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Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
flul542/flul542.pdf1013
2025
542 Gnutzmann Küster Schramm
Fremdsprachen Lehren und Lernen Herausgegeben von Sandra Ballweg, Birgit Schädlich, Karen Schramm und Britta Viebrock Themenschwerpunkt: Kritische Fremdsprachenlehrer: innenbildung koordiniert von Irene Heidt, Lotta König, Eleni Louloudi und Thorsten Merse F Lu L 54. Jahrgang · 2 Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL) Zur Theorie und Praxis des Sprachunterrichts Herausgegeben von: Sandra Ballweg (Paderborn) · Birgit Schädlich (Göttingen) · Karen Schramm (Wien) · Britta Viebrock (Frankfurt) Zuschriften, Manuskripte und Rezensionsexemplare erbeten an: Prof. Dr. Sandra Ballweg, Universität Paderborn, Institut für Germanistik und vergleichende Literaturwissenschaft, Fach DaZ/ DaF, Warburger Str. 100, 33098 Paderborn, eMail: sandra.ballweg@upb.de Prof. Dr. Birgit Schädlich, Georg-August-Universität Göttingen, Seminar für Romanische Philologie, Humboldtallee 19, 37073 Göttingen, eMail: birgit.schaedlich@phil.uni-goettingen.de Prof. Dr. Karen Schramm, Universität Wien, Institut für Germanistik, Fachbereich DaF/ DaZ, Porzellangasse 4, A-1090 Wien, eMail: karen.schramm@univie.ac.at Prof. Dr. Britta Viebrock, Goethe Universität Frankfurt, Institut für England- und Amerikastudien, Norbert-Wollheim-Platz 1, 60323 Frankfurt am Main, eMail: viebrock@em.uni-frankfurt.de Beratende Mitarbeit: Gabriele Blell (Hannover) · Daniela Caspari (Berlin) · Sabine Doff (Bremen) · Andreas Grünewald (Bremen) · Jürgen Kurtz (Gießen) · Grit Mehlhorn (Leipzig) · Claudia Riemer (Bielefeld) · Michaela Rückl (Salzburg) · Kathrin Siebold (Marburg) · Laurenz Volkmann (Jena) · Katharina Wieland (Halle) Abonnements und Preise unter www.meta.narr.de/ zeitschriften/ journals_preisliste.pdf © 2025 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG, Dischingerweg 5, 72070 Tübingen www.narr.de, eMail: info@narr.de Die in der Zeitschrift veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieser Zeitschrift darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Fotokopie, Mikrofilm oder andere Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsanlagen, verwendbare Sprache übertragen werden. Auch die Rechte der Wiedergabe durch Vortrag, Funk- und Fernsehsendung, in Magnettonverfahren oder auf ähnlichem Wege bleiben vorbehalten. Fotokopien für den persönlichen und sonstigen eigenen Gebrauch dürfen nur von einzelnen Beiträgen oder Teilen daraus als Einzelkopien hergestellt werden. Jede im Bereich eines gewerblichen Unternehmens hergestellte oder benutzte Kopie dient gewerblichen Zwecken gem. § 54 (2) UrhG und verpflichtet zur Gebührenzahlung an die VG WORT, Abteilung Wissenschaft, Goethestraße 49, 80336 München, von der die einzelnen Zahlungsmodalitäten zu erfragen sind. Printed in Germany ISBN 978-3-381-14041-1 · ISSN 0932-6936 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG (Fortsetzung umseitig) Th e m e n s c h w e rp u nkt: Kriti s c h e F r e m d s pr a c h e nl e hr e r*i n n e n bil d u n g Koordination: I RENE H EIDT , L OTTA K ÖNIG , E LENI L OULOUDI , T HORSTEN M ERSE I RENE H EIDT , L OTTA K ÖNIG , E LENI L OULOUDI , T HORSTEN M ERSE Zur Einführung in den Themenschwerpunkt ....................................................... 3 J ULIA F EIKE , R EBECCA Z ABEL Lehrer*innensubjektbildung: Zur Kritik normativer Ordnungen in der Professionalisierung angehender Lehrkräfte in DaF/ Z ........................................ 10 J ANINA M. V ERNAL S CHMIDT , A NNE M IHAN Rassismuskritische Lehrwerkanalyse in den fremdsprachlichen Fächern: Impulse und handlungsleitende Orientierungen .................................................. 26 M AX VON B LANCKENBURG , S INA D ERICHSWEILER Kompetenzen von Lehrkräften zur Förderung von Streitkultur im Fremdsprachenunterricht ..................................................................................... 41 N ATALIE G ÜLLÜ , D AVID G ERLACH Wie sprechen angehende Englischlehrer: innen über (potenziell problematische) Unterrichtsinhalte? Wissenssoziologisch-empirische Einblicke in ein hochschuldidaktisches, rassismuskritisches Setting ............................................................ 57 M ARTA G ARCÍA G ARCÍA , A NDREA B LANCO R ODRÍGUEZ Ermächtigt oder machtlos? Haltungen von Studierenden und Lehrkräften gegenüber einer Kritischen Fremdsprachendidaktik ........................................... 73 54. Jahrgang • Heft 2 Herausgegeben von: Sandra B ALLWEG , Birgit S CHÄDLICH , Karen S CHRAMM und Britta V IEBROCK © 2025 Narr Francke Attempto Verlag Internet: www.narr.de/ linguistik/ zeitschriften/ flul/ 54 • Heft 2 I RENE H EIDT , L OTTA K ÖNIG , E LENI L OULOUDI , T HORSTEN M ERSE Kritische Fremdsprachenlehrer*innenbildung: Internationale Kontextualisierung, konzeptuelle Systematisierung und Desiderate ................................................... 89 Nicht-thematischer Teil Z EYNEP K ALKAVAN -A YDIN Erklären Sie mal auf Arabisch oder Englisch! - Mehrsprachige Praktiken als Scaffolding im (berufs- und fachorientierten) DaF-Unterricht ............................ 104 P r o u n d C o ntr a : KI im Fr e md s pra c h e nunt e rric ht: Ko nkurr e n z st att A s s i st e n z für di e Le hrkraft? 124 Be sprechunge n Jennifer W ENGLER : Emotionales Erleben der Fehlerkorrektur. Eine Einschätzung von Lernenden im Französischunterricht. Tübingen: Narr Francke Attempto 2023 (J ULIA L ANKL ) ............................................................................................................................... 126 Peggy G ERMER : Lernen im Tandem in der Lehramtsausbildung. Autonome Lernprozesse initiieren, unterstützen und erforschen. Berlin: Frank & Timme 2023 (J ULIA H ARGASSNER ) ...................................................................................................................... 128 Denyze T OFFOLI , Geoffrey S OCKETT , Meryl K USYK (Hrsg.): Language Learning and Leisure. Informal Language Learning in the Digital Age. Berlin/ New York: De Gruyter Mouton 2023 (K ATHARINA G HAMARIAN ) .............................................................................. 131 Magaly L AVADENZ , Elvira G. A RMAS : The Observation Protocol for Academic Literacies: A Tool for Building Expertise for Teachers of English Learners. Bristol/ Jackson: Multilingual Matters 2024 (S OPHIE E NGELEN ) ................................................................................ 134 Beatrice VON G AYL : Kognitive Aktivierung im projektorientierten Französischunterricht. Lausanne [u.a.]: Lang 2023 (J ÜRGEN M ERTENS ) ................................................................ 136 Almut K ETZER -N ÖLTGE , Nicola W ÜRFFEL (Hrsg.): Textbook 4.0 - From Paper-Based Textbooks with Digital Components to Interactive Teaching and Learning. Berlin [u.a.]: Lang 2024 (C ORINNA K OCH ) .............................................................................................. 139 Almut H ILLE , Simone S CHIEDERMAIR (Hrsg.): Zur Kategorie „Diskurs“ in der Kultur- und Literaturdidaktik des Faches Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. München: IUDICIUM 2023 (J OCHEN P LIKAT ) ........................................................................................ 142 Vorschau ● In eigener Sache 145 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0023 I RENE H EIDT , L OTTA K ÖNIG , E LENI L OULOUDI , T HORSTEN M ERSE * Zur Einführung in den Themenschwerpunkt Zukünftige Fremdsprachenlehrer*innen stehen in ihrer Professionalisierung vor der Herausforderung, ihre Schüler*innen auf kommunikatives und kulturelles Handeln in einer globalisierten und digitalisierten Welt vorzubereiten, die durch soziale Herausforderungen wie Klimakrise, (Post-)Pandemie, Krieg, Flucht, Rechtspopulismus und Demokratiedestabilisierung geprägt ist. Unter diesen Bedingungen scheint es unumgänglich, einen kritischen Umgang mit gesellschaftlichen Verhältnissen und ein individuelles Sich-dazu-in-Bezug-Setzen als Bestandteil von sprachlichen und kulturellen Lehr-Lern-Prozessen mitzudenken. Dies wirft die Frage auf, welches Wissen, aber auch welche Haltungen und Handlungsfähigkeiten dafür in der Lehrer*innenbildung angebahnt werden sollen. Diese Frage muss auch im Kontext des beruflichen Alltags betrachtet werden: Hier sind nicht nur spezifische Aspekte wie der Druck formorientierter Durchprozessierungslogik der Schüler*innen durch das Lehrbuch (B ONNET / H ERICKS 2022: 169) oder eine weiterhin dominierende sprachliche ,Korrektheitsnorm‘ (W ILKEN 2021: 161-165) nach wie vor sehr wirkmächtig. Durch weitgreifende Entwicklungen wie Standardisierung und Kompetenzorientierung ergibt sich für Lehrkräfte ein Spannungsfeld, wenn Unterrichten auf das Erreichen von Standards und Einüben von Kompetenzen abzielen und zugleich inhaltliche und gesellschaftlich relevante Aspekte sprachlich-kulturellen Lernens adressieren soll. Dieses Themenheft setzt sich zum Ziel, eine Fremdsprachenlehrer*innenbildung zu konzeptualisieren, die * Korrespondenzadressen: Dr. Irene H EIDT , BTU Cottbus-Senftenberg, Universitätsplatz 1, 01968 S ENFTENBERG E-Mail: irene.heidt@b-tu.de Arbeitsbereiche: Rassismus- und machtkritische Literatur- und Kulturdidaktik, Critical Language Teacher Education, Mehrsprachigkeit Prof. Dr. Lotta K ÖNIG , Universität Bielefeld, Universitätsstraße 25, 33615 B IELEFELD . E-Mail: lotta.koenig@uni-bielefeld.de Arbeitsbereiche: Diversitätsreflektierende Literatur- und Kulturdidaktik, Lernen an außerschulischen Lernorten, Sprachmittlung Dr. Eleni L OULOUDI , Universität Bielefeld, Universitätsstraße 25, 33613 B IELEFELD . E-Mail: eleni.louloudi@uni-bielefeld.de Arbeitsbereiche: Social Justice Education, Critical Multilingual Education, Translanguaging, Ethnographie Prof. Dr. Thorsten M ERSE , Universität Duisburg-Essen, Universitätsstraße 12, 45141 E SSEN . E-Mail: thorsten.merse@uni-due.de Arbeitsbereiche: Inter- und transkulturelles Lernen, queertheoretische Ansätze in der Englischdidaktik, Digital Citizenship Education Kritische Fremdsprachenlehrer*innenbildung 4 Irene Heidt, Lotta König, Eleni Louloudi, Thorsten Merse DOI 10.24053/ FLuL-2025-0023 54 • Heft 2 bewusst kritisch angelegt ist. Damit rückt der Gegenstand der Kritik selbst explizit in den Fokus von Professionalisierung, und es erscheint - zumindest insbesondere für den deutschen Kontext der Fremdsprachenlehrer*innenbildung - als ein Desiderat, die Verknüpfung von ,Kritik‘ und ,Professionalisierung‘ auszudifferenzieren. Aus internationaler Perspektive hat die Kombination aus Professionalisierung und Kritik unter dem konzeptuellen Blickwinkel der critical (language) teacher education schon seit mindestens zwei Jahrzehnten an Momentum gewonnen (vgl. I RVINE 2003; H AWKINS / N ORTON 2009; G AY 2013; J USTICE / T ENORE 2018; T IAN / K ING 2023; S ELVI / K OCAMAN 2024). Konstituierend für eine kritisch konzipierte Fremdsprachenlehrer*innenbildung sind dabei Bezüge zu Theorien wie bspw. kritischer Pädagogik, critical applied linguistics, social justice education, post-colonial studies, critical race studies oder poststructuralist feminism. Vor diesem theoretischen Hintergrund werden critical teacher educators als Hauptakteur*innen bei der Umgestaltung des (Bildungs-)Systems gesehen, das Vorurteile und ungleiche Normen aufrechterhält und fortschreibt. In den letzten Jahren wurde critical language teacher education auch in enger Verbindung mit Theorien zur Mehrsprachigkeit, insbesondere zu translanguaging und zur machtkritischen Sprachbewusstheit erörtert (P ENNYCOOK 2021; L AU / V AN V IEGEN 2020; K RAMSCH 2009; siehe auch H EIDT o.J., und L OULOUDI 2023). In eine ähnliche Richtung weist auch die Arbeit von H AWKINS und N ORTON (2009: 33-36), die in ihrer Übersicht über bestehende Ansätze von critical language teacher education die folgenden, für den Fremdsprachenunterricht relevanten Merkmale ausmachen: • Aufbau eines kritischen Bewusstseins im Hinblick auf die Erkenntnis, dass Sprache nicht neutral ist und zugleich Medium für Kommunikation als auch ein Gegenstand der Betrachtung sein kann. Folglich sollte Sprache nicht nur dazu genutzt werden, eine kritische Diskussion zu ermöglichen, sondern auch selbst daraufhin geprüft werden, welche Privilegien und Benachteiligungen sie aufrechterhält; • Förderung einer kritischen Selbstreflexion als wichtiger Teil der Professionalisierung von Fremdsprachenlehrer*innen, die darin besteht, künftige Lehrkräfte dabei zu unterstützen, über ihre eigene Position in der Gesellschaft nachzudenken und zu reflektieren, wie sich dies auf ihre Rolle als Lehrer*innen im Schulalltag auswirken kann; • Intensivierung kritischer pädagogischer Beziehungen, wodurch die Infragestellung von Machtstrukturen bereits im Klassenraum beginnt. Durch dialogische Reflexion lernen Lehrer*innen und Schüler*innen gemeinsam, ihre traditionellen Rollen zu hinterfragen: Wer lernt von wem und wann? Wessen Wissensansätze haben (mehr) Gültigkeit und warum? (2009: 33-36) Wie H AWKINGS und N ORTON (2009) feststellen, ist dieser Vorschlag nicht als universelles Modell zu verstehen, sondern hängt von der dynamischen Situiertheit des jeweiligen Schulalltags ab, oder konkreter von „cultural and historical knowledge of the context and the students” (2009: 36). Erst durch ein tiefes Verständnis jeweiliger, Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 5 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0023 situativer Bildungskontexte und -systeme ist eine Vorstellung von criticality bzw. von critical language teacher education denkbar, die von Lehrkräften einfordert, „to question, resist against, problematize, and transform values, beliefs, identities, practices, and systems” (S ELVI / K OCAMAN 2024: 4). Vor diesem Hintergrund wurde in den letzten Jahren die Notwendigkeit betont, über einen reinen Fokus z.B. auf Unterrichtsmethoden hinauszugehen (H ALL 2024) und critical language teacher education als eine Haltung gegenüber Bildung im Allgemeinen und als a way of being and doing in the classroom zu betrachten (vgl. V ASQUEZ / J ANKS / C OMBER 2019). Daher rückten identitäts- und habitusadressierende sowie ethisch-politische Ansätze ebenfalls ins Blickfeld, um ein kritisches Bewusstsein bei angehenden Fremdsprachenlehrer*innen anzubahnen (vgl. Y AZAN 2018; K RAMSCH / Z HANG 2018). In der Gesamtschau dieser Entwicklungen ist somit ein deutlich kritisch-transformatorischer Impetus mit Bezug auf Unterricht und Bildungssysteme artikuliert, der vor allem Lehrkräfte als Hauptakteur*innen der Neu- und Umgestaltung von fremdsprachlicher Bildung ins Zentrum des Interesses rückt, um z.B. marginalisierte Perspektiven und kulturelle Diversität sichtbar zu machen und zu thematisieren, die unhinterfragte Fortschreibung von Normen und Vorurteilen zu hinterfragen, eine kritische Haltung gegenüber eigenen Annahmen und Deutungsmustern von Fremdsprachenunterricht zu entwickeln, oder eine machtkritische Sprachbewusstheit zu fördern. An einigen Standorten der Lehrer*innenbildung in Deutschland bzw. im deutschsprachigen Raum wurden und werden in jüngster Zeit verschiedene Konzepte entwickelt, um eine kritische(re) Nuancierung in die Lehr*innenbildung zu integrieren (vgl. z.B. G ERLACH / F ASCHING -V ARNER 2020; M IHAN / G RAF 2021; H EIDT 2023; K ÖNIG / L OULOUDI 2024; B ARTOSCH / D ERICHSWEILER 2024). Als gemeinsamer Nenner dieser Ansätze zeichnet sich ab, dass sie eine kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Verhältnissen explizit als Bestandteil von Fremdsprachenlehr- und -lernprozessen verstehen (vgl. G ERLACH 2020). Diese Konzepte beziehen sich auf criticality sowohl im Hinblick auf die Aushandlung gesellschaftspolitischer Themen (z.B. Rassismus, Sexismus, Homophobie) im Sinne des ‚Was? ‘, aber auch auf eine methodische Dimension des ‚Wie? ‘ und ‚Warum? ‘, z.B. in Bezug auf die Dekonstruktion von Sprache als symbolische Macht, den konstruktiven Umgang mit Widerstand im Unterricht, die Gestaltung mehrsprachiger Settings, die kritische Erfassung kultureller Repräsentationsformen in Lehrmaterialien oder die Umsetzung von Lehrkräftefortbildungen. Das vorliegende Themenheft versammelt einige dieser Ansätze, wobei die Beitragenden jeweils ihr Verständnis des Kritischen an Lehrer*innenbildung darlegen. Durch die Rahmung des Hefts sollen diese bislang dezentral entwickelten Ansätze sichtbar gemacht und insbesondere im letzten Beitrag der Heftherausgeber*innen ein erster Versuch einer Systematisierung des Kritikbegriffs in der Lehrer*innenbildung im deutschen Kontext vorgenommen werden. Außerdem sollen einige bislang in diesem Kontext noch wenig berücksichtigte internationale Perspektiven von critical language teacher education dargelegt und ausgelotet werden, inwiefern diese Kon- 6 Irene Heidt, Lotta König, Eleni Louloudi, Thorsten Merse DOI 10.24053/ FLuL-2025-0023 54 • Heft 2 zepte in den Beiträgen des Hefts aufgegriffen und kontextspezifisch gewendet werden und wie sie darüber hinaus produktiv werden können. Dabei kann es nicht darum gehen, a priori ein homogenes Verständnis der potenziell sehr weiten Begriffe ‚Kritik‘ und ‚Kritische Fremdsprachenlehrer*innenbildung‘ vorauszusetzen, sondern unterschiedliche theoretische Ansätze transparent zu machen und ‚Kritik‘ in Bezug auf konkrete Umsetzungen zu konturieren. Das vorliegende Themenheft verdeutlicht, dass in der Fremdsprachendidaktik trotz der bisherigen Bearbeitung kritischer gesellschaftlicher Themen im Sinne des ‚Was? ‘ weiterhin viele Fragen hinsichtlich des ‚Wie? ‘ in Lehre, Forschung und Unterricht sowie des ‚Warum? ‘ zur kritischen Selbstlegitimation bestehen (vgl. B ONNET / H ERICKS 2020). Diese Fragen bieten zahlreiche Anregungen und Herausforderungen, die aktuell noch ungelöst erscheinen, aber dringend weiterer Klärung bedürfen. Diese Notwendigkeit wurde auch im Kontext der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung (DGFF) gesehen, auf deren 30. Kongress 2023 in Freiburg ein Symposium mit dem Titel “Kritische Fremdsprachenlehrer*innenbildung” von den vier Herausgeber*innen dieses Themenheftes veranstaltet wurde und auf das Interesse von über 50 Teilnehmenden stieß (vgl. H EIDT / K ÖNIG / L OULOUDI / M ERSE 2025). Die Beiträge in diesem Heft sind als Antwort auf diese Notwendigkeit zu verstehen und möchten aus verschiedenen theoretisch-konzeptionellen Perspektiven, empirischen Untersuchungen und konkreten Anwendungskontexten dazu beitragen, diesem Bedarf gerecht zu werden. Die Beiträge in diesem Heft sollen diese Fragen und Herausforderungen mit Blick auf empirisch-forschungsmethodologische, thematisch-inhaltliche, unterrichtsmethodische und hochschuldidaktische Handlungsfelder weiter klären und ausdifferenzieren. J ULIA F EIKE und R EBECCA Z ABEL illustrieren mit eindrücklichen empirischen Beispielen aus der DaF/ Z-Lehrer*innenbildung, wie eine Kritik fachdiskursiver Wissensordnungen nicht vorab gesetzt, sondern in der Auseinandersetzung mit Unterrichtsmaterialien für Integrationskurse und in Seminarinteraktionen hervorgebracht wird. Basierend auf einem diskursanalytischen Kritikbegriff verstehen sie Lehrer*innenbildung explizit auch als Subjektbildungsprozesse und zeigen exemplarisch, wie Studierende zu einer Reflexion von normativen (Fach-)Diskursen angeregt werden können, die über eine affirmative Übernahme hinausgeht. J ANINA M. V ERNAL S CHMIDT und A NNE M IHAN entwickeln eine dezidiert rassismuskritische Perspektive auf fremdsprachliche Lehrbücher. Sie arbeiten dabei sowohl theoretisch als auch durch konkrete Beispiele die Gefahr bzw. die Tendenz von Lehrbüchern heraus, dass diese in die Reproduktion rassistischer Denk- und Deutungsmuster verstrickt sein können, die sich in deren multimodal verfasster Textlichkeit zeigen können. Dieser Beitrag ist insofern für eine kritische Fremdsprachenlehrer*innenbildung von Bedeutung, als dass hier ein praxisorientiertes Modell für rassismuskritische Materialanalysen entwickelt wird, das als hochschuldidaktisch nutzbares Instrumentarium in universitären Seminarkontexten eingesetzt werden kann. In ihrem Beitrag greifen M AX VON B LANCKENBURG und S INA D ERICHSWEILER das Erkenntnisinteresse auf, wie Lehrer*innen kontrovers gelagerte Themen im Geflecht Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 7 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0023 didaktischer Interaktionen mit ihren Lernenden aushandeln können. Sie konturieren dabei Fremdsprachenunterricht als Ort zur Förderung von ‚Streitkultur‘, was sie mit Bezügen zu KMK-Vorgaben, einer Vorstellung von Unterricht als Diskursraum sowie kulturdidaktischen Überlegungen legitimieren. Diese besondere Herausforderung ließe sich, so VON B LANCKENBURG und D ERICHSWEILER , durch professionsbezogene Kompetenzen bewältigen, welche die Planung, Moderation und Reflexion von Unterricht umfassen - und die hier in einem unterrichtspraktisch orientierten Modell der kritischen Handlungskompetenz zusammengeführt werden. N ATHALIE G ÜLLÜ und D AVID G ERLACH rekonstruieren wissenssoziologisch, wie sich Englischlehramtsstudierende in Seminaren mit rassismuskritischen Impulsen auseinandersetzen. Die empirischen Einblicke zeigen, dass in der Auseinandersetzung mit Unterrichtsmaterialien und der eigenen Positionierung dazu rassistische Annahmen nicht nur kritisiert, sondern auch reproduziert werden. Die Autor*innen verstehen es als Teil einer auf Identität und Habitus ausgerichteten Professionalisierung, sich mit diesen impliziten Wissensbeständen auseinanderzusetzen und verweisen dabei auf die Rolle von Lehrkräftebildner*innen. Mit Blick auf den Spanischunterricht perspektivieren M ARTA G ARCÍA G ARCÍA und A NDREA B LANCO R ODRÍGUEZ ihre Umsetzung einer kritischen Fremdsprachenlehrer*innenbildung im Rahmen des EU-geförderten Projekts CRITERION (Critical Spanish Language Teacher Education). Dieses Projekt ist u.a. eingebettet in Ansätze der kritischen Pädagogik und professionalisiert Lehrkräfte und Lehramtsstudierende über Workshops und Fortbildungsangebote z.B. mit Bezug auf Themen der sozialen Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. In ihrem Beitrag stellen sie ein breites Spektrum an Ergebnissen einer empirischen Studie vor, mit der sie die Einstellungen und Kritikverständnisse der im Projekt fortgebildeten Lehrkräfte und Studierenden erhoben haben. Die Ergebnisse illustrieren die pädagogischen Potenziale, aber auch die institutionellen Herausforderungen eines kritisch-transformatorisch konzipierten Spanischunterrichts. Im letzten Beitrag dieses Themenhefts, der bewusst anstelle einer ausführlichen Einleitung ans Ende gestellt wurde, nehmen I RENE H EIDT , L OTTA K ÖNIG , E LENI L OULOUDI und T HORSTEN M ERSE eine umfassende Systematisierung des Kritikbegriffs in der kritischen Fremdsprachenlehrer*innenbildung vor. Mit Rückgriff auf internationale Forschung zu critical language teacher education schärfen sie, was mit ‚Kritik‘ oder ‚kritisch‘ eigentlich gemeint ist, und ordnen vor diesem konzeptionellen Hintergrund die verschiedenen Beiträge dieses Themenhefts mit ihren jeweiligen Kritikverständnissen ein. Sie eröffnen dann eine kontextbzw. standortgebundene Analyse des deutschsprachigen fremdsprachendidaktischen Kontextes, in dem sich eine kritische Lehrkräftebildung noch nicht - oder bereits doch - entwickeln konnte. Überlegungen zu Implikationen und Desideraten einer kritischen Fremdsprachenlehrer*innenbildung zeigen, dass diese kein normativ-monolithisches Konzept definieren kann, sondern sich offen halten muss für weitere Kritik. 8 Irene Heidt, Lotta König, Eleni Louloudi, Thorsten Merse DOI 10.24053/ FLuL-2025-0023 54 • Heft 2 Literatur B ARTOSCH , Roman / D ERICHSWEILER , Sina (Hrsg.) (2024): „Agonalität als didaktische Herausforderung und Chance“. In: k: ON - Kölner Online Journal für Lehrer*innenbildung, Sonderheft 5, 2024. https: / / doi.org/ 10.18716/ ojs/ kON/ 2024.s5.0 B ONNET , Andreas / H ERICKS , Uwe (2022): „Von ‚Messbarkeitsphobie‘ und Durchprozessierungslogik. Kooperatives Lernen im Englischunterricht und die Professionalisierung von Lehrpersonen“. In: B OHNSACK , Ralf / B ONNET , Andreas / H ERICKS , Uwe (Hrsg.): Praxeologisch-wissenssoziologische Professionsforschung. Perspektiven aus Früh- und Schulpädagogik, Fachdidaktik und Sozialer Arbeit. 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The article sheds light on the critical examination of normative frameworks in the professionalisation of prospective teachers of German as a foreign and second language. It argues for a process-oriented perspective of critique. By engaging with discursive frameworks of knowledge, students reflect on their own professional entanglements and question what is taken for granted in the academic and social discourse. The article bases its argument on a Foucauldian notion of critique. Two examples from seminars are used to illustrate how students use the mode of questioning to engage with the international promotion of German and the German integration discourse, and how they undergo processes of reflection and education in doing so. Finally, reference is made to tensions such as the logic of testing that need to be considered especially in the context of self-reflexive, critical teaching in higher education. 1. Einleitung Verschiedene gesellschaftliche und bildungspolitische Entwicklungen rücken die Frage nach der Rolle und Relevanz einer kritischen Fremdsprachenlehrer*innenbildung in den Fokus: Dazu gehören Tendenzen zu Standardisierung und ‚Sinnfestschreibung‘ ebenso wie die postkolonialen Verflechtungen der internationalen Förderpolitik ‚europäischer‘ Fremdsprachen (A LTMAYER 2023). Im aktuellen Diskurs der kritischen Fremdsprachenlehrer*innenbildung (s. Einführung in diesen Themenschwerpunkt) wird Forschung und Lehre v.a. an zwei Zieldimensionen geknüpft: • Kritische Fremdsprachenlehrer*innenbildung soll nicht nur aufklären über Mechanismen der Ausgrenzung und Unterwerfung, sondern diesbezüglich auch zu einer Veränderung beitragen: Ein zentrales Ziel von Kritik ist die Bekämp- * Korrespondenzadressen: Julia F EIKE , M.A., Institut für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache und Interkulturelle Studien, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Ernst-Abbe-Platz 8, 07743 J ENA E-Mail: julia.feike@uni-jena.de Arbeitsbereiche: DaF/ Z-Didaktik, Sprachenpolitik, kritische Lehrendenbildung in DaF/ Z. Dr. Rebecca Z ABEL , Institut für Deutsche Philologie, Universität Greifswald, Rubenowstr. 3, 17489 G REIFSWALD E-Mail: rebecca.zabel@uni-greifswald.de Arbeitsbereiche: Kulturwissenschaftliche Diskurs-, Subjekt- und Bildungsforschung im Fach DaF/ Z. Lehrer*innensubjektbildung 11 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0024 fung sozialer Ungleichheit und die Förderung der Emanzipation von Menschen, die eine Fremdsprache oft unter historisch gewachsenen machtasymmetrischen Bedingungen erlernen (wollen oder sollen). • Die kritische Auseinandersetzung mit fachdiskursiven und gesellschaftlichen Wissensordnungen und deren inneren Widersprüchen sollte zentraler Bestandteil der Untersuchung von Fremdsprachenlehr- und Lernprozessen, der Vermittlung und damit auch in der Lehrer*innenbildung sein. Wir schließen im folgenden Beitrag v.a. an diese zweite Dimension kritischer Lehrer*innenbildung an. Mit G OTTUCK et al. (2022: 156) begreifen wir Normativität als ein konstitutives sowie konstituierendes Moment von Lehrer*innenbildung. Kritische Lehrer*innenbildung reflektiert das Eingebunden-Sein in eine solche normative Setzungspraxis: „Normativitäten werden in diesem Zusammenhang nicht etwa als ‚unangemessene‘ Orientierungen in ihrer Bedeutsamkeit negiert oder kritisiert, sondern sie werden explizit zum Professionalisierungsgegenstand gemacht. Was etwa in der Lehrer*innenbildung als relevantes Wissen und/ oder Können gesetzt wird, aus welchen Bezügen, Theorien, Erfahrungen und Agenden sich dies speist und generiert, das wird somit transparenter, befrag- und diskutierbar.“ (ebd.: 164) Vor diesem Hintergrund widmet sich der vorliegende Beitrag der Frage, wie Studierende (des Lehramts sowie Bachelor- und Masterstudierende des Fachs DaF/ Z) eine kritische Haltung gegenüber Normsetzungen bzw. vermeintlichen Selbstverständlichkeiten im fremdsprachendidaktischen Diskurs entwickeln und sich so zu Lehrer*innensubjekten bilden. Ziel ist es, zu einem empirisch begründeten Begriffsverständnis des Konzepts ‚Kritische Fremdsprachenlehrer*innenbildung‘ beizutragen. Nachdem im zweiten Kapitel ein an Foucault orientierter Kritikbegriff zugrunde gelegt wird, werden im dritten Kapitel zwei Anwendungsbeispiele kritischer Lehrer*innenbildung aus Lehrveranstaltungen in DaF/ Z-Studiengängen vorgestellt. Dort wird gezeigt, dass kritische Lehrer*innenbildung sich nicht vornehmlich durch die ‚Anerkennung‘, sondern v.a. durch die kritische Analyse von Wissensordnungen und die Reflexion der eigenen Involviertheit darin vollzieht. 2. Diskurs-Subjekt-Bildung durch Kritik 2.1 (Macht)Kritik in der Diskursforschung „Was Kant als Aufklärung beschrieben hat, ist eben das, was ich als Kritik charakterisiere: als die kritische Haltung, die man im Abendland als besondere Haltung neben dem großen Prozeß der Regierbachmachung der Gesellschaft auftauchen sieht“ (F OUCAULT 1992/ 1990: 16f.). Dieses Kapitel soll Aufschluss über den von uns zugrunde gelegten Kritikbegriff geben. Gängige lexikologisch-lexikographische Begriffsbestimmungen fokussieren den Bedeutungsaspekt der Bewertung. Im Digitalen Wörterbuch der deutschen Spra- 12 Julia Feike, Rebecca Zabel DOI 10.24053/ FLuL-2025-0024 54 • Heft 2 che wird die Bedeutung von Kritik bestimmt als: „Beurteilung, Einschätzung (inklusive Beanstandung und Tadel)“. Hinsichtlich der Bedeutung von kritisch heißt es dort: „gewissenhaft prüfend, streng urteilend“. 1 Demgegenüber fällt auf, dass in der von uns berücksichtigten Fachliteratur weniger der bewertende, sondern vielmehr der Bedeutungsaspekt des zweifelnden Fragens und Analysierens zur Bestimmung herangezogen wird. Nach B ONNET / H ERICKS hat das Wort kritisch in der deutschen Wissenschaftstradition v.a. zwei Bedeutungen: 1. „sich gegenüber einer Sache im Modus des Zweifels zu nähern und auszudrücken“ und 2. „die grundlegende und kategoriale Analyse einer Sache“ (B ONNET / H ERICKS 2020: 165). Diese Begriffsbestimmungen sind kompatibel mit Überlegungen in der aktuellen interdisziplinären kritischen Diskursforschung. In der Diskursforschung nämlich hat Kritik „stets etwas damit zu tun [...], bestimmte Sachverhalte auf die in ihnen implizierten und explizierten Kommunikations-, Wissens-, Macht- und Normenverhältnisse sowie deren historisches Herkommen und aktuelle Begründungsformen zu befragen“ (L ANGER et al. 2019: 4). Wir schließen hier v.a. an das in der Diskursforschung etablierte Kritikverständnis F OUCAULT s an. In „Was ist Kritik? “ (1992/ 1990) verortet F OUCAULT selbst seinen Kritikbegriff in der Nähe von Kants Begriff der Aufklärung (ebd.: 15-17). In „Subjekt und Macht“ geht F OUCAULT ebenfalls auf Kants Text „Was ist Aufklärung“ ein. „Als K ANT 1784 fragt: ‚Was ist Aufklärung? ‘ meint er damit: ‚Was geschieht da gegenwärtig? Was geschieht mit uns? Was ist das für eine Welt und Zeit, in der wir leben? ‘“ (F OUCAULT 2005: 250). K ANT interessiere: „Wer sind wir in diesem ganz bestimmten geschichtlichen Augenblick? Diese Frage analysiert uns und unsere aktuelle Situation.“ (ebd.). „Die kritische Analyse der Welt, in der wir leben“ (ebd.) ist nach Foucault die Untersuchung der Beziehungen zwischen Macht, Wahrheit bzw.Wissen und Subjekt. Kritik bzw. eine kritische Analyse muss also die Dimensionen ‚Wissen‘, ‚Macht‘ und ‚Subjekt‘ berücksichtigen - auch in ihrem Zusammenhang. ‚Wissen‘ gebraucht F OUCAULT , „um alle Erkenntnisverfahren und -wirkungen zu bezeichnen, die in einem bestimmten Moment und in einem bestimmten Gebiet akzeptabel sind“ (ebd.: 32). Vereinfacht ließe sich sagen, dass es um in einem bestimmten Moment und in einem bestimmten Gebiet anhand von diskursiven Ausschließungs-, Aufteilungs- und Verknappungsprinzipien zur Geltung gebrachtes (‚wahres‘) Wissen geht bzw. das, was wir für ‚normal‘ halten. F OUCAULT interessiert sich dafür, dass „Erkenntnisinhalte“ als geltend gesetzte Elemente eines Erkenntnissystems Träger von Machteffekten sind (F OUCAULT 1990/ 1992: 31). Er fragt nicht nach der ‚Richtigkeit‘ einer (historischen) Erkenntnis; vielmehr interessiert er sich dafür, ‚Was als in dieser Welt akzeptables Wissen gilt‘ und ‚Wer ich darin bin? ‘, und er fügt dieser Frage das Problem der Macht hinzu (ebd.: 30). ‚Macht‘ im Sinne F OUCAULTS kann man nicht ‚haben‘ oder ‚besitzen‘, sondern nur produktiv ausüben. Macht „operiert in einem Feld von Möglichkeiten für das Verhalten handelnder Subjekte. Sie bietet Anreize, verleitet, verführt, erleichtert oder erschwert, sie erweitert 1 „Kritik“ und „kritisch“, bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, https: / / www.dwds.de/ wb/ (25.11.2024). Lehrer*innensubjektbildung 13 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0024 Handlungsmöglichkeiten oder schränkt sie ein, [...], aber stets richtet sie sich auf handelnde Subjekte, insofern sie handeln oder handeln können.“ (F OUCAULT 2005: 250). Auch B UTLER hat auf die formative und konstitutive Funktion von Macht hingewiesen, die „sowohl Subjekte als auch die legitimen Grenzen des Sprechens“ (B UTLER 2006: 206) konstituiert. Subjekte - hier Lehrer*innen - werden zu solchen, indem sie wissen, welche Normen und daran geknüpfte Erwartungen (siehe hierzu Kapitel 2.2) sie erfüllen sollen und indem sie sich selbst in ihrem Tun und Handeln daran halten. Indem sich das Subjekt in seinem Handeln an solche Normen und Erwartungen hält bzw. sich entsprechend in der Praxis in Szene setzt, ist es handlungsfähig. Die ‚Selbst- Aufklärung‘ darüber, dass das so ist, die Bewusstheit der eigenen diskursiven Verstricktheit sowie daraus entstehende Freiräume, die Wissen und Handlungspraktiken befrag- und diskutierbar machen, ist bei F OUCAULT das, worum es hier geht: Kritik. Wir orientieren uns an den Ausführungen F OUCAULTS zum Kritikbegriff und setzen sie als theoretische Prämissen. Wenn im Folgenden also angehende Lehrkräfte und wir als Dozierende und Diskursanalytiker*innen geltendes Wissen im Hinblick auf Strukturierung und Formierung des gegenwärtigen ‚Normalen‘ in DaF/ Z-Kontexten und deren (auch lehrer*innenseitige) Erschütterung und Dekonstruktionen untersuchen, verstehen wir das als Kritik (vgl. auch N ONHOFF 2019 zu „Diskursanalyse als Kritik“). 2.2 Diskurs-Subjekt-Bildung und/ als professionelles Selbstverständnis von angehenden Lehrer*innen Im Zusammenhang mit F OUCAULT s Kritikbegriff haben wir gesehen, dass der Nexus von diskursivem Wissen, Macht und Subjekt eine zentrale Rolle spielt. Hier eröffnen sich nun auch für angehende Lehrkräfte Möglichkeiten zur Kritik. ‚Bildung‘, d.h. hier ganz konkret Lehrer*innenbildung, begreifen wir in diesem kritik- und subjektivierungstheoretischen Sinne. Lehrer*innen für DaF/ Z bewegen sich diesem Verständnis nach in spannungsreichen Verhältnissen, die durch widersprüchliche Anforderungen (z.B. das Postulat der Förderung von Lernendenautonomie unter strukturellen Bedingungen der Heteronomie) geprägt sind (vgl. B ECHTEL 2018; H ELSPER 2016). Diese komplexen Anforderungen gilt es im professionalisierten Handeln durch die Lehrperson im Sinne des Konzepts ‚Reflective Practitioner‘ (vgl. S CHÖN 1983) zu bewältigen und in kritischer Auseinandersetzung mit dem eigenen Handeln zu reflektieren (B OHNSACK / B ONNET / H ERICKS 2022: 14f; R IEMER 2018). Lehrer*innenbildung hat damit auch die Entwicklung eines professionellen Selbstverständnisses zum Ziel, in dem die Reflexion struktureller Rahmenbedingungen und der eigenen Involviertheit zentral stehen (vgl. B OHNSACK / B ONNET / H ERICKS 2022; H ELSPER 2016; M ESSERSCHMIDT 2016; G ERLACH / L ÜKE 2024). „Angehende Lehrer*innen und Lehrer*innenbildner*innen agieren in einem vorstrukturierten Feld, das sie nicht individuell verantworten, sie gestalten dieses jedoch maßgeblich mit - und verantworten somit die unhinterfragte Fortführung. [...] Die kritische Thematisierung von Normativitäten könnte in einer subjektivierungstheoretischen Perspektive das Potenzial 14 Julia Feike, Rebecca Zabel DOI 10.24053/ FLuL-2025-0024 54 • Heft 2 von normativen Verschiebungen im Sinne einer Re-Signifizierung mit sich bringen. Eine kritisch-dekonstruktive Ansprache würde so an einer Unerschütterbarkeit des Selbstverständlichen, des schon immer so Gemachten und sich scheinbar Bewährten rütteln. An diese Überlegungen zur Kontingenz und notwendigen iterativen Performierung der Setzungen anschließend, können Professionalisierungsprozesse in der Lehrer*innenbildung auch als Orte gesellschaftlicher Kämpfe um (pädagogische) Bedeutungen mit je spezifischen normativen Rahmungen aufgefasst werden.“ (G OTTUCK et al. 2022: 164f.) Im Folgenden wollen wir zeigen, wie Studierende des Fachs DaF/ Z sich in der kritischen Auseinandersetzung mit diskursiven Wissensordnungen der Fachpraxis in Seminarkontexten bilden können. Dies geschieht mit dem Ziel zu einem empirisch fundierten Konzept ‚Kritischer Lehrer*innenbildung‘ beizutragen. In der folgenden Analyse von Beispielen aus universitären Lehrveranstaltungen 2 fokussieren wir 1. was als ‚selbstverständliches Wissen‘ (im Fachdiskurs, in DaF/ Z-Lehrmaterialien) zirkuliert und von den Studierenden im Modus des affirmativ-assimilativen Anschlusses so zunächst auch ‚anerkannt‘ wird; 2. v.a. aber auch ‚Brüche‘ oder Widersprüche des Diskurses bzw. wie diese von den Studierenden im Modus des zweifelnden Fragens aufgedeckt bzw. erkannt werden (s. für diese Unterscheidung M AROTZKI 1988; Z ABEL 2016; s. auch G ERLACH / L ÜKE 2024: 211-236); 3. Reflexionsbzw. Bildungsprozesse im Hinblick auf das eigene professionelle Selbstverständnis. Insofern geht es uns im Rahmen einer kritischen Lehrer*innenbildung im Fach DaF/ Z auch darum, dass Studierende ihre eigene Subjektivierung als Lehrer*in kritisch reflektieren und sich dadurch selbst transformieren können (vgl. S CHUBERT 2018: 11; M AROTZKI 1988), und zwar in der Auseinandersetzung mit fachspezifischen Diskursen. 3. Diskurs-Lehrer*innensubjekt-Bildung im Fach DaF/ Z Die Lehrkontexte von Absolvent*innen des Faches Deutsch als Fremd- und Zweitsprache zeichnen sich durch eine hohe Vielfalt aus, was eine besondere Herausforderung für die (kritische) Lehrer*innenbildung in DaF/ Z darstellt. Neben der Tätigkeit an Schulen, Hochschulen und in Kursen der Erwachsenenbildung weltweit unterrichten Absolvent*innen des Faches DaF/ Z potenziell auch im deutschen bzw. österreichischen Schulsystem (z.B. in sog. ‚Vorbereitungs- und Willkommensklassen‘) sowie in der Erwachsenenbildung (z.B. in Integrations- und Berufssprachkursen). Mit den verschiedenen Lehrkontexten gehen jeweils spezifische sprachenbzw. integrationspolitische Zielsetzungen einher (vgl. u.a. B AUMBACH / F EIKE 2024; G AMPER / S CHRÖ - DER 2021; K RUMM 2021; R ÖSLER 2021). Diese kommen als diskursive Wissensord- 2 Eine schriftliche Einverständniserklärung der Studierenden zur weiteren Nutzung der Daten liegt den Autorinnen des Beitrags vor. Die Namen der Studierenden wurden pseudonymisiert. Lehrer*innensubjektbildung 15 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0024 nungen auch in der Fachpraxis in Seminarkontexten zum Tragen und beschäftigen Studierende und uns als Dozierende. Wie Studierende in der Auseinandersetzung mit DaF/ Z-spezifischem Fachwissen Kritik üben, wollen wir in den folgenden beiden Abschnitten zeigen. 3.1 Kritische Reflexionen zur (sprachen-)politischen Dimension internationaler Deutschförderung Zunächst betrachten wir ein Anwendungsbeispiel zum Thema DaF und internationale Deutschförderung. In einem Seminar eines Masterstudiengangs DaF/ Z werden Grundlagen zur deutschen Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik (AKBP) und die Rolle der Deutschförderung innerhalb der AKBP diskutiert. Das Kennenlernen der sprachenpolitischen Dimension der internationalen Deutschförderung und ihrer Institutionen sowie eine darauf bezogene kritische Auseinandersetzung sind zentrale Zielsetzungen in diesem Wahlpflichtmodul. So gehören historische Bezüge zu den Seminargrundlagen, die u.a. die Thematisierung kolonialer Verstrickungen von Germanistik und Deutschunterricht (vgl. u.a. K RUMM 2021: 116-125) und die ‚politische Hypothek‘ der AKBP nach dem Untergang des NS-Regimes (vgl. u.a. A MMON 2015: 1090-1095) und die Anfänge der deutschen Auslandsschulen (vgl. ebd.: 1080f.) umfassen. Vor diesem Hintergrund werden im Seminar aktuelle Beispiele beleuchtet. Dazu zählen neben der Auseinandersetzung mit aktuellen sprachenpolitischen Themen und Positionierungen im Fach DaF/ Z (z.B. zu postkolonialen Perspektiven auf DaF im südafrikanischen Hochschulkontext, vgl. R IEDNER 2020; zur Frage nach Sprachenlernen und Teilhabe, vgl. A RBEITSGRUPPE S PRACHENPOLITISCHE T HESEN 2022), Einblicke in aktuelle Maßnahmen der schulischen Deutschförderung (z.B. zur PASCH-Initiative, vgl. AA 2019) und zur Fachkräftegewinnung - auch im Austausch mit externen Referent*innen des Goethe-Instituts und des DAAD. So eröffnet sich im Semesterverlauf ein komplexes Feld aus internationalen beruflichen Tätigkeitsfeldern von DaF/ Z-Lehrenden, die die Studierenden kennenlernen und in ihrer sprachen- und kulturpolitischen Einbettung kritisch reflektieren sollen. Fragen, auf die wir eingehen, sind u.a.: In welchen sprach- und bildungspolitischen Zusammenhängen sind DaF- Lehrende weltweit tätig? Aus welchen Gründen wird international Deutsch gelernt? Inwiefern ist die internationale Deutschförderung mit wirtschaftlichen und politischen Zielen verbunden (z.B. Vermittlung eines positiven Deutschlandbildes, Fachkräftegewinnung) und wo und wie positioniere ich mich als (zukünftige) Lehrperson zu daraus resultierenden Spannungsfeldern? Die im Folgenden vorgestellten Zitate stammen aus Kurzessays der Studierenden 3 , 3 Die Studierenden erstellten im Semesterverlauf Portfolios, für die sie eine Auswahl aus verschiedenen Themen- und Aufgabenstellungen treffen können. Die hier ausgewählten Aufgabenstellungen fokussieren (macht-)kritische Perspektiven auf (1) die deutsche AKBP und die internationale Deutschförderung, (2) Spannungsverhältnisse in den beruflichen Tätigkeiten der externen Referent*innen sowie (3) die antizipierte eigene berufliche Tätigkeit und offene Fragen. Bei den Portfolios handelt es sich um Prüfungsvorleistungen, die die Grundlage für die mündliche Modulprüfung bilden. 16 Julia Feike, Rebecca Zabel DOI 10.24053/ FLuL-2025-0024 54 • Heft 2 die sich im Rahmen der oben beschriebenen Lehrveranstaltung mit den vielfältigen Tätigkeitsfeldern und Zielgruppen internationaler Deutschförderung (z.B. im Auslandsschulwesen, an Hochschulen weltweit, in Sprachkursen des Goethe-Instituts) beschäftigen. In den Seminaressays ließen sich zwei Modi der Auseinandersetzung herausarbeiten: affirmativ-assimilatives Anschließen oder zweifelndes Fragen. Studentin Kira greift Fragen aus dem Seminar in ihrem Essay auf und beantwortet sie in einem Modus des affirmativ-assimilativen Anschließens, z.B. an Zielsetzungen der PASCH-Initiative, und konkretisiert dies im Hinblick auf ihr eigenes zukünftiges berufliches Handeln: „Insbesondere aber möchte ich ein positives Deutschlandbild schaffen und im Ausland auch selbst aktiv werden, indem ich beispielsweise Kulturveranstaltungen organisiere oder eine deutsche Projektwoche an einer ausländischen Schule plane sowie durchführe.“ Zu einer (kritischen) Reflexion möglicher Spannungsfelder bzw. einer Berücksichtigung der sprachenpolitischen Dimension kommt es - zumindest im Rahmen der vorliegenden Kurzessays - nicht. Im Kontrast dazu stehen Reflexionen in Studierendenessays, die sich aufgrund von Form und Inhalt einem Modus des zweifelnden Fragens zuordnen lassen. Dieser Modus soll im Folgenden durch einige Beispiele illustriert werden. So thematisiert Studentin Emma in ihrem Essay die Frage, warum auch in Ländern ohne geografische Nähe zu den DACHL-Ländern Deutsch gelernt und das institutionelle Deutschlernen aus Deutschland gefördert wird: „Ich habe gemerkt, dass nicht alle Menschen Deutsch lernen, weil sie aus positiven Gründen in Deutschland arbeiten/ leben möchte. In manchen Ländern ist die wirtschaftliche Lage so schlecht, dass ein Leben in Deutschland die Chance ist. In solchen Situationen finde ich es schwierig, dass die Kursgebühren für die Deutschkurse so hoch sind.“ Die zuvor eher als selbstverständlich geltende Annahme, dass es international ein gewisses Interesse an der deutschen Sprache gibt, wird nach der Auseinandersetzung mit den vielfältigen Gründen für das Deutschlernen um eine Perspektive ergänzt, die die Eingebundenheit des Deutschlehrens und -lernens in sozioökonomische Zusammenhänge berücksichtigt. Mit Bezug auf das Thema ‚Fachkräftemangel‘ in Deutschland und damit verbundene Projekte zur Deutschförderung schreibt die Studentin weiter: „Auch, dass das Ziel ist, viele gut ausgebildete Fachkräfte nach Deutschland abzuwerben, sehe ich schwierig. Die Menschen, die nach Deutschland aus wirtschaftlichen Gründen auswandern, kommen häufig aus Ländern, die sich bereits in einer (wirtschaftlichen) Schieflage befinden.“ Auch hier wird die vermeintliche Selbstverständlichkeit, dass die Arbeitsmigration nach Deutschland (für die Deutschlernen eine der Voraussetzungen ist), für alle Seiten ausschließlich Chancen eröffnet, kritisch-zweifelnd thematisiert. Es wird ein Problembewusstsein ausgedrückt, das durch Formulierungen wie „finde ich schwierig“/ „sehe ich schwierig“ in den Texten hervortritt. Diese Spannung wird nicht aufgelöst, Lehrer*innensubjektbildung 17 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0024 der Modus des zweifelnden Fragens bleibt erhalten. Emma lehnt es z.B. nicht ab, später im Ausland Deutsch zu unterrichten, um sich diesen Problemstellungen zu entziehen; ganz im Gegenteil: Die Aussagen in den Essays deuten darauf hin, dass die Studentin die sich neu eröffnenden Spannungsfelder 4 nun als Teil einer Lehrtätigkeit im Ausland wahrnimmt, die es im zukünftigen beruflichen Handeln zu bearbeiten gilt. Sie positioniert sich dabei mehrfach als „Deutschlehrende, die weltweit arbeiten möchte“. Dies zeigt sich nicht zuletzt auch in der Übertragung der thematisierten Spannungsfelder auf die Unterrichtsebene, wie hier zum Thema Sprachenprestige und postkoloniale Perspektiven deutlich wird: „Ich denke, dass es eine Herausforderung sein kann, in einem Umfeld Deutsch zu lehren, in dem dem Lehren anderer Sprachen früher die Annahme zu Grunde lag, dass die afrikanischen Sprachen nicht gut genug seien.“ Obwohl hier eine Abgeschlossenheit (kolonialer) Ab- und Aufwertungsprozesse zwischen Sprachen suggeriert wird, wird gleichzeitig auch ein Weiterwirken der sprachlichen Ungleichverhältnisse auf den potenziellen eigenen DaF-Unterricht benannt. Bezugnehmend auf postkoloniale Verstrickungen des DaF-Unterrichts und einer notwendigen Perspektivverschiebung (weg von einer Defizitperspektive auf z.B. das Südliche Afrika, vgl. B ORNSCHEUER 2017) benennt die Studentin einen weiteren Aspekt, den sie in Auseinandersetzung mit der Seminarliteratur und -diskussion für die eigene Lehrtätigkeit reflektiert, indem sie potentielle Zielsetzungen von Lernenden überdenkt: „Die Verschiebung der Perspektiven weg von ‚Was kann ich im deutschsprachigen Ausland lernen? Was kann ich von dort mitnehmen? ‘ hin zu ‚Was möchte ich dem deutschsprachigen Ausland eigentlich sagen? ‘ hatte mich nachhaltig beschäftigt.“ Darüber hinaus wird die Auseinandersetzung mit der sozioökonomischen Eingebundenheit des internationalen DaF-Unterrichts von anderen Studierenden auch genutzt, um über Bildungsziele von (außerschulischem) Fremdsprachenunterricht zu reflektieren, wie im Fall von Daniel: „Wieso wird Deutsch im Ausland gelernt, wenn nicht aus wirtschaftlichen Gründen? Oder anders formuliert: Wie könnte man Interesse an der deutschen Sprache wecken abseits von wirtschaftlichen Perspektiven? Wenn das Ziel von DaF-Unterricht im Ausland wäre, den Lernenden einen Zugang zu gesellschaftlichen Diskursen im deutschsprachigen Raum und damit vielmehr eine rein ideelle Horizonterweiterung sowie Perspektivübernahme zu ermöglichen, böte sich darin vielleicht auch die Möglichkeit, die deutsche AKBP aus ihrer Funktion als Instrument politischer und wirtschaftlicher Interessen in Teilen zu lösen. Auch wenn dies in der Realität aufgrund ebenjener wirksamen Machtstrukturen höchstwahrscheinlich ein idealistisches Ziel bleiben wird, sehe ich Potential in der Reflexion dieser Frage.“ 4 Neu, da Emma später z.B. auch schreibt: „Vor der Teilnahme am Seminar habe ich mir wenig Gedanken über den Zusammenhang zwischen Sprache und Macht gemacht. Vor allem habe ich keinerlei Spannungsfelder im Bereich der AKBP gesehen. […] Nach der Teilnahme am Seminar hat sich meine Meinung geändert.“ 18 Julia Feike, Rebecca Zabel DOI 10.24053/ FLuL-2025-0024 54 • Heft 2 Ähnlich ausgerichtet sind auch die Fragen von Lin, die die individuellen Beweggründe für das Deutschlernen und daran geknüpfte Erwartungen in den Vordergrund rückt: „Der Diskurs über die Beziehungen zwischen Sprachen und Macht bezieht sich eher auf die Landesebene. Doch was bedeutet Deutschlernen in einer konkreten Situation? Was wünscht sich ein individueller Deutschlernender? “ Lin stellt in ihrem Essay v.a. die Annahme, dass das Sprachenbzw. Deutschlernen tatsächlich die eigenen beruflichen Chancen verbessert, infrage: „Am Anfang ihres Deutschlernwegs haben die Menschen Erwartungen, sei es realistisch oder unrealistisch, und freuen sich auf eine Zukunft, die ihnen die deutsche Sprache bringen könnte. Doch wo landet man am Ende des Weges? “ In Bezug auf die eigene Seminarerfahrung und das (von Daniel auch in weiteren Textabschnitten bearbeitete) Spannungsfeld der deutschen AKBP zwischen Friedens- und Interessenpolitik stellt Daniel fest: „Eine machtkritische Reflexion anzuregen, ist jedoch m. E. ein erster, wenn auch sehr kleiner Schritt in Richtung der Veränderung dieses status quo.