Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
1993
221
Gnutzmann Küster Schramm„Können Sie mir bitte erklären, was hier falsch ist?!”
121
1993
Bernd Kielhöfer
flul2210149
Bernd Kielhöfer "Können Sie mir bitte erklären, was hier falsch ist ? ! " Zum Problem von Fehlererklärungen Abstract. This article deals with the question of how French teachers go about explaining mistakes to pupils. Explanations of mistakes are linguistically and didactically demanding discourses, which clarify the question of norm and which give the pupils cognitive insights into the system of the language, so that the pupils can leam from their own mistakes. The explanations given by teachers only rarely meet the necessary requirements, although teachers of a foreign language should be able to explain mistakes adequately. Tue article tries to explain why these deficits exist and suggests ways of overcoming them. 1. Fragestellung und Methode Die Thematik dieses Beitrags ist Sprachschülern und ihren Lehrern nur zu gut ver~ traut: Arbeiten werden zurückgegeben, die Fehler sind unterstrichen. Einige Schüler verstehen einige Striche nicht; gerade die besseren, interessierten gehen zum Lehrer und fragen: "Können Sie mir bitte erklären, was hier falsch ist? ! " Manchmal bezieht sich die Frage/ Bitte nur auf die Norm: "Ist das wirklich ein Fehler? " Meist werden jedoch Erklärungen zur Fehlerhaftigkeit gefordert: "Was daran ist falsch, warum ist das falsch? " Wenn der Schüler tatsächlich durch Fehler lernen soll (~o heißt es ja), dann ist die jetzt fällige Erklärung des Lehrers äußerst wichtig: Was wird erklärt? Wie wird erklärt? Ist der Schüler anschließend klüger? Zu dieser Thematik sind uns keine Untersuchungen bekannt. Unzuverlässigkeiten und Unsicherheiten bei der Normsetzung werden zwar häufiger angesprochen (zuletzt wieder Bonheim 1983, Kielhöfer 1988, Legenhausen 1988). Auch die Rolle der Lehrerkorrektur wird zunehmend ein Thema der Sprachlehrforschung und Didaktik (Voss 1986, Kleppin/ Königs 1991, Königs 1992), aber über die Art, wie Lehrer Fehler erklären, wissen wir wenig oder nichts (siehe auch Mundzeck 1991: 601). . Wenn wir uns in diese Tabuzone des Unterrichts wagen, dann, weil wir meinen, daß die zentrale Tätigkeit des Sprachlehrers, nämlich Sprachen zu erklären, nicht schamvoll aus dem Fokus der Sprachlehrforschung und Didaktik ausgeblendet werden darf. Mit diesem Beitrag soll niemand angeklagt oder bloßgestellt werden die Untersuchung ist als Fallstudie auch gar nicht repräsentativ-, sondern es geht um erste Schritte in eine wichtige unbekannte Zone unterrichtlicher Tätigkeit. Es ist für den Außenstehenden schwierig, die quasi privaten Erklärungsgespräche zwischen Schüler und Lehrer zu beobachten. Wir haben darum versucht, die Erklärungssituation zu simulieren: Wir haben eine Liste mit fehlerhaften Sätzen zu- FLuL 22 (1993) 150 Bernd Kielhöfer sammengestellt, der „Fehler" war jeweils rot unterstrichen. Mit dieser Liste haben einige unserer Studenten ihre (ehemaligen) Französischlehrer an Schule und Hochschule aufgesucht und um Mithilfe gebeten. Die Studenten sollten zu den Fehlern der Liste eine Hausarbeit schreiben (Fehleranalyse). Sie baten die Lehrer, ihnen zu erklären, ob die angestrichene Stelle tatsächlich falsch sei (Frage nach .der Norm) und was daran falsch sei (Frage nach dem System). Die Studenten haben diese Lehrererklärungen sofort anschließend aus dem Gedächtnis protokolliert. Diese Simulation entspricht zwar nicht ganz der Realität, aber als erste Annäherung ist das Verfahren hinreichend valid. 