eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 22/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
1993
221 Gnutzmann Küster Schramm

Grundelemente der mündlichen Fehlerkorrektur - Lernerurteile im (interkulturellen) Vergleich

121
1993
Karin Kleppin
Frank G. Königs
flul2210076
Karin Kleppin, Frank G. Königs Grundelemente der mündlichen Fehlerkorrektur - Lernerurtelle im (interkulturellen) Vergleich Abstract. Error correction has not been the object of very much research in recent times compared to errors themselves. The present paper focuses on error correction in various contexts. The authors refer to various kinds of empirical research on oral error correction: detailed analysis of foreign language courses in German secondary schools; observations and questionnaires in a Brazilian foreign language classroom; observations and open questionnaires in a German, a Chinese and a Moroccan university. The aim of the present contribution is to shed some light on the judgements of leamers about error correction and on the possible influences of culture-bound learning traditions on these judgements. The results of the research show that some norms underlying the judgements are valid even in different cultural contexts. The authors come to the conclusion that the learners differ more often in the quantity of their judgements from one context to another, and less often in quality. As far as can be determined on the basis of the results available, the attitude of the leamers to the phenomenon of oral correction is a rather global one, with certain culture-bound differences. 0. Einleitung Lange Zeit stand der Fehler als lernpsychologisch zu interpretierendes Produkt im Zentrum unterrichtlich ausgerichteter Forschung (vgl. z.B. Nickel 1972, Svartvik 1973). Nachdem seine Bedeutung als wichtiges Erklärungsinstrument für unterschiedliche mentale Prozesse beim Lernvorgang erkannt worden war (vgl. z.B. Corder 1967, Selinker 1972), sah man ihn weniger als lästiges Übel, das es zu vermeiden galt, sondern vielmehr als hilfreiches Diagnoseinstrument für den Lehrer. Konkrete Fehleranalysen anhand von Lerneräußerungen sind zahlreich (vgl. dazu z.B. die Bibliographie von Spillner 1991). Forschungsarbeiten zur Fehlerkorrektur (vgl. z.B. Allwright 1975, Chaudron 1977, Fanselow 1977, Hendrickson 1978, Raabe 1983, Rehbein 1984) schließen sich Mitte der siebziger Jahre an. Diese Arbeiten hatten vor allem den wichtigen Effekt, für die Problematik überhaupt zu sensibilisieren und Forschungsrichtungen aufzuzeigen. Konkrete, empirisch abgesicherte Beobachtungen darüber, wie Lehrer dem Fehler im Unterricht tatsächlich begegnen, existieren allerdings kaum. Soweit Empfehlungen zur Fehlerbehandlung gegeben werden, scheinen sie zum großen Teil auf Erfahrungen von Unterrichtspraktikern zu beruhen (vgl. z.B. Bebermeier 1984, Bliesener 1984, Lessig 1984, Schemmerling 1984 ). Auch in Fremdsprachenvermittlungsmethoden lassen sie sich meist eher auf lernpsychologische Gesamtkonzepte zurückführen als auf konkrete Beobachtungen, wie sich ein spezifisches Korrekturverhalten (Zeitpunkt, Art und Weise der Korrektur etc.) im Unterricht tatsächlich auswirkt und FLuL 22 (1993) Grundelemente der mü,ndlichen Fehlerkorrektur 77 wie Lerner darauf reagieren. Einen Ausgangspunkt hierfür bieten die Arbeiten von Chaudron (1988) und Henrici/ Herlemann (1986), die versuchten, (zu beobachtende) Korrekturhandlungen zu klassifizieren. Wir möchten in diesem Beitrag einige Ergebnisse aus verschiedenen von uns durchgeführten Untersuchungen zur mündlichen Fehlerkorrektur vorstellen. Wir beschränken uns dabei auf den Aspekt des Lernerurteils über das mündliche Korrekturverhalten von Fremdsprachenlehrern. Die unterschiedlichen Untersuchungen, die wir dazu heranziehen, sind dies sei einschränkend bereits an dieser Stelle festgestellt in ihrer Untersuchungsmethodik nur sehr bedingt miteinander zu vergleichen. Es handelt sich dabei um ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Projekt an deutschen Gymnasien, in dessen Rahmen mehrere unterschiedliche Datensätze erhoben werden konnten, zwei kleinere Befragungen von Studenten in China, Deutschland und Marokko 1 und einige Beobachtungs- und Interviewdaten aus einer brasilianischen Schule. 2 In diesem Beitrag geht es uns in Ergänzung zu vorangehenden Publikationen darum herauszufinden, wie Lerner aus unterschiedlichen Ländern Korrekturverhalten ihrer Lehrer erleben, welche Auswirkungen dieses Verhalten auf sie in ihrem eigenen UrteiLhat und welches Verhalten sie für wünschenswert halten. Um die Ergebnisse transparenter zu machen, stellen wir im ersten Abschnitt die unterschiedljchen Untersuchungsdesigns und -ziele in der gebotenen Kürze vor. 1. Von wis durchgeführte Untersuchungen zur Fehlerkorrektur: Die Untersuchungsdesigns Wir haben im Rahmen des Bochumer Tertiärsprachenprojekts 3 versucht, den Faktor 'Korrekturverhalten' (Kleppin/ Königs 1991) umfassend zu analysieren. Für diese Analyse standen uns folgende Ausgangsdaten zur Verfügung: 1 Die Auswahl der Länder ist zufällig und kam nur deshalb zustande, weil wir hier auch eigene Lehrerfahrungen einbringen konnten, die es uns ermöglichen, die Lemerreaktionen im Unterricht sowie die Lemerantworten besser einzuschätzen. 