“ Er spricht damit auch das Transformationspotenzial einer kritischen Einordnung im Seminarkontext an: hin zu Mitgestaltungsmöglichkeiten gesellschaftlicher Verhältnisse und (veränderten) Zielstellungen im DaF-Unterricht. 3.2 Kritische Auseinandersetzung mit einem Lehrwerkauszug für die Integrationskurse In unserem zweiten Anwendungsbeispiel wird nachvollzogen, wie sich Bachelor- und Lehramtsstudierende in einem vom Fachbereich DaF/ Z angebotenen Seminar mit dem Titel „Migration, Integration und Sprache“ mit einem Integrationskurslehrwerk (Auszug) kritisch auseinandersetzen. Es handelt sich um die zweite Sitzung im Seminar. Ziel dieser Sitzung ist eine erste kritische Auseinandersetzung mit migrations- und integrationsbezogenen Sprachlernangeboten. In der Sitzung werden die sprachliche Integration durch so genannte ‚DaZ-Klassen‘, das Projekt Fit für den deutschen Arbeitsmarkt (FIMA) und ein Auszug eines Lehrwerks für die Integrationskurse thematisiert. Im Folgenden wird näher auf die Auseinandersetzung der Studierenden mit dem Lehrmaterialauszug eingegangen. Einige Studierende hatten sich mit diesem Lehrmaterialauszug in Vorbereitung auf die Sitzung schon beschäftigt, indem sie Fragen auf einem Arbeitsblatt beantworteten. Das Arbeitsblatt zielte im Sinne der Lehrziele für diese Unterrichtseinheit auf eine Beschreibung und damit das Kennenlernen der Maßnahme in ihrem jeweiligen Kontext - hier des Lehrmaterials im Rahmen der Integrationskurse -, auf die Bedeutung der Maßnahmen für die Akteure und auf integrationsbezogene Herausforderungen bzw. Spannungsfelder bei der Umsetzung für Lehrpersonen im entsprechenden Handlungsfeld - hier das Unterrichten mit dem Lehrmaterial in der Rolle als Lehrkraft. V.a. die dritte Frage zielt auf die kritische Reflexion der eigenen integrationspolitischen Verstricktheit von Lehrkräften, die in den Integrationskursen unterrichten. Ein sich anschließendes Seminargespräch, in dem die Studierenden die Arbeitsblätter der anderen gelesen haben (sollen), zielt darauf ab, sich in gemeinsamer Interaktion u.a. erneut mit dem Lehrmaterialauszug, Lehrer*innensubjektbildung 19 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0024 dem Integrations(dis)kurs und ihrer potenziell eigenen Rolle als Lehrkraft darin kritisch auseinanderzusetzen. IM BERUF Einen Service anbieten [...] 2 Markieren Sie in den Texten: Wer? Was? Wie teuer? A: Ich bin Irina aus Kiew. Ich bin Krankenschwester von Beruf, aber im Moment habe ich keine Stelle. Da hatte ich eine Idee: Sie brauchen Hilfe oder haben keine Zeit? Ich kann für Sie einkaufen. Sie können mich anrufen und sagen: Ich brauche das oder das. Dann komme ich und bringe alles zu Ihnen nach Hause. Ich möchte gern 12 € pro Stunde verdienen. Brauchen Sie etwas? Meine Telefonnummer ist 0176-49375925. B: Ich heiße Nino und komme aus Italien. Ich bin Journalist von Beruf, aber jetzt lerne ich Deutsch. Ohne Arbeit ist es langweilig. Ich streiche und renoviere gern Wohnungen und ich möchte ein bisschen Geld verdienen. Ich hätte gern 18 € pro Stunde. Das ist doch nicht teuer, oder? Möchten Sie vielleicht neue Farben in Ihrer Wohnung? Dann komme ich gern zu Ihnen. Rufen Sie mich an unter 0160-4674967. Ciao! Abb.1: Textauszug aus dem Arbeitsbuch der Lehrwerkreihe Menschen hier DaZ A1.1 (2022: 104) Im Folgenden werden exemplarisch Antworten aus den Arbeitsblättern der Studierenden sowie aus dem Seminargespräch präsentiert, die sich auf den Lehrmaterialauszug „Im Beruf: Einen Service anbieten“ des Arbeitsbuchs von Menschen hier. DaZ A1.1 (G LAS -P ETERS et al. 2022: 104) beziehen (s. Abb.1). Beschrieben wird, wie in der gemeinsamen Seminarinteraktion einzelne Studierende Haltungen gegenüber Normsetzungen im Lehrmaterial bzw. im Integrations- (dis)kurses entwickeln und dabei auch ihr eigenes Tun als angehende Lehrkräfte reflektieren. Ein besonderer Fokus wird dabei auf den Studierenden Bela gelegt, weil ein Prozess kritischer Subjektbildung in seinem Fall besonders gut sichtbar wird. Zum Lehrmaterialauszug schreibt Bela im Arbeitsblatt zunächst: „Die Lernenden sollen in die Lage versetzt werden, über Zeitungsinserate und Onlineanzeigen selbst Dienstleistungen anzubieten. [...] Die Menschen in den Beispielen von Aufgabe 2 sind selbst keine Muttersprachler des Deutschen. In Aufgabe 1 gibt es ein Beispiel mit der Dienstleistung des Fremdsprachenunterrichts. Das kann die Lerner* dazu ermuntern, Interessierten ihre eigene Sprache und Kultur näherzubringen. Die Anzeige 2a zeigt eine Dienstleistung, für die man, außer den entsprechenden Sprachkenntnissen, keine Qualifikation braucht, wohingegen Anzeige 2B darstellen soll, dass man auch mit einem (gut beherrschten) Hobby (hier das Wändestreichen und Renovieren) etwas Geld dazuverdienen kann.“ Hinsichtlich der im Arbeitsblatt zunächst allgemein gehaltenen Frage, wie die Kursteilnehmer*innen das finden, schreibt Bela: 20 Julia Feike, Rebecca Zabel DOI 10.24053/ FLuL-2025-0024 54 • Heft 2 „Didaktisch ist die Seite sehr gut aufgebaut. Sie beginnt mit zwei kurzen Anzeigen, gefolgt von zwei längeren Anzeigen, wobei jeweils die Aufgabe ist, herauszufiltern, wer was für welchen Preis anbietet. Die nächste Stufe ist das Ergänzen einer der Anzeigen, gefolgt vom freien Schreiben für eine andere Anzeige und schließlich dem freien Schreiben für eine eigene Anzeige. Die Aufgaben werden also sukzessive anspruchsvoller.“ Und in Bezug auf die damit verbundenen Tätigkeiten als Lehrkraft stellt Bela im Arbeitsblatt fest: „Ich muss diese Seite im Unterricht präsentieren und anhand selbiger den Unterricht gestalten.“ Bela äußert sich hier im affirmativ-assimilativen Modus: Er passt sich dem gesetzten kommunikativ-didaktischen Rahmen des Lehrwerkauszugs an. Im sich anschließenden Seminargespräch knüpft Bela die Arbeit mit dem Lehrmaterial an eine sich daraus ergebende strukturelle Integration: „naja, wenn man sich dazu entscheidet, anhand dieses Unterrichtsmaterials dann tatsächlich eine reale Anzeige zu schreiben (.) ähm und man dann tatsächlich angenommen wird, dann kann man ja tatsächlich erste Erfahrungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt sammeln und das bringt einen ja auch schon ein Stück weiter in die Mitte der Gesellschaft“ 5 Ein anderer Student, Albert, hatte auf die Frage im Arbeitsblatt, worum es geht, relativ kurz geantwortet: „Selbstvermarktung mit Serviceangeboten“, „konkret für Menschen, die gerade erst Deutsch lernen“. Im anschließenden Kursgespräch hält er in Bezug auf diese Frage erneut fest: „ja also es geht um die Textsorte Annonce (.) wenn man das so nennen kann (.) also Anzeigen im weitesten Sinne und zwar um Anzeigen, wo man sich quasi selber vermarktet mit ner/ mit nem Serviceangebot, mit ner Leistung (.) ich glaub- (.) die Beispiele sind Babysitting, Nachhilfe in Spanisch oder so was (.) dann (.) Einkaufen gehen und streichen (.) Wohnung streichen (..) das soll zum einen also zumindest so n bisschen rezeptiv gelesen werden und dann aber auch produktiv geübt werden“ Albert geht hier erneut auf den Aspekt der „Selbstvermarktung“ ein. Impliziert ist dabei - mit Blick auf die folgenden Aussagen Alberts - eine gesellschaftliche Integrationserwartung an Zuwander*innen, etwas für die Gesellschaft ‚leisten‘ bzw. hier ‚anbieten‘ zu müssen. In Bezug auf mögliche Spannungsfelder schreibt Albert im Arbeitsblatt: „Ich sehe nicht so richtig, wo und wie sich das im Integrationsprozess einfügen soll. Es ist sicher nichts Schlechtes, Anzeigen schreiben und lesen zu können, aber langfristige Anstellungen und v. a. Qualifikationen für konkrete Berufe scheinen mir wichtiger, zumal bei Menschen mit fertiger Berufsausbildung. Und weiter: Das Handlungsfeld wäre ja ein Integrations- oder Sprachkurs für Erwachsene. Denen beizubringen, dass 12 Euro die Stunde für eine ausgebildete Krankenschwester angemessen sind, weil sie noch kein perfektes Deutsch spricht, ist vielleicht ein Spannungsfeld? Blöd ist es allemal.“ Auch Albert argumentiert hier im Rahmen struktureller Integration, dem die Orientierungen im Lehrmaterial allerdings widersprechen würden. Er schreibt weiter: „Erfolgreiche Integration würden PolitikerInnen und Otto-Normalverbraucher wahr- 5 Die Transkriptionskonventionen orientieren sich an TiQ: https: / / zerberi.de.tl/ TiQ.htm (20.10.2024). Lehrer*innensubjektbildung 21 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0024 scheinlich nicht im Babysitten, sondern in Vollzeitjobs sehen - dem stehe ich [als Lehrperson, die mit dem Material arbeitet] ggf. im Wege.“ Im Seminargespräch führt Albert dazu weiter aus: „12 Euro sind ja sinnbildlich für ne fertig ausgebildete Krankenschwester und die geht dann jetzt (.) vielleicht drei Stunden die Woche (.) kann sie vielleicht einkaufen gehen oder so (.) dann sind das 36 Euro, die sie in der Woche bekommt und währenddessen (...) in der Station auf dem Krankenhaus nebenan, neben dem Supermarkt sozusagen (.) fehlen Leute, um alle betreuen zu können (.) das ist ja nach außen hin auf jeden Fall n Spannungsfeld (.) da muss ich als DaZ-Lehrkraft ja im Zweifel erklären können, warum ich der gesagt habe, schreib mal ne Annonce (.) vielleicht findest du n Job als Einkaufshilfe (.) also find ich jetzt relativ scheiße“ Hieran nun schließt die Studierende Elsa an, die sich bisher noch gar nicht zu Wort gemeldet hatte: „also ich denke mir (.) da schafft man es ja auch nicht irgendwie ne Lernmotivation zu schaffen (.) wenn ich als Lernender äh suggeriert bekomme (.) ich bin dafür gut, einkaufen zu gehen (.) warum muss ich denn dafür Deutsch lernen (.) ich seh da keine intrinsische Motivation dahinter (.) irgendwie (...) naja (.) es sind ja keine Beispiele oder keine Dinge, die der Durchschnittsmensch anstrebt im Beruf zu machen (.) es ist ja nicht mal ein Beruf (.) die Überschrift ist „im Beruf“ ((liest ab)) (.) aber es ist ja gar kein Beruf (.) und wenn ich mich selbst nicht in dieser Position sehe und das gar nicht machen will, bin ich ja nicht motiviert, mich damit zu beschäftigen“ Elsa sieht sich selbst in der Rolle einer Lehrkraft, deren Aufgabe es sei, motivierenden Unterricht anzubieten. Motivation herzustellen sei jedoch schwierig, wenn Lernende - sie übernimmt hier die Perspektive einer potenziellen Lernerin - etwas lernen sollen, was sie gar nicht lernen wollen. Interessant ist nun die Äußerung Belas, der schon kurz vorher im Seminargespräch geäußert hatte: „also ich hab das beim Bearbeiten ((des Arbeitsblatts)) gar nicht so gemerkt (.) ich hab dabei gar nicht so auf die gesellschaftliche Position geachtet, sondern war dann eher so auf den Inhalt fokussiert (.) aber ich gebe Albert [geändert] vollkommen recht (.) das ist verschwendete Zeit (.) ja (.) also ich muss den Leuten nicht zeigen, wie sie ein kleines Einkommen erwerben oder sich erarbeiten können, wenn ich auch die Möglichkeit habe, ihnen langfristig weiterzuhelfen, ein großes und gerechtes Einkommen zu erwerben“ Dies ist aus unserer Sicht ein gutes Beispiel für einen auf interaktiver kritischer Auseinandersetzung basierenden Subjektbildungsprozess, in dem der Studierende seinen Blickhorizont ausweitet. Die Auseinandersetzung resultiert in einer Neubewertung des Lehrmaterialauszugs. Er bewertet dieses nicht mehr nur im gesetzten methodischdidaktischen Rahmen. Vielmehr zieht er - im Anschluss an die Überlegungen eines Kommilitonen - die finanzielle Lage bzw. die berufliche Positionierung von Integrationskursteilnehmenden als Bewertungskriterien heran. Als Bewertungsmaßstab dient ihm dabei „ein gutes und gerechtes Einkommen“. Bela ‚unterwirft sich‘ nun nicht mehr dem durch das Lehrwerk gesetzten didaktischen Rahmen („ich muss“), vielmehr begreift er sich selbst als Lehrer*innensubjekt, das zwischen verschiedenen Hand- 22 Julia Feike, Rebecca Zabel DOI 10.24053/ FLuL-2025-0024 54 • Heft 2 lungsmöglichkeiten auswählen kann und dabei begründet selbst Entscheidungen treffen kann („wenn ich auch die Möglichkeit habe“). Gefragt danach, was für Optionen oder Alternativen wir als Akteur*innen im Handlungsfeld haben, dieses - auch im Hinblick auf Lehrmaterialien - mitzugestalten, sagt abschließend Elsa: „also ich weiß nicht, wie fest [...] das Curriculum ist (.) wenn ich jetzt solche Aufgaben machen müsste (.) dass ich dann so transparent bin als Lehrkraft und sagen kann, das ist vielleicht nicht mehr zeitgemäß und dann dementsprechend auch in der Lage bin, darüber zu debattieren.“ Und Bela fährt fort: „also es ist wichtig, dass man das Lehrwerk, das man überhaupt vor sich hat, zu untersuchen (.) zu hinterfragen, was es kann, wo Probleme sind und dann bezüglich der Probleme eventuell das Lehrwerk ändern oder sich ein anderes suchen“. Die Studierenden sehen also durchaus Möglichkeiten, nicht nur affirmativ an die Setzungen des Integrations(dis)kurses anzuschließen, sondern ihn - z.B. in Form einer begründeten Ersetzung von Lehrmaterialien oder der Transparentmachung und gemeinsamen Diskussion problematischer Erwartungen und Ziele mit den Integrationskursteilnehmenden - auch kritisch zu hinterfragen. 4. Fazit Im Beitrag haben wir zunächst unser Verständnis von Kritik in der Lehrer*innenbildung offengelegt. Während in vielen Publikationen des fremdsprachendidaktischen Diskurses das Kritische bzw. zu Kritisierende - u.a. soziale Ungleichheit, Mechanismen der Ausgrenzung - vorausgesetzt wird, plädieren wir für einen Zugang, der das zu Kritisierende nicht voraussetzt, sondern im Prozess der analytischen Auseinandersetzung erst hervorbringt. Kritik in der kritischen Lehrer*innenbildung sollte Subjektbildungsprozesse und das Ausbilden einer kritischen Haltung ermöglichen. Im Beitrag haben wir beschrieben, wie Studierende des Fachs DaF/ Z in der Auseinandersetzung mit diskursiven Wissensordnungen der Fachpraxis Kritik üben und dabei auch die eigene fachlich-professionelle Verstricktheit als Lehrer*in in diesen Ordnungen reflektieren. Anhand zweier Beispiele haben wir dargestellt, wie angehende Lehrkräfte selbstverständliche Überzeugungen im Diskurs über internationale Sprachförderung sowie im Integrations(dis)kurs kritisch hinterfragen. Diesen Modus des zweifelnden Fragens haben wir in Kontrast zu einem Modus der Affirmation beschrieben. Außerdem konnten wir in den Daten beispielhaft Reflexionsbzw. Bildungsprozesse im Hinblick auf das eigene professionelle Selbstverständnis beschreiben. Interessant wäre in diesem Kontext nun danach zu fragen, welche didaktischmethodischen Verfahrensweisen in der Lehrer*innenbildung sich besonders gut dafür eignen, ‚Kritisches Bewusstsein‘ zu entwickeln und zu schärfen. Z.B. ist es in 3.2 v.a. auf die Unterrichtsinteraktion zurückzuführen, dass der Untersuchungspartner Bela seine Sicht auf die Dinge ändert. Insbesondere die Frage des Wie der Ermöglichung kritischer Lehrer*innenbildung sollte in Zukunft also verstärkt in den Blick genommen werden. Lehrer*innensubjektbildung 23 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0024 Dabei gilt es auch, unser Tun und unsere Ansprüche als Dozierende der kritischen Lehrer*innenbildung kritisch zu beleuchten (vgl. u.a. M ESSERSCHMIDT 2016). Bei den vorgestellten Essays in 3 z.B. handelt es sich um Prüfungsvorleistungen. Da die Essays nicht losgelöst von einer Prüfungslogik im Hochschulkontext stehen, stellen sich im Sinne einer kritischen Hochschuldidaktik und forschungsmethodisch u.a. Fragen nach der wahrgenommenen sozialen Erwünschtheit seitens der Studierenden: nicht nur ‚darf ich mich hier kritisch äußern? ‘, sondern auch ‚soll/ muss ich mich hier kritisch äußern? ‘. Da in Seminar- und Prüfungskontexten in der universitären Lehre - gleichwohl mehr noch nach der Bologna-Reform - von Dozierenden und Studierenden meist Antworten statt Fragen gefordert werden, ist der hier erforderliche Umgang mit Ambivalenzen und der Selbstpositionierung in spannungsreichen Verhältnissen im Modus des zweifelnden Fragens eine Herausforderung. Studierende und Dozierende sind dazu aufgefordert, Komplexität, Uneindeutigkeit und auch offene Fragen auszuhalten, statt ‚Schließungen‘ bzw. ‚Rezepte‘ für den Unterricht einzufordern bzw. auszuteilen. D.h. auch, dass Lehrveranstaltungen, die ‚Kritik‘ als Lernziel setzen, ‚Kritik‘ an dieser Zielsetzung und ihren Arbeitsweisen zulassen müssen. Literatur A USWÄRTIGES A MT (AA) (2019): PASCH begeistert junge Menschen für Deutschland - weltweit. https: / / www.pasch-net.de/ resources/ files/ pdf178/ 190521pasch_broschuere_210x297_rz2_web_ barrierearm.pdf (24.10.2024). 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Racism is a structural component of our society, and as Broden and Mecheril state, “racism educates.” As ‘guardians of cultural meaning’, textbooks have an integral part in this education. Starting from these assumptions, we identify and map out implications for anti-racist textbook analysis as a field of research-based teacher education in the foreign languages, hoping to stimulate racism-critical work on textbooks in teacher education. We will give an overview of anti-racist textbook analyses in foreign language education, educational sciences and other pedagogical fields, showing theoretical frameworks and research methodologies employed. Against this backdrop, we present approaches to anti-racist textbook analysis as well as specific methodologies. With Critical Discourse Analysis as our umbrella concept, we develop guiding principles for anti-racist textbook analysis, which we regard as a cornerstone of critical foreign language teacher education. We will illustrate these principles and methodologies with examples from a Spanish and an English textbook. 1. Einleitung Schulisches Sprachenlehren und -lernen ist weder ein neutrales noch von gesellschaftspolitischen Entwicklungen unabhängiges, sondern ein inhärent politisches Unterfangen (vgl. B REIDBACH / M IHAN 2025). Rassismus ist ein gesamtgesellschaftliches, für alle Domänen konstitutives Phänomen, das sich unter anderem in rassismusrelevantem Wissen sowohl subtil als auch explizit an der sprachlichen oder visuellen Oberfläche fremdsprachlicher Lehrmaterialien zeigt. Da insbesondere Lehrpersonen im Fremdsprachenunterricht qua Amt machtvolle Positionen innehaben, halten wir es für wichtig, dass sie sich im Rahmen ihrer Professionalisierung ein rassismuskritisches Instrumentarium im Umgang mit Lehrbüchern und -materialien erarbeiten. Mit * Korrespondenzadressen: Prof. Dr. Janina M. V ERNAL S CHMIDT , Westsächsische Hochschule Zwickau, Fak. Angewandte Sprachen und Interkulturelle Kommunikation; Kornmarkt 1, 08056 Z WICKAU E-Mail: janina.vernal.schmidt@fh-zwickau.de Arbeitsbereiche: Deutsch als Fremd- und Fachsprache, Rassismuskritischer Fremdsprachenunterricht, Kulturdidaktik Dr. Anne M IHAN , Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Anglistik und Amerikanistik, Unter den Linden 6, 10099 B ERLIN E-Mail: anne.mihan@hu-berlin.de Arbeitsbereiche: Fachdidaktik Englisch, diskriminierungskritische Lehrkräftebildung, Kulturdidaktik Rassismuskritische Lehrwerkanalyse in den fremdsprachlichen Fächern 27 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0025 dessen Hilfe können sie das ihnen als selbstverständlich erscheinende Wissen in Lehr- Lernmaterialien hinterfragen, analysieren, interpretieren und diese ggf. überarbeiten oder aussortieren. In diesem Beitrag gehen wir in Abschnitt 2 zunächst auf die theoretischen Ausgangsdiskurse ein: die Rolle von Lehrwerken im Fremdsprachenunterricht (2.1), Rassismus und Rassismuskritik (2.2) sowie Rassismus als Problem der diskursiven Praxis des Fremdsprachenunterrichts (2.3). Abschnitt 3 betrachtet rassismuskritische lehrbuchbezogene Forschung (3.1). Wir stellen einen theoretischen Rahmen für eine multimodale Critical Discourse Analysis (3.2) und zwei Analysebeispiele aus den Fächern Spanisch und Englisch (3.3) vor. Anschließend erläutern wir unseren Modellvorschlag der rassismuskritischen Lehrwerkanalyse und geben Impulse zu seiner Einbettung in die Fremdsprachenlehrer: innenbildung (3.4). Fazit und Ausblick (4) thematisieren die Notwendigkeit einer weiteren theoretischen Differenzierung sowie empirischer Forschung in diesem Bereich. 2. Theoretische Ausgangsdiskurse 2.1 Die Rolle von Lehrwerken im institutionellen Fremdsprachenunterricht Fremdsprachlicher Unterricht ist, v.a. in der Sekundarstufe I, an der Arbeit mit dem Lehrwerk orientiert (vgl. F ÄCKE / M EHLMAUER -L ARCHER 2017: 8). Prinzipiell lassen sich Lehrwerke in einem sozialen Feld verorten, das von den gesellschaftlichen Funktionen der Bildungsinstitution Schule bestimmt wird (F END 2008: 46ff.). F END (ebd.) versteht Schule als Institution der Enkulturation (kulturelle Teilhabe und Identität) und Integration (soziale und politische Teilhabe) in die Gesellschaft; weiterhin spielt die Qualifikation der Lernenden für eine zukünftige Berufstätigkeit eine wichtige Rolle, und Schule ist auch für die Allokation der Lernenden bedeutsam, also für ihre Ein- und Zuordnung in die Sozialstruktur einer Gesellschaft. Schule ist ein Ort der Hervorbringung kultureller Hegemonie (vgl. H AUG 2004), wo Schüler: innen durch Positionierungsprozesse als soziale Personen konstituiert werden. Dazu tragen auch Lehrwerke bei: G RAWAN (2014: 4) bezeichnet Lehrwerke als „‚Hüter‘ von kulturellen Bedeutungen“. Sie bringen ein bestimmtes Wissen über Welt und Gesellschaft hervor, stellen Sinn- und Identitätsangebote sowie Deutungsmuster zur Verfügung und bieten als „Beobachtungsmedium […] Beschreibungsformen zur Erklärung von Wirklichkeit an“ (H ÖHNE 2005: 82; kursiv im Original). Auch wenn nicht behauptet werden kann, dass es sich bei der Rezeption von Lehrwerkinhalten und ihren Effekten auf Haltungen und Einstellung von Rezipient: innen um eine einfache Kausalkette handelt (vgl. A WET 2018: 67), so lässt sich doch feststellen, dass die Auswahl und Perspektivierung einer Weltsicht im Lehrwerk wichtige Referenzpunkte im Sinne von Wissen, Kultur, Überzeugungen etc. für Lernende darstellen (vgl. ebd.). In Lehrbüchern wird demnach das Wissen bestimmt, das für die nachkommenden Generationen als relevant betrachtet wird (H ILLER 2012: 167f.). Ausschlaggebend sind dafür die Bildungsstandards, Lehrpläne im jeweiligen Bundesland und Entschei- 28 Janina M. Vernal Schmidt, Anne Mihan DOI 10.24053/ FLuL-2025-0025 54 • Heft 2 dungen der Verlage. Das Lehrwerk ist also zugleich Produkt zahlreicher Aushandlungsprozesse, Spiegel und Produzent von Diskursen mit bestimmten Wahrheitsauffassungen. Es spannt ein „festes Netz aus Überzeugungen und Annahmen über ‚die Welt‘“ (H ÖHNE 2005: 86), das im Fremdsprachenunterricht eine strukturierende und normierende Wirkung auf das Verständnis der Schüler: innen bezüglich der sog. Zielkultur entfalten kann. Zugleich ist der handlungspraktische Umgang mit Lehrwerken von schulischen Normen geprägt und in kontingente Handlungskontexte eingebettet (vgl. H ÖHNE 2005: 86). Bei alldem können Inhalte rassifizierende Auswirkungen auf die Wahrnehmung von bspw. Schwarzen Schüler: innen in einer Lerngruppe haben, wie M ARMER (2017) darlegt. Weiße Schüler: innen können durch die Art und Weise der Darstellungen von Menschen und Lebensweisen in afrikanischen oder lateinamerikanischen Ländern, von Aboriginal und Torres Strait Islanders in Australien oder Inder: innen etc. als machtvoll, überlegen, unbeteiligt, ‚unschuldig‘ an Kolonialismus und Rassismus und als Norm positioniert werden (siehe auch 3.3). 2.2 Rassismus und Rassismuskritik Mit F EREIDOONI und E L (2017: 477) verstehen wir Rassismus als „ein Strukturierungsmerkmal der gesamten deutschen Gesellschaft“, das als ein diskursives, historisches Phänomen Macht- und Dominanzverhältnisse sowie Privilegien legitimiert, fortführt und materielle und symbolische Ausschlüsse schafft. Rassismus bringt ein gesellschaftlich wirkmächtiges Ungleichheitswissen hervor, mit dem „Ungleichbehandlung und hegemoniale Machtverhältnisse erstens wirksam und zweitens plausibilisiert werden“ (M ECHERIL / M ELTER 2011: 17). Es ist wichtig zu verstehen, dass alle Menschen - als Benachteiligte oder als Privilegierte - in Machtverhältnisse involviert sind, die diskursiv hervorgebracht werden. Rassistisch diskursive Formationen treten „in der Figur der zumeist herabwürdigenden und benachteiligenden binären Unterscheidung zwischen einem sozial konstruierten natio-ethno-kulturell[sprachlichen; JMVS & AM] ‚Wir‘ und einem ‚Nicht-Wir‘ [auf], die durch ein komplexes, diachron und synchron verzweigtes System gesellschaftlicher Praktiken […] aufrechterhalten und legitimiert“ werden (L EIPRECHT et al. 2009: 11). Aus bildungspolitischer Sicht sind die Fremdsprachendidaktiken dazu aufgefordert, zum Abbau von Rassismus beizutragen und den Aufbau einer Rassismuskritikfähigkeit bzgl. didaktischer Konzepte, Forschungsmethoden, Materialien usw. bei (angehenden) Lehrpersonen und Schüler: innen zu ermöglichen (KMK 2023). Rassismuskritik steht dafür als ein reflexives Analyseinstrument bereit. Für eine rassismuskritische Fremdsprachendidaktik halten wir mit B RASELMANN und M IHAN (2025: 19) den Ansatz der Critical Race Literacy für wegweisend, „die Fähigkeit [...], hinter etablierte [rassialisierende und rassistische, JMVS/ AM] Normen in Bezug auf Sprache, Sprachgebrauch und Diskurs zurückzutreten und diese auf individueller sowie struktureller Ebene machtkritisch und selbstreflexiv zu analysieren [...]“. Rassismuskritische Lehrwerkanalyse in den fremdsprachlichen Fächern 29 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0025 2.3 Rassismus als Problem der diskursiven Praxis des Fremdsprachenunterrichts Rassismen sind mitunter subtil; sie verbergen sich in Bezügen zu Kultur, Religion, Aussehen, Herkunft oder Sprachigkeit und damit verbundenen Annahmen über Seinsweisen. Dennoch können wir auf ein durch empirische Studien erhobenes Wissen über rassismusrelevante Momente zurückgreifen. So können im (Fremdsprachen-)Unterricht z.B. rassifizierende Adressierungen von Schüler: innen oder Lehrpersonen of Color, rassismusrelevante Bezugnahmen in Unterrichtsinteraktionen im Lehrer: innenzimmer oder in Elterngesprächen nachgezeichnet werden (F EREIDOONI 2016). Die Aufteilung in ‚Wir‘ und ‚die Anderen‘ bezieht sich oft auf das imaginäre Kollektiv der weißen, nicht-migrantischen, Deutsch als Erstsprache sprechenden Gruppe und die migrantischen ‚Anderen‘ of Color, die Deutsch als weitere Sprache erlernt haben. Sie ist auch im Fremdsprachenunterricht als abgrenzendes Moment, in Verbindung mit Abwertungen der ‚Anderen‘ durch Schüler: innen untereinander relevant (vgl. z.B. S CHNEIDER 2018) und wurde in Narrationen, Normen, Darstellungen in Spanischlehrbüchern u.a. von Z ABEL (2023) und V ERNAL S CHMIDT (2022b) herausgearbeitet. In ähnlicher Weise zeigt sich diese Dichotomie in Englischlehrbüchern (B ÖNKOST 2014; A LTER / K ÖNIG / M ERSE 2021) und in linguistischen Adressierungen, Sprachver- und Sprachgeboten, die sich v.a. auf Abweichungen von der jeweils gesetzten standardsprachlichen Norm (V ERNAL S CHMIDT 2025) beziehen lassen. In fremdsprachendidaktischen Lehrmaterialien wurden kolonialrassistische Benennungen, eurozentrische, fremd-machende und exotisierende Aspekte in Sachtexten, Aufgabenstellungen, Comics und Fotos oder in spezifischen interkulturellen Lehreinheiten nachgewiesen, die auf natio-ethno-kulturell-sprachliche Unterscheidungen zurückgreifen (z.B. B ÖNKOST 2014; R INGWALD 2018). Wichtig für unser Anliegen ist also, dass rassismusrelevante Inhalte, verbunden mit diskriminierenden und diffamierenden Positionen, Teil der fremdsprachenunterrichtlichen Realität darstellen. Angesichts des hohen Beeinträchtigungspotenzials für Gesundheit, Wohlbefinden und Identitätsentwicklung der Betroffenen ist dies höchst bedenklich (Y EBOAH 2017). Aus der kritischen Weißseinsforschung wissen wir, dass die Kritik an Rassismen bei weißen Personen generell ein hoch emotionales Thema ist. Die Auseinandersetzung mit Privilegien und der eigenen Verstricktheit in rassistische Machtverhältnisse ruft bei weißen Lehrpersonen oft Unbehagen und Irritationen, aber auch Scham, Wut und Abwehr hervor (A KBABA / H ARTEMANN 2020). Das Rütteln an Sicherheiten geht mit einem Verlust an Handlungsfähigkeit einher (B RUN - NER / I VANOVA 2016). 30 Janina M. Vernal Schmidt, Anne Mihan DOI 10.24053/ FLuL-2025-0025 54 • Heft 2 3. Rassismuskritische Lehrwerkanalysen 3.1 Rassismuskritische lehrbuchbezogene Studien in der Lehrer: innenbildung Die hier relevanten größeren Studien des diskriminierungskritischen Flügels der deutschsprachigen Erziehungswissenschaften (z.B. A WET 2018) beziehen sich vorrangig auf die Analyse von Geschichts-, Geographie- und Sozialkundelehrbüchern und sind im Anschluss an die 2013 entbrannte Debatte um Rassismus in Kinderbüchern (H AHN / L AUDENBERG / R ÖSCH 2015) entstanden. Die Ergebnisse sind größtenteils ernüchternd. So verdeutlicht die neueste Studie von E L (2023: 27) ein weiteres Mal, dass die analysierten Schulbücher sowohl implizit als auch explizit antisemitische, rassistische, sinti- und romafeindliche, frauen- und queerfeindliche Inhalte umfassen und nur punktuell kritische Umgänge eingeflochten werden. In der deutschsprachigen Fremdsprachendidaktik sind rassismuskritische Lehrbuchanalysen relativ neu; hier besteht v.a. in der Französischdidaktik großer Forschungsbedarf (siehe aber R INGWALD 2018). R INGWALD verweist auf eine Vielzahl von Auslassungen und problematischen Darstellungen als ‚anders‘ gelesener Personen in den Lehrbüchern. B ÖNKOST s (2014) Studie zum Rassediskurs in Englischschulbüchern zeigt, dass das Rassekonzept nicht politisiert wird, die Kategorien weiß und Schwarz einander ausschließen und Weißsein als ,neutraler‘ Standard außerhalb des Rassediskurses gesetzt wird. Rassismus wird als historisches oder regional entferntes Phänomen dargestellt, das weiße Rezipient: innen aus unbeteiligter Position beobachten können. A LTER , K ÖNIG und M ERSE (2021) untersuchen die Repräsentation von Diversität in Englischlehrbüchern für die 9. Klasse. Mit Blick auf ‚Hautfarbe‘ und ‚ethnische Hintergründe‘ - aus rassismuskritischer Sicht problematische Differenzkonstrukte - kommen sie zu dem Ergebnis, dass es Tendenzen zu einer quantitativen Diversifizierung und „deutliche[n] Sichtbarkeit“ von People of Color gibt (ebd.: 100). Gleichwohl konstatieren sie eine „[unterschwellige] Normsetzung“ von Weißsein (ebd.), eher stereotype Darstellungen und Entindividualisierung indigener Personen sowie wenig „intrakulturelle[...] Diversität“ (ebd.). In der Spanischdidaktik fokussiert Z ABEL (2023) das Konzept des Eurozentrismus und identifiziert in ihrer Studie zu sechs Spanischlehrbüchern eine Vielzahl an problematischen und unwidersprochenen rassistischen Wissensbeständen, kolonialen und eurozentrischen Darstellungen (vgl. auch V ERNAL S CHMIDT 2022a). Diese Studien greifen u.a. auf quantitative (F RÜH 2017) und qualitative Inhaltsanalysen (M AYRING 2022), z.T. in Kombination, zurück. Ein Beispiel aus der Englischdidaktik für eine solche Kombination ist die Analyse von A LTER / K ÖNIG / M ERSE (2021). An der wissenssoziologischen Diskursanalyse (K ELLER 2011) und an Höhnes thematischer Diskursanalyse orientiert sich bspw. B ÖNKOST (2014). R INGWALD (2018) und Z ABEL (2023) analysieren Lehrbücher aus einer kritisch diskursanalytischen Perspektive nach J ÄGER (2015). Auch Kriterienkataloge mit rassismuskritischen Leitfragen (z.B. D ANIELZIK et al. 2013, A UTOR * INNENKOLLEKTIV 2015) werden hinzugezogen. Darüber hinaus rekurriert V ERNAL S CHMIDT (2022b) für Rassismuskritische Lehrwerkanalyse in den fremdsprachlichen Fächern 31 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0025 die Analyse eines Geschichtscomics auf ein genrespezifisches Analysemodell für Comics (A BEL / K LEIN 2016), das sie mit der Text- und Kontextanalyse zur Aufdeckung sprachlicher Rassismen kombiniert (H ORNSCHEIDT / G ÖTTEL 2004). Im internationalen Diskurs gehen neuere Studien v.a. qualitative und quantitative Designs verbindend (B OWEN / H OPPER 2022) sowie multimodal kritisch-diskursanalytisch vor (z.B. P ADILLA / V ANA 2022). Die letztgenannte Forschungsperspektive, also die Critical Discourse Analysis nach F AIRCLOUGH (1995; 2018; im Folgenden: CDA), bietet sich in besonderer Weise für kritische Lehrwerkanalysen an, da sie anstrebt, Machtstrukturen, Ideologien und hegemoniale Diskurse in gesellschaftlichen Institutionen wie Schule sichtbar zu machen und gesellschafts- und machtkritisch ausgerichtet ist. Darüber hinaus arbeitet die CDA mit sprachkritischen Betrachtungen und hat mittels Analysen der „diskursive[n] Praxis der Textproduktion, -verbreitung und -konsumption“ (K ELLER 2011: 31) zum Ziel, verändernd in die aufgedeckten kommunikativen Missstände einzugreifen. Unser Vorschlag orientiert sich ebenfalls an CDA und Multimodalität, da diese Verbindung an unser Verständnis von Lehrbüchern als diskursive Praxis und unsere rassismuskritische Perspektive anschließbar ist. 3.2 Ein Vorschlag für die fremdsprachendidaktische rassismuskritische Lehrer: innenbildung: Der theoretische Rahmen für eine multimodale Critical Discourse Analysis 3.2.1 Critical Discourse Analysis F AIRCLOUGH (1995) schlägt ursprünglich ein 3-Schritte-Schema für kritische Diskursanalysen vor. Im ersten Schritt werden die formalen Charakteristika des Textes untersucht (description). Der zweite Schritt der interpretation gilt u.a. der Analyse des Settings, also der zeitlichen und örtlichen Kontexte der Textproduktion sowie dem Verhältnis von Rezipient: innen und Autor: innen. Der dritte Schritt (explanation) erfasst die Beziehung zwischen interaktionalem, sozialem Kontext, dominanten Ideologien und Machtverhältnissen zwischen den betrachteten Gruppen. Als vierten Schritt ergänzt F AIRCLOUGH (2018) das Eintreten für Handlungen (action), die das Potenzial haben, bestehende (problematische) Verhältnisse in soziopolitischen Verhältnissen positiv zu beeinflussen. 3.2.2 Analyse von Texten Für die rassismuskritische Analyse schriftsprachlicher Texte bieten sich verschiedene Analyseinstrumente an. So kann zur Analyse symbolischer Ordnungen und damit einhergehender normativ aufgeladener Identifikationsangebote eine Positionierungsanalyse durchgeführt werden (B ÖNKOST 2022: 33), die nach der „Positionierungsleistung“ in bzw. von Texten fragt, die „das Angebot einer weißen Subjektposition bei gleichzeitiger Degradierung Schwarzer Subjektivität und Handlungsmacht [umfasst]. Sie erfolgt über die Konstruktion von ‚Weiß-Sein‘ als Normalität und Anderung 32 Janina M. Vernal Schmidt, Anne Mihan DOI 10.24053/ FLuL-2025-0025 54 • Heft 2 ‚Schwarzer‘ als hiervon abweichend“. Agencyanalyse (H ELFFERICH 2019) und Positionierungsanalyse (L UCIUS -H OENE / D EPPERMANN 2004) dienen dazu, die über eine Erzählinstanz vermittelte sprachliche Konstruktion von Handlungs- und Wirkmächtigkeit herauszuarbeiten. Beide Methoden wurden für narrative Interviewdaten entwickelt, eignen sich aber auch für Dokumentanalysen. 3.2.3 Analyse visueller Repräsentation Bei der Analyse visueller Repräsentationen von menschlichen Subjekten und Artefakten geht es darum zu erforschen, welches Wissen durch Bilder (re-)produziert wird und wie die Grenzen des eigenen weißen und privilegierten inkorporierten visuellen Wahrnehmungswissens über eine selbstkritische Haltung infrage gestellt werden können (vgl. P RINZ 2019). Dies gilt umso mehr, da Bilder eine prominente Rolle in Lehrbüchern einnehmen und in ihrem Status als legitimierte Bildungsartefakte einen hohen Geltungsanspruch für die Herstellung von Weltwissen im Fremdsprachenunterricht haben. Gerade bei realistisch wirkenden Fotos sind zugeschriebene Authentizität und Glaubwürdigkeit hoch, und sie sind resistent gegenüber Korrekturen oder Relativierungen durch Informationen, die das Bild rahmen (G RABER 1996: 89). Um rassifizierende Blickbotschaften zu erkennen und der Praxisanforderung gerecht zu werden, das Wahrnehmungswissen in einer rassistisch strukturierten Welt zu verändern und rassismuskritisches Sehen einzuüben, bedarf es eines kontinuierlichen Aufbaus einer kritischen Haltung. Für die Analyse des Bedeutungspotenzials von Bildern schlagen wir K RESS und VAN L EEUWEN s (2006) sozialsemiotische ‚visuelle Grammatik‘ vor. Die entstandenen Analysen sollten zudem mit weiteren sensibilisierenden Konzepten angereichert werden (siehe Abschnitt 3.4). 3.3 Analysebeispiele aus den Fächern Spanisch und Englisch 3.3.1 Spanisch - Handlungsmacht in der Darstellung der spanischen Kolonialgeschichte und eine dekolonial-rassismuskritische Deutung Erkenntnisinteresse unserer ersten Beispielanalyse ist die Repräsentation und Verteilung von Handlungsmacht in Lehrbuchtexten und -bildern. Die Fragestellung lautet: Wie und wem wird in Texten und Bildern in Lehrbüchern Handlungsmacht zugeschrieben? Es geht um Ausschnitte aus dem Text „El descubrimiento y la conquista“ (‚Die Entdeckung und die Eroberung‘, Übersetzungen: JMVS) (M ORENO B ÁGUENA et al. 2022: 26) und das dort eingebettete Bild einer Kolumbusstatue im multimodalen Zusammenspiel. Im Text wird das Passiv eingeführt, das per se mit einer Betroffenen- Perspektive sowie der Kontrollierbarkeit durch Andere und der Verantwortlichkeit Anderer zusammenhängt. Für die Analyse der semiotischen Bestandteile bedienen wir uns der Agencyanalyse (H ELFFERICH 2019) und der Positioninganalyse (L UCIUS - H OENE / D EPPERMANN 2004). Für den Textteil fokussieren wir Verben und Positionierungen, die die Erzählinstanz einsetzt; für das Bild arbeiten wir mit der visuellen Grammatik (K RESS / VAN L EEUWEN 2006: 114-149). Rassismuskritische Lehrwerkanalyse in den fremdsprachlichen Fächern 33 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0025 Wir finden eine auktoriale Erzählinstanz vor, die allwissend vermeintlich historisch verbürgte Ereignisse selegiert, gestaltet und kommentiert. In Bezug auf die sog. conquistadores (‚Eroberer‘) wird eine Initiative ergreifende Handlungsmacht geschaffen. Dies geschieht über die mehrheitliche Verwendung des Aktivs in deren Handlungsbeschreibungen sowie über individualisierende, explizite Benennungen spanischer Figuren wie Reyes Católicos (‚Katholischen Könige‘), Cristóbal Colón oder die Schiffsnamen der Eroberungsflotte. Kompositorisch fällt auf, dass das hochkantige Foto fast ein Viertel der Seite einnimmt und der Ausschnitt nur die Kolumbusfigur des eigentlich umfänglicheren Denkmals zeigt. Seine Figur erhält bildintern viel Raum, während andere Details des Denkmals in Santo Domingo ausgelassen werden, so die am Sockel stehende Taíno- Prinzessin Anacaona, Rebellin und Poetin, die im Laufe der Kolonialisierung von den Spaniern hingerichtet wurde, oder versklavte Menschen, deren Nachfahren noch heute unter den Folgen der Kolonialisierung leiden. Im Text bleiben die Spanier: innen als Verursacher: innen der conquista z.B. in dem Satz „La conquista empezó,“ (hier und alle folgenden Zitate: M ORENO B ÁGUENA et al. 2022: 26) (‚Die Eroberung begann.‘) als Agens unbenannt. Dementsprechend werden die Gräueltaten der conquistadores vorrangig passivisch beschrieben, z.B.: „Los [indígenas] que se negaron [a convertirse], fueron asesinados. También fueron obligados a trabajar en las minas y en las encomiendas“ (‚Die Indigenen, die nicht zum Christentum konvertieren wollten, wurden ermordet. Auch wurden sie gezwungen, in Minen und den Encomiendas zu arbeiten‘.). Während die gestaltungs-, wirkungs- und verwaltungsmächtigen Spanier: innen und Europäer: innen eindeutig als Nutznießende dargestellt werden: „La conquista significó un gran beneficio para los europeos“ (‚Die Eroberung bedeutete eine großen Mehrwert für die Europäer‘.), wird über den Konzessivkonnektor no obstante (‚gleichwohl‘) das dem gegenüberstehende Leiden der indigenen Gruppen lediglich einräumend dargestellt: „No obstante, a los pueblos americanos les trajo represión, esclavitud y muerte“ (‚Gleichwohl brachte sie den amerikanischen Völkern Unterdrückung, Sklaverei und Tod‘.). Die Gestaltungsmacht der Indigenen wird vor diesem Hintergrund unsichtbar gemacht. Weiterhin werden der Beginn des transatlantischen Sklavenhandels und die Versklavung und Ausbeutung von Millionen von Afrikaner: innen verharmlosend nur in einem kurzen Satz erwähnt, wobei auch die Gestaltungsmacht der versklavten Menschen und die verheerenden Auswirkungen auf die Schwarzen Communities bis heute verschwiegen werden. Es fällt zudem auf, dass von „esclavos de África“, also ‚Sklaven aus Afrika‘ gesprochen wird. Dies suggeriert, dass es sich schon immer um Sklaven und nicht um versklavte Menschen handelt, deren Status erst aus kolonialen Verbrechen hervorging. 3.3.2 Englisch - Südafrika aus weißer Perspektive Die Daten des zweiten Analysebeispiels stammen aus dem Lehrbuch Camden Market 6 der Westermann-Verlagsgruppe für das 6. Lernjahr in differenzierenden Schulfor- 34 Janina M. Vernal Schmidt, Anne Mihan DOI 10.24053/ FLuL-2025-0025 54 • Heft 2 men (B ÖRNER / E DELHOFF 2017). Speziell widmen wir uns Theme 3: South Africa - The Rainbow Nation (ebd.: 61-80). Der analytische Fokus ergibt sich aus der Perspektive auf Südafrika, das als eines der Länder thematisiert wird, in dem Englisch Verkehrssprache ist: Das Lehrbuch bietet den Schüler: innen an, durch die Augen einer weißen deutschen Volontärin in einer Wildtier-Auffangstation im Kruger Nationalpark auf Südafrika zu blicken. Ihre Reisestationen und -informationen bestimmen die Wahl der Daten, die über das Land vermittelt werden und umreißen den Erkenntnishorizont der Schüler: innen. Aus einer weißseinskritischen Perspektive fragen wir deshalb nach erkennbaren Positionierungsstrategien und nach Identifikationsangeboten für Rezipient: innen dieser Lektion. Von den Positionierungsstrategien, die B ÖNKOST (2022: 33-36) identifiziert, fokussieren wir die Problematisierung von Schwarzen bei gleichzeitiger Verschleierung vorherrschender Diskriminierungsstrukturen und wählen Teile der Unit für die genauere Analyse aus. Im Eingangstext wird ein zentraler Diskursstrang eingeführt: „South Africa is a land of contrasts“, sagt die Volontärin Isabel zu ihrem südafrikanischen Kollegen Thabo (hier und im Folgenden B ÖRNER / E DELHOFF 2017: 62), der diese Beobachtung bestätigt: „there is a lot of crime and violence“. Die Art und Weise, wie die Beiden über die Armut vieler Menschen in Südafrika sprechen, setzt den Ton für die gesamte Unit. Isabel drückt Verwunderung über die Kontraste aus und verrät damit fehlende Orts- und Geschichtskenntnisse: „Someone told me that South Africa has got the strongest economy on the African continent, but it has also got some of the poorest people as well. That really surprised me“. Thabo deutet an, dass dies etwas mit „South Africa’s past“ zu tun hat, derentwegen „[e]ven today many black South Africans still live in poverty and are the victims of discrimination“. Isabels und Thabos Reise durch das Land soll nun die Wissenslücken der Volontärin und auch der deutschen Englischlernenden schließen. Wiederholt wird Isabel vor Gewalt gewarnt. Dabei kann kaum ein Zweifel daran aufkommen, dass diese Gewalt von den Schwarzen Afrikaner: innen ausgeht: Früh in der Unit werden auf einem der „Photos from South Africa“ zwei Schwarze Männer gezeigt, die in einem Township mit erhobenen Händen von Polizisten abgeführt werden; eine Schwarze Frau sitzt mit ihrer Wäsche vor einer Blechhütte, und ein junger Mann aus KwaZulu-Natal klagt: „There are still problems. It isn’t easy for black people to find work and a place to live. There is a lot of crime as well - the other day I saw a guy being mugged“ (ebd.: 69). Hier werden kolonial-rassistische Vorstellungen von afrikanischen Ländern als unzivilisiert, unterentwickelt und gefährlich reproduziert. In einer Übung zur Verwendung von Modalverben lernen die Schüler: innen: „crime is still a big problem“ (ebd.: 73). Dabei lassen die dort angebotenen Sicherheitshinweise offen, ob die Gefahr von wilden Tieren, der unwegsamen Natur - „South Africa has got great beaches but you should avoid those where there are no people“ (ebd.) - oder von den Menschen ausgeht, die vorher als arm, arbeitslos und kriminell beschrieben wurden: „[w]hen you are walking around the city, carry your bags as close to your body as possible. You should know where your money is all the time“ (ebd.). Wodurch die hohen Verbrechensraten in Südafrika zustande kommen Rassismuskritische Lehrwerkanalyse in den fremdsprachlichen Fächern 35 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0025 und wie weiße Südafrikaner: innen immer noch von Strukturen profitieren, die weiße Menschen bevorteilen, wird ebenso wenig zum Gegenstand des Lernens gemacht wie die Tatsache, dass weiße Siedler: innen und Händler sich jahrhundertelang durch den Raubbau an Bodenschätzen des südlichen Afrikas bereicherten. Stattdessen wird ein „fun fact“ (ebd.: 80) präsentiert: „the world’s largest diamond was found in South Africa in 1905“ (ebd.). Wir stellen also fest, dass Schüler: innen in der Einheit das Land aus der Perspektive einer weißen deutschen Heranwachsenden sehen lernen, durch die der Eindruck entsteht, dass Südafrika wenig entwickelt und Schwarze Südafrikaner: innen latent kriminell, wenn nicht sogar gewalttätig sind. Gelegenheit, die Geschichte Südafrikas aus der Perspektive der Schwarzen Bevölkerung kennenzulernen und die deutsche Kolonialgeschichte im südlichen Afrika kritisch dazu ins Verhältnis zu setzen, bietet das Lehrbuch den Schüler: innen nicht. 3.4 Einbettung der rassismuskritischen, multimodalen, kritisch-diskursanalytischen Lehrwerkanalyse in die Fremdsprachenlehrer: innenbildung Unseren Analysen in 3.3. liegt ein Modellvorschlag für rassismuskritische Lehrwerkanalysen in der Lehrkräftebildung zugrunde, den wir im Folgenden erläutern. Wir geben hier Impulse; eine methodisch elaborierte Vorgehensweise, wie sie etwa für Abschlussarbeiten in Lehramtsstudiengängen notwendig ist, setzt ein tiefes Verständnis der Ansätze und eine intensive Auseinandersetzung mit den Theorie- und Methodenansätzen sowie ein angemessenes Sampling voraus. Aufgrund knapper Zeit in Seminaren kann es nicht um eine Analyse umfangreicher Korpora von Lehrbüchern gehen. Möglich sind jedoch explorative Feinanalysen einzelner Diskursfragmente und Themen, z.B. (Unter-)Kapitel oder Aufgabenstellungen, die für das Erkenntnisinteresse besonders interessant sind und Zugänge zu weiteren Analysen von Diskurssträngen schaffen. Vorbereitung Grundsätzlich sind der Aufbau eines Rassismusverständnisses, die Auseinandersetzung mit einer rassismuskritischen Analysehaltung sowie die Rezeption diskriminierungskritischer Lehrbuchanalysen notwendig, damit Studierende die Zusammenhänge zwischen textlich-visueller Darstellung und Machtverhältnissen, Subjektpositionen, Positionierungen, Differenzmerkmalen, Benennungen in den Diskurssträngen der Lehrwerke erfassen können. Dies kann top down umgesetzt werden, sodass aus der Theorie rassismuskritische Konzepte an die Lehrbücher herangetragen werden, oder bottom up, wobei die Studierenden möglichst unvoreingenommen bestimmte Darstellungsweisen von Lehrwerksfiguren, historischen Ereignissen, Orten, etc. sichten und im Austausch mit den Kommiliton: innen und Dozierenden ggf. klischeehafte Repräsentationen von Figuren, stereotype Handlungskontexte und/ oder einseitig dargestellte Orte entdecken. Sie machen textliche und visuelle Leerstellen aus oder bemerken rassismusrelevante Benennungen. Im Nachgang wird über theoretischen 36 Janina M. Vernal Schmidt, Anne Mihan DOI 10.24053/ FLuL-2025-0025 54 • Heft 2 Input durch Dozierende und über Lektüren der Studierenden zu Rassismuskritik die theoretische Grundlage erarbeitet. Analyseschritte Schritt 1 Analytischen Fokus setzen • Erkenntnisinteresse, erste Fragestellung • ggf. Kontexte der Produktion und Rezeption (z.B. schulischer oder häuslicher Kontext; s. Abschnitt 2.1) Schritt 2 Auswahl und Vorbereitung der Materialien • Sichtung des Korpus (Lehrbücher, Übungshefte etc.), Auswahl passender Lektionen, Aufgaben, Texte, Bilder • Schärfung der Fragestellung • Zerlegung in semiotische Bestandteile Schritt 3 Analyse der Daten • Multimodale Analyse semiotischer Bestandteile mit spezifischer theoretischer Perspektive und vor dem Hintergrund sensibilisierender Konzepte Schritt 4 Interpretation & Diskussion der Befunde • Interpretation und Diskussion mit Fokus auf Rassismuskritik und relevante sensibilisierende Konzepte • Zusammenfassung der Ergebnisse Schritt 5 Nachnutzung der Analyseergebnisse • Veröffentlichung, Präsentation relevanter Ergebnisse • ggf. Erarbeitung alternativer Vorschläge • ggf. Kontaktierung der Verlage Abb. 1: Vorschlag zur Durchführung einer rassismuskritischen, multimodalen Lehrwerkanalyse im Seminarkontext Für einen systematischen Analyseablauf (siehe Abb. 1) sollte also festgelegt werden, was genau analysiert wird. Daraufhin sollten sich die Studierenden mit der Analyseperspektive der CDA (F AIRCLOUGH 1995, 2018), mit dem passenden Textanalyseinstrumentarium sowie der visuellen Grammatik von K RESS und VAN L EEUWEN (2006) auseinandersetzen. Für einen Überblick und zur Vorauswahl der Daten in den Lehrbüchern kann eine auf verschiedene Quellen basierende Übersicht rassismusrelevanten Materials erstellt werden. Dafür sichten die Studierenden die Lehrbücher und schärfen ihre Fragestellung aus. Nach der Datenauswahl folgt die Zerlegung in ihre semiotischen Bestandteile; dadurch können diese Ressourcen getrennt voneinander analysiert werden. Es erfolgt eine multimodale Analyse gemäß CDA (siehe Abschnitte 3.1 bis 3.3). Anschließend werten die Studierenden ihre Befunde rassismuskritisch aus. Für rassismuskritische Analysen können sensibilisierende Konzepte wie z.B. Rassialisierung (auch Rassifizierung) (vgl. A TTIA 2014) herangezogen werden. Es kristallisieren sich Wechselwirkungen zwischen den semiotischen Bestandteilen und ggf. erste Muster heraus, die zuvor so nicht erkannt worden waren. Rassismuskritische Lehrwerkanalyse in den fremdsprachlichen Fächern 37 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0025 4. Fazit und Ausblick Im vorliegenden Beitrag konnten wir die Relevanz von Materialien und den darin enthaltenen Deutungsangeboten für einen rassismuskritischen Fremdsprachenunterricht aufzeigen. Nach einem Überblick über bisher vorhandene rassismuskritische Analysen in den deutschsprachigen Fremdsprachendidaktiken haben wir beispielhaft zwei Analysen von Ausschnitten aus Lehrbüchern der Fächer Spanisch und Englisch gezeigt. Darauf aufbauend haben wir ein praxisorientiertes und einfach erweiterbares multimodales Rahmenmodell rassismuskritischer Materialanalysen für die Lehrer: innenbildung entworfen. Wir haben uns hier auf gedruckte Lehrbücher konzentriert und vorerst keine Video- und Audiomaterialien sowie digitale Komponenten einbezogen. Der diskursanalytische Rahmen ist jedoch durch vielfältige Methoden und Instrumente erweiterbar und flexibel einsetzbar. Für digitale Lehrwerke, die interaktive Aufgaben, Apps, eingebettete Audios, Videos oder Kommentierung anbieten, muss die Diskursanalyse um spezifische Komponenten ausgeweitet werden. Insbesondere bei KI-generierten Materialien ist eine rassismuskritische Überprüfung geboten, da künstliche Intelligenz rassistische Repräsentationen perpetuiert (N AVIGLI et al. 2023). Als Forschungsdesiderate identifizierten wir die Rezeptionsforschung des unterrichtlichen Einsatzes fremdsprachlicher Lehrmaterialien, eine weitere Theoretisierung sowie die multimodale Beschäftigung mit digitalen Lehrbüchern und KIgenerierten Materialien. 