eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 22/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
1993
221 Gnutzmann Küster Schramm

Ekkehard Eggs / Isabelle Mordellet: Phonétique et Phologie du français. Théorie et pratique

121
1993
Bernd Stefanink
Ekkehard Eggs / Isabelle Mordellet: Phonétique et Phologie du français. Théorie et pratique. Tübingen: Niemeyer 1990 (Romanistische Arbeitshefte 34), 135 Seiten [DM 18,80]
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Ekkehard Eggs / Isabelle Mordellet: Phonetique et Phonologie du fram; ais. Theorie et pratique. Tübingen: Niemeyer 1990 (Romanistische Arbeitshefte 34), 135 Seiten [DM 18,80]. Es handelt sich um ein Lehrbuch für den universitären Französischunterricht, das als Grundlage für die Einführung in diese an den meisten Universitäten als „Pflichtveranstaltung" ausgewiesene Domäne gedacht ist. Als solches habe ich es zwei Semester in meiner in französischer Sprache abgehaltenen Veranstaltung erprobt. Daß es auf Französisch geschrieben war und in einer für den universitären Französischunterricht so empfehlenswerten Reihe erschien, ließ es mich „blindlings" als Basislektüre empfehlen, da ich mir davon eine kontrastiv angelegte Berücksichtigung der deutschen Adressaten versprach, auf welche die bisher empfohlene Einführung von F. Carton (/ ntroduction a la phonetique du franr; ais, Paris 1974) verständlicherweise nicht eingehen konnte. Die Verfasser wollen sich zwischen einer wissenschaftlichen Darstellung als Selbstzweck und einer kasuistischen Aussprachekorrektur ohne systematischen Hintergrund angesiedelt wissen. Ob dies geglückt ist, mag zum Teil von den Adressaten selbst abhängen. Meine'Studenten begannen jedenfalls erst aufzuatmen, als wir bei der Gesamtdarstellung des Konsonantensystems, gefolgt von der des Vokalsystems, angelangt waren. Die Autoren widmen diesem Thema Kapitel 4 und 5, um den traumatisierenden Schock einer zu abstrakten systematischen Darstellung gleich auf den ersten Seiten zu vermeiden. Statt dessen wird der Studierende auf dem sanften Weg über Erklärungen zum unterschiedlichen Rhythmus im Französischen und Deutschen an die Problematik herangeführt. Dies jedoch mit Schockerlebnissen anderer Art, die den Lehrenden immer wieder zu lang ausholenden Erklärungen oder frustrierenden Vertröstungen auf später zwingen. So wird z.B. mit Begriffen wie «groupe rythmique» (7) oder «phoneme» (9) operiert, ohne daß diese definiert sind. Auf meine mit den Darstellungsmustern generativer Linguistik wenig vertrauten Kursteilnehmer/ -innen wirkten auch die Formalisierungen der Nasalierungsregeln abschreckend (16). 1 Verwirrend wirkt auch die Benutzung von Symbolen und Termini mit einem anderen Sinn als dem unter Fachleuten etablierten. So heißt es auf S. 9: «le phoneme se trouve [...] a la fin d'un mot [...]», als Beispiel werden angegeben: un boN garr; on; il dorT toujours, wobei N_ das betreffende wortauslautende Phonem darstellen soll. Dies als Beispiel fiir «types de position» zu geben, ist nun wirklich irreführend: das letzte Phonem in den Beispielwörtern ist "nasalisiertes o" bzw.rund nicht n und t, die hier nur im Schriftbild, als «lettres», auftauchen. Davon abgesehen wird die Majuskel herkömmlicherweise zur Darstellung eines Archiphonems im Falle einer Neutralisierung benutzt. Ähnlich verhält es sich mit den Schrägstrichen, mit denen herkömmlicherweise in Fachbüchern zur Phonologie eine phonologische Transkription angezeigt wird. Die Verfasser benutzen sie unbekümmert zur Kennzeichnung eines Schriftzeichens: «Le 100 se comporte comme 80 s'il est suivi d'un autre chiffre (il ne porte donc pas de / s/ de pluriel) ... Cependant s'il n'est pas suivi d'un autre chiffre et qu'il soit un multiple de 100, cent prend un / sl. On a donc deux cents Allemands, ou cinq cents auditeurs» (11). Hier wird der Leser auch sofort den "Doppelfehler" bemerkt haben, der zur Verwirrung des Phonetiklerners zusätzlich 