2 Diese Daten wurden im Rahmen einer Magisterarbeit von Lisanne Klein Gunnewiek erhoben und sind Teil einer ausführlicheren Unterrichtsanalyse zu Deutsch-als-Fremdsprachenunterricht in Brasilien (vgl. Klein Gunnewiek 1991). 3 „Besonderheiten des Tertiärspradienunterrichts auf der gymnasialen Oberstufe ain Beispiel des Italienischen und Spanischen". Zur Beschreibung des Projekts vgl. Bahr/ Bausch/ Kleppin/ Königs/ Tönshoff [erscheint]. FLuL 22 (1993) 78 Karin Kleppin, Frank G. Königs ein zu Beginn der Untersuchung durchgeführtes Interview mit den an der Untersuchung teilnehmenden Lehrern, das im wesentlichen ihre Lehrerbiographie und die allgemeinen Bedingungen der jeweiligen Schule umfaßte; mittels Video dokumentierter Unterricht (im Umfang von über 180 Schulstunden, die komplett transkribiert wurden); unterrichtskommentierende Daten; dabei wurden den Lehrern die Videoaufzeichnungen ihres Unterrichts mit der Bitte gezeigt, sie mit Blick auf ihre eigenen Beobachtungen zu kommentieren. Über unser Untersuchungsziel waren sie nicht informiert; Schülerfragebögen, in denen die Schüler u.a. zu ihrer Meinung zu Lehrerkorrekturen und deren Auswirkungen auf sie befragt wurden; abschließend fokussierte Interviews mit den Lehrern, in denen sie zu bestimmten Problembereichen gezielt befragt wurden; eines dieser Problembereiche war das Phänomen 'Korrektur'. Folgende Fragen haben uns in dieser Arbeit besonders interessiert: Welche Abfolgen von Korrektursequenzen treten auf? Hierfür haben wir ein Klassifikationsschema entwickelt, das wir an jede auftretende Korrektursequenz angelegt haben. Eine Korrektursequenz kann sehr kurz sein" z.B. nur aus dem Auftreten des Fehlers und der direkten Korrektur des Lehrers bestehen, sie kann allerdings auch eine große Ausdehnung besitzen, indem der Lehrer z.B. nach dem Auftreten eines Fehlers zunächst darauf hinweist, daß in der Aussage ein Fehler vorkommt, er kann andere Lerner bitten, die Korrektur vorzunehmen, er kann weitere verbale oder nonverbale Hilfen geben, der Lerner kann einen Selbstkorrekturversuch vornehmen, der möglicherweise glückt, der Lehrer kann im Anschluß daran die Korrektur noch einmal wiederholen, die gesamte Gruppe zur Wiederholung der richtigen Form auffordern; möglicherweise hat ein Lerner die Korrektur nicht richtig verstanden und bittet um weitergehende Erklärungen, die der Lehrer dann gibt, etc. Welche Ursachen und Anlässe liegen den einzelnen Korrekturmaßnahmen zugrunde? Gibt es bevorzugte 'Korrekturtechniken' bei den Lehrern, oder korrigieren sie z.B. gar nicht? Werden Korrekturtechniken überhaupt variiert? Wenn ja, wie und wann? Zu diesen Fragen haben wir die Transkriptionen der Aufnahmen mit den unterrichtskommentierenden Daten und den abschließenden Lehrerinterviews verglichen und so Zugang zu den subjektiven Theorien der Lehrer gewonnen. Wie reagieren Lerner auf die Korrekturmaßnahmen (von Lehrern oder Mitschülern), und wie beurteilen sie diese? Hierzu haben wir uns vor allem auf die Schülerfragebögen bezogen, die u.a. alle wesentlichen Komponenten beinhalteten, die weiter unten aufgeführt sind. FLuL 22 (1993) Grundelemente der mündlichen Fehlerkorrektur 79 Die ausführlich vorgestellten Ergebnisse (Kleppin/ Königs 1991) beruhen auf einem Vergleich aller uns vorliegenden Datensätze. Dieses Vorgehen hat sich untersuchungsmethodisch bewährt und wird in der forschungsmethodischen Literatur u.a. unter dem Begriff 'Triangulation' diskutiert. Es erlaubt, subjektive Wahrnehmungen der am Unterricht Beteiligten an der Realität zu messen und zu erklären. Drei weitere Lernerbefragungen wurden an der Ruhr-Universität Bochum und der Tongji-Universität Shanghai (b~ide im Jahre 1987) 4 und eine weitere im Jahre 1992 an der Universität Mohamed V Rabat (Marokko) vorgenommen. 5 Zu vergleichen sind also bei unseren Untersuchungen nur - und auch das unter Vorbehalten 6 die Ergebnisse der Befragungen. 7 Der F r a g e b o g e n hatte folgende Komponenten: 1. Es sollte ermittelt werden, wie häufig und ob überhaupt Korrekturen gegeben werden sollten, oder ob nur sogenannte schwere Fehler korrigiert werden sollten. 2. Die Lerner sollten angeben, welche Fehler sie für unbedingt korrekturwürdig hielten. Dabei wurden Fehler einerseits nach linguistischen Kriterien '(in alltagssprachlicher Umschreibung) unterschieden (Phonetik/ Phonologie, Morpho- Syntax, Lexikon/ Semantik), andererseits kommen auch pragmatische Kriterien ins Spiel, Z.B. bei den Antwortmöglichkeiten, die auf den zu vermittelnden Inhalt und die Situationsangemessenheit der Aussage zielen. 