1 2. Fehlererklärungen Damit die Thematik nicht zu weit ausufert, will ich im folgenden fünf schwierige Fehlerfälle aus dem Bereich des Artikels besprechen, an denen das Problem der Erklärungsdiskurse gut erkennbar ist. Die Lehrererklärungen fasse ich nach bestimmten Mustern zusammen. Da zwischen Gymnasial- und Hochschullehrern (Lektoren) keine wesentlichen Unterschiede erkennbar waren, werden sie hier nicht unterschieden. Um meine Kritik etwas konstruktiver•zu gestalten, schließe ich jeden Fall mit einem eigenen Erklärungsvorschlag ab. 2.1 Fehlerfall (1): parler fran<; ais, savoir l'anglais Im ersten Fall geht es um die Artikelsetzung nach den Verben parler und savoir. Der Fall besteht aus zwei kritischen Stellen, (a) und (b). Angestrichen war nur (b), aber (a) muß bei der Erklärung zwangsläufig mitberücksichtigt werden. Der Fehlersatz: je parle assez bien (a) franr; ais, mais je sais mieux ___ (b) anglais. Was ist bei (b) falsch? Alle neun Lehrer waren sich über die Norm einig: es muß der Artikel stehen: l' anglais. Bei der Erklärung kommt nun (a) ins Spiel. Zunächst die Norm: Drei Lehrer akzeptieren bei (a) nur den Nullartikel (! 1l-Artikel) parler franr; ais, sechs die Varianten ! 1)- und Je-Artikel, was wohl die tatsächliche Norm ist, wobei die ! 1)- Variante häufiger ist. Die Widersprüche zwischen den Strukturen (a) und (b) müssen erklärt werden, zumal (a) wahrscheinlich als Muster für Fehler (b) dient. Warum muß es savoir l' anglais heißen, wenn parler franr; ais erlaubt ist? 1 An dem Experiment haben neun Lehrer teilgenommen, ihnen danke ich für die Mitwirkung. Meinen Studenten, deren Unterlagen ich hier benutze, danke ich für ihre Unterstützung. FLuL 22 (1993) ,.Können Sie mir bitte erklären, was hier falsch ist? ! " 151 Erklärungsmuster 2 (1) fünfmal: parler franrais ist ein fester Ausdruck, sonst steht immer der Artikel, so auch bei anglais (2) zweimal: (3) zweimal: (4) einmal: der Artikel bestimmt näher, genauer, ohne Artikel ist zu unbestimmt ·der Artikel gehört (bei anglais) zum Nomen nach mieux muß der Artikel stehen. Was kann der Schüler mit diesen Erklärungen anfangen? Erklärung (1) beruht auf dem Muster von Regel und Ausnahme. Der feste Ausdruck parler franrais stellt die Ausnahme dar. Worauf bezieht sich diese Aussage? Nur auf parler franrais? Dann k~ man sofort anführen: sie gilt auch für parler allemand, italien, ...; im Gegensatz dazu gibt es aber auch parler le franrais, l' allemand; zudem muß es heißen: parler une langue und nicht parler Langue. Nach parler kann also sehr wohl der Artikel stehen, manchmal muß er sogar stehen. Warum ist parler franrais gegenüber savoir l' anglais eine Ausnahme? Erklärung (1) enthält zwar richtige Ansätze, ist aber in d~eser Form unbrauchbar. Er.t<Järung (2) greift auf allgemeine Eigenschaften des Artikels zurück. Da sowohl franrais als am; : h anglais hier generisch gebraucht werden, sind sie gleich gut bestimmt, Erklärung (2) geht ins Leere. Erklärung (3) ergibt nur dann einen Sinn, wenn wir den Zusatz machen: nach savoir muß der Artikel. stehen. Erklärung (4) kann man sofort durch die Bildung je parle mieuxfranraislanglais ad absurdum führen. Alles in allem sind die Schüler durch diese Erklärungen wohl nicht klüger geworden. Erklärungsvorschlag Die Erklärung muß .bei den Sprachbezeichnungen franrais, anglais, allemand etc. und bei den Verben parler und savoir ansetzen. Die Sprachbezeichnungen sind sowohl Adjektive als auch Nomen. Wenn sie als Nomen benutzt werden, stehen sie. normalerweise mit dem Artikel, also parler lefranrais und savoir l' anglais. Das Verb parler ist in gewisser Weise.eine Ausnahme gegenüber anderen Verben, die eine Verbindung mit den Sprachbezeichnungen eingehen, also apprendre Je franrais, savoir l' anglais etc., hier ist der Sprachenname complement d' objet direct und steht ganz normal mit Artikel. Die Beziehung zwischen parler + franrais in parler franrais ist auf verschiedene Weise deutbar: (1) franrais ist ein artikelloses complement, das in dieser Form historisch ererbt ·· 1st. Da diese Struktur sehr häufig vorkommt, hat sie zu Analogien geführt, etwa parler politique, parler affaires oder für andere Verben: acheter franrais. 