsentation mit dem Programm PowerPoint erstellen könne, was dieser bejaht. Es wird somit nicht diskutiert, welche Art von Lernprodukt erstellt werden soll, sondern implizit von A4 bestimmt (Zeile 13-14). Nach einem kurzen Exkurs über die Zusammenarbeit mit den VE-Partner*innen versuchen die beiden SuS, mit der Arbeit an der Präsentation zu beginnen. Allerdings stoßen sie bei der Co-Authoring-Funktion auf Schwierigkeiten und überlegen gemeinsam, wie sie das Dokument zusammen bearbeiten können (Zeile 21-32). Sie besprechen daraufhin fortlaufend, welche Informationen auf die Folien geschrieben werden sollen. Die Unterhaltung findet weitestgehend auf Deutsch statt und lediglich die vorbereiteten Stichpunkte werden von A4 auf Englisch vorgetragen. Es zeigt sich, dass in Gruppe 2 - ähnlich wie in Gruppe 1 - ein Gruppenmitglied die Organisation steuert: Dabei lässt A4 allerdings weniger Raum für die Vorschläge ihres Gruppenmitglieds A5 als A1 in Gruppe 1. 114 Sina Werner DOI 10.24053/ FLuL-2024-0007 53 • Heft 1 Im weiteren Verlauf der Gruppenarbeit nutzt die Gruppe vor allem die Co-Authoring-Funktion, teilt jedoch nicht die Bildschirme. Englisch wird in dieser Gruppe ausschließlich für die Informationen verwendet, die in die Präsentation aufgenommen werden sollen (Zeile 10-11). A8 nimmt kaum an der Gruppenarbeit teil. Auch die SuS in Gruppe 2 haben während der gesamten Zeit die Kameras ausgeschaltet. Gruppe 3 Abb. 6: Task IV Gruppe 3, Pos. 20-24 1 A11: A3 do you do you have anything else 2 A3: no 3 A11: okay fine then do we want to make power point ↓now. 4 A10: yes 5 A3: I think (#5) um A11 can you share your screen. Zu Beginn der Erarbeitungsphase geht Gruppe 3 ähnlich wie Gruppe 2 vor und die Mitglieder lesen ihre Notizen vor . Nach einer Rückfrage von A11, ob A3 noch etwas hinzuzufügen hat, steuert A11 die weitere Vorgehensweise, indem er fragt, ob die anderen Mitglieder nun eine PowerPoint-Präsentation erstellen wollen. Auffällig ist hier, dass die Äußerung syntaktisch zwar einer Frage gleicht, prosodisch aber einer Aussage ähnelt. A10 stimmt daraufhin zu und A3 schlägt vor, dass A11 hierzu seinen Bildschirm teilt (Zeile 4-5). Da A3 nicht widerspricht und durch ihre Nachfrage das weitere Vorgehen spezifiziert, scheint sie mit dem Vorschlag einverstanden zu sein. Insgesamt sind somit alle Gruppenmitglieder in die Entscheidung eingebunden, wie aber auch in den anderen beiden Gruppen macht insbesondere ein Schüler, hier A11, Vorschläge zur Vorgehensweise. Dies wirkt durch die Nachfragen in den Zeilen 1 und 4 allerdings wenig vorgebend, sondern eher leitend. Darüber hinaus machen auch andere Gruppenmitglieder wie A3 in Zeile 7 Vorschläge zur Umsetzung der task-inprocess. Insgesamt scheint es für diese Gruppe keine zentrale Frage zu sein, wie sie vorgehen soll. Die Entscheidung ist, wie in dem Fragment beobachtbar, schnell getroffen (Zeile 3-5). In dieser Sequenz kommuniziert die Gruppe ausschließlich auf Englisch, was sich auch in der weiteren Erarbeitung ähnlich fortführt. Im Gegensatz zu den anderen Gruppen nutzt diese Gruppe nicht die Co-Authoring-Funktion. Sie greift stattdessen auf die Funktion des Bildschirm-Teilens zurück. Hierzu teilt A10 seinen Bildschirm und notiert die Vorschläge zur Foliengestaltung, die von A11 und A3 eingebracht und mit der gesamten Gruppe diskutiert werden. Die Mitglieder der Gruppe 3 ko-konstruieren auf diese Weise gemeinsam ihr Lernprodukt. Bevor die Vorgehensweise von Gruppe 4 betrachtet wird, soll festgehalten werden, dass sich die Gruppen 1 bis 3 für eine gemeinsame Erarbeitung entscheiden und im Laufe der task-in-process zusammen eine Präsentation erstellen. Sie besprechen immer wieder, welche Informationen auf den Folien stehen sollen und nutzen dabei Task-in-Process in Breakout Rooms eines aufgabenbasierten Videokonferenzprojekts 115 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0007 entweder die Funktion des Bildschirm-Teilens oder die Co-Authoring-Funktion. Die Arbeit in den BOR lässt aber auch andere Arbeitsweisen zu, wie sich im Folgenden Fragment darstellt. Gruppe 4 Abb. 7: Task IV Gruppe 4, Pos 2-11 1 A9: A12? 2 A12: ja (.) ich bin mir grad nicht sicher ob A2 auch [da ist] 3 A2: [moin] 4 A9: okay moin 5 A12: doch 6 A2: um what shall we do now (.) we [should] 78 A9: [(Hausaufgaben besprechen)] (#2) Do you have the homework 9 A2: well um 10 11 A12: I think we have to produce a video or something like that 12 A2: I don't know I didn't listen grade 13 (#14 m 57 s) 14 A9: er are you still there? 15 A12: yeah 16 A9: ok Zu Beginn sind zwar alle SuS der Gruppe anwesend, A12 ist allerdings unsicher und erkundigt sich über A2. A2 antwortet mit einer Begrüßung (Zeile 3) und fragt daraufhin, was zu tun sei. Auffallend ist, dass A2 auf Englisch kommuniziert, woraufhin A9 zuerst auf Deutsch antwortet und dann ins Englische wechselt. A9 schlägt vor, zunächst die Hausaufgaben zu besprechen, welche als Vorbereitung auf die Gruppenarbeit dienen. Nachdem A2 von A9 nach der Hausaufgabe gefragt wird, antwortet er lediglich mit „well um“ (Zeile 9), was darauf schließen lässt, dass er sich nicht auf die Gruppenarbeit vorbereitet hat. A12 erklärt anschließend seine Interpretation der Aufgabe, nämlich dass die Gruppe ein Video oder Ähnliches erstellen soll. A2 gibt preis, dass er während der Erklärung der Aufgabe im Haupt-Meeting nicht zugehört hat. Daraufhin wiederholt A12 die Aufgabenbeschreibung. Nach dieser Äußerung wird nicht wie in den anderen Gruppen darüber diskutiert, wie weiter vorzugehen ist, sondern es entsteht eine 15-minütige Kommunikations- und Interaktionspause (Zeile 13). Erst später in der Arbeitsphase entscheidet A9 auf Nachfrage der Lehrkraft, dass er eine Präsentation erstellen würde. Diese Entscheidung wird von A2 und A12 bestätigt. Da die Gruppe einem arbeitsteiligen Prozess folgt, konzentriert sich die Interaktion im weiteren Verlauf folglich nicht auf den Inhalt oder die gemeinsame Erstellung 116 Sina Werner DOI 10.24053/ FLuL-2024-0007 53 • Heft 1 einer PowerPoint-Präsentation, sondern auf die Organisation der Arbeit. Die Aufnahme zeigt, dass die Studierenden zwar nicht miteinander interagieren, aber dennoch an verschiedenen Teilaufgaben zu arbeiten scheinen: Ein Schüler (A12) macht einige Notizen, die er später mit den anderen teilt, und A9 erstellt die Präsentation; A12 übernimmt die Vertonung, was von beiden Schülern im Laufe des Erarbeitungsprozesses artikuliert wird, während A2 keine solcher Aussagen tätigt und anscheinend nicht in die Erstellung des Lernproduktes involviert ist. Diese Art der Arbeitsweise führt zu weniger verbalen Interaktionen zwischen den Mitgliedern der Gruppe 4 als in den anderen Gruppen. 2 5. Diskussion und Ausblick Die durchgeführte Analyse beleuchtet die vielfältigen Interaktionsmuster und Vorgehensweisen von SuS-Gruppen bei der Bearbeitung einer Lernaufgabe in einer technologiebasierten Lernumgebung (BOR). Ein Schlüsselergebnis ist, dass die Anfangsorganisation in drei von vier Gruppen von SuS geleitet wird, wobei unterschiedliche Gruppenmitglieder eine Führungsrolle übernehmen. Diese Heterogenität spiegelt sich in der Interaktionsdynamik wider, wobei einige Gruppen eine ausgewogenere Beteiligung zeigen, während andere mit größeren Interaktionslücken zu kämpfen haben, wie z.B. auch L EE (2021) berichtet. Trotz dieser Unterschiede liegt der Hauptsprechanteil in allen Gruppen bei den SuS, nicht bei der Lehrkraft, im Gegensatz zu Erkenntnissen früherer Studien (z.B. H AMPEL / S TICKLER , 2012). Die technologischen Möglichkeiten von BOR, insbesondere die Co-Authoring- Funktion und das Bildschirm-Teilen, beeinflussen die gemeinsame Konstruktion von Lernprodukten. Gruppen, die diese Funktionen nutzen, interagieren intensiver über Inhalte und Design ihrer Präsentationen. In Gruppe 4, die diese Technologien nicht einsetzt, bleibt die Diskussion über Inhalte aus, was aufzeigt, wie die technologischen Funktionen die Interaktion und Zusammenarbeit der SuS beeinflussen. Die Ergebnisse legen nahe, dass BOR eine spezielle Lernumgebung darstellen, die SuS mehr Freiheit bei der Gestaltung ihres Gruppenarbeitswegs bietet (vgl. A LM und F EICK , 2022). Die Wechselwirkung zwischen technologischen Möglichkeiten und dem Interaktionsmuster der Gruppen prägt die Vielfalt der Vorgehensweisen. BOR können also, gerade durch die passenden technischen Möglichkeiten, eine geeignete Umgebung für Kollaboration (vgl. G UO / M ÖLLERING 2016; S ILTALA 2015) und Kommunikation (vgl. C HANDLER 2016; K OHNE / M OORHOUSE 2022; L AY / G IBLETT 2020) zwischen SuS sein. Folglich bieten BOR nicht nur konzeptionell die Möglichkeit für Zusammenarbeit, sondern werden von SuS als Chance zur synchronen Arbeit in „Echtzeit“ (L AY / G IBLETT 2022: 555), allerdings auf unterschiedliche Weisen, genutzt. Zentral erscheint es, mit den SuS gemeinsam über Vorstellungen zum 2 Obwohl wenig Interaktion stattfand, reichen sie ein Produkt ein und bearbeiten die Aufgabe, ohne viel miteinander zu sprechen. Task-in-Process in Breakout Rooms eines aufgabenbasierten Videokonferenzprojekts 117 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0007 Sprachlernprozess zu diskutieren und die Nutzung technischer Funktionen in die Aufgabenbesprechung einzubeziehen. Besonders relevant ist hier die Bedeutung der Sensibilisierung für die Rolle von Interaktionen im Sprachlernprozess, so dass SuS durch eine reflektierte Nutzung der Technologie und das Gefühl der Autonomie eher zur Teilnahme motiviert werden können. Abschließend ist zu beachten, dass die Studie aufgrund ihrer qualitativen Auslegung und begrenzten Stichprobe keine Verallgemeinerungen oder Kausalitäten zulässt. Dennoch bietet sie einen ersten Einblick in die durch den pandemiebedingten Wechsel zum ERT entstandenen Interaktionen in einer technologiebasierten Lernumgebung. Literatur A LM , Antonie / F EICK , Diana (2022): „Group work in time of social isolation: On the use and perception of breakout rooms“. In: New Zealand Studies in Applied Linguistics 28.1, 1-19. B REEN , Michael (1985): „The social context for language learning—a neglected situation? “ In: Studies in Second Language Acquisition 7.2, 135-158. B REEN , Michael (1989): „The evaluation cycle for language learning tasks“. In: J OHNSON , Robert K. (Hrsg.): The Second Language Curriculum. Cambridge: University Press, 187-206. B REEN , Michael (1987): „Learner contributions to task design“. In: Language learning tasks 7.1, 23- 46. B RYFONSKI , Lara / M C K AY , Todd H. 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Mikropause, normalerweise weniger als 0,2 Sekunden (…) spürbare, längere Pause (# minutes and seconds) Dauer einer Sprechpause in Minuten und Sekunden an wor- Unterbrechung des vorangehenden Lautes, abrupte Unterbrechung der Äußerung ( text ) Stellen, die zweifelhaft sind solid.= =we had unmittelbares Ineinandergreifen von aufeinanderfolgenden Beiträgen, sei es von einem oder mehreren Sprecher*innen . zeigt eine fallende Tonhöhe an , zeigt einen vorübergehenden Anstieg oder Abfall der Intonation an ? zeigt eine steigende Tonhöhe an, signalisieren eine stärkere, 'fragende' Intonation, unabhängig von Grammatik (? ) Stellen, die unklar sind ((text)) Anmerkung zu nonverbalen Aktivitäten she wa: nted Doppelpunkte zeigen den Grad der Dehnung des vorherigen Tons an Underlining kennzeichnet Betonungen [hi] [heya] Überschneidungen ↓ stark fallende Intonation DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 53 • Heft 1 M ARIA E ISENMANN * Differenzierung und Individualisierung im Fremdsprachenunterricht - Ergebnisse einer deutschlandweiten schulübergreifenden Befragung von Fremdsprachenlehrkräften Abstract. The omnipresent heterogeneity in every classroom challenges teachers of all types of different schools to meet the diverse, individual educational needs of their students. Despite the curricular guidelines of the federal states regarding differentiation and individualisation, the empirical basis of the demanding management of heterogeneous learning groups in the foreign language classroom is surprisingly scarce. This circumstance led to a quantitative study conducted in 2019, focusing on differentiation, and individualisation in the most frequently taught foreign languages in Germany (English, French, Italian and Spanish,). More than 600 foreign language teachers from all over Germany participated in the online survey, regardless of their specific subject combinations and school types. The results of the collected data illustrate the various learning group constellations, the used techniques, methods and materials, and their (dis-)advantageous features according to the respondents’ perception. 1. Einleitung und Problemstellung Der vorliegende Beitrag stellt die Ergebnisse einer quantitativen, deutschlandweiten, schulartübergreifenden Befragung von Fremdsprachenlehrkräften zu Differenzierung und Individualisierung im Fremdsprachenunterricht vor. Hintergrund dieser umfassenden Studie ist die allgemein bekannte Heterogenität im Klassenzimmer, die gleichermaßen als Herausforderung als auch Überforderung, mitunter auch als Notwendigkeit und zugleich als Chance in allen Schulformen wahrgenommen wird (vgl. S ASSE / S CHULZECK 2021; C HILLA / V OGT 2017). Konsequenterweise sind in Politik und cur- * Korrespondenzadresse: Univ.-Prof. Dr. Maria E ISENMANN , Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Neuphilologisches Institut, Lehrstuhl für Fachdidaktik - Moderne Fremdsprachen, Am Hubland, 97074 W ÜRZBURG E-Mail: maria.eisenmann@uni-wuerzburg.de Arbeitsbereiche: Differenzierung & Individualisierung, BNE & Globales Lernen, (digitale) Medien- und Literaturdidaktik, Irish Studies N i c h t t h e m a t i s c h e r T e i l Differenzierung und Individualisierung im Fremdsprachenunterricht 121 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 ricularen Bestimmungen aller Länder der Bundesrepublik Deutschland zunehmende Forderungen nach Differenzierung und Individualisierung im Unterricht zu konstatieren, bis hin zu ganz konkreten Vorschlägen für Differenzierung im Fach Englisch. So finden sich beispielsweise in Baden-Württemberg auf dem Landesbildungsserver konkrete Hinweise und Vorschläge für Unterrichtsmaterialien zur Differenzierung im Englischunterricht im Bereich der Kompetenzen Sprechen, Leseverstehen, Grammatik und Hörverstehen. 1 Neben vielen Unterrichtsmaterialien und Hinweisen für Differenzierungsmöglichkeiten gibt es dort auch konkrete differenzierende Stundenkonzepte. 