3. Wir wollten herausfinden, ob Lerner (unterschiedliche) Vorlieben für den Zeitpunkt einer Fehlerkorrektur haben, d.h. ob sie eine Korrektur sofort nach Auftreten eines Fehlers für sinnvoll halten, ob sie es für wichtig halten, erst ihren Gedanken zu Ende zu führen oder ob sie eine Korrektur in einer anschließenden Korrekturphase vorziehen. 4 Zu einer ausführlichen Darstellung vgl. Kleppin (1989). 5 In Bochum und Shanghai standen jeweils 46 Probanden zur Verfügung, in Rabat 32. 6 Die Befragungen sind zu unterschiedlichen Zeiten und mit unterschiedlichen Reichweiten durchgeführt worden. Von einem vollständigen Vergleich der lernerseitigen Korrektureinschätzungen kann also aus methodischen Gründen nicht gesprochen werden. Wir verstehen unsere Beobachtungen eher als Tendenzen und als Beitrag zur Hypothesenbildung, die es in methodisch abgesicherte(re)n Vergleichsuntersuchungen zu überprüfen gilt. Da wir allerdings wohl davon ausgehen können, daß sich Lehrerverhalten und Lernerurteile relativ langsam verändern; halten wir eine Dokumentation der Ergebnisse gleichwohl für angezeigt. 7 Die 'brasilianischen Daten' wurden im Rahmen einer Unterrichtsdokumentation erhoben, auf deren Grundlage der Deutschunterricht zweier 7. Klassen einer Schule in Säo Paulo ausführlich analysiert wurde. Dabei wurde mit Unterrichtsaufzeichnungen, Lehrerinterviews und Schülerbefragungen gearbeitet. Hauptgegenstand der Analyse war neben den Korrekturen der Bereich der Übungsformen (vgl. Klein Gunnewiek 1991). FLuL 22 (1993) 80 Karin Kleppin, Frank G. Königs 4. Eine weitere Frage zielt auf das 'wie' des gewünschten Korrekturverhaltens, ob man eher direkt und mit klarem Verweis auf den Fehler, indirekt durch eher beiläufige Wiederholung der richtigen Form korrigiert, ob man zur Selbstkorrektur aufgefordert oder durch Kommilitonen korrigiert werden möchte. 5. Mit der Folgefrage 8 sollte ermittelt werden, welche Art der Korrektur für die effektivste gehalten wird. Es lagen die gleichen Antwortmöglichkeiten wie unter der vorhergehenden Frage vor. Hier ist ausdrücklich zu betonen, daß durch diese Frage individuelle Empfindungen abgefragt werden, die nichts mit der 'tatsächlichen' Wirkung zu tun haben müssen. Allerdings sei angefügt, daß auch in der oben kurz beschriebenen Großuntersuchung, in der mit unterschiedlichen Datensätzen operiert werden konnte, tatsächliche Auswirkungen von Korrekturverhalten nur in Einzelfällen beobachtbar waren. Dieser Umstand hängt mit der multikausalen Verknüpfung unterrichtlicher Variablen zusammen, die es vielfach unmöglich macht, eine eindeutige Ursachenzuschreibung vorzunehmen. 6. Mit zwei offenen Fragen sollten persönliche Erfahrungen mit Korrekturen erhoben werden. Hiermit sollte zu einem kleinen Teil das Manko ausgeglichen werden, daß bei den Befragungen in den genannten Universitäten keine Beobachtungsdaten über Korrekturverhalten von Lehrern zur Verfügung stehen. Auch wenn die von den Studenten beschriebenen Situationen sicherlich in einigen Fällen übertrieben anmuten, so werden doch zumindest die subjektiven Auswirkungen von Korrekturverhalten auf die Lerner recht gut erfaßt. 7. Schließlich wollten wir herausfinden, ob es persönliche Erfahrungen gibt, die bei den Lernern einen besonders positiven oder negativen Eindruck hinterlassen haben .. Sie wurden gebeten, die markantest~n Situationen kurz zu beschreiben. 2. Situierung der Untersuchungen Wir nehmen im folgenden eine kurze Situierung des Kontextes vor, in dem die Daten erhoben wurden: sie soll vor allem die Bedeutung unterschiedlicher Unterrichtssituationen, Vermittlungsmethodik und von Lehrer- und Lernerrollen in den unterschiedlichen Erhebungskontexten klarstellen. Gerade letztere legen die Annahme nahe, daß sich die Befragungsergebnisse deutlich voneinander unterscheiden müßten. 2.1 Bei dem oben kurz beschriebenen Design des Tertiärsprachenprojekts handelte es sich um eine Untersuchung zum Italienisch- und Spanischunterricht an verschiedenen Schulen in NRW. Das Projekt wurde in den Klassen 9 bis 13 durchgeführt. 8 Diese und die folgenden Fragen wurden nur bei den an der chinesischen, deutschen und marokkanischen Universität vorgenommenen Befragungen gestellt. FLuL 22 (1993) Grundelemente der mündlichen Fehlerkorrektur 81 Die Lehrer sind mehrheitlich einem 'kommunikativ-liberalen' Ansatz 9 verpflichtet. Ihr Rollenverständnis 10 kann als eher symmetrisch bezeichnet werden. 2.2 Bei der Befragung von Bochuß}-er Studenten handelte es sich um Romanistikstudenten. Auch sie haben ihre Vorerfahrungen an deutschen Schulen mit eher kommunikativ orientiertem Fremdsprachenunterricht gemacht. An dieser Stelle scheint der Hinweis notwendig, daß diese und die folgenden Befragungen ganz allgemein Einstellungen zu Fehlerkorrekturen abfragen und daß sich diese Erfahrungen durchaus auch auf vorhergehenden Fremdsprachenunterricht beziehen können. 