1 Demgegenüber versicherte mir Frau Mordellet bei einer entsprechenden Rückfrage, daß sich ihre Studenten mit diesen Schemata sehr schnell anfreunden konnten. FLuL 22 (1993) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 239 beiträgt: (1) ist ls/ ein rein orthographisches Zeichen, sollte es nicht zwischen Schrägstrichen stehen (und dies ist hier der Fall). (2) Signalisieren die Schrägstriche aber Laute (was ab Kapitel 6 PHONETIQUE ET PHONOLOGIE der Fall ist), so müßte hier ein stimmhaftes / z/ stehen, das die Liaison anzeigt. Daß die Verfasser in diesem einleitenden Kapitel, in dem es u.a. um das Phänomen der Liaison am Beispiel der Zahlen geht, gerade ausdrücklich die Zahl quatre von ihrer Behandlung ausschließen, mit der Begründung «puisqu'il ne se termine pas par une consonne» (11) wobei wiederum die Vermischung von Schriftbild und Aussprache zum Ausdruck kommt -, ist bedauerlich, bietet doch gerade diese Zahl ein schwieriges Beispiel aus der Alltagssprache, mit dem sich die Studierenden irgendwann auseinandersetzen müssen. Bekanntlich wird entre quatre yeux mit einem [z] «de liaison» analogischen Ursprungs zur Markierung des Plurals ausgesprochen, obwohl dieses nie im Schriftbild auftaucht ein Beispiel, das auch der in der Bibliographie von den Verfassern angeführte G. Gougenheim anführt.2 Desgleichen ist «valeur» bei de Saussure (Cours de linguistique genirale, 1972, 152 ff) ein terminus technicus. Diejenigen, die gerade parallel eine Einführung in die allgemeine Linguistik besuchen, müssen einigermaßen verwirrt sein, wenn sie lesen «T. a donc plusieurs valeurs phonetiques» (23), wenn es darum geht zu zeigen, daß «la lettre t peut representer differents sons» (so wäre meine Formulierung) in den Wörtern; initier und metier (23). Gestolpert sind meine Kursteilnehmer/ -innen auch über das Wort «glide» zur Bezeichnung von «semi-voyelle», das sie zunächst nach französischem Muster als [glid] gelesen haben. 3 Häufig haben sich Fehler eingeschlichen, die wohl auf Unachtsamkeit zurückzuführen sind, jedoch den Lerner verunsichern können. So werden z.B. auf S. 89 arbre pourri und table pourrie als [arbpuri] und [tabpuri] phonetisch transkribiert, was nur unter Verlust der Sonorität des stimmhaften [b] im Kontakt mit dem stimmlosen [p] geschehen kann, eine Stimmlosigkeit, die mit dem üblichen Kennzeichen eines kleinen Kreises unter dem [b] gekennzeichnet werden sollte. Sonst widerspricht diese Transkription dem, was in Kapitel 8 zur „Assimilation" gesagt wird. Nicht auf mangelnder Sorgfalt, sondern auf mangelnder Kenntnis der französischen Lautgeschichte beruhen allerdings Anmerkungen zu den französischen Nasallauten, die die Gemination in immense, immeuble oder immoral als Überreste einer ehemaligen Gemination verstanden wissen wollen, «qui se perd de plus en plus» (l 7). Hier haben wir es im Gegenteil mit einer «gemination expressive» bzw. mit einem Einfluß des Schriftbildes auf die Aussprache zu tun, die pathischer Art ist und eher an Boden gewinnt, obwohl sie nicht chronologisch, sondern in Abhängigkeit von Sprechern und Sprechsituationen beurteilt werden sollte. Ein Blick in H. Walter (1976, S. 438)4 hätte die nötige Klärung gebracht. Ein weiterer Blick in A. Martinets Aufsatz aus dem Jahre 1969, der auch bei den eingefleischtesten Philologen in Frankreich volle Anerkennung genießt, hätte die Vermutungen über eine von den Autoren angenommene Gemination der Nasale im Altfranzösischen nicht aufkommen lassen und das Verhältnis zwischen Phonologisierung der Nasalvokale und Wegfall des amuet geklärt, womit die Entwicklung, so wie sie auf S. 18 dargestellt wird - [ b 5 n a J zu [ b : > n a J-, ein chronologischer Widerspruch ist. Demnach ist auch das Wortspiel, das auf der Homophonie von grand-mere und grammaire 2 Allerdings in dem nicht aufgeführten Buch Systeme grammatical de la langue franr; aise. D' Artrey/ Paris 1969. 