Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
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Narr Verlag Tübingen
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1994
231
Gnutzmann Küster SchrammLernwörterbücher und Wortschatzarbeit: Anregungen aus der Werkstatt eines Wörterbuchschreibers
121
1994
Peter Kühn
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Peter Kühn Lernwörterbuch und Wortschatzarbeit: Anregungen aus der Werkstatt eines Wörterbuchschreibers Abstract. Vocabulary work and use of dictionaries are among the most severely neglected learning areas in the teaching of German as a foreign/ second language. Systematic work on vocabulary and work with a dictionary can, however, be usefully interrelated, but only as long as the dictionary is conceived as a semantic learning dictionary in the broadest sense. In the present article such a learning dictionary, which has been developed for children and young people, is presented. In addition, illustrations are given of how such a dictionary can be used for text interpretation and production as well as for vocabulary work. 1. Wortschatzarbeit und Lernwörterbuch in der Diskussion Die Wortschatzarbeit ist in den Blickpunkt des didaktischen wie methodischen Interesses gerückt. Gott sei Dank, denn dieser Lernbereich des Fremdsprachenunterrichts stand allzu lange im Schatten des Grammatikunterrichts. Peter Scherfer konstatiert noch 1989: "Spezifische Wortschatzübungen werden im Fremdsprachenunterricht eher stiefmütterlich behandelt. Vokabellernen ist eine typische Hausaufgabe, für deren Bewältigung die Lerner eigene Strategien entwickeln müssen" (Scherfer 1989: 193). Ob die euphorisch begrüßte „Wortschatzwende" (Zöfgen 1985: 4, Hausmann 1987) schon in der Unterrichtspraxis festen Fuß gefaßt hat, wird aber immer noch bezweifelt (vgl. Schneider 1993: 89). Gerhard Neuner (1990: 4) begrüßt, daß zumindest in einigen Sprachlehrwerken DaF die systematische Wortschatzarbeit "verstärkt" berücksichtigt worden sei. Wie sieht eine systematische Wortschatzarbeit im Lehrbuch aus? Ein willkürlich herausgegriffenes aber typisches Beispiel aus einem Deutschbuch für Kinder und Jugendliche (7-14 Jahre) ist das auf der folgenden Seite reproduzierte (aus Kopp/ Fröhlich 1992: 95). Es handelt sich um eine schriftliche Übung, in der die Schüler und Schülerinnen zunächst die bildlich dargestellten Personen identifizieren sollen (Aufgabe a). Anschließend sollen sie über die Zuordnung von Adjektivpaaren die identifizierten Personen charakterisieren (Aufgabe b) und schließlich noch antonyrnische Entsprechungen zu relativ willkürlich vorgegebenen Adjektiven finden (Aufgabe c). Übungen des vorliegenden Typs sind keine Übungen zum Erwerb, zur Festigung oder Erweiterung des Wortschatzes, sondern vor allem Kontrollaufgaben, über die die Kenntnis syntagmatischer und paradigmatischer Wortschatzstrukturen abgefragt wird. FLuL 23 (1994) 236 ~ 4. Wte sind dte Personen? ' .·~ ~ -.-; .-.- q.q, " J ' der R1 Die Person ist 0 stark und schnell. e alt und häßlich. e gefährlich und blaß. a) Wer ist das? 0 Supermann. e C, klein und freundlich. C, groß und stark. 0 jung und hübsch. b) Mach Sätze. Der Zwerg ist ... c) Findest du das Gegenteil von diesen Adjektiven? sauber schmutzig klein langsam häßlich unfreundlich jung kalt voll G klein und böse. C, hübsch und schmutzig. E) schön und freundlich. billig schwach uninteressant - Peter Kühn Darüber hinaus sind solche Übungen wegen ihrer Kontextfreiheit und Beschränkung auf die Arbeit an Einzelwörtern äußerst problematisch und irreführend: Das Gegenteil von schwach ist keineswegs stark, wie der Blick in das Antonymenwörterbuch von Agricola/ Agricola (1979: 196) beweist: schwach: kräftig, stark, rüstig, mannhaft, potent, kernig * dick, stark, kräftig (Stamm) * mächtig, gewaltig, riesig * stark, gut, bedeutend (Leistung) * energisch, wuchtig, heftig (Tat)* massiv, heftig (Angriff)* stark, intensiv, heftig, tief (Wirkung; Eindruck)* stark (Getränk; Dosis; Besetzung) * lebhaft, rege, stark (Bewegung; Verkehr) * gut (Gedächtnis) * scharf (Auge; Brille; Verstand) * frisch, steif (Wind) * gut, zündend (Witz) * dunkel, kräftig (Farbton) * lustig, heftig (Feuer) * voll, laut (Stimme) * stark (Verb; Äquivalenz) * gröblich (Übertretung) * standhaft, hart, unerschütterlich * wütend Der Wörterbuchausschnitt illustriert, daß die Bestimmung des Antonyms zu schwach vom jeweiligen Kontext abhängt; die Antonyme lassen sich ohne Kontext FLuL 23 (1994) Lernwörterbuch und Wortschatzarbeit: Anregungen aus der Werkstatt ... 237 nicht definieren. Franz Josef Hausmann (1993; 1993a) hat in einem richtungsweisenden Grundsatzartikel über die Lernbarkeit des Wortschatzes gerade diesen Aspekt der syntagmatischen Verknüpfung des Wortschatzes als bedeutungsvoll herausgestellt. Hausmann (1993: 479) geht dabei davon aus, daß der Wortschatz kein „Wörter-Schatz" ist, der „einigermaßen lernbar" sei, sondern vielmehr „ein Schatz von syntagmatischen Einheiten, d.h. von Formulierungen". Die Übungsaufgabe aus dem Sprachlehrwerk und der Ausschnitt schwach aus dem Antonymenwörterbuch belegen Hausmanns (1993: 474) einleuchtende These vom grundsätzlichen „idiomatischen Chaos" des Wortschatzes. Die Kritik mündet in die konsequente Forderung nach einer strikten Kontextualisierung jeglicher Wortschatzarbeit: "Die Sprache ist nur in den Texten Sprache. Der Rest ist Konstrukt. Der Sprachschatz ist also kein Wortschatz, sondern ein Formulierungsschatz" (Hausmann 