2.3 Die befragten chinesischen Studenten waren Germanistikstudenten der Tongji- Universität und der Fremdsprachenhochschule Shanghai. Die dort beobachtbaren und vertretenen Methodenkonzeptionen sind vergleichsweise traditionell (Grammatik-Übersetzungsmethode). Auswendiglernen ist in China ein Verfahren, das von den Studenten selbst gern angewendet wird. Kommunikative Verfahren wurden vom Ausland 'importiert' (vor allem auch von den dort tätigen Lektoren, die selbst in Anbetracht der Größe des Landes doch eine wesentlich größere Zahl ausmachen als in vielen anderen sog. Dritte-Welt-Ländern). Das Rollenverständnis zwischen Lehrer und Lernern ist stärker asymmetrisch. Die Lehrerrolle ist demzufolge mit großer Autorität behaftet. 2.4 Da die obigen Untersuchungsbedingungen schon an anderer Stelle näher beschrieben wurden (Kleppin 1987; Kleppin 1989; Kleppin/ Königs 1991) möchten wir hier und auch bei den unten folgenden Beispielen auf die marokkanische und die brasilianische Unterrichtssituation etwas näher eingehen. Obgleich die Lehrbuchsituation für die neueren Fremdsprachen recht differenzierte Methodenkonzeptionen suggerieren (die Studenten der Germanistik haben z.B. in den Schulen auch Erfahrungen mit Lehrwerken wie Lernziel Deutsch, Deutsch Aktiv und sogar Sprachbrücke gemacht), so wird realiter doch noch ein sehr lehrerzentrierter Unterricht durchgeführt. Die Studenten der Germanistik beschreiben ihren Unterricht als am Vorbild der Koranschulen orientiert. Es wird sehr viel auswendig gelernt, der Lehrer mit dem Buch in der Hand vor der Klasse, der korrekte Antworten wünscht und ein autoritäres Lehrer-Schülerverhältnis sind eher die Regel. 9 Wie sehr die fremdsprachendidaktischen Strömungen aktuellen Entwicklungen unterworfen sind und wie sehr gerade der kommunikative Ansatz in seiner starken Form kritisch hinterfragt werden kann, ist z.B. in Königs (1991) gezeigt worden. 10 Gerade das Rollenverständnis kann auf die Aufnahme der lehrerseitigen Korrektur wichtige Auswirkungen haben. So führt z.B. Angst möglicherweise zu Sprechhemmungen. Ferner können Korrekturen gleichzeitig als (negative) Bewertungen aufgefaßt werden. Von daher scheint uns die Berücksichtigung des Rollenverständnisses von erheblicher Bedeutung. FLuL 22 (1993) 82 Karin Kleppin, Frank G. Königs Zwei Aussagen von marokkanischen Germanistik-Studenten ermittelt in einer offenen, anonymen Befragung mögen dies verdeutlichen: "Bei uns betrachtete man den Lehrer (fast) wie ein Heiliger, eine Sprüche lautet 'der Lehrer ist fast ein Prophet', weil er die Weisheit, die Bildung, hohe Ethik usw. trägt. Auch nach unserer Kulturgeschichte hat der Lehrer eine sehr privilegierte Stelle und großen Einfluß in der Gesellschaft gehabt. Heutzutage ist dieses Bild total verändert, aber ich glaube, es bleiben trotzdem einige Aspekte dieser alten Vorstellung in unserem Unbewußtsein übrig; die wirkt sich bis heute auch auf die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler. [...] ein Lehrer mit aller Macht, allem Privileg und allem Recht, ein Lehrer, der praktisch im Unterrichtsraum alles, was er will, machen kann. Im Gegensatz zum Schüler, der nichts hat und nichts von selbst unternehmen kann, oder anders gesagt, der Lehrer befehlt und der Schüler gehorcht. Die Beziehung vertieft die Kluft zwischen den Lehrer und dem Schüler ( ...]." „Mitunter ist ein marokkanischer Unterricht ohne Drohung undenkbar. Studenten arbeiten ängstlich, denkend an eine schlechte Note, die öfter beim Unterricht erwähnt wird [...]." Aussagen dieses Typs sind die Regel. Wie wir weiter unten noch zeigen werden, haben insbesondere die (z.T. fest etablierten) Rollenverhältnisse und -verständnisse einen großen Einfluß auf die Reaktionen, mit denen seitens der Lerner auf das Korrekturverhalten reagiert wird. 2.5 Die Schüler des Colegio Visconde de Porto Seguro in Säo Paulo besuchen eine Schule, auf der Deutsch traditionell die erste und wichtigste Fremdsprache darstellt; 3 500 von insgesamt 5 000 Schülern lernen Deutsch. Für den Unterricht stehen 35 Deutschlehrer zur Verfügung, die zum größten Teil einheimische Lehrkräfte sind und von daher keine fundierte methodisch-didaktische Ausbildung erhalten haben. Der Deutschunterricht verfolgt das Ziel, die Schüler bis zum kleinen oder sogar großen Deutschen Sprachdiplom zu führen. In den siebten Klassen, die Gegenstand der Untersuchung waren, und auch noch im folgenden Schuljahr wird mit eigenen Unterrichtsmaterialien gearbeitet, nachdem zuvor .die Lehrwerke Komm bitte und Wer? Wie? Was? verwendet wurden; ab der neunten Klasse wird zum Zeitpunkt der Untersuchung mit Themen gearbeitet. Insgesamt gilt auch während freierer Unterrichtsphasen eine relativ starke Ausrichtung auf ein formorientiertes, grammatisches Lernziel. Folglich tritt kommunikativer Unterricht zugunsten traditionellerer Übungsphasen zurück. Dies schließt gleichzeitig einen stärker lehrerorientierten Unterricht ein. 3. Ergebnisse in bezug auf Lernererfahrungen mit und Lernereinstellungen zu Korrekturen Im folgenden werden die Ergebnisse der in den vier Ländern (China, Deutschland, Marokko, Brasilien) durchgeführten Befragungen in ihren Haupttendenzen dargestellt. Es sei noch einmal erwähnt, daß nicht alle Ergebnisse aufgrund der unter- FLuL 22 (1993) Grundelemente der mündlichen Fehlerkorrektur 83 schiedlichen Untersuchungsbedingungen und -designs zu vergleichen sind. Wenn im übrigen von Studenten die Rede ist, so handelt es sich immer um die drei kleinen Befragungen in China, Marokko und an der Ruhr-Universität Bochum; wenn die Aussagen von Schülern erwähnt werden, so geht es um Ergebnisse aus dem Tertiärsprachenprojekt und aus der 'brasilianischen Untersuchung' (vgl. oben Anm. 7). 