Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
1993
221
Gnutzmann Küster SchrammAusdrucksschwierigkeiten als Merkmal von Lernersprache
121
1993
Dorothea Möhle
Manfred Raupach
flul2210109
Dorothea Möhle, Manfred Raupach Ausdruckss<; hwierigkeiten als Merkmal von Lernersprache Sprachproduktion fortgeschrittener Lerner des Französischen Abstract. In this article it is claimed ·that the main source for advanced learners' difficulties in verbalizing their communicative goals is not their l.ack of voc11bulary knowledge, but their inadequate knowledge of how to use and how to combine the acquired lexical items. To illustrate this assumption, empirical data from the Kassel Corpus are presented. The exarnples taken from oral and written text productions of German students of French are analyzed and interpreted in the framework of Levelt's 'Speaking Model' (1989), adapted to bilingual speech production by de Bot (1992). Different types of learners' errors are assigned to different processors within the given model conceptualizer and formulator -, thus inspiring the idea of treating them differently in second language teaching. 1. Einleitung Wenn wir im folgenden Ausdrucksprobleme und -fehler fortgeschrittener Lerner des Französischen untersuchen, so geht es dabei nicht um einen Minimalbereich, um sprachliches „Überlebenstraining". Es geht vielmehr um eine hinreichend differenzierte Ausdrucksfähigkeit in der Fremdsprache, so wie sie z.B. schon erforderlich ist, wenn man in dieser Sprache über politisch-gesellschaftliche Alltagsprobleme und deren Lösungsmöglichkeiten diskutieren möchte und dabei den Wunsch hat, ganz bestimmte Meinungen, Überlegungen und Gedankengänge so zum Ausdruck zu bringen, daß differenzierte Fragestellungen und Meinungsunterschiede wirklich deutlich werden. Ein gewisses Potential an sprachlichen Mitteln zur formalen Bewältigung solcher Situationen, etwa Zustimmung signalisieren, etwas in Frage stellen, Widerspruch einlegen etc., wird heute im Fremdsprachenunterricht selbstverständlich vermittelt. Uns geht es hier jedoch vorrangig um die sprachliche Bewältigung von zur Diskussion stehenden Inhalten. Die Problematik liegt darin, daß man nicht für jeden Inhaltsbereich die erforderlichen Ausdrucksmittel im Unterricht erarbeiten kann. Während die Zahl grammatischer Probleme zwar groß, aber begrenzt und begrenzbar ist, erweist sich die Zahl der sog. Ausdrucksprobleme als so vielfältig wie die Zahl der Inhalte, über die man sprechen, die man zum Ausdruck bringen kann. Gemeint sind vor allem Schwierigkeiten und Fehler, die darauf beruhen, daß die Lernenden sich sprachlicher Fügungen bedienen, die, obwohl grammatisch und z.T. auch semantisch „eigentlich richtig", d.h. nicht regelwidrig, in der Zielsprache aber unüblich, wenn nicht unmöglich sind oder in der verwendeten Form etwas anderes ausdrücken, als der Sprecher meint. Gerade wegen ihrer offenbar unbegrenzten Zahl ist es jedoch um so dringender, diesen Problemen nachzugehen. FLuL 22 (1993) 110 Dorothea Möhle, Marifred Raupach Ein oftmals vorgebrachter Einwand lautet: man versteht doch meistens, was gemeint ist, warum also einen fast muttersprachlichen Kompetenzgrad anstreben? Ganz sicher ist dies nicht unser Ziel. Es geht auch nicht um vereinzelte Ausdrucksfehler; aber deren Häufung in Verbindung mit ohnehin auftretenden Grammatikfehlern kann eine reibungslose Kommunikation auf etwas anspruchsvoller Ebene empfindlich beeinträchtigen. Vor allem aber spürt der Lerner in solchen Situationen selbst sein Unvermögen und fühlt sich gehemmt. Gerade dieses Unbehagen ist es, was ihn dann häufig einfach zum Äußerungsverzicht veranlaßt. Folgende Beispiele 1 sollen die von uns gemeinten Ausdrucksschwierigkeiten illustrieren: (1) *Mais si c'est deja unfait qu'il n'y a pas assez de logements [...]. (m) Korrektur: Mais si, effectivement, il n'y a pas assez de logements [...]. (2) *C'est un probleme qui vient avec le temps et qui n' est pas la taut a coup. (m) Korrektur: qui se dessine progressivement/ peu a peu et qui ne surgit pas d'un seul coup (3) *Mais cette decision n' est pas taut a fait complete parce que [...]. (m) Korrektur: ne regle pas tout Je probleme (4) *[...] pour une duree plus longue c'est pas humain, je trouve, parce qu'il y a certaines idees et certains niveaux d' habiter dans une maison. (m) Korrektur: parce que pour atteindre un certain niveau de vie, il est normal d'habiter dans une maison (5) *Ceux qui sont dans une teile situation doivent protester de fa<; on que aussi l' autre peuple en sait et reflechit sur [...]. (s) Korrektur: afin qu'/ de sorte qu'un public plus ! arge en prenne conscience (6) *Qui a mis les wagons? Si c'est Je prefet [...] <; a me ressemble comme un commerce. (s) Korrektur: ~a ressemble a une solution plutöt commerciale / etre une solution commerciale 1 Bei den von uns gesammelten Daten handelt es sich in allen Fällen um Äußerungen Kasseler Romanistikstudentinnen mittlerer und höherer Semester zu einem Inhalt, mit dem sie unvermittelt konfrontiert wurden, auf dessen Verbalisierung in der Fremdsprache sie also in keiner Weise vorbereitet waren. In den meisten Fällen ging es dabei um teils mündliche, teils schriftliche im folgenden gekennzeichnet mit (m) bzw. (s) - Stellungnahmen zu aktuellen Problemen. Die Äußerungssituation kommt somit zumindest im Falle der mündlichen Produktionen echten Sprechsituationen relativ nahe. Schriftliche Äußerungen beziehen wir mit ein, weil die jeweilige Schwierigkeit für den Lerner besonders deutlich hervortritt, wenn die Formulierung nicht unter Zeitdruck gewählt wird. Bei den Beispielen 1 bis• 6 wie auch bei vielen der folgenden Beispiele handelt es sich um Stellungnahmen zu dem vor einigen Jahren in der Presse gemachten Vorschlag, Studenten bei Wohnungsmangel vorübergehend in Schlafwagen unterzubringen. Für alle Beispiele geben wir Korrekturvorschläge von französischen Sprechern an, um damit anzuzeigen, daß die authentische Formulierung in den seltensten Fällen auf Wortschatz zurückgreift, der den L2-Lemern unbekannt gewesen sein dürfte, daß fehlender Wortschatz also nicht als Hauptursache für die Formulierungsschwierigkeiten anzusehen ist. FLuL 22 (1993) Ausdrucksschwierigkeiten als Merkmal von Lernersprache ... 