1993: 479). Muß nun der Lernende wegen der schier unendlichen Verwendungsmöglichkeiten eines Wortes nicht kapitulieren? Den einzig gangbaren Weg aus diesem lexikalischen Dilemma bietet nach Hausmann (1993: 480) das Wörterbuch: „Die Wörterbücher setzen sich übet die Frequenzgesetze in den authentischen Texten hinweg, sie raffen gleichsam diese Texte durch Konzentration auf das Relevante. Die Wörterbücher sind des Wortschatzlerners einzige Rettung, vorausgesetzt, er konsultiert sie nicht nur von Fall zu Fall, sondern er liest und arbeitet sie systematisch durch. Die Wörterbücher sind die einzigen ernstzunehmenden Gesamtbeschreibungen des Wortschatzes. Es ist also nicht egal, wie gut und wie ausführlich sie den Wortschatz beschreiben." Damit geraten auch das Wörterbuch und die Wörterbucharbeit ins Blickfeld der Wortschatzdidaktik und -methodik. Gefordert wird in diesem Zusammenhang ein Lernwörterbuch, dem die schwierige Aufgabe zugeschrieben wird, "zumindest die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß der Nachschlagegang nicht auf das punktuelle Konsultieren beschränkt bleibt, sondern daß er mehr und mehr den Charakter einer (lexikographischen) Lernsituation annimmt" (Zöfgen 1985: 20). Klaus Peter Schneider (1993) definiert daher „Wörterbucharbeit als Lernprozeß". Damit stehen Konzeption und Nützlichkeit eines Lernwörterbuchs zweifelsfrei fest: "Ein Lernwörterbuch enthält einen begrenzten, lernenswert erscheinenden Wortschatz, der so arrangiert und kombiniert wird, wie er für das Vokabellernen am geeignetsten ist. Der Benutzer will mit dem Lernwörterbuch den eigenen Wortschatz wiederholen,. erweitern, vervollkommnen, ausdifferenzieren" (Lübke 1982: 22). Trotz dieser eindeutigen sprachpädagogischen Zielsetzung finden sich im Unterricht DaF/ DaZ ausnahmslos die allgemeinsprachlichen Großwörterbücher, die sich mit dem deutschlernenden Ausländer als dem Vorzeigebenutzer brüsten. Ihre sprachpädagogische Nützlichkeit wird lexikographisch wie wörterbuchdidaktisch mittlerweile bestritten (vgl. Neubauer 1985, Zöfgen 1985, Hausmann 1993), die Konzeption und Ausarbeitung einer semantischen Wörterbuchdidaktik in Verbindung mit einem neuartigen Lernwörterbuch für den Mutter- und Fremdsprachenunterricht Deutsch gilt als Desiderat (vgl. Kühn 1987; 1989; 1991 und 1994b). Erst in allerjüngster Zeit wird aus wortschatzdidaktischer Sicht der konsequente und konti- FLuL 23 (1994) 238 Peter Kühn nuierliche Einsatz des Wörterbuchs bei der Wortschatzarbeit im Unterricht DaF/ DaZ gefordert (vgl. Funk 1990; Löschmann 1993: 173 f). Von einer fundierten, auf die Wortschatzarbeit funktionalisierten Wörterbucharbeit kann daher wohl in der täglichen Sprachpraxis noch keine Rede sein. Die Ursachen für den bislang unzulänglichen Einsatz des Wörterbuchs im Unterricht sind vielfältig: Wiegand (1984: 10) beklagt grundsätzlich die mangelhafte "kulturelle Praxis der Wörterbuchbenutzung [...] innerhalb der deutschen Bevölkerung"; für Löschmann (1993: 174) sind es vor allem benutzerpsychologische Hemmschwellen (Unsicherheiten im Umgang mit dem Wörterbuch, Unterschätzung der Wörterbucharbeit, Wörterbuchbenutzung als Prestigeverlust), die die Arbeit mit dem Wörterbuch behindern; Hausmann (1983: 124 f) und Zöfgen (1985) sehen die Hauptursache für den mangelhaften Gebrauch von Wörterbüchern im Unterricht DaF/ DaZ in der grundsätzlichen konzeptionellen Unzulänglichkeit derjenigen Wörterbücher, die im Unterricht als Lernwörterbücher zum Einsatz kommen sollen. In seinem Grundsatzartikel über die Konzeption eines Lernwörterbuchs bedauert Zöfgen (1985: 30) zu Recht, daß bisherige Wörterbücher „in ein Niemandsland hineingeschrieben" sind. Im Zuge der Wörterbuchbenutzungsforschung (vgl. Wiegand 1987; 1987a; vgl. die Artikel 12 bis 25 in Hausmann/ Reichmann/ Wiegand/ Zgusta 1989) gilt heute für die Konzeption künftiger Wörterbücher generell die Orientierung an den Wörterbuchbenutzern und den tatsächlichen oder potentiellen Wörterbuchbenutzungssituationen als unabdingbares lexikographisches Postulat. Wie müßte ein solches Lernwörterbuch konzipiert sein? An dieser Stelle soll keine lexikographietheoretische Konzeption für ein solches Wörterbuch entworfen werden (vgl. dazu Kühn 1987; 1994b), Anregungen und Ideen für eine Ausarbeitung sollen vielmehr aus der Praxis kommen: Auf der Basis neuerer lexikographischer Forschungen ist an der Universität Trier ein vollkommen neuartiges Schulwörterbuch konzipiert und ausgearbeitet worden, das für sich in Anspruch nimmt, das erste, konsequent semantische Nachschlagewerk für die Schule zu sein: Mein Schulwörterbuch (Kühn 1994) steht damit nicht mehr in erster Linie im Dienste der Rechtschreibkontrolle, sondern kann vor allem zu sprachbildenden, sprachkreativen und sprachreflexiven Zwecken als Lernwörterbuch benutzt werden. Mein Schulwörterbuch ist in erster Linie ein Wörterbuch für den Muttersprachenunterricht Deutsch. Es ist gedacht für Schülerinnen und Schüler von der dritten bis zur neunten Klasse, also für Schülerinnen und Schüler zwischen acht und fünfzehn Jahren. Wegen der grundsätzlichen Semantisierung des Wortschatzes kann dieses Wörterbuch aber auch für altersgleiche Kinder und Jugendliche als Lernwörterbuch für den Unterricht DaF/ DaZ benutzt werden. Im folgenden soll dieses Wörterbuch in seiner Konzeption kurz vorgestellt (vgl. Abschn. 2) und seine Einsatzmöglichkeiten als Lernwörterbuch exemplarisch illustriert werden (vgl. Abschn. 