3.1 Generell spricht s.ich die überwiegende -Mehrheit der Lerner für Korrekturen überhaupt aus. Die meisten Studenten in den drei kleinen Befragungen möchten sogar grundsätzlich immer korrigiert werden, ein kleinerer Teil nur bei 'schweren' Fehlern. Dies scheint uns erstaunlich, wenn man die doch recht schockierenden Erfahrungen mit Korrekturverhalten (vgl. weiter unten) betrachtet. Besonders interessant scheint uns bei den Ergebnissen des Tertiärsprachenprojekts in diesem Zusammenhang zu sein, daß gerade die Schüler der Lehrer, die bewußt sehr wenig korrigieren und dies mit Hinblick auf die vermuteten Wünsche ihrer Schüler begründen, mehr Korrekturen fordern. Bei den 'vielkorrigierenden' Lehrern sind hingegen die Schüler durchweg mit der Anzahl der Korrekturen zufrieden. Die Gründe für solche Schüleraussagen mögen sicherlich vielfältiger Art sein. Auch Vorerfahrungen mit anderen Lehrern sind wohl prägend. Dennoch aber scheint der Wunsch nach Korrekturen durchgängig zu existieren, auch bei Schülern, die ihrer eigenen Aussage nach eher gehemmt auf Korrekturen reagieren. Diese Tendenz wird auch im brasilianischen Datenkorpus eindeutig bestätigt. 3.2 Die Fehlerart, die sowohl in unseren Daten zum Tertiärsprachenunterricht als auch an der brasilianischen Schule am häufigsten vorkommt und, auch relativ am häufigsten korrigiert wird, ist der morpho-syntaktische Fehler. Seine Korrektur, die in der Regel sicherlich auch am schnellsten und leichtesten erfolgen kann, wird hier unabhängig von den einzelnen Phas(! n ausgeführt ein Befund, den wir auch für andere Kontexte annehmen. Bei den Schülern ist ebensowenig wie bei den befragten Studenten eine eindeutig~ Präferenz für die Korrektur einer Fehlerart feststellbar; durchweg erfolgen Mehrfachnennungen. Grammatische und lexQco-semantische Fehler führen bei allen Gruppen die 'Hitliste' an, die chinesischen Studenten scheinen außerdem dem pragmatischen Bereich ('was ein Deutscher nicht sagen würde') große Bedeutung zuzumessen. Wichtig scheint uns zu sein, daß Fehlerkorrekturen in ihrer ganzen Bandbreite im wesentlichen akzeptiert werden. 3.3 Zum Zeitpunkt der Korrektur liegen uns keine eindeutigen Ergebnisse vor. Zwar kann davon ausgegangen werden, daß in der Unterrichtsrealität (für den Schulunterricht war dies z.B. jeweils nachweisbar) nur in sehr wenigen Fällen Korrekturen erst in einer anschließenden Korrekturphase auftreten. Dies dürfte auch damit zusammenhängen, daß der Lehrer sich kaum alle auftretenden Fehler merken kann und das Mitschreiben von Fehlern bei mündlichen Schüleräußerungen durchaus problematisch ist. Sowohl die Schüler als auch die Studenten äußern sehr selten FLuL 22 (1993) 84 Karin Kleppin, Frank G. Königs den Wunsch nach einer anschließenden Korrekturphase. Bei den Schülern sind zudem Vorlieben weniger deutlich erkennbar, wenngleich auch sie ungern durch Korrekturen unterbrochen werden. Studenten stört bei unterbrechenden Fehlerkorrekturen am meisten die Tatsache, daß sie bei der Entwicklung und Formulierung ihrer Gedanken unterbrochen werden. Sie ziehen es in allen drei Befragungen vor, erst zu Ende reden zu können und dann korrigiert zu werden. Angesichts ihres durchweg höheren Sprachniveaus erstaunt dieser Befund nicht, denn dieses höhere Sprachniveau führt zusammen mit der größeren intellektuellen Reife zu dem Wunsch, komplexere und kompliziertere Sachverhalte auszudrücken als die Schüler. 3.4 Was die Korrekturart angeht, so sind die uns vorliegenden Ergebnisse durchaus disparat. Die Vorlieben scheinen sich bei allen Gruppen auf zwei grob zu unterteilende Facetten zu beziehen: die direkte Korrektur, wobei die richtige Form vorgegeben wird die Initiierung zur Selbstkorrektur, die auf die unterschiedlichsten Arten realisiert wird (Anakoluth, Bezeichnung des Fehlers, nonverbale Mißbilligung, etc.) und die außerdem mit unterschiedlichen Hilfen verbaler oder nonverbaler Art versehen werden kann. Selbstverständlich nimmt die Initiierung zur Selbstkorrektur meist weitaus mehr Zeit in Anspruch als direkte Korrekturen. Häufig treten Nachfragen oder erneute Fehler bei den Lernern auf, die sich um eine Selbstkorrektur bemühen. Eine Entscheidung für die eine oder andere Form hat immer auch Auswirkungen auf den gesamten Unterrichtsverlauf. Initiierungen zur Selbstkorrektur können denn auch eher zu