Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
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2024
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Gnutzmann Küster SchrammFremdsprachen Lehren und Lernen Herausgegeben von Birgit Schädlich, Karen Schramm und Britta Viebrock Themenschwerpunkt: Neurodiversität in Fremdsprachenunterricht und -lehrkräftebildung koordiniert von Carolyn Blume und Jules Bündgens-Kosten F Lu L 53. Jahrgang · 2 Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL) Zur Theorie und Praxis des Sprachunterrichts Herausgegeben von: Birgit Schädlich (Göttingen) · Karen Schramm (Wien) Britta Viebrock (Frankfurt) Zuschriften, Manuskripte und Rezensionsexemplare erbeten an: Prof. Dr. Birgit Schädlich, Georg-August-Universität Göttingen, Seminar für Romanische Philologie, Humboldtallee 19, 37073 Göttingen, eMail: birgit.schaedlich@phil.uni-goettingen.de Prof. Dr. Karen Schramm, Universität Wien, Institut für Germanistik, Fachbereich DaF/ DaZ, Porzellangasse 4, A-1090 Wien, eMail: karen.schramm@univie.ac.at Prof. Dr. Britta Viebrock, Goethe Universität Frankfurt, Institut für England- und Amerikastudien, Norbert-Wollheim-Platz 1, 60323 Frankfurt am Main, eMail: viebrock@em.uni-frankfurt.de Beratende Mitarbeit: Sandra Ballweg (Paderborn) · Gabriele Blell (Hannover) · Daniela Caspari (Berlin) · Sabine Doff (Bremen) · Andreas Grünewald (Bremen) · Jürgen Kurtz (Gießen) · Grit Mehlhorn (Leipzig) · Claudia Riemer (Bielefeld) · Michaela Rückl (Salzburg) · Kathrin Siebold (Marburg) · Laurenz Volkmann (Jena) · Katharina Wieland (Halle) Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL) erscheint zweimal im Jahr mit einem Umfang von jeweils ca. 144 Seiten. Das Jahresabonnement kostet € 69,- (print) bzw. € 80,- (print + online), Vorzugspreis für private Leser € 50,- (print), das Einzelheft € 42,-. (alle Preise zzgl. Postgebühr). Das Abonnement verlängert sich jeweils um ein weiteres Jahr, wenn es nicht bis zum 15. November des laufenden Jahres beim Verlag gekündigt wird. © 2024 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG, Dischingerweg 5, 72070 Tübingen www.narr.de, eMail: info@narr.de Die in der Zeitschrift veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieser Zeitschrift darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Fotokopie, Mikrofilm oder andere Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsanlagen, verwendbare Sprache übertragen werden. Auch die Rechte der Wiedergabe durch Vortrag, Funk- und Fernsehsendung, in Magnettonverfahren oder auf ähnlichem Wege bleiben vorbehalten. Fotokopien für den persönlichen und sonstigen eigenen Gebrauch dürfen nur von einzelnen Beiträgen oder Teilen daraus als Einzelkopien hergestellt werden. Jede im Bereich eines gewerblichen Unternehmens hergestellte oder benutzte Kopie dient gewerblichen Zwecken gem. § 54 (2) UrhG und verpflichtet zur Gebührenzahlung an die VG WORT, Abteilung Wissenschaft, Goethestraße 49, 80336 München, von der die einzelnen Zahlungsmodalitäten zu erfragen sind. Printed in Germany ISBN 978-3-381-12241-7 · ISSN 0932-6936 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG (Fortsetzung umseitig) Th e m e n s c h w e rp u nkt: Neurodiversität in Fremdsprachenunterricht und -lehrkräftebildung Koordination: J ULES B ÜNDGENS -K OSTEN und C AROLYN B LUME J ULES B ÜNDGENS -K OSTEN , C AROLYN B LUME Zur Einführung in den Themenschwerpunkt ....................................................... 3 R EBELLA T OMA : [Comic] Dreamy ........................................................................ 12 D AVID G ERLACH Diversitätsorientierung und Kritische Fremdsprachendidaktik: Perspektiven für einen bildungsorientierten Fremdsprachenunterricht und die fremdsprachliche Lehrer*innenbildung ........................................................................................... 14 J ULES B ÜNDGENS -K OSTEN , G RIT A LTER Repräsentation und own voices Literatur im (Fremd-)Sprachenunterricht .......... 28 S AM G AMACHE : [Comic] Education with ADHD ................................................. 42 S OPHIE E NGELEN Lesestrategien im inklusiven Französisch- und Spanischunterricht .................... 43 S OLVEIG C HILLA Neurodiversität und diverse learning needs: Developmental language disorder (DLD) und Deutsch als Zweitsprache bei Schüler*innen mit forced-displacement-Biografie ..................................................................................................... 57 J IL -M ARIE Z ILSKE Erfahrung als Englischlernende und -nutzende mit Down-Syndrom ................. 71 N ICOLE G OTLING , J ULIA H ÜTTNER , M ICHELLE P ROYER , M ANUELA S CHLICK Vorbereitung auf inklusiven Fachunterricht: Hochschuldidaktische Überlegungen und Erfahrung zur Englischlehrer*innenbildung bezüglich Neurodiversität . 74 Y ELA S CHAUWECKER Das Prinzip der Differenzierung: Die Vorbereitung Lehramtsstudierender auf den Umgang mit Neurodiversität im Französischunterricht ................................ 88 53. Jahrgang • Heft 2 Herausgegeben von: Birgit S CHÄDLICH (Göttingen), Karen S CHRAMM (Wien), Britta V IEBROCK (Frankfurt) © 2024 Narr Francke Attempto Verlag Internet: www.narr.de/ linguistik/ zeitschriften/ flul/ 53 • Heft 2 S OPHIE A. Lesen und Verstehen im Studium: Wieso Semesterwochenstunden für manche Menschen mit Lese-Rechtschreibstörung/ -schwäche (LRS) eine Herausforderung sind ............................................................................................................. 103 M ARC J ONES , G RETCHEN C LARK Language teachers with ADHD: self-efficacy and framings ............................... 106 Nicht-thematischer Teil E VA W ILDEN , R APHAELA P ORSCH , J OEL G UTTKE , L ARISSA W ELLMANNS Das Potenzial zur kommunikativ-kognitiven Aktivierung im Englischunterricht - Befunde einer Analyse von Lernaufgaben aus Lehrwerken der Grundschule .. 120 P r o u n d C o ntr a : S tudi e re nd e a l s Fr e md s pra c he nl e hrkräft e: D urc h e in ‘ D u a le s S tudium’ d e n R e a lit ät en b e g e g ne n ? 140 Be sprechunge n Jon C LENTON and Paul B OOTH (Hrsg.): Vocabulary and the Four Skills: Pedagogy, Practice, and Implications for Teaching Vocabulary. Milton Park: Routledge 2020 (M ATTHIAS H UTZ ) ............................................................................................................... 142 Leonhard K ROMBACH : Schriftliche Sprachmittlung im Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe. Eine qualitativ-empirische Studie. Tübingen: Narr 2022 (D ANIELA C ASPARI ) ............................................................................................................. 145 Carola S URKAMP (Hrsg.): Bildung für nachhaltige Entwicklung im Englischunterricht. Grundlagen und Unterrichtsbeispiele. Hannover: Klett Kallmeyer 2022 (S UBIN N IJHAWAN ) ............................................................................................................... 147 Leo W ILL , Jürgen K URTZ , Tamara Z EYER , Hélène M ARTINEZ (Hrsg.): Dimensionen digitaler Lehre in der universitären Fremdsprachenlehrkräftebildung. Tübingen: Narr 2022 (H ENRIETTE D AUSEND ) ............................................................................................... 150 Anka B ERGMANN , Christoph M AYER , Jochen P LIKAT (Hrsg.): Perspektiven der Schulfremdsprachen in Zeiten von Global English und Digitalisierung. Frankfurt/ M.: Lang (M ARK B ECHTEL ) ................................................................................................................ 153 Rui Y UAN , Icy L EE (Hrsg.): Becoming and Being a TESOL Teacher Educator. Research and Practice. London/ New York: Routledge, 2022 (A NNE M IHAN ) ................................... 155 Vorschau 159 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0014 J ULES B ÜNDGENS -K OSTEN , C AROLYN B LUME * Zur Einführung in den Themenschwerpunkt Dieses Themenheft beschäftigt sich mit Neurodiversität im Fremdsprachenunterricht und in der fremdsprachlichen Lehrkräftebildung. Neurodiversität ist dabei ein vielschichtiger Begriff, auf den auch die Autor*innen der jeweiligen Beiträge mit unterschiedlicher Betonung rekurrieren. Diese Varianten in der Nutzung des Begriffs reflektieren dabei ein über die Jahre entwickeltes Verständnis desselben. Inhaltlicher Kern des Konzepts Neurodiversität ist einerseits das Verständnis von neurologischer Vielfalt als Diversitätsdimension, andererseits die positive Bewertung dieser Form von Diversität. S INGER 1 (1998: 13) nutzt Biodiversität als Folie, um metaphorisch den Wert von neurologischer Diversität für Gesellschaften herauszustellen. Gerade mit dieser begriffsinhärent-positiven Perspektive auf Heterogenität passt Neurodiversität als Konzept gut in ressourcenorientierte fremdsprachendidaktische Überlegungen, wie sie auch für anderen Heterogenitätsdimensionen wie z.B. Mehrsprachigkeit längst Usus sind (vgl. C OUNCIL OF E UROPE 2018). Auch wenn Neurodiversität als Begriff gesellschaftliche Vielfalt betont - eine Person alleine kann nur im Hinblick auf den Personenstand als „divers“ gelten - wird mit ihm häufig lediglich auf diejenigen Personen rekurriert, die sich neurologisch von einer angenommenen Norm (Neurotypizität) abgrenzen lassen. So verwendet etwa B AKER den Begriff, wenn sie schreibt: (...) neurodiversity refers to atypical functionalities found in individuals who have identifiable neurological differences and to their interactions with individuals considered neurologically typical in the context of public infrastructures built around a presumption of neurotypicality. (B AKER 2011: 22) * Korrespondenzadressen: PD Dr. Jules B ÜNDGENS -K OSTEN , Goethe-Universität Frankfurt, IEAS, Norbert-Wollheim-Platz 1, 60323 F RANKFURT / M. E-Mail: buendgens-kosten@em.uni-frankfurt.de Arbeitsbereiche: Inklusion, Computer-assisted language learning, Mehrsprachigkeit Dr. Carolyn B LUME , Juniorprofessorin für digitales Lehren und Lernen, TU Dortmund, DoKoLL (Dortmunder Kompetenzzentrum für Lehrer*innenbildung und Lehr-/ Lernforschung), Emil-Figge-Str. 50, 44227 D ORTMUND E-Mail: carolyn.blume@tu-dortmund.de Arbeitsbereiche: Englischdidaktische Lehrer*innenbildung, Inklusion, Digitalisierung, Diversität 1 Wir zitieren S INGER in diesem Kontext aus historischen Gründen, ohne uns alle ihre Positionen zu eigen zu machen. Neurodiv ersität in Fremdspra chenunterricht und -lehrkräftebildung 4 Jules Bündgens-Kosten, Carolyn Blume DOI 10.24053/ FLuL-2024-0014 53 • Heft 2 Wichtig ist, dass Neurotypizität hier als eine (gesellschaftlich dominante) Ausprägung neurologischer Vielfalt gesehen wird. Eine Gleichsetzung von Neurotypizität mit Normalität entspräche eher einem „pathology paradigm“ als einem „neurodiversity paradigm“ (W ALKER 2021: 17-20). Die Verwendung in diesem Sinne wird jedoch kritisiert. Alternativ wird der Begriff Neurodivergenz, der Kassiane A. A SASUMASU zugeschrieben wird, in diesem Sinne zunehmend verwendet, um zwischen gesellschaftlicher Neurodiversität und Neurodiversität als neurologischem Unterschied im Vergleich zu einer angenommenen Norm zu differenzieren (z.B. W ALKER 2021: 38- 46). Als neurodiversity paradigm wird entsprechend eine Perspektive auf Heterogenität bezeichnet, die durch Wertschätzung neurologischer Vielfalt, Ablehnung der Gleichsetzung von Neurotypizität mit Normalität sowie einen Blick auf Neurodiversität als eine weitere Heterogenitätsdimension charakterisiert wird. Mit letzterem einhergehend sind typische Phänomene wie kreatives Potenzial einerseits, und gesellschaftliche Diskriminierung andererseits (W ALKER 2021: 19-20). Das daraus inspirierte praktisch-aktivistische Bemühen kann als neurodiversity movement bezeichnet werden (z.B. S INGER k.D.: o.S; W ALKER 2021: 37-38). C HAPMAN (2020) argumentiert für die epistemische Nützlichkeit des Begriffs Neurodiversität: Er erlaube uns, auf neue Wissensformen zuzugreifen und zu generieren, z.B. indem er uns ermöglicht, eine Welt zu imaginieren, die z.Z. pathologisierte und dehumanisierte Personengruppen anders behandelt. Gleichzeitig schaffe der Begriff den Rahmen, innerhalb von Neuro-Minderheiten eine gemeinsame Sprache für die eigenen Erfahrungen zu entwickeln, und fördere so z.B. die Solidarität innerhalb dieser Gruppen (ebd.: 119-120). Die Verwendung des Begriffs ist auch eine Anerkennung der Tatsache, dass relevante epistemische Ressourcen von Menschen mit lived experience geschaffen werden: Der Begriff Neurodiversität wurde in den 1990er Jahren im Kontext von Diskursen (primär) innerhalb der autistischen Community, genauer in Diskussionen auf dem ListServ “InLv” (kurz für „Independent Living“), konzipiert (D EKKER 2020; B OTHA et al. 2024). Geprägt wurde er von Judy S INGER , die ihn auch das erste Mal in wissenschaftliche Kontexte einbrachte. Gerade in Bezug auf Communities, die Marginalisierung erfahren, ist das Prinzip „nichts über uns ohne uns“ (ursprünglich bezogen auf politische Entscheidungsprozesse, aber übertragbar auf sämtliche Diskurse) Grundlage einer epistemischen Gerechtigkeit auch im Sinne von testimonial justice (F RICKER 2007). In diesem Themenheft kommen alle Dimensionen des Begriffs Neurodiversität sowie der Terminus Neurodivergenz vor. Die Irritation, die diese fehlende Präzision auszulösen vermag, steht unserem Wunsch als Herausgebenden gegenüber, der Vielschichtigkeit des Konzepts gerecht zu werden. Gerade die Diversität der Interpretationsweisen spiegelt die Diversität der Beiträge und darüber hinaus die Diversität der Lehrenden und Lernenden wider, die im Zentrum der Beiträge stehen. Die Polysemie des Begriffs erinnert dabei an die multiplen Verständnisse von schulischer Inklusion im deutschen Diskurs, die P IEZUNKA / S CHAFFUS / G ROSCHE (2017: 13) anhand von Expert*inneninterviews herausgearbeitet haben. Diese reichen von der Nicht-Diskri- Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 5 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0014 minierung einzelner Gruppen als Realisierung der UN-Behindertenrechtskonvention bis hin zur Dekonstruktion sozial konstruierter Differenzlinien. Diese Polysemie von Neurodiversität - genau wie die von Inklusion - stellt im negativen Sinne einen komplexitätserhöhenden Faktor im Diskurs dar und kann somit als Herausforderung für Forschung und Praxis gesehen werden. Andererseits kann das gleiche Phänomen aber auch als Offenheit gegenüber Forschenden und Praktiker*innen mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen gelesen werden. Die verschiedenen Lesarten des Begriffs erlauben das Arbeiten gegen Ableismus (G OODLEY 2014; W OLBRING 2008) auf verschiedenen Ebenen und zeigen auf, wie fremdsprachliches Lehren und Lernen auf unterschiedlicher Art und Weise inklusiv gestaltet werden kann. Gerade im fremdsprachlichen Bereich ist das breite Verständnis von Neurodiversität höchst relevant. Das gegenseitige Verständnis trotz kommunikativer Differenzen ist sowohl für die Fremdsprachendidaktik als auch für die Neurodiversität (vgl. M ILTON 2012) ein Kernanliegen. Einerseits bildet Kommunikation, worunter fremdsprachlichen Kompetenzen fallen, Grundlage der Partizipation. Hierzu gehören u.a. pragmatische und interkulturelle Aspekte der zwischenmenschlichen Interaktion. Schon 2014 hoben K ÜCHLER / R OTERS in Bezug auf Letzteres etwa hervor, dass eine Annäherung an die Inklusion behinderter Schüler*innen im Rahmen der fachdidaktischen Interkulturalität konzipiert werden könnte. H ILLARY (2020: 95) zeigt anhand der eigenen lived experience Parallelen zwischen Prinzipien der autistischen und interkulturellen Kommunikation auf, die es H ILLARY sowohl erleichtert als auch erschwert, mit Menschen aus für sie fremden Kulturen zu interagieren. Andererseits kommunizieren viele neurodivergente Menschen auf kreative und ungewöhnliche Weise, die Partizipation ermöglicht, wenn sie nicht auf gesellschaftliche Barrieren (inklusive Missverständnis) stoßen. Jedoch werden diese Möglichkeiten der Kommunikation in der Fremdsprachendidaktik kaum rezipiert. Auf basaler Ebene zeigt jüngst ein Review vorhandener Lehrwerke für den inklusiven Englischunterricht beispielsweise, dass nur ein Text von 14 die Möglichkeit der Nutzung von unterstützter Kommunikation überhaupt erwähnt. Dabei wird der Fokus auf Schüler*innen mit kognitiver Einschränkung gelegt (E PPINGER 2024). Die weitaus größere Gruppe von Lernenden, die unterstützt kommunizieren und wozu auch einige neurodivergente Menschen zählen, bleibt außen vor. Dass manche dieser Individuen in digitalen Räumen oftmals Akzeptanz erfahren, die eine intensive Nutzung und die Etablierung anhaltender digitaler Kontakte zur Folge hat, wird ebenfalls vielfach stigmatisiert (A LPER / I RONS 2020). Diese Pathologisierung erfolgt, obwohl zahlreiche Forschungsergebnisse die vorteilhaften sprachlichen, beziehungsrelevanten und identitätsbildenden Konsequenzen zeigen (B LUME / B UENDGENS -K OSTEN 2023; L OGAN 2020; N G / S CHUETT / C ORCO - RAN 2015). Ebenfalls komplex ist, wie neurodivergente Personen sich selbst identifizieren oder von anderen Menschen einem Neurotyp zugeordnet werden, was Dimensionen wie Identität und labelling berührt. Selbst- und Fremdidentifikation sind nicht nur im Kontext von Neurodiversität komplexe Phänomene: Selbstbild und Gruppenzugehö- 6 Jules Bündgens-Kosten, Carolyn Blume DOI 10.24053/ FLuL-2024-0014 53 • Heft 2 rigkeit sind Konstrukte, die auch mit Blick auf z.B. Gender, Ethnie, Religionsgemeinschaft oder Nationalität nicht einfach zu operationalisieren sind. Auch in diesem Themenheft nehmen die Beitragenden die Zuschreibung eines konkreten Neurotyps oder die Identifikation einer Person als neurodivergent unterschiedlich vor. Während J ONES / C LARK etwa die Selbstidentifikation von Lehrkräften als Personen mit ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung) abfragen und diese als Basis ihrer Zuordnung zu diesem Neurotyp verwenden, beziehen sich E NGELEN , C HILLA und S CHAUWECKER auf die formale Diagnostik, die Schüler*innen einen bestimmten Neurotyp bescheinigt. B ÜNDGENS -K OSTEN / A LTER berufen sich demgegenüber auf öffentlich verfügbare biografische Notizen von Autor*innen und verfolgen damit das Prinzip der Selbstidentifikation, ohne diese explizit zu erfragen. Die entsprechenden Operationalisierungen der Autor*innen sind also so vielfältig wie ihre Erkenntnisinteressen. Die Rolle der Identität steht seit langem im Fokus der fremdsprachendidaktischen Forschung (N ORTON 1995), auch wenn diese bisher kaum aus einer Neurodiversitätsperspektive betrachtet wurde. Auch für die kritische Fremdsprachendidaktik, die sich ebenfalls mit Fragen der Identität auseinandersetzt, bietet das Neurodiversitätsparadigma relevante Anknüpfungspunkte. Rassismuskritische, feministische und Dekolonisierungsdiskurse (u.a.) in der Fremdsprachendidaktik rekurrieren, ebenso wie die Neurodiversitätsdiskurse, auf die Wertschätzung variierender Kommunikationsformen, Epistemologien und Lebensmodelle. Gemein haben sie, dass sie das Subalterne zentrieren, um bestimmte Gruppen wahrnehmbar zu machen (vgl. G ERLACH 2020; M ARXL / R ÖMHILD 2023). Diese Perspektiven gehen sowohl in der fremdbzw. mehrsprachigkeitdidaktischen Forschung als auch in den neurodiversity studies mit Fragen der Identität und agency einher (C ANAGARAJAH 2013; F LORES / R OSA 2019; H ENNER / R OBINSON 2021; H UIJG 2020). In der Lehrkräftebildung und in fachdidaktischen Praxiskonzepten im deutschen Kontext sind zunehmend Beiträge zu finden, die etwa durch own-voices-Literatur, kritische Lehrwerksanalyse oder diskursanalytische Rekonstruktionen des Lehrkräftehandelns normative und exkludierende Setzungen hinsichtlich Sprache, Gender, Körper und Behinderungen infrage stellen. Die Beiträge in diesem Heft reihen sich in diese Tradition ein, fokussieren jedoch konzeptionell, pragmatisch und empirisch die Neurodiversität als eine Form der Differenz, um unter Berücksichtigung der multiplen Facetten des Begriffs zur Partizipation und zur epistemischen Gerechtigkeit beizutragen. Zuletzt stellt der Englischunterricht als Englischunterricht, der Umgang mit Sprache als Sprache, unabhängig von utilitaristischen Erwägungen oder Lernzielerreichung, einen Wert für Menschen dar. Ein Mensch kann den Kontakt mit der englischen Sprache genießen, auch wenn (noch) nicht absehbar ist, dass aus diesem Kontakt kommunikative Kompetenzen erwachsen werden (R OSSA 2015: 179). S MILGES (2021: 115) bezieht sich auf literacy-Diskurse, aber das Argument, dass meaning making sehr unterschiedliche Formen annehmen kann, ist auf Fremdsprachenlernen übertragbar: Neben das Lesen eines Texts tritt so auch der ästhetische Genuss am Text, die affektive Begegnung mit dem Text, die auch seine Form (von der Typogra- Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 7 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0014 phie bis zum Geruch des Papiers) umfassen kann. Die Begegnung mit Lauten, die Freude am Geben und Nehmen in kommunikativen Übungen, das Erleben und Teilen von Geschichten, die Interaktion mit Realien, der Genuss von Farben und Formen bei der Arbeit mit Bildern, die spannende Entdeckung der Regelhaftigkeit von Sprache sind sowohl ästhetisch als auch emotional Aspekte der menschlichen Erfahrung und Elemente einer humanistischen Bildung. In diesem Heft ist eine Vielfalt an Beitragsformen vorhanden. Neben akademischen Texten in der üblichen Länge sind ein Interview, ein Erfahrungsbericht und Comics zu finden. Wir glauben, dass eine Annäherung an das Thema „Neurodiversität in Fremdsprachenunterricht und -lehrkräftebildung“ am besten multiperspektivisch gelingt. Beiträge über Lernende im Unterricht (Sophie E NGELEN sowie Solveig C HILLA ) werden also gerahmt von Beiträgen von (ehemaligen) Lernenden wie Sam G AMACHE und Jil-Marie Z ILSKE , neben Beiträgen zur Lehrkräftebildung (Beiträge von Nicole G OTLING , Julia H ÜTTNER , Michelle P ROYER , Manuela S CHLICK und von Yela S CHAUWECKER ) tritt ein Beitrag von der neurodivergenten Absolventin des Lehramtsstudiums Frau A. Wir tun dies in der Annahme, dass dieses Vorgehen sowohl praktische als auch ethische Vorteile mit sich bringt: Praktische Vorteile, insofern als sich die unterschiedlichen Beiträge gegenseitig inhaltlich ergänzen; ethisch, insofern als wir damit auf die Expertise von Personen mit lived experience rekurrieren. Nicht ignoriert werden sollte dabei natürlich, dass es auch Überlappungen zwischen den beiden Gruppen gibt. In diesem Heft positionieren sich etwa die Autor*innen Marc J ONES und Gretchen C LARK als neurodivergente Wissenschaftler*innen und Lehrende. Wie viele wissenschaftlichen Publikationen berührt auch dieses Heft Themen, die starke emotionale Reaktionen auslösen können - manchmal aufgrund der Thematik, manchmal aus anderen Gründen. Zum Beispiel können teilweise die Sprachverwendung oder (Selbst-)Identifikationstermini irritieren - auch in Anbetracht dessen, dass die Wortwahl immer machtrelevante Komponenten innehat. Rebella T OMA s Comic „Dreamy“ stellt in grafischer Form dar, wie ihre schulischen Erfahrungen als Kind mit Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (auf Englisch: ADHD) waren. Bilder, Sprache und Textform wirken zusammen, um den Einfluss positiver und negativer schulischer Erfahrungen auf Tomas Identität zu schildern. Die Widersprüchlichkeit in ihrem Erleben ist v.a. im Hinblick auf das Lehrkräftehandeln aussagekräftig. David G ERLACH (Bergische Universität Wuppertal) betrachtet in seinem konzeptionellen Beitrag Neurodiversität aus der Perspektive einer kritischen Fremdsprachendidaktik und arbeitet Parallelen und Unterschiede zwischen den beiden Konzepten heraus. Beginnend mit einer Darstellung der Konstrukte und Prinzipien einer kritischen Fremdsprachendidaktik, hebt er die machtrelevanten Aspekte eines jeden Unterrichts hervor. Unter diesen Gesichtspunkten zeigt er die Überschneidungspunkte zwischen einer allgemein kritischen und einer neurodiversitätssensiblen Fremdsprachendidaktik auf, um darauffolgend didaktisch-methodische Implikationen dieser Perspektive zu beleuchten. Die Spannungen zwischen einem kritischen Ansatz, der auch eine Neurodiversitätsdimension intersektional berücksichtigt, und dem schuli- 8 Jules Bündgens-Kosten, Carolyn Blume DOI 10.24053/ FLuL-2024-0014 53 • Heft 2 schen Habitus nimmt er als Anlass, Anforderungen für die Lehrkräftebildung und die Fremdsprachenforschung zu konkretisieren. Damit weist er auf ein zukunftsweisendes, programmatisches Desiderat hin. Jules B ÜNDGENS -K OSTEN (Goethe-Universität Frankfurt) und Grit A LTER (Pädagogische Hochschule Tirol) diskutieren die Relevanz von own-voices-Literatur, nicht nur in Bezug auf Neurodiversität. Mit Blick auf die fehlende Sichtbarkeit von Differenz in Lehrwerken und in Schullektüren stellen die Autor*innen dar, wie der Einbezug von Literatur von und mit Personen unterschiedlichen Neurotyps zur epistemischen Gerechtigkeit beiträgt. Die Notwendigkeit einer angemessenen Repräsentation im Allgemeinen und insbesondere für den Fremdsprachenunterricht wird thematisiert. Auf Basis dieser konzeptionellen Grundlagen machen B ÜNDGENS -K OSTEN / A LTER Vorschläge, wie ein konkreter own-voices-Text im Englischunterricht eingesetzt werden könnte. Sam G AMACHE s (@atesomerocks) Comic ist autobiografisch. Die*der Künstler*in stellt darin seine*ihre Erfahrungen mit der eigenen ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung)-Diagnose - und der Reaktionen der Umwelt auf sie - differenziert dar. G AMACHE beschreibt eindringlich, wie sie*er mit den Widersprüchen zwischen der vermeintlichen Intelligenz einerseits und den sozialen und sensorischen Herausforderungen andererseits hadert. Wie bei T OMA (in diesem Heft) wird die Rolle der Umwelt für das eigene Selbstbild thematisiert. G AMACHE kommt dabei zum Schluss: „as I suffered, so did my grades“. Sophie E NGELEN (Justus-Liebig-Universität Gießen) stellt eine Studie zur Textarbeit im inklusiven Französisch- und Spanischunterricht vor. Besonderen Fokus legt sie in ihrem empirischen Beitrag dabei auf die Lesestrategien, die von Lernenden mit Lese- Rechtschreib-Schwierigkeiten (LRS) und ADHS eingesetzt werden. Die triangulierten Daten geben Einblick in die vielfältigen sprachübergreifenden und sprachspezifischen Prozesse, die die Schüler*innen einsetzen. In der Diskussion unterstreicht die Autorin das Potenzial zur Stärkung der Lernendenautonomie durch die Förderung geeigneter Sprachlernstrategien. Solveig C HILLA (Europa-Universität Flensburg) widmet sich in ihrem empirischen Beitrag der Herausforderung der diagnostischen Abgrenzung von Sprachentwicklungsstörungen (DLD) und Spracherwerbsphänomenen bei Lernenden mit forced displacement Erfahrung, die Deutsch als Zweitsprache (DaZ) lernen. Nach einer Erläuterung der relevanten linguistischen Merkmale bei den beiden Gruppen von Lernenden, evaluiert C HILLA das Potenzial unterschiedlicher Instrumente, abweichende Spracherwerbsphänomene bei diesen Schüler*innen zu fassen. Auf Basis dieser Erkenntnisse sowie in Anbetracht weiterer Schüler*innenmerkmale diskutiert sie, wie ein inklusiver DaZ-Unterricht neurotypischen und neurodivergenten Schüler*innen mit und ohne Fluchterfahrung gerecht werden kann. Jil-Marie Z ILSKE (TH Köln) beantwortet in einem Interview Fragen der Themenheft- Herausgebenden rund um ihre Erfahrungen mit dem Lernen und Nutzen des Englischen als Person mit Down-Syndrom und Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom. Sie beschreibt, wie es für sie und ihre Familie eine Selbstverständlichkeit war, dass sie Englisch lernen würde, und schildert ihre Erfahrungen im englischsprachigen Ausland und mit Sprecher*innen des Englischen. Z ILSKE erzählt von ihren Erfahrungen mit schulischem und außerschulischem Englischlernen und argumentiert für einen frühen Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 9 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0014 Einstieg in die Sprache für Personen, die wie sie viele Wiederholungen benötigen, um Inhalte nachhaltig zu lernen. Nicole G OTLING , Julia H ÜTTNER , Michelle P ROYER (alle Universität Wien) und Manuela S CHLICK (Universität Wien & Ev. Montessori Oberstufenrealgymnasium, Grödig) widmen sich in ihrem empirischen Beitrag Seminaren in der fremdsprachlichen Lehrkräftebildung, die sich explizit mit Einstellungen und Wissen zur und über Neurodiversität beschäftigen. Dazu analysieren sie die Wirkungen eines standortübergreifenden und interdisziplinären Seminarformats in der ersten Phase der Lehrkräftebildung, bei dem Aspekte des forschenden Lernens und der partizipativen Forschung verfolgt wurden. Dabei wurden Studierende dazu befähigt, Interviews mit neurodivergenten Personen und mit Stakeholder*innen inklusiver Bildung zu führen und diese hinsichtlich der eigenen Professionalisierung zu reflektieren. Die insgesamt positiven Ergebnisse in Bezug auf die Seminarziele werden in Anbetracht bleibender Unsicherheit der Studierenden vis-à-vis der praktischen Realisierung von Inklusion mit Blick auf die Lehrkräftebildung reflektiert. Yela S CHAU - WECKER s (Universität Stuttgart) empirischer Artikel betrachtet, ebenfalls am Beispiel eines von ihr konzipierten und durchgeführten Seminars, Fragen der inklusiven Lehrkräftebildung für das Fach Französisch. Wie bei G OTLING et al. gehört der Austausch mit neurodivergenten Menschen zu den eingesetzten Methoden. Mit Blick auf die Besonderheiten des Französischunterrichts im deutschen Kontext ist das Ziel des Seminars, die Einstellungen und das mindset der angehenden Lehrkräfte positiv zu beeinflussen. Hierfür werden vier Formen der Neurodivergenz thematisiert und entlang Unterrichtsentwürfen der Studierenden adressiert. Mittels Fragebögen, Studierendenreflexionen und teilnehmender Beobachtung identifiziert S CHAUWECKER sich verändernde Einstellungen einerseits und statische mindsets andererseits. Diese Ergebnisse reflektiert sie in Bezug auf die Teilnehmenden und die strukturellen Herausforderungen der Inklusion im Französischunterricht. Frau A. (Goethe-Universität Frankfurt) beschreibt die Herausforderungen des Lehramtsstudiums aus Sicht einer Studentin mit Lese-Rechtschreibstörung/ -schwäche (LRS). Besonders Fragen des workloads sowie Probleme in Bezug auf Nachteilsausgleiche adressiert sie mit Blick auf Strukturen, die auf eine angenommene Textverarbeitungsgeschwindigkeit ausgelegt sind. Die von Frau A. beschriebenen Lehr-/ Lernformate, die sie als eher gewinnbringend empfindet, weisen Aspekte eines konstruktivistischen und kompetenzorientierten Ansatzes auf. Sie geht auf das ein, was die Studierenden aus den Interviews mit G OTLING et al. berichten: Lehrkräfte sollen das Gespräch mit dem*der einzelnen Lernenden suchen, um deren Präferenzen und Bedarfe besser zu verstehen. Marc J ONES (Toyo University & TU Dortmund) und Gretchen C LARK (Ritsumeikan University) fokussieren in ihrem englischsprachigen Beitrag die Erfahrungen und das Innenleben von Fremdsprachenlehrkräften mit ADHS. Mit ihrer empirischen Erhebung fokussieren sie also das Erleben neurodivergenter Lehrkräfte und konturieren weiter bereits vorhandene Identitäts- und Selbstwirksamkeitsdiskurse über Fremdsprachenlehrkräfte. Der mixed-methods Ansatz trianguliert quantitative und qualitative Analysen, die sowohl das Gesagte als auch das Unausgesprochene zutage fördern. 10 Jules Bündgens-Kosten, Carolyn Blume DOI 10.24053/ FLuL-2024-0014 53 • Heft 2 Literatur A LPER , Meryl / I RONS , Madison (2020): „Digital socialising in children on the autism spectrum“. In: G REEN , Lelia / H OLLLOWAY , Donell / S TEVENSON , Kylie / L EAVER , Tama / H ADDON , Leslie (Hrsg.): The Routledge Companion to Digital Media and Children. London: Routledge, 348- 357. B AKER , Dana Lee (2011): The Politics of Neurodiversity: Why Public Policy Matters. Boulder: Lynne Rienner Publishers. B LUME , Carolyn / B ÜNDGENS -K OSTEN , Jules (2023): „The role of digitality for neurodivergent English language learners: Agency and well-being within and outside the ELT classroom“. In: AAA: Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik/ Agenda: Advancing Anglophone Studies 48.2, 211- 235. https: / / doi.org/ 10.24053/ AAA-2023-0012 B OTHA , Monique / C HAPMAN , Robert / G IWA O NAIWU , Morénike / K APP , Steven K. / A SHLEY , Abs Stannard / W ALKER , Nick (2024): „The neurodiversity concept was developed collectively: An overdue correction on the origins of neurodiversity theory“. 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After discussing relevant constructs for critical foreign language didactics (critical literacy, critical pedagogy, critical discourse competence), these are put into perspective in relation to teaching that is sensitive regarding diversity. Critical language education and neurodiversity are then finally discussed in relation to the requirements (and constraints) of language teacher education and with regard to necessary future research. 1. Einleitung Die Idee von Neurodiversität, wie sie auch im Einleitungskapitel zu diesem Themenheft zusammenfassend dargestellt wird, geht über das (breite) Verständnis von Inklusion und Diversität/ diversity hinaus: Ihr geht es nicht nur um das Schaffen von Partizipationsmöglichkeiten von Lernenden mit unterschiedlichen Voraussetzungen. Vielmehr soll das Konzept von Neurodiversität ein umfassendes Bewusstsein für Vielfältigkeit vermitteln und damit Personen in unterschiedlichen Kontexten (Bildungsinstitutionen, Forschung, Gesellschaft, privater Raum) sensibilisieren. Das dem Neurodiversitätskonzept damit inhärente, politisch-aktivistische Momentum kann auch mithilfe von kritischen Perspektiven auf den sonst stark lehrwerk- und standardorientierten Fremdsprachenunterricht eingelöst werden. Ein Konstrukt wie critical pedagogy in Anschluss an F REIRE (2006) kann als Grundlage dienen, Diskriminierungen und Ungerechtigkeiten aufzudecken, umzudeuten und insofern zu transformieren, als * Korrespondenzadresse: Prof. Dr. David G ERLACH , Bergische Universität Wuppertal, Didaktik des Englischen, Gaußstraße 20, 42119 W UPPERTAL E-Mail: gerlach@uni-wuppertal.de Arbeitsbereiche: Fremdsprachendidaktische Professionsforschung, Kritische und inklusive Fremdsprachendidaktik, Methoden der Fremdsprachenforschung (bes. Dokumentarische Methode), Lernschwierigkeiten (insb. Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten) Diversitätsorientierung und Kritische Fremdsprachendidaktik 15 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0016 Betroffene im Sinne eines empowerments agency erfahren, welche wiederum den schulischen Fremdsprachenunterricht trägt (z.B. C ROOKES 2013). Die Machtförmigkeit von Sprache beim diskursiven Verhandeln von sozialen Konstrukten wie ‚Normalität‘ oder der hier zugrunde gelegten Neurodiversität muss dabei genauso reflektiert werden wie dem Inklusions- und Diversitätsdiskurs inhärente, intersektionale Kategorien, die dann Gegenstand von Unterricht werden (müssen). Dieser Beitrag stellt zunächst die Verknüpfungen und Anliegen der zentralen Konstrukte hinter einer Kritischen Fremdsprachendidaktik vor (insbesondere critical pedagogy, critical literacy und kritische Diskursfähigkeit; vgl. G ERLACH 2020; M ARXL / R ÖMHILD 2023). Das Potential dieser Konstrukte wird sodann vor dem Hintergrund der unterrichtlichen Anforderungen eines diversitätssensiblen Fremdsprachenunterrichts hinterfragt (G ERLACH / S CHMIDT 2021), um es somit nicht nur methodisch-didaktisch zu erschließen, sondern auch um normative Grenzen innerhalb des wissenschaftlichen, bildungstheoretischen Diskurses auszuloten. Aus dieser Sichtung insgesamt entstehen unterschiedliche Implikationen und Fragen für die Gestaltung von Fremdsprachenunterricht, die fremdsprachliche Lehrer*innenbildung sowie die Fremdsprachenforschung. 2. Konstrukte und Prinzipien einer Kritischen Fremdsprachendidaktik Die starke Orientierung des Fremdsprachenunterrichts an Lehrwerken und die dort häufig generischen, wenig alltagsrelevanten Themen sind ein zentraler Punkt für die Forderung einer stärker kritisch orientierten Fremdsprachendidaktik: Eine „textbookdefined practice“ (A KBARI 2008a: 647; G ERLACH / L ÜKE 2024), welche primär auf die Progression sprachlicher Strukturen oder alleine auf das Fördern von Fertigkeiten um ihrer selbst willen ausgelegt ist, verhindert die Integration von Themen und Ideen, die für Lernende in besonderem Maße relevant sein können z.B. aufgrund des Kontexts, sozialen Milieus oder aktueller Geschehnisse. Bereits P ENNYCOOK (1990) kritisierte vor fast 35 Jahren die „trivialization of content and an overemphasis on communicative competence“ (ebd.: 13; später u.a. auch K RAMSCH 2006). In einem kritisch orientierten Fremdsprachenunterricht geht es somit um eine (Re-)Fokussierung von Themen oder thematischen Schwerpunkten und beispielsweise auch eine Zumutung solcher, auch kontroverser Themen für jüngere Lernende (G ERLACH 2020; S CHÄFER / T ÖDTER 2022). Nicht alle der häufig zitierten, insbesondere aufgrund von Lehrwerkkritik vorgebrachten und unter dem Akronym ‚PARSNIP‘ (G RAY 2002) zusammengefassten Themen sind für diese Zielgruppe geeignet (politics, alcohol, religion, sex, narcotics, isms und pornography). Gleichwohl verdeutlichen sie die Bandbreite an unbequemen, nicht selten tabuisierten (L UDWIG / S UMMER 2023), aber unbedingt relevanten Themen, die auch im Fremdsprachenunterricht eine Rolle spielen sollten. Dieser zeigt nämlich durch seine Doppelstruktur von Inhalts- und Sprachlernen eine besondere Chance, die Machtförmigkeit von Sprache überhaupt bewusst zu machen 16 David Gerlach DOI 10.24053/ FLuL-2024-0016 53 • Heft 2 (s. 3.; vgl. F AIRCLOUGH 2015). Das bedeutet gleichzeitig: Die kritisch orientierten Themen einer solchen Fremdsprachendidaktik sind unbedingt in direkte Beziehung zu setzen zu sprachdidaktischen Überlegungen zur Vermittlung von Fertigkeiten und sprachlichen Strukturen. Nur durch eine sprachdidaktische Förderung und Bewusstmachung (auch z.B. mittels (critical) language awareness) kann Schüler*innen überhaupt deutlich gemacht werden, warum bestimmte Diskurse - beispielsweise in sozialen Medien - manipulativ oder diskriminierend sind. Und auch nur, wenn diese Förderung in einer gewissen Breite und Differenziertheit stattfindet, ermöglichen wir allen Lernenden die Partizipation an diesen Diskursen in einem inklusiven Sinn. Wie deutlich geworden sein sollte, überlegt eine Kritische Fremdsprachendidaktik zunächst einmal ausgehend von Themen oder bildungstheoretischen Überlegungen (und damit einer durchaus normativen Relevanzsetzung), was Gegenstand von fremdsprachlichen Lehr-/ Lernprozessen werden könnte. Sie basiert auf der Prämisse, dass jeder Unterricht zu jeder Zeit eine gewisse politische Dimensionierung aufweist (A KBARI 2008b; F ÄCKE / P LIKAT / T ESCH 2017). Es geht damit allerdings zunächst einmal (noch) nicht um die methodische Ausgestaltung dieser Prozesse (s. 4.). Gleichwohl ist wichtig anzuerkennen, dass methodische Entscheidungen hier den Themensetzungen folgen (müssen), z.B. wenn diese Themen von den Lernenden selbst gesetzt werden, was häufig eines der Grundprinzipien kritischer Ansätze darstellt (z.B. F REIRE 2006). Drei dieser für den deutschen Diskurs und eine mögliche Unterrichtspraxis meines Erachtens besonders relevanten Ansätze möchte ich nachfolgend kurz umreißen, um sie anschließend im Kontext eines diversitätsorientierten Fremdsprachenunterrichts und unter den Bedingungen von Neurodiversität diskutieren zu können: Critical literacy, critical pedagogy und kritische Diskursfähigkeit. 2.1 Critical Literacy Critical literacy als Teil von multiliteracies education (C OPE / K ALANTZIS 2000), und damit einem breiten Textbegriff verpflichtet, versteht sich als kritische Lesekompetenz, die zum einen darauf ausgelegt ist, Texte in sich zu erschließen und damit zu verstehen. Im Folgeschritt geht es dann jedoch um eine kritische Analyse der in einem Text transportierten Werte, Meinungen, Formen von Diskriminierung und der Identifikation von Machtverhältnissen (vgl. B REIDBACH / M EDINA / M IHAN 2014; C ROOKES 2009; G ERLACH 2020; J ANKS 2014). Dies geschieht über das Erkennen von expliziten Diskriminierungsformen (d.h. z.B. offenem Sexismus oder Rassismus) hinaus und betrifft Fragen von (Nicht-)Repräsentation, eine Bewertung der Anteile der Sprechenden bzw. machtausübenden Personen etc. Bestandteil einer Förderung von critical literacy muss demzufolge ebenfalls kritische Sprachbewusstheit (critical language awareness) sein, welche anhand sprachlicher Mittel Lernenden eine kritische Analyse machtförmiger Sprache ermöglicht. Eine solche Analyse, selbst wenn sie Sprache zu dekonstruieren versucht, fokussiert hierbei natürlich stark auf die rezeptive Ebene und Verstehensprozesse. Häufig wird im Anschluss an dieses Durchdrin- Diversitätsorientierung und Kritische Fremdsprachendidaktik 17 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0016 gen sprachlicher Machtstrukturen die Forderung formuliert, dass Lernende in die Lage versetzt werden müssen, diese Texte sodann zu transformieren: Critical literacy is about imagining thoughtful ways of thinking about reconstructing and redesigning texts, images, and practices to convey different and more socially just and equitable messages and ways of being that have real-life effects and real-world impact (V ASQUEZ 2017: 9). In einem solchen Prozess der Transformation (redesign) zeigt sich unterrichtlich, ob die diskriminierende Botschaft des Ausgangstextes identifiziert und derart umgestaltet wurde, dass sie sozial angemessen versprachlicht wurde. Die Bandbreite für solche Aufgabenformate ist groß und geht von der Überarbeitung relativ simpler Werbebotschaften (G ERLACH / L ÜKE 2023) über eine Auseinandersetzung mit Schönheits- und Körpernormen (K ÖNIG 2020) bis hin zur komplexen Umgestaltung rassistischer zu rassismuskritischen Diskursen (B RASELMANN 2023; G ÜLLÜ / G ERLACH 2023). 2.2 Critical Pedagogy Wie oben bereits angedeutet, ist das bedeutendste Grundprinzip hinter critical pedagogy das der Ermächtigung (empowerment) von Lernenden. Es geht um die Ermöglichung transformatorischer Bildungsprozesse (vgl. z.B. K OLLER 2018), denen das Potential innewohnt, außerhalb des Klassenraums, d.h. gesellschaftlich, Wandel insbesondere im sozialen Bereich herbeizuführen: Critical pedagogy is teaching for social justice, in ways that support the development of active, engaged citizens who will, as circumstances permit, critically inquire into why the lives of so many human beings, including their own, are so materially (and spiritually) inadequate, be prepared to seek out solutions to the problems they define and encounter, and take action accordingly (C ROOKES 2013: 77). Critical literacy kann hierbei critical pedagogy insofern vorausgehen, als dass sie im ersten Schritt hilft, Texte derart zu entschlüsseln, dass ein kritisches Bewusstsein bei Lernenden geweckt wird, welches im Anschluss sozial wirksam werden kann. Critical pedagogy geht auf die Pedagogy of the Oppressed (F REIRE 2006 [1970]) sowie die späteren Arbeiten zur Pedagogy of Hope (F REIRE 2014 [1992]) zurück, besonders auf die jeweiligen Fortführungen im neomarxistisch orientierten Diskurs in Nordamerika (G IROUX 1983). In der internationalen Fremdsprachenforschung haben sich insbesondere G RAY (2002) sowie C ROOKES (2009; 2013) und A KBARI (2008b) um die fremdsprachenunterrichtliche Perspektivierung von critical pedagogy-Prinzipien verdient gemacht (Übersicht auch in G ERLACH 2020: 12-15). Insgesamt geht es um die Idee, auf Seiten von Lernenden das oben angedeutete kritische Bewusstsein zu fördern, welches nicht ausschließlich eine Relevanz im Unterricht hat. Interessanterweise war es F REIRE in seiner Arbeit immer wichtig, basale schriftsprachliche Kompetenzen zu fördern: Diese waren der ‚Schlüssel zur Welt‘, der Schlüssel, die Welt zu lesen und zu verstehen. Ohne basale Lese- und Schreibkompetenz waren ein Verstehen oder gar ein produktiver Umgang mit relevanten Themenstellungen nicht 18 David Gerlach DOI 10.24053/ FLuL-2024-0016 53 • Heft 2 möglich. Dies deckt sich mit grundsätzlichen Überlegungen zu inklusivem (Sprach-) Unterricht, der sehr stark von Schriftsprache abhängig ist und dann schwache Lernende vernachlässigt, wenn diesen Schriftsprache bzw. schriftsprachliche Prinzipien nicht systematisch vermittelt und zugänglich gemacht werden (E NGELEN / G ERLACH 2022; G ERLACH / S CHMIDT 2021). Je nachdem, welchen (internationalen) Diskurs man sich um die Konstrukte critical literacy und critical pedagogy anschaut, spielt die Welt außerhalb des Klassenraums eine mehr oder minder bedeutsame Rolle: Gerade die neomarxistische Tradition von critical pedagogy (im Anschluss an F REIRE 2006 und G IROUX 1983) wird in Nordamerika nicht selten zum Anlass genommen, das Konstrukt von critical pedagogy zu vernachlässigen oder stärker von critical literacy zu sprechen, selbst wenn auch transformatorischer Wandel im Sinne von social justice education außerhalb des Klassenraums impliziert ist. In seiner puristischen Form arbeitet critical literacy primordial zunächst einmal auf Textebene (vgl. G ERLACH 2020). 2.3 Kritische Diskursfähigkeit Diskursbewusstheit bzw. -fähigkeit haben als Zielkonstrukte des Fremdsprachenunterrichts in den vergangenen zehn Jahren an Momentum gewonnen. H ALLET (2008) formulierte bereits ausgehend von P IEPHO s Diskursbegriff (1974), was Diskursfähigkeit in einem modernen Fremdsprachenunterricht bedeuten müsste, wenn dieser Diskurs im F OUCAULT ’schen Sinne verstehen und gleichzeitig einen gewissen Bildungsanspruch verfolgen möchte. In den Bildungsstandards für die Mittlere Reife wird eine solche Diskursfähigkeit mittlerweile etwas stärker ausdifferenziert eingefordert (KMK 2023) als noch in der letzten Fassung für die Allgemeine Hochschulreife (KMK 2012), in welcher Diskursfähigkeit nicht über funktional-pragmatische Fertigkeiten hinausging. Gemeinhin versteht sich Diskursfähigkeit als ein Bündel an Fähig- und Fertigkeiten, die dabei helfen, in komplexen sozialen und interaktionalen Kontexten in Austausch treten zu können. Hierzu gehört dann im sprachanalytischen Sinne ebenfalls das Dekodieren versteckter, machtvoller Botschaften oder beispielsweise das Entschlüsseln der Fragen von (Nicht-)Repräsentation. Bezüge lassen sich hierbei häufig herstellen zu K RAMSCH s (2006) Diskussionen von symbolischer Macht und symbolischer Kompetenz dahingehend, dass Sprachenlernen im 21. Jahrhundert über den Zweck der Kommunikation hinausgehen und kontextsensibel für den Austausch symbolischer Güter unter machttheoretischen Vorzeichen sein muss. Auch wenn sie diese grundlegende Idee zunächst ausschließlich für das Sprachenlernen von Erwachsenen konzeptualisiert hat, wird es zunehmend auch für jüngere Lernende relevant gesetzt. Insbesondere als Gegenentwurf zur interkulturellen kommunikativen Kompetenz konzeptualisiert P LIKAT (2017) die Idee von Diskursbewusstheit: Er verknüpft bildungstheoretische Konstrukte wie z.B. transformatorische Bildung nach K OLLER (2018) und sprachtheoretische Konstrukte wie Diskurstheorie und Sprachbewusstheit mit Menschenrechten. Letztere dient hierbei als universelle Grundlage, um jenseits Diversitätsorientierung und Kritische Fremdsprachendidaktik 19 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0016 von je spezifischen rechtsstaatlichen Bedingungen oder kulturtheoretischen Konstrukten sich der Qualität (oder Macht) von Diskursen bewusst zu werden und diese Machtförmigkeit als Teil der Diskurse zu entlarven. M ARXL und R ÖMHILD (2023) diskutieren den Begriff einer kritischen Diskursfähigkeit ausgehend von H ALLET (2008) und P LIKAT (2017), aber auch K RAMSCH s symbolischer Kompetenz. Sie argumentieren, dass allen drei Konzeptionen von Diskursfähigkeit/ -bewusstheit bereits ein philosophisch-kritisches Moment durch die Bezüge zu F OUCAULT (1980) oder auch F AIRCLOUGH (2015) innewohnt, meinen jedoch, dass das Schaffen eines Bewusstseins über machtvolle Diskursstrukturen allein nicht reicht. Es sei vor allem wichtig, „über eine reine Bewusstmachung hinauszugehen und Lernende darin zu unterstützen, aktiv und kritisch-reflektiert an globalen, mehrsprachigen Diskursen teilzunehmen“ (M ARXL / R ÖMHILD 2023: 114). Hierfür dienen ihnen (ähnlich wie P LIKAT 2017) universelle Menschenrechte als Wertekompass, entlang dessen sie Diskurse (oder Diskursfragmente) bewerten und sich selbst positionieren können. Eine so verstandene kritische Diskursfähigkeit ist damit in Einklang zu bringen mit einer an kritischen Gegenständen orientierten Kritischen Fremdsprachendidaktik - kritische Diskursfähigkeit kann als Kompetenzziel auf Seiten der Lernenden verstanden werden, welche durch ein Engagement entlang relevanter Gegenstände entsteht. Das aktivistische Momentum einer critical pedagogy ist in dem Konstrukt von kritischer Diskursfähigkeit noch nicht enthalten, letztere ist aber eine notwendige Voraussetzung für eine solche relevante Partizipation an Diskursen außerhalb des fremdsprachlichen Klassenzimmers. 