3). FLuL 23 (1994) Lernwörterbuch und Wortschatzarbeit: Anregungen aus der Werkstatt ... 239 2. Mein Schulwörterbuch als semantisch konzipiertes Lernwörterbuch 2.1 Auswahl des Wortschatzes: zwischen quantitativer Beschränkung und qualitativer Erweiterung Mein Schulwörterbuch enthält als Stichwortansatz den Grundwortschatz des Deutschen. Ausgangspunkt sind ca. 5 000 Frequenzwörter, deren Auswahl und Nützlichkeit durch empirische Forschungen zur Kindersprache abgesichert ist. Diese 5 000 Ausgangswörter sind den computerunterstützten Grundwortschatzforschungen von Hesse/ Wagner (1985) entnommen, die eine kompilierte Grundwortschatzliste zusammengestellt haben, in die eigene Untersuchungen (Dortmunder Korpus der Kindersprache mit 170 000 Wörtern) sowie 84 gängige Häufigkeitslisten (mit insgesamt 80 000 Wörtern) eingearbeitet sind. Mein Schulwörterbuch enthält daher als Ausgangssprache den empirischen Kinderwortschatz, den sogenannten Rechtschreibgrundwortschatz, die spontane und schulisch geleitete Sprechsprache von Kindern, die freie und gelenkte Schriftsprache sowie bislang veröffentlichte klassenspezifische Grundwortschätze. Zu dieser quantitativen Ausrichtung und Begrenzung tritt jedoch eine qualitative Bestimmung und Erweiterung des Grundwortschatzes hinzu (vgl. auch die Forderung bei Zöfgen 1985: 23 ff): (1) Mein Schulwörterbuch registriert nicht bloß Wörter im Sinne ausdrucksseitiger Spracheinheiten, sondern verzeichnet die Bedeutungen von Wörtern. Während in herkömmlichen Schulwörterbüchern (Kühn 1984; 1985) und Grundwortschatzbüchern (vgl. Kühn 1984; 1990) in der Regel auf eine durchgehende Beschreibung des verzeichneten Wortschatzes verzichtet wird, ist der gesamte Wortschatz im neuen Schulwörterbuch lemmatypisch erklärt. So verzeichnet Mein Schulwörterbuch beispielsweise unter Kern verschiedene Bedeutungen: Kern (die Ker-ne) 1. Fruchtkern: Nußkern, Apfelkern. Für die Kirschtorte müssen die Kirschen entkernt werden. 2. Mittelpunkt: Der Marktplatz liegt im Stadtkern. Das Ersatzwort heißt hier: Zentrum. (2) Die zugrunde liegende Ausgangsliste von 5 000 Stichwörtern wird weiterhin unter lexikalsemantischen Aspekten erweitert. Dabei wird davon ausgegangen, daß sich unter wortschatzdidaktischen Aspekten die Bedeutung eines Wortes erst aus seiner semantischen Umgebung zu Wartverwandten ergibt. Aufgenommen werden daher zu den Stichwörtern und ihren Bedeutungen ihre synonymischen, antonymischen, hyperonymischen und hyponymischen lexikalischen Wortfeldverwandten. So stehen beispielsweise im Stichwortartikel Erlaubnis auch die Synonyme Genehmigung und Zustimmung sowie das Antonym Verbot. Unter Schild stehen die Hypo- FLuL 23 (1994) 240 Peter Kühn nyme Namensschild, Ortsschild, Straßenschild, Türschild, Stoppschild, Hinweisschild, Preisschild. Aufgrund der vielseitigen semantischen Erklärungen und der Berücksichtigung der lexikalischen Wortfeldverwandtschaft läßt sich Mein Schulwörterbuch daher als Hilfsmittel für Übungsformen und -typen des eingangs angeführten Beispiels verwenden: Unter schwach findet der Schüler folgende Erklärungen, die er zur Lösung der Wortschatzaufgabe heranziehen kann: schwach (schwächer, am schwächsten) 1. Wenn ein Kind schwach ist, dann hat es keine großen Kräfte. Die Ersatzwörter sind: kraftlos, matt, entkräftet. · Die Gegenwörter heißen: stark, kräftig, widerstandsfähig. 2. Wenn die Eisdecke schwach ist, ist sie dünn. Das Gegenwart ist: dick. 3. Wenn Deine Noten schwach sind, sind sie mäßig. Die Ersatzwörter sind: gering, enttäuschend. Die Gegenwörter heißen: gut, überdurchschnittlich. -schwach Zusammensetzungen mit diesem Nachwort bedeuten so viel wie: in geringem Maße: leseschwach bedeutet: nur in geringem Maße lesen können. Ähnlich gebildet sind: nervenschwach, sehschwach, leistungsschwach, lernschwach, rechtschreibschwach. Das Gegennachwort ist: -stark, z.B. nervenstark, leistungsstark. (3) Neben die Wortfeldverwandtschaft tritt als weiteres Kriterium der qualitativen Wortschatzauswahl die Wortfamilienverwandtschaft (vgl. auch Schott 1984). Registriert werden also auch die morphologischen Verwandten der Ausgangsliste. Mein Schulwörterbuch führt nicht nur Miete auf, sondern verzeichnet auch die Familienverwandten mieten, vermieten, Mieter, Vermieter, Mietwohnung, Kaltmiete, Warmmiete, wobei der gemeinsame „Familienname" miet typographisch durch Fettdruck gekennzeichnet ist: Miete (Mie-te) Wer kein eigenes Haus hat, muß sich eine Wohnung mieten. Der Mieter muß für diese Mietwohnung an den Eigentümer der Wohnung eine Entgelt, die Miete, bezahlen. Die Miete kann hoch oder niedrig sein. Die Kaltmiete ist eine Miete ohne Heizungs-, Wasser- und Stromkosten. Das Gegenwart zu Kaltmiete heißt: Warmmiete. Das Gegenwort zu Mieter ist: Vermieter und zu mieten: vermieten. mieten (mie-ten) ➔ Miete (4) Mein Schulwörterbuch berücksichtigt bei der Wortschatzaufnahme auch die Wortbildungsverwandtschaft. Zu vielen Wörtern der Ausgangsliste werden Komposita und Ableitungen mitverzeichnet. Neben Schrank sind auch aufgelistet: Arzneischrank, Besenschrank, Bücherschrank, Eisschrank, Geldschrank, Geschirrschrank, Kleiderschrank, Wäscheschrank, Eckschrank, Klassenschrank, Küchenschrank, Wohnzimmerschrank, Schrankwand, Wandschrank. Unter lesen finden die Schüler FLuL 23 (1994) Lernwörterbuch und Wortschatzarbeit: Anregungen aus der Werkstatt ... 