3 Aus meiner langjährigen Unterrichtstätigkeit an einer Pariser Universität ist mir der Fachterminus «glide» im Französischen ebenfalls nicht bekannt. Selbst Carton benutzt das Wort «glide» nicht im Text, sondern weist lediglich im Glossar (S. 240) darauf hin, daß «semi-consonne [...] en anglais: "glide" (glissante)» heißt. 4 Vgl. dazu die genauen Literaturangaben am Ende der Besprechung. FLuL 22 (1993) 240 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel beruht und als Beweis für die späte Entnasalisierung der ursprünglich auch vor intervokalischem Nasal nasalisierten Vokale herangezogen wird, lediglich als auf der archaischen Aussprache einer ungebildeten Person beruhend zu werten, über die sich Moliere lustig macht und mit der er den Zuschauer zum Lachen bringen will. Eine Bibliographie, die sich einerseits auf längst überholte Titel stützt, wie z.B. die Phonetique Franr; aise von Bourciez (S. 22 fälschlicherweise als Bourcier orthographiert), die zwar in der Auflage 1967 angeführt ist, deren Darstellung und Interpretationen historischer Vorgänge jedoch auf die Jahrhundertwende zurückgehen bekanntlich wurde 1967 nur der Titel geändert -, und die andererseits Calvet: Linguistique et Colonialisme (dessen unmittelbarer Bezug zum Thema nur schwer nachzuvollziehen ist) auf die Liste der References Bibliographiques setzt, darf wichtige Titel, wie die oben genannten, nicht ignorieren. Ebensowenig darf in einem Kapitel, das sich mit dem Verhältnis von Schriftbild und Lautung befaßt, die einschlägige Arbeit von Blanche-Benveniste/ Chervel (1969) fehlen. Der Übungsteil ist als solcher zu begrüßen, könnte aber in vielen Punkten noch zielgerichteter auf eine Bedarfsanalyse hin abgestimmt werden. So vermißt man z.B. Übungen zur Abgrenzung der Nasalvokale voneinander, ein Problem, mit dem Teilnehmer/ -innen meiner Phonetikveranstaltungen immer zu kämpfen haben. Verzichten sollte man hingegen auf etymologische Abenteuer wie clamser, das kaum ein Studierender kennt und das mir in diesem Kontext pädagogisch fragwürdig erscheint. 5 Erforderlich wären darüber hinaus genauere Anweisungen bei den Übungen (Studierende in Bielefeld konnten z.B. mit den Übungen auf S. 14 nichts. anfangen). Ein "Schlüssel" zu den Übungen wäre zumindest eine nützliche Kompensierung für manche ungenügend präzise formulierte Aufgabenstellung. Auch eine Übersicht der benutzten Zeichen und Symbole sowie ein Verzeichnis der Schlüsselwörter könnten zum besseren Verständnis beitragen. Fazit: Ein Lehrbuch, das, wie von den Verfassern beabsichtigt, eine Brücke von der Theorie zur Praxis schlägt, ist ein dringendes Desiderat. Die hier besprochene Einführung könnte diesem Anspruch in einer sorgfältig überarbeiteten 2. Auflage gerecht werden. Voraussetzung dafür wäre, daß sich die Autoren mit folgenden Werken eingehend auseinandersetzen, die sie nicht zu kennen scheinen: (1) Zum historischen Teil: (a) Fran9ois de la Chaussee: Initiation a la phonetique historique de l' ancien franr; ais. Klincksiek, 1974 (pädagogisch mindestens so gut wie Bourciez, inhaltlich jedoch die neue Sichtweise eines G. Straka oder eines P. Fouche integrierend, an denen man heute nicht mehr vorbeikommt); (b) A. Martinet: Le franr; ais sans fard. (Paris: P.U.F. 1969), insbesondere das Kapitel über die «Voyelles nasales du fran9ais», 144-154. (2) Was die Beziehungen zwischen Schriftbild und Lautung angeht, so stellt wohl C. Blanche- Benveniste / A. Chervel: L'orthographe (Maspero/ Paris 1969) diese Problematik am pädagogischsten dar, während Rene Thimonnier: Code orthographique et grammatical (Paris 1970) in seiner Systematik am erschöpfendsten ist. (3) Was schließlich die Beschreibung des heutigen Französisch angeht, so ist sie wohl am interessantesten und verständlichsten bei H. Walter: La dynamique des phonemes dans le lexique franr; ais contemporain (Paris: France Expansion 1976) dargestellt. Als Gegenpol zu Martinets Aussprachewörterbuch, das den de-facto-Zustand der französischen Aussprachegewohnheiten 5 Diese etymologische Hypothese ist zudem nicht abgesichert; cf. J.