2 Differenzierende Förderung heißt, allen Lernenden die Möglichkeit zu geben, Inhalte ihren Kompetenzen entsprechend zu vertiefen und dabei individuelle Lernwege einschlagen zu können (vgl. E ISENMANN 2019). Lernen ist ein sehr komplexes Geflecht, das nicht nur von der Intelligenz, Auffassungsgabe, Motiviertheit und den Vorkenntnissen abhängt, sondern auch von der Tagesform, der Sozialisation, dem häuslichen Umfeld und der Persönlichkeit des Lernenden (vgl. L INSER / P ARADIES 2019). Um also Differenzierung im Unterricht überhaupt möglich zu machen und um die Schülerschaft im Fremdsprachenunterricht auf zentrale Kompetenzstandardüberprüfungen vorzubereiten, muss sich die Lehrkraft mit verschiedenen Lernstrategien und Lernarrangements auseinandersetzen (vgl. C HILLA / V OGT 2017; E ISENMANN 2019). Ob und inwieweit dies im Schulalltag umzusetzen ist, kann nicht pauschal beantwortet werden, und auch der Fragebogen überprüft nicht, ob und wie das die befragten Lehrkräfte bewerkstelligen, da es hier um eine Selbsteinschätzung geht. 2. Forschungsstand und Begründung des Forschungsvorhabens Zahlreiche normative Modelle zum differenzierenden Umgang mit heterogenen Lerngruppen finden sich schon seit längerer Zeit vor allem auf allgemein pädagogischer Ebene (vgl. K AMPSHOFF / W IEPCKE 2021). Darüber hinaus sind in den letzten Jahren einige, teilweise auch empirisch ausgerichtete, Publikationen zu dem breiten Forschungsfeld Differenzierung und Individualisierung im Fremdsprachenunterricht erschienen (vgl. Z .B. S CHLAAK 2015). Auf vielen Webseiten sind zudem praktische Materialien, wissenschaftliche Veröffentlichungen und Tagungsinformationen zu finden. 3 Außerdem gibt es eine Reihe von schulpraktisch orientierten Beiträgen, aller- 1 https: / / www.schule-bw.de/ faecher-und-schularten/ sprachen-und-literatur/ englisch/ bildungsplan-unddifferenzierung/ differenzierung (16.07.2023) https: / / www.schule-bw.de/ faecher-und-schularten/ sprachen-und-literatur/ englisch/ unterrichtsmaterialiennach-kompetenzen/ sprechen/ bidi-sp (16.07.2023) 2 https: / / lehrerfortbildung-bw.de/ u_sprachlit/ englisch/ gym/ bp2016/ fb5/ 5_leistung/ 08_diff/ (16.07.2023) 3 Z.B.: https: / / www.the-english-academy.de/ fuenf-der-besten-methoden-zur-differenzierung-im-englisch unterricht/ (16.07.2023), http: / / www.englischunterricht-online.de/ index.php/ 14-uncategorised/ differenzie rung (16.07.2023), https: / / inklusiver-englischunterricht.de (16.07.2023) 122 Maria Eisenmann DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 53 • Heft 1 dings dominieren für den Bereich der Differenzierung und Individualisierung im Fremdsprachenunterricht theoretisch-konzeptionelle Publikationen (vgl. C HILLA / V OGT 2017; E ISENMANN 2019). Die meisten der fremdsprachendidaktischen Veröffentlichungen der letzten Jahre gehen auf binnendifferenzierende Maßnahmen ein (vgl. E ISENMANN 2019). Neben einigen Praxisratgebern liegen auch einige eher mit Blick auf methodische Fragen der Schulpraxis ausgerichtete Themenhefte von Zeitschriften, wie z.B. Der fremdsprachliche Unterricht, vor. Dabei werden in der Regel folgende, überwiegend in der Schulpädagogik entwickelte, für den Fremdsprachenunterricht aber bislang nur wenig empirisch untersuchte Bereiche der Binnendifferenzierung angesetzt: Lerntempo, Leistung, Umfang und Ziele (vgl. L INSER / P ARADIES 2019). In der Folge der Ratifizierung der UN- Behindertenrechtkonvention (V EREINTE N ATIONEN 2007) durch die Bundesrepublik Deutschland und einer entsprechenden Empfehlung der KMK (S EKRETARIAT DER S TÄNDIGEN K ONFERENZ DER K ULTUSMINISTER 2011) wurde darüber hinaus Inklusion als besondere Form der Differenzierung und Individualisierung zu einer zentralen Aufgabe des Bildungssystems. In diesem Zusammenhang ist es von großer Bedeutung, für den fremdsprachlichen Bereich entsprechende Maßnahmen bereit zu stellen, da der Erwerb der allgemeinen Hochschulreife bekanntlich an das erfolgreiche Erlernen mindestens zweier Fremdsprachen geknüpft ist. Häufig werden als didaktischmethodische Prinzipien für inklusiven Unterricht Ansätze angeführt, die im Wesentlichen weitgehend dem binnendifferenzierenden Methoden-Repertoire entstammen, wie z.B. Freiarbeit, Projektarbeit, Werkstatt-/ Stationsarbeit, Wochenplanarbeit oder aufgabenorientiertes Lernen. Aus diesem Grund können die in der vorliegenden Studie gewonnen Erkenntnisse zu differenzierenden Methoden auf den inkludierenden Fremdsprachenunterricht übertragen werden. Trotz der großen gesellschaftlichen und (schul-)politischen Relevanz der Themenbereiche Heterogenität, Diversität und Inklusion und der vielen damit verbundenen Forderungen nach Differenzierung im Fremdsprachenunterricht und nunmehr auch nach Inklusion, ist die empirische Basis für die Frage nach der Bekanntheit und Verbreitung differenzierender, individualisierender und inkludierender Lernarrangements dünn und es gibt nur wenig empirisch fundierte Theoriebildung. Neben dem ZFF-Forschungsreview von G ERLACH und S CHMIDT (2021) im Bereich der Fremdsprachendidaktik gibt es vereinzelte Studien, wie z.B. von G ERLACH (2015), der eine Befragung mit Lehrkräften zu inklusivem Fremdsprachenunterricht durchgeführt hat. Außerdem liegen von K ÖTTER und T RAUTMANN (2018 & 2020) zwei Interviewstudien zu diesem Forschungsfeld vor. Eine deutschlandweite, schulartenübergreifende empirische Datenerhebung zu der Frage, auf welche binnendifferenzierenden Maßnahmen Fremdsprachenlehrkräfte in aufgaben- und standardorientierten Lernkontexten zurückgreifen, liegt jedoch bislang noch nicht vor. Genau aus diesem Grund erweist sich die umfassende Erhebung solcher Daten als sehr dringlich, nicht zuletzt, um die Erfahrungen von Fremdsprachenlehrkräften aller Schularten in den Bereichen Differenzierung in den jeweiligen Fächern darzustellen. Um zu diesem Bereich etwas beizutragen, ist das zentrale Inte- Differenzierung und Individualisierung im Fremdsprachenunterricht 123 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 resse des vorliegenden Forschungsprojekts die Gewinnung von empirisch fundierten Erkenntnissen darüber, welche differenzierenden Lernarrangements Lehrkräfte in den modernen Fremdsprachen in ihrem Unterrichtsalltag einsetzen und welche sie für besonders lohnenswert und effektiv erachten. Die Auswahl der modernen Fremdsprachen mit Fokus auf die Fächer Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch beruht auf Rechercheergebnissen deutschlandweiter Lehr- und Bildungspläne, in denen Englisch immer an erster Stelle genannt wird, dicht gefolgt von Französisch, Spanisch und Italienisch (in der Regel in dieser Reihenfolge). Erst hier schließen sich die Sprachen Russisch und Chinesisch an, die häufig in Form von Wahlkursen angeboten werden und daher in der vorliegenden Studie nicht berücksichtigt worden sind. 3. Ziel der vorliegenden Studie und Fragestellungen Die Studie soll in erster Linie Aufschluss über eventuelle Präferenzen für einzelne Methoden/ Sozialformen und über Einstellungen der Lehrkräfte zu Chancen und Herausforderungen bestimmter Methoden geben sowie noch umfassender festhalten, inwieweit Differenzierung im Fremdsprachenunterricht bereits stattfindet und wo Theorie und Praxis auseinanderklaffen. Im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses und dieses Beitrags stehen dabei die folgenden Fragen: 1. Auf welche binnendifferenzierenden und inkludierenden Maßnahmen greifen Lehrkräfte im aufgaben- und standardorientierten Lernkontext am häufigsten zurück? 2. Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Bekanntheit bestimmter Methoden und der Häufigkeit des Einsatzes? 3. Welche Erscheinungsformen von Heterogenität sind Lehrkräften bekannt und wie häufig kommen diese im Fremdsprachenunterricht vor? 4. Welche Formen der Heterogenität und des Umgangs mit ihr stellen im Fremdsprachenunterricht Chancen bzw. besondere Herausforderungen dar? Abschließend sollen Implikationen für einen differenzierenden Fremdsprachenunterricht abgeleitet sowie Schlüsse im Hinblick auf Unterstützungsmöglichkeiten für Lehrkräfte gezogen werden. 4. Fragebogenkonzeption, Erhebungsdesign und Stichprobe 4.1 Methode / Erhebungsdesign Bei der Querschnittstudie, die im Herbst 2019, also noch vor der Corona-Krise und den damit verbundenen Schulschließungen und Distanzlernen, über die Plattform SoSciSurvey durchgeführt wurde, handelt es sich um einen Online-Fragebogen, der in einem ersten Schritt anhand der Likert-Skala die Bekanntheit und Häufigkeit des 124 Maria Eisenmann DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 53 • Heft 1 Einsatzes von 29 Methoden und 3 Sozialformen mit jeweils 5 Antwortmöglichkeiten („sehr schlecht“ bis „sehr gut“ bzw. „nie“ bis „immer/ jede Stunde“) abgefragt hat. Zu jeder Methode und Sozialform wurde außerdem in einem offenen Antwortformat nach den jeweils empfundenen gewinnbringenden und herausfordernden Aspekten der Methode oder Sozialform gefragt. In einem zweiten Schritt wurden die Bekanntheit und Häufigkeit im Fremdsprachenunterricht von 26 Erscheinungsformen von Heterogenität mit jeweils 5 Antwortmöglichkeiten („sehr schlecht“ bis „sehr gut“ bzw. „nie“ bis „immer/ jede Stunde“) abgefragt. Auch hier wurde in einem offenen Antwortformat nach den jeweils empfundenen gewinnbringenden und herausfordernden Aspekten dieser Facetten gefragt. Forschungsmethodologisch ist die Fragebogenstudie entsprechend des mixed method-Designs angelegt, d.h. grundlegende Methodenansätze des qualitativen und des quantitativen Paradigmas werden verbunden, indem eine Kombination aus quantitativen und qualitativen Erhebungsmethoden gewählt worden ist. Dies schließt sich dem in der mixed methods-Forschung zugrundeliegenden Verständnis an, dass die methodologische Dichotomie zwischen quantitativen und qualitativen Methoden in der empirischen Fremdsprachenforschung wenig zielführend ist und die Forschung vielmehr gegenstandsangemessen sein sollte und der Forschungsprozess transparent darzulegen ist (vgl. z.B. Z YDATIß 2016). Dies ist grundsätzlich Konsens in den Publikationen der letzten Jahre im Bereich der Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung (vgl. z.B. C ASPARI et al. 2022). Die Studie wurde schriftlich durchgeführt, was die Erfassung größerer Gruppen von Befragten erlaubt, um differenzierte Datensätze in einem größeren Umfang auf relativ effiziente Weise zu erheben. Die hier vorliegende Studie orientiert sich demnach sowohl an dem qualitativ-interpretativen sowie an dem quantitativ-statistischen Methodenrepertoires und den entsprechenden Auswertungsverfahren. Hinsichtlich der Selbsteinschätzung der Lehrkräfte wurde der Einsatz differenzierender Methoden und Sozialformen mit Fragebögen eher quantitativ und die sich anschließenden offenen Fragen eher qualitativ abgebildet. Es handelte sich hier um offene, unstandardisierte Fragen, um den Befragten den größtmöglichen Beantwortungsspielraum zu gewähren. Dies bedeutete ein großes Antwortspektrum, weil sich die Teilnehmenden nicht für eine Antwort entscheiden mussten, sondern diese selbst formulieren konnten. Die Daten wurden deskriptiv mit Hilfe der SPSS-Software (Version 26) ausgewertet und Häufigkeiten, Mittelwerte (M) und Standardabweichungen (SD) berechnet. Die Grafiken wurden mit der freien Programmiersprache R (Version 4.1.2) erstellt. Die Auswertung erfolgte in einem deskriptiv-statistischen Verfahren, um die unübersichtlichen Zahlenmengen in überblicksartigen Grafiken zusammenzufassen. Durch das deskriptive Verfahren konnten ein Überblick über den Datensatz gewonnen und zentrale Tendenzen beschrieben werden. Diese Übersicht leistet die wesentliche Grundlage, um in einer qualitativ angelegten Folgestudie Auffälligkeiten genauer anzusehen bzw. Hypothesen abzuleiten und zu prüfen. Differenzierung und Individualisierung im Fremdsprachenunterricht 125 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 4.2 Aufbau des Fragebogens Die folgenden Rubriken wurden im Vorfeld der Erhebung festgelegt (Ergebnisse der Reliabilitätsanalyse aufgrund des Korrelationskoeffizienten ‚Cronbachs Alpha‘ in Klammern): 1. Bekanntheit von bzw. Vertrautheit mit Methoden und Sozialformen zur Differenzierung (.93) 2. Häufigkeit des Einsatzes dieser Methoden und Sozialformen (.88) 3. Bekanntheit von Erscheinungsformen von Heterogenität (.97) 4. Häufigkeit dieser Erscheinungsformen im Fremdsprachenunterricht (.93) 5. Chancen und Herausforderungen von Heterogenität 6. Soziodemographische Daten zu den befragten Personen (Geschlecht, Alter, Bundesland, Fächerverbindung, Schulart, Dienstjahre) Die Wahl der abgefragten Items beruht in erster Linie auf schulpädagogischen und fachdidaktischen Quellen, die Handlungsempfehlungen, Methoden und Sozialformen zur Differenzierung benennen. Die Recherche hierzu konzentrierte sich neben den oben genannten Themenheften auch auf einschlägige Fachliteratur, die sich mit der Thematik Differenzierung, integrativer Unterricht, kooperative Lernformen und Lehrerbildung auseinandersetzt (vgl. E ISENMANN 2019; H ELMKE 2017; L INSER / P ARADIES 2019). Die gewählten Methoden und Sozialformen können Abbildung 1 entnommen werden. 4.3 Stichprobe Die Online-Umfrage richtete sich an Lehrkräfte der modernen Fremdsprachen Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch und wurde nach Genehmigung des Fragebogens seitens der Bildungs-, Kultus- und Wissenschaftsministerien in allen 16 Ländern der Bundesrepublik Deutschland schulartübergreifend durchgeführt. Für die Datenerhebung wurden deutschlandweit die Schulleiter/ innen aller allgemeinbildenden und berufsbildenden Regelschulen mit der Bitte angeschrieben, den Link zum Online-Fragebogen an alle Lehrkräfte der o.g. modernen Fremdsprachen der jeweiligen Schule weiterzuleiten. Die Zahl aller angeschriebenen Schulen bzw. Schulleiter belief sich auf 20.639. Insgesamt konnten 628 Fragebögen ausgewertet werden, wobei es sich hier um die im Vorfeld bereinigten Umfragedaten handelt, d.h. nur komplett abgeschlossene Fragebögen wurden berücksichtigt. Es handelt sich bei der Datenerhebung um eine repräsentative Stichprobe, da sich die befragten Fremdsprachenlehrkräfte hinsichtlich Alter, Geschlecht, Schulart und Fächerverbindung nicht von der Grundgesamtheit in Deutschland unterscheidet (vgl. dazu die bei Statista gesammelten Daten) 4 . 4 https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 1129882/ umfrage/ verteilung-der-lehrerinnen-indeutschland-nach-altersgruppen/ (16.07.2023) 126 Maria Eisenmann DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 53 • Heft 1 5. Ergebnisse und Diskussion 5.1 Allgemeine Informationen zu den befragten Personen (Geschlecht, Alter, Fächerverbindung, Schulart, Dienstjahre) An der Befragung haben eigenen Angaben zufolge 523 weibliche und 105 männliche Fremdsprachenlehrkräfte teilgenommen, d.h. in der Erhebung findet sich ein deutliches Übergewicht zugunsten von Frauen. Dies ist nicht überraschend, denn laut Statista belief sich im Schuljahr 2019/ 20 der Frauenanteil unter den Lehrkräften an allgemeinbildenden und berufsbildenden Regelschulen auf ca. 73 Prozent. Die Statistik bezieht sich deutschlandweit auf alle voll- und teilzeitbeschäftigte sowie stundenweise beschäftigte Lehrkräfte. 