241 die Ableitungen ablesen, durchlesen, mitlesen, überlesen, vorlesen, lesbar, leserlich natürlich mit semantischen Erklärungen. lesen (le-sen, er liest, er las, er hat gelesen) Du kannst laut oder leise, langsam oder schnell, gut oder schlecht lesen. Das Wort lesen kannst Du mit vielen Vorsilben verbinden: ablesen: nicht frei sprechen; durchlesen: von Anfang bis Ende lesen; mitlesen: gleichzeitig lesen; überlesen: schnell und ungenau lesen; vorlesen: für jemanden laut lesen. Wenn Deine Schrift gut zu lesen ist, ist sie lesbar oder leserlich. (5) Zur Absicherung der orthographischen Nützlichkeit wurden in Mein Schulwörterbuch zusätzlich die häufigsten Fehlschreibungen der Menzel-Liste (vgl. Menzel 1985) aufgenommen. Verarbeitet sind ebenfalls die ca. 2 000 orthographischen Modell- und Profilwörter der Naumann-Liste (vgl. Naumann 1986), mit deren Hilfe die wichtigsten Rechtschreibregelungen eingeübt werden können: '.Yuste > wußte Kombjuter > Computer 2.2 Die Mannigfaltigkeit lexikographischer Explikation Die Kriterien der Stichwortauswahl verdeutlichen bereits, daß Mein Schulwörterbuch gegenüber herkömmlichen Schulwörterbüchern und Grundwortschatzbüchem einen vollkommen neuen Wörterbuchtypus darstellt. Dies wird noch deutlicher, wenn man einen Blick in den Erklärungsteil des Wörterbuches wirft. Während die bisherigen didaktischen „Wörterbücher" entweder nur aus einer unkommentierten, alphabetischen Wortliste bestehen oder lediglich formalsptachliche „Schonkost" wie Artikel- oder Pluralangaben bei Sonne, Mond und Sterne enthalten, ist Mein Schulwörterbuch ein konsequent semantisches Wörterbuch mit einer Fülle vielseitiger, brauchbarer und schüleradressierter Erklärungen und Erläuterungen. Im nachfolgenden Schema ist die Verschiedenartigkeit und Vielschichtigkeit der Erklärungen zusammengefaßt: Stichworterläuterungen sprachkundliche zu(r) sachkundliche / III\~ -----------verbal visuell Wortbedeutung (1) Wortmehrdeutigkeit (2) Wortfeldverwandtschaft (3), (4), (5) / ! 1 \ \ '\."' ~ Wortverknüpfung (6) Wortverwendung (7) Wortbildung (8) Wortfamilienverwandtschaft (9) / 1 \ "' Wortspielen (10) Redensarten (11) Wortaufbau (12) Wortherkunft (13) FLuL 23 (1994) 242 Peter Kühn Im folgenden sollen diese verschiedenen Erklärungstypen an ausgewählten Beispielen illustriert werden: (1) Angaben von Bedeutungen erweitern das Sprachwissen und fördern das Textverstehen Lage (La-ge) 1. Stellung des Körpers: Beim Turnen gehen wir manchmal in die Bauchlage oder Rückenlage, um Übungen zu machen. In der Ruhelage kann sich der Körper dann entspannen. 2. Ort, wo etwas steht: Unser Haus hat eine sonnige und ruhige Lage. Im Wetterbericht heißt es manchmal: In höheren oder niederen Lagen auch Schneefall. 3. Situation. Man kann sich in einer günstigen oder unangenehmen, aussichtslosen oder gefährlichen Lage befinden. (2) Angabe und Visualisierung von Mehrdeutigkeiten fördern die Reflexion über Sprache: Ente (En-te) 1. Es gibt Wildenten, die frei in der Natur leben, und Hausenten, die z.B. auf einem Bauernhof gehalten werden. Alle Enten können sehr gut schwimmen, tauchen und fliegen. Enten schnattern, und wenn sie auf dem Land gehen, dann watscheln sie. Die männliche Ente heißt: Erpel. Erpel sind im Gegensatz zu den weiblichen Enten sehr bunt gefiedert. Mit dem Wort Ente gibt es Redensartem: Eine lahme Ente ist eine langsame Person. Wie eine Bleiente schwimmen bedeutet: sehr schlecht schwimmen. 2. Eine falsche Meldung in der Zeitung wird auch Zeitungsente oder kurz Ente genannt. (3) Hinweise auf Ersatzwörter (Synonyme) dienen dem abwechslungsreichen und treffenden Ausdruck: ' anzünden (an-zün-den) Die Ersatzwörter hierzu sind: anstecken, in Brand setzen, anmachen oder anfachen (4) Verweise auf Gegenwörter (Antonyme) erweitern die Wortschatzkenntnisse: interessant (in-ter-es-sant) Heute Nachmittag kommt eine interessante Kindersendung im Fernsehen. Die Ersatzwörter sind: besonder(s), hervorragend, schön, spannend, packend, fesselnd, reizvoll, sehenswert, lesenswert, hörenswert. Die Gegenwörter , heißen: langweilig, uninteressant. jetzt Die Ersatzwörter heißen: in diesem Augenblick, eben, gerade, heute, soeben, augenblicklich. Die Gegenwörter sind: früher, einst, damals, vorher oder später, nachher. FLuL 23 (1994) Lernwörterbuch und Wortschatzarbeit: Anregungen aus der Werkstatt ... 243 / (5) Angabe und Unterscheidung bedeutungsverwandter Wörter (distinktive Synonymik) ermöglichen eine treffende und genaue Wortwahl: Leine (Lei-ne) Du kannst einen Hund an der Hundeleine führen oder die Wäsche von der Wäscheleine nehmen. Wenn man den Hund an die Leine nimmt, dann sagt man auch: den Hund anleinen. Das Wort Leine hat noch einige Wortverwandte, die allerdings eine etwas andere Bedeutung haben: Seil: dickgedrehte Schnur; Schnur: Faden, um etwas zusammenzuschnüren; Tau: ein starkes und dickes Seil, das auf Schiffen gebraucht wird; Strick: ein dickes Seil, um etwas festzubinden oder anzubinden. Die Redensart Leine ziehen bedeutet soviel wie: abhauen, sich davonmachen, verschwinden: Zieh Leine! (6) Angaben von Wortverknüpfungen helfen beim genauen und regelgerechten Wortgebrauch: Katze (Kat-ze) Unsere zahme Hauskatze ist eigentlich eine Raubkatze. Vögel und Mäuse wissen das. Katzen können gut klettern und sich geräuschlos heranschleichen. Die Katze miaut und schnurrt, wenn sie zufrieden ist. Bei Gefahr faucht sie und macht einen Katzenbuckel. Nachts funkeln ihre Augen. Die männliche Katze heißt Kater, die Katzenjungen Kätzchen. Wenn etwas für die Katz' ist, dann ist es nutzlos, zwecklos: Die ganze Arbeit war für die Katz'. Die Katze aus