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This paper sets out to explore which competences teachers require to facilitate negotiation processes in class and to support learners in engaging with contentious issues and divergent viewpoints. First, we outline the concept of such a culture of constructive debate and situate it within the context of foreign language pedagogy. Building on this foundation, we delineate and systematise foreign language teachers’ competences needed to initiate, moderate, and reflect on classroom discussions. Furthermore, we argue that these competences must be accompanied by teachers’ self-critical reflection on their roles and rationales for lesson planning, and underpinned by a set of pedagogical principles. 1. Einleitung Wer streiten kann, ist in der Lage, private und politische Konflikte zu verhandeln. Streit lässt sich verstehen als eine spezifische Form dialogischer und multilogischer Interaktion, die sich durch charakteristische Merkmale auszeichnet. Ausgangspunkt sind zunächst unterschiedliche, in Konkurrenz zueinanderstehende Perspektiven auf einen Gegenstand und Positionen zu diesem. Die Beteiligten sind dabei als ganze Person involviert - mit Wissen, Fähigkeiten, Haltungen und ihrer emotionalen Verfasstheit. Wer streitet, strebt außerdem danach, die eigene Position einzubringen, sich verständlich zu machen und Resonanz beim Gegenüber zu erzeugen. In ihrer Studie Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft (2024) argumentieren M AU et al., dass Konflikte in sozialen Interaktionen vielfach durch die Aktivierung individueller ‚Triggerpunkte‘ ausgelöst werden. Dabei handelt es sich um emotional aufgeladene Themen, die eng mit grundlegenden sozia- * Korrespondenzadressen: Dr. Max VON B LANCKENBURG , Universität Regensburg, Lehrstuhl für Fachdidaktik, Universitätsstraße 31, 93053 R EGENSBURG . Email: max.vonblanckenburg@ur.de Arbeitsbereiche: Kulturelles Lernen, Politische Bildung, Literatur- und Filmdidaktik Dr. Sina D ERICHSWEILER , Universität zu Köln, Englisches Seminar II, Lehrstuhl Didaktik: Literaturen und Kulturen der Anglophonen Welt, Richard-Strauss-Str. 2, 50931 K ÖLN . Email: sina.derichsweiler@uni-koeln.de Arbeitsbereiche: Literatur- und Kulturdidaktik, Politische Bildung, Gender Studies 42 Max von Blanckenburg, Sina Derichsweiler DOI 10.24053/ FLuL-2025-0026 54 • Heft 2 len Bedürfnissen wie Anerkennung, Autonomie oder Zugehörigkeit verknüpft sind. Ein häufiger Ausgangspunkt für Streit ist laut dem Triggerpunkt-Modell weniger der sachliche Inhalt eines Dissenses als vielmehr die subjektive Bedeutung, die eine Situation für das betroffene Individuum hat - insbesondere dann, wenn sie empfindliche soziale Erwartungen oder Statusansprüche berührt (vgl. M AU et al. 2024). Initiiert wird Streit demnach oftmals, wenn Menschen mit etwas konfrontiert werden, das ihre gewohnten Deutungsmuster, Wertvorstellungen oder sozialen Erwartungen irritiert - sie also eine Form von Fremdheit erleben. In der Fremdsprachendidaktik hat die dialogische Aushandlung von und Verständigung über Fremdheit im Rahmen des kulturellen Lernens eine lange Tradition (vgl. u.a. B YRAM 1997; K RAMSCH 2006; B REDELLA 2010) und wird als konstitutiver Teil von Sprachunterricht verstanden, der Lernende im Umgang mit Unsicherheit, Unvertrautheit, Krisen und Veränderungen schulen soll (vgl. T ÖDTER 2023: 1). Hier setzt unser Beitrag an - wir widmen uns dem Teil von Fremdheitserfahrung, der entstehen kann, wenn Personen von einer anderen Perspektive oder Position getriggert werden und ein Bedürfnis bzw. eine Notwendigkeit zur Aushandlung eines Streitthemas entsteht. Streit ist somit ein kommunikativer Ernstfall und bildet aus fremdsprachendidaktischer Sicht einen authentischen Sprechanlass. Streitthemen ermöglichen zudem eine multiperspektivische Untersuchung individuell und gesellschaftlich relevanter inhaltlicher Komplexe. Damit lässt sich Streiten auch in thematischer Hinsicht im kulturellen Lernen verorten - dessen Fragen wiederum in größeren politischen Diskursen eingebettet sind (vgl. H ALLET 2022: 42) und unter diesen Gesichtspunkten verhandelt werden können. Wenn Lernende etwa engagiert über mögliche Ziele für die nächste Klassenfahrt diskutieren, können dabei individuelle Standpunkte, soziale Dynamiken in der Klasse wie auch Fragen hinsichtlich Nachhaltigkeit, sozialer Gerechtigkeit oder Teilhabemöglichkeiten eine Rolle spielen. Je nach Auffassung und individueller Erfahrung wird Streit unterschiedlich konnotiert und kann auch zu Unverständnis, Polarisierung oder Zerwürfnis führen. Um Ausgangspunkte und Gelingensbedingungen für ein positiv verstandenes, produktives Verständnis von Streit zu beschreiben, lässt sich das Konzept der Streitkultur heranziehen. In diesem Beitrag widmen wir uns in theoretisch-konzeptioneller Weise der Frage, wie sich die Förderung von Streitkultur aus fremdsprachendidaktischer Perspektive denken lässt und welche Kompetenzen sowie (Handlungs-)Strategien für Lehrkräfte entscheidend sind, um im Umgang mit Streitthemen einen kritisch orientierten Fremdsprachenunterricht (vgl. G ERLACH / L ÜKE 2024: 131) zu gestalten. Eine kritische Fremdsprachenlehrer: innenbildung hat zum Ziel, dass Lehrkräfte eine transformative Rolle einnehmen, indem sie Lernende dazu befähigen „Diskriminierungen und Machtgefüge im gesellschaftlichen Kontext zu erkennen, zu kritisieren und zu verändern“ (G ERLACH / L ÜKE 2024: 133). Die Voraussetzung dafür ist, dass angehende Lehrkräfte Haltungen und Handlungskompetenzen entwickeln, mit denen sie strukturelle schulische und gesellschaftliche Bedingungen und ihre Auswirkungen auf sich selbst und die Lernenden wahrnehmen und hinterfragen können. Im Folgen- Kompetenzen von Lehrkräften zur Förderung von Streitkultur im Fremdsprachenunterricht 43 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0026 den wird dies insbesondere darauf bezogen, die eigene Haltung gegenüber den Streitthemen und Perspektiven, die im Unterricht behandelt werden, sowie den Umgang mit Pluralismus und Kontroversität kritisch zu reflektieren. Dafür greifen wir das Konzept des ‚Kritischen‘ auf und erörtern die Notwendigkeit der Ausbildung von Lehrkräftekompetenzen zur Planung, Moderation und Reflexion, um Streitkultur im Fremdsprachenunterricht zu fördern. Fremdsprachenlehrkräfte müssen in der Lage sein, unterschiedliche Meinungen, Werte und kulturelle Vorstellungen im Spannungsfeld zwischen der Anerkennung von Pluralismus und Kontroversität sowie der Reflexion ethisch-normativer Prinzipien zu navigieren. Gleichzeitig ist es notwendig, die eigene Rolle sowie die damit verbundenen Steuerungsfunktionen in der Initiierung und Moderation von Unterrichtsdiskursen kontinuierlich und kritisch zu reflektieren. In diesem Zusammenhang verstehen wir ‚kritisch sein‘ und ‚reflektieren‘ als Instrumente der systematischen, theoriegeleiteten Abwägung fachdidaktisch-gegenstandsbezogener, sozialer und ethischer Dimensionen des Sprachenlernens im Kontext der Förderung von Streitkultur. Die kritische Fremdsprachendidaktik öffnet sich zudem insbesondere solchen Themenfeldern, in denen Dimensionen von Macht, (Un-)Gerechtigkeit, Partizipation oder Ausgrenzung virulent werden, und die damit umso mehr einer sorgfältigen Reflexion bedürfen, um im Fremdsprachenunterricht angemessen und produktiv verhandelt werden zu können. Vor diesem Hintergrund entwickeln wir einen Vorschlag zur Modellierung relevanter Kompetenzen, der die oben genannten Dimensionen näher charakterisiert, zueinander ins Verhältnis setzt und durch eine kritische Handlungskompetenz rahmt, die fachdidaktische wie auch pädagogische Anteile einschließt. In diesem Zuge werden bildungspolitische sowie fremdsprachendidaktische Konzepte und Diskurse aufgenommen und auf das Ziel der Förderung von Streitkultur hin perspektiviert. Diese Systematisierung soll im Kontext kritischer Lehrkräftebildung dazu beitragen, eine Bewusstheit für die eigene Verantwortung und Handlungsmacht in unterrichtlichen Aushandlungsprozessen zu entwickeln, um auf diese Weise Lehr-Lernsituationen, die fremdsprachliche Streitgespräche fokussieren, gezielter analysieren und durch begründete Entscheidungen mitgestalten zu können. 2. Definition von Streitkultur Um Kompetenzen von Lehrkräften zur Förderung von Streitkultur beschreiben zu können, muss diese zunächst begrifflich erfasst werden, was hier unter spezifisch fremdsprachendidaktischen Gesichtspunkten erfolgt. Streitkultur rekurriert auf eine Vorstellung von Unterricht als Diskursraum, in dem individuelle, soziale, kulturelle sowie gesellschaftlich-politische Themen und Fragen gemeinsam erörtert werden (hierzu vgl. L ÖW 2001; auch D ERICHSWEILER 2024: 106-107). Dabei sind zwei Orientierungen bedeutsam: Zum einen wird Unterricht als sozialer Raum für Diskurs verstanden und demzufolge als Ort modelliert, der ein Forum für und Gelegenheiten zum 44 Max von Blanckenburg, Sina Derichsweiler DOI 10.24053/ FLuL-2025-0026 54 • Heft 2 Austausch über solche Themenfelder bietet, die von der Lehrkraft oder den Lernenden selbst in den Unterricht gebracht werden. Zum anderen soll Unterricht, hier dezidiert normativ formuliert, ein Raum sein, der zum Diskurs erzieht, bildet und damit zur Partizipation befähigt. Damit ist eine Vermittlungsdimension eines bestimmten inhaltlichen, werteorientierten und strukturellen Rahmens verbunden (erziehen), weiterhin ein reflexives Element, das die eigene Verortung innerhalb dieser thematischen, sozialen und organisatorischen Bezüge betrifft (bilden) und letztlich ein Moment der Förderung von Selbstwirksamkeitserwartung und Bereitschaft, sich an Diskursen zu beteiligen (befähigen). Wenn hier zudem von Streitkultur die Rede ist, gehen damit bestimmte Anknüpfungspunkte, aber auch notwendige Abgrenzungen zu kulturdidaktischen Theorien und Wissensbeständen einher. Streitkultur bezieht sich in unserem Verständnis auf prozesshafte, durch reziproken Austausch erreichte Sinnkonstruktionen sowie auf einen kommunikativen Modus, der die Aushandlung eines potenziell strittigen Themas prägt. Insofern beschreibt der Begriff Streitkultur eine habitualisierte Interaktionsordnung, innerhalb derer die einzelnen Mitglieder entlang der eigenen Position oder einer angenommenen Rolle durch ihr fremdsprachliches Handeln an ergebnisoffenen Aushandlungsprozessen partizipieren. Sie stellen so in Anknüpfung an Stuart H ALLS (1997) Kulturbegriff geteilte Bedeutungen her, wobei gleichsam eine innere Pluralität von Perspektiven und Interpretationen angenommen wird. Dem zugrunde liegt ein in der Fremdsprachendidaktik in jüngerer Zeit akzentuierter, diskursiver und performativer Kulturbegriff (vgl. K ÖNIG / S CHÄDLICH / S URKAMP 2022: 14f.; S URKAMP / F REITAG -H ILD 2022: 271f.), der zugleich eine situative und räumliche Gebundenheit mit sich bringt: Streitkultur geschieht und wird erzeugt und eingeübt durch diejenigen, die an einem Wettstreit unterschiedlicher Perspektiven auf einen Gegenstand beteiligt sind. Je nach Rahmenbedingungen kann dies grundsätzlich synchron, asynchron, in Präsenz oder auf Entfernung, analog wie digital, schriftlich, mündlich oder multimodal erfolgen. Im Rahmen dieses Beitrags beziehen wir uns jedoch auf das - primär mündliche - Geschehen im Fremdsprachenunterricht selbst. Damit bezieht sich Kultur in diesem spezifischen Kontext nicht auf kulturelle Gruppen oder Gemeinschaften im interbzw. transkulturellen Sinn, sondern auf die themenbezogene Bedeutungskonstruktion und innerhalb einer Lerngruppe. Davon ausgehend ist gleichermaßen ein Transfer in die außerschulische Welt möglich, denkt man an diskursive Orte wie soziale Netzwerke, Foren oder thematische Präsenzveranstaltungen, in denen Menschen temporär zusammenfinden, um sich über ein Thema auszutauschen. Im schulischen Rahmen sind hier bestimmte normative Setzungen zu treffen, die auch für strittige Situationen außerhalb des Unterrichts als Leitlinien dienen können und daher erprobt und eingeübt werden müssen. Damit Streitkultur überhaupt entstehen und erlernt werden kann, werden thematische Gegenstände benötigt, die Anlässe für Aushandlungsprozesse liefern (siehe D RERUP 2021: 126-27). Diese wiederum werden durch Texte, Materialien, Frage- und Aufgabenstellungen zu Lerngegenständen geformt und perspektiviert. Insofern benötigt die Förderung von Streitkultur einen Kompetenzen von Lehrkräften zur Förderung von Streitkultur im Fremdsprachenunterricht 45 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0026 inhaltlich-thematischen, aber auch einen strukturellen Rahmen, der durch Lernaktivitäten und Interaktionsformate vorgegeben wird, und darüber hinaus durch Werte und Normen fundiert ist (vgl. KMK 2018: 3). Die unterrichtliche Planung kann dabei unterschiedliche Zieldimensionen in den Vordergrund rücken, etwa die Koordination von Perspektiven zur Lösung von Problemen oder zum Finden von Konsens oder Kompromiss, ebenso aber auch das Herausarbeiten und Nicht-Auflösen unterschiedlicher Perspektiven auf ein Streitthema, womit die Entwicklung von Ambiguitätstoleranz fokussiert wird (vgl. B ARTOSCH / D ERICHSWEILER / H EIDT 2022). Streitkultur fördert Lernende somit im Umgang mit dem Widerspruch durch Andere. Dazu zählen ebenfalls Teilkompetenzen wie das Aushalten von gegensätzlichen Meinungen oder Haltungen, wie auch das Finden angemessener, in der Fremdsprache formulierter Reaktionen auf diese. Die Auseinandersetzung mit Streit im Unterricht schließt dabei auch eine reflexive Dimension ein: Lernende sollen sich mit ihren eigenen Positionen und deren Robustheit sowie mit individuellen Triggerpunkten und emotionalen Reaktionen befassen und Strategien entwickeln, um konstruktiv mit diesen umzugehen. Um diese Zieldimensionen und die damit verbundene Kompetenzentwicklung von Lernenden anvisieren zu können, werden im Folgenden didaktische Orientierungspunkte dargestellt, die der Rahmung von Streitgesprächen im Fremdsprachenunterricht dienen sollen. Mit ihnen ist eine doppelte Funktion verbunden: Sie sind gleichsam Grundlage für eine produktive Streitkultur, beschreiben insbesondere im unterrichtlichen Kontext jedoch ebenso eine Metakompetenz, die spezifische diskursbezogene Haltungen und Bereitschaften umfasst. Als zentral erscheint dabei ein dialogisches Rollen- und Interaktionsverständnis aller Beteiligten, d.h. bezogen auf die Lernenden untereinander sowie auf das Verhältnis von Lernenden und Lehrkraft (vgl. D AVIDSON / E DWARDS -G ROVES 2018; D ELANOY 2022). Als grundsätzliche Orientierung dient an dieser Stelle eine agonistische Ausrichtung (vgl. M OUFFE 2014), die beinhaltet, dass einem nicht-eigenen Standpunkt zunächst einmal Legitimität zugesprochen wird. Streit wird hier nicht als destruktives Gegeneinander, sondern als konstitutives Moment demokratischer Auseinandersetzung verstanden - als Ausdruck gesellschaftlicher Pluralität, die nicht überwunden, sondern produktiv gehalten werden soll. Damit verbunden ist die Vorstellung, dass Pluralität und Widerspruch aus sich heraus einen Wert darstellen und von den Beteiligten als Potentiale für politische und persönliche Bildung begrüßt werden. Mit Blick auf Aushandlungen im und außerhalb von Unterricht wird demnach von der Prämisse ausgegangen, dass viele und (ggf. auch maximal) unterschiedliche Sichtweisen auf einen thematischen Gegenstand in besonderer Weise Lern- und Bildungsgelegenheiten bieten. Solch eine - in realweltlichen Diskursen begründete und didaktisch erzeugte - Vielstimmigkeit erfordert eine Bereitschaft zum Prüfen von eigenen und als fremd wahrgenommenen Standpunkten, Überzeugungen und Werteorientierungen. Fremdsprachenunterricht kann diese Bereitschaft gleichsam fördern, wenn in der Begegnung mit einer anderen Perspektive in einem ersten Schritt etwa zunächst das Überzeugende und Nachvollziehbare ergründet wird (vgl. E LBOW 2008; VON B LAN - CKENBURG 2022: 239-242) und damit das Prinzip des interpretativen Wohlwollens 46 Max von Blanckenburg, Sina Derichsweiler DOI 10.24053/ FLuL-2025-0026 54 • Heft 2 angewandt wird (B AILLARGEON 2007; L ANIUS 2024). Insbesondere im schulischen Rahmen liegt ein Potenzial darin, zum Experimentieren mit und Austesten von Standpunkten zu ermuntern - im Wissen um einen sanktionsfreien (bzw. allenfalls sanktionsarmen) unterrichtlichen Handlungsraum. 3. Kompetenzen zur Förderung von Streitkultur im Fremdsprachenunterricht Im Kontext der Förderung von Streitkultur im Fremdsprachenunterricht erfordert die Ausbildung einer kritischen Lehrkraft, so unsere Argumentation, spezifische Kompetenzen, die in drei zentrale Bereiche untergliedert werden können: Planung, Moderation und Reflexion. Die Kompetenz der Planung umfasst die gezielte Konzeption und Vorbereitung von Unterrichtseinheiten, die ein Potenzial für kontroverse Aushandlungsprozesse bieten. Die Moderation setzt auf die gezielte Steuerung und Begleitung der Diskussionen, um ein respektvolles und konstruktives Gesprächsklima zu fördern. Die Kompetenz der Reflexion bezieht sich auf die Fähigkeit, sowohl den Verlauf als auch die Ergebnisse von Streitgesprächen zu analysieren und zu bewerten, um die Lernenden in ihrer kritischen Auseinandersetzung mit den behandelten Themen zu unterstützen und weiter zu fördern. In den folgenden Unterkapiteln erläutern wir diese drei Kompetenzbereiche, um darauf aufbauend die kritische Handlungskompetenz und deren Bedeutung für die Gestaltung von Unterrichtsdiskursen zu Streitthemen als wichtigen Bestandteil für eine kritische Fremdsprachenlehrkraft abzuleiten. 3.1 Kompetenzen zur Initiierung von Streitgesprächen Damit Aushandlungsprozesse zur Förderung von Streitkultur im Fremdsprachenunterricht angeregt werden können, benötigen Lehrkräfte spezifische Planungskompetenzen. Zu Beginn stellt sich die Frage, wie sich Unterrichtsdiskurse um Streitthemen sinnvoll initiieren lassen. So können etwa Themen, bei denen unterschiedliche Sichtweisen zu erwarten sind, Ausgangspunkte für eine Diskussion bilden. In diesem Szenario handeln Lernende in der Fremdsprache entlang ihrer eigenen Auffassungen. Ebenso kann der Anlass zur Aushandlung von Bedeutung in der Aufgabenstellung oder Methode liegen, wenn Lernende etwa Rollen einnehmen, die unterschiedliche Perspektiven mit sich bringen. Somit würden sie einen potenziell nicht-eigenen Standpunkt ausarbeiten und vertreten. Durch die Konturierung von Rollen und kommunikativem Setting lässt sich zudem beeinflussen, wie scharf eine Debatte geführt werden soll, indem z.B. mehr oder weniger moderate Positionen verteilt werden. Für die Lehrkraft stellt sich insofern in der Planung die Reflexionsfrage, ob und in welcher Form Streit inszeniert bzw. (ent-)dramatisiert wird. Ein wichtiger Orientierungspunkt in diesem Zusammenhang ist das Kontroversitätsgebot im Beutelsbacher Konsens, das als Maßstab für unterrichtliche Kontroversität die Projektion der politischen und Kompetenzen von Lehrkräften zur Förderung von Streitkultur im Fremdsprachenunterricht 47 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0026 gesellschaftlichen Diskussion vorschlägt und in der folgenden Sektion näher diskutiert wird. Um Unterrichtsdiskurse initiieren zu können, ist es zudem relevant, als Lehrkraft adaptiv handeln zu können, wenn die Einschätzungen bezüglich etwa der Brisanz eines Themas auseinandergehen. Denkbar wäre, dass eine Lehrkraft ein vermeintlich strittiges Thema auswählt, das von den Lernenden jedoch nicht als streitwürdig oder gar kontrovers angesehen wird. In einem solchen Fall entstehen für eine Lehrkraft verschiedene mögliche Reflexionsfragen: Worauf ist etwa die (überraschend) meinungshomogene Haltung der Lerngruppe zurückzuführen? Können die zugrundeliegenden Werte und Positionen herausgearbeitet und ggf. (selbst-)kritisch hinterfragt werden? Welche Rolle kann die Lehrkraft in dieser Situation einnehmen - bringt sie etwa eine Kontraposition ein, um ein gezieltes Perturbationsmoment zu schaffen (vgl. V OLKMANN 2023)? Oder gilt es vielmehr, anzuerkennen, dass an dieser Stelle aus Sicht der Lerngruppe eben kein wirklicher Diskussionsanlass besteht? Aus diesem Szenario lässt sich in jedem Fall folgern, dass Lehrkräfte über die aufgaben- und materialbezogene Planung hinaus (siehe dazu auch VON B LANCKENBURG 2022: 258-268) Kompetenzen benötigen, um bei Lernenden Vorwissen, Bereitschaften und kommunikative Kompetenzen im Vorfeld so anzubahnen, dass sie zur tatsächlichen Teilnahme an Aushandlungsprozessen um Streitthemen stimuliert und befähigt werden. Die Vorbereitung kann in sprachlicher Hinsicht etwa durch Scaffolding und die Erarbeitung des kommunikativen Zielformats (z.B. Debatte, Debattenregeln, das Einüben von Rogerian Arguments 1 ) erfolgen, aus thematischer Perspektive durch Texte und Recherchen unterstützt sowie unter strategischen Gesichtspunkten durch eine Reflexion kommunikativer Vorgehensweisen und Ziele fundiert werden. Es ist somit eine maßgebliche Aufgabe und damit verbundene Kompetenz von Lehrkräften, günstige Voraussetzungen zu schaffen, damit Aushandlungsprozesse im Fremdsprachenunterricht zunächst überhaupt entstehen. Neben didaktischen Aspekten sind dabei auch sozial und pädagogisch gelagerte Fragen von Bedeutung, die sich auf die Sicherstellung von Partizipationsmöglichkeiten im Unterricht beziehen. Eine Lerngruppe ist insofern auch unter Gesichtspunkten von Streitkultur hinsichtlich der sozialen Konstellation ihrer Mitglieder und Dynamiken zwischen diesen von der Lehrkraft zu reflektieren. 3.2 Kompetenzen im Kontext der Moderation Im Kontext der Förderung von Streitkultur kommt der Moderation von Unterrichtsdiskursen eine zentrale Bedeutung zu. Durch die Art der Moderation und der dabei getätigten Sprachhandlungen beeinflussen Lehrkräfte maßgeblich, wie soziokulturelle und politische Fragestellungen im Fremdsprachenunterricht verhandelt werden. 1 Das Rogerian Argument bezeichnet eine Abfolge argumentativer Schritte, die dazu beitragen sollen, zwischen Parteien mit weit auseinanderliegenden Standpunkten zu vermitteln und Kompromisse zu ermöglichen; siehe P URDUE U NIVERSITY 2024. 48 Max von Blanckenburg, Sina Derichsweiler DOI 10.24053/ FLuL-2025-0026 54 • Heft 2 Wie im Folgenden näher erläutert, haben Lehrkräfte die herausfordernde Aufgabe, Unterrichtsdiskurse so zu gestalten, dass einerseits die Komplexität der zu verhandelnden Thematiken abgebildet wird und sich andererseits die Diskussionen der Lernenden mit eigener Schwerpunktsetzung in der Fremdsprache entfalten können. Grundsätzlich haben Sprachhandlungen von Lehrkräften eine Vorbildfunktion für Lernende, denn sie zeigen, wie eine dialog- und wertorientierte Diskussionskultur in einer Fremdsprache umgesetzt werden kann (vgl. VON B LANCKENBURG 2022: 277). So sind „eigene, auch unter rhetorischen Gesichtspunkten relevante, Rede- und Gesprächskompetenzen für Lehrkräfte bereits insofern relevant, als ihr sprachliches Auftreten für Lernende kommunikativen Beispielcharakter haben soll“ (ebd.). Hierzu gehört auch die inhaltliche Ausgestaltung, die sich nach der Vorgabe der KMK an die Grundprinzipien des Beutelsbacher Konsens, der grundlegenden Richtlinie für die politische Bildung in Deutschland, halten muss. Der Beutelsbacher Konsens umfasst drei zentrale Prinzipien - a) Das Überwältigungsverbot, b) das Kontroversitätsgebot und c) die Lernendenorientierung (vgl. W EHLING 1977) -, die für die Moderation kontroverser Themen und Fragestellungen im Fremdsprachenunterricht maßgeblich sind und deren Implikationen daher im Folgenden aufgezeigt werden. a) Lehrkräfte sind dazu angehalten, die Lernenden zu bestärken, ihre eigene (politische) Haltung auszubilden. Ihnen ist untersagt, Lernende auf eine Weise zu beeinflussen, dass es zu einer unreflektierten Perspektivübernahme und damit zu einer Überwältigung von Seiten der Lehrkraft kommt. In der Moderation kontroverser Themen und Fragestellungen ist es somit bedeutsam, dass Lehrkräfte die Diskussion insofern neutral (im Sinne eines demokratischen Miteinanders) leiten, dass die Lernenden verschiedene Perspektiven einnehmen können und die Problematik vermieden wird, dass Antworten erzeugt werden, die primär von einem Bedürfnis nach Anerkennung oder sozialer Erwünschtheit beeinflusst sind. Nichtsdestotrotz gilt, dass Aushandlungsprozesse im Unterricht ethisch fundiert stattfinden sollen. Daher kann es situativ notwendig sein, eigene Positionierungen oder Einordnungen vorzunehmen, wenn Aussagen getroffen werden, die etwa dem Wertekonsens der Menschenrechte widersprechen und verletzenden Charakter haben. Neutralität soll demnach die plurale Aushandlung von Streitthemen sicherstellen, gleichzeitig entbindet sie Lehrkräfte nicht von der Verantwortung, einen werteorientierten unterrichtlichen Rahmen zu gewährleisten, der eben solche Aushandlungsprozesse überhaupt möglich macht. b) Im Sinne des Kontroversitätsgebots müssen Lehrkräfte die zu diskutierenden Thematiken in einer inhaltlich und didaktisch angemessenen Komplexität abbilden und somit eine multiperspektivische Adressierung gewährleisten (ebd. 179-182). Hierfür ist es notwendig, dass Lehrkräfte in ihrer moderierenden Rolle Lerninhalte beispielsweise konkretisieren, kontextualisieren oder die Diskussion in der Rolle des Advocatus Diaboli erweitern. Als Implikation lässt sich demnach formulieren, dass Lehrkräfte durch ihre Planung der Lehr-/ Lernsituation einen Ort schaffen, der strittige Themen in einer thematischen und meinungsbezogenen Vielschichtigkeit abbildet und demnach darauf abzielt, Lernenden eine sinnstiftende Orientierung in gesellschaftlichen sowie insbesondere global und fremdsprachlich geführten Diskursen mit Kompetenzen von Lehrkräften zur Förderung von Streitkultur im Fremdsprachenunterricht 49 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0026 Blick auf einen jeweiligen Gegenstand zu bieten. Gleichwohl gilt, dass insbesondere in der Fremdsprache die thematische sowie textuelle, mediale und diskursive Komplexität strittiger Themen an die jeweiligen Lernvoraussetzungen anzupassen ist. Das Kontroversitätsgebot bedarf demnach einer Abwägung und Einbettung innerhalb spezifischer fachlicher und lerngruppenbezogener Dimensionen. Lehrkräfte benötigen daher eine Reflexionskompetenz, die es ihnen erlaubt, in diesem Spannungsfeld begründete Entscheidungen zu treffen, um sowohl dem jeweiligen Lerngegenstand als auch den Lernenden gerecht zu werden und damit gezielt Lern- und Bildungsprozesse anregen zu können. c) Aus dem dritten Prinzip des Beutelsbacher Konsens lässt sich weiterhin die Aufgabe der Lehrkraft ableiten, Diskussionen zu kontroversen Themen und Fragestellungen so zu leiten, dass Lernende durch ihre aktive Rolle in fremdsprachlichen Aushandlungsprozessen gezielt in ihrer Partizipationsfähigkeit an außerschulischen Diskursen gefördert werden. Relevant für eine solche Subjekt-/ Lernendenorientierung ist nicht nur die inhaltliche Ebene, sondern auch, inwiefern die Lehrkraft die Lernenden in die Diskussion einbindet. Mit jeder Sprachhandlung in der Fremdsprache gehen Lernende das Risiko ein, Fehler zu machen oder sich in eine unangenehme Situation zu begeben (vgl. B EEBE 1983: 89). Neben einer positiven Moderationskultur als Grundbedingung kann die Lehrkraft die Lernenden durch Scaffolding-Angebote, corrective feedback oder multilinguale Arbeitsphasen unterstützen und so das Gefühl eines linguistischen Risikos (linguistic risk-taking, vgl. G RIFFITHS / S LAVKOV 2021) minimieren. Damit wird dieses Prinzip mit Blick auf Kompetenzen von Fremdsprachenlehrkräften dahingehend spezifiziert, dass diese die doppelte Zielsetzung von Fördern und Fordern durch aktivierende und differenzierende Maßnahmen in der jeweiligen Lerngruppe systematisch reflektieren können. Erneut ist hier somit eine notwendige Abwägung verbunden: Lernende sollen einerseits zur Partizipation ermuntert, inhaltlich herausgefordert und ggf. auch aus ihrer Komfortzone gelockt werden. Andererseits ist es maßgeblich, dass ihnen Zeit für Meinungs- und Willensbildung eingeräumt wird und sie in ihren fremdsprachlichen Artikulationen unterstützt werden. Dabei erscheint es geboten, als Lehrkraft ebenso das Resultat zu akzeptieren, sollten Lernende „begründet unentschlossen“ bleiben ( VON B LANCKEN - BURG 2022: 233-236), also keine eindeutige Position vertreten und stattdessen etwa die Grenzen der Robustheit ihres Standpunkts markieren. Anhand der drei Prinzipien des Beutelsbacher Konsens lassen sich nicht nur zentrale Rückschlüsse für die Moderation von Unterrichtsdiskursen im Fremdsprachenunterricht ziehen, sie verweisen auch auf die grundsätzliche Relevanz von Machtdynamiken, die der Unterrichtssituationen inhärent ist. Jede Form der Streitmoderation durch Lehrkräfte stellt eine Form der Machtausübung dar, denn Beiträge der Lernenden müssen gesteuert und koordiniert werden, um die begrenzte Lernzeit effizient zu nutzen (vgl. O PHARDT / T HIEL 2013: 7). Vor diesem Hintergrund schlagen wir vor, unterrichtlichen Streit im Sinne einer ‚weichen Steuerung‘ (G ÖHLER / H ÖPPNER / D E L A R OSA 2009) zu moderieren. Diese Perspektive erkennt die Rolle der Lehrkraft als strukturgebende Instanz an, zielt jedoch auf einen horizontalen Dialog, in dem Ler- 50 Max von Blanckenburg, Sina Derichsweiler DOI 10.24053/ FLuL-2025-0026 54 • Heft 2 nende nicht nur adressiert, sondern als aktive Mitgestalter ernst genommen werden. Das eigene Handeln wird daher nicht mit der Stellung als Lehrkraft, sondern argumentativ begründet und plausibilisiert. Lehrkräfte übernehmen damit die Verantwortung für den Verlauf und die Zielorientierung des Unterrichts, ohne aus einer machtvoll distanzierten Position zu agieren. Vielmehr wird die Beziehungsebene in der Streitkultur betont: Lernende werden mit ihren unterschiedlichen Fähigkeiten als gleichwertige Mitglieder der Lerngemeinschaft anerkannt und durch gezielte Scaffolding-Angebote wird die Teilhabe im Streitgespräch ermöglicht. 3.3 Kompetenzen zur Förderung der Reflexion von Streitgesprächen Ein Teil der Förderung von Streitkultur im oben beschriebenen Sinn ist neben der Partizipation an Diskursen über ein jeweiliges, exemplarisches Thema auch die Entwicklung einer Metakompetenz, also jener Teil fremdsprachlicher Diskurskompetenz, der es Lernenden ermöglicht, Prozess und Ergebnis von Streitgesprächen analysieren und bewerten zu können (siehe auch H IELSCHER / W AGNER / K EMMANN 2021). Diese lässt sich als ein Teil der Förderung von Sprachbewusstheit beschreiben, bezogen auf eine „Verknüpfung des Wissens über sprachliche Mittel und Strukturen mit der Bewusstheit für deren pragmatischen, kulturellen und kommunikativen Wirkungen“ (KMK 2023: 14). Für Lehrkräfte stellt sich folglich die Frage, wie sie kompetent dazu beitragen können, dass Lernende neben dem Aushandeln von Perspektiven auch im systematischen Nachdenken über Aushandlungsprozesse geschult werden. Auf planerischer Ebene ist es im Sinne der Prozessorientierung zunächst maßgeblich, dass Lehrkräfte Raum für eine an das Gespräch anschließende Phase der Reflexion einplanen. Hier kann es sinnvoll sein, den Austritt aus der Diskussions- und den Eintritt in die Reflexionsphase konkret und ggf. symbolisch zu markieren, damit Rollen- und Interaktionsverhältnisse geklärt sind. Als Teil der Planungskompetenz ist es darüber hinaus wichtig, dass die Lehrkraft Entscheidungen dahingehend trifft, von wem und in welcher Weise Beobachtungen generiert, versprachlicht und moderiert werden sollen. Möglich ist zum einen eine Reflexionsphase im Plenum, die durch Leitfragen der Lehrkraft strukturiert wird (s. u.). Ebenfalls denkbar ist die Verteilung von Beobachter: innen- und Moderationsrollen für die Reflexionsphase. So können die Beobachtenden ihr Augenmerk auf bestimmte Aspekte legen und die Moderierenden etwa Fragen an bestimmte Diskutant: innen entwickeln, während sie dem Streitgespräch folgen. Zur Aufgabe und Kompetenz von Lehrkräften gehört in diesem Zusammenhang die Wahl passender analytischer Fokussierungen auf u a. die folgenden möglichen Gesichtspunkte: Kompetenzen von Lehrkräften zur Förderung von Streitkultur im Fremdsprachenunterricht 51 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0026 Unter einem fremdsprachendidaktischen Blickwinkel wird hier deutlich, dass die oben beschriebenen Analyseperspektiven indes jeweils unterschiedliche sprachliche, strategische wie auch politische oder kulturelle Fokussetzungen ermöglichen und ggf. erfordern. So liegt es an der Lehrkraft, eine begründete Entscheidung zu treffen, ob besonderes Augenmerk etwa auf den Bereich Lexik (Wortfelder, Konnotationen, kulturelle und politische Aufladung von Begrifflichkeiten), rhetorische Strategien oder etwa Performanz gelegt werden soll. Was Thema und Ziel eines Streitgesprächs betrifft, besteht zudem eine zentrale Planungsfrage für die Reflexionsphase darin, ob und in welcher Form eine Synthese, inhaltliche Kondensierung oder Zusammenfassung von Diskussion und anschließender Reflexion anzustreben ist. Setting / Aufgabe • Partizipationsgelegenheiten, Interaktion und Dynamik: Welche Personen waren wie am Streitgespräch beteiligt? Welche Entwicklungen oder Wendungen waren im Gesprächsverlauf von Bedeutung? • Rollen und mit ihnen verbundene (ggf. machtvolle) Positionen im Diskurs: Welche bedeutsamen Ausgangslagen lassen sich unter den Beteiligten identifizieren, d.h. wer hat welche Chancen und Grenzen, am Streitgespräch teilzunehmen? • Zugrundeliegende Überzeugungen: Warum sind sich bestimmte Personen aus der Diskussion in bestimmten Punkten uneinig? Worauf lassen sich diese Meinungsunterschiede zurückführen? Konkreter Verlauf des Streitgesprächs • Thematische Aspekte: Welche inhaltlichen Punkte waren besonders prägend für die Diskussion? Aus welchen Gründen? Wer hat diese mit welchen Zielen und mit welcher Wirkung vorgebracht? • Sprachliche Aspekte: Welche Begriffe / Wendungen / Formulierungen waren besonders einprägsam, bemerkenswert, wirksam oder auch irritierend? • Strategische Aspekte: An welchen Stellen hat jemand in besonderer Weise auf einen Impuls reagiert? Welche Sprachhandlungen und Strategien werden darin deutlich (z.B. Verteidigung, Abschwächung…) (vgl. VON B LANCKENBURG 2023: 332) • Argumentative Aspekte: An welchen Stellen hat jemand in besonderer Weise argumentativ agiert oder reagiert, z.B. sehr stringent oder nachvollziehbar für das Gegenüber? Ziele / Ergebnisse des Streitgesprächs • Wie lässt sich das Ergebnis des Streitgesprächs beschreiben? • Was war der stärkste Punkt, den die eigene und die andere Partei vorgebracht hat? • Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus dem Verlauf und Ergebnis des Streitgesprächs ziehen? Inwiefern kann es bei diesem Thema Konsens oder Kompromisse geben bzw. wo müssen nicht vereinbare Perspektiven akzeptiert werden? 52 Max von Blanckenburg, Sina Derichsweiler DOI 10.24053/ FLuL-2025-0026 54 • Heft 2 4. Kritische Handlungskompetenz: fachdidaktisch und pädagogisch Die Initiierung, Moderation und Nachbesprechung von Streitgesprächen im Fremdsprachenunterricht ist durch ein komplexes Anforderungsprofil für Lehrkräfte gekennzeichnet, wie die vorangegangenen Ausführungen zeigen sollten. Als Synthese aus den bisherigen Überlegungen lässt sich abschließend eine übergreifende, fachdidaktisch und pädagogisch ausgerichtete kritische Handlungskompetenz ableiten, die die beschriebenen Kompetenzbereiche für einen produktiven Umgang von Lehrkräften mit unterschiedlichen Perspektiven und Standpunkten im Fremdsprachenunterricht rahmt. Zusammenfassend ist diese gemeinsam mit den vorherigen Kernelementen der Förderung von Streitkultur im untenstehenden Schaubild dargestellt. Die kritische Handlungskompetenz wird hier zum einen genuin fremdsprachendidaktisch verstanden, da sie sich auf Gegenstandsfelder und Aushandlungsprozesse bezieht, die fachspezifisch verortet sind. Um also die Entwicklung von Streitkultur in der Fremdsprache anzustoßen und weiterzuentwickeln, erscheint es notwendig, dass Lehrkräfte in der Lage sind, begründete Entscheidungen hinsichtlich der Unterrichtsgestaltung (z.B. bei der Wahl von Texten, Aufgaben, Unterstützungsangeboten) zu treffen, Unterrichtsprozesse differenziert zu betrachten und Möglichkeiten des adaptiven Handelns situativ auszuloten. Zum anderen gehört eine solche kritische Handlungskompetenz als wissenschaftliche Orientierung zur pädagogischen Professionalisierung, da sie es ermöglicht, durch situationsbezogene Reflexion eine Distanzierung zur Praxis herzustellen (vgl. B UDDE 2017: 38). Dies ist insbesondere deshalb von Bedeutung, da im Kontext der Förderung von Streitkultur im Fremdsprachenunterricht verschiedene Spannungsfelder sichtbar werden, in denen Lehrkräfte agieren und die von ihnen reflektiert werden müssen, um situationsangemessen handeln zu können. Lehrkräfte sind in ihrer professionellen Rolle und Funktion, aber auch als Individuen mit eigenen Werten, Haltungen und politischen Positionen an unterrichtlichen Prozessen beteiligt und somit zur Reflexion aufgerufen, ob, in welchem Maß und in welcher Form eigene Perspektiven in den Unterrichtsdiskurs eingebracht werden. In einem Moment, da ein Streitgespräch etwa einseitig geführt wird oder eine Wendung nimmt, die eine pädagogische Intervention notwendig machen könnte, gilt es unter Einbezug der Leitlinien des Beutelsbacher Konsens zu entscheiden, welches Lehrhandeln angemessen und zielführend sein kann. Dabei besteht eine wechselseitige Beziehung zwischen fachdidaktischen und pädagogischen Dimensionen, die ein Abwägen unterschiedlicher Aspekte bezogen auf sprachliches und thematisches Lernen, Meinungs- und Willensbildung oder Partizipationsgelegenheiten an Aushandlungen betreffen. Eine grundlegende Orientierung in diesen Planungs- und Reflexionsprozessen ermöglichen die im Schaubild dargestellten didaktischen Prinzipien. Multiperspektivität und Kontroversität bieten Lehrkräften Leitlinien zur Auswahl von Texten, Positionen, Sprechrollen und -aufgaben, um thematische Vielstimmigkeit zu erzeugen und durch (ggf. maximal) unterschiedliche Blickwinkel auf einen thematischen Gegenstand ein weites Meinungsspektrum abzubilden. Mit der Werteorientierung kommt Kompetenzen von Lehrkräften zur Förderung von Streitkultur im Fremdsprachenunterricht 53 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0026 ein Element hinzu, das sich auf Grundlagen für einen zivilen Diskurs bezieht, die partizipativ und dialogisch entwickelt werden können. Ambiguitätstoleranz beschreibt zudem als Prinzip eine didaktische Ausrichtung, in der Spannungen und entgegengesetzte Positionen in Aushandlungsprozessen anerkannt und ausgehalten werden können. Auf diese Weise wird das Herausarbeiten von nicht miteinander zu vereinbarenden Positionen als ein legitimes Ergebnis von Streitgesprächen - neben etwa Kompromiss oder Konsens - aufgefasst. Im Kern stehen weiterhin die Kompetenzen von Lehrkräften zur Initiation, Moderation und Reflexion von Streitgesprächen, die in der Progression der Unterrichtsphasen ineinandergreifen. Je nachdem, welche Ausgangspunkte für ein Streitgespräch vorliegen - durch Thema, Aufgabenstellung oder Sprechrollen -, ergeben sich für Lehrkräfte unterschiedliche Strategien und Handlungsweisen in der anschließenden Moderation. Abhängig davon, wie sich der Verlauf des Unterrichtsdiskurses dann gestaltet, resultieren daraus wiederum spezifische Reflexionsanlässe für die Phase der Nachbereitung. Abb. 1: Schaubild - Kompetenzen zur Förderung von Streitkultur Streitkultur zu fördern bedingt somit ein kontinuierliches und systematisches Nachdenken über strukturelle, inhaltliche und soziale Rahmenbedingungen sowie situative Faktoren der Lehr-Lernsituation, die fremdsprachliche Aushandlungsprozesse beeinflussen. In diesem Zusammenhang trägt die kritische Handlungskompetenz, zu einer Haltung des offenen Dialogs und der Inklusivität bei und fördert weiterhin die Fähigkeit, ethisch-normative Herausforderungen des Lehrens in einer pluralistischen Gesellschaft anzuerkennen und aktiv zu gestalten. Zur Kompetenz von kritischen 54 Max von Blanckenburg, Sina Derichsweiler DOI 10.24053/ FLuL-2025-0026 54 • Heft 2 Fremdsprachenlehrkräften zählt daher die Reflexion über thematische Gegenstände, Lernausgangslagen von Lernenden, die eigene (machtvolle) Position als Lehrkraft sowie das Abwägen von kompetenz- und bildungsorientierten Zielsetzungen, die im Fremdsprachenunterricht durch Unterrichtsdiskurse anvisiert werden. Diese Komplexität veranschaulicht, dass eine kritisch-reflexive Professionalisierung von Lehrkräften hier keineswegs durch eindeutige oder gar allgemeingültige Vorschläge für das Lehrhandeln erreicht werden kann. Vielmehr steht dieser Beitrag im Zeichen der Ausbildung von Wissen um die vielfältigen und unterschiedlichen relevanten Parameter im Kontext der Förderung von Streitkultur. Unsere Überlegungen unterstreichen dabei die Bedeutung von Streitkultur in der kritischen Fremdsprachendidaktik nicht nur als didaktisches Ziel, sondern auch als Teil eines grundlegenden Bildungsprozesses, der sowohl Lehrkräfte als auch Lernende dazu anregt, sich aktiv mit eigenen Überzeugungen sowie individuellen Bereitschaften zur Teilnahme an Streitgesprächen im Kontext persönlicher und politischer Fragestellungen auseinanderzusetzen. Literatur B AILLARGEON , Normand (2007): Intellectual Self-Defense. New York: Seven Stories Press. B ARTOSCH , Roman / D ERICHSWEILER , Sina / H EIDT , Irene (2022): „Against 'Values'? Komplexe Konflikte, symbolic power und die Aushandlung von Widerstreit“. In: K ÖNIG , Lotta / S CHÄDLICH , Birgit / S URKAMP , Carola (Hrsg.). unterricht_kultur_theorie: Kulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht gemeinsam anders denken. Berlin: Metzler, 73-89. B EEBE , Leslie M. (1983): „Risk-taking and the language learner“. 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In the context of a seminar which, in addition to a theoretical introduction to anti-racism, includes practical phases of critical anti-racist textbook analysis and recurring moments of reflecting one’s own positionality and involvement in racist practices, we initiated group discussions. These were analyzed with reconstructive methods grounded in knowledge sociology limiting the scope to a reconstructive perspective. This shifts the focus away from what the students talk about to how they talk about it on a meta-conceptual level. Based on the findings, we suggest (possible) implications for the design of critical foreign language teacher education. 1. Einleitung Kritische Fremdsprachenlehrer: innenbildung (FSLB) hat zum Ziel, (angehenden) Lehrpersonen der modernen Fremdsprachen zu ermöglichen, eine machtkritische Haltung gegenüber unterrichtlichen Gegenständen und Medien, curricularen Vorgaben und dem System Schule zu entwickeln. Auf dieser Grundlage können sie transformatorische Bildungsprozesse im Unterricht entlang gesellschaftlich und kontextuell relevanter Themen einleiten (G ERLACH / L ÜKE 2024a). Die Bedeutung der Lehrperson ist bei der Initiierung von Bildungsprozessen im Fremdsprachenunterricht (FU) zentral: Der FU darf nicht zu einem rein auf sprachliche Fertigkeiten reduzierten, technologisierten Lehr-/ Lernprozess verkommen, sondern kann die Machtförmigkeit von * Korrespondenzadressen: Natalie G ÜLLÜ , M.Ed., Bergische Universität Wuppertal, Gaußstraße 20, 42119 W UPPERTAL E-Mail: guellue@uni-wuppertal.de Arbeitsbereiche: (Rassismus)kritische Fremdsprachendidaktik, Professionsforschung, (Rassismus)kritische Fremdsprachenlehrer: innenbildung. Prof. Dr. habil. David G ERLACH , Bergische Universität Wuppertal, Gaußstraße 20, 42119 W UPPERTAL E-Mail: gerlach@uni-wuppertal.de Arbeitsbereiche: Fremdsprachendidaktische Professionsforschung, kritische und inklusive Englischdidaktik. 58 Natalie Güllü, David Gerlach DOI 10.24053/ FLuL-2025-0027 54 • Heft 2 Sprache im Sinne einer Kritischen Fremdsprachendidaktik explizit zum Gegenstand machen (G ERLACH 2020). Dies wird zwar durch die zentrale Rolle und habitualisierte Durchprozessierung von Lehrwerken im Sinne einer „textbook-defined practice“ (G ERLACH / L ÜKE 2024b: 252; vgl. auch B ONNET / H ERICKS 2020) erschwert, gleichwohl möchten wir in diesem Artikel vorstellen, welches Potenzial rassismuskritische Perspektiven auf fachdidaktische Gegenstände im Rahmen eines Seminars für Professionalisierungsprozesse im Lehramtsstudium haben können (siehe Abschnitt 2.2), mit dem Ziel der Reduktion auf sprachliche Fertigkeiten und der Technologisierung des FU entgegenzuwirken. Unsere hochschuldidaktischen Gegenstände sind Rassismus und Rassismuskritik: In einem Seminar haben wir Studierende an zwei Zeitpunkten Lehrwerkseiten hinsichtlich ihrer Rassismusrelevanz betrachten lassen. Dabei interessiert uns aus wissenssoziologischer Perspektive weniger, welches explizite (Prüfungs-)Wissen sich Studierende im Seminar angeeignet haben. Vielmehr stellen wir unten vor, dass die Art und Weise, wie sie über die Inhalte sprechen, ein Indikator dafür sein kann, ob sie im Sinne einer kritischen FSLB ein rassismuskritisches Bewusstsein (zumindest in Ansätzen) (weiter-)entwickelt haben und damit ein Professionalisierungsprozess angestoßen wurde. Bevor wir die Einblicke in die Empirie geben, konturieren wir zunächst in gebotener Kürze den theoretischen Hintergrund (Kapitel 2) und erläutern Erkenntnisinteresse, Setting und Methodologie/ Methode genauer (Kapitel 3). Abschließend interpretieren und diskutieren wir die Ergebnisse kritisch (Kapitel 4) und zeigen Implikationen für weitere Forschung und hochschuldidaktische Entwicklung auf (Kapitel 5). 2. Rassismus(kritik) Rassismus als Ideologie, Struktur und Prozess wirkt in jedem Lebensbereich rassifizierter und nicht rassifizierter Individuen mit der Funktion, rassistisch Ver-anderte (Othering) von Ressourcen auszuschließen (E SSED 1992). Rassistische Ordnungsverhältnisse werden durch die (Re-)Produktion rassistischer Wissensbestände (T ERKES - SIDIS 2010) aufrechterhalten, die Teil einer weißen 1 Wissensproduktion in mehrheitlich weißen Räumen sind und sich in bis heute gebräuchlicher kolonialistischer und rassistischer Sprache manifestieren (A RNDT / O FUATEY -A LAZARD 2021). Ein Rassismusbegriff, der über die Idee individueller Verfehlung aufgrund von Vorurteilen hinausgeht, ist Grundlage kontemporärer Rassismuskritiken (F EREIDOONI / E L 2017). Rassismuskritik beinhaltet die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit rassistischen Strukturen sowie dem eigenen Selbst, das rassistisch sozialisiert ist, und hat dabei stets zum Ziel, diese Verhältnisse umzuwälzen (S IMON / F EREIDOONI 2018: 19). Da Rassismus als eine Form von Gewalt auch in der Schule wirkt (K ARABULUT 2020), 1 Das Adjektiv weiß (klein und kursiv, um den Konstruktcharakter zu markieren) beschreibt den geteilten Erfahrungsraum von jenen, die in Bezug auf Rassismus privilegiert positioniert sind und keine Rassismuserfahrungen machen (A RNDT / O FUATEY -A LAZARD 2021). Wie sprechen … Englischlehrer: innen über (potenziell problematische) Unterrichtsinhalte? 59 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0027 stellt Rassismuskritik eine notwendige, fachspezifische Professionskompetenz dar, die Lehrpersonen im Verlauf ihrer Professionalisierung entwickeln sollten (S IMON / F EREIDOONI 2018). Ob als Lernende oder Lehrende - über Rassismus in mehrheitlich weißen Räumen zu sprechen bedarf einer Menge Mut und Geduld. Für Betroffene kann ein Rassismushinweis eine Wiederholung der Gewalterfahrung bedeuten, je nach Reaktion des Umfeldes, welche nicht selten defensiv ausfällt. Ç IÇEK / H EINEMANN / M ECHERIL (2014) verstehen Abwehr als Teil rassistischer Praktiken und unterscheiden „zwischen primären Erfahrungen - die durch explizit rassistische Botschaften oder indirekt vermittelt werden - und sekundären Rassismuserfahrungen“ (ebd.: 145), die nach dem Benennen von Rassismus folgen, wenn Hinweisenden Überempfindlichkeit und unangemessenes Verhalten vorgeworfen werden. Die Sympathie (weißer) Beistehender verschiebt sich von Betroffenen zu Produzent: innen und stellt eine Wiederholung der sprachlichen Gewalt dar (ebd.). Diese Dynamiken der (De)thematisierung rassistischer Ordnungsverhältnisse gilt es im rassismuskritischen Kontext zu berücksichtigen. Im Hinblick auf die hier durchgeführte Forschung mit der Gruppendiskussion als Erhebungssetting, in dem möglicherweise soziale Erwünschtheit in mehrheitlich weißen Räumen bedient oder sekundäre Rassismuserfahrungen von Studierenden befürchtet werden müssen, sollen die Ergebnisse entsprechend perspektiviert werden. 