5 Der Frauenanteil bei Fremdsprachenlehrkräften lässt sich nicht ermitteln. Es sind alle Altersgruppen vertreten, wobei die Quote der unter 30-Jährigen unter der der nachfolgenden Altersgruppen liegt (n= 61). Knapp drei Viertel (n = 469) der Befragten sind zwischen 30 und 54, ab 55 geht die Zahl der Teilnehmer/ innen deutlich nach unten. Die Zeit der Dienstjahre (ohne Referendariat) lag bei den meisten Befragten entsprechend unter 20 Jahren (n = 457). Mit 99,7% ist die Quote der Lehrkräfte am höchsten, die noch eine weitere Sprache unterrichten, bei 41,5% der Befragten setzt sich die Fächerverbindung aus einer Fremdsprache und einem weiteren Fach aus den Gesellschafts- und Geisteswissenschaften zusammen, 34,8% unterrichten noch im Bereich Naturwissenschaft und Technik und 27,5% haben als weitere/ s Fach/ Fächer zur Fremdsprache Musik, Kunst oder Sport. 5.2 Zusammenhang zwischen Bekanntheit von Methoden und Techniken zur Differenzierung und Individualisierung und deren Anwendung Es erscheint selbstverständlich, dass Lehrkräfte nur Methoden anwenden, die sie kennen, es könnte jedoch auch sein, dass viele der Methoden bekannt sind, aber nicht zum Einsatz kommen. Die aufgestellte Hypothese „Je bekannter eine Methode, desto häufiger kommt sie zum Einsatz.“ konnte anhand der Daten überprüft werden. Bei der Frage nach der Bekanntheit von Methoden und Techniken zur Differenzierung, Individualisierung und danach, wie häufig diese im jeweiligen Fremdsprachenunterricht zum Einsatz gekommen sind, lässt sich schulartenübergreifend zusammenfassend sagen, dass die Befragten einen guten Kenntnisstand über eine Vielzahl von Methoden haben und verschiedenste Medien und Methoden auch im Unterricht verwenden. Am häufigsten eingesetzt werden auch die bekanntesten Methoden, was die oben aufgestellte Hypothese untermauert. Von den insgesamt 40 abgefragten Methoden liegt knapp die Hälfte zwischen den Werten 3 und 4. Den höchsten Bekanntheitswert haben 5 https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 1129852/ umfrage/ frauenanteil-unter-den-lehrkraeften-indeutschland-nach-schulart/ (16.07.2023) https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 1129861/ umfrage/ frauenanteil-unter-den-lehrkraeften-indeutschland-nach-bundeslaendern/ (16.07.2023) Differenzierung und Individualisierung im Fremdsprachenunterricht 127 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 nicht-digitale Methoden und Sozialformen wie Partnerarbeit, Gruppenarbeit und Einzelarbeit, dicht gefolgt von kooperativen Methoden wie Think-Pair-Share, Stationenlernen, One-Minute-Talks oder Rollenspiel, wie die folgende Übersichtsgrafik zur Bekanntheit von Methoden und Techniken zur Differenzierung, Individualisierung und deren Anwendung in Abbildung 1 zeigt: Abb. 1: Bekanntheit und Häufigkeit der Anwendung von differenzierenden Methoden Hier lohnt sich ein Blick auf die offenen Fragen, die anhand einer qualitativen Inhaltsanalyse (M AYRING 2015) ausgewertet worden sind. Insbesondere kooperative Metho- 128 Maria Eisenmann DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 53 • Heft 1 den werden aufgrund ihres Charakters als besonders gewinnbringend empfunden, weil diese die Fähigkeiten der Schüler zu selbstständigem Arbeiten förderten, aber auch kritisches Denken und Kreativität intensivierten und zudem die sozialen Beziehungen in der Klasse verbesserten. Zum Einsatz kommen eher Methoden, die einen geringeren Vorbereitungsaufwand erfordern. Auffallend ist in dieser Hinsicht vor allem der hohe Bekanntheitsgrad digitaler Medien, wie z.B. Wikis, Chats oder Blogs, deren Anwendungshäufigkeit dann aber deutlich geringer ausfällt. Auch hier zeigen die offenen Antworten interessante Ergebnisse. In Bezug auf Medien im Allgemeinen und digitale Medien im Speziellen wird vielfach bemängelt, dass die Schulen weder technisch noch ressourcenbezogen angemessen ausgestattet sind, um diese im Unterricht einzusetzen. Veraltete technische Ausstattung und schlechte bis gar keine Internetverbindung zählen zu den am häufigsten genannten Kritikpunkten und verhindern bzw. erschweren den Einsatz bestimmter Medien, vor allem im Bereich der neueren Technologien. Des Weiteren werden die für den medienorientierten Unterricht notwendigen Kompetenzen der Lehrkräfte angesprochen. Damit Medien nicht um ihrer selbst willen, sondern gewinnbringend und zur bestmöglichen Vermittlung der Stundeninhalte verwendet werden, müssen die Lehrkräfte im Umgang mit ihnen besser geschult werden. Hier sehen viele der Befragten großen Verbesserungsbedarf und empfinden den Umgang mit verschiedenen Medien insgesamt als herausfordernd. Viele verweisen explizit darauf, dass der Einsatz eines digitalen Mediums sinnvoll und zielführend bei der Vermittlung von Unterrichtsinhalten sein sollte und nicht nur aus Prinzip erfolgen darf. Daher stehen Lehrkräfte regelmäßig vor der schwierigen Aufgabe, adäquate Medien aus dem sehr breiten Angebot herauszufiltern. Der Mehrwert von digitalen im Vergleich zu analogen Medien wird ebenfalls häufig in Frage gestellt. Folgende Beispiele aus den Antworten auf die offene Frage zeigen, warum der Einsatz digitaler Medien eher selten geschieht: (1) Wir haben kein Internet und keine Medienausstattung an der Schule! ! ! ! Keine Arbeitsmöglichkeit! (2) Keine, da es an unserer Schule kaum Internetzugang gibt. (3) Ich hatte nur eine Weiterbildung mit digitalen Medien an Tablets. Diese besitzen wir an unserer Schule nicht, daher nutze ich keine digitalen Medien im Unterricht. Wir haben an unserer Schule nur einen PC Raum für alle Klassen. Keine Whiteboards etc. (4) [...] Die Nutzung von Onlineplattformen ist aufgrund der schulischen Ausstattung kaum möglich. (5) Leider haben wir an unserer Schule keine digitalen Geräte für die Schülerhand (und für die Lehrer auch nicht). (6) Ich bin in einer Grundschule tätig und wir fangen gerade mit der Digitalisierung an. (7) Schlechte Internetverbindung auf dem Dorf! ! ! ! (8) Mangelnde Ausstattung schließt weitere Möglichkeiten aus. Differenzierung und Individualisierung im Fremdsprachenunterricht 129 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 (9) [...] unsere Schule ist digital so miserabel ausgestattet, dass man gar nichts machen KANN, selbst wenn man noch so viele Fortbildungen dazu besucht hat. Analysiert man die vorliegenden Daten nach alters- und genderspezifischen Unterschieden, kommt man zu dem Ergebnis, dass Sozialformen wie Partner-, Gruppen- und Einzelarbeit schulartenübergreifend in allen Altersgruppen und bei beiden Geschlechtern die häufigste Verwendung im Fremdsprachenunterricht finden (s. Abb. 2 & 3). In allen Altersgruppen erzielen Frauen in der subjektiven Bewertung ihrer Kenntnisse über Unterrichtsmethoden im Schnitt einen höheren Wert. Im Vergleich zu ihren Kolleginnen setzen Männer vermehrt digitale Medien für einen differenzierenden, individualisierenden und inkludierenden Fremdsprachenunterricht ein (s. Abb. 2). Weibliche Lehrkräfte dagegen wenden öfter kreative Methoden an, wie z.B. Rollenspiele oder szenisches Spiel (s. Abb.3). Sie greifen auch öfter auf Methoden zurück, die mit Selbstreflexion oder Selbstevaluation zu tun haben, aber auch auf solche, die über einen längeren Zeitraum gehen (z.B. Stationenlernen, Lernwerkstatt, Lesetagebuch), und vor allem auf Methoden, bei denen sich die Schüler/ innen die Inhalte selbstständig erarbeiten müssen (z.B. Wochenplanarbeit, Lesetagebuch). Alle diese Methoden erfordern auch einen höheren Vorbereitungsaufwand. Bei beiden Geschlechtern fällt die geringe Häufigkeit der Nutzung von E-Angeboten auf, wohingegen die Nutzung anderer digitaler Medien - vor allem, aber nicht nur, bei männlichen Lehrkräften - erstaunlich häufig genannt wird. Liest man die Daten nach den einzelnen Schularten aus, so zeichnet sich in der Grundschule eine vergleichsweise hohe Bekanntheit von Lerntheke, Lernwerkstatt, Freiarbeit, Wochenplanarbeit, Projektarbeit, Portfolioarbeit und Stationenlernen ab, während die Bekanntheit anderer digitaler Medien v.a. in den beruflichen Schulen stark ausgeprägt ist. In Grund-, Mittel- und Hauptschulen sind digitale Medien im Allgemeinen weniger prävalent. 130 Maria Eisenmann DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 53 • Heft 1 Abb. 2: Genderspezifische Unterschiede: männlich Differenzierung und Individualisierung im Fremdsprachenunterricht 131 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 Abb. 3: Genderspezifische Unterschiede: weiblich 132 Maria Eisenmann DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 53 • Heft 1 Abb. 4: Altersspezifische Unterschiede: 25-44 Jahre Differenzierung und Individualisierung im Fremdsprachenunterricht 133 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 Abb. 5: Altersspezifische Unterschiede: 45-70 Jahre 5.3 Zusammenhang zwischen Erscheinungsformen von Heterogenität und deren Existenz im Fremdsprachenunterricht Um herauszufinden, wie vertraut Fremdsprachenlehrkräfte mit der Diversität von Lerngruppen sind, ging es in einem nächsten Schritt um die Heterogenität von Lern- 134 Maria Eisenmann DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 53 • Heft 1 gruppen und den Umgang mit dieser. Auch hier liegt schulartenübergreifend ein deutlicher Zusammenhang zwischen Kenntnissen zu unterschiedlichen Lernvoraussetzungen, Begabungen und besonderen Bedürfnissen der Lernenden und dem Aufkommen dieser Besonderheiten im eigenen Fremdsprachenunterricht vor (s. Abb. 6). Abb. 6: Erscheinungsformen von Heterogenität und deren Existenz im Fremdsprachenunterricht Differenzierung und Individualisierung im Fremdsprachenunterricht 135 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 Schulartenübergreifend werden LRS, ADHS und Mehrsprachigkeit in Kombination mit mangelnden Deutschkenntnissen als häufigste und bekannteste Beeinträchtigungen wahrgenommen. Mehrsprachigkeit ist per se natürlich kein Problem, es wurde hier lediglich in einer Kategorie gemeinsam mit mangelnden Deutschkenntnissen erfasst, weil dies häufig gekoppelt ist und Mehrsprachigkeit somit eine Herausforderung bzw. eine Besonderheit darstellt, was auch häufig in der Fachliteratur beschrieben wird (vgl. S ASSE / S CHULZECK 2021). Viele der genannten körperlichen Beeinträchtigungen und Erkrankungen sind den Lehrkräften zwar bekannt, fallen in der Häufigkeit jedoch wesentlich geringer aus als psychische und sozial-emotional bedingte Auffälligkeiten. Auf den hinteren Plätzen finden sich die Erfahrungs- und Häufigkeitswerte mit Schülerinnen und Schülern, die an den Folgen von Frühgeburtlichkeit, an spezifischen Sprachentwicklungsstörungen oder Epilepsie leiden. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass körperliche Beeinträchtigungen im Klassenzimmer nicht zwingend bzw. nicht unmittelbar zu erkennen sind und häufig auch keine besondere Anpassung des Unterrichts erfordern (vgl. C HILLA / V OGT 2017: 59f.). Mit Hilfe der durchgeführten Studie sollte die Aufmerksamkeit auf den potentiellen Mehrwert eines differenzierenden und individualisierenden Fremdsprachenunterrichts gerichtet und aufgezeigt werden, welche Chance differenzierende Maßnahmen im Fremdsprachenunterricht darstellen. Dies lassen erneut die anhand einer qualitativen Inhaltsanalyse (M AYRING 2015) ausgewerteten offenen Fragen erkennen. Im Einzelnen betonen die Lehrkräfte immer wieder, dass sie Differenzierung für heterogene Lerngruppen per se als äußerst gewinnbringend erachten und nennen in den Antworten viele positive Effekte von inklusivem Unterricht. Dazu zählen z.B. die Förderung der Empathiefähigkeit und der sozialen Kompetenz, die Schulung von Toleranz und Akzeptanz, Perspektivenwechsel, die Erhöhung der Sensibilität für die Befindlichkeiten von Mitmenschen und vieles mehr. Die Befragten weisen außerdem darauf hin, dass gelingende und erfolgreiche Inklusion allgemein stark von dem spezifischen Ausprägungsgrad der Beeinträchtigung(en) abhängt und nur schwer pauschale Aussagen über bestimmte Besonderheiten getroffen werden können. Nach Aussage der Lehrkräfte müsse immer der Einzelfall bewertet werden und es gelte, sich auf den jeweiligen Ausprägungsbzw. Schweregrad der Beeinträchtigung(en) einzustellen. Insbesondere physische Einschränkungen, wie z.B. Hör- und Sehbeeinträchtigungen, erweisen sich laut der Ergebnisse der vorliegenden Studie im inklusiven Unterricht als unproblematisch. Dies sei besonders dann der Fall, wenn die entsprechenden Hilfsmittel und Rahmenbedingungen (Mikrophone, Hörgeräte, Ort des Sitzplatzes, Computer, vergrößerte Kopien, Schulbegleitung, etc.) vorhanden sind bzw. zur Verfügung gestellt werden, die für die optimale Förderung dieser Lernenden nötig sind. Schüler/ innen mit Seh- oder Hörbeeinträchtigungen, aber auch mit graphomotorischen Defiziten, würden laut der Befragten sehr vom Unterricht am PC, Laptop oder Tablet profitieren, was allerdings in Diskrepanz zur mangelnden technischen Ausstattung vieler Schulen zu stehen scheint. Alle Beeinträchtigungen, die das Sprechen und Schreiben betreffen, stellen sowohl die Lernenden als auch die Lehrkräfte vor die größten Herausforderungen im Fremd- 136 Maria Eisenmann DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 53 • Heft 1 sprachenunterricht. Gerade dann, wenn es um die Leistungsbewertung geht, wünschen sich die Lehrkräfte bessere und fairere Bedingungen für ihre Schüler/ innen. Individuellere Zielsetzungen, andere Bewertungsskalen und transparentere Nachteilsausgleiche wären hier eine Unterstützung. Als hilfreich für den inklusiven Unterricht werden von den Befragten neben Fort- und Weiterbildungsprogrammen Dialogpartner, wie z.B. Sachaufwandsträger, Sonderpädagog/ innen, Eltern, Lehrkräfte, Schulleiter/ innen, medizinische Dienste, Therapeut/ innen und Ärzt/ innen, empfunden. Diese müssten laut der Befragungsergebnisse allerdings besser in den Unterrichtsalltag integriert werden. Die Lehrkräfte wünschen sich, vertiefter über die speziellen Bedürfnisse ihrer Lernenden aufgeklärt zu werden. Sie haben im Alltag kaum Kapazität dafür, dies selbstständig zu tun, weshalb es an den Schulen läge, sie dabei zu unterstützen. Es sollte außerdem zu regelmäßigeren Austauschmöglichkeiten mit allen Beteiligten, also auch mit den betroffenen Schüler/ innen und deren Eltern, kommen. Dies könnte z.B. in Form von regelmäßig stattfindenden Runden Tischen oder Stammtischen umgesetzt werden, zu denen die Dialogpartner zum Austausch eingeladen werden. In der Kategorie der Beeinträchtigungen lässt sich also herauslesen, dass die Lehrkräfte eine bessere Ausbildung hinsichtlich der individuellen Lernendenvoraussetzungen und -bedürfnisse begrüßen würden, genau wie in der Kategorie der Methoden hinsichtlich der Medienkompetenz. Es gibt in diesen Bereichen also Verbesserungspotenzial seitens der Schulen und Universitäten - bestenfalls geht man dieses Problem gemeinsam an. Grundsätzlich können laut der Studie die meisten Besonderheiten und Beeinträchtigungen mit differenzierenden und individuell auf die speziellen Bedürfnisse der Lernenden angepassten Unterrichtsmaterialien gut in den Schulalltag integriert werden. Von der Bereitstellung von Zusatzaufgaben (z.B. für Hochbegabte) über spezielle Sozialformen (z.B. für Schüler/ innen mit Seh- oder Hörbeeinträchtigungen, ADS/ ADHS, Autismus, etc.) bis hin zu Anpassungen in der Leistungsbewertung (z.B. bei LRS, graphomotorischen und sprachlichen Beeinträchtigungen, etc.), gibt es zahlreiche Möglichkeiten, dem individuellen Förderbedarf gerecht zu werden. Die Lehrkräfte benötigen bei der Umsetzung allerdings mehr Unterstützung im Alltag. Bei Angabe der Schulart wird Heterogenität in den Grund- und Hauptschulen am stärksten wahrgenommen, was möglicherweise an den Studiengängen dieser Lehrämter liegen könnte, die das Thema aufgrund der dort heterogensten Schülerschaft stärker in den Fokus nehmen. In den Antworten wird jedoch deutlich, dass bestimmte Beeinträchtigungen und auch Bedürfnisse schulartabhängig schlechter oder besser in den Unterricht integriert werden können, besonders im Hinblick auf die Leistungsanforderungen der unterschiedlichen Schularten. Auch hier steigt die Wahrnehmung von Erscheinungsformen von Heterogenität im Fremdsprachenunterricht mit der Breite der Fächerverbindung, also wenn neben der Fremdsprache noch ein Fach/ mehrere Fächer aus den Gesellschafts- und Geisteswissenschaften, im Bereich Naturwissenschaft und Technik oder Musik, Kunst oder Sport unterrichtet wird/ werden. Grundsätzlich gilt: Je breiter das fachliche Spektrum, Differenzierung und Individualisierung im Fremdsprachenunterricht 137 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 desto größer ist das Wissen um Besonderheiten der Schülerschaft. Ist z.B. eine körperliche Auffälligkeit im Sportunterricht besonders erkennbar, so wird diese auch im Fremdsprachenunterricht augenfälliger. Und auch hier gilt, dass sowohl Fachzeitschriften als auch Fortbildungen die Lehrkräfte darin unterstützen, Besonderheiten der Lerngruppe und die Erscheinungsformen von Heterogenität deutlicher wahrzunehmen. 