111 Diese Beispiele zeugen, wie wir meinen, in hohem Maße von der Diskrepanz zwischen Ausdrucksabsicht und Ausdrucksvermögen, und zwar in einem inhaltlichen Bereich, der den Rahmen gehobener Alltagskonversation kaum überschreitet. Die Art der Ausdrucksfehler ist für erfahrene Lehrer gewiß nicht überraschend. Weniger selbstverständlich ist die schon hier deutlich zutage tretende Erkenntnis, daß die Ursache für unzureichende Ausdrucksmöglichkeiten nicht wie meist angenommen in erster Linie in fehlendem Wortschatz zu· sehen ist, sondern in fehlender Vertrautheit mit den Anwendungsmöglichkeiten und-bedingungen bereits erworbener lexikalischer Einheiten, also mit dem Sprachgebrauch und mit gebrauchsbedingten Restriktionen. Daß eine beträchtliche Anzahl der untersuchten Fehlformulierungen sich offensichtlich auf muttersprachlichen Einfluß zurückführen läßt, ist wiederum ein vertrautes Phänomen. Wir sind es gewöhnt, solche Fehler als „Germanismen" zu bezeichnen, sie zu konstatieren, zu korrigieren und die Schüler darauf aufmerksam zu machen. Mehr geschieht jedoch im allgemeinen nicht. In der wissenschaftlichen Diskussion über den Fremdsprachenerwerb ist dieser Teil der Ausdrucksproblematik unter dem Stichwort "Interferenz" einzuordnen und läuft damit Gefahr, als der behavioristischen Lerntheorie zugehörig aus der Diskussion ausgeklammert zu werden. Wir möchten demgegenüber versuchen, den aufgezeigten Sachverhalt vom Standpunkt neuerer kognitiv orientierter psycholinguistischer Forschung her zu beleuchten und mit der Frage nach den Ursachen auch die nach möglichen Gegenmaßnahmen zu stellen. 2. Sprachproduktionsmodelle Im Rahmen der Kognitiven Linguistik, die sich als Teildisziplin der. Kognitiven Wissenschaft begreift, bezieht sich die Erforschung der Sprachfähigkeit sowohl auf die Repräsentation des Sprachsystems im mentalen Gesamtsystem als auch auf die prozeduralen Fähigkeiten zu seiner Aktivierung und Verarbeitung (Schwarz 1992: 38 ff). Von kognitiven Modellen der Sprachproduktion sind somit einerseits Aussagen über die einzelnen Komponenten des Sprachsystems und seine Interaktion mit anderen kognitiven Subsystemen zu erwarten, andererseits aber auch Aufschlüsse über die Prozeduren und Prozesse, die der Verarbeitung der Informationen zugrunde liegen. Charakteristisch für die Modellierung von Sprachproduktion im Rahmen der symbolischen Ansätze ist die Postulierung von mindestens drei Verarbeitungsebenen: die Ebene der Konzeptualisierung, der Formulierung und der Artikulation. Unterschiedliche Auffassungen bestehen jedoch darüber, nach welchen Prozeduren die Informationen innerhalb der einzelnen Ebenen und insbesondere in der möglichen Interaktion zwischen ihnen verarbeitet werden. Hier stehen als Haupttypen serielle Sprachproduktionsmodelle und Netzwerkmodelle einander gegenüber. Ohne strukturierte Einheiten kommen hingegen Modelle im Rahmen der subsymbolischen Ansätze aus; sie orientieren sich an Forschungsergebnissen aus der Neurophysiolo- FLuL 22 (1993) 112 Dorothea Möhle, Manfred Raupach gie und werden unter den Begriffen des Kgnnektionismus (Bechtel/ Abrahamsen 1991) und des Parallel Distributed Processing [PDP] (vgl. Rumelhart/ McClelland 1986) zusammengefaßt. Typisch für diese Modelle ist die Vernetzung von Elementen, vergleichbar derjenigen von Neuronen im Gehirn, und die damit gewährleistete parallel ablaufende Informationsverarbeitung. Wir werden im folgenden das für den einsprachigen Sprecher konzipierte Produktionsmodell von Levelt (1989) als Folie benutzen und Vorschläge für eine mögliche Übertragung auf die Modellierung von fremdsprachlicher Produktion zu unseren Lernerdaten in Beziehung setzen. 2.1 Levelts 'Speaking Model' Die gegenwärtige Diskussion über Sprachproduktion wird weitgehend von den Modellvorstellungen von Levelt (1989) bestimmt. Sie tragen in hohem Maße den bisher in der Psycholinguistik gewonnenen Erkenntnissen Rechnung und stützen sich in vielen Teilen auf empirische Daten. Zudem gelten sie als ein Versuch, nicht nur ausgewählte Bereiche zu behandeln, sondern alle relevanten Aspekte der LI- Sprachproduktion einzubeziehen und dabei serielle und parallel ablaufende Verarbeitungen in ein Gesamtmodell zu integrieren. Levelt (1989) steht in der Tradition der Stufenmodelle, d.h. solcher Vorstellungen, die eine Strukturierung des Sprachproduktionsprozesses in Ebenen oder Komponenten postulieren (vgl. dazu etwa die Übersicht bei Wiese 1983). Er bezeichnet seine als Prozessoren konzipierten Verarbeitungskomponenten als Conceptualizer, der als Subkomponente u.a. einen Monitor enthält, Formulator und Articulator (Levelt 1989: 9); sie werden ergänzt durch das Speech Comprehension System, das in Verbindung mit dem Monitor nicht nur die fertige Produktion des Sprechers (overt speech) - und natürlich auch die der Gesprächspartner analysieren kann, sondern ebenfalls die im Produktionsprozeß befindliche Äußerung vor ihrer abschließenden Artikulation (internal speech) überprüft. Wir beschränken uns im folgenden auf eine Skizze der wichtigsten Verarbeitungsschritte, die von <Jen Komponenten der Konzeptualisierung, Formulierung und Artikulation geleistet werden. 2.1.1 Konzeptualisierung und Wissensspeicher Hier wird die Äußerungsintention konzipiert und die für die Realisierung relevante Information aus dem Wissensspeicher2 ausgewählt und geordnet. Levelt unterscheidet dabei die Makroplanung, mit der die Entscheidung für eine bestimmte kommunikative und illokutive Intention (Art des beabsichtigten Sprechaktes) gefällt wird, 2 Dieser Wissensspeicher umfaßt zum einen das sog. Weltwissen (encyclopedia), zum andern Informationen, die für die gegebene Gesprächssituation relevant sind (situational knowledge, discourse record). FLuL 22 (1993) Ausdrucksschwierigkeiten als Merkmal von Lernersprache ... 113 von der Mikroplanung, die der Vorbereitung einer möglichst adressatenspezifischen Versprachlichung dient und eine vorsprachliche Fassung (preverbal messd.ge) entfaltet, die ihrerseits als Eingabe für den Formulator fungiert und im wesentlichen folgende Informationen über die geplante Äußerung enthält: (a) die thematische Struktur (semantische- Repräsentation mit Angaben über "Rollen" oder Kasus wie Agens, Ziel usw.); (b) die Informationsstruktur (z.B. Thema/ Rhema); (c) Angaben über Modalität, Aspekt und Deixis; (d) sprachenspezifische Anforderungen. Die Notwendigkeit, sprachenspezifische Merkmale in der konzeptuellen Kodierung zu postulieren, leitet Levelt (1989 : 103 ff) aus systematischen Unterschieden zwischen Einzelsprachen ab wie etwa im spatialen Deixissystem zwischen dem Englischen und dem Spanischen (herelthere bzw. this/ that vs. aqu{/ ahflall[) oder zwischen Sprachen mit vs. ohne Tempussystem. 