2 Da auch Mehrfacherklärungen vorkommen, kann die Summe größer sein als neun. FLuL 22 (1993) 152 Bernd Kielhöfer (2) franr; ais ist Adverb und funktioniert etwa so wie sentir bon. Weitere Belege für eine solche Struktur sind parler fort, parler haut. Gegen eine solche Interpretation spricht die Beobachtung, daß man den Ausdruck wohl nicht mit "parler franr; aisement" umschreiben kann; in parler bien franr; ais ist zudem der Platz des Adverbs schon besetzt, so daß franr; ais etwas anderes sein muß. (3) franr; ais ist Prädikatsnomen, zu interpretieren wie je suis Franr; ais, je deviens Franf: ais. Allerdings gehört parler nicht zur Kategorie der Verben mit Prädikatsnomen. Die Beziehungen zwischenparler undfranr; ais sind also schwierig zu erklären. Die hier vorgeschlagenen Deutungen ,sind nicht alle gleich befriedigend, zum Teil widersprechen sie sich, z.B. (2) und (3), am plausibelsten ist (1). 2.2 Fehlerfall (2): avec insolence Im zweiten Fall geht es um die Artikelsetzung nach der Präposition avec. Der Fehlersatz: eile vous regardait dans les yeux avec de l' insolence. Hier ist zunächst die Norm problematisch, was auch in den Lehrerurteilen zum Ausdruck kommt: fünfmal wurde hier ein Fehler gesehen, die Norm fordert den fl)- Artikel avec insolence. Viermal wurde kein Fehler gesehen. Ob als Variante dazu der fl)-Artikel akzeptiert wird, bleibt offen. Die Unsicherheiten in der Norm haben wir auch bei französischen native speakers festgestellt: avec insolence wurde als bessere Form bewertet, avec de l' insolence wurde jedoch auch akzeptiert. Die Erklärungen müssen beide Varianten erfassen. E r k 1 ä r u n g s m u s t e r zunächst: wie wird der fl)-Artikel erklärt? (1) fünfmal: (2) zweimal: (3) zweimal: (4) einmal: (5) einmal: (6) zweimal: (7) zweimal: Es ist ein fester Ausdruck, darum steht kein Artikel, ähnlich wie avec plaisir Das Wort wird adjektivisch gebraucht, darum steht kein Artikel Es steht kein Artikel, weil das Nomen abstrakt ist Es steht kein Artikel, weil das Nomen ein Gefühl ausdrückt Bei sans steht ja auch kein Artikel wie wird die Variante avec de l' insolence begründet? avec verlangt den Partitiv, es ist Teil einer Menge nach meinem Sprachgefühl muß es de l' insolence heißen, avec plaisir ist eine Ausnahme. Das wichtigste Erklärungsmuster ist auch hier das der Ausnahme zu einer nicht explizit genannten Regel. Was allerdings der „feste Ausdruck", die Ausnahme also ist, wird von verschiedenen Lehrern verschieden beurteilt. Geradezu diametral sind in dieser Beziehung Erklärung (1) und (7). Diese Erklärungsmuster führen folglich schnell in die Sackgasse. FLuL 22 (1993) "Können Sie mir bitte erklären, was hier falsch ist? ! " 153 In den anderen Erklärungen sind z.T. (natürlich)' Erinnerungen an die gelernte Grammatik erkennbar, so z.B. in (2). Allerdings sind sie ziemlich verblaßt; korrekt sollte es wohl heißen: wenn der Ausdruck einen adverbialen Wert hat, also zu umschreiben ist mit "insolemment" (wie hier.möglich), steht kein Artikel. Ob diese Regel der Schulgrammatik sehr erklärungsmächtig ist, möchte ich indes bezweifeln. Erinnerungen an die Schulgrammatik liegen auch in (3) und (6) vor, jedoch sind die Erklärungen in dieser Form unzureichend. Das gilt in noch stärkerem Maße für (4) und (5). Auch in Fehlerfall (2) wird der Schüler durch die Erklärungen wahrscheinlich nicht klüger werden. Erklärungsvorschlag Es wäre zunächst darauf hinzuweisen, daß die Norm beide Varianten akzeptiert. Sie haben nicht nur einen unterschiedlichen Stilwert, sondern bedingen auch kleine semantische Verschiebungen. Um dies zu verdeutlichen, ist auf die Grundfunktion des Partitiv zu verweisen: er ist ein Mengenartikel, der unbestimmte, nicht-zählbare Teilmengen angibt und als solcher an der Schwelle des Neufranzösischen iin 15./ 16. Jahrhundert vor allem ins Französische eingedrungen ist. Sein eigentlicher Platz ist vor Stoffnamen boire du vin, manger du pain, von da hat er sich auch auf