3. Zum Verhältnis von Neurodiversität, Diversitätsorientierung und Kritischer Fremdsprachendidaktik Neurodiversität versteht sich als wertschätzende Orientierung, welche Diversität in verschiedenster Form würdigt. Es ist vor allem ein theoretisches und auch durchaus politisches Konzept, das Differenz als Ressource wertschätzt, Barrieren eher in sozialen oder gesellschaftlichen Strukturen sieht - und damit grundlegende Überschneidungen mit Prinzipien einer kritischen Fremdsprachendidaktik aufweist. Eine durch Neurodiversität beeinflusste Perspektive auf Unterricht zeichnet sich nicht nur dadurch aus, Defizite auszugleichen, welche z.B. auf Grundlage von Lernschwierigkeiten bestehen, sondern sie bemüht sich um das gleichwertige Herstellen von Bildungschancen in heterogenen Lerngruppen (B ÜNDGENS -K OSTEN / B LUME 2022; s. auch in diesem Heft). Damit unterscheidet sich Neurodiversität auf den ersten Blick nicht von einem weiten Inklusionsbegriff, geht aber tatsächlich noch einige Schritte weiter: Neurodiversität zelebriert nicht nur Unterschiedlichkeit, sie betont sie, klärt auf über die Ursachen der Unterschiede, fördert ein Bewusstsein über z.B. Lernschwierigkeiten wie Aufmerksamkeits-Defizit-(Hyperaktivitäts-)Störung (AD(H)S) oder Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten (LRS) und zeigt damit eine deutlich politischere Agenda als es Diskurse rund um inklusiven Fremdsprachenunterricht vermö- 20 David Gerlach DOI 10.24053/ FLuL-2024-0016 53 • Heft 2 gen (G ERLACH / S CHMIDT 2021). In letzteren gab es zwar in den vergangenen Jahren eine Öffnung hin zu einem weiten Inklusionsverständnis, das neben den klassischen sonderpädagogischen Förderbedarfen auch Aspekte wie Gender oder Mehrsprachigkeit als Diversitätskategorien in Betracht zieht. Gleichzeitig ist der fremdsprachendidaktische Diskurs rund um Inklusion didaktisch-methodisch weiterhin relativ eng auf Aufgabenorientierung beschränkt, welcher als Ansatz hochstilisiert wird und dann (möglicherweise) Anforderungen inklusiver Bildung im Fremdsprachenunterricht einzulösen vermag (vgl. ebd.). Meist verbleiben diese Lösungsoptionen allerdings auf der Ebene von individualisierenden oder differenzierenden Maßnahmen, im besten Fall wird das Potential von Aufgaben als Lernen am Gemeinsamen Gegenstand (F EUSER 2011) genutzt. Differenzierung durch Aufgaben allein erfüllt nicht die von Neurodiversität an den Unterricht herangetragenen Anforderungen, da sich diese Ausgestaltung von inklusivem Fremdsprachenunterricht zunächst einmal nicht notwendigerweise didaktisch (d.h. an notwendigen Themen) orientiert, sondern an der methodischen Umsetzung bzw. der methodischen Adressierung von Differenz im Unterricht. Ein von Neurodiversität inspirierter Fremdsprachenunterricht fokussiert - ähnlich wie eine Kritische Fremdsprachendidaktik - ganz bewusst auf relevante Themen und Gegenstände. Er verfolgt dabei aber keinen „usualisation approach“ (S EBURN 2021: 110-116), der Diversität über Texte oder Materialien versucht zu normalisieren, sondern macht Diversitätsmerkmale explizit, konfrontiert Lernende (und Lehrende) mit ihnen. B ÜNDGENS -K OSTEN und B LUME (2022) argumentieren, dass Normalisierungsansätze („usualisation approaches“) zwar sensibilisieren können, im schlechtesten Fall aber „neurodivergente Personen zwar symbolisch vertreten sind, jedoch als Karikaturen ihrer selbst oder als auf neurotypisch-konforme Aspekte reduzierte Hüllen“ (ebd.: 238) wahrgenommen werden. Sie favorisieren stärker einen „disruptive approach“ (S EBURN 2021: 117-148), wie er auch häufig als Grundlage z.B. für die Förderung von gender awareness genutzt wird, bei der die Stimmen der Personen, die als anders/ neurodivergent angesehen werden können, explizit Gegenstand des Unterrichts werden. Dies ist die entscheidende Gemeinsamkeit eines Neurodiversitäts- Ansatzes mit einer Kritischen Fremdsprachendidaktik: Beide machen bestimmte, entlang der normativen Setzungen relevante Themen zum Gegenstand des Fremdsprachenunterrichts, die aufrütteln, sensibilisieren und zum Handeln animieren (vgl. auch C HAPMAN 2020). Lernende (und Lehrpersonen) werden im positiven Sinne dazu gezwungen, sich gegenüber diesen Themen von Diversität oder Sozialem zu positionieren. Generische Lehrwerkthemen vermögen dieses Potenzial nicht vollumfänglich zu nutzen, möchten sie doch eine relativ breite Schüler*innenschaft adressieren und gleichzeitig unter curricularen und standardorientierten Vorgaben in Schule funktionieren (vgl. G ÜLLÜ / G ERLACH 2023). Diversitätsorientierung und Kritische Fremdsprachendidaktik 21 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0016 4. Didaktisch-methodische Implikationen einer Kritischen Fremdsprachendidaktik für neurodiversitätssensiblen Fremdsprachenunterricht Hintergrund der kritischen Fremdsprachendidaktik, wie ich sie gemeinsam mit Kolleg*innen für den Sammelband im Jahr 2020 vorgeschlagen und anhand eines Einführungskapitels umrissen habe (G ERLACH 2020), ist zunächst eine Frage der inhaltlichen Ausgestaltung, der Frage nach relevanten Themen jenseits von lehrwerkorientierten ‚happy place topics‘. Critical literacy und critical pedagogy sind hier die dominanten Bezugskonstrukte, mittels derer ich die Relevanz einer De- und Rekonstruktion von Texten (critical literacy) oder Praxen (critical pedagogy) und den transformatorischen Umgang mit den Ergebnissen befürwortet habe. Methodische Fragestellungen oder Fragen nach der Gestaltung der Interaktionen zwischen Lehrenden und Lernenden in einem an bildungstheoretischen Werten orientierten Fremdsprachenunterricht (vgl. z.B. B ONNET / H ERICKS 2020a) waren zu dem Zeitpunkt noch nicht im Fokus. Das Konstrukt der Diskursfähigkeit bzw. kritischen Diskursfähigkeit und seine Entwicklung mitsamt den zuletzt vorgelegten Vorschlägen von M ARXL und R ÖMHILD (2023) bieten Anlass, sich genauer die nötigen Aushandlungsprozesse und Lerner*innenprodukte zu betrachten, die in einem kritischen Fremdsprachenunterricht anfallen. Kritische Themen als gemeinsamer Gegenstand nach F EUSER (2011) in einem diversitätsorientierten Fremdsprachenunterricht können angebunden werden an ein breites Inklusions- und Diversitätsverständnis von (dis)ability, gender, race, sozialer Klasse oder Bildung für nachhaltige Entwicklung. Diese (intersektionalen) Themen sollten die Gesellschaft in einer gewissen Breite interessieren. Diese normative Setzung ist sodann im besten Falle im Einklang mit der bildungspolitischen Erwartung, mündige Bürger*innen zu bilden, welche jetzt und später in der Gesellschaft verantwortungsvoll handeln. Wie sieht nun wiederum die methodische Umsetzung hiervon aus? Wenn es das Ziel ist, kritische Diskursfähigkeit zu den Themen aufzubauen, muss der Unterricht sprachdidaktisch so gestaltet werden, dass er multiple Zugänge zum Thema auf unterschiedlichen Niveaus enthält und auf die Bearbeitung einer Aufgabe hinausläuft, welche Produkte (Lerner*innentexte) in unterschiedlicher Komplexität (oder außerdem in unterschiedlichen Modalitäten) entstehen lassen kann. Unterrichtsplanungsmodelle können helfen, einen solchen Unterricht zu planen und Differenzierungsbzw. auch konkret Übungsmöglichkeiten im kompetenzorientierten Sinne zu identifizieren (E ßER / G ERLACH / R OTERS 2018). Spannend wird eine solche Unterrichtsplanung, wenn die Lehrkraft überlegt, wie und an welchen Stellen man ein (wachsendes) kritisches Bewusstsein feststellen möchte, wie und wann man also erkennen möchte, ob die Beschäftigung mit dem Thema eine Relevanz für die je Lernenden bekommt. In einem eigenen Projekt haben wir dies, einem aktionsforschenden pre-/ post-design folgend, über Gruppendiskussionen versucht einzuholen, indem wir auf Basis der Äußerungen von Lernenden zu Beginn und zum Ende einer Unterrichtseinheit deren 22 David Gerlach DOI 10.24053/ FLuL-2024-0016 53 • Heft 2 Orientierungen (Positionierungen) gegenüber kritisch-feministischen Ansätzen rekonstruiert haben (G RANGER / G ERLACH 2024). Die Lernenden konnten in diesem relativ offenen Lehr-/ Lernsetting eigene Relevanzsetzungen aufstellen und interaktiv mit Peers Meinungen und Perspektiven aushandeln. Das ist aufgrund sprachlicher Voraussetzungen bei jüngeren Lernenden natürlich nicht immer in dieser Komplexität darstellbar. Aber auch dort ist es möglich, über (kürzere) mündliche wie schriftliche Produkte die Analyse von Macht und Sprache z.B. zu vermeintlicher Normalität oder Neurodiversität in Inputtexten einzuholen. Gleichzeitig kann hier eine metasprachliche Reflexion auf Deutsch stattfinden, welche wiederum sinnstiftend für zukünftige Sprechakte in der Fremdsprache genutzt werden kann (G ERLACH 2020). Zur Idee von Neurodiversität gehört nämlich auch, neurodivergenten Lernenden eine Stimme zu geben (im Sinne von critical pedagogy), ihre Geschichten zum Gegenstand des Unterrichts zu machen und damit Diversitätssensibilität - über (Fremd-)Sprache vermittelt - herzustellen. Begleitend betrachtet und forschungsmethodisch untersucht werden müsste in solchen Settings gleichwohl, inwiefern schulische Korrektheits-, Leistungs- und Prüfungsnormen (W ILKEN 2021) oder z.B. der Modus des ‚Schülerjobs‘ (B REIDENSTEIN 2006) lediglich zur Aufgabenerfüllung führen oder (im Gegensatz dazu) eine echte Grundlage für Bildungsprozesse liefern (vgl. auch G REIN / T ESCH 2023), die im Sinne einer Diversitätsorientierung unter den Vorzeichen von Neurodiversität gedeutet werden könnten. Meiner Meinung nach gehört die Verantwortung für das Anleiten bzw. schon für das Herstellen der Möglichkeit eines solchen Prozesses in die Hände der Lehrkraft. Sie ist diejenige, die potenzielle inhaltliche Setzungen im Sinne von neurodiverser oder Kritischer Fremdsprachendidaktik vornimmt. Selbst wenn streng im Sinne von critical pedagogy die Lernenden die Inhalte durch individuelle Interessen, aktuelle Schwerpunkte oder gesellschaftliche Konflikte festlegen, ist es doch an der Lehrkraft, den Unterricht an der Stelle für diese Wünsche zu öffnen und methodisch zu gestalten. Inwiefern dann neurodivergente Lernende selbst auch zum Gegenstand des Unterrichts werden, muss dementsprechend immer sensibel zwischen Lehrpersonen und Lernenden ausgehandelt werden. 5. Implikationen für fremdsprachliche Lehrer*innenbildung Um einen heterogenitätssensiblen, auf theoretischen wie politischen Prinzipien von Neurodiversität aufbauenden Fremdsprachenunterricht mit einem Bildungsanspruch zu gestalten, erscheint es logisch, diese Konstrukte in der fremdsprachlichen Lehrer*innenbildung zu verankern. Damit ist natürlicherweise die Hoffnung verbunden, dass zukünftige Lehrer*innen dieselben Potentiale in diesen Zugängen zu kritischer Diversitätsorientierung sehen und in ihrem späteren Unterricht implementieren (vgl. z.B. auch B LUME / G ERLACH / R OTERS / S CHMIDT 2021). Nimmt man die Grundsätze ernst, müssten die hochschuldidaktischen Interventionen derart gestaltet sein, dass sie auch die identity und agency der angehenden Lehrpersonen adressieren (G ERLACH / Diversitätsorientierung und Kritische Fremdsprachendidaktik 23 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0016 F ASCHING -V ARNER 2020; G ERLACH 2023; G ÜLLÜ / G ERLACH 2023), d.h. ein (berufs-) biographisches Momentum entwickeln, in denen die Lehramtsstudierenden sich zu Neurodiversität positionieren (müssen) und damit eine Reflexionsgelegenheit entsteht. Ein solches Setting geht entsprechend über die reine Wissensvermittlung der Konstrukte hinaus und hat zumindest das Potential, nachhaltiger auf die eigene zukünftige Handlungspraxis zu wirken (G ERLACH 2022). Gleichzeitig müssen wir berücksichtigen, dass die unterrichtliche Praxis des Fremdsprachenunterrichts tendenziell gegen eine solche Diversitätsorientierung und Öffnung zu Neurodiversität strebt, wenn jüngere, insbesondere methodisch-methodologisch rekonstruktiv angelegte Arbeiten herausstellen, 1. dass auch im Englischunterricht in Deutschland eine „textbook-defined practice“ (A KBARI 2008a: 647) vorherrscht, welche unterrichtliche Prinzipien vorbestimmt, denen sich die Lehrperson unterwirft (G ERLACH / L ÜKE 2024), 2. dass unterrichtliche Inhalte (auch durch diese Lehrwerkorientierung) nicht im bildenden Sinne vermittelt und durchdrungen werden, sondern eher im Modus einer Durchprozessierungslogik (B ONNET / H ERICKS 2020b) gesetzt werden, ohne (Neuro-)Diversität reflektierbar zu machen, 3. dass seitens der Lernenden aufgeworfene Themen wie Neurodiversität (oder auch Unwahrheiten, z.B. Verschwörungstheorien) von Lehrkräften nicht selten unreflektiert stehen gelassen werden durch ein Sich-Zurückziehen auf ein falsch interpretiertes Neutralitätsgebot (W EISER -Z URMÜHLEN / S CHILDHAUER / G ERLACH 2023), 4. dass eine im Unterricht gesetzte ‚Korrektheitsnorm‘ (W ILKEN 2021) vermutlich dazu führt, dass heterogene Lerngruppen mit neurodivergenten Lernenden gar nicht im inklusiven Sinne adressiert und gefördert werden können und 5. dass neben dieser Korrektheitsnorm zudem eine institutionell gerahmte Leistungsnorm weiterhin die Implementation von kritischen, gesellschaftlich relevanten Themen verhindert (L ÜKE 2024). Eine diversitätsorientierte und kritische Fremdsprachenlehrer*innenbildung müsste neben der hochschuldidaktischen Implementation der feldimmanenten Themen einer language teacher identity-folgenden Methodik also diese Herausforderungen bewusst machen und agency auf Seiten der angehenden Lehrkräfte insofern fördern, als dass sie gegen diese Praktiken aktiv arbeiten möchten. Dies müsste gleichsam eine identitär nachhaltig wirksame Überzeugung zu Inklusion, Vielfalt und einer (Neuro-)Diversitätssensibilität werden, gleichwohl wir uns darüber bewusst sein müssen, dass viele der in der Aufzählung beschriebenen Praktiken keine bewussten Handlungen sind, sondern habituell einsozialisiert und durch die Strukturhaftigkeit von Schule und Unterricht in Deutschland vorbestimmt sind. Dies ist damit im Wesentlichen auch eine hochschulbzw. ausbildungsdidaktisch-methodische Frage; innovative Ansätze gilt es zu erproben, um Reflexionsgelegenheiten für einen derartigen Unterricht zu gestalten (z.B. M IHAN / G RAF 2021). Zu dieser Hochschullehre und Ausbildung gehören auch engagierte Lehrerbildner*innen, die ein Interesse an einer solchen bildungs- 24 David Gerlach DOI 10.24053/ FLuL-2024-0016 53 • Heft 2 theoretischen Unterfütterung einer inklusiven bzw. (neuro-)diversitätssensiblen Fremdsprachendidaktik haben und sich einer solchen in gleichem Maße hochschuldidaktisch stellen (Einblicke autoethnographischer Natur in B ANEGAS / G ERLACH 2021). 6. Implikationen für die theoretische und empirische Fremdsprachenforschung Selbst wenn wir in der deutschen Fremdsprachenforschung mittlerweile einige Arbeiten vorweisen können, die sich der theoretischen wie empirischen Beforschung inklusiven Fremdsprachenunterrichts verschrieben haben (Übersicht in G ERLACH / S CHMIDT 2021), bleiben natürlich zahlreiche Desiderata offen. Empirische Untersuchungen in der Fremdsprachendidaktik, die dem Neurodiversitätskonstrukt folgen, sind bislang in ihrer Zahl gering bzw. stammen eher aus Aktionsforschungsbzw. Unterrichtsentwicklungsprojekten und sind daher nicht breit publiziert (s. hierzu G OTLING et al. in diesem Heft). Beide Formen von praxisnaher Forschung sind allerdings unbedingt notwendig, um zu verstehen, was im Unterricht entlang Themen rund um Neurodiversität passiert: Wie gehen Lernende mit diesen inhaltlichen Gegenständen oder auch neurodivergenten Peers um? Wie positionieren sie sich? Welche Kommunikationsformen werden in Interaktion mit entsprechenden Themen oder neurodivergenten Peers gewählt, welche sind ggf. angemessen und welche nicht? Wie werden die Gegenstände sprachlich durchdrungen - und welches scaffolding ist seitens der Lehrkraft nötig? Wie entwickelt sich kritische Diskursfähigkeit im Unterricht entlang der thematischen Gegenstände und langfristig entlang wachsender allgemeinsprachlicher Kompetenzen? Diese (und weitere) sind spannende Fragen, welche in Partnerschaft mit Lehrkräften und Schulen - und letztlich auch den Lernenden - beantwortet werden müssten, wenn man die unterrichtlichen Implikationen der oben diskutierten Konstrukte verstehen möchte. Rekonstruktive Methoden vermögen durch ihre Epistemologie und Methodologie die soziale Realität solcher Lern- und Bildungsprozesse einzuholen (B ONNET 2020; G ERLACH 2022; T ESCH / G REIN 2023), berücksichtigen sie doch gerade die Normen, die in einem Unterricht auf die Interaktand*innen (bewusst und unbewusst) wirken. Wenn man davon ausgeht, dass jeder Unterricht politisch ist (A KBARI 2008b; F ÄCKE / P LIKAT / T ESCH 2017) und dieser durch Neurodiversität oder kritische Themen noch einmal stärker politisiert wird bzw. zum Einstehen für Diversität und soziale Gerechtigkeit ermächtigen möchte, wäre es doch überaus lohnenswert sich anzuschauen, was mit allen am Unterrichtsgeschehen Beteiligten dann passiert. Diversitätsorientierung und Kritische Fremdsprachendidaktik 25 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0016 Literatur A KBARI , Ramin (2008a): „Postmethod discourse and practice“. In: TESOL Quarterly 42.4, 641-652. A KBARI , Ramin (2008b): „Transforming lives: introducing critical pedagogy into ELT classrooms“. In: ELT Journal 62.3, 276-283. B ANEGAS , Darío L. / G ERLACH , David (2021): „Critical language teacher education: A duoethnography of teacher educators’ identities and agency“. In: System 98, 102474. 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We discuss the potential of texts written by neurodivergent people, i.e. own voices literature, for the EFL classroom, drawing on the notion of epistemic justice (L EGAULT / B OURDON / P OIRIER 2021) and own voices literature as education about as well as for the other (K UMASHIRO 2000). Moreover, these texts are relevant for FLT in light of their potential contributions to discourse competence (H ALLET 2008) and ability to widen the scope of what may be considered successful communication. With Nelson Beats the Odds (S IDNEY / VAN W AGONER 2015), we discuss ways in which a specific own voices text might be utilized for teaching English in the middle grades. 1. Repräsentation Dieser Beitrag betrachtet own voices Literatur im (Fremd-)Sprachenunterricht, vor allem unter dem Blickwinkel von Repräsentation. Wir füllen diesen Begriff inhaltlich und arbeiten seine Relevanz für fremdsprachliche Schul- und Lernkontexte heraus. Lehrwerksanalysen zeigen, dass Menschen mit Behinderung und Neurodivergenz stark unterrepräsentiert sind. Daher diskutieren wir die Relevanz von Repräsentation und die Chancen, die own voices Texte in Bezug auf Repräsentation bieten, auch anhand eines konkreten Beispiels: der graphic novel Nelson Beats the Odds (S IDNEY / V AN W AGONER 2015). Für unseren Kontext verstehen wir Repräsentation als erkennbares Vorkommen auf der Inhalts- und ggf. Produktionsebene in Materialien und Diskursen 1 im Klassen- * Korrespondenzadressen: PD Dr. Jules B ÜNDGENS -K OSTEN , Goethe-Universität Frankfurt, IEAS, Norbert-Wollheim-Platz 1, D-60323 F RANKFURT / M. E-Mail: buendgens-kosten@em.uni-frankfurt.de Arbeitsbereiche: Inklusion, Computer-assisted language learning, Mehrsprachigkeit Prof. Dr. Grit A LTER , Pädagogische Hochschule Tirol, Pastorstraße 7, 6010 I NNSBRUCK E-Mail: grit.alter@ph-tirol.ac.at Arbeitsbereiche: Fachdidaktik Englisch in der Primarstufe, diversitätssensible Lehrwerksforschung, Literaturdidaktik 1 Diskurse im Klassenzimmer sind untrennbar verbunden mit den Menschen im Klassenzimmer: Schüler*innen und Lehrkräfte. Auf Repräsentation in Verbindung mit der Frage, welche Gruppen im Klassenzimmer direkt vertreten sind, gehen wir im Rahmen dieses Artikels nicht weiter ein. Repräsentation und own voices Literatur im (Fremd-)Sprachenunterricht 29 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0017 zimmer. Repräsentation basiert auf der direkten und indirekten Sichtbarkeit von Personen, die einer konkreten Gruppen angehören oder identitätsrelevante Eigenschaften besitzen. Sichtbarkeit ist dabei metaphorisch zu verstehen und zeigt sich nicht nur in Abbildungen, sondern auch in geschriebenen, gesprochenen, gebärdeten sowie multimodalen Texten. Sichtbarkeit verdeutlicht sich auf mehreren Ebenen: Auf der Inhaltsebene (z.B. Thematisierung von Behinderung, Lehrbuchtext über eine berühmte neurodivergente 2 Person) und auf der Ebene der Produktion (wessen Stimmen, wessen Kunst, wessen Literatur im Unterricht gezeigt und diskutiert wird). Die meisten Studien (s.u.) reduzieren Repräsentation auf die Inhaltsebene, d.h. auf ein erkennbares Vorkommen im Material, das Rezipient*innen zeigen kann, dass sie einen Platz in der Gesellschaft und in der Gemeinschaft der Zielsprachenutzenden, haben. B OOTH und N ARAYAN (2018: 213) bezeichnen dies als „place“. Wir betrachten Repräsentation hier jedoch bewusst auch auf der Produktionsebene, die Lesenden das Potenzial aufzeigt, selber Text- und Medienschaffende (ggf. auch in der Zielsprache) zu sein. B OOTH und N ARAYAN (2018: 203) nutzen hierfür den Begriff „possibility“. Auch wenn Repräsentation oft in Bezug auf einen konkreten Text diskutiert wird, mag es hilfreicher sein, Repräsentation im Unterricht als Zusammenspiel einer quantitativen und einer qualitativen Ebene über längere Zeiträume und nicht nur exemplarisch und punktuell zu fassen. Als Minimalvoraussetzung für Repräsentation lässt sich das erkennbare Vorkommen in Lehr-Lernmaterial (ggf. über einen konkreten Zeitraum hinweg) setzen. Wann diese Erkennbarkeit gegeben ist, ist dabei keine naive Frage, da zum Teil subtile Hinweise für manche Rezipierende die Zuordnung zu einer Gruppe nahelegen, die andere Materialnutzer*innen nicht erkennen oder anders lesen. So unterscheidet etwa J ONES (2024) in ihrer Studie zur Sichtbarkeit von Autist*innen in populären Medien zwischen canon characters (Figuren, deren Neurotyp im Material selber expliziert wird, wie Shaun Murphy in The Good Doctor) und coded characters (Figuren, die als einem Minderheiten-Neurotyp zugehörig gelesen werden, z.B. Sheldon Cooper in The Big Bang Theory). Diese Unterscheidung impliziert auch, dass Lesende Zuordnungen vornehmen können, die von Autor*innen nicht zwingend beabsichtigt wurden, aber vom Text ermöglicht werden (vgl. z.B. L IPTON 2008). Zudem wird Sichtbarkeit erst dann zur gelingenden Repräsentation, wenn sie in Quantität und Qualität ausreichend ist. Für die quantitative Ebene mag es naheliegen, sich bei Repräsentation auf statistische Häufigkeitsverteilungen zu beziehen. Dabei entstehen aber durchaus eine Reihe von Herausforderungen, etwa nach der Bezugsgröße: englischsprachige Welt, Bundesrepublik, relevantes Bundesland, direkte Lebensumgebung der Lernenden, Klassenzimmer, etc. Seltene, aber wichtige, 2 Wir verwenden Neurodiversität als Bezeichnung der Heterogenitätsdimension (im Rahmen eines neurodiversity paradigms (W ALKER 2021: 17-20) und Neurodivergenz (bzw. das Adjektiv neurodivergent), wenn wir über Personen, Texte oder Erfahrungen sprechen, die nicht dem Mehrheitsneurotyp entsprechen (siehe auch Einleitung in diesem Band). 30 Jules Bündgens-Kosten, Grit Alter DOI 10.24053/ FLuL-2024-0017 53 • Heft 2 Lebenserfahrungen würden bei einem solchen Vorgehen zudem fast notgedrungen wegfallen, ebenso entstünden Schwierigkeiten, intersektionale Lebenserfahrungen angemessen zu repräsentieren. Auch weitere Fragen stellen sich: Während die Repräsentation alter Menschen in Schulbüchern durchaus kritisiert werden kann (z.B., wie sie dargestellt werden), ist zu fragen, ob tatsächlich 18,66% aller im Schulbuch vorkommender Personen 65 Jahre oder älter sein sollten, wie es dem bundesdeutschen Durchschnitt (bzw. vergleichbaren Zahlen in den anderen deutschsprachigen Ländern) entsprechen würde (S TATISTA 2023). Die Frage, wer und wie repräsentiert werden soll, ist zentral, durchaus komplex und bisher unterbestimmt. Eine Gleichsetzung von Repräsentation mit einer möglichst engen Abbildung gesellschaftlicher Realitäten ist nicht in jeder Hinsicht sinnvoll. Repräsentation auf der qualitativen Ebene kann ebenfalls nicht alleine durch das Vorhandensein einer Figur in einem Repertoire an Figuren erfüllt werden. Es gilt auch eine Bandbreite an Diskursen und Lebenserfahrungen abzubilden und die Figuren als Protagonist*innen holistisch, also in all ihrer Komplexität und Tiefe, in die Narration bzw. Kontexte einzubinden. S EBURN argumentiert, dass dies fast unmöglich sei, wenn nur eine einzige Figur oder Geschichte vorkommt, die eine ganze Gruppe von Menschen repräsentieren soll, und ergänzt: [...] [i]ncreasing frequency isn’t itself the solution: individuals from minority groups can still easily be portrayed as one specific type, possibly feeding into a conscious or unconscious stereotype within the majority group’s perspective. Even if not stereotypical, quite often these individuals may be presented in their safest, most ambiguous versions in order to shield more realistic examples from a perceived target market that could be offended. (S EBURN 2021: 66) Ob eine konkrete Darstellung sachlich korrekt und frei von Stereotypen ist und problematische narrative Strukturen vermeidet, wurde in Bezug auf Kinder- und Jugendliteratur (A LTIERI 2008; P RATER 2003; V ENKER / L ORANG 2024) und Populärkultur (J ONES 2024; K IRBY 2019) mehrfach wissenschaftlich betrachtet. Dabei ist die Frage, auf wessen Wissens- und Erfahrungsbasis diese Einstufung getroffen wird, zentral. Lehrkräfte oder Wissenschaftler*innen könnten hierbei durchaus andere Perspektiven haben als Personen mit lived experience, wobei sich diese Kategorien überlappen können (wie in J ONES 2024) und auch in jeder dieser Kategorien selbst eine gewisse Bandbreite an Perspektiven zu erwarten ist. 3 Was unter Qualität der Sichtbarkeit genau verstanden wird, variiert (vgl. z.B. S EBURN 2021; R IEGER / M C G RAIL 2015: 19). 1.1 Repräsentation im Lehr-Lern-Material Einer der Kontexte, in dem die Darstellung von Diversität relevant ist und auch mehrfach empirisch untersucht wurde, ist die Gestaltung von Lehrwerken. Aktuelle For- 3 Es geht über den Rahmen dieses Beitrags hinaus, diese Frage unterschiedlicher Perspektiven auflösen zu wollen. Es soll aber auf die Möglichkeit partizipativer Prozesse hingewiesen sein (vgl. z.B. das LEANS Projekt (Learning about neurodiversity at school) an der University of Edinburgh). Repräsentation und own voices Literatur im (Fremd-)Sprachenunterricht 31 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0017 schung zeigt, dass Lehrwerke als zentrale Bildungsmedien von einer gleichwertigen Repräsentation unterschiedlicher Identitäten weit entfernt sind. So identifizieren A LTER / K ÖNIG / M ERSE (2021) zwar positive Tendenzen auch in Bezug auf die Darstellung von Neurodiversität und körperlicher Variationen, jedoch sind Defizite bei der Repräsentation von neurodivergenten Menschen und sichtbarer körperlicher Behinderung frappierend (A LTER 2019; A LTER / K ÖFFLER 2021; A LTER / K ÖNIG / M ERSE 2021; H EINEMANN 2020). In den acht untersuchten österreichischen Grundschullehrwerken für die Fächer Deutsch, Mathematik, Sachunterricht und Englisch sind in nur 0,8% der Abbildungen rollstuhlnutzende Menschen zu sehen, nur 4,9% der Menschen tragen Brillen (A LTER / K ÖFFLER 2021). Neben dieser verschwindend geringen quantitativen Repräsentation sind diese Menschen nur in absoluten Ausnahmefällen in Handlungen oder Gespräche eingebunden. Ähnliche Schlussfolgerungen ziehen A LTER / K ÖNIG / M ERSE (2021) aus der Analyse von drei deutschen Englischlehrwerken für die neunte Klasse. Hier belegen die wenigen Ausnahmen, dass die Darstellung von Behinderung „wenig Zwischenräume außerhalb von ‚Behinderung-als-individuelles- Problem‘ und ‚Perfektion-trotz-Behinderung‘“ (ebd.: 97) bzw. einem Verständnis von Behinderung als Folge von Krieg erlaubt. Ein nennenswertes Beispiel stammt aus Notting Hill Gate, in dem mit Madeline Stuart ein bekanntes Model mit Trisomie 21 ausführlich vorgestellt wird (vgl. ebd.). In der umfangreichen Analyse von deutschen Lehrwerken für den Englischunterricht der Sekundarstufe I argumentiert H EINEMANN (2020: 182), dass diese in Bezug auf Behinderung „gesellschaftliche Normen tradieren und damit auch das Ergebnis von vorhandenen Paradigmen und Vorurteilen in Bezug auf Behinderung sind“. Die möglichen Wirkungen hiervon sollen im Folgenden herausgearbeitet werden. 1.2 Wirkungen von gelingender/ nicht-gelingender Repräsentation Die Literatur zur Repräsentation von Behinderung nimmt unterschiedliche Effekte für Lesende mit und ohne Behinderung an. So argumentiert z.B. H EINEMANN mit den Informationsbedürfnissen von Menschen ohne Behinderung, für die Medien oft die einzige Informationsquelle seien: „Daher ist es wichtig, zu wissen, welches Bild über Menschen mit Behinderung, insbesondere in Schulbüchern, verbreitet wird da die nachfolgenden Generationen daraus ihr Wissen beziehen“ (H EINEMANN 2020: 23). M AICH / B ELCHER (2012) sprechen im Zusammenhang mit Kinderbüchern, in denen autistische Figuren vorkommen, von ‚peer awareness‘. Dabei geht es primär um eine „education about the other“: das Vermitteln von Wissen über und Entwickeln von Empathie gegenüber von Marginalisierung betroffenen Personengruppen (K UMASHIRO 2000: 31-35). Für Menschen, die direkt von fehlender Repräsentation (von Aspekten) ihrer Identität oder ihres Erlebens betroffen sind, werden negative Effekte auf Lernmotivation und Lebensqualität angenommen: 32 Jules Bündgens-Kosten, Grit Alter DOI 10.24053/ FLuL-2024-0017 53 • Heft 2 The compressing, deflating, or damaging effect lack of representation and negative portrayals can have on the identities of members of marginalized groups may be nearly impossible to fully grasp if you’ve not experienced it yourself. (S EBURN 2021: 54-55) Zudem argumentiert J ONES (2024: 2), dass für diese Personengruppen bei stereotyper Darstellung in Populärmedien ein Risiko der Internalisierung der dargestellten negativen Diskurse besteht. Nicht-stereotype Darstellung in schulischen Medien kann hier einen gewissen Ausgleich schaffen. Bei Überlegungen in Bezug auf Lernende, die von mangelnder Repräsentation im oben genannten Sinne betroffen sind, gehen die meisten Autor*innen in ihrer Kritik nicht so weit, das Ideal einer wirklichen „education for the other“ (K UMASHIRO 2000) zu verfolgen. Das wäre eine Bildung, die nicht nur Empathie fördert und Wissen vermittelt, sondern auch Personen, die Othering erleben, aktiv unterstützt, ihnen Rollenmodelle anbietet oder ihre Diskursteilnahme fördert ohne Anpassung an eine Norm zu verlangen (K UMASHIRO 2000: 27-29). Das Abwenden von Schaden steht stärker im Mittelpunkt als die Befähigung zu self-advocacy. 1.3 Repräsentation im Fremdsprachenunterricht Die oben angebrachten Aspekte lassen sich auf eine Vielzahl von Fächern anwenden. Im Kontext des Fremdsprachenunterrichts kann mangelnde Repräsentation auch bedeuten, dass nicht alle Lerner*innen Personen wie sie selber als legitime Sprachnutzende erleben. Sprach-Lehr-Lernmaterial, das auch Menschen mit Spracherwerbsstörungen oder Artikulationsschwierigkeiten, Menschen, die stottern, Menschen, die langsamer und bedächtiger sprechen oder die mithilfe unterstützender Technologie kommunizieren, mitmodelliert, ist den Autor*innen unbekannt. 4 Bestimmte Arten zu kommunizieren werden damit implizit delegitimiert und es wird manchen Lernenden schwerer gemacht, sich als zukünftige kompetente Zielsprachennutzende zu imaginieren. Der Mangel eines solchen „elaborate and vivid future self image“ (D ÖRNYEI 2010: 19; vgl. U SHIODA 2011: 203) hat leicht einen negativen motivationalen Effekt. Eine andere Folge mangelnder Repräsentation hängt mit dem Konzept der epistemischen Ungerechtigkeit (F RICKER 2007) zusammen, das von L EGAULT / B OURDON / P OIRIER (2021) und C HAPMAN / C AREL (2022) auf Neurodiversität übertragen wurde: Epistemic injustices are situations where persons who do not belong to a dominant social group are denied (or simply not offered) access to or participation in the shared epistemic resources. The various concepts and knowledge base available do not represent their lived experience (hermeneutic injustice), and their testimony is given less weight to shape the collective epistemic resources (testimonial injustice). (L EGAULT / B OURDON / P OIRIER 2021: o.S.) Im Kontext des Fremdsprachenunterrichts ist hier z.B. relevant, inwiefern die eingeführten Redemittel es allen Lernenden erlauben, ihre Bedürfnisse zu kommunizieren 4 Das soll nicht heißen, dass es keine literarischen Texte gäbe, die solche Figuren enthielten, und die prinzipiell auch im Fremd- oder Zweitsprachunterricht bearbeitet werden könnten. Repräsentation und own voices Literatur im (Fremd-)Sprachenunterricht 33 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0017 und Erfahrungen zu teilen, inwiefern ihre unterschiedlichen Lebenserfahrungen sichtbar gemacht und gewürdigt werden und ob der Englischunterricht Raum bietet, diese Erfahrungen zu teilen, oder ob bestimmte Arten von Erfahrungen und Lebenswelten über andere priorisiert werden. Für die Fremdsprachendidaktik sind zudem Konzepte wie Diskursfähigkeit (H ALLET 2008) relevant. Lernende mit hoher Diskursfähigkeit können sich nicht nur flexibel und situationsangemessen verschiedener sprachlicher und nicht-sprachlicher Mittel bedienen, sie können auch am Diskurs über Diskurs teilnehmen: Lernende verfügen über sprachliche und nicht-sprachliche Mittel, ihre Bedürfnisse in Bezug auf Kommunikation zu verdeutlichen und auf die Bedürfnisäußerungen anderer zu reagieren, z.B. darum zu bitten, langsamer oder in einfacheren Sätzen zu sprechen, Umgebungsgeräusche zu reduzieren, die Antwort von einem digitalen Endgerät abzulesen oder eine Sitzanordnung zu wählen, die weniger stressinduzierend ist. Damit diese „metadiskursive Kompetenz“ (H ALLET 2008: 87) ausgebaut werden kann, muss aber erst der Raum geschaffen werden, in dem unterschiedliche Kommunikationsbedürfnisse sichtbar werden (dürfen) und in dem „die Reflexion, Hinterfragung und Kritik von Diskursverläufen, -regeln oder -verhalten eingeübt werden kann“ (ebd.: 87). Die pedagogy of multiliteracies (N EW L ONDON G ROUP 1996) erinnert uns zudem daran, dass sich meaning making nicht nur verbalsprachlich manifestiert und erfolgreiche Kommunikation verschiedene Sprachen und Modalitäten kombinieren kann. 5 Aus der Perspektive einer kritischen Fremdsprachendidaktik (G ERLACH 2020) sollte angemerkt werden, dass Repräsentation als Selbstzweck immer Gefahr läuft, den Diskurs nur minimal zu erweitern, ohne aber substantielle Veränderung zu vollbringen. Auch ein Text, in dem Personen mit einer Vielzahl von Gruppenzugehörigkeiten und Eigenschaften repräsentiert sind, kann unkritisch Othering betreiben oder in anderer Form existierende Marginalisierungen verstärken oder stützen. Der kritische Blick auf den Diskurs selbst (im Sinne einer neuroqueer inquiry, um Nelsons (2009) queer inquiry und das Konzept von Neurodivergenz als neuroqueerness 6 zusammenzufügen) ist hier ein wichtiger weiterer Baustein, für den an dieser Stelle leider der Platz für eine detaillierter Reflexion fehlt (vgl. in diesem Kontext auch die Überlegungen zu criticality im literacy-fokussierten Aufsatz von R ABINOWITZ et al. (2024)). 5 Ähnlich der unterschiedlichen Kommunikationsmodi, die in multimodaler Literatur genutzt werden, ermöglicht die Perspektive der Crip Linguistics (H ENNER / R OBINSON s 2023) eine Erweiterung dessen, was wir auch im Fremdsprachenunterricht als languaging verstehen und als Zielnorm des Fremdsprachenunterrichts definieren. 6 Y ERGEAU bezeichnet den Begriff neuroqueer als „a relatively new and web-based invention“, den sie*er einer Kollaboration der autistischen Blogger*innen Ibby Grace, Athena Lynn, Michaels-Dillon, Nick Walker und sich selbst zuschreibt (Y ERGEAU 2018: 27). Vgl. dazu auch W ALKERS Buch (2021), das dem Begriff weitere Sichtbarkeit gegeben hat. 34 Jules Bündgens-Kosten, Grit Alter DOI 10.24053/ FLuL-2024-0017 53 • Heft 2 1.4 Own voices: Definition und Forschungsstand Own voices Texte sind Texte von Autor*innen, die marginalisierten Personengruppen angehören und die deren Erfahrungen widerspiegeln; es sind Texte, die Repräsentation auf der Inhalts- und Produktionsebene leisten. 7 Aus einer sprachdidaktischen Perspektive haben sie das Potential, angemessene Darstellungen von sonst unter- oder fehlrepräsentierten Gruppen zu transportieren. 8 Sachliche Korrektheit und Realismus können auch andere Autor*innen bieten, gute Recherche und/ oder langjährige Kontakte mit entsprechenden Communities vorausgesetzt. Aber nur own voices Texte zeigen Lesenden, die diesen marginalisierten Gruppen angehören, die Option auf, selber Autor*innen zu sein („place and possibility“, B OOTH / N ARAYAN 2018: 203). Damit haben sie einen besonderen Stellenwert sowohl in einer „education about the other“ (Empathie- und Disruptions-förderndes Lernen über marginalisierte Personengruppen) sowie einer „education for the other“ (K UMASHIRO 2000). Empirisch belegt sind diese Annahmen - wie auch die oben diskutierten - kaum. Quantitative und qualitative Studien, die über das rein Anekdotische hinausgehen und Effekte auf Lernende beschreiben, sind uns nicht bekannt. Diskussionen, die einzelne Datenpunkte aufnehmen, wollen wir im Folgenden kurz darstellen. R UTHERFORD / J OHANSON / R EDDAN (2022) analysieren den Diskurs um ein nicht-own voices young adult fiction Buch mit einer trans Hauptfigur und benennen drei Kritikpunkte innerhalb des Diskurses über nicht-own voices Texte: Fehlrepräsentation, Appropriation sowie variable Einschätzungen ästhetischer Qualität. L EONHARDT / V IEBROCK (2020) berichten davon, dass own voices eine relevante Kategorie für Englisch-Lehramtsstudierende sei, die sich mit Literatur über trans experience beschäftigen (2020: 46f.). S EBURN trifft seine oben zitierte Feststellung auch mit der lived experience eines Angehörigen der queeren Community. Trotz des noch schmalen Forschungsstandes sind Argumente für die Verwendung von own voices Texten im Fremdsprachenunterricht plausibel, z.B. als Teil einer multiperspektivischen Auseinandersetzung mit einem Thema (neurodiverse text ensembles, analog zu „queer text ensembles“ (M ERSE 2019)), oder um Lernende zu ermutigen, sich selbst als legitime Diskursteilnehmende und/ oder potentielle Autor*innen zu sehen. Besonders im Oberstufenkontext könnte es spannend sein, anhand von own voices Texten, neben literaturdidaktischen Fragen auch Fragen im Kontext kritischen Fremdsprachenunterrichts (z.B. standpoint aesthetics, positionality) oder mit Bezug zur politischen Dimension von language awareness (J AMES / G ARRET 1991) zu bear- 7 Dabei ist zu beachten, dass Texte oft nicht von einer Person alleine geschaffen werden, sondern in komplexen Publikationssystemen. Herausgeber*innen, Auftraggeber*innen, Übersetzer*innen, Illustrator*innen sind Teile dieses Publikationssystems und können so direkt oder indirekt auch zu Repräsentation beitragen. 8 Je nach Text kommen weitere Potentiale von own voices Texten hinzu, z.B. in Bezug auf Wortschatzerwerb, Lesekompetenz, literarische Kompetenz, multiliteracies, etc., die jedoch nicht aus ihrer Eigenschaft als own voices Texte entstehen. Repräsentation und own voices Literatur im (Fremd-)Sprachenunterricht 35 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0017 beiten. Dass kritische Arbeit mit der Darstellung von Behinderung aber prinzipiell in jeder Klassenstufe möglich ist, zeigen T ONDREAU / R ABINOWITZ (2021). Bei own voices Texten handelt es sich nicht nur um traditionelle Schriftprodukte (z.B. die young adult novel A Kind of Spark (M C N ICOLL 2020) oder die Kurzgeschichte Ich lese (S CHERNEKAU o.J..), auf Deutsch und in einfacher Sprache). Multimodale Texte wie Bilderbücher (z.B. Junkyard Wonders (P OLACCO 2010), I Talk Like a River (S COTT / S MITH 2022), We Move Together (F RITSCH / M C G UIRE / T REJOS 2021) auf Englisch und - in Videoform auf der Begleitseite https: / / wemovetogether.ca - in ASL) und graphic novels (z.B. Schattenspringer (S CHREITER 2014)), aber auch digitale Formate wie z.B. Webcomics (z.B, von L ILISPECTRUM (2023)) oder bild- und videobasierte Social Media Texte zählen dazu. Dies ist nicht nur aus einer multiliteracies- Perspektive (N EW L ONDON G ROUP 1996), oder aus der Perspektive einer Bildung in der digitalen Welt (K ULTUSMINISTERKONFERENZ 2017) wichtig, sondern demonstriert auch die Möglichkeiten, die das nicht-geschriebene Wort für die Kommunikation und den Ausdruck der eigenen Ideen eröffnet - eine Möglichkeit, die nicht nur für Lernende mit schriftbasierten Behinderungen relevant sein kann. 2. Didaktisches Potenzial und methodische Ansätze Das Potenzial von own voices Texten für die untere Mittelstufe zeigen wir anhand eines Textes aus dem Neurodiversitätskontext (spezifisch: Repräsentation von neurodivergenten Personen) auf: eine graphic novel über Lernbehinderung und Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS) 9 von einem Autoren, der sich öffentlich als Person mit ADHS- und Lernbehinderungsdiagnose positioniert und einer Illustratorin, die keine öffentliche Aussage zu ihrem Neurotyp getroffen hat. Entsprechend verstehen wir das Buch als Beispiel für einen own voices Text mit direktem Bezug zu Neurodiversität bzw. Neurodivergenz. Neurodiversität - in den 1990ern von Judy S INGER in einer Selbsthilfe-Mailing List geprägt - betont, analog zum Konzept der Biodiversität, die Vielfalt darin, wie Menschen ihre Umgebung wahrnehmen, Informationen verarbeiten und Ideen ausdrücken. In diesem Sinne kann das Neurodiversitäkonzept dazu dienen, die Heterogenität von Gruppen und die Erfahrungen und Bedürfnisse aller Menschen - auch solcher, die neurotypisch sind - in den Blick zu nehmen. Eine zweite Lesart fokussiert Neurominderheiten explizit. Ein Beispiel hierfür ist z.B. B AKER , die Neurodiversität als eine Beschreibung für atypical functionalities found in individuals who have identifiable neurological differences and […] their interactions with individuals considered neurologically typical in the context of public infrastructures built around a presumption of neurotypicality (B AKER 2011: 22) verwendet. Eine wachsende Anzahl an Autor*innen - und auch Aktivist*innen - bevorzugt für letzteres den Begriff Neurodivergenz. 9 Wir nutzen hier den medizinischen Fachbegriff ‚Störung‘, ohne uns seine Konnotationen zu eigen zu machen. 36 Jules Bündgens-Kosten, Grit Alter DOI 10.24053/ FLuL-2024-0017 53 • Heft 2 2.1 ADHS und Nelson Beats the Odds Nelson Beats the Odds (S IDNEY / VAN W AGONER 2015) ist eine graphic novel, in der es Nelson, dem Protagonisten, gelingt, sich entgegen der Erwartungen einiger Lehrpersonen und mit der Unterstützung seiner Familie und einer zugewandten Lehrperson schulisch und akademisch durchzusetzen und die Universität erfolgreich zu absolvieren. Die Geschichte, und auch die enthaltenen Zitate bekannter Persönlichkeiten, fokussieren akademischen Erfolg und andere traditionelle Verständnisse von Erfolg. Dass es abseits der hier genormten schulischen Laufbahn bis zur Hochschule weitere erfolgreiche Lebenswege gibt, bleibt in der Handlung unbeachtet. 10 Im Fokus der unterrichtlichen Behandlung stehen Nelsons Konflikt und Streben nach Selbstverwirklichung. Er ist ein Schwarzer Junge, der in einer hauptsächlich Schwarzen Gemeinschaft aufwächst. 11 Nelson ist an der middle school; er wirkt selbstbewusst und ausgeglichen, er fühlt sich in seinem Freundeskreis wohl. Lernen fällt ihm jedoch schwer. Seine Lehrerin, Mrs. Gronkowski, reagiert auf seine Unterrichtsstörungen ungehalten, ist aber nicht unfreundlich oder offensichtlich gemein zu ihm. Sie gibt Nelsons Eltern den wohlgemeinten und wichtigen Hinweis, dass er ADHS und eine Lernbehinderung haben könnte. Visuell wird sie in kleineren Abbildungen aus der Vogel-, in größeren Abbildungen, wenn Sie mit Lernenden interagiert, aus der Froschperspektive gezeigt. Die Bildsprache impliziert, dass die Lernenden sie als bedrohlich empfinden. Als sie mit Nelsons Eltern spricht, begegnet sie ihnen auf Augenhöhe. Nelson trifft die Entscheidung seiner Eltern, den Sonderschulzweig besuchen zu müssen, sehr. Er hat Angst davor, seinen Freundeskreis zu verlieren und möchte nicht als anders gelten. In der neuen Klasse trifft er dann auf Mrs. T., die an ihn glaubt und ihn unterstützt. „If you can believe it, you can achieve it“ steht groß an der Wand in ihrem Klassenzimmer und wird zu Nelsons Motto. Mrs T. erscheint nur dann aus der Froschperspektive, als sie Nelson die Hand reicht, um auch ihn groß zu machen, und sagt: „You can do it! “. Er beginnt an sich zu glauben, entwickelt Freude am Lernen und Selbstbewusstsein. Nach drei Jahren Sonderschulzweig steht der Wechsel in die high school an, für die sich Nelson wieder gemeinsam mit seinen Freunden in den regulären Unterricht einschreibt. Er ist geschockt, als er wieder in mehreren Fächern in gesonderte Klassen eingeteilt wird. Inzwischen möchte Nelson studieren, so dass er weiterhin engagiert zur Schule geht. Die finale Motivation, es zur Universität zu schaffen, wird durch Mr. Stevenson ausgelöst, der Nelson in Algebra unterrichtet, dem einzigen Sonderschulfach, dem er nach Widerspruch seiner Eltern noch zugeteilt ist. Als Nelson und sein Cousin Jeremy aus Langeweile mit gekauten Papierkugeln auf den Lehrer schießen, ballt er die Fäuste und schreit sie wütend an: „That‘s why neither of you are going to college! “ Nelson nimmt das als Herausforderung an: Er beendet die Schule erfolgreich und besucht anschließend ein 10 Jules B ÜNDGENS -K OSTEN bedankt sich bei den Studierenden des UMBC Kurses „Language Learning and Special Education/ Neurodiversity in TESOL“ Fall 2023 für diesen Hinweis. 11 Dies wird auch punktuell (am Beispiel eines Gesprächs zwischen Nelson und seinem Cousin, in dem dieser Nelson „acting white“ vorwirft) aufgegriffen. Repräsentation und own voices Literatur im (Fremd-)Sprachenunterricht 37 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0017 community college, um sich für die Universität zu qualifizieren. Letztendlich wird er einer der Jahrgangsbesten und nimmt im Beisein von Familie, Freundeskreis und ehemaligen Lehrpersonen sein college Zeugnis entgegen. Die stark autobiographischen Züge machen das Buch besonders reizvoll. Die Erfahrungen von Nelson reflektieren die lived experience des Autors, d.h., das Buch leistet einen Beitrag zu epistemic justice. Wenn die Lehrkraft den Lernenden biographische Informationen zum Autoren mitteilt, d.h. der own voices Text auch als ein solcher für sie erkennbar wird, entsteht das Potential, neben „place“ auch „possibility“ (B OOTH / N ARAYAN 2018: 203) durchscheinen zu lassen. Das Verstehen der kurzen relativ einfachen Dialoge wird durch die klare Visualisierung unterstützt. Der pro Seite geringe Textumfang kann für einige Lesende ermutigend wirken. Um einen persönlichen Bezug der Lesenden zu dem Protagonisten herzustellen, sind rezeptionsästhetische Ansätze (I SER 1976; J AUß 1970) sinnvoll. Sie fokussieren, wie ein Text gelesen wird und welche Wirkung er auf unterschiedliche Lesende haben kann. Aufgaben, die die Erlebnisse des Protagonisten reflektieren, die zu einem Perspektivwechsel einladen und die die Lernenden auffordern, Erlebnisse und Erfahrungen mit schulischen Herausforderungen aus ihrer eigenen Biografie wahrzunehmen, ermöglichen den Lesenden, Nelsons Erfahrungen und Entwicklung nachzuvollziehen und sich selbst zu diesen zu positionieren. Stilistisch kann erarbeitet werden, wie es Autor und Illustratorin gelingt, entsprechende Interpretationsräume zu schaffen, in denen produktives Lesen möglich wird. In diesem Kontext ist es für Lernende und Lehrende zudem spannend, kritisch darüber nachzudenken, wer zu den „implied readers“ (I SER 1972) des Textes gehört. Zum einen sind das vermutlich Lesende, die selbst Erfahrungen mit Konzentrationsschwierigkeiten haben, bei denen ADHS diagnostiziert wurde und die sich in der Entwicklung des Protagonisten spiegeln können. Sie könnten hoffnungsvoll auf ihre eigene Schullaufbahn blicken und sich entsprechende Ziele setzen. Zum anderen exemplifiziert der Text auch das Verhalten und die Reaktionen des Freundeskreises und der Mitschüler*innen des Protagonisten. Als drittes gelten auch die Lehrpersonen als implied readers, denn der Text stellt unterschiedliche Lehrpersonen vor, die mit ihrem sehr unterschiedlichen Verhalten und ihren Reaktionen unterschiedlich auf den Protagonisten wirken. Es wird deutlich, dass ADHS zwar eine individuelle Lernbedingung ist, Lernerfolg und Zugang zu höherer Bildung jedoch stark von gesellschaftlichen und soziokulturellen Strukturen abhängig sind, die das Individuum selbst nur bedingt beeinflussen kann. 3. Fazit und Ausblick In diesem Beitrag stehen own voices Texte als Form der inhalts- und produktorientierten Repräsentation (hier: mit Schwerpunkt auf Neurodiversität bzw. Neurodivergenz) im Mittelpunkt. Auf motivationaler Ebene kann Repräsentation helfen, Lernenden durch die Sichtbarkeit ihrer eigenen Identitäten eine andere Bezogenheit zum 38 Jules Bündgens-Kosten, Grit Alter DOI 10.24053/ FLuL-2024-0017 53 • Heft 2 Lernen und ihrer Lebensgestaltung zu entwickeln. „If you can see it, you can be it“ (K ING 2021: 43) - wenn Lernende sich selbst als präsent und relevant im gesellschaftlichen Diskurs erleben, dann wird die Möglichkeit eröffnet, entsprechende Selbstwirksamkeit und ein „elaborate and vivid future self image“ (D ÖRNYEI 2010: 19) als Zielsprachennutzende zu entwickeln. Gleichzeitig kann ihr Einsatz existierende epistemische Ungerechtigkeiten reduzieren. Neben diesen soziokulturellen Lernzielen lassen sich durch den Einsatz von own voices Texten auch fremdsprachliche und fachübergreifende Ziele wie Diskurskompetenz sowie kritische multimediale Kompetenzen erreichen. Auf zwei Herausforderungen konnten wir in diesem Beitrag aus Platzgründen leider nicht eingehen. Einerseits kann auch ein relevanter own voices Text in einer Form im Unterricht verwendet werden, die Stereotype perpetuiert (z.B. der Topos des Menschen mit Behinderung, der außergewöhnliche Leistungen erbringt, S CHALK 2016) oder Heterogenität mit Defizit gleichsetzt. Im Gegenzug können auch Texte, die von der Lehrkraft selber als problematisch eingeschätzt werden, im Unterrichtsgespräch (z.B. in Hinsicht auf die Ausbildung von criticality, vgl. R ABINOWITZ et al. 2024., vgl. auch A LTER / A HO 2018) nutzbar gemacht werden. Anderseits besteht die Gefahr, dass Repräsentation als das eigentliche Ziel missverstanden wird. S MILGES (2022: 36) erinnert uns in dem Buch Queer Silence: „there is a difference between visibility and equity“. Repräsentation kann eine wichtige Rolle spielen, aber durch Repräsentation alleine ändern sich existierende Strukturen nicht. Literatur A LTER , Grit (2019): „A sociological perspective on diversity in ELT coursebooks“. In: L ÜTGE , Christoph / L ÜTGE , Christiane / F ALTERMEIER , Markus (Hrsg.): The Praxis of Diversity. Berlin: Springer, 137- 173. A LTER , Grit / A HO , Tanja (2018): „‘Just like me, just like you’: Narrative erasure as disability normalization in children’s picture books“. In: Journal of Literary & Cultural Disability Studies (JLCDS) 12.3, 303-319. http: / / muse.jhu.edu/ article/ 700968 A LTER , Grit / K ÖFFLER , Nadja (2021): „Let boys explain the world to girls who do not know: Visual representations of gender and diversity in Austrian primary textbooks and implications for diversity-sensitive education“. 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The analysis of lessons with a focus on reading comprehension, students’ notes on reading tasks and their learning journals reveal an enormous range of individual reading and compensatory strategies. Moreover, not only does the data show the importance of cognitive and metacognitive strategies for empowering students to deal with simple and complex reading tasks in the foreign language classroom, but also of social and affective learning strategies. 1. Einleitung Die Diskussion um Lesestrategien ist in der Fremdsprachendidaktik an den Diskurs um Lernstrategien rückgebunden, der bereits seit mehreren Jahrzehnten sprachübergreifend eine große Beachtung findet (z.B. O’M ALLEY / C HAMOT 1990; O XFORD 2017) und eine feste Verankerung in zentralen Rahmendokumenten des Fremdsprachenunterrichts wie dem Companion Volume zum „Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen“ aufweist (vgl. C OUNCIL OF E UROPE 2018). So ist die Entwicklung von Lernstrategien eine wesentliche Zielsetzung eines lerner- und kompetenzorientierten Fremdsprachenunterrichts, der Schüler: innen an ein selbstgesteuertes Sprachenlernen heranführt: Wer über adäquate Lernstrategien verfügt, kann Lernprozesse bewusst steuern, individuelle Ressourcen für das Fremdsprachenlernen nutzen und eventuelle Schwächen kompensieren (vgl. R IEMER 2009: 20). Während Lernstrategien insgesamt „als Verfahren bezeichnet [werden], mit denen Lernende den Aufbau, die Speicherung, den Abruf und den Einsatz von Informationen steuern und kon- * Korrespondenzadresse: Dr. Sophie E NGELEN , Justus-Liebig-Universität Gießen, Institut für Romanistik, Karl-Glöckner-Straße 21G, 35394 G IEßEN . E-Mail: Sophie.I.Engelen@rom.jlug.de Arbeitsbereiche: Inklusiver Fremdsprachenunterricht, Testen und Bewerten fremdsprachlicher Kompetenzen, Lese- und Schreibförderung im Fremdsprachenunterricht. 