2.1.2 Formulierung und mentales Lexikon Hier werden die in vorsprachlicher Fassung sukzessiv eingehenden konzeptuellen Fragmente in eine linguistische Struktur und letztlich in einen phonetischen Plan umgewandelt. Dies geschieht durch grammatische und phonologische Enkodierung, für die als Wissensbasis die lexikalischen Einheiten des mentalen Lexikons zur Verfügung stehen. Levelt unterscheidet im Aufbau dieser Einheiten zum. einen die Lemmata, die Informationen über die Bedeutung einschließlich pragmatischer und stilistischer Gebrauchsnormen - und über die grammatische Funktion sowie über die Konstruktionsmöglichkeiten enthalten, und zum andern die lexikalische Form, die morpho-phonologische Angaben enthält. Die grammatische Enkodierung produziert eine Art Oberfläc}: leristruktur, indem sie auf die Lemmata zugreift und die BedeutuRg lexikalischer Einheiten mit der semantischen Information der vorsprachlichen Fassung vergleicht; dabei aktiviert sie mit den ausgewählten Einheiten zugleich auch deren syntaktische lnformatio~ nen. Die Formulierungsprozesse werden wesentlich von den lexikalischen Einträgen im mentalen Lexikon bestimmt (lexicon-driven), d.h. das Lexikon ist der entscheidende Mittler zwischen der Konzeptualisierung und der grammatischen/ phonologischen Enkodierung. Die phonologische Enkodierung ordnet der Oberflächenstruktur unter Zugriff auf die morpho-phonologischen Merkmale ein Artikulationsprogramm zu. 2.1.3 Artikulation Hier erfolgt die Ausführung des phonetischen Programms, das aus einer Kette von Silbenprogrammen besteht, und damit die sprachliche Realisierung der geplanten Äußerung (overt speech). Von den weiteren Angaben, die Levelt zur Repräsentation und zur Aktualisierung der mentalen Informationen im Rahmen seines Modells macht, können wir an dieser Stelle nur die wichtigsten wiedergeben: FLuL 22 (1993) 114 Dorothea Möhle, Manfred Raupach Das Wissen in den Kenntnissystemen (Weltwissen usw.; mentales Lexikon) ist als Faktenbzw. Sprachwissen deklarativ "Wissen daß") und vorzugsweise im Langzeitgedächtnis gespeichert; prozedurales Wissen "Wissen wie"), das in der Form der etwa bei Anderson (1983) definierten „Produktionen" als Paare von Bedingung/ Handlung (IF X THEN Y) repräsentiert ist, steuert die Verarbeitung von Sprache und ist immanenter Bestandteil der oben genannten Komponenten. Die Informationsverarbeitung bei der Konzeptualisierung läuft nach Levelt soweit sie die Makroplanung und das Monitoring betrifft meistens in hohem Maße kontrolliert ab (controlled processing), d.h. unter Inanspruchnahme der Aufmerksamkeit des Sprechers. Die bei der Formulierung und Artikulation aktivierten Prozeduren sind demgegenüber weitgehend automatisiert (automatic processing) und ermöglichen eine parallele Verarbeitung im Sinne der sog. inkrementellen Sprachproduktion (Kempen/ Hoenkamp 1987): Teile der Äußerung werden insgesamt zwar serial geplant, d.h. in ihren verschiedenen Planungsstadien von einer der relativ unabhängig voneinander arbeitenden Komponenten zur nächsten weitergeleitet; dort kann die Planung aber bereits beginnen, bevor sie noch von der vorhergehenden Komponente vollständig abgeschlossen worden ist. 2.2 Modellierung von L2-Produktion Ein den Vorschlägen Levelts vergleichbares Modell, das den Gesamtprozeß von L2-Sprachproduktion bei mehrsprachigen Sprechern abzubilden versucht, existiert bislang nicht (vgl. die Übersicht bei Crookes 1991). Es liegt deshalb nahe, Levelts Vorstellungen zur Grundlage solcher Überlegungen zu machen, wie dies bei de Bot (1992) geschieht. Bezüglich der uns interessierenden Komponenten des Produktionsprozesses ergeben sich danach folgende Vorschläge für eine Adaptation des Levelt-Modells: 2.2.1 Konzeptualisierung und Wissensspeicher In der Makroplanung mit der zentralen Funktion der konzeptuellen Planung der Äußerungsintention erfolgt zwar die Entscheidung darüber, in welcher Sprache der Sprecher die anstehende Äußerung formulieren will; diese erste Phase der Konzeptualisierung arbeitet jedoch sprachenunabhängig. Auch die in der allgemeinen Wissensbasis zur Verfügung gehaltenen Informationen sind nicht sprachenspezifisch. Erst für die zweite Phase, die Mikroplanung, wird in Übereinstimmung mit Levelts oben erwähnten Beispielen etwa für die Unterschiede im Deixissystem zwischen dem Englischen und dem Spanischen sprachenspezifische Konzeptualisierung angenommen. 2.2.2 Formulierung und mentales Lexikon Für jede Sprache existiert eine eigene Formulierungskomponente, aber es gibt nur ein mentales Lexikon, in dem die lexikalischen Elemente aller beteiligten Sprachen FLuL 22 (1993) Ausdrucksschwierigkeiten als Merkmal von Lernersprache ... 115 gespeichert sind. Die Organisation dieses Lexikons modelliert de Bot (1992: 11) im Rahmen der Subset-Hypothese, der zufolge in einem für alle lexikalischen Einheiten gemeinsamen Speicher die Beziehungen zwischen bestimmten Einzelelementen durch häufigen Gebrauch verstärkt werden. So bilden sich einerseits innerhalb ein und derselben Sprache enger zusammengehörende Untergruppen heraus, andererseits können sich auch Beziehungen zwischen Elementen aus verschiedenen Sprachen aufbauen, wie dies insbesondere bei Sprechern in Sprachgemeinschaften mit code-switching zu vermuten ist. Diese Hypothese ist eng verknüpft mit dem aus den konnektionistischen Modellen bekannten Konzept der „Aktivierungsausbreitung" im lexikalischen Speicher (spreading activation; vgl. Dell 1986). 3 Die lexikalischen Elemente der beteiligten Sprache sind dabei als Knoten gedacht, die „durch erregende (exzitatorische) oder hemmende (inhibitorische) Relationen miteinander verknüpft" sind (Schwarz 1992: 20). Sie befinden sich in jeweils unterschiedlichen Aktivitätszuständen und können, sobald sie selbst durch Überschreitung der Reizschwelle erregt worden sind, ihre Aktivität auf andere mit ihnen verbundene Knoten übertragen. Den lexikalischen Zugriff modelliert de Bot (1992: 12 f) im Rahmen eines sog. passiven Modells. Während in aktiyen Modellen das Lexikon nach einem geeigneten lexikalischen Element durchforstet wird, .das die von dem gesuchten Wort geforderten Merkmale in sich vereinigt, bieten sich in passiven Modellen von selbst geeignete Kandidaten an, sobald die Anzahl der relevanten Merkmale eine bestimmte Schwelle überschritten hat (vgl. das Logogen-Modell von Morton 1979; Levelt 1989: 201 ff). Je häufiger ein Element benutzt worden ist, desto niedriger ist seine Reizschwelle. Eine weitere Modifizierung von de Bot (1992: 14) verdient Erwähnung. Im Gegensatz zu der Leveltschen Modellvorstellung von relativ unabhängig voneinander arbeitenden Komponenten erscheint es plausibel, für die L2-Produktion eine Interaktion zwischen der Konzeptualisierungs- und der Formulierungskomponente zu postulieren. Die konzipierte vorsprachliche Fassung kann also bei Wortfindungsschwierigkeiten modifiziert werden, oder der Lerner sieht vielleicht bereits auf der Konzeptualisierungsebene Probleme bei der Versprachlichung voraus und paßt seine Konzeptualisierung von vornherein seinen Formulierungsmöglichkeiten an. 2.2.3 Artikulation De Bot (1992: 15 ff) ist geneigt, bei fortgeschrittenen Lernern für die Verarbeitung sowohl von Laut- und Intonationsmustern als auch von Silbenprogrammen jeweils nur eine allen involvierten Sprachen gemeinsame Komponente zu postulieren. Über die genannten Vorschläge für eine Adaptation der Modellvorstellungen Levelts an die Prozesse der L2-Produktion hinaus müssen Erweiterungen des 3 Levelt (1989: 211 ff) meldet für sein Modell Vorbehalte gegenüber dem Konzept der Aktivierungsausbreitung an, soweit es den Zugriff auf das mentale Lexikon betrifft. FLuL 22 (1993) 116 Dorothea Möhle, Manfred Raupach Modells vorgesehen werden, die der besonderen Situation des bilingualen Sprechers Rechnung tragen. Wir beschränken uns an dieser Stelle auf eine für die Interpretation unserer Lernerdaten wichtige Überlegung, die de Bot (1992: 13 f) im Zusammenhang mit der Diskussion um das Phänomen des code-switching von Green (1986) aufgreift. Um den Vorgang des code-switching plausibel erklären zu können, nimmt Green an, daß der Sprecher seine Äußerung nicht nur für die jeweils gewählte Sprache plant, sondern daß parallel dazu die entsprechenden Prozesse auch für die zweite „aktive" Sprache ablaufen. 