6. Fazit und Limitationen Im Ergebnis bestätigt die Studie das Erwartbare. Sie belegt die enorme Motivation der befragten Lehrkräfte, die mit einer großen Mehrheit sowohl die Integration moderner, kooperativer und kreativer Medien als auch die Inklusion von Schüler/ innen mit Beeinträchtigungen unterschiedlichster Art in den Unterricht befürworten und dies grundsätzlich als bereichernd für alle Beteiligten empfinden. Der Wille, inkludierend und differenzierend zu unterrichten und den Schulalltag möglichst vielseitig und chancengleich zu gestalten, ist also vorhanden. Allerdings wiesen die Befragten auch darauf hin, dass sie es im regulären Schulalltag nicht schaffen, den Aufwand zu betreiben, den einige Methoden oder die Inklusion bestimmter Beeinträchtigungen erfordern. Man muss also die Rahmenbedingungen ändern, damit sowohl die Methodenvielfalt vergrößert als auch die Inklusion aller Schüler/ innen ermöglicht werden können. Dafür müssten sich die Bildungssysteme auf moderne Unterrichtskonzepte, wie z.B. Co-Teaching-Projekte, einlassen. Dies bedeutet aber auch, dass die Bildungspolitik bürokratische Hürden abschaffen und die Sachaufwandsträger mehr finanzielle Ressourcen zur Verfügung stellen müssen, um z.B. Sozialpädagog/ innen in den Unterricht zu integrieren. Die Lehrkräfte, die an der vorliegenden Studie teilgenommen haben und die hier stellvertretend mit ihren Antworten herangezogen werden, um ein Querschnittsbild der deutschen Bildungslandschaft zu zeichnen, müssen nicht vom Einsatz moderner Medien oder der Inklusion (körper-)beeinträchtigter Kinder in den Regelschulbetrieb überzeugt werden - sie müssen vielmehr in der Umsetzung dieser innovativen Konzepte und Ansätze unterstützt werden. In der Untersuchung konnten auch mehrere Limitationen identifiziert werden, die weitere Möglichkeiten für zukünftige Studien bieten. Die Ergebnisse des in der Studie erhobenen großen Datensatzes konnte aus Platzgründen hier nur sehr allgemein und in Ausschnitten beschrieben werden. Auch die Durchführung einer Pilotierung wäre sinnvoll gewesen, nicht zuletzt um die Funktionalität der Messinstrumente zu überprüfen und gegebenenfalls neue oder modifizierte Fragestellungen zu entwickeln. Die Ergebnisse einer solchen Voruntersuchung hätten eine notwendige Erweiterung oder Umstrukturierung einzelner Fragestellungen ermöglicht. Wie bei allen empirischen Untersuchungen, deren Daten auf der Selbsteinschätzung von Lehrkräften basiert, gilt auch für diese Studie, dass die Stichprobe Limitationen unterliegt. Gerade weil es um den Umgang mit Heterogenität als zentrale Herausforderungen des Schulwesens und den damit verbundenen gesellschaftlichen und 138 Maria Eisenmann DOI 10.24053/ FLuL-2024-0008 53 • Heft 1 politischen hohen Ansprüchen und Erwartungen an die Gestaltung eines differenzierenden und integrierenden Fremdsprachenunterrichts geht, können sozial erwünschte Antworten die Qualität der Umfrage und damit die Validität ihrer Auswertung beeinflusst haben. Da es bei der Befragung um eine Selbsteinschätzung und damit verbunden indirekt auch um die Selbstwirksamkeitserwartung der Lehrkräfte geht, sind Rückschlüsse auf tatsächliche Praxen im Fremdsprachenunterricht nur bedingt möglich. Zudem wurde die Untersuchung im Jahr 2019 vor der Covid-19 Pandemie durchgeführt. Für eine Folgestudie könnte das bedeuten, dass Lehrkräfte mittlerweile anderweitig sensibilisiert sind, was differenzierende und individualisierende Unterrichtsformen sowohl im analogen wie auch digitalen Bereich betrifft. Die Ergebnisse sind somit zeitlich situiert, bestätigen allerdings in weiten Teilen die theoretischen Annahmen der Fachliteratur im Hinblick auf die Herausforderungen bzw. bestehenden Probleme eines sowohl differenzierenden als auch inkludierenden Fremdsprachenunterrichts. Nach Aussage der Lehrkräfte stellen sowohl Lehrkräfteausals auch -fortbildung ein großes Manko dar. Neben den dringend zu optimierenden äußeren Faktoren auf bildungspolitischer, schulorganisatorischer und unterrichtlicher Ebene sollte das Hauptaugenmerk der optimalen Ausbildung angehender Fremdsprachenlehrkräfte sowie der Fortbildung erfahrener Lehrer/ innen gelten. Es ist somit die Aufgabe aller für Fremdsprachenunterricht Verantwortlichen, diese Rahmenbedingungen zu schaffen und konkrete Wege für heterogene Lerngruppen aufzuzeigen. Zudem müssen auch weiterhin Materialien entwickelt werden, die sich an den Prinzipien des differenzierenden und inklusiven Fremdsprachenunterrichts orientieren und somit gemeinsames Lernen ermöglichen. Literatur C ASPARI , Daniela / K LIPPEL , Friederike / L EGUTKE , Michael K. / S CHRAMM , Karen (Hrsg.) ( 2 2022): Forschungsmethoden in der Fremdsprachendidaktik. Tübingen: Narr. C HILLA , Solveig / V OGT , Karin (Hrsg.) (2017): Heterogenität und Diversität im Englischunterricht - fachdidaktische Perspektiven. Frankfurt: Lang. E ISENMANN , Maria (2019): Teaching English: Differentiation and Individualisation. Paderborn: UTB. G ERLACH , David (2015): „Inklusion im Fremdsprachenunterricht: Zwischen Ansprüchen und Grenzen von Heterogenität, Fachdidaktik und Unterricht(srealität)“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen, 44.1, 123-137. G ERLACH , David / S CHMIDT , Torben (Hrsg.) (2021): Themenheft „Inklusion“. Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 32.1. H ELMKE , Andreas (2017): Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität: Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterrichts. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer. K AMPSHOFF , Marita / W IEPCKE , Claudia (Hrsg.) (2021): Vielfalt in Schule und Unterricht: Konzepte und Debatten im Zeichen der Heterogenität. Stuttgart: Kohlhammer. K ÖTTER , Markus / T RAUTMANN , Matthias (2018): „Welche Erfahrungen machen Englischlehrkräfte Differenzierung und Individualisierung im Fremdsprachenunterricht 139 mit der Inklusion? Eine Interviewstudie zu Überzeugungen und Praktiken zum inklusiven Englischunterricht in der Sekundarstufe I“. In: R OTERS , Bianca / G ERLACH , David / E ßER , Susanne (Hrsg.): Inklusiver Englischunterricht. Impulse zur Unterrichtsentwicklung aus fachdidaktischer und sonderpädagogischer Perspektive. Münster: Waxmann, 139-158. K ÖTTER , Markus / T RAUTMANN , Matthias (2020): „Befunde und Problemlagen zum inklusiven Englischunterricht: Ergebnisse einer Befragung von Lehrpersonen in NRW“. In: E ISENMANN , Maria / S TEINBOCK , Jeanine (Hrsg.): Sprachen, Kulturen, Identitäten: Umbrüche durch Digitalisierung? Dokumentation zum 28. Kongress für Fremdsprachendidaktik der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung (DGFF) Würzburg, September 2019. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 329-341. L INSER , Hans-Jürgen / P ARADIES , Liane (2019): Differenzieren im Unterricht. Berlin: Cornelsen Scriptor. M AYRING , Philipp (2015): Qualitative Inhaltsanalyse: Grundlagen und Techniken. Weinheim, Basel: Beltz. S ASSE , Ada / S CHULZECK , Ursula (Hrsg.) (2021): Inklusiven Unterricht planen, gestalten und reflektieren. Die Differenzierungsmatrix in Theorie und Praxis. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt. S CHLAAK , Claudia (2015): Fremdsprachendidaktik und Inklusionspädagogik: Herausforderungen im Kontext von Migration und Mehrsprachigkeit. Stuttgart: ibidem Verlag. Z YDATIß , Wolfgang (2016): „Fragebogenkonstruktion im Kontext des schulischen Fremdsprachenlernens“. In: D OFF , Sabine (Hg): Heterogenität im Fremdsprachenunterricht. Impulse - Rahmenbedingungen - Kernfragen - Perspektiven. Tübingen: Narr, 115-135. DOI 10.24053/ FLuL-2024-0009 53 • Heft 1 Julia Magdalena P IECHOCKI -S ERRA : Das Museum im Unterricht und der Unterricht im Museum - Deutsch als Fremdsprache und interkulturelle Kompetenz im Rahmen des Museo Vostell. Bern: Peter Lang 2022, 354 Seiten [77,05 €] Ausgangspunkt der Arbeit ist das Museo Vostell im spanischen Ort Malpartida de Cáceres, gegründet von dem deutschen Künstler Wolf V OSTELL im Jahre 1976 , dessen Kunstwerke in der Dissertationsschrift von Julia Magdalena P IECHOCKI -S ERRA der Vermittlung von Deutsch als Fremdsprache (DaF) dienen. In ihrer Arbeit verfolgt die Autorin das Ziel der theoretischkritischen Reflexion über das Lernen einer Fremdsprache durch Kunst im Museum. Dabei legt sie den Schwerpunkt auf die Förderung der interkulturellen Kompetenzen. Die Autorin betont, dass es in ihrer theoretischen Arbeit nicht darum geht, didaktisches Material für den Fremdsprachenerwerb im Museum zu entwickeln, sondern vielmehr Impulse innerhalb des Kontextes des Museums als Bildungsinstitution für den fremdsprachlichen Unterricht zu liefern. Dieses Forschungsdesiderat bearbeitet die Autorin in ihrer in etwa 350 Seiten umfassenden Arbeit auf theoretischer und praktischer Ebene. Die Monografie ist neben der Einleitung und dem Schlusswort in 10 Kapitel unterteilt, wobei die ersten 5 Kapitel die theoretische Grundlage darstellen und die weiteren 5 Kapitel der praktischen Anwendung zuzuordnen sind. Im ersten Kapitel beschäftigt sich die Autorin mit dem Museum als Bildungsinstitution. Sie verdeutlicht die vier Hauptaufgaben (Sammeln, Bewahren, Forschen und Vermitteln) des Museums (S. 19) und beschreibt das Museum im Wandel der Zeit mit historischen Merkmalen wie beispielsweise der Untrennbarkeit zwischen Kirche und Museum, dem Verständnis des Museums als Privatsammlung und der lang verbreiteten Wahrnehmung dieser Institution als „Elfenbeinturm für bestimmte elitäre Gruppen“ (S. 19). Ein entscheidender Schritt war die Eröffnung des Louvre 1793 in Paris, dessen Sammlung seitdem als Eigentum des Volkes dient (S. 29), wodurch die Grundsteine des modernen Museums gelegt wurden. P IECHOCKI -S ERRA kommt zu der Erkenntnis, dass sich das Museum heute immer mehr an die Bedürfnisse der Gesellschaft anpasst und sich ebenso stets im Wandel befindet (S. 29). Zudem befasst sich die Autorin mit der Frage, wer die Besucher: innen im Museum sind und setzt sich mit verschiedenen Gruppen wie z.B. Schüler: innen, Senior: innen oder Unternehmensgruppen auseinander. Im weiteren Verlauf der Dissertation bleibt allerdings offen, warum diese Gruppierungen vorgenommen werden, da sich die Autorin später nur auf die Fremdsprachenstudierenden fokussiert. Das zweite Kapitel befasst sich mit dem Lernen im Museum und es wird zum einen auf die Museumspädagogik eingegangen und zum anderen werden Vermittlungsansätze und verschiedene Lerntheorien für das Lernen im Museum dargestellt wird. Es werden vier Ansätze des Lernens im Museum genauer betrachtet: der instruktive, der aktive/ entdeckende, der konstruktive und der gesellschaftskritische Ansatz (S. 94f.). Im weiteren Verlauf der Arbeit werden dann Lerntheorien im Museum nach H OOPER -G REENHILL und F ALK / D IERKING beleuchtet. Zudem beschreibt P IECHOCKI -S ERRA das Prinzip des lebenslangen Lernens als gesellschaftliche Bildungsaufgabe; hier wäre ein konkreterer Fokus auf das Lernen mit Kunstwerken im Museum wünschenswert, genauso wie eine teils kritischere diskursive Betrachtung einzelner Ansätze, denn es kommt häufig zu Aussagen über die persönliche Meinung der Autorin (z.B. S. 98, 109, 120). Im weiteren Verlauf der Arbeit beschäftigt sich P IECHOCKI -S ERRA mit den Medien im Museum, wobei hier eine Definition, auf welche Form von Medien Bezug genommen wird, B e s p r e c h u n g e n Besprechungen 141 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0009 ausbleibt. Die Autorin stellt vielmehr verschiedene Optionen dar, wie z.B. die Nutzung von sozialen Medien, Texten, didaktischen Materialien (z.B. Arbeitsblätter) oder Audio- und Multimedia Guides. Insgesamt hilft diese Darstellung dem/ r Leser: in zu erkennen, welch facettenreiche Medien im Museum genutzt werden könnten, obgleich das Museo Vostell wenige dieser Ressourcen nutzt (S. 278). Nachdem bislang im Sinne der Grundlagendarstellung der Fokus auf das Museum als Bildungsinstitution gelegt wurde, mit den einhergehenden Darstellungen über deren Zielgruppen, Funktionen und Vermittlungsansätzen, wird dann in Kapitel 4 der Fremdsprachenunterricht als Kulturunterricht fokussiert. P IECHOCKI -S ERRA stellt unter anderem das Modell interkultureller kommunikativer Kompetenz nach B YRAM aus dem Jahr 1997 dar und bemerkt, es habe dennoch „an Aktualität nichts verloren“ (S. 164). Hier wäre eine differenziertere und kritischere Haltung willkommen, die den interkulturellen Ansatz auf seine Aktualität überprüft, denn die Autorin geht weder auf die Neuauflage von B YRAMS Modell aus dem Jahr 2020 ein, noch befasst sie sich zum Beispiel mit moderneren Ansätzen wie dem des transkulturellen Lernens oder der global education. Eine weitere wichtige Komponente in diesem Teil der Arbeit von P IECHOCKI - S ERRA ist die Darstellung des content and language integrated learning (CLIL) sowie des fächerübergreifenden DaF-Unterrichts, um diese Konzepte später auf das Lernen im Museo Vostell zu beziehen. Im letzten Teil der theoretischen Grundlagen wird in Kapitel 5 der Spracherwerb durch Kunst beleuchtet. Unter anderem wird der Begriff des ‚Kunstwerks‘ skizziert (S. 221), allerdings wäre eine facettenreichere und multilaterale Definition für diesen in der Arbeit so zentralen Begriff