Abstrakta ausgedehnt, z.B. j' ai du courage. Hier ist aber auch noch häufig der ältere fll-Artikel erhalten, z.B. j' ai envie, so daß in ähnlichen Strukturen der ältere Nullartikel und der jüngere Partitiv bei Abstrakta nebeneinander existieren. Das Setzen des Partitiv vor Abstrakta ist eigentlich nicht sehr sinnvoll, da· Abstrakta keine Mengen sind (Mengen bestehen aus konkreten· Stoffen); jedoch kann der Pan1tiv die Abstrakta in gewissem Sinne konkretisieren. Courage z.B. wird zu einem konkreten Stoff, wenn ich sage: j' ai du courage. Das gilt auch für die Strukturen nach avec: hier existieren nebeneinander avec courage und avec t; iu courage, avec patience und avec de la patience etc. Die Aufteilung in Ausnahme und Regel ·ist nicht möglich. Auf unseren Fall angewandt: eile vous regardait dans / es yeux avec · de l' insolence heißt, daß insolence durch den Partitiv gewissermaßen zu einem Stoff wird, in eine 'Menge verwandelt wird, was den Ausdruck sehr stark macht. Normal~rweise ist er sicher nicht so expressiv, ist eher adverbial zu interpretieren als "insolemment", und daher ist der fll-Artikel hier gebräuchlicher. Wir greifen also auf die Regeln der Schulgrammatik zu den Abstrakta und adverbialen Verwendungsweisen zurück, versuchen aber ·das System vom·Wechsel avec courage I avec du courage in einem größeren Zusammenhang zu erklär~n. 2.3 Fehlerfall (3): ü est professeur / c'est un professeur Im dritten Fall geht es um zwei Strukturen mit der Kopula est, die sich in der Artikelsetzung sehr unterschiedlich verhalten. FLuL 22 (1993) 154 Bernd Kielhöfer Der Fehlersatz (3a) il est un professeur de droit ist unbedingt in Beziehung zu setzen zu (3b) c' est un professeur de droit, zumal (3b) wahrscheinlich als Muster für (3a) gedient hat. Bei (3a) kann man sich zwar Kontexte vorstellen, in denen un akzeptabel ist, normalerweise steht hier jedoch kein Artikel. Erklärt werden muß, warum hingegen in (3b) ein Artikel stehen muß. Erklärungsmuster zu Satz (3a) (1) achtmal: (2) zweimal: (3) einmal: Artikel darf nicht stehen, weil es eine Berufsbezeichnung ist Es ist genau wie im Deutschen Weil das Personalpronomen vor der Berufsbezeichnung steht zu Satz (3b) (4) sechsmal: nach c' est muß der Artikel stehen (5) zweimal: ce fordert den Artikel, weil es hervorhebt (6) einmal: un muß stehen, weil ein Attribut folgt Einige Erklärungen enthalten Ansätze einer Begründung: (1), (3), (5). Andere sind rein normative Setzungen, besonders (4). Die entscheidenden Informationen werden jedoch nirgends gegeben, ja (6) ist völlig widersinnig und (2) trivial gefährlich. Erklärungsvorschlag Die entscheidende Rolle spielt die Kopula etre: il est leitet in (3a) ein Prädikatsnomen ein. Beim Prädikatsnomen wird das Subjekt, hier il mit dem Prädikatsnomen gleichgesetzt. (Darauf spielt wohl Erklärung (3) an): il = professeur. Die enge Zusammengehörigkeit wird auch dadurch ausgedrückt, daß der Artikel zwischen beiden fehlt. Die Tatsache, daß Berufsbezeichnungen ohne Artikel stehen, zeigt, daß sie eng zum Subjekt (der Person) gehören, mit ihr gleichgesetzt werden. In (3b) ist c' est hingegen Präsentativ, es funktioniert wie voici, voila als Ganzes. Es leitet kein Prädikatsnomen ein, es gibt keine Gleichsetzung von ce = professeur, darum muß nach dem Präsentativ der Artikel stehen. (Es sei angemerkt, daß in der Grammatik von Klein/ Kleineidam 1983, § 50, hierzu falsche Erklärungen abgegeben werden.) 