44 Sophie Engelen DOI 10.24053/ FLuL-2024-0019 53 • Heft 2 trollieren“ (M ARTINEZ 2016: 372), beziehen sich Lesestrategien auf die spezifischen Anforderungen des rezeptiven Kompetenzbereiches des Leseverstehens und können je nach Leseziel und Textsorte ganz unterschiedliche Formen annehmen (vgl. C OUNCIL OF E UROPE 2018: 60-67). Auch in den überarbeiteten Bildungsstandards für die erste Fremdsprache haben Lesestrategien einen festen Platz. Beispielsweise heißt es dort für den Mittleren Schulabschluss: „Die Schülerinnen und Schüler können [...] die in einer Sprache/ weiteren Sprachen verfügbaren Kenntnisse und erlernten Strategien in der Regel selbstständig aktivieren, um zielsprachige Texte zu verstehen“ (KMK 2023: 12, Hervorhebung SE). Ein individueller und zielgerichteter Einsatz von Lesestrategien ist somit dezidiert Teil der Kompetenzerwartungen am Ende der Sekundarstufe I und verweist zugleich auf die Sprachverwendung außerhalb des Klassenraums: Dort werden Lesestrategien auch als Sprachgebrauchs- und Kommunikationsstrategien relevant, die zu einer Aufrechterhaltung und einem Gelingen von Kommunikation beitragen (vgl. M ARTINEZ 2016: 373f.). Rückt man Neurodiversität als zentrale Heterogenitätsdimension des Fremdsprachenunterrichts in den Fokus (siehe B LUME / B ÜNDGENS -K OSTEN in diesem Heft), die allen Lerngruppen inhärent ist, erhöht sich der Stellenwert von Lernbzw. Lesestrategien umso mehr - beispielsweise, wenn Lernende von Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten (LRS) betroffen sind. So weisen S OUVIGNIER / A NTONIOU (2007) im Rahmen einer Metaanalyse für das Leseverstehen einen direkten Zusammenhang von Strategieverwendung und Lernerfolg von Schüler: innen mit Lernschwierigkeiten nach. Zugleich stellt die Förderung von Lesestrategien in inklusiven Settings eine besondere Herausforderung dar. Aktuelle Studienergebnisse deuten darauf hin, dass manche Schüler: innen mit LRS dazu neigen, bei der Bearbeitung von Lese- und Schreibaufträgen im Französischunterricht vorrangig Vermeidungsstrategien zu wählen (vgl. E NGELEN 2023: 170-173). Für Lernende mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) kann es herausfordernd sein, ihre Konzentration über einen längeren Zeitraum auf die Auseinandersetzung mit Schriftsprache zu lenken und dabei das eigene Handeln auf metakognitiver Ebene zu evaluieren (vgl. J ANICKA 2015: 177- 179). L ÖßLEIN (2022: 262f.) erläutert in Bezug auf Schüler: innen mit Autismus, dass kooperative Arbeitsformen wie beispielsweise Lesetandems zu einer Entwicklung von Lesekompetenz beitragen können, jedoch nur dann ihr Potential entfalten, wenn sie unter Wahrung klarer Verhaltensregeln und entlang antizipierbarer Strukturen ablaufen. Anknüpfend an diese Befunde rückt der vorliegende Beitrag den Fokus auf den Kompetenzbereich des Lesens im Französisch- und Spanischunterricht der Sekundarstufe I. Denn gerade für die typischen zweiten Schulfremdsprachen liegen bislang kaum empirische Befunde dazu vor, welche Lesestrategien Lernende in inklusiven Settings nutzen und welche Rolle strukturelle Merkmale der verschiedenen Zielsprachen bei der Wahl adäquater Lesestrategien spielen könnten. 1 Auf Basis der Beobach- 1 Für die Teilkompetenz des Schreibens ist eine ähnliche Ausgangslage festzustellen, weshalb im Kontext der Kooperationen mit Französisch- und Spanischlehrkräften sowohl Daten zur Förderung von Lese- Lesestrategien im inklusiven Französisch- und Spanischunterricht 45 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0019 tung von Unterrichtsstunden mit besonderem Schwerpunkt auf der Förderung von Lesekompetenz, schriftlichen Notizen von Schüler: innen zu Leseverstehensaufgaben sowie Eintragungen in Lerntagebüchern wird im Folgenden analysiert, welche Lesestrategien Lehrkräfte in heterogenen Lerngruppen anbahnen und wie neurodivergente Schüler: innen diese für ihren individuellen Kompetenzerwerb nutzen. Nach einem Überblick über die Didaktisierung von Leseprozessen im Kontext inklusiven Fremdsprachenunterrichts erfolgt eine globale Auswertung und Systematisierung der verwendeten Lesestrategien anhand eines kombiniert deduktiv-induktiv entwickelten Kategoriensystems (vgl. K UCKARTZ 2018: 97-102), auf dessen Basis relevante Strategietypen einer intensiveren Betrachtung unterzogen werden. 2. Lesen im Fremdsprachenunterricht aus inklusiver Perspektive Leseprozesse stellen Lernende im Fremdsprachenunterricht nicht nur vor hohe kognitive, sondern auch emotionale und motivationale Herausforderungen. Dies erfährt gerade im Unterricht der zweiten Fremdsprachen jedoch oftmals nur wenig Beachtung, da einerseits der Fokus auf einer gelingenden mündlichen Kommunikation liegt; andererseits, da implizit von einem erfolgreich abgeschlossenen Schriftspracherwerb ausgegangen und ein routinierter Zugriff auf basale Lese- (und Schreib-)fertigkeiten seitens der Lernenden vorausgesetzt wird (vgl. E NGELEN / G ERLACH 2022: 124f.). Folglich zielen die meisten Ansätze zur Förderung von Lesestrategien im Fremdsprachenunterricht auf „hierarchiehohe“ (C HRISTMANN 2015: 23) Fertigkeiten wie beispielsweise das sinnentnehmende Lesen, den Einsatz von Lesestilen oder auch den integrierten Rückgriff auf Lese- und Schreibkompetenzen, z.B. wenn ein Sachtext erörtert oder ein literarischer Text analysiert werden soll. Im Umkehrschluss werden „hierarchieniedrige“ (ebd.) Fertigkeiten im Unterricht der zweiten Fremdsprachen kaum explizit adressiert; zentrale Fertigkeiten wie z.B. die Etablierung von Phonem- Graphem-Relationen oder die phonologische Bewusstheit, die für ein Gelingen komplexerer Lese- und Schreibprozesse unabdingbar erscheinen, werden nur selten in Förderkonzepte einbezogen. Ein Fremdsprachenunterricht, der auch Lernende mit Schwierigkeiten im Bereich basaler Lese- (und Schreib-)fertigkeiten adressieren möchte - wie es beispielsweise bei LRS oder einer verzögerten Alphabetisierung der Fall ist - müsste jedoch Angebote für alle Lernenden schaffen. Systematische Ansätze zur Förderung von Lernbzw. Lese- und Schreibstrategien könnten hier eine wichtige Funktion einnehmen, denn von ihnen könnten Schüler: innen mit und ohne besondere Förderbedarfe im Bereich der Schriftsprache gleichermaßen profitieren (vgl. R IEMER 2009: 18f.). Zugleich ist aus der Forschung zu Lernstrategien bekannt, wie komplex die Anbahnung eines selbstgesteuerten Strategieeinsatzes im Fremdsprachenunterricht sein kann und dass nicht selten eine Diskrepanz zwischen der Selbsteinschätzung als auch Schreibkompetenzen erhoben wurden. Ein weiterer Beitrag, der den Fokus auf die Entwicklung und den Einsatz von Schreibstrategien lenkt, ist in Vorbereitung. 46 Sophie Engelen DOI 10.24053/ FLuL-2024-0019 53 • Heft 2 von Lernenden und ihrem tatsächlichen Einsatz von Lernstrategien besteht (vgl. ebd.: 20). Im Folgenden werden zentrale Aspekte der Didaktisierung von Leseprozessen im Fremdsprachenunterricht thematisiert, um anschließend auf den spezifischen Zusammenhang der Entwicklung von Lesestrategien in neurodivergenten Lerngruppen einzugehen. 2.1 Didaktisierung von Leseprozessen im Fremdsprachenunterricht Unabhängig von Lernschwierigkeiten weisen Leseprozesse sowohl in der L1 als auch in den Fremdsprachen eine hohe Komplexität auf und sind in Teilprozesse gliederbar, die verschiedene Anforderungen an die „Schriftkompetenz“ bzw. „Textkompetenz“ (B ACHMANN / B ECKER -M ROTZEK 2017: 26-29) der Lernenden stellen. Ausgehend von der Annahme, dass Leseprozesse in unterschiedlichen Dimensionen wie z.B. einer Prozess-, Subjekt- und sozialen Ebene ablaufen (vgl. R OSEBROCK 2008: 177), entfalten Modelle zur Phasierung von Leseprozessen in der Didaktik eine hohe Wirksamkeit. In der Regel werden drei Phasen der Lektürevorbereitung, -durchführung und nachbereitung unterschieden (pre-, while- und post-reading bzw. writing, vgl. H UDSON 2010: 108). Diese zielen darauf ab, Teilanforderungen von Leseprozessen sichtbar und methodisch für Lehrende und Lernende zugänglich zu machen. Während in der Planungsbzw. Vorbereitungsphase von Leseaufgaben Aspekte wie die Aktivierung von Vorwissen, die Bewusstmachung von Lesezielen oder die Identifikation von Textsortenmerkmalen im Fokus stehen, die auch kollaborativen Arbeitsformen zugänglich sind, kennzeichnet sich die Phase der Lektüre meist durch eine individuelle Auseinandersetzung mit dem zu rezipierenden Text und eine Dominanz kognitiver Lesestrategien (vgl. F RITSCH 2014: 95f.). Die abschließende Phase der „Anschlusskommunikation“ (R OSEBROCK 2008: 177) dient dazu, einen Austausch über den Lesetext auf einer sozialen Ebene anzuregen und dem Gelesenen so individuelle Relevanz zu verleihen, was für die Lesesozialisation und die Etablierung einer langfristigen Lesemotivation von entscheidender Bedeutung ist (vgl. ebd.: 178). Verlässt man die Mesoebene der Phasierung von Leseprozessen und fokussiert die Mikroebene konkreter Schüler: innenhandlungen, rücken verschiedene Lesestrategien in den Fokus, die potentiell zu unterschiedlichen Zeitpunkten des Leseprozesses wirksam werden können. Typische Klassifizierungen unterscheiden kognitive und metakognitive Strategien, affektive bzw. emotionale und soziale Strategien sowie Kommunikationsbzw. Sprachgebrauchsstrategien (vgl. M ARTINEZ 2016: 373f.). Während kognitive Strategien auf die unmittelbare Textrezeption abzielen (z.B. das Erschließen von Wortbedeutungen), dienen metakognitive Strategien der Steuerung und Regulierung des eigenen Leseprozesses (z.B. die Identifikation des passenden Lesestils). Die auch als „Stützstrategien“ (P HILIPP 2015: 214) bezeichneten emotionalen und sozialen Strategien unterstützen die Textrezeption in indirekter Form - dennoch kommt ihnen für das Gelingen von Leseprozessen eine zentrale Rolle zu (vgl. R OSEBROCK 2008: 177f.). Zu dieser Gruppe von Lesestrategien zählen beispielsweise die Wahl eines angemessenen Arbeitsortes, die Einräumung ausreichender Pausen Lesestrategien im inklusiven Französisch- und Spanischunterricht 47 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0019 bzw. der Einbezug von Personen, die bei der Auseinandersetzung mit Schriftsprache unterstützen können. In der Forschung besteht Konsens darüber, dass für ein erfolgreiches Fremdsprachenlernen eine Planung, Reflexion und Evaluation des individuellen Strategiegebrauchs nötig ist, um diese perspektivisch auch in Kommunikationssituationen außerhalb des Fremdsprachenunterrichts einsetzen zu können - auf diesen Zusammenhang beziehen sich auch die genannten Kommunikations- und Sprachgebrauchsstrategien (vgl. M ARTINEZ 2016: 373f.). Zudem zeichnet sich ein effektiver Rückgriff auf Strategien dadurch aus, dass diese für die Lösung des jeweiligen Problems geeignet sind und ihr Einsatz bewusst gemacht bzw. metakognitiv gesteuert werden kann (vgl. O’M ALLEY / C HAMOT 1990: 98-101). Folglich stellt ein Fremdsprachenunterricht, der auf eine Vermittlung von Lernbzw. Lesestrategien abzielt, hohe Anforderungen sowohl an die vermittelnde Lehrkraft - diese muss Unterrichtssituationen kreieren, in denen Strategien eingeübt und bewusst gemacht werden können - als auch an die Lernenden selbst, die aktiv werden und Verantwortung für ihre Lernbzw. Rezeptionsprozesse übernehmen müssen. 2.2 Lesestrategien im Kontext von Neurodiversität Im Kontext neurodivergenter Lerngruppen und schulischer Inklusion stellt sich die Frage, inwieweit die skizzierte Strategiesystematik anderen Logiken und Priorisierungen unterliegen könnte. Beispielsweise unterscheidet A LEXANDER -P ASSE (2006) für jugendliche Schüler: innen mit LRS den Einsatz anforderungsbezogener Strategien (task-based coping), emotions- und selbstwertbezogener Strategien (emotional-based coping) sowie Vermeidungsstrategien (avoidance-based coping) bei der Bewältigung von Schwierigkeiten. Diese Differenzierung verdeutlicht die Breite der Herausforderungen, mit denen Lernende mit LRS (nicht nur) im Schulkontext konfrontiert sein können und legt eine Erweiterung bzw. Umstrukturierung des Strategierepertoires nahe, um die Anforderungen an betroffene Personen auch im Fremdsprachenunterricht angemessen abzubilden. Denn stehen emotions- und selbstwertbezogene bzw. Vermeidungsstrategien gleichauf mit anforderungsbezogenen Strategien, zeigt dies, dass eine umfassende Flankierung der Lesestrategien im engen Sinne nötig sein kann, um eine Bearbeitung von Leseverstehensaufgaben auf kognitiver Ebene zu ermöglichen. Auch der Begriff der Kompensationsstrategien bzw. „compensatory strategies“ (O XFORD 2017: 150, 297), der auch unabhängig von Lernschwierigkeiten gängig ist, liegt transversal zu den oben skizzierten Strategietypen und betont die Funktion des Strategieeinsatzes für die Lernenden in Form eines Ausgleichs beeinträchtigter oder als defizitär erlebter Fertigkeiten beispielsweise anhand alternativer Kommunikationswege oder technischer Hilfsmittel. Zudem ist für die Auswahl und Passung von Lesestrategien in heterogenen Lerngruppen relevant, dass inklusiver Unterricht oftmals in einem Spannungsfeld von Individualisierung und Gemeinsamkeit stattfindet und ausgehandelt werden muss, inwieweit primär kognitive oder psychosoziale Lernziele in bestimmten Unterrichtsphasen im Fokus stehen. Prominente Antworten darauf wurden in der Förderpädago- 48 Sophie Engelen DOI 10.24053/ FLuL-2024-0019 53 • Heft 2 gik gefunden, beispielsweise in Form des - im Inklusionsdiskurs mittlerweile vielzitierten - Lernens am gemeinsamen Gegenstand (vgl. F EUSER 1998), das die individualisierte und zugleich kollaborative Arbeit an bildungsrelevanten Inhalten auf ganz unterschiedlichen Lernwegen vorsieht und damit modellhaft für ein binnendifferenziertes Unterrichten auch bei sehr unterschiedlichen Lernausgangslagen steht. Verschiedene Ansätze zur Leseförderung in inklusiven Settings berücksichtigen diese doppelte Zielsetzung und sehen eine Integration von individualisiertem und kooperativem Arbeiten an Leseverstehensaufgaben vor. Exemplarisch seien hier Methoden wie das paired reading and thinking oder das reciprocal reading genannt, die vorrangig auf hierarchiehohe Prozesse der Textrezeption abzielen. Mit G ERLACH / L ÜKE (2020) liegt ein evaluiertes Trainingsprogramm vor, das sowohl auf eine Steigerung der Leseflüssigkeit als auch eine Förderung des Leseverstehens abzielt und zudem anhand von leseanimierenden Verfahren langfristig auch die Lesemotivation von leseschwachen Lernenden steigert. Vor diesem komplexen und vielschichtigen Hintergrund besteht ein zentrales Erkenntnisinteresse des vorliegenden Beitrags darin, empirische Zugänge zu inklusiven Unterrichtssettings der zweiten Fremdsprachen zu schaffen, die seitens der Lehrkräfte explizit auf die Entwicklung von Lesekompetenz abzielten. Die Datenerhebungen, die verschiedene Perspektiven auf Leseprozesse anhand von Unterrichtsbeobachtungen sowie der Analyse von Schülertexten und Lerntagebüchern zusammenführen, rücken insbesondere den schüler: innenseitigen Einsatz und die Reflexion von Lesestrategien in den Fokus. 3. Datenbasis Im Rahmen der Datenerhebungen, die auf übergeordneter Ebene sowohl auf die Erfassung von Leseals auch Schreibstrategien im Französisch- und Spanischunterricht der Sekundarstufe I abzielten, wurde mit zwei Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen kooperiert. In einem Zeitraum von drei Monaten wurden in vier Kursen insgesamt 19 Unterrichtsstunden beobachtet, die einen besonderen Schwerpunkt auf die Förderung von Lesekompetenz legten; sie bilden die Basis der folgenden Datenauswertung. Die Lerngruppen des Französischen bzw. Spanischen als zweite Fremdsprache ab der 7. Jahrgangsstufe setzten sich wie folgt zusammen: • Gruppe 1 (FG1 2 ): Französisch, Klasse 7, 1. Lernjahr, 27 Schüler: innen, • Gruppe 2 (FG2): Französisch, Klasse 10, 4. Lernjahr, 15 Schüler: innen, • Gruppe 3 (SG3): Spanisch, Klasse 8, 2. Lernjahr, 20 Schüler: innen, • Gruppe 4 (SG4): Spanisch, Klasse 10, 4. Lernjahr, 23 Schüler: innen, Präsenz einer Schulbegleiterin. 2 Bei der Datenauswertung wurden die Daten anonymisiert und die Lerngruppen sowie die Schüler: innen mit Kennungen versehen, z.B. „FG1: S14“ = Französisch-Lerngruppe 1, Schüler: in 14. Lesestrategien im inklusiven Französisch- und Spanischunterricht 49 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0019 Im Sinne eines weiten Inklusionsbegriffes wiesen die Lerngruppen verschiedene unterrichtsrelevante Heterogenitätsdimensionen auf: Die Schüler: innen sprachen bis zu sieben verschiedene Erstbzw. Herkunftssprachen und es waren individuelle Dispositionen wie LRS (in allen Lerngruppen), ADHS (FG1 und SG3) und Autismus- Spektrum-Störung (ASS) (SG4) bekannt. Bei der Auswahl der teilnehmenden Schulen bzw. Lerngruppen wurde darauf geachtet, dass die Lehrkräfte Elemente der Lese- und Schreibförderung kontinuierlich in ihren Französischbzw. Spanischunterricht implementieren und auch freiere Unterrichtskonzepte regelmäßig umsetzen, um dem individuellen Rückgriff auf Lese- und Schreibstrategien seitens der Lernenden Raum zu geben. Neben einer analogen Unterrichtsbeobachtung, die sich auf relevante Unterrichtsabläufe und Interaktionen in Bezug auf Lese- und Schreibaufträge beschränkte, wurden sämtliche Unterrichtsnotizen und schriftliche Schüler: innentexte eingescannt, die im Rahmen der beobachteten Unterrichtsstunden entstanden sind. Zudem führten die Schüler: innen Lerntagebücher, in denen das individuelle Vorgehen bei Lese- und Schreibaufträgen skizziert, Fragen, Schwierigkeiten und positive Aspekte notiert und darüber hinaus sprachbezogene Aktivitäten außerhalb des Französischbzw. Spanischunterrichts festgehalten werden konnten. Für den vorliegenden Beitrag erfolgte die Datenauswertung mit engem Fokus auf die identifizierbaren Lesestrategien, die anhand eines Analyserasters mithilfe der Analysesoftware MAXQDA quali- und quantifiziert wurden. Dies erfolgte in Form einer kombiniert deduktiven und induktiven Kategorienbildung, wie sie von K UCKARTZ (2018: 97-102) im Rahmen der „inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse“ vorgeschlagen wird. Folglich wurden die gängigen Oberkategorien von Lernbzw. Lesestrategien deduktiv an das Datenmaterial herangetragen und anschließend induktiv um konkrete Lesestrategien erweitert, sodass ein Überblick über verwendete Strategietypen im inklusiven Französischbzw. Spanischunterricht der Sekundarstufe I möglich wird. 4. Lesestrategien im inklusiven Französisch- und Spanischunterricht der Sekundarstufe I Die erhobenen Daten, die eine Außensowie eine Innenperspektive auf Lernprozesse im Französisch- und Spanischunterricht zusammenführen, weisen darauf hin, dass Lernende bei der Auseinandersetzung mit Leseaufträgen eine Vielzahl von Strategien mit jeweils verschiedenen Funktionen und Zielsetzungen einsetzen, wobei sich nur vereinzelt grundlegende Differenzen zwischen dem Französisch- und Spanischunterricht zeigen. Im Folgenden werden die in den Daten identifizierbaren Lesestrategien zunächst im Überblick dargestellt, um anschließend auf ausgewählte Strategietypen differenzierter einzugehen. 50 Sophie Engelen DOI 10.24053/ FLuL-2024-0019 53 • Heft 2 4.1 Eingesetzte Lesestrategien im Überblick Die folgende Übersicht veranschaulicht die Ergebnisse der Datenanalyse in Bezug auf Lesestrategien, die von Lernenden im inklusiven Französisch- und Spanischunterricht der Sekundarstufe I eingesetzt wurden: Abb. 1: Kategoriensystem zur Erfassung der eingesetzten Lesestrategien 3 3 Insofern eine Strategie ausschließlich im Französisch- oder nur im Spanischunterricht identifiziert 1. Kognitive Lesestrategien 1.1 Entlastung basaler Leseprozesse: • Einsatz von Leseschablonen • Schüler: in verfolgt Zeile/ Text mit dem Finger • begleitendes Tondokument / Vorlesestifte (S) • Reduktion der Textmenge • visuelle Modifikation von Arbeitsmaterialien durch die Lehrkraft 1.2 Inhaltliche Texterschließung: • Markieren relevanter Textstellen und Schlüsselwörter • Anfertigen freier Notizen am/ zum Text • Finden von Gliederung(en) und Zwischenüberschriften • lectura tricolor (farbliche Markierung von Klärungsbedarf im Ampelsystem) (S) • Durchstreichen unbekannter/ weniger relevanter Wörter • Formulieren von ‚W-Fragen‘ an den Text 1.3 Umgang mit unbekanntem Vokabular: • Nutzung eines (analogen oder digitalen) Wörterbuchs • Formulieren von Hypothesen zu unbekanntem Vokabular • Erschließungstechniken und Rückgriff auf Kenntnisse anderer Sprachen 1.4 Vorbereitung des Vorlesens von Texten: • Notieren von Informationen zur Aussprache von Wörtern • Nutzung einer individuellen Lautschrift (F) • Murmelndes Lesen in Partner: innenarbeit (F) • Rückgriff auf Lautkarten (F) 2. Metakognitive Lesestrategien • Notieren von Zeitkontingenten für die Textbearbeitung (S) • Aufteilung der Textmenge in kleinere Abschnitte • Vorbereitung des Lesetextes im Vorfeld der Unterrichtsstunde (F) • Austausch über den passenden Lesestil 3. Soziale und affektive Lesestrategien/ Stützstrategien • Adressieren der Lehrkraft • Einbezug von Mitschüler: innen • Lesen in Bewegung (‚flanieren‘) • Pausen während des Lesens / aktive Pausengestaltung • Nutzen eines separaten Raumes (S) • Arbeit mit Kopfhörern (Noise-Cancelling-Funktion) (S) Lesestrategien im inklusiven Französisch- und Spanischunterricht 51 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0019 4.2 Diskussion ausgewählter Typen von Lesestrategien Auf der Ebene der kognitiven Lesestrategien entfaltete sich ein sehr differenziertes Repertoire individueller Handlungsweisen im Umgang mit Lesetexten, das sich auf unterschiedliche Teilaspekte eines weiten Begriffes von Lesekompetenz im Fremdsprachenunterricht bezieht (vgl. R OSEBROCK 2008: 177). So besteht ein zentraler Befund der erhobenen Daten darin, dass im vergleichsweise spät einsetzenden Unterricht der zweiten Fremdsprachen (≥ 7. Klasse) hierarchieniedrige Leseprozesse überhaupt explizit adressiert werden (vgl. Kat. 1.1). Eine konkrete Strategie der Lernenden bestand in der Nutzung von Hilfsmitteln zur Unterstützung der visuellen Orientierung im Text, z.B. in Form von Leseschablonen, die Textpassagen verdecken, die nicht im Fokus des Rezeptionsprozesses stehen und Leser: innen dazu verhelfen können, die relevante Zeile im Text nicht zu verlieren. Zudem wurden basale Leseprozesse anhand von begleitenden Tondokumenten bzw. Vorlesestiften unterstützt, die die schriftliche Präsentation insbesondere längerer Lesetexte im Spanischunterricht auf auditiver Ebene ergänzten. Eine wichtige Rolle nahmen zwei weitere Maßnahmen ein, die - in Abgrenzung zu den zuvor beschriebenen Strategien - jedoch maßgeblich von den jeweiligen Französischbzw. Spanischlehrkräften initiiert bzw. umgesetzt wurden: Zum einen wurden Arbeitsmaterialien durch die Lehrkräfte visuell modifiziert (z.B. indem eine serifenfreie Schriftart gewählt, die Schrift vergrößert und der Zeilenabstand erhöht wurde), zum anderen wurde in einigen Fällen die Textmenge im Sinne einer quantitativen Differenzierung reduziert. Dies hatte - im Gegensatz zu der rein visuellen Modifikation von Arbeitsmaterial - jedoch inhaltliche Konsequenzen für die Textarbeit, beispielsweise indem Passagen eines Sachtextes zum Thema „Immigration en France“ (FG2) gekürzt und so statistische Details zur aktuellen Innenpolitik Frankreichs nicht präsentiert wurden. Gerade im Kontext eines lernzielgleichen Französisch- und Spanischunterrichts weist dieser Ansatz deutliche Grenzen auf und wurde von der Lehrkraft um weitere Differenzierungsmaßnahmen ergänzt, die auf eine Unterstützung der Weiterarbeit an zunächst nicht präsentierten Passagen des Lesetextes abzielten (z.B. in Form von Annotationen des unbekannten Vokabulars). Hinsichtlich der inhaltlichen Texterschließung und des Umgangs mit unbekanntem Vokabular kamen vorrangig Lesestrategien zum Einsatz, die aus der fremdsprachlichen Lesedidaktik auch außerhalb von inklusiven Unterrichtssettings bekannt sind (im Überblick z.B. B IMMEL 2002: 120f.), so z.B. das Markieren relevanter Textstellen oder die Formulierung von Zwischenüberschriften bzw. von Hypothesen zu unbekanntem Vokabular. Analog zu dem quantitativen Differenzierungsansatz der Reduktion der Textmenge zeigte sich im Bereich der inhaltlichen Textarbeit eine Lesestrategie, die in der Streichung weniger relevanter oder unbekannter Wörter in Lesetexten durch die Lernenden bestand. Entscheidend ist hier, dass die Schüler: innen in selbstständiger Auseinandersetzung mit dem Lesetext eine Priorisierung inhaltlicher wurde, ist dies in Klammern mit (F) oder (S) angegeben. 52 Sophie Engelen DOI 10.24053/ FLuL-2024-0019 53 • Heft 2 Aspekte vornehmen und so aktiv zu einer Bildung von ‚Verstehensinseln‘ beitragen, also kleinere Sinneinheiten, die bereits verstanden werden, hervorheben. Darüber hinaus stellten die Streichungen innerhalb der Lesetexte die Basis für anschließende Unterrichtsgespräche dar, die lexikalische und grammatische Strukturen in den Fokus rückten (SG1). Zudem kam im Spanischunterricht (SG3) eine ähnliche Lesestrategie, die lectura tricolor, zum Einsatz: Die Schüler: innen markierten Passagen in Lesetexten hinsichtlich ihrer Verständlichkeit in den Ampelfarben (rot, gelb, grün), wodurch sowohl eine Reflexion individueller Verstehensprozesse auf metakognitiver Ebene angeregt als auch den Lehrkräften eine Einschätzung des individuellen Unterstützungsbedarfes in der jeweiligen Unterrichtssituation erleichtert wurde. Während in den meisten Bundesländern die Fertigkeit des Vorlesens nicht (mehr) in fremdsprachliche Curricula implementiert ist und auch keine Erwähnung in den überarbeiteten Bildungsstandards für die erste Fremdsprache findet (vgl. KMK 2023), zeigte sich in den erhobenen Daten für den inklusiven Französischunterricht, dass Vorlesen dort als separater Kompetenzbereich adressiert wird (vgl. die Befunde in E NGELEN 2023: 267-269). Auch im fortgeschrittenen Französischunterricht kamen weiterhin Lesestrategien zum Einsatz, die auf die Veranschaulichung und Verdeutlichung von Phonem-Graphem-Relationen abzielten (z.B. in Form von erklärenden Lautkarten oder der Nutzung einer individuellen Lautschrift, die sich nicht an den Normen des Internationalen Phonetischen Alphabets orientiert). Im Spanischunterricht war dies hingegen nicht zu beobachten; dennoch konnten entsprechende Unterrichtssituationen auch von Lernenden mit LRS angemessen bewältigt werden. Aus linguistischer Perspektive liegt nahe, dass dieser Befund mit der höheren Transparenz der spanischen Sprache zusammenhängt, die Lernenden die Etablierung von Laut- Buchstaben-Beziehungen erleichtert und in weiterer Folge den Erwerb basaler Lesekompetenzen beschleunigt (vgl. C ARAVOLAS et al. 2013: 1399). Hinsichtlich des Einsatzes metakognitiver Lesestrategien im Französisch- und Spanischunterricht zeigte sich ein weniger umfangreiches Repertoire als im Fall der kognitiven Lesestrategien; jedoch kamen die metakognitiven Lesestrategien in zentralen Unterrichtssituationen zur Geltung, die für die weitere Bearbeitung komplexer Leseaufträge richtungsweisend waren. Dies gilt insbesondere für den kooperativen Austausch über den passenden Lesestil in Lesetandems sowie die individuelle Vorbereitung von Leseaufträgen bereits im Vorfeld der Unterrichtsstunden, die zwei Lernende mit LRS für den Französischunterricht leisteten (FG1), damit ihnen eine Partizipation an der folgenden Unterrichtsstunde möglich wurde. Jedoch ließen Einträge in die Lerntagebücher darauf schließen, dass diese Unterstützungsmaßnahme in hohem Maße von einem häuslichen Umfeld abhing, das bereit und in der Lage war, sich kürzeren Texten in Französischlehrwerken zuzuwenden (z.B. „Meine Mutter und ich gucken dann zusammen schonmal den Text an und gucken, was ich vielleicht gar nicht lesen kann oder verstehe“, FG1: S14). Auf der Ebene der sozialen und emotionalen Lesestrategien wurde deutlich, dass diese im Französisch- und Spanischunterricht keineswegs eine untergeordnete Rolle spielten, Lernende aber je nach individuellem Unterstützungsbedarf in sehr unter- Lesestrategien im inklusiven Französisch- und Spanischunterricht 53 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0019 schiedlicher Weise auf sie zurückgriffen. Während fünf Schüler: innen mit LRS in drei Lerngruppen (FG1, SG3, SG4) primär externe, soziale Strategien einsetzten und häufig ihre Lehrkraft oder Mitschüler: innen insbesondere im lexikalischen Bereich um Rat fragten oder um Korrektur von Leseverstehensaufgaben baten, wendeten Lernende mit ADHS, aber auch Schüler: innen ohne diagnostizierten Förderbedarf, in unterschiedlichen Formen die Methode ‚Lesen in Bewegung‘ an: Während einige Lernende beim Gespräch über Lektüreinhalte im Klassenraum bzw. auf dem Flur umhergingen (FG1), verbanden andere Schüler: innen (SG2) ihre Bewegungen mit inhaltlichen Aspekten der Textarbeit, z.B. indem sie die Richtung wechselten, wenn sie auf unbekannte sprachliche Strukturen trafen. Andere Stützstrategien wie die Nutzung eines separaten Raumes und die Arbeit mit Kopfhörern mit Geräuschunterdrückung in stillen Lesephasen wurden von einem Schüler mit ASS angewandt (SG4: S3), wobei ihm eine Schulbegleiterin auch im Spanischunterricht zur Seite stand und organisatorische Aspekte wie beispielsweise die Verfügbarkeit von Räumlichkeiten klären konnte. Hinsichtlich der Rückbindung der eingesetzten Lesestrategien an verschiedene Lesephasen wurde deutlich, dass metakognitive Strategien in den beobachteten Unterrichtskontexten ausschließlich in der Phase der pre-reading activities (vgl. H UDSON 2010: 108) zum Einsatz kamen, während kognitive, affektive und soziale Lesestrategien zu allen Zeitpunkten der Leseprozesse relevant erschienen. Insbesondere im Bereich der „Anschlusskommunikation“ (R OSEBROCK 2008: 177) zu Lektüreaufträgen entfaltete sich die hohe Relevanz sozialer Lesestrategien, einerseits indem Schüler: innen die Inhalte der Lesetexte bzw. Funktionen der Textsorten reflektierten, andererseits indem sie sich über das Gelingen und Scheitern ihrer Leseprozesse austauschten, was teils im Rahmen der Lerntagebücher teils plakativ in Form eines Ampelsystems oder anhand einer Schätzung auf einer Skala von 1-10 erfolgte. Ein wesentlicher Auslöser für die hohe Strategievielfalt in den analysierten Datensätzen bestand darin, dass die Lernenden in den jeweiligen Unterrichtskontexten in hohem Maße selbst darüber entscheiden konnten, wann sie welche Lesestrategien einsetzen möchten. Dies wurde beispielsweise angebahnt, indem in der Phase der Lektürevorbereitung das weitere Vorgehen reflektiert wurde oder Strategiekärtchen im Klassenraum auslagen, die verschiedene Lesestrategien in Erinnerung riefen und auf die Lernende während der Aufgabenbearbeitung zurückgreifen konnten. Zudem spielte im Fall der Lerngruppen FG1 und SG3 eine wichtige Rolle, dass diese zu Beginn der Sekundarstufe I einen Förderkurs besuchten, der den Einsatz von Lernstrategien fächerübergreifend anregt; für FG2 und SG4 konnte herausgearbeitet werden, dass die Lernenden im Verlauf der vier Lernjahre bereits eine große Routine im Umgang mit Lesestrategien entwickelt hatten und Transferleistungen aus dem Englischunterricht erfolgten. Darauf wiesen ebenfalls die Reflexionen der Schüler: innen in ihren Lerntagebüchern hin: „Ich habe wie immer *ersmal den Text überflogen, um zu gucken, was ich gar nicht verstehe“ (SG3: S1) oder „Wir überlegen dann halt, was wir im Englischen machen um so einen Text zu lesen“ (FG1: S16). An diesen Punkten zeigen sich wesentliche Merkmale einer bereits in der Sekundarstufe I entwickelten Sprachlernkompetenz, die sich unter anderem in dem Rückgriff auf ein „potenzielles 54 Sophie Engelen DOI 10.24053/ FLuL-2024-0019 53 • Heft 2 mehrsprachiges Wissen wie auch auf individuelle Sprachlernerfahrungen“ (KMK 2023: 24) zeigen kann. 5. Fazit und Ausblick Ein inklusiver Fremdsprachenunterricht, der sich die Förderung von Leseprozessen zum Ziel setzt, entwickelt nicht nur kognitive und metakognitive Lesestrategien, sondern auch Strategien im Bereich basaler Lesefertigkeiten sowie soziale und emotionale Stützstrategien in kompensatorischer Funktion, die dem Einsatz von Vermeidungsstrategien bei der Auseinandersetzung mit Schriftsprache entgegenwirken. In all diesen Bereichen zeigte sich eine beeindruckende Strategievielfalt seitens der Lernenden, die deutlich macht, dass Lesestrategien nicht nur ein theoretisches Konstrukt der Fremdsprachenforschung, sondern reale Schüler: innenhandlungen im Französisch- und Spanischunterricht darstellen, die sich bereits in der Sekundarstufe I und somit auf eher niedrigen Niveaustufen entfalten können. Dennoch weist die globale Analyse des Strategierepertoires im Kompetenzbereich des Lesens starke Einschränkungen auf: Das gewählte Forschungsdesign lässt keine systematischen Rückschlüsse darauf zu, wie sich die von den Lernenden gewählten Lesestrategien auf einen potentiell messbaren Lernerfolg auswirken, d.h., inwieweit die jeweiligen Strategien effizienter wirkten als andere methodische Ansätze - auch wenn verschiedene Datentypen kombiniert und sowohl die Sicht der Schüler: innen in Form der Lerntagebücher bzw. die Außensicht bei der Unterrichtsbeobachtung als auch die Auswertung der Unterrichtsaufzeichnungen trianguliert wurde. Zudem hätten introspektive Methoden wie z.B. das Laute Denken noch differenziertere Einsichten in Leseprozesse, besonders schwierigkeitsbesetzte Momente bei der Lektüre fremdsprachlicher Texte sowie Lösungsperspektiven eröffnen können. Umso deutlicher wurde jedoch, dass das individuelle Verfügen über Lesestrategien Lernende zu einer Partizipation am Unterricht der zweiten Fremdsprachen ermächtigt hat und somit eine zentrale Forderung der überarbeiteten Bildungsstandards eingelöst wurde, nach der Schüler: innen Lernstrategien „selbstständig aktivieren [bzw.] nutzen“ (vgl. KMK 2023: 12, 16) können. Denn in den ausgewerteten Datensätzen wurden keine Vermeidungsstrategien identifiziert, die in anderen Studienkontexten sehr präsent waren und manche Lernenden mit LRS daran hinderten, überhaupt eine aktive Auseinandersetzung mit Lese- (und Schreib-)aufträgen einzugehen (vgl. E NGELEN 2023: 170-173). In der sukzessiven Übergabe von Verantwortung für eigene Lernprozesse an die Lernenden - beispielsweise in Form von Strategietrainings - liegt ein großes Potential für die inklusive Unterrichtsentwicklung und auch die perspektivische Entlastung von Lehrkräften. Bis Schüler: innen über ein umfangreiches Strategierepertoire verfügen und flexibel darauf zurückgreifen können, ist jedoch ein langer Weg zu gehen - darauf wies auch der höhere Unterstützungsbedarf in den jüngeren Lerngruppen FG1 und SG3 hin. Dies betrifft insbesondere die Entwicklung der „Sprachlernkompetenz“ (vgl. KMK 2023: 24), die in den Bildungsstandards bereits seit 2012 explizit verankert ist Lesestrategien im inklusiven Französisch- und Spanischunterricht 55 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0019 und die insbesondere im Fall der zweiten Fremdsprachen fachübergreifend angebahnt werden kann (vgl. ebd.: 24f.). Darauf weisen auch die Erhebungskontexte der vorliegenden Daten hin: In den Kooperationsschulen der Studie wurde zum einen eine intensive Zusammenarbeit zwischen den (fremd)sprachlichen Fachgruppen gepflegt; zum anderen bestand für die Lernenden die Möglichkeit, an Lerncoachings teilzunehmen, die sich verschiedenen Lernausgangslagen und der Vermittlung von Lernstrategien individuell widmeten. Diese Ansätze werden einem ressourcenorientierten Verständnis von Neurodiversität gerecht, das sich gerade in der Stärkung individueller Lösungsansätze und der Ermächtigung von Lernenden entfaltet, eigene Lernbzw. Lesestrategien zu entwickeln, gezielt einzusetzen und zu reflektieren. Jedoch hängt die Umsetzbarkeit derartiger Fördermaßnahmen in hohem Maße von zeitlichen, räumlichen und insbesondere personellen Ressourcen ab, auf die in inklusiven Lehr-Lernsettings nicht immer in ausreichender Weise zurückgegriffen werden kann. Die vorliegenden Befunde dürften weitere Argumente dafür liefern, wie ertragreich die Investition in Förderansätze zur Entwicklung von Lese- und Schreibkompetenzen auch in den fremdsprachlichen Fächern sein kann. Literatur A LEXANDER -P ASSE , Neil (2006): „How dyslexic teenagers cope: An investigation of self-esteem, coping and depression“. In: Dyslexia 12.4, 256-275. B ACHMANN , Thomas / B ECKER -M ROTZEK , Michael (2017): „Schreibkompetenz und Textproduktion modellieren“. In: B ECKER -M ROTZEK , Michael / G RABOWSKI , Joachim / S TEINHOFF , Torsten (Hrsg.): Forschungshandbuch empirische Schreibdidaktik. Münster: Waxmann, 25-54. B IMMEL , Peter (2002): „Strategisch lesen lernen in der Fremdsprache“. In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 13.1, 113-141. 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Developmental language disorder und Neurodiversität Ausgehend von einer wissenschaftlichen Perspektive auf Neurodiversität als Variation der neuronalen Informationsverarbeitung (A XBEY et al. 2023) ist es verwunderlich, dass Sprachenwicklungsstörungen (developmental language disorders, DLD) erst seit einigen Jahren systematisch als neurokognitive Varianten diskutiert und aus neurodiversitätsbejahender Perspektive erforscht werden (H OBSON / T OSEEB / G IBSON 2024). DLD sind häufig und bleiben oft unerkannt (u.a. B RYAN et al. 2015). Die Störung äußert sich in expressiven und rezeptiven sprachlichen Bereichen, ohne dass die sprachlich-kommunikativen Auffälligkeiten auf eine andere primäre Beeinträchtigung zurückgeführt werden können. Schüler*innen (S*S) mit DLD zeigen gegenüber (neurotypischen) altersgleichen S*S ohne DLD eine quantitativ und qualitativ abweichende Sprachentwicklung (u.a. L EONARD 2014). Ausprägungen von DLD variieren sprachabhängig. Langanhaltende Abweichungen treten charakteristischerweise besonders in der Morphosyntax und der Phonologie auf. DLD beeinflusst den individuellen Bildungs- und Entwicklungsweg, da sich S*S mit DLD frühzeitig effektive Vermeidungsstrategien zunutze machen, die sie in spontan- und alltagssprachlichen Kontexten kaum auffallen lassen (u.a. C ALDER et al. 2022). Mit ansteigenden schuli- * Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Solveig C HILLA , Fakultät II, Institut für Sonderpädagogik, Auf dem Campus 1, D-24943 F LENSBURG E-Mail: solveig.chilla@uni-flensburg.de Arbeitsbereiche: Sprachliche Heterogenität und Inklusion, Inklusiv-Digitale Sprachenbildung 58 Solveig Chilla DOI 10.24053/ FLuL-2024-0020 53 • Heft 2 schen Anforderungen an fachsprachliche Inhalte wirkt sich dann DLD oft indirekt durch (schulische) Verhaltensauffälligkeiten, problematische Peer- und Freundschaftsbeziehungen, sowie ein erhöhtes Risiko für Depressionen und Angststörungen aus. Die negativen Langzeiteffekte von DLD für den Bildungserfolg, die Sozialisation und die beruflichen Perspektiven sind massiv (u.a. C ONTI -R AMSDEN et al. 2019). Trotz der im Vergleich zu beispielsweise Autismus hohen Prävalenz (ca. >1% für Autismus; Z EIDAN et al. 2022; vs. ca. 7,58% für DLD) und der umfassenden Forschungslage wird DLD erst seit einem Jahrzehnt aktiv partizipatorisch betrachtet und erforscht (u.a. J ANIK B LASKOVA / G IBSON 2021; L YONS et al. 2022; ). Selbstberichte von Erwachsenen mit DLD (u.a. O RREGO / M C G REGOR / R EYES 2023) und biografische Forschungsbemühungen können in diesem Zusammenhang zukünftig als wichtige Grundlage für die Gestaltung inklusiver Bildungsprozesse wirken. 2. Forced displacement, Mehrsprachigkeit und developmental language disorder Ungefähr 21 % der Kinder und Jugendlichen bis zu einem Lebensalter von 14 Jahren sprechen in der Familie vorrangig eine andere Sprache als Deutsch (S TATISTISCHES B UNDESAMT 2023), bei Kindern mit Migrationshintergrund sind es ca. 39 % und 23 %, die zuhause mehrere Sprachen sprechen (G EIS -T HÖNE 2022). Für viele neurotypische und neurodivergente Schüler*innen mit Zuwanderungsgeschichte beginnt systematischer Sprachkontakt mit der deutschen Sprache (DaZ- Erwerb) in der Schule bzw. in organisierten Sprachkursen oder Vorbereitungsklassen. S*S mit forced-displacement-Biografie (erzwungener Migration) als besonders vulnerable Gruppe von DaZ-Lernenden im (deutschen) Schulsystem sind einzigartigen Risikofaktoren ausgesetzt, die negative Auswirkungen auf ihre „Gesamtentwicklung, einschließlich Sprachentwicklung“ (P ARADIS et al. 2022: 2) haben können. Zu letzteren gehören unterbrochene Schulbildung und Faktoren, die das sozio-emotionale Wohlbefinden beeinträchtigen, wie z. B. Gewalterfahrungen, Armut, häufige Übergänge, Trauma und Schwierigkeiten bei der Anpassung an das neue Schulsystem sowie an das sprachliche und kulturelle Umfeld (u.a. F RANCK / D ELAGE 2022; P ARADIS et al. 2022). Im Kontext kindlicher Mehrsprachigkeit haben sich die Variablen systematischer Kontakt mit der L2 (age of onset: AoO) und die Kontaktdauer zur Zweitsprache (Deutsch) (LoE: length of exposure) als bedeutsam für die Erfassung und Beschreibung individueller Erwerbsverläufe im DaZ-Erwerb erwiesen (u.a. P ARADIS et al. 2022). Doch auch nach vielen Jahren der Forschung gibt es keine „typische“ bilinguale Entwicklung. Studien zeigen, dass neurotypische sukzessiv zweisprachige S*S in ihrer Sprachperformanz hinter monolinguale oder in Deutschland aufgewachsene bilinguale Gleichaltrige zurückfallen können. Diese Sprachauffälligkeiten Mehrsprachiger führen in der frühen Schulzeit oft zu Fehldiagnosen von Sprachentwicklungsstörungen (u.a. C HILLA 2008; H ERTEL / C HILLA / A BED I BRAHIM 2022; R OTHWEILER Neurodiversität und diverse learning needs 59 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0020 2006; V OET C ORNELLI / S CHULZ / T RACY 2013). Studien zu DLD, die den mehrsprachigen Erwerb mit den Ausprägungen von Spracherwerbsstörungen vergleichen, illustrieren eine weitere diagnostische Hürde: Sprachbereiche, in denen DaZ-bedingte Abweichungen bei S*S mit einem DaZ-Erwerbsbeginn nach fünf Lebensjahren in der Spontansprache auffallen, überschneiden sich in bestimmten Entwicklungsphasen mit den störungsbedingten Ausprägungen von DLD. Dies zeigt sich insbesondere in der deutschen Morphosyntax, indem im DaZ-Erwerb und von Kindern mit DLD Abweichungen produziert werden, die oberflächlich ähnlich, linguistisch und ursächlich aber unterschiedlich zu interpretieren sind (u.a. C HILLA 2008; R OTHWEILER 2006). Daher können bis heute die Ausprägungen von DLD im Deutschen von den Übergangsphänomenen im DaZ-Erwerb noch nicht eindeutig abgegrenzt werden (u.a. C HILLA / H AMANN 2021). Eine Diagnose DLD bei Mehrsprachigen (bilingual DLD, biDLD), und speziell bei Mehrsprachigen mit einer forced-displacement-Biografie, fordert die Wissenschaft heraus (vgl. zusammenfassend A RMON -L OTEM / G ROHMANN 2021; A RMON - L OTEM / J ONG / M EIER 2015), denn auch Mehrsprachige sind von DLD betroffen. Öfter noch als einsprachige Schüler*innen bleiben mehrsprachige S*S mit DLD unerkannt oder werden fehldiagnostiziert, da ihre sprachlich-kommunikativen Einschränkungen lediglich als Übergangsphänomene im DaZ-Erwerb gewertet werden. Darüber hinaus belegen etliche Studien, dass beispielsweise monolingual-normierte Wortschatztests, die nur eine Sprache des Kindes berücksichtigen, mehrsprachige Kinder benachteiligen (u.a. M ONTANARI / A KINCI / A BEL 2019). Unstrittig ist, dass die Diagnostik von DLD bei Mehrsprachigen nur bedingt möglich ist (u.a. C HILLA 2008; R OTHWEILER 2006). Es fehlt an Verfahren für die Diagnose von DLD bei S*S über acht Lebensjahren, wie auch an Tests, die für mehrsprachige Populationen mit unterschiedlichem Erwerbsalter und unterschiedlich langer Kontaktdauer zum Deutschen geeignet sind. Dies liegt nicht zuletzt an der sprachlichen Heterogenität der „Gruppe“ von (typisch entwickelten) mehrsprachigen Kindern (u.a. C HILLA / K RUPP / W ULFF 2019) und daran, dass sich DLD interindividuell ausprägt (L EONARD 2014). Es wird deutlich, dass Lehrende im DaZ/ DaF-Unterricht heterogene sprachlichkommunikative Lernausgangslagen ihrer neurodivergenten und neurotypischen Schüler*innen im Klassenzimmer annehmen müssen, die oft unentdeckt, undiagnostiziert oder unkommuniziert sind. Auf Basis der folgenden Analysen wird diskutiert, dass über einen individualisierten Zugang zu den Sprachprofilen und den diverse learning needs (DLN, s. Abschnitt 4) der S*S didaktisch-methodische Zugänge an der Schnittstelle zwischen Fremdsprachdidaktik und Pädagogik bei Beeinträchtigung von Sprache und Kommunikation gefunden werden können, die den Lehr-/ Lernbedürfnissen im inklusiven DaZ-Unterricht gerecht werden. 60 Solveig Chilla DOI 10.24053/ FLuL-2024-0020 53 • Heft 2 3. Mehrsprachigkeit und DLD bei Schüler*innen: Hürden und Chancen der Diagnostik Es ist zu betonen, dass Mehrsprachigkeit der neurotypischen Variabilität entspricht. Doch ist der Sprach(en)erwerb von S*S mit forced-displacement-Biografie (refugee Kinder und Jugendliche) bisher nur unzureichend und in Ansätzen systematisch beschrieben und erforscht. Erste internationale Studien mit S*S, welche ab dem Alter von sechs Jahren mit ihrem DaZ-Erwerb beginnen, liefern wertvolle Erkenntnisse auf der Ebene von Phonologie, Morphosyntax, Lexikon sowie Erzählfähigkeiten (u.a. C HILLA 2022; H AMANN et al. 2020; S EURING / W ILL 2022). Dabei sind die Erhebung von Sprachdaten wie die Modellierung des Sprachenerwerbs bei diesen S*S im Vergleich zu altersgleichen mono- und bilingualen peers erschwert: Zusätzlich zu den gut dokumentierten Quellen individueller Variation bei bilingualen Kindern, wie AoO zur L2 und quantitativen und qualitativen Aspekten des Sprachinputs, sind fluchtbiografische Faktoren bei der Beschreibung und Interpretation von Sprachleistungen zu berücksichtigen. Erste systematische Studien zum DaZ-Erwerb von S*S mit einer forced-displacement-Biografie (AoO im Alter > 6; 0) bestätigen: Die Sprachleistungen und die Sprachenerwerbsbedingungen der neu zugewanderten Schüler*innen im Vergleich zu Monolingualen sind heterogen (vgl. H ERTEL / C HILLA / A BED I BRAHIM 2022). Weiter zeigen die Auswertungen, dass mehrsprachige S*S mit forced-displacement- Biografie aufgrund ihrer späteren AoO (> 6 Lebensjahre) von ihrem zuvor erworbenen Sprachenwissen, ihren Lese- und Schreibfähigkeiten und ihrer phonologischen und morphologische Bewusstheit profitieren, wenn sie DaZ erwerben. Die bereits entwickelten kognitiven Ressourcen (Arbeitsgedächtnis und analytisches Denkvermögen) könnten so den Erwerb bestimmter sprachlicher Phänomene in der L2, wie z. B. komplexe syntaktische Konstruktionen, erleichtern. Alle bisherigen systematischen Studien zum DaZ-Erwerb bei refugees (ebd.) untermauern die Erkenntnis, dass eine Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs (SPF) bei DaZ-S*S mit einem AoO über sechs Lebensjahren mindestens bis zu zwei Jahre nach dem systematischen Beginn des DaZ-Erwerbs in der Schule nicht möglich ist - auch wenn z.T. Schulämter in manchen Bundesländern dieses explizit empfehlen (s. z.B. H ÄNDELER et al. 2022). In zwei Forschungsprojekten (H AMANN / T ULLER / C HILLA / R OTHWEILER 2013- 2016; C HILLA / H AMANN 2017-2020) wurde der DaZ-Erwerb von über 80 mehrsprachigen Kindern und Jugendlichen mit und ohne DLD (L1 Portugiesisch, Türkisch, arabische Varietäten) systematisch erforscht. Diese Analyse nutzt Daten von zwölf S*S mit einer forced-displacement-Biografie, die DaZ erwerben (hier: refugee) und Sprachdaten von sieben Schüler*innen mit DLD im Alter von sieben bis 13 Jahren. Alle DaZ-S*S hatten mindestens 24 Monate Kontakt mit dem Deutschen und wurden seit mindestens zwei Jahren in Deutschland beschult. Die Gruppenzuweisungen zu refugee bzw. DLD wurden mittels eines elaborierten Verfahrens vorgenommen (H AMANN / A BED I BRAHIM 2017; T ULLER et al. 2018; ). Es wird geprüft, (1) inwiefern sich die Sprachprofile von refugees und S*S mit DLD überschneiden, (2) worin Vorteile der Erhebung von Sprachdaten mit Verfahren, die spezifisch für in der Migration Neurodiversität und diverse learning needs 61 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0020 mehrsprachig aufwachsende S*S konzipiert wurden, liegen und (3) welche Erkenntnisse sich möglicherweise dennoch aus der Nutzung von Tests für den DaZ-Unterricht gewinnen lassen, wenn sie nicht zur Statusfestschreibung, sondern als Basis formativer Diagnostik genutzt werden. Variable refugee (n=12) DLD (n=7) Alter (in Jahren) 10; 6 (1; 6) 8; 5-13; 0 9; 7 (2; 1) 7; 6-13; 7 Erwerbsbeginn DaZ (AoO) (in Jahren) 6; 8 (2; 5) 5; 5-10; 0 2; 2 (0; 1) 0; 0-4; 9 Tab. 1: Proband*innenübersicht (Mittelwert, Standardabweichung, Spannweite) Der Gruppenvergleich offenbart ein ähnliches Durchschnittsalter von DLD-S*S (9; 7) und refugee-S*S (10; 6). Das Erwerbsalter (AoO) variiert mit einer Spannweite von bis zu über 2 Jahren. Der DaZ-Erwerbsbeginn liegt bei den refugee-S*S im Mittel bei 6; 8 Jahren. Die mehrsprachigen S*S erwerben folglich DaZ in der Institution Schule. Dass die Sprachleistungen auch dieser refugee-Schüler*innen nur bedingt mit standardisierten und in der Diagnostik von SPF etablierten Sprachstanderhebungsverfahren erhoben und im Sinne einer Statusdiagnostik gewinnbringend interpretiert werden können, zeigt Tabelle 2. Genutzt wurde ein Test für den rezeptiven und produktiven Wortschatz (WWT 6-10: G LÜCK 2011), ein Verfahren zur Erfassung rezeptiver Grammatikleistungen (TROG-D: F OX 2013), der LITMUS-MAIN (G AGARINA et al. 2012), ein Verfahren zur Erfassung der Erzählfähigkeiten bei mehrsprachigen Kindern und das Sprachscreening-Verfahren LiSe-DaZ (S CHULZ / T RACY 2011), welches für (simultan) bilinguale Schüler*innen normiert ist. Diagnostik Untertest refugee DLD Paarweise Vergleiche 1 Standardisierte Testverfahren (Z-Werte) N=12 N=7 LiSe-DaZ (Sprachverständnis) Negation 0.46 (1.06) -1.8-1 0.2 (0.6) -0.8-1 n.s. 1 Signifikanzniveau liegt bei <0.05. Da in jeder MAIN-Geschichte 3 Episoden enthalten sind, gibt es mehrere Gelegenheiten für die S*S, Story-Strukturkomponenten zu produzieren. Nach unserer Erfahrung produzieren nur sehr wenige S*S alle, und die meisten Erwachsenen erreichen ebenfalls keine 17 Punkte. Eine Punktzahl unter 17 ist nicht zwingend als eingeschränkte narrative Fähigkeit zu interpretieren. 