-P. Colin / J.-P. Mevel / C. Leclere: Dictionnaire de l'argot. Paris: Larousse 1990 (S. 147), die sich bei den etymologischen Angaben auf den Tresor de la Langue Franr; aise beziehen. Vgl. des weiteren 0. Bloch/ W.von Wartburg: Dictionnaire etymologique de la Langue franr; aise. 5e ed. revue et augmentee. Paris 1968. FLuL 22 (1993) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 241 widerzuspiegeln versucht, sollte noch auf das normative Aussprachewörterbuch von L. Wamant: Dictionnaire de la prononciation fran,aise dans sa norme actuelle. Duculot, Paris ·1987, verwiesen werden. Bielefeld Bernd Stefanink Helga Dieling: Phonetik im Fremdsprachenunterricht Deutsch. Berlin [usw.]: Langenscheidt 1992 (Fremdsprachenunterricht in Theorie und Praxis), 134 Seiten [DM 26,80]. . Mit diesem Buch profitiert der DaF-Bereich von. langjährigen Forschungsarbeiten am Herder- Institut der Universität Leipzig. Gerade im Bereich Phonetik, der das Epithet „Stiefkind des DaF- Unterrichts" schon seit vielen Jahren mit sich führt,. werden die forschungspolitisc; hen und organisatorischen Versäumnisse des Westens deutlich. Und es ist erschreckend, wie das Zusammenwachsen sich auch hier in einem Auseinanderreißen und Zusammenschrumpfen von bewährten Arbeitsgruppen niederschlägt. Ich möchte kurz skizzieren, was das Buch auf 134 Seiten bietet. Die sechs Kapitel des Buches fasse ich in drei Teile zusammen. Der erste Teil beschäftigt sich mit allgemeinen Überlegungen zur Phonetik im DaF-Unterricht. Den zweiten Teil könnte man mit "Lehr- und Lernfaktoren" überschreiben. Er umfaßt die Kapitel "Der Lehrer" (3 S.), "Der Lernende" (4 S.), "Der Unterricht" (31 S.) sowie "Lehr- und Lernmittel" (8 S.). Der dritte Großteil beinhaltet die Beschreibung der phonetischen Interferenzen von dreißig Sprachen und dem Deutschen als Basiskontrastsprache (55 S.). Dazu kommt noch neben dem ausführlichen Literaturverzeichnis im Anhang ein kurzes Glossar mit Fachtermini und elf literarischen Texten als möglichem Übungsmaterial. Der Umfang der einzelnen Teile gibt schon die Schwerpunkte an: Die Kapitel Unterricht und Phonetische Interferenzen machen fast drei Viertel des Textteils aus. Ich will das Wichtigste aus den einzelnen Kapiteln zusammenfassen. Im einleitenden allgemeinen Text sagt die Autorin etwas zu den Zielen des Pho,netikunterrichts. Sie problematisiert u.a. die Toleranzgrenzen für phonetische Fehler und die unterschiedliche phonetische Verstehensfähigkeit von DaF-Lehrern und den Leuten auf der Straße. Sie spricht sich für eine Mischung von imitativen und kognitiven Verfahren aus, wobei letz.tere erst einsetzen sollen, wenn das Imitieren nicht zum Ziel führt. Dazu gehört nach Meinung der Autorin auch die passive Beherrschung der API-Umschrift. Bei der Frage nach dem zu lehrenden Standard spricht sie sich für eine Abfolge von den oberen Formstufen (nach Meinhold) für die Anfänger zu den 'niederen' Formstufen mit stärkeren Lautabschwächungen und Prestoformen für die Fortgeschrittenen aus. Hier gei: ät Dieling sicher in Konflikt mit dem kommunikativen Ansatz, der von Anfang an durch einen hohen Grad an Authentizität den Zugang zur Sprache des Alltags eröffnen will. Sie hebt die Bedeutung der Bewußtmachung der Laut-Schrift-Relation hervor und plädiert für stärkeren Einsatz von Diktaten. Im Kapitel Der Lehrer wird die phonetische Vorbildfunktion des Lehrenden herausgestellt. Dieling meint, daß er in allem, was er sagt, immer auch Phonetiker sei. Ich denke, daß diese Vorbildrolle für die Inlandssituation zurückgenommen werden muß. Die Vielzahl der außerunterrichtlichen Kontakte auch mit den Medien Rundfunk, Film, Fernsehen erweitert die Zahl der phonetischen Vorbilder gewaltig. In diesem Kapitel hätte vielleicht auch noch etwas über Lehreraus- und besonders Lehrerfortbildung im Bereich Phonetik gesagt werden können. FLuL 22 (1993)