4 Wir möchten diese parallele Planung als "Mitformulieren" bezeichnen und meinen damit übertragen auf unsere Fremdsprachenlerner -, daß bei der Produktion einer Äußerung in der Fremdsprache zugleich entsprechende Prozeduren und/ oder Elemente der Muttersprache - oder in einigen Fällen auch einer weiteren Fremdsprache aktiviert werden. Anders als bei Sprachproduktion mit code-switching muß bei unseren Fremdsprachenlernern jedoch die Aktivierung der anderen Sprache(n) spätestens auf der Stufe der Artikulation (external suppression), möglichst aber auch schon vorher (internal suppression) unterdrückt werden. Die Intensität und das Spürbarwerden dieses Mitformulierens werden in Abhängigkeit von Faktoren wie der Fremdsprachenkompetenz des Lerners, Häufigkeit des Fremdsprachengebrauchs und der Gesprächssituation variieren. 5 De Bot (1992: 21) räumt selbst ein, daß die empirische Basis für eine Evaluation bilingualer Produktionsmodelle wie das von ihm skizzierte relativ schmal ist, und fordert zu einer entsprechenden Überprüfung auf. Wir möchten diese Anregung mit der Diskussion einiger der von uns beobachteten Ausdrucksschwierigkeiten bei fortgeschrittenen Französischlernern aufgreifen. 3. Lerneräußerungen Woran liegt es nun also, wenn fortgeschrittene Lerner, sobald sie sich nicht mehr im Rahmen schul- oder kursthemengebundener und damit vorbereiteter Kommunikation bewegen, erhebliche Schwierigkeiten haben, ihre Äußerungsbedürfnisse annähernd L2-konform zu realisieren? Woran liegt es, daß sie häufig ganz einfach lexikalisch passend erscheinende Wörter aneinanderreihen und damit zu Verbindun- 4 Green (1986: 215) unterscheidet für bilinguale oder plurilinguale Sprecher drei unterschiedliche Zustandsformen ('states') der ihnen zugänglichen Sprachsysteme: "selected (and hence controlling speech output), active (i.e., playing a role in ongoing processing), and dormant (i.e., residing in long-term memory but exerting no effects on ongoing processing)." 5 Diese Auffassung von der latenten Präsenz der Mutter- oder gegebenenfalls auch einer weiteren Fremdsprache während der gesamten Produktion entspricht bis zu einem gewissen Grad dem von uns an anderer Stelle als transfer of procedural knowledge bezeichneten Phänomen (Möhle/ Raupach 1989). FLuL 22 (1993) Ausdrucksschwierigkeiten als Merkmal von Lernersprache ... 117 gen kommen, die durch den Sprachgebrauch nicht legitimiert sind, Formulierungen erzeugen, die ein französischer Sprecher niemals wählen würde? Die oben referierten Modellvorstellungen messen der Organisation des mentalen Lexikons und den Möglichkeiten der Aktivierung lexikalischer Elemente eine zentrale Bedeutung in der Sprachproduktion bei. Wesentlich ist für uns zunächst einmal die Annahme, daß die Produktion einer sprachlichen Äußerung, insbesondere bei der Wortsuche, im Rahmen eines passiven Modells zu denken ist, dem zufolge sich in weitgehend automatisierten Prozessen, d.h. ohne aktives Suchen des Sprechers, lexikalische Einheiten anbieten, sobald ein hoher Grad an Über,einstimmung zwischen ihren Verwendungsbedingungen und den Anforderungen der Sprecherintention erreicht ist. Nicht selten sind bei Fremdsprache: Qlernern die gerade benötigten Ausdrucksmittel der L2 jedoch noch nicht durch häufigen Gebrauch und durch Kenntnis ihrer ganzen Verwendungsbreite gefestigt, so daß sich kein L2- Element unmittelbar als Kandidat aufdr.ängt. 6 In diesen Fällen wirkt sich das oben postulierte Mitformulieren, d.h. das automatisch erfolgende Mit- oder Vorausdenken der erforderlichen Formulierungen in der Muttersprache aus, und es werden die den Bedingungen .der gegebenen Ausdrucksintention entsprechenden LI-Sprachmittel aktiv, selbst wenn der Sprecher diesen Prozeß nicht ausdrücklich in Gang setzt. Dieses Phänomen manifestiert sich besonders deutlich überall ~. wo dem Lerner zwar. ein oder zwei gängige Bedeutungen eines L2-Wortes geläufig sind, andere jedoch unbekannt .oder weniger vertraut. Die Merkmale einer gegebenen Ausdrucksintention treffen in diesem Fall also nicht auf aktivierbare Auslöser im L2- Bereich. Das statt dessen aktivierte und spontan sich präsentierende lexikalische Element der L1 führt dann zu einem mit diesem Element ohne j.eden Kontext assoziativ verbundenen, in dem betreffenden Zusammenhang jedoch nicht dem Sprachgebrauch entsprechenden Lautkörper der Fremdsprache oder zu einer vergeblichen Su.che nach einem passenden L2-Element. So löst z.B. die Ausdrucksintention, die ein französischer Sprecher mit ce changement se traduit par: verbalisieren würde, bei einem deutschen Lerner, dem diese Form bei der Versprachlichung nicht verfügbar ist, ein muttersprachliches "[...] zeigt sich darin, daß [...]" aus, das dann mit [...] se montre dans [...] wiedergegeben wird. Neben nicht ausreichend entwickelter Kenntnis der vollen Breite aller Verwendungsmöglichkeiten einzelner Wörter sind Ausdrucksschwächen auch fortgeschrittener Lerner häufig bedingt durch fehlende Verfügbarkeit syntagmatischer Verbindungen der Fremdsprache, also solcher Ausdrucksmittel, die einen Komplex von mehreren Wörtern bilden. Hier bietet sich die ob.enerwähnte Subset-Hypothese in Verbindung mit dem Konzept der Aktivierungsausbreitung als Erklärung an. Sie besagt, daß der häufige Gebrauch lexikalischer Elemente in bestimmten Verbindun- 6 Es können sich natürlich auch durch häufigen Gebrauch automatisierte fehlerhafte L2-Formulierungen anbieten, wie z.B. das bei einer unserer Sprecherinnen ständig wiederkehrende *qa ne me ! f1i! .. pas de problemes. FLuL 22 (1993) 118 Dorothea Möhle, Manfred Raupach gen dazu führt, daß innerhalb eines aus Ll- und L2-Elementen bestehenden Gesamtlexikons Untergruppen abgespeichert werden, deren Elemente in stärkerem Maße miteinander als mit den Elementen anderer Untergruppen verknüpft sind. Solche Verbindungen können sowohl intralingualer als auch interlingualer Natur sein. Innerhalb der Muttersprache, also intralingual, verfügen wir über eine Vielzahl von assoziativen Verknüpfungen zweier oder auch mehrerer Wörter, die durch häufigen Gebrauch entstanden sind. Sie werden in bestimmten Situationen konzeptueller Planung als Ganzes aktiviert und reduzieren damit den kognitiven Planungsaufwand erheblich. Beim gesteuerten Erwerb einer Fremdsprache ist die Aufmerksamkeit des Lerners jedoch zunächst darauf gerichtet, die einzelnen mit dem muttersprachlichen Wortschatz verknüpften Konzepte mit Wortformen der Zweitsprache zu verbinden. Dadurch bildet sich das fremdsprachliche Lexikon zunächst einmal aus in der Form eines Subsets, dessen Einzelelemente nicht so sehr untereinander verbunden sind, sondern vor allem mit je einem muttersprachlichen Element. 