62 Solveig Chilla DOI 10.24053/ FLuL-2024-0020 53 • Heft 2 Diagnostik Untertest refugee DLD Paarweise Vergleiche 1 LiSe-DaZ (Sprachverständnis) Verstehen von Verbbedeutung 0.17 (1.0) -2-1.9 -3.5 (1.3) -1.8-1.2 n.s. W-Fragen 0.2 (0.8) -1.8-0.7 -0.4 (1.3) -2-0.7 n.s. BUEGA (Erfassung von Teilleistungsstörungen) Expressive Sprache -1.3 (1.3) -2.7-0.9 -2.27 (0.5) -3- (-1.3) n.s. Lesezeit -1.4 (1.3) -2.8-1.1 -0.5 (0.5) -1.3-(-0.2) n.s. Lesegenauigkeit -1.8 (0.9) -2.8- (-0.2) -1.8 (0.8) -2.6-(-0.6 ) n.s. Schreiben -1.2 (1.3) -2.9-0.8 -2 (0.9) -3-(-0.7) n.s. WWT (Rezeptiver Wortschatz) - -1.8 (0.9) -3- (-0.4) -2.0 (1.3) -2 - 0.3 n.s. TROG (Grammatikverständnis) - -1.1 (2.2) -5-2.2 -1.4 (0.8) -2.7-0.0 n.s. Nicht-standardisiertes Testverfahren (Rohwerte) N=10 N=7 MAIN DOG Story (Narrative Fähigkeiten) Erzählstruktur (max. 17 Punkte) 7.0 (1.4) 5-10 7.2 (1.7) 5-9 n.s. Internal State Terms (keine max. Werte) 3.3 (1.2) 1-5 2.2 (0.9) 1-3 n.s. Verständnis (max. 10 Punkte) 9.3 (0.8) 8-10 6.5 (3.0) 4-10 <0.01 Tab. 2: Gruppenleistungen (nicht-)standardisierter Testverfahren mit paarweisen Vergleichen (Mittelwert, Standardabweichung, Spannweite) Weiter wurden schulbezogene Leistungen von sprachlich heterogenen S*S u.a. mit vier Untertests des BUEGA („Basisdiagnostik umschriebener Entwicklungsstörungen im Grundschulalter“; E SSER / W YSCHKON / B ALLASCHK 2008) erfasst. Der BUEGA erhebt relevante Teilleistungen wie (non-)verbale Intelligenz, expressive Sprache, Lesen, Rechtschreibung, Rechnen und Aufmerksamkeit. Aufgrund der kleinen Stichprobengröße wurden nicht-parametrische Tests mit anschließenden sequenziellen Post-hoc-Mehrfachvergleichskorrekturen gemäß Holm-Bonferroni-Verfahren durchgeführt, die konsistent mit den Mann-Whitney U- Tests zu nichtsignifikanten Gruppenunterschieden führten. Tabelle 2 veranschaulicht, Neurodiversität und diverse learning needs 63 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0020 dass sowohl die DLD-S*S als auch die refugee-S*S überwiegend im Risikobereich für Spracherwerbsstörungen liegen. Narrative Fähigkeiten (MAIN) sind im Bereich Verständnis signifikant unterschiedlich. Da es sich bei den Erhebungsinstrumenten um Testverfahren handelt, die nicht primär auf die sprachlichen Voraussetzungen von refugee-S*S zugeschnitten sind, erfolgte ein adaptiertes Auswertungs- und Interpretationsverfahren unter der Berücksichtigung der Sprachdominanz gemäß Elternfragebogen (Questionnaire for Parents of Bilingual Children, PaBiQ; vgl. T ULLER et al. 2018). Auch nach diesen mehrsprachigkeitssensiblen Anpassungen an Normwerte ähneln sich die Sprachleistungen beider Gruppen. Es können keine signifikanten Unterschiede errechnet werden. Für den DaZ-Unterricht interessant ist die Erkenntnis, dass die refugee-Schüler*innen z.T. deutliche Hürden im Verständnis zeigen, wenn sie mit dem Grammatiktest TROG-D gemessen werden (SD= -5 - 2.2). Die Ergebnisse des BUEGA (s. Abb. 1) mit je 7 Schüler*innen in jeder Gruppe illustrieren darüber hinaus deutlich, wie stark sich die Leistungen der refugee und DLD auch im Risikobereich des Lesens und des Schreibens überschneiden - eine große Gefahr für Fehldiagnosen. In keinem BUEGA-Subtest sind statistisch signifikante Unterschiede zwischen refugee und DLD vorhanden. Im Subtest Lesen ist die Varianz in der refugee- Gruppe hoch, und im Gruppenvergleich bestätigt sich wiederum, dass sich ihre Ergebnisse mit denen der S*S mit DLD überschneiden. Für den DaZ-Unterricht ist die große Streuung im Untertest Schreiben bedeutsam. Auch wenn der mittlere Z- Wert von refugees nur 0,4 Punkte unter dem der DLD-Schüler*innen liegt, lässt sich doch ein Potenzial der Schriftverwendung für refugees im DaZ-Unterricht ableiten. Um den evidenzbasierten Leerstellen in der Diagnostik Mehrsprachiger zu begegnen, wurden in europäischen Forschungsverbünden sprachübergreifende Verfahren Abb. 1: Gruppenvergleiche der BUEGA Untertests (standardisierte Z-Werte) mit festgelegtem Grenzwert (-1,5 SD) 64 Solveig Chilla DOI 10.24053/ FLuL-2024-0020 53 • Heft 2 entwickelt (sog. „Language Impairment Testing in Multilingual Settings (LITMUS)- Tools“; vgl. A RMON -L OTEM et al. 2015; A RMON -L OTEM / G ROHMANN 2021) und international erprobt. Mit einer Vielzahl von Proband*innen konnte für unterschiedliche Sprachenkonstellationen auf Basis eines differenzierten Forschungsdesigns nachgewiesen werden, dass u.a. ein Test zum Nachsprechen von Kunstwörtern (QU- NWRT: G RIMM 2022), der Rückschlüsse auf die phonologischen Fähigkeiten bilingualer Kinder erlaubt, ein besonders angemessenes Instrument für den bilingualen Kontext ist, und zwar auch für mehrsprachige Kinder mit kurzer Kontaktdauer zur L2 Deutsch. Auch der Test zum Nachsprechen von Sätzen für das Deutsche (LITMUS- SRT: H AMANN et al. 2013), der die morphosyntaktische Ebene mit Fokus auf syntaktische Komplexität überprüft, ist geeignet. Erprobt mit den S*S in dieser Studie zeigt sich: Mit den beiden für mehrsprachige Kinder entwickelten LITMUS-Sprachtests für das Deutsche können refugee und DLD differenziert werden. Mann-Whitney-U-Vergleiche zeigten signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen für den LITMUS- SRT (refugee vs. DLD: U = 17,0, p = 0,036, r = 0,333) sowie den LITMUS-NWRT (refugee vs. DLD: U = 2,00, p = 0,001, r = 0,442) mit mittleren Effektstärken. LITMUS-Testverfahren zeigen im Gegensatz zu standardisierten monolingualen Schulleistungstests wie BUEGA exzellente diagnostische Sensitivität und Spezifizität (u.a. A BED I BRAHIM / F EKETE 2019; C HILLA et al. 2021). Von Vorteil ist die Kombination mit dem o.g. international erprobten Elternfragebogen (ebd.). In der Summe geben die Analysen Grund zur Annahme, dass die vergleichbaren Performanzprofile in Sprachtests bei den refugee-S*S überwiegend auf externe Faktoren (z.B. DaZ-Inputbedingungen) zurückgeführt werden können. Hinweise darauf geben weitere Studien mit größeren Gruppen, die den Einfluss einer relativ kurzen DaZ-Kontaktzeit und des begrenzten DaZ-Lexikons zum Testzeitpunkt eingehender Abb. 2: Gruppenvergleiche des LITMUS-SRT (neue Version, bewertet nach Zielstruktur) und LITMUS-NWRT in Prozent (%) Neurodiversität und diverse learning needs 65 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0020 untersuchen (vgl. ausführlich H ERTEL / C HILLA / A BED I BRAHIM 2022). Im Gegensatz dazu liegen die Sprachleistungen der Schüler*innen mit Sprachentwicklungsstörungen vermutlich in neurologischer Diversität begründet, die sich in gegenüber neurotypischen Personen veränderten Sprachverarbeitungsprozessen äußern, aufgrund der schwierigen Diagnostik oft unerkannt bleiben und im Unterricht berücksichtigt werden sollten. 4. Förderung von neurodiversen und mehrsprachigen Schüler*innen mit diverse learning needs im inklusiven Deutschunterricht Der inklusive DaZ-/ DaF-Unterricht steht vor der Herausforderung anzuerkennen, dass sich in derselben Lerngruppe neurodivergente S*S mit DLD und S*S mit forceddisplacement-Biografie befinden können. Im Lichte der oben genannten Prävalenzrate von 7,58% aller Schulanfänger*innen sollten in jeder Durchschnittsklasse rein statistisch ca. zwei S*S mit DLD sein. So ist es sehr wahrscheinlich, dass Schüler*innen den DaZ-Unterricht in der Regelschule besuchen, die Deutsch als Zweit- und Fremdsprache unter den Bedingungen von (unerkannter) DLD erwerben. Der gemeinsamen unterrichtlichen Förderung und der Unterstützung des Spracherwerbs von neurotypischen Schüler*innen, die Deutsch als Zweitsprache (DaZ) unter den Bedingungen von forced displacement erwerben, und von neurodivergenten Schüler*innen, deren developmental language disorder den Deutscherwerb beeinflusst, kommt daher besondere Bedeutung zu. Denn die Sprachprofile der Schüler*innen mit DLD und bei DaZ-Lerner*innen, die ab dem Schuleintritt die Sprache der Mehrheitsgesellschaft als Zweitsprache erwerben, sind ähnlich (u.a. C HILLA 2008). Auch wenn die Ursachen der Lernbedürfnisse verschieden sind, ist gemeinsamer Unterricht möglich. So kann sich der DaZ-/ DaF-Unterricht den individuellen sprachlich-kommunikativen Ressourcen von Schüler*innen über das Konzept der diverse learning needs (DLN, C HILLA et al. 2024) annähern. Mit dem Konzept DLN wird das Bewusstsein für individuelle Voraussetzungen und Ressourcen für das Fremdsprachenlernen im Klassenzimmer geschärft. DLN als Ausdruck der heterogenen (sprachlichen) Lernausgangslagen und Lernbedürfnisse geht über inkonsistente Terminologie in Bezug auf Begriffe wie Inklusion, Neurodiversität oder ‚sonderpädagogischer Förderbedarf‘ (SPF) hinaus. DLN spiegeln Heterogenitätsdimensionen, wie z.B. Ausprägungsformen sozialer und gesellschaftlicher Ungleichheit (relative Armut, digital divide, familiäre Care Arbeit), neurokognitive Varianten wie Autismus oder developmental language disorder (DLD), körperliche Varianten, kulturelle Orientierung, sexuelle Orientierung, forced displacement usw., aber auch situationsbezogene Variablen, wie Konzentrationskapazität, akute Belastungssituationen oder Verfügbarkeit von Lehr- / Lernmitteln (ebd.) wider. Sie werden für den je aktuellen Lehr-/ Lerngegenstand und -kontext relevant. DLN umfasst daher verschiedene Hintergründe, Entwicklungsstadien, Fähigkeiten und Fertigkeiten, Identitäten sowie allgemeine physiologische und 66 Solveig Chilla DOI 10.24053/ FLuL-2024-0020 53 • Heft 2 psychologische Merkmale von Lernenden, die sich auf den konkreten Unterricht auswirken können, ohne dass ein globales personengebundenes und statisches Defizit (SPF) zugeschrieben wird. Das Neurodiversitäts-Paradigma und das Konstrukt DLN vereint daher der Anspruch, Ausdruck von Diversität zu sein. Beide finden ihre didaktische Verortung in der Grundannahme, dass verschiedene Ursachen, auch im Bereich Sprache und Kommunikation, zu gemeinsamen Ausprägungsformen individuellen Unterstützungsbedarfs führen können, denen sprachdidaktisch begegnet werden muss. Alle Schüler*innen profitieren von einer konsequenten Visualisierung und der Nutzung von Schrift, denn nicht alle Schüler*innen mit Spracherwerbsstörungen entwickeln auch automatisch Schriftspracherwerbsschwierigkeiten (O LIVEIRA / H ENDER - SON / H AYIOU -T HOMAS 2023). Allgemein profitieren S*S mit DLD von der gezielten Vermittlung von Lesestrategien (u.a. E HLERS 2020). Eine neue Untersuchung untermauert dies auch für arabischsprachigen Schüler*innen mit forced-displacement- Biografie (D E LAS H ERAS et al. 2022). Insbesondere die Schlüsselwort-Strategie und die durch Schrift unterstütze Wortschatz- und Textarbeit mit der Vermittlung unterschiedlicher Lese-, Speicher- und Abrufstrategien (vgl. A PELTAUER 2020) sind geeignet, allen Schüler*innen in einem inklusiven DaZ-Unterricht gerecht zu werden (für DLD vgl. M AYER / M ARKS 2020). Dabei ist es wichtig, morphologische Regeln explizit zu vermitteln. So hat sich beispielsweise bei syrischen refugees, welche Englisch als L2 erwerben, gezeigt, dass sie über die gezielte metasprachliche Reflexion lernen können, wie man Morphologie nutzen kann, um auch morphologisch komplexe Wörter im Englischen zu lesen (G OTTARDO et al. 2020). Auch zeigen die Ergebnisse der LITMUS-NWRT Erhebung (s. Abb. 2), dass die durchschnittlichen phonologischen Arbeitsgedächtnisleistungen bei neurotypischen DaZ-Lernerinnen besser sind als bei neurodivergenten Schüler*innen mit DLD. Folglich hält Schrift für refugees ein hohes unterrichtliches Unterstützungspotenzial bereit, und dies trotz des begrenzten Wortschatzes im Deutschen. Insgesamt bietet eine inklusive und an den kognitiven und sprachlichen Potenzialen der neurodivergenten und neurotypischen Schüler*innen orientierte Perspektive auf diverse learning needs eine gute Orientierung für einen neurodiversitätsbejahenden DaZ-Unterricht. Die gezielte Kombination sprachdidaktisch fundierter (vgl. C HILLA 2019) Methoden aus dem DaZ-Unterricht und der Pädagogik bei Beeinträchtigung von Sprache und Kommunikation können dazu beitragen, den sprachlich-kommunikativen Lernausgangslagen individualisiert zu begegnen. Literatur A BED I BRAHIM , Lina / F EKETE , István (2019): „What machine learning can tell us about the role of language dominance in the diagnostic accuracy of German LITMUS non-word and sentence repetition tasks“. In: Frontiers in Psychology 9, 27-57. 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Manche Leute, die neurotypisch sind, denken, dass ich wegen meiner Beeinträchtigung nicht so gut und flüssig Englisch lernen kann. Aber meine Beeinträchtigung sieht man bei mir nicht so richtig an. Ich bin so fähig, mich zu überwinden, Englisch zu lernen. Es heißt nicht, ob ich es gemocht habe oder nicht. Ich habe es gemacht, weil ich nicht nur Deutsch schon spreche sondern auch im Ausland zurechtkommen sollte, um irgendwann mal alleine nach England zu kommen. (...) Ich und meine Eltern haben den Ehrgeiz, Englisch zu lernen. Meine Eltern haben mich so gefördert. Da gab es keine Auseinandersetzung, um nicht Englisch zu lernen. Wir kennen es nicht anders. Frage: Gibt es Situationen aus dem Englischunterricht, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind? Positive oder negative Situationen? Jil-Marie Zilske: Teilweise positiv teilweise auch negativ. Die Situation war so. Die Hauptschule war vorher keine inklusive Hauptschule und deswegen hatten die nicht eine Ahnung auf Englischunterricht und haben mich ganz anders eingestuft als wir es * Jil-Marie Z ILSKE ist Bildungsfachkraft an der TH Köln, wo sie u.a. Lehre zum Themenbereich Inklusion anbietet. Sie versteht sich als „Incluencer“, als Influencerin mit Fokus auf Inklusion und ist regelmäßig in den Medien zu sehen, etwa in den WDR Dokumentationen „Marie will alles“ und „Von der Behindertenwerkstatt in den Hörsaal“. Das Interview wurde in asynchroner Schriftform geführt, die Fragen stellten die Heft-Koordinator*innen. 72 Jil-Marie Zilske DOI 10.24053/ FLuL-2024-0021 53 • Heft 2 erwartet haben. Ich musste runtergestuft werden auf Englisch Grundkurs und wir wollten es so nicht. Für mich war die Situation nicht so schön. Frage: Wo haben Sie außerhalb der Schule Englisch gelernt? Jil-Marie Zilske: Ich habe schon früher zu Hause viel Englisch gesprochen und gelesen. Und ich war mit der gesamten Musikschule Leichlingen in England, dort war ich in der Stadt Henley-on-Thames und hatte noch ziemlich frisch Klarinette gespielt. Die Familie, wo ich eingeteilt wurde, war eine deutsch- und englischsprachige Familie, wo ich Schritt für Schritt mich mehr getraut habe viel zu sagen. Nur viele Wörter waren für mich zu schwierig wahrzunehmen und zu verstehen und ich musste es erstmal auf Deutsch übersetzen lassen. Frage: Finden Sie Englisch schwer? Was an Englisch fällt Ihnen schwer? Jil-Marie Zilske: Mir fällt es schwer Englischvokabeln auswendig zu lernen und zu behalten. Frage: Was an Englisch fällt Ihnen leicht? Jil-Marie Zilske: Mir fällt es leicht mündlich auf Englisch zu reden außer die Sätze oder auch die Wörter sind zu schwer. Frage: Was sind Ihre besten Lerntipps für alle, die gerne Englisch lernen wollen? Jil-Marie Zilske: Es ist super wichtig, dass die Kinder frühzeitig Englisch lernen. Mir hat es geholfen mit dem Programm Kumon. (...) Frage: Waren Sie in einem Land, wo Englisch gesprochen wurde? Haben Sie dann die Leute verstanden? Jil-Marie Zilske: Ja. Nur, wenn sie zu schnell und undeutlich reden dann nicht mehr. Auch, wenn sie es nicht umsetzen auf Leichte Sprache dann wird es für mich deutlich schwieriger. Frage: Haben Sie mit ihnen auf Englisch gesprochen? Jil-Marie Zilske: Teilweise ja. Außer es ist zu schwer dann muss ich es übersetzen lassen. Frage: Was machen Sie, wenn Sie etwas auf Englisch nicht verstehen? Jil-Marie: Dann übersetze ich es auf meinem Übersetzer auf meinem Handy. Frage: Benutzen Sie Englisch in Ihrem Alltag? Wann und wie? Sprechen Sie Englisch? Jil-Marie Zilske: Ja. Im Alltag spreche ich mit meiner Schwester und mit meiner Erfahrung als Englischlernende und -nutzende mit Down-Syndrom 73 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0021 Mutter auf Englisch. Aber ich habe nicht den Ehrgeiz immer Englisch zu sprechen. Wenn spontan Englisch gesprochen wird, komm ich durcheinander und ich block dann ab. Frage: Was würden Sie gerne Englischlehrkräften/ -innen sagen über Englischunterricht für junge Menschen mit Trisomie 21/ Down-Syndrom/ Lernbehinderungen? Jil-Marie Zilske: Es ist super wichtig schon früher mit Englisch anzufangen, weil wir mehr Wiederholungsbedarf brauchen als die anderen, die nicht betroffen sind. (Es darf auch nicht fehlen, dass hochwahrscheinlich auch die Diagnose ADS/ ADHS mit dranhängt. Dann wird es noch deutlich schwieriger für die Leute, die eine Doppeldiagnose haben. Aber dies müsste man ärztlich kontrollieren.) DOI 10.24053/ FLuL-2024-0022 53 • Heft 2 N ICOLE G OTLING , J ULIA H ÜTTNER , M ICHELLE P ROYER , M ANUELA S CHLICK * Vorbereitung auf inklusiven Fachunterricht: Hochschuldidaktische Überlegungen und Erfahrung zur Englischlehrer*innenbildung bezüglich Neurodiversität Abstract. In order to prepare foreign language teachers for successful inclusive teaching, particularly from a subject-specific perspective, there is a need for suitable formats for teacher education to be developed and evaluated. The project ELLeN (English Language Learning & Neurodiversity, http: / / ellen-project.eu/ ) applied an inquiry-based learning (IBL) and participatory approach to base pre-service teachers’ learning on first-person narratives of neurodivergent individuals’ and professionals’ experiences in inclusive education. In this interdisciplinary project, pre-service teachers were introduced to the principles of inclusive teaching and neurodiversity through the format of IBL. Supported by multimodal and multi-perspective materials, they prepared tasks on neurodiversity and the implementation of qualitative interviews and their analysis. To investigate the development of their attitudes and perceived competence growth regarding neurodiversity-inclusive English teaching, we employed questionnaires, written reflections and focus group interviews. Results show that a focused IBL approach can help strengthen prospective teachers in seeing inclusive EFL teaching as feasible and enriching. 1. Einleitung Die Implementierung von inklusiven Bildungsangeboten wird rezent unter anderem in der UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderungen (BMSGPK * Korrespondenzadressen: Dr. Nicole G OTLING , BA, MA, Universität Wien, Institut für Bildungswissenschaft, Sensengasse 3a, 1090 W IEN E-Mail: nicole.gotling@univie.ac.at Arbeitsbereiche: Historische und vergleichende Bildungsforschung, Multikulturalismus und Mehrsprachigkeit Dr. Julia H ÜTTNER , MSc, Universität Wien, Institut für Anglistik und Amerikanistik (Philologisch-kulturwissenschaftliche Fakultät) sowie Zentrum für Lehrer*innenbildung, Spitalgasse 2, 1090 W IEN E-Mail: Julia.Huettner@univie.ac.at Arbeitsbereiche: Bilingualer Sachfachunterricht (CLIL), Englisch als Unterrichtsprache (EMI/ EME), Lehrer*innenbildung (Englisch als Fremdsprache) Ass.-Prof. Mag. Dr. Michelle P ROYER , Universität Wien, Zentrum für Lehrer*innenbildung, Porzellangasse 4, 1090 W IEN E-Mail: michelle.proyer@uni.lu Arbeitsbereiche: Inklusive Bildung im schulischen und außerschulischen Bereich, Inklusion in der Lehrer*innenbildung, Partizipative Forschungsansätze Dr. Manuela S CHLICK , Universität Wien, Institut für Anglistik/ Amerikanistik, Spitalgasse 2, 1090 W IEN E-Mail: manuela.schlick@univie.ac.at Arbeitsbereiche: Professionalisierungsforschung, Aktionsforschung, Montessori-Pädagogik Vorbereitung auf inklusiven Fachunterricht 75 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0022 2016) oder auch der Agenda 2030 gefordert, die sich der Umsetzung der Sustainable Development Goals widmet. Dabei stehen unter anderem hochqualitative, gleichwertige und inklusive Angebote für alle Lernenden im Zentrum der Forderungen. Dies bedeutet nun in Folge, dass Inklusion ein zentrales Prinzip jeglichen Unterrichts sein muss, also Haltung von Personal und Gestaltung von Lernumgebung, die allen Schüler*innen ein geeignetes Lernumfeld bieten. Dies wird auch zusehendes in Forschung (s. z.B. R IEGERT / M USENBERG 2015) und in konkreten Handreichungen und Lehrvorschlägen zu inklusivem Fachunterricht thematisiert (für das Unterrichtsfach Englisch siehe z.B. V OGT 2018). Dennoch sehen wir uns in der Situation, dass Fachlehrer*innen, wie in unserem Fall Englischlehrkräfte, in ihrer Ausbildung nach wie vor trotz verschiedener Initiativen selten fokussiert auf den Umgang mit verschiedenen Heterogenitätsdimensionen vorbereitet werden (s. auch K ÜCHLER / R OTERS 2014: 245; V OGT / C HILLA 2019). Obwohl es im großen Bereich des inklusiven Fachunterrichts im Allgemeinen und in Bezug auf bestimmte Heterogenitätsdimensionen deutliche Verbesserungen gibt, wie etwa zum Thema individuelle Lerner*innenunterschiede, inklusive sprachliche Vielfalt und Genderdimensionen, sind Neurodiversität und die Potenziale und Bedürfnisse neurodivergenter Personen (s. B ÜNDGENS -K OSTEN / B LUME in diesem Heft) nach wie vor ein Bereich, der kaum systematische Aufmerksamkeit in der Englischlehrer*innenbildung erhält. Neurodiversität sehen wir hier „nicht ausschließlich als neutrales Sammelbecken von Neurotypen […], sondern als explizit politischen Begriff, der inhärent mit der Forderung nach voller und gleichberechtigter Teilhabe, sowie nach Respekt für alle Neurotypen verbunden ist“ (B ÜNDGENS -K OSTEN / B LUME 2022: 233). Im Projekt English Language Learning and Neurodiversity (im Folgenden ELLeN) 1 unter der Leitung von Jules B ÜNDGENS -K OSTEN (Goethe-Universität Frankfurt) wurde angestrebt, im Rahmen von englischdidaktischen Lehrveranstaltungen das Lehrer*innenwissen der Studierenden in Bezug auf Neurodiversität zu verbessern, ihnen einen partizipativen Blick auf Forschung mit (und nicht in erster Linie über) neurodivergenten Menschen zu ermöglichen und ihre Einstellung zu dieser Dimension inklusiven Englischunterrichts positiv zu beeinflussen. Als ein zentrales Element wurde in allen Lehrveranstaltungen die studentische Forschung mit neurodivergenten Personen und/ oder Personen im inklusiven Bildungskontext positioniert, was konkret bedeutete, dass Studierende Forschungsinterviews mit diesen Personengruppen planten, durchführten und analysierten. 2 1 Siehe http: / / ellen-project.eu/ für weitere Informationen. Wir danken dem Erasmus+ KA2 Strategic Partnership Programm der Europäischen Union für die finanzielle Förderung dieses Projekts (Projektnummer: 2020-1-DE01-KA203-005696). 2 Die von The ELLeN Group entwickelten Kursmaterialen sowie weitere Informationen sind frei online verfügbar (siehe http: / / ellen-project.eu/ materials-for/ neurodiversity-english-language-learning-teachersguide/ ) 76 Nicole Gotling, Julia Hüttner, Michelle Proyer, Manuela Schlick DOI 10.24053/ FLuL-2024-0022 53 • Heft 2 2. Lehrer*innenbildung Englisch unter Berücksichtigung der Neurodiversität Um Schule im Sinne der eingangs beschriebenen inklusiven Prinzipien zu fördern bzw. zu ermöglichen, bedarf es neben administrativen und organisatorischen Verbesserungen von Rahmenbedingungen auch Weiterentwicklungen im Bereich der Lehrer*innenaus- und -weiterbildung. In Österreich führte dies im Jahr 2016 zur Einführung von Spezialisierungen im Bereich Inklusiver Pädagogik bzw. einem davor gelagerten Ende sonderpädagogischer Qualifizierungsangebote und einer Fokussierung auf den Bereich Inklusion für alle Lehramtsstudierenden im Rahmen der erziehungswissenschaftlichen Studien (B UCHNER / P ROYER 2020). Eine vollumfängliche Änderung hinsichtlich inklusiver Schulentwicklung konnte im administrativen bzw. schulpraktischen Kontext nicht erwirkt werden. Der folgende Beitrag fokussiert auf die von B ÜNDGENS -K OSTEN / B LUME (2022) angesprochene Nicht-Thematisierung von Neurodiversität im englischdidaktischen Diskurs. Abgesehen von einigen wenigen internationalen Studien (z.B. Y PHANTIDES 2021) bleibt eine fachspezifische Perspektive weitestgehend unbehandelt und konzentriert sich einschränkend auf sprachliche Aspekte, die sich beispielsweise im Bereich Dyslexie oder durch ADHS ergeben (L UNDBERG 2002). Die Herausforderungen, eine neue Generation an Lehrkräften zu ermuntern, ihren Fachunterricht inklusiv zu gestalten, selbst wenn innerhalb dieses Projektes nur auf eine Heterogenitätsdimension fokussiert wird, sind hoch. Sie bedürfen einer (Neu-) Konzeptualisierung der Verantwortlichkeiten als Englischlehrkraft, die zwar nicht ein*e inklusive*r Pädagoge*in, also Absolvent*in der Spezialisierung Inklusive Pädagogik, werden kann, aber dennoch die eigene Disziplinarität erweitern muss, um sich Kenntnisse und Einstellungen anzueignen, die einen inklusiven Fachunterricht ermöglichen. 3. Forschend Lernen und partizipativ Forschen in Vorbereitung auf inklusiven Fremdsprachenunterricht Um Lehramtsstudierende für inklusiven Fachunterricht vorzubereiten, wurde im hier diskutierten Projekt der Ansatz des forschenden Lernens gewählt. Auf konstruktivistischen Lerntheorien basierend findet forschendes Lernen zunehmend Anwendung in der Lehrer*innenbildung, da es die Lernenden, die Wissen durch eigene Entwicklungs- und Analysearbeit herleiten, zu einer besonders intensiven und aktiven Auseinandersetzung mit den Lerninhalten führt (D AMSA / N ERLAND 2016). So wird dem forschenden Lernen für die Überbrückung der Theorie-Praxis-Kluft und der Anbahnung für forschungsbasierte Unterrichtsentwicklung hohes Potenzial beigemessen (vgl. S CHOCKER -V ON D ITFURTH 2001; V IEIRA et al. 2021). Während im deutschsprachigen Raum die offene und enge Kooperation von Schule und Forschung noch nicht überall fest verankert ist, ist diese Öffnung von Schule für Forschung in erfolgreichen Vorbereitung auf inklusiven Fachunterricht 77 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0022 Bildungsländern wie Finnland oder Singapur lange etabliert und ein ausgewiesener Erfolgsfaktor (vgl. H EINRICH / K LEWIN 2020; P UUSTINEN et al. 2018; T ATTO 2015). Innerhalb der Lehrer*innenbildung sind Ansätze des forschenden Lernens außerhalb von Praktika und Qualifizierungsarbeiten weniger verbreitet bzw. beschrieben und erforscht, was sich aktuell zunehmend ändert, wie eine kurze Übersicht aktueller Studien zeigt. N GUYEN / D AO / I WASHITA (2022) konnten für 130 angehende Fremdsprachenlehrer*innen zeigen, dass forschendes Lernen sie dabei unterstützt, die Relevanz von Forschung und Forschungsergebnissen für die eigene Praxis zu artikulieren, die Bereitschaft zu forschungsbasiertem Unterrichten und eine positive Einstellung gegenüber Forschung zu erhöhen. Die Studierenden äußern gleichzeitig Bedenken bezüglich einer künftigen eigenen Forschungstätigkeit wegen mangelnder Zeitressourcen (vgl. ebd. 599). Die Studie von S PERNES / A FDAL (2023) zeigt insofern Ähnlichkeiten zum hier diskutierten Projekt als darin Lehramtsstudierende empirische Forschungsaufträge für den direkten Austausch mit Lernenden in Form von Fokusgruppeninterviews und Beobachtungen erhielten. Die Autorinnen formulierten vorab professionsspezifische als auch akademische Lernziele und konnten in allen Bereichen Lernfortschritte nachweisen. Sie kommen zum Schluss, dass die achtsame Planung von Begleitkursen und eine enge Begleitung der Studierenden in allen Schritten des forschenden Lernens notwendig ist (vgl. S PERNES / A FDAL 2023: 253). Für das forschende Lernen innerhalb des hier vorgestellten Projektes wurde für einige Projektaspekte ein möglichst partizipativer Ansatz gewählt, um entsprechend seiner Definition partnerschaftlich (vgl. U NGER 2014) die soziale Wirklichkeit inklusiver Bildungserfahrungen von und mit insbesondere neurodivergenten Fremdsprachenlernenden zu erforschen. Durch bislang mehrheitlich exklusive Bildungspraxis verfügen derzeitige Lehramtsstudierende kaum über eigene inklusive Bildungserfahrungen (vgl. für Österreich B RUNEFORTH et al. 2016: 94-95). Dabei führen laut Studien vorausgehende gemeinsame Lebens- und Lernerfahrungen mit neurodivergenten Personen zu besserem Wissen, was stereotypen Missverständnissen entgegenwirkt. Diese Akzeptanzerfahrungen wirken sich nachweislich positiv auf die psychische Gesundheit neurodivergenter Personen aus (vgl. C AGE / D I M ONACO / N EWELL 2018: 7; vgl. auch D E B OER / P IJL / M INNAERT 2011). Auch für Maßnahmen der Lehrer*innenbildung konnten diese förderlichen Effekte durch z.B. S HARMA et al. (2008) nachgewiesen werden. Neben Feedback zum Vorgehen, der Kursgestaltung und ausgewählten Interviewfragen durch Mitglieder der neurodivergenten Community strebte das Projekt ELLeN auch in Bezug auf die Materialentwicklung in Kooperation mit neurodivergenten Künstler*innen Partizipation an (vgl. F LETCHER -W ATSON et al. 2018). 78 Nicole Gotling, Julia Hüttner, Michelle Proyer, Manuela Schlick DOI 10.24053/ FLuL-2024-0022 53 • Heft 2 4. English Language Learning and Neurodiversity (ELLeN): Ein Projekt zur neurodiversitätssensiblen Englischdidaktik Da es trotz vieler Forderungen noch keine eindeutige, allgemein akzeptierte oder eindeutig validierte Konzeptualisierung inklusiven Fachunterrichts gibt, war Interdisziplinarität für das Forschungsteam des Projekts ELLeN ein essenzieller Aspekt. Das Projektteam umfasste Forscher*innen und Lehrer*innenbildner*innen aus Belgien, Deutschland und Österreich, darunter Inklusionsforscher*innen (Gotling, Proyer, van Hove) sowie Englischfachdidaktiker*innen (Blume, Bündgens-Kosten, Dieckhoff, García, Hüttner, Schlick). Für das Projekt ELLeN wurden Lehrveranstaltungen der Fachdidaktik Englisch entwickelt, welche an drei Standorten (Dortmund, Frankfurt, Wien) im Wintersemester 2021/ 2022 angeboten wurden (für weitere Details s. T HE ELL E N G ROUP 2023) 3 . Im Rahmen dieser Lehre wurde begleitend erforscht, inwieweit sich Lehrkräftewissen der Studierenden zu inklusivem, neurodiversitätssensiblem Englischunterricht durch konkrete Lehr-Lernformate, die forschendes Lernen fokussierten, verändert. Die leitenden Forschungsfragen lauteten: 1. Welche Aspekte des Lehrer*innenwissens (insbesondere Einstellungen) angehender Englischlehrer*innen zu Neurodiversität und inklusivem Englischunterricht bestehen nach einem thematisch fokussierten Seminar? 2. In welcher Weise nehmen Lehramtsstudierende Prozesse forschenden Lernens im Rahmen eines Seminars mit dem Fokus neurodiversitätsinklusiver Englischunterricht an? Von den insgesamt 66 Studierenden in den vier Lehrveranstaltungen waren 35 Teilnehmer*innen bereit, Daten für eine genauere Analyse zur Verfügung zu stellen und taten dies auch. Studierende wurden im Vorfeld über Zweck und Durchführung der Studie, sowie über die Rolle der Lehrveranstaltungsleiter*innen, informiert. Wichtiger Teil dessen war, dass bis zur abgeschlossenen Benotung der Kurse den Lehrveranstaltungsleiter*innen nicht bekannt war, welche Studierenden an der Studie teilnahmen, und die Datenerhebung von Forschungsassistentinnen durchgeführt wurde. Die Teilnahme an der Studie war freiwillig und erfolgte nach schriftlicher Einverständniserklärung. Folgende Daten wurden erhoben: • Fragebogen 1 (Kursstart, Fokus Vorkenntnisse, Erwartungen bez. inklusiven Englischunterrichts) • Fragebogen 2 (Kursende, Fokus Erfahrungen im Kurs, Erwartungen bez. inklusiven Englischunterrichts) 3 In teils überarbeiteter Version wurden diese Kurse auch im Sommersemester 2022 und Wintersemester 2022/ 23 angeboten, allerdings waren die Studierenden dieser Kurse nicht an der hier vorgestellten Forschung beteiligt. Vorbereitung auf inklusiven Fachunterricht 79 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0022 • Reflexion 1 (Kursmitte, Fokus Interview, ca. 350 Wörter) • Reflexion 2 (Kursende, Fokus Datenanalyse / Themen zu Neurodiversität, ca. 350 Wörter) • Reflexion 3 (Kursende, Fokus Lernerfahrungen im Seminar, ca. 1.000 Wörter) • Fokusgruppeninterviews (Kursende, Fokus Lernerfahrungen im Seminar, Dauer ca. 45 bis 60 Minuten) Erhebungsinstrumente Datensätze Fragebogen 1 Fragebogen 2 Reflexion 1 Reflexion 2 Reflexion 3 Fokusgruppen Interviews Dortmund 13 12 0 0 4 0 Frankfurt 15 7 0 0 0 1 Wien 7 10 15 14 0 2 Gesamt 35 29 15 14 4 3 Tab. 1: Datenübersicht Die quantitativen Daten wurden durch Fragebogen 1 (24 Items, Likert- und Likert- Typ Skalen, Ja-/ Nein-Fragen und offene Fragen) und 2 (24 Items, Likert- und Likert- Typ Skalen, Multiple-choice- und offene Fragen) erhoben. Fragebogen 1 erhob Vorwissen zu Neurodiversität und bestimmten Neurotypen, zu schulischen Lehr-Lernmethoden (v.a. bezüglich Individualisierung) sowie zu Methoden forschenden Lernens. Weiters wurden Studierende auch zu ihren Einschätzungen bezüglich Neurodiversität im Englischunterricht und zum Einfluss der ggf. eigenen Erfahrungen mit Neurodiversität auf ihre zukünftige Unterrichtspraxis befragt. Fragebogen 2 fokussierte auf das Lernen der Studierenden durch Fragen nach den angewandten Forschungsmethoden und deren Nutzen für universitäres Lernen und/ oder Schulpraxis; nach Einschätzungen der eigenen Befähigung zu neurodiversitätssensiblem Englischunterricht, der persönlichen Motivation zu solchem Englischunterricht und den Emotionen, die damit verbunden werden. Es wurde in offenen und geschlossenen Frageformaten auch nach Veränderungen im Wissen und Verständnis zu verschiedenen Aspekten neurodiversitätssensiblen Englischunterrichts gefragt. Die quantitativen Daten (Fragebogen 1 und 2) wurden einer deskriptiven Analyse unterzogen (s. auch T HE ELL E N G ROUP 2023). Die qualitativen Daten umfassen die Reflexionen der Lehramtsstudierenden, die verpflichtende Kursaufgaben darstellten, und drei abschließende freiwillige Fokusgruppeninterviews. Insgesamt wurden drei verschiedene Reflexionen gesammelt. Reflexion 1 und 2 wurden in zwei Lehrveranstaltungen erhoben und von jeweils denselben Studierenden verfasst (N=14), eine zusätzliche Person gab nur Reflexion 1 ab. Reflexion 3 wurde in einer Lehrveranstaltung gesammelt und von 4 Studierenden abgegeben (s. Tab. 1). Tabelle 2 bietet einen Überblick über das Textkorpus der Reflexionen. 80 Nicole Gotling, Julia Hüttner, Michelle Proyer, Manuela Schlick DOI 10.24053/ FLuL-2024-0022 53 • Heft 2 Reflexion 1 Wörter gesamt/ Ø pro Text Reflexion 2 Wörter gesamt/ Ø pro Text Reflexion 3 Wörter gesamt/ Ø pro Text Textkorpus gesamt Wörter gesamt/ Ø pro Text 6.279 / 418,6 4.675/ 333,93 4539/ 1.134,75 15.493 Tab. 2: Reflexionen 1-3 Für alle drei Reflexionen gab es Aufgabenstellungen durch die Lehrveranstaltungsleiterinnen. Reflexion 1 musste zu Semestermitte abgegeben werden und fokussierte auf den Lernprozess durch die Interviewführung mit einem Fokus auf Neurodiversität. Reflexionen 2 und 3 mussten zu Semesterende abgegeben werden. Reflexion 2 fokussierte auf den Prozess der Datenanalyse. Für Reflexion 3, die deutlich längere Texte elizitierte, war die Aufgabenstellung breiter und fokussierte auf das studentische Lernen durch diesen Kurs bezüglich Neurodiversität (v.a. in Bezug auf forschendes Lernen, dessen Bedeutung für Unterrichtspraxis und möglichen Implikationen für die eigene berufliche Praxis). Die Fokusgruppeninterviews (eines zu den Kursen in Deutschland, zwei zu den Kursen in Österreich) wurden von zwei Projektmitarbeiterinnen durchgeführt. Die Fragen fokussierten auf die Erfahrungen der Studierenden mit forschendem Lernen in Bezug auf die Durchführung und Analyse der Interviews und den Lerngewinn durch das Seminar v.a. für die zukünftige oder gegenwärtige Unterrichtspraxis gestellt. Die wörtlichen Transkripte liegen jeweils in den Sprachen des Interviews vor (Interview 1: Englisch und Deutsch, Interview 2 und 3: Deutsch). Die drei Datensätze umfassten Interviews mit 9 Studierenden (2, 4 und 3 Teilnehmende) und dauerten zwischen 45 und 60 Minuten (Interview 1: 45 Minuten, Interview 2 und 3: 1 Stunde, siehe auch Tab. 3). Fokusgruppen Teilnehmer*innen Interviewerinnen Dauer 1 (Deutschland/ Zoom) 2 2 45 min 2 (Wien) 4 2 60 min 3 (Wien) 3 2 60 min Gesamt 3 9 2 165 min Tab. 3: Fokusgruppen Übersicht Alle qualitativen Daten wurden sowohl einer thematischen Analyse (B RAUN / C LARKE 2008) als auch einer qualitativen Inhaltsanalyse (M AYRING 2008, unter Einsatz von MAXQDA Version 22) durch zwei Forscher*innenteams unterzogen. Vorbereitung auf inklusiven Fachunterricht 81 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0022 5. Forschungsergebnisse 5.1 Ergebnisse der quantitativen Analyse (Fragebögenauswertung) Aufgrund der geringen Teilnehmer*innenzahl dienen die quantitativen Daten einer allgemeinen Kurs- und Konzeptevaluation und bieten Hinweise für die spätere qualitative Analyse in Bezug auf Vorwissen, Veränderungen in den Einstellungen sowie den subjektiv eingeschätzten Lerngewinn durch die Studierenden. Zu Beginn des Kurses gaben die meisten Teilnehmer*innen an, von bestimmten Neurotypen gehört zu haben (ADHS (100%), Legasthenie (91,4%), Dyskalkulie (77,1%), dyslexia (74,2%), Autismus (65,7%), mit dem deutlich geringsten Bekanntheitswert für das darüberstehende Konzept der Neurodiversität von 31,4%). Den Grad der Schwierigkeit, neurodivergente Schüler*innen inklusiv zu unterrichten, schätzten vor dem Kurs 51,5% als sehr schwierig und 42,8% der Studierenden als schwierig ein, 5,7% gaben keine Antwort. Nur 25,7% der Studierenden gaben an, mit Methoden des forschenden Lernens vertraut zu sein. Die Lehrveranstaltungen wurden im Fragebogen 2 insgesamt als positiv bewertet, insbesondere da sie nach Einschätzung der Studierenden dazu beitrugen, ihr Wissen um Neurodiversität und verschiedene inklusive Lehrmethoden (sowie Methoden des forschenden Lernens für die eigenständige Kompetenzerweiterung) zu erhöhen. Gleichzeitig fühlten sie sich weiterhin mehrheitlich gefordert in Anbetracht dessen, was sie für inklusiven Unterricht noch lernen müssten. Konkret differenzierten die Studierenden, sowohl in den geschlossenen wie auch den offenen Fragen, ihre Sorge in Bezug auf die generelle Herausforderung 1) neurodivergente Schüler*innen zu unterrichten, 2) die Vielzahl möglicher Unterrichtsmethoden und -materialien zu beherrschen, die für erfolgreichen neurodiversitätssensiblen Unterricht erforderlich sind, und 3) nicht genügend kompetent oder erfahren zu sein, um die notwendigen unterrichtlichen Handlungsoptionen zu erkennen. Die Einschätzung, dass neurodiversitätssensibler Unterricht „sehr schwierig“ sei 4 , sank im Laufe des Semesters von 51,4% auf 39,2%. Bewusst wurden die Studierenden neben der wahrgenommenen Schwierigkeit auch nach der potenziellen Bereicherung durch neurodiversitätssensiblen Englischunterricht gefragt. Nach dem Kurs gaben 71,4% der Studierenden an, diesen als „sehr bereichernd“ einzuschätzen und 28,6% als „bereichernd“ mit keinen negativen Einschätzungen 5 . Erfreulich ist auch, dass 64,3% der Studierenden angeben, dass sich ihre Einstellung verbessert hat. Für 35,7% der Teilnehmer*innen blieb sie unverändert. Eine Verschlechterung gibt niemand an 6 . 4 Basiert auf der Likert-Typ-Skala (1-5) bezüglich: „Wie schwierig schätzen Sie den Umgang mit Neurodiversität im Klassenzimmer ein? “ 5 Basiert auf der Likert-Typ-Skala (1-5) bezüglich: „Wie bereichernd schätzen Sie den Umgang mit Neurodiversität im Klassenzimmer ein? “ 6 Basiert auf der Likert-Typ-Skala (1-5) bezüglich: „Wie hat sich Ihre Einstellung zu Inklusivem Unterricht mit neurodiversen Schülerinnen und Schülern geändert? “ 82 Nicole Gotling, Julia Hüttner, Michelle Proyer, Manuela Schlick DOI 10.24053/ FLuL-2024-0022 53 • Heft 2 Den deutlichsten Lerngewinn identifizierten die Studierenden für ihr Verständnis der Bedürfnisse und Perspektiven von neurodivergenten Schüler*innen (96,5%). Auch wenn Effekte der sozialen Erwünschtheit Teile dieser positiven Äußerungen erklären können, erwarben die Studierenden im Laufe des Semesters auch nachweislich mehr Vertrautheit mit dem Kernkonzept Neurodiversität. So konnten im Fragebogen 2 insgesamt 27 Studierende (von 29, d.h. 92%) eine Definition des Konzeptes geben, während im Fragebogen 1 nur 11 (von 35, d.h. 31%) dazu in der Lage waren. 5.2 Ergebnisse der qualitativen Analysen (Reflexionen, Fokusgruppeninterviews) Im Folgenden werden zunächst einige Kernpunkte aus den Reflexionen und den Fokusgruppeninterviews präsentiert, um anschließend die zentrale Frage nach der studentischen Wahrnehmung ihrer Vorbereitung auf inklusiven Englischunterricht und ihre Einstellung dazu entlang der Analyseergebnisse der qualitativen Daten zu besprechen. In den Reflexionen verwenden die Studierenden den Begriff Neurodiversität, wobei sich sowohl in Fragebogendefinitionen wie auch in den Anwendungen gewisse Unschärfen zeigen. Die Konzeptualisierung von Neurodiversität als Überbegriff (im Sinne von Neurodivergenz; s. B ÜNDGENS -K OSTEN / B LUME in diesem Heft) ist sichtlich vorrangig für die Studierenden und so wird zumeist auf Definitionen, die auf neurologische Unterschiede fußen, zurückgegriffen. So wird der Begriff neurodivers von sechs Studierenden als Adjektiv für Einzelpersonen verwendet, wie z.B. „[the interview] raised my awareness of the struggles of neurodiverse, especially autistic, students“ (1jic 7 , Reflexion 1). Generell übernehmen Studierende Begrifflichkeiten bzgl. Neurodivergenz, die von Interviewpartner*innen vorgebracht wurden, obwohl diese teilweise Termini enthalten, die im Seminar problematisiert wurden. Das zweite Leitprinzip der Kurse, forschendes Lernen, wurde von den Studierenden fast ausschließlich - und erst auf Nachfrage - auf die Durchführung und Analyse des Interviews reduziert, wobei v.a. auf das Lernen der Interviewtechnik und kaum auf Aspekte des Lernens durch selbständige Forschung reflektiert wurde. Insgesamt 21 Zitate in Reflexionen der Studierenden betreffen Schwierigkeiten, wobei alle Bereiche, d.h. Interviewführung, Zusammenarbeit mit Studienkolleg*innen, Datenanalyse und Verfassen des Abschlusspapers, genannt wurden. Dies entspricht den Erfahrungen von S PERNES / A FDAL 2023, wonach eine enge Begleitung in allen, auch zunächst weniger relevant erscheinenden Schritten des forschenden Lernens notwendig ist. Demgegenüber stehen zahlreiche positive Einschätzungen (11) des wahrgenommenen Lerngewinns durch die geführten Interviews wie z.B. „The interview process still was extremely beneficial for my future career, both for university and my life as a teacher“ (1nke, Reflexion 1), und acht Einschätzungen, dass der Interview- und 7 Exzerpte werden wörtlich in der Originalsprache zitiert. Studierende werden durch Kürzel anonymisiert angegeben. Vorbereitung auf inklusiven Fachunterricht 83 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0022 Analyseprozess einfach bzw. einfacher als erwartet war. Zahlreiche Äußerungen (N=17) thematisieren den Lerngewinn durch die Interviews v.a. durch Informationen zu Unterrichtsmethoden und -praxen im inklusiven Englischunterricht und auf die Erfahrungen von und mit neurodivergenten Schüler*innen. In der Mehrzahl bleiben die Beschreibungen allerdings auf der Ebene der Wiedergabe von Interviewinhalten mit nur geringer Evaluierung, und nur selten gibt es ein Beispiel für eine kritische Auseinandersetzung. Aus zahlreichen Reflexionspassagen wird implizit klar, dass der Großteil der Studierenden während und nach den Lehrveranstaltungen eine generell positive Einstellung zu inklusivem Englischunterricht vertritt, was die Ergebnisse der Fragebogenauswertung bestätigt. Explizit wird dies in drei Meldungen in den Reflexionen, wobei diese das Empfinden direkt auf den Punkt bringt: „I now even more support an inclusive approach to teaching as it proves to have numerous benefits for the students“ (seld, Reflexion 1). Zusammenfassend lassen sich folgende Aspekte als learnings in Bezug auf Neurodivergenz aus den Reflexionen ableiten: 1. Relevanz des Wissens um Diagnose: Relevanz des Wissens über den Neurotyp bzw. die Art der Behinderung und der Zeitpunkt der Diagnose 2. Unterschiedliche Methoden kennen und im Sinne aller Lernenden umsetzen können: Differenzierung bzw. unterschiedliche Unterrichtsformen 3. Diskrepanzen zwischen dem Wissen, das an der Universität über Inklusion vermittelt wird und dem Wissen, wie Inklusion in der Praxis wirklich funktioniert Viele bisher besprochenen Themen wurden auch in den Fokusgruppeninterviews thematisiert. Insbesondere die soeben aufgelisteten Aspekte 1 und 2 resonieren mit den Fragekategorien preparation as a teacher oder future teacher self. Im Fokusgruppeninterview 2 werden diese Aspekte deutlich angesprochen, wenn die Studierenden ansprechen, wie sie sich fühlen, wenn sie erfahren, dass der*die interviewte Expert*in sich nicht 100% vorbereitet auf das inklusive Setting sah: dass sogar sie sich mit einer spezialisierten Ausbildung nach der Pädagogischen Hochschule […], schlecht vorbereitet gefühlt hat […] Aber die Frage hat sich eben gestellt, vor allem für mich: Wenn das sogar für einen Spezialisten so ein komplexes Thema ist, ob das dann überhaupt realistisch ist für die Sek 2, für wirklich Fachexperten in zwei Fächern, dass die überhaupt vorbereitbar sind (FGD_2, Pos. 19). Die Teilnehmenden sprechen von einer höheren Bewusstheit („awareness“) hinsichtlich unterschiedlicher „Neurotypen“ (FGD_3, Pos. 155). Hinsichtlich Neurodiversität bleiben die Rückmeldungen der Studierenden vor allem auf die Frage nach dem Zeitpunkt der Diagnose bzw. die genaue Art der Neurodivergenz verhaftet, wie das folgende Zitat veranschaulicht: „Aber ich weiß jetzt immer noch nicht, wie genau der Neurodiverstyp (sic! ) von dem Schüler war, den wir interviewt haben“ (FGD_3, Pos. 143). Hinsichtlich der Fragen der Vorbereitung wird in Interview 3 Folgendes zusammengefasst: „Es gibt nicht so einen richtigen Weg […]. Sondern es ist halt alles irgendwie individuell. Aber man hat auf jeden Fall ein bisschen mehr Wissen schon 84 Nicole Gotling, Julia Hüttner, Michelle Proyer, Manuela Schlick DOI 10.24053/ FLuL-2024-0022 53 • Heft 2 und ist so reingetastet“ (FGD_3, Pos. 156). Die interviewte Studierendengruppe fühlt sich angeregt bzw. bereit, sich weiterführend mit dem Thema auseinanderzusetzen, was viele Kommentare sowohl in den Reflexionen als auch den Interview-Transkripten widerspiegeln, wie z.B. „[t]his course has motivated me to do better, encouraged me to find new ways [of teaching] in a given system […] I feel rather empowered“ (le, Reflexion 3). Ebenso: „[I] definitely want to learn more about inclusion and neurodiversity and… [the] competencies regarding the teaching of these students“ (mw, Reflexion 3). Darüber hinaus kommentierten die Lehramtsstudierenden, dass sie sich nicht nur der unterschiedlichen Typen und konkreter Bedürfnisse neurodivergenter Lernender bewusster wurden, sondern der aller Lernenden. Der Kurs half ihnen, zu erkennen, dass „every student (and every human) can be considered neurodiverse“ (1itl, Reflexion 1) sowie „every child and every student needs a certain amount of support, no matter who they are [and] as teachers it is their job to support every student on their own learning trajectory in the best way they can“ (1vli, Reflexion 1). Durch die Auseinandersetzung mit dem Konzept Neurodiversität und der Interaktion mit Vertreter*innen der neurodivergenten Community erkannten viele der befragten Lehramtsstudierenden, dass Inklusion und integrative Praktiken nicht nur für einige wenige nützlich, sondern für alle wichtig und notwendig sind. Einer der Aspekte, welche die Reflexionen und Interviews jedoch am meisten beleuchten, waren Beispiele und Erläuterungen zu denjenigen Bereichen, in denen sich die Lehramtsstudierenden nach dem Kurs noch ängstlich und überfordert fühlten. Auf die Frage, ob es bestimmte Aspekte des Kurses gab, die dazu beigetragen hatten, ihre Befürchtungen zu lindern, waren die Antworten gemischt: Einerseits hatte der Kurs ihnen bewusst gemacht, was sie noch lernen müssten in Bezug auf Schüler*innenindividualität, verschiedene Neurotypen und Lehr-Lernmethoden. Andererseits lernten sie die Bedeutung dieses neuen Bewusstseins zu schätzen. In den Reflexionen beziehen sich einzelne Studierende einerseits auf Interviews mit sich selbst als neurodivergent bezeichnenden Lernenden, die nach ihrer Schullaufbahn auf diese zurückblicken, und andererseits Inhalte aus den Kursen. In Bezug auf den Englischunterricht half der Kurs den Lehramtsstudierenden, sich dessen bewusster zu werden, dass neurodivergente Lernende vielleicht nicht die gleichen Möglichkeiten hatten, Englisch zu lernen wie ihre neurotypischen Kolleg*innen, und dass es aufgrund der Möglichkeiten und Schwierigkeiten, die oft mit dem Erlernen von Sprachen im Allgemeinen verbunden sind, Ungleichheiten gibt. Diese werden oft im Fremdsprachenunterricht mit seinen vielen sozialen Lernformen, entsprechenden Materialien und Methoden noch verstärkt. 6. Diskussion und Implikationen Durch den Kurs erfolgte zwar eine Sensibilisierung für Neurodiversität und die Notwendigkeit, eine Bandbreite an Arbeitsmethoden für den Unterricht mit neurodiver- Vorbereitung auf inklusiven Fachunterricht 85 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0022 genten Schüler*innen zu beherrschen. Die unmittelbaren Austauschsituationen innerhalb des Kurses und in den Interviews mit neurodivergenten Lernenden bzw. deren Lehrer*innen wurden mehrfach als hilfreich hervorgehoben. In Zusammenschau mit einer höheren Bereitschaft und gesunkenen Befürchtungen in Bezug auf inklusiven Fachunterricht konnten die Erkenntnisse von C AGE / D I M ONACO / N EWELL 2018 bestätigt werden. Die Elemente forschenden Lernens innerhalb des Kurses und die Durchführung und Analyse der Interviews waren insofern positiv, als die Studierenden das Gefühl hatten, dass sie ein größeres Bewusstsein für Vertreter*innen der neurodivergenten Community im Allgemeinen sowie für die Notwendigkeit und Bedeutung einer stärkeren Inklusion im Besonderen gewonnen hatten. Dies reflektierten sie insbesondere im Hinblick auf die Schwierigkeiten, mit denen neurodivergente Lernende im Klassenzimmer konfrontiert sind sowie Beispiele für die unterschiedlichen Einstellungen und berichteten Methoden der Lehrkräfte, die sie für sich als hilfreich oder hinderlich beurteilen konnten. Der Prozess des forschenden Lernens an sich konnte häufig erst durch Nachfragen reflektiert werden. Die zentralen Ergebnisse aus der qualitativen Analyse der Reflexionen und Fokusgruppen-Interviews beziehen sich interessanterweise weniger zentral auf inquiry-based learning (IBL) per se und auch nicht auf Neurodiversität, sondern auf breitere Fragen, die das Thema Inklusion und damit einhergehende Notwendigkeiten der Differenzierung betreffen. Deshalb kann in Bezug auf die zweite Forschungsleitfrage geschlossen werden, dass eine noch stärkere Begleitung der Studierenden notwendig ist, wie auch S PERNES / A FDAL (2023) in ihrer Studie beobachten. Für künftige ähnliche Projekte kann dies bedeuten, dass eine kontinuierlichere Reflexion der Forschungserfahrungen für die professionelle Entwicklung förderlich sein kann. Eine Mehrheit der Studierenden reflektiert die Notwendigkeit, dass sie sich der Individualität und der Bedürfnisse ihrer Schüler*innen bewusst sind oder werden, und dass sie bereit und in der Lage sind, ihre Ressourcen und Methoden entsprechend zu gestalten, um eine bessere Inklusion in ihren Klassenzimmern zu erreichen. Die Lehramtsstudierenden wurden sich stärker der Notwendigkeit bewusst, die unterschiedlichen Lernsituationen einzelner Schüler*innen und Situationen anzuerkennen und für diese geeignete methodische Unterstützung zu entwickeln. Die Fachbereiche und Ansätze der Inklusiven Pädagogik und Fachdidaktik müssen hierzu noch weiter zusammenwachsen, wie dies im Kontext von ELLeN versucht wurde. Es zeigt sich in unseren Daten, dass ein einsemestriger Kurs jedenfalls nicht ausreicht, um verankerte Konzepte und Begrifflichkeiten weiterführend zu hinterfragen, was in mehreren Verwendungen unscharfer Definitionen von Inklusion im Allgemeinen, wie auch zum Beispiel im Gebrauch teils veralteter Definitionen von Autismus in den Interviews deutlich wird. Gespräche mit Pädagog*innen konnten die studentischen Ängste nicht gänzlich zerstreuen, aber sie trugen dazu bei, Inklusion differenzierter und als machbarer zu sehen. Die Teilnehmer*innen äußerten eine gesteigerte Bereitschaft, sich weiter und 86 Nicole Gotling, Julia Hüttner, Michelle Proyer, Manuela Schlick DOI 10.24053/ FLuL-2024-0022 53 • Heft 2 vertiefend mit dem Thema auseinanderzusetzen. Dafür sei es in ihren Augen am nützlichsten, Erfahrungen zu sammeln, indem man mit Anderen spricht (z.B. mit aktuellen Lehrer*innen, die ihre eigenen Erfahrungen teilen können), indem man selbst in den Unterricht geht, um Erfahrungen aus erster Hand zu sammeln, da sie die Individualität jedes Falles zunehmend erkannten und recherchieren, welche weiteren personellen oder Materialressourcen verfügbar sind. Am Ende der Ausführungen bietet sich ein Plädoyer für eine weiter interdisziplinär ausgerichtete Leherer*innenausbildung bzw. Forschung sowie eine größere Öffnung von Schulen für Forschung, um aktuelle Bedarfe hinsichtlich der Umsetzung von inklusiven und neurodiversitätssensiblen Schule auf allen Ebenen umzusetzen, damit auch Weiterentwicklungen in den einzelnen Fachdidaktiken zu ermöglichen und auch im Fachunterricht erfolgreich inklusiv zu arbeiten. Literatur B RAUN , Virgina / C LARKE , Victoria (2008): „Using thematic analysis in psychology“. 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The university course discussed here is designed to support future foreign language teachers of French in developing this competence. Students conducted interviews regarding four illustrative types of neurodivergence, and the implications from these interviews in relation to foreign language teaching and learning were examined. Subsequently, students differentiated paradigmatic foreign language lessons and adapted them to accommodate one type of neurodivergence considered relevant to the given lesson. Findings from the empirical evaluation of the course will be presented in this contribution. While the change of the mindset of the students did not prove considerable or significant, possibly due to the small sample size, participants’ attitudes towards inclusive foreign language teaching changed considerably and significantly. 