sicherlich lohnenswert, vor allem vor dem Hintergrund, dass Wolf V OSTELLS Kunstwerke so vielfältig sind. P IECHOCKI -S ERRA definiert ein Kunstwerk aber lediglich insofern, als dass sie den Begriff „Kunst“ mit Hilfe eines Wörterbuchs kurz darlegt (S. 221). Danach widmet sich die Autorin der Darstellung der ikonologischen und der ikonografischen Interpretation von Kunstwerken und illustriert u.a. das 3-Stufen-Modell nach P ANOFSKY (S. 230). „Kunst ist Leben - Leben ist Kunst“: So charakterisiert nicht nur der Künstler Wolf V OSTELL selbst sein Schaffen, sondern auch die Autorin P IECHOCKI -S ERRA seine Arbeiten. Unter anderem die Philosophie des Künstlers, seine Kunstwerke, seine Fluxus-Aktionen und Happenings bewegten die Autorin dazu, eine Projektidee über das Museo Vostell zu beschreiben, welches den zweiten Teil der Dissertationsschrift ausmacht. Bevor P IECHOCKI -S ERRA konkrete Beispiele für das Sprachenlernen mit den Werken von Wolf V OSTELL illustriert, stellt sie zunächst Studienergebnisse vom Umgang mit Kunst im DaF-Unterrichtet vor, wie beispielsweise des Projekts „Sprache durch Kunst“, einer Kooperation zwischen dem DaZ/ DaF-Institut der Universität Duisburg-Essen und dem Museum Folkwang (Kapitel 6). Sie nennt ihr eigenes Projekt eine Fallstudie, in der sie die Ideen, die sie auf der theoretischen Ebene beleuchtet hat, in konkrete Unterrichtsideen umwandelt (Kapitel 7). Dazu nennt sie zunächst die Lehr-Lerngegebenheiten an der Universität Salamanca, an der sie selbst als Studierende und später als Lehrende mitwirkte, und stellt mögliche Lernszenarien und Zielgruppen vor. Zudem charakterisiert P IECHOCKI -S ERRA das Museo Vostell mit seinen Besonderheiten wie z.B. den Kunstwerken an der freien Luft (S. 275) sowie Wolf V OSTELL und seine Kunst, die hauptsächlich im Museo Vostell ausgestellt wird, in den Kapiteln 8-9. P IECHOCKI -S ERRA stellt dann in ihrem theoretisch-konzeptionellen Ansatz in Kapitel 10 konkrete Unterrichtsideen für sechs Kunstwerke V OSTELLS vor: Endogene Depression (1975- 1978), Mythos Berlin (1987), Auto-Fieber (1973), Dé-coll/ age Le Figaro (1964), Beton-Stiere (1989-1990) und E.K. - Thermo-elektronischer Kaugummi (1973-1974). Dabei folgt sie jeweils den Schritten der Beschreibung und Analyse des jeweiligen Werkes und antizipiert dann mögliche Aufgaben und Arbeitsaufträge für fiktive DaF-Lernende. Obwohl sich die Autorin 142 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2024-0010 53 • Heft 1 auf das Interpretationsmodell nach P ANOFSKY bezieht und auch ihre Arbeitsaufträge für Lernende mit möglichen Differenzierungen beschreibt, wäre es hier auch wünschenswert, wenn sie Methoden und Ansätze des Unterrichtsfachs Kunst als Bezugsdisziplin für den Umgang mit Bildkunst im Fremdsprachenunterricht einbeziehen würde. Die Kunstwerke spielen in ihren Vorschlägen eine zentrale Rolle beim fremdsprachlichen Lernen und sollten daher auch mit der Expertise dieser Bezugsdisziplin betrachtet werden, gerade weil der fremdsprachendidaktische Bezug zum sachfachlichen Lernen (CLIL) zuvor herausgearbeitet wurde. Sowohl die Analyse des jeweiligen Kunstwerks als auch die Aufgaben für Studierende fokussieren das interkulturelle Lernen. In ihrem Schlusswort geht P IECHOCKI -S ERRA darauf ein, dass sie das Ziel verfolgte, den DaF-Unterricht mit praktischen Beispielen der Kunst zu verbinden. Diese von P IECHOCKI - S ERRA entwickelten theoretischen Vorschläge gilt es nun in die Praxis umzusetzen und anhand empirischer Studien detaillierter zu untersuchen. Insgesamt macht der theoretische Part der Arbeit den Großteil dieser Monografie aus, wobei einige theoretische Aspekte noch mehr mit den praktischen Ideen verknüpft werden könnten. Eine Fallstudie ist in Planung und wurde noch nicht durchgeführt („Work-in-progress“ S. 259), daher gibt es bedauerlicherweise auch keine Ergebnisse der möglichen Fallstudie, welche sicherlich spannend wären. Die vorliegende Dissertation greift eine wichtige Forschungs- und Praxislücke im Bereich des Fremdsprachenunterrichts in Kombination mit Kunstwerken auf und öffnet Türen für zukünftige Forschungsprojekte. P IECHOCKI -S ERRA zeigt ein innovatives Vorhaben und hebt dabei die Marginalisierung der Kunst im Sprachunterricht hervor. Essen L UISA A LFES Marcus C ALLIES , Stefanie H EHNER , Philipp M EER , Michael W ESTPHAL (Hrsg.): Glocalising Teaching English as an International Language. New Perspectives for Teaching and Teacher Education in Germany. London/ New York: Routledge 2021, 238 Seiten [170 €, ebook 27 €] Im vorliegenden Sammelband geht es um die Notwendigkeit einer veränderten Sichtweise und Bewertung des Englischen und dessen globaler Varietäten in schulischer Praxis und universitärer Lehre. Ausgehend von einem veränderten Verständnis für die Bedeutung des Englischen als Global Englishes (GE) bzw. English as an International Language stellen sich die Herausgeber*innen des Sammelbands die Frage, wie die Berücksichtigung eines solchen Verständnisses an unseren Schulen und Hochschulen aussehen kann. Hierbei zeigt sich, dass ein Grundproblem der Fremdsprachendidaktik nach wie vor im Konzept des native-speakerism (S. 72) zu finden ist. Dieses wird hier grundlegend hinterfragt, da es die sprachlichen und kulturellen Foki zu sehr auf British English (BrE) bzw. American English (AE) legt. Diesen gegenüber stellen die Herausgeber*innen des Bandes das fachdidaktische Konzept Teaching English as an International Language (TEIL), eine Begrifflichkeit, die weitestgehend dem entspricht, was häufig auch als Global Englishes Language Teaching (GELT) bezeichnet wird. Auf 238 Seiten, gegliedert in drei Hauptteile, wird TEIL theoretisch und praktisch erörtert. Eine Einführung und eine abschließende Zusammenfassung (Epilog) runden das Werk ab. Während sich der erste Teil vor allem der Hochschullehre widmet, wird im zweiten Teil der Blick auf die curriculare Repräsentation von Varietäten des Englischen in ausgewählten Bildungsplänen behandelt. Teil drei beinhaltet Unterrichtsbeispiele. In Kapitel 1 „An integrated approach to introducing TEIL in language teacher education at Besprechungen 143 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0010 the interface of linguistics, language education and teaching practice“ stellen C ALLIES / H AASE / H EHNER zunächst ein Lehrmodell für TEIL vor. Das darauf basierende Kursangebot umfasst die Bereiche Language Education, English Linguistics und Teaching Practice. Das veränderte Bewusstsein, das Studierende hierbei entwickelt haben, lässt sich vielleicht am besten mit der folgenden Aussage einer Studierenden wiedergeben: „Um, I think I am very critical about my own way of speaking English. Um, and now I have, um, become even a bit more critical as far as my own variety is concerned […]“ (S. 24). Am zweiten Kapitel „Global Englishes in the second phase of teacher education in Germany Teacher educators’ perspectives on ELT and teacher education“ ist neben H ÖLSCHER mit M EER wie zuvor ein weiterer Mitherausgeber beteiligt. Dabei wird der Blick nun auf die 2. Phase der Lehrkräfteausbildung gerichtet. Es geht um die Einschätzung von Referendarinnen und Referendaren zu Global Englishes und deren Verwendung im Englischunterricht. In einer begrenzten Umfrage (N=8) soll (a) die Bedeutung von GE im Englischunterricht und (b) die Umsetzung von TEIL im Referendariat erörtert werden. Allerdings verwundert es kaum, dass TEIL für zukünftige Lehrkräfte eine recht geringe Rolle spielt. Sie orientieren sich eher an traditionellen TEFL Konzepten, die in erster Linie auf SBrE und/ oder GAE ausgerichtet sind. Auch im dritten Kapitel „Tomorrow’s teachers’ perceptions of Global Englishes“ von H ARTMANN erfährt man nicht viel Neues, wenngleich die dargestellte Untersuchung deutlich umfangreicher und detaillierter ist. 109 Studierende wurden Audioaufnahmen mit sieben verschiedenen Varietäten dargeboten. Diese sollten nach unterschiedlichen Kriterien wie z.B. Korrektheit, Authentizität, Sympathie, beurteilt werden. Dass BrE oder AE eher Zuspruch finden als z.B. Nigerian English verwundert jedoch kaum, da das die Varietäten sind, die auch in den Schulen gelehrt werden (sollen). Noch kritischer gehen J ANSEN , M OHR und F ORSBERG im Kapitel „Standard English Ideology in the English language classroom“ mit dem Konzept Standard English um. Grundlegend wird die Setzung SBrE oder GAE als „‚correct‘ varieties of English“ hinterfragt. Sicherlich ist die Behauptung „that the right/ wrong dichotomy does not capture linguistic complexity“ (S. 73) korrekt. Allerdings beantwortet sie nicht die Frage nach einer gesellschaftlichen notwendigen (sprachlichen) Normierung und auch nicht die berechtigten Bedürfnisse von Lehrkräften, die wissen müssen, an welcher sprachlichen Norm sie sich orientieren sollen. Der Beitrag „Global Englishes in the secondary school curriculum in Germany“ von Philip M EER eröffnet den zweiten Teil des Buches. Im Zentrum des Beitrags steht eine mixed-method Studie, die sich mit TEIL in den gymnasialen Bildungsplänen befasst. Die umfassende Arbeit deckt hierbei alle 16 Bundesländer ab. M EER kommt zu den Ergebnissen, dass Global Englishes zwar in den KMK-Standards und länderspezifischen Bildungsplänen vorkommen, aber das Thema noch sehr vage und unspezifisch angegangen und TEIL nicht wirklich adressiert wird. Mit dem speziellen Fokus auf das Bundesland Bayern richtet B IESWANGER in seinem Kapitel „Global Englishes in ELT and teacher education in Bavaria - progress and missed opportunities“ den Blick auf die Entwicklung von mehreren Bildungsplangenerationen im Hinblick auf deren Berücksichtigung unterschiedlicher Varietäten in unterschiedlichen Klassenstufen. Insgesamt beurteilt er deren Fortschritt eher als vertane Chance, denn als substantielle Verbesserung. Allein in der Lehrerausbildung scheint es hier ein klareres Bewusstsein zu geben. Inwieweit das aber in den Schulen ankommt, ist noch nicht absehbar. In Kapitel 7 „Sociolinguistic competence and TEIL. A study of the sociolinguistic awareness and perceptions of be like among German learners of English“ berichten W ESTPHAL et al. von einer Studie zu quotatives, also Zitaten, einleitende Phrasen oder Wörtern. Mit ‘be like’ wird ein häufig benutzte Diskursmarker angeschaut und im Hinblick auf die soziokulturelle Kompetenz von 57 Englischlernern an einer Gesamtschule untersucht. In der recht aufwändi- 144 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2024-0010 53 • Heft 1 gen, dreiteiligen Studie wurden vor allem Kenntnisse, Perzeption und subjektive Einschätzung des spezifischen Diskursmarkers erfragt. Deutlich zeigte sich, dass die Lerner*innen das Phänomen kennen, allerdings eher von außerschulischen Begegnungen, wo sie es als typisch vernakulär erleben. Im Grunde geht es um die Frage, inwiefern die Welt außerhalb des Klassenzimmers im Englischunterricht eine Rolle spielt. Während B IESWANGER in seinem Kapitel auf Bayern und dessen Bildungspläne schaute, nehmen R ÖMHILD und M ATZ in Kapitel 8 „Cultural Learning for and through Global Englishes“ die aktuellen Bildungspläne aus NRW in den Blick und untersuchen dort die Vermittlung kulturellen Lernens. Dabei gehen sie von einer transkulturellen Konzeption wie Global Citizenship Education aus und schauen sich diesbezüglich gängige Schulbücher an. Anhand von Nigeria wird aufgezeigt, welche Rolle das Englische in Ländern spielt, wo es vor allem als Kommunikationsmedium zwischen verschiedenen Kulturen und Landessprachen verwendet wird. Dieser Blick auf die globale Bedeutung von Englisch ist vor dem Hintergrund der nach wir vor großen Bedeutung von Schulbüchern wichtig. Wichtig wäre m.E. aber auch deutlich zu machen, dass z.B. Nigerian English kaum als Sprachmodell für den Unterricht an deutschen Schulen dienen kann. Vielmehr geht es um die kulturelle Vielfalt und einer reflektierten Auseinandersetzung seitens der Lernenden mit Global Englishes. Unterrichtspraktisch wird es im Kapitel „Teaching materials for TEIL Focus on Indian English“ von H EHNER in Teil III. Die Autorin diskutiert und gibt Anregungen, wie Indian English im Unterricht Berücksichtigung finden könnte. Ihr Ansatz zeigt deutlich den Weg, den ein verändertes Curriculum einschlagen sollte. Anhand einiger interessanter Übungen, deren Hauptaugenmerk auf der Bewusstmachung linguistischer Unterschiede (Phonologie/ Phonetik, Vokabular, etc.) zwischen IndE und BrE liegt, versucht sie diesen Ansatz zu illustrieren. W ESTPHAL fährt in Kapitel 10 „Pop music and Teaching English as an International Language“ mit weiteren Ideen fort, indem er auf das linguistische und kulturelle Potenzial von Pop Songs im Englischunterricht schaut. Nach einem kurzen Überblick zur Nutzung von Pop Songs in gängigen Schulbüchern, nahezu alle mit Fokus auf Großbritannien und den USA, stellt er eine detailliert beschriebene Unterrichtsstunde zum Thema Jaimaican English vor, in welcher ein in Jamaica populäres Lied behandelt wird. Das Niveau ist allerdings sehr anspruchsvoll. Mit dem Beispiel wird dennoch deutlich, wie TEIL im Unterricht mehr Bedeutung erhalten kann. Richtigerweise schreibt W ESTPHAL (S. 192): „The aim is not to teach active competence in these varieties but to foster the students’ ability to cope with different Englishes and language use distinct from idealized Standard English norms“. In ihrem wiederum sehr praxisorientierten Beitrag „Encountering Global Englishes in the ELT classroom through audio-visual texts. The example of TED talks“ schlagen S CHILDHAUER / Z EHNE / S CHULTE den Einsatz von audio-visuellen Unterrichtsmaterialen vor, die in umfangreicher Form im Internet gefunden werden können. Als Beispiele dienen hier die so genannten TED-Talks. Die Autor*innen diskutieren deren Potential zur Unterstützung von critical cultural awareness. Im Video ‚being yourself‘ der jungen Inderin S RIPERAMBUDURU erzählt diese aufschlussreich von ihren Erfahrungen als Frau und Bergsteigerin. Leider fallen die unterrichtsspezifischen Vorschläge im Gegensatz zum vorherigen Beitrag wenig kreativ aus: Mithilfe von Fragen und verbalen Anregungen zur Diskussion und vertieften Beschäftigung mit dem Thema sollen sich Lerner mit dem Phänomen Indian English auseinandersetzen. Im Epilogue „Contributions, connexions, and continuations“ unterstreicht R OSE zusammenfassend nochmals die konsequente Verknüpfung von Theorie und Praxis, wobei sie vor allem denjenigen eine besondere Rolle zuschreibt, die in beiden Bereichen tätig sind - den Lehrkräftebildner*innen. Zudem weist sie darauf hin, dass Unterrichtsmaterialien eine zentrale Bedeutung haben. Besprechungen 145 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0011 Bei aller Einzelkritik leistet das Buch einen wichtigen Beitrag zum besseren Verständnis der Bedeutung des Englischen in einer globalisierten Welt. Es wäre aber an manchen Stellen sicherlich hilfreich gewesen, wenn die Vorstellung von Englisch als „messy“ (S. 181) genauer umschrieben worden wäre. Standard