7 Wenn nun bei Äußerungen in der Fremdsprache ein mit dem entsprechenden Lautkörper noch nicht fest verbundenes Konzept erst auf dem Umweg über die muttersprachliche Wortform zu einem L2-Wort führt, werden automatisch auch die mit dem Ll-Wort verbundenen benachbarten Wörter der Muttersprache aktiviert und rufen, jedes für sich, die ihnen assoziierten L2-Wörter auf den Plan. Das Ergebnis der fremdsprachlichen Äußerung wirkt dann wie eine Übersetzung aus der Muttersprache, obwohl ein aktiver Übersetzungspiozeß nicht stattgefunden hat. Ausdrucksschwierigkeiten von Fremdsprachenlernern resultieren jedoch nicht nur aus den Prozeduren, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Organisation des bilingualen mentalen Lexikons stehen. Häufig gehen sie einher mit Entscheidungen, die bereits auf der Ebene der Konzeptualisierung getroffen werden. Neben den von Levelt (1989) ausdrücklich thematisierten sprachenspezifischen Anforderungen, die sich aus systematischen Unterschieden zwischen Teilsystemen (Deixis, Tempus usw.) der Einzelsprachen ergeben, wirken sich hier unterschiedliche Tendenzen in der Bevorzugung bestimmter Informationsstrukturen (Thema/ Rhema, Perspektive usw.) aus, wie sie Blumenthal (1987) in seinem deutsch-französischen Sprachvergleich herausgestellt hat. Aber auch die Tatsache, daß in den Einzelsprachen bestimmte Inhalte oft aus einer jeweils spezifischen Sichtweise versprachlicht werden, die sich z.B. in der Verwendung eigener Bilder, Metaphern usw. widerspiegelt, stellt die Lerner vor Ausdrucksprobleme. Nimmt man zu den genannten Ursachen für Ausdrucksschwächen unserer Lerner noch die weiter oben angesprochenen Möglichkeiten hinzu, daß Lerner schon bei der Konzeptualisierung zu erwartende Formulierungsschwierigkeiten in Rechnung 7 Das wird sich bei konsequent einsprachigem Unterricht zwar auch kaum vermeiden lassen. Trotzdem dürften die Chancen zur allmählichen Herausbildung interlingualer Verknüpfungen dort erheblich größer sein als in einem Unterricht, der auf zweisprachigem Vokabellemen basiert. FLuL 22 (1993) Ausdrucksschwierigkeiten als Merkmal von Lernersprache ... 119 stellen und daß die weitere Sprachverarbeitung inkrementell erfolgt, wird deutlich, daß sich manche Lemeräußerungen als so komplex erweisen, daß sich die Prozeßabläufe im einzelnen einer plausiblen Darstellung entziehen. Ohne diese Vielschichtigkeit der Sprachplanung zu übersehen, möchten wir versuchen, die aus unserem Fehlercorpus ausgewählten Beispiele nach Gruppierungen zusammenzufassen, die sich vor dem Hintergrund des bisher Gesagten ergeben. Bei der Analyse der Beispiele wollen wir unterscheiden zwischen einer linguistischen Beschreibung des gegebenen Tatbestandes, einer Darstellung des Prozeßablaufes, der zur vorliegenden Äußerung geführt hat, und einer Reflexion über die zu vermutenden Gründe für die prozedurale Fehlsteuerung. 3.1 Planungen auf der Formulierungsebene Entsprechend der großen Bedeutung, die im L2-Produktionsprozeß dem mentalen Lexikon zukommt, möchten wir zunächst an einer Reihe von Ausdrucksfehlern illustrieren, wie sich die Sprachverarbeitung von Fremdsprachenlernern auf der Formulierungsebene, und zwar insbesondere bei der Wortsuche, im Liebte der oben skizzierten Modellvorstellungen gestaltet. Wir beginnen mit solchen Lerneräußerungen, bei denen der Sprecher eine Stelle in der von ihm gewählten durchaus L2-konformen syntaktischen Struktur mit einem falschen lexikalischen Element füllt. Der Verstoß kann darin liegen, daß eine lexikalische Restriktion gegenüber einem semantisch naheliegenden anderen L2- Wort nicht beachtet wird (Beispiel (7): une place vs. un endroit) oder darin, daß gegen eine linguistisch nicht begründbare Gebrauchsnorm verstoßen wird (Beispiel (8): faire des problemes vs. poser des problemes). (7) *[ ...] une place pour se coucher. (s) Korrektur: un endroit ou dormir (8) *<; a ne me fait pas de problemes. (m) Korrektur: pose In beiden Fällen hat das L2-konforme Element die zu seiner mentalen Präsentation erforderliche Aktivierungsschwelle nicht erreicht. Statt dessen. drängt sich dem Sprecher zunächst ein LI-Lexem auf, das ein im Ll/ L2-Subset mit ihm assoziativ fest verbundenes L2-Lexem nach sich zieht, welches dann im Kontext der gewählten Sprache auf artikulatorischer Ebene realisiert wird. Ist die assoziative Verbindung weniger stark gefestigt, erfolgt unter Umständen eine aktive Suche nach einem geeigneten L2-Lexem. Die Ursachen dafür, daß das gebrauchskonforme L2-Wort die Aktivierungsschwelle nicht erreicht, können unterschiedlicher Art sein. Im Falle der semantischen Restriktion in der L2 (Beispiele (7), (9), (10), (11)) kann bereits der begriffliche Hintergrund an der L1 orientiert sein, die z.B. die Wortform Platz mit einem Konzept verbindet, das umfassender ist als die beiden mit den französischen FLuL 22 (1993) 120 Dorothea Möhle, Manfred Raupach Wortformen place / endroit verknüpften Konzepte. In diesem Falle ist die Wahl der französischen Wortform place sicher begünstigt worden durch eine auf der lautlichen Ähnlichkeit beruhende assoziative Verknüpfung mit Platz. Dagegen kann man im Falle von prononcer / exprimer (Beispiel (9)) davon ausgehen, daß der zugrunde liegende konzeptuelle Unterschied in beiden Sprachen besteht. Er wird im Deutschen durch die Verbindung der beiden Konzepte mit einer einzigen Wortform (aussprechen) verdeckt, läßt sich durch eine Paraphrasierung aber voll verdeutlichen. Hier dürfte die prozedurale Fehlsteuerung also erst im Formulierungsbereich liegen und darauf zurückzuführen sein, daß die Assoziation der Wortformen aussprechen / prononcer stärker gefestigt ist als die Assoziation der Wortformen aussprechen/ exprimer. ► Beispiele zum Bereich der semantischen Restriktion: (9) *C'est le fait que ! es enfants n'osent pas prononcer leurs propres sentiments. (s) Korrektur: exprimer (10) *Les problemes des enfants sont seulement regardes par la vue des parents. (s) Korrektur: consideres selon l'optique / la conception des parents (11) *[...] si ! 'Etat est en futur interesse des professeurs. (s) Korrektur: [...] si ! 