2.1 Rassismuskritik und Fremdsprachendidaktik Rassismus wird im Fremdsprachenunterricht (FU) durch Lehrmaterialien, die diskursive Verhandlung bestimmter Themen oder das Einbeziehen dominierender sowie Auslassen marginalisierter Perspektiven (re-)produziert (B ÖNKOST 2022; V ERNAL S CHMIDT 2022). Selbst wenn Rassismus zum Unterrichtsgegenstand gemacht wird oder Texte marginalisierter Autor: innen gelesen werden, ist es in mehrheitlich weißen Institutionen wahrscheinlich, dass eine weiße Perspektive die Art und Weise prägt, wie diese verhandelt werden, und Rassismus dadurch (re-)produziert wird (G ÜLLÜ / G ERLACH 2023). Auch besteht die Gefahr, dass Rassismus im FU als Teil englischsprachiger Zielkulturen wahrgenommen und vom lokalen Kontext, d.h. Deutschland, und dem eigenen Selbst losgelöst betrachtet wird (B ÖNKOST 2022: 38; G ÜLLÜ 2025a: 94). In einer diskriminierungskritischen Analyse der neu aufgelegten Bildungsstandards für die modernen Fremdsprachen wurde ein zugrundeliegendes Verständnis von Vielfalt „nicht als sozial hergestellt, sondern als natürlich gegebene Unterschiedlichkeit gerahmt und vorrangig defizitär“ rekonstruiert (V ERNAL S CHMIDT / W IELAND / G ÜLLÜ 2024: 118). Diese essentialisierende Perspektive erschwert eine rassismuskritische Auseinandersetzung auf institutioneller Ebene und kann dazu beitragen, dass Rassismus produzierende Praxen im Bildungssystem aufrechterhalten werden. Es entstehen aber auch immer mehr Beiträge in der Disziplin, die den FU schon jetzt (und zunehmend) rassismuskritisch perspektivieren (u.a. B RASELMANN 2023; B RASEL - MANN / M IHAN 2025; G ÜLLÜ / G ERLACH 2023). 60 Natalie Güllü, David Gerlach DOI 10.24053/ FLuL-2025-0027 54 • Heft 2 2.2 Rassismuskritik und FSLB Weil Rassismus als Struktur verstanden wird, stellt Rassismuskritik eine notwendige, fachspezifisch auszudifferenzierende Professionskompetenz dar, welche die Lehrpersonen dazu befähigen soll, Rassismus in Unterrichtsgegenständen zu erkennen, einzuordnen und angemessen auf diese zu reagieren (S IMON / F EREIDOONI 2018: 24). Bisher ist wenig darüber bekannt, wie (angehende) Englischlehrpersonen diese rassistischen Wissensbestände, die z.B. über Seminarinhalte oder auch Unterrichtsmaterialien und Lehrwerke vermittelt werden, wahrnehmen, darüber sprechen und sich dazu positionieren. Parallel dazu ist fraglich, inwiefern über die Lehrer: innenbildung vermitteltes theoretisches Wissen über Rassismus und Rassismuskritik überhaupt für die spätere Berufspraxis handlungsleitend wird, wenn habituelle, einsozialisierte Praktiken und implizite Orientierungen dieses Wissen überlagern (G ERLACH 2022). Für uns ist daher relevant zu betrachten, ob durch professionstheoretisch und wissenssoziologisch fundierte Interventionen eine rassismuskritische Professionalisierung angebahnt werden kann. Der Thematik wohnt nämlich ein gewisser ‚Zwang‘ zur Positionierung inne, der im Sinne einer kritischen FSLB identitätsstiftend und professionalisierend wirken kann (ebd.). Dies ist durchaus anschlussfähig an weitere Diskussionen rund um identitätsstiftende FSLB, welche z.B. die Auseinandersetzung mit Black American literature zur Förderung selbstreflexiven, kritischen Weißseins (B RASELMANN 2024), Autoethnographie als zentralen Ansatz für die kritische, (berufs)biographische Reflexion der eigenen Lehrer: innenwerdung (G ERLACH 2022; G ERLACH / L ÜKE 2024a; H EIDT 2023; M IHAN 2022) sowie den Einsatz von Lehrwerkkritik als hochschuldidaktisches Prinzip (G ÜLLÜ 2024) vorschlagen. Diesen Ansätzen im Kontext von Rassismuskritik ist gemein, dass sie vor allem für weiße Personen strukturtheoretische Momente von Ungewissheit evozieren, die durchaus gewollt sind: Im Moment der Konfrontation verfügen Lehramtsstudierende, sofern sie nicht bereits rassismuskritisch vorgebildet sind, mitunter nicht über adäquate Antworten oder Handlungsalternativen. Vielmehr (re-)produzieren sie womöglich (unwissentlich) rassistisches Wissen in mitunter wohlwollenden Handlungsalternativen qua Sozialisation in rassistische Wissensordnungen. Im praxeologisch-wissenssoziologischen Sinne (B OHNSACK 2020) würde jedoch ein implizites Aushandeln der Norm von Rassismuskritik im Reden über das Phänomen Rassismus dafür sprechen, dass angehende Lehrpersonen sich auf dem Weg befinden, ein rassismuskritisches Bewusstsein zu entwickeln. Dieser Moment des Sprechens über Rassismus durch eine Konfrontation mit rassismusrelevanten Lehrwerkinhalten interessiert uns im Kontext dieses Forschungsprojekts besonders. 3. Kontext, Methode und Vorgehen Im Folgenden stellen wir den hochschuldidaktischen Rahmen sowie die der Erhebung zugrundeliegenden methodologisch-methodischen Prinzipien knapp vor. Anschlie- Wie sprechen … Englischlehrer: innen über (potenziell problematische) Unterrichtsinhalte? 61 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0027 ßend beschreiben wir in Kürze die Prompts (Lehrwerkbeispiele) für die Gruppendiskussionen. 3.1 Kontext der Erhebung Das fachdidaktische Seminar „Racism and the EFL Classroom“, in dessen Rahmen diese Erhebung durchgeführt wurde, hat zum Ziel, angehenden Englischlehrpersonen eine rassismuskritische Perspektive auf Englischunterricht aufzuzeigen. Im Seminar erhielten sie theoretischen Input zu Geschichte, Wirkungsweisen und Erscheinungsformen von Rassismus (G ÜLLÜ 2024) und dessen Auswirkung auf Schule im Allgemeinen und auf den Englischunterricht im Besonderen. Die Teilnehmenden (TN), sowohl Bachelorals auch Masterstudierende verschiedener Schulformen und Zweitbzw. Drittfächer, brachten unterschiedliches Vorwissen mit. Nur wenige TN waren sichtbar negativ von Rassismus Betroffene, was im Rahmen der Gruppendiskussionen jedoch nicht erhoben wurde. Die Mehrheit wurde weiß gelesen - genau wie die Dozentin - was der aktuellen Englischlehrer: innenpopulation in Deutschland entsprechen dürfte (ebd.). 3.2 Methodologische Vorannahmen und methodisches Vorgehen In die Seminarstruktur eingebettet sind Gruppendiskussionen zu zwei Erhebungszeitpunkten: T1 zu Beginn, T2 nach sechs Wochen. Die Daten wurden nach Prinzipien praxeologischer Wissenssoziologie (B OHNSACK 2017/ 2020) ausgewertet, im Kern derer es darum geht zu rekonstruieren, wie Wissen durch soziale Praktiken erzeugt, weitergegeben und verändert wird. Anstatt Wissen als statisch oder rein kognitiv zu betrachten, versteht die praxeologische Wissenssoziologie Wissen als etwas, das in Handlungen und Interaktionen eingebettet ist. Ziel dieses empirischen Beitrags ist es dementsprechend nicht, das in reflexiv-bewertenden Gruppendiskussionen zu T2 stärker hervortretende explizite Wissen über Rassismus und Rassismuskritik als einen Lernerfolg durch eine Intervention zu werten. Vielmehr wird untersucht, wie sich das Sprechen der TN über die Gegenstände verändert, ob und wie sich in einem professionstheoretischen Sinne ein rassismuskritisches Bewusstsein zeigt (G ERLACH 2022). Wir folgen damit dem Wechsel der Analyseeinstellung in der Tradition der Dokumentarischen Methode (B OHNSACK 2017/ 2020), auch unter Einbezug der Diskursstruktur von Gruppendiskussionen nach P RZYBORSKI (2004). Dabei steht weniger das ‚Was‘ von Aussagen inhaltsanalytisch im Fokus, sondern das ‚Wie‘, das durch Interpretation und Analyse herausgearbeitete handlungsleitende Orientierungen und ihr Spannungsverhältnis mit Normen umfasst. 3.3 Impulse für die Gruppendiskussionen Die TN erhielten eingangs zu den Gruppendiskussionen Lehrwerkseiten mit rassismusrelevanten Inhalten. Diese bezogen sich auf US-amerikanische Geschichte, kul- 62 Natalie Güllü, David Gerlach DOI 10.24053/ FLuL-2025-0027 54 • Heft 2 turelle Gegenstände der USA (T1; S CHWARZ 2017: 61; W EISSHAAR 2008: 46) sowie Inputmaterial und Aufgaben zu Schwarzen 2 US-amerikanischen Persönlichkeiten (T2; S CHMIDT 2020: 89; D EVLIN / W ILLIAMS 2023: 180). Die TN erhielten ebenfalls folgende Impulse: 1. Nehmen Sie sich ein paar Minuten Zeit, um sich in Ruhe mit dem vorliegenden Material auseinanderzusetzen. 2. Sobald alle Teilnehmenden der Gruppe bereit sind, sprechen Sie über das Material. Sie können alles sagen, was Ihnen dazu einfällt und werden dabei nicht von uns unterbrochen. Es ist okay, wenn im Gespräch Pausen entstehen. Sie können sich auf das Gesagte Anderer beziehen oder einen neuen Punkt einbringen. Diese Impulse waren bewusst offen gewählt, um keine kriteriengeleitete Evaluation des Materials zu evozieren, sondern ein stärker durch die Gruppendynamiken geprägtes (möglicherweise rassismuskritisches) Gespräch. 4. Ergebnisse Im Folgenden stellen wir kontrastierend Auszüge, Interpretationen und Analysen aus den Gruppendiskussionen vor, um zu illustrieren, wie die TN über das Phänomen bzw. in Auseinandersetzung mit Lehrwerkinhalten jeweils zu T1 und T2 sprechen. Drei Vergleichsdimensionen haben sich hier herauskristallisiert: Zum einen unterscheiden sich die Gruppendiskussionen im Hinblick darauf, wie über Aufgaben und Gegenstände an sich gesprochen wird (4.1). Zum zweiten zeigt sich strukturtheoretische Ungewissheit. Diese macht potenziell Professionalisierungsprozesse in impliziten Reflexionen von Ungewissheitsantinomien rekonstruierbar (4.2). Und zuletzt möchten wir anhand von zwei episodischen Erfahrungsberichten zeigen, inwiefern (un)persönliches Erzählen über rassistische Praktiken illustrieren kann, wie rassismuskritisch sich angehende Englischlehrpersonen konstituieren (4.3). Die Gruppen (gr) von in der Regel drei bis vier TN der T1-Erhebung wurden von t1gr1 bis t1gr5 durchnummeriert, die der T2-Erhebung von t2gra bis t2gre durchbuchstabiert. Rekonstruktive Verfahren sind von Natur aus so komplex, dass die Daten in einem Zeitschriftenartikel nicht vollständig dargestellt werden können. Zur besseren Nachvollziehbarkeit und Herstellung von Transparenz haben wir die Transkripte aller Gruppendiskussionen als Open Data in digitaler Form zur Verfügung gestellt. 3 2 Das Adjektiv Schwarz (mit großem S) beschreibt als politische Selbstbezeichnung einen geteilten Erfahrungsraum von Schwarzen Menschen, die rassistisch ver-andert wurden und werden (A RNDT / O FUATEY -A LAZARD 2021). 3 https: / / doi.org/ 10.57899/ hmc7-g534 Wie sprechen … Englischlehrer: innen über (potenziell problematische) Unterrichtsinhalte? 63 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0027 4.1 Aufgaben und Sprache Die TN betrachten die Materialbeispiele und erläutern auf deskriptiver Ebene potenziell problematische Begriffe, reproduzieren dadurch aber nicht selten rassistische Fremdbezeichnungen, was der folgende Transkriptauszug illustriert: [T1gr1] S3: Das ist ja genau so, ich sag jetzt mal so, über [Es***os] 4 auch so ne Sache, so haben sie sich nie selbst genannt. Es ist ein Wort, was man auch nicht so benutzen sollte. Und genau so würde ich doch behaupten, dass keine der/ der amerikanischen Ureinwohner sagen würde: „Indians ist/ ist ein Begriff, den/ wo wir für einstehen, den wir benutzen wollen würden.“ Und dass da der Text wirklich an diesen/ an diesen/ halt an dieser Aussage/ ich glaub das ist ja auch jetzt nichts was (unverständlich), es ist ja jetzt nich wie/ wie mit African American / / S1: / / Hm (bejahend). / / S3: / / und dem Begriff mit zwischen Black und Color und allem drum und dran. (#08: 12-08: 34#) Obwohl die Norm, nach derer dieser Begriff nicht benutzt werden sollte, explizit markiert wird, wird er gleichwohl reproduziert. Der weitere Verlauf des Quasi-Monologs von S3 wird dann zunehmend unsicherer, was durch zahlreiche Halbsätze, Code-Switching ins Englische und undifferenzierte Verwendung von Fachtermini und politischen Selbstbezeichnungen deutlich wird - ein Charakteristikum, das wir später in Abschnitt 4.2 noch einmal aufgreifen. Im Allgemeinen zeichnen sich die sprachlichinhaltlichen Beschreibungen der Lehrwerke zu T1 durch einen deskriptiven, distanziert-passiven Modus ohne persönliche Bewertungen aus. Es wird an keiner Stelle darüber gesprochen, was Lernende potenziell mit den Inhalten und Aufgaben anfangen können. Dies ändert sich fundamental zu T2, hier erkenntlich am Aufgabenbeispiel, bei dem Lernende anhand von Postern berühmte Schwarze Persönlichkeiten vorstellen sollen: [t2gre] S35: Aber/ also ich weiß nicht, ob die Arbeitsaufträge so gut sind, weil da ist ja auch sehr (.) freigestellt, was sie da erzählen können. / / S36: Ja, facts, ja. Wann hat die Person Geburtstag (lacht)? / / S35: Ja, genau. / / S36: Was macht die fürn Beruf? Bei Alicia Keys dann die berühmtesten Titel (lacht). #08: 41-08: 46# S35: Ja, irgendwie-. / / [...] S34: Also ich kann mir vorstellen, dass Schüler, je nachdem welcher Jahrgang das ist, dass sie dann wirklich eher auf diese Persönlichkeit eingehen und sie Steckbriefe erstellen, aber dass diese target task/ dass die sich da mit der Rassismuskritik irgendwie auseinandersetzen, dass das gar ähm nicht zum Thema kommt bei so nem Poster. / / S35: Kann ich mir auch vorstellen, ja. (#08: 30-09: 15#) In der Auseinandersetzung mit der Aufgabe wird deren rassismuskritische Relevanz herausgearbeitet, allerdings gleichzeitig das Risiko erkannt, dass Lernende diese Relevanz nicht erkennen könnten und demnach nicht in ihr Produkt integrieren. Zwar wird die methodisch-didaktische Reflexion auf dieser Ebene nicht zu Ende geführt, d.h. es werden noch keine alternativen Produkte oder Aufgabenstellungen entwickelt, allerdings ist die Art und Weise, wie diese Orientierung an den Lernenden entsteht, bemerkenswert: Im Gegensatz zu Diskussionen vor dem Seminar wird hier die Argu- 4 Rassistische Fremd- und Sammelbezeichnung, die für Bewohner: innen der nördlichen Polargebiete verwendet wird; durch die Autor: innen des Beitrags im Material unkenntlich gemacht. 64 Natalie Güllü, David Gerlach DOI 10.24053/ FLuL-2025-0027 54 • Heft 2 mentation bzw. Reflexion als persönliche Einschätzung markiert („ich weiß nicht“, „ich kann mir vorstellen“). Die Bandbreite an Hypothetisierungen möglicher Unterrichtsaspekte steigt ebenfalls, was auf angeeignetes, explizites Wissen zurückzuführen sein könnte. Letzteres kann selbstverständlich als Indikator für die zielgerichtete Verwendung fachsprachlich-rassismuskritischer Fachtermini herangezogen werden. Allerdings ist dieses explizite Wissen für uns im Rahmen dieses Projekts weniger relevant als das implizit-handlungsleitende, was sich im folgenden Abschnitt dafür stärker in der Bearbeitung von Ungewissheit beim Sprechen über die Phänomene zeigt. 4.2 Ungewissheit Strukturtheoretische Ungewissheit ist zuletzt stärker im Kontext von (fremdsprachlicher) (Lehrer*innen-)Bildung diskutiert worden (vgl. z.B. B ONNET / G LAZIER 2023; P ASEKA / K ELLER -S CHNEIDER / C OMBE 2018) und für uns methodisch-methodologisch interessant, da sich an ihr Professionalisierung durch implizite Reflexionen von Antinomien oder Normen (wie die von Rassismuskritik) potenziell rekonstruieren lassen (vgl. Bohnsack 2020). In den Prä-Diskussionen wird die vom Lehrwerk vorgegebene, nicht weiter erläuterte Konstruktion der Gruppe „The Native Americans“ (S CHWARZ 2017: 61; W EISSHAAR 2008: 46) im Sprechen über und in der Kritik an den Materialien weitestgehend übernommen und synonym mit dem Begriff ‚indigene Völker‘ verwendet. Die Existenz einer solchen Gruppe wird als konjunktives Wissen zur Grundlage der Gespräche über die Darstellung dieser Gruppe im Lehrwerk sowie der Aushandlungen darüber, wie die Realität im Gegensatz zu der im Lehrwerk dargestellten ‚wirklich‘ sei. Die Beispiele, die TN heranziehen, haben dabei Bezug zu Nord-, Mittelbzw. Südamerika. Über alle ‚Völker‘, die unter diese Gruppenkonstruktion fallen, wird in einem homogenisierenden, romantisierend-infantilisierenden und exotisierenden Habitus gesprochen, wodurch sie antithetisch ‚modernen Gesellschaften‘ und ‚normalen Menschen‘ gegenübergestellt werden. • „die haben ihre Traditionen“ (t1gr2), • „diese Völker“ (t1gr2), • „die leben immer noch. Die sind immer noch da“ (t1gr1), • „die brauchen ja vielleicht auch gar nicht mehr als der herkömmliche Amerikaner“ (t1gr2), • „die leben halt einfacher. / / Minimalistischer“ (t1gr2), • „wenn man die jetzt als (.) normale Menschen (.)/ beziehungsweise was heißt normale Menschen/ also normal gekleidet halt, so dass man das nicht erkennen würde, darstellen würde“ (t1gr5). Teilweise schimmert in der Reproduktion rassistischen Wissens ein ‚Stolpern‘ über die eigenen Aussagen durch („beziehungsweise was heißt normale Menschen/ “), was aber nicht dekonstruiert werden kann („also normal gekleidet halt“). Wie sprechen … Englischlehrer: innen über (potenziell problematische) Unterrichtsinhalte? 65 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0027 Auf einer diskursorganisatorischen Ebene drückt sich zu T1 Ungewissheit aus durch Übergeneralisierungen, Pauschalkritik und Code-Switching ins Englische („Native Americans ist halt eine große Gruppe, es gibt verschiedene tribes“, t1gr1) sowie das stärkere Verwenden direkter Rede zur Distanzierung von unsicherer Positionierung gegenüber den Lehrwerkinhalten. Zu T2 zeigt sich Ungewissheit durch vorsichtiger formulierte Kritik (in Argumentationen unter Zuhilfenahme dann expliziter vorliegender Fachtermini) und das Hinterfragen z.B. von der im Lehrwerk vorausgesetzten Gruppenkonstruktion auf Basis von Rassifizierung: „die 5 haben/ im Endeffekt haben sie gemeinsam, dass sie alle Schwarz sind, das ist halt deren Gemeinsamkeit und deshalb kann man die jetzt in eine Kategorie packen“ (t2gra). Die Willkür dieser Konstruktion wird durch eine Umkehr der Verhältnisse veranschaulicht: „Also es wäre bei uns ja auch so, wenn du irgendwie sagen würdest: ‚Helene Fischer und ähm Olaf Scholz.‘“ (ebd.), was Weiße mit einer ungewohnten Markierungspraxis konfrontiert. Auch auf der Ebene des expliziten Wissens zeigt sich eine Veränderung in der Perspektive auf die Rassekonstruktion im Lehrwerk: „weil wir haben ja auch drüber gesprochen mit ähm (.)/ diese Rassekategorie gibt es ja nicht, die sind ja kreiert“ (t2grd). Die TN rekonsturieren rassistische Wissensbestände im Material (Infragestellung von Rassekategorien). Die daraus resultierende Irritation und Unsicherheit in Bezug auf die Option der Übernahme der Rassifizierung gegenüber dem Aushandeln alternativer Anrufungen könnte Potenzial zur rassismuskritischen Professionalisierung aufweisen. Zu T1 wird Unsicherheit auch expliziert, wie sich im Folgenden anhand einer Erzählung (t1gr1) zeigt. 4.3 Erzählungen über Rassismus in zwei unterschiedlichen Settings Die Impulse in Form von Lehrwerkausschnitten haben über alle Gruppendiskussionen hinweg nur wenige Erzählungen evoziert. Im Datenmaterial dominieren die anderen drei Textsorten Beschreibung, Argumentation und Bewertung. Wir rücken hier daher zwei Ausschnitte im Modus der Erzählung in den Fokus, in denen TN - durch das Material veranlasst - aus ihren persönlichen Erfahrungen heraus Rassismus (und dessen Kritik) als Exemplifizierung einer von ihnen dargelegten Proposition heranziehen. Eine kontrastive Analyse der Diskursstrukturen dieser beiden Gruppendiskussionen zeigt, wie sich sowohl die Gesprächsdynamik insgesamt als auch die Erzählungen in ihrer Funktion unterscheiden. S6 wirft schon früh im Gespräch (T1) die Proposition auf, dass das Sprechen über Gruppen, die im Material als „Native Americans“ angerufen werden, Schwierigkeiten bereitet: [t1gr1] S6: Ich finde es auch tatsächlich ähm im Deutschen immer noch schwer, ähm weil/ also [In***ner] 6 soll man ja nicht mehr sagen, aber / / S5: / / Ja. / / S6: / / ich find es dann 5 Alicia Keys, Martin Luther King Jr. und Michelle Obama [Anmerkung der Autor: innen]. 6 Rassistische Fremd- und Sammelbezeichnung, die hauptsächlich für die Bewohner: innen der Nord- 66 Natalie Güllü, David Gerlach DOI 10.24053/ FLuL-2025-0027 54 • Heft 2 manchmal schwer den/ den Begriff direkt so zu finden dafür / / S7: / / Hm (bejahend). / / S6: / / (unverständlich). S5: Ja, was wären Native Americans? Also was würde man da im Deutschen sagen? Die Ureinwohner (alle lachen) oder sowas? / / Keine Ahnung. S6: / / Ähm, ich glaub (..) die in/ S5: (.) Das sind ja die Indian/ also- S6: Ne, in/ ich glaub in/ / / S5: / / indigenen / / Völker. S6: / / indigen/ indigene Völker. Ja. Ähm (.), genau. Aber ähm, ja weil das jetzt/ weil das zum Beispiel letztens mein Neffe, der ist jetzt zweieinhalb und da ist es jetzt auch schon, dass die Mutter das die ganze Zeit gesagt hat und ich dachte so: Boah, jetzt wäre der Punkt, wo man’s vielleicht schon beibringen könnte, [...] dass es halt, ne, so nicht mehr ist. Aber, ähm, es ist halt schwierig, weil‘s in Kinderbüchern einfach und so voll normal ist, / / ( #03: 09-03: 51#) Die TN suchen nach einem passenden deutschen Begriff und setzen sich vorsichtig mit rassistischen, kolonialen Fremdbezeichnungen auseinander, ohne diese jedoch explizit zu problematisieren. Es scheint eine Orientierung dahingehend zu geben, dass bestimmte Begriffe nicht und vor allem nicht mehr verwendet werden sollten. Diese exemplifiziert S6 mit einer persönlichen Erfahrung aus dem familiären Umfeld: Die Mutter verwendet in der Interaktion mit dem Kind Begriffe, die S6 als Anlass rahmt, zu intervenieren. Durch die Verwendung des Konjunktivs und des Personalpronomens „man“ distanziert S6 sich vom Akt des potentiellen Intervenierens. Was an der Aussage der Mutter zu kritisieren sei, bleibt als antizipiert-konjunktives Wissen unerwähnt und angedeutet als etwas was „halt, ne, so nicht mehr ist“. Hier markiert S6 auch eine zeitliche Entwicklung des Sagbaren („heutzutage [...] immer schwieriger“). Es ist anzunehmen, dass sich das, was die Mutter sagt, auf den zuvor genannten, deutschen ‚unsagbaren‘ Begriff für die im Lehrwerk als „Native Americans“ angerufene Gruppe bezieht. Geschlossen wird mit einer Konklusion, dass dieses korrigierende Eingreifen ebenfalls schwierig sei, da die Verwendung der kritisierten Bezeichnung in der Kinderliteratur „so voll normal ist“. Hier zeigt sich eine Spannung zwischen dem, was S6 als nicht mehr sagbar expliziert und seinem tatsächlichen Handeln wider seines expliziten Wissens, das anderen Zwängen unterliegt - wie der Normalität rassistischer Fremdbezeichnungen in Kinderbüchern. Im Kontrast zu diesem Fall steht eine längere Erzählung zu T2: [t2grb] S24: Genau. Deswegen/ Genau, deswegen finde ich so: Okay, das ist gutes Material, aber wir müssen/ wir dürfen halt nicht bei den Lehrkräften / / S22: / / Ja. / / S24: / / aufhören, so sagen: ‚Okay, die kriegen das, dann sollen die damit arbeiten, das Buch macht das schon.‘ Weil das Buch kann auch nur einen bestimmten Beitrag leisten. S22: Ja, das stimmt. Stimmt, ja. S24: Ich hab bei sowas immer so Angst, weil wir hatten auch/ als ich damals mein Praktikum hatte, mein EOP, hatte ich auch in einer Klasse, wo die ähm ‚Americanah‘ gelesen haben sogar. S23: Hm (bejahend). S24: Und dann haben/ hat die Lehrerin einfach den einzigen Schwarzen Schüler/ die haben sich in einen Sitzkreis gesetzt, dann hat der gesagt (lacht): ‚Ja, okay, jetzt erklär mal zu Nigeria so, was du weißt.‘ S22: Alter, was? S24: Seine Eltern sind nicht aus Nigeria gewesen, Leute, seine Eltern waren aus Kamerun. Und ich dacht mir so / / S22: / / Du musst doch trotzdem / / S24: ich dacht mir so/ der hat wirklich dem Fragen gestellt und der hat dem nicht geantwortet und ich dachte so/ in dem Moment so: Bin ich die Einzige, die sieht, was für ne Situation das ist? (lacht) [...] S23: Hm (bejahend). S22: Aber amerikas verwendet wird, die schon vor dem Eintreffen europäischer Kolonialisten auf dem Kontinent lebten; durch die Autor: innen des Beitrags im Material unkenntlich gemacht. Wie sprechen … Englischlehrer: innen über (potenziell problematische) Unterrichtsinhalte? 67 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0027 hat der versucht drauf zu antworten? S24: Ja was soll der Arme machen, / / S22: Oh, nein / / S24: / / der ist so vor allen / / S22: / / was soll der denn sagen / / S24: / / dahingestellt worden und ich/ und dann habe ich aber auch im Nachhinein gesagt so: „Erstens würde ich auch nicht für kurdische Menschen sprechen wollen, / / S22: / / Ja. / / S23: / / Hm (bejahend). / / S24: / / das geht gar nicht und zweitens ist das generell komisch.“ S22: Ja. S24: Danach habe ich sie nicht mehr, deswegen habe ich getraut / / was zu sagen (lacht). S22: / / Ah, okay, sehr gut. Wie hat sie reagiert? S24: Es war halt eine alte weiße Frau, deswegen die war schon/ die hat schon ein bisschen komisch geguckt, aber (.) ich konnte das nicht so stehen lassen. S23: / / Hm (bejahend). / / S24: / / Es ging nicht mehr, diese Situation/ ich hab ja schon viel/ stellt euch mal vor, ich wär nicht dabei gewesen (.) und ich hätte das nicht mitbekommen. S23: Hm (bejahend). S22: Wie oft die das bestimmt schon so durchgezogen hat. S24: Ich will gar nicht wissen. Das ist krass (…). Ja. Und deswegen ist halt die Lehrkraft sehr wichtig. (#10: 36-12: 11#) S24 überführt die rassismuskritische Auseinandersetzung mit dem vorliegenden Material in den Kontext von Unterricht und professioneller Praxis. Die Lehrperson, die Lernenden und S24 selbst als teilnehmende: r Beobachter: in werden als Faktoren ergänzt, die den Raum strukturieren. Das Unterrichtsmaterial sei demnach keine Gelingensbedingung oder Garantie für rassismuskritischen Unterricht, was S24 durch die Erzählung aus der erlebten Schulpraxis exemplifiziert: Obwohl ein Gegenstand mit rassismuskritischem Potenzial verhandelt wird, wurde dieser von der Lehrperson zum Anlass genommen, Rassismus - möglicherweise unbewusst - erst zu produzieren, indem sie den Schüler ver-andert und auf ihn projiziertes „Herkunftswissen“ abfragt (T ERKESSIDIS 2010: 103). Die Erzählung bleibt dabei kein rein professionelldistanzierter Bericht, sondern zeigt eine emotionale Involviertheit, die Normalität von Rassismus im schulischen Kontext löst Ungläubigkeit bei S24 und Empörung bei S22 aus. Die Erzählung weist außerdem ein nennenswertes Detail auf: Die beschriebene physische Positioniertheit der Beteiligten im Raum illustriert eine Rassismusrelevanz, da „die Lehrerin einfach den einzigen Schwarzen Schüler“ im Setting eines Sitzkreises, also im Plenum, rassifiziert und daraufhin adressiert. Ein weiteres auffälliges Merkmal dieser Erzählung ist der Einbezug machttheoretischer Perspektiven: S24 adressiert die unterschiedliche Positioniertheit der Beteiligten durch das Rahmen der Lehrperson als „eine alte weiße Frau“, möglicherweise als Analogie zum ‚alten weißen Mann‘, die dem „einzigen Schwarzen Schüler“ gegenübergestellt wird. Laut der Erzählung tritt S24 im Anschluss an den Unterricht aus der beobachtenden Rolle heraus und greift ein, indem S24 die Lehrperson mit der Kritik konfrontiert. Dadurch legt S24 ein strategisches Vorgehen offen, das die eigene berufliche Zukunft nicht gefährden soll. Hier zeigt sich ein Bewusstsein für und Erfahrung mit negativen Konsequenzen für diejenigen, die auf Rassismus hinweisen (vgl. Kapitel 2 zu sekundären Rassismuserfahrungen), und für Hierarchien im Lehramtsausbildungs- und Schulsystem. Die Analyse des Diskursverlaufs nach P RZYBORSKI (2004) verdeutlicht einen weiteren Kontrast zwischen den beiden Erzählungen: S24 trägt eine Rassismuskritik im Modus der Erzählung in einem parallelen Diskursverlauf vor, indem „gemeinsame Orientierungen auf der Basis gemeinsamer, im Sinne homologer, Erfahrungen [arti- 68 Natalie Güllü, David Gerlach DOI 10.24053/ FLuL-2025-0027 54 • Heft 2 kuliert werden]“ (ebd.: 96). S23 und S22 stimmen S24 nicht nur wiederholt zu, S22 teilt mit „Alter, was? “ die Empörung und drückt durch die Reformulierung „Oh nein, was soll der denn sagen? “ (S22) eine gemeinsame Orientierung bezüglich der Aussage „Ja, was soll der Arme machen? “ (S24) aus. Zu T1 formuliert S6 an verschiedenen Stellen zumindest vorsichtig, teilweise unsicher, Rassismuskritik am Material sowie an Aussagen der anderen TN. Neben differenzierend und divergent positioniert sich S6 auch antithetisch zu Orientierungen anderer. Gemeinsame Orientierungen manifestieren sich jedoch dahingehend, dass es stets zu einer Synthese der sich widersprechenden Positionen kommt, weshalb der Diskursverlauf daher als antithetisch beschrieben werden kann (ebd.: 168). Die kurze Erzählung dient S6 als Exemplifizierung der Proposition, dass Benennungspraxen „heutzutage“ Schwierigkeiten bereiten, und mündet in der Konklusion, dass eine gewisse gesellschaftliche Normalität rassistischer Benennungspraxen besteht. Die hier rekonstruierte Spannung manifestiert sich gleichzeitig im Gesprächsverlauf, da S5, S6 und S7 rassistische Sprache reproduzieren, obwohl S6 eine Norm expliziert, die das verbietet („ähm weil/ also [Ind***er] 7 soll man ja nicht mehr sagen“) und Narrative wiederholt infrage stellt (u.a. „Aber das is/ das ist die Frage so: Ist es wirklich so? Weil das habe ich mich gerade gefragt. [...] Oder haben wir nur dieses Bild“). Letztendlich zeigen sich innerhalb der beiden Gruppen gemeinsame Orientierungen, zwischen den Gruppen in Bezug auf Rassismus und dessen Kritik eher unterschiedliche Orientierungen. 5. Zusammenfassende Diskussion In den Gruppendiskussionen dokumentiert sich Ungewissheit, welche professionstheoretisch gewendet in der Auseinandersetzung mit der Thematik zunimmt, zu impliziten Reflexionen und damit potenziell zu Professionalisierung führt (B OHNSACK 2020). Ein deutlicher Unterschied ist zwischen den Äußerungen zur Aufgabenkonstruktion zu Beginn festzustellen, welche inhaltlich-beschreibend und wenig lernendenorientiert erfolgt, während in den Post-Diskussionen stärker von den möglichen Aushandlungsprozessen der Lernenden aus argumentiert wird. Im T1-Gespräch wird das Material zum Anlass genommen, Rassismuskritik vage zu formulieren, jedoch evoziert es auch die Reproduktion rassistischer Sprache und Wissensbestände (A RNDT / O FUATEY -A LAZARD 2021; T ERKESSIDIS 2010). Es zeigt sich auch in anderen T1-Gruppen sowohl Ungewissheit darüber, wie und ob man rassismusrelevante Themen besprechen und auf Rassismus hinweisen sollte, als auch darüber, was Rassismus überhaupt ist: „Ja, dass das rassistische Äußerungen sein können, [...] je nachdem wie die Leute das auffassen.“ (t1gr2) Es zeigt sich ein nur wenig ausgeprägtes rassismuskritisches Wissen. Im T2-Setting, in dem sich ein stärkeres rassismuskritisches Bewusstsein der TN zeigt, stellen sie zwar positive Aspekte am Material heraus, gelangen aber im Verlauf der Diskussionen wiederholt zu einer rassismus- 7 Durch die Autor: innen des Beitrags im Material unkenntlich gemacht (s.o.). Wie sprechen … Englischlehrer: innen über (potenziell problematische) Unterrichtsinhalte? 69 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0027 kritischen Perspektivierung, weil weitere Faktoren des Unterrichtsgeschehens wie die Lehrperson und die Lernenden dazu herangezogen werden. Dadurch geht die Rassismuskritik über den vorliegenden Gegenstand (das Material) weit hinaus, evoziert aber (neue) Ungewissheit bezüglich eines angemessenen rassismuskritischen Umgangs mit Lehrmaterialien. Um die Ergebnisse einzugrenzen, sei darauf hingewiesen, dass die Kontraste zwischen beiden Erzählungen und zwischen T1 und T2 nicht bedeuten müssen, dass es sich beim Seminar um eine gelungene Intervention handelt, da eine Kausalität mit den verwendeten Instrumenten und Methoden nicht bewiesen werden kann. Das explizite rassismuskritische Wissen, das die TN zum zweiten Zeitpunkt mehr zeigen, können sie an anderer Stelle erworben haben. Auch möglich wäre, dass einzelne TN dieses schon zu T1 zur Verfügung hatten, jedoch noch nicht wussten, ob der Rahmen sicher und angemessen ist, dieses Wissen zu teilen - sprich explizit Rassismuskritik zu äußern -, da sie sekundäre Rassismuserfahrungen befürchten müssen (Ç IÇEK / H EINE - MANN / M ECHERIL 2014). Durch die Analyse der Erzählungen und der Diskursstruktur zeigt sich nämlich, dass die Dynamik der Gruppendiskussion den Erzählfluss auch bei rassismusrelevanten Themen beeinflusst und möglicherweise spontane Gruppenzusammensetzungen das Äußern von Rassismuskritik fördern oder behindern können. Der parallele Diskursverlauf der T2-Erzählung und die darin ausgedrückten gemeinsamen Orientierungen der TN könnten ein Hinweis darauf sein, dass es in diesem Gespräch für S24 möglich ist, persönlich und emotional zu erzählen. Auch die Erfahrungen im Seminar als einen safer space in mehrheitlich weißen Räumen wie der Universität können möglicherweise das offenere und vor allem persönlichere Sprechen zum späteren Zeitpunkt begünstigt haben. 6. Implikationen Aus diesen Erkenntnissen lassen sich vorsichtig Implikationen für universitäre rassismusbzw. machtkritische Interventionen ableiten: Das Sprechen über Rassismus unter (freiwilligem! ) Einbezug eigener Erfahrungen (von Betroffenen und Nichtbetroffenen) und Raum für emotional response können den Studierenden (und Dozierenden) in Kombination mit der entsprechenden Fachsprache aus dem Feld der Rassismuskritik dabei helfen, Ungewissheit auszuhalten bzw. produktiv zu nutzen. So wäre Rassismuskritik auf struktureller Ebene möglich - ohne sie dabei zu versachlichen und das eigene Selbst aus der Thematik auszuklammern. Denn bei der Implementierung kritischer Gegenstände muss vor allem auch die Rolle von Lehrerbildner: innen reflektiert werden (B ANEGAS / G ERLACH 2021), die sowohl in der Verantwortung stehen, die entsprechenden Rahmenbedingungen durch Auswahl der Gegenstände und machtkritischer Moderation zu schaffen, als auch die eigene Positioniertheit, Verstrickung und Ungewissheit transparent zu machen (ebd.; G ÜLLÜ 2024; G ÜLLÜ 2025a). Wir fordern dazu auf, Lehrer: innenbildung und -fortbildung radikal neu zu denken - insbesondere im Hinblick auf die Erkenntnisse aus Forschung zum 70 Natalie Güllü, David Gerlach DOI 10.24053/ FLuL-2025-0027 54 • Heft 2 Entwicklungspotenzial von Identität(en) und dem auf Praxis stabilisierend wirkenden Habitus sowie zur Diskrepanz zwischen explizitem und implizitem (auch rassismusrelevantem) Wissen (z.B. B ONNET / H ERICKS 2020; G ERLACH 2022; G ÜLLÜ 2025b; L ÜKE 2024). Gerade im Kontext rassismusrelevanter Themen zeigt dieser Beitrag, dass Studierende im Versuch einer Kritik bestehende Rassismen (unbewusst) reproduzieren. Eine zukunftsgerichtete Lehrer: innenbildung muss daher gezielt solche Reproduktionen besprechbar machen und eine (selbst-)kritische Auseinandersetzung anstoßen, damit sich ein kritisches Bewusstsein überhaupt erst entwickeln kann. Dieses kritische Bewusstsein angehender Lehrpersonen ist unabdingbar für Transformation, besonders in konservativeren Institutionen wie der Schule. Literatur A RNDT , Susan / O FUATEY -A LAZARD , Nadja (Hrsg.) ( 4 2021): Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk. Münster: Unrast. B ANEGAS , Dario L. / G ERLACH , David (2021): „Critical language teacher education: A duoethnography of teacher educators’ identities and agency“. In: System 98, 102474. B OHNSACK , Ralf (2017): Praxeologische Wissenssoziologie. 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Drawing on critical pedagogy, critical literacy, and critical discourse analysis, the project aims to integrate social justice and sustainable development perspectives into Spanish language education. Employing a constructivist grounded theory approach, data were collected through interviews, field notes, and questionnaires from university seminars and teacher workshops. The analysis reveals a spectrum of attitudes, ranging from enthusiasm for critical approaches to concerns about institutional constraints and implementation challenges. The study contributes to understanding the challenges of implementing critical language teaching, offering insights into teacher attitudes, institutional factors, and the potential for transformative (Spanish) language education. 1. Einleitung Bereits vor 30 Jahren sprach F AIRCLOUGH (1992: 3) von einer „period of intense social change“, die eine kritische Dimension in der sprachlichen Bildung notwendig machte. Diese kritische Dimension sollte die Lernenden darauf aufmerksam machen, wie Macht durch Sprache ausgedrückt wird und welche Rolle Sprache in Beziehungen von Macht und Ungleichheit spielt. Der Anstieg extremistischer Tendenzen im politischen Spektrum, die zunehmende Polarisierung der Gesellschaft und die bestehenden sozialen Ungleichheiten verdeutlichen mehr denn je die Notwendigkeit, Schüler: innen dafür zu sensibilisieren, was durch Sprache gesagt und verschwiegen wird. Der Fremdsprachenunterricht, der unserer Ansicht nach ein zentraler und wichtiger Bestandteil von sprachlicher Bildung ist, kann und darf sich dieser Verantwortung * Korrespondenzadressen: Prof. Dr. Marta G ARCÍA G ARCÍA , Georg-August-Universität Göttingen, Seminar für Romanische Philologie, Humboldtallee 19, 37073 G ÖTTINGEN . Email: marta.garcia@phil.uni-goettingen.de Arbeitsbereiche: Konversationsanalyse, Spanisch als Herkunftssprache, Kritische Fremdsprachendidaktik Andrea B LANCO R ODRÍGUEZ , M.Ed., Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, Badensche Straße 52, 10825 B ERLIN . Email: andrea.blanco@hwr-berlin.de Arbeitsbereiche: Wirtschaftsspanisch, Kritische Fremdsprachendidaktik 74 Marta García García, Andrea Blanco Rodríguez DOI 10.24053/ FLuL-2025-0028 54 • Heft 2 nicht entziehen. In anderen Worten, ein Fremdsprachenunterricht, der sich ausschließlich mit der Vermittlung von Lexikogrammatik und mit der Förderung von kommunikativen Fertigkeiten beschäftigt, macht sich selbst irrelevant und bedeutungslos. Vielmehr ist ein Fremdsprachenunterricht „with an attitude“ (C OTS 2006: 336) vonnöten: Damit ist eine Perspektive gemeint, die berücksichtigt, dass Sprachgebrauch nie neutral oder unproblematisch ist, sondern soziale und ideologische Prozesse widerspiegelt, aber gleichzeitig eine Ressource darstellt, um auf diese Prozesse einzuwirken. Aus der Überzeugung heraus, dass man nicht als kritische Lehrkraft geboren wird, sondern man es wird, entstand das von der Europäischen Union kofinanzierte Erasmus+ Projekt CRITERION (Critical Spanish Language Teacher Education) 1 . Ziel des Projekts ist es, auf der Grundlage theoretischer und methodologischer Prinzipien der Kritischen Pädagogik (F REIRE 1965; G IROUX 1988), der Critical Literacy (F REIRE / M ACEDO 1987; L UKE / F REEBODY 1997) und der Kritischen Diskursforschung (C OTS 2006; F AIRCLOUGH 1992; VAN D IJK 2003) Möglichkeiten aufzuzeigen, wie im Spanischunterricht darüber nachgedacht werden kann, „was Sprachen mit den Menschen tun“ sowie „was Menschen mit Sprachen tun können“ (S CHREIBER / S IEGER 2016: 158). Eine solche Initiative ist in der Spanischdidaktik nicht neu. Insbesondere in den USA und im Rahmen der dortigen Studienprogramme für Spanisch als Herkunftssprache ist die Implementierung kritischer Ansätze bereits weit verbreitet (L OZA / B EAU - DRIE 2022). Im europäischen Kontext hingegen existieren überwiegend vor allem theoretisch-konzeptionelle Studien (A TIENZA / A ZNAR 2020), Materialanalysen (B ORI / B LOCK 2024) und teils implementierte didaktische Vorschläge (H OLGUÍN V ACA ET AL . 2024). Allerdings liegen bisher kaum empirisch fundierte Untersuchungen in diesem Bereich der Lehrkräfte(fort)bildung vor. Diesen empirischen Forschungsbedarf aufgreifend, stellt der vorliegende Beitrag die Ergebnisse der Erprobung der im CRITERION-Projekt entwickelten Materialien vor, die seit November 2023 in universitären Lehrveranstaltungen sowie in verschiedenen Workshops und Fortbildungsangeboten für Spanischlehrkräfte eingesetzt werden. Nachdem wir den Forschungsstand und die bestehende Forschungslücke im Bereich der Spanischdidaktik erläutern (2.), stellen wir den Kontext der Studie sowie die Methode zur Datenerhebung und -analyse vor (3.). In der Darstellung der Ergebnisse (4.) liegt der Fokus auf den Reaktionen und Wahrnehmungen der Teilnehmenden, insbesondere darauf, wie sie eine Kritischen Fremdsprachendidaktik verstehen und inwiefern sie sich in der Lage sehen, diese umzusetzen. Abschließend diskutieren wir die Ergebnisse und deren Implikationen für die (Fort-)Bildung von Spanischlehrkräften in Deutschland (5.). 1 Das Projekt wurde (teilweise) durch das ERASMUS+ Programm der Europäischen Union unter der Nr.: 2022-1-DE01-KA220-HED-000085767 gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung trägt allein der Verfasser; die Kommission haftet nicht für die weitere Verwendung der darin enthaltenen Angaben. Weitere Infos zum Projekt und dessen Zielen können unter www.criterion-ele.com nachgelesen werden. Ermächtigt oder machtlos? 75 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0028 2. Kritische Lehrkräfte(fort-)bildung - Stand der Forschung Unter kritischer Lehrkräfte(fort-)bildung verstehen wir den Prozess, bei dem (zukünftige) Lehrpersonen mit dem theoretischen Wissen und den praktischen Werkzeugen ausgestattet werden, um das soziale Bewusstsein ihrer Schüler: innen zu fördern, indem sie selbst befähigt werden, die möglichen versteckten Ideologien und verzerrten Darstellungen in Lehrbüchern und Unterrichtsmaterialien aufzudecken sowie die Gründe dafür zu hinterfragen. Darüber hinaus sollen die Lehrenden in die Lage versetzt werden, ihren Lernenden die Beziehung zwischen Sprache und Macht (J ANKS 1991) anhand spezifischer sprachlicher Merkmale zu verdeutlichen. Letztendlich geht es darum, dass Lehrkräfte „transformative intellectuals“ (G IROUX 1988) werden und ihre Schüler: innen dazu ermächtigen, das zu verändern, was sie als nicht gerecht empfinden (H AWKINS / N ORTON 2009; G RAY 2019). Dies mag zunächst sehr ambitioniert klingen, wir gehen aber wie P ENNYCOOK (2004: 335) davon aus, dass es bei einer kritischen Lehrkräftebildung weniger um die große soziale Transformation geht, sondern es vielmehr darauf ankommt, die Aufmerksamkeit der Lehrkräfte auf die kleinen Details („the smaller, unplanned micro moments when possibilities for critical reflection come and go“) zu richten. Während A BEDNIA (2012) noch eine „Scheidung“ zwischen Fremdsprachendidaktik und kritischen Ansätzen feststellte, können wir etwas mehr als ein Jahrzehnt später von einer ‚glücklichen Ehe‘ sprechen, denn der Begriff der Kritischen Fremdsprachendidaktik ist sowohl national als auch international en vogue (C ROOKES 2013; G ERLACH 2020; L ÓPEZ -G OPAR 2018). Dies spiegelt sich in einer kritischen Wende in der Lehrkräftebildung wider, die sich seit 2009 abzeichnet (H AWKINS / N ORTON 2009; G RAY 2019; H EIDT 2023; Q UAN 2021; S ELVI / K OCAMAN 2024). Eine der wichtigsten Arbeiten in diesem Bereich ist die bereits erwähnte Studie von A BEDNIA (2012) über die Auswirkungen einer universitären Lehrveranstaltung auf die berufliche Identität iranischer Englischlehramtsstudierender. Nach dem 14wöchigen universitären Seminar zur kritischen Englischdidaktik erlebten die Teilnehmenden eine Veränderung auf drei Dimensionen ihrer beruflichen Identität und zwar 1) von der Akzeptanz und (blinden) Befolgung der Regeln des Systems hin zur Suche nach beruflicher Autonomie; 2) vom Fehlen einer konkreten Motivation für das Unterrichten hin zum Wunsch, soziale Verbesserungen herbeizuführen; und schließlich 3) von der Fokussierung hauptsächlich sprachlicher Aspekte hin zu einer pädagogisch-transformierenden Vision des Englischunterrichts. Ebenfalls im iranischen Kontext und mit Bezug auf konkrete Veränderungen im Unterricht stellten K HATIB / M IRI (2016) in ihrer Fallstudie fest, dass eine Schulung in Kritischer Pädagogik zu Veränderungen in der Gestaltung der Unterrichtsinteraktion führt. Die während der Erhebung begleitete Lehrkraft setzte Strategien ein, die Raum für die jeweilige Initiative der Schüler: innen eröffneten und es ermöglichten, dass die Schüler: innen ihre eigene Stimme zum Ausdruck bringen konnten (K HATIB / M IRI 2016: 125). Die Studie untermauert die Auffassung, dass eine Kritische Fremdsprachendidaktik nicht primär durch die behandelten Themen definiert wird, sondern 76 Marta García García, Andrea Blanco Rodríguez DOI 10.24053/ FLuL-2025-0028 54 • Heft 2 durch die Gestaltung der Interaktion (B ONNET / H ERICKS 2020: 165) und die „attitude“ (P ENNYCOOK 1999: 340) der Lehrkraft. Diese betrachtet die Lernenden als kompetente Akteur: innen und tritt mit ihnen auf Augenhöhe in einen dialogischen Austausch. Ebenso wichtig wie das Wissen um die positiven Effekte einer Maßnahme zur kritischen Lehrkräftebildung ist es, die Ursachen für den mangelnden Erfolg einer solchen Maßnahme zu kennen. Die Studie von S HARMA / P HYAK (2017) in Nepal bietet hierzu einige Anhaltspunkte. Die Autoren führten eine Fortbildung für Englischlehrkräfte in einem zweistufigen Verfahren (Workshop und Entwicklung eines Unterrichtsentwurfs) durch. In einem anschließenden Gespräch berichteten die Lehrkräfte, dass sie nach dem Workshop dazu tendierten, soziale Themen explizit im Unterricht zu behandeln, während sie zuvor eher ausschließlich auf die Vermittlung von Grammatik und kommunikativen Sprechabsichten fokussiert waren. Diese Veränderung bedeutet „the persistent negotiation of the ongoing tensions between the dominant ideology (the communicative approach to teaching) and CP [critical pedagogy]“ und erfordert, sich einem Bildungssystem wie dem Nepalesischen zu widersetzen, das auf Testen und nicht auf soziale Transformation ausgerichtet ist (S HARMA / P HYAK 2017: 229). L ÜKE (2024) zeigt ihrerseits auf, dass die Situation in Deutschland der in Nepal näher ist, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Ihre Studie beschäftigt sich mit der Fragestellung, wie die Orientierungen und impliziten Wissensbestände von Englischlehrpersonen die Implementierung einer Kritischen Fremdsprachendidaktik ermöglichen oder erschweren. Die Autorin kommt zu dem Ergebnis, dass ein in der Studie ermittelter spezifischer Lehrkräftetyp sich durch eine offene Unterrichtsstruktur mit Lebensweltbezug, die Einbeziehung der Interessen der Lernenden sowie das Aushandeln von Inhalten und Regeln auszeichnet, wodurch die Umsetzung einer Kritischen Fremdsprachendidaktik „eher denkbar“ wird (L ÜKE 2024: 242). Andere Lehrkräfte hingegen, ähnlich den nepalesischen, erleben die Erfüllung der institutionellen Vorgaben - mit ihrem starken Fokus auf der Leistungsüberprüfung - als Druck und Pflicht. Diese Lehrpersonen machen durch eine „unterrichtliche Durchprozessierung“ „die Umsetzung einer KFSD [Kritischen Fremdsprachendidaktik] fast unmöglich“ (ebd.). Wie dieser kurze Überblick über den Forschungsstand deutlich gemacht hat, sind neben den Interventionsstudien, welche die Auswirkungen einer bestimmten Fortbildungsmaßnahme untersuchen, mehr Studien notwendig, die sich auf die Faktoren fokussieren, die zum Erfolg oder Misserfolg jener Fortbildungen beitragen. In diesem Sinne und mit dem Ziel, die laufende Diskussion über eine kritische Lehrkräftebildung zu erweitern, interessiert uns, wie (angehende) Lehrkräfte eine Kritische Fremdsprachendidaktik wahrnehmen und bewerten, welche Möglichkeiten und Herausforderungen sie in der Implementierung sehen und welche internen Konflikte sie dabei erleben. Ermächtigt oder machtlos? 77 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0028 3. Forschungskontext und Methode 3.1 Kontext der Datenerhebung Im Rahmen des CRITERION-Projekts wird eine Reihe von Materialien für eine Kritische Fremdsprachendidaktik im Sinne der Ausführungen von Kap. 1 und Kap. 2 entwickelt. Neben einem Glossar und sechs Online-Modulen mit Unterrichtsvideos bildet das e-Handbook den dritten Projektbaustein. Dieser enthält sowohl Unterrichtsreihen für den Spanischunterricht als auch Reflexionsaktivitäten und Aufgaben zur Lehrwerksanalyse, die für die Aus- und Fortbildung von Lehramtsstudierenden und Lehrkräften konzipiert wurden. Konkret werden in diesen Reflexionsmaterialien Möglichkeiten aufgezeigt, drei Themenfelder (De-Kolonialität, Feminismus, Umwelt und Nachhaltigkeit) aus einer kritischen (i.S.v. machtkritischen) Perspektive zu betrachten und diese im Spanischunterricht für untere Sprachniveaus (A1 bis B1 nach dem GER) einzusetzen. Diese Materialien werden seit November 2023 in universitären Spanisch-Lehrveranstaltungen und in verschiedenen Workshops durch die Projektmitglieder fortlaufend erprobt und evaluiert. Für den vorliegenden Beitrag wurden die Daten aus den folgenden Veranstaltungen herangezogen: - ein Masterseminar zu Didaktik des Spanischen an einer niedersächsischen Universität (WiSe 23/ 24) - ein Präsenzworkshop für niedersächsische Spanischlehrkräfte (November 2023) - ein Online-Workshop für niedersächsische Spanischlehrkräfte (Januar 2024) - ein dreiteiliges Fortbildungsmodul (Workshop, Durchführung einer Unterrichtsstunde, Reflexion in der Gruppe) für Spanischlehrkräfte aus Berlin-Brandenburg (Oktober-November 2024) 2 Diese Formate ermöglichen bereits aufgrund ihrer ungleichen Dauer und der heterogenen Zusammensetzung der Teilnehmenden eine sehr unterschiedliche Auseinandersetzung mit der Thematik. Im Masterseminar wurde zu Beginn mit theoretischen Texten gearbeitet, um die Prinzipien und Methoden der Kritischen Pädagogik (B ORI 2022; P ORTO 2022), Critical Literacy (B ROWN / S AVIC 2023) und Kritischen Diskursforschung (C OTS 2006; M ORALES V IDAL / C ASSANY 2020; W ALLACE 2020) kennenzulernen. Danach wurden Beispiele aus der fachdidaktischen Literatur sowie aus dem CRITERION-Projekt, die auf diesen Ansätzen basieren, besprochen und analysiert. Im letzten Drittel des Seminars haben die Studierenden eigenständig Unterrichtsvorschläge entwickelt. Die Lehrkräfteworkshops hatten einen kürzeren Umfang und variierten zwischen drei und sechs (Online-)Präsenzstunden, teilweise mit einer asynchronen Arbeitsphase. Hier beschränkte sich die theoretische Einführung auf wenige Minuten, in denen der Unterschied zwischen kritischem Denken (P AUL / E LDER 2005), als eine grundsätzlich apolitische Ausrichtung, die sich vor allem mit Aspekten 2 Vertreten waren vor allem Gymnasien, manche davon UNESCO-Schulen, aber auch - vereinzelt - integrierte Gesamtschulen. 