eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 23/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
1994
231 Gnutzmann Küster Schramm

Christiane NORD: Einführung in das funktionale Übersetzen

121
1994
Bernd Stefanink
Christiane NORD: Einführung in das funktionale Übersetzen. Am Beispiel von titeln und Überschriften. Tübingen: Francke 1993 (UTB; 1734), VIII + 312 Seiten [DM 29,80]
flul2310271
Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 271 werden. Daneben sollte nicht vergessen werden, daß sich Wilss zum einen wie oben verdeutlicht vornehmlich auf expositorische Texte bezieht und daß seine Ausführungen zum anderen nicht als ein Plädoyer für rigide syntagmatische Eins-zu-Eins-Beziehungen, sondern als eine Empfehlung an den in der Praxis häufig unter Zeitdruck stehenden Übersetzer aufzufassen sind, sich „Verhaltensmuster" ("Behavioreme") anzueignen, die er selbst in konkreten Situationen zur Problemlösung entwickelt hat und die sich in s e i n er Praxis bewährt haben. Dabei ist die Gefahr solcher Übertragungen aus einem Kontext in den anderen wohl jedem Übersetzungstheoretiker - und natürlich auch Wilss bekannt. Die Praxis führt jedoch wie z.B. von Jean Klein (in: TextconText 2/ 1987, S. 63) geschildert notgedrungen zur Aneignung von Fertigkeiten aus ökonomischen Gründen. Kurz: Wir haben es hier mit einem Werk zu tun, das die Praxis nicht ignoriert, sondern aus dieser die theoretischen Einsichten gewinnt, an denen sich übersetzerisches Handeln orientieren kann. Christiane NORD: Einführung in das funktionale Übersetzen. Am Beispiel von Titeln und Überschriften. Tübingen: Francke 1993 (UTB; 1734), VIII+ 312 Seiten [DM 29,80]. Der auf dem Buchdeckel erscheinende Titel "Einführung in das funktionale Übersetzen") ist etwas irreführend. Das Hauptinteresse der Vf. gilt nicht der „Einführung" in einen Wissenschaftsbereich, sondern der Darstellung ihrer Forschungsergebnisse in diesem Bereich. Somit weist ihre Präsentation auch charakteristische Merkmale eines Forschungsberichts auf: "Vorgehensweise" (46), "Zusammenstellung des Korpusmaterials" (47); usw. Angesichts der von ihr selbst dem Titel zugewiesenen 'Darstellungsfunktion' (107), zu deren Erläuterung sie ausgerechnet das Beispiel der 'Einführung' als einer durch konventionelle Merkmale besonders geprägten Textsorte zitiert (108), wirkt dies etwas befremdend, selbst wenn „für die Formulierung eines Buchtitels [...] der Werbeaspekt wichtiger ist als für die Formulierung eines Gedichttitels" (3) und selbst wenn in der Titelei dann auch der Untertitel "Am Beispiel von Titeln und Überschriften") zeigt, daß ihr Hauptinteresse der Übersetzung von Titeln gilt. Hat der Leser erst einmal seine erste Erwartungshaltung revidiert, so liefert ihm Chr. Nords Untersuchung allerdings wertvolle Entscheidungshilfen bei der Übersetzung von Titeln und Überschriften. Die von der Vf. analysierten Korpora ergeben, daß zwischen 'Grundfunktionen' (die jedem Titel anhaften) und 'spezifischen Funktionen', "die bei einzelnen Titeln oder Titelsorten zu den Grundfunktionen hinzutreten können, aber nicht müssen" (86), zu unterscheiden ist. Zu den Grundfunktionen gehören: 1. die 'distinktive Funktion', die dazu dient, "einen Text zu benennen, ihn auffindbar zu machen (z.B. über eine Bibliographie) [...] und von anderen zu unterscheiden" (87). Für den Übersetzer bedeutet dies z.B., daß er darauf achten muß, daß der von ihm gewählte zielsprachliche Titel nicht bereits für ein anderes Werk benutzt wurde; 2. die 'metatextuelle Funktion', mit der darüber informiert wird, "daß es einen bestimmten Text gibt" (91), oft mit Gattungs- oder Textsortenangaben, wie 'Gedichte', 'Studien', 'Versuche über... "' (94). Hier muß der Übersetzer kulturspezifische Unterschiede beachten wie die Tatsache, daß bei Doppeltiteln „die explizite Verbalisierung der Metatextualität fast ausschließlich im zweiten Teil der deutschen und französischen .Belletristik" (94) vorkommt; 3. die 'phatische Funktion', die in Form eines „Informationsangebotes" der „Kontaktstiftung" dient, "Präsignale [...] für die Kommunikation über den Text setzt und dadurch die Rezeption des Textes steuert" (102). Für den Übersetzer heißt dies, "einprägsame" Titel zu finden, indem er die „optimale Länge" (105), rhythmische, syntaktische