'Etat veut a l'avenir / plus tard des professeurs bien formes ► Beispiele für Verstöße gegen das im Sprachgebrauch Übliche: (12) *C'est mieux qu'avoir rien pour rester. (m) Korrektur: pour se loger (13) *Le prix est vraiment acceptable. (s) Korrektur: abordable (14) *Les decisions sont trouvees democr; i.tiquement. (s) Korrektur: prises (15) *[...] qui basent sur une ideologie. (s) "Korrektur: reposent Zum letzten Beispiel ist anzumerken, daß die Wahl von baser deutlich auf den Prozeß des Mitformulierens hinweist. Auf der konzeptuellen Mikroebene wählt der Sprecher eine Li-Struktur mit einem aktiven Verb basieren auf (die Passivform etre base sur wäre durchaus akzeptabel). Das hier im Aktiv verwendbare französische Verb reposer wird mental jedoch nicht aktiviert, weil seine volle Anwendungsbreite nicht präsent, wahrscheinlich gar nicht bekannt ist. Die Wortform reposer ist für deutsche Lerner vor allem mit dem konzeptuellen Gehalt des sicher häufigeren Reflexivums se reposer assoziiert: An dieser Stelle sind Z'3/ ei weitere, allerdings anders gelagerte Beispiele für das Mitformulieren in der LI 1 anzuführen: FLuL 22 (1993) Ausdrucksschwierigkeiten als Merkmal von Lernersprache ... 121 (16) *On ne peut pas condamner la voiture totalement hors de la ville. (s) Korrektur: bannir Hier ist die muttersprachliche Planung offensichtllch bis in den phonologischen Bereich hinein vorgedrungen, denn das sinnverfehlencie condamner dürfte auf einer klanglichen Verwechslung der deutschen Verben verdammen und verbannen beruhen, die konzeptuell ähnlich" aber eben nicht bedeutungsgleich sind. Diese Verwechslung ist dadurch begünstigt, daß das französische Verb condamner einein Lerner wohl geläufiger ist als bannir. Scl10n hier zeigt sich also die außerordentliche Komplexität, die sich aus dem Ineinandergreifen von Prozeßabläufen der muttersprachlichen und fremdsprachlichen Planung ergibt. Ähnliches gilt für das zweite ·Beispiel: (17) *Alors il y a le risque qu'on echappe une maladie. (s) Korrektur: attrappe (aus dem Kontext ergibt sich eindeutig, daß nicht echapper a une. maladie gemeint ist) Hier dürfte die lautliche Ähnlichkeit zwischen dem aufgrund der konzeptuellen Planung aktivierten deutschen aufschnappen und dem französischen echapper, das durchaus in einer assoziativen Verbindung zu maladie steht, eine Rolle spielen. In den folgenden Abschnitten geht es um die sehr viel häufigeren Ausdrucksfehler,. die nicht auf die Wahl eines einzigen falschen Elements beschränkt sind, sondern eine syntagmatische Gruppe umfassen, wie z.B.· (18) *Le regard dans l'avenir n'est pas tres optimiste. (s) Korrektur: Les perspectives d'avenir n~ sorit pas tres optimistes. Hier hat offensichtlich die Konzeptualisietung spontan ein fixiertes Wortgefüge, d.h. eine fertige Formulierung der Muttersprache, aktiviert und damit auf der konzeptuellen Mikroebene die thematische und die syntaktische Struktur vorgegeben, in die die mit den aktiyierten deutschen Wörtern assoziativ verbundenen französischen Wörter eingetreten sind. (Es handelt sich· wohl kaum um ein aktives Einsetzen.) Die Assoziationsrichtung verläuft also bei der spontanen Aktivierung der deutschen Wendung horizontal, d.h: syntagmatisch, bei der L2-Produktion dagegen vertikal, also· paradigmatisch: ----► { Der BÜck} il { Le regard} -► { in} il { dans} ----► { die Zukunft} il { l'avenir} Die Ursache für diese Art des Prozeßablaufes liegt in erster Linie im Fehlen einer automatisierten und damit hochgradig aktiven französischen Ausdrucksform für den konzeptuellen Entwurf. Es kommt in diesem Falle hinzu, daß die im Deutschen ebenfalls gängige Formulierung die Zukunftsperspektiven, die ja zu einer L2- FLuL 22 (1993) 122 Dorothea Möhle, Manfred Raupach konformen Ausdrucksweise geführt hätte, im mentalen System der Sprecherin offenbar weniger stark regsam war. Das kann durch die konzeptuelle Komponente [optimistisch] bedingt sein, die auf eine menschliche Sichtweise gerichtet ist, während die Vorstellung einer Perspektive assoziativ eher durch eine Zustandsbeschreibung wie etwa rosig / günstig evoziert wird. Ähnlich gelagert sind in bezug auf den Einfluß spontan sich anbietender muttersprachlicher fixierter Wortgefüge - Beispiele wie: (2) *C'est un probleme qui vient avec le temps et qui n' est pas la tout a coup. (m) Korrektur: qui se dessine progressivement/ peu a peu et qui ne surgit pas d'un seul coup (10) *Les problemes des enfants sont seulement regardes par la vue des parents. (s) Korrektur: [...] selon l'optique / la conception des parents (19) *C' est pour le moment une solution. (m) Korrektur: C'est une solution de courte duree. (20) *[...] si ! es etudiants y habitent d' une base libre ou forcement. (s) Korrektur: volontairement ou s'ils y sont forces [...] (21) *avec ce developpement (s) Korrektur: face a cette / a une teile evolution Eine umfassende Analyse jedes dieser Beispiele würde zeigen, daß die prozedurale Verarbeitung der aktivierten LI-Fügung durchaus unterschiedlich verläuft. 3.2 Planungen auf der Konzeptualisierungsebene Im folgenden möchten wir bei der Beschreibung der Beispiele nicht mehr so sehr die Prozeduren der Wortsuche in den Mittelpunkt stellen, sondern bei den ausgewählten Lerneräußerungen besonderes Augenmerk darauf richten, in welcher Weise die dort zu beobachtenden Ausdrucksschwierigkeiten der Lerner von solchen Prozeduren vorgeprägt sind, die nach den oben skizzierten Modellvorstellungen bereits auf der Ebene der Konzeptualisierung wirksam werden. Eine wichtige Gruppe bilden solche Beispiele, bei denen die vom Lerner aktivierte Informationsstruktur nicht zielsprachengerecht oder zumindest ungewöhnlich ist: (22) *[...] parce que mon impression etait toujours tout de suite que ~a se passe en Espagne. (m) Korrektur: [...] parce que j'ai eu tout de suite l'impression que [...] (23) *c' est une preuve de bonne intention prise par le gouvernement. (s) Korrektur: ces solutions prouvent la bonne intention du gouvernement. (24) *il s' offre la possibilite (s) Korrektur: on aurait / il y a la possibilite (25) *C' est caracteristique pour eu.x qu' ils [...] (m) Korrektur: Leur caracteristique est [...] FLuL 22 (1993) Ausdrucksschwierigkeiten als Merkmal von Lernersprache ... (26) *Je pense que l'idee de / ouer des wagons-couchettes a ete tres bien. (m) Korrektur: [...] c'est une bonne idee d'avoir loue des wagons-couchettes. (1) *Mais si c' est deja un fait que [...] (m) Korrektur: si effectivement la situation est telle que [...] 