1. Einleitung Angesichts der Neurodiversität in Gesellschaft und Schule vermag unterrichtliche Differenzierung (Binnendifferenzierung) zweifellos einen wesentlichen Beitrag zur Inklusion im Französischunterricht zu leisten. Insbesondere die kompensatorische unterrichtliche Differenzierung zielt darauf ab, mit individuellen Lernausgangsvoraussetzungen verbundene Herausforderungen einzelner Lernender zu minimieren, damit diesen die Teilhabe am Regelunterricht erleichtert wird. Insofern stellen die Fähigkeit und die Fertigkeit zur unterrichtlichen Differenzierung einen unentbehrlichen Bestandteil der professionalen Kompetenzen angehender Lehrkräfte dar (G EBAUER / M C E LVANY / K LUKAS 2013; S TURM 2013). Trotzdem sind viele, und nicht nur angehende, Lehrkräfte unsicher bezüglich dessen, was Differenzierung eigentlich ist, wie sie im Unterrichtsalltag praktisch umgesetzt werden kann und was sie als Lehrkräfte bezüglich der Differenzierung leisten müssen (D EUNK / D OORLARD / S MALE -J ACOBSE 2015; P ARK / D ATNOW 2017). * Korrespondenzadresse: PD Dr. Yela S CHAUWECKER , Universität Stuttgart und Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg (IBBW), Heilbronner Str. 172, 70191 S TUTTGART E-Mail: yela.schauwecker@ibbw.kv.bwl.de Arbeitsbereiche: Schulleistungsstudien, datengestützte Qualitätsentwicklung, Fachdidaktik Romanistik Das Prinzip der Differenzierung 89 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0023 An dieser Stelle setzt der hier beschriebene Kurs an. Ziel des Kurses ist es, die Studierenden mit verschiedenen Arten von Neurodiversität (zum Begriff siehe die Einleitung in diesem Band) vertraut zu machen, und sie für die speziellen Lernausgangsvoraussetzungen und Bedürfnisse neurodivergenter Lernender im gymnasialen Fremdsprachenunterricht zu sensibilisieren. Dafür werden, im Sinne der didaktischen Reduktion, vier exemplarische Formen in den Fokus gestellt: die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS), die Lese-Rechtschreibstörung (LRS), die Autismus-Spektrum-Störung (ASS, speziell die Ausprägungen, die früher als „Asperger“ bezeichnet wurden (vgl. E VERMANN , o.J.) und Hochbegabung (HB; speziell Underachievement). In Auseinandersetzung mit diesen vier Lernausgangslagen bauen die Studierenden sich ein diversitätssensibles methodisch-didaktisches Repertoire an Unterrichtsmethoden auf, das sie in die Lage versetzt, gezielt auf die individuellen Bedürfnisse einzelner Lernender einzugehen. Damit sind die wesentlichen Bereiche umrissen, die der Kurs adressiert: Auseinandersetzung mit individuellen Lernausgangsvoraussetzungen und praxisbezogene Differenzierung von (Französisch-)Unterricht. Darüber hinaus wurde der Kurs wissenschaftlich begleitet und sowohl hinsichtlich der sich verändernden Mindsets der Studierenden als auch hinsichtlich ihrer Einstellungen gegenüber unterrichtlicher Differenzierung quantitativ und qualitativ evaluiert (Kapitel 3). Im Folgenden werden der Kurs und die begleitende Studie beschrieben. Dazu werde ich zunächst kurz auf zwei für die Begleitforschung maßgebliche Konstrukte eingehen, die Binnendifferenzierung und den Mindset der angehenden Lehrkräfte. Im Anschluss werden der Aufbau und die relevanten Inhalte des fachdidaktischen Kurses beschrieben. Anschließend gehe ich auf die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung in Anlehnung an B LUME et al. (2019a) ein. Zuletzt folgt eine reflektierende Abschlussbetrachtung und Ausblicke für eine mögliche Weiterentwicklung des Kurses. 1.1 Binnendifferenzierung Dieser Studie liegt ein weit gefasster Begriff von Binnendifferenzierung zugrunde, nach der interne Differenzierung, die „Gesamtheit aller Maßnahmen [bezeichnet], die der Abstimmung des Unterrichts auf unterschiedliche Subgruppen von Schüler/ -innen innerhalb einer Lerngruppe dienen“ (L ETZEL / S CHNEIDER / P OZAS 2020). Binnendifferenzierung umfasst hier demnach „alle intentional und planvoll eingesetzten, reflektierten Maßnahmen, die die Lehrkraft im Unterricht anwendet, um der Heterogenität der Schüler/ -innenschaft gerecht zu werden und mit dieser fruchtbar umzugehen“ (L ETZEL 2021: 78). Binnendifferenzierung, wie der Begriff hier verwendet wird, ist damit zwar im Modell von P RAST et al. (2018) auf der Ebene der Makroadaptivität zu verorten, geht aber insofern über diese hinaus, als nicht in erster Linie die geplante Anpassung des Unterrichts an unterschiedliche Schwierigkeitsstufen, sondern jegliche Form der Anpassung der Unterrichtsplanung an unterschiedliche individuelle Lernausgangsvoraussetzungen neurodivergenter Lernender mit einbezieht. Damit ist 90 Yela Schauwecker DOI 10.24053/ FLuL-2024-0023 53 • Heft 2 Binnendifferenzierung zu verorten zwischen externer Differenzierung, bei der Lernende institutionell getrennt oder anhand ihrer individuellen Lernausgangslagen in leistungsdifferenzierten Klassen oder Lerngruppen eingeteilt (ability grouping nach P RAST et al. 2018), und andererseits spontanen Unterstützungsmaßnahmen im Rahmen eines konkret durchgeführten Unterrichts (Mikroadapivität nach P RAST et al. 2018). Im Falle des hier beschriebenen Kurses, der angehende Lehrkräfte auf den gymnasialen Französischunterricht vorbereitet, liegt der Schwerpunkt auf der kompensatorischen Binnendifferenzierung, die zum Ziel hat, unterschiedliche Lernausgangsvoraussetzungen auszugleichen (N IGGLI 2013), wobei auch die Förderung individueller Stärken mit berücksichtigt wird. Im vorliegenden Kontext wird Binnendifferenzierung als eine Möglichkeit gesehen, die hier fokussierten Formen der Neurodivergenz im Regelunterricht zu adressieren. Beispielsweise erlaubt der Einschluss der Hochbegabung unter die vier exemplarischen Förderbedarfe, angehende Lehrkräfte dafür zu sensibilisieren, dass Differenzierung nicht nur Fördern, sondern durchaus auch Fordern bedeuten kann. Dass Hochbegabung im Kontext der Differenzierung bisher zu wenig berücksichtigt wurde, liegt sicher zum Teil daran, dass Hochbegabung immer noch zumeist als Vorteil für die Schullaufbahn gesehen wird, obwohl die Folgen chronischer Unterforderung schon lange bekannt sind (G OWAN 1955). Durch sie wird deutlich, wie wichtig es ist, angehende Lehrkräfte für Fragen der Hochbegabung und vor allem auch für ihre potenziellen negativen Folgen zu sensibilisieren. 1.2 Mindset Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass der Mindset einer Lehrkraft einen wesentlichen Einfluss nicht nur auf die Selbsteinschätzung der Lernenden hat (M ESLER / C OR - BIN / M ARTIN 2021), sondern sich sogar auf ihre tatsächlichen akademischen Leistungen auswirken kann (B LUME et al. 2019a; S ISK et al. 2018). Dabei werden in der Literatur zumeist zwei grundlegende Typen von Mindsets unterschieden: statisch und dynamisch (D WECK / L EGGETT 1988; D WECK / Y EAGER 2019). Ein statischer Mindset geht davon aus, dass Begabung in einem bestimmten Bereich als solche gegeben ist und eine weitgehend unveränderliche Größe darstellt. Ein dynamischer Mindset nimmt dagegen an, dass Intelligenz und Begabung formbare Größen sind, die sich in ihren Ausprägungen entwickeln können. Studien zu den Auswirkungen des Mindsets der Lehrkraft auf die Lernenden zeigen, dass ein statischer Mindset dazu führt, dass Lehrkräfte beispielsweise die Lernmotivation (H EYDER et al. 2020) und die Autonomie der Lernenden negativ beeinflussen (L EROY et al. 2007) und sich in wesentlichen Bereichen des Unterrichtens, wie zum Beispiel in der Art des Feedbacks (P ISHGHA - DAM / M EIDANI / K HAJAVY , 2015) und der Lernendenunterstützung (B ERNECKER / J OB 2019) von Lehrkräften mit dynamischem Mindset unterscheiden. Eine Veränderung des Mindsets im Sinne einer größeren Dynamik scheint deshalb ein besonders erfolgversprechender Ansatzpunkt für eine Unterrichtsentwicklung, die auf mehr Inklusion im Fremdsprachenunterricht abzielt (B LUME et al. 2021). Das Prinzip der Differenzierung 91 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0023 Empirische Studien belegen, dass sich implizite Haltungen und Orientierungen von angehenden Lehrkräften in der universitären Phase ihrer Lehramtsausbildung beeinflussen lassen (B LUME et al. 2019a). Deshalb wurde im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des Kurses auch untersucht, ob und inwieweit die Studierenden im Verlauf des Kurses einen dynamischeren Mindset entwickeln. 2. Der Kurs Der Kurs, der erstmalig im Sommersemester 2022 im Rahmen des fachdidaktischen Teils der Lehramtsausbildung in den romanischen Sprachen an der Universität Stuttgart angeboten wurde, hat zum Ziel, angehende Lehrkräfte für (bestimmte Formen der) Neurodivergenz im schulischen Fremdsprachenunterricht zu sensibilisieren. Er möchte ihre professionalen Kompetenzen in der gezielten Förderung von Lernenden mit individuellen Lernausgangslagen stärken, indem er einen dynamischen Mindset fördert und die Kompetenzen der angehenden Lehrkräfte im Bereich der Binnendifferenzierung systematisch ausbaut. Als Impuls, um die Auseinandersetzung der Studierenden mit verschiedenen Formen der Neurodivergenz zu fördern, setzt der Kurs auf Interviews mit Personen, die mit ADHS, ASS, LRS oder HB diagnostiziert sind. Hierbei handelt es sich um vier Formen der Neurodivergenz, die erfahrungsgemäß im gymnasialen Unterricht vergleichsweise häufig anzutreffen sind, und deren Teilhabe am Regelunterricht aufgrund ihrer individuellen Lernausgangsvoraussetzungen durch differenzierende Maßnahmen gezielt unterstützt werden kann. Die gewählte Herangehensweise des Kurses ist praxisorientiert: Die Studierenden differenzieren jeweils ein paradigmatisches Unterrichtsszenario (Vokabeleinführung, Grammatikwiederholung, etc.) anhand eines konkreten Unterrichtsverlaufsplanes im Hinblick auf eine der vier Formen von Neurodivergenz. So wird anhand einzelner konkreter Unterrichtssequenzen, auch wenn diese zum Teil der traditionellen Planung verhaftet sind, die innovative Fähigkeit zur auf verschiedene Formen der Neurodivergenz differenzierten Unterrichtsplanung gefördert. Dadurch erwerben die Studierenden idealiter die Kompetenz, eine bessere Passung zwischen ihrem Unterricht und den spezifischen Lernausgangslagen individueller, nicht nur neurodivergenter, Lernender herzustellen. Der Grad, zu dem das gelungen ist, wird in Kapitel 3 empirisch untersucht. Außerdem wurden, weil sich gezeigt hat, dass Reflexionskompetenz entscheidend zum Erwerb und Ausbau professionaler Kompetenzen bei Lehramtsstudierenden beiträgt (B LUME et al. 2019a), reflexionsorientierte Aufgabenstellungen in die Kursplanung aufgenommen. In diesen werden die Studierenden dazu angehalten, ihre Haltungen, ihre Erwartungen und ihre Befürchtungen bezüglich unterrichtlicher Differenzierung sowie Veränderungen derselben im Laufe des Kurses zu formulieren. In den ersten Sitzungen wurden allgemeine Aspekte zur Einführung ins Thema behandelt, wie zum Beispiel die Inklusionsrichtlinien Baden-Württembergs und rechtliche Rahmenbedingungen (Nachteilsausgleich, Notenschutz, etc.), sowie pädagogisch-didaktische Grundlagen wie zum Beispiel Aufgabenformate und Anforde- 92 Yela Schauwecker DOI 10.24053/ FLuL-2024-0023 53 • Heft 2 rungsniveaus, Progression und Lernzieltaxonomien besprochen. Auf diese Einführungsphase folgten die Sitzungen mit den interviewbasierten Einführungen der vier exemplarischen Formen der Neurodivergenz. Durch das interviewbasierte Vorgehen zu Beginn des Kurses wird sichergestellt, dass die Studierenden neurodivergente Lernende als vieldimensionale Persönlichkeiten wahrnehmen, und sie nicht klischeeartig auf ihre Neurodivergenz reduzieren. Bei der Planung der Unterrichtssequenzen durch die Studierenden selbst musste aber mit fiktiven Lernenden gearbeitet werden, bei denen jeweils eine Form der Neurodivergenz als diagnostiziert vorausgesetzt wird. Diese offensichtlich grobe Vereinfachung ist, angesichts der Fülle individueller Ausprägungen an Neurodivergenz (siehe auch Kapitel 4), eine für den Erfolg des Kurses notwendige Vereinfachung, denn immerhin stellt der Kurs für viele der Studierenden die Erstbegegnung sowohl mit Neurodivergenz als auch mit differenzierenden Unterrichtsmethoden dar. Dass es sich hierbei um grob vereinfachende Annahmen hinsichtlich der Kompetenzen und Bedürfnisse dieser Lernenden handelt, braucht im vorliegenden Kontext nicht extra betont zu werden, musste aber im Sinne der didaktischen Reduktion in Kauf genommen werden. Zugleich wurde aber stets hervorgehoben, dass die individuellen Bedürfnisse der Lernenden mit diesen selbst, bzw. mit deren Eltern geklärt werden müssen, und dass auch in regelmäßigen Abständen die Wirksamkeit und Angemessenheit der Maßnahmen überprüft werden müssen. Für jede Form der Neurodivergenz wurde von je einem Studierenden ein Interview literaturbasiert vorbereitet. Die Lehrperson vermittelte den Kontakt zu den betreffenden neurodivergenten Personen. Die Interviews wurden von den Studierenden selbstständig und im geschützten Rahmen geführt. Anschließend stellten die Studierenden die jeweilige Form der Neurodivergenz auf Basis der Literatur und anhand konkreter Beispiele aus den Interviews vor. Auf diese Weise wurde den Studierenden nicht nur ein sachlich fundierter, sondern auch ein persönlicherer Zugang zur jeweiligen Neurodivergenz eröffnet. Im darauffolgenden Abschnitt des Kurses wurden paradigmatische Unterrichtsszenarien des Fremdsprachenunterrichts vorgestellt, wie sie im Rahmen des Französischunterrichts traditionell vorkommen, selbst wenn sie nicht immer der aktuellen, kommunikativen Kompetenzorientierung entsprechen, wie zum Beispiel Vokabel- und Grammatikeinführungen, Einführung von Lehrbuchtexten, Verfassen freier Textproduktionen, Wiederholungsstunden. Dem Nachteil, dass die von den Studierenden aus den Praktikumsphasen mitgebrachten Unterrichtskonzepte nicht immer der aktuellen, kompetenzorientierten Fremdsprachendidaktik entsprechen, steht der überwiegende Vorteil gegenüber, dass die Studierenden die Differenzierung auf der Grundlage von von ihnen tatsächlich bereits durchgeführten Unterrichtssequenzen erarbeiten konnten.Die Studierenden lernten so, im Wissen darum, dass nicht alle unterrichtlichen Vorgehensweisen allen Lernenden gleichermaßen nützen (C RONBACH / S NOW 1977), bestehende Unterrichtskonzepte gezielt im Hinblick auf die Bedürfnisse neurodivergenter Lernender anzupassen. Indem die Studierenden auf eine bereits erfolgreich durchgeführte Unterrichtsplanung aufbauen konnten, wurde gewährleistet, dass die Das Prinzip der Differenzierung 93 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0023 zugrundeliegende Planung angesichts der limitierten praktischen Unterrichtsplanungserfahrung praktikabel und machbar war. Zudem wurde die Aufgabenstellung durch das Differenzieren bestehender, bereits unterrichteter Stundenplanungen sehr klar auf das Lernziel der konkreten, praktischen Differenzierung fokussiert. Hinzu kommt, dass die Reflexion bezüglich der konkreten Unterrichtsstunde aufgrund des von den betreuenden Lehrkräften bereits erhaltenen Feedbacks bei diesem Vorgehen auf einem wesentlich höheren Niveau stattfinden konnte, als das bei spontaner Planung zu erwarten gewesen wäre. Und nicht zuletzt war es unter motivationalen Aspekten durchaus wünschenswert, dass die Studierenden an ein Erfolgserlebnis anknüpfen können. In der letzten Sitzung wurde den Studierenden schließlich Gelegenheit für Diskussion und Feedback bezüglich des Kursverlaufs gegeben. Eine weitere persönliche Reflexion erfolgte im Rahmen des Portfolios, welches die Studierenden kursbegleitend anfertigten. 3. Empirische Begleitforschung Die begleitende Forschung fokussierte zwei Themenbereiche: die mögliche Veränderung des Mindsets der Studierenden und die mögliche Veränderung in ihren Einstellungen und Gedanken zum Thema Binnendifferenzierung. Lehrkräfte mit einem dynamischen Mindset gehen beispielsweise davon aus, dass Fremdsprachen prinzipiell für alle lernbar sind, und dass es vor allem auf Methode und Einsatzbereitschaft ankommt (B LUME et al. 2021). Unveränderlichen Größen wie angeborener Sprachbegabung (aptitude, H ORWITZ 1988, siehe auch B LUME et al. 2021) messen sie dagegen eine geringere Bedeutung zu. Deshalb soll der Kurs die Studierenden in Richtung eines dynamischeren Mindsets orientieren. Im Rahmen der Begleitforschung wurde deshalb untersucht, ob und inwieweit sich die mit dem Mindset der Studierenden assoziierten Items zwischen der Prä- und der Postumfrage verändert haben. Außerdem wurde untersucht, ob und inwieweit sich die Einstellung der Studierenden gegenüber der Binnendifferenzierung im Laufe dieses Kurses verändert hat. 3.1 Erhebungsinstrumente Für die begleitende Beforschung des Kurses wurde auf drei Instrumente zurückgegriffen: Zwei Fragebögen, die von den Studierenden vor Beginn und nach Ende des Kurses bearbeitet wurden, die Reflexionsteile aus den Portfolios der Studierenden, die einer qualitativen Inhaltsanalyse in Anlehnung an M AYRING / F ENZL (2019) unterzogen wurden, und das Protokoll der Dozentin zur Feedbacksitzung (letzte Sitzung). Die erhobenen Daten stammen von zwei Kohorten mit insgesamt n=32 Lehramtsstudierenden der Romanistik an der Universität Stuttgart in den Sommersemestern 2022 und 2023 (s. Tab. 1, S. 94). 94 Yela Schauwecker DOI 10.24053/ FLuL-2024-0023 53 • Heft 2 Instrument Konstrukt Kohorte N Prä- / Post-Kurs Fragebogen Mindset 2 17/ 15 Reflexionsteil des Portfolios Einstellungen gegenüber Binnendifferenzierung 1, 2 15 Protokoll der Feedbacksitzung Einstellungen gegenüber Binnendifferenzierung 1, 2 15 Tab. 1: Erhebungsinstrumente, Konstrukte und Kohorte 3.2 Der Mindset der Studierenden Um herauszufinden, ob und wie sich der Mindset der Studierenden über den Verlauf des Kurses verändert hat, wurden die Items aus dem Beliefs About Language Learning Inventory (BALLI; H ORWITZ 1988) in die Evaluation des Kurses integriert, und zwar in ihrer von B LUME et al. (2019b ) adaptierten und von mir ins Deutsche übertragenen Form (vgl. Tabelle 2). Die sieben verwendeten Items werden von den Verfasser*innen drei verschiedenen Mindsets zugeordnet. Die ersten beiden in B LUME et al. (2019b) beschriebenen Mindsets sind statisch und insofern ‚exklusiv‘, als sie Erfolg beim Erlernen einer Fremdsprache mit bestimmten, unveränderlichen Größen in Verbindung bringen. Der erste ‚exklusive‘ Mindset (E1) sieht im Erlernen einer Fremdsprache eine Herausforderung, der intelligente und begabte Lernende am besten gewachsen sind. Der zweite ‚exklusive‘ Mindset (E2) nimmt an, dass sich bestimmte Gruppen, wie zum Beispiel Kinder, mit dem Erlernen einer Fremdsprache leichter tun als andere. Anders der dritte Mindset: Er ist dynamisch, bzw. ‚inklusiv‘ (Mindset I) in dem Sinne, dass er annimmt, dass prinzipiell alle in der Lage sind, eine Fremdsprache zu lernen. Erfolg beim Erlernen einer Fremdsprache wird beim inklusiven Mindset I vor allem mit Methoden, Fleiß und Einsatzbereitschaft in Verbindung gebracht. Was die interne Reliabilität der verwendeten Skala betrifft, so wird sie auch im vorliegenden Fall im Posttest bestätigt, wenngleich nur mit einem akzeptablen Cronbachs Alpha von 0.654. Im Prätest liegt das Alpha im vorliegenden Fall bei 0.501 und damit in einem, zumindest für frühe Stadien der Forschung wie hier, noch akzeptablen Bereich (N UNNALLY 1967; S TREINER 2003). Eine mögliche Veränderung des Mindsets der Studierenden im Laufe des Kurses lässt sich ermitteln, indem die Ergebnisse des Prä- und des Post-Tests gegenübergestellt werden. Die Umfrage musste aufgrund der geringen Zahl an Teilnehmenden anonymisiert durchgeführt werden, um keine Rückschlüsse auf individueller Ebene zu ermöglichen. Die Datensätze erlauben leider keine Zuordnung von Prä- und Post- Daten auf Individualebene. Die Auswertung erfolgt über Rang-Summentests (Wilcoxon rank sum test mit Kontinuitätskorrektur und Kruskal-Wallis rank sum test). Die Ergebnisse tendieren bei der untersuchten Kohorte uneinheitlich. Die Werte im Zusammenhang mit dem ersten ‚exklusiven‘ Mindset (E1) nehmen im Laufe des Semesters zu (Median). Bei der Frage B1 (siehe Tabelle 2) steigt er von 2,8 auf 3,2, bei der Frage B2 von 2,6 auf 2,9 auf einer 5-stufigen Likert-Typ-Skala: Das legt den Das Prinzip der Differenzierung 95 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0023 Schluss nahe, dass sich die befragten Studierenden der Herausforderung des Fremdsprachenlernens wohl mehr bewusst werden. Diese Veränderungen legen den Schluss nahe, dass die Studierenden für die verschiedenen exemplarischen Lernausgangslagen im Kontext des Fremdsprachenlernens sensibilisiert wurden, auch aufgrund der Auseinandersetzung mit und der Diskussion über ihre eigene differenzierte Unterrichtsplanung. Die Werte im Bereich des methodisch orientierten, inklusiven Mindsets (I) tendieren uneinheitlich. B4, welches Sprachenlernen primär mit Fleiß assoziiert, bleibt unverändert (3.2 auf 3.3), was aber möglicherweise der deutschen Übersetzung des Items geschuldet ist, in der Fremdsprachenlernen direkt mit Fleiß assoziiert wird. Möglicherweise sehen die Studierenden damit den Anteil der Begabung unterschätzt und erteilen deshalb geringere Werte. Bei B5, welches Sprachenlernen primär mit dem Lernen von Wörtern und Regeln assoziiert, steigt die Zustimmung von 2.7 auf 3.2: Hier zeichnet sich eine zunehmende Dynamisierung des Mindsets der befragten Studierenden ab. Bei den gruppenspezifischen ‚exklusiven‘ Items (E2) blieben die Zustimmungswerte im Wesentlichen unverändert (B6 und B7). Über alle Items betrachtet zeigen die befragten Studierenden also eine uneinheitliche und statistisch nicht signifikante Tendenz. Zum einen zeigen sie eine Tendenz in Richtung eines des statischen Mindsets (E1), was primär nicht erwünscht wäre, zum anderen eine leichte Tendenz in Richtung eines dynamischeren, stärker inklusiv orientierten Mindsets (I), was erwünscht ist. Zwar sind durchaus Veränderungen zu beobachten, jedoch erreichen sie nicht die Signifikanzgrenze von p=0.05. Ob das daran liegt, dass nur (N=15) Studierende an beiden Befragungen (Prä- und Postbefragung) teilgenommen haben, oder daran, dass tatsächlich kein systematischer Unterschied besteht, lässt sich deshalb auf der Grundlage dieser Daten noch nicht mit Sicherheit sagen. Um deutlichere Aussagen zu gewinnen, wurden die Ergebnisse über eine Hauptkomponentenanalyse in ihrer Komplexität reduziert und varimaxrotiert (Tab. 2, S. 96). Die Hauptkomponenten kann man sich als rechnerische Zusammenfassungen der einflussreichsten Variablen vorstellen. Auf den ersten Hauptkomponenten, welcher sowohl im Präals auch im Posttest bereits über 53% der beobachteten Variation erklärt, laden primär die Fragen B4 (Fleiß) und B5 (Wörter und Regeln). Er entspricht also dem inklusiven Mindset (I): Die Studierenden gehen von Anfang an davon aus, dass Sprachenlernen primär eine Frage geeigneter Methoden ist und sehen sich durch den Kurs in dieser Auffassung bestätigt. Die Hauptkomponenten zwei und drei stellen jeweils unterschiedliche Kombinationen der unveränderlichen Faktoren aus den beiden ‚exklusiven‘ Mindsets Herausforderungen (E1) und Gruppe (E2) dar: Im Prätest laden auf den zweiten Faktor primär die Fragen B7 und B2, auf den dritten primär Fragen B1 und B6. Zusammen erklären die drei Hauptkomponenten im Prätest 89% der Varianz. Im Posttest sind es beim zweiten Hauptkomponenten primär die Items B6 und B3, beim dritten B2 und B1; sie erklären zusammen immerhin 94% der Varianz. Hier besteht ein auffälliger Unterschied zwischen den hier befragten Teilnehmenden und der von B LUME et al. (2019b) untersuchten Gruppe. Die Proband*innen der letzteren Studie weisen, im Unterschied zu den Teilnehmenden in dieser Studie, noch 96 Yela Schauwecker DOI 10.24053/ FLuL-2024-0023 53 • Heft 2 Pre-Test Post-Test Komp. 1 (M) Komp. 2 (E1/ E2) Komp. 3 (E1/ E2) Komp. 1 (M) Komp. 2 (E2/ 0) Komp. 3 (E2/ E1) B1: Eine Sprache zu lernen ist schwierig. (E1) -0-211 0.724 0.379 0.495 B2: Wer mehr als eine Sprache gut spricht, ist sehr intelligent. (E1) 0.625 0.245 0.135 -0.579 B3: Ich bin sprachbegabt. (0) -0.372 0.361 -0.107 0.361 -0.584 -0.106 B4: Sprachen zu lernen ist vor allem eine Sache von Fleiß. (M) 0.518 -0.178 0.215 -0.631 -0.137 B5: Sprachen zu lernen bedeutet vor allem viele Wörter und Regeln zu lernen. (M) 0.685 0.574 -0.571 -0.174 B6: Kinder tun sich leichter eine Sprache zu lernen als Erwachsene. (E2) 0.260 0.574 0.199 0.680 -0.143 B7: Wer gut in Mathematik ist, ist nicht so gut im Sprachenlernen (E2) 0.636 0.184 -0.201 -0.594 Tab. 2: Faktorladungen, basierend auf einer Hauptkomponentenanalyse mit Varimaxrotation für 7 Items aus dem Beliefs about Language Learning Inventory (BALLI), vor (links) und nach der Intervention (rechts), N=15; Zuordnung der Fragen zu den Mindsets: (E1) = Herausforderung; (E2) = Gruppen; (M) = Methode; unabhängig von den übrigen: (0) = Ich bin sprachbegabt (B3) Das Prinzip der Differenzierung 97 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0023 einen eher statischen Mindset (Typ E1) auf und entwickeln sich erst im Laufe des Semesters hin zu einem dynamischeren Mindset vom methodischen Typ (I). Die hier untersuchten Studierenden zeigen dahingegen von Anfang an einen dynamischen Mindset vom Typ (M). Außerdem lassen sich die anderen beiden Hauptkomponenten bei B LUME et al. (2019b) jeweils mit einem der anderen beiden Mindsets (I) bzw. (E2) in Verbindung bringen, wohingegen im vorliegenden Fall die anderen beiden Hauptkomponenten jeweils eine Kombination der beiden statischen Mindsets darstellen (E1/ 2). Dieses Ergebnis ist möglicherweise dadurch beeinflusst, dass diese Studierenden bereits Masterstudierende waren, wohingegen die Studierenden der Vorläuferstudie erst im dritten Semester waren. 3.3 Binnendifferenzierung Ein Erfolg des Kurses wäre daran zu erkennen, wenn die mit Ratlosigkeit und Überforderungsgefühlen assoziierten Itemwerte der Fragebögen im Laufe des Kurses eine positive Entwicklung zeigen würden. Bei der Frage „Wenn ich an mein zukünftiges Leben als Lehrer*in denke, fühle ich mich der Planung differenzierten Unterrichts gewachsen“, gaben zu Beginn des Semesters zwei von 17 Befragten an, dass Sie sich dieser „gewachsen“ oder „voll und ganz gewachsen“ fühlten, am Ende immerhin 12 von 15; der Median verschob sich höchstsignifikant von 2.7 auf 4.1 (N=32, df=1, p<0.001). Außerdem wurden die Studierenden gefragt, ob sie „sich zu[trauen], auf der Grundlage einer konkreten, vorgegebenen Unterrichtsstunde eine differenzierte Unterrichtsstunde zu planen“. Interessanterweise stieg hier der Median nur moderat, von 3.4 auf 3.7 auf einer 5-stelligen Likert-Typ-Skala, aber die Streuung (Interquartilrange), die zu Beginn des Semesters noch bei 1 lag (immerhin 20%), liegt am Ende des Semesters bei 0. Nachdem sich zu Beginn des Semesters nur 7 von 17 Befragten sich „zutrauten“ oder „voll und ganz zutrauten“, eine konkrete Stundenplanung differenzierend zu überarbeiten, sind es am Ende des Semesters 12 von 15. Allerdings liegt das Ergebnis hier nicht im signifikanten Bereich. Generell fühlen sich die Studierenden also der Planung differenzierten Unterrichts durchaus gewachsen, auch wenn sie sich in den Details, d.h. in der konkreten Planung, noch unsicher sind. In Anbetracht dessen, dass die Befragten noch nicht über viel praktische Unterrichtserfahrung verfügen, ist diese Relativierung in Bezug auf die konkrete Planung nachvollziehbar. Das dritte Item fragte: „Mir ist klar, worauf bei der Planung differenzierten Unterrichts geachtet werden“ müsse. Zu Beginn des Semesters gab niemand an, dass ihm oder ihr „klar“ oder „voll und ganz“ klar sei, worauf bei der Planung differenzierten Unterrichts zu achten sei. Am Ende des Semesters gaben immerhin bei 14 von 15 Studierenden an, dass ihnen das „klar“ bzw. „voll und ganz klar“ sei. Auch hier ist das Ergebnis trotz der geringen Anzahl an Befragten höchstsignifikant (N=32, df=1, p<0.000). Insgesamt bestätigen diese Selbsteinschätzungen den Erfolg des hier vorgestellten Kurskonzeptes. Allerdings sah das Modul keinen Wissenstest vor, so dass diese Selbsteinschätzung nicht unmittelbar durch eine Leistungskontrolle validiert 98 Yela Schauwecker DOI 10.24053/ FLuL-2024-0023 53 • Heft 2 wurde. Hierfür eignet sich eine ergänzende Analyse des Reflexionsteils der kursbegleitend angefertigten Portfolios. 3.4 Reflexionen Um auf eine vertiefte Verarbeitung der Kursthematiken hinzuwirken, enthielt das kursbegleitende Portfolio als letzte Aufgabenstellung eine Reflexion. Die Aufgabenstellung wurde möglichst offen gehalten. Als Impuls wurden Leitfragen gegeben, die die Studierenden nutzen konnten, aber nicht mussten. Sie zielten darauf ab, dass die Studierenden Aspekte thematisieren, die ihnen im Zusammenhang mit Inklusion und Differenzierung besonders nützlich, überzeugend oder auch problematisch erschienen. 1 Grundsätzlich ist bei einer Aufgabe, die im Rahmen einer benoteten Arbeitsleistung gestellt wird, nie ganz auszuschließen, dass primär gewünschte Antworten gegeben werden. Deshalb wurden im vorliegenden Fall im Hinblick auf die Auswertung verschiedene Vorkehrungen getroffen, um die Auftretenswahrscheinlichkeit sozial erwünschter Antworten zu minimieren. Erstens wurde von Anfang an konsequent betont, dass gerade auch skeptische Haltungen bezüglich der Differenzierung die Gespräche voranbringen. Zweitens wurden in den Sitzungen stets sowohl Für als auch Wider differenzierender Maßnahmen kontrovers diskutiert. Drittens wurde mit den Studierenden mehrfach geklärt, dass nicht der Inhalt oder die inhaltliche Stoßrichtung des Reflexionsteils, sondern die Differenziertheit der Überlegungen die Grundlage der Bewertung sein würde. Viertens erhielten die Studierenden im Vorfeld der Bearbeitung das Korrekturraster ausgehändigt, aus dem eben dies noch einmal zweifelsfrei hervorging. Nicht zuletzt spricht nach Sichtung der Beiträge die Diktion der Reflexionsteile dafür, dass die Studierenden sich hier relativ offen äußern. Als Beispiel mag hier die Aussage einer Studierenden gelten, die den Erfolg inklusiven Unterrichts sehr deutlich mit der Forderung nach wesentlich mehr Ressourcen im Bildungswesen in Verbindung bringt und folgendes Fazit zieht: „Bis dahin [d.h. bis diese Forderungen erfüllt sind (YS)] können wir uns in Universitätsseminaren nur darauf vorbereiten, hoffen und weiter Luftschlösser bauen. Das ist aber ungemein wichtig. Denn so wissen wir, wo wir hinwollen und hinmüssen“ (0G2d). Für die Analyse der Reflexionsteile konnten N = 15 Einreichungen berücksichtigt werden. Sie wurden einer qualitativen und quantitativen Inhaltsanalyse in Anlehnung an (Mayring/ Fenzl 2019) unterzogen. Die Punkte, die in den Reflexionen in Bezug auf die Binnendifferenzierung am häufigsten skeptisch angesprochen wurden, lassen sich in drei Kategorien fassen: der 1 Konkret wurden die folgenden optionalen Impulsfragen vorgegeben: a) Welche Aspekte der Differenzierung sind mir so wichtig, dass ich sie hier erneut thematisieren möchte? b) Wie denke ich jetzt über Inklusion und Differenzierung? Was erscheint mir nützlich, überzeugend, problematisch im Hinblick auf meine Tätigkeit als Lehrer*in? Inwiefern haben sich meine Einstellungen verändert? c) Sind Fragen offen geblieben? Wo bin ich skeptisch? Das Prinzip der Differenzierung 99 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0023 hohe Ressourcenaufwand, die Gerechtigkeit einheitlicher Leistungsmessung im differenzierten Unterricht und die Sorge, nicht allen Lernenden gleichzeitig gerecht werden zu können. Bei den skeptischen Einwänden steht die Besorgnis wegen des mit der Differenzierung verbundenen Mehraufwandes allen anderen weit voran. Sieben Studierende formulieren ihre Besorgnis aufgrund des zusätzlichen Arbeitsaufwandes für die einzelne Lehrkraft („zusätzliche Arbeitsstunden“), und sieben aufgrund eines möglicherweise unrealistischen Mehrbedarfs an Ressourcen („zusätzliche Deputatsstunden, zusätzliche Räume, Zusatzmaterialien“). Drei Studierende beschäftigt weiterhin die Frage, wie Leistungsmessung in einem differenzierten Unterricht gerecht erfolgen kann, wenn einzelne Lernende beispielsweise immer mit einfacheren Aufgaben gearbeitet hätten. Zwei Studierende sehen Grenzen der Differenzierung und verweisen darauf, dass man nicht für jeden Lernenden differenzieren könne, weil man dann übermäßig viel Mehrarbeit, Burnout und Frustration riskiere. Eine Dritte betont, dass Binnendifferenzierung ihre Grenzen habe und ist der Meinung, dass sie bei ausgeprägten Formen der besprochenen Neurodivergenzen nicht ausreiche, um den Betroffenen die Teilhabe am Regelunterricht zu ermöglichen. Interessant ist, dass die Studierenden insbesondere ihre Skepsis bezüglich des mit der unterrichtlichen Differenzierung verbundenen Mehraufwandes zum Ausdruck bringen, aber diese, anders als in den Gesprächen zu Beginn des Semesters (Gesprächsnotizen der Autorin), nicht mehr absolut stellen. Immerhin 14 Studierende, die ihre Skepsis im Reflexionsteil thematisieren, besprechen zugleich verschiedene relativierende Argumente. Eine Studierende merkt beispielsweise an, dass ja „auch schon kleine Maßnahmen viel bewirk[en]“, eine weitere, dass es bei alledem „nicht um Perfektion, sondern um ein Optimum“ gehe, wieder eine andere, dass es bei unterrichtlicher Differenzierung schlicht „um Ideen und den Mut Neues aus[zu]probieren“ gehe. Drei Studierende merken an, dass der Umgang mit Differenzierung zwar am Anfang sicher schwer sei, aber mit zunehmender Erfahrung sicher leichter werde. Zwei weitere vertreten die Meinung, dass man auch „nicht immer allen gerecht werden“ müsse, sondern dass es primär um den Versuch und den Willen gehe, stets allen gerecht zu werden. Die Studierenden haben im Laufe des Kurses eine deutlich positive Haltung gegenüber der unterrichtlichen Differenzierung entwickelt. Fünf Studierende betrachten Binnendifferenzierung als eine Notwendigkeit, die sich aus der zunehmenden Erkenntnis um die Neurodiversität der Lerngruppen ergibt. Vier argumentieren in Richtung Teilhabe, eine betont die positive Wirkung auf das „Selbstwertgefühl und die Eigenständigkeit“ (0M6j) der Betroffenen, eine sieht in der Differenzierung einen „wichtigen Aspekt eines zunehmend stärkenorientierten Unterrichts“ (1S0c). Zwei Studierende thematisieren den Zusammenhang von Differenzierung und besserer Disziplin in der Klasse. Besonders erfreulich war die Aussage einer Studierenden, sie habe durch die Begegnung mit betroffenen Personen ein „besseres Verständnis“ für deren Situation entwickelt und habe für sich Berührungsängste abgebaut. Durch Kurse wie diesen, fährt sie fort, würde Missverständnissen vorgebeugt. Sie versuche nun, „während [ihres Unterrichtens] vermehrt darauf zu achten, was zu diesem Verhalten 100 Yela Schauwecker DOI 10.24053/ FLuL-2024-0023 53 • Heft 2 führen könnte, anstatt zu unterstellen, dass es ein absichtlich böswilliges Verhalten ist“ (0R9a). Und eine schließlich bestätigt das Vorgehen im Kurs indem sie sagt: „Beginnt man […] die Unterrichtsplanung vom Endprodukt und dem Ziel der Stunde aus und arbeitet Schritt für Schritt die Stunde ab, so finden sich fast immer Gelegenheit zur Differenzierung“ (1T2d). Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die Studierenden nach dem Kurs zwar nach wie vor die Herausforderungen der Differenzierung deutlich sehen, diese aber unter verschiedenen Perspektiven für sich relativieren. Außerdem fällt auf, dass sie ein beginnendes Verständnis für Inklusion und Differenzierung zeigen, aber in ihren Bemerkungen kaum explizit auf das Konzept von Neurodiversität eingehen. Auch wenn jüngst der Appell formuliert wurde, Neurodivergenz im allgemeinen Kontext der Inklusion zu betrachten (B LUME & B ÜNDGENS -K OSTEN 2022), zeigen die Formulierungen der Studierenden, wie wichtig es andererseits auch ist, in Kursen speziell Neurodivergenz zu adressieren. In diesem Sinne validieren die Aussagen der Studierenden in ihren Reflexionsteilen die Werte der Befragung, aus denen hervorging, dass die Studierenden sich nach dem Kurs höchstsignifikant eher zutrauen, eine differenzierte Stunde zu planen und sich differenziertem Unterricht höchstsignifikant eher gewachsen fühlen. 4. Feedback und Lessons Learned Die Reflexionen einiger Studierenden zeigen, dass offenbar noch mehr darauf insistiert werden muss, dass es sich bei Differenzierung nicht um Anpassungen der kognitiven Schwierigkeit der Aufgabenstellungen handelt, sondern um die Anpassung der Aufgabenstellungen an die spezifischen Lernausgangslagen neurodivergenter Lernender. Nicht einfachere Aufgaben, sondern erleichterte Teilhabe sind in diesem Fall das Ziel der Differenzierung. Eine weitere Frage, die sich aus der Rückschau ergibt, ist, inwiefern die Arbeit mit paradigmatischen Neurodivergenzen Stereotype und Klischees fördert. Wenn es sich bei Neurodivergenz um eines nicht handelt, dann sind es klar zu umreißende Phänomene: nicht nur die Neurodivergenzen selbst, sondern auch ihre jeweiligen Ausprägungen sind zutiefst individuell. Ein Kurs kann hier nur sensibilisieren, zum Fragen anregen und zum Kommunizieren ermuntern, alles Weitere muss im konkreten Fall mit den Lernenden und / oder ihren Eltern direkt abgeklärt werden. Kritisch zu sehen ist schließlich noch der Hinweis einer Studierenden (0M4l, Protokoll), ihr sei erst relativ spät klargeworden, dass es sich bei den besprochenen Neurodivergenzen um theoretische Bezugsgrößen für die Differenzierung gehandelt habe, dass im Unterrichtsalltag wohl aber zumeist geringer ausgeprägter Differenzierungsbedarf bestünde. In Anbetracht dessen wäre es zum Beispiel wichtig, von Anfang an stärker zu betonen, dass es sich bei den vier thematisierten Neurodivergenzen um Bezugspunkte im Sinne einer didaktischen Reduktion handelt und dass in einer gymnasialen Regelklasse vermutlich stets nur einzelne ausgeprägt neurodivergente Kinder Das Prinzip der Differenzierung 101 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0023 anzutreffen sein werden. Auf der anderen Seite darf diese Erkenntnis, so beruhigend sie für die Studierenden auch sein mag, nicht dazu führen, dass das Phänomen der neurodivergenten Lernenden insgesamt abgetan wird mit dem Argument, dass es nicht viele Lernende beträfe, denn Heterogenität und Neurodivergenz sind allgegenwärtig in Schulklassen. Literatur B ERNECKER , Katharina / J OB , Veronika (2019): „Mindset theory“. In: S ASSENBERG , Kai / V LIEK Michael L. W. (Hrsg.): Social Psychology in Action: Evidence-Based Interventions from Theory to Practice. Cham: Springer International Publishing, 179-191. https: / / doi.org/ 10.1007/ 978-3-030-13788-5_12 B ÜNDGENS -K OSTEN , Jules / B LUME , Carolyn (2022): „Neurodiversität- (k)ein Thema für die Fremdsprachendidaktik? “ In: Zeitschrift für interkulturellen Fremdsprachenunterricht 27.2, 225-247. 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Für diesen Text ist es allerdings wichtig zu verstehen, welche die gängigsten Formen einer LRS sind und wie viele Menschen davon betroffen sind. Verschiedene Konzepte wie die „Legasthenie, Lese-Rechtschreib-Störung, Lese-Rechtschreib-Schwäche und Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten […] bezeichnen Probleme beim Erwerb des Lesens und/ oder des Rechtschreibens“ (S CHEERER -N EUMANN 2023: 19). G ERLACH (2019) schätzt, dass mindestens ein Fünftel aller Schüler*innen mit Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben betroffen sein müssten. Die Symptomatik einer LRS variiert dabei stark und kann in unregelmäßigen Kombinationen mit anderen Formen der Neurodivergenz wie beispielsweise Autismus oder ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit- Hyperaktivitätsstörung) auftreten (G ERLACH 2019). Als Legasthenikerin weiß ich, dass das Lesen und Schreiben in der Informationsgesellschaft Schlüsselkompetenzen für die Teilhabe am beruflichen und kulturellen Leben sind (S CHEERER -N EUMANN 2023). Sie sind die Bedingung für einen erfolgreichen Abschluss an Schulen, in der Ausbildung oder an der Universität beziehungsweise den Hochschulen. So können Probleme beim Lesen in Form einer geringen Lesegeschwindigkeit den Arbeitsaufwand für betroffene Menschen im Beruf oder im Bildungssystem deutlich erhöhen. Meine Probleme im Studium zeigten sich vor allem beim Lesen von Texten. Gemeint ist hierbei nicht die Frequenz der gelesenen Wörter pro Minute, sondern die kognitive Verarbeitung des Gelesenen. Universitäten und Hochschulen verwenden ein standardisiertes System, bei dem credit points (CP) ver- * Goethe Universität Frankfurt 104 Sophie A. DOI 10.24053/ FLuL-2024-0024 53 • Heft 2 wendet werden, um den Arbeitsaufwand eines Seminars beziehungsweise einer Vorlesung berechnen zu können. So entspricht ein CP ungefähr 25-30 Arbeitsstunden. Im Schnitt benötige ich im Vergleich zu meinen Kommiliton*innen ungefähr doppelt so lange, um einen wissenschaftlichen Text zu verstehen. Setzen dozierende Personen also einen gewissen Leseaufwand im Rahmen der CP für Studierende fest, benötige ich doppelt so lange, um die vorgegebenen Texte zu lesen und vorzubereiten. Während des Studiums habe ich die kalkulierte Zeit für das Selbststudium in den Seminaren meistens nur für das Lesen der vorgegebenen Texte benötigt. Eine damit einhergehende Ausarbeitung eines Textes oder andere mit dem Text verknüpfte Aufgaben musste ich außerhalb dieser kalkulierten Zeit anfertigen. Problematisch ist dies vor allem in der Vorbereitung und Ausarbeitung von Hausarbeiten sowie beim (handschriftlichen) Schreiben von Klausuren. Diese Problematik hat dazu geführt, dass ich die Regelstudienzeit von sieben Semestern nicht einhalten konnte, da der kalkulierte Arbeitsaufwand für mich nicht tragbar war. So war für mich der Versuch, die vorgegebenen Selbststudiumsstunden einzuhalten, meistens ein Kampf gegen Windmühlen.Manche von Ihnen fragen sich beim Lesen meiner Erfahrungen bestimmt, wieso ich denn keinen Anspruch auf einen Nachteilsausgleich nehme. Um diese Frage beantworten zu können, ist es wichtig zu verstehen, dass Menschen mit LRS, sowie neurodivergente Menschen generell, nach wie vor stigmatisiert und diskriminiert werden. Bedingt durch meine Legasthenie wurde in meiner Schulzeit die Rechtschreibung bei der Notenvergabe nicht berücksichtigt. Der Preis dafür ist, dass dies in meinem Abiturzeugnis vermerkt ist und jede Person, der ich dieses Zeugnis vorlegen muss, automatisch über meinen „Nachteil“ informiert wird. Manche mögen dies für gerecht halten, andere als diskriminierend. Ich erachte es als lästig. So auch meine Antwort auf die Frage: Ja, Nachteilsausgleiche sind eine wichtige und notwendige Form der Inklusion, allerdings sind sie auch aufwendig und von Institution zu Institution unterschiedlich. Von Bevormundung zu Gleichberechtigung bis hin zur Benachteiligung habe ich im Rahmen meines schulischen und universitären Werdegangs jeden möglichen Umgang mit der Diagnose bereits erleben müssen. Eine Art Russisch Roulette, wenn man so möchte. Dementsprechend begrüße ich dozierende Personen, die bereits auf Menschen wie mich ungefragt Rücksicht nehmen und ihre Seminare weniger auf dem Prinzip des Leistungsdrucks und mehr auf dem Prinzip des Wissenszuwachs aufbauen. Gemeint damit ist, dass Dozierende ihre Inhalte und wöchentlichen Aufgaben sowie die dazugehörige Literatur so gestalten, dass sie für eine abschließende Modulprüfung wiederverwertet werden können. Im besten Fall wird sogar individuelles Feedback auf ausgewählte Texte oder eingereichte Aufgaben gegeben, um den Lernzuwachs der Studierenden zu fördern. Im Laufe meines Studiums habe ich festgestellt, dass ich deutlich weniger Zeit in Seminare investieren musste, wenn die Inhalte der vorgegebenen Literatur und die dazugehörigen Aufgaben auch in den individuellen Sitzungen der Seminare aufgegriffen wurden. Demzufolge ist es sinnvoll, Studierende und deren Perspektive in der Gestaltung der Seminare miteinzubeziehen. Lesen und Verstehen im Studium 105 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0024 Literatur G ERLACH , David (2019): Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten (LRS) im Fremdsprachenunterricht: 7 wichtige Punkte für einen erfolgreichen Start ins Thema. Tübingen: Narr Francke Attempto. S CHEERER -N EUMANN , Gerheid (2023): Lese-Rechtschreib-Schwäche und Legasthenie: Grundlagen, Diagnostik und Förderung. Stuttgart: W. Kohlhammer. DOI 10.24053/ FLuL-2024-0025 53 • Heft 2 M ARC J ONES , G RETCHEN C LARK * Language teachers with ADHD: self-efficacy and framings Abstract. Awareness of Attention-Deficit/ Hyperactivity Disorder (ADHD) has increased in recent years within the field of language education, especially regarding how to support learners with the condition, yet there remains a lack of research on how ADHD affects teachers living with the condition. The current study used a questionnaire survey to investigate the experiences of language teachers (N=57) with ADHD in the workplace. Using mixed-methods, namely Bayesian correlations and frame analysis, responses were analyzed. Findings were that self-efficacy measures do not correlate with ADHD effects on teaching, preparation or assessment, but that ADHD effects on teaching, preparation and assessment had medium correlations with each other. Qualitative findings suggest that teachers are polarized regarding their perceptions of ADHD as a benefit or hindrance. Regardless, many participants expressed internalized negativity despite clear reports of self-efficacy. 1. Introduction Awareness of Attention-Deficit/ Hyperactivity Disorder (ADHD) is increasing due to both work in neurodiversity and a rise in diagnosis. Childhood ADHD is a highly researched neurodevelopmental condition (B ARKLEY / B ENTON 2022). It is frequently framed in the literature as a condition that mainly affects students, with the exception of J ONES / N OBLE (2023), which provides accounts of living with ADHD as a language teacher. Researching ADHD language teachers is important for the language teaching and learning community because there is a minority of the population whose experience is not represented in the literature. As stated in J ONES / N OBLE (ibid.: 34), “language teachers are assumed to be neurotypical by default”. As it stands, only research regarding how ADHD affects adults in general informs those living with the condition; it is unknown how ADHD affects teachers’ work in particular. However, domain-specific research is required in order to understand the strengths that ADHD members of the language teaching community bring to the profession. In addition, * Correspondence Addresses: Marc J ONES , M.Res. Toyo University, Faculty of Global and Regional Studies, Department of Global Innovation Studies, 5-28-20 Hakusan, Bunkyo-ku, T OKYO , 112-8606, Japan E-Mail: jones056@toyo.jp Research areas: English listening, ADHD in language teachers Gretchen C LARK , M.A., Ritsumeikan University, 2-150 Iwakura-cho, Ibaraki, O SAKA , 567-8570, Japan E-Mail: gclark@fc.ritsumei.ac.jp Research areas: Interactional competence, ADHD and language education Language teachers with ADHD: self-efficacy and framings 107 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0025 understanding the self-efficacy of language teachers with ADHD may help neurodivergent learners’ self-efficacy because evidence shows benefits of having faculty role models who are “like-you” (R ASK / B AILEY 2002; M UIR / D ÖRNYEI / A DOLPHS 2021). To this end, in this questionnaire-based study, we seek to build on J ONES / N OBLE (2023) and explore the experience of a larger sample of language teachers living with ADHD. By understanding the work life experiences of ADHD language teachers we can understand reciprocal effects between them and the learning environments they work in. That is, teachers’ self-reports detail their actions toward people and things in their workplaces, and the effects that people and workplace conditions have upon the teachers themselves. We begin the paper with a brief review of the general literature on ADHD before turning to research on neurodivergent language teachers and their self-efficacy, which leads to our research questions. The following section outlines the methodology underpinning our questionnaire-based survey, including sampling rationale and ethics procedures, as well as the correlation and frame analyses. We then examine the findings of this data in depth, particularly regarding correlation strengths regarding beliefs and behaviours, and how participants’ framings may have ramifications for the classroom. Finally, we make conclusions about the experiences of the participants based upon the data and analyses, and acknowledge the limitations of the study. 2. Literature review 2.1 Overview of ADHD The A MERICAN P SYCHIATRIC A SSOCIATION (2013: 32) defines ADHD as “a neurodevelopmental disorder defined by impairing levels of inattention, disorganization, and/ or hyperactivity-impulsivity” (italics added for emphasis). B ARKLEY / B ENTON (2022: 117) state that individuals with ADHD “seem to be deficient in or show excessive reuptake of dopamine and norepinephrine”, with low available levels of these neurotransmitters leaving a person unable to execute tasks. B ARKLEY / B ENTON (ibid.) also provide a list of 87 possible problems faced by adults living with ADHD. Those living with the condition may fidget, appear restless, or need to move around, often in conflict with restrictive social expectations; their physical spaces might be perceived to be in disarray; they may have trouble listening and appear not to pay attention; they may have trouble organizing and expressing their thoughts; they may struggle with detailed tasks. As found by K ESSLER / A DLER / B ARKLEY / B IEDERMAN / C ONNERS et al. (2006), while usually diagnosed in childhood, ADHD persists into adulthood, hence understanding the condition in teachers is imperative. 2.2 Neurodivergent language teachers As noted in J ONES / N OBLE (2023: 34), much of the language teacher psychology literature assumes teachers to be “neurotypical by default”, with few exceptions, and 108 Marc Jones, Gretchen Clark DOI 10.24053/ FLuL-2024-0025 53 • Heft 2 research on teachers with ADHD is scarce. There are, however, articles about higher education professionals with invisible disabilities (including neurodivergent conditions) and their work experiences (D OLAN 2023; S MAGORINSKY 2011), and studies on autistic staff in schools (W OOD / H APPÉ 2023). The only article we are aware of which deals specifically with language teachers with ADHD is J ONES / N OBLE (2023). One example of a study with neurodivergent teachers was a qualitative study conducted by C UERVO -R ODRÍGUEZ / C ASTAÑEDA -T RUJILLO (2021) with two dyslexic, pre-service English language teachers. The teachers stated difficulties with needing to be ‘normal’ or avoiding mistakes, such as writing errors on the board, but also find that their condition can be used as a strength: [Teachers with dyslexia] have to make an extra effort, which helps them obtain refined results; this makes them more conscientious about the difference in the classroom. They project themselves as better and more open-minded teachers than the ones that they have found during their degree studies (93). In other words, in acting to mitigate workplace problems that they anticipate, C UERVO -R ODRÍGUEZ and C ASTAÑEDA -T RUJILLO ’s informants work to make better pre-emptive decisions. At the same time, this propensity to prevent error may lead to maladaptive coping mechanisms that veer to the extreme, potentially leading to burnout and further negative consequences (W OODS 1999). 