English, egal ob BrE oder AE, als Grundlage für eine kodifizierte Form der Schriftsprache unterscheidet sich deutlich vom mündlichen Gebrauch und dessen globalen Ausprägungen. Dies muss auch den Lernenden einer Sprache immer wieder bewusstgemacht werden. Nach meinem Empfinden hätte dies noch deutlicher gemacht werden sollen. Die Verknüpfung von Theorie und Praxis tut dem Sammelband sichtlich gut. Schade ist nur, dass die Herausgeber an keiner Stelle auf die Möglichkeiten des unmittelbaren Erlebens von sprachlichen Varietäten in der persönlichen Erfahrungswelt eingehen. So stellen z.B. Virtual Exchange Projekte eine ideale Plattform dar, den reichen Schatz an Global Englishes immer wieder aufs Neue und unmittelbar im eigenen sprachlichen Handeln zu entdecken. Ludwigsburg G ÖTZ S CHWAB Carmen K ONZETT -F IRTH , Alexandra W OJNESITZ (Hrsg.): Mündlichkeit im Französischunterricht: Multiperspektivische Zugänge / L'oralité dans l'enseignement du français: Perspectives multiples. Tübingen: Narr Francke Attempto 2022, 323 Seiten [62,40 €] Der Sammelband, der aus einer Sektion des Frankoromanistentags 2020 hervorgegangen ist, beschäftigt sich aus empirischer, unterrichtspraktischer sowie theoretischer Perspektive mit Fragen zur Didaktik der Mündlichkeit im Französischunterricht. Entlang dieser Perspektiven ist der Band in vier Abschnitte untergliedert: ,Mündlichkeit als empirisches Phänomen‘, ,Mündlichkeit in Lehrwerken und im lehrwerksbasierten Unterricht‘, ,Didaktische Konzepte und Methoden zur Förderung mündlicher Kompetenz‘ sowie ,Mündliche Kompetenz im Französischunterricht evaluieren und beurteilen‘. In ihrer Einführung nennen die Herausgeberinnen als Zielsetzung des Bandes die Stärkung der Mündlichkeit sowohl im Französischunterricht als auch in ihrer Beforschung. Dass das Sprechen bis dato immer noch nicht den Platz einnehme, der ihm gebühre, sei auf die „Volatität und Komplexität von Mündlichkeit und ihre daraus resultierende erschwerte Messbarkeit [...] sowie schwierige Dokumentierbarkeit“ (S. 7) zurückzuführen. Tatsächlich zeigt ein Großteil der insgesamt 13 Beiträge Handlungsbedarfe in verschiedenen Bereichen auf; sei es in der Erforschung, was im Unterricht bezüglich der Förderung und Beurteilung von mündlicher Kompetenz überhaupt passiert und welche Rolle die eingesetzten Lehrbücher dabei spielen, welche Zielsetzungen mit der Förderung der Mündlichkeit verbunden sind und wie diese konzeptionell erreicht werden können oder wie Sprechen in der Praxis bewertet wird bzw. werden sollte. Die Einführung liefert eine hilfreiche Übersicht dazu, welche Zugriffe zur Mündlichkeit aus kompetenzorientierter, linguistischer oder auch schulpraktischer Perspektive existieren. Zudem werden grundlegende Überlegungen aus den Didaktiken der modernen Fremdsprachen dazu präsentiert, was im Unterricht in Bezug auf Mündlichkeit gelehrt und wie dies didaktisch und methodisch umgesetzt werden sollte. Die Beiträge selbst (zwei in französischer Sprache) spiegeln eine Bandbreite unterschiedlicher Ansätze und Überlegungen zum Thema wider und beleuchten verschiedene nationale Bildungskontexte (Deutschland, Österreich, Schweiz) sowie Zielkontexte (Primar-/ Sekundarstufe, Ausbzw. Weiterbildung von Lehrkräften). Matthias G REIN , Lisa S TRÖBEL und Bernd T ESCH befassen sich mit Mündlichkeit als körperlich-räumliches Phänomen. Auf der Basis einer Analyse von Videodaten aus dem Franzö- 146 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2024-0011 53 • Heft 1 sisch- und Spanischunterricht mittels Dokumentarischer Methode setzen sie sich kritisch mit dem klassischen Verständnis von Kompetenz als kognitiv-individuelles Konzept auseinander. Die zu beobachtende Materialität und Körperlichkeit sollte nach Auffassung der Autor*innen stärker in die Analyse des Interaktionsverhaltens von Lernenden und ihrer Kompetenzen einbezogen werden. Ebenfalls empirisch nähert sich Marta G ARCÍA G ARCÍA einem beliebten Lehr-/ Lernszenario des Französischunterrichts zur Förderung der Mündlichkeit an, der Debatte. Mittels Konversationsanalyse dreier ausgewählter Transkriptionen von Videodaten aus dem bilingualen Religionsunterricht zeichnet die Autorin die Anforderungen an die Lernenden nach, die mit einer Debatte verbunden sind. Deutlich wird, dass das eigentlich zur Interaktion eingesetzte Mündlichkeitsformat aufgrund seiner starken Strukturierung und Vorbereitungsmöglichkeit eher monologisches Sprechen fördert. Um den didaktischen Wert mündlicher Aufgabenformate bestmöglich auszunutzen, plädiert die Autorin für die bewusste Beschäftigung mit den Merkmalen mündlicher Genres und unterbreitet konkrete unterrichtspraktische Vorschläge. Carmen K ONZETT -F IRTH geht auf Ergebnisse einer Längsschnittstudie ein, bei der vier Französischklassen regelmäßig videographiert wurden. Anhand ausgewählter Transkripte sowie Videostandbilder konzentriert sich die Autorin in diesem Beitrag auf die Peer-Interaktionen und ihr Potenzial zur Förderung der Interaktionskompetenz. Ihre Analyse zeigt auf, dass sich Lernende in Peer-Gesprächen an kontextuellen Aspekten orientieren, wie den räumlich-körperlichen Gegebenheiten oder Zielsetzungen der Aufgabe. Diese Faktoren müssten laut Autorin auch bei der didaktischen Gestaltung entsprechend mitgedacht und umgesetzt werden. Bettina I MGRUND fokussiert die Professionsentwicklung von Primarstufenlehrkräften des Französischen. Im Rahmen von Fallstudien, die auf Beobachtungsdaten und Schülerbefragungen beruhen, erschließt die Autorin mit Hilfe des Konzepts von Tiefenstrukturen Gründe für bestimmtes Lehrerverhalten. Auf der Basis ihrer Ergebnisse plädiert sie für eine stärkere fremdsprachliche Fachausbildung der Primarstufenlehrkräfte, um diese zur angemessenen Anleitung der mündlichen Kompetenzförderung ihrer Lernenden zu befähigen. Aus korpuslinguistischer Perspektive untersucht Christoph B ÜRGEL im deutschen Sprachraum häufig eingesetzte Französischlehrwerke nach dem phraseologischen Gebrauch gesprochener Sprache. Die Ergebnisse seiner Analyse zeigen eine deutliche Abweichung in der Repräsentation der Phraseme. B ÜRGEL fordert daher eine stärkere Orientierung an der Phraseologiehaftigkeit gesprochener Sprache, um „der Mündlichkeit insgesamt mehr Gewicht in Lehrwerken und damit im Französischunterricht [zu] verleihen“ (S. 130). Gwendoline L OVEY beschäftigt sich mit der Frage, wie mündliche Kompetenzen im lehrwerksbasierten Anfangsunterricht Französisch geschult werden. Ihre Analyse beruht auf Video- und Audioaufnahmen von Lernenden bei der Bearbeitung von Lehrwerksaufgaben und konzentriert sich in diesem Beitrag auf die Kommunikationsstrategie „Kontrolle und Reparaturen“. Die Studie liefert Hinweise dazu, dass diese strategische Kompetenz bereits auf A-Niveau gefördert werden kann, wozu es laut Autorin jedoch Aufgaben braucht, „die in Paar- oder Gruppenarbeit bearbeitet werden und die die Inhalts- und Bedeutungskomponente einbeziehen, damit die Interaktionen möglichst authentisch und komplex ausfallen“ (S. 157). Auch Manuela F RANKE widmet sich der Realität des Französischunterrichts in Bezug auf den Umgang mit Lehrwerken zur Förderung mündlicher Kompetenz. Ihre kriteriengeleiteten Beobachtungen liefern Hinweise darauf, dass der imitative Sprachgebrauch im Gegensatz zum produktiven immer noch einen größeren Anteil des Unterrichts ausmacht und dass interaktive Aufgaben meist schriftlich vorstrukturiert werden. Martina S OBEL präsentiert ein erprobtes innovatives Lernarrangement, das die mündliche Interaktionsfähigkeit im Anfangsunterricht über den lexikogrammatischen Ansatz fördert. Im Besprechungen 147 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0011 Format des Flipped Classroom erarbeiten die Lernenden autonom neue Inhalte, bevor diese in präsenter Partner- und Gruppenarbeit umgesetzt und in digitalen Übungen gefestigt werden. Mit der zentralen Frage, wie gesprochene Sprache bzw. mündliche Kompetenz im digitalen Zeitalter zu modellieren sind, setzt sich Isabelle M ORDELLET -R OGGENBUCK auseinander. Dieser Beitrag hätte sich auch gut in den Anfang des Bandes gefügt, da er einen verständlichen Überblick über vorhandene theoretische Modelle und Konzepte liefert, auf die sich auch andere Beiträge beziehen. Allerdings bleibt die Modellierung der konkreten, für den kompetenten mündlichen Sprachgebrauch notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten selbst etwas vage. Gérald S CHLEMMINGER und Celine B ICHON stellen die Lerntechnik „visualisation picturographique simultanée“ (VPS) vor, bei der Sprache über graphische, haptische und phonische Wahrnehmung und Wiederholung gelernt wird. Praktische Erfahrungen haben gezeigt, dass die erfolgreiche Umsetzung einer starken Kontextualisierung sowie Kommunikationsbedürfnisse bedarf, aber auch das Eintauchen in Themen, die das experimentelle Ausprobieren der Sprache ermöglichen (S. 251). Aurora F LORIDIA beschäftigt sich ebenfalls mit einer besonderen Methode zum Sprachenlernen - der „Psychodramaturgie Linguistique“ (PDL). Die Fremdsprache wird hier ab dem ersten Moment des Erwerbs gesprochen, wobei der PDL-Leitung eine besondere Rolle zukommt: Sie stellt sich auf die individuellen Lerner*innen und ihre Kommunikationsbedürfnisse ein und liefert das notwendige Sprachmaterial. Stéfanie W ITZIGMANN befasst sich mit der Beurteilung von mündlichen Sprachproben Französischlernender durch Lehramtsstudierende und ausgebildete Lehrkräfte. In ihrer Studie untersuchte sie Einflussfaktoren wie persönliche Eigenschaften der Beurteiler*innen (sprachliche Kompetenzen und Berufserfahrung) sowie Merkmale der Beurteilungsskala (holistisch oder analytisch). Die Ergebnisse deuten auf den Einfluss der Sprachkompetenz auf die Bewertung hin: Hohe Sprachkompetenzen führen in holistischen Beurteilungen zu valideren Urteilen, wobei schwächere Kompetenzen durch das Verwenden der Beurteilungsraster ausgeglichen werden. Sybille S EYFERTH widmet sich der Entwicklung eines Beurteilungsrasters für mündliche Kompetenzen und zeigt am Beispiel einer Studie aus Bremen, wie ein solches Raster erfolgreich unter Einbezug qualitativer, praktischer sowie bildungspolitischer Aspekte entworfen, validiert, revidiert und pilotiert werden kann. Insgesamt stellt der Band eine gelungene Sammlung von Beiträgen mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten und Perspektiven auf das Thema Mündlichkeit im Französischunterricht dar. Einzelne Forschungsarbeiten aus der Englischdidaktik hätten den Gesamtdiskurs noch gewinnbringend erweitern können. Zudem zeigen die Beiträge untereinander einige Redundanzen auf, z.B. in Form der Verweise auf die kommunikative Wende oder der Vorstellung des GER. Da die Beiträge aber sicherlich auch eigenständig rezipiert werden, sollte dies nicht weiter stören. Aufgrund des multiperspektivischen Zugangs ist die Lektüre gleichermaßen interessierten Didaktiker*innen und Praktiker*innen in Schule und Universität sehr zu empfehlen - und zwar über den Bereich der Französischdidaktik hinaus. Potsdam K ATHARINA D ELIUS 148 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2024-0012 53 • Heft 1 Anika F REESE , Oliver Niels V ÖLKEL (Hrsg.): Gender_Vielfalt_Sexualität(en) im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. München: iudicium 2022, 237 Seiten [30,00 € und Open Access]. Die unterrichtliche Thematisierung geschlechtlicher und sexueller Identitätsdiversität wird seit geraumer Zeit nicht nur durch Lehrpläne und Bildungsrichtlinien eingefordert. Zunehmende Aufmerksamkeit erfährt sie auch in allgemeinpädagogischen und fachdidaktischen Forschungs- und Praxisdiskursen, was oftmals durch fundierte Rückgriffe auf Gender- und Queer-Theorien gerahmt wird. Für die Englischdidaktik ist dieser Diskurs sowohl international als auch im deutschsprachigen Raum spätestens seit Ende der 1990er Jahre und verstärkt seit den 2010ern etabliert. Umso erfreulicher ist es, dass nun durch F REESE und V ÖLKEL erstmalig für den Bereich Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (DaF/ DaZ) eine umfassende Herausgeberschaft mit insgesamt 14 Fachbeiträgen und einer Einführung zu diesem Thema vorgelegt wird. Nicht weniger als einen inhaltlichen Lückenschluss in Forschung, Lehre und Unterrichtspraxis versprechen F REESE und V ÖLKEL : „Der vorliegende Band ist der erste, der sich explizit mit Gender und seinen Verknüpfungen mit Sexualität(en) und anderen Differenzlinien im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache beschäftigt“ (S. 11). Der Anspruch und die Zielperspektiven dieses Bandes sind folglich ambitioniert formuliert. Dabei spiegelt sich dieser Anspruch in dem vielleicht etwas ungewöhnlichen, aber klug gewählten Titel wider: Gender_Vielfalt_Sexualität(en). Die Beschäftigung mit Gender ist der klar artikulierte Ausgangspunkt für den Band, von wo aus sich Verknüpfungen mit verschiedenen sexuellen Identitäten, heteronormativen Setzungen sowie weiteren soziokulturellen Differenzlinien ergeben. In der kurzen Einführung von F REESE und V ÖLKEL führt dies dazu, dass sie sich dem Themenkomplex vor allem aus der Perspektive von Gender(debatten) und den Gender Studies nähern - und weniger aus den sich hier ebenfalls anbietenden Queer Studies oder kritischen poststrukturalistischen Differenztheorien. Die Einführung von F REESE und V ÖLKEL hat folglich insgesamt einen eher moderierenden Charakter; ein für die Herausgeberschaft leitendes Konzept zur Verankerung dieser Aspekte in die Lehre und Forschung von DaF/ DaZ wird nicht vorgelegt. Diese Aufgabe erfüllen aber konzeptuell ausgerichtete Beiträge, die später im Band noch folgen. Sehr überzeugend ist hingegen die umfassende Legitimierung, die hier erarbeitet wird. Die Entwicklung kommunikativer und interkultureller Kompetenzen sei ohne Bezüge zu den wirkmächtigen Identitätskategorien Gender und Sexualität kaum mehr denkbar, v.a. wenn sie mit einer klaren Positionierung für Persönlichkeitsbildung und ästhetisches Lernen im DaF/ DaZ-Unterricht einhergeht. Weitere Gründe für die Thematisierung von Gender und Sexualitäten finden sich zudem in bildungspolitischen Dokumenten. Offen bleibe aber vor dem Hintergrund dieser curricularen Forderungen - und hier ergeben sich weitere Lücken, die der Band schließt - wie Lehrkräfte professionell mit Aspekten von Gender, sexuellen Identitäten und Vielfalt umgehen können. Zur Erarbeitung des breiten Horizonts des Bandes bieten die Einzelbeiträge jeweils ganz eigene Schwerpunktsetzungen an. Es liegt dabei in der Natur der Sache, dass nicht jedes Kapitel alle denkbaren thematischen Perspektiven vollumfassend verknüpfen kann, sondern ausgewählte Aspekte, Unterrichtskontexte und Bildungspraktiken zum Spektrum aus Gender, Sexualität(en) und intersektionaler Diversität fokussieren muss. Ins Auge fällt, dass den Lesenden die verschiedenen Beiträge in keiner explizit angelegten, ausdifferenzierten Binnenstruktur angeboten werden, welche die Kapitel inhaltlich gruppiert, sondern in einer eher lose-eklektisch angelegten