eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 24/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
1995
241 Gnutzmann Küster Schramm

Partikeln und interkulturelles Verstehen

121
1995
Martina Liedke
flul2410223
Martina Liedke Partikeln und interkulturelles Verstehen Abstract. The frequent use of particles like hmhm, ah; ach ja etc. is typical for oral discourse. As "back channel behavior", these particles express or secure understanding, they initiate or end repair sequences, express involvement or support and give a positive or negative evaluation of the ongoing discourse. Especially intonation plays an important role in distinguishing their various meanings. In this study, discourse particles are exarnined in a contrastive approach. Crosslinguistically, the form of these elements is often identical. lt can be shown, however, that the similarity of form does not correspond to a similarity of function. The differences in the organization of oral communication can lead to severe cross-cultural misunderstandings. Discourse particles therefore present a special problem of second language acquisition and should be treated in foreign language teaching. The investigation is based on empirical data of spoken German and Modem Greek, including both conversations between monolingual as weil as bilingual speakers. 1. Partikeln in der mündlichen Kommunikation Der Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist ein fremdsprachendidaktischer, nämlich die Frage, ob und welche Strukturen der mündlichen Sprache im fremdsprachlichen Unterricht gelehrt werden müssen. In der einzelsprachbezogenen Linguistik bildet die gesprochene Sprache seit ca. zwanzig Jahren einen wichtigen Untersuchungsbereich. Als eine der Besonderheiten des mündlichen Diskurses erwies sich die Verwendung von Kleinstelementen, Partikeln wie hm, ja, ach so etc., die in der mündlichen Sprache von Sprecher oder Hörer als „Gliederungssignale" eingesetzt werden (Gülich 1970) bzw. als "back channel behavior" das mündliche sprachliche Handeln begleiten (Duncan, u.a. 1974). Die Leistung der Partikeln liegt in der Sicherung des wechselseitigen Verstehens der Gesprächspartner: So erfordert allein die Flüchtigkeit der Lauterzeugnisse die Absicherung der laufenden Interaktion hinsichtlich ihrer akustischen Komponente. Hinzu kommen inhaltliche Aspekte der Verstehenssicherung. Die Unterschiedlichkeit der an der Kommunikation beteiligten Individuen macht es diesen notwendig, ihre jeweils eigenen Wissens- und Erwartungshorizonte aufeinander zu beziehen und miteinander abzustimmen. Die Äußerung von Ausdrücken wie hmhm, ah, ach operiert auf dieser grundlegenden Problematik von Verständigung. Sie erfolgt weitgehend routinisiert, d.h. automatisiert; verbleibt wenn überhaupt nur sehr kurzfristig im Gedächtnis der Interaktanten. Partikeln wie die genannten können daher dem „sicheren Fundament der Selbstverständlichkeiten" (Coulmas 1981) zugeordnet werden, das einem Sprecher in seiner Erstsprache unreflektiert zur Verfügung steht. Über Sprachgrenzen hinweg erweisen sich solche Elemente zunächst als scheinbar konstant: In verschiedenen Sprachen werden z.T. formal ähnliche oder gar identische Mittel verwendet. FLuL 24 (1995) 224 Martina Liedke Am Beispiel der Partikel ah und verwandten Ausdrücken im Deutschen und ihnen akustisch und kategorial entsprechenden 1 Elementen im Neugriechischen wird im folgenden aufgezeigt, daß sich die Art und Weise, in der in zwei Sprachen von solchen Partikeln Gebrauch gemacht wird, bei einer weitgehenden formalen Übereinstimmung zugleich erheblich unterscheiden kann. Ausgebend von der kontrastiven Untersuchung lassen sich zum einen spezielle Lernprobleme, zum anderen zahlreiche kommunikative „Fallen" aufweisen, die bei einem Erwerb der jeweils anderen Sprache zu Mißverständnissen führen können. 2. Zur kontrastiven Untersuchung diskurssteuemder Partikeln 2.1 Interjektion, Emotion, Interaktion Die kontrastive Untersuchung gesprächssteuernder Partikeln führt zugleich weitergehend zu Fragen ihrer Klassifikation als eines "tertium comparationis", an dem der Sprachvergleich ansetzen kann. Im Falle von Elementen wie ah, ach u.a. stellt sich bereits einzelsprachlich das Problem ihrer Bedeutungserfassung. So besitzen die Partikeln keinen propositionalen Gehalt; in der traditionellen Grammatik werden sie als „Satzäquivalente" oder „Interjektionen" erfaßt, denen zumeist eine Zwischenstellung zwischen Sprachlichkeit und Nichtsprachlichkeit zugeschrieben wird. Ihre Funktion wird dabei im Gefühlsausdruck des Sprechenden angesiedelt: "Some of the interjections do not have any particular meaning; they are simply sounds · usually expressing a strong. or sudden feeling" (Eleftheriades 1990: 506). Allerdings kann dieselbe Interjektion zum Ausdruck verschiedener, oft entgegengesetzter