2.3 Self-efficacy of language teachers High self-efficacy beliefs may mitigate some of the previously mentioned maladaptive coping mechanisms. Professional self-efficacy appears to be related to motivation. Research findings point to links between task success and occupational selfefficacy beliefs (H ACKETT 1995). Furthermore, B ANDURA / J OURDEN (1991) state that individuals with lower self-efficacy beliefs tend to overly evaluate themselves in relation to and dwell upon failures, whereas individuals with higher self-efficacy beliefs tend to orient more towards finding solutions. There is, however, apparently no prior research investigating the self-efficacy beliefs of neurodivergent teachers, and therefore whether this population, with potentially changeable beliefs about themselves due to emotional dysregulation (B ARKLEY / B ENTON 2022), needs to be researched. While the literature links high self-efficacy beliefs to positive psychological attributes and success, whether this is also the case for teachers with ADHD is unclear. Additionally, whether ADHD teachers’ reports of self-efficacy are largely positive or negative, or markedly different from neurotypical or non-specified teachers is also unknown. Freedom to teach as one pleases and the reward of having fun were also rated as important by participants in L EE et al. (2022). However, as M ERCER (2018: 507) notes, teaching often includes “less enjoyable activities such as administrative responsibilities”. Obviously, the friction between the responsibilities and the rewards of the job must be reconciled in order for teachers to do their work effectively. K ING / N G (2018) Language teachers with ADHD: self-efficacy and framings 109 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0025 found that some teachers compartmentalized the less enjoyable parts of their work by depersonalizing and detaching from them. It may be the case that teachers in general find ways to exploit their self-efficacy by doing tasks that they feel highly capable of doing, and prefer, to avoid the less enjoyable aspects of their jobs. However, for teachers living with ADHD, the search for reward and novelty is greater due to the difference in dopamine reception (B ARKLEY / B ENTON 2022) and the search for satisfaction and avoidance may be more extreme. 3. Research Questions The purpose of this project is to understand how language teachers with ADHD complete tasks, navigate workplace relationships, and how the work is affected by selfefficacy. This will be explored using the following RQs: RQ 1. Does self-efficacy affect the work of teachers? If so, how? RQ 2. How do language teachers with ADHD frame their working experiences? 4. Methods 4.1 Researcher positionality statement Our reason for conducting this research is partly due to self-interest: we are both language teachers who live with ADHD. There are several others like us teaching language, and we wanted to know how ADHD has affected them. To an extent, this was explored by the first author in J ONES / N OBLE (2023), and by both authors in conference presentations and talks given to language teaching organizations (cf. B URKE / C LARK / N AKAGOME / S IEW 2023; J ONES / C LARK 2023). Our status as language teachers with ADHD allows us access to the community, and also a privileged emic perspective on the data. However, both researchers sought a greater sample to garner a wider perspective, which is realized in this survey. It should be noted that our own information does not form part of this data set. 4.2 Participants Participants were recruited by convenience and snowball sampling between December 2022 and February 2023. While an initial sample of 60 was recruited, a final sample of 57 was attained after discarding participants who were non-committal regarding their ADHD status or no longer employed as a language teacher. Of these 57 participants, 48 provided qualitative answers to the questionnaire. In the current study, discussing language teachers with ADHD across several countries and often working in more than one setting makes generalizability difficult. The strategies that one teacher in one context employs to cope with the effects of their ADHD maybe different to those of another teacher in a different context. This limitation thus means that we do 110 Marc Jones, Gretchen Clark DOI 10.24053/ FLuL-2024-0025 53 • Heft 2 not seek to generalize, but to explore, and to make visible the struggles as well as the successes of the teachers we surveyed. 4.3 Questionnaire 4.3.1 Pilot questionnaire Five-point scaled items adapted from B ANDURA ’s (2006: 328) Teacher Self-Efficacy Scale were modified for relevance to language teaching in particular, and other items were added in order to address the aforementioned research questions more fully. Short answer questions were included to enable effective data triangulation (W YATT 2018). The questionnaire was constructed in Google Forms to collect data digitally; this allowed for wide distribution of the survey online to teachers across the world. An institutional version of Google Workspace was used, which does not supply data to advertisers, and we also advised participants that it may be a privacy concern if they answer the questionnaire while logged in to a Google account linked to their workplace. A pilot version of the questionnaire was trialed with six individuals outside the target population to evaluate internal consistency. This was analysed in R software (R C ORE T EAM 2022) using the ltm package (R IZOPOULOS 2007), and Cronbach’s alpha of 0.868 was observed. Based upon feedback from trial participants regarding length, some qualitative items were cut from the questionnaire. This resulted in the final questionnaire (available at https: / / osf.io/ rv8hz/ ). 4.3.2 Final questionnaire The questionnaire began with a screening item to determine if the respondent believed they had ADHD or was diagnosed with ADHD. Only those passing this requirement were eligible to continue. After this, demographic information and information about formal/ self-diagnosis was collected. We believe that self-diagnosis, while potentially contentious, is valid due to the potential costs and waiting times to see an appropriate practitioner, as well as fears associated with discrimination due to a neurodevelopmental condition on one’s medical records. S ARRETT (2016) discusses this regarding autism and the same can be argued for ADHD. The main sections of the questionnaire were 1) Lesson preparation, 2) Teaching, instruction and assessment, 3) Professional relationships, 4) Self-efficacy, and 5) General short answer. For sections 1-3, respondents were asked how having ADHD affects their ability to do work-related tasks by choosing from the selections: strongly hinders, hinders, no effect, benefits, strongly benefits. Following the closed-item sections, respondents could expand on their answers in short answer form. For section 4, participants were asked about their ability to do certain tasks along a 5-point scale (I cannot do highly certain I can do). Section 5 consisted of short-answer items regarding positive and negative effects on teaching and work-life, and a further short answer to comment on how ADHD affects life both in and outside of the classroom. Language teachers with ADHD: self-efficacy and framings 111 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0025 4.3.3 Sampling and sharing The survey was distributed using social media platforms such as LinkedIn, Mastodon, Twitter and Facebook between December 2022 and February 2023. Respondents were encouraged to share the survey with colleagues as they wished. At the end of the sampling period, data from 60 participants was collected. The responses were scanned for anomalies, and three participants were removed because they did not meet the criteria for participation regarding their ADHD or employment status. 5. Data Analysis 5.1 Quantitative analysis A correlation analysis was carried out using R software (R C ORE T EAM 2022) with the jsq package (T HE JASP T EAM / D ROPMANN / S ELKER / L OVE 2019/ 2022). This analysis uses Bayes Factor Analysis because our work is exploratory: the aim is to find out the state of teacher beliefs and self-efficacy among language teachers with ADHD, not to confirm hypotheses based upon preconceptions. Internal consistency was evaluated and a Cronbach’s alpha of 0.813 obtained by cutting items relating to Age, Gender, Country Raised, Country of Work, Country of Diagnosis, Time Diagnosed/ Time Suspected, and Employment. While these items are not useful for internal consistency, they do provide a way to observe sample diversity. 5.2 Frame analysis To understand how the participants viewed the interaction between ADHD and its effects on their work-life experiences, we used frame analysis, in which participant perspectives are explored from a macro-analytic level, through implicit ideas permeating the data, rather than a micro-level thematic coding. Frame analysis was first conceptualized by G OFFMAN (1974), and L OWE (2022) has done extensive work on the framing expressed by multilingual language teachers. L OWE (ibid.: 304) differentiates between two types of frame, “master frames and counter frames” (italics in original), through use of prior work by B ENFORD / S NOW (2000). We chose the frame analysis method because we believe the deficit narrative regarding ADHD as a fault to be remedied does not encompass the lived experiences and perspectives of the people who have the condition. Frame analysis allows access to these perspectives in a way that other qualitative methods, such as phenomenological thematic analysis, does not, due to a focus on the macro and meso levels of the data. Furthermore, through our analysis, we discovered a weakness of the method in which absence of data seemed to be significant. We describe this data set as an ‘empty frame’, wherein participants do not mention a particular aspect of their lives and experiences that are subject to investigation. This type of frame is worthy of comment, based on the proposition that the absence of data is itself data. In the current study, we analyze the partic- 112 Marc Jones, Gretchen Clark DOI 10.24053/ FLuL-2024-0025 53 • Heft 2 ipants’ qualitative responses and apply them to master frames, counter frames, and empty frames. 6. Findings 6.1 Quantitative findings Twenty-four participants had received a medical diagnosis and 33 participants were self-diagnosed. Thirty-six participants identified as female, 18 as male, and three as non-binary. Most participants worked in Japan (n=42), with two based in other Asian countries, one in Africa, nine in Europe, and three in the USA. The mean age was 43 years old, with a range from 27 to 70 years old. Most participants worked in university (34), although seven worked in elementary schools, nine in junior high schools, nine in high schools, ten in private language schools, and nine in other settings. Some participants worked in more than one setting. 6.2 Correlations Within the correlations for the constructs of Preparation, Teaching, Assessment, Relationships, Disclosure and Self-Efficacy, the only effect sizes of interest which have a fairly strong Bayes Factor (BF) are Preparation : Teaching (Kendall’s Tau = 0.329, BF = 12.692), Preparation : Assessment (Kendall’s Tau = 0.316, BF = 28.1), and Teaching : Assessment (Kendall’s Tau = 0.352, BF = 23.095). BFs greater than 10 suggest strong evidence (N OROUZIAN / D E M IRANDA / P LONSKY 2019). All are medium-to-weak effects, but clearly show these aspects of teaching are correlated, as expected. Conversely, as it relates to Teaching, Assessments, Relationships or Disclosure, Self-Efficacy has very low Kendall’s Tau values as well as generally weak BFs, at the level of anecdotal or worse, and therefore no statistically sound link can be found. However, Preparation has a BF greater than 3, which is substantial (ibid.). Kendall's Tau Bayes Factor Preparation Teaching Assessment Relationships Disclosure Teaching 0.329 12.692 Assessment 0.316 28.100 0.352 23.095 Relationships 0.180 0.939 0.214 1.228 0.219 2.579 Language teachers with ADHD: self-efficacy and framings 113 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0025 Kendall's Tau Bayes Factor Preparation Teaching Assessment Relationships Disclosure Disclosure 0.041 0.200 0.140 0.448 -0.002 0.175 0.145 0.579 Self-Efficacy 0.247 3.564 0.157 0.518 0.172 0.881 0.111 0.347 0.222 2.774 Table 1: Correlation Table of Questionnaire Constructs 6.3 Frame analysis Five major framings were found in the qualitative survey data. First, ADHD was viewed as both a benefit and a hindrance; second, participants described extremes of lesson preparation; third, participants prioritized work tasks that directly affected students; a fourth master frame connected to internalized negativity and low self-worth was identified. Finally, a fifth ‘empty frame’ regarding the omission of references to language teaching was also observed. Frame 1: ADHD is both a hindrance and a benefit In the questionnaire, we asked whether ADHD hindered or benefited participants in different aspects of their professional life. However, 15 participants (26.3%) stated that their ADHD was both a benefit and a hindrance. For example, P44 said, “I choose ‘no effect’ sometimes not because there isn't an effect, but because I’m not sure if it is positive or negative or a mix of both.” It cannot be framed as either benefit or hindrance because the two aspects are intertwined. This ‘mixed blessing’ was not directly elicited in the questionnaire, and therefore it is a pertinent framing determined by the participants themselves. While it may not be considered a master frame, because it was stated by a minority of participants (15 of 48), it is nevertheless a significant perspective. Frame 2: Extremes of preparedness Four participants explicitly mentioned a need to prepare in a lot of detail, even being ‘overprepared’ for lessons, with two participants stating that they engage in hyperfocus regarding single aspects of the planning process, i.e. spending an extended time in a state of intense focus which is difficult to break (A SHINOFF / A BU -A KEL 2021). Such states of hyperfocus tend to be brought about by enjoyable or interesting activities. Other responses related to desires to design creative, enjoyable lessons due to knowledge or possession of resources. Negative sentiments were expressed by three participants in relation to lesson planning: “I would get stuck on a lesson or procrastinate trying to make the perfect lesson every time” (P24). 114 Marc Jones, Gretchen Clark DOI 10.24053/ FLuL-2024-0025 53 • Heft 2 “Long-term planning such as now for April [the beginning of the school year] is anxiety inducing” (P37). “In general it is hard to push myself to the executive functioning of detailed planning time” (P39). Participants P24 and P37 may be seen at one end of a spectrum related to negative framings regarding (over)planning, but a lack of planning can also cause such negative framings regarding planning, as expressed by participant P39. The counter frame to this ‘perfectionism’ is provided by three participants, who explicitly mentioned being underprepared or not planning lessons at all. There were also several comments by participants relating that plans were changed due to spontaneous ideas. The teachers who explicitly stated being very under/ unprepared stated that they were able to teach well, in spite of the anxiety this state brought them. Frame 3: Students are prioritized in workplace relationships When discussing workplace relationships, participants wrote about students and their relationships with them more often than their interactions with colleagues. Much of their teaching life both in and outside the classroom involved being highly attuned to the needs of their learners. “I think that my ADHD helps me gauge what might help students stay engaged during a lesson” (P10). “My own struggles have made it easier to spot students who are possibly ADHD/ autistic/ on the spectrum themselves, and adapt my lessons so that they will benefit from them. It also gives other students who might not be on the spectrum a wider variety of activities” (P29). “I think it makes me more understanding of the students. I am more flexible and willing to work with them about deadlines. Also, I am pretty flexible about the way they turn in their assignments and how they interact during some self-study/ group activities” (P4). The participants are sensitive toward students’ supposed shortcomings regarding attention and self-regulation, which the participants experience both as bystanders and also as people with diminished attention regulation and organization problems themselves. Furthermore, participants expressed that they were addressing problems in their own past education, such as “[w]anting students to have a better experience in the classroom than I [ had] ” (P7). By intervening positively in their students’ education, these teachers feel that it may be possible to prevent others from enduring the troubles that they themselves experienced as students. Conversely, while participants prioritized students and reported cultivating positive relationships with them, they reported negative interactions with colleagues and in general sidelined these workplace connections. “I forget my colleagues names, confuse them with one another, and forget when I received information or from whom” (P10). “I don't interact with my colleagues and I'm extremely easily distracted after I get my daily work done” (P24). “There just isn't anything else in the tank for polite chitchat [with colleagues]” (P49). This frames the lack of relationship maintenance with colleagues as being the result Language teachers with ADHD: self-efficacy and framings 115 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0025 of cognitive load limits (S WELLER / A YRES / K ALYUGA 2011), and therefore not actually a deliberate wish to insult, evade colleagues or to be aloof. Frame 4: Internalized negativity There are a lot of “I am” statements with regard to negative attributes. “I’m forgetful” (P44), "I am absolutely terrible at administrative tasks and organization” (P44), “I am awful at office politics” (P 32), “I am unable to focus” (P29), “I am not always able to do exactly what I had originally planned” (P4). These negative statements are framed as mainly fixed attributes, unable to be changed with strategies or assistance. Additionally, Participant 29 noted that they lack “self-confidence and self-esteem despite more than a decade’s worth of experience and constant praise from students, co-teachers and parents.” This comment is important because it shows that the internalized negativity is a long-term problem, even while the individual is aware of evidence against it. However, while some teachers reported problems regulating emotion, others also “hide negative emotions” (P1) or “mask with enthusiasm” (P10). In other words, internalized negativity is widespread but may be hidden. Despite the negative statements, participants also made positive statements using ‘I am’ and ‘I can’ phrases. “I can change course if something doesn't seem to be working and I can improvise some really good explanations, teaching moments, conversations, advice, drawings, and so on” (P32). “I can often think of simple and accurate explanations quickly, even for unanticipated questions” (P10). The positive statements are mostly framed as abilities with ‘I can’, relegating them to mere possibilities rather than inherent characteristics of their identity. Furthermore, when participants stated positive aspects about their work lives and their ADHD, these were shorter (mean number of characters 140.8) than when stating negative aspects of their work lives and their ADHD (mean number of characters 186.3). This finding regarding the length of statements suggests that the negative symptoms of ADHD may surface regularly enough that they come to mind more readily, or have significant impact on self-esteem. Frame 5: Language teaching as an ‘empty frame’ Although all the participants are language teachers, an unexpected finding was that all of the responses were framed around the experiences of ADHD or teaching in general, but no participants mentioned language teaching in particular. With all 48 participants who responded to the short answer portion of the survey omitting a reference to language teaching, we propose a fifth ‘empty frame’. It may be the case that there is nothing specific about the teaching of language that is impacted by ADHD, or conversely, it may be that nothing in particular about language teaching has an impact upon the participants’ ADHD. Nevertheless, we think the absence from the data is an important finding in itself that further adds to how this sample of language educators frame ADHD and their work. However, it must be noted that the questionnaire did not directly ask about aspects of language in teaching; instead, because all of the par- 116 Marc Jones, Gretchen Clark DOI 10.24053/ FLuL-2024-0025 53 • Heft 2 ticipants were language teachers, it was expected that they would comment upon aspects of language in their teaching. That they did not, according to our interpretation, suggests that the teaching of language is not affected by their ADHD in a way that merits remarking upon. 7. Discussion According to the statistical analysis, self-efficacy does not correlate with any of the constructs related to how ADHD affects the participants’ work. These findings complement the work of J ONES / N OBLE (2023), in that teachers’ reported self-efficacy did not correlate with negativity regarding ADHD effects in the domains of preparation or assessment. Conversely, the scores for teaching, assessment and preparation all correlate to one another with a medium effect, which suggests that participants’ scores in one of these three sections predicts the scores in the other two. In other words, ADHD affects work across tasks. In the frame analysis, ADHD was framed by participants as a dichotomy: a condition that has both positive and negative effects on their work lives. Generally, the participants devoted large amounts of time to preparation for lessons, while a smaller group reported not preparing at all. Being overprepared appears to be a compensation strategy to deal with or replace a lack of motivation toward other types of work related to teaching, such as marking assignments. Planning can be creative work, which would suit the ADHD need to seek novelty (B ARKLEY / B ENTON 2022). However, due to the emotional reactions caused by lesson planning and participants’ motivation to prepare ‘perfect’ lessons, such behaviour may not be wholly positive. Feelings of underpreparedness may lead teachers to provide more reactive instruction, which may not necessarily have a negative effect on learning. In their Dogme/ Teaching Unplugged approach, M EDDINGS / T HORNBURY (2009) advocate reactive teaching at the point of learners’ needs, i.e., teaching in accordance to what is observed in the moment in learners’ emergent language. Such a shift in teaching may also be beneficial from the perspectives of both neurodivergent and neurotypical teachers due to how it can minimize the stress of planning. Concerning relationships, the focus was on students more so than colleagues, with some participants avoiding coworkers altogether. Participants strongly empathized with students, particularly those who are struggling, perhaps due to the participants' identification with the same struggles in their own education, and in turn identifying with the students themselves. This is resonant with the experiences of autistic school staff in W OOD / H APPÉ (2023). Many participants experienced low feelings of self-worth and inadequacy. These results are in line with the work of C UERVO -R ODRÍGUEZ / C ASTAÑEDA -T RUJILLO (2021), which found that neurodivergent teachers may have a level of internalized negativity regarding their behaviours and abilities. This may have to do with pressures of managing the symptoms of a neurodevelopmental condition in a world that is struc- Language teachers with ADHD: self-efficacy and framings 117 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0025 tured by and for neurotypical people. While frequently mentioned in the ADHD literature that those with the condition require more dopamine than neurotypical individuals, including from rewards and praise (B ARKLEY / B ENTON 2022), simple praise may not be enough to counteract internal negativity narratives of inability in certain areas. Yet, despite the internalized negativity, the teachers in the current study stated a confidence in carrying out their duties, and because few participants wrote about language teaching specifically, we conjecture that the participants do not believe that the language content of their lessons or pedagogy is positively or negatively affected by ADHD. 8. Limitations One limitation of the study is that it provides the beliefs and opinions of the people who participated at one particular time, however these are subject to change over time and depend upon other life circumstances. Moreover, it is based on self-reports, not objectively measured criteria. Nevertheless, we believe that the data provided is rich and offers an insight into a particular subsection of the language teaching population, which has not been acknowledged in the research literature. Additionally, other limitations of our study relate to the sample itself, which was garnered by a convenience and snowball sampling. The participants self-selected themselves, and thus it is possible that the data reflect only the opinions of people who have comparatively strong opinions about ADHD and/ or feel comfortable describing their lives. Furthermore, the data is heavily skewed toward language teachers based in Japan, and in particular in the higher education sector. Given the nature of qualitative data analysis collection techniques such as the frame analysis used for this project, the data is subject to our interpretation. We have made every effort to represent the data as clearly as possible in alignment with what the participants described. Moreover, when interpreting the correlation statistics, it must be borne in mind that this study concerns a relatively small sample for this type of method and that the work is exploratory. In other words, grand narratives about how ADHD affects teachers are not possible and must be avoided. Instead, our work describes the experiences of our sample of teachers, which may resonate with the experiences of other teachers with ADHD and other neurodivergent conditions and help inform them of how to navigate their professional lives. In conclusion, the purpose of this project was to understand how a sample of the teaching population living with ADHD see themselves in relation to their work and working relationships, and not to report grand narratives. We see our scholarship as a vital part of the research on neurodiversity in language teaching, and we hope that this paper inspires further research on the topic. * * Notes on contributions: Both authors contributed equally to the writing of the article and the conceptualization of the study. Marc Jones led the quantitative analysis and the frame analysis. Gretchen Clark assisted in the quantitative analysis and the frame analysis. 118 Marc Jones, Gretchen Clark DOI 10.24053/ FLuL-2024-0025 53 • Heft 2 References A MERICAN P SYCHIATRIC A SSOCIATION (Ed.) (2013): Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders: DSM-5 (5th ed). Washington, D.C: American Psychiatric Association. A SHINOFF , Brandon. K. / A BU -A KEL , Ahmad (2021); “Hyperfocus: The forgotten frontier of attention”. In: Psychological Research 85.1, 1-19. B ANDURA , Albert (2006): “Guide for constructing self-efficacy scales”. In: P AJARES , Felix / U RDAN , Tobias (Eds.), Self-Efficacy Beliefs of Adolescents. 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Lowe and Adam Littleton for their feedback while writing this article. Language teachers with ADHD: self-efficacy and framings 119 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0025 L EE , Bradford J. / B ROADBRIDGE , James / P ARK , Hyunsuk / S HIMADA , Miori / F REEMAN , Randi F (2022): “Does TESOL teacher motivation matter? Values vs. rewards”. In: KOTESOL Proceedings 2022, 21-33. L OWE , Robert J. (2022): “Framing, ideology, and the negotiation of professional identities among non-Japanese EFL teachers in Japan”. In: M IELICK , Martin / K UBOTA , Ryuko / L AWRENCE , Luke (Eds.), Discourses of Identity: Language Learning, Teaching, and Reclamation Perspectives in Japan. Cham: Springer, 301-320. M EDDINGS , Luke / T HORNBURY , Scott (2009): Teaching unplugged: Dogme in English language teaching. Surrey: Delta Publishing. M ERCER , Sarah (2018): “Psychology for language learning: Spare a thought for the teacher”. In: Language Teaching 51.4, 504-525. 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A subject-specific adaption of cognitive activation, communicative-cognitive activation includes task and teaching characteristics that are conducive to in-depth processing of the target language. To this end, an EFL-specific coding scheme for assessing the PCCA in primary EFL tasks was developed in a theory-based process with a special focus on listening and speaking. The coding scheme comprises four main dimensions: (1) Overall textbook characteristics, (2) overall task characteristics, (3) characteristics of listening tasks and (4) characteristics of speaking tasks. Results indicate rather consistent levels of PCCA across all textbooks regarding overall textbook and task characteristics. However, textbooks vary considerably regarding their PCCA in listening and speaking tasks and indicate that in both domains tasks do not fulfill their PCCA. Thus, the study highlights the crucial role of teachers in achieving communicative-cognitive activation in the primary EFL classroom. * Korrespondenzadressen: Prof. Dr. Eva W ILDEN , Didaktik des Englischen, Universität Duisburg- Essen, Universitätsstr. 2, 45141 E SSEN E-Mail: eva.wilden@uni-due.de Arbeitsbereiche: Didaktik des Englischen, Unterrichtsqualität, Inklusion, Frühbeginn Prof. Dr. Raphaela P ORSCH , Schulpädagogik und Allgemeine Didaktik, Universität Vechta, Driverstr. 22, 49377 V ECHTA . E-Mail: raphaela.porsch@uni-vechta.de Arbeitsbereiche: Allgemeine Didaktik, Schul-/ Unterrichtsforschung, Lehrkräftebildung, Professionsforschung. Joel G UTTKE , wiss. Mitarbeiter, Didaktik des Englischen, Universität Duisburg-Essen, Universitätsstr. 2, 45141 E SSEN E-Mail: joel.guttke@uni-due.de Arbeitsbereiche: Unterrichtsqualität, Englischunterricht in der Primarstufe, Fragebogenkonstruktion Larissa W ELLMANNS , Lehrkraft für Englisch und Philosophie, Albert-Einstein-Realschule, Gleiwitzstraße 200, 44328 D ORTMUND E-Mail: larissa.wellmanns@aer-dortmund-edu.de N i c h t t h e m a t i s c h e r T e i l Das Potential zur kommunikativ-kognitiven Aktivierung im Englischunterricht 121 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0026 1. Einleitung Ein zentrales Anliegen der Allgemeinen Didaktik und der Fremdsprachendidaktik ist die Frage, wie Unterrichtsqualität definiert werden kann. Neben dem andauernden Diskurs um die Festlegung von generischen und fachdidaktischen Kriterien (P RAETORIUS / G RÄSEL 2021) gilt das Bemühen der empirischen Erfassung von Unterrichtsmerkmalen. Das prominenteste Modell im deutschsprachigen Raum unterscheidet drei Basisdimensionen von Unterrichtsqualität (K LIEME 2019): Klassenführung, Schülerorientierung und Kognitive Aktivierung. Letztgenannte Dimension wurde bislang in der Fremdsprachendidaktik nicht systematisch untersucht. Studien wurden überwiegend im Mathematikunterricht und im naturwissenschaftlichen Unterricht sowie auf der Sekundarstufe durchgeführt (K UNTER / E WALD 2016), mit nur wenigen Studien zum Englischunterricht (DESI-K ONSORTIUM 2008; G ÖBEL 2011; W ILDEN / P ORSCH 2019). Um der kommunikativen Zielsetzung des schulischen Englischunterrichts Rechnung zu tragen, wurde der Begriff der kommunikativ-kognitiven Aktivierung vorgeschlagen (W ILDEN 2021; T HALER 2014) und in Studien erstmals für den Englischunterricht mittels Befragung operationalisiert (W ILDEN / P ORSCH 2019; W ILDEN et al. 2020). Befunde und Theoriebildung der Zweitspracherwerbsforschung legen ebenfalls eine fachspezifische Untersuchung von kognitiver Aktivierung bzw. von Unterrichtsqualität nahe (z.B. K ERSTEN 2023). Das übergeordnete Lernziel schulischen Fremdsprachenunterrichts ist die Entwicklung der (interkulturellen) kommunikativen Kompetenz (C OUNCIL OF E UROPE 2018; KMK 2023). Darunter wird die Fähigkeit verstanden, die Zielsprache aktiv in bedeutungsvollen Sprachhandlungssituationen nutzen zu können. Diese Definition weist auf die Funktion von Sprache als Kommunikationsmedium hin, die weit über den reinen Erwerb zielsprachlicher Mittel sowie die Fähigkeit, diese sprachlich korrekt anzuwenden, hinausgeht. Kommunikative Kompetenz meint auch die Fähigkeit, Sprache für eine Vielfalt kommunikativer Zwecke und Funktionen anzuwenden, die Sprachnutzung an die jeweilige Situation und beteiligten Personen anzupassen sowie verschiedene Sorten geschriebener und mündlicher Texte zu rezipieren und zu produzieren. Für den Kontext des fremdsprachlichen Lernens besonders bedeutsam sind zudem strategische Aspekte kommunikativer Kompetenz, wie z.B. die Fähigkeit, Kommunikation zu initiieren oder aufrechtzuhalten trotz eines sich noch entwickelnden, daher limitierten sprachlichen Repertoires. Curricular ist die kommunikative Kompetenz im zentralen Kompetenzbereich der funktionalen kommunikativen Kompetenz verankert (KMK 2023). Dabei wird zwischen den rezeptiven (Hör- und Leseverstehen, teils auch audiovisuelles Verstehen) und produktiven bzw. interaktiven (Sprechen, Schreiben) Teilkompetenzen sowie der Mediation unterschieden. In der Grundschule haben die mündlichen Teilkompetenzen, das Hörverstehen, das Sprechen sowie das audiovisuelle Verstehen, Priorität im Fremdsprachenunterricht, obwohl inzwischen auch die schriftlichen Teilkompetenzen in den Lehrplänen verankert sind (z.B. K OLB / S CHOCKER 2021). Aufgrund dieser Priorisierung fokussiert die Studie Lernaufgaben zur Förderung mündlicher Teilkompetenzen. 122 Eva Wilden, Raphaela Porsch, Joel Guttke, Larissa Wellmanns DOI 10.24053/ FLuL-2024-0026 53 • Heft 2 Die Messung von Tiefenstrukturen der Unterrichtsqualität wie der kommunikativkognitiven Aktivierung ist methodisch anspruchsvoll. Grundsätzlich lässt sich unterscheiden: Handelt es sich um kognitiv aktivierende Merkmale von Aufgaben zum Einsatz im Unterricht oder um eine kognitiv aktivierende Unterrichtsgestaltung? Deutlich wird: Da die kognitive Aktivierung der Lernenden nicht direkt sichtbar ist, braucht es Indikatoren, anhand derer sie erfassbar ist. Es lassen sich drei Zugangsweisen zur Erfassung von kommunikativ-kognitiver Aktivierung unterscheiden: (1) Befragung von Lernenden oder Lehrkräften mittels Fragebogen, (2) Beurteilung beobachteten oder videografierten Unterrichts durch extern geschulte Raterinnen bzw. Rater, (3) Analyse im Unterricht eingesetzter Aufgaben (mündlich und schriftlich, in Lehrwerken oder anderen Arbeitsmaterialien). Jede dieser drei Zugangsweisen birgt spezifische Vor- und Nachteile, sodass sie sich unterschiedlich gut eignen, um Aspekte kognitiver Aktivierung valide zu erfassen. Ergebnisse zur Analyse des Potenzials für kognitive Aktivierung von Aufgaben liegen u.a. zu den Fächern Deutsch und Mathematik vor (z.B. N EUBRAND et al. 2011; P RACHT / L ÖFFLER 2012). Studien zum Potenzial von Aufgaben für kommunikativ-kognitive Aktivierung (PKKA) im Englischunterricht konnten nicht identifiziert werden, wenngleich Lehrwerks- und Materialanalysen zu den zentralen Forschungsfeldern der Fremdsprachendidaktik gehören (C ASPARI 2016). Der Beitrag widmet sich dieser Forschungslücke und berichtet die Ergebnisse einer Studie zur Analyse des PKKA von Lernaufgaben in Lehrwerken der Klasse 4 für die mündlichen Teilkompetenzen Hörverstehen und Sprechen. Dazu werden zunächst die theoretische Grundlage und das Design der Studie inklusive des für die Studie entwickelten Kategoriensystems vorgestellt. Anschließend werden die Befunde berichtet und auch mit Blick auf die Limitationen der Untersuchung diskutiert. 2. Lernaufgaben im Englischunterricht der Grundschule Lernaufgaben unterstützen Lernende primär in der Entwicklung ihrer fremdsprachlichen Kompetenzen und übernehmen in fremdsprachendidaktischen Ansätzen wie bspw. dem task-based language teaching eine zentrale Rolle in der Gestaltung von Lehr-Lernprozessen. Trotz dieser prominenten Stellung konstatiert C ASPARI (2019: 213), es gäbe „keine einheitliche Definition und erst recht keine einheitliche Konzeption von Lernaufgaben.“ Es existieren jedoch folgende Qualitätskriterien für Lernaufgaben, die für den kommunikativen und kompetenzorientierten Englischunterricht konsensfähig scheinen (B URWITZ -M ELZER / C ASPARI 2017; C ASPARI et al. 2010; K OLB / S CHOCKER 2021; T HONHAUSER 2010): • Ausgeglichenes Verhältnis von Aufgabenanforderung und -unterstützung: Die Schwierigkeit von Lernaufgaben ist so ausgeprägt, dass sie Lernende zwar herausfordert, eine verständnisorientierte und erfolgreiche Bearbeitung gleichzeitig jedoch nicht verhindert. Lernende können auf scaffolds zurückgreifen, wel- Das Potential zur kommunikativ-kognitiven Aktivierung im Englischunterricht 123 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0026 che die Aufgabenanforderungen unterschiedlichster Art (z. B. sprachlich, kognitiv oder metasprachlich) entlasten. • Authentizität: Lernaufgaben konfrontieren Lernende mit für sie bedeutsamen real world tasks, indem sie ihre individuellen lebensweltlichen Kontexte fokussieren. In der Literatur findet diesbezüglich eine Unterscheidung zwischen der Authentizität des Aufgabenmaterials und der Authentizität des Sprachgebrauchs der Lernenden statt. • Ergebnisorientierung: Die Bewältigung einer Lernaufgabe manifestiert sich in einem Produkt, das sowohl sprachlicher als auch materieller Natur sein kann. • Inhaltsorientierung: In der Bearbeitung von Lernaufgaben setzen sich Lernende über inhaltlich vielfältige und für sie interessante Diskurse mit der Zielsprache auseinander. • Integration von focus on form: Lernaufgaben initiieren seitens der Lernenden eine explizite Auseinandersetzung mit der Zielsprache. Der Begriff form bezieht sich dabei nicht nur auf Grammatik und chunks, sondern umfasst alle linguistischen Ebenen, wie Aussprache und Pragmatik. Der focus on form ist der bedeutungsvollen Verwendung der Zielsprache untergeordnet. Aspekte der sprachlichen Form werden nur dann explizit diskutiert, wenn sie im Rahmen der Aufgabenbearbeitung erforderlich oder von den Lernenden thematisiert werden. • Offenheit: Lernaufgaben fördern nicht ausschließlich kognitive, sondern auch motivational-affektive outcomes auf Seiten der Lernenden und involvieren sie ganzheitlich. Sie sind insofern offen gestaltet, als dass die Lernenden in der Bearbeitung individuelle Schwerpunkte in Abhängigkeit individueller Interessen und Kompetenzen setzen können. Kritisch anzumerken ist, dass Lernaufgaben, die zunächst in Form von Dokumenten (z.B. Lehrwerk) existieren, nur den Ausgangspunkt für fremdsprachliche Lehr-Lernprozesse bilden können. Die Wirksamkeit von Lernaufgaben wird maßgeblich von der Implementation durch die Lehrkraft und die Nutzung durch die Lernenden bestimmt. Aus Perspektive der Unterrichtsqualitätsforschung bilden Lernaufgaben in Form von Dokumenten somit das PKKA ab, wobei nur hypothetische Rückschlüsse auf eine tatsächliche kognitive Aktivierung der Lernenden während der Bearbeitung der Lernaufgaben gezogen werden können. C ASPARIS (2019) Gegenüberstellung verschiedener Lernaufgabenkonzepte verdeutlicht, wie ein und dieselbe Lernaufgabe in der Unterrichtspraxis auf unterschiedliche Weise (z.B. hinsichtlich der Art der Zielaufgabe, der Komplexität oder des Grades an isolierter bzw. integrativer Kompetenzentwicklung) umgesetzt werden kann. Für den Kontext des Englischunterrichts in der Grundschule lassen sich die o. g. Qualitätskriterien gemäß des Studienschwerpunkts auf mündliche Teilkompetenzen wie folgt konkretisieren (E LSNER 2010): Hinsichtlich der Materialauthentizität von Lernaufgaben ist bspw. zu bedenken, dass auch didaktisierte Aufgabeninhalte lernförderlich sein können, sofern sie von den Lernenden als bedeutsam und motivierend 124 Eva Wilden, Raphaela Porsch, Joel Guttke, Larissa Wellmanns DOI 10.24053/ FLuL-2024-0026 53 • Heft 2 wahrgenommen werden. Die Ergebnisorientierung und Offenheit ist aufgrund etablierter spielerischer und holistischer Lernzugänge leichter im Englischunterricht der Grundschule umzusetzen. Herausfordernder gestaltet sich hingegen die Inhaltsorientierung, indem sie hohe Ansprüche an die Fähigkeit der Englischlehrkräfte zur didaktischen Reduktion stellt. Fremdsprachliche Diskurse bergen aufgrund ihrer Komplexität und Kulturspezifik die Gefahr, Lernende in Kombination mit dem zielsprachlichen language input zu überfordern. Hörverstehensaufgaben fordern insbesondere dadurch heraus, dass die Grundschülerinnen und -schüler in der Regel über einen begrenzten Wortschatz in der Zielsprache verfügen, die Sprechgeschwindigkeit des Hörmaterials hoch ist und weitere cues zur Bedeutungskonstruktion (z.B. Körpersprache) fehlen. Lernwirksame Hörverstehensaufgaben entlasten Lernende, indem sie eine Verstehensabsicht motivieren, den Hörverstehensprozess gliedern sowie notwendiges (Vor-)Wissen aktivieren oder vermitteln. Auch die Produktion zielsprachlichen language outputs ist für Lernende aufgrund der Komplexität des Sprechprozesses zu Beginn besonders herausfordernd. Lernaufgaben wirken dann fördernd, wenn sie die Lernenden zu der Progression vom imitativen Sprechen über das reproduktive Sprechen hin zum produktiven Sprechen anleiten. Imitatives Sprechen beschreibt zunächst das unveränderte Nachsprechen von Äußerungen der Lehrkraft zu Beginn des Fremdspracherwerbs. Reproduktives Sprechen umfasst das unveränderte Nachsprechen mit zeitlichem Abstand sowie erste Veränderungen von patterns auf Ebene der Lexeme. Schließlich zeichnet sich produktives Sprechen durch Variation (un-)bekannter formelhafter Sequenzen und Anwendung in neuen Kontexten aus. Lernaufgaben fördern diese Progression, wenn sie die Lernenden bei der inhaltlichen Planung ihrer Mitteilung, der Wortwahl (z.B. durch die Vermittlung von language chunks) und Artikulation unterstützen. 3. Entwicklung eines Kategoriensystems zur Analyse von Lernaufgaben hinsichtlich ihres PKKA im Englischunterricht L IPOWSKY (2020: 92) bezeichnet Unterricht als kognitiv aktivierend, „wenn er Lernende zum vertieften Nachdenken und zu einer elaborierten Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgegenstand anregt.“ Nach aktuellem Stand der Unterrichtsqualitätsforschung ist die Frage nach der Gestaltung kognitiv aktivierenden Unterrichts fachspezifisch zu beantworten und wurde etwa von W ILDEN (2021) für den Englischunterricht diskutiert. So wird kognitive Aktivierung vermutlich über eine besonders tiefe Verarbeitung der Zielsprache Englisch erreicht, wobei das Wissen über die Zielsprache im Langzeitgedächtnis gespeichert und in die Grammatik der Lernenden integriert wird. Zur Überprüfung dieser Vermutung, nutzt die vorliegende Studie folgende fachspezifische Definition: Kommunikativ-kognitive Aktivierung im Englischunterricht der Grundschule bezieht sich auf die Auswahl und den Einsatz von inhaltlich und kommunikativ bedeutungsvollen und herausfordernden Aufgaben, die auf die sprach- Das Potential zur kommunikativ-kognitiven Aktivierung im Englischunterricht 125 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0026 lichen und kognitiven Voraussetzungen der Lernenden abgestimmt sind. Diese Aufgaben bedienen sich multipler Repräsentationsformen, konfrontieren Lernende mit einer kommunikativen Aufgabenstellung und unterstützen sie bei deren Lösung in der Fremdsprache. Durch die Aufgaben erhalten Lernende einerseits bedeutungsvollen und qualitativ hochwertigen Input. Andererseits bieten die Aufgaben Gelegenheit zur eigenen Produktion von bedeutungsvollem, also einem kommunikativen Zweck dienlichen, sprachlichem Output. Dies erfolgt durch die Teilnahme an inhaltlich bedeutungsvollen und auf die Umsetzung eines kommunikativen Vorhabens ausgerichteten sprachlichen Interaktionen mit der Lehrperson sowie den Mitschülerinnen und -schülern. Zudem fördern die Aufgaben die Reflexion des eigenen Sprachhandelns bzw. des eigenen Sprachenlernens. Es ist davon auszugehen, dass all diese Aspekte potenziell zu einer erhöhten Verarbeitung der Zielsprache beitragen. Doch ist die Lernwirksamkeit dieser Maßnahmen zur Gestaltung eines kommunikativ-kognitiv aktivierenden Unterrichts entsprechend der Angebot-Nutzungsmodelle schulischer Lehr-Lernprozesse abhängig von der jeweils individuellen Nutzung durch die Lernenden, weshalb sie als PKKA bezeichnet werden. Insofern ist die Aufgabenanalyse besonders für die Untersuchung des PKKA geeignet, da sie ausschließlich Qualitätsmerkmale der unterrichtlichen Angebotsstrukturen erfasst (H ERBERT / S CHWEIG 2021). Damit wird eine klare Abgrenzung zu interaktionalen Aspekten wie der Aufgabeneinbettung im Unterrichtsgeschehen sowie nutzungsseitigen Aspekten wie der individuellen Aufgabenbearbeitung durch Lernende erst möglich. In zurückliegenden Forschungsarbeiten wurde das Potenzial zu kognitiver Aktivierung sowohl aus allgemeindidaktischer (z. B. K LEINKNECHT et al. 2011) als auch fachdidaktischer Perspektive mit einem mathematisch-naturwissenschaftlichen Schwerpunkt untersucht (z.B. J ORDAN et al. 2008), wobei auch andere Fachdidaktiken erste Entwürfe einer fachspezifischen Profilierung kognitiver Aktivierung vorgelegt haben (z.B. P RACHT / L ÖFFLER 2012). Nach einem Vergleich zahlreicher fachdidaktischer Aufgabenanalyseraster stellen M AIER et al. (2014) eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den Analysekategorien fest und resümieren, „viele Raster wurden primär für die Forschung entwickelt und sind fachspezifisch formuliert. Für die Lehrerinnen- und Lehrerbildung sind sie damit nur in reduzierter Form geeignet. Zweitens orientieren sich einige Analyseraster an allgemeindidaktischen Lernziel- und Aufgabenanalysekategorien“ (M AIER et al. 2014: 342). K LEINKNECHT et al. (2011: 333) schlagen mit ihrem allgemeindidaktischen Kategoriensystem sieben Dimensionen kognitiven Aufgabenpotenzials vor: Wissensart, Art der kognitiven Prozesse, Wissenseinheiten, Offenheit, Lebensweltbezug, sprachlogische Komplexität und Repräsentationsformen. Diese Dimensionen sind für den Fremdsprachenunterricht keinesfalls irrelevant, bedürfen jedoch für die valide Erfassung des PKKA einer fachlichen Konkretisierung und Ergänzung. Für den Englischunterricht in der Primarstufe legen E LSNER et al. (2006) einen Kriterienkatalog zur Beurteilung von Lehrwerken vor. Obwohl dieser Kriterienkatalog bereits einige der zuvor skizzierten Qualitätsmerkmale von Lernaufgaben im Fremdsprachenunterricht zusammenführt, scheint in der fremdsprachendi- 126 Eva Wilden, Raphaela Porsch, Joel Guttke, Larissa Wellmanns DOI 10.24053/ FLuL-2024-0026 53 • Heft 2 daktischen Literatur bisher eine substantielle Reflexion des PKKA in Englischlernaufgaben zu fehlen. Für die hier vorgestellte Studie wurde theoriebasiert ein Kategoriensystem zur Analyse des PKKA von Lernaufgaben im Englischunterricht auf Basis der o. g. Definition entwickelt mit besonderem Fokus auf die mündlichen Teilkompetenzen. Insgesamt wurden deduktiv auf Grundlage theoretisch-konzeptioneller Arbeiten zu Qualitätskriterien von Lernaufgaben im Fremdsprachenunterricht der Grundschule vier Dimensionen bzw. Oberkategorien (s. Tab. 1) mit jeweils mehreren Unterkategorien zur Kodierung der Aufgaben entwickelt (s. Anhang A). Dimensionen (Oberkategorien) Beschreibung: Die Dimension beschreibt… I. Aufgabenübergreifende Lehrwerksmerkmale inhaltliche (z.B. Vielfalt der Lehrwerkstexte) und formale (z.B. Übersichtlichkeit) Lehrwerksmerkmale II. Kompetenzunabhängige Aufgabenmerkmale für das PKKA als förderlich angenommene Aufgabenmerkmale, die jedoch keinem spezifischem Kompetenzschwerpunkt zugeordnet sind (z.B. Inhaltsorientierung) III. Aufgabenmerkmale mit Kompetenzschwerpunkt Hörverstehen Qualitätskriterien von Hörverstehensaufgaben (z.B. Motivierung einer Verstehensabsicht) IV. Aufgabenmerkmale mit Kompetenzschwerpunkt Sprechen Qualitätskriterien von Sprechaufgaben (z.B. Vermittlung von Kompensationsstrategien) Tab. 1: Dimensionen (Oberkategorien) mit Kurzbeschreibungen Mit Dimension I wird das gesamte Lehrwerk zunächst aus einer Makroperspektive analysiert, indem ‚aufgabenübergreifende Merkmale‘ (5 Kategorien) erfasst werden. Dimension II fokussiert ‚kompetenzunabhängige Aufgabenmerkmale‘ (11 Kategorien). Die Dimensionen III und IV fokussieren kompetenzspezifische Indikatoren von Hörverstehens- (5 Kategorien) und Sprechaufgaben (7 Kategorien). Jede Dimension beinhaltet eine unterschiedliche Zahl an Unterkategorien, aus deren Ausprägungen sich Schlussfolgerungen über das PKKA einer Lernaufgabe ziehen lassen. Obwohl die Merkmale aus Dimension I aufgabenübergreifend sind, kann auch ihnen aus fremdsprachendidaktischer Perspektive PKKA zugeschrieben werden. Darin enthaltene Kategorien wie die Vielfalt der im Lehrwerk repräsentierten Texte sowie der intendierten Lernprodukte sind Indikatoren dafür, dass die Lernaufgaben sowohl inhaltlich als auch kommunikativ bedeutungsvoll sind und die Zielsprache in multiplen Repräsentationsformen darbieten. Die Kategorien zum Layout des Lehrwerks und den darin enthaltenen Differenzierungsangeboten lassen - wenn auch zunächst vornehmlich Sichtstrukturen fokussierend - darauf schließen, inwiefern die Lehrwerksgestaltung die Lernenden kognitiv entlastet und ihre unterschiedlichen Das Potential zur kommunikativ-kognitiven Aktivierung im Englischunterricht 127 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0026 sprachlichen und kognitiven Voraussetzungen durch die Bereitstellung von Unterstützungsangeboten berücksichtigt. Die der Dimension II ,Kompetenzunabhängige Aufgabenmerkmale‘ zugeschriebenen Kategorien beziehen sich auf Merkmale, die für das PKKA von Lernaufgaben aller Teilkompetenzen als relevant erachtet werden und somit keiner kompetenzspezifischen Ausdifferenzierung bedürfen. Einige Kategorien dieser Dimension, wie die sprachliche Komplexität der Aufgabenstellung oder die Aktivierung von Vorwissen, zählen auch in generischen Operationalisierungen kognitiver Aktivierung zu Kernaspekten des Konstrukts. Andere Kategorien wiederum, bspw. die Inhalts- und Lernendenorientierung, wurden auf Grundlage fremdsprachendidaktischer Qualitätskriterien für Lernaufgaben (K OLB / S CHOCKER 2021) ergänzt. Damit geben die Kategorien Auskunft über verschiedene Bestandteile kommunikativ-kognitiver Aktivierung, wie die Komplexität kommunikativer Aufgabenstellungen, das Ausmaß an Unterstützung oder Reflexion über das eigene Sprachhandeln. Dimension III fokussiert ,Merkmale von Aufgaben mit dem Kompetenzschwerpunkt Hörverstehen‘ mit Unterkategorien, die theoriebasiert von kritischen Phasen des Hörverstehens abgeleitet wurden (F IELD 2009), wie z.B. die Segmentierung des Gehörten und Identifikation einzelner Wörter, um daraus Syntax und Bedeutung zu konstruieren. Auf Basis der theoretischen Grundlage dieses bottom-up und top-down processing wurden entsprechende Kategorien zur Analyse von Hörverstehensaufgaben entwickelt, wie bspw. die Unterkategorie ,Metakognitive Strategien‘, die erfasst, ob Lernende durch die Aufgabenstellung zur Nutzung von Strategien motiviert werden, um bspw. Problemen während des Hörverstehens aktiv zu begegnen. Gleichermaßen wurden für Dimension IV ,Merkmale von Aufgaben mit Kompetenzschwerpunkt Sprechen‘ theoriebasiert Unterkategorien entwickelt, die auf die vier Phasen des Sprechprozesses (vgl. K ORMOS 2011) Bezug nehmen. Es ist davon auszugehen, dass Sprechaufgaben im Englischunterricht genau dann eine tiefe Informationsverarbeitung im Sinne kommunikativ-kognitiver Aktivierung fördern, wenn sie zu einer bewussten Auseinandersetzung der Lernenden mit den vier Phasen des Sprechprozesses anregen. In dem Kategoriensystem spiegelt sich diese Annahme bspw. in der Unterkategorie ,Enkodierungsphase‘ wieder, die erfasst, ob eine Sprechaufgabe language scaffolding enthält, welches Lernende bei der Wortwahl, Formulierung oder Artikulation unterstützt. 