Reihenfolge, in der man sich zunächst abhängig vom Leseinteresse selbst orientieren muss. Dennoch ergeben sich im Gesamtblick der Beiträge folgende inhaltliche Cluster, auch wenn hier nicht auf alle Beiträge im Einzelnen eingegangen werden kann: Besprechungen 149 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0012 • zwei Beiträge sind v.a. theoretisch-konzeptionell ausgerichtet und systematisieren die Aspekte Geschlecht und Sexualität für DaF/ DaZ-Lernumgebungen; so erarbeitet B IEKER schlüssig die diskursive Herstellung der identitätserzeugenden „Masterkategorie“ (S. 21) Geschlecht und entwickelt „sieben Werkzeuge“ (S. 24) zur Genderreflexion für das Fach DaF/ DaZ, die sich vor allem auf einer Metaebene für Unterrichtskonzeptionen eignen; V ÖLKEL zeigt mit Rückgriff auf ein fundiertes Verständnis des Begriffes ‚Queer‘ auf, wie sich „die eher subjektorientierte Queersensibilität mit dem dekonstruktiven Potenzial des Queerings“ (S. 89) verbinden lässt; • die meisten Beiträge enthalten in unterschiedlicher Ausprägung pädagogische Implikationen sowie nützliche unterrichtspraktische Handlungsempfehlungen, die auf DaF/ DaZ zugeschnitten sind, z.B. H ILLE s sehr überzeugende Erarbeitung eines queeren literarischen Textnetzes, das mit vorgeschlagenen „Lektürepfaden“ (S. 113) für gendersensibles und heteronormativitätskritisches Arbeiten geeignet ist, sowie B AAR s Ideen der „Bildung für Fremd- und Selbstakzeptanz“ (S. 73) zur Sichtbarmachung sexueller Vielfalt; äußerst vielversprechend ist auch B ÜCHSEL s partizipatorischer Ansatz, DaF/ DaZ-Kursleitungen und queere Migrant: innen in die Entwicklung von Materialien einzubeziehen, die dem Ziel eines „intersektionalen Empowerments“ (S. 201) folgen; • insgesamt vier Beiträge widmen sich der exemplarischen Analyse von Bilderbüchern (T HIEL ; K ONRAD ; E LSEN ) oder Lehrwerken (K EGYES ) und arbeiten v.a. heraus, wie Gender (weniger aber sexuelle Identität oder Heteronormativität) in diesen Materialien repräsentiert, stereotypisiert und hierarchisiert wird; hier wird insbesondere der inhaltliche Ist-Zustand dieser Materialien erforscht, jedoch kaum, wie diese (teils auch defizitären) Materialien konkret im Unterricht von Lehrenden angewendet werden - ein Desiderat, das schon länger in der Material- und Lehrwerksforschung bekannt ist (vgl. H AR - WOOD s Konzept der consumption), aber bisher kaum bearbeitet wurde; die vorgestellten Analyseraster sind jedoch nützlich für weitere Studien ähnlicher Art. Zwei Beiträge möchte ich für ihren besonderen Wert hervorheben, da sie Desiderate bearbeiten, die nicht nur im DaF/ DaZ-Bereich liegen, sondern für die fremdsprachendidaktische Forschung allgemein relevant sind: • In der Fremdsprachendidaktik gibt es bisher neben theoretischen Legitimationspapieren und am Reißbrett entstandenen Praxisvorschlägen nur sehr wenige empirisch fundierte Erkenntnisse, wie ein auf sexuelle und geschlechtliche Vielfalt fokussierter Unterricht in der Praxis aussieht. Hierzu legt K OCH eine vielversprechende qualitative Studie vor, in der sie Lehrkräfte von DaZ-Kursen zu ihrer Unterrichtspraxis befragt hat. Die Ergebnisse liefern bei begrenzter Stichprobengröße erste Hinweise zu konkreten Gelingensbedingungen und potenziellen Problemen bei der Thematisierung von Sexualität im Unterricht. • Auf Konferenzen und in Forschungsliteratur wird seit längerer Zeit auf die noch unbeantwortete Problematik hingewiesen, wie das (scheinbar) so progressive und kontroverse Thema der queeren Vielfalt in Kontexten unterrichtbar sein kann, in denen das gesellschaftliche Klima eher skeptisch bis feindlich ausfällt. K OCYBA gelingt es, am Beispiel von DaF-Unterricht in Ungarn zu zeigen, wie Lehrkräfte durch die Verwendung einer literarischen Erzählung genderbinäre Denkmuster irritieren können und gleichzeitig für Lernende einen sicheren Rahmen für Genderreflexionen schaffen, auch wenn das Thema gesellschaftlich tabuisiert ist. 150 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2024-0013 53 • Heft 1 Allen Beiträgen ist gemein, dass sie sich engagiert, kritisch und multiperspektivisch mit der Frage auseinandersetzen, wie Aspekte von Gender, Sexualität(en) und Vielfalt in forschungs- und unterrichtsbezogene DaF/ DaZ-Diskurse eingeschrieben werden können. Damit gelingt tatsächlich der ambitioniert versprochene Lückenschluss der Aushandlung dieser Identitäts- und Differenzaspekte spezifisch für den DaF/ DaZ-Bereich - und dies auf einem breiten Spektrum von konzeptionellen Grundlagen über professionelles Handeln von Lehrenden bis hin zu unterrichtspraktischen und materialbezogenen Implikationen. Ich habe diesen Band mit viel Gewinn rezipiert, da er für DaF/ DaZ neue Handlungsfelder und Verantwortlichkeiten erarbeitet, die zukünftige Forschung und Lehre inspirieren kann. Es überrascht dennoch, dass in der Gesamtschau der Beiträge insgesamt recht wenige Referenzen auf thematisch verwandte Forschung aus dem internationalen und deutschsprachigen Raum angelegt sind, die den Themenkomplex der geschlechtlichen und sexuellen Vielfalt bereits für andere Fremdsprachendidaktiken und für die Pädagogik etabliert haben. So scheint es, dass die Ergebnisse dieses Bandes mit einem gewissen Umweg hergestellt wurden, auch wenn sie in ähnlicher Form bereits vorliegen (z.B. der Transfer von Gender- und Queer-Theorien in sprach-, kultur- und literaturdidaktische Forschung). Es wäre außerdem wünschenswert gewesen, durch anders gelagerte Gewichtungen noch vielseitigere Perspektiven durch die Beiträge zu eröffnen, z.B. dezidierter empirisch orientierte Unterrichtsforschung statt des starken Schwerpunkts auf Material und Lehrwerke. Als Letztes sei angemerkt, dass insgesamt das dekonstruktiv-transformatorische Potenzial der Queer- und Genderstudien noch intensiver hätte entwickelt werden können. Viele Beiträge leisten dies zwar mit einem Blick auf Heteronormativität oder non-binäre Konzeptionen von Gender, einige Beiträge bleiben aber recht stark in binären Ansätzen verhaftet. Alles in allem ist aus meiner Sicht der Band Gender_Vielfalt_Sexualität(en) empfehlenswert. F REESE und V ÖLKEL ist es gelungen, vielseitig aufgestellte Beiträger: innen zu gewinnen, sodass in der Gesamtschau so differenzierte Aspekte wie Grundsatzüberlegungen, professionelle Handlungsbedarfe und mikroskopische Einblicke in Lern- und Lehrkontexte zusammenkommen. Auch werden sprachliche, inter- und transkulturelle sowie literarisch-ästhetische Darstellungen in den Beiträgen versammelt, sodass hier ein reichhaltig angelegtes Referenzwerk für die verschiedenen Dimensionen von DaF/ DaZ vorliegt. Essen T HORSTEN M ERSE JPB G ERALD : Antisocial Language Teaching. English and the Pervasive Pathology of Whiteness. Bristol/ Jackson: Multilingual Matters 2022, 192 Seiten [EUR 29,95] * JPB G ERALD hat ein Buch vorgelegt, dessen Titel bereits deutlich macht, worum es ihm geht: um Sprachunterricht, genauer, um den Bereich English Language Teaching (ELT), den der Autor als antisozial und durchtränkt von Weißseinsideologien begreift. Wer sich noch nie mit kritischen Theorien zu whiteness (was im Deutschen etwas ungelenk als ‘Weißsein’ bezeichnet wird) befasst hat, wird die Verbindung von ELT, pathologischer Störung und Weißsein zunächst merkwürdig finden. Doch JPB G ERALD beabsichtigt, genau diese Verbindung an den Pranger zu stellen und v.a. diejenigen Leser: innen anzusprechen, die dabei sind, eine Ahnung oder ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, was Weißsein ist, wie es (nicht nur) die Welt des Sprachunterrichts durchzieht (wenn nicht gar entscheidend bestimmt) und warum Weißsein, * DOI https: / / doi.org/ 10.21832/ GERALD3276 Besprechungen 151 53 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0013 und zumal das eigene Weißsein, meist unbemerkt und unreflektiert ein Schattendasein in Leben, Bildung und Forschung führt - und das schon seit ein paar Jahrhunderten. Schon diese Beschreibung des Unterfangens lässt vermuten, dass JPB G ERALD kein gewöhnliches wissenschaftliches Werk verfasst hat, wie es üblicherweise an dieser Stelle oder in anderen Fachzeitschriften rezensiert wird. Das Buch ist in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich: ungewöhnlich direkt, ungewöhnlich persönlich, ungewöhnlich jargonfrei und ungewöhnlich engagiert. G ERALD ist ein activist scholar, führt Seminare und Fortbildungen durch, hat einen Podcast und ist auch ansonsten aktiv in sozialen Medien. Die Monographie, um die es hier geht, greift sowohl auf seine wissenschaftlichen Recherchen und Arbeiten sowie seine eigenen Erfahrungen als auch die derjenigen, die an seinen Seminaren teilgenommen haben, zurück und kann als eine Verlängerung und Erweiterung seiner selbst gestellten Aufgabe als public educator gesehen werden: Hier schreibt jemand, der nicht akademisch-distanziert und möglichst neutral bleiben möchte, sondern der etwas in Bewegung setzen will und deshalb alle Kanäle nutzt, um Lesende, Zuhörende und Followers zu mobilisieren. Und um das zu tun, legt er schon im Prolog die akademische Maske ab und erklärt: “I am a Black and neurodivergent man who has spent his entire life immersed in white spaces, and I only recently came to understand the impact this has had on me, which is a story that will be threaded throughout the narrative of this book” (S. vii). G ERALD ist Amerikaner, lebt in New York City und hat u.a. als Lehrer im Bereich ELT gearbeitet, erst in Südkorea, später in den USA. Geschichten aus dieser Zeit finden sich an vielen Stellen im Buch, was sowohl zur Lesbarkeit beiträgt als auch zur Illustration dessen, was der Autor an den Pranger stellen möchte. Methodologisch kombiniert die Monografie Autoethnographie und narrative Interviews, verfasst mit Verve und einer gehörigen Portion Sendebewusstsein und Überzeugung. So stellt G ERALD bereits eingangs fest: “based on my identity, my experience and my research, I believe I am the person best positioned to write this book, and I hope you will agree” (S. viii). Das Buch besteht aus drei Hauptteilen. Teil 1, Disorder, führt die zentralen Themen ein und behandelt neben hegemonialem Weißsein auch Schwarzsein (und zwar nicht in einem biologischen Sinne von Rasse, sondern als Resultat von Rassialisierung) sowie deren Verzahnung mit Pathologisierung (dis/ abling blackness) und Sprache bzw. ELT. Hier geht es v.a. um Standardisierung sowie das Native Speaker-Konstrukt und seine ideologische Amalgamierung mit Nation und Weißsein. Die - groben - theoretisch-konzeptuellen Erläuterungen erfolgen unter Rückgriff auf Critical Race Theory (CRT), Critical Whiteness Studies (CWS) und Disability Critical Race Studies (Dis/ Crit), angereichert und veranschaulicht durch zahlreiche persönliche Einlassungen und Erzählungen. Weißsein wird hier als der ideologische Ausgangspunkt identifiziert, der durch Aus- und Abgrenzungen Pathologien und Hierarchien schafft, die sich überall und auch im Sprachunterricht bemerkbar machen und dort zugleich beständig perpetuiert werden, und zwar zum Nachteil fast aller (auch Weißer): As a system, whiteness derives its power from persuading individuals and institutions to buy into its value, such that even the people who may never be considered ‘white’ thirst after a proximity to its customs and privileges. Like any pyramid scheme, though, few ever see lasting benefits from pursuing its illusory promises, even as they perpetuate the oppression upon which it depends. (S. 55) Der zweite Teil des Buchs, Symptoms, basiert auf einer einfachen, frechen und subversiven Idee: G ERALD nimmt die Definition für antisocial personality disorder der American Psychological Association und wendet sie auf das ELT-Feld an. Die Definition weist sieben Kriterien aus, die die antisoziale Persönlichkeitsstörung ausmachen. G ERALD behandelt alle sieben, wid- 152 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2024-0013 53 • Heft 1 met jedem Kriterium ein Kapitel und argumentiert, inwiefern das jeweilige Kriterium auf den Bereich ELT zutrifft. Dieser Konter ist somit als rhetorische Gegenpathologisierung eines Feldes angelegt, das seinerseits auf zahlreichen Pathologisierungen - von Sprachlernenden und Sprachnutzenden bzw. Languagers - basiert. Auch wenn Lesende aufgrund der bisweilen stark durch die US-Brille perspektivierten Darstellungen sowie eine damit verbundene z.T. recht verengte Sicht auf ELT nicht allen Punkten folgen können, ist dieser Konter definitiv lesenswert und soll hier deshalb nicht ‘verraten’ werden. Der dritte und letzte Teil, Treatment …? , richtet den Blick auf das, was Einzelne tun können, um Weißsein zu dezentrieren, ELT zu entpathologisieren und zu entrassialisieren bzw. um das Feld sukzessive mehr prosocial zu machen. Der Titel dieses Teils ist aus naheliegenden Gründen mit einem Fragezeichen versehen. G ERALD stellt seine Seminare und andere Aktivitäten vor, teilt Ideen zur Sichtbarmachung von Weißsein (“the whiteness of teaching and how challenging it is to discuss this explicitly”, S. 120f.) und präsentiert Ergebnisse seiner Studie mit ELT-Lehrenden und -Forschenden, die an seinen Seminaren teilgenommen haben und deren Geschichten von Hochs und Tiefs und viel Gegenwind berichten. Schließlich präsentiert G ERALD auch seine eigenen Vorschläge (die wiederum nicht bereits in dieser Rezension verraten werden sollen). Hier wendet er sich auch direkt an die Lesenden: There are plenty of people who find the decentering of whiteness in our field to be of utmost importance, and plenty who put forth considerable effort in trying to discredit the work we are doing. Far more troubling, though, are the many who don’t much care either way and just keep their head down to try and eke out a living in a field that isn’t particularly set up for such a thing (…). I really am writing this for the people who are intrigued by these ideas but hopefully just need a push to take action. (S. 144) Diesen Überlegungen kann man anschließen: Wer sich von G ERALD s Worten angesprochen fühlt, wird in seinem Buch sicher einiges finden, das sehr unangenehm und auch sehr zutreffend ist. Für diejenigen ist nach der Lektüre die Option, den Kopf in den Sand zu stecken, vom Tisch. Insgesamt bietet das Buch einen persönlich-autobiographisch motivierten Einstieg in eine Diskussion, die derzeit im anglo-amerikanischen und australischen Raum sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Forschung fast ausschließlich im Bereich ELT sehr hitzig geführt wird. Die kurzweilige Lektüre könnte insofern auch für einige Anlass bieten, sich gezielt weiter mit dieser Diskussion zu beschäftigen und systematischer zu hinterfragen, ob und inwiefern die angesprochenen Themen und Missstände auch im deutschsprachigen Raum und im Fremdsprachenunterricht anzutreffen sein könnten. G ERALD verweist zudem auf einige einschlägige Titel, die diese Diskussion maßgeblich beeinflusst und mitbestimmt haben. In diesem Sinne kann sein Buch als Einladung gesehen werden: zum Weiter- und Nachlesen sowie zum kritischen Weiter- und Nachdenken. Waterloo B ARBARA S CHMENK 53 • Heft 1 Vorschau auf Jahrgang 53.2 Der von C AROLYN B LUME (TU Dortmund) und J ULES B ÜNDGENS -K OSTEN (Goethe-Universität Frankfurt) koordinierte Themenschwerpunkt für Jahrgang 53.2 trägt den Titel „Neurodiversität in Fremdsprachenunterricht und -lehrkräftebildung“. Heterogenität im Fremdsprachenunterricht ist zwar regelmäßig Thema im fachdidaktischen Diskurs, der Aspekt der Neurodiversität - verstanden als Heterogenitätsdimension mit Bezug auf die Diversität von processing styles - kommt dabei aber oft nur am Rande vor. In diesem Zusammenhang verstehen wir Neurodiversität nicht einfach als ein Sammelbegriff für Diagnosen wie Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS), Autismus oder sogenannte Sprachentwicklungsstörungen. Vielmehr gilt es mit dem Begriff, neurologische Unterschiedlichkeit als auch im Fremdsprachenkontext wertzuschätzende Heterogenitätsdimension aktiv anzuerkennen. Im fachdidaktischen Diskurs ist Diversität als relevante Facette fest verankert, gespeist durch Diskussion zu individuellen Lerner*innenunterschieden, interkultureller Kompetenz, Inklusion sowie social justice. In Anbetracht der Tatsache, dass sich neurodivergente Schüler*innen (statistisch) in jedem Klassenzimmer und in jedem Seminar der Lehrkräftebildung befinden und damit quasi jede Lernendengruppe eine neurodiverse Lernendengruppe ist, wird die praktische Relevanz der Beschäftigung mit dem Thema offensichtlich. Darüber hinaus ist die Auseinandersetzung etwa mit own voices-Texten oder dem Wellbeing von Lehrkräften auch für andere Heterogenitätsdimensionen gewinnbringend. Zudem ist die theoretische Relevanz des Themas als Komponente einer breit verstandenen Bildungsgerechtigkeit essenziell. Inspiriert von der Grundforderung der Disability Rights Bewegung, „Nichts über uns ohne uns“, wird dieses Themenheft sowohl fachdidaktische Beiträge als auch Beiträge von Personen mit lived experience beeinhalten. 