2.4 Fehlerfall (4): jene veux pas des/ de discours, mais des actes Fehlerfall (4) betrifft den sehr komplexen Bereich der Artikelsetzung nach der Verneinung. Der Fehlersatz (4a) ist in Beziehung zu setzen zu zwei ähnlichen Strukturen, die interferieren: (4a) je ne veux pas des discours, mais des actes (4b) jene veux pas de discours (4c) ce ne sont pas des discours que je veux. FLuL 22 (1993) ., Können Sie mir bitte erklären, was hier falsch ist? ! " 155 Im Satz (4a) stellt sich zunächst das Problem der Norm: Ist des hier wirklich fehlerhaft, sollte es de heißen? Von französischen native speakers wird beides akzeptiert. Handelt es sich dabei um Varianten oder stehen sie in Opposition? Wie verhält sich (4a) zu (4b) und (4c)? Erklärungsmuster (1) siebenmal: Nach pas muß immer de stehen, das ist die normale Verneinung, nur bei etre gilt das nicht (2) zweimal: Es kann auch des stehen, weil das mais der Verneinung einen anderen Sinn gibt (3) dreimal: Kann ich nicht erklären, bin unsicher. Die Normunsicherheit wird hier auch in den Erklärungen ausgesprochen. Als Reaktion darauf wird überwiegend Regel (1) angeführt, die eine einfache Ordnung erlaubt. Erklärung (1) läßt sich jedoch leicht widerlegen, z.B. durch il ne dit pas la verite, je n' aime pas la biere u.a., hier steht nach pas nicht de. Zum anderen ist zu fragen, ob verneintes etre tatsächlich eine Ausnahme ist. Erklärung (2) versucht das Funktionieren der Verneinung semantisch mit einzubeziehen. Hier wirken auch Erinnerungen an die Schulgrammatik: "Wenn der verneinte Satz einen bejahenden Sinn hat (oder ähnliches), dann steht der volle Artikel". Diese Aussage enthält zwar Ansätze einer Erklärung, ist aber in dieser Form nicht plausibel. Erklärungsvorschla~ Das Französische verfügt über zwei Arten der Verneinungsartikel, die in Opposition stehen. Wenn Mengen, Quantitäten verneint werden, steht de. Das de steht nach ~.~~~~~~~~~~~~~~·~~ Nullmenge an, z.B. je n' ai pas d' argent, so funktioniert pas de auch in (4b) jene veux pas de discours. Wenn hingegen Qualitäten verneint werden, steht der volle Artikel. Am deutlichsten geschieht das beim Verb etre, mit dem man ja Aussagen über Qualitäten macht: c' est la verite, ce n' est pas la verite, c' est du vinaigre, ce n' est pas du vin. Etre ist keine Ausnahme, sondern die Prädikatsstruktur mit etre ist der Prototyp der Qualitätsaussage. Verneinung von Qualitäten finden wir aber auch bei anderen Verben, so den oben angeführten Beispielen: il ne dit pas la verite (hier geht es um die Qualität des Gesagten, nicht um die Quantität) oder je n' aime pas la biere (hier geht es um die Qualität des Getränkes. Implizit besteht eine Opposition zu anderen Getränken: mais le vin z.B.). Eine solche Qualitätsverneinung liegt auch in (4a) vor. Es wird nicht eine Nullmenge genannt, sondern es werden T a t e n anstelle von R e d e n gefordert, das mais insbesondere schafft die Opposition zwischen discours und actes, darum sollte des stehen (diese Erklärung findet sich auch im Erklärungsmuster (2) angedeutet). FLuL 22 (1993) 156 Bernd Kielhöfer Die subtile Opposition zwischen Verneinung einer Qualität und Verneinung einer Quantität geht im Französischen langsam verloren. Es besteht die Tendenz, pas de zu generalisieren, das darum auch in (4a) akzeptiert wird. Nur beim Prototyp der Qualitätsverneinung, dem verneinten etre, bleibt sie voll erhalten. 2.5 Fehlerfall (5): prendre du/ le / un the Der Fehlerfall (5) liefert ein gutes Beispiel, die wichtigsten Oppositionen des französischen Artikelsystems zu erklären: (5) oh, deja 4 heures, nous allons prendre du the. Die Frage, ob das du hier falsch ist, berührt das System der französischen Artikel. Erklärt werden müssen die Unterschiede zwischen un / Je/ du the, woraus sich dann eventuell die Zurückweisung des du ergibt. Erklärungsmuster (1) siebenmal: es muß Je the heißen, weil (a) viermal: eine Gewohnheit genannt wird (b) einmal: die Uhrzeit bestimmt ist (c) einmal: le the ein fester Begriff ist (d) einmal: le the eine Einrichtung ist (2) viermal: es kann auch un the heißen, es bedeutet aber, (a) zweimal: daß es ein einmaliges Ereignis ist (b) zweimal: es bedeutet une tasse de the (3) neunmal: der Partitiv du the ist nicht möglich, weil (a) viermal: es keine Teilung ist (b) zweimal: weil es prendre Je the heißt Die Erklärungsmuster zu Fehlerfall (5) sind insgesamt befriedigender als