78 Marta García García, Andrea Blanco Rodríguez DOI 10.24053/ FLuL-2025-0028 54 • Heft 2 bezüglich Logik, Argumentation, Inferenzen und Fehlschlüssen beschäftigt, und den o.g. kritischen Ansätzen, mit ihrem Fokus auf Transformation und sozialer Gerechtigkeit, thematisiert wurde. Anhand von Bildern und Texten aus Lehrwerkslektionen, die das Thema der Eroberung Amerikas, des sogenannten Fair-Trade und des Feminismus behandeln, wurden Strategien und Methoden vorgestellt, wie die Lernenden auf die stillschweigenden Annahmen der Texte, häufig diskriminierender Natur, aufmerksam gemacht werden können, um so bei ihnen Bewusstsein für soziale (Un-)Gerechtigkeit zu wecken. Im Anschluss wurden die teilnehmenden Lehrkräfte dazu eingeladen, Rückmeldungen zu geben und zu beurteilen, inwiefern sie diese Verfahren für ihre jeweiligen Schul- und Unterrichtskontexte als praktikabel einstufen. Nach allen Veranstaltungen wurden zudem Evaluationsfragebögen verteilt sowie anhand der im Rahmen der teilnehmenden Beobachtung mitgeschriebenen Feldnotizen Beobachtungsprotokolle angefertigt, in denen vor allem die verbalisierten Reaktionen der Teilnehmenden auf die vorgestellten Aktivitäten festgehalten wurden. Zusätzlich wurden im Anschluss, nach Einholung der Einverständnisse, Interviews mit sechs Teilnehmenden durch die Zweitautorin durchgeführt. Entstanden sind auf diese Weise sechs halbstrukturierte Interviews mit angehenden und erfahrenen Spanischlehrkräften 3 (INT 1-6) sowie vier Feldprotokolle, (FP 1-4) drei schriftliche Reflexionen nach der Durchführung einer Unterrichtsstunde (REF 1-3) und 37 Feedbackbögen (FB 1-37), in denen die Reaktionen der Teilnehmenden auf das Fortbildungsangebot sowie ihre Sichtweisen auf die Herausforderungen eines kritischen Fremdsprachenunterrichts erfasst wurden. 3.2 Datenanalyse Die Datenauswertung orientiert sich am Ansatz der konstruktivistischen Grounded Theory (C HARMAZ 2014). In einem iterativen Prozess des Lesens und Wiederlesens der Daten haben wir zunächst die Segmente identifiziert, in denen die Teilnehmenden ihr Verständnis und ihre Wahrnehmung einer Kritischen Fremdsprachendidaktik zum Ausdruck brachten. Darauf folgte ein doppeltes, induktives Verfahren von offenem und fokussiertem Kodieren: Die vorläufigen, in-vivo Codes wurden im Rahmen von regelmäßigen Treffen der Autorinnen diskutiert und ausdifferenziert. Dabei wurde nach der Methode des permanenten Vergleichs auf Kontraste und Spannungen in den geäußerten Perspektiven geachtet. Schließlich wurden die Codes zu Konzepten und Kategorien in Auseinandersetzung mit dem theoretischen Rahmen zusammengeführt. Die Darstellung der Ergebnisse orientiert sich entlang der in den Daten festgestellten drei Hauptkategorien: 1) Was wird als Kritische Fremdsprachendidaktik verstanden? ; 2) Was ermöglicht oder verhindert die Umsetzung? ; 3) Was ist ihr Potenzial? 3 Die Interviews mit den Studierenden wurden von der Zweitautorin durchgeführt und fanden nach Bekanntgabe der Modulnote statt. Ermächtigt oder machtlos? 79 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0028 4. Ergebnisse Alle Teilnehmenden waren sich einig, dass die Einführung einer kritischen Perspektive im Spanischunterricht „absolut notwendig“ (FB7), „mehr als wichtig“ (INT5) und „essenziell für das Leben“ (FP1) sei. Gleichermaßen teilen die Lehrkräfte die Auffassung, dass der kritische Unterricht nicht nur Sache der Fremdsprachen ist, sondern alle Fächer betrifft und als Querschnittsaufgabe der Schule gesehen werden muss. Aber während sich alle Aussagen in Bezug auf die Wichtigkeit gleichen, ergeben sich Unterschiede in der Definition dessen, was die Arbeit mit einer kritischen Perspektive ausmacht. 4.1 Was ist eine Kritische Fremdsprachendidaktik? In den Interviews sowie in den Gesprächen während der Seminare und Workshops wurden die Teilnehmenden nicht nach einer spezifischen Definition von Kritischer Fremdsprachendidaktik gefragt, um das Gefühl einer Wissensabfrage zu vermeiden. Doch anhand indirekter Äußerungen - etwa bei der Beschreibung von Unterrichtszielen oder der Erläuterung konkreter didaktischer Aufgaben - ließ sich ihr Verständnis von kritischem Unterrichten ableiten. Eine Studentin 4 bringt wie folgt auf den Punkt, was für sie den Kern ihres Unterrichtsvorschlags ausmacht: „Ich würde den Schwerpunkt eher auf die Meinungsbildung als auf das Endprodukt legen. Es wäre interessant, sie aufzufordern, ein Argument oder eine Diskussion zu kommentieren und die Quellen zu erläutern“ (INT1). Diese Assoziation von kritisch mit kritischem Denken, insbesondere im Sinne von Urteilsbildung und einer logischen, rationalen Fähigkeit, zeigt sich in den Daten an vielen Stellen. So wird die Notwendigkeit von Verfahren, die zur Bildung der eigenen Meinung und der Urteilsfähigkeit dienen sollen („Ich würde sie [die Schüler: innen] nicht bitten, mir schnell ihre Meinung zu sagen, sondern ihnen Zeit lassen“), darin begründet, dass wir in einer „opinionated world voller Fake News“ (INT2) leben, in der es „eine Vielzahl von Meinungen im Internet [gibt], und diese massive Verfügbarkeit von Informationen […] ein Kriterium [erfordert], um sie zu bewerten“ (FB1). In einem zweiten Strang wird kritisch mit einer offenen und toleranten Haltung assoziiert, „die den Horizont erweitert“ (INT4), „die Vielfalt der Perspektiven“ sowie „die Tatsache, dass es keine absolute Wahrheit gibt“ (FB3, INT3) erkennt, und im Einklang mit den Werten einer demokratischen Gesellschaft steht. In diesen Aussagen finden sich viele Ideen wieder, die kritisch mit der Förderung des „Dialogs in einer zunehmend vielfältigen Gesellschaft“ sowie der „Interkulturalität, von der im Kerncurriculum die Rede ist“ (INT7) in Verbindung bringen. Schließlich verbinden einige wenige Teilnehmende kritisch mit Ansätzen, die über das reine Leseverstehen hinausgehen („zwischen den Zeilen lesen“ (FB8), und nicht 4 Da die Studierenden fast ausschließlich Frauen waren, benutzen wir hier die weibliche Form stellvertretend für alle Geschlechter. 80 Marta García García, Andrea Blanco Rodríguez DOI 10.24053/ FLuL-2025-0028 54 • Heft 2 „alles [was in den Lehrwerken steht] als selbstverständlich hinnehmen, sich dazu Fragen stellen können“, „Begriffe wie Solidarität oder Nachhaltigkeit neu definieren“ (FB1)), Gerechtigkeitsaspekte berücksichtigen und die Norm bzw. „klassische Lebensmodelle“ hinterfragen: Für mich ist es wichtig, die soziale Perspektive einzubeziehen. Das wollte ich am Anfang sagen, dass es nur sinnvoll ist, wenn wir auch die Machtverhältnisse mit einbeziehen. (INT5) Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Verständnis von Kritischer Fremdsprachendidaktik, das sich aus den Daten herauskristallisiert, insgesamt viel näher an der Position des kritischen Denkens liegt als an der der Kritischen Pädagogik oder der Critical Literacy. Tatsächlich ist kritisches Denken der einzige theoretische Ansatz, der von den Teilnehmenden erwähnt wird. Aspekte wie Analysieren, Argumentieren, das Suchen und Identifizieren von Quellen, das Entlarven von Fake News sowie Toleranz, Relativierung und Anti-Dogmatismus, werden wiederholt genannt. Demgegenüber kommen Aspekte wie die Infragestellung von Machtungleichheiten, die Aufdeckung sozialer Ungerechtigkeit und die Rolle, die Sprache dabei spielt, obwohl sie inhaltlicher Teil des Workshops und des Seminars waren, deutlich seltener auf. 4.2 Kritischer Spanischunterricht? Ja, aber bitte nicht überfrachten! So positiv die Kritische Fremdsprachendidaktik affirmiert wird, so vielfältig sind die Grenzen, Probleme und Schwierigkeiten, die die Teilnehmenden bei der praktischen Umsetzung eines - wie auch immer vor dem Hintergrund der vermittelten Konzepte verstandenen - kritischen Ansatzes im Spanischunterricht vorfinden oder sich vorstellen. Dieses Spannungsverhältnis zwischen der Notwendigkeit und dem Wunsch der Lehrkräfte, kritisch zu unterrichten, und einer „Realität“, die „ganz anders aus- [sieht]“ 5 , ist allgegenwärtig in den Daten. Vor allem die praktizierenden Lehrkräfte sind der Meinung, dass der Spanischunterricht „überfrachtet“ 6 ist und kaum Zeit für mehr als die Entwicklung minimaler kommunikativer Kompetenzen bleibt. Die Erfüllung der curricularen Vorgaben scheint herausfordernd genug zu sein: Kritische Perspektiven, Nachhaltigkeit und co. würden wir bestimmt gerne vermitteln, aber habt ihr euch mal die KCs [Kerncurricula] oder die existierenden Lehrwerke angesehen? Wisst ihr, was das Ministerium und die Verlage meinen, was man in einem Schuljahr schaffen könnte? Das alles bei einem extrem kurzen Schuljahr und bei trotzdem vier Klassenarbeiten, die wir mindestens schreiben müssen? (Schriftliche Reaktion einer Lehrkraft auf die Einladung zum Workshop) Das zweite eben aufgeführte Zitat stellt ein extremes Beispiel für die Spannung und den inneren Konflikt dar, der zwischen dem besteht, was man „bestimmt gerne“ tun würde, und den äußeren Bedingungen, denen sich die Lehrkräfte ausgesetzt sehen und 5 Das Zitat stammt aus der schriftlichen Reaktion einer Lehrkraft auf die Einladung zum Workshop. 6 „Spanischunterricht nicht überfrachten! “ lautet der Titel des Meinungsartikels von S CHNEIDER - G IBSON (2023), der dafür plädiert, sich im Spanischunterricht nur den sprachlichen und kulturellen Inhalten zu widmen. Ermächtigt oder machtlos? 81 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0028 denen sie sich zum Teil machtlos gegenüber fühlen. Ein (von der Universität angebotener) Workshop zu Themen, für die im Alltag kein Raum besteht, erscheint dieser Lehrkraft als Zumutung und als Beispiel für eine realitätsferne Didaktik, die an der Universität vermittelt wird. Tatsächlich wurde von manchen Teilnehmerinnen eine Grenze zwischen der als theorielastig empfundenen Universität und der im realen Leben situierten Schule gezogen, zwei unterschiedliche Felder, deren Akteur: innen jeweils über unterschiedliche Expertisen und Kenntnisse verfügen: Ich bin keine Expertin für Linguistik, aber ich bin Expertin für das, was in meiner Klasse passiert, und meine Schüler: innen konnten diese kritischen Fragen nicht beantworten. (FP1) Auch die Verlage tragen in den Augen der Lehrkräfte dazu bei, dass die Implementierung einer Kritischen Fremdsprachendidaktik erschwert wird. Nicht nur, weil in den Lehrwerken die Progression sehr steil ist und von den Lehrenden „erwartet“ wird, „dass wir die Texte schnell abdecken“ (FP1); auch weil die komplexen Themen, wie die Eroberung Amerikas, zunächst in der Sek. I „vereinfacht dargestellt [werden] und in der Regel als Vorwand [dienen], um sich mit Vokabeln oder kontextbezogener Grammatik zu beschäftigen“, und danach „verlangen [die Verlage] ein kritisches Bewusstsein in der Oberstufe“ (FP4). Ein Aspekt, der insbesondere von den Studierenden hervorgehoben wird, ist das Schulsystem und seine Trägheit. So sagt eine Studentin, dass es für die Schüler: innen schwierig sei „den ‚Mindset‘, mit dem sie gelernt haben, d.h. sich nur darauf zu konzentrieren, was sprachlich richtig oder falsch ist, zu ändern“. Die Schüler: innen können sich diesen Dynamiken nicht entziehen, wie eine weitere Studentin ergänzt: „Die Lernenden sind es nicht gewohnt, sich Zeit zum Nachdenken zu nehmen, da sie immer schnell etwas sagen müssen, was sie wahrscheinlich auswendig gelernt haben, ohne es wirklich zu verstehen“. Darüber hinaus wird „etwas in Frage [zu] stellen“ als negativ angesehen (INT4). Des Weiteren stellt das allgemeine Bildungsniveau der Schüler: innen eine zusätzliche Hürde dar. Die Lehrkräfte und die Studierenden sehen die Schüler: innen nicht in der Lage, über bestimmte „komplexe Themen wie Nachhaltigkeit“ oder „die Frage der Dekolonisierung“ zu reflektieren, weil ihnen die erforderlichen (thematischen, sachlichen) Kenntnisse fehlen. Und ohne dieses Wissen können wir auch nicht kritisch arbeiten, weil es keine Grundlage gibt [...]. Am Ende komme ich immer zu dem Punkt, dass wir nur dann etwas dekonstruieren können, wenn wir die Konstruktion verstehen. (INT5) Generell besteht eine Diskrepanz in der Verantwortungszuschreibung: Während die Studierenden die Schule mitverantwortlich sehen, „weil in der Praxis dieses kulturelle Wissen nicht vermittelt wird“ (INT5), sind die praktizierenden Lehrkräfte eher der Meinung, dass die Schüler: innen erstens „keine Allgemeinbildung“ (FP1) besitzen und zweitens keine Motivation zeigen, sich diese Kenntnisse anzueignen. Diese desinteressierte, teilnahmslose Haltung ist für die Lehrkräfte extrem frustrierend und macht die kritische Diskussion im Unterricht nahezu unmöglich: 82 Marta García García, Andrea Blanco Rodríguez DOI 10.24053/ FLuL-2025-0028 54 • Heft 2 Sehr gute Ideen [im Workshop], aber meine Schüler wüssten nicht, wie sie diese Fragen beantworten sollten. Sie sagen höchstens „ja“ oder „nein“ und nicht einmal das. Sie können kaum einen vollständigen Satz formulieren, vergessen wir also, dass sie ihren Standpunkt erläutern. (FP1) Das letzte Zitat spricht ein weiteres Thema an, nämlich die Frage der Sprachkenntnisse. Ab welchem Spanischniveau und Alter die Umsetzung einer Kritische Fremdsprachendidaktik möglich ist, wird in den Daten kontrovers diskutiert. Die Lehrkräfte sind der Meinung, dass ein minimales Kommunikationsniveau, das dem B1 entspricht, erforderlich ist. Nach dem Workshop erkennen sie jedoch, dass sich ihnen neue Perspektiven eröffnet haben: „Der Workshop hat mir die Möglichkeit gegeben, darüber nachzudenken, wie ich es auf einer niedrigeren Ebene umsetzen kann“ (FP2). Für manche Studierenden ist es im Gegensatz denkbar - und notwendig - früher zu beginnen: Wir können bereits in A1 beginnen, weil wir beispielsweise fragen können, was das für eine Art von Text ist, und die Schüler: innen haben solche Kenntnisse bereits von den anderen Fächern. (INT5) Andere hingegen sind der Ansicht, dass eine Kritische Fremdsprachendidaktik hauptsächlich ab der Pubertät möglich sei („sonst wäre es zu früh“, INT1), was jedoch auch das Risiko birgt, „eine Meinung zu äußern, die vielleicht nicht die der Peer-Group oder die beliebteste ist“ (INT3). Wartet man, bis die Schüler: innen „reif für kritisches Denken“ (FP2) sind, kann das zum einen viel zu spät sein („In der Sekundarstufe I, in der Spracherwerbsphase, geht man nie in die Tiefe, weil einem die sprachlichen Mittel fehlen, um sich ausdrücken zu können; aber in der Oberstufe ist man dann plötzlich überfordert, seine eigene Meinung einzubringen“; FP2). Zum anderen hat es den Nachteil, dass die Diskrepanz zwischen den nur ansatzweise vorhandenen sprachlichen Ressourcen und dem kognitiven Niveau der Lernenden immer größer wird. Dies ist letztlich das Dilemma, vor dem alle praktizierenden Lehrkräfte stehen: Unsere Schülerschaft ist im Bereich Klimaschutz sehr engagiert. Und das Thema [Plastik und Umwelt] haben sie bereits in Bio, in Politik, in Deutsch behandelt. Wenn das Thema im Spanischunterricht vorkommt, sagen sie nur „oh no, und jetzt auf Spanisch! “. Das Thema ist nicht mehr attraktiv für sie und darüber hinaus fühlen sie sich frustriert, weil sie sich auf Spanisch nicht ausdrücken können, wie sie möchten. (FP1) Translanguaging-Praktiken wie „gegebenenfalls Phasen auf Deutsch durchführen“ werden zum Teil als „in Ordnung“ empfunden und „mittlerweile besser akzeptiert“ (REF2), zum Teil aber auch als Misserfolg gesehen: Der Ansatz [des Workshops] ist interessant, aber die Aktivitäten tragen nicht wirklich dazu bei, dass sie [die Schüler: innen] Spanisch auf niedrigem Niveau üben. Jede Idee, die sie äußern möchten, ist zu komplex für das Niveau, das sie haben. Sie werden frustriert sein und anfangen, auf Deutsch zu sprechen. (FB9) Schließlich sind Studierende der Meinung, dass „sie [die Lehrkräfte] das kritische nicht als wichtig erachten“ und glauben, dass „es besser […] für Fächer [geeignet sei], in denen man sprechen kann“ bzw. alles „in die Oberstufe oder in einen Leistungskurs Ermächtigt oder machtlos? 83 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0028 [verlegen]“. Einige Kritikpunkte stimmen mit den eigenen Aussagen der Lehrkräfte überein, wie z.B. das Problem der Zeit: „Die meisten werden sagen: Es ist wichtig, aber... wir haben keine Zeit, es gibt zu viel zu tun, ich weiß nicht wie. Wenn wir schon mit dem Programm feststecken, wie sollen wir dann noch etwas Zusätzliches tun? “ (INT4). Die Studierenden gehen sogar noch weiter und zweifeln an der Kompetenz der Lehrkräfte, die nicht „dafür trainiert wurden“ und „nicht wissen, wie sie die Schüler dazu bringen können, sich Fragen zu stellen“ (INT5). 4.3 Potenziale einer Kritischen Fremdsprachendidaktik Aber nicht nur Probleme, Dilemmata und Herausforderungen kamen in den Daten zum Ausdruck. Wenn die Teilnehmenden gefragt wurden, was sie aus dem Seminar oder von der Fortbildung mitgenommen haben, wurden durchaus auch viele positive Aspekte genannt. Besonders das Verfahren der ‚kritischen Fragen‘ (M C L AUGHLIN / D E V OOGD 2004: 53) schien für viele Teilnehmerinnen neue Wege zu eröffnen, Texte oder Bilder auf einem niedrigen sprachlichen Anforderungsniveau zu hinterfragen, anstatt sie lediglich zu beschreiben oder ausschließlich Inhaltsfragen zu beantworten. Wie eine Studentin anmerkte, Wir können immer Fragen mit kritischem Potenzial einbeziehen. Zum Beispiel: Was sieht man auf dem Bild, was sieht man nicht? Und schon haben wir eine kritische Frage, oder? Und es ist nicht etwas sehr anderes [als das, was normalerweise gemacht wird]. (INT5) Ein konkretes Beispiel aus den Workshop-Materialien bestand darin, beim Satz „In Europa gibt es mehr als 3000 Fair Trade Läden“ 7 zu hinterfragen, ob dort „mehr als“ als positiv oder negativ gemeint war. In einem zweiten Schritt wurde diese Zahl mit der Gesamtzahl der Läden in Europa (weit über drei Millionen) verglichen. Solche Methoden werden zwar zum Teil als „zu philosophisch“ (FP1) sowie sehr „kognitiv“ (FP2) wahrgenommen, bieten aber auch großes Potenzial, weil sie dazu anregen, bisher unhinterfragte Formulierungen oder Inhalte in Unterrichtsmaterialien „nicht mehr einfach hin[zu]nehmen“ (FB8). Dies gilt auch für den Einsatz von Bildern, wie eine Teilnehmerin anmerkte: Es gibt so viele Bilder, die in den Lehrwerken immer wieder gezeigt werden, und man erkennt nicht, was sie alles bedeuten. Wir neigen dazu, sie als Dekoration zu betrachten, aber es steckt so viel Potenzial darin […], anhand dieser Bilder zu sehen und darüber nachzudenken. (FP1) Wichtig scheint dabei zu sein, den Stoff nicht mehr - wie bisher - schnell der Reihe nach zu behandeln, sondern „zu entschleunigen und innezuhalten, um sich Fragen zu stellen“ (REF1) sowie die Texte [in den Lehrwerken] genauer zu betrachten und die vermeintlich harmlosen Aspekte zu identifizieren, die meine Schüler erkennen sollen und die ich als Lehrerin vorher auch nicht gesehen habe. (FP1) 7 Der Satz stammt aus einem Text eines Spanischlehrwerkes. 84 Marta García García, Andrea Blanco Rodríguez DOI 10.24053/ FLuL-2025-0028 54 • Heft 2 Die Lehrkräfte beabsichtigen zudem, den Fragen im Unterricht „eine kritischere Note zu verleihen“ (FB8), um einen „neugierigen und entnormalisierenden“ (REF3) Blick zu fördern. Dieser Ansatz wird als ein langfristiger „Prozess“ verstanden, der Zeit erfordert, bis die Lernenden „sich auf diese[r] Metaebene öffnen und lernen zu beobachten und zu suchen, was hinter [der Oberfläche] steckt“ (FP1). Darüber hinaus entdeckten die Teilnehmenden des Seminars und der Fortbildungen eine befreiende Herangehensweise im Umgang mit Lehrbüchern. Für die Studierenden war es eine wichtige Erkenntnis, dass die Lehrwerksmaterialien „auch schlecht sind“ und dass man sie „adaptieren soll“, etwas, was sie „gerne tun“ würden (INT2, INT3). Für die praktizierenden Lehrkräfte war es ein bedeutender Impuls zu erkennen, dass man mit den vorhandenen Lehrwerken arbeiten kann, „indem man sie hinterfragt“, und dass es keine Notwendigkeit gibt, ständig neue Materialien zu entwickeln: […] eine der Möglichkeiten ist die Kreativität, die man als Lehrer hat, die es einem erlaubt, ein bisschen über das hinauszugehen, was etabliert ist. Und das liebe ich. (INT6) Das allgemeine Feedback der Teilnehmenden hebt hervor, dass „diese Art des Unterrichts sehr inspirierend“ (REF2) ist, sowohl für „uns Lehrkräfte, die solche Inputs brauchen, um unserem Unterricht weiterhin ein Interesse über das reine sprachliche hinaus zu verleihen“ (FB8) als auch für die Schüler: innen. Denn auf diese Weise werden „Themen berührt, die für den Fremdsprachenunterricht a priori nicht so wichtig sind, die aber meiner Meinung nach auch für die Schüler sehr wichtig sind“. In diesem Sinne hat der so durchgeführte Unterricht die eigenen „Erwartungen übertroffen“ (REF1). 5. Diskussion und Implikationen für eine kritische Fremdsprachenlehrer: innenbildung Im Einklang mit den Postulaten der Critical Literacy, der Kritischen Pädagogik und der Kritischen Diskursforschung verstehen wir im Projekt CRITERION eine kritische Fremdsprachenlehrkräfte(fort-)bildung als einen Weg, (zukünftige) Lehrende dazu zu befähigen, die Sprache über eine Mitteilungsebene hinaus zu vermitteln und den Unterricht um eine Perspektive zu ergänzen, die auf die Wechselwirkung von Sprache und Macht aufmerksam macht - auch in einer L2 - und dadurch den Lernenden zur Mitgestaltung der Texte, Bilder und Diskurse (in einem Wort, des unmittelbaren Umfelds) einlädt. Die Ergebnisse der Analyse zeigen ein spannungsgeladenes Gesamtbild, denn die Teilnehmenden an der Studie bewegen sich zwischen dem Wunsch und der Wirklichkeit: Lehramtsstudierende und Lehrkräfte halten einen kritischen Spanischunterricht zum einen für unbedingt notwendig, zum anderen sehen sie teilweise große Schwierigkeiten in der Umsetzung. Sie sind aber gleichzeitig der Meinung, dass ein solcher Unterricht für die Schüler: innen besonders wichtig und für die Lehrenden befreiend sein kann. Ermächtigt oder machtlos? 85 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0028 Während die Zustimmung zur Relevanz einer Kritischen Fremdsprachendidaktik eindeutig ist, gibt es unter den Teilnehmenden unterschiedliche konzeptuelle Vorstellungen davon, was es bedeutet, kritisch zu sein (L OULOUDI 2024). Die Mehrheit assoziiert damit die Fähigkeit, sich eine Meinung zu bilden und sich in der Informationsüberflutung zurechtzufinden, aber auch das Verborgene in den Texten, Bildern und Medien im Allgemeinen herauslesen zu können. Letzteres steht im Einklang mit der soziokulturellen Ausrichtung von Critical Literacy nach C ASSANY / C ASTELLÀ (2010: 362f.), bei der es darum geht, die den öffentlichen Diskursen zugrunde liegenden Interessen zu entdecken und zu verstehen. Die Vorstellung von kritisch als machtkritisch, im Sinne einer soziopolitischen Ausrichtung (ebd.), die das System in Frage stellt und um soziale Gerechtigkeit kämpft, wie wir das Seminar und die Fortbildungen konzipiert haben (vgl. Kap. 2 und Kap. 3), kam nur einzeln vor. Wie auch in früheren Studien festgestellt wurde (z.B. S HARMA / P HYAK 2017), erleben die Teilnehmenden an unserer Studie sowohl Herausforderungen als auch Potenziale bei der methodischen Umsetzung einer Kritischen Fremdsprachendidaktik. Ähnlich wie bei G OODSPEED et al. (2023) zeigen sich unsere Teilnehmenden davon überzeugt, dass die Einbindung kritischer Perspektiven ein Bestandteil des Fremdsprachenunterrichts sein soll, sehen sich aber aufgrund unterschiedlicher Einschränkungen sehr limitiert. Diese Wahrnehmungen sind durch Dilemmata und Widersprüche gekennzeichnet und variieren stark je nach Gruppe und Art der Fortbildung. So werden einerseits die begrenzte Unterrichtszeit, die curricularen Anforderungen und die geringe Qualität der Lehrwerke als Ursachen genannt, die die Umsetzung eines kritischen Spanischunterrichts erschweren, während andererseits der Wunsch nach Entschleunigung und der (Neu-)Gestaltung eigener Materialien geäußert wird. Auch hinsichtlich des erforderlichen sprachlichen und kognitiven Niveaus gehen die Meinungen auseinander. Einige sind der Überzeugung, dass ein kritischer Ansatz auch in den Unterricht mit Anfänger: innen und Kindern integriert werden könne, während andere glauben, dass ein B1-Niveau sowie kognitive Reife und Allgemeinwissen notwendig seien. Das „Dilemma“ - wie es wörtlich genannt wird (FP1) - der Diskrepanz zwischen kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten wird von allen, Lehrkräften und Studierenden, geteilt. Damit verbunden zeigt sich ein weiteres komplexes Spannungsverhältnis hinsichtlich dessen, was der Gegenstand des Spanischunterrichts ist. So beziehen sich die Teilnehmenden häufig auf „Formulierungen“, „sprachliche Ressourcen“, „sich ausdrücken können“, was auf das Ziel der kommunikativen Kompetenz hindeutet. Demgegenüber steht eine Vision von Spanischunterricht, die mehr mit dem Entdecken und Bewusstwerden zu tun hat, also mit der Entwicklung eines sozialen, kritischen Bewusstseins. Da man damit „über das Sprachliche hinaus“ geht, wird von den Studierenden und Lehrkräften selbst angezweifelt, ob dieses Anliegen dem Spanischunterricht genuin ist. Dass beides, sowohl die kritische Analyse als auch die Entwicklung der kommunikativen Kompetenz gleichzeitig gefördert werden kann (C OTS 2006: 337), war schwer vorstellbar. Aus diesen Ergebnissen lassen sich einige Implikationen für eine kritische Lehrkäfte(fort-)bildung ableiten, so wie wir sie im CRITERION-Projekt konzipiert haben 86 Marta García García, Andrea Blanco Rodríguez DOI 10.24053/ FLuL-2025-0028 54 • Heft 2 (s. Kap. 2). Zum einen scheint eine intensivere Beschäftigung mit den konzeptionellen Grundlagen der kritischen Ansätze notwendig. Insbesondere soll deutlich gemacht werden, dass logisches Argumentieren und die Fähigkeit, zwischen den Zeilen zu lesen, zwar „a necessary precondition“ (W ALLACE 2020: 184) sind, dass der kritische Fremdsprachenunterricht aber eine soziale Dimension einschließt, die anstrebt, die Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten, die in Texten, Medien und Diskursen omnipräsent sind, aufzudecken und umzugestalten. Zum anderen deuten die Ergebnisse darauf hin, dass über den theoretischen Input hinaus die Gelegenheit selber Materialien und Unterrichtsvorschläge zu entwickeln und vor allem diese zu erproben, eine besonders ermächtigende Wirkung hat. Der Transformationsanspruch, der in den kritischen Ansätzen innewohnt, kann und soll damit beginnen, dass die Lehrkräfte die von ihnen als störend wahrgenommenen Elemente (Lehrwerkmaterialien, Unterrichtsroutinen, KC-Einschränkungen) verändern können. 6. Fazit und Ausblick „Jeder sich selbst als kritisch bezeichnende Ansatz erzeugt mit dieser Benennung blinde Flecken“ (B ONNET / H ERICKS 2020: 165). Auch eine Lehrer: innen(fort)bildung, die den Anspruch hat, kritisch zu sein, ist nicht davon frei. In unserem Beitrag haben wir zwei wichtige Felder außer Acht gelassen: Zum einen erscheint es vor dem Hintergrund der in den Daten aufgezeigten Kluft zwischen der universitären Lehrer: innenbildung und der schulischen Praxis und Realität sinnvoll, zukünftige Studien als Kooperative Aktionsforschung durchzuführen oder in der Analyse eine Reflexion des eigenen Handelns als Lehrkräfteausbildende (in Anlehnung an B ANEGAS / G ER - LACH 2021) vorzunehmen. Zum anderen bedarf es weiterer Studien, die sich mit dem tatsächlichen Geschehen im kritischen Spanischunterricht auseinandersetzen (D EHLER 2025) und aus der Perspektive der Lernenden untersuchen, was zum Spanischunterricht dazugehört und was der Spanischunterricht leisten soll und kann, ohne überfrachtet zu sein. Literatur A BEDNIA , Arman (2012): „Teachers’ professional identity: Contributions of a critical EFL teacher education course in Iran“. In: Teaching and Teacher Education 28.5, 706-717. A TIENZA , Encarna / A ZNAR , Joan (2020): „Criterios para el desarrollo de las competencias interculturales desde una perspectiva crítica en español LE/ L2“. In: Journal of Spanish Language Teaching 7.2, 1-13. B ANEGAS , Darío / G ERLACH , David (2021): „Critical language teacher education: A duoethnography of teacher educators’ identities and agency“. In: System 98, 102474. 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Against the background of this systematisation, the article revisits the various contributions to this issue for their unique ways of grappling with and substantiating multi-voiced understandings of ‘the critical’. As will become evident, any understanding of ‘the critical’ is necessarily shaped by a given context. This article therefore explores how the specific characteristics of German-speaking contexts of foreign language teacher education may inform attempts to establish a nexus with ‘the critical’, and in what ways such endeavours are already productive in some teacher education settings. Lastly, this article suggests implications and desiderata for further research and practice. * Korrespondenzadressen: Dr. Irene H EIDT , BTU Cottbus-Senftenberg, Universitätsplatz 1, 01968 S ENFTENBERG . E-Mail: irene.heidt@b-tu.de Arbeitsbereiche: Rassismus- und machtkritische Literatur- und Kulturdidaktik, Critical Language Teacher Education, Mehrsprachigkeit Prof. Dr. Lotta K ÖNIG , Universität Bielefeld, Universitätsstraße 25, 33615 B IELEFELD . E-Mail: lotta.koenig@uni-bielefeld.de Arbeitsbereiche: Diversitätsreflektierende Literatur- und Kulturdidaktik, Lernen an außerschulischen Lernorten, Sprachmittlung Dr. Eleni L OULOUDI , Universität Bielefeld, Universitätsstraße 25, 33613 B IELEFELD . E-Mail: eleni.louloudi@uni-bielefeld.de Arbeitsbereiche: Social Justice Education, Critical Multilingual Education, Translanguaging Prof. Dr. Thorsten M ERSE , Universität Duisburg-Essen, Universitätsstraße 12, 45141 E SSEN . E-Mail: thorsten.merse@uni-due.de Arbeitsbereiche: Inter- und transkulturelles Lernen, queertheoretische Ansätze in der Englischdidaktik, Digital Citizenship Education 90 Irene Heidt, Lotta König, Eleni Louloudi, Thorsten Merse DOI 10.24053/ FLuL-2025-0029 54 • Heft 2 1. Einleitung Überlegungen zu einer kritischen Fremdsprachenlehrer*innenbildung werden in der fremdsprachendidaktischen Forschung im deutschsprachigen Raum erst seit jüngster Zeit in ersten Publikationen oder Konferenzbeiträgen angestellt. Dieser nun emergierende Nexus aus ‚kritisch‘ und ‚Fremdsprachenlehrer*innenbildung‘ spiegelt dabei grundsätzliche Forschungsinteressen wider, sich aus professionsorientierter Sicht mit Lehrkräftebildung in den fremdsprachlichen Fächern auseinanderzusetzen - oder sich der Frage zu nähern, was die Fremdsprachendidaktik eigentlich ‚kritisch‘ macht. Beide Theoriebzw. Forschungsstränge als Konzept einer kritischen Fremdsprachenlehrer*innenbildung zusammenzuführen, bringt nicht nur die Herausforderung definitorischer Bestimmungen und Ausschärfungen mit sich, sondern eröffnet auch die Frage danach, welche fremdsprachendidaktischen Arbeitsfelder sich relevant mit Überlegungen zu einer kritischen Fremdsprachenlehrer*innenbildung verknüpfen lassen - und welche fremdsprachendidaktischen Kontexte auch als Motor fungieren, ‚kritisch‘ und ‚Fremdsprachenlehrer*innenbildung‘ intensiver zusammenzudenken. Das vorliegende Heft belegt anhand der darin versammelten Beiträge, wie vielseitig, aber auch standortabhängig bereits an einer kritisch konturierten Fremdsprachenlehrer*innenbildung gearbeitet wird, und welche Nuancierungen der durchaus komplexe bzw. uneinheitliche Begriff ,kritisch‘ dabei erfährt. In diesem Beitrag, der dem vorliegenden Heft bewusst ans Ende gestellt ist, möchten wir nun zunächst die Überlegungen zu einer kritischen Fremdsprachenlehrer*innenbildung in den Kontext internationaler Forschung zu critical language teacher education stellen. Darin wird der Diskurs zu ‘critical’ und zu ‘criticality’ mit Bezug auf Lehrkräftebildung bereits intensiver geführt, so dass Bezüge auf diesen Diskurs dazu beitragen können, diese unscharfen Begriffe näher zu bestimmen. Daran anknüpfend nehmen wir eine Gesamtschau der vorliegenden Beiträge in diesem Heft vor und systematisieren diese mit Blick auf die jeweils aktivierten Verständnisse von kritischer Fremdsprachenlehrer*innenbildung. Um dann die Kontextbzw. Standortgebundenheit von Lehrkräftebildung zu adressieren, folgt eine Bestandsaufnahme der spezifisch deutschsprachigen fremdsprachendidaktischen Kontexte, in denen sich eine kritische Lehrkräftebildung noch nicht - oder bereits doch - entwickeln konnte. Im letzten Teil dieses Beitrags entwickeln wir konkrete Implikationen für eine kritische Fremdsprachenlehrer*innenbildung, die wir entlang thematischer, theoretisch-konzeptioneller, empirischer, hochschuldidaktischer und unterrichtspraktischer Linien gruppieren. 2. Der Kritikbegriff in der internationalen Kritischen Fremdsprachenlehrer*innenbildung - Versuch einer Systematisierung Obwohl das Konzept der ‚Kritischen Fremdsprachenlehrer*innenbildung‘ international bereits seit geraumer Zeit diskutiert wird, bleibt der zugrundeliegende Kritikbegriff weiterhin uneinheitlich. Vielmehr wird die kritische Perspektive in der inter- Kritische Fremdsprachenlehrer*innenbildung 91 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0029 nationalen Fremdsprachendidaktik zunehmend komplexer, da Konzepte wie critical pedagogy, critical literacy, critical applied linguistics, critical language awareness, social justice education, advocacy education etc. häufig gleichgesetzt oder synonym verwendet werden (H AWKINS / N ORTON 2009: 31). Dies hat zu einem Bedeutungspluralismus geführt, der zur Folge hatte, dass das Konzept als „too diluted or misconstrued to mean much at all“ wahrgenommen wird (P ANDYA / Á VILA 2022: 3). Vor diesem Hintergrund stellt sich die zentrale Frage: Was genau macht kritische Fremdsprachenlehrer*innenbildung eigentlich ‚kritisch‘, das heißt, wie wird das Kritische darin bestimmt? Auch wenn für dieses Themenheft bewusst kein homogenes a priori Verständnis von criticality vorausgesetzt wird, erscheint es aus theoretischkonzeptioneller Sicht dennoch notwendig, eine begriffliche Schärfung vorzunehmen, um eine gemeinsame Arbeitsgrundlage für eine kritische Fremdsprachenlehrer*innenbildung zu schaffen. Dabei stützen wir uns auf drei zentrale theoretische Bezugsrahmen: Kritische, poststrukturalistische und postkoloniale Theorie (vgl. K UBOTA / M ILLER 2017). Die Kritische Theorie, die von einer marxistisch-sozialkritischen Perspektive geprägt ist, setzt sich zum Ziel, gesellschaftliche Strukturen ideologiekritisch zu analysieren, um Mechanismen von Ungleichheit, Ausgrenzung und Unterdrückung offenzulegen. Das zentrale Ziel von ‚Kritik‘ beinhaltet die Bekämpfung sozialer Ungleichheiten und gesellschaftlicher Veränderung von emanzipierten Bürger*innen. In der kritischen Fremdsprachenbildung fand diese marxistisch-sozialkritische Perspektive vor allem durch F REIRE s Konzept der critical pedagogy Eingang (Y OON 2016). Im Zentrum steht die Idee, Lernende dazu zu befähigen, ihre eigene Lebenswelt wie einen Text zu lesen, um darin eingeschriebene Macht- und Unterdrückungsverhältnisse zu erkennen und aktiv zu verändern (vgl. H EIDT 2025a; L OULOUDI 2023). Zudem betont F REIRE mit dem Konzept critical praxis einen reflexiven, dialogischen Lehr-Lernprozess, der es Lernenden und Lehrenden ermöglicht, bestehende gesellschaftliche Machtverhältnisse zu hinterfragen (F REIRE 1970/ 2005). Wie G IROUX (1994: 44) hervorhebt, setzt dies kritische Fremdsprachenlehrkräfte voraus, die als public intellectuals agieren und eine Verknüpfung zwischen dem schulischen und gesellschaftlichen Kontext sowie den Lebenswelten der Lernenden herstellen: „As public intellectuals, teachers need to provide the conditions for students to learn that the relationship between knowledge and power can be emancipatory, that their histories and experiences matter, and that what they say and do can count as part of a wider struggle to change the world around them. More specifically, teachers need to argue for forms of pedagogy that close the gap between the school and the real world.“ Bereits in den 1990er Jahren leisteten diese Aspekte kritischer Praxis einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung einer kritischen Fremdsprachenlehrer*innenbildung. So beschreiben C ROOKES und L EHNER (1998) critical pedagogy in der Lehrkräftebildung als eine notwendige Neuausrichtung für den Fremdsprachenunterricht, die es ermögliche, traditionelle Machtverhältnisse im Klassenzimmer zu dekonstruieren. Dabei plädieren sie für eine Verschiebung des Schwerpunkts in der Fremdsprachendidaktik 92 Irene Heidt, Lotta König, Eleni Louloudi, Thorsten Merse DOI 10.24053/ FLuL-2025-0029 54 • Heft 2 - weg von der sprachlichen Korrektheit, hin zu Reflexion und letztlich zu gesellschaftlicher Transformation. Aus poststrukturalistischer Perspektive kritisiert P ENNYCOOK (2001) die aus der Kritischen Theorie abgeleitete Tendenz, Machtverhältnisse in binären Kategorien von Unterdrückern und Unterdrückten zu denken. Insbesondere aus den feminist poststructuralist studies kam Kritik an dieser Sichtweise von Macht als vorrangig repressives Instrument der Mächtigen, das von den Marginalisierten bekämpft werden müsse, um Emanzipation zu erlangen: „[…] the discourse of Freireanor Marxistinfluenced critical pedagogy, which was promoted by male scholars in the 1980s, was criticized as dogmatic and repressive by feminist poststructuralist scholars“ (K UBOTA / M ILLER 2017: 141). Anstelle eines souveränen Machtbegriffs, der Macht als Besitz einzelner Subjekte begreift, wird ein Verständnis von produzierender Macht vorgeschlagen, die Seins-, Wissens- und Wahrnehmungsordnungen hervorbringen, legitimieren, aber auch transformieren kann (B UTLER 1997; F OUCAULT 1977; W EEDON 1987). Subjektwerdung und Handlungsfähigkeit sind - paradoxerweise - nur möglich, indem sich Subjekte den bestehenden Ordnungs- und Machtverhältnissen unterwerfen. Erst durch die Reproduktion dieser normativen Strukturen und durch die Sozialisation in sie hinein werden Subjekte in sozialen Kontexten als solche erkennbar. Diese machtvollen Ordnungen erscheinen dadurch als selbstverständlich und legitim und werden häufig unbewusst fortgeschrieben - auch von Lehrkräften, die sich als kritisch verstehen. Im Rahmen einer kritischen Fremdsprachenlehrer*innenbildung rücken daher verstärkt identitäts- und habitusadressierende Ansätze in den Vordergrund, um implizite und handlungsleitende Wissensbestände kontinuierlich zu reflektieren und zu hinterfragen (vgl. K ANNO / S TUART 2011; K UBOTA 2017; Y AZAN 2018). Kritik wird dabei als problematising practice verstanden, d.h. das Infragestellen von selbstverständlich gewordenem Wissen, das sozialen Diskursen, Strukturen und Praktiken zugrunde liegt (P ENNYCOOK 2004). Dafür ist ein Verständnis von Sprache als symbolischer Macht zentral, die diskursive Handlungsspielräume erweitern oder einschränken kann (B OURDIEU 1991). Das ermöglicht ein Verständnis darüber, wie verschiedene Diskurse gleichzeitig und intersektional wirken - und dadurch Subjekte in spezifischen Kontexten privilegieren, andere jedoch stärker marginalisieren. In der kritischen Fremdsprachendidaktik wurde diese Diskussion stärker an Konzepte wie symbolische Kompetenz (K RAMSCH 2009), translanguaging (L I 2017) oder translingual activism (P ENNYCOOK 2019) geknüpft, um zu verdeutlichen, dass Subjekte nicht per se marginalisiert und machtlos sind, sondern sprachmächtig handeln können, indem sie hegemoniale Bedeutungen, Diskurse und Praktiken unterwandern, neu rahmen und transformativ verschieben. Da ein solcher transformativer Prozess unweigerlich mit symbolischen Machtkämpfen sowie Identitäts- und Legitimitätsfragen verbunden ist, geht er mit Vulnerabilität (B UTLER 2016), Dilemmata und Ungewissheiten einher, insbesondere dann, wenn kontroverse Themen im Unterricht verhandelt werden (H EIDT 2022; K RAMSCH / Z HANG 2018; K UBOTA 2012). Ein weiterer theoretischer Einfluss auf das Konzept von criticality ist die postko- Kritische Fremdsprachenlehrer*innenbildung 93 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0029 loniale Theorie, die insbesondere die europäischen Ursprünge sowohl poststrukturalistischer als auch marxistischer Ansätze kritisiert. Kolonialsprachen wie bspw. Englisch, Spanisch oder Französisch sowie deren Vermittlung während der europäischen Kolonialherrschaft perpetuierten koloniale Machtstrukturen sowie rassistische und eurozentrische Wissensordnungen, die bis heute bspw. in fremdsprachendidaktischen Konzepten wie native speaker, linguistic authenticity oder standard language fortdauern und Ungleichheiten reproduzieren (K UBOTA / M OTHA 2025; VON E SCH / M OTHA / K UBOTA 2020). Der jüngere decolonial turn hinterfragt daher auch scheinbar universalistische Gerechtigkeitskonzepte wie social justice, democracy, citizenship oder human rights, die ihren Ursprung u.a. in der europäischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts haben. Diese Konzepte waren historisch eng verknüpft mit imperialer Expansion, Unterdrückung und Entmenschlichung - legitimiert im Namen von Fortschritt, Zivilisation und Demokratie ( DE F INA / O OSTENDORP / O RTEGA 2023). Vor diesem Hintergrund fordern dekoloniale Ansätze eine kritische Fremdsprachenbildung, die Epistemologien des Globalen Südens aktiv einbezieht und damit zur Dekolonisierung von Sprache, Bildung und Wissen beiträgt (vgl. C ASTAÑEDA -P EÑA / G AMBOA / K RAMSCH 2023). Die unterschiedlichen theoretischen Perspektiven auf kritische Fremdsprachenlehrer*innenbildung lassen sich nicht in einem universellen Modell zusammenfassen (L UKE 2014: 29). Gemein ist ihnen jedoch das Bestreben, ungleiche Machtverhältnisse, wie sie sich in hegemonialen Diskursen, Praktiken und Annahmen über Sprache, Lernende sowie über das Lehren und Lernen von Fremdsprachen manifestieren, kritisch zu hinterfragen und zu dekonstruieren. Kritische Ansätze zielen in diesem Sinne auf eine transformative Weiterentwicklung der Praxis von Fremdsprachenunterricht und Lehrkräftebildung - und damit auf eine Veränderung gesellschaftlicher Strukturen (vgl. auch S ELVI / K OCAMAN 2024). Solche Transformationsprozesse sind jedoch kontextabhängig und bedürfen einer situationssensiblen Ausgestaltung. Infolgedessen wird kritische Fremdsprachenlehrer*innenbildung theoretisch wie praktisch unterschiedlich interpretiert und realisiert - wie die Beiträge dieses Themenhefts im nachfolgenden Abschnitt exemplarisch aufzeigen. 3. Der Kritikbegriff in den Beiträgen im vorliegenden Heft Die Beiträge von F EIKE und Z ABEL sowie von G ÜLLÜ und G ERLACH weisen theoretische Bezüge auf, die sich an poststrukturalistische Perspektiven anschließen lassen: F EIKE und Z ABEL verstehen kritische Fremdsprachenlehrer*innenbildung als den kritischen Umgang mit gesellschaftlichen und kulturellen Normen, die als selbstverständlich gelten und sich bspw. in Diskursen, Praktiken und Institutionen manifestieren. In Anlehnung an die Theorien von F OUCAULT und B UTLER begreifen sie Kritik als eng verwoben mit Diskursen, Macht und Wissen. Dabei wird Macht nicht als souveräne Macht verstanden, die im Subjekt verortet ist (z.B. Lehrkräfte besitzen Macht, Lernende nicht), sondern als produzierende Macht (s.o.). Kritische Fremdsprachen- 94 Irene Heidt, Lotta König, Eleni Louloudi, Thorsten Merse DOI 10.24053/ FLuL-2025-0029 54 • Heft 2 lehrer*innenbildung zielt demnach darauf ab, bestehende normative Ordnungen, die als legitim oder normal erachtet werden, offenzulegen und im ‚Modus des zweifelnden Fragens‘, wie F EIKE und Z ABEL es formulieren, zu hinterfragen. Auf diese Weise soll eine kritische Haltung gegenüber selbstverständlich gewordenen fachdidaktischen normativen Diskurs- und Wissensordnungen gefördert werden. G ÜLLÜ und G ERLACH begreifen in ihrem Beitrag die Entwicklung eines rassismuskritischen Bewusstseins als einen zentralen Bestandteil einer kritischen Fremdsprachenlehrer*innenbildung und betonen dabei habitus- und identitätsorientierte Ansätze. Ähnlich wie F EIKE und Z ABEL verstehen sie Kritik als das Hinterfragen impliziter, handlungsleitender Wissensbestände, in die Subjekte sozialisiert und welche somit unbewusst (re-)produziert werden. Dadurch werden bestehende rassistische Ordnungs- und Machtverhältnisse sowie weiße Normvorstellungen aufrechterhalten. Eine (rassismus-)kritische Fremdsprachenlehrer*innenbildung zielt demnach darauf ab, rassistische Wissensordnungen sowie die eigene Verstrickung darin zu erkennen, zu reflektieren und ein rassismuskritisches Bewusstsein zu entwickeln, um damit bestehende Machtstrukturen im Bildungskontext transformieren zu können. Ebenfalls rassismuskritisch verortet ist der von V ERNAL S CHMIDT und M IHAN vorgelegte Beitrag: Ausgehend von der Annahme, dass schulisches (Fremd-)Sprachenlernen niemals politisch neutral und stets in gesellschaftspolitischen Entwicklungen verstrickt ist, erarbeiten sie die These, dass sich Rassismus an der multimodal verfassten, inhaltlichen Oberfläche von Lehrbüchern zeigt - und sich somit durch kritische Analyseverfahren ablesen lässt. Die Analyse publizierter Lehrmaterialien muss dabei als hochrelevant gelten, da solche Materialien weit verbreitet sind und kontinuierlich genutzt werden, und eine unreflektierte Nutzung Gefahr laufen kann, rassistische Denkmuster zu reproduzieren. Dieser Vorschlag von V ERNAL S CHMIDT und M IHAN ist anschlussfähig an poststrukturalistische und vor allem auch postkoloniale Verständnisse von Kritik, was sich auch in der Methodik der kritischen Diskursanalyse nach F AIRCLOUGH (1995) ausdrückt, die für die kritische Analyse von Lehrmaterialien übertragbar ist. G ARCÍA G ARCÍA und B LANCO R ODRÍGUEZ stellen das konzeptuelle Verständnis von kritischer Lehrkräftebildung bzw. Kritischer Fremdsprachendidaktik im Erasmus+ Projekt CRITERION vor. Diese Lehrkräfte(fort)bildung für Spanischlehrkräfte und -studierende fußt auf der Annahme, dass man nicht als kritische Lehrkraft geboren wird, sondern durch Maßnahmen der Professionalisierung dazu werden kann. Das Verständnis einer kritischen Lehrkräfte(fort)bildung basiert auf einem Amalgam aus Kritischer Pädagogik, critical literacy und Kritischer Diskursforschung. Lernende und Lehrende sollen dafür sensibilisiert werden, wie Sprache immer auch Machtverhältnisse ausdrückt und in die (Re-)Produktion von Machtverhältnissen hineinwirkt. In der vorgelegten Studie zeigen G ARCÍA G ARCÍA und B LANCO R ODRÍGUEZ , was Lehrkräfte unter Kritik verstehen: einen hier eher als apolitisch verstandenen Modus des kritischen Denkens im Sinne von Logik und Argumentation. Der große konzeptionelle Überbau von Kritischer Fremdsprachendidaktik scheint in den professionellen Verständnissen der Lehrkräfte jedoch kaum wirkmächtig zu sein. Dass Wunsch Kritische Fremdsprachenlehrer*innenbildung 95 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0029 und Wirklichkeit hier doch auseinander liegen, zeigt deutlich, dass Kritik semantisch offen aufgefasst werden kann - und dass die Forschung aufgerufen ist, Begriffsschärfungen in Prozessen der Aus- und Fortbildung zu kommunizieren. Im theoretisch-konzeptionell angelegten Beitrag von VON B LANCKENBURG und D ERICHSWEILER wird mit einem Verständnis von kritisch bzw. Kritik operiert, das sich auf die Förderung von Streitkultur im Fremdsprachenunterricht bezieht, in der bewusst kontrovers angelegte Themen gemeinsam erörtert werden. Um Lehrkräfte auf diese komplexe Aufgabe für die Unterrichtspraxis vorzubereiten, seien spezifische professionsbezogene Kompetenzen nötig, die sich in die Bereiche Planung, Moderation und Reflexion strukturieren lassen. Für die konzeptionelle Konturierung einer kritischen Fremdsprachenlehrer*innenbildung ist dieser Vorschlag von Bedeutung, da sich diese drei Kompetenzdimensionen zu einer kritischen Handlungskompetenz zusammenführen lassen, die eine Förderung von Streitkultur im Fremdsprachenunterricht ermöglicht und Lehrkräfte dazu befähigt, begründete Entscheidungen hinsichtlich der Unterrichtsgestaltung zu treffen. Diese Betonung von unterrichtspraktischer Handlungskompetenz lässt sich vor allem in einer critical praxis verorten, über die reflexive und dialogische Lehr-Lernprozesse gestaltbar werden, in denen Lernende Machtverhältnisse erkennen und hinterfragen können - und diese auch im Lehr-Lernverhältnis reflektiert werden. 