dem Sack lassen: seine Absicht oder sein Geheimnis plötzlich preisgeben. Der Katzensprung ist eine geringe Entfernung. Die Katzenaugen sind die Rückstrahler am Fahrrad. l ~- . i ·- . "-~ Und wenn Du morgens nur eine Katzenwäsche machst, dann wäschst Du Dich nicht ordentlich mit Seife und Wasser. (7) Artikeltexte liefern Sprech- und Schreibanlässe und -ideen: Zeitung (Zei-tung) Zeitungen werden von Verlagen herausgegeben und gedruckt. Tageszeitungen erscheinen täglich, Wochenzeitungen wöchentlich. Die Anzahl der Zeitungen, die für einen Tag oder eine Woche gedruckt werden, nennt man Auflage. Wenn Du eine Zeitung durchblätterst, fallen Dir bestimmt verschiedene Zeitungsartikel auf: Es gibt z.B. Zeitungsnachrichten, Zeitungskommentare, Zeitungsmeldungen, Zeitungsanzeigen z.B. Heiratsanzeigen, Todesanzeigen, Verkaufsannoncen. Zeitungsartikel gibt es u.a. zu den Bereichen Politik, Wirtschaft, Freizeit, Sport und Kultur sowie zum Ortsgeschehen. (8) Hinweise und Beispiele zu Ableitungen und Zusammensetzungen dienen der Sprachreflexion und aktiven Wortschatzerweiterung: FLuL 23 (1994) 244 un- Die Vorsilbe unsteht oft vor Eigenschaftswörtern (Adjektiven) und bedeutet immer das Gegenteil von etwas: aufmerksam - Gegenwart: unaufmerksam; bekannt - Gegenwart: unbekannt; höflich - Gegenwart: unhöflich; Peter Kühn Der Deutschlehrer wendet sich an Sabine: "Hauptwörter, die mit der Vorsilbe ,Un-' beginnen, haben zumeist eine ablehnende oder verneinende Bedeutung. Kannst du mir ein gutes Beispiel nennen? " "Klar", sagt Sabine. „Nehmen wir doch nur einmal das Wort Unterricht." Warum hat Sabine aber unrecht? (9) Stammverwandtschaft hilft beim Aufbau von Wortfamilien und dient zur Verdeutlichung orthographischer Analogien: biegen (bie-gen; er biegt, er bog, er hat gebogen) 1. Du kannst einen Draht oder einen Ast biegen, weil beide biegsam sind. Das Ersatzwort heißt: krümmen. Man kann allerdings nicht nur Gegenstände biegen, sondern auch verbiegen: Wenn sie verbogen sind, dann sind sie unbrauchbar geworden. Wenn Du mit dem Fahrrad stürzt, kann sich z.B. die Lenkstange verbiegen. 2. Du kannst jedoch auch mit dem Fahrrad um die Ecke biegen oder in eine andere Straße abbiegen. Wenn man abbiegt, dann ändert man seine Fahrtrichtung; deshalb spricht man auch von einer Biegung, wenn ein Weg, eine Straße oder ein Fluß seine Richtung ändert. ➔ Bogen (10) Wortspiele und -witze fördern das Nachdenken über Sprache: er ißt ➔ essen ➔ ist er ist Er ist und er ißt werden zwar gleich gesprochen, aber verschieden geschrieben. Zudem hat ißt eine andere Bedeutung als ist, wie Du bei dem nachfolgenden Witz merken kannst: Der Lehrer fragt den neuen Schüler: "Wie heißt Du? " Der Schüler: "Herbert Klos." Der Lehrer: " Was ist dein Vater? " Herbert antwortet: "Alles, was auf den Tisch kommt." ➔ sein (11) Redensarten und ihre Erklärung (in Wort und Bild) machen die Sprache lebendig: Zahn (die Zäh-ne) [ ... ] Mit Zahn gibt es eine Reihe von Redensarten: jemandem die Zähne zeigen: heftig Widerstand leisten; sich an etwas die Zähne ausbeißen: sich vergeblich mit etwas mühen; einen Zahn draufhaben: schnell fahren oder schnell arbeiten; einen Zahn zulegen: schneller fahren oder arbeiten; jemandem auf den Zahn fühlen: jemanden sehr genau überprüfen; auf die Zähne beißen: trotz Schmerzen tapfer sein. Nun verstehst Du sicher auch den Scherz eines Zahnarztes: Peter muß zum Zahnarzt. Ein Zahn wackelt und muß gezogen werden. Der Arzt sagt: "Peter, dein Zahn muß gezogen werden, beiß die Zähne fest zusammen und mach den Mund weit auf! " FLuL 23 (1994) Lernwörterbuch und Wortschatzarbeit: Anregungen aus der Werkstatt ... 245 (12) Einblicke in den Aufbau von Wörtern steigern Sprachwissen und Sprachvermögen: -lein Mit der Nachsilbe -Jein kannst Du Wörter verkleinern: Äuglein, Bächlein, Geißlein, Häuslein, Hütlein, Männlein, Mäuslein, Näslein, Tischlein, Zwerglein. Diese Verkleinerungen kommen sehr oft in Märchen vor. ➔ -chen (13) Anmerkungen zur Wortherkunft fördern die Einsicht in die Wortgeschichte: Advent (der Ad-vent) Advent ist die Zeit vor Weihnachten. Sie beginnt vier Sonntage vor dem 24. Dezember. In der Adventszeit freuen sich die Kinder bereits auf Weihnachten. Sie zünden Adventskerzen am Adventskranz an oder öffnen an jedem Tag im Advent ein Türchen am Adventskalender. Das Wort Advent kommt aus der lateinischen Sprache und bedeutet: Ankunft. Diese konsequente Semantisierung des Schulwörterbuchs hat weitreichende Folgen für die Wörterbuchdidaktik. Die Benutzung des Wörterbuchs ist weder auf seine formale Handhabung als Nachschlagewerk noch auf seine Funktion als Kontrollbuch beschränkt. Mein Schulwörterbuch steht nicht mehr einseitig im Dienst der orthographischen oder semantischen Kompetenzkontrolle, es läßt sich als Lernwörterbuch auch benutzen, wenn Schüler beispielsweise - Informationen zu sprach- und sachkundlichen Fragen suchen, - Hilfestellungen b,ei der Formulierung sprachlicher Textarbeiten suchen, Interpretationshilfen beim Verstehen alltagssprachlicher und literarischer Texte brauchen, ihren Wortschatz erweitern, festigen, vertiefen oder über wortkundliche Besonderheiten nachdenken. wollen. 