kognitiven Reaktionen und zur zumindest momentanen Verarbeitung der Korrektur bei den Lernern führen. Bei direkten Korrekturen ist das 'Ankommen' der Korrektur bei den Fehlerproduzenten nicht gesichert, vor allem dann nicht, wenn der Lerner sich stark auf die Sprachproduktion oder den Inhalt konzentriert. Im Tertiärsprachenprojekt scheint die Entscheidung für eine der oben genannten Korrekturarten bei den Lehrern, die an unserer Untersuchung teilgenommen haben, eher grundsätzlicher Natur zu sein und sich weniger an Einschätzungen der momentanen Unterrichtssituation zu orientieren. Dies mag damit zusammenhängen, daß im Unterrichtsgeschehen Entscheidungen für ein bestimmtes Verhalten meist so schnell und spontan ablaufen müssen, daß ein abwägendes Vorgehen kaum möglich ist. Vorlieben für das eine oder andere Vorgehen werden meist mit der gleichen Begründung versehen, nämlich die Schüler nicht zu hemmen: einerseits wird ihnen die Möglichkeit gegeben, ihre eigenen Fehler 'auszubügeln', andererseits rückt eine schnelle Korrektur den Fehler als Fehlleistung nicht so sehr in den Vordergrund. Die Schüler in unserem Projekt scheinen, was Vorlieben für Initiierungen der Korrektur oder direkte Korrekturen angeht, in diesem Bereich die Vorlieben ihrer Lehrer zu übernehmen und sich in vielerlei Hinsicht auf die Korrekturtechniken ihrer Lehrer einzustellen. Die Mehrheit zieht allerdings bewußtmachende Korrekturverfahren vor, d.h. sie möchten sich möglichst entweder selbst FLuL 22 (1993) Grundelemente der mündlichen Fehlerkorrektur 85 korrigieren oder zusätzliche Erklärungen erhalten. Gegen diese Einschätzung spricht allerdings der Befund, daß lehrerseitige Initiierungen zur Sel.bstkorrektur in großem Umfang von den Schülern (sowohl in der deutschen als auch in der brasilianischen Untersuchung) nicht aufgenommen werde11. Wir interpretieren dies als mangelnde kognitive Verankerung des Phänomens der Selbstkorrektur und als Hinweis dafür, daß von der Lernererfahrung abweichende Unterrichtshandlungen den Schülern bewußt zu machen sind. Wenn wir auch be_i den Studenten obige Verbindungen zwischen Lehrerverhalten und Lernerurteil nicht überprüfen konnten, so lassen sich zumindest auch hier Vorlieben für korrekturinitiierende Verfahren erkennen. Die Aufforderung zur Selbstkorrektur zie.hen deutsche und marokkanische Studenten eindeutig vor, chinesische Studenten scheinen direkte Korrekturen durch den Lehrer für angemessener zu halten. Implizite Korrekturen, bei denen der Lehrer nur noch einmal die Äußerung in ihrer richtigen Form wiederholt, ohne direkt auf den Fehler hinzuweisen, spielen bei allen Gruppen eine untergeordnete Rolle. Sie scheinen für nicht sehr wirksam gehalten zu werden, da der Fehler dadurch .häufig nicht erkannt wird: (eine marokkanische Studentin: ) "[...] was bei einem Professor mich ärgert, ist, daß wenn ich meine Anworte beendet habe, keine Korrektur mir sagt und daß er nur den Inhalt nimmt, um es anders zu bilden. Keine Hinweise, ob ich gut oder schlecht geantwortet habe [... ]" 3.5 Das als wünschenswert artikulierte Korrekturverhalten scheint auch von den Studenten als am effektivsten eingeschätzt zu werden. Hier stehen Selbstkorrekturen interessanterweise an erster Stelle, danach folgen' direkte explizite Korrekturen. Implizite Ko: rrekturen und Korrekturen durch, Mitlerner werden nur äußerst selten genannt, dafür jedoch einige Male explizit ausgeschlossen. Die brasilianischen Schüler wollen Mitschülerkorrekturen nur dann akzep,tieren, wenn si~her ist, daß sie nicht eine die Persönlichkeit herabsetzende Wirkung haben. Die durchgängige Ablehnung von Korrekturen durch Mitlerner in allen Untersuchungsk,ontexten deckt sich mit der weitgehenden Ablehnung von Korrekturen durch Interaktionspartner in außerunterrichtlichen, 'natürlichen' Kommunikationssituationen zwischen Ll- und L2-Sprechern (vgl. dazu ausführlich Königs 1992). 3.6 Auch die beiden folgenden offenen Fragen waren nur an die Studentengruppen gerichtet Bei der Schülergruppe dagegen hatten wir die Frage gestellt, ob Korrekturen sie hemmen, sie nicht stören oder gar beim Sprechen helfen. Außerdem hatten wir dort die Unterrichtssituationen transkribiert vorliegen und konnten somit die einzelnen Korrektursequenzen gründlich analysieren. Dennoch hätte auch hier möglicherweise die Frage nach einer Korrektur, die als besonders negativ empfunden wurde, in der Analyse noch weitergeführt, da man dadurch Aufschluß darüber erhält, welche Korrekturen als besonders hemmend und in affektiver Hinsicht als negativ empfunden werden, und aus welchem Grund dies der Fall ist. Bei der deutschen Schülergruppe können wir aus unseren Daten ersehen, daß FLuL 22 (1993) 86 Karin Kleppin, Frank G. Königs sich ca. drei Viertel aller Schüler durch Korrekturen in keinem Fall behindert fühlen; fast ein Drittel dieser Gruppe meint sogar, Korrekturen würden beim Sprechen helfen. Dennoch fühlt sich immerhin ein Viertel der Gesamtgruppe