und lexikalische Eigentümlichkeiten der Zielsprache berücksichtigt, möglicherweise auch mit dem Adressatenbezug (J. Swifts: Travels into Several Remote Nations of the World kann dann zu Gullivers Reisen werden [104)). Spezifische Funktionen sind: 1. die oben erwähnte 'Darstellungsfunktion', in der eine Information über den Ko-Text gegeben wird, die die FLuL 23 (1994) 272 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel "Erwartung der Titelrezipienten an den Ko-Text" bestimmt und sein Textverständnis beeinflußt (108); 2. die 'expressive Funktion', mit der der Autor seine Haltung zum Ko-Text ausdrückt (bewertend, konnotierend, ironisch, usw.); 3. die 'Appellfunktion', mit der der durch die 'phatische Funktion' geknüpfte Kontakt konkretisiert wird und mit der der Empfänger dazu bewegt werden soll, sich so für den Ko-Text zu interessieren, daß er ihn rezipieren will (143). Die von der Vf. durchgeführten quantitativen und qualitativen Untersuchungen zur Struktur und Funktion von Titeln im deutschen, englischen, französischen und spanischen Sprachraum ergeben, daß in der Gebrauchsnorm dieser Sprachräume jeweils andere Prioritäten gesetzt werden. Diesf! gilt es, beim Übersetzen zu berücksichtigen. So wie in ihren bisherigen Publikationen setzt sich Chr. Nord auch hier durch die Einführung des "Loyalitätsprinzips" von anderen funktional orientierten Übersetzungstheoretikern (K. Reiß, H. Vermeer, usw.) ab: „Die Verpflichtung zur 'Loyalität' bedeutet, daß Übersetzer und Übersetzerinnen gegenüber ihren Handlungspartnern, also sowohl gegenüber den Auftraggebern und den Zieltextempfängern als auch gegenüber dem Autor/ der Autorin des Ausgangstexts, in der Verantwortung stehen [...]. Es liegt daher in der Verantwortung der Übersetzer, ihre Handlungspartner nicht bewußt zu täuschen, sondern eventuelle Abweichungen vom konventionellen Übersetzungsverständnis offenzulegen und zu begründen" (18). Bedarf dies überhaupt der Erwähnung? Gehört ein derartiges Verantwortungsbewußtsein nicht zum deontologischen Selbstverständnis eines jeden Professionellen? Hat ein gesundes Verständnis von „Treue" beim Übersetzen zumindest in der übersetzungstheoretischen Diskussion der letzten 20 Jahre nicht stets Treue gegenüber den Intentionen des Autors impliziert? Und was die Legitimationsbemühungen gegenüber den Handlungspartnern angeht, so kennt der Übersetzer zum einen meist nicht seine Zieltextempfänger, zum anderen dürfte er bei einem derart fürsorglichen 'Kundendienst' didaktisch überfordert sein, setzt doch eine Begründung der „Abweichungen vom konventionellen Übersetzungsverständnis" nicht nur ein Bewußtmachen dieses „konventionellen Übersetzungsverständnisses" voraus (soweit überhaupt eindeutig klar ist, was dieser Terminus impliziert), sondern auch ein Verständnis der neueren übersetzungstheoretischen Debatte. Ein Unterfangen, das zu bewältigen ebenso schwer fallen dürfte wie etwa die Begründung des Statikers gegenüber dem Bauherrn bezüglich der durch die statischen Berechnungen bedingten Abweichungen von seinen Bauvorstellungen. Diese kritische Bemerkung soll jedoch das Verdienst dieser insgesamt sehr aufschlußreichen und nützlichen Untersuchung zur Übersetzung von Titeln nicht schmälern. Herwig FRIEDL/ Albert-Reiner GLAAP/ Klaus Peter MÜLLER (Hrsg.): Literaturübersetzen: Englisch. Entwürfe, Erkenntnisse, Erfahrungen. Tübingen: Narr 1992 (TRANSFER; 4), VIII + 238 Seiten [DM 58,-]. Es handelt sich um den 4. Band der „Transfer"-Reihe, die den an der Düsseldorfer Universität 1989 gegründeten Studiengang Literaturübersetzen begleitet und in dem vor allem die an diesem Studiengang beteiligten Studierenden und Lehrenden zu Wort kommen. Von den insgesamt 14 Beiträgen verdienen die folgenden vor allem im Hinblick auf ihren didaktischen Nutzen Erwähnung: Klaus Peter Müller gibt einen Überblick über die verschiedenen Elemente, die eine einführende Veranstaltung zur Literaturübersetzung strukturieren sollten (159-199). Für ihn steht die Literaturübersetzung „im Schnittfeld der wichtigsten Bezugswissenschaften", zu denen er Semiotik, Linguistik, Textwissenschaft und Literaturwissenschaft zählt und deren Nutzen für den Übersetzer er aufzeigt. Eine Darstellung der verschiedenen übersetzungstheoretischen Richtungen FLuL 23 (1994)