die vorausgehenden, begriffliche Unklarheiten bleiben aber bestehen: "die Uhrzeit" in ( 1b ), der „feste Begriff' in (lc). Hinter anderen Erklärungen kann man nur das Gemeinte erraten (ld). Ob die Fehlerhaftigkeit des du durch die Begründungen (3a) und (3b) einsichtig wird, muß auch bezweifelt werden, denn tatsächlich bleibt the ja eine Teilmenge, wenngleich in diesem Kontext diese Bedeutung nicht dominant ist. Erklärungsvorschlag Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Artikeln müssen verdeutlicht werden: prendre du the heißt: eine unbestimmte nicht~zählbare Menge Tee. prendre un the heißt: eine unbestimmte zählbare Menge Tee, also eine Tasse Tee. Der Plural wäre des thes, was in Erklärung (2b) richtig angeführt wird. FLuL 22 (1993) "Können Sie mir bitte erklären, was hier falsch ist? ! " 157 prendre le the heißt: es wird üblicherweise Tee getrunken; die generische Funktion drückt das Französische mit dem bestimmten Artikel aus, so z.B. auch j' aime le the (ich mag Tee generell). Nach dem Kontext ist hier die generische Funktion die plausibelste. Sie wird im übrigen in allen Erklärungen (la) bis (ld) anvisiert. Die Uhrzeit, das Adverb deja und die Interjektion sprechen dafür, daß es sich um eine allgemeine und feste Einrichtung handelt: darum als beste Lösung le the. Aber auch un the ist in diesem Kontext vorstellbar. Die Bedeutung verlagert sich dann vom Generischen zum Einmaligen, was in Erklärung (2a) richtig angesprochen wird. Der Partitiv du the ist wenig plausibel, aber nicht falsch. Das Konzept der Teilmenge „Tee" bleibt in allen drei Strukturen erhalten, ist aber nicht gleichermaßen dominant. Der Kontext im vorgegebenen Satz aktualisiert so stark die generische Funktion des Artikels, daß demgegenüber die partitive zurücktritt. Das ist wohl auch in Erklärung (3a) gemeint. 3. Zum Problem von Spracherklärungen Nachdem wir anhand von fünf Fallbeispielen exemplarisch die Problematik von metasprachlichen. Erklärungen vorgestellt haben, wollen wir nun versuchen, die wichtigsten Punkte nochmals systematisch zusammenzufassen. 3.1 Was wird von einer Erklärung verlangt? Eine gute Spracherklärung umfaßt zwei Bereiche: sie macht Aussagen zur Norm, die möglichst differenziert ausfallen sollen. Das einfache Muster, richtig oder falsch, wird der Sprachwirklichkeit meist nicht gerecht, obwohl es sowohl bei Schülern als .auch bei Lehrern sehr beliebt ist. Zum anderen werden Erklärungen zum Sprachsystem erwartet. Wir haben in den fünf Fehlerfällen versucht, am eigenen Vorschlag zu illustrieren, wie solche Erklärungen aussehen können. Es handelt sich gleichermaßen um didaktische wie auch um metasprachliche Diskurse, die ureigentliche Domäne des Sprachlehrers also. Er soll komplexe Strukturen so vereinfachen, daß sie durchschaubar werden, ohne sie darum zu verfälschen; es soll Unbekanntes auf Bekanntes zurückführen, isolierte Fälle in den Zusammenhang rücken, Arbiträres, wann immer, motiviert machen. Natürlich ist vieles nicht mit mathematischer Evidenz erklärbar. Sprachen sind ihrem Wesen nach arbiträr, als historische Schöpfungen stecken sie zudem voller Ungereimtheiten und Unregelmäßigkeiten, die nur historisch philologisch erklärt werden können. Diese natürlichen Schranken setzen der Erklärung ihre Grenzen. Es muß dennoch darum gehen, das Funktionieren des Systems begreifbar zu machen: wie funktionieren die Oppositionen zwischen je prends le the / du the / un the? Warum das System im Französischen so aussieht, warum sich in einer Sprache ein FLuL 22 (1993) 158 Bernd Kielhöfer komplexes Artikelsystem entwickelt, eine andere ohne dieses auskommt, dies muß im Sprachunterricht nicht mehr erklärt werden, kann freilich metasprachlich und historisch interessierten Schülern auch noch erklärt werden. 