4. Deutschsprachige fremdsprachendidaktische Kontexte für kritische Lehrer*innenbildung Die Anwendung von criticality ist, wie bereits angemerkt, stets kontextspezifisch, was insbesondere auf stark institutionalisierte Rahmen wie nationale Bildungs- und Lehrer*innenbildungssysteme zutrifft. Daher sollen hier knapp einige spezifische Kontextbedingungen der deutschsprachigen fremdsprachendidaktischen Diskurse der letzten 25 Jahre skizziert werden, in denen sich eine kritische Lehrer*innenbildung (nicht) entwickelt hat (vgl. K ÖNIG / L OULOUDI 2024). In Folge des Bologna-Prozesses waren bildungspolitische Entscheidungen nach der Jahrtausendwende durch Outputorientierung und Standardisierung in den Curricula und in der Lehrer*innenbildung (B ONNET / H ERICKS 2020) geprägt. Der neue Fokus auf Kompetenzen ließ wenig Raum für Inhalte - kritische fremdsprachendidaktische Diskussionen befragten und beforschten diese Neuausrichtung (vgl. z.B. G RÜNEWALD / P LIKAT / W IELAND 2013). Es ist zu vermuten, dass die oben aufgeführten anglophonen Konzepte kritischer Sprachenlehrer*innenbildung, die in dieser Zeit entstanden, im deutschen Kontext erst weiter diskutiert werden konnten, nachdem diese Klärungen stattgefunden hatten und der Fokus auch expliziter auf Lehrer*innenbildung gerichtet werden konnte. Eine andere einflussreiche - Standardisierungstendenzen geradezu gegenläufige - Entwicklung im deutschen Bildungssystem ist die Implementation von Inklusion (im weiteren und engeren Sinne). Die gleichberechtigte Teilhabe aller unabhängig von individuellen Bedingungen ist nun ein Anspruch, der allerdings in der Umsetzung 96 Irene Heidt, Lotta König, Eleni Louloudi, Thorsten Merse DOI 10.24053/ FLuL-2025-0029 54 • Heft 2 zeigt, wie weit die Realität davon entfernt ist und wie viele strukturell bedingte Hindernisse insbesondere dem segregierten deutschen Bildungssystem inhärent sind. Dazu gehören auch Disparitäten in der Lehramtsausbildung wie die mangelnde Vorbereitung auf inklusive Klassen im Regelschulsystem (vgl. G ERLACH / L ÜKE 2024: 61f.). Wenn auch nicht marxistisch fundiert, sondern UN-ratifiziert und bildungspolitisch top-down motiviert, lenkte u.a. die Diskussion um Inklusion den Fokus auf ungleiche Partizipation und Repräsentation marginalisierter Schüler*innengruppen. Daher ist es kein Zufall, dass sich in den fremdsprachendidaktischen Bemühungen um Inklusion auch die Anschlussfähigkeit an Ansätze kritischer Pädagogik und an social justice education zeigen (vgl. ebd. und z.B. L OULOUDI / S CHILDHAUER 2023). Ein Fokus auf die Ungleichheiten im deutschen Bildungssystem wurde mit den Erfahrungen des Lernens und Lehrens unter pandemischen Bedingungen mit COVID-19 besonders virulent: Nicht zuletzt ungleiche Teilhabebedingungen im Sinne des Zu- und Umgangs mit digitalen Medien führten zu einer verstärkten Suche nach Ansätzen zur Abhilfe, auch in der Lehrer*innenbildung (vgl. B RASELMANN / E IBENSTEINER / V OLKMANN 2024). In der fremdsprachendidaktischen Forschungsdiskussion sind in dem skizzierten Spannungsfeld zunehmend Arbeiten entstanden, die sich den oben differenzierten Kritikbegriffen zurechnen lassen. Ansätze kritischer Pädagogik nach F REIRE und critical language pedagogy werden explizit in den Beiträgen in G ERLACH (2020) auf ihre Anwendung im deutschsprachigen fremdsprachendidaktischen Kontext diskutiert und auch im Hinblick auf die Lehrer*innenbildung ausgeführt (vgl. G ERLACH / F ASCHING - V ARNER 2020). Diese Diskussionen treffen zudem auf eher poststrukturalistisch fundierte Auseinandersetzungen mit binären, gesellschaftlich wirkmächtigen und hierarchisierenden kulturellen Differenzkategorien in monographischen Qualifikationsschriften wie z.B. Gender (K ÖNIG 2018), Sexualität (M ERSE 2017) und Religion (H EIDT o.J.). Diese formulieren allerdings eher am Rande Implikationen für die kritische Lehrendenrolle, wenn sie auch deren hohe Relevanz betonen. In jüngster Zeit hat die Diskussion um rassismuskritische Lehrer*innenbildung in Sammelband- und Zeitschriftenbeiträgen an Momentum gewonnen (vgl. z.B. B RASELMANN 2024; H EIDT 2025b), das für eine kritische Fremdsprachenlehrer*innenbildung wegweisend ist. Dekoloniale Projekte sind in der Lehramtsausbildung noch eine Seltenheit. Zuletzt haben G ERLACH / L ÜKE (2024) einen lehrer*innenbildnerisch praxisorientierten Band vorgelegt, der an professionstheoretische Ansätze der language teacher identity anknüpft und kritische Pädagogik ebenso wie poststrukturalistische Ansätze in Reflexionsanlässe für angehende und sich fortbildende Lehrer*innen überführt. Auch zeigen die Beiträge in diesem Themenheft, dass an vielen verschiedenen Standorten Ansätze einer kritischen Lehrer*innenbildung praktiziert werden, aus denen sich weiter lernen lässt. Kritische Fremdsprachenlehrer*innenbildung 97 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0029 5. Kritische Lehrer*innenbildung: Implikationen, Anschlussmöglichkeiten, Desiderate Welche Implikationen ergeben sich vor diesem Hintergrund aus den Beiträgen dieses Hefts für eine kritische Fremdsprachenlehrer*innenbildung? Welche Stränge der fremdsprachendidaktischen Diskussion und bereits publizierte Beiträge bieten Anknüpfungspunkte, und wo werden Desiderate deutlich? Diesen Fragen soll nun am Ende dieser Ausgabe nachgegangen werden, differenziert nach den fremdsprachendidaktischen Handlungsfeldern, die in dem dieser Ausgabe vorangegangenen Symposium emergent waren (siehe H EIDT et al. 2025). Thematische Schwerpunkte - etwa die Auseinandersetzung mit rassistischen Wissensordnungen - sind zwar erkennbar, doch eint die Beiträge in diesem Heft vor allem, dass nicht eine bestimmte inhaltliche Ausrichtung im Zentrum steht, wenn es um eine kritische Fremdsprachenlehrer*innenbildung geht. Stattdessen rücken Fragen nach der Positionierung und Reflexion (werdender) Lehrpersonen in den Fokus: ihre Rolle im institutionellen Gefüge unter Sach- und Zeitzwängen sowie ihre Fähigkeit, Machtstrukturen in vertrauten Verhältnissen zu erkennen, zu hinterfragen und daraus Handlungsfähigkeiten zu entwickeln. Gerade hierin zeigt sich eine mögliche Neuausrichtung gegenüber der traditionell themen- und textzentrierten Diskussion kritischer Impulse in der Fremdsprachendidaktik. Zwar sind es auch ‚Tabu-Themen‘ (vgl. L UD - WIG / S UMMER 2023) oder fächerübergreifende Zielsetzungen wie Demokratiebildung und Global Education, die solche Fragen besonders dringlich machen. Zentral ist jedoch dabei, wie im Unterrichtshandeln mit tatsächlichen Kontroversen kommunikativ umgegangen wird, wie dabei „Agonalität als didaktische Chance und Herausforderung“ (B ARTOSCH / D ERICHSWEILER 2024) aufgegriffen wird, was selbst in scheinbar banalen Themen wie Berufsorientierung geschehen kann (vgl. F EIKE / Z ABEL in diesem Heft). Dass das Kritische nicht nur im Gegenstand, sondern auch in der Unterrichtsinteraktion selbst liegt, betonen auch B ONNET und H ERICKS (2020), die eine (kritisch-)pädagogische Rahmung vorschlagen. Kritische Lehrer*innenbildung stärkt damit auch die Verbindung zu Bildungswissenschaften und (Wissens-) Soziologie. Für die theoretisch-konzeptionelle Standortbestimmung und Weiterentwicklung kritischer Lehrer*innenbildung ist mit diesem Beitrag eine erste Systematisierung unterschiedlicher Kritikverständnisse vorgenommen, auf die als Repertoire zurückgegriffen werden kann, das es zu erweitern gilt (z.B. im Hinblick auf dekoloniale Ansätze). In der Zusammenschau der Beiträge fällt zudem auf, dass criticality teils auch durch ein Zusammenspiel aus empirisch und konzeptionell argumentierenden Ansätzen herausgearbeitet wird: Sie legitimiert sich aus den empirisch rekonstruierten Bedingungen (wie Habitus oder Lehrwerksbeispielen) und deren nachvollzogenen oder angenommenen Auswirkungen auf das Lehrendenhandeln, für das auf dieser Grundlage weiterführende theoretisch-konzeptionelle Vorschläge gemacht und Desiderate deutlich werden, die wiederum empirisch erforscht werden sollten. Die empirische Forschung zu kritischer Fremdsprachenlehrer*innenbildung konzentriert sich 98 Irene Heidt, Lotta König, Eleni Louloudi, Thorsten Merse DOI 10.24053/ FLuL-2025-0029 54 • Heft 2 oft auf die erste Ausbildungsphase, wobei Methoden wie Gruppendiskussionen oder die Analyse von reflexiven Essays Grundlage für die Rekonstruktion sind (vgl. z.B. G ÜLLÜ / G ERLACH sowie F EIKE / Z ABEL in diesem Heft). Das CRITERION-Projekt (G ARCÍA G ARCÍA / B LANCO R ODRÍGUEZ ) zeichnet aus, dass es Lehrer*innen in der zweiten und dritten Phase einbezieht und sich zugleich empirisch und lehrer*innenbildend versteht. Was darin aber auch deutlich wird: Es mangelt noch an empirischen Beiträgen, die tatsächliche Unterrichtsinteraktionen mit explizitem Bezug auf kritische Fremdsprachendidaktik und Lehrer*innenhandeln rekonstruieren, wobei B ARTOSCH , D ERICHSWEILER und H EIDT (2022) hier eine Ausnahme bieten. Aussagekräftig über die (erlebten) Realitäten kritischen Unterrichtens sind zudem jüngste Studien, die auf Expert*inneninterviews (L OULOUDI 2023) oder auf der wissens-praxeologischen Rekonstruktion von Fallstudien mit Lehrer*innen (L ÜKE 2024) basieren. Aus forschungsmethodologischer Sicht entsteht somit insgesamt ein vielversprechender Motor für weitere Forschung, durch den Erkenntnisinteressen zur kritischen Fremdsprachenlehrer*innenbildung empirisch, theoretisch-konzeptionell - sowie empirisch und theoretisch-konzeptionell vernetzt - bearbeitet werden können. Aus unserer Sicht sind aktuell u.a. folgende Erkenntnisinteressen vielversprechend: • Interaktionen und Machtverhältnisse: Gesellschaftliche und fachdiskursive Wissensordnungen werden in der Lehrer*innenbildung in Interaktionen produziert - und können darin auch irritiert oder dekonstruiert werden. Dabei kann es sich um Interaktionen zwischen (zukünftigen) Lehrenden untereinander, zwischen Lehrenden und Lernenden, oder zwischen Lehrenden und Lehrmaterialien handeln. Wie sich solche Interaktionen in Beziehung zur Re- und Dekonstruktion von Machtverhältnissen setzen lassen, ist ein wesentliches Desiderat kritischer Fremdsprachenlehrer*innenbildung; • Habitusänderungen: Die Infragestellung bekannter Lehrer*innenrollenbilder sowie eine systematisch-produktive Verunsicherung zukünftiger Lehrer*innen bergen konzeptionelle Herausforderungen und vermutlich auch ethische Fragesellungen. Erwartbar ist, dass sich Habitusänderungen auf dem Weg zur kritischen Lehrkraft nicht mit punktuellen Lerngelegenheiten oder einmaligen Kursangeboten erreichen lassen. Als Desiderat bleibt daher, die kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen in sprachlichem und kulturellem Lernen systematisch in die Lehramtsaus- und -fortbildung für alle Schulformen zu integrieren (vgl. L OULOUDI / S CHILDHAUER / K ÖNIG 2021); • Ambiguitäten und Ungewissheiten: Weitere konzeptionelle Vorschläge und empirische Explorationen, wie das Offenhalten von Aushandlungsprozessen und das Aushalten von Ambiguitäten anstelle richtiger und falscher Antworten gelingen können, wären wünschenswert, um besser zu verstehen, wie Lehrende Aushandlungsprozesse anregen, aushalten, sich selbst dazu in Bezug setzen und sie moderieren können - auch in Momenten des Unbehagens (vgl. B ONNET / P ASEKA / P ROSKE 2021). Dabei trifft Planbarkeit, die im Rahmen von Unterrichtsvorbereitung insbesondere von Berufsanfänger*innen verlangt wird, Kritische Fremdsprachenlehrer*innenbildung 99 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0029 antinomisch auf die Unplanbarkeit solcher Aushandlungsprozesse (vgl. H ELSPERS Antinomien, zusammengefasst in G ERLACH / L ÜKE 2024: 35); • Anforderungssituationen für zweite und weitere Fremdsprachen: Die Studie von G ARCÍA G ARCÍA und B LANCO R ODRÍGUEZ in diesem Heft deutet darauf hin, dass genauer auf den Unterschied zwischen dem Lehren und Lernen der ersten oder der zweiten bzw. weiteren Fremdsprache(n) geachtet werden muss. Als konzeptionelle Herausforderung ergibt sich, wie Lehrer*innen komplexe, kritische Aushandlungen mit geringen sprachlichen Mitteln und auf unterschiedlichen kognitiven Niveaus anregen können. Solch sprachlich-diskursive Arbeit wurde in diesem Heft kaum näher fokussiert und bleibt somit Forschungsdesiderat, das sich mit ersten konzeptionellen Überlegungen zu einer lehrer*innenseitigen Critical L2 Classroom Discourse Competence (S CHILDHAUER 2023) koppeln ließe. Ähnliche Anliegen werden auch im Rahmen von thematisch und disziplinär anders gelagerten Forschungszusammenhängen verfolgt, wie z.B. in der Mehrsprachigkeits- / translanguaging-Forschung oder in Ansätzen transformatorischer Bildung. Auch wenn diese nicht explizit eine kritische Lehrer*innenbildung im Fokus haben, verfolgen sie ähnliche Fragen und lassen sich in ihren Erkenntnissen für lehrer*innenbildende Weiterentwicklungen nutzen. In dieser inter- und transdisziplinären Verknüpfung liegt ein weiteres Desiderat. Die in diesem Heft und andernorts vorgestellten hochschuldidaktischen Konzepte in der Fremdsprachenlehrer*innenbildung in deutschsprachigen Kontexten setzen meist auf individueller Reflexionsebene an. Dabei dienen oft Lehrwerksbeispiele als Ausgangspunkt für die Verbindung von Gegenstand, institutioneller Rahmung und eigener Positionierung. V ERNAL S CHMIDT und M IHAN konkretisieren dies methodisch über eine kritische Diskursanalyse. F EIKE und Z ABEL nutzen Portfolioarbeit und ein Lehrwerksbeispiel zur Reflexion institutioneller Bedingungen und der Rolle als DaF- / DaZ-Lehrende. Bei ihnen wie auch bei G ÜLLÜ und G ERLACH regen Gruppendiskussionen zur kritischen Revision an: Einige Studierende greifen diese produktiv auf, andere reproduzieren normative Annahmen oder changieren zwischen Reproduktion und Dekonstruktion. Weitere methodische Zugänge zu tief eingeschriebenem und implizitem Wissen finden sich etwa in autoethnographischen Auseinandersetzungen (vgl. H EIDT 2023; M IHAN / V OERKEL 2022). G ERLACH und L ÜKE (2024) bieten zudem professionstheoretisch fundierte Reflexionsanlässe für alle, die (kritische) Fremdsprachenlehrkraft werden wollen. Die unterrichtspraktischen Implikationen einer kritischen Fremdsprachenlehrer*innenbildung ergeben sich aus den in diesem Heft skizzierten Re-Perspektivierungen auf Interaktionen und Impulse in einem Sprachunterricht, der gesellschaftliche Machtverhältnisse konsequent in sprachlich-diskursives Lehren und Lernen einbezieht. Die Beiträge in diesem Heft verdeutlichen, was bei unterrichtspraktischen oder konzeptionellen Vorschlägen zur Aushandlung kontroverser Themen oft implizit bleibt: Ihre Umsetzung erfordert entsprechend aus- und fortgebildete Lehrer*innen. 100 Irene Heidt, Lotta König, Eleni Louloudi, Thorsten Merse DOI 10.24053/ FLuL-2025-0029 54 • Heft 2 Oder anders: Kritische Lehrer*innenbildung wirkt direkt auf Konzepte kritischer Fremdsprachendidaktik und deren Verständnisse von sprachlich-diskursivem und kulturellem Lernen zurück. Ein zentraler, oft unplanbarer Faktor soll abschließend nicht unerwähnt bleiben: die Schüler*innen und ihre Lebenswelt. Die Kontextbedingungen jeder Schule - Themen, Identitäten, Konflikte - und die daraus resultierenden Anforderungen an Lehrer*innenhandeln konfrontieren Lehrende und Lehramtsstudierende mit der Notwendigkeit, sich mit Macht- und Ungleichheitsverhältnissen auseinanderzusetzen und sind so Motor und raison d’être einer kritischen Lehrer*innenbildung bottom up. 6. Zum Abschluss ein Auftakt: Einladung zur kritischen Weiterentwicklung Die Konzeption einer kritischen Fremdsprachenlehrer*innenbildung zeichnet sich als ein dynamischer, offener, reflexiver und stets kontextsensibler Prozess ab, der sich prognostisch fortlaufend weiterentwickeln und verändern wird - auch vor dem Hintergrund sich wandelnder gesellschaftlicher Verhältnisse, bildungspolitischer (Neu-) Ausrichtungen sowie Priorisierungen in der fremdsprachendidaktischen Forschung. Wir möchten dieses Themenheft in seiner Gesamtheit als Aufruf verstehen, sich an der prozesshaften Entwicklung einer kritischen Fremdsprachenlehrer*innenbildung zu beteiligen - ob als Studierende, als Lehrer*innen oder als Forscher*innen. Dazu gehört, dass auch die Idee einer kritischen Fremdsprachenlehrer*innenbildung im Sinne eines selbst- und metareflexiven Habitus in einem Modus des Zweifelns und Hinterfragens immer wieder geprüft wird - gewissermaßen als Kritik an der Kritik. In diesem Sinne lädt das an dieser Stelle zu einem Abschluss kommende Themenheft dazu ein, kritische Fremdsprachenlehrer*innenbildung nicht als abgeschlossenes, normativ-monolithisches Konzept zu verstehen, sondern als fluide und in der Entwicklung begriffen. Wir hoffen, dass das hier konturierte und systematisierte Kritikverständnis der Auftakt für weiteren kritischen Diskurs und Dialog in der fremdsprachendidaktischen Forschung bietet. Literatur B ARTOSCH , Roman / D ERICHSWEILER , Sina (Hrsg.) 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The study shows that teachers often use multilingual practices in classroom interaction as a scaffolding strategy for knowledge transfer and problem solving (e.g. through language comparison, questions or explanations), although communication remains largely in the target language, in this case German, so that the teaching objectives of grammar teaching are also achieved. 1. Mehrsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht: Ein Gewinn oder eine Gefahr für den Erwerb der Zielsprache? Noch immer herrscht weitgehend die Tendenz, insbesondere im Fremdsprachenunterricht Mehrsprachigkeit und mehrsprachige Praktiken zu vermeiden und weitgehend in der Zielsprache zu kommunizieren. Paradoxerweise nutzen in der im Unterricht gängigen Kommunikation aber sowohl Lehrkräfte als auch Lernende ihre mehrsprachigen Ressourcen auf vielfältige Weise und in unterschiedlicher Intensität. Daher drängt an dieser Stelle die Frage, ob das Gebot der Einsprachigkeit bzw. der alleinigen Nutzung der Zielsprache im Fremdsprachenunterricht heute noch gültig und angemessen ist. In Bezug auf den Fremdsprachenunterricht Englisch widmen sich aktuelle * Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Zeynep K ALKAVAN -A YDIN , Arbeitsbereich Deutsch als Zweitsprache/ Deutsch als Fremdsprache, Institut für deutsche Sprache und Literatur, Pädagogische Hochschule Freiburg, Kunzenweg 21, 79117 F REIBURG im Breisgau E-Mail: zeynep.kalkavan-aydin@ph-freiburg.de Arbeitsbereiche: Zweitspracherwerb, Mehrsprachigkeit, Sprachbildung im Beruf und im Fach N i c h t t h e m a t i s c h e r T e i l Erklären Sie mal auf Arabisch oder Englisch! - Mehrsprachige Praktiken als Scaffolding 105 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0030 Studien der Frage, ob und wie Mehrsprachigkeit im Unterricht verwendet wird (z.B. Beiträge in L AU / VAN V IEGEN 2020 in Bezug auf das Konzept des Translanguaging). An diese Schnittstelle knüpft der vorliegende Beitrag an, der sich zum Ziel setzt, mehrsprachige Praktiken in (berufs- und fachorientierten) DaF-Kursen mit Erwachsenen im deutsch-arabischen Kontext zu untersuchen. Dabei wird angenommen, dass Mehrsprachigkeit per se nicht mit Vokabelversagen gleichzusetzen ist, sondern Lehrende und Lernende unterschiedliche Praktiken in der Unterrichtsinteraktion nutzen, um die Zielsprache zu lehren bzw. zu lernen, und dabei ihre mehrsprachigen Fähigkeiten nutzen. Angenommen wird zudem, dass Lehrende ihre mehrsprachigen Praktiken als Scaffolding-Strategien anwenden. Da Wissen respektive Wissensprozeduren nicht immer versprachlicht wird bzw. werden (vgl. R EDDER 2016), können in authentischen Unterrichtshandlungen Sequenzen identifiziert werden, in denen die Interaktanten entweder selbst- oder fremdinitiiert von ihrer individuellen Mehrsprachigkeit Gebrauch machen, um die Regeln und die Verwendung der neuen Fremdsprache zu verstehen und anzuwenden. In Anlehnung an R EDDER et al. (2022: 316) wird davon ausgegangen, dass „sprachliche Mittel […] im Wege des sprachlichen Handelns mental prozessiert [werden], und zwar diskursiv, d.h. von Sprecher*in S und Hörer*in H.“ Dabei geht es nicht darum, ob Mehrsprachigkeit an der sprachlichen Oberfläche vorkommt (also verbalisiert wird), sondern vor allem, dass mehrsprachige Lernende und Handelnde zwar „[e]insprachig erscheinende Äußerungen“ vornehmen können, die sich jedoch als „mehrsprachiges Handeln“ erweisen können (ebd.: 317). Da Fremdsprachenunterricht kognitiv aktivierend sein sollte und Lernende hierzu auf der Mikroebene von Unterricht - also in der Interaktion - individuelle Unterstützung benötigen, wird im Beitrag der Blick auf Unterrichtssequenzen gerichtet, in denen Lehrkräfte im DaF-Unterricht auf mehrsprachige Ressourcen zurückgreifen. Die Datenbasis der vorliegenden Studie bilden elf videographierte DaF-Unterrichtsstunden mit Erwachsenen in Jordanien auf unterschiedlichen Niveaustufen. In Abschnitt 2 wird der Forschungsstand beleuchtet und dabei werden insbesondere die Konzepte Translanguaging und Scaffolding diskutiert. Anschließend werden das Studiendesign sowie die Stichprobe in Abschnitt 3 beschrieben. Im vierten Abschnitt folgen schließlich die Fragestellungen sowie die Beschreibung des methodischen Vorgehens. Die Ergebnisse der Untersuchung werden in Abschnitt 5 zusammengefasst und diskutiert. Im sechsten Abschnitt werden die Limitationen der Studie beschrieben, bevor abschließend in Abschnitt 7 das Fazit folgt. 2. Forschungsstand International ist eine steigende Anzahl von Studien zu beobachten, die sich mit dem Phänomen Mehrsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht befassen. Das Gros der Studien bezieht sich auf den Englisch-Unterricht (z.B. J UVONEN / K ÄLLKVIST 2021). Auf großes Interesse ist - trotz begrifflicher und konzeptueller Unschärfe - in diesem 106 Zeynep Kalkavan-Aydin DOI 10.24053/ FLuL-2025-0030 54 • Heft 2 Zusammenhang das pädagogische Konzept Translanguaging gestoßen (vgl. G ARCÍA 2009; C ENOZ / G ORTER 2017; T ORK 2024), da es nicht einzelne Sprachen als separate Sprachsysteme in den Vordergrund rückt, sondern Sprache als soziale Handlung im Klassenraum begreift. Translanguaging wird im Sinne des sozial-interaktionistischen Ansatzes (z.B. A GUADO 2010) als ein Konstrukt verstanden, das eine dynamische und unterstützende Interaktion im Klassenraum ermöglicht. Nach S WANWICK (2016: 420) bedeutet dies: „Translanguaging theory is introduced as a way of conceptualizing the purposeful and dynamic use of different languages and modalities in the classroom to provide supportive classroom talk and scaffold learning“. So soll die Vorsilbe „trans“ in Translanguaging auf die Transzendenz der vorhandenen und gebrauchten Sprachen und eben nicht auf einzelne Sprachen oder Sprachsysteme verweisen (vgl. G ARCÍA / L I W EI 2022: 313): „Code-switching takes as its starting point separate grammars for each of the languages, and translanguaging focuses on the language practices that are used in bilingual communication. Translanguaging implies a holistic conceptualization of bilingualism and multilingualism and can be understood as part of an emerging paradigm in the study of bi/ multilingualism and language acquisition“ (C ENOZ 2017: 193). Für L I W EI (2011: 1223f.) ist dieses Konzeptverständnis besonders wichtig, da es sich aus seiner Sicht in mehrsprachigen Interaktionsmomenten um „translanguaging spaces“ handelt, in denen die Interaktanten im Unterrichtsdiskurs Mehrsprachigkeit Raum geben und ihre mehrsprachigen Fähigkeiten gezielt und zu unterschiedlichen Zwecken nutzen. Deutlich soll auch hier das pädagogische Handeln werden, welches sich in unterrichtlichen Interaktionsmomenten zeigt. L I W EI (2011: 1223) grenzt sich allerdings vom Translanguaging-Verständnis nach G ARCÍA (2009) ab und verweist darauf, dass es sich bei ihr eher um „multiple discursive practices“ handelt, die eine Ähnlichkeit zu Konzepten wie Code-Switching, Crossing etc. aufweisen. Er hebt jedoch die Inhalte und metakognitive sowie metabewusste Handlungen hervor und distanziert sich eher von sprachsystematischen Aspekten. Wenngleich die Bedeutung des pädagogischen und sozialen Konzepts bei beiden betont wird, so wird dennoch deutlich, dass eine klare Trennung von Translanguaging zu anderen Konzepten wie Code-Switching eher schwierig ist. Auf die konzeptuelle Nähe zu Code-Switching im Hinblick auf den sozial-interaktionalen Aspekt und die fehlende kritische Distanz verweist schließlich auch A UER (2022). Die Annahme, dass Bilingualen ein einheitliches Repertoire an sprachlichen Merkmalen zur Verfügung stehe, steht in Kontrast zu Studien zur Sprachverarbeitung, zum bilingualen Erstspracherwerb oder auch zum Code- Switching (u.a. T REFFERS -D ALLER 2025a: 8). In ihrer kritischen Auseinandersetzung mit dem Konzept Translanguaging von T REFFERS -D ALLER (2025a, b) weist die Autorin darauf hin, dass trotz der häufig angegebenen pädagogischen Relevanz eine begriffliche Unschärfe nach wie vor wahrzunehmen ist und die in unterschiedlichen Konzepten vorgegebenen konkreten Praxisbeispiele schließlich bereits bekannte pädagogische Unterrichtsprinzipien seien. Ein weiterer Punkt betrifft die Wirksamkeit Erklären Sie mal auf Arabisch oder Englisch! - Mehrsprachige Praktiken als Scaffolding 107 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0030 des Konzepts, da es laut T REFFERS -D ALLER (2025a: 19) bisher wenig belastbare Belege dafür gibt. In der Studie von K ÄLLKVIST et al. (2022: 840) wird Translanguaging - auch hier verstanden als pädagogische Praxis - im Kontext Schwedisch-Englisch untersucht und gezeigt, dass tendenziell Übersetzungshilfen verwendet werden. In anderen Studien wird deutlich, dass Lernende Translanguaging dynamischer gebrauchen, etwa, um im Unterricht Aufgaben zu erklären oder zu lösen (vgl. K LEYN 2016). T AI / D AI (2023: 2) und C UI / P ACHECO (2023) sprechen in Anlehnung an L I W EIS ‘ Begriffsauslegung hinsichtlich der sozialen Handlung auch von „meaning-making“, was wiederum einer Scaffolding-Strategie entspricht. Die Frage, wie Translanguaging als Scaffolding-Strategie von Lehrkräften eingesetzt wird, wurde bisher in einzelnen Studien zu Englisch als Fremdsprache thematisiert (z.B. S WANWICK 2016; C UI / P ACHECO 2023; T AI / D AI 2023), auch unter besonderer Berücksichtigung von Lernenden in der Primarstufe (z.B. P INHO F ELLER 2021; S ETYANINGRUM / S ETIAWAN / A NAM 2022). C UI / P ACHECO (2023: 375) betrachten Übersetzungen im Unterrichtsdiskurs als notwendiges Kommunikationsmittel und beschreiben sie sogar als komplexen Translanguaging-Prozess: „Translation, in this respect, is not simply studentsʼ work with isolated words and sentences (M ALAKOFF / H AKUTA 1991), but a complex translanguaging process with great potential for promoting cross-linguistic flexibility and developing both language and literacy skills” (G ARCÍA / L I W EI 2014; vgl. auch L EWIS et al. 2012). Die Frage nach Inputmöglichkeiten und der sozialen Interaktion im Unterricht ist daher zwar nicht neu (vgl. auch K RAMSCH 1985; V AN L IER 2000), allerdings fehlen im Kontext Deutsch als Fremdsprache diesbezüglich weitgehend empirische Studien und Erkenntnisse (vgl. K ALKAVAN -A YDIN 2023; 2024a, b, c; J AZBEC 2024). Um diese Forschungslücke zu schließen, wird in diesem Beitrag der Frage nachgegangen, wie Lehrende und erwachsene Lernende im DaF-Unterricht mehrsprachige Praktiken als Scaffolding-Strategie und temporäre adaptive Unterstützung in der Interaktion für die Lösung eines Problems nutzen. Dazu wird Bezug genommen auf die sechs Merkmale von Scaffolding nach VAN DE P OL / V OLMAN / B EISHIUZEN (2010; s. Abb. 1). Diese können im Wesentlichen auf die sozio-kulturelle Theorie von V YGOTSKY (1978), der Zone of Proximal Development, zurückgeführt werden (vgl. VAN DE P OL / V OLMAN / B EISHIUZEN 2010). Dabei ist die Grundannahme in diesem Zusammenhang, dass durch lehrendenseitige Scaffolding-Strategien Lernen in der Interaktion unterstützt werden kann, und zwar auch - oder vor allem - wenn mehrsprachige Ressourcen dazu genutzt werden. Kontingenz wird dabei als ein Merkmal von Scaffolding determiniert und meint, dass die Hilfestellung der Lehrperson an den aktuellen Lernstand der Lernenden angepasst sein sollte und entweder auf dem Niveau oder leicht darüber liegen sollte, um den Lernprozess optimal zu unterstützen ( VAN DE P OL / V OLMAN / B EISHIUZEN 2010: 6). Fading hingegen meint das Verblassen der Unterstützungsmaßnahme, das mit dem steigenden Wissen der Lernenden zusammenhängt. Es ist ein weiteres Merkmal neben internalisation, der Internalisierung von Wissen bei Lernenden ( VAN DE P OL / V OLMAN / B EISHIUZEN 2010: 6; Abb. 1, S. 108). In der interaktiven Lernunterstützung zeichnet sich Scaffolding durch sechs Merk- 108 Zeynep Kalkavan-Aydin DOI 10.24053/ FLuL-2025-0030 54 • Heft 2 male aus, die je nach individueller Lernentwicklung und situativen Gegebenheiten eingesetzt werden (s. Abb. 2). Wenngleich Scaffolding z.B. nach H AMMOND / G IBBONS (2005) in der Zielsprache erfolgt, um die Lernenden in der Unterrichtsinteraktion in der jeweiligen Sprache zu unterstützen, können diese Merkmale aber auch sprachenübergreifend betrachtet werden und sowohl in der Zielsprache als auch in einer Fremdsprache oder in den Erstsprachen der Lernenden erfolgen. Durch Prozesse wie Erklären, Fragen, Anknüpfen an bereits vorhandenes Wissen oder auch das lehrendenseitige Modellieren des Outputs kann Unterrichtsinteraktion schließlich kognitiv aktivierend gestaltet werden. Abb. 1: Sechs Merkmale von Scaffolding (vgl. VAN DE P OL / V OLMAN / B EISHIUZEN 2010: 8) In diesem Beitrag wird davon ausgegangen, dass mehrsprachige Praktiken der Lehrkräfte im Sinne einer kognitiv-konstruktivistischen Sicht nach L IPOWSKY (2020: 92) „Lernende zum vertieften Nachdenken und zu einer elaborierten Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgegenstand“ anregen. Vereinzelte ad hoc-Übersetzungen können dabei eine genauso entscheidende Rolle spielen wie beispielsweise eine Aufforderung zur Erklärung einer grammatischen Regel in der Herkunftssprache oder in einer anderen Fremdsprache. Lehrkräfte verfügen über unterschiedliche interaktive Möglichkeiten, Verstehensprozesse durch den Einsatz von Mehrsprachigkeit im Unterricht zu fördern (vgl. L IN 2013). Dabei handelt es sich um sozial-interaktionistische und situative Anpassungen und zugleich um individuelle und zielgerichtete Lernunterstützungen in actu seitens der Lehrkräfte bzw. auch der Lernenden (z.B. in Gruppenarbeitsphasen), die sich durch eine Passung zwischen den Interaktantinnen und Interaktanten auszeichnen und die nicht im Vorfeld en détail geplant werden können. Im lerntheoretischen Sinne handelt es sich also um eine Ko-Konstruktion von Wissen in der Unterrichtsinteraktion, bei dem neues Wissen aktiv ausgehandelt wird. Ähnlich beschreibt W ALSH (2013: 69) Unterrichtskommunikation als „a series of complex and Rückkopplungen Hinweise Anweisungen Erklären Modellieren Fragen Erklären Sie mal auf Arabisch oder Englisch! - Mehrsprachige Praktiken als Scaffolding 109 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0030 inter-related micro-contexts, where meanings are co-constructed by teachers and learners and where learning occurs through the ensuing talk of teachers and learners.“ 3. Studiendesign Primäres Ziel der Studie Multilingual Classroom Interaction (MuCI) 1 ist die Untersuchung mehrsprachiger Unterrichtskommunikation in DaF-Sprachkursen sowie berufsorientierten Fachsprachenkursen im Kontext Arabisch - Deutsch - Englisch (s. Abb. 2). Während der Projektlaufzeit wurden Unterrichtsstunden in universitären DaF-Sprachkursen in Jordanien auf unterschiedlichen Sprachniveaus aufgezeichnet. Die Lehrenden-Lernenden-Interaktionen werden im Hinblick auf sprachliche Handlungen und mehrsprachige Praktiken analysiert, da Videoaufzeichnungen im Kontext des DaF-Unterrichts in einem mehrsprachigen und arabischsprachigen Umfeld noch immer ein Forschungsdesiderat darstellen. Die vorliegende Studie zielt darauf ab, einen Beitrag dazu zu leisten, diese Forschungslücke zu schließen. Abb. 2: Studiendesign (aus: K ALKAVAN -A YDIN 2025: 56) 1 Der vollständige Projekttitel lautet „Professionalisierung von DaF-Lehrkräften: Multilingual Classroom Interaction“. Das Projekt wird im Rahmen der Germanistischen Institutspartnerschaft und dem Vladimir-Admoni-Programm „International Graduate School German as a Foreign Language“ von 2021- 2026 vom DAAD gefördert. Die Daten wurden an einem universitären Sprachenzentrum in Jordanien erhoben. 110 Zeynep Kalkavan-Aydin DOI 10.24053/ FLuL-2025-0030 54 • Heft 2 Das aktuelle Datenkorpus besteht aus elf Unterrichtsaufnahmen mit einer Dauer von 54,09 bis 123,04 Minuten. Teilgenommen haben insgesamt 10 Lehrkräfte und 188 Studierende (s. Tab. 1). Gruppe und Kurslevel Lehrkraft Anzahl der Studierenden Unterricht (Aufnahmezeit) tag01_grp01_DaF-A1.2 tag01_grp02_DaF-A1.2 tag01_grp03_DaF-A1.2 tag01_grp04_DaF-A1.2 tag02_grp05_DaF-A1.2 tag01_grp01_DaF-B1.1 tag02_grp01_DaF-B1.1 tag02_grp02_DaF-B1.2 (Fachsprache) tag03_grp01_DaF-B2.1 tag03_grp02_DaF-B2.1 tag04_grp02_DaF-B2.1 (Fachsprache) LK1 (w), L1 Arabisch LK1 (w), L1 Arabisch LK2 (w), L1 Arabisch LK3 (m), L1 Arabisch LK4 (w), L1 Deutsch (Arabisch als FS) LK 5 (m), L1 Arabisch LK6 (m), L1 Arabisch LK 7 (w), L1 Arabisch LK 8 (w), L1 Arabisch LK 9 (m), L1 Arabisch LK 10 (m), L1 Arabisch 22 9 22 18 22 13 19 13 16 14 20 67,57 Min. 70,56 Min. 54,09 Min. 66,43 Min. 123,04 Min. 62,29 Min. 68,05 Min. 66,00 Min. 64,30 Min. 65,13 Min. 63,47 Min. Tab. 1: Datenkorpus (Stand 10.09.2024) Eine der Besonderheiten des MuCI-Projekts ist, dass alle Projektteilnehmenden - sowohl die Lehrkräfte als auch die Lernenden - mehrsprachig sind. Fast alle Teilnehmenden sprechen Arabisch als Erstsprache, jedoch unterschiedliche Varietäten. Al- Fusha ist zwar die „Standardsprache“ (Hocharabisch als offizielle Sprache), allerdings zeichnet sich die Alltags- und Unterrichtskommunikation dadurch aus, dass diese im Mündlichen nicht (oder kaum) genutzt wird. Gesprochen werden die verschiedenen Varietäten des Arabischen (jordanisch, palästinensisch, ägyptisch etc.). Zielsprache im Unterricht ist Deutsch; neben DaF spielt vor allem Englisch als lingua franca eine wichtige Rolle in der (Unterrichts-)Kommunikation. Die Lehrenden und Lernenden sind nicht nur zweisprachig, sondern verfügen darüber hinaus auch über Kenntnisse im Französischen und/ oder in weiteren Fremdsprachen. 4. Methodisches Vorgehen Im Sinne rekonstruktiver Verfahren wurden Videoaufzeichnungen im Unterricht durchgeführt. Ein rekonstruktiver Ansatz ermöglicht immer wiederholbare Beobachtungen und Erkundungen von Unterrichtskontexten, die für die Forschungsfrage relevant sind. Um sowohl die Lehrkraft als auch die Lernenden durchgehend im Bild zu haben, wurden zwei Kameras aufgestellt (vorne/ Tafel und hinten). Die Videos wur- Erklären Sie mal auf Arabisch oder Englisch! - Mehrsprachige Praktiken als Scaffolding 111 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0030 den nach den Erhebungen zu Simultanvideos im Split-Screen-Format zusammengefügt, sodass durch eine horizontale Unterteilung des Bildschirms die gleiche Unterrichtssituation aus zwei Perspektiven (Lehrkraft, Lernende) im Video sichtbar sind. Die Transkription der mehrsprachigen Aufzeichnungen erfolgte mithilfe der Software EXMARaLDA nach den Konventionen von GAT 2 (S ELTING et al. 2009; K RAUSE / W AGNER 2023; K ALKAVAN -A YDIN 2024b; s. Abb. 3). Für die Transliteration der arabischsprachigen Daten wurde die DMG-Schreibweise (Umschrift der Deutsch Morgenländischen Gesellschaft) verwendet und es wurden dabei gesprochensprachliche Merkmale berücksichtigt (vgl. F ARAG 2019: 19f.; 2023). Abb. 3: Verknüpfung der Dateien mit der Transkription (EXMARaLDA) (aus: K ALKAVAN -A YDIN 2025: 57) Die Auswertung der Videodaten erfolgt mittels (multimodaler) Interaktionsanalyse (C OUPER -K UHLEN / S ELTING 2018: 29; N ORRIS 2004). Videobasierte Transkripte bieten die Möglichkeit, sichtbare Momente wie nonverbale Gesten (z.B. Blickkontakt, Kopfnicken oder Kopfschütteln, Zeigegesten) und Mimiken zu dokumentieren, die insbesondere für die Unterrichtskommunikation relevant sind. Die Interaktionsanalyse mittels Videos lässt daher einen vertiefenden Einblick in das Unterrichtsgeschehen zu, da die soziale Interaktion nicht ausschließlich verbal, sondern auch nonverbal erfolgt (S CHWAB / H OFFMANN / S CHÖN 2017: 7; F ILIPI / M ARKEE 2018a, b). Für die Analyse der Unterrichtsaufzeichnungen dienen die von VAN DE P OL / V OLMAN / B EISHIUZEN (2010: 7f.; s. Abb. 1) zusammengefassten Scaffolding-Merkmale (vgl. K ALKAVAN -A YDIN 2024c). In einem ersten Analyseschritt werden Unterrichtssequenzen identifiziert, die mindestens ein Merkmal von Scaffolding (Rückkopplungen, Hinweise Anweisungen, Erklären, Modellieren, Fragen) nach VAN DE P OL / V OLMAN / B EISHIUZEN (2010: 8) erfüllen. Anschließend werden die entsprechenden Stellen interaktionsanalytisch im Hinblick auf die Verwendung mehrspra- 112 Zeynep Kalkavan-Aydin DOI 10.24053/ FLuL-2025-0030 54 • Heft 2 chiger Praktiken untersucht. Dabei stehen die folgenden beiden Forschungsfragen im Zentrum der Untersuchung: (1) Wann und in welchen Phasen nutzen Fremdsprachenlehrkräfte und Lernende während der Unterrichtsinteraktion mehrsprachige Praktiken? (2) Welche Scaffolding-Strategien verwenden Fremdsprachenlehrkräfte in Kombination mit mehrsprachigen Praktiken? 5. Datenanalyse und Ergebnisse In den Aufnahmen können unterschiedliche mehrsprachige Praktiken von Lehrenden und Lernenden identifiziert werden, die lehrendenseitig insbesondere als Scaffolding- Strategien eingesetzt werden. Diese reichen von kurzzeitigen Einzelwort-Übersetzungen bis hin zu Aufgaben- oder Grammatikerklärungen. Die Lehrkräfte gehen differenziert vor und nutzen diese Strategien auch in verschiedener Intensität auf den jeweiligen Sprachniveaus und in unterschiedlichen Unterrichtsphasen sowie Registern des Mündlichen wie Schriftlichen (z.B. in Frontalgesprächen, kooperativen Arbeitsformen oder bei Rückmeldungen zu schriftlichen Aufgaben). In Bezug auf die erste Forschungsfrage, wann und in welchen Phasen Lehrkräfte und Lernende mehrsprachige Praktiken nutzen, lässt sich beobachten, dass diese überwiegend in mündlichen Interaktionen zu beobachten sind, jedoch durchaus vereinzelt auch im Schriftlichen vorgefunden werden können. Letztere betreffen z.B. Notizen an der Tafel oder in kooperativen Lernphasen auch persönliche Notizen beim gemeinsamen Aufgabenlösen (K ALKAVAN -A YDIN 2024b: 67). Insgesamt lassen sich mehrsprachige Praktiken in den mündlichen Unterrichtsinteraktionen als Scaffolding-Strategien für Feedback, zur Verständnissicherung und zur Kommunikationsförderung festhalten. In Anlehnung an VAN DE P OL / V OLMAN / B EISHIUZEN (2010: 8) kann konstatiert werden, dass in den Daten neben übergreifenden mehrsprachigen Praktiken wie dem Übersetzen oder der Anwendung von Rezipientensignalen von den Lehrenden (Beispiele 1 bis 3) auch Rückkopplungen, Erklärungen, Fragen und Hinweise versprachlicht werden (Beispiele 4 bis 6). Insgesamt werden Übersetzungen einzelner Begriffe oder Phrasen in andere Sprachen insbesondere auf dem Sprachniveau A1.2 realisiert. Lehrende übersetzen dabei tendenziell häufiger ins Arabische und Lernende ins Englische, wobei zu beobachten ist, dass insbesondere die Lehrenden die Interaktion anschließend wieder in der Zielsprache Deutsch fortsetzen (K ALKAVAN -A YDIN 2024a: 55). Dies ist im Hinblick auf den Erwerb der Zielsprache und die Kontinuität der Kommunikation im Fremdsprachenunterricht besonders relevant. Bei Beispiel 1 handelt es sich um einen Auszug aus der Einstiegsphase in den Unterricht, in der die Lehrkraft mit den Lernenden ein kurzes Gespräch über die Jahreszeiten führt. Sie fragt in der Sequenz u.a. nach der Lieblingsjahreszeit und lässt Studierende auch erklären, warum sie sich für eine bestimmte Jahreszeit entscheiden. In der gesamten Sequenz wird deutlich, dass die Lehrerin die Äußerungen der Ler- Erklären Sie mal auf Arabisch oder Englisch! - Mehrsprachige Praktiken als Scaffolding 113 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0030 nenden inhaltlich aufgreift und explizit nach Übersetzungen ins Deutsche fragt, wenn sich Lernende mehrsprachig äußern; wie es etwa in Beispiel 1 der Fall ist. Hier bittet sie die Teilnehmenden die arabischsprachige Äußerung von TN37 („Das Wetter ist warm.“) aus dem Arabischen ins Deutsche zu übersetzen („WAS bedeutet, al-jaw dāfī? “). Die Lernenden übersetzen dabei das Adjektiv („warm“) und nicht die gesamte Äußerung, was die Lehrkraft aber nicht davon abhält, dies durch den Diskursmarker „also“ zu bestätigen („a↑ha also“), die Phrase auf Deutsch zu vervollständigen („das ↑WARme wEtter“) und eine Schlussfolgerung (hier als konkretes Beispiel) auf Deutsch vorzunehmen. Beispiel 1: Begriffsklärungen und Übersetzungen (tag_01_grp02_DaF-A1.2) Die Lehrerin nutzt in Beispiel 1 die Übersetzung als Praktik, um schließlich selbst durch Fragen und Modellierungen das Sprachlernen zu unterstützen. Dabei fällt auf, dass sie stets nicht nur verbal in Kontakt mit den Teilnehmenden steht, sondern auch den Blickkontakt hält. In Beispiel 2 (S. 114) erkennen wir an einem längeren Interaktionsausschnitt ebenfalls, dass die Erklärung weitgehend in der Zielsprache Deutsch erfolgt. In diesem Fall wird im berufsorientierten Fachunterricht die Übersetzung des Fachbegriffs „Reichweite“ ins Arabische und Englische punktuell zur Verständnissicherung genutzt und dann wieder in die Zielsprache Deutsch gewechselt. Auch diese Lehrkraft nutzt den Blickkontakt für eine fortlaufende Interaktion mit dem gesamten Kurs (u.a., um einzelne Teilnehmende aufzurufen) und zeigt bei der gemeinsamen Textrezeption auch punktuell auf entsprechende Textstellen, die auf dem Smartboard im Kursraum angezeigt werden. Darüber hinaus wendet sie beispielsweise während der Erklärung fachsprachlicher Begriffe ikonische Gesten an; ebenso sind die Lernenden durch Gesten bemüht, unbekannte Begriffe zu erläutern oder auf Begriffe zu zeigen (wie z.B. bei dem Wort „vergrößern“). 114 Zeynep Kalkavan-Aydin DOI 10.24053/ FLuL-2025-0030 54 • Heft 2 Beispiel 2: Übersetzung Arabisch und Englisch (tag04_grp02_Fachsprache- IT_B1.2) Im gesamten Datenset werden Bedeutungsaushandlungen und Verständnissicherungen (z.B. durch Rückkopplungen, Fragen oder Übersetzungen), bei denen Scaffolding eine wichtige Rolle spielt, in Arabisch, Deutsch und teilweise auch in Englisch vollzogen. Eine weitere Praktik stellt der Gebrauch sog. „contextualization conventions“ bzw. „contextualization cues“ dar (vgl. G UMPERZ 1982, 1992). Diese können als kulturell geprägte Zeichen in der Interaktion zu verstehen sein (vgl. G ÜNTHER 1993), die das Unterrichtsgespräch beeinflussen können, wenn sie beispielsweise zur Bestätigung oder als Frage zur Rückkopplung genutzt werden. Relativ häufig vorkommende Gesprächspraktiken, die von Lehrkräften eingesetzt werden, sind Signale wie „ja“, „gut“ oder „weiter“ und im Arabischen insbesondere „bāzabāt“ (genau), „ṭayyib“ (also okay) oder auch Partikeln zur Aufforderung zur Teilnahme wie „yalla“ (los), die häufig mit einem bestätigenden Kopfnicken verknüpft sind. Beispiel 3 (S. 115) veranschaulicht eine kurze Sequenz auf Deutsch, in der kooperativ ein Fachtext erschlossen wird und der Lehrer in diesem Zusammenhang Verständnisfragen stellt. Dabei wird überlegt, welche Fachtermini (Verben: umwandeln, modellieren etc.) in die jeweilige Textlücke passen. Die Lehrkraft unterstützt die Lernenden dabei, den Text und die einzelnen Begriffe zu erschließen und bestätigt durch arabischsprachige cues und recipient signals (hier: bāzabāt). Erklären Sie mal auf Arabisch oder Englisch! - Mehrsprachige Praktiken als Scaffolding 115 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0030 Beispiel 3: Feedback durch Lob und Rezipientensignale (tag04_grp02_Fachsprache-IT_B1.2) Die Lehrperson unterstützt dabei, Bedeutung zu konstruieren und greift auf ihr gesamtsprachliches Repertoire (Meaning-Making) zurück. Ein weiteres Phänomen in Bezug auf Diskurskontinuität zeigt sich bei Aufgabenund/ oder Grammatikerklärungen. Um im Gesprächsfluss zu bleiben, verwenden Fremdsprachenlehrkräfte ebenso wie die Lernenden sehr häufig das Wort „ya‘ny“ (also, das heißt, ich meine) im Arabischen, um damit zu signalisieren, dass die Erklärung im Folgenden fortgesetzt bzw. präzisiert wird bzw. Zusammenhänge verdeutlicht werden oder eine logische Konsequenz gezogen wird (s. Beispiel 4). Beispiel 4: „ya‘ny“ (tag04_grp02_Fachsprache-IT_B1.2) Der arabische Diskursmarker „ya’ny“ signalisiert als bekanntes sprachliches Mittel, dass in der sprachlichen Handlung der Lehrkraft nun ein wichtiger Hinweis (oder in anderen Beispielen auch eine Zusammenfassung bzw. eine wichtige Umformulierung) folgt. Dadurch wird das gemeinsame mehrsprachige Repertoire aktiviert und eine kommunikative Sicherheit in der längeren Textrezeption und Aushandlung von Fachbegriffen geschaffen, um die es hier geht. Der Lehrer weist noch in der gleichen Äußerung explizit darauf hin, dass sie das Thema „Netzwerktypologien“ bereits im Unterricht behandelt haben. In Beispiel 5 handelt es sich um einen Unterrichtsausschnitt aus einem B1.1-Kurs, in dem die Lehrkraft einen Lernenden auffordert, die 116 Zeynep Kalkavan-Aydin DOI 10.24053/ FLuL-2025-0030 54 • Heft 2 Verwendung des Genitivs in einem Beispielsatz in arabischer Sprache zu erklären. Nach einem ersten Versuch („wegen des schlechten Wetters bin ich nicht draußen gegangen“), in dem der Genitiv von dem Studenten zwar richtig gebildet wurde, jedoch die Präposition „nach“ fehlt, fordert die Lehrkraft den Studenten auf, in Arabisch zu erklären. Erklärungen zählen ebenfalls zu Scaffolding-Strategien. Während in Beispiel 5 die Lehrkraft einen Lernenden auffordert, die Bedeutung eines Wortes auf Arabisch zu erklären und ihn dadurch motiviert, seine mehrsprachigen Ressourcen zu nutzen, erklärt in Beispiel 6 die Lehrerin die Aufgabenstellung noch einmal auf Englisch, als sie bemerkt, dass eine Studentin die Aufgabe nicht verstanden hat und nicht weiß, was sie tun soll („what are we supposed to do? “). Dabei handelt es sich um zwei unterschiedliche Vorgehensweisen. In Beispiel 5 unterstützt der Lehrer den Lernenden mit einer Übersetzung ins Englische, um ihn auf den Fehler aufmerksam zu machen, damit dieser seine Äußerung korrigiert und die fehlende Präposition einsetzt. Dies setzt der Student schließlich auch auf Arabisch um, was zeigt, dass das Vorgehen des Lehrers zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung und Selbstkorrektur geführt hat. Mehrsprachigkeit wird hier also zur Modellierung der Einzeläußerung genutzt. Die Anwendung des Genitivs im Deutschen wird nicht nur ins Arabische übertragen, sondern auch geprüft, ob die Funktion des Genitivs im Deutschen verstanden wurde. Durch wiederholende Bestätigungen mit „ja“, die zum Teil auch als Rückfrage formuliert sind, fordert die Lehrkraft Lernende implizit auf, zu signalisieren, dass sie die Erklärung verstanden haben. Interjektionen wie auch Partikeln werden oft in der Unterrichtskommunikation begleitend mit direktem Blickkontakt zu einzelnen Lernenden oder Kopfnicken verknüpft. Beispiel 5: „Erklären Sie mal auf Arabisch“ (tag02_grp01_DaF-B1.1) - Erklären In Beispiel 6 (S. 117) hingegen, einer Sequenz aus einer Unterrichtsstunde auf dem Niveau A1.2 (Thema: Wegbeschreibung), wiederholt die Lehrerin selbst die Aufgabe und erklärt diese im Plenum auf Englisch, als sie bemerkt, dass eine Teilnehmerin nicht weiß, was sie in der Einzelarbeitsphase tun soll. Dabei zeigt sie auch verbal mit der Deixis „here“ auf die Frage, die beantwortet werden soll. Erklären Sie mal auf Arabisch oder Englisch! - Mehrsprachige Praktiken als Scaffolding 117 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0030 Beispiel 6: Aufgabenstellung auf Englisch (tag01_grp04_DaF-A1.2) In der gleichen Unterrichtsstunde fragt die Lehrerin nach Bedeutungsunterschieden zwischen Präpositionen im Deutschen und lässt Studierende diese erklären. Nachdem eine Lernerin den Unterschied zwischen den Präpositionen „an“ und „neben“ erklärt hat, bestätigt die Lehrerin dies mit „ja“ und startet, die Erklärung auf Englisch zu ergänzen („a without conTACT nEben und wIth contact“), wobei die Lernenden dann im Plenum auf Englisch mit „an“ antworten. Die Lehrerin setzt dann die Erklärung mit einem Beispiel auf Deutsch fort („zum bEIspiel (--) <<len>der SCHWAMM ist An der tAfel.> und ich stehe NEben (---) dem tIsch. (--) die anderen eh: präpositiOnen <<all>glaube ich> sind EINfach; zum beispiel (---) ZWIschen betwEEn. ja? ist EINfach? (.) UNter ist oke. under, VOR (.) frOnt und HINter“). Eine weitere Strategie, die in den analysierten Unterrichtsstunden verwendet wird, ist die Rückkopplung. Bei der Rückkopplung handelt es sich um eine Feedback-Strategie, in der bestimmte Elemente der Interaktion aufgegriffen, zurückgespielt oder weiterverarbeitet werden. Durch diese Strategie kann die Lehrkraft Redebeiträge reformulieren, bestätigen, korrigieren oder erweitern. Es zeigt sich bei den Rückkopplungen in den Daten, dass diese in der Zielsprache Deutsch in die Gesprächszusammenhänge eingebettet werden. Dadurch bietet die Lehrkraft in Beispiel 7 (S. 118) auch eine Anschlusskommunikation, an der alle Lernenden partizipieren können. Bei Beispiel 7 - aus der gleichen Unterrichtsstunde wie Beispiel 5 - handelt es sich um eine Aufgabenbesprechung, in der die Lehrperson auf eine falsche Übersetzung in der Aufgabe hinweist. Obwohl ein Lernender bereits die richtige Übersetzung des Begriffs „Rechtsanwalt“ auf Englisch formuliert, fordert die Lehrkraft diesen auf, auch ins Arabische zu übersetzen. Durch diese Rückkopplung an die Erstsprache zielt sie darauf ab, dass alle Lernenden im Kursraum die korrekte Bedeutung verstehen. Zwei Methoden der Rückkopplung werden in dieser Interaktionssequenz deutlich: Eine Lernendenäußerung wird wieder aufgegriffen (Verstehenssicherung) und es folgt eine kognitive Aktivierung durch erneutes Nachfragen (Synonym: Rechtsanwalt - Avokado - Advokat). Ein Teilnehmer übersetzt das Wort „Rechtsanwalt“ zunächst ins Englische, woraufhin der Lehrer ihn nach einer Bestätigung auffordert, das Wort auch ins Arabische zu übertragen („stimm: t. ↓ja. LAWyer. b-ilʿarabī? “). Wichtig ist zudem, dass die Wiederholung und sprachliche Unterstützung durch visuelle Verweise (auf die Begriffe an der Tafel zeigen) erfolgt. 