3. Wörterbuchbenutzungsmöglichkeiten: im Lernwörterbuch nachschlagen und lesen Wozu läßt sich nun Mein Schulwörterbuch im Sprachunterricht benutzen? In den bisherigen wörterbuchdidaktischen Hinweisen für den Unterricht DaF/ DaZ stehen zwei Zweckbestimmungen der Wörterbuchbenutzung im Vordergrund. Einerseits sollen die Deutsch lernenden Ausländer dazu angeleitet werden, mit dem Wörterbuch als Arbeitsmittel vertraut zu werden: Hier werden drei Typen von Übungen und Aufgaben herausgestellt (Löschmann 1993: 176; vgl. auch Schneider 1993: 99 ff; Funk 1990: 26): FLuL 23 (1994) 246 Peter Kühn „1) Aufgaben und Übungen zur Strukturierung des Wörterbuches 2) Übungen zum schnellen und treffsicheren Auffinden von Informationen 3) Übungen zur Sensibilisierung des Wörterbuchgebrauchs". Andererseits sollen die Schüler dazu angeleitet werden, das Wörterbuch zur systematischen Wortschatzarbeit zu gebrauchen (vgl. Funk 1990: 27 f), wobei von Praktikern zu Recht mit Skepsis darauf hingewiesen wird, "daß bisherige Wörterbücher von Lexikographen und nicht von Fremdsprachenlehrern verfaßt sind und daß auch aus diesem Grund nicht alle Wörterbücher gleich brauchbar für Sprachlerner sind" (Funk 1990: 28). In der Sprachpraxis reduziert sich die Wörterbucharbeit nicht zuletzt wegen der sprachpädagogischen Unbrauchbarkeit bisheriger Großwörterbücher allerdings fast ausschließlich auf das Sich-im-Wörterbuch-Zurechtfinden, wie ein Blick in das Arbeitsbuch des Sprachlehrwerks Wege (Tetzeli von Rosador/ Neuf- Münkel/ Latour 1992: 17 ff) beweist. Berücksichtigt man bei der Bestimmung der Wörterbuchbenutzung die bisherige Forschung, so ergibt sich ein differenzierteres Bild (vgl. Kühn 1989a). In bezug auf Mein Schulwörterbuch lassen sich folgende Nutzungsmöglichkeiten ansetzen: Übungsbuch (3.1) zur ~ Alphabe- Findetisierung Mein Schulwörterbuch kann benutzt werden als Nachschlagebuch (3.2) zur Kompetenzkontrolle bei Textrezeption Textproduktion 1 Rechtschreibung Silbentrennung Aussprache Grammatik Semantik ~ Verständigungssicherung bei Abkürzungen, Fremdwörtern, Dialektwörtern, usw. Interpretationsverstärkung treffende Wortwahl stilgerechte Verwendung Lesebuch (3.3) zur ~ Erbauung Wortschatz- und arbeit Belehrung $ Sachinformation Textgestaltung Auf der Basis dieser Differenzierungen lassen sich auf einer ersten Ebene drei grundlegende Wörterbuchbenutzungsmöglichkeiten unterscheiden: sich im Wörterbuch zurechtfinden, im Wörterbuch nachschlagen und im Wörterbuch lesen. FLuL 23 (1994) Lernwörterbuch und Wortschatzarbeit: Anregungen aus der Werkstatt ... 247 3.1 Das Wörterbuch zu nachschlagepropädeutischen Zwecken benutzen Mein Schulwörterbuch läßt sich zunächst einmal zu nachschlagepropädeutischen Zwecken benutzen, einerseits zur Erlemung und Festigung des Alphabets und andererseits zur Einübung in die wörterbuchspezifische, schnelle und zielgerichtete Nachschlage- und Findetechnik. In diesem wörterbuchpropädeutischen Lernbereich gibt es sowohl für den Muttersprachenunterricht (vgl. Kühn 1994a: 1-42; 1994b: 6 und 54ft) als auch für den Unterricht DaF/ DaZ (vgl. Löschmann 1993: 176ff; Schneider 1993: 102 ff) zahlreiche Hinweise für entsprechende Übungsformen. Hier zunächst eine Übungsaufgabe zur Alphabetisierung aus dem Sprachlehrwerk Wege (Tetzeli von Rosador/ Neuf-Münkel/ Latour 1992: 17): 1 Alphabet Wenn man ein Wort in einem Wörterbuch finden will, muß man das deutsche Alphabet kennen, da die Wörter in den meisten Wörterbüchern in alphabetischer Reihenfolge erschei? en. Ordnen Sie die folgenden Wörter nach dem Alphabet: D Gully, D Gurke, D Gunst, D Grüize, D Gummi, D Gulasch, □ günstig, □ gucken, □ gültig, D Gurgel Was können Sie tun, wenn Sie ein Wort wie gerührt oder Zigarettenstummel nicht unter ge- oder Zifinden? und ein Beispiel zur Einübung der Findetechnik aus dem „Wörterbuch-Training" (Kühn 1994a: 35), in dem die Schüler bestimmte Komposita zum Grundwort Ant im Wörterbuch aufsuchen und finden müssen: (d) Es gibt viele verschiedene Fachärzte. Unter welchem Stichwort kannst du diese verschiedenen Fachärzte finden? Ich muß unter dem Stichwort __________ suchen. Notiere fünf verschiedene Fachärzte! (1) (2) (3) (4) (5) Arzt/ Ärztin (die Ärz-te) Normalerweise nennt man den Arzt auch Doktor. Passiert ein Unfall, wird häufig ärztliche Hilfe benötigt. Bei Husten, Schnupfen und leichteren Krankheiten geht man zum Hausarzt, sonst zu einem Facharzt. Es gibt viele Arten FLuL 23 (1994) von · Fachärzten: Der Arzt, der operiert, heißt Chirurg. Es gibt noch den Augenarzt, Frauenarzt, den Hautarzt, den Hals-Nasen- Ohren-Arzt (HNO-Arzt), den Kinderarzt, den Nervenarzt, den Zahnarzt. Die Tiere werden von einem Tierarzt verarztet. 248 Peter Kühn 3.2 Das Wörterbuch als Nachschlagebuch benutzen Die Benutzung des Wörterbuchs als Nachschlagebuch ist utilitaristisch motiviert, d.h. der Wörterbuchbenutzer konsultiert das Wörterbuch, weil ihm entsprechende Informationen fehlen (Informationsdefizit) oder aber weil ihm eine bestimmte Information nicht abgesichert genug erscheint (Informationsunsicherheit). Die Benutzung des Wörterbuchs als Nachschlagebuch ist also immer an eine bestimmte Suchfrage geknüpft. Durch das punktuelle Nachschlagen sollen die Informationsdefizite ausgeglichen und die Informationsunsicherheiten beseitigt werden. Die Motivation zum Nachschlagen kann sehr verschieden sein: Mein Schulwörterbuch kann als Nachschlagebuch bei der Kompetenzkontrolle (a), bei der Textrezeption (b) und Textproduktion (c) sowie zur Informationsbeschaffung (d) verwendet werden. Im folgenden sollen diese Nutzungsmöglichkeiten an ausgewählten Übungsaufgaben und durch die entsprechenden Wörterbuchausschnitte illustriert werden. (a) Nachschlagen bei sprachlichen Kompetenzproblemen: Mein Schulwörterbuch läßt sich besonders dann zur sprachlichen