123 Das gemeinsame Merkmal der Beispiele (1) und (22) bis (26) liegt darin, daß die kommunikative Makroplanung auf der Mikroebene einen im Deutschen häufigen strukturellen Planungsansatz evoziert, der im Französischen zwar nachvollziehbar, aber unüblich ist. In diesem Zusammenhang sei nachdrücklich verwiesen·auf die Untersuchungen von Blumenthal (1987), der in seinem deutsch-französischen Sprachvergleich einige in diesen Sprachen voneinander abweichende Tendenzen der Bevorzugung bestimmter syntaktischer Gestaltungsmuster herausarbeitet, z.B. die unterschiedliche Verteilung von Informationen auf die syntaktische Grundstruktur (Prädikat mit Ergänzungen) bzw. den sie umgebenden Satzrahmen ( z.B. adverbiale Bestimmungen). So entspricht etwa in den Beispielen (22) bis (25) die Formulierung des L2- Sprechers im Vergleich zur Korrektur des Muttersprachlers Blumenthals These (1987: 19), daß der französische Satz tendenziell „einen höheren 'Aktivitätsgrad' ausdrückt als der deutsche", der sich u.a. häufig mit einem rein formalen Subjekt begnügt, ohne den Träger der Handlung zu nennen. Im Rahmen unserer Darstellung der prozeduralen Abläufe heißt dies, daß die konzeptuelle Planung hier zur Aktivierung eines in der LI üblichen und daher dem Lerner geläufigen Strukturprinzips geführt hat, dessen Realisierung die Wortwahl auf lexikalischer Ebene steuert. Zwei Beispiele, die uns bei der Lektüre eines französischen Textes über das Kurssystem an deutschen Gymnasien auffielen, mögen diese Überlegungen stützen: (27) Certains cours risquent meme de ne pas pouvoir etre organises faute de [...]; (28) Les disciplines principales comportent cinq heures par semaine. Wollte ein deutscher Sprecher den hier gegebenen konzeptuellen Gehalt im Gespräch mit einem Franzosen äußern, so würden sich ihm spontan mit großer Wahrscheinlichkeit Satzrahmen aufdrängen, die sich an den hierfür gängigen deutschen Strukturen orientieren, also: (27') Für einige Kurse besteht sogar die Gefahr, daß sie nicht eingerichtet werden können, weil [ ... ]. (28') Die Leistungskurse werden fünfstündig durchgeführt. Aus dieser mentalen Vorgabe resultierte dann die sicher nicht einfache Suche nach einem lexikalischen Äquivalent für bestehen (27 und 27') und durchführen, vor allem aber fünfstündig (28 und 28'). FLuL 22 (1993) 124 Dorothea Möhle, Manfred Raupach Ein Beispiel für den Übergang von eher strukturbedingten konzeptuellen Einflüssen zu solchen, die bedingt sind durch konzeptuell unterschiedliche Sichtweisen der dargestellten Inhalte im Französischen und im Deutschen bietet die Verwendung der Vergangenheitsform von etre bzw. sein zur Angabe einer Ortsbefindlichkeit. Während im Deutschen sein als Vollverb zur Angabe einer Ortsbefindlichkeit unbegrenzt verwendbar ist, ist etre in dieser Funktion nur zulässig, wenn dadurch die Befindlichkeit in Beziehung gesetzt wird zu einem bestimmten Zeitpunkt, einem Ereignis oder einem Zustand, also etwa lundi soir j' etais au cinema, aber nicht *}' etais souvent au cinema. Die Diskrepanz zwischen der deutschen und der französischen Verwendungsweise spiegelt sich in Fehlerbeispielen wie: (29) *J'etais en France pendant 10 mois. (m) Korrektur: Je suis restee... (30) *J'etais en France pendant cet ete pour un temps d'une semaine. (m) Korrektur: Je suis allee en France cet ete pour une semaine. Äußerungen dieser Art, die bei deutschen Sprechern sehr häufig anzutreffen sind, verstoßen gegen systematisierbare Unterscheidungen, sprachbedingt unterschiedliche Verwendungsregeln, die allerdings kaum gelehrt werden. Für den deutschen Sprecher entscheidend ist folglich das inhaltlich bestimmte allgemeine Konzept des [Sich-Befindens] gegenüber dem für den französischen Sprecher entscheidenden Konzept des [Sich-Befunden-Habens, als ...]. Nicht mehr systematisch auf mehr als einen Einzelfall anwendbar sind konzeptuelle Unterschiede zwischen den Sprachen, wie sie sich in den Beispielen (31) und (32) manifestieren: (31) *Elle ne doit pas couper [es droits de la personne. (s) Korrektur: porter atteinte aux droits [...] (32) *[...] pour faire bien ses etudes (m und s) Korrektur: reussir/ mener a bien [...] In diesen Fällen ist schon die Sichtweise und damit die Ausdrucksintention des Sprechers bedingt durch die in seiner Sprache üblichen Ausdrucksmittel. Die Formulierung jemandes Rechte beschneiden beruht auf einer ganz konkreten bildhaften Vorstellung im Gegensatz zu dem abstrakten porter atteinte. Sein Studium gut/ sinnvoll durchführen sagt etwas über den Prozeß des Studierens, während reussir! mener a bien auf den Enderfolg gerichtet ist. Die Art der mentalen Repräsentation einer außersprachlichen Gegebenheit ist also zumindest mitbestimmt durch die dem Sprecher aus seiner Muttersprache vertrauten Ausdrucksmittel. Sie führt zu deren Aktivierung und damit zur Suche nach äquivalenten L2-Einheiten. Nun möchten wir allerdings mit unseren Aussagen über den Ablauf von Prozessen bei der Produktion von Äußerungen in der Fremdsprache keinesfalls den Ein- FLuL 22 (1993) Ausdrucksschwierigkeiten als Merkmal von Lernersprache ... 125 druck erwecken, daß es möglich wäre, die Einflußquellen immer klar zu erkennen und sauber voneinander zu trennen. Ganz im Gegenteil greifen häufig wohl recht unterschiedliche und im Grad ihrer Wirksamkeit kaum einschätzbare Einflüsse ineinander. Folgendes Beispiel mag das verdeutlichen: (33) *Dans mon opinion on ne peut pas faire beau temps la. (s) Korrektur: Ce n'est pas du luxe / ce sera une dure epreuve / on n'y passera certainement pas une periode agreable. Aus derri Kontext läßt sich erschließen, daß die in der Makroebene konzipierte Äußerungsabsicht der vagen vorsprachlichen Idee [(im Schlafwagen wohnen) das wird sicher keine schöne Zeit / kein Ve~gnügen] entspricht. Dieses vorsprachliche Konzeptgeflecht bringt nun eine Reihe unterschiedlicher, sich vermischender Reminiszenzen zum Schwingen um hier. im Bild der Theo,rie von Aktivierungsausbreitung zu bleiben. Da ist vermutlich zum einen die unbestimmte und möglicherweise auf den strukturellen Ansatz beschränkte Erinnerung an zielspracfiliche metaphorische Wendungen für einen dem hier Anvisierten ähnlichen Zustand: faire la noce, etc. Zum anderen drängt sich die init dem Wort Zeit assoziativ verbundene französische Wortform temps auf, die intralingual wiederum assoziativ mit faire beau temps verknüpft ist. Das für die gesuchte Formulierung unbrauchbare faire leitet sich also wahrscheinlich aus zwei unterschiedlichen Quellen zugleich her. Die Crux aller Beschreibungsversuche derartiger Prozesse liegt darin, daß sie uns zu einer Linearisierung zwingi: : n, die die Versc; hlungenheit automatisch anklingender Reminiszenzen im tatsächiichen Prozeßablauf nicht abzubilden vermag. 