118 Zeynep Kalkavan-Aydin DOI 10.24053/ FLuL-2025-0030 54 • Heft 2 Beispiel 7: „Avocado oder Advokat? “ (tag01_grp01_DaF-B1.1) - Rückkopplungen Die Ergebnisse der Interaktionsanalyse mehrsprachiger Praktiken in DaF-Sprachkursen können folgendermaßen zusammengefasst werden: Mehrsprachige Praktiken werden im Sinne von Scaffolding mit unterschiedlichen Intentionen und im Kontext differenzierter Aufgabenstellungen sowohl von Lernenden als auch von Lehrenden verwendet. Diese unterscheiden sich im Hinblick auf die Intensität und die Zielsetzung (Aufforderung, Erklärung, Korrektur). Den Daten können einerseits Interaktionssequenzen entnommen werden, in denen sowohl von Lehrenden als auch von Lernenden häufiger und intensiver Mehrsprachigkeit genutzt wird und andererseits aber auch relativ kurze Einheiten, in denen beispielsweise Lehr- Erklären Sie mal auf Arabisch oder Englisch! - Mehrsprachige Praktiken als Scaffolding 119 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0030 kräfte Diskursmarker in Arabisch verwenden. In den A1.2-Kursen wird Mehrsprachigkeit im Plenum tendenziell häufiger gebraucht, und zwar insbesondere bei ad hoc-Übersetzungen, Erklärungen und Rezipientensignalen. Übersetzungen sind vor allem spontan und situationsgebunden. Sie werden meist unsystematisch aus pragmatischen Gründen und/ oder zur Verständnissicherung eingesetzt. Auf höheren Niveaustufen (B1.2, Fachsprachenkurse) werden mehrsprachige Praktiken im Plenum eher seltener verwendet. Sie werden stattdessen zielgerichtet insbesondere in Einzel- und Gruppenarbeitsphasen genutzt, und zwar sowohl in der Herkunftssprache Arabisch als auch in Englisch. Man könnte an dieser Stelle auf das Phänomen Fading verweisen, da auf höheren Sprachniveaus ein „Verblassen“ der (mehrsprachigen) Unterstützungsmaßnahmen mit steigender Sprachkompetenz der Lernenden in der Zielsprache Deutsch empfohlen wird (vgl. VAN DE P OL et al. 2010: 6; K ALKAVAN - A YDIN 2024b: 71). Es kann festgehalten werden, dass mehrsprachige Praktiken von Lehrenden situativ als supportives Interaktionselement für die individuelle Förderung genutzt wird und von Lernenden ebenfalls als Ressource, um die Zielsprache zu lernen. Häufig sind diese gekoppelt an Gesten oder Mimiken, die z.B. bei Erklärungen den Interaktionsprozess unterstützen sollen. Dabei wechseln die Gesprächsteilnehmenden nach den mehrsprachigen Sequenzen immer wieder bewusst in die Zielsprache Deutsch und bleiben dabei konsequent. Dies zeigt, dass trotz mehrsprachiger Praktiken die Zielsprache im beidseitigen Fokus bleibt und auch vorrangig angewendet wird. Der lehrenden- und lernendenseitige Einsatz von Mehrsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht ermöglicht somit eine Kontinuität im Unterrichtsdiskurs, in dem andere Sprachen zwar zugelassen, von den Lehrkräften aber auch immer wieder gezielt durch die Zielsprache Deutsch abgelöst werden - ein Vorgehen, das teilweise sogar explizit angekündigt wird. 6. Limitationen Die Ergebnisse der Studie beleuchten Aspekte des Scaffolding in mehrsprachigen Unterrichtsdiskursen im Kontext Arabisch - Deutsch − Englisch. Auf der Grundlage von sechs Merkmalen, die bereits in früheren Studien herausgearbeitet wurden, ermöglicht die vorliegende Datenbasis eine Analyse, die insbesondere mehrsprachige Praktiken berücksichtigt. So lassen sich lernunterstützende Momente in der Unterrichtsinteraktion identifizieren, die für das hier untersuchte arabischsprachige Setting spezifisch sind. Die Studie weist auch Limitationen auf, die im Folgenden näher erläutert werden. Aus dem hier vorgestellten Korpus lassen sich einzelne Strategien als Scaffolding-Maßnahmen in der Sprachenkonstellation Arabisch-Deutsch-Englisch identifizieren, die vor allem Einblicke in das interaktive Unterrichtsgeschehen ermöglichen. Für vertiefende Erkenntnisse über die Anwendung und Entwicklung solcher Praktiken wären jedoch weiterführende Untersuchungen erforderlich, in denen etwa einzelne Lehrkräfte über längere Zeiträume und in verschiedenen Sprachkursen begleitet werden - auch auf unterschiedlichen Niveaus. Zudem wäre es aufschluss- 120 Zeynep Kalkavan-Aydin DOI 10.24053/ FLuL-2025-0030 54 • Heft 2 reich, Interaktionen in ausgewählten Kursen systematisch über einen längeren Zeitraum hinweg zu analysieren, um genauere Aussagen über spezifische Merkmale wie Feeding back treffen zu. Diese wurden für die Analysen der Sequenzen bereits berücksichtigt (z.B. verbales und gestisches Zeigen während der Textanalysearbeit, Kopfnicken oder Blickkontakte zwischen Lehrenden und Lernenden), könnten jedoch auch stärker in der Gesamtauswertung fokussiert werden (beispielsweise durch eine ergänzende quantitative Vorgehensweise). Über Interaktionsanalysen hinaus sind schließlich auch andere Forschungsperspektiven und -designs denkbar, die sich mit der Wirksamkeit von Mehrsprachigkeit in der Unterrichtsinteraktion befassen und bspw. situative Anpassungen und Inputmodellierungen untersuchen. 7. Fazit Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass DaF-Lehrkräfte und Lernende in ihrem Unterricht in unterschiedlicher Intensität und Weise mehrsprachige Praktiken nutzen, und zwar sowohl fremdals auch selbstinitiiert. Neben kurzen Übersetzungen und/ oder Signalen und Feedbacks wie Lob sind Rückkopplungen und Erklärungen von Aufgaben, Grammatikregeln und Semantik die häufigste Form im DaF-Unterricht. Dabei wird neben dem Arabischen auch auf Englisch als lingua franca zurückgegriffen. Es zeigt sich auch, dass mehrsprachige Praktiken nicht nur mit längeren Erklärungen oder Fragen verknüpft sind, sondern durchaus auch kurze Elemente darstellen, die im Sinne der sozialen Interaktion innerhalb des Kurses zur gemeinsamen Bedeutungs- und Wissenskonstruktion dienen. Deutlich wird dies vor allem bei Diskursmarkern wie „tayyib“ oder „ya’ny“, die insbesondere von Lehrkräften verwendet werden, und zwar bei Erklärungen oder Zusammenfassungen. Die Interaktionssequenzen machen auch deutlich, dass Lehrende nach den mehrsprachigen Praktiken die Interaktion wieder in der Zielsprache Deutsch fortsetzen, daher erfolgt die Unterrichtsinteraktion weitgehend in der Fremdsprache Deutsch. Dies sei in Bezug auf die hier vorliegende Studie als Tendenz festgehalten. Dennoch lässt sich festhalten, dass mehrsprachige Praktiken einerseits dazu beitragen, die Kommunikation im Unterricht aufrechtzuerhalten, und andererseits als unterstützendes Mittel dienen, um im Sinne der Zone of proximal development (vgl. V YGOTSKY 1978) die Kluft zwischen dem aktuellen individuellen Sprachniveau und dem Zielniveau zu überbrücken. Um abschließend eine Antwort auf die Frage „Mehrsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht - Ein Gewinn oder eine Gefahr für den Erwerb der Zielsprache? “ zu formulieren, sei festgehalten, dass es sich beim Einsatz mehrsprachiger Praktiken keineswegs um eine Gefahr für den Erwerb der Zielsprache handelt, sondern einen wertvollen Beitrag zu erfolgreichen Sprachlernprozessen. Sie eröffnen Möglichkeiten im Fremdsprachunterricht, Bedeutungen zu erschließen, Verbindungen zwischen Sprachen herzustellen, Sprachbewusstheit aufzubauen und eine partizipative Lernumgebung zu schaffen. Erklären Sie mal auf Arabisch oder Englisch! - Mehrsprachige Praktiken als Scaffolding 121 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0030 Literatur A GUADO , Karin (2010): „Sozial-interaktionistische Ansätze“. In: K RUMM , Hans-Jürgen / F ANDRYCH , Christian / H UFEISEN , Britta / R IEMER , Claudia (Hrsg.): Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Ein internationales Handbuch. Berlin: De Gruyter, 817-826. 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Das fachlich korrekte und lernbiografisch-differenzierte Feedback mit all seinen transkulturellen Implikationen bleibt der Lehrkraft vorbehalten. Zwischenmenschlicher Diskurs wird weiterhin von der Lehrkraft initiiert, kuratiert und gesteuert. Dennoch, besonders in Bereichen wie jenen der automatisierten Generierung repetitiver Aufgabenformate, der adaptiven Steuerung basaler Lernprozesse durch hohe Responsivität sowie der multimodalen, barrierefreien Darstellung von Inhalten (z. B. in Text-, Audio- und Videoformaten) zeigt sich die KI gegenüber der Lehrkraft als leistungsstärker, unmittelbarer verfügbar und technisch skalierbar. Die Erstellung dieser Aufgaben durch den Lehrenden ist in diesem Zeitraum nicht machbar. Konkurrenz bei der Planung. Im aktuellen Forschungsdiskurs stehen sogenannte Teacher-Facing-Tools im Fokus. Hierbei handelt es sich um KI-gestützte Programme, die darauf abzielen, die Planung des Fremdsprachenunterrichts zu erleichtern. Diese mehrkanaligen KI-Tools haben für die Materialerstellung evidente Vorteile. Gerade bei der Erstellung von Arbeitsblättern mit standardisierten Formaten (Lückenübung, Multiple Choice, Zuordnungsübungen) können nach Eingabe eines Textes zu einem bestimmten Thema oder grammatikalischen Phänomen zielgruppenspezifische Arbeitsblätter produziert werden - im professionellen Layout mit punktgenauer Thematisierung von Phänomenen, die curricular zu erarbeiten sind. Durch Prompts auf Basis der Diagnosekompetenz der Lehrkraft werden weitere Arbeitsblätter produziert. Die Lehrkraft erspart sich Zeit, die man sonst in Internetrecherche (Suchen von Arbeitsblättern, Sammeln von Materialen) investiert hätte. Gerade für Fremdsprachenlehrkräfte am Beginn ihrer Karriere oder für Quereinsteigerinnen können solche Generatoren eine beträchtliche (zeitliche und ggf. didaktische) Entlastung bieten. Besonders bei der oftmals repetitiven Produktion standardisierter Übungsitems sind solche Tools nützlich. Visual Facilitators. Ein weiterer vorteilhafter Aspekt ist die schnelle Produktion visuell ansprechender Materialien. KI-Tools wie Napkin.ai ermöglichen es, Texte (Nachrichten, Webseiten, Lesetexte, Lieder, Reden) zu analysieren, um lexikalische und inhaltliche Korrelationen grafisch darzustellen. Solche generativen KIs agieren als visual facilitators, die Lernende unterstützen, komplexe Sachverhalte grafisch kontextualisiert besser zu verstehen. Podcast Generators. Im Bereich Hörverständnis können KI-gestützte Tools wie Google NotebookLM unterstützend agieren, indem sie fremdsprachliche Texte oder YouTube-Videos als adaptive Podcast generieren. Man kann dem System klare Anweisungen geben, wie der Podcast gestaltet werden soll. Ein Prompt könnte lauten: „Erstelle eine kurze unterhaltsame Radioshow mit zwei Moderator*innen, die das Thema in einfacher Sprache für 14-Jährige erklären.“ Presentation Evaluators. Gerade bei der Fähigkeit des Sprechens, der „Achillesferse“ des Sprachunterrichts, wenn es um zeitliche und organisationale Ressourcen geht, ist KI eine Konkurrenz zur Lehrperson. Es gibt Sprechperformanz-Analysetools, die das Gesprochene untersuchen. Der Microsoft PowerPoint Coach gibt Feedback zur Sprechgeschwindigkeit, Frequenz von Lückenwörtern und repetitiven Sprachmustern beim Vortragen. Wien T HOMAS S TRASSER KI i m F r e m d s pr a c h e n u nt e rri c ht: K o nkurr e n z s t a tt A s s i s t e n z f ür di e Le hrkr a f t ? Pro und Contra 125 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0031 Im Sommer 2024 führte eine private Schule in London das erste Klassenzimmer ganz ohne menschliche Lehrkräfte ein, namhafte Universitäten in den USA streichen bereits ganze Sprachstudiengänge - vor dem Hintergrund sich vermeintlich stetig selbst übertreffender technischer Entwicklungen in verschiedenen Bereichen künstlicher Intelligenz (KI) scheint die Sorge vor einem Arbeitsplatzverlust für Sprachlehrkräfte also zunehmend real. Doch basiert dieser (Re-)Aktionismus nicht vielmehr auf Prämissen, die hinterfragt werden sollten? Die erste Prämisse besteht darin, eine KI könne alle im fremdsprachlichen Lehrbetrieb aufkommenden Aufgaben und Herausforderungen erfüllen. Dass KI-Anwendungen Lehrkräfte bei zahlreichen Aufgaben entlasten oder diese gänzlich allein durchführen, ist dabei mehrheitlich unbestritten. Ihre Fähigkeiten in Statistik und der gezielten und schnellen Analyse von Daten, Zahlen und Zusammenhängen prädestinieren sie geradezu dafür: KI übernimmt z.B. lästige Verwaltungsaufgaben, vermag es Lernfortschritte zu analysieren, verfasst umfängliches und verständliches Feedback, unterstützt bei der Planung von Lehre oder der Erstellung binnendifferenzierender Lehrbzw. Lernmaterialien und verschafft so ihren Nutzer: innen vor allem eines: Zeit. Zeit für die soziale Interaktion mit den Lerner: innen. Eben diese ist es, die das Lehren am Ende so komplex werden lässt. Veränderbare und wechselnde Bedürfnisse, Ausgangslagen und Einflussfaktoren müssen gegeneinander abgewogen und situativ auf Basis geringster Indikatoren (z.B. Körpersprache, Tonfall) immer wieder neu bewertet werden. Eine solche Faktorenanalyse sollte eine einfache Aufgabe für eine KI darstellen, wäre da nicht die schiere Menge an geteiltem Wissen, unausgesprochenen Annahmen und Übereinkünften, die in den Interaktionen nicht (erneut) direkt kommuniziert werden (müssen) - zumal Sprache selbst historisch-biografisch gebunden ist und damit voller Bedeutungsdimensionen steckt. Während die Lehrperson wie auch die Lerner: innen die „Datenlage“ also direkt in sich und vor sich liegen haben und flexibel darauf reagieren können, muss sie einer KI erst zur Verfügung gestellt werden. Klammert man das offensichtlichste aller damit verbundenen Probleme, den Schutz personenbezogener Daten, einmal aus und ignoriert den mit einem solchen Datenaustausch verknüpften Aufwand an finanziellen, zeitlichen, natürlichen und personellen Ressourcen, so spielt auf der Ebene des Sprachenlernens eine weitere Prämisse hinein: Diese geht davon aus, dass das Wissen einer KI zu jeder Sprache und zu zeitgemäßer Sprachdidaktik bzw. -methodik so umfänglich ist, dass die KI als gleichwertige, wenn nicht sogar bessere Lehrperson agiert. Das ist jedoch, bei allem technischen Fortschritt der vergangenen Jahre, keineswegs flächendeckend der Fall und verweist auf die Komplexität und Biases innerhalb einer weitgehend unkuratierten Datenauswahl, die das Training der Algorithmen und deren Output maßgeblich beeinflussen: Sogenannte ressourcenstarke Sprachen wie auch vornehmlich tradierte, westliche Didaktiken verdrängen jene Sprachen und Perspektiven auf ein Sprachenlernen und -lehren, die innerhalb der Datenkorpora nicht- oder nur unterrepräsentiert sind. So mag KI zwar in einigen ausgewählten Bereichen durchaus in Konkurrenz zu Lehrenden treten (sofern diese der KI die hierfür notwendigen Daten zur Verfügung stellen), deren komplexe sozial(politisch)e Rolle gänzlich zu ersetzen, vermag sie jedoch derzeit nicht. Wien K ATRIN E NGELMAYR -H OFMANN DOI 10.24053/ FLuL-2025-0032 54 • Heft 2 Jennifer W ENGLER : Emotionales Erleben der Fehlerkorrektur. Eine Einschätzung von Lernenden im Französischunterricht. Tübingen: Narr Francke Attempto 2023 (Romanistische Fremdsprachenforschung und Unterrichtsentwicklung, Band 29), 376 Seiten [78,00 €] Bereits im Vorwort des Buchs von Jennifer W ENGLER lassen selbst erlebte Erfahrungen der Autorin aus dem schulischen Französischunterricht erahnen, dass Fremdsprachenlernende mündliche Fehlerkorrekturen emotional wahrnehmen. W ENGLER s 331-seitige Monografie, erschienen 2023 im Narr Verlag, präsentiert Ergebnisse ihres Promotionsprojekts, das bei der mündlichen Fehlerkorrektur, als einen von der L2-Forschung vielfach aufgegriffenen Bereich, die bisher kaum beachtete affektive Dimension bei Lerner: innen bearbeitet. Neben Wirksamkeit von korrektivem Feedback auf den L2-Erwerb als Herzstück der Korrekturforschung und neuerlicher Fokussierung von Peer-Feedback, Multimodalität oder computerbasierten Sprachlernkontexten erscheint eine Verknüpfung mit der Emotionsforschung als innovative Stoßrichtung in diesem Feld. Der Fokus auf Korrekturen als potenzielle Emotionsauslöser im Unterricht bestätigt das zunehmende Interesse der Fremd- und Zweitsprachendidaktik an Emotionen beim Sprachenlehren und -lernen. In einer Querschnittsstudie werden 453 Sekundarstufenschüler: innen in Deutschland a) zu ihrem subjektiven Emotionserleben bei Korrekturen im Französischunterricht, b) damit zusammenhängenden Faktoren und c) Einstellungen zu Fehlern und Korrekturen befragt. Unter Einsatz von qualitativ-quantitativen Fragebögen und Unterrichtsaudiografien schließt der Beitrag eine forschungsseitige Leerstelle mit Blick auf einen affektiv vorteilhaften Korrekturstil im lerner: innenbezogenen Fremdsprachenunterricht. Die voice der explorativen Studie möchte für den emotionalen Aspekt beim schulischen Lernen sensibilisieren und adressiert (angehende) Fremdsprachenlehrkräfte zur Bewusstmachung bedürfnisorientierter Korrekturstrategien. Das Werk gliedert sich in 6 Kapitel und bietet zusätzlich einen Download-Link zur Einsicht in die Datenerhebung und -auswertung. Die ersten zwei Kapitel umfassen den theoretischen Teil der Arbeit mit den Bereichen Mündliche Fehlerkorrektur und Emotion, wobei letzterer seitenmäßig doppelt umfangreich behandelt wird. In Kapitel 1 bespricht die Autorin definitorisch den Fehler- und Korrekturbegriff und verortet diese gleichermaßen als subjektiv und wahrnehmungsgebunden. Sie argumentiert bei beiden Begriffen für eine Miteinbeziehung der Lernenden als Unterrichtsaktanten, demnach neben Lehrpersonen auch Mitlernende Fehler als solches bestimmen oder Korrekturen ausführen können. W ENGLER schlägt einen Korrekturbegriff aus Lernenden-Perspektive vor und gibt einen Abriss über in der L2-Forschung gängige Fehlertaxonomien, Fehlerursachen und Klassifikationen mündlicher Korrekturstrategien, worüber sie geeignete Forschungskategorien generiert. Zuletzt arbeitet sie anhand 6 Metastudien zur Effektivität mündlicher Fehlerkorrekturen heraus, dass intra- und interpersonale Faktoren uptakes nach Korrekturen vermutlich mitbeeinflussen. Kapitel 2 stellt eingangs Traditionen der Emotionspsychologie vor und legt der Studie einen integrativen Ansatz zugrunde, der das Angeborensein von Basisemotionen mit subjektiven Attribuierungen vereint. Theorien zu Basic Emotions bilden den theoretischen Ausgangspunkt der Studie, demzufolge Auslöser, Merkmale und soziale Funktionen der Basisemotionen Freude, Traurigkeit, Wut, Ekel, Scham und Angst sowie Befunde zur Emotionsexpression, -entwicklung und -regulation dargelegt werden. Im weiteren Kapitelverlauf belegen empirische Studien zunächst allgemein für schulisches Lernen und dann speziell für die Fremdsprachendidaktik die B e s p r e c h u n g e n Besprechungen 127 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0032 Lernförderlichkeit positiver Unterrichtsemotionen und den Niederschlag eines fachspezifischen Selbstkonzepts auf die Leistungsmotivation. Das Emotionserleben von L2-Lernenden wird bedingt von Sprachniveau und Sprachlernerfahrung und gilt als geschlechtsbzw. kulturspezifisch. W ENGLER kritisiert Definitionsunschärfen sowie den einseitigen Fokus auf das Angsterleben im Fremdsprachenunterricht in bisherigen Arbeiten, wodurch sich als Forschungsabsicht herausschält, ein Augenmerk auf positive Unterrichtsemotionen zu legen, ausgehend davon, dass ein positives Fehlerklima diese evoziert. Die anschließend präsentierte Forschungslage zum emotionalen Erleben mündlicher Fehlerkorrekturen fordert eine Verlagerung auf explorative Forschungszugänge zum Erfassen breiter Emotionen (statt nur Angst) von Lernenden, das Vermeiden von Vorannahmen in Forschungsdesigns und das Berücksichtigen externer Faktoren, wie Lehrkraftverhalten bzw. Gruppendynamik. Das Kapitel schließt mit den als gut beforscht geltenden Lerner: innen-Einstellungen, die als interne Faktoren Emotionen bei Korrekturen mitbeeinflussen. Überwiegend Studien mit erwachsenen Englisch-Lernenden demonstrieren eine positive Haltung zu Korrekturen sowie vorhandene Korrekturpräferenzen. Sekundarstufenschüler: innen im Französischunterricht wurden hierzu kaum untersucht. In Kapitel 3 werden Forschungsfragen und Hypothesen formuliert und Kapitel 4 beschreibt das triangulative Studiendesign. Nach methodischen Überlegungen zur quantitativ-qualitativen Fragebogenkonstruktion, wofür die Autorin erprobte Modelle zum Erfassen von Unterrichtsemotionen teils adaptiv nutzt, wird der Aufbau der Befragung vorgestellt. Nur die Schüler: innen, die in der Französischstunde direkt vor Bearbeitung des Fragebogens korrigiert wurden, berichten über ihre dabei erlebten subjektiven Emotionen. Einstellungen zu Fehlern und Korrekturen, Korrekturpräferenzen und personenbezogene Variablen werden hingegen von allen Schüler: innen erhoben. Zur ergänzenden Validierung audiografiert W ENGLER die jeweilige Unterrichtsstunde vor der Fragebogenerhebung. Einem Einblick in die Pilotierung folgen Einzelheiten zur Datenerhebung und -analyse bei der Hauptstudie, wobei man Details zur Stichprobe mit 453 meist 11-15-jährigen Schüler: innen aus 29 Klassen an Gymnasien, Real- und Gesamtschulen im Ruhrgebiet und 29 audiografierten Französischstunden mit 13 Lehrpersonen sowie zu den teils inhaltsanalytischen und teils statistischen Analyseverfahren erfährt. Das vorletzte Kapitel präsentiert auf 137 Seiten die Studienergebnisse in drei Teilen. Zu Frage 1, welche Emotionen Lernende bei Korrekturen erleben, und Frage 2, welche Faktoren damit verbunden sind, zeigt die Autorin neben Emotionsintensitäten und -komponenten Korrelationen zu internen bzw. externen Faktoren und legt ausdauernd Gründe der Schüler: innen für die erlebten Emotionen dar. Die Fragebogenanalyse belegt, dass mündliche Korrekturen bei L2-Lernenden ein breites Emotionsspektrum implizieren. Positive Emotionen wie Entspanntheit, Dankbarkeit oder Freude überwiegen und bislang fokussierte Emotionen wie Angst oder Scham sind unwesentlicher. Didaktisch relevant erscheint, dass Jungen zu Enttäuschung oder Ärger und Mädchen zur Nervosität neigen, jüngere Lernende Korrekturen positiver empfinden, Lernende mit Sprechhemmungen sich teils hilflos fühlen oder Korrekturen bei Gymnasiast: innen weniger Sicherheit bzw. Dankbarkeit als bei Real-/ Gesamtschüler: innen auslösen. Die Daten festigen die Annahme, dass der Umgang der Lehrkraft mit Fehlern Lerner: innen- Emotionen beeinflusst. Ein sozialkompetentes Lehrverhalten, ein erwartbarer Lerneffekt oder Lob trotz Korrektur schaffen positive Emotionen, während mangelndes Kompetenzerleben oder Herabwürdigungen negative Emotionen hervorrufen. Der zweite Ergebnisteil veranschaulicht die Einstellungen der Schüler: innen zu Fehlern und Korrekturen (Frage 3 und 4). Erwartungsgemäß wird der Korrekturwunsch bei Sprachlernenden bestätigt. Neu hingegen sind Hinweise auf den ausdrücklichen Wunsch einer affektiv positiven Korrektur durch die Lehrkraft (z.B. freundlich, ruhig, fair, geduldig, wertschätzend, hilfsbereit), wobei Lernende speziell Selbstkorrekturen als positiv und selbstwirksam erfahren und direkte Korrekturen und meta- 128 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2025-0033 54 • Heft 2 sprachliches Feedback beliebt scheinen. Eine negative Haltung der Befragten zu Fehlern kann nicht gezeigt werden, sondern Fehler gelten als Lernanlass und Teil des Lernprozesses. Korrekturen sollen Fehler vermeiden und bewusstmachen. Trotz der allgemein geringeren Akzeptanz von Peer-Korrekturen tolerieren Gesamtschüler: innen und ältere Lernende diese eher. Tatsächlich erlebte und fiktive Korrektursituationen werden ähnlich bewertet. Dabei überrascht, dass viele Befragte Fehlerhinweise von Lehrpersonen gekoppelt mit Mitschüler: innenkorrekturen als positiv oder nonverbale Korrekturen als negativ einschätzen. Am Ende illustriert W ENGLER bei der Analyse der Audiotranskripte die Korrekturstile zweier Lehrkräfte, deren Schüler: innen auffällige Korrekturemotionen zeigten. Anhand exemplarischer Interaktionssequenzen wird ein offenbar affektiv positives bzw. negatives Korrekturverhalten eindrücklich gegenübergestellt und es werden so komplexe emotionale Dynamiken bei Korrektursituationen im Fremdsprachenunterricht sichtbar gemacht, bevor empirische Befunde, Forschungsdesiderata und Praxisimplikationen im Schlusskapitel diskutiert werden. Die Studie überzeugt nicht nur für die romanische Fremdsprachendidaktik von der Relevanz der Forschungsperspektive, Emotions- und Korrekturforschung zusammenzuführen, wozu W ENGLER eine grundlegende theoretische Auseinandersetzung leistet. Die ausgefeilte Methodik und Varianz des Datenkorpus erzeugen relevante Aussagen zu Lernenden verschiedener Altersgruppen und Schulformen und generieren genuine Ergebnisse, die bereits in der Lehrer: innenbildung genutzt werden können und die Korrekturforschung zur Enttabuisierung von Emotionen auffordern. Willkommen wäre gewesen, dass man die qualitative Befragung zum weitgehend unerforschten Emotionserleben der tatsächlich korrigierten Schüler: innen im Vergleich zu den Einstellungen stärker gewichtet, die Audiotranskripte noch mehr nützt oder die Ergebnisse konkreter auf den bestehenden Forschungsstand bezieht. Statt retrospektiver Befragungen gelten für Anschlussarbeiten digitale Techniken, die ein simultanes Erheben von Korrekturemotionen während des Fremdsprachenunterrichts ermöglichen sowie introspektive oder videobasierte Verfahren als vielversprechend. W IEN J ULIA L ANKL Peggy G ERMER : Lernen im Tandem in der Lehramtsausbildung. Autonome Lernprozesse initiieren, unterstützen und erforschen. Berlin: Frank & Timme 2023, 618 Seiten [79,80 €] Die Erforschung der Professionalisierung im Lehramt Russisch stellt einen Bereich dar, der noch nicht hinreichend erschlossen ist. Ein zentrales aktuelles Anliegen von Forschenden und Lehrenden an Slawistik-Instituten ist die Klärung der Frage, wie die Heterogenität der Studierendengruppen in der Lehrerbildung so genutzt werden kann, dass alle Beteiligten davon profitieren. Die 2023 unter dem Titel „Lernen im Tandem in der Lehramtsausbildung. Autonome Lernprozesse initiieren, unterstützen und erforschen“ erschienene Dissertation von Peggy G ERMER beleuchtet diese Frage aus einer spezifischen Perspektive: G ERMER verfolgt das Ziel, ein auf das Lehramt Russisch ausgerichtetes kooperatives Lehr-Lern-Konzept für das Tandemlernen zu entwickeln, dieses in die Praxis umzusetzen und einer Bewertung zu unterziehen. Das Erkenntnisinteresse liegt an der Schnittstelle von Sprachwissenschaft und Russischdidaktik. Die explorativ-interpretative Studie erforscht, „wie das Lernen im Tandem in der Phase der sprachpraktischen Übung gestaltet sein muss, damit Lernende das Konzept für die sprachliche und sprachdidaktische Kompetenzentwicklung als hilfreich empfinden, und welche Gelingens- Besprechungen 129 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0033 bedingungen dafür existieren sollen“ (S. 23). Neben dem Lernen im Tandem liegt ein besonderer Schwerpunkt der Arbeit auf der Erforschung lehrersprachlicher Äußerungen im Bereich der Classroom Discourse Competence, die derzeit auch in anderen Philologien große Aufmerksamkeit erfährt. Die Studie folgt einem in der qualitativen Forschung angesiedelten hermeneutischphänomenologischen Ansatz und hat somit zum Ziel, Zusammenhänge zu verdeutlichen und neue theoretische Perspektiven zu erschließen. In jeder der drei Studienphasen steht eine Hauptforschungsfrage im Mittelpunkt. Erforscht werden die Einstellungen der Proband: innen zum Tandemlernen, das Potenzial dieses Konzepts zur Förderung sprachlicher und didaktischer Kompetenzen sowie dessen subjektiver Nutzen, insbesondere in Hinblick auf lehrersprachliche Äußerungen. Im Rahmen der Untersuchung wird über die Analyse von Tandemlerntagebüchern die subjektive Perspektive der Lehramtspraktikant: innen auf das Lernen im Tandem beleuchtet sowie die damit verbundene Setting- Akzeptanz ergründet. An der Studie nahmen insgesamt 21 Personen teil, darunter Lehramtsstudierende mit Russisch als Fremd- oder Herkunftssprache sowie einige aus dem Raum der ehemaligen Sowjetunion stammende Praktikant: innen, die sich im Anpassungslehrgang zur beruflichen Gleichstellung befanden. Die Lehramtsstudierenden und die Weiterbildenden lernten im Tandem voneinander und nutzten dabei die Stärken ihrer Partner: innen. Einerseits verbesserten sie die sprachliche Korrektheit und die Zielgruppenadäquatheit ihrer Äußerungen in russischer Sprache. Andererseits passten sie ihre Unterrichtsführung an die Rahmenbedingungen der deutschen Schule an. Die Publikation beinhaltet vier Teile, die jeweils mehrere Kapitel umfassen. Teil A widmet sich dem wissenschaftsdisziplinären Hintergrund und der praktischen Relevanz des Lernens im Tandem. Im ersten Kapitel des Teils A definiert die Forscherin zunächst russischlehrersprachliche Äußerungen als komplexes Gefüge, welches sich aus funktional einsprachiger Lehresprache sowie nonverbaler, paraverbaler und sprachunterstützender Elemente und didaktischer Operatoren zusammensetzt. Im Anschluss daran erörtert sie die sprachlichen Herausforderungen, die sich aus der Neubestimmung des Fachs, aus seiner Rolle im modernen Fremdsprachenkanon sowie aus den veränderten Lerngruppen ergeben. Berücksichtigt man die Funktion der Lehrkraft als Sprachvorbild, als Rollenmodell für das Arbeits- und Sozialverhalten sowie als Begleiter: in beim fremdsprachlichen Lernen, kommt die Relevanz von lehrersprachlichen Äußerungen besonders zum Vorschein. Der Großteil dieses Kapitels ist sprachwissenschaftlich orientiert und bietet einen Exkurs zu Normabweichungen bei lehrersprachlichen Äußerungen von Praktikant: innen im Russischunterricht. Am Ende des Kapitels verdeutlicht die Autorin den Zusammenhang zwischen den sprachlichen Äußerungen der Lehrkräfte und deren beruflichen Kompetenzen. Das zweite Kapitel des Teils A widmet sich der Definition des Tandembegriffs aus fremdsprachendidaktischer und berufsbezogener Perspektive und beinhaltet sowohl eine Darlegung der theoretischen Grundlagen als auch eine fundierte Einführung ins Thema. Die empirischen Ergebnisse der Studie basieren folglich auf lern-, subjekt- und kommunikationstheoretischen Ansätzen. Ergänzend formuliert die Forscherin didaktische Hinweise für das praktikumsbegleitende Tandemlernen in der Russischlehrerausbildung. Teil B umfasst knapp 20 Seiten und beschäftigt sich mit der Konzipierung und Modellierung des Tandemkonzepts. Der Schwerpunkt liegt auf der Ausarbeitung didaktischer Unterstützungsangebote wie des Lerntagebuchs, der Lernberatung sowie der Sammlung von Lehreräußerungen. Im Teil C erörtert die Autorin die Methodologie und die empirische Untersuchung. Beim Konzipieren der Forschungsfragen greift sie auf zwei Modelle zurück: auf das konstruktivistische Modell der Selbstregulation des Handelns nach Heckhausen und das inhaltsanalytische 130 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2025-0033 54 • Heft 2 Kommunikationsmodell nach Lagerberg. Kapitel sechs beschreibt das Vorverständnis der Forscherin, charakterisiert die Forschungssubjekte, erläutert die Forschungsmethoden und gibt einen Überblick über die Gesamtkonzeption. In diesem Kapitel stößt man auf einige Unstimmigkeiten zwischen dem Titel und den Inhalten, die sich auf die Konzeptualisierung und Durchführung der Studie beziehen. Der Titel verweist auf die Darlegung der Ausgangslage der Untersuchung, die Kapitelinhalte weichen hingegen häufig davon ab. Im Sinne einer besseren Verständlichkeit wäre es empfehlenswert, die Vorüberlegungen und die Studiendurchführung in zwei separaten Abschnitten anzubieten. In Teil D werden die Ergebnisse der fallübergreifenden und fallspezifischen Analyse präsentiert. Der analytische Teil der Arbeit bietet eine anregende Lektüre zum Thema „Lernen im Tandem“ und gibt einen Einblick in die Konzeption und die praktische Umsetzung der von den Proband: innen durchgeführten Tandems. Im Mittelpunkt stehen die mündliche Kommunikation und die lehramtsspezifische Ausrichtung. Im letzten Kapitel befasst sich die Forscherin mit der ausführlichen Beantwortung der Forschungsfragen und reflektiert die Rahmenbedingungen der angewandten Forschungsmethodik. Im Anschluss daran findet sich das Literaturverzeichnis, das auf eine umfassende und von aktuellen Titeln dominierte Literaturrecherche verweist. Der Anhang umfasst zehn Print- und fünfzehn Online-Dokumente. Die beschriebene Publikation treibt die bisherige Professionalisierungsforschung für das Unterrichtsfach Russisch auf entscheidende Weise voran. Neben den linguistischen und interkulturellen Aspekten werden im Rahmen der empirischen Erkenntnisse aus dieser exemplarischen Studie auch zusätzliche berufsbezogene Faktoren für das Lehramt Russisch erfasst. Besonders hervorzuheben ist die „russischdidaktische Modifikation lehrsprachlicher Äußerungen im Sinne des Konzepts des comprehensible input“ (S. 460). Dazu wurden das lexikalische Repertoire und die phonetische Korrektheit im Russischen sowie die adaptive Lehrkompetenz der Tandemteilnehmenden erweitert. Die angewandte Methodik ist ausführlich dokumentiert. Die mithilfe des Programms MAXQDA durchgeführte qualitative Inhaltsanalyse von Lerntagebüchern wird von der Forscherin detailliert dargelegt. Zudem reflektiert sie durchgehend ihre Vorgangsweise und die Einhaltung der Gütekriterien. Für die Weiterentwicklung des Konzeptes „Lernen im Tandem“ unter Berücksichtigung der Spezifika des Lehramtes sind die Implikationen und Desiderate der Studie von besonderer Bedeutung. Die vorliegenden Ergebnisse bestätigen die Hypothese, dass das kooperative Lernen im Tandem die Möglichkeit bietet, didaktisch-methodische, (lehrer-)sprachliche, interkulturelle und individuelle Ziele selbstbestimmt zu definieren und gemeinsam zu bearbeiten (vgl. S. 401). Die Rahmenbedingungen der Studie sind auf die spezifische mit dem Lehrkräftemangel in Zusammenhang stehende Situation in Sachsen ausgerichtet. Die Studienergebnisse können jedoch auch auf andere Standorte der Lehramtsausbildung übertragen werden. Die Heterogenität der Studierenden im Lehramtsstudium Russisch spiegelt sich vor allem im Grad ihrer Sprachbeherrschung wider, da in diesem Studiengang sowohl Studierende mit Russisch als Fremdsprache als auch als Erst- oder Herkunftssprache anzutreffen sind. Da die hier rezensierte Publikation grundsätzlich überzeugen konnte, folgen nun lediglich einige wenige Empfehlungen. Die Forschungsarbeit konzentriert sich auf das „Wie“ des Tandemlernens und ist somit prozessorientiert konzipiert, was dazu führt, dass die gesamte Studie stark auf die Optimierung der Lernbzw. Dokumentationsmedien ausgerichtet ist. Es wäre dennoch zu hinterfragen, ob die Pilotierung hinreichende Ergebnisse für die Konzipierung der Studie erbracht hat. Besprechungen 131 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0034 Es wäre außerdem erstrebenswert, den Einfluss der Forscherin auf den Untersuchungsprozess zu minimieren. Aufgrund der Doppelrolle der Forscherin in der Studie - sie ist sowohl Mentorin als auch Lehrerin im Untersuchungsfeld - sollten die Ergebnisse mit Vorbehalt betrachtet werden. Ein möglicher indirekter Einfluss der Forscherin auf die Teilnehmenden selbst oder auf deren auf das Lernen im Tandem bezogenen Blickwinkel ist nicht auszuschließen.Es wäre ebenso wünschenswert, die aus den Lerntagebüchern entnommenen Zitate im russischen Original darzubieten und die jeweilige Übersetzung in den Fußnoten festzuhalten. Abschließend ist noch anzumerken, dass einige Formulierungen, wie z. B. „russischlehrersprachliche Äußerungen“, als gewöhnungsbedürftig anzusehen sind. Dennoch leistet die Studie von Peggy G ERMER einen wertvollen Beitrag zur aktuellen Forschung im Bereich der sprachlichen und sprachdidaktischen Professionalisierung. Darin finden sich innovative Ansätze zur effektiven Gestaltung, Erforschung und Evaluierung von Praktikumsphasen im Rahmen der Lehrer: innenbildung, die auf dem kooperativen Lernen im Tandem basieren. Die Forschungsarbeit richtet sich an Lehrende, Forschende und Lehramtsstudierende, die sich für zukunftsweisende Strategien zur Förderung des selbstgesteuerten Lernens sowie für die Erforschung bzw. Implementierung von Tandemlernprozessen im Kontext der Lehrerbildung interessieren. Salzburg J ULIA H ARGASSNER Denyze T OFFOLI , Geoffrey S OCKETT , Meryl K USYK (Hrsg.): Language Learning and Leisure. Informal Language Learning in the Digital Age. Berlin/ New York: De Gruyter Mouton 2023 (Studies on Language Acquisition; Volume 66), 426 Seiten [149,95 €] Der Sammelband Language Learning and Leisure: Informal Language Learning in the Digital Age befasst sich mit dem Spracherwerb durch informellen Sprachkontakt und setzt sich insbesondere mit dem Begriff Informal Second Language Learning (ISLL) auseinander. Während der Fokus vorwiegend auf der englischen Sprache liegt, bietet der Band auch Einblicke in die Rolle von informellem Sprachkontakt für andere Sprachen, wie Japanisch, Französisch oder Deutsch. Das Referenzwerk ist in fünf Teile gegliedert, welche insgesamt 15 Beiträge von 20 in diesem Feld etablierten Autor: innen, Einleitung und Schlussworte ausgenommen, enthalten. Der erste Abschnitt beschäftigt sich mit der Konzeptionalisierung des Begriffs Informal Second Language Learning (ISLL). D RESSMAN (Kapitel 2) eröffnet mit einer detaillierten Herleitung der Abkürzung IDLE (Informal Digital Learning of English) und betont den Wert ethnografischer Studien für das Verständnis von ISLL. K USYK (Kapitel 3) schließt mit einem sehr informativen und gut durchdachten Beitrag in Bezug auf die Charakteristika von ISLL und einigen Varietäten des Phänomens im Spannungsfeld zwischen implicit und explicit learning and knowledge, sowie incidential und intentional learning an. Hierbei versucht sie die verschwommenen Grenzen der einzelnen Begriffe zu schärfen, um Fehlverwendungen zu vermeiden. Dabei wird deutlich, dass einige der unter ISLL laufenden Begriffe, wie Extramural English (EE), Out-of-School Immersive Language Exposure (OILE) und Informal digital learning of English (IDLE) enger verwandt sind, während andere wie Language-Based Communities (LBC) und Out-of-Classroom Learning (OOC) sich deutlicher unterscheiden. Hier wäre es interessant zu erfahren, warum ISLL als Überbegriff etabliert wurde, während die anderen Konzepte als Varietäten geführt werden. Man könnte sich die Frage stellen, ob ein Label, welches den Begriff Learning im Titel trägt, wirklich der geeignetste Sammelbegriff für ein Phänomen 132 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2025-0034 54 • Heft 2 ist, welches stark vom Spannungsfeld zwischen explizitem und implizitem Spracherwerb geprägt ist. Denn im alltäglichen Sprachgebrauch wird der Ausdruck Lernen doch sehr mit bewusstem, explizitem Sprachenerwerb verbunden. Hier könnte man einen neutraleren Begriff, wie Informal Second Language Engagement als Überbegriff für das Phänomen vorschlagen, welcher aus obengenannten Gründen eventuell besser geeignet wäre. Des Weiteren wäre eine ebenso genaue Analyse der konzeptionellen Umsetzung von ISLL, ähnlich derer der anderen Begriffe in Studien wünschenswert gewesen. Diese Analyse würde einen direkten Vergleich aller Begrifflichkeiten im Rahmen der Natur des erfassten Spracherwerbs erlauben und eventuell die Erkenntnis bringen, dass ISLL mit einigen der genannten Varietäten konzeptionell ebenfalls identisch ist. Auch wird ISLL im Titel der Publikation als Überbegriff etabliert, aber dann nicht konsistent in weiteren Beiträgen verwendet, was dem geäußerten Wunsch nach begrifflicher Vereinheitlichung zu widersprechen scheint. G ODWIN -J ONES (Kapitel 4) bietet im selben Abschnitt in seinem Beitrag ebenfalls erste Ansätze zur Untersuchung von sogenannten intelligenten persönlichen Assistenten (IPAs) und deren Potenzial für ISLL. Hierbei wird das Potenzial von IPAs wie Siri oder Alexa unter anderem als Sprachexperten oder Konversationspartner erörtert, was erste Einblicke in einen innovativen Bereich von ISLL erlaubt. Somit eröffnet dieser Abschnitt des Buches eine anthropologische, kognitive und technologische Perspektive auf das Konzept ISLL. Im zweiten Teil wird der Zusammenhang zwischen ISLL und Fremdsprachenerwerb anhand empirischer Studien verdeutlicht. In ihrer Studie mit 52 jugendlichen EFL-Lernenden aus Griechenland setzt sich L YRIGKOU (Kapitel 5) mit der Verwendung von Diskursmarkern im verbalen Fremdsprachgebrauch auseinander, indem sie sich auf Zusammenhänge zwischen ISLL-Aktivitäten und der Häufigkeit und Bandbreite verwendeter Diskursmarker konzentriert. Während sich L YRIGKOU s Studie auf mehrere ISLL Aktivitäten bezieht, fokussiert Y IBOKOU (Kapitel 6) auf die Beziehung zwischen dem Konsum von englischsprachigen Serien und englischer Aussprache. Beide Studien stechen positiv durch ihren Blick auf bisher wenig erforschte Aspekte des Spracherwerbs und durch ihre präzise statistische Methodik hervor. Allerdings erscheint Y IBOKOU s Postulation, dass amerikanische Aussprache im Gegensatz zu britischer Aussprache in informellen ISLL-Lernsituationen angeeignet wurde, eher noch auf wackliger Datenlage zu stehen. Y IBOKOU merkt allerdings selbst an, dass weitere Studien diese Ergebnisse vertiefen und präzisieren müssten und die Teilnehmer: innenanzahl vergrößert werden sollte. Nach der Konzeptionalisierung von ISLL und dem Verhältnis zum Spracherwerb bietet der dritte Abschnitt Einblicke in ISLL-Aktivitäten von Lernenden unter verschiedenen Kontexten. B ENSON (Kapitel 7) beginnt mit einem Einblick in zwei Datensätze von internationalen Studierenden und deren ISLL-Aktivitäten im demografischen Raum von Sydney. Er hinterfragt den klassischen Ansatz, dass internationale Aufenthalte mit weniger Sprachkontakt im Klassenzimmer und mehr Immersion einhergehen datenbasiert, und betont, dass diese Prozesse mit Studierendenaufwand und agency zusammenhängen. Einen weiteren Vorschlag, wie man das klassische Verständnis vom Spracherwerb im Klassenzimmer auf den authentischen außerschulischen Bereich ausweiten könnte, wird von C AJKA und weiteren Mitautor: innen in Kapitel zehn thematisiert. Durch die Entwicklung eines linguistic risk-taking passports und einer linguistic risk-taking app unterbreiten sie einen konkreten Vorschlag, wie man spielerisch eine Brücke von ISLL ins Klassenzimmer bauen könnte. In Kapitel acht und neun fokussieren sich S CHWARZ und I NABA auf ISLL-Aktivitäten und Strategien im Zusammenhang mit innerschulischem Lernen. In ihrer qualitativen Studie von dreißig österreichischen Schüler: innen der Sekundarstufe unternimmt S CHWARZ eine interessante Entdeckungsreise in Bezug auf Vokabelerwerb durch ISLL-Aktivitäten. Dabei zieht sie einen mixed methods-Zugang heran, indem sie die Ergebnisse einer quantitativen Fragebogenstudie mit den Resultaten von qualitativen Besprechungen 133 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0034 Fokusgruppeninterviews kombiniert. Dabei berschreibt sie Strategien der Lernenden und identifiziert Kriterien, die die Aufmerksamkeit auf bestimmte Wörter im Freizeitkonsum lenken. Diese Ergebnisse sind besonders für den Übergang zwischen ISLL und schulischem Unterricht relevant, welcher auch von I NABA im Beitrag zu ISLL-Aktivitäten von Japanisch-Lernenden untersucht wird. Ihre qualitative Untersuchung zeigt, dass der formelle Unterricht ISLL- Aktivitäten beeinflusst, indem er Lernende für bestimmte Redewendungen sensibilisiert. Dies zeigt deutlich, dass Schule und Freizeit keine absolut trennbaren Sphären darstellen und dass sich Lehrpersonen mit ISLL befassen sollten. Die zweite Hälfte des Sammelbandes konzentriert sich auf das Thema aus psychologischer Sicht, welche eine interessante Perspektive bietet aufgrund vielversprechender Ergebnisse im Bereich des formellen Spracherwerbs und des Mangels an Studien im Bereich ISLL. In ihrer quantitativen Studie mit 656 Studierenden in China stellen L IU und L EE (Kapitel 11) fest, dass IDLE im direkten Zusammenhang mit L2 enjoyment steht und auch ein wichtiger Faktor, zumindest im chinesischen Kontext, für grit ist. Somit zeigt diese Studie erste Einblicke in den Zusammenhang von informellem Lernen mit psychologischen Dimensionen, die Ähnliches versprechen wie vorhergehende Studien für formelles Sprachenlernen. Diese quantitativen Ergebnisse werden ergänzt von Z ADOROZHNYY und Y U s (Kapitel 12) qualitativer Studie mit 32 Lehramtsstudierenden für Englisch, welche deren fließende Grenze zwischen der Rolle als Lehrpersonen und als private ISLL-User auslotet. Aufrüttelnd ist das Ergebnis, dass manche der zukünftigen Lehrpersonen das Potential von ISLL nicht erkennen, was die leider oftmals vorherrschende deutliche Trennung von formellen und informellen Lernsituationen erklärt. In einer ebenfalls qualitativen Studie verfolgt T OFFOLI (Kapitel 13) die individuellen Lernverläufe von 9 Studierenden aus einer ursprünglichen Kohorte von 174 Teilnehmer: innen und nutzt diese für eine interessante Kategorisierung in drei ISLL-Lernendenprofile. Zusammenfassend scheint T OFFOLI s Feststellung, dass ID-Variablen mit ISLL-Ergebnissen verbunden sind, in diesem Abschnitt validiert zu werden. A RNDT schließt im vierten Teil der Publikation inhaltlich an die vorhergehenden Beiträge an, indem sie das Konzept von task engagement zur Analyse von ISLL Aktivitäten heranzieht. Aufbauend auf einem fundierten Literaturüberblick verwendet A RNDT (Kapitel 14) einen mixed methods-Ansatz, um die verschiedenen Dimensionen von engagement im Kontext von ISLL zu ermitteln. Dies wird weiter von S OCKETT (Kapitel 15) in seiner qualitativen Analyse von 200 Schüler: innen im COVID-Lockdown vertieft, welche sich ebenfalls auf verschiedene Dimensionen, wie handlungsorientierte, soziale, affektive und kognitive Profile konzentriert. Der Abschnitt wird von A LM s Beitrag (Kapitel 16), welcher konkrete Vorschläge zur Inklusion von informellen Lernaktivitäten im formellen Unterricht auf Basis zweier Fallstudien gibt, beschlossen. Das Schlusswort der Herausgeber: innen bietet einen umfassenden Überblick und eine Diskussion der Inhalte des Sammelbands. S OCKETT , T OFFOLI und K USYK weisen hier vor allem auf die unberechenbare Natur des informellen Sprachkontaktes und des damit verbundenen Sprachenlernens hin und bieten auch methodische Vorschläge für zukünftige Studien. Insgesamt bietet der Sammelband Language Learning and Leisure: Informal Language Learning in the Digital Age eine umfassende und facettenreiche Auseinandersetzung mit einem dynamischen und hochrelevanten Forschungsfeld. Die Bandbreite der Beiträge zeigt eindrucksvoll die Vielfalt der theoretischen Ansätze und methodischen Zugänge der Beiträge und hebt auch die Bedeutung dieses Bereichs für die Sprachlern- und -lehrforschung hervor. Besonders zu betonen ist, dass dieser Sammelband durchweg innovative Arbeiten beinhaltet, die das klare Ziel verfolgen das Forschungsfeld voranzutreiben. Allerdings fokussieren die Beiträge großteils auf Teilnehmer: innen im Sekundar- oder Tertiärbereich, was die Notwendigkeit von Stu- 134 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2025-0035 54 • Heft 2 dien mit Kindern bis 10 Jahre unterstreicht. Nichtdestotrotz widmen sich die Autor: innen gezielt der Identifikation und ersten Adressierung von Forschungslücken und liefern Leser: innen dadurch wertvolle Denkanstöße. Wien K ATHARINA G HAMARIAN Magaly L AVADENZ , Elvira G. A RMAS : The Observation Protocol for Academic Literacies: A Tool for Building Expertise for Teachers of English Learners. Bristol/ Jackson: Multilingual Matters 2024, 208 Seiten [29,95 €] Das Observation Protocol for Academic Literacies (OPAL) stellt ein empirisch validiertes Beobachtungsinstrument dar, das im Kontext des angloamerikanischen Bildungssystems entstanden ist und sich primär an Englischlehrkräfte in mehrsprachigen, insbesondere englischspanischsprachigen Settings in Kalifornien richtet. Es wurde in einem Zeitraum von 15 Jahren von einer interdisziplinären Arbeitsgruppe unter der Leitung von Magaly L AVADENZ und Elvira G. A RMAS am Center for Equity for English Learners der Loyola Marymount University in Los Angeles (USA) entwickelt und in mehreren Zyklen evaluiert. Da bereits die Entstehung des Observation Protocol von wissenschaftlichen Publikationen der Autorinnen begleitet wurde (S. 280), dürfte die nun vorliegende, umfassende Darstellung des Tools in der Fachwelt mit Spannung erwartet worden sein. Das OPAL wurde für die Erfassung und Analyse von Englischunterricht entwickelt, um Lehrende bei der Gestaltung eines inklusiven und barrierearmen Unterrichts zu unterstützen. Indem Unterrichtsprozesse in sprachlich und kulturell diversen Settings einer systematischen Beobachtung zugänglich gemacht werden, soll Lehrpersonen eine Reflexion ihres Handelns im Klassenraum sowie eine evidenzbasierte Unterrichtsentwicklung ermöglicht werden. Explizit lehnen die Autorinnen den Einsatz von OPAL als High-Stakes- Testinstrument zur externen Bewertung bzw. Beurteilung von Lehrpersonen ab (S. 4). Im Gegenteil soll ein kriteriengeleiteter Austausch zu individuellen Unterrichtspraktiken angeregt werden, der eine forschende Haltung der Lehrenden befördert und kollegiale Coachingprozesse initiieren kann. Übergeordnet ist das ambitionierte Ziel, Englischunterricht für alle Lernenden sprachlich und inhaltlich zugänglich zu machen und die Entwicklung von „academic literacies“ (S. 8), also bildungssprachlichen Kompetenzen, zu ermöglichen, die als wesentliche Determinante von Schulerfolg gelten. So soll ein Beitrag zum Abbau von Bildungsungerechtigkeiten geleistet werden - darauf weist auch die institutionelle Verortung der OPAL-Arbeitsgruppe hin. Das OPAL umfasst 18 Items, die in Form indikatorhafter Kurzbeschreibungen angelegt sind und von den Beobachter: innen auf einer sechsstufigen Likert-Skala von „novice“ bis „expert“ hinsichtlich ihrer Umsetzung im Englischunterricht eingeschätzt werden sollen (S. 26-28). Im Anhang steht eine Übersicht zur Verfügung, die die verschiedenen Stufen anhand von Deskriptoren illustriert (Appendix C). Die Items bilden mehr oder weniger konkrete Handlungen von Lehrpersonen in allen Bereichen der Unterrichtspraxis ab und beziehen sowohl Aspekte der Unterrichtsplanung und Materialauswahl als auch inhaltliche Schwerpunktsetzungen, die Gestaltung von Interaktionen mit Lernenden und die Formulierung von Feedback ein. Positiv hervorzuheben ist, dass auf diese Weise eine umfassende Beobachtung von (Englisch-) Unterricht angeregt wird und keine Verengung auf einen bestimmten Aspekt der Unterrichtsgestaltung durch das Beobachtungsinstrument selbst erfolgt. Herausfordernd erscheint demgegenüber, mit der Vielzahl paralleler Beobachtungsaufträge im Klassenraum umzugehen, was von den Beobachter: innen eine detaillierte Kenntnis bzw. einen routinierten Umgang mit den Indikatoren sowie eine hohe Konzentration in der jeweiligen Unterrichtssituation erfordert. Fer- Besprechungen 135 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0035 ner variiert der Konkretisierungsgrad der Itemformulierungen deutlich: Während beispielsweise der Indikator 3.3 „Explains key terms, clarifies idiomatic expressions, uses gestures and/ or visuals to illustrate concepts“ (S. 166) ganz konkrete Handlungen von Lehrenden, also unmittelbar manifeste Variablen der Unterrichtsbeobachtung beschreibt, legen andere Items die Operationalisierung latenter Merkmale in die Hand der beobachtenden Person, was gewisse Interpretationsspielräume eröffnet (z.B. 1.4 „Establishes high expectations for learning that build on students‘ understanding of instructional themes or topics“, S. 165). Neben dem Rating der Indikatoren auf der Likert-Skala bietet der Beobachtungsbogen ebenfalls Raum für die Beschreibung exemplarischer Unterrichtssituationen (evidence) sowie den Vermerk weiterführender Schritte (next steps). Die Items sind den vier Kategorien „Rigorous and Relevant Curriculum“, „Connections“, „Comprehensibility“ und „Interactions“ zugeordnet (im Überblick: S. 28f.), die auf Basis verschiedener Theorien der Soziolinguistik bzw. der Spracherwerbsforschung entwickelt und in den ersten beiden Kapiteln ausführlich dargestellt werden. Zentral für die weitere Lektüre des Werkes erscheint, dass die Autor: innen Englischlernen als sozialen Prozess verstehen und davon ausgehen, dass sich Merkmale mehrsprachiger Gesellschaften im Klassenraum wiederfinden und dort reflektiert bzw. für den Kompetenzaufbau nutzbar gemacht werden sollten (z.B. eine mögliche Zurückdrängung des Spanischen beim Englischlernen oder Ansätze sprachvernetzenden Lernens). Die vier Kategorien strukturieren nicht nur das Beobachtungsinstrument, sondern auch den vorliegenden Band selbst; dort werden sie nicht analog zu ihrer Abbildung im Beobachtungsbogen vorgestellt, sondern nach inhaltlicher Relevanz (S. 37) sortiert, was für Leser: innen überraschend sein mag. Die erste Kategorie „Comprehensibility“ (S. 38-59) umfasst fünf Indikatoren, die verschiedene Aspekte sprachlicher Verständlichkeit adressieren, um Zugänge zu Unterrichtsinhalten für alle Lernenden zu ermöglichen. Dazu zählen beispielsweise Scaffolding-Techniken wie die Visualisierung von Lerninhalten oder die Paraphrasierung idiomatischer Wendungen. Die zweite Kategorie „Interactions“ (S. 60-79) rückt den Fokus auf sinnstiftende Interaktionen zwischen Akteur: innen im Klassenraum. Die vier Indikatoren zielen beispielsweise auf ein aktives Zuhören und die Formulierung klärender Fragen durch die Lehrperson oder die Umsetzung verschiedener Sozialformen, die Lernenden eine Partizipation am Unterricht ermöglichen. In der dritten Kategorie „Rigorous and Relevant Curriculum“ (S. 80-109) werden verschiedene komplexe Aspekte zusammengeführt: Lernende sollen die Möglichkeit haben, aktiv und kritisch an der Lösung relevanter Fragestellungen mit Lebensweltbezug zu arbeiten und dabei auf Kenntnisse ihrer Erstsprache(n) zurückzugreifen. Zudem soll ein aktiver Transfer zwischen Sprachen angeregt, sprachliches mit inhaltlichem Lernen verknüpft und explizit bildungssprachliche Kompetenzen entwickelt werden, die auch für den deutschen Diskurs um eine durchgängige Sprachbildung konstitutiv sind. Die Aufführung weiterer Aspekte wie z.B. die Bereitstellung von Unterrichtsmaterialien machen die dritte Dimension zu einer facettenreichen und relevanten, aber zugleich nur teilweise kohärenten Sammlung an Indikatoren zur Unterrichtsbeobachtung. Die vierte Kategorie „Connections“ (S. 110-124) rückt den Fokus auf die lebensweltlichen und schulischen Vorerfahrungen, die Lernende mit in den Englischunterricht bringen, und regt an, diese systematisch in die Unterrichtsgestaltung einzubeziehen. An dieser Stelle verwundert, dass die hier beschriebenen „connections to self“ (S. 113) von den sprachlichen Transferleistungen bzw. den sprachvernetzenden Ansätzen der dritten Kategorie separiert werden - gerade da in den einleitenden Kapiteln der Zusammenhang von Sprache und Identität explizit thematisiert wird (S. 14). Die vier Dimensionen des OPAL werden anhand realer Unterrichtbeobachtungen expliziert, indem schriftliche Vignetten und kurze Momentaufnahmen (snapshots) präsentiert werden, die Teil des Videokorpus sind, das zur Validierung der Studie eingesetzt wurde. Ausgehend von 136 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2025-0036 54 • Heft 2 den Vignetten werden die Leser: innen angeregt, eine ethnographische Haltung einzunehmen und zu beschreiben, wie Lehr-Lernprozesse in der jeweiligen Unterrichtssequenz ablaufen: „Additionally, we engage in conversation with participants to encourage documentation of judgement-neutral statements (anecdotal notes) about ‘seeing/ reading what is there’ in the vignettes (evidence), rather than expressing their opinions about what should be there or about what is missing in their lesson“ (S. 19). Diese offenen Notizen werden innerhalb des Beobachtungsbogens durch das beschriebene Rating-Verfahren anhand der Likert-Skala ergänzt. Die Illustration der Beobachtungsdimensionen anhand konkreter Unterrichtssituationen veranschaulicht die theoriebasiert entwickelten Indikatoren in angemessener Weise und liefert den Leser: innen viele Denkanstöße unabhängig von ihren eigenen Lehrerfahrungen. Der Vorschlag von „Focus Questions“ sowie „Eliciting Prior Knowledge Activities“ (z.B. S. 38-40) zu Beginn der jeweiligen Kapitel moderiert eine individuelle Auseinandersetzung mit den präsentierten Inhalten explizit an und eröffnet Einsatzmöglichkeiten des Werkes in allen Phasen der Lehrkräftebildung. Mit der nun erschienenen umfassenden Darstellung des OPAL als Beobachtungsinstrument für Unterrichtsprozesse in mehrsprachigen Klassen liegt ein inspirierender Beitrag vor, der nicht nur für die ursprünglich intendierte Zielgruppe, sondern für die Fremdsprachendidaktik insgesamt relevant ist. Eine Stärke der Publikation liegt darin, allgemeinpädagogische Prinzipien von Unterrichtsqualität mit den spezifischen Herausforderungen mehrsprachiger Lerngruppen zu verbinden und auf einer so konkreten Ebene abzubilden, dass alltägliche Unterrichtssituationen anhand der Indikatoren kriteriengeleitet diskutiert werden können. Eine besondere Herausforderung liegt für Leser: innen darin, einen routinierten Umgang mit der Vielzahl der teilweise voraussetzungsreichen Indikatoren des Beobachtungsbogens zu erlangen - auch wenn diese sehr anschaulich anhand von Vignetten vorgestellt werden. Die teilstrukturierte Anlage des Tools, das offene ethnographische Beobachtungen und ein geschlossenes Ratingverfahren kombiniert, ermöglicht eine sinnvolle Triangulation verschiedener Beobachtungsfoki. In der weitperspektivischen Anlage des Tools, das in verschiedenen Jahrgangsstufen und Schulformen Anwendung finden und somit auf vielfältige Unterrichtskontexte übertragen werden kann, liegt ein großes Potential des OPAL. Dies wird nicht nur die Reichweite seiner Rezeption in der Fachwelt, sondern auch seine tatsächliche Anwendung im Fremdsprachenunterricht erhöhen. Gießen S OPHIE E NGELEN Beatrice VON G AYL : Kognitive Aktivierung im projektorientierten Französischunterricht. Lausanne [u.a.]: Lang 2023, 355 Seiten [69,95€] Unterrichtsqualität ist ein wiederkehrendes Thema in empirischer Bildungsforschung. Die rezensierte Dissertationsschrift fokussiert einen Teilaspekt dessen, was qualitativen Unterricht ausmachen soll: die kognitive Aktivierung. V ON G AYL widmet sich diesem Konzept, das sie im Rahmen eines projektorientierten Französischunterrichts empirisch erforscht. Im Einleitungskapitel formuliert die Verfasserin ihre Zielsetzung. Es geht um die „generelle[n] Verbesserung der fachspezifischen Unterrichtsqualität“ (S. 18) im Französischunterricht unter den besonderen Bedingungen des projektorientierten Arbeitens, dessen „kognitive[r] Aktivierungsgehalt […] qualitativ untersucht“ (S. 18) werden soll. Kapitel 2 widmet sich dem „Konstrukt der kognitiven Aktivierung“ (S. 21), das die Verfasserin im Sinne L IPOWSKIS als Aufforderung zur Reflexion über den Lerngegenstand wie auch die Auseinandersetzung mit Besprechungen 137 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0036 ihm fasst (vgl. S. 21). In Ermangelung fremdsprachendidaktischer Studien erfolgt die Beschreibung überwiegend auf der Basis bildungswissenschaftlicher Literatur. Ausgehend von Merkmallisten für guten Unterricht (S. 25-29) diskutiert sie kognitive Aktivierung im Rahmen sozial-konstruktivistischer Lehr-Lern-Theorien und schlägt auf der Basis des Angebots-Nutzungs-Modells von H ELMKE ein eigenes Modell eines ‚Lehr-Lernkreislaufs‘ vor. Diesem zufolge werden Lernende in Abhängigkeit der dargebotenen Unterrichtsqualität (= Angebot seitens der Lehrenden) durch das Erleben förderlicher Faktoren wie Anregung zu kognitiver Auseinandersetzung oder der Möglichkeit zu eigenständigen Handlungsentscheidungen (= Nutzung durch Lernende) zu Lernerfolgen geführt (= Wirkung). Einem Resümee allgemeiner Merkmale kognitiver Aktivierung folgt der Brückenschlag zum Fremdsprachenunterricht. Die Verfasserin tut sich schwer damit, das Konstrukt nachvollziehbar zu fassen. Gewiss hat sich die Fremdsprachendidaktik wenig mit dieser Thematik beschäftigt, sei es konzeptuell oder empirisch. Daher ist es nicht verkehrt, Konzepte wie Fremdverstehen oder interkulturelle kommunikative Kompetenz als Belege dafür heranzuziehen, dass Fremdsprachenlernen mehr ist als mechanisches Aufnehmen von Wort- und Satzstrukturen, und festzustellen, dass auf dem Weg zu diesen Kompetenzen sehr wohl komplexe kognitive Prozesse ablaufen, die es zu aktivieren lohnt. Fachtermini müssen aber handwerklich präzise verwendet und in einen logisch nachvollziehbaren Argumentationszusammenhang eingebettet werden (S. 62-69). So hätte bspw. in Bezug auf Fremdverstehen zumindest auf seine Ursprünge verwiesen werden müssen; nur auf seine Weiterverwertung in einem anderen Zusammenhang zu rekurrieren, genügt m.E. im Rahmen einer Qualifikationsarbeit nicht (S. 63). Der Versuch darzulegen, inwiefern der Fremdsprachenunterricht kognitiv anspruchsvoller Denkprozesse bedarf, ist wenig überzeugend, in sich redundant, sehr allgemein gehalten und beruht überwiegend auf Bekanntem. In Kapitel 3 wendet sich die Verfasserin dem projektorientierten Unterricht zu. Ihre Forschungsfrage beleuchtet den Zusammenhang von Projektunterricht und kognitiver Aktivierung aus der Sicht und dem Tun der Lernenden. Sehr gerafft geht sie auf die Genese des Projektbegriffs ein. Ihre Ausführungen reichen von D EWEY über die deutsche Reformbewegung der 20er Jahre bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, um schließlich mit der Definition von Projektarbeit als „ein auf ein spezifisches Ziel oder Produkt ausgerichtetes, planvolles und themenzentriertes Vorgehen […], das meist innerhalb einer Gruppe durchgeführt wird“ (S. 75) zu enden. In Kapitel 3.2 werden Merkmale eines solchen Unterrichts aufgeführt und eine Auswahl von Forschungsarbeiten zum Projektunterricht rezipiert. Der Bezug zur Forschungsfrage (v.a. die in diesen Projekten fokussierten Aspekte wie Motivation für Projektarbeit oder Projektarbeit im Rahmen von Telekollaborationsprojekten in der Lehrerausbildung) wird nicht herausgearbeitet (S. 76-88). Das Kapitel schließt mit dem Versuch, das Potenzial von Projektlernen zur Förderung der kognitiven Aktivierung (3.3) sowie ‚Sichtweisen auf projektorientierten Unterricht in den modernen Fremdsprachen‘ (3.4) aufzuzeigen. Bei letzterem handelt es sich um eine Aneinanderreihung von Aussagen zu Projekten und ihren (vermuteten) Wirkungen auf den Fremdsprachenunterricht, deren roter Faden sich dem Rezensenten nicht erschloss. Forschungsmethodologisch situiert sich die Arbeit in der Aktionsforschung. Das 4. Kapitel resümiert Aussagen zu qualitativer Forschung und zur Aktionsforschung im Besonderen. Die Verfasserin streift deren typische Merkmale (4.2.1) und reißt die Rolle der Forscherin im Forschungsprozess an. Mit einer Vielzahl an Zugängen zur Forschungsfrage - Gruppeninterviews, Fragebogen, Video-/ Audioaufnahmen, (Lern-)Produkte - verfolgt die Verfasserin das Ziel, via Datentriangulation einen mehrperspektivischen Blick einnehmen zu können, um „das kognitive Aktivierungspotenzial von projektorientiertem Französischunterricht zu untersuchen und fachspezifisch zu konkretisieren“ (S. 108), und dieses, das sei ergänzt, aus der Perspektive der Lernenden: Beeinflusst Projektarbeit im Französischunterricht die kognitive Aktivierung der Ler- 138 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2025-0036 54 • Heft 2 nenden? Welche Elemente wirken sich auf dieselbe aus? Gibt es Faktoren, die diese begünstigen? Welche Maßnahmen der Lehrenden wirken sich positiv auf die kognitive Aktivierung aus? Wie nehmen Lernende Projektunterricht wahr und wie wirkt sich diese Wahrnehmung auf den kognitiven Aktivierungsgehalt dieser Unterrichtsform aus? (vgl. S. 108f.). Die Verfasserin hatte bereits im Grundlagenkapitel darauf hingewiesen, dass kognitive Aktivierung als Bestandteil der Tiefenstrukturen von Unterricht nicht „unmittelbar zu beobachten“ (S. 22) sei. Spätestens bei der Begründung ihrer Forschungsinstrumente wäre zu diskutieren gewesen, woran sie ihre Rückschlüsse auf potentiell vorhandene kognitive Aktivierung festmachen will und wie dies mit den intendierten Instrumenten gelingen soll. Das Setting der Forschungsarbeit beruht (vgl. S. 141-200) auf Gruppen erwachsener Lernender an einem Staatlichen Kolleg, einem Typus gymnasialer Oberstufe für den Erwerb der Hochschulreife im Erwachsenenalter über eine Dauer von sieben Semestern, das einen Vorkurs, eine Einführungsphase, die der 11. Gymnasialklasse entspricht, und eine Qualifikationsphase (= 12. und 13. Klasse) umfasst. Die Forscherin beschreibt ausführlich die mit den von ihr unterrichteten Lerngruppen durchgeführten drei Projekte, die aus einer Vor- und Nachbereitungsphase sowie einer Kontaktphase im Zielsprachenland bestehen. Eine konsequentere Leseführung, wie bspw. durch die Tabellen mit den Lernerbiographien gelungen, hätte zu mehr Klarheit beigetragen. Nicht präzise herausgearbeitet wird die Abgrenzung zwischen Projekt/ projektorientiertem (Französisch-)Unterricht und Aufgabe. Dies muss der Leser selbst leisten: während ‚Projekt‘ sämtliche Etappen von der ersten inhaltlichen Planung bis zur Reflexion am Ende umfasst (vgl. S. 161), bezieht sich ‚projektorientierter Unterricht‘ auf die methodische Umsetzung, als einer offenen, an einem Oberthema orientierten, in einer Kleingruppe ablaufenden Unterrichtsform. Das Konzept der kommunikativen (Lern-)Aufgabe kommt als fachdidaktische Kategorie in der Arbeit nicht vor, obwohl in Bezug auf das Ergebnis des Projekts, das Erstellen einer kommunikativen (Lern-)Aufgabe für einen kurzen, zeitlich nachgelagerten Aufenthalt in Frankreich, mehrmals davon gesprochen wird. Kernstück der Arbeit ist die Analyse und überwiegend deskriptive Darstellung der Daten (S. 201-292) entlang der Kategorien Struktur des Unterrichts, authentischer Bezug, Sprache und Kommunikationsfähigkeit sowie Gruppendynamik. Die Verfasserin deutet ihre Daten in der Regel nachvollziehbar. Dem action research Ansatz mag es geschuldet sein, dass sich bisweilen der Eindruck des Anekdotischen einstellt. Eine Verdichtung der Ergebnisse oder ein Vergleich ähnlicher Daten miteinander erfolgt nicht. Auch scheint es für die Verfasserin unerheblich zu sein, ob sich die Aussagen der Lernenden auf das schulische Arbeiten an einem Projekt oder dem Lösen einer kommunikativen Aufgabe im Zielsprachenland beziehen. Im 7. Kapitel führt die Verfasserin die Ergebnisse zusammen. Sie nennt u.a. die Gelegenheit zu eigenverantwortetem Handeln in einem (vor-)strukturierten Setting, herausfordernde Inhalte, Unterstützung durch die Lehrenden, Gelegenheit zur Anwendung des Gelernten, etc. Allerdings beziehen sich die Ergebnisse auf das Kolleg-Setting. Wenn es um das Potenzial des projektorientierten Fremdsprachenunterrichts für die kognitive Aktivierung geht, so ist die Einschätzung bescheidener: „Projektorientierter Französischunterricht birgt nicht per se ein erhöhtes Potenzial zur kognitiven Aktivierung der Lernenden. Der Ertrag der vorliegenden Studie stellt vielmehr heraus, dass es wichtige Voraussetzungen innerhalb des projektorientierten Französischunterrichts gibt, welche die Wahrscheinlichkeit für ein gesteigertes kognitives Aktivierungspotenzial erhöhen, auch wenn der Einfluss dieser Faktoren auf die Lernenden typabhängig ist“ (S. 315). Formal vermag die Arbeit bedingt durch fehlende Literaturangaben, Orthographiefehler und zu häufige, z.T. wortwörtliche Wiederholungen nicht konsequent zu überzeugen. Auch deutet die Einführung einer dritten bzw. vierten Gliederungsebene an einigen Stellen, ohne dass Besprechungen 139 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0037 diese über einen ersten Gliederungspunkt hinausgeht, auf eine defizitäre logische Kohärenz und letztlich argumentative Schwäche der gesamten Arbeit hin. Spätestens für die Publikation hätte diese Dissertation mit Überarbeitungsauflagen belegt werden müssen. Es ist positiv hervorzuheben, dass Béatrice VON G AYL sich einem in der Fremdsprachendidaktik weitgehend unerforschten Bereich widmet. Ebenso ist es begrüßenswert, dass mit einer praktizierenden Lehrerin als Forscherin der Unterricht bzw. die Sicht der Lernenden auf einen Teilaspekt desselben in den Fokus genommen wird. Die Wahl der Aktionsforschung als Forschungsmethode ist auch naheliegend. Dennoch ist zu fragen, ob die Arbeit tatsächlich Antworten zum Aktivierungspotential des Settings oder eher zur Einschätzung des Settings durch die Lernenden erbracht hat. Diese Ergebnisse, die sich zusammengefasst auf S. 314 finden, dürften nicht nur für den Projektunterricht, sondern für Unterricht allgemein gelten. „Begünstigende Faktoren“ wie Interesse am Thema, individuelle Motivation oder Zielklarheit sind Faktoren, die gewiss in einem Zusammenhang mit „Konkreten Operationen“ (z.B. Bezug zu Vorwissen, intensive Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand) stehen. Woran sich allerdings ableiten lässt, dass tatsächlich kognitive Aktivierung erfolgt, vermag die Arbeit nicht zu klären. Für weitere Forschung bleibt also genügend Raum. Ludwigsburg J ÜRGEN M ERTENS Almut K ETZER -N ÖLTGE , Nicola W ÜRFFEL (Hrsg.): Textbook 4.0 - From Paper-Based Textbooks with Digital Components to Interactive Teaching and Learning. Berlin [u. a.]: Peter Lang 2024, 325 Seiten [64,95 €] Der vorliegende Sammelband, herausgegeben von den zwei Didaktikerinnen für Deutsch als Fremdsprache (DaF) Almut K ETZER -N ÖLTGE und Nicola W ÜRFFEL , ist in englischer Sprache als 77. Band der Reihe Kolloquium Fremdsprachenunterricht erschienen. Er dokumentiert die Ergebnisse von zwei Runden Tischen (2020 und 2022), die als „Think Tanks“ (9) dem Austausch über Innovations- und Transformationsprozesse in der Fremdsprachendidaktik gewidmet waren. Im einleitenden Beitrag legen die Herausgeberinnen diesbezüglich offen, warum dabei statt „textbook“ der Begriff „interactive personal learning and teaching environment“ (14-15) passender ist, um dem stets personenbezogenen Aspekt des Lehrens und Lernens sowie der großen Breite und Komplexität des heutzutage am ‚Lehrwerk‘ beteiligten Medienverbundes gerecht zu werden. Grundlegende Qualitätsmerkmale des fremdsprachlichen Lernens, die in dem Band diskutiert werden, gehen somit bewusst über Unterscheidungen zwischen analoger, hybrider und digitaler Darbietungs- und Interaktionsform hinaus. Der erste von drei Teilen (23-122) widmet sich in drei Beiträgen der Darstellung und Analyse der historischen Entwicklung und des aktuellen Standes von dementsprechenden Lehr- und Lernumgebungen und zieht Schlussfolgerungen für deren weitere Entwicklung. Im ersten Beitrag zeichnet Nicola W ÜRFFEL die Digitalisierung von DaF-Lehr- und Lernmaterialien von 1980 bis 2024 nach. Anhand der Zusammenführung der Ergebnisse mit Befragungen von Expert*innen aus Schulbuchverlagen zeigt sie, dass Fortschritte gemacht wurden: Lehrwerke sind heutzutage komplexe Medienverbünde mit einer Vielfalt analoger und zunehmend digitaler Bestandteile. Zudem zeichnen sie sich durch einen steigenden Grad an Interaktivität aus. Andere Visionen, wie ein modularer Lehrmittelansatz und stärkere Lernendenzentrierung, stellen hingegen weiterhin ein Desiderat dar. Im zweiten Beitrag analysieren Almut K ETZER - N ÖLTGE und Nicola W ÜRFFEL , wie sich Lehrwerke für DaF seit 1990 mit dem Aufkommen der digitalen Medien bis heute verändert haben. Dafür präsentieren sie Modelle des computer- 140 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2025-0037 54 • Heft 2 gestützten Sprachenlernens, bevor sie die Ergebnisse einer Längsschnittlehrwerkanalyse vorstellen, die den vielfältigen Einfluss der Digitalisierung auf Lehr- und Lernmaterialien aufzeigen: So ist Digitalisierung inzwischen auch ein Thema der Lehrwerke, es findet sich ein Panorama digitaler Textsorten und die Aufgabenformate enthalten Internetrecherchen und digitale Zieltextformate. Dennoch braucht es mehr Kollaboration zwischen den beteiligten Parteien in Theorie und Praxis und eine kritische Inspektion der Prädominanz von kommerziellen Lehr- Lern-Materialien. Im dritten und letzten Beitrag dieses Teils beleuchtet Dietmar R ÖSLER den interkulturellen Ansatz in Lehrwerken seit den 1980er Jahren sowie die Unterstützungsmöglichkeiten für die Kooperation von Lernenden unterschiedlicher Sprachräume durch Sprachassistenzsysteme. Rösler untersucht die Potenziale digitaler Medien zur Erweiterung traditionellen Sprachunterrichts und skizziert sowohl eine Dystopie des Fremdsprachenlernens als auch eine Utopie, wobei in letzterer eine lernerzentrierte, flexible und modulare Lernumgebung die individuellen Bedürfnisse und Wünsche der Lernenden berücksichtigt. Der zweite Teil des Sammelbandes (123-274) vereint in sieben Beiträgen sowohl konzeptionelle Überlegungen und Visionen zur Weiterentwicklung von interaktiven persönlichen Lehr- und Lernumgebungen und Lehrwerken als auch empirische Studien, die die Integration aktueller Technologien, Tools und/ oder Medien untersuchen, sowie diesbezügliche explorative Ansätze. Die Studie von Carolyn B LUME , Lisa M IDDELANIS und Torben S CHMIDT untersucht den potenziellen Nutzen von intelligenten Tutoring-Systemen für das Sprachenlernen, vor allem im Englischunterricht der siebten Klasse. Basierend auf der Initiative Interact4school wird die lehrkraftseitige Wahrnehmung der Möglichkeiten eines solchen Systems mittels Interviews erforscht. Die Untersuchung zeigt, inwiefern das lehrkraftseitige Verständnis von Differenzierung, fachspezifischen Lernprozessen und ihrer eigenen Rolle die Wahrnehmung und Nutzung einer interaktiven Alternative zum traditionellen Lehrwerk beeinflusst. Im nachfolgenden Beitrag untersucht Manuela F RANKE mittels halbstrukturierter Unterrichtsbeobachtungen, wie Lehrkräfte Hausaufgaben mit Unterstützung von digitalen Materialien zu Französisch- und Spanisch-Lehrwerken erteilen. Die Ergebnisse legen nahe, dass digital unterstützte Hausaufgaben eine gezielte und individualisierte Förderung des selbstständigen, eigenverantwortlichen und autonomen Lernens in Kombination mit einer Steigerung der Medienkompetenz ermöglichen können. Der Beitrag von Selmin H EDEMANN und Yibo M IN widmet sich dem Einsatz von Augmented Reality (AR) in Form eines Merge Cube und dessen Auswirkungen auf das Fremdsprachenlernen in zwei Online-Deutschkursen. Dafür werden die Perspektiven von Lehrkräften und Lernenden erhoben und die Auswirkungen von AR auf Motivation, Interaktion und Akzeptanz anhand von Leitfadeninterviews untersucht. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass AR ein nützliches Werkzeug für das Sprachenlernen sein kann, die Erwartungen der Lernenden jedoch stärker berücksichtigt werden sollten. Kathleen P LÖTNER beschäftigt sich ihrerseits mit der Verwendung von Virtual Reality (VR) in Fremdsprachenlehrwerken und betont Vorteile wie immersive Erfahrungen und interaktives Lernen. Sie fordert angehende Lehrkräfte dazu auf, VR zu erkunden, um Potenziale und Grenzen zu verstehen. VR wird als Möglichkeit beschrieben, Fremdsprachenlernen durch Motivation und Engagement zu verbessern, aber auch Herausforderungen wie Kosten und Schulungsbedarf für Lehrkräfte werden angesprochen. Almut K ETZER -N ÖLTGE , Caroline N AST und Lisa H ÖFLER schlagen in ihrem Beitrag zwei Szenarien für den Einsatz von 360°-Medien im DaF- oder DaZ-Unterricht vor, mit dem Ziel, Diskurskompetenz zu fördern. Sie argumentieren, dass 360°-Panoramabilder, Videos und virtuelle Touren genutzt werden können, um zu zeigen, wie Bedeutung in (audio-)visuellen Medien konstruiert wird. Sie weisen ferner darauf hin, dass die Integration deutlich einfacher wäre, wenn Lehrwerke modular statt linear aufgebaut wären. Im letzten Beitrag von Teil II erörtert Natallia B ALIUK den potenziellen Nutzen von social networking sites beim Sprachenlernen und deren Besprechungen 141 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0037 Integration in zukünftige Lehrwerke. Sie verdeutlicht, dass die Teilnahme an echtem, situiertem Sprachgebrauch, die Zusammenarbeit und die gemeinsame Schaffung von Wissen nicht automatisch erfolgen, sondern von einer sorgfältig gestalteten Implementierung abhängen. Die Autorin hebt zudem hervor, wie wichtig die Berücksichtigung zahlreicher Faktoren wie die Entwicklung notwendiger digitaler Kompetenzen ist. Der dritte Teil (275-325) bietet drei Berichte über praktische Projekte zur Umsetzung und Evaluation neuer Ansätze der Materialentwicklung. Julia W OLBERGS , Michaela M ARKOVIC und Lisa H ÖFLER stellen ein Open Educational Resources-Lernmaterial zur Unterstützung deutscher und chinesischer Lernender bei der Vorbereitung auf einen Schüleraustausch vor und diskutieren Herausforderungen und Lösungen bei dessen Entwicklung und Evaluation. Ergebnisse der Evaluierungsumfrage zeigen, dass die Nutzer*innen die gemeinsame Diskussion der behandelten Themen wertgeschätzt haben. Die Autorinnen kommen zu dem Schluss, dass eine klare Kommunikation erforderlich ist, um den Interessen aller an der Vorbereitung und der Durchführung des Lernprozesses Beteiligten gerecht zu werden, ermutigen jedoch zur Verwendung digitaler Open Source-Materialien in Forschung und Praxis. David F UJISAWA präsentiert in seinem Bericht Grammatikbausteine als Visualisierungsmöglichkeit im Online-Deutschunterricht. Eine Vorstudie zur Erprobung des Konzepts zeigt große Zufriedenheit seitens der Anwender*innen und deutet somit darauf hin, dass dieses eine wertvolle Ergänzung zum herkömmlichen Lehrmaterial darstellen kann. Antje R ÜGER berichtet von einem entdeckungs- und aufgabenbasierten flexiblen und lernerzentrierten Online-Spanischkurs für erwachsene Spanischlernende. Der Kurs beinhaltet authentische Materialien für einen realitätsnahen Zugang (Vorstellung der eigenen Person, der Wohnsituation, Einkauf- und Essgewohnheiten, Tagesablauf etc.) und unterstützende Aktivitäten zur Förderung verschiedener Sprachniveaus. Der Beitrag präsentiert Beispiele für Lernaktivitäten, Überlegungen zur Kursentwicklung und -durchführung sowie Evaluierungsergebnisse. Der selbstgesteuerte Charakter des Kurses und der Mangel an persönlicher Interaktion könnte jedoch einige Lernende vor Herausforderungen stellen. Der Band bietet - wie im Klappentext versprochen - einen „multiperspektivischen“ Blick auf Lehr-Lern-Materialien mit einem Schwerpunkt auf ‚Lehrwerken‘ und gleichzeitig dem wichtigen Anstoß, das Verständnis von Letzteren zu überbzw. weiter zu denken. Bemerkenswert ist ferner, dass bei der großen inhaltlichen und methodischen Vielfalt in den drei Teilen und den unterschiedlichen Beiträgen einige Schlüsselelemente wie die Förderung von digitaler Kompetenz aufseiten der Lernenden und der Lehrkräfte, die Vorteile stärker lernerzentrierten und modularen Lernens und die diesbezüglichen Möglichkeiten durch Digitalisierung wiederholt zum Ausdruck kommen. Diesen Aspekten wird daher in Zukunft besondere Aufmerksamkeit zuteilwerden müssen. Der Band stellt den aktuellen Stand der Forschung zu diesem Themenkomplex übersichtlich, kohärent und anhand vielfältiger, anschaulich visualisierter Beispiele dar, ist sprachübergreifend für die Fremdsprachendidaktik von großem Interesse und betont gleichzeitig den verbleibenden dringlichen Bedarf an weiterführender und kontinuierlicher Forschung in diesem so schnelllebigen Bereich des Lehrens und Lernens von Sprachen. Münster C ORINNA K OCH 142 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2025-0038 54 • Heft 2 Almut H ILLE , Simone S CHIEDERMAIR (Hrsg.): Zur Kategorie „Diskurs“ in der Kultur- und Literaturdidaktik des Faches Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. München: IUDICIUM 2023, 339 Seiten [Open Access] Obwohl der Diskursbegriff in angrenzenden Disziplinen seit mehreren Jahrzehnten eine zentrale Rolle einnimmt, hat er in den Fremdsprachendidaktiken, einschließlich Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, im deutschsprachigen Raum bisher weniger Beachtung gefunden. Noch 2008 attestierte Wolfgang H ALLET dem Diskursbegriff in diesen Disziplinen sogar einen ‚Non- Status‘. Der 2023 von Almut H ILLE und Simone S CHIEDERMAIR vorgelegte Sammelband rückt die Kategorie ‚Diskurs‘ im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache in den Fokus. Er basiert auf den Beiträgen zu einer internationalen Fachtagung, die im September 2021 im Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald stattfand. Zwar lässt sich eine gewisse Randständigkeit der Kategorie Diskurs in Beiträgen zur fremdsprachendidaktischen Forschung bis heute nicht abstreiten. Der Band zeigt jedoch, dass Diskurs zumindest in Forschungskontexten des Faches Deutsch als Fremd- und Zweitsprache an Bedeutung gewonnen hat und in nicht wenigen wissenschaftlichen Beiträgen der letzten Jahre eine wichtige Rolle spielt. Die Herausgeberinnen eröffnen den Band mit einem einleitenden Beitrag, in dem sie einen Überblick über die Begriffsgeschichte der Kategorie Diskurs in ihrem eigenen Fach, aber auch in angrenzenden Fächern bieten. Der Band enthält im Weiteren 14 Einzelbeiträge, die in drei Hauptteile gegliedert sind: I Diskurs und Diskursivität in Kultur-, Bildungspolitik und Lehrkräftebildung (drei Beiträge), II Kulturdidaktik (fünf Beiträge) sowie III Literaturdidaktik (sechs Beiträge). In Teil I gehen Uwe K OREIK und Roger F ORNOFF dem „Diskurs über Kultur im Fach DaF/ DaZ und in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik“ nach und zeigen die vielfältigen Bezüge zwischen diesen beiden Diskurssträngen auf. Zwischen diesen sind laut K OREIK und F ORNOFF im letzten untersuchten Zeitraum (1991-2022) zunehmend Widersprüche entstanden. Zwar sei auch in der Kultur- und Bildungspolitik eine immer deutlichere transnationale Ausrichtung zu verzeichnen gewesen. Der cultural turn habe jedoch die Geistes- und Sozialwissenschaften und somit auch die DaF/ DaZ-Didaktik mit Wucht getroffen und dabei den Nationalbegriff insgesamt mit Vehemenz in Frage gestellt. Die Autoren heben in diesem Zusammenhang den erheblichen Einfluss Claus A LTMAYER s auf eine diskurstheoretisch fundierte Neuausrichtung des Faches hervor. Gleichwohl gehen sie auch kritisch auf dessen Arbeiten ein. So weisen sie einerseits darauf hin, dass bei der von ihm vertretenen Betonung der Kategorie Diskurs unklar bleibe, wie dabei dem Problem der „fake news“ und der „alternativen Fakten“ (S. 51) begegnet werden könne, wenn die Diskurstheorie den Begriff von objektiver Wahrheit und überprüfbaren Fakten radikal in Frage stellt; weiterhin betone er zu einseitig die Rolle des Individuums bei der Bedeutungsaushandlung und berücksichtige dadurch zu wenig „Sozialisationsfaktoren wie schulisches Curriculum, medial beeinflusste Informationsvermittlung, familiäre Gespräche oder auch die Einflussnahme religiöser Institutionen“ (ebd.). Ausgehend von einem Symposium in Göttingen, das bereits 2019 stattgefunden hatte und ebenfalls den Herausforderungen einer zeitgemäßen Sprach- und Kulturdidaktik gewidmet war, und einem aus diesem Symposium hervorgegangenen Sammelband untersucht Almut H ILLE in ihrem Beitrag, inwiefern ein „bedeutungs-, symbol- und wissensorientierter Kulturbegriff“ bei angehenden Lehrkräften vorausgesetzt werden kann. Ein solcher Kulturbegriff ist für sie die „Grundlage diskursorientierten Lernens im Fremdsprachenunterricht“. Sie rückt somit die Rolle der Lehrkräftebildung in den Fokus. Den Hauptteil des Beitrags bildet die Auswertung einer Seminarreihe im Masterstudiengang „Deutsch als Fremdsprache: Kulturvermittlung“ an Besprechungen 143 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0038 der Freien Universität Berlin. U. a. werden schriftliche Antworten von Studierenden auf die Frage „Was ist Kultur? “ ausführlich im Wortlaut dokumentiert. Die Ergebnisse zeigen, dass die Studierenden durchgehend einen bedeutungs-, symbol- und wissensorientierten Kulturbegriff vertreten (S. 71), sich aber auch der Schwierigkeiten seiner unterrichtlichen Umsetzung bewusst sind. Teil I schließt mit einem Beitrag von Sabine J ENTGES , die am Beispiel des Faches DaF in den Niederlanden der Frage nachgeht, wie sprach- und kulturreflexives Lernen - das sie als an Diskursen ausgerichtetes Lernen versteht - curricular zu verankern wäre. Dabei stützt sie sich einerseits auf Claus A LTMAYER s Beiträge zum Thema, andererseits auf ein von Suzanne I MMERS entwickeltes Modell des kulturreflexiven Lernens (S. 88). Teil II (Kulturdidaktik) umfasst fünf Beiträge. Charlotta S EILER B RYLLA entwickelt ein Modell diskurssemantischer Analysen. Yuan L I und Di P AN gehen im Kontext des DaF-Unterrichts in China der Frage nach, wie das verbreitete dichotomische Kulturverständnis der interkulturellen Didaktik durch den Diskursbegriff überwunden werden könnte, und wenden ihre Überlegungen auf die neue Lehrwerksreihe „Willkommen! “ an. Christine B ECKER präsentiert die Ergebnisse einer Fallstudie mit schwedischen Studierenden, die sich mit dem Thema Zweiter Weltkrieg und Holocaust auseinandergesetzt haben. Markus R AITH arbeitet in seinem Beitrag mit dem Begriff ‚Diskursfähigkeit‘ und illustriert seine Überlegungen am Beispiel mehrerer Instagram-Posts einer Influencerin. Teil II schließt mit einem Beitrag von Camilla B ADSTÜBNER -K IZIK . Sie operiert mit dem Begriff linguistic landscapes und arbeitet heraus, wie „Kommunikate“ in ukrainischer Sprache im öffentlichen Raum in Polen und Deutschland zur Förderung einer mehrsprachigen diskursiven Kompetenz eingesetzt werden können. In Teil III finden sich insgesamt sechs Beiträge zur Literaturdidaktik. Frank Thomas G RUB berichtet von einem Seminar mit Germanistikstudierenden in Schweden, in dem er mit verschiedenen literarischen Texten zum Thema Flucht und Migration gearbeitet hat. Michael E WERT fordert, dass auch ein diskurstheoretisch fundierter fremdsprachenphilologischer Unterricht die „Individualität und Eigengesetzlichkeit von Literatur“ (S. 227) im Blick behalten müsse. Anette S CHILLING zeigt anhand einer Graphic Novel, dass literarische Texte nicht nur mit der Kategorie Diskurs analysiert werden können, sondern dass sie auch ihre eigene Diskursivität zum Gegenstand haben können („Diskurs im Diskurs im Diskurs“, S. 249-256). Damit ist wohlgemerkt nicht gemeint, dass die Lerner im Fremdsprachenunterricht selbst eine Diskursanalyse im engeren Sinne durchführen sollen; sehr wohl jedoch, dass sie auch bei der Lektüre literarischer Texte „Diskurse erkennen lernen“ (S. 246) und auf diese Weise eine „rezeptive Diskursfähigkeit“ (ebd.) entwickeln. Jens G RIMSTEIN berichtet von einem in Jena gehaltenen Literaturseminar, in dessen Rahmen Studierende im Kontext eines virtuellen Ausstellungsbesuchs schon auf dem Niveau B1+/ B2 Diskursfähigkeit unter Beweis gestellt haben. Bridget L EVINE -W EST und Glenn L EVINE -W EST demonstrieren am Beispiel mehrerer Verfilmungen von Döblins Roman Berlin Alexanderplatz einen diskursorientierten Zugriff auf Literaturverfilmungen. Simone S CHIEDERMAIR schließlich arbeitet die Aufwertung heraus, die literarische Texte im GeR-Begleitband von 2020 im Vergleich zum fast zwanzig Jahre früher erschienenen GeR erfahren haben. Weiterhin diskutiert sie ausführlich das vor allem von Claire K RAMSCH geprägte und in deutschsprachigen Kontexten recht breit rezipierte Konzept der symbolic competence sowie die Didaktik der multiliteracies; in beiden Fällen spielen diskurstheoretische Überlegungen eine zentrale Rolle. Vor diesem Hintergrund berichtet S CHIEDERMAIR über eine Fallstudie mit Studierenden zu diskurssensibel ausgerichteten literaturdidaktischen Verfahren. Die im Band versammelten Beiträge sind durchgehend theoretisch sehr solide fundiert und bewegen sich auf einem hohen Reflexionsniveau. Es finden sich sowohl theoretisch-konzeptionelle als auch mehrere empirische Beiträge. Die tatsächliche Umsetzung und Evaluierung 144 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2025-0038 54 • Heft 2 eines Projektes zum diskursiven Lernen mit Schülern der Sekundarstufe hat jedoch nur der Beitrag von Sabine J ENTGES zum Gegenstand. Das Projekt basierte allerdings auf einem „Modell zum kulturreflexiven Lernen“ nach Suzanne I MMERS (S. 88) - m. a. W., mit der wesentlich abstrakteren Kategorie ‚Diskurs‘ scheint auch hier gerade nicht gearbeitet worden zu sein. Dies trifft laut J ENTGES auf andere, ohnehin eher selten anzutreffende Unterrichtsmaterialien zum kulturreflexiven Lernen ebenfalls zu. Sie hebt hervor: „Trotz vielfältiger und diverser Angebote zu landeskundlichem bzw. kulturellem Lernen, bilden Anregungen zu kulturreflexivem (geschweige denn diskursivem) Lernen [in Lehrwerken für den Deutschunterricht in den Niederlanden und in Polen] die Ausnahme.“ (S. 86) Eine naheliegende Erklärung hierfür ist, dass die Diskrepanz zwischen den sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten von Kindern und Heranwachsenden und der Komplexität des Diskursbegriffs der angestrebten Implementierung eines diskursorientierten Ansatzes im schulischen Fremdsprachenunterricht im Wege stehen könnte. So betonen neben Sabine J ENTGES (ebd.) auch Uwe K OREIK und Roger F ORNOFF in ihrem Beitrag, dass „[…] die Mehrheit der gut fünfzehn Millionen Deutschlernenden weltweit nur ein A1/ A2-Niveau erreichen, auf dem eine diskursive Auseinandersetzung allein sprachlich schon unmöglich ist und zudem gerade bei Schülerinnen und Schülern im jüngeren Alter (z. B. DaF im Gymnasium) das Weltwissen fehlt, um diskursive Auseinandersetzungen führen zu können.“ (S. 50f.) In diesem Licht stellen sich zwei weiterführende Fragen: erstens, für welche (Lerner-) Zielgruppe(n) die Kategorie Diskurs sich eignet, und welche Definition dabei zugrunde gelegt werden könnte; zweitens, mit welchen theoretischen Begriffen und unterrichtspraktischen Modellen diskurssensibles Lernen bereits bei Kindern und Jugendlichen gefördert werden kann. Zu diesen und weiteren Fragen stellt der vorliegende Sammelband einen höchst anregenden Fundus nicht nur für die DaF/ DaZ-Didaktik, sondern auch für andere Fremdsprachendidaktiken dar. Tübingen J OCHEN P LIKAT 54 • Heft 2 Vorschau auf Jahrgang 55.1 Der von C HRISTOPH B ÜRGEL (Paderborn) und D IRK S IEPMANN (Osnabrück) koordinierte Themenschwerpunkt für den Jahrgang 55.1 (2026) trägt den Titel Lexiko-Grammatik im Fremdsprachenunterricht. Das bisherige Fremdsprachenlehren und -lernen beruht im Kern auf dem modularen Sprachverständnis der generativen und traditionellen Grammatik, d.h. dem Wörter-Regel-Lernen und der damit verbundenen Trennung von Wortschatz und Grammatik. Im Sinne dieses Slot-Filler- Modells ist die Sprachproduktion denkbar einfach: Sprecher ordnen Wörter im Rückgriff auf Formbildungs- und Syntaxregeln zu wohlgeformten Sätzen an. Jedem Praktiker und Theoretiker dürften die Folgen aus vielfältiger Beobachtung sattsam bekannt sein: unnatürliche, nichtidiomatische Ausdrucksweise, ganz zu schweigen von sprachlichen Normverstößen. In jüngster Zeit mehren sich deshalb die Plädoyers, den Fremdsprachenunterricht stärker an den der sprachlichen Wirklichkeit gerechter werden Erkenntnissen der gebrauchsbasierten Ansätze bzw. der Konstruktionsgrammatik auszurichten und Fremdsprachenlernen als Lexiko-Grammatik-Lernen zu konzeptualisieren. Damit wird die in der Sprachwissenschaft bereits seit geraumer Zeit gereifte Erkenntnis aufgegriffen, dass das zentrale Prinzip von Sprache und Kommunikation im Gebrauch mehr oder weniger verfestigter Konstruktionen besteht, zu denen alle Arten von größeren ‚Sprachgebilden‘ unterschiedlichen Komplexitäts- und Abstraktionsgrades gehören. Auch in der Spracherwerbsforschung gehen konstruktivistische Spracherwerbstheorien - ganz im Gegensatz zu nativistischen Theorien, die einzelwortbasierten Spracherwerb postulierten - u.a. davon aus, dass es größere Spracheinheiten sind, die den Dreh- und Angelpunkt des Spracherwerbs bilden. Sie werden vom Sprecher als Ganzes erkannt, kategorisiert und gespeichert. Demzufolge rufen wir beim Sprechen mehr oder weniger fertige Spracheinheiten aus dem mentalen ,Phrasikon‘ bzw. ,Konstruktikon‘ ab. Der lexiko-grammatische Ansatz schließt an die sprachwissenschaftlichen und spracherwerbstheoretischen Erkenntnisse an, indem er als Kern das Zusammenspiel von Wortschatz und Grammatik ansetzt. Grammatische Phänomene werden nie isoliert betrachtet, sondern um eine Wortschatzkomponente ergänzt: Welche Wortschatzelemente treten typischerweise und frequent in einer grammatischen Struktur auf? Damit rücken nunmehr lexiko-grammatische ,Sprachgebilde‘ ins Zentrum des Lehr- und Lernprozesses mit dem entscheidenden Vorteil, dass der Sprachlernprozess am tatsächlichen empirisch abgesicherten Sprachgebrauch ausgerichtet wird. In der deutschen Fremdsprachendidaktik deutet sich dieser Paradigmenwechsel auch auf bildungspolitischer Ebene an. In der Neufassung der Bildungsstandards für die erste Fremdsprache der KMK (2023) wird nach jahrzehntelanger Dominanz der Trennung von Wortschatz und Grammatik nunmehr das Lehren und Lernen von Lexik-Grammatik postuliert. So fordern die Bildungsstandards, dass Vermittlung und Aneignung von Wortschatz im Sinne komplexer lexiko-grammatischer Einheiten mit Blick auf die funktional-kommunikative Kompetenz zentral sind. In bildungspolitischer Hinsicht ist davon auszugehen, dass das lexiko-grammatische Sprachverständnis in naher Zukunft von Kernlehrplänen übernommen wird und damit zumindest auf theoretisch-konzeptioneller Ebene des Fremdsprachenunterrichts normative Wirkungsmacht entfalten wird. Problematisch ist jedoch, dass die inhaltliche Konzeptualisierung von V o r s c h a u ● I n e i g e n e r S a c h e 146 Vorschau ● In eigener Sache 54 • Heft 2 Lexiko-Grammatik in der deutschen Fremdsprachendidaktik weitgehend unklar, ja sogar ungeklärt ist. Das Heft will deshalb zur Diskussion dieses Konzepts anregen, Impulse zur inhaltlichen Ausschärfung und Füllung von Lexiko-Grammatik geben und didaktisch-methodische Reflexionen zum Lehren und Lernen von Lexiko-Grammatik vorstellen. Bei Redaktionsschluss lagen Zusagen für folgende Beiträge vor: C HRISTOPH B ÜRGEL (Paderborn), D IRK S IEPMANN (Osnabrück): Die Grammatik des gesprochenen und geschriebenen Französisch als erste korpusbasierte Lexikogrammatik des Französischen: Grundlagen, Prinzipien, Umsetzung S ABINE D E K NOP (Brüssel): Frequente deutsche Konstruktionen: Lernschwierigkeiten und konstruktionsbasierte didaktische Lösungsansätze K ARIN A GUADO (Kassel): Usuelle Wortverbindungen in der lernersprachlichen Interaktion. Eine empirische Studie zu (simulierten) mündlichen Paarprüfungen in DaF (A2-C1) P ATRICIA DE C RIGNIS , J OHANNA W OLF (München): „Das musst du halt einfach lernen! “ - Zum Zusammenhang von Auswendiglernen und Fremdspracherwerb anhand ausgewählter Konstruktionen des Französischen und Spanischen A NNA F ANKHAUSER (Osnabrück): Lexiko-Grammatik im Lehrplan - Überlegungen zu einer Neuorientierung im schulischen Englischunterricht K ATRIN H ENK (Heilbronn): „On montre notre ville à Zoé.“- Eine Lehrwerksanalyse zur Vermittlung von Objekten und Objektpronomina im Französischunterricht Geplanter Themenschwerpunkt für Jahrgang 55.2 Digitale Gegenstände, digitale Kompetenzen, digitale Praktiken im Fremdsprachenunterricht Koordiniert von B RITTA V IEBROCK (Goethe-Universität Frankfurt) und K RISTINA P EUSCHEL (Universität Augsburg) In eigener Sache Neun Jahre lang war Karen S CHRAMM (Universität Wien) Mitherausgeberin der FLuL, zunächst gemeinsam mit Claus G NUTZMANN und Lutz K ÜSTER , später mit Britta V IEBROCK und Birgit S CHÄDLICH . Zum Jahreswechsel 2025/ 2026 wird sie nun das Herausgeberinnenteam verlassen. Wir danken Karen S CHRAMM für die bereichernde und freundschaftliche Zusammenarbeit. Ihre vielseitige Expertise nicht nur in der Perspektive von DaF/ DaZ, sondern auch ihr thematischer und forschungsmethodologischer Weitblick haben die Arbeit an der Zeitschrift nachhaltig geprägt. Wir freuen uns sehr, dass Sandra B ALLWEG (Universität Paderborn) die Nachfolge von Karen S CHRAMM antritt. Nach der aktuellen Übergangszeit wird sie ab 2026 dem Herausgeberinnenteam der FLuL angehören. Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL) Themenschwerpunkte (2002 - 2025) Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL) Themenschwerpunkte (2002 - 2025) 31 (2002): Lehrerausbildung in der Diskussion (koord. von Frank G. Königs und Ekkehard Zöfgen) 32 (2003): Mündliche Produktion in der Fremdsprache (koord. von Karin Aguado u.a.) 33 (2004): Wortschatz - Wortschatzerwerb - Wortschatzlernen (koord. von Erwin Tschirner) 34 (2005): `` Neokommunikativer AA Fremdsprachenunterricht (koord. von Franz-Joseph Meißner) 35 (2006): Sprachdidaktik - interkulturell (koord. von Claus Gnutzmann und Frank G. Königs) 36 (2007): Fremdsprache als Arbeitssprache in Schule und Studium (koord. von Claus Gnutzmann) 37 (2008): Lehren und Lernen mit literarischen Texten (koord. von Eva Burwitz-Melzer) 38 (2009): Strategien im Fremdsprachenunterricht (koord. von Manfred Raupach) 39 (2010): Geschichte des Fremdsprachenunterrichts (koord. von Claus Gnutzmann und Frank G. Königs) 40.1 (2011): Fremdsprachenforschung in Europa (koord. von C. Gnutzmann, F.G. Königs und L. Küster) 40.2 (2011): Lehrwerkkritik, Lehrwerkverwendung, Lehrwerkentwicklung (koord. von Jürgen Kurtz) 41.1 (2012): Kompetenzen konkret (koord. von Lutz Küster) 41.2 (2012): Fremdsprachen in nichtsprachlichen Studiengängen (koord. von Claus Gnutzmann) 42.1 (2013): Entwicklungslinien. Standpunkte der Fremdsprachenforschung (koord. von Jenny Jakisch, Frank G. Königs und Lutz Küster) 42.2 (2013): Tasks revisited (koord. von Wolfgang Hallet und Michael K. Legutke) 43.1 (2014): Der Fremdsprachenlehrer im Fokus (koord. von Frank G. Königs) 43.2 (2014): Multiliteralität (koord. von Lutz Küster) 44.1 (2015): Wissenschaftliches Schreiben in der Fremdsprache (koord. von Claus Gnutzmann) 44.2 (2015): Mehrsprachigkeitsdidaktik (koord. von Jenny Jakisch) 45.1 (2016): (Fremd-)Sprachenlernen mit Film (koord. von Gabriele Blell und Carola Surkamp) 45.2 (2016): L2-Motivation - internationale und sprachspezifische Perspektiven (koord. von Claudia Riemer und Kathrin Wild) 46.1 (2017): Sprachenpolitik (koord. von Eva Burwitz-Melzer und Jürgen Quetz) 46.2 (2017): Frühes Fremdsprachenlernen (koord. von Heiner Böttger) 47.1 (2018): Fachlichkeit und Bildungsauftrag im schulischen Fremdsprachenunterricht (koord. von Lutz Küster und Jochen Plikat) 47.2 (2018): Digitalisierung und Differenzierung (koord. von Torben Schmidt und Nicola Würffel) 48.1 (2019): Videobasierte Lehre in der Fremdsprachendidaktik (koord. von Mark Bechtel und Karen Schramm) 48.2 (2019): Sprachmittlung (koord. von Andrea Rössler und Birgit Schädlich) 49.1 (2020): Fremdsprachliches Schreiben (koord. von Hans P. Krings) 49.2 (2020): Aussprache lehren, lernen und evaluieren (koord. von Isabelle Mordellet-Roggenbuck und Julia Settinieri) 50.1 (2021): Bilingualer Unterricht. Aktuelle Herausforderungen und neue Chancen (koord. von Bärbel Diehr und Dominik Rumlich) 50.2 (2021): Berufsbezogenes Fremdsprachenlernen und -lehren (koord. von Karin Vogt und Hermann Funk) 51.1 (2022): Jugendliteratur im Fremdsprachenunterricht der Sekundarstufe für alle (koord. Nikola Mayer) 51.2 (2022): Mehrsprachige Forschung - Mehrsprachigkeit in der Forschung: theoretische und empirische Herausforderungen aus internationaler Perspektive (koord. von Dagmar Abendroth-Timmer und Britta Viebrock) 52.1 (2023): Die Künste und ihr Einsatz im Fremdsprachenunterricht - Potenziale für das fremdsprachliche Lernen (koord. von Carola Surkamp und Andreas Wirag) 52.2 (2023): Gamification (koord. von Marta García García) 53.1 (2024): Interaktion und Digitalisierung im Fremdsprachenunterricht (koord. von Götz Schwab und Sabine Hoffmann) 53.2 (2024): Neurodiversität in Fremdsprachenunterricht und -lehrkräftebildung (koord. von Carolyn Blume und Jules Bündgens-Kosten) 54.1 (2025): Fokus Feedbackkompetenz (koord. von Marlene Aufgebauer) www.narr.digital www.narr.de ISSN 0932-6936 ISBN 978-3-381-14041-1 Themenschwerpunkt: Kritische Fremdsprachenlehrer: innenbildung I rene H eIdt , L otta K önIg , e LenI L ouLoudI , t Horsten M erse Zur Einführung in den Themenschwerpunkt ���������������������������������������������� 3 J uLIa F eIKe , r ebecca Z abeL Lehrer: innensubjektbildung: Zur Kritik normativer Ordnungen in der Professionalisierung angehender Lehrkräfte in DaF/ Z ����������������������������� 10 J anIna M. V ernaL s cHMIdt , a nne M IHan Rassismuskritische Lehrwerkanalyse in den fremdsprachlichen Fächern: Impulse und handlungsleitende Orientierungen �������������������������������������� 26 M ax Von b LancKenburg , s Ina d erIcHsweILer Kompetenzen von Lehrkräften zur Förderung von Streitkultur im Fremdsprachenunterricht ���������������������������������������������������������������������� 41 n ataLIe g üLLü , d aVId g erLacH Wie sprechen angehende Englischlehrer: innen über (potenziell problematische) Unterrichtsinhalte? Wissenssoziologisch-empirische Einblicke in ein hochschuldidaktisches, rassismuskritisches Setting �������� 57 M arta g arcía g arcía , a ndrea b Lanco r odrígueZ Ermächtigt oder machtlos? Haltungen von Studierenden und Lehrkräften gegenüber einer Kritischen Fremdsprachendidaktik ����������������������������������� 73 I rene H eIdt , L otta K önIg , e LenI L ouLoudI , t Horsten M erse Kritische Fremdsprachenlehrer: innenbildung: Internationale Kontextualisierung, konzeptuelle Systematisierung und Desiderate ���������� 89