Kompetenzkontrolle einsetzen, wenn sich Defizite oder Unsicherheiten auf formale Aspekte der Wortstruktur beziehen, besonders im Hinblick auf orthographische, phonetische, silbenbaumäßige oder grammatische Probleme. Man kann in diesem Wörterbuch natürlich auch dann nachschlagen, wenn es sich um semantisch bedingte Defizite und Unsicherheiten handelt, also bei Wortbedeutungsproblemen (vgl. dazu auch unter (b)). In allen diesen Fällen ist Mein Schulwörterbuch ein Ratgeber in Normfragen. So können die Schüler in diesem Wörterbuch beispielsweise dann nachschlagen, wenn sie Bedeutungslücken oder -defizite ausgleichen wollen, wie die nachfolgende Aufgabe aus dem Arbeitsheft „Wörterbuch-Training" (Kühn 1994a: 50) beweist: In deinem Schulwörterbuch findest du die wichtigsten Abkürzungen alphabetisch eingeordnet. Lies die nachfolgende Geschichte und schreibe sie in dein Heft allerdings ohne Abkürzungen. Schlag im Wörterbuch nach, wenn du die Abkürzungen nicht kennst! Neulich mußte Kommissar Wolf von der Kripo mit seinem Pkw zum Hbf. fahren, um einen gefürchteten Verbrecher zu verhaften. Der Verbrecher, ein Ing. vom TÜV, war in einem Lkw (220 PS) mit 120 km/ h die Bahnhofstr. hinuntergerast, hatte mehrere Kfz gerammt, eine Frau wenige m vor dem Haus der DLRG angefahren, am Gemüseladen der Gebr. Staude u.a. eine Kiste mit 25 kg Bananen umgefahren und kam vor einem itl. Restaurant zum Stehen. Anschließend schloß er sich in der Toilette des Hbfs. ein, d.h. genauer gesagt, hinter der Tür mit dem „SIE". Wolf erkannte jedoch diesen alten Trick, schloß die Tür auf und schlug den Verbrecher k.o. Kripo (Kri-po) Kurzwort für: Kriminalpolizei Hbf. Abkürzung für: Hauptbahnhof Pkw Abkürzung für: Personenkraftwagen ➔ Auto FLuL 23 (1994) Lernwörterbuch und Wortschatzarbeit: Anregungen aus der Werkstatt ... 249 (b) Nachschlagen bei Verstehensschwierigkeiten: Mein Schulwörterbuch kann als Nachschlagebuch auch im Zusammenhang textrezeptiver Verstehensprozesse benutzt werden, und zwar bei semantisch bedingten Verständnisstörungen und -defiziten oder zur Interpretationsverstärkung und -absicherung. Semantisch bedingte Verständnisstörungen und -defizite treten z.B. typischerweise bei polysemen oder homonymen Wörtern, beim Fremd- und Fachwortgebrauch, bei der stilistisch differenzierten Wortwahl oder aber auch beim metaphorischen Sprachgebrauch auf. Als semantisches Wörterbuch läßt sich Mein Schulwörterbuch gerade bei solchen Verständnisproblemen einsetzen, so z.B. beim Verstehen von Mißverständniswitzen (vgl. Kühn 1994a: 43): Lies den nachfolgenden Witz. Hast du ihn verstanden? Wenn nicht, dann schlage in deinem Schulwö_rter? uch unter Karte nach! \"'{.\ Der Gast wartet geduldig eine Stunde lang auf K='u \. \ sein Essen. Endlich kommt der Wirt vorbei und · \ß' fragt: "Hatten Sie die Karte schon? " Darauf der , --- 0 --~ Gast: "Wieso? Hat mir der Koch eine geschrieben? " \~ Der Wirt versteht Karte in der Bedeutung Der Gast versteht Karte in der Bedeutung _________ _ (a) Am Telefon: "Hier Schuhhaus Tritt! " - "Oh, ich fürchte, ich habe die falsche Nummer gewählt! " - "Macht nichts, wir tauschen um! " Karte (Kar-te) Karte ist nicht gleich Karte: 1. Die Spielkarten kannst Du mischen, verteilen, aufspielen, aufdecken, ausspielen. 2. Post- oder Ansichtskarten kannst Du kaufen, schreiben, wegschicken oder auch bekommen. 3. Fahrkarten werden gelöst, vorgezeigt und kontrolliert. Am Fahrkartenschalter werden die Fahrkarten Fahrausweise genannt. 4. Nach der Speisekarte kannst Du essen. 5. Eintrittskarten kannst Du kaufen oder bestellen. 6. Die Landkarte kannst Du studieren. (c) Nachschlagen bei Formulierungsproblemen und -unsicherheiten: Mein Schulwörterbuch kann als Nachschlagebuch nicht nur zur Textrezeption, sondern auch für die Textproduktion benutzt werden. In diesem Zusammenhang ist Mein Schulwörterbuch einerseits ein mnemotechnisches Hilfsmittel, andererseits bietet es aber auch Anregungen und direkte Formulierungshilfen. Hierzu eine Übungsaufgabe aus dem Arbeitsheft (Kühn 1994a: 55), in der es darum geht, Wortverbindungen stilgerecht zusammenzufügen: FLuL 23 (1994) 250 Warum immer „gehen". Es geht auch anders! Schreibe die folgenden Sätze in dein Arbeitsheft. Vermeide die Wiederholung des Wortes „gehen" und suche in deinem Schulwörterbuch den treffenden Ausdruck! (a) Die ganze Familie geht am Sonntag durch den Park, um sich zu erholen. (b) Im Sommer fahren wir in die Alpen und gehen den ganzen Tag über die Berge. (c) Die Gänse haben keine Angst vor den Autos und gehen im Gänseschritt über die Straße. (d) Wir wußten nicht, was wir machen sollten, und gingen durch die Stadt. (e) Die Katze geht lautlos und unbemerkt an das Mauseloch aber die Maus ist schon weg. (f) Das Brautpaar geht langsam durch die Kirche. Peter Kühn gehen (ge-hen, er geht, er ging, er ist gegangen [...] Es gibt verschiedene Arten, wie man gehen kann: schreiten: langsam und feierlich gehen. Die Brautleute schreiten durch das Kirchenportal; marschieren: im Gleichschritt gehen. Die Soldaten marschierten auf der Straße; schleichen: leise gehen, ohne daß man bemerkt wird. Wir schlichen heimlich in Martins Schlafzimmer, um ihn zu erschrecken; wandern: eine größere Strecke durch die Natur gehen. Wir wanderten um den ganzen See; spazieren: langsam und ohne Ziel gehen. Am Nachmittag spazierten wir durch die Stadt; schlendern: lässig und langsam gehen. bummeln: zum Vergnügen durch die Straßen an Geschäften vorbeigehen; ➔ Gang (d) Nachschlagen