Empfindungen dienen; auch können verschiedene Interjektionen dieselbe Gefühlsregung kundtun. Die extreme Bedeutungsvarianz wird deutlich, wenn man z.B. Beschreibungen von ah, aha und ach bzw. a, aza 2 und ax in deutschen und neugriechischen Grammatiken und Wörterbüchern betrachtet (vgl. dazu Tab. 1, s. 225). Dabei ist zu beachten, daß mit einer artikulatorischen Übereinstimmung, wie sie sich etwa bei ah im Deutschen und a im Neugriechischen findet, nicht immer auch eine sprachsystematisch identische Stellung einhergeht. Die Partikel na beispielsweise bildet im Deutschen eine Interjektion, das artikulatorisch identische neugriechische va hingegen ein deiktisches Element, das z.T. dem deutschen daß entspricht. Eine Komparabilität der Elemente ist in solchen Fällen trotz einer akustischen Übereinstimmung also nicht gegeben. 2 Der Hauchlaut [h] wird im Neugriechischen zwar bei Interjektionen wie [hmhm] oder [aha] verwendet, findet sich im neugriechischen Phonembestand aber ansonsten nicht. Zur Verschriftlichung von [h] greife ich der griechischen Konvention folgend auf das Zeichen 'x,' zurück, das ansonsten den Laut [x] oder [~] bezeichnet. Dementsprechend ist 'a: xa' als [aha], 'ax' hingegen als [ax] zu lesen. FLuL 24 (1995) Partikeln und interkulturelles Verstehen 225 ab aha ach Wohlbehagen• Beifall" Einfallb Freude•· b Befriedigung• Freude• Bewunderung b Genugtuung• Bedauema.b -= Zustimmung• Sehnsucht a. b u Bestätigung• Verachtung• "' Verwunderung a. b Verwunderung• Verwunderung a. b .... = Staunen• Staunen• Staunen• CII Überraschung• Überraschung• Überraschung• ~ Abweisung• Abweisung• Abweisung• Ablehnung• Ablehnung• Ablehnung• Schmerza.b Klage• Freude• Wohlgefallen r -= Billigung/ Beifall d Dankr u Bestätigung d Genugtuungr "' ·- Erstaunen c, d Trost• -= u Überraschung r Überraschung r Schmerze CII Aufmunterungc, d Trauerc,d ·- "' Zweifel/ Ratlosigkeitc· d Ungeduldr t., Empörung/ Ärgerd Leidenschaft r Ablehnung (a. µmx)c Haßr Tab. 1: Bedeutungen von ah, aha und ach im Deutschen und Neugriechischen 3 Einen weitergehenden theoretischen Ansatz legt Ehlich (1986) vor. Nach Ehlich handelt es sich bei Interjektionen wie AH um eine Klasse von Monemen, die mittels der Verwendung unterschiedlicher Tonverläufe (steigend, fallend, gleichbleibend, fallend-steigend, steigend-fallend) differenziert wird. Dem Tonverlauf kommt dabei ein phonologischer Charakter zu: Die einzelnen Ton-Monem-Kombinationen sind durch ein inneres Form-Funktions-Verhältnis gekennzeichnet (vgl. Abschn. 3). Ehlich bestimmt die Interjektionen handlungstheoretisch als Realisierung von „Prozeduren", als Handlungseinheiten, die systematisch unterhalb der Kategorie der „sprachlichen Handlung" angesiedelt sind. In Weiterentwicklung der Bühlerschen Felderlehre spricht er ihnen ein eigenes Feld, das „expeditive Feld" zu. Ihre gemeinsame Funktion: , eine Übereinstimmung zwischen Sprecher und Hörerhinsichtlich des Kontakts überhaupt, hinsichtlich der emotionalen Befindlichkeit, der diskursiven Wissensverarbeitung und des weiteren Handlungsverlaufs herzustellen, 3 Die hochgestellten Buchstaben bedeuten: a = Duden ( 4 1984), b = Helbig/ Buscha (91986), c = Triantafillidhis (1965), d = Sakellariou (1987), e = Tegopoulos-Fitrakis (1989), f = Dhimitrakos (1958). FLuL 24 (1995) 226 Martina Liedke unterscheidet die Interjektionen von Mitgliedern des „Symbolfeldes", die auf etwas referieren, des „Zeigfeldes", die der Aufmerksamkeitssteuerung dienen, des „operativen Feldes", die auf die propositionale Dimension bezogen sind, sowie des „Maifeldes", die der Realisierung expressiver Prozeduren dienen. In Untersuchungen authentischer Gespräche (Lindner 1983, Willkop 1988) ist der handlungstheoretische Ansatz bislang nicht in systematischer Weise aufgegriffen worden. Theoretisch werden Interjektionen wie ah, ach, etc. als „Sprecher-" oder „Hörersignale" vorwiegend auf ihre Rolle im turn-taking-System, d.h. beim Sprecherwechsel, bezogen. Dabei zeigt sich, daß die Abgrenzung zwischen sprecher- und hörerseitigen Partikelverwendungen schwer zu leisten ist. So findet z.B. oft ein Wechsel der Gesprächsrollen statt, wobei die einleitende Partikel jedoch mit der ehemaligen Hörerrolle verbunden ist. In anderen Fällen sind die Partikeln hingegen auf den eigenen Folgebeitrag bezogen. Inhaltlich erfassen die empirisch orientierten Arbeiten die Bedeutungen einzelner Elemente in einer „lokalen", d.h. kontextbezogenen Analyse mittels Paraphrasen, z.B. "ich will jetzt sprechen", "ich verstehe", "richtig" u.a. Dabei können z.T. mehrere Paraphrasen auf ein Partikelvorkommen zutreffen. Neben der Tonkontur, mit der eine Partikel realisiert wird, sind ausgehend von den bisherigen Untersuchungen auch Momente wie die durchschnittliche Tonhöhe, die Vokaldauer sowie die Klangfarbe der Stimme an dem Zustandekommen ihrer jew~iligen Bedeutung