3.2 Die wichtigsten Mängel der Erklärungsmuster Die häufigsten Erklärungsmuster wollen wir hier nochmals auf ihre Defizite hin analysieren: Eine wichtige Erklärung ist die von der Ausnahme zur Regel. "Das ist richtigfalsch, weil es eine Ausnahme ist! ". Das Muster setzt voraus, daß ich die dazugehörende Regel auch benennen kann. In der Tat, wenn ich eine Ausnahme auf eine Regel zurückführen kann, vermag ich sie in das System einzuordnen. Regel und Ausnahme müssen indes Grundfunktionen gemeinsam haben, sonst kann ich sie nicht aufeinander beziehen. Es gibt zum Beispiel die Regel im Fanzösischen, daß nach Mengenadverbien der Artikel de steht (beaucoup de, peu de, pas de), eine Ausnahme dazu ist bien des. Aber schon la plupart des ist keine Ausnahme mehr dazu, weil es sich um ein durch den Artikel bestimmtes Nominalsyntagma und eben kein Adverb handelt. Die syntaktische Grundfunktion ist anders, verhält sich zum Artikel regelmäßig, etwa so wie le plus grand nombre des. So ist das verneinte etre auch keine Ausnahme zur Regel, daß nach pas de steht; avec du courage ist keine Ausnahme zu avec courage (oder umgekehrt? ), sondern hier funktioniert das System anders, die Strukturen stehen in Opposition was zu erklären ist. Die Behauptung, "es ist ein fester Ausdruck, eine Ausnahme" ist Flucht oder Ausweg im Extremfall könnte man auch so erklären: "Das passe simple ist eine Ausnahme zum imparfait" offensichtlich eine absurde Erklärung. Ein anderes häufiger wiederkehrendes Erklärungsmuster ist der Rückgriff auf die Muttersprache. Der Sprachvergleich kann in der Tat hilfreich sein und manches verdeutlichen, aber er ist ohne Wert in der pauschalen Form: "es ist im Deutschen ja auch so" denn es gibt genauso viele Strukturen, die im Deutschen nicht so sind, was soll diese Erklärung erklären? Beunruhigend an den gehörten Erklärungsmustern ist nicht so sehr die Tatsache, daß sie zu ungenau oder zu pauschal sind, sondern eher der Tatbestand, daß sie die Fähigkeit zur linguistischen Abstraktion vermissen lassen. Es gelingt nur selten, das eigene Sprachgefühl (oder die Intuition, die ja durchaus vorhanden ist) in eine metasprachliche Erklärung umzusetzen. Zentral metasprachliche Beschreibungskategorien wie Regel, Ausnahme,Jester Ausdruck, aber auch grammatische Kategorien wie Attribut, Prädikatsnomen, Kopula etc. werden nicht richtig beherrscht kurz, das Handwerkszeug ist nicht verfügbar. Dazu fehlt auch die Fähigkeit, grammatische Strukturen zu interpretieren. Bei einer Erklärung müssen diese nämlich interpretiert werden ähnlich wie ein Gedicht; und dafür gibt es bestimmte Methoden und Verfahren, die offensichtlich weitgehend unbekannt sind. Die Ergebnisse solcher Interpretationen müssen nicht immer gleich· überzeugend sein, FLuL 22 (1993) "Können Sie mir bitte erklären, was hier falsch ist? ! " 159 so z.B. meine verschiedenen Deutungen von parler francais im Fehlerfall (1), aber sie müssen in sich kohärent sein. Die gehörten Erklärungsmuster lassen hier große Defizite erkennen. 3.3 Warum sind die Erklärungen so mangelhaft? Wenn man nach den Ursachen für die Defizite fragt, kann man diverse'Gründe zur Entlastung anführen. Zuerst muß man sagen, daß die Fehlererklärungen nicht immer so unbefriedigend sind, wie die in diesem Beitrag dokumentierten. Erklärungen zu lexikalischen Problemen fallen z.B. besser aus. Es ist offensichtlich leichter, über Wörter als über grammatische Probleme zu reden. Aber auch in der Grammatik gibt es Gebiete z.B. die Tempora -, die vertrauter sind und die darum besser erklärt werden. Generell gilt aber auch hier: die Qualität grammatischer Erklärungen ist schlecht, die ·fünf dokumentierten Beispiele sind durchaus typisch. Als zweites muß erwähnt werden, daß es sich bei den fünf Fehlerfällen um sehr komplexe und schwierige Strukturen handelt, die häufig auch in den gängigen Schulgrammatiken gar nicht, schlecht oder falsch erklärt werden. Des weiteren muß der Zeitfaktor zur Entlastung angeführt werden. Es ist in der Tat schwierig, ad hoc, unter Zeitdruck kohärente