bei sachlichen Kompetenzlücken: Aufgrund der mannigfaltigen sachkundlichen Informationen, die Mein Schulwörterbuch enthält, läßt sich dieses neue Schulwörterbuch auch nutzen bei sachkundlichen Informationsdefiziten, z.B. zur Absicherung und Erweiterung sachkundlichen Wissens (vgl. entsprechende Übungen in Kühn 1994a: 71 f). Betrachtet man alle diese Möglichkeiten, ein Wörterbuch als Nachschlagebuch zu verwenden, so bleibt kritisch anzumerken, daß die Benutzung des Wörterbuchs als Kontrollbuch (vgl. unter a) sowohl in der Schule (vgl. Kühn 1987) als auch in Freizeit und Beruf (vgl. Kühn/ Püschel 1982) kennzeichnend für die Wörterbuchkultur der Deutschen ist. Der Rechtschreibeduden gilt nach wie vor als der lexikographische Bestseller par excellence. Im Fremdsprachenunterricht sind die Schüler bislang ebenfalls zu sehr auf eine Benutzungssituation fixiert: "Sie benutzen das FLuL 23 (1994) Lernwörterbuch und Wortschatzarbeit: Anregungen aus der Werkstatt ... 251 Wörterbuch fast ausschließlich zum Nachschlagen ihnen unbekannter Vokabeln" (Heath 1985: 118). 3.3 Das Wörterbuch als Lesebuch benutzen So eigenartig es scheint: Mein Schulwörterbuch läßt sich auch als Lesebuch benutzen. Der Benutzer gebraucht das Lernwörterbuch als "silent language teacher" (Stein 1984: 126) zum Zwecke der kontrollierten Aneignung, Festigung und Erweiterung seiner Wortschatzkompetenz. Diese Wörterbuchbenutzungsart ist didaktisch und lernpsychologisch motiviert. Wörterbücher insbesondere stark standardisierte bieten eigentlich schon aufgrund ihres Aufbaus keinen Anreiz zur fortlaufenden Lektüre. Dies gilt natürlich besonders für die bisherigen asemantischen Schulwörterbücher und Grundwort~ schatzwörterbücher. Mein Schulwörterbuch ist dagegen so angelegt, daß es den Schüler zum Wörterbuch-Lesen animiert. Sei es, daß er sich für sprachliche Besonderheiten interessiert und an ihnen Spaß hat, sei es, daß er sich von der Wörterbuchlektüre weiterführende Informationen und Belehrungen verspricht. Mein Schulwörterbuch soll ähnlich wie Kinder- oder Jugendlexika zum Lesen, Stöbern und Schmökern anregen. Schüler können dieses Wörterbuch also auch dann zur Hand nehmen, wenn sie keine direkten Suchfragen haben. In diesem Sinne kann Mein Schulwörterbuch als „Lesewörterbuch" oder „Wörterlesebuch" (Ickler 1982: 17) benutzt werden. Ickler betont, daß in einem solchen didaktischen Wörterbuch die herkömmlichen Bedeutungserklärungen „anzureichern" wären „durch Texte, in denen die Wörter entweder ihrer Form oder ihrer Bedeutung nach thematisiert werden; durch Texte, die sich auf interessante Weise mit der Herkunft der Wörter befassen; durch anekdotisches Material verschiedener Art, Sprüche, Verse usw." (Ickler 1982: 16). Erst durch diese Art von Informationen kann das Wörterbuch nicht nur zum punktuellen Nachschlagen, sondern zum fortlaufenden "Wörterlesen" benutzt werden. Dazu lediglich zwei Wörterbuchausschnitte: befehlen (be-feh-len; er befiehlt, er befahl, er hat befohlen) Wenn man möchte, daß ein anderer unbedingt gehorchen soll, dann befiehlt man ihm etwas. Befehlen bedeutet also so viel wie: anordnen. Das Wort befehlen kommt in ganz komischen Formen vor: Es heißt z.B. du befiehlst dies hat nichts mit dem Wörtchen viel zu tun; es heißt er befahl dies hat nichts mit einem Pfahl zu tun; schließlich kann es auch heißen: wir haben befohlen dies hat nichts mit einem Fohlen zu tun. FLuL 23 (1994) der Das Wörtchen der nennt man auch Begleiter (Artikel), weil es bei männlichen Namenwörtern (Nomen) stehen kann, z.B. der Baum, der Mann, der Spargel. Im nachfolgenden Gespräch zwischen Vater und Sohn geht es auch um das Wörtchen der: Der Sohn liest in der Zeitung und fragt: „Vater, wohin gehört der Begleiter, vor das Wort oder hinter das Wort? " - Vater: "Natürlich vor das Wort, mein Junge! " - "Dann muß es also heißen 'der Spargel'! ", sagt der Junge. - Vater: "Gewiß doch, wie denn sonst? " - Da antwortet der Junge: "Na, hier steht es umgekehrt: Spargelder! " 252 Peter Kühn Wortschatzarbeit und Wörterbucharbeit lassen sich sinnvoll aufeinander beziehen allerdings unter einer Bedingung: Das Wörterbuch muß als semantisches Nachschlage- und „Lese"buch im weitesten Sinne konzipiert sein: Ein solches Lernwörterbuch ist gewissermaßen ein Komplexwörterbuch aus Sprach- und Sachwörterbuch (Enzyklopädie), aus Wortfamilien- und Wortbildungswörterbuch, aus Bedeutungs- und Kollokationswörterbuch, aus Antonymik und Synonymik unter Einschluß einer distinktiven Synonymik. Im Hinblick auf seine Makrostruktur ist es ein semasiologisch-komplementär-onomasiologisches Wörterbuch, in dem semantisch Zusammengehöriges nicht durch das Formale des Alphabets voneinander getrennt ist. Nur auf dieser Basis läßt sich die Wörterbucharbeit sinnvoll in die Wortschatzarbeit integrieren. Bibliographische Angaben AGRICOLA, Christiane/ AGRICOLA, Erhard (1979): Wörter und Gegenwörter. Antonyme der deutschen Sprache. 2., durchgesehene Aufl. Leipzig: Bibliographisches Institut. BöRNER, Wolfgang/ VOGEL, Klaus (Hrsg.) (1993): Wortschatz und Fremdsprachenerwerb. Bochum: AKS. FuNK, Hermann (1990): "Wörterbuch - Nein danke. Arbeit mit dem Wörterbuch im Deutschunterricht". In: Fremdsprache Deutsch 3, 22-28. HAUSMANN, Franz Josef (1983): "Wörterbücher in Frankreich und Deutschland. Ein Vergleich". In: WIEGAND, Herbert Ernst (Hrsg.): Studien zur neuhochdeutschen Lexikographie III. Hildesheim [usw.]: Olms, 119-155. 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