durch Korrekturen etwas - und ein ganz kleiner Teil sogar stark gestört. Da diese Verteilung nicht speziell bei den Schülern der vielkorrigierenden Lehrer zu beobachten ist, sondern auch bei den Gruppen, deren Lehrer extrem wenig korrigieren, hat diese Tatsache wohl weniger mit der Quantität der Korrekturen zu tun, sondern eher mit deren Qualität. Möglicherweise spielen hier auch solche affektiven Gründe eine Rolle, die in den Beispielen der Studenten immer wieder genannt werden. Es soll allerdings noch einmal hervorgehoben werden, daß wir es bei den zitierten Beispielen immer auch vor allem mit der persönlichen Wahrnehmung der Studenten zu tun haben. Hätte man die beschriebenen Situationen auf Videorecorder aufnehmen und transkribieren können, hätte eine darauf basierende genaue Analyse diese Wahrnehmungen möglicherweise nicht in allen Teilen bestätigt. Formen der selektiven Wahrnehmung von allen Seiten, also auch unsererseits, stellen jedoch ein Grundproblem bei der Analyse jeglicher menschlicher Kommunikation dar. Wichtig scheint uns in diesem Zusammenhang vor allem die Tatsache zu sein, daß sich einzelne, negativ wahrgenommene Korrekturhandlungen allem Anschein nach katastrophal auf den gesamten folgenden Fremdsprachenunterricht mit dem betreffenden Lehrer auswirken können. (ein chinesischer Student: ) "Als ich in der zweiten Klasse war, damals hatte ich nur ein Jahr Deutsch von ABC gelernt, machte ich (wir alle) Fehler beim Unterricht, aber bevor der Lehrer mich korrigierte, schimpfte er: 'Wer hat dir sowas gelehrt! ' dann fühlte ich mich sehr unangenehm, und hatte die Lust verloren, mit ihm beim Unterricht zusammenzuarbeiten. Ich hatte auch den Mut verloren, etwas beim Unterricht auf deutsch zu sprechen." (ein marokkanischer Student: ) "Dieses Geschehen ist meinem Kommilitonen im 1. Studienjahr passiert. Er hat ein Wort falsch gesprochen, anstatt der Verbesserung des Fehlers, hat der Lehrer laut, sehr laut gelacht. Der Student aber kommt nie in die Uni zurück. Er war Opfer eines Lehrers, der keine Pedagogie gelernt hat." Viele Studenten beschreiben ihr Gefühl, in ihrem Gedankengang unterbrochen zu werden, nicht ausreden zu können, vom Lehrer oder den Kommilitonen ausgelacht zu werden, bloßgestellt zu werden: Jeweils ca. die Hälfte der chinesischen und deutschen Studenten weisen diesbezüglich negative Erfahrungen vor. Die marokkanischen Studenten geben sogar alle mindestens eine Situation an, die sie affektiv besonders negativ beeinflußt hat. Da die Aussagen der chinesischen und deutschen Studenten schon ausführlich beschrieben wurden (Kleppin 1989), möchten wir hier als Beispiele einige Aussagen marokkanischer Studenten anführen: (eine marokkanische Studentin: ) "Was meine Äusserung behindert und meine Mut verschwächt, ist dies Gefühl zu haben, daß der Lehrer von meinem Fehler schockiert ist. Überdies, wenn sie/ er ironisch meine Fehler korrigiert mit der Art und Weise mir klar zu FLuL 22 (1993) Grundelemente der mündlichen Fehlerkorrektur machen, daß sie dumme Fehler waren. Und daß ich in dieser Abteilung nicht zu tun habe. Ich find es absolut schlimm, daß einige Lehrer unbewußt oder manchmal mit Absicht das Minderwertigkeitsgefühl bei den Studenten entwickeln lassen." (eine marokkanische Studentin: ) "Ich erinnere mich gut von einer negativen Korrektur, als ich in dem ersten Studienjahr war. Als der Professor mir einen grammatischen Fehler korrigierte, hat er über mich viel gelacht. Meine Kommilitonen haben auch darüber gelacht. In dieser Zeit fühlte ich mich tiefer berührt und wollte ich nicht mehr in der Klasse reden. Ich fühlte mich danach isoliert." 87 3.7 Die gleiche Studentin gibt im übrigen auch ein Beispiel für eine positive Korrektur an, das an dieser Stelle mitaufgeführt werden soll: "Ich erinnere mich noch eine gelungene Korrektur, die mir positiv im Gedächtnis geblieben ist, als ich dummes Fehler gemacht habe. Der Professor hat mir meinen Fehler korrigiert und hatte mir gesagt: das machst nicht. Weil Deutsch immer für Dich eine fremde Sprache bleibt. Du sollst nur viele Bemühungen dieser Fremdsprache geben. 'Fehler machen den Meister'." Affektiv positive Korrekturen scheinen sich bei den chinesischen und marokkanischen Studenten besonders stark ins Gedächtnis eingeprägt zu haben. Sicherlich werden affektiv positive Korrekturen in diesen beiden Ländern, in denen autoritäre Lehrer-Schüler-Verhältnisse existieren, wesentlich stärker wahrgenommen als in einem deutschen universitären Kontext, in dem man affektiv positive Korrekturen tendenziell als das eigentlich Normale empfindet. 