1 Neben längere Fachaufsätze treten also ein Interview, zwei Comics und ein kurzer Essay über die Erfahrungen mit (Fremdsprachen-)Unterricht, (Fremd-) Sprachennutzung und Lehrkräftebildung aus Perspektive von neurodivergenten Personen. Der (fremd-)sprachliche Fokus liegt auf Englisch, Deutsch, und den romanischen Sprachen. Auch in sonstiger Hinsicht wirft dieses Themenheft vielfältige Perspektiven auf das Thema auf. Die Beitragenden für dieses Heft stammen nicht nur aus unterschiedlichen Ländern (u.a. Deutschland, Japan, Kanada, Österreich) und mehreren wissenschaftlichen Disziplinen (Englischdidaktik, Didaktik der romanischen Sprachen, inklusive Bildung und Sprachdidaktik); sie sind ebenfalls Akademiker*innen, freiberufliche Künstler*innen, Lehrkräfte, Studierende und Bildungsfachkräfte. Besonders erfreulich ist, dass in diesem Themenheft sowohl unterschiedliche Neurotypen im Fokus stehen (z.B. ADHS und Down Syndrom) als auch unterschiedliche Gruppen (Schüler*innen sowie Lehrkräfte). Bei Redaktionsschluss lagen Zusagen für folgende Beiträge vor: J ULES B ÜNDGENS -K OSTEN (Goethe-Universität Frankfurt), C AROLYN B LUME (TU Dortmund): Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 1 Selbstverständlich können diese beiden Gruppen überlappen. V o r s c h a u 154 Vorschau 53 • Heft 1 D AVID G ERLACH (Bergische Universität Wuppertal): Diversitätsorientierung und Kritische Fremdsprachendidaktik: Perspektiven für einen bildungsorientierten Fremdsprachenunterricht und die fremdsprachliche Lehrer*innenbildung [konzeptioneller Beitrag] N ICOLE G OTLING (Universität Wien), J ULIA H ÜTTNER (Universität Wien), M ICHELLE P ROYER (Universität Wien), M ANUELA S CHLICK (Universität Wien & Ev. Montessori Oberstufenrealgymnasium, Grödig): Vorbereitung auf inklusiven Fachunterricht: Hochschuldidaktische Überlegungen und Erfahrung zur Englischlehrer*innenbildung in Bezug auf Neurodiversität [empirischer Beitrag] J IL -M ARIE Z ILSKE (TH Köln): Erfahrungen als Englischlernende und -nutzende mit Down Syndrom [Interview] R EBELLA T OMA : Dreamy [Comic] M ARC J ONES (Toyo University & TU Dortmund), G RETCHEN C LARK (Ritsumeikan University): Language teachers with ADHD: self-efficacy and framings [empirischer Beitrag] S OPHIE E NGELEN (Justus-Liebig-Universität Gießen): Lese- und Schreibstrategien im inklusiven Französisch- und Spanischunterricht [empirischer Beitrag] S OPHIE A. (Goethe-Universität Frankfurt): Lesen und Verstehen im Studium: Wieso Semesterwochenstunden für manche Menschen mit Lese-Rechtschreibstörung/ -schwäche (LRS) eine Herausforderung sind [Essay] Y ELA S CHAUWECKER (Universität Stuttgart): Differenzierung konkret: ein Good-Practice-Beispiel zur Vorbereitung Lehramtsstudierender auf den Umgang mit Heterogenität im Französischunterricht [empirischer Beitrag] S AM G AMACHE (@ ATESOMEROCKS ): ohne Titel [Comic] S OLVEIG C HILLA (Europa-Universität Flensburg): Neurodiversität und Diverse Learning Needs: Developmental Language Disorder (DLD) und Deutsch als Zweitsprache im Fokus [empirischer Beitrag] J ULES B ÜNDGENS -K OSTEN (Goethe-Universität Frankfurt), G RIT A LTER (Pädagogische Hochschule Tirol): Own voices Literatur im (Fremd-)Sprachenunterricht [konzeptioneller Beitrag] Geplanter Themenschwerpunkt für Jahrgang 54.1 Fokus Feedbackkompetenz Koordiniert von M ARLENE A UFGEBAUER (Wien) und K AREN S CHRAMM (Wien) Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL) Themenschwerpunkte (1999 - 2023) Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL) Themenschwerpunkte (1999 - 2023) 28 (1999): Neue Medien im Fremdsprachenunterricht (koord. von Erwin Tschirner) 29 (2000): Positionen (in) der Fremdsprachendidaktik (koord. von Frank G. Königs) 30 (2001): Leistungsmessung und Leistungsevaluation (koord. von Rüdiger Grotjahn) 31 (2002): Lehrerausbildung in der Diskussion (koord. von Frank G. Königs und Ekkehard Zöfgen) 32 (2003): Mündliche Produktion in der Fremdsprache (koord. von Karin Aguado u.a.) 33 (2004): Wortschatz - Wortschatzerwerb - Wortschatzlernen (koord. von Erwin Tschirner) 34 (2005): `` Neokommunikativer AA Fremdsprachenunterricht (koord. von Franz-Joseph Meißner) 35 (2006): Sprachdidaktik - interkulturell (koord. von Claus Gnutzmann und Frank G. Königs) 36 (2007): Fremdsprache als Arbeitssprache in Schule und Studium (koord. von Claus Gnutzmann) 37 (2008): Lehren und Lernen mit literarischen Texten (koord. von Eva Burwitz-Melzer) 38 (2009): Strategien im Fremdsprachenunterricht (koord. von Manfred Raupach) 39 (2010): Geschichte des Fremdsprachenunterrichts (koord. von Claus Gnutzmann und Frank G. Königs) 40.1 (2011): Fremdsprachenforschung in Europa (koord. von C. Gnutzmann, F.G. Königs und L. Küster) 40.2 (2011): Lehrwerkkritik, Lehrwerkverwendung, Lehrwerkentwicklung (koord. von Jürgen Kurtz) 41.1 (2012): Kompetenzen konkret (koord. von Lutz Küster) 41.2 (2012): Fremdsprachen in nichtsprachlichen Studiengängen (koord. von Claus Gnutzmann) 42.1 (2013): Entwicklungslinien. Standpunkte der Fremdsprachenforschung (koord. von Jenny Jakisch, Frank G. Königs und Lutz Küster) 42.2 (2013): Tasks revisited (koord. von Wolfgang Hallet und Michael K. Legutke) 43.1 (2014): Der Fremdsprachenlehrer im Fokus (koord. von Frank G. Königs) 43.2 (2014): Multiliteralität (koord. von Lutz Küster) 44.1 (2015): Wissenschaftliches Schreiben in der Fremdsprache (koord. von Claus Gnutzmann) 44.2 (2015): Mehrsprachigkeitsdidaktik (koord. von Jenny Jakisch) 45.1 (2016): (Fremd-)Sprachenlernen mit Film (koord. von Gabriele Blell und Carola Surkamp) 45.2 (2016): L2-Motivation - internationale und sprachspezifische Perspektiven (koord. von Claudia Riemer und Kathrin Wild) 46.1 (2017): Sprachenpolitik (koord. von Eva Burwitz-Melzer und Jürgen Quetz) 46.2 (2017): Frühes Fremdsprachenlernen (koord. von Heiner Böttger) 47.1 (2018): Fachlichkeit und Bildungsauftrag im schulischen Fremdsprachenunterricht (koord. von Lutz Küster und Jochen Plikat) 47.2 (2018): Digitalisierung und Differenzierung (koord. von Torben Schmidt und Nicola Würffel 48.1 (2019): Videobasierte Lehre in der Fremdsprachendidaktik (koord. von Mark Bechtel und Karen Schramm) 48.2 (2019): Sprachmittlung (koord. von Andrea Rössler und Birgit Schädlich) 49.1 (2020): Fremdsprachliches Schreiben (koord. von Hans P. Krings) 49.2 (2020): Aussprache lehren, lernen und evaluieren (koord. von Isabelle Mordellet-Roggenbuck und Julia Settinieri) 50.1 (2021) Bilingualer Unterricht. Aktuelle Herausforderungen und neue Chancen (koord. von Bärbel Diehr und Dominik Rumlich) 50.2 (2021) Berufsbezogenes Fremdsprachenlernen und -lehren (koord. von Karin Vogt und Hermann Funk) 51.1 (2022) Jugendliteratur im Fremdsprachenunterricht der Sekundarstufe für alle (koord. Nikola Mayer) 51.2 (2022) Mehrsprachige Forschung - Mehrsprachigkeit in der Forschung: theoretische und empirische Herausforderungen aus internationaler Perspektive (koord. von Dagmar Abendroth-Timmer und Britta Viebrock) 52.1 (2023 Die Künste und ihr Einsatz im Fremdsprachenunterricht - Potenziale für das fremdsprachliche Lernen (koord. von Carola Surkamp und Andreas Wirag) 52.2 (2023) Gamification (koord. von Maria García García) Hinweise zu Beiträgen für FLuL FLuL begrüßt forschungsbasierte Beiträge zu allen für den Fremdsprachenunterricht und die Förderung der Mehrsprachigkeit relevanten Bereichen. Einzelheiten zur Gestaltung der Manuskripte sind dem ausführlichen ,style sheet‘ zu entnehmen, das bei der Redaktion (Anschrift siehe 2. Umschlagseite) angefordert werden kann. Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL) Themenschwerpunkte (1999 - 2023) 28 (1999): Neue Medien im Fremdsprachenunterricht (koord. von Erwin Tschirner) 29 (2000): Positionen (in) der Fremdsprachendidaktik (koord. von Frank G. Königs) 30 (2001): Leistungsmessung und Leistungsevaluation (koord. von Rüdiger Grotjahn) 31 (2002): Lehrerausbildung in der Diskussion (koord. von Frank G. Königs und Ekkehard Zöfgen) 32 (2003): Mündliche Produktion in der Fremdsprache (koord. von Karin Aguado u.a.) 33 (2004): Wortschatz - Wortschatzerwerb - Wortschatzlernen (koord. von Erwin Tschirner) 34 (2005): `` Neokommunikativer AA Fremdsprachenunterricht (koord. von Franz-Joseph Meißner) 35 (2006): Sprachdidaktik - interkulturell (koord. von Claus Gnutzmann und Frank G. Königs) 36 (2007): Fremdsprache als Arbeitssprache in Schule und Studium (koord. von Claus Gnutzmann) 37 (2008): Lehren und Lernen mit literarischen Texten (koord. von Eva Burwitz-Melzer) 38 (2009): Strategien im Fremdsprachenunterricht (koord. von Manfred Raupach) 39 (2010): Geschichte des Fremdsprachenunterrichts (koord. von Claus Gnutzmann und Frank G. Königs) 40.1 (2011): Fremdsprachenforschung in Europa (koord. von C. Gnutzmann, F.G. Königs und L. Küster) 40.2 (2011): Lehrwerkkritik, Lehrwerkverwendung, Lehrwerkentwicklung (koord. von Jürgen Kurtz) 41.1 (2012): Kompetenzen konkret (koord. von Lutz Küster) 41.2 (2012): Fremdsprachen in nichtsprachlichen Studiengängen (koord. von Claus Gnutzmann) 42.1 (2013): Entwicklungslinien. Standpunkte der Fremdsprachenforschung (koord. von Jenny Jakisch, Frank G. Königs und Lutz Küster) 42.2 (2013): Tasks revisited (koord. von Wolfgang Hallet und Michael K. Legutke) 43.1 (2014): Der Fremdsprachenlehrer im Fokus (koord. von Frank G. Königs) 43.2 (2014): Multiliteralität (koord. von Lutz Küster) 44.1 (2015): Wissenschaftliches Schreiben in der Fremdsprache (koord. von Claus Gnutzmann) 44.2 (2015): Mehrsprachigkeitsdidaktik (koord. von Jenny Jakisch) 45.1 (2016): (Fremd-)Sprachenlernen mit Film (koord. von Gabriele Blell und Carola Surkamp) 45.2 (2016): L2-Motivation - internationale und sprachspezifische Perspektiven (koord. von Claudia Riemer und Kathrin Wild) 46.1 (2017): Sprachenpolitik (koord. von Eva Burwitz-Melzer und Jürgen Quetz) 46.2 (2017): Frühes Fremdsprachenlernen (koord. von Heiner Böttger) 47.1 (2018): Fachlichkeit und Bildungsauftrag im schulischen Fremdsprachenunterricht (koord. von Lutz Küster und Jochen Plikat) 47.2 (2018): Digitalisierung und Differenzierung (koord. von Torben Schmidt und Nicola Würffel 48.1 (2019): Videobasierte Lehre in der Fremdsprachendidaktik (koord. von Mark Bechtel und Karen Schramm) 48.2 (2019): Sprachmittlung (koord. von Andrea Rössler und Birgit Schädlich) 49.1 (2020): Fremdsprachliches Schreiben (koord. von Hans P. Krings) 49.2 (2020): Aussprache lehren, lernen und evaluieren (koord. von Isabelle Mordellet-Roggenbuck und Julia Settinieri) 50.1 (2021) Bilingualer Unterricht. Aktuelle Herausforderungen und neue Chancen (koord. von Bärbel Diehr und Dominik Rumlich) 50.2 (2021) Berufsbezogenes Fremdsprachenlernen und -lehren (koord. von Karin Vogt und Hermann Funk) 51.1 (2022) Jugendliteratur im Fremdsprachenunterricht der Sekundarstufe für alle (koord. Nikola Mayer) 51.2 (2022) Mehrsprachige Forschung - Mehrsprachigkeit in der Forschung: theoretische und empirische Herausforderungen aus internationaler Perspektive (koord. von Dagmar Abendroth-Timmer und Britta Viebrock) 52.1 (2023 Die Künste und ihr Einsatz im Fremdsprachenunterricht - Potenziale für das fremdsprachliche Lernen (koord. von Carola Surkamp und Andreas Wirag) 52.2 (2023) Gamification (koord. von Maria García García) Hinweise zu Beiträgen für FLuL FLuL begrüßt forschungsbasierte Beiträge zu allen für den Fremdsprachenunterricht und die Förderung der Mehrsprachigkeit relevanten Bereichen. Einzelheiten zur Gestaltung der Manuskripte sind dem ausführlichen ,style sheet‘ zu entnehmen, das bei der Redaktion (Anschrift siehe 2. Umschlagseite) angefordert werden kann. ISBN 978-3-381-12231-8 www.narr.digital www.narr.de ISSN 0932-6936 Themenschwerpunkt: Interaktion und Digitalisierung im Fremdsprachenunterricht G ötz S chwab , S abine h offmann Zur Einführung in den Themenschwerpunkt ���������������������������������������������� 3 n ilS D rixler Turn-Taking als Merkmal interaktionaler Kompetenz in einem Virtual Exchange - Konversationsanalyse von videogestützter Online-Interaktion zwischen israelischen und deutschen Englischstudierenden ���������������������� 9 c hriStine b iebricher , D iana f eick , P etra k norr Interaktionsprozesse in einem virtuellen Austauschprojekt - duoethnografische Reflexionen der begleitenden Lehrpersonen ��������������� 27 b uDima u Skokovic Aushandeln gemeinsamer Verständnisebenen in mehrsprachiger videobasierter Interaktion ���������������������������������������������������������������������������� 43 m arta G arcía G arcía , n aiara m artínez n iño „Vielleicht kann ich meinen Bildschirm teilen“ - Management von Spanisch- Online-Interaktionen im Rahmen eines Virtual Exchange �������������������������� 59 S venja m eier , G ötz S chwab Identitätsarbeit und Rollenverständnis durch persönliche Narrationen in Virtuellen Austauschen zwischen deutschen und isrealischen Studierenden ���������� 81 S ina w erner Task-in-Process in Breakout Rooms eines aufgabenbasierten Videokonferenzprojekts ���������������������������������������������������������������������� 101