4. Abschließende Überlegungen Versuchen wir nun, aus dem bisher Gesagten ein Fazit zu ziehen. Unsere erste Feststellung mag zunächst selbstverständlich erscheinen, nämlich: die Kenntnis eines sprachlichen Systems und die gewissenhafte Befolgung der darin sich manifestierenden Regeln sind zwar Grundvoraussetzungen für seine Verwendung, führen aber durchaus nicht ohne weiteres zu richtigem Sprachgebrauch. An sich weiß das jeder, der Sprache lehrt. Trotzdem wird die Tiefe der Kluft zwischen nur systemkonformem und gebrauchsadäquatem Sprechen überraschend deutlich, sobald Lerner spontane Gedanken äußern, ohne dabei an sprachliche Vorbilder anknüpfen zu können, wie das ja beim Gespräch über Texte oder gemeinsam erarbeitete Themen meist der Fall ist. Die Defizite in der Kenntnis von Gebrauchsnormen beziehen sich auf die kontextgerechte Verwendung von Einzelwörtern 8, auf die Verknüpfung von Wörtern zu syntaktischen Gruppen und auf die Anwendung syntaktischer Struktu- 8 Selbstverständlich gehören semantische Restriktionen zum Regelwerk des Systems, nur werden sie häufig nicht als solche wahrgenommen. FLuL 22 (1993) 126 Dorothea Möhle, Manfred Raupach ren. Gerade letzteres ist besonders zu betonen, weil sich die Aufmerksamkeit allgemein zwar auf die Fähigkeit zur Anwendung syntaktischer Regeln richtet, selten aber darauf, in welchen Kontexten die erzeugten Gebilde üblicherweise verwendet werden. Es zeigt sich also, daß der vielzitierten sprachlichen Kreativität weit engere Grenzen gesetzt sind, als man im allgemeinen annimmt. Der zweite wichtige Aspekt liegt in der Erkenntnis, daß reibungslose Sprachproduktion auf unbewußten und durch lange Gewöhnung weitgehend automatisierten Prozeßabläufen beruht, die nur begrenzt steuerbar sind. Sprachliche Kreativität um darauf zurückzukommen beginnt also da, wo der Sprecher über unterschiedliche, aber gleichermaßen kontextadäquate Ablaufmöglichkeiten verfügt. Daß in einer auf Unterrichtsbasis erworbenen Fremdsprache ein sehr viel geringeres Maß an Ablaufstrukturen gesichert ist als in der Muttersprache, erstaunt niemanden. Am deutlichsten tritt das zutage in fehlender Vertrautheit mit den oben erwähnten Formen des Sprachgebrauchs. Sie manifestiert sich in der Aktivierung und Übertragung muttersprachlicher Ausdrucksweisen, die dem Sprecher als solche nicht bewußt werden, da ihm die Gebrauchsformen der Fremdsprache nicht geläufig sind. Transfer ist vor diesem Hintergrund also zu sehen als Aktivierung relevanter Muster derjenigen Sprache, die mental am stärksten regsam ist. Ein so konzipierter Transferbegriff unterscheidet sich erheblich von dem behavioristischen, auf der Basis von Stimulus-Response-Verbindungen beruhenden Konzept. Während der behavioristische Stimulus ein sinnlich wahrgenommenes Phänomen der Außenwelt repräsentiert, ist das sprachauslösende Moment in der von uns vorgetragenen Theorie ein mentales Konzept, das bereits eine Verarbeitung von Außenwelt darstellt. An die Stelle der fertig übernommenen und fest assoziierten Response tritt ein Verarbeitungsergebnis, das durch unterschiedliche Einflüsse bei jedem Sprechakt anders ausfallen kann. Konsequenzen für die Sprachvermittlung sehen wir in folgendem: Da Lerner ihren eigenen prozeduralisierten Sprachgebrauch nicht als solchen erkennen und ihn auch nicht von den in der L2 üblichen abweichenden Gebrauchsformen unterscheiden können, muß ihre Aufmerksamkeit auf solche Unterschiede gelenkt werden. Das setzt vor allem die Abwendung von einem auf das isolierte Einzelwort gerichteten Lernen voraus und die Hinführung zu einer auf die Erfassung des Sprachgebrauchs gerichteten Rezeptionshaltung. Die Forderung nach bewußtem Erfassen steht nicht im Widerspruch zu dem immer wieder betonten Faktum, daß einmal prozeduralisierte Abläufe automatisch erfolgen. Wolff (1992: 195) spricht in diesem Zusammenhang ausdrücklich von „Sprachbewußtheit" und meint damit nicht nur das bewußte Erfassen grammatischer (wir würden hinzufügen: und lexikalischer) Strukturen, sondern auch „Bewußtheit für die Prozesse der Sprachverarbeitung". Zwar wird in der Muttersprache auch der allmähliche Prozeß der Prozeduralisierung unbewußt ablaufen; wenn es aber darum geht, den Geltungsbereich schon eingefahrener Prozesse zu relativieren, muß das Kontrastmodell mit seinen Anwendungsbedingungen zunächst zumindest in Teilbereichen bewußt erfaßt werden, bevor es automatisiert werden kann. Schüler und häufig auch Studenten FLuL 22 (1993) Ausdrucksschwierigkeiten als Merkmal von Lernersprache ... 127 können dies nicht von vornherein alleine leisten. Hier müssen Lehrende langfristig immer wieder zur Hilfestellung bereit sein, bis sich die Fähigkeit zum Erfassen relevanter Unterschiede zwischen den Sprachen entwickelt hat und das Beachten entsprechender Phänomene den Lernenden selbstverständlich geworden ist. Dabei sollten sich sowohl Lehrende als auch Lerner stärker als bisher auf geeignete Hilfsmittel stützen können, die es über die bestehenden Kollokationswörterbücher und vergleichenden Stilistiken hinaus zu entwickeln gilt. 9 Möglicherweise ist es in Anlehnung an die oben vorgetragenen Modellvorstellungen sinnvoll, Ausdrucksschwierigkeiten auf der Formulierungsebene anders zu begegnen als solchen auf der Konzeptualisierungsebene. Für den erstgenannten Bereich müßten entsprechende lexikographische Hilfsmittel Lerneräußerungen wie *enlever l' isolement oder *[...] pour qu' un accident puisse se developper en catastrophe ausschließen, und das vielleicht nicht nur „implizit", d.h. unter Aufzählung gebrauchskonformer lexikalischer Verbindungen, sondern durch explizite Zurückweisung solcher Verknüpfungen, die in der Zielsprache ungebräuchlich sind, aber erfahrungsgemäß selbst noch von fortgeschrittenen Lernern bevorzugt werden. 10 Zur Überwindung von Schwierigkeiten auf der Konzeptualisierungsebene erscheinen uns Ergebnisse der Art, wie sie etwa aus den Untersuchungen von Blumenthal (1987) hervorgehen, für den Französischunterricht von großer Relevanz. Bibliographische Angaben ANDERSON, J. R.: The Architecture of Cognition. Cambridge, MA 1983. BECIITEL, W./ ABRAHAMSEN, A.: Connectionism and the Mind. Cambridge, MA 1991. BLUMENTHAL, P.: Sprachvergleich Deutsch-Französisch. 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(1989). 10 Als interessante Grundlage für eine entsprechende Materialsammlung böte sich ein noch zu erstellendes deutsch-französisches Wörterbuch auf der Basis von Mel'cuk (1984 ff) an. FLuL 22 (1993) 128 Dorothea Möhle, Manfred Raupach KEMPEN, G. / HOENKAMP, E.: "An incremental procedural grammar for sentence formulation". In: Cognitive Science 11 (1987), 201-258. LEVELT, W. J. M.: Speaking: From Intention to Articulation. Cambridge, MA & London 1989. MEL'ClJK, I. A.: Dictionnaire explicatif et combinatoire du fran<; ais contemporain. Recherches lexico-semantiques I, II, Ill. Montreal 1984, 1988, 1992. MöHLE, D. / RAUPACH, M.: "Transfer of procedural knowledge". In: H.-W. Dechert / M. Raupach (eds.): Transfer in Language Production. Norwood, NJ 1989, 195-216. MORTON, J.: "Word recognition". In: J. Morton / J. C. Marshall (eds.): Psycholinguistics series 2. Structures and Processes. London 1979, 107-156. RUMELHART, D. E. / MCCLELLAND, J. L. 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