11 Hier wird vereinzelt darauf hingewiesen, daß Korrekturen durch native speaker oder Korrekturen, die mit lustigen Gegebenheiten verbunden sind, positiv im Gedächtnis verblieben sind. In der marokkanischen Universität werden außerdem noch differenzierte Einschätzungen mit einem Teillob besonders hervorgehoben: (ein marokkanischer Student: ) "Einmal habe ich eine Frage beantwortet. Der Lehrer wartete, bis ich meine Äußerung beendete, und sagte mir: 'alles, was Du gesagt hast, ist grammatisch gut, aber du hast nicht den Kern getroffen' und hat mir die Korrektur gegeben, ich habe nie diese Korrektur vergessem, das finde ich gut." Unserer Meinung nach haben die beiden letzten Punkte gezeigt, daß die Art und Weise der Korrekturen einen großen Einfluß auf Lerner haben können, daß sie möglicherweise Lernerbiographien vollständig verändern können: dies trifft vor allem dann zu, wenn sie als affektiv negativ und die Persönlichkeit tangierend empfunden werden. Dies ist nicht nur in autoritären Lehrer-Schüler-Beziehungen der Fall, wie die negativen Erfahrungen deutscher Studenten mit dem Korrekturverhalten von Lehrern zeigen (vgl. Anmerkung 11 auf dieser Seite). II Dem widerspricht allerdings eine Befragung unter über 80 Teilnehmern eines Hauptseminars zur Fehlerkorrektur im Wintersemester 1992/ 93 an der Ruhr-Universität Bochum. Die Mehrheit bezeichnete Korrekturen als unangenehm und in affektiver Hinsicht als grundsätzlich negativ besetzt. FLuL 22 (1993) 88 Karin Kleppin, Frank G. Königs Mündliches Korrekturverhalten scheint möglicherweise mehr als andere unterrichtlichen Verhaltensweisen auf besondere Empfindlichkeiten bei Lernern zu treffen. Auch in unserem Tertiärsprachenprojekt hatten wir es ja mit Lernerhemmungen durch Korrekturen zu tun, deren Ursache sich nicht immer genau zurückverfolgen ließ. 4. Schlußbemerkungen Ziel der vorangehenden Ausführungen war es, über kulturelle Grenzen hinweg erste Einsichten in die lernerseitigen Auffassungen über mündliche Korrekturen zu erlangen. Grundlage waren Ergebnisse aus Untersuchungen, die aus untersuchungsmethodischer Sicht nur partiell vergleichbar sind. Dennoch lassen sich unserer Auffassung nach einige wichtige Punkte aus den unterschiedlichen Datensätzen ableiten. Dazu zählt die Einsicht (oder Annahme), daß Korrekturen grundsätzlich notwendig und sinnvoll sind. In etlichen Bereichen sind lernerseitige Einschätzungen und Reaktionen mit Bezug auf Korrekturen über die kulturellen Grenzen hinweg identisch oder doch immerhin sehr angenähert. Soweit sich das aufgrund der Daten mit aller Vorsicht sagen läßt, wirken sich unterschiedliche Lern- und Schultraditionen nicht so sehr dahingehend aus, daß sie grundsätzlich andere Einstellungen zu Korrekturen provozieren würden, sondern eher dahingehend, daß sie bestehende Grundelemente des Korrekturverhaltens in ihrer Ausprägung variieren lassen. Exemplarisch sei diesbezüglich noch einmal auf die Selbstkorrekturen verwiesen, die von den Lernenden gefordert, jedoch selbst bei lehrerseitiger intensiver Initiierung nur in wenigen Fällen durchgeführt werden. Hier scheinen Lerner aus China, Marokko und Brasilien noch größere Schwierigkeiten aufzuweisen als die deutschen Studenten und Schüler. Feststellbare Unterschiede sind hier wie auch in anderen Bereichen eher quantitativer als qualitativer Art. Gleichwohl lassen sich kulturgebundene Lehr- und Lerntraditionen als Ursachen für die jeweilige Ausprägung annehmen. Will man das Korrekturverhalten in Richtung auf mehr Selbstkorrekturen hin ändern, so scheint dies in erster Linie dadurch möglich, daß man beginnt, im Unterricht über Lernen allgemein, über den Umgang mit Korrekturen im besonderen zu sprechen. Teile der wissenschaftlichen Diskussion über autonomes Lernen und Lernerstrategien favorisieren denn auch zunehmend die Integration metaunterrichtlicher Elemente in den Unterricht; exemplarisch sei auf einige Beiträge in Wenden/ Rubin (1987) und in Duda/ Riley (1990) oder die Monographien von Oxford (1990) und Tönshoff (1992) verwiesen. Vor diesem Hintergrund läßt sich aus der Beschäftigung mit Korrekturen ableiten, daß kreativer Umgang mit sprachlichen Fehlleistungen gerade nicht bedeuten kann, unvorbereitet Lehr- und Lerntraditionen zu verlassen (vgl. dazu sowie zu einigen Vorschlägen Königs 1993). Die Grundelemente des Korrekturverhaltens sind offensichtlich nicht einseitig auf bestimmte methodische Entscheidungen allein, sondern auch auf kulturspezifische Einstellungen und Verhaltensweisen der am Unterricht Beteiligten FLuL 22 (1993) Grundelemente der müridlichen Fehlerkorrektur 89 zurückzuführen. Eine Veränderung dieser Einstellungen und Verhaltensweisen setzt Reflexion und Einsicht bei den Beteiligten voraus und muß von daher Thema des Unterrichts werden. Von daher sind abrupte Änderungen unterrichtlicher Interaktionsabläufe nicht zu befürworten, wohl aber die gesteigerte bewußte Auseinandersetzung mit ihnen, die dann zu begründeten Veränderungen führen kann. Die hier vorgestellten Ergebnisse und Tendenzen·verstehen sich als Ansporn, diese Diskussion auch über kulturelle Grenzen hinweg in Angriff zu nehmen. Bibliographische Angaben ALLWRIGHT, R. L.: "Problems in the Study of the T~acher's Treatment of Learner Error". In: M. Burt / H. 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