4. Fragestellung und Ziel des Projekts Das vorliegende Projekt verfolgt das Ziel, Lernaufgaben aus Englischlehrwerken der Klasse 4 fachspezifisch hinsichtlich ihres PKKA im Englischunterricht auf Basis dieser Forschungsfrage zu untersuchen: Inwiefern unterscheiden sich verschiedene Englischlehrwerke der Klasse 4 hinsichtlich ihres PKKA im Englischunterricht der Grundschule? 128 Eva Wilden, Raphaela Porsch, Joel Guttke, Larissa Wellmanns DOI 10.24053/ FLuL-2024-0026 53 • Heft 2 5. Methode Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurde eine strukturierende qualitative Inhaltsanalyse (M AYRING 2022) durchgeführt. Datengrundlage waren 711 Aufgaben aus fünf Englischlehrwerken für Klasse 4 für die Primarstufe in Nordrhein-Westfalen (s. Tab. 2). Die Lehrwerke (textbooks und activity books) stellen eine Auswahl häufig verwendeter Englischlehrwerke dar, die Lehrkräfte aus Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen im Rahmen einer bereits vorliegenden Studie (P ORSCH / W ILDEN 2022) nannten. Es wurden nur Lernaufgaben für die Analyse genutzt, keine Testaufgaben (z.B. „Was ich dazu gelernt habe“, Ginger. Activitiy Book 4, 2021: 12). Die Wahl dieser Datengrundlage erfolgte angesichts des empirisch nachgewiesenen häufigen Einsatzes von Lehrwerken im Englischunterricht der Primarstufe (BIG-K REIS 2015: 25) als Ausgangspunkt fremdsprachlicher Lehr-Lernprozesse. Lehrwerk Aufgabenanzahl gesamt Anteil (absolut) Aufgaben mit Schwerpunkt Hörverstehen Anteil (absolut) Aufgaben mit Schwerpunkt Sprechen Bumblebee. Textbook 4 (2021) 148 65 77 Bumblebee. Workbook 4 (2022) 144 28 39 Ginger. Activity Book 4 (2021) 97 9 22 Playway. Pupil’s Book 4 (2017) 143 61 97 Sunshine. Activity Book (2018) 179 22 58 Insgesamt 711 185 293 Tab. 2: Datengrundlage der Lehrwerksanalyse Die Kodierung der Lehrwerke erfolgte in MAXQDA 2022. Der Großteil der Kategorien ist dichotom kodiert (0 = nicht zutreffend bzw. 1 = zutreffend); nur einzelne Kategorien differenzieren qualitativ (z.B. Grad der Aufgabenoffenheit bei Sprechaufgaben: 0 = rein imitatives Sprechen. 1 = reproduktives Sprechen, 2 = produktives Sprechen). Durch Addition der Kodierungen wurden für einzelne Aufgaben und Lehrwerke Summenscores gebildet, so dass das PKKA einer Lernaufgabe mit steigendem Summenscore höher ausfällt. Gleichzeitig ist anzumerken, dass nicht alle Kategorien für jede Lernaufgabe als notwendig für ein hohes PKKA erachtet werden. Während für Dimensionen I und II alle Lehrwerksaufgaben betrachtet werden, fokussieren Dimensionen III und IV Aufgaben mit dem Kompetenzschwerpunkt Hörverstehen Das Potential zur kommunikativ-kognitiven Aktivierung im Englischunterricht 129 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0026 oder Sprechen. Einzelne Aufgaben (z.B. „Listen. Then act out the dialogues.“, Playway Pupil’s Book 4, 2017: 9) waren nicht eindeutig einem dieser beiden Kompetenzschwerpunkte zuzuordnen und wurden daher doppelt kodiert. Da die Aufgaben zum Hörverstehen und Sprechen nur eine Teilmenge der in der Analyse berücksichtigten Lernaufgaben bilden, entsprechen die absoluten Anteile in Tabelle 2 nicht der Gesamtzahl an Aufgaben. 6. Befunde der Lehrwerksanalyse zur Erfassung des PKKA im Englischunterricht der Grundschule Im Folgenden werden die Ergebnisse der Lehrwerksanalyse zusammengefasst. Die Analyseergebnisse aus Dimension I ‚Aufgabenübergreifende Lehrwerksmerkmale‘ (s. Anhang B, Tab. 1) zeigen, dass sich alle Lehrwerke hinsichtlich dieser Merkmale ähneln. Das bedeutet, dass alle Lehrwerke ihre Inhalte klar strukturieren, Differenzierungsangebote machen, eine Vielfalt gesprochener und geschriebener Texte anbieten und zur Schaffung unterschiedlicher zielsprachlicher Sprachprodukte auffordern. Das Textrepertoire der Lehrwerke umfasst bspw. Podcasts, Spiele, Speisekarten und Tabellen. Als Produkte wurden unter anderem Collagen, E-Mails, Gedichte und Wegbeschreibungen identifiziert. Einzig in Ginger 4 konnten keine Differenzierungsangebote identifiziert werden. Dieses recht einheitliche Bild setzt sich weitestgehend in Dimension II ‚Kompetenzunabhängige Aufgabenmerkmale‘ (s. Anhang B, Tab. 2) fort. Die sprachliche Komplexität aller 711 Aufgaben fällt gering aus. Das bedeutet, dass der Instruktionstext primär aus Hauptsätzen besteht, einen den Lernenden bekannten Wortschatz so wie ausschließlich für die Aufgabenbearbeitung relevante Informationen beinhaltet. Auch zeichnen sich die Lehrwerke mehrheitlich durch Orientierung an Inhalten und den Lernenden aus. Lediglich bei 37 Aufgaben aus dem Bumblebee Textbook 4 und Bumblebee Workbook 4 wurden die Aufgabeninhalte als nicht bedeutungsstiftend bzw. als kognitiv potenziell überfordernd für die Zielgruppe eingestuft. Übereinstimmend mit den bisherigen Befunden wurde das den Aufgaben zugrundeliegende Material überwiegend als authentisch eingeschätzt. Auffällig ist, dass zu keiner Aufgabe der inhaltliche Schwerpunkt und damit das Lernziel kommuniziert wird. Nur vereinzelt wird in Aufgaben versucht, die Lernenden in der Entwicklung ihrer Problemlösefähigkeiten zu unterstützen, indem sie bspw. dazu ermutigt werden, Vermutungen zur Erklärung unbekannter Sachverhalte zu formulieren. Ähnlich gering fällt die Anzahl der Aufgaben aus, bei denen die Lernenden im Rahmen der Aufgabenbearbeitung Feedback (z.B. in Form eines Lösungswortes von einem Kreuzworträtsel) zu ihren Arbeitsergebnissen erhalten. In den Kompetenzschwerpunkten ,Hörverstehen‘ (Dimension III) und ,Sprechen‘ (Dimension IV) ist eine höhere Varianz zwischen den einzelnen Lehrwerken erkennbar. Hinsichtlich des Hörverstehens (s. Tab. 3) unterscheidet der Begleitband des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GERS, C OUNCIL OF 130 Eva Wilden, Raphaela Porsch, Joel Guttke, Larissa Wellmanns DOI 10.24053/ FLuL-2024-0026 53 • Heft 2 E UROPE 2018) fünf Arten des Hörverstehens. Während im Fall von Ginger alle neun Hörverstehensaufgaben eine dieser Arten des Hörverstehens berücksichtigen, ist dies bei Playway in über der Hälfte der Aufgaben nicht der Fall. Ähnlich uneinheitlich fallen die Ergebnisse für die drei Kategorien Verstehensabsicht, pre-listening phase und post-listening phase aus, die sich auf die gelenkte Strukturierung des Hörverstehensprozesses beziehen. Nur ungefähr ein Drittel aller Hörverstehensaufgaben je Lehrwerk beinhaltet eine pre-listening activity zur Aktivierung des zur Aufgabenbearbeitung erforderlichen Vorwissens. Mit Ausnahme von Sunshine fehlt bei etwa der Hälfte aller Hörverstehensaufgaben des jeweiligen Lehrwerks die Motivation einer Verstehensabsicht. Das bedeutet, dass die Lernenden möglicherweise während der Hörverstehensphase kein Ziel im Sinne einer while-listening activity verfolgen. Ein gänzlich anderes Bild ergibt sich für die letzte Kategorie, die post-listening phase. In vier von fünf Lehrwerken umfassen nahezu alle Hörverstehensaufgaben eine postlistening activity, in der die während der Hörverstehensphase erworbenen Informationen weiterverarbeitet werden. Jedoch vermittelt keine der 185 analysierten Lernaufgaben metakognitive Strategien zur Kompensation von Hörverstehensschwierigkeiten oder zur Regulation des eigenen Hörverstehens. Zudem konnten nur sehr wenige Aufgaben identifiziert werden, die explizit Aspekte der Bedeutungskonstruktion (z.B. Wortidentifikation) als fundamentalen Bestandteil des Hörverstehensprozesses adressieren. Zusammenfassend lässt sich für die Lernaufgaben mit dem Kompetenzschwerpunkt Hörverstehen festhalten, dass in den untersuchten Lehrwerken das PKKA in vier der sechs Kategorien zum Kompetenzschwerpunkt Hörverstehen nicht vollständig ausgeschöpft wird. Bumblebee. Textbook 4 (2021) Bumblebee. Workbook 4 (2022) Ginger. Activity Book 4, 2021 Playway. Pupil’s Book 4, 2017 Sunshine. Activity Book, 2018 Art des Hörverstehens zutreffend 47 21 9 27 15 nicht zutreffend 18 7 0 34 7 Verstehensabsicht zutreffend 34 13 5 39 20 nicht zutreffend 31 15 4 22 2 Pre-listening Phase zutreffend 23 10 3 15 7 nicht zutreffend 42 18 6 46 15 Post-listening Phase zutreffend 60 27 9 39 21 nicht zutreffend 5 1 0 22 1 Metakognitive Strategien zutreffend 0 0 0 0 0 nicht zutreffend 65 28 9 61 22 Das Potential zur kommunikativ-kognitiven Aktivierung im Englischunterricht 131 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0026 Bumblebee. Textbook 4 (2021) Bumblebee. Workbook 4 (2022) Ginger. Activity Book 4, 2021 Playway. Pupil’s Book 4, 2017 Sunshine. Activity Book, 2018 Bedeutungskonstruktion zutreffend 3 12 8 11 16 nicht zutreffend 62 16 1 50 6 Tab. 3: Ergebnisse der Aufgabenkodierung zu Dimension III „Merkmale von Aufgaben mit Kompetenzschwerpunkt Hörverstehen“ 1 Analog zeigen die Ergebnisse für Dimension IV ‚Aufgaben mit Kompetenzschwerpunkt Sprechen‘ (s. Tab. 4, S. 132), dass ein Großteil der Aufgaben Arten des monologischen oder dialogischen Sprechens gemäß dem Begleitband des GERS fördert. Jedoch ist festzustellen, dass das Sprechen in der Zielsprache größtenteils gelenkt erfolgt: Abgesehen von Bumblebee Textbook beinhalten die vier übrigen Lehrwerke anteilig überwiegend Aufgaben zum reproduktiven Sprechen. Im Einzelfall von Bumblebee Textbook ist eine Progression vom imitativen (12 Aufgaben) über das reproduktive (29 Aufgaben) hin zum produktiven Sprechen (36 Aufgaben) erkennbar. Ferner motiviert je Lehrwerk nur zwischen einem Drittel und der Hälfte aller Sprechaufgaben explizit eine Sprechintention, welche im Sinne der kommunikativen Kompetenz grundlegende Voraussetzung für die Nutzung der Zielsprache in bedeutungsvollen Kontexten ist. Die Konzeptualisierungsphase wird lediglich in zwei der 293 Sprechaufgaben adressiert und erscheint somit ungenügend berücksichtigt. Dahingegen wird die Enkodierungsphase zur Formulierung oder Artikulation einer Mitteilung je Lehrwerk von zwischen der Hälfte und zwei Drittel der betrachteten Aufgaben unterstützt. Die Monitoringphase bleibt in allen fünf Lehrwerken unberücksichtigt und die Vermittlung von Kompensationsstrategien zur Aufrechterhaltung der Kommunikation erfolgt lediglich in vier Sprechaufgaben. Zusammenfassend ist auch für die Lernaufgaben mit dem Kompetenzschwerpunkt Sprechen festzuhalten, dass in den untersuchten Lehrwerken das PKKA in drei von sieben Kategorien nicht vollständig ausgeschöpft wird. 1 Die Zellen der Tabelle enthalten die Anzahl an Aufgaben je Lehrwerk, welche der jeweiligen Ausprägung pro Kategorie entsprechen. 132 Eva Wilden, Raphaela Porsch, Joel Guttke, Larissa Wellmanns DOI 10.24053/ FLuL-2024-0026 53 • Heft 2 Bumblebee. Textbook 4 (2021) Bumblebee. Workbook 4 (2022) Ginger. Activity Book 4 (2021) Playway. Pupil’s Book 4 (2017) Sunshine. Activity Book (2018) Art des Sprechens zutreffend (monologisch) 48 9 8 39 12 zutreffend (dialogisch) 20 30 14 44 44 nicht zutreffend 9 0 0 14 2 Grad der Aufgabenoffenheit imitatives Sprechen 12 7 6 17 10 reproduktives Sprechen 29 19 10 70 26 produktives Sprechen 36 13 6 10 22 Kompensationsstrategien zutreffend 2 0 0 1 1 nicht zutreffend 75 39 22 96 57 Sprechintention zutreffend 27 18 10 47 22 nicht zutreffend 50 21 12 50 36 Konzeptualisierungsphase zutreffend 1 0 0 0 1 nicht zutreffend 76 39 22 97 57 Enkodierungsphase zutreffend 29 28 15 74 32 nicht zutreffend 48 11 7 23 26 Monitoring zutreffend 0 0 0 0 0 nicht zutreffend 77 39 22 97 58 Tab. 4: Ergebnisse der Aufgabenkodierung zu Dimension IV ,Merkmale von Aufgaben mit Kompetenzschwerpunkt Sprechen‘ 2 Zur Illustration der berichteten Befunde werden nachfolgend zwei Lernaufgaben exemplarisch vorgestellt (s. Anhang C). Bei dem ersten Beispiel (s. Abb. 1, Bumblebee. Textbook 4, 2021: 41, Teilaufgaben 1 und 2) handelt es sich um eine Aufgabe mit Kompetenzschwerpunkt Hörverstehen, die mit 15 von 30 Punkten des Kategoriensystems den geringsten Aufgabenscore erzielt. In Dimension II ‚Kompetenzunabhängige Aufgabenmerkmale‘ des Kategoriensystems erfüllt die Aufgabe vier von elf Kategorien. Der Instruktionstext („Listen to the song. Listen and read along.“) wird als wenig komplex eingeschätzt, da er aus kurzen Hauptsätzen besteht und davon auszugehen ist, dass die Lernenden mit dem Wortschatz vertraut sind. In der Kopfzeile der Lehrwerkseite („Ich kann einen Song verstehen.“) wird - wenn auch stark verkürzt - das Lernziel der Aufgabe kommuniziert. Die Aufgabe nutzt den im Jahr 2006 veröffentlichten Song „With My Own Two Hands“ von Ben Harper und wurde somit als authentisch kodiert. In Dimension III erfüllt die Aufgabe eine der sechs Kategorien, 2 Die Zellen der Tabelle enthalten die Anzahl an Aufgaben je Lehrwerk, welche der jeweiligen Ausprägung pro Kategorie entsprechen. Das Potential zur kommunikativ-kognitiven Aktivierung im Englischunterricht 133 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0026 da die dritte Teilaufgabe die Funktion einer post-listening activity erfüllt. Die übrigen Schritte des Hörverstehensprozesses finden hingegen keine explizite Berücksichtigung im Aufgabenmaterial. Abb. 1: Aufgabe mit Kompetenzschwerpunkt Hörverstehen aus Bumblebee. Textbook 4 (2021: 41) Das zweite Beispiel (s. Abb. 2, Bumblebee. Textbook 4, 2021: 31, Teilaufgabe 1) bildet eine Aufgabe mit dem Kompetenzschwerpunkt Sprechen, die mit 19 von 32 erreichbaren Punkten den höchsten Aufgabenscore aller betrachteten Sprechaufgaben erzielte. In Dimension II ‚Kompetenzunabhängige Aufgabenmerkmale‘ erfüllt die Aufgabe sieben der elf Kategorien. Im Vergleich zum ersten Beispiel wird diese Aufgabe als inhalts- und lernerorientiert eingeschätzt, da sie Lernende zur Sprachproduktion in einem altersgemäßen, bedeutungsstiftenden Kontext anregt. Zudem aktiviert 134 Eva Wilden, Raphaela Porsch, Joel Guttke, Larissa Wellmanns DOI 10.24053/ FLuL-2024-0026 53 • Heft 2 das Aufgabenmaterial durch die Illustration unterschiedlicher Berufe nicht nur inhaltliches Vorwissen, sondern aktiviert über den Impuls „What is your dream job? “ sowie den abgedruckten Wortschatz auch sprachliches Vorwissen der Lernenden, das in den vorangehenden Aufgaben der Lektion schrittweise aufgebaut wurde. Die Illustration unterhalb des Instruktionstexts erfüllt zudem die Funktion der Aufgabendemonstration und dient den Lernenden als language scaffold für die Formulierungsphase innerhalb des Sprechprozesses. Die kompetenzspezifischen Kategorien von Dimension IV veranschaulichen, dass die Aufgabe über das rein imitative Sprechen hinausgeht und die Lernenden durch die Bereitstellung des language scaffolds sowie von key words um die Berufsbilder in der Enkodierungsphase unterstützt. Abb. 2: Aufgabe mit Kompetenzschwerpunkt Sprechen aus Bumblebee. Textbook 4 (2021: 31) Das Potential zur kommunikativ-kognitiven Aktivierung im Englischunterricht 135 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0026 7. Diskussion Die Befunde der Analyse von 711 Lernaufgaben bezüglich ihres PKKA aus Englischlehrwerken für die Klasse 4 zeigen, dass die untersuchten Lehrwerke hinsichtlich aufgabenübergreifender sowie kompetenzunabhängiger Merkmale recht ähnlich sind und verschiedene als lernförderlich einzuschätzende Charakteristika aufweisen, wie bspw. eine klare Strukturierung, die Vielfalt angebotener Texte oder Instruktionen und Inhalte, die sich überwiegend an der Zielgruppe orientieren. Das weitestgehende Fehlen der Kommunikation der Lernziele, der Unterstützung von Problemlösefähigkeiten oder Feedback zur Aufgabenbearbeitung in den Lernaufgaben weist auf die wesentliche Bedeutung der Aufgabenimplementation durch die Lehrkräfte im Unterricht hin, welche nicht im Fokus des vorliegenden Projekts lag. Im Idealfall schließen Englischlehrkräfte die Lücken des jeweiligen Lehrwerks, um das PKKA der Lernaufgaben in ihrem jeweiligen Unterricht vollständig zu nutzen. Diesbezüglich ist einschränkend anzumerken, dass zu den Lehrwerken verfügbare Ergänzungsmaterialien wie teachers’ manuals nicht Gegenstand der Analyse waren. Nach stichprobenartiger Sichtung der Ergänzungsmaterialien ist davon auszugehen, dass einige der als fehlend konstatierten Aufgabenmerkmale (z.B. Kommunikation der Lernziele) darin berücksichtigt werden. Die Befunde der Aufgabenanalyse in den Kompetenzbereichen Sprechen und Hörverstehen zeigen, dass das PKKA nicht vollständig ausgeschöpft wird. So beinhalten die analysierten Hörverstehensaufgaben mehrheitlich eine post-listening phase, jedoch scheint die pre-listening phase vernachlässigt, die als eine wesentliche Voraussetzung erfolgreichen Hörverstehens gilt. Es bedarf der professionellen Kompetenz der jeweiligen Englischlehrkraft, um die Lernenden in der Entwicklung ihres Hörverstehens zu unterstützen, etwa durch Aktivierung von Vorwissen, die Fokussierung der Aufmerksamkeit zur Vorentlastung des Hörverstehens oder das Üben kompensatorischer Strategien. Noch bedeutsamer scheint die Rolle der Englischlehrkräfte beim Sprechen, da sich die Lehrwerke mit einer Ausnahme auf das reproduktive Sprechen fokussieren. Zweifellos hat dies eine wichtige Funktion im Englischunterricht mit young learners in der Grundschule, doch ist das reproduktive Sprechen als ein Entwicklungsschritt zum produktiven Sprechen in der Zielsprache zu sehen. Vor dem Hintergrund der Bedeutung von Fehlern im Sprachenerwerbsprozess ist zudem die Vernachlässigung der Monitoringphase bzw. der Vermittlung von Kompensationsstrategien in den Lernaufgaben kritisch zu sehen. Zusammenfassend wird deutlich, dass einzelne Phasen des Hörverstehens sowie des Sprechens innerhalb der Aufgaben nicht expliziert fokussiert werden, so dass der Lehrkraft im Englischunterricht der Grundschule eine besondere Verantwortung zukommt und fachdidaktische Kenntnisse von Bedeutung sind, um die Kompetenzentwicklung zu fördern. Da an deutschen Grundschulen regelmäßig Lehrkräfte Englisch fachfremd unterrichten (P ORSCH 2021; P ORSCH / W ILDEN 2022), erscheint ein Fortbildungsangebot zur Auswahl und Nutzung von Lernaufgaben im Englischunterricht notwendig, um heterogen qualifizierte Lehrkräfte zu professionalisieren. 136 Eva Wilden, Raphaela Porsch, Joel Guttke, Larissa Wellmanns DOI 10.24053/ FLuL-2024-0026 53 • Heft 2 Neben der Beantwortung der Forschungsfrage galt es im Projekt das entwickelte Kategorienschema zu erproben, da es Grundlage für Anschlussprojekte oder Hilfe für Lehrkräfte bei der Auswahl von Lernaufgaben sein kann. Trotz der wiederholten Testung des Kategoriensystems anhand eines separaten Aufgabenpools während des Entwicklungsprozesses wurde bei einem Vergleich von Aufgabenmaterial und Kodierung deutlich, dass das Kategoriensystem noch nicht alle Merkmale des PKKA zu erfassen vermag. Die Kategorie ‚Transparenz des Aufgabenschwerpunkts‘ aus Dimension II ‚Kompetenzunabhängige Aufgabenmerkmale‘ erfordert gemäß Definition eine explizite Benennung des Aufgabenschwerpunkts innerhalb der Aufgabe. Laut Kodierergebnissen, die jeweils eine einzelne Aufgabe fokussieren, erfüllt keine der betrachteten Lernaufgaben diese Kategorie. Bei Betrachtung des Lehrwerks Bumblebee 4. Textbook zeigt sich jedoch, dass am oberen Rand jeder Lehrwerkseite ein Lernziel kommuniziert wird (z.B. „Ich kann Uhrzeiten benennen.“, 14). Dieser Widerspruch indiziert die Notwendigkeit einzelne Kategorien des Kategoriensystems zu überarbeiten. Die Entwicklung des Kodierschemas erfolgte in enger Abstimmung durch drei der Autorinnen und Autoren des Beitrags. Daraufhin wurde das Kodierschema anhand eines separaten Datensatzes mittels konsensueller Kodierung (K UCKARTZ / R ÄDIKER 2022) pilotiert. Die vollständige Kodierung erfolgte jedoch einzig durch eine Autorin, so dass die Möglichkeit fehlt, eine Übereinstimmung zwischen Ratings mehrerer Rater zu berichten. Aufgrund der überschaubaren Studienlage zu kognitiver Aktivierung im Fremdsprachenunterricht ist nicht auszuschließen, dass einzelne Aspekte, die für PKKA relevant sind, in dem Kodierschema fehlen. Schließlich stellt sich als weitere Limitation die Frage, ob die Analyseeinheit möglicherweise zu klein gewählt wurde und entsprechend die Ergebnisse beeinflusst wurden. Statt einzelner Aufgaben ließen sich Aufgabenensembles untersuchen. Lehrwerke haben eine zentrale Rolle in der Gestaltung von Englischunterricht, insbesondere in der Grundschule. Im Kontext der Erforschung von Unterrichtsqualität sind die Lernaufgaben der Lehrwerke als Ausgangspunkt für fremdsprachliche Lehr- und Lernprozesse zu sehen. Für die Einschätzung ihrer Wirksamkeit ist die Implementation der Lernaufgaben durch die Englischlehrkräfte sowie die Nutzung derselben durch Lernende im Unterricht entscheidend, die nicht im Fokus dieser Studie steht. Wünschenswert ist neben einer weiteren Nutzung des Kodierschemas (z.B. andere Sprachen oder Klassenstufen) daher die Untersuchung, in welcher Weise die untersuchten Aufgaben im Unterricht Verwendung finden und inwieweit diese tatsächlich kommunikativ-kognitiv aktivieren. 3 3 Anhang: https: / / files.narr.digital/ 9783381122318/ Zusatzmaterial.pdf Das Potential zur kommunikativ-kognitiven Aktivierung im Englischunterricht 137 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0026 Literatur BIG-K REIS (Hg.) (2015): Der Lernstand im Englischunterricht am Ende von Klasse 4. Ergebnisse der BIG-Studie. München: Domino Verlag. B URWITZ -M ELZER , Eva / C ASPARI , Daniela (2017): „Lernaufgaben: Definitionen, Prinzipien und Kriterien“. 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Baden-Württemberg, Thüringen und Sachsen-Anhalt, Modellversuche für angehende Sekundarschullehrkräfte entwickelt, die einen frühen und umfangreichen Praxisbezug in das Studium integrieren. In diesen dualen Studiengängen sollen in einem iterativen Prozess ab dem 3. Semester unterrichtliche Praxisphasen mit eher theoretisch ausgerichteten Phasen an den Universitäten und Pädagogischen Hochschulen verzahnt werden. Die Studierenden sollen an ausgewählten Schulen als Unterrichtsassistenz, nicht als reguläre Lehrkraft, eingesetzt und entlohnt werden. Aus theoretischer Perspektive unterscheiden sich Ansätze der Professionsforschung u.a. im Zeitpunkt der Integration von unterrichtlicher Praxis. Folgt man der Expertiseforschung und dem Konzept des reflektierenden Praktikers, gibt es positive Evidenzen zum kumulativen Aufbau der analytisch-reflexiven Kategorien über Unterricht und des reflexiven Handlungswissens. In reflexiven Lerngelegenheiten erfolgt ein institutionenübergreifender Transfer zwischen theoretischem und (unterrichts-)praktischen Wissen und Können. Bei entsprechender Begleitung soll durch diese theoriegeleitete Reflexivität auch Distanz geschaffen und einer möglichen Überforderung entgegengewirkt werden. Begrüßenswert an den dualen Studiengängen ist die Möglichkeit des kumulativen Kompetenzaufbaus in der theoretisch-praktischen Verzahnung. Studierende können früh reflexive Kategorien entwickeln, institutionelles und reflexives (Handlungs-)Wissen aufbauen, um zukünftige Unterrichtssituationen kategorial besser einschätzen zu können. Dieser frühe Praxisbezug sollte eng von den beteiligten Institutionen begleitet und unter Bezugnahme auf fachliche und (fach-)didaktische Kategorien reflektiert werden. Ein solcher Ansatz folgt einer durchgängigen und phasenübergreifenden Professionsorientierung bei gemeinsamer Einigung auf Standards, Zielsetzung und Qualitätskriterien guten Unterrichts über verschiedene Institutionen hinweg und hoffentlich weniger einer Orientierung an Systemlogiken und Partikularinteressen einzelner Akteure. Die Einführung dualer Studiengänge ist dann keine Deprofessionalisierung des Lehramtsstudiums, wenn fachwissenschaftliche, erziehungswissenschaftliche und fachdidaktische Standards beibehalten und spätere Besoldungsverschiebungen vermieden werden. Die dazu notwendigen zusätzlichen zeitlichen und personellen Ressourcen sollten als Teil einer möglichen Strukturreform der Professionalisierungsphasen von Beginn an langfristig mitgedacht werden. Eine wissenschaftliche Evaluation des Prozesses ist zu empfehlen. Aus Forschungsperspektive bieten sich in institutionenübergreifenden Lernarrangements Unterrichtsentwicklungsforschungsprojekte an. Lehrenden in Schule und Hochschule bietet sich die Möglichkeit, die Unterrichtsentwicklung in ihrem Fach voranzubringen, da alle beteiligten Akteure eine community of practice bilden, gemeinsam an Forschungs- und Entwicklungsfragen arbeiten und so (hoch-)schulische Seminarformate professionsorientiert anpassen können. Studierende können in einem solchen Unterrichtsentwicklungsnetzwerk frühzeitig ihre Rolle als Lehrkraft ausbilden und eine adaptive Professionalitätshaltung durch Abwägung verschiedener Perspektiven entwickeln. Ludwigsburg B IANCA R OTERS S t u di e r e n d e a l s F r e m d s pr a c h e nl e hrkrä f t e : Durc h e i n ‘ D u a l e s S t u di u m ’ d e n R e a lit ä t e n b e g e g n e n ? Pro und Contra 141 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0028 Die Idee eines dualen Studiums für Fremdsprachenlehrkräfte mag auf den ersten Blick verlockend erscheinen, da sie die theoretische Ausbildung an Universitäten mit praktischer Lehrerfahrung verknüpft. Das ist auch sehr oft der Wunsch der Studierenden, die sich danach sehnen, möglichst bald im Studium den Schulalltag zu erleben. Ein zentrales Argument gegen ein duales Studium für Fremdsprachenlehrkräfte ist die potenzielle Beeinträchtigung der Ausbildungsqualität. Die Ausbildung an Universitäten ist darauf ausgelegt, tiefgehendes linguistisches, didaktisches und bildungswissenschaftliches Wissen zu vermitteln. Dieses ist essenziell für die kompetente Vermittlung von Fremdsprachen. Ein duales Studium führt dazu, dass diese theoretischen Inhalte zugunsten praktischer Erfahrungen reduziert werden, was langfristig die fachliche Kompetenz der Lehrkräfte beeinträchtigen könnte. Die Studierenden könnten leicht den Eindruck gewinnen, dass sie die Theorie gar nicht brauchen, weil sie ja auch ohne tiefgehendes Wissen unterrichten können. Tatsache ist, dass sie leider nicht wissen, was ihnen alles an Wissen und Kompetenzen fehlt - im Sinne des Mottos „Ich weiß nicht, was ich noch nicht weiß“. Dies könnte die Fähigkeit der Lehrkräfte beeinträchtigen, theoretisches Wissen in der Praxis anzuwenden und innovative Unterrichtskonzepte zu entwickeln. Es wird nur das kopiert, was man in der Schule gesehen oder selbst erlebt hat. Und das ist fatal. Ein duales Studium setzt voraus, dass Studierende parallel zur theoretischen Ausbildung praktische Erfahrungen in Schulen sammeln. Es handelt sich um eine Doppelbelastung, die zu einer erheblichen Überforderung führt. Die Anforderungen des Studiums sind bereits hoch und die zusätzlichen praktischen Verpflichtungen (abgesehen von punktuellen Praktika) können zu Stress, Burnout, Demotivation und schließlich zu einer Verschlechterung der Ausbildungsqualität führen. Die Gesundheit der Studierenden wird dabei aufs Spiel gesetzt. Die Betreuung von Studierenden im dualen Studium erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Universitäten und Schulen. Dies setzt jedoch voraus, dass beide Institutionen über ausreichende Ressourcen und Kapazitäten verfügen, um eine qualitativ hochwertige Betreuung zu gewährleisten. In der Praxis kann dies schwierig umzusetzen sein, insbesondere in Zeiten von Lehrer: innenmangel. Eine unzureichende Betreuung führt dazu, dass Studierende nicht die notwendige Unterstützung erhalten, um ihre Kompetenzen zu entwickeln. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein duales Studium für Fremdsprachenlehrkräfte zwar einige Vorteile bieten kann, die Nachteile jedoch erheblich sind. Die potenzielle Beeinträchtigung der Ausbildungsqualität, die Überforderung der Studierenden und die unzureichende Betreuung sind schwerwiegende Bedenken, die gegen die Einführung eines solchen Systems sprechen. Eine fundierte theoretische Ausbildung kombiniert mit gut strukturierter praktischer Erfahrung scheint der bessere Weg zu sein, um kompetente und motivierte Fremdsprachenlehrkräfte auszubilden. Wien M ICHAL D VORECKÝ DOI 10.24053/ FLuL-2024-0029 53 • Heft 2 Jon C LENTON , Paul B OOTH (Hrsg.): Vocabulary and the Four Skills: Pedagogy, Practice, and Implications for Teaching Vocabulary. Milton Park: Routledge 2020 (Routledge Studies in Applied Linguistics), 250 Seiten [£ 38,99] Hinsichtlich des Wortschatzerwerbs wird zwar seit jeher zwischen ,aktivem‘ und ,passivem‘ (bzw. zwischen produktivem und rezeptivem Wortschatzwissen) unterschieden, bislang liegt jedoch noch kein wissenschaftlicher Band vor, der sich zum Ziel gesetzt hat, den Wortschatzerwerb aus der Perspektive der vier klassischen skills (Hörverstehen, Leseverstehen, Sprechen und Schreiben) zu beschreiben. Genau dies ist der Anspruch, den die beiden Herausgeber des Sammelbandes in ihrem Vorwort formulieren. Der Band verfolgt dabei zum einen das Ziel, einen Überblick über bereits vorhandene Studien und Forschungsinstrumente zu liefern, zum anderen aber auch, diverse neue Studien zur Wortschatzarbeit in allen vier Bereichen zu präsentieren. Der Sammelband folgt dabei einer sehr klaren Gliederung: Zunächst werden die receptive skills (Hörverstehen bzw. Leseverstehen) präsentiert - anschließend werden die beiden productive skills (Sprechen und Schreiben) behandelt. Alle vier Hauptkapitel weisen dabei eine identische Struktur auf, die vier weitere Unterkapitel umfasst: Im ersten Kapitel wird jeweils ein Überblick über den aktuellen Forschungsstand zu dem spezifischen Kompetenzbereich und den vorhandenen Forschungsinstrumenten und -praktiken geliefert. Im Anschluss daran folgen jeweils zwei Kapitel, in denen empirische Studien zu bestimmten fertigkeitsbezogenen Einzelaspekten vorgestellt werden. Im abschließenden vierten Unterkapitel werden in kurzer Form jeweils eine Reihe potenzieller Forschungsfragen für zukünftige Arbeiten aufgelistet. Das Buch gliedert sich in die folgenden vier Kompetenzbereiche: a) Listening: Die Zusammenfassung der vorhandenen Studien zum Bereich Listening (Kap. 2: „Vocabulary and listening: current research, tools, and practices“) verdeutlicht, dass das Vokabellernen mittels Hörverstehen ein bislang noch relativ wenig erforschtes Gebiet ist, z.B. hinsichtlich der verschiedenen Arten von listening activities oder hinsichtlich unterschiedlicher Lernervariablen. Auch zum Bereich Hörsehverstehen liegen kaum Untersuchungen vor. In der Interventionsstudie von Pengchong Z HANG und Suzanne G RAHAM (Kap. 3: „Vocabulary learning through listening: Which words are easier or more difficult to learn and why? “) wird untersucht, welcher Typus der drei untersuchten Semantisierungsformen (einfache Übersetzungen, ein kontrastiver Focus-on-Form-Ansatz oder Worterklärungen in der Erstsprache) sich am effektivsten auf die Behaltensleistung auswirkt. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass zwar alle drei Formen positive Auswirkungen haben, aber dass insbesondere der kontrastive FoF-Ansatz bei den chinesischen Studierenden die besten Effekte sowohl hinsichtlich des Arbeitsals auch des Langzeitgedächtnisses erzielte. Andere verbale oder nonverbale Semantisierungstechniken, die im Fremdsprachenunterricht angewendet werden, wurden hierbei jedoch nicht überprüft. Darüber hinaus zeigt die Studie, dass Wörter mit konkreten Bedeutungen leichter zu erlernen waren als Wörter mit abstrakten Bedeutungen. Die Studie zum Hörsehverstehen von James M ILTON und Ahmed M ASREI (Kap. 4: „Vocabulary and listening“) beschäftigt sich mit der Aneignung von Wortschatz durch das Anschauen von englischsprachigen Nachrichtensendungen bei Englischlernenden an einer saudi-arabischen Hochschule. Die Untersuchung kommt zum Schluss, dass es im Vergleich zu schriftlichen Texten den Studierenden schwerer fällt, sich mittels Hörtexten Wörter anzueignen. B e s p r e c h u n g e n Besprechungen 143 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0029 b) Reading: Das Überblickskapitel von Jeanine T REFFERS -D ALLER (Kap. 6: „Vocabulary and reading: current research, tools, and practices“) unterstreicht die zentrale Stellung, die dem Wortschatz in Bezug auf die Entwicklung der Lesefähigkeit für Lernende, Lehrende und Forschende zukommt. Dabei geht es jedoch nicht nur um die Aneignung der Wortbedeutung, sondern auch um die Berücksichtigung der drei Dimensionen „form“, „meaning“ und „use“. Die Autorin geht dabei auch auf die verschiedenen bereits zur Verfügung stehenden Tests (z.B. den Vocabulary Size Test oder Lextutor) ein. Auch das Kapitel von Irina E LGORT (Kap. 7: „Building vocabulary knowledge from and for reading: improving lexical quality“) beinhaltet einen Überblick über verschiedene Studien zur Beziehung zwischen dem Leseverstehen und der Entwicklung des Wortschatzes, wobei der besondere Schwerpunkt hier auf der Lexical Quality Hypothesis liegt. In ihrer Studie erörtert sie insbesondere die Lerner-, Text- und Wortvariablen beim kontextabhängigen Lernen von Wörtern, die die Entwicklung der lexikalischen Qualität beeinflussen. Im achten Kapitel („Measuring reading and vocabulary with the Test for English Majors Band 4: a concurrent validity study“) präsentieren Jeanine T REFFERS -D ALLER und Jingyi H UANG eine Untersuchung zur Validität des Test of English Majors, der häufig zur Überprüfung des Leseverständnisses und Wortschatzwissen in China eingesetzt wird. c) Sprechen: Das Überblickskapitel zur Beziehung von Wortschatzaneignung und Sprechen von Takumi U CHIHARA (Kap. 10: „Vocabulary and speaking: current research, tools, and practices“) zeigt auf, dass diesem Bereich der Wortschatzforschung in jüngster Zeit verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt worden ist. Hinsichtlich der Forschungsinstrumente werden in dem Kapitel sowohl persönliche Einschätzungen des mündlichen Outputs von Lernenden als auch objektive Bewertungsstandards berücksichtigt. In Kapitel 11 („Investigating the extent to which vocabulary knowledge and skills can predict aspects of fluency for a small group of pre-intermediate Japanese L1 users of English“) und 12 („Re-examining the relationship between productive vocabulary and second language oral ability“) werden zwei unterschiedliche Fallstudien vorgestellt, die jeweils an einer japanischen Hochschule durchgeführt wurden und die zum Ziel hatten, mittels visuell unterstützter Sprechaufgaben das flüssige Sprechen von Englischlernenden zu untersuchen. Dabei wurden bestimmte Variablen (z.B. Länge der Pausen, Wiederholungen) untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass ein hohes Maß an Wortschatzwissen und flüssiges Sprechen bzw. die Fähigkeit zur lexikalischen Differenzierung miteinander korrelieren. d) Schreiben: Im Übersichtskapitel (Kap. 14: „Vocabulary and writing: current research, tools, and practices“) werden diverse Forschungsinstrumente beschrieben (z.B. das Lexical Frequency Profile, P-Lex, N-grams), mit deren Hilfe lexikalische Häufigkeitsprofile bei Texten erstellt werden können, die von Lernenden verfasst wurden. In Kap. 15 („Specialized vocabulary in writing: looking outside ELT“) wird eine Studie aus dem Bereich English for Academic Purposes (EAP) in Neuseeland vorgestellt, in diesem Fall zu sogenannten „builders‘ diaries“, eine Art Ausbildungsportfolio, das Auszubildende im Tischlerhandwerk anfertigen müssen. Hierbei zeigt sich, dass die Lernenden dazu neigen, eher Hochfrequenzwörter zu verwenden, die sie bereits gut kennen, als weniger bekannte Vokabeln, deren Gebrauch möglicherweise mit einem höheren Risiko verbunden wäre. Darüber hinaus findet sich im 16. Kapitel (Paul B OOTH : „Lexical development paths in relation to academic writing“) eine weitere EAP-Studie. Die Studie, in der über einen Zeitraum von einem Semester lexikalische Entwicklungsmuster beim Schreiben akademischer Essays untersucht wurden, zeigt, dass die lexikalische Entwicklung bei den Lernenden nicht immer linear verläuft und dass daher auch individuelle Unterschiede in den Entwicklungsmustern beim Schreiben berücksichtigt werden müssen. 144 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2024-0029 53 • Heft 2 Der Sammelband richtet sich - anders als es der sehr praxisbezogene Titel vermuten lässt - weniger an Lehrkräfte, sondern eher an Forschende in der Angewandten Linguistik, die evidenzbasiert zur Wortschatzarbeit forschen. Der vorliegende Band bietet insgesamt einen stateof-the-art-Überblick über diverse Studien zu den vier Kompetenzbereichen und trägt dazu bei, die spezifischen lexikalischen Verarbeitungs- und Speicherungsprozesse, die für die jeweiligen Bereiche charakteristisch sind, näher zu beleuchten. Es wäre jedoch wünschenswert gewesen, die vier Bereiche nicht nur isoliert, sondern auch integrativ zu betrachten. So wie die Fremdsprachendidaktik inzwischen seit längerer Zeit einen integrativen Ansatz verfolgt, hätte man auch hier die einzelnen Bereiche aufeinander beziehen können, indem man z.B. das Zusammenspiel der Prozesse beim mündlichen Wortschatzerwerb (listening und speaking) bzw. beim schriftlichen Wortschatzerwerb (reading und writing) in einer Gesamtbetrachtung erörtert hätte, zumal diese skills in realen kommunikativen Situationen häufig zusammen verwendet werden. Es wäre darüber hinaus auch interessant gewesen, die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den rezeptiven Fertigkeiten (listening bzw. reading) einerseits und den produktiven Fertigkeiten (speaking bzw. writing) andererseits noch detaillierter zu erörtern. In methodischer Hinsicht handelt es insgesamt um eine sehr einheitliche Vorgehensweise. Die vorgestellten empirischen Untersuchungen verfolgen sehr ähnliche Ansätze - selbst die Darstellung der methodischen Grundlagen in den einzelnen Artikeln ist offensichtlich aufeinander abgestimmt. Aus fachdidaktischer Perspektive lassen sich aus den vorgestellten Studien bestimmte Aspekte ableiten - so sind z.B. die Hinweise auf die verschiedenen Testinstrumente zur Bestimmung der Breite bzw. Tiefe des Wortschatzumfangs von Lernenden sehr nützlich. Allerdings spielen die Implikationen für die Unterrichtspraxis insgesamt nur eine sehr untergeordnete Rolle. Gerade angesichts des Titels wäre es jedoch wünschenswert gewesen, zu jedem der vier Bereiche zusätzlich noch ein weiteres Unterkapitel zu integrieren, in dem auch Implikationen für die konkrete Wortschatzarbeit thematisiert worden wären. Der mitunter fehlende Bezug zu den Erkenntnissen der Fremdsprachendidaktik zeigt sich auch darin, dass in den Studien zumindest implizit davon ausgegangen wird, dass Wortschatzerwerb in erster Linie im Unterricht als Lernen isolierter Wörter erfolgt. Bei den durchgeführten Studien steht fast ausschließlich die Abrufbarkeit von Einzelwörtern im Vordergrund, während Kollokationen oder feststehende Wendungen nicht berücksichtigt werden, obwohl solchen lexical chunks schon allein aufgrund ihrer Frequenz und ihrer großen interaktionalen Bedeutung eine entscheidende Rolle beim Wortschatzerwerb zukommt. Die Homogenität der einzelnen Kapitel äußert sich auch darin, dass sich die Studien fast durchgängig auf eher fortgeschrittene Englischlernende an Hochschulen beziehen, insbesondere im Bereich English for Specific Purposes, z.B. in China, Saudi-Arabien oder Neuseeland. Der schulische Kontext bleibt jedoch weitgehend unberücksichtigt. Eine größere Vielfalt von Unterrichtskontexten, die vielleicht auch den Anfangsunterricht miteinbezogen hätte, hätte hier möglicherweise noch weitergehende Erkenntnisse hinsichtlich der vier skills bringen können. Insgesamt handelt es sich bei dem Sammelband um eine methodisch äußert fundierte Sammlung von Einzelstudien zu den vier Fertigkeiten mit vielen aufschlussreichen Ergebnissen - die konkreten Implikationen für die Wortschatzarbeit im Englischunterricht sind jedoch nur in Ansätzen erkennbar. Freiburg M ATTHIAS H UTZ Besprechungen 145 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0030 Leonhard K ROMBACH : Schriftliche Sprachmittlung im Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe. Eine qualitativ-empirische Studie. Tübingen: Narr 2022 (Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik), 403 Seiten [74,00 €, eBook 59,20 €] „Zum Schluss dieser Arbeit steht die Hoffnung, dass die erlangten Erkenntnisse in Fremdsprachenunterricht und Fremdsprachenforschung zur Anwendung gebracht sowie im Wechselspiel vorangetrieben werden“ (S. 365). Dieser Hoffnung schließt sich die Rezensentin an - denn geradezu ernüchternd ist der von Leonhard Krombach erhobene Einblick in die schulische Praxis der Förderung schriftlicher Sprachmittlung in der gymnasialen Oberstufe. Seine umfangreiche Dissertationsschrift untersucht empirisch Prozesse und Ergebnisse bei der Bearbeitung schriftlicher Sprachmittlungsaufgaben im Fach Englisch, denen seit 2017 als obligatorischem Bestandteil der zentralen Abiturprüfung für moderne Fremdsprachen „eine zentrale Rolle als Lerngegenstand und Prüfungsdisziplin“ (S. 13) zukommt. Da die Erhebung in den Jahren 2018 bis 2020, also kurz nach dieser Vorgabe, durchgeführt wurde, geben die Ergebnisse zugleich einen - ebenfalls ernüchternden - Einblick in den Erfolg der Implementierung bildungspolitischer Innovationen. Denn bei Sprachmittlung in der Modellierung von 2003/ 2004 (Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss) bzw. 2012 (Bildungsstandards für die Abiturprüfung) handelt es sich um einen vergleichsweise neuen Kompetenzbereich, der mit der Einführung kompetenzorientierten Fremdsprachenunterrichts erstmalig Teil des fremdsprachlichen Curriculums wurde. Diesen Kompetenzbereich stellt Leonhard Krombach in den ersten beiden inhaltlichen Kapiteln seiner Dissertationsschrift umfassend und zugleich prägnant vor: In Kapitel 2 stehen die Modellierung der Kompetenz in den bildungspolitischen Verordnungen sowie der fremdsprachendidaktischen Forschung im Mittelpunkt, in Kapitel 3 die wesentlichen fachdidaktischen Konzepte bzw. Überlegungen zur Förderung und Evaluation schriftlicher Sprachmittlungskompetenz in der gymnasialen Oberstufe. In beiden Kapiteln legt der Verfasser die gesamte deutschsprachige Forschung zu diesem Kompetenzbereich zugrunde, was nicht nur Ausdruck der Tradition einer sich als übersprachlich verstehenden Fremdsprachendidaktik, sondern ebenfalls der Tatsache geschuldet ist, dass die russisch- und romanistischdidaktische Literatur wesentliche Beiträge speziell zu diesem Kompetenzbereich beigesteuert hat (vgl. S. 76). Die Beschränkung auf deutschsprachige Forschung ist aufgrund der Spezifik der Modellierung in Deutschland ebenfalls funktional. Allen, die einen fundierten und zugleich gut lesbaren Überblick über den Kompetenzbereich Sprachmittlung suchen, seien diese beiden Kapitel daher als Einführung empfohlen. Dabei spart der Verfasser die aufgrund des Begleitbandes zum GeR (2020) zu erwartenden Veränderungen ebensowenig aus (Kap. 2.6) wie einen Exkurs in die Translationswissenschaft (Kap. 2.7), der zusammen mit dem einleitenden Kapitel zur historischen Entwicklung (Kap. 2.1) die Darlegung des aktuellen Forschungsstandes in der Fremdsprachendidaktik rahmt. Kapitel 2 und 3 liefern gleichzeitig die Begründung sowie die inhaltliche Grundlage für das angestrebte Ziel, mit der Arbeit „empirische Grundlagenforschung“ (S. 11) betreiben zu wollen. Am Ende der entsprechenden Unterkapitel von Kapitel 2 und 3 resümiert K ROMBACH aufgrund der festgestellten (Forschungs-)Lücken, Inkongruenzen und Desiderata jeweils, welchen Beitrag seine empirische Studie zum dargestellten Aspekt leisten könnte bzw. sollte. Dies betrifft zuvörderst das generelle Fehlen von empirischen Studien zur Sprachmittlung insgesamt wie auch zu Teilprozessen (vgl. Kap. 2.5.1) und notwendigen Teilkompetenzen der Sprachmittlung (vgl. Kap. 2.6). Es betrifft ebenfalls Einzelaspekte wie den Umgang mit Strategien, Spiegeltexten und Wörterbüchern (vgl. Kap. 3.2), die Einbettung in den unterrichtlichen Zusammenhang und ggf. in Lernaufgaben (vgl. Kap. 3.3), die Beachtung von genre-, textfunktions- und regis- 146 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2024-0030 53 • Heft 2 terspezifischen Anforderungen (vgl. Kap. 3.4), die Orientierung an Qualitätskriterien (Kap. 3.5), den Umgang mit Progression (Kap. 3.5.3) und Bewertungskriterien (Kap. 3.6). Die dazwischen eingestreuten Kapitel, in denen exemplarisch Lernaufgaben aus je einem Englischlehrwerk für die Sekundarstufen I und II (Kap. 3.5.1) und Prüfungsaufgaben aus Hessen (Kap. 3.5.2) analysiert und im Vergleich zur fachdidaktischen Modellierung als defizitär bewertet werden, lassen bereits vermuten, dass die hoch gesteckten Ziele der empirischen Untersuchung schwerlich eingelöst werden können - zu groß erscheint die Diskrepanz zwischen den Fragen, die sich aus den fachdidaktischen Modellierungen bzw. der Konzeption von Sprachmittlung in den Bildungsstandards für die Abiturprüfung und diesen Materialien, die sich direkt an die Lehrkräfte richten, ergeben. Von daher erscheinen die Forschungsziele in ihrer Allgemeinheit für eine empirische Pionierarbeit sehr verständlich, angesichts der bereits aus den Grundlagenkapiteln 2 und 3 aufgeworfenen vielfältigen Fragen jedoch sehr ambitioniert (S. 79): 1. Wie verlaufen Arbeits- und Unterrichtsprozesse zur schriftlichen Sprachmittlung im Unterricht? 2. Welche Produkte werden erbracht und welche Teilkompetenzen lassen sich an ihnen erkennen? 