Erklärungen zu solch komplexen Problemen abzugeben, wie wir sie vorgelegt haben. Der Zeitdruck ist in den Erklärungsmustern auch erkennbar. Mein eigener Etklärungsvorschlag ist dagegen ein nach Reflexion entstandener elaborierter Diskurs. · Ich möchte darum deµ Sprachlehrern empfehlen, schwierige Fehlererklärungen nicht sofort und spontan abzugeben. ·Es ist durchaus sinnvoll, Zeit einzufordern: „Das kann ich im Moment nicht begründen, ich muß mich informieren und darüber nachdenken die Antwort bekommst du morgen! '' Auch die didaktische Schwierigkeit sei zur Entlastung angeführt. Schüler haben meist von Grammatik "keine Ahnung", beherrschen deren Terminologie nicht. Der Entwurf metasprachlicher Erklärungen ist eine didaktisch äußerst schwierige Aufgabe: linguistisch korrekt und gleichzeitig didaktisch ei: nfach soll er sein hier muß der Sprachlehrer schwierige Kompromisse eingehen. Aber: wie will er diese Aufgabe bewältigen, wenn er selbst Probleme hat, seine Intuition in Worte zu fassen? Als letzter Punkt sei schließlich die Ausbildungssituation angeführt. Der zukünftige Sprachlehrer lernt an der Universität nicht oder nur sehr indirekt, Sprache zu erklären. Die angebotenen Linguistikveranstaltungen sind meist so „abgehoben", daß sie für die zentrale Tätigkeit des Sprachlehrers nichts einbringen. So ist dieser eher ein Literaturlehrer, manchmal,· auch ein Landeskunde- und Linguistiklehrer, selten ein Sprachlehrer. FLuL 22 (1993) 160 Bernd Kielhöfer 4. Konsequenzen Je nach Einschätzung des Defizits zeichnen sich verschiedene Konsequenzen ab: Ist man der Meinung, daß ein Sprachlehrer im Unterricht Sprache auch erklären muß, so muß man danach trachten, die Mängel zu beheben. Das heißt unter anderem, das Linguistikstudium so zu reformieren, daß der zukünftige Sprachlehrer erlernt, Sprache kompetent zu erklären. Ist man der Meinung, daß der Schüler im wesentlichen auf Grund seiner Intuition lernt (also alleine), dann braucht er keine Erklärungen. Wenn Erklärungen (zumal schlechte und falsche) eher hinderlich als förderlich sind (so z.B. Wode 1974), sollte der Lehrer ganz darauf verzichten. Die Korrektur würde nur darin bestehen, die Norm festzustellen. Es 'muß hier, nicht angeführt werden, was eine solche Konsequenz für den Sprachunterricht und den Berufsstand des Sprachlehrers bedeuten würde. Bibliographische Angaben BONHEIM, H.: "Schrittweise zur Validität". In: T. Finkenstaedt/ F.-R. Weller (Hrsg.): Der Schülerwettbewerb Fremdsprachen im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft (Symposium Wildsteig). Augsburg 1983 (1. & I. Schriften), 123-160. FINKENSTAEDT, T. / WELLER, F.-R. (Hrsg.): Schrittweise zur Validität. Der Schülerwettbewerb im Stifterverband für die deutsche Wissenschaft 1974-1984. Augsburg 1988 (1. & I. Schriften 41). KIELHÖFER, B.: "Woran scheitern die Kandidaten in den Klausuren des Schülerwettbewerbs Fremdsprachen? Einige Beobachtungen zu einer Stichprobe von Französischklausuren". In: Finkenstaedt / Weller (Hrsg.) 1988, 253-272. KLEPPIN, K. / KÖNIGS, F. G.: Der Korrektur auf der Spur. Untersuchungen zum mündlichen Korrekturverhalten von Fremdsprachenlehrern. Bochum 1991. KÖNIGS, F. G.: "'Lernen' oder 'Erwerben' Revisited. Zur Relevanz der Zweitsprachenerwerbsforschung für die Sprachlehrforschung". In: Die Neueren Sprachen 91 (1992), 166-179. LEGENHAUSEN, L.: "Fehler-Fuzziness und Bewertungsvarianz". In: Finkenstaedt / Weller (Hrsg.) 1988, 211-234. MUNDZECK, F.: "Schüler machen Fehler: Überlegungen aus pädagogischer und fremdsprachendidaktischer Sicht". In: Die Neueren Sprachen 90 (1991), 586--606. Voss, B. (Hrsg.): Unterrichtssprache im Fremdsprachenunterricht. Beiträge zur Theorie und Praxis einer berufsbezogenen Fachsprache des Fremdsprachenlehrers. Bochum: AKS 1986. WODE, H.: "Natürliche Zweisprachigkeit. Probleme, Aufgaben, Perspektiven". In: Linguistische Berichte 32 (1974), 15-36. FLuL 22 (1993)