3. Wie werden die schriftlichen Leistungen von der Lehrkraft und den Mitschülern evaluiert? Zur Beantwortung dieser Fragen bedient sich der Verfasser des Forschungsansatzes qualitativer Fallstudien, der sich gut zur Exploration komplexer Prozesse, so wie sie Interaktionen und Handlungen im Kontext des natürlichen unterrichtlichen Handelns (vgl. S. 82) darstellen, eignet. Als Datengrundlage wurden acht Unterrichtseinheiten zur Sprachmittlung mit insgesamt 56 Unterrichtsstunden an verschiedenen hessischen Oberschulen videografiert, zusätzlich wurden 28 retrospektive Interviews mit den beteiligten Lehrpersonen und Schülergruppen geführt, die Lehrpersonen wurden per Fragebogen zu ihrem vorherigen Umgang mit Sprachmittlung befragt, die von den Lehrpersonen eingesetzten Sprachmittlungsaufgaben, die schriftlichen Ergebnisse der Schülerinnen und Schüler sowie die Korrektur dieser Ergebnisse durch die Lehrperson wurden analysiert sowie Feldnotizen angefertigt. Aus diesem umfangreichen Korpus wurden drei Fälle (die Pilotstudie plus zwei weitere) ausgewählt, wobei die Kriterien für die Auswahl vage bleiben. Es überrascht, dass in der Zusammenstellung der „Erkenntnisse der empirischen Studie“ in Kapitel 8 nicht markiert Ergebnisse aus den übrigen, nicht näher dargestellten Unterrichtseinheiten einfließen. Möglicherweise ist es mit der expliziten Anlehnung an bereits durchgeführte Studien in der Gießener Fremdsprachendidaktik (vgl. S. 82) zu erklären, dass die forschungsmethodischen Erläuterungen knapp gehalten und die Instrumente bis auf den abgedruckten Vorerfahrungs-Fragebogen nur beschrieben und nicht beigefügt werden. Die Beschreibung der drei Fälle entspricht dagegen den Erwartungen, die man an eine thick description stellt: Anhand der ausführlichen Dokumentation und der sorgsamen, stets textgestützten Analyse und Interpretation des Unterrichtsverlaufs, der Gespräche mit den Schülerinnen und Schülern und der Lehrperson sowie der Schülertexte erhält man als Leserin einen detaillierten und umfassenden Einblick in die Prozesse und Ergebnisse der Sprachmittlungsstunden. Damit liefert der Verfasser gleichzeitig einen wichtigen Beitrag zur empirischen Unterrichtsforschung. Die klare Gliederung mit Resümees und die abschließenden Zwischenfazits sorgen dafür, dass man trotz der Fülle nicht den Überblick verliert. Dies gilt gleichfalls für die abschießenden Kapitel 8 und 9, in denen die Ergebnisse der Studie nach den drei Forschungsfragen gegliedert zusammengestellt und Gelingensbedingungen für die schriftliche Sprachmittlung formuliert werden. Besprechungen 147 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0031 Wie bereits oben angedeutet, sind die Ergebnisse dieser, trotz der notwendigerweise begrenzten Fallzahl, umfangreichen Studie ernüchternd. So scheinen den untersuchten Lehrpersonen weder die fachdidaktische Modellierung der Kompetenz Sprachmittlung noch die damit verbundenen Lernchancen und -herausforderungen bewusst zu sein, stellt sich das von ihnen realisierte Konzept schriftlicher Sprachmittlung doch - grob gesagt - als das einer summary, eingebettet in eine i.d.R. vage formulierte Kommunikationssituation, dar. Die Fallstudien belegen, „wie sich defizitärer Input, der nicht die methodische, inhaltliche, sprachliche, formale und interkulturelle Dimension berücksichtigt, auf die Lernendenleistungen auswirkt und wie Probleme in den Unterrichtsphasen entstehen“ (S. 347). Die Daten belegen weiterhin deutliche Schwierigkeiten der Lernenden bei der Textrezeption und -produktion, die jedoch weder von ihnen selbst noch von den Lehrpersonen erkannt werden - beide Gruppen geben an, „Sprachmittlungsaufgaben seien nicht schwierig. Dies ist jedoch auf eine verkürzte Wahrnehmung ihrer Komplexität zurückzuführen“ (S. 353). Dieses ernüchternde Ergebnis belegt ebenfalls, dass bildungspolitische Neuerungen nur dann eine Chance auf adäquate Umsetzung haben, wenn sie in den entsprechenden Vorgaben, Unterrichts- und Prüfungsbeispielen fachdidaktisch korrekt und sehr konkret dargestellt bzw. umgesetzt werden (vgl. dazu die Analysen in den Kap. 2.4, 3.5.1 und 3.5.2). Dass aber auch das möglicherweise nicht ausreicht, um die subjektiven Vorstellungen von Lehrenden weiterzuentwickeln, zeigt exemplarisch dieses Zitat einer der beteiligten Lehrpersonen: „Aber ich glaube nicht, dass ich in meiner Arbeit gucken muss, welche Kompetenzen müssen die [Schülerinnen und Schüler] erwerben“ (S. 166). Berlin D ANIELA C ASPARI Carola S URKAMP (Hrsg.): Bildung für nachhaltige Entwicklung im Englischunterricht. Grundlagen und Unterrichtsbeispiele. Hannover: Klett Kallmeyer 2022, 256 Seiten [29,95 €, ebook 27,99 €] Was haben Sprache, Sprachenlernen und der Englischunterricht, mit nachhaltiger Entwicklung bzw. Nachhaltigkeit zu tun? Nachhaltigkeit als zu erforschendes Konzept wird vor dem Hintergrund des drohenden Klimawandels zuvorderst mit der Fächergruppe der Natur- und angewandten Ingenieurswissenschaften assoziiert. Hinsichtlich politischer Entscheidungen im Sinne eines gesellschaftlichen Interessensausgleiches kommen auch die sozialwissenschaftlichen Fächer auf den Plan. Human- und Sprachwissenschaften jedoch bleiben gemäß diesem Verständnis zunächst außen vor. Hingegen schlug die KMK in 2017, im Nachgang einer Vereinbarung der UNESCO, vor, Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) in allen Fächern des schulischen Unterrichts als Querschnittsthema zu verankern. Die normative Grundlage hierfür stellen die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDGs) dar, welche Nachhaltigkeit entgegen einem alltäglichen Verständnis weit über den Klima- und Umweltschutz hinaus definieren und damit als Grundlage für eine BNE fungieren. Bei den SDGs handelt es sich um ein ganzheitliches Konzept mit einem inhärenten Empowerment-Gedanken, der durch hochwertige Bildung nachhaltig in der Gesellschaft verankert werden soll. Hier ist Sprache weitaus mehr als nur ein Vehikel, wie bei der Lektüre des vorliegenden Sammelbandes besonders deutlich wird. Dieser widmet sich in Teil I den theoretischen Grundlagen der BNE im Englischunterricht, während Teil II konzeptuelle, teilhabebasierte Praxisbeispiele für den Unterricht mitsamt Downloadmaterialien für SDG 11 (Nachhaltige Städte und Gemeinden) beinhaltet. Sehr überzeugend und als Vorbild für zukünftige Sammelbände 148 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2024-0031 53 • Heft 2 mit theorieorientiertem Praxisbezug ist, dass alle sieben Autor*innen von Teil I zugleich ihre Ideen im Praxisteil mit Unterrichtsbeispielen konkretisieren, wenngleich der Unterricht in der Primarstufe nicht repräsentiert ist. Entsprechend gliedert sich diese Rezension nicht chronologisch, sondern entsprechend aller Verfasser*innen der Beiträge, um Theorie und Praxis der BNE für den Englischunterricht gemeinsam zu denken. Würdigend hervorzuheben sind die sehr umfassenden einleitenden Ausführungen der Herausgeberin zur Geschichte und Gegenwart des Nachhaltigkeitsdiskurses. Dort betont Carola S URKAMP den eingangs erörterten Punkt, dass BNE in der Fremdsprachendidaktik bisher kaum wahrgenommen werde. Im Anschluss legt sie dar, wie sich der Nachhaltigkeitsbegriff in Einklang mit den 17 SDGs zu einem gesamtgesellschaftlichen Reformvorhaben gewandelt hat. Die KMK reagierte mit dem bereits seit 2007 mehrfach herausgegebenen Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung (OR), der für die drei Kompetenzbereiche Erkennen - Bewerten - Handeln für alle Fächer die Leitlinien einer fächerübergreifenden BNE definiert. Für den Englischunterricht ergibt sich demzufolge eine „stärkere Inhaltsorientierung des sprachlichen Lernens“ (S. 20), wenngleich S URKAMP mahnt, keinesfalls die Spracharbeit zu vernachlässigen. Allgemein betont S URKAMP , „dass Partizipationsmöglichkeit durch mehrsprachige Diskursfähigkeit weiter erhöht wird“ (S. 23). Sie merkt an, dass im OR kulturbezogene Kompetenzen zu wenig berücksichtigt werden, obschon gerade interkulturelle Kompetenzen und Transkulturalität einen integralen Bestandteil einer globalen BNE darstellen. Ferner beziehen sich literatur- und medienbezogene Kompetenzen im OR vor allem auf den Deutschunterricht (S. 29). Diese Überlegungen arbeitete S URKAMP in ein Modell für BNE im Englischunterricht ein, welches Diskurse und Kulturen zentral berücksichtigt. Die Struktur von Teil II anhand SDG 11 leitet sie mit dem Hinweis ein, dass die Lernenden „im Sinne der Lernendenorientierung eigene Erfahrungen und vorhandenes Wissen in die Bearbeitung von Aufgaben zur Förderung fremdsprachlicher Kompetenzen in diesem Themenbereich einbringen und im Anschluss auch verändernd auf ihre eigene Lebenswelt einwirken“ (S. 164). Teil I enthält zudem zwei Beiträge von Bärbel D IEHR , welche sich mit Nachhaltigkeitsdiskursen in der Fremdsprache und dem bilingualen Unterricht im Zuge einer BNE beschäftigen. In ihrem ersten Beitrag setzt die Autorin die Sprachbildung in Zusammenhang mit BNE und verdeutlicht, dass entsprechende diskursive Kompetenzen für die gestalterische Zukunft der Jugendlichen besonders in der globalen lingua franca Englisch erforderlich seien. Aufgrund der Breite der Englischcurricula lassen sich Diskurse hinsichtlich der 17 SDGs unproblematisch im Unterricht verwirklichen. Ebenso wie S URKAMP fällt der Autorin die fehlende angemessene Verankerung von Sprache als zentraler Gegenstand im OR auf. Eine Antwort auf das konzeptuelle und durchaus schwerwiegende Defizit des OR findet sich in ihrem zweiten Beitrag hinsichtlich des bilingualen Unterrichts mit der Förderung einer doppelten Fachliteralität und BNE. Aber auch bei mehrsprachigen Konzepten komme der OR trotz der Nähe zu der Ideengeschichte der BNE zu kurz. In Teil II werden die Gedanken beider Artikel anhand des Themas greenwashing mit Bezug zu SDG 11 in einem Unterrichtsbeispiel für die Jahrgangsstufen 9/ 10 ausgearbeitet. Die kritische Diskursfähigkeit soll dahingehend gefördert werden, dass der Unterschied zu green marketing erarbeitet wird. Es handelt sich hierbei um ein dezidiertes sozialwissenschaftliches Beispiel mit einem hohen, aber sehr angemessenen Anteil an Spracharbeit und Medienkompetenz zur Anbahnung jener doppelten Fachliterarität. Dieses soll insbesondere die kritische Diskurskompetenz und damit die, so kann argumentiert werden, bislang zu wenig geförderte (politische) Mündigkeit der Lernenden adressieren. Den Zusammenhang von kulturellem Lernen und BNE im Fremdsprachenunterricht thematisiert Britta F REITAG -H ILD in Teil I. In Teil II werden die Ideen anhand einer Zukunftswerkstatt als Praxisvorschlag herausgearbeitet. Die Autorin hebt die Rolle der Gestaltungskompetenz im Besprechungen 149 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0031 Rahmen einer transformativen global citizenship education (GCE) im Sinne einer zeitgemäßen Fremdsprachendidaktik heraus. Der fachspezifische Beitrag des Englischen bestehe z.B. in kritischen postkolonialen Perspektiven, um die Geschichte globaler Ungerechtigkeiten zu rekonstruieren. Lernende sollen „als critical agents of change gesellschaftliche Transformationsprozesse anstoßen können“ (S. 64). In Teil II wird eine Zukunftswerkstatt als virtuelles Austauschprojekt für die Klassen 7/ 8 vorgestellt. Hier spielt die Gestaltung der eigenen Umgebung im Vergleich mit einer Partnerklasse eine Rolle. Damit werden nicht nur SDG-spezifische Themen behandelt, sondern ebenfalls eine Kenntnis über andere globale Lebensrealitäten und deren Hintergrund erworben. Mit der Rolle kultureller Übersetzungen durch Literatur innerhalb einer BNE setzt sich Martin G ENETSCH in seinem Fachbeitrag in Teil I auseinander. Besonders wichtig erscheint die Rolle der Emotionalisierung, welche anhand von Beispielen dargelegt wird. Zurecht wird im Fazit die „Chance für einen auf Nachhaltigkeitserziehung abzielenden Literaturunterricht“ (S. 94) festgehalten und mit Hinblick auf die zentralen drei BNE-Kernkompetenzbereiche die Wahrnehmung (sozio-)kultureller Vielfalt sowie die Genese von Empathie herausgestellt. In Teil II wird eine kontroverse und sehr umfangreiche Lernaufgabe zum Thema Fracking mit Bezug zu Lilace Mellin G UIGNARDS Gedicht Lullaby in Fracktown für einen Leistungskurs Englisch vorgeschlagen. Die Lernaufgabe, die den Transfer des Gedichts auf SDG 11 vorsieht, ist literaturdidaktisch im Sinne eines handlungsorientierten Unterrichts mit Rückgriff auf allgemeine BNE-Kompetenzen sehr fundiert begründet und illustriert im Umkehrschluss die theoretischen Überlegungen des Autors aus Teil I. Anhand eines Praxisbeispiels wirbt Dorothea N ÖTH für Schulprogramme zur nachhaltigen Umsetzung von BNE unter Einbezug des Englisch-Fachkollegiums. Hier spiele maßgeblich die „kontinuierliche kooperative Arbeit am Schulprogramm“ (S. 116) eine Rolle. Bereits im theoretischen Teil I wird die Ausgangslage einer Schule mit „Sprachen als Schlüssel zur Welt“ (S. 119) im Schulprogramm dargestellt. In Teil II werden das umfassende Schulprogramm am Beispiel eines jahrgangsübergreifenden und multimodalen urban gardening Projektes näher ausgeführt und Bezüge zum BNE-Kompetenzmodell des Orientierungsrahmens offengelegt. Ausgehend von der Annahme, dass BNE inklusiv und empowering sein soll, wird durch Margitta K UTY das zu oft vernachlässigte Thema „BNE für alle“ mit Leitlinien für den Englischunterricht thematisiert. Sie stellt eine Nähe zu der sozialwissenschaftlichen Didaktik und dem Ziel der Mündigkeit her. Die Einsprachigkeit des Englischunterrichts müsse angesichts diverser Sprachbiografien der Lernenden hinterfragt werden, was nachvollziehbar erscheint. Insofern empfehle sich eine Aufwertung von Mediation/ Sprachmittlung sowie translanguaging im Interesse eines von der EU gewünschten, plurilingualen Ansatzes. Zentral sind des Weiteren differenzierte Unterstützungsangebote sowie eine neue Feedbackkultur. Im didaktisch-methodisch fundierten Praxisvorschlag home and safety für den Unterricht für die Klassen 6/ 7 erfahren die Lernenden mehr zu den Lebensbedingungen von Jugendlichen in der Welt. BNE in curricularer Perspektive hat der Theoriebeitrag von Annette K ROSCHEWSKI zum Thema. U.a. spielen hier globale Diversitätsthemen sowie Migration und persönliche Lebensgeschichten in der Literatur eine entscheidende Rolle. Die Überschneidung von BNE mit dem Englischunterricht kann, wie sich ableiten lässt, Lehrkräfte im Alltag motivieren, BNEspezifische Inhalten auch ohne deren explizite Nennung in den Curricula besonders zu beachten. In Teil II schlägt die Autorin einen Hackathon im Englischunterricht der Klasse 9/ 10 zur Frage vor, wie Städte und Gemeinden nachhaltiger werden können. Leider werden kritische Gesichtspunkte dieser Methode nicht reflektiert, zumal der deren Wettbewerbscharakter nicht immer mit der Ideengeschichte der BNE kompatibel sein muss. Diese innovative, aber zugleich kontroverse Methode ist jedoch problembasiert. Damit entspricht sie dem BNE-typischen Drei- 150 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2024-0032 53 • Heft 2 schritt Erkennen - Bewerten - Handeln und kann anregend für die eigene Praxis sein, sofern auch der Methodenreflexion angemessen Raum gegeben wird. Für die Arbeit im Sinne einer BNE, und das nicht nur im fremdsprachlichen Unterricht, weist dieser Sammelband einen hohen Wert auf. Das hat durchaus damit zu tun, dass Ideengeschichte und Didaktik der BNE von der derzeit geübten Praxis der Leistungsmessung im schulischen Unterricht, nämlich der Vergleichbarkeit von Lernenden, grundlegend abweicht und damit Anlass für die Neugestaltung eines zeitgemäßeren Schulsystems bietet. Hierfür bieten insbesondere die in Teil II festgehaltenen Unterrichtsvorschläge, exemplarisch für SDG 11, mitsamt für den Download bereitgestellten Materialien interessante und adaptive Unterrichtsmodelle, die auch für die Arbeit mit anderen SDGs als Inspiration dienen können. Einer umfassenden theoretischen Grundlegung wird durch das weite Themenspektrum in beiden Teilen Rechnung getragen, sodass die Texte sich, wie vom Verfasser dieser Rezension selbst erprobt wurde, nicht nur für eine kontroverse und handlungsorientierte Hochschullehre exzellent eignen, sondern auch bei der Struktur eigener (z.B. designbasierter) Forschungsvorhaben immens hilfreich sind. Frankfurt/ M. S UBIN N IJHAWAN Leo W ILL , Jürgen K URTZ , Tamara Z EYER , Hélène M ARTINEZ (Hrsg.): Dimensionen digitaler Lehre in der universitären Fremdsprachenlehrkräftebildung. Tübingen: Narr 2022, 185 Seiten [54€]. In ihrem Sammelband thematisieren die Autor*innen ein breites Spektrum an Fragen in Bezug auf die digitale Lehre in der fremdsprachlichen Lehrkräftebildung. Hauptschauplätze der sechs dargestellten Forschungsbeiträge sind synchrone und asynchrone digitale Lehrveranstaltungen in den fremdsprachlichen Fächern Englisch, Französisch, Spanisch und DAF/ DAZ. Das Ziel der Autor*innen ist es, „die Potenziale, Herausforderungen und Chancen diverser digitaler Lehrveranstaltungsformate sowie sinnvoller ertragreicher Aufgaben-, Aktivierungs- und Partizipationsformen empirisch unter die Lupe zu nehmen“ (S. 10). Der Fokus liegt dabei vor allem auf der Perspektive der Studierenden und ihrer Einschätzung zur Entwicklung ihrer professionellen Kompetenzen im Rahmen digitaler Lehr-Lern-Formate. Mit diesem Schwerpunkt auf den Einstellungen und Haltungen der Studierenden wird bereits auf den ersten Seiten des Sammelbandes das Novum und die Besonderheit der hier dargestellten Forschungsbemühungen deutlich: Zum einen werden explizit die Sichtweisen und Einschätzungen der Studierenden fokussiert und zum anderen geschieht dies in einem vor der Pandemie so noch nicht existenten Setting von notwendig gewordener Online-Lehre. Die Rolle digitaler Technologien, Medien und Werkzeuge standen dabei ebenso im Fokus wie die Relevanz verschiedener Lehrveranstaltungsformate (synchron, asynchron und kombiniert) sowie spezifischer Aufgaben-, Aktivierungs- und Partizipationsformen. Eingeleitet wird der Sammelband durch eine sehr fundierte Einführung in die Thematik des digitalen Lehren und Lernens im universitären Kontext allgemein. Es werden Ausgangsüberlegungen geschildert, die an bestehende Forschung im Feld anknüpfen und den potenziellen Mehrwert digitaler Medien in der Fremdsprachenlehrkräftebildung allgemein aufgreifen. Diese werden ergänzt um die pandemiebedingten Voraussetzungen, die einen Wandel in der Lehre ab Frühjahr 2020 notwendig machten. Diese Verknüpfung allgemeiner Annahmen zum Mehrwert von Digitalität bereits im Vorfeld der Coronapandemie und die Adaption dieser Annahmen auf die situationsbedingte Umstellung der Hochschullehre auf digitale Veranstaltungsformate ist in Besprechungen 151 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0032 diesem Band sehr gelungen. Alle Annahmen werden detailliert aufgegliedert und durch die Analyse von Seminarkonzepten sowie die Erhebung der Einstellungen der Studierenden zur Online-Lehre beschrieben. Es gelingt den Autor*innen im besonderen Maße, den Zusammenhang unterschiedlicher Formate und deren Wirkung auf die Handlungen der Studierenden herauszustellen. Somit werden alle hier vorgestellten Forschungsansätze nicht nur über die Möglichkeiten digitaler Technologien begründet, sondern vor allem aus den Potenzialen, die diese Art der Hochschullehre für die Studierenden haben können - auch über pandemiebedingte Umstellungen hinaus. Diese Weitsicht der Autor*innen zeigt sich ebenso in der Verzahnung von Hochschul- und Unterrichtsdidaktik, die sowohl explizit diskutiert wird als auch allen vorgestellten Seminarkonzepten unterliegt. Das Potenzial digitaler Medien wird somit als Lernsetting für die Studierenden in ihrer universitären Ausbildung ebenso abgebildet wie in seiner Bedeutung für den schulischen Kontext. Auf diese Weise soll es auch in digitalen Formaten gelingen, den Studierenden ein Erleben und Erlernen gleichermaßen zu ermöglichen und ihre professionellen Kompetenzen im Sinne „dieses sog. Doppeldeckerprinzips“ (S. 12) zu schulen. Weitergehend definieren und beschreiben die Autor*innen ihr Verständnis von synchronen, asynchronen und kombinierten digitalen Lehrveranstaltungsformaten und verweisen darauf, wie sich diese von einer Lehre in physischer Präsenz abgrenzen lassen. Es wird aufgezeigt, dass ein präsenter Zustand im Seminar nicht zwangsläufig durch eine physische Anwesenheit gegeben ist, sondern vielmehr durch eine geistige Gegenwärtigkeit realisiert wird. Diese sei nicht von physischer Nähe abhängig und könne daher auch in digitalen Formaten erzeugt werden. Voraussetzung für eine mentale Involviertheit der Studierenden wird vor allem im Aktivierungscharakter von Lernformaten und der intrinsischen Motivation gesehen, die durch die erlebte Relevanz der jeweiligen Lernaufgaben oder Diskussionsstrukturen in den Seminarkonzepten von den Studierenden erlebt werden könnten. Anknüpfend an die theoretischen Vorannahmen stellt der Sammelband die Forschungsvorhaben der Autor*innen im Detail vor. Im ersten Beitrag von Leo W ILL und Jürgen K URTZ wird eine Online-Befragung unter 288 Studierenden an sieben Universitäten vorgestellt. Das Ziel der Untersuchung war es, die subjektiven Bewertungen der Studierenden hinsichtlich digitaler Lehrveranstaltungsaufgaben und Aktivierungsformate festzuhalten und abzubilden. Ihre Ergebnisse zeichnen ein interessantes Bild, welches die Autoren selbst als ambivalent (S. 40) bezeichnen. So bevorzugen z.B. die befragten Studierenden synchrone Seminarformate, schätzen asynchrone aber als ebenso wichtig für die Förderung ihrer professionellen Kompetenzen ein. Diese Aussagen stellen einen interessanten Einblick in das Erleben der Studierenden dar, auch wenn, wie die Autoren selbst reflektieren, der Gegenstand der ‚Professionellen Kompetenz‘ möglicherweise zu wenig eindeutig im Rahmen der Befragung herausgestellt worden war. In einer weiteren Studie von Jürgen K URTZ werden ebenfalls die Wahrnehmungen und Bewertungen der teilnehmenden Studierenden einer digitalen Lehrveranstaltung fokussiert, die asynchron schriftlich durchgeführt wurde. Der Autor ließ im Rahmen wöchentlicher Aufgaben studentische Stellungnahmen in einem Forum sowie Lerntagebücher verfassen. Diese Daten bildeten gemeinsam mit einer fragebogenbasierten Evaluation der Lehrveranstaltung den Datenpool seiner „explorativen, qualitativ-empirisch angelegten Fallforschung“ (S. 163). K URTZ konnte aufzeigen, dass eine asynchron-schriftliche Seminarvariante sowohl für Lehrende wie Lernende sehr anspruchsvoll ist. Insgesamt falle die unmittelbare Interaktion weg, sodass Aufgabenstellungen sehr präzise formuliert werden müssen und die Studierenden unter dem Druck stünden, ihre sonst mündlichen und zu verhandelnden Aussagen schriftlich zu fixieren und zur Kritik zu stellen. Auch wenn die Studierenden diese Form des Seminars als herausfordernd bezeichneten, bewerteten sie es ebenso als lernergiebig und professionsrelevant. 152 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2024-0032 53 • Heft 2 In der vorgestellten Arbeit von Darja B ROTZMANN wird ein synchron angelegtes Seminar für die anglistische Literaturdidaktik thematisiert. Bereits der Titel des Beitrags unterstreicht die besondere Konzeption des Seminares als einen „Begegnungsraum“ (S. 71). In diesem Verständnis bot B ROTZMANN einen ‚Lernraum‘ an, um einen dialogischen Austausch zwischen Studierenden sowie zwischen Studierenden und Objekten etc. zu ermöglichen. Die Autorin sammelte schriftliche Rückmeldungen, Aussagen per Feedbacktool sowie Reflexionsportfolios der Studierenden. Anhand dieser Daten berichtet B ROTZMANN , dass die Studierenden sich vielfach positiv zur Seminarstruktur äußern. Nichtsdestotrotz konnte die Autorin Schwierigkeiten herausstellen, wie eine mangelnde Verbindlichkeit beim Lesen der Texte, einer ungleichen Beteiligung der Studierenden in digitalen Diskussionen sowie einer geringen Qualität von gegenseitigem Feedback. Julia W OLLBERG und Almut K ETZER -N ÖLTGE beschreiben, inwieweit ein 360° Video Stream einer Seminarsituation motivierend von den Studierenden eingeschätzt wird. Hierzu wurden Studierende einem der drei Settings (Präsenz, Videokonferenztool mit zoom oder 360° Video Stream über Youtube) zugeordnet und nach Durchführung dieser Zoom Lehrform befragt. Ihre Auswertungen lassen anklingen, dass vor allem die Präsenz im physischen Raum als vermehrt motivierend empfunden wurde und sowohl der 360° Video Stream als auch die Videokonferenz aufgrund verschiedener Faktoren als weniger positiv erlebt wurden. Ein weiteres innovatives Moment findet sich in der Studie von Leo W ILL und Carolyn B LUME zu einer Theorie-Praxis-Verzahnung, in der die Möglichkeiten digitaler Lehre explizit genutzt wurden, um die Grenzen von Universität und Schule aufzubrechen. Das Ziel war es, in einem interaktiven Format Lehrkräfte, Dozierende sowie Studierende zusammenzubringen und in kleinen Gruppen mit Schüler*innen in digitalen Umgebungen arbeiten zu lassen. Die Aufgabe der Studierenden war es, mündliche Aufgabenformate zu erarbeiten, diese mit Schüler*innen auszuprobieren und gemeinsam mit Dozent*innen und Lehrkräften zu reflektieren. Die Autor*innen stellen das Potenzial heraus, welches einem digitalen Kontext obliegt, wenn er als Arbeits-, Lehr- und Reflexionsraum gleichermaßen genutzt wird. Die Studie von Sophie E NGELEN und Johanna Lea K ORELL fokussiert ein synchrones Seminar für Lehramtsstudierende im Fach Spanisch. Ihr Ziel war es, die Aktivierung der Studierenden in einem Seminarkonzept zu untersuchen, welches interaktive Präsentationen und schriftliche Reflexionen umfasste. Die Autorinnen untersuchten Daten aus Fragebögen, analysierten die interaktiven Präsentationen und schriftlichen Reflexionen der Studierenden. Entsprechend des Schwerpunktes des Sammelbandes stand die Perspektive der Studierenden im Zentrum und die Autorinnen konnten herausstellen, dass gerade die Anregung zur Reflexion die Studierenden positiv aktivieren konnte (S. 67). Dieser Sammelband besticht vor allem durch die Breite der Forschung und die daraus gewonnenen Einblicke in spezifische Settings und Seminarkonzepte. Es gelingt den Autor*innen auf hervorragende Weise, ihre theoretischen Grundannahmen in sechs Seminaren empirisch zu überprüfen und interessante Einblicke in eine vorher nie dagewesene Form der Lehre zu bieten. Sie zeigen Chancen und Herausforderungen verschiedener Formate von digitaler Lehre im Kontext der Fremdsprachenlehrkräftebildung auf. Mit ihrem Werk bieten sie einen ersten, sehr prägnanten und gut durchdachten Überblick, welche Rahmenbedingungen gute digitale Lehre stützen sollten, und bieten ein erstes Grundlagenwerk für diesen Kontext. Chemnitz H ENRIETTE D AUSEND Besprechungen 153 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0033 Anka B ERGMANN , Christoph M AYER , Jochen P LIKAT (Hrsg.): Perspektiven der Schulfremdsprachen in Zeiten von Global English und Digitalisierung. Welche Zielsetzungen sind für Französisch, Spanisch, Russisch & Co. (noch) zeitgemäß? Frankfurt/ M. [u.a.]: Lang 2022, 281 Seiten [59,95 €] Während Englisch unangefochten an erster Stelle bei den Schulfremdsprachen in Deutschland steht und es für Schüler und Eltern unstrittig ist, dass alle diese internationale Verkehrssprache lernen sollten, herrscht wenig Einigkeit über die Notwendigkeit und den Nutzen weiterer Fremdsprachen. Die Fächer Französisch, Spanisch und Russisch, die vor allem als zweite oder dritte Fremdsprache angeboten werden, sind in die Defensive geraten und sehen sich mit sinkenden Lernerzahlen konfrontiert. Vor diesem Hintergrund widmet sich der vorliegende Sammelband der Stellung und Bedeutung der zweiten und dritten Fremdsprachen im deutschen Schulsystem und stellt die Frage, welche Zielsetzungen für Fremdsprachen außer Englisch (noch) zeitgemäß sind. In der Einleitung skizzieren Oliver M AYER und Jochen P LIKAT die Dominanz des Fachs Englisch in den sprachpolitischen Dokumenten in Deutschland und kontrastieren diese mit sprachenpolitischen Empfehlungen auf europäischer Ebene. Am Beispiel der Entwicklung des Eurovision Song Contest beschreiben sie die zunehmende Dominanz des Global English in den letzten 50 Jahren und verweisen darauf, dass die Digitalisierungsschübe (z.B. durch KI) diesen Trend zu verschärfen drohen. Im ersten Abschnitt des Sammelbandes wird zunächst der Trend zu Global English in den Blick genommen. Konrad S CHRÖDER kritisiert die Begrenzung auf eine Fremdsprache für den mittleren Bildungsabschluss und warnt vor Bestrebungen, vom Prinzip der zwei Fremdsprachen bis zum Abitur abzuweichen. Dies widerspreche dem Modell der EU, die auf eine gestufte Mehrsprachigkeit setze, die sich durch die Muttersprache und das Beherrschen zweier Unionssprachen auszeichnet und „ein starkes Zeichen für sprachlichen und kulturellen Pluralismus und damit gegen jede Form sprachlicher und kultureller Dominanz“ (S. 34) sei. Dementsprechend plädiert er für einen Englischunterricht, der in ein Gesamtkonzept der Mehrsprachigkeit eingebunden ist, in dem durch eine konsequent sprachvergleichende Konzeption Fenster für andere Sprachen und deren Kulturen geöffnet und zugleich die europäischen Varianten des Englischen als Nachbarsprachen zum Ausgangspunkt des Unterrichts gemacht werden. Einen anderen Fokus setzen Stefanie H OFMANN und Adelheid H U , die sich mit der zunehmenden Bedeutung des Global English in Wissenschaft und Studium befassen. Im Mittelpunkt steht die Befragung zweier Doktorandinnen der dreisprachigen Universität Luxemburg zu ihrer Sprachenwahl für die Dissertation. Während bei der einen Studentin (Psychologie) aus pragmatisch-instrumentellen Gründen die Wahl auf das Englische fiel, um international sichtbarer zu sein, entschied sich die andere Studentin (Erziehungswissenschaft) gegen das Englische und für das Deutsche, was zum einen einer „Wertschätzung bestimmter kulturell und sprachlich gebundener Forschungstraditionen“ (S. 64) entspreche und zum anderen die Bedeutung einer ausgeprägten Sprachkompetenz zeige, „um ‘tiefgründige‘ Ideen überhaupt entwickeln und formulieren zu können“ (S. 64). Im Anschluss widmen sich zwei Beiträge der Digitalisierung. Zunächst zeichnet Jean N ITZKE in seinem Beitrag den Weg von einer regelbasierten zu einer datenbasierten Übersetzung nach und verdeutlicht, in welchen Bereichen diese trotz aller Fortschritte bislang ungenau bleibt. Für den Fremdsprachenunterricht empfiehlt der Autor, die maschinelle Übersetzung gezielt bei unverständlichen Passagen von ebooks in Originalsprache oder in zielsprachlichen Alltagsituationen bei Kommunikationsproblemen einzusetzen. Christoph Oliver M AYER und Markus R AUSCHER plädieren in ihrem Beitrag für ein stärkeres Miteinander des Fachs Informatik mit den fremdsprachlichen Fächern, um die Funktionsweise von Hard- und 154 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2024-0033 53 • Heft 2 Software-Programmen besser zu durchschauen, bei ihrer Bewertung auch ethisch-moralische Grundsätze einzubeziehen und ihren Mehrwert für das Fremdsprachenlernen kritisch zu prüfen. Die Beiträge des zweiten und dritten Abschnitts befassen sich mit der im Untertitel aufgeworfenen Frage nach der Angemessenheit der aktuell gültigen Zielsetzungen für die zweiten und dritten Fremdsprachen unter Einbezug der Herkunftssprachen. Almut K ÜPPERS schlägt vor, neben Deutsch als gesetzter Bildungssprache Englisch als kulturübergreifende Kulturtechnik zu unterrichten sowie „eine weitere Sprache nach individueller Wahl, die zu einer Art zweiter Muttersprache werden“ (S. 119) könne. K ÜPPERS hat hierbei insbesondere die Herkunftssprachen von Schülern mit Migrationshintergrund im Blick und plädiert vor dem Hintergrund einer „postmigrantischen Gesellschaft“ (S. 105) für eine Öffnung des schulischen Sprachenangebots, die ermöglichen soll, eine klassische zweite Fremdsprache durch Unterricht in der Herkunftssprache zu ersetzen. Daniela C ASPARI hat in ihrem Beitrag vor allem die klassischen zweiten und dritten Fremdsprachen im Blick. Damit weniger Schüler diese Fremdsprachen abwählen, fordert sie eine radikale Neuorientierung für diese Fächer und macht dazu Vorschläge auf den Ebenen des Unterrichts, der Curricula und der bildungspolitischen Rahmenbedingungen. Bei der Unterrichtsgestaltung plädiert sie für den integrativen Erwerb von Wortschatz und Grammatik, die Betonung des Mündlichen vor dem Schriftlichen, das Anknüpfen an zuvor gelernte Sprachen und die Simulation lebensweltlicher Kommunikationssituationen. Für die Fachcurricula schlägt die Autorin vor, sich an einer kommunikativen Progression zu orientieren, eine steilere Progression bei den rezeptiven als bei den produktiven Kompetenzen festzuschreiben und eine hohe Fehlertoleranz zuzulassen. Auf bildungspolitischer Ebene regt sie an, einen standardisierten Sprachtest am Ende der Sekundarstufe I einzufordern und die Prüfungsvorbereitung in den Unterricht zu integrieren, die Lernzeit für Englisch zugunsten der Erhöhung der Lernzeit für die zweite Fremdsprache durch einen früheren Beginn in der 4. oder 5. Klasse zu reduzieren sowie die Lehrpläne der einzelnen Fremdsprachen besser im Sinne eines Gesamtsprachencurriculums aufeinander abzustimmen. Hierbei sollten auch die Herkunftssprachen berücksichtigt werden, jedoch nicht als Ersatz für eine der klassischen zweiten Fremdsprachen, so wie es K ÜPPERS vorschlägt. Während C ASPARI Veränderungen auf unterschiedlichen Ebenen für notwendig hält, verbindet Michael D OBSTADT seine Vorstellung einer anderen Zielsetzung für den Fremdsprachenunterricht mit einer „Didaktik der Literarizität“, die auf das sprach- und kulturreflexive sowie das sprachkreative Potential der Beschäftigung mit Literatur abhebt. Der dritte Abschnitt umfasst Beiträge, in denen die Attraktivität von Lerngelegenheiten bzw. Lehrwerken untersucht wird. Sybille H EINZMANN , Robert H ILLE , Seraina P AUL und Nicole S CHALLHART stellen eine Studie zum Schüleraustausch zwischen Grundschülern der West- und Ostschweiz zum wechselseitigen Erlernen der Landessprachen Deutsch und Französisch vor (n=271), bei der in einem Prä-Post-Design mit Kontrollgruppe die Entwicklung der Sprachlernmotivation untersucht wurde, wobei als kontraintuitives Ergebnis kein nennenswerter Unterschied zwischen den beiden Gruppen festgestellt wurde. Stefanie M ORKÖTTER , Christiane N EVELING und Anna S CHRÖDER -S URA sprechen sich in ihrem Beitrag für eine bessere Abstimmung der Lehrwerke der fremdsprachlichen Fächer und den Einbezug sprachenübergreifender Materialien aus, um beim Erlernen einer weiteren Fremdsprache besser an die Vorkenntnisse und Vorerfahrungen der Lernenden anzuknüpfen sowie Synergien bei den kommunikativen, interkulturellen und methodischen Kompetenzen zu nutzen. Christiane F ÄCKE legt eine Analyse aktueller Lehrwerke für den Französisch-, Spanisch- und Italienischunterricht als dritte Fremdsprache vor, die die Angemessenheit der Auswahl der Inhalte, ihrer Darstellung und der implizit hierbei vermittelten Werte untersucht. Grit M EHLHORN geht der Frage nach, wie Schüler mit der Herkunftssprache Russisch so in den schulischen Fremdsprachenunterricht Russisch integriert werden können, dass sowohl sie selbst als auch die Lernenden der Fremdsprache Russisch Besprechungen 155 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0034 gleichermaßen im Unterricht davon profitieren können. Der Beitrag von Uliana Y AZHINOVA , der ebenfalls im Bereich des Russischen als Fremdsprache angesiedelt ist, schließt den Sammelband ab. Sie plädiert dafür, die Fähigkeit, Korpora von authentischem erstsprachlichem Sprachgebrauch im Unterricht einzusetzen, in die Lehreraus- und -fortbildung zu integrieren mit dem Ziel, Lernern sprachliche Regularitäten und Zusammenhänge besser bewusst zu machen. Wer sich kritisch mit der Auffassung auseinandersetzen möchte, dass allein Global English für den Fächerkanon der Schule bzw. die Wissenschaftskommunikation ausreichend sei, wird die Beiträge von S CHRÖDER und H OFMANN / H U im ersten Abschnitt des Sammelbands mit Gewinn lesen. Die beiden Beiträge zur Digitalisierung greifen angesichts der Frage, ob die aktuellen Digitalisierungsschübe nicht auch dazu führen könnten, das Erlernen fremder Sprachen insgesamt überflüssig zu machen, zu kurz. Leider stellen die Beiträge des dritten Abschnitts keinen expliziten Bezug zu den beiden Hauptthemen her. Gleichwohl geben sie bedenkenswerte Antworten auf die im Untertitel aufgeworfene Frage, auch wenn die angeführten Anregungen nicht wirklich neu sind. Am überzeugendsten erscheinen der einleitende Beitrag von M AYER / P LIKAT sowie die Beiträge von C ASPARI und K ÜPPERS , da sie ausgehend von Einschätzungen zur Bedeutung des Global English Anstöße für die Diskussion um eine Neuausrichtung des Fremdsprachenunterrichts ingesamt und der Ziele für die zweiten und dritten Fremdsprachen im Besonderen liefern. Osnabrück M ARK B ECHTEL Rui Y UAN , Icy L EE (Hrsg.): Becoming and Being a TESOL Teacher Educator. Research and Practice. London/ New York: Routledge, 2022, 288 Seiten [48,70 €] Was wissen wir über die professionellen Selbstverständnisse, berufliche Motivation, Zielstellungen, Herausforderungen und Erfolgserlebnisse von Lehrkräftebildner*innen in fremdsprachlichen Fächern an Universitäten und pädagogischen Hochschulen? Nichts Genaues, denn in der Professionsforschung im Bereich der fremdsprachlichen Bildung gehören Lehrkräftebildner*innen, besonders jene im universitären Kontext, zu den Akteur*innengruppen, zu denen noch wenig geforscht wurde. Der vorliegende Sammelband rückt sie nun in unser Blickfeld: Er beleuchtet Forschungs- und Lehrpraxis, Interaktionen mit Studierenden und Mentor*innen in Praktikumsschulen, Wissensbestände und Identitätskonstruktionen von Lehrkräftebildner*innen im Bereich Englisch als Fremd- und Zweitsprache (TESOL teacher educators, im Folgenden: TESOL TEs) aus Hong Kong, der Volksrepublik China, Vietnam, Australien, Argentinien, Chile, den USA und Kanada. Im Sammelband präsentieren TESOL TEs ihre qualitativen Studien, vorwiegend aus dem Bereich der reflexiven Selbstforschung (S-STEP: Self- Study in Teacher Education Practice), die mit unterschiedlichen Methoden ihr professionelles Handeln in universitären Kontexten der Lehrer*innenbildung analysieren. Mit der Auswahl der Beitragenden bieten die Herausgeber*innen Y UAN und L EE einen Querschnitt der in der universitären Lehrkräftebildung beschäftigten Personen: Die Autor*innen arbeiten in Studiengängen für Lehramtsstudierende und postgraduierte Lehrer*innen, die sich für eine Karriere als TESOL TEs entschieden haben, sich aber in unterschiedlichen Etappen ihrer Laufbahnen befinden und verschiedenen TESOL Teildisziplinen an vielfältigen Hochschulen angehören. Auch ihre Bildungsbiografien sind sehr unterschiedlich: Da sind Forscher*innen, die nach einer Karriere als Englischlehrpersonen an Hochschulen wechselten und sich über einige Jahre hinweg für Hochschullehre und Forschung qualifiziert 156 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2024-0034 53 • Heft 2 haben, junge Promovierte, die ohne Unterrichtserfahrungen und Kenntnisse der institutionellen Strukturen und lokalen Bildungskontexte an lehrer*innenbildende Institutionen kommen, wo sie sich berufsbegleitend in ihr Betätigungsfeld einarbeiten müssen, und auch Masterstudierende am Anfang ihres Programms für TESOL TEs. Anlass und Kontext für den Sammelband ist die komplexe, herausfordernde Situation, in der sich TESOL TEs international befinden. Durch Globalisierung und Migration hat Englischunterricht zwar große Bedeutung, aber Englisch als lingua franca ist durch seine koloniale Geschichte umstritten, und Unterricht wie auch Lehrkräftebildung sind Orte komplexer, oft konfliktreicher Aushandlungen zu hegemonialen Machtverhältnissen. Die 13 Beiträge bilden dies je nach geografischem und institutionellem Kontext und in Abhängigkeit von ihrer Thematik in unterschiedlicher Ausprägung ab. Sie präsentieren qualitative Forschungsprojekte, die das Agieren, Werden und Selbstverständnis von TESOL TEs untersuchen (Teil I) und die Entwicklung ihrer Überzeugungen zu Design und Pädagogik der Lehrer*innenbildung nachzeichnen (Teil II). Trotz der geografischen Ferne und Verschiedenheit der Strukturen der Lehrkräftebildung im Vergleich zum deutschsprachigen Raum ist dieser Sammelband in mehrfacher Hinsicht interessant und relevant - für die Professionsforschung in der Fremdsprachenlehrkräftebildung, aber auch mit Blick auf die Vorbereitung von noch unerfahrenen TESOL TEs auf ihre Arbeit mit Studierenden und auf die Konzeption von Lehramtsstudiengängen. In Teil I des Sammelbandes beleuchten Beiträge die z.T. konfliktreichen Umstände, unter denen Lehrerkräftebildner*innen arbeiten, und die Bewältigungsstrategien, die sie entwickeln. Eine Langzeit-Interviewstudie zur Motivation von TESOL TEs im südlichen Argentinien (B ANEGAS / DEL P OZO B EAMUD ) identifiziert motivierende Effekte der intrinsischen Herausforderung, im ländlichen Kontext zukünftigen Englischlehrpersonen eine qualitativ hochwertige Bildung zu ermöglichen und selbst eine hohe fremdsprachliche Kompetenz aufrechtzuerhalten, sowie des Bedürfnisses, zur Weiterentwicklung der eigenen Community of Practice und des lokalen gesellschaftlichen Umfelds des Studiengangs beizutragen. Die selbstreflexive Interview-Studie einer TESOL- Masterstudentin mit einem jungen Englischlehrer in Kalifornien (H ER / G REEN -E NEIX / D E C OSTA ) bietet Einblicke in ihr Methodenlernen durch learning by doing, ihren Umgang mit unvorhergesehenen Änderungen der Rahmenbedingungen („messy research“, so auch im Titel des Beitrags) und ihre dialogische Zusammenarbeit mit dem Forschungspartner. Kevin Wai Ho Y UNG s Beitrag macht die zwiespältige, spannungsreiche Position eines Dozenten deutlich, der ohne schulische Unterrichtserfahrung Studierende zur theoriegeleiteten Reflexion ihrer z.T. schon langjährigen Unterrichtspraxis befähigen soll. Y UNG absolviert berufsbegleitend ein längeres Unterrichtspraktikum und erforscht in einem autoethnografischen Verfahren seine Rollenkonflikte und die Entwicklung seines Selbstverständnisses als Forscher, Lehrer und Lernender. Ein weiterer autoethnografischer Beitrag zeichnet Wegmarken der Karriere einer chinesischen TESOL-Professorin nach (Y AN ) und analysiert Entscheidungen, die ihr dabei halfen, strukturelle Hürden zu überwinden. Eine Interviewstudie mit zwei Dozentinnen in einem australischen TESOL-Studiengang (N GUYEN ) belegt die Bedeutung von Unterrichtsbesuchen in Praktika für ihre Selbstpositionierung als Lehrkräftebildner*innen. Zum einen ermöglichen sie theoriebasierte Praxisreflexionen der Studierenden, zum anderen bieten sie Dozierenden Einblicke in Entwicklungen im Schulbereich, die für ihre Arbeit mit zukünftigen Lehrpersonen unverzichtbar sind. Juyoung S ONG ergründet in ihrer autoethnografischen Studie die Bedeutung von Emotionen für ihre Lehre, Forschung und professionelle Identität. Der Ansatz der emotionalen Reflexivität ermöglicht ihr, Marginalisierungserfahrungen, die sie in den USA im Laufe ihrer 10jährigen Tätigkeit als Nicht-Muttersprachlerin aus Asien ohne schulische Unterrichtserfahrung sammeln musste, als identitätsstiftend und bedeutsam für ihr professionelles Handeln einzuordnen. S HARKEY / P EERCY / S OLANO -C AMPOS / S CHALL -L ECKRONE demonstrieren in ihrem Besprechungen 157 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0034 Aufsatz die Relevanz von Forschung von und über TESOL TEs mit vier Methoden aus dem S- STEP-Spektrum. Mit kritischer Autoethnografie erforscht S OLANO -C AMPOS das Dilemma, das sie als von Rassismus betroffene Dozentin aus Costa Rica in der US-amerikanischen Lehrkräftebildung begleitet, die selbst institutionellen Rassismus perpetuiert. P EERCY untersucht und entwickelt zusammen mit einer kritischen Freundin ein praxisbasiertes didaktisches Konzept weiter, das Englischlehrkräfte in ihrer Arbeit mit mehrsprachigen Schüler*innen unterstützen soll. S CHALL -L ECKRONE verwendet ein Mixed-Method-Design, um einen ihrer Kurse dahingehend zu analysieren, inwiefern er angehenden Englischlehrer*innen Gelegenheit bietet, differenzsensible, diskriminierungskritische Einstellungen zu entwickeln. S HARKEY , schließlich, nutzt eine Kombination aus empirischer und konzeptioneller Forschung, um Erkenntnisse zu gewinnen über die Schwierigkeiten weißer monolingualer Lehramtsstudierender, für ihre mehrsprachigen migrantischen Schüler*innen relevante, motivierende Lehrpläne zu entwickeln. In Teil II stehen Analysen von Studiengängen im Blickpunkt sowie Überzeugungen universitärer Lehrpersonen, die diesen Programmen oder einzelnen Kursen zugrunde liegen. L I und B IAN präsentieren ihre Mixed-Methods-Forschung über die Fähigkeit und Bereitschaft von Lehrkräftebildner*innen in den USA, Studierende verschiedener Lehramtsfächer auf den Unterricht mit Schüler*innen vorzubereiten, die Englisch als Zweit- oder Fremdsprache sprechen. Wie sie zeigen, ist es dem Zufall überlassen, ob und in welcher Qualität diese Vorbereitung geschieht. Da keine Strukturen existieren, die neben der allgemeinen pädagogischen und fachbezogenen eine systematische auf Sprachbildung bezogene Professionalisierung der zukünftigen Lehrer*innen einfordern, ist die professionelle Entwicklung der Studierenden in dieser Hinsicht ausschließlich von Bereitschaft, Expertise und verfügbaren Ressourcen der Dozierenden abhängig. T RAN -D ANG und N GUYEN untersuchen in ihrer Studie die Umsetzung aufgabenorientierter Didaktiken in Lehrveranstaltungen zweier lehrkräftebildender Colleges in Vietnam. Sie zeigen, dass auch hier entsprechende Strukturen fehlen und es vom Vorhandensein einschlägiger Vorbildung bei den Dozierenden und vom lokalen Kontext abhängig ist, ob und in welcher Ausprägung sie aufgabenorientierte Formate einsetzen. Mit den Herausforderungen praxisbasierter Lehre beschäftigen sich TESOL TEs an einer chilenischen Hochschule in ihrer kollaborativen Selbstforschung (B ARAHONA / G LAS / P ESCARA ). Sie unterstreichen die Notwendigkeit, authentische, an der lokalen Schulrealität orientierte Übungsformate für die Anbahnung praxisrelevanter Fertigkeiten anbieten zu können und von der Praxis ausgehend theoretische Hintergründe zu vermitteln. F RASER erkundet in seinem Beitrag die Bedeutung schriftlicher kritischer Reflexion für die Entwicklung einer professionellen Identität angehender Lehrer*innen und als Werkzeug für die Interpretation ihrer eigenen Erfahrungen. Angesichts der Herausforderung, studentische reflexive Texte bewerten zu müssen, beeinflusst die Auseinandersetzung mit ihnen zudem auch die Entwicklung einer komplexen TE-Identität des Dozenten. Voraussetzungen für sinnstiftende Reflexionen sind jedoch Zeit, ein strukturierter Möglichkeitsraum und ein externer Impuls. S ARASA plädiert im Zuge ihrer Studie zur Bedeutung narrativer biografischer Texte für Identitätskonstruktionen von TESOL-Studierenden dafür, die Arbeit mit Hintergründen und Biografien der Studierenden in Studienordnungen festzuschreiben. So könnten Unterstützungsstrukturen geschaffen werden, um in biografischen Texten und durch den Austausch über sie existente Wissensbestände zum Vorschein zu bringen und zu aktivieren. Der letzte Beitrag im Band beleuchtet autoethnografisches Schreiben als reflexiven, datenbasierten qualitativen Forschungsansatz zur Identität von Lehrpersonen (Y AZAN ). Dabei entwickelt der Autor für sich die Selbst-Position eines Autoethnografie- Coaches, problematisiert aber auch die Möglichkeit der Einflussnahme durch Betreuende auf studentische Forschungsarbeiten und auf die Entwicklung eigener Ansätze der Studierenden. Der erste Sammelband mit Forschungsarbeiten zu TESOL TEs belegt eindrücklich die 158 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2024-0034 53 • Heft 2 Relevanz der Forschung zu Wissensbeständen und Selbstentwürfen von Lehrkräftebildner*innen, zu Bedingungen und Erfahrungen, die diese Entwürfe beeinflussen, und dazu, welche Auswirkungen die Identitäten der TEs auf ihre Arbeit mit zukünftigen Lehrer*innen haben. Alle Beiträge sind theoriebasiert angelegt, forschungsmethodologisch sorgfältig aufbereitet und präsentieren greifbare Ergebnisse sowie Erkenntnisse, die über die im Band vertretenen Regionen hinaus Relevanz entfalten können. Die Chancen stehen gut, dass Leser*innen eigene Forschungsideen gefasst haben, wenn sie dieses Buch zu Seite legen. Berlin A NNE M IHAN 53 • Heft 2 Vorschau auf Jahrgang 54.1 Der von M ARLENE A UFGEBAUER und K AREN S CHRAMM (beide Universität Wien) koordinierte Themenschwerpunkt für den Jahrgang 54.1 trägt den Titel Fokus Feedbackkompetenz. Das Thema Feedback im Fremdsprachenunterricht ist seit langem ein zentrales Forschungsfeld, wobei der Schwerpunkt oft auf den unterschiedlichen Feedbackformen und deren Wirkung aus Lernendenperspektive liegt. Weniger beachtet wird das Feedback aus Sicht der Lehrenden, insbesondere im Rahmen der Ausbildung angehender Fremdsprachenlehrer*innen. Ihr Feedback auf mündliche Beiträge der Lernenden wird in der Ausbildung selten thematisiert und geübt, obwohl es wesentlich für den Lernfortschritt ist. Um effektives Feedback geben zu können, müssen die angehenden Fremdsprachenlehrpersonen vielfältige Kompetenzen entwickeln. Diese umfassen neben sprachlichen Fähigkeiten auch Diagnose- und Evaluationskompetenzen, wie sie in verschiedenen Kompetenzprofilen und Rahmenwerken beschrieben werden.Lehrpersonen sollten in der Lage sein, die mündliche Sprachproduktion der Lernenden zu analysieren und differenziertes Feedback zu geben. Dies beinhaltet das Verstehen, Analysieren und Beurteilen mündlicher Beiträge auf Basis spezifischer Kriterien. Auch das Erkennen des Lernfortschritts und der Fehlerarten sowie das Wissen um deren Ursachen sind entscheidend. Zudem spielt die empathische Dimension in der Unterrichtskommunikation eine wichtige Rolle, bei der interkulturelle und persönliche Besonderheiten der Lernenden berücksichtigt werden sollten. Diese Aspekte sind empirisch noch wenig erforscht und werden in der Lehrer- *innenausbildung oft vernachlässigt. Das geplante Themenheft fokussiert deshalb verschiedene Facetten der mündlichen Feedbackkompetenz von Fremdsprachenlehrpersonen. Die Beiträge konzentrieren sich auf die berufsspezifischen sprachlichen Kompetenzen, die Evaluations- und Diagnosefähigkeiten sowie die empathische und interkulturelle Kompetenz in Feedbackgesprächen. Praktische Erfahrungen und Methoden zur Schulung dieser Kompetenzen wie Peer-Feedback, kollegiale Unterrichtsbeobachtung oder Microteaching werden ebenfalls thematisiert. Ziel der Beiträge ist es, im Rahmen der Fremdsprachenlehrer*innenausbildung dazu zu inspirieren, das Feedbackverhalten angehender Lehrpersonen zu verbessern und ihre Fähigkeit zu stärken, konstruktives und respektvolles Feedback zu geben. Bei Redaktionsschluss lagen Zusagen für folgende Beiträge vor: M ARLENE A UFGEBAUER , K AREN S CHRAMM (Universität Wien): Zur Einführung in den Themenschwerpunkt M ARLENE A UFGEBAUER (Universität Wien): Feedbackkompetenz angehender DaF-/ DaZ-Lehrender - Von der Theorie in die Praxis K ARIN R ICHTER (Universität Wien): Duale Feedbackkompetenz in der universitären Englischlehrer*innenausbildung: Praktiken und Herausforderungen O LIVIA R ÜTTI -J OY (PH St. Gallen): Feedback am Nexus von feedback literacies und berufsspezifischen Sprachkompetenzen: Über die sprachliche Facette von Feedback-Kompetenzen angehender Fremdsprachenlehrender M ILICA L AZOVIC (Philipps-Universität Marburg): Empathie in Sprachlernberatungsgesprächen - reflexiv, diskursiv, adaptiv V o r s c h a u 160 Vorschau 53 • Heft 2 C ORDULA S CHWARZE (Universität Innsbruck): Zwischen Analyse, Urteil und Optimierung im Feedbackgespräch: Herausforderungen des lehrer*innenseitigen Feedbackgebens auf mündliche Beiträge M ICHAELA R ÜCKL (Paris Lodron Universität Salzburg): Mentoring-Tandems als authentische Lerngelegenheiten für den Aufbau von Diagnose- und Feedbackkompetenz in sprachendidaktischen Lehrveranstaltungen C ARMEN K ONZETT -F IRTH (Universität Innsbruck): Feedbackpraktiken im Fremdsprachenunterricht: Eine Bestandsaufnahme mit Überlegungen zur Förderlichkeit von Feedback für die Entwicklung von Interaktionskompetenz Geplanter Themenschwerpunkt für Jahrgang 54.2 Kritische Fremdsprachenlehrer*innenbildung Koordiniert von I RENE H EIDT (Universität Potsdam), L OTTA K ÖNIG (Universität Bielefeld), E LENI L OULOUDI (Universität Bielefeld) & T HORSTEN M ERSE (Universität Duisburg-Essen) Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL) Themenschwerpunkte (2001 - 2024) Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL) Themenschwerpunkte (2001 - 2024) 30 (2001): Leistungsmessung und Leistungsevaluation (koord. von Rüdiger Grotjahn) 31 (2002): Lehrerausbildung in der Diskussion (koord. von Frank G. Königs und Ekkehard Zöfgen) 32 (2003): Mündliche Produktion in der Fremdsprache (koord. von Karin Aguado u.a.) 33 (2004): Wortschatz - Wortschatzerwerb - Wortschatzlernen (koord. von Erwin Tschirner) 34 (2005): `` Neokommunikativer AA Fremdsprachenunterricht (koord. von Franz-Joseph Meißner) 35 (2006): Sprachdidaktik - interkulturell (koord. von Claus Gnutzmann und Frank G. Königs) 36 (2007): Fremdsprache als Arbeitssprache in Schule und Studium (koord. von Claus Gnutzmann) 37 (2008): Lehren und Lernen mit literarischen Texten (koord. von Eva Burwitz-Melzer) 38 (2009): Strategien im Fremdsprachenunterricht (koord. von Manfred Raupach) 39 (2010): Geschichte des Fremdsprachenunterrichts (koord. von Claus Gnutzmann und Frank G. Königs) 40.1 (2011): Fremdsprachenforschung in Europa (koord. von C. Gnutzmann, F.G. Königs und L. Küster) 40.2 (2011): Lehrwerkkritik, Lehrwerkverwendung, Lehrwerkentwicklung (koord. von Jürgen Kurtz) 41.1 (2012): Kompetenzen konkret (koord. von Lutz Küster) 41.2 (2012): Fremdsprachen in nichtsprachlichen Studiengängen (koord. von Claus Gnutzmann) 42.1 (2013): Entwicklungslinien. Standpunkte der Fremdsprachenforschung (koord. von Jenny Jakisch, Frank G. Königs und Lutz Küster) 42.2 (2013): Tasks revisited (koord. von Wolfgang Hallet und Michael K. Legutke) 43.1 (2014): Der Fremdsprachenlehrer im Fokus (koord. von Frank G. Königs) 43.2 (2014): Multiliteralität (koord. von Lutz Küster) 44.1 (2015): Wissenschaftliches Schreiben in der Fremdsprache (koord. von Claus Gnutzmann) 44.2 (2015): Mehrsprachigkeitsdidaktik (koord. von Jenny Jakisch) 45.1 (2016): (Fremd-)Sprachenlernen mit Film (koord. von Gabriele Blell und Carola Surkamp) 45.2 (2016): L2-Motivation - internationale und sprachspezifische Perspektiven (koord. von Claudia Riemer und Kathrin Wild) 46.1 (2017): Sprachenpolitik (koord. von Eva Burwitz-Melzer und Jürgen Quetz) 46.2 (2017): Frühes Fremdsprachenlernen (koord. von Heiner Böttger) 47.1 (2018): Fachlichkeit und Bildungsauftrag im schulischen Fremdsprachenunterricht (koord. von Lutz Küster und Jochen Plikat) 47.2 (2018): Digitalisierung und Differenzierung (koord. von Torben Schmidt und Nicola Würffel 48.1 (2019): Videobasierte Lehre in der Fremdsprachendidaktik (koord. von Mark Bechtel und Karen Schramm) 48.2 (2019): Sprachmittlung (koord. von Andrea Rössler und Birgit Schädlich) 49.1 (2020): Fremdsprachliches Schreiben (koord. von Hans P. Krings) 49.2 (2020): Aussprache lehren, lernen und evaluieren (koord. von Isabelle Mordellet-Roggenbuck und Julia Settinieri) 50.1 (2021): Bilingualer Unterricht. Aktuelle Herausforderungen und neue Chancen (koord. von Bärbel Diehr und Dominik Rumlich) 50.2 (2021): Berufsbezogenes Fremdsprachenlernen und -lehren (koord. von Karin Vogt und Hermann Funk) 51.1 (2022): Jugendliteratur im Fremdsprachenunterricht der Sekundarstufe für alle (koord. Nikola Mayer) 51.2 (2022): Mehrsprachige Forschung - Mehrsprachigkeit in der Forschung: theoretische und empirische Herausforderungen aus internationaler Perspektive (koord. von Dagmar Abendroth-Timmer und Britta Viebrock) 52.1 (2023): Die Künste und ihr Einsatz im Fremdsprachenunterricht - Potenziale für das fremdsprachliche Lernen (koord. von Carola Surkamp und Andreas Wirag) 52.2 (2023): Gamification (koord. von Marta García García) 53.1 (2024): Interaktion und Digitalisierung im Fremdsprachenunterricht (koord. von Götz Schwab und Sabine Hoffmann) Hinweise zu Beiträgen für FLuL FLuL begrüßt forschungsbasierte Beiträge zu allen für den Fremdsprachenunterricht und die Förderung der Mehrsprachigkeit relevanten Bereichen. Einzelheiten zur Gestaltung der Manuskripte sind dem ausführlichen ,style sheet‘ zu entnehmen, das bei der Redaktion (Anschrift siehe 2. Umschlagseite) angefordert werden kann. ISBN 978-3-381-12241-7 www.narr.digital www.narr.de Themenschwerpunkt: Neurodiversität in Fremdsprachenunterricht und -lehrkräftebildung J ules B ündgens -K osten , C arolyn B lume : Zur Einführung in den Themenschwerpunkt ���������3 r eBella t oma : [Comic] Dreamy ������������������������������������������������������������������������������12 d avid g erlaCh Diversitätsorientierung und Kritische Fremdsprachendidaktik: Perspektiven für einen bildungsorientierten Fremdsprachenunterricht und die fremdsprachliche Lehrer*innenbildung �������������������������������������������������������������������������������������������������������������14 J ules B ündgens -K osten , g rit a lter Repräsentation und own voices Literatur im (Fremd-)Sprachenunterricht �����������������28 s am g amaChe : [Comic] Education with ADHD �����������������������������������������������������������42 s ophie e ngelen : Lesestrategien im inklusiven Französisch- und Spanischunterricht ����43 s olveig C hilla Neurodiversität und diverse learning needs: Developmental language disorder (DLD) und Deutsch als Zweitsprache bei Schüler*innen mit forced-displacement-Biografie ���������57 J il -m arie Z ilsKe : Erfahrung als Englischlernende und -nutzende mit Down-Syndrom ����71 n iCole g otling , J ulia h üttner , m iChelle p royer , m anuela s ChliCK Vorbereitung auf inklusiven Fachunterricht: Hochschuldidaktische Überlegungen und Erfahrung zur Englischlehrer*innenbildung bezüglich Neurodiversität ���������������������74 y ela s ChauweCKer Das Prinzip der Differenzierung: Die Vorbereitung Lehramtsstudierender auf den Umgang mit Neurodiversität im Französischunterricht ������������������������������������������������88 s ophie a. Lesen und Verstehen im Studium: Wieso Semesterwochenstunden für manche Menschen mit Lese-Rechtschreibstörung/ -schwäche (LRS) eine Herausforderung sind ���103 m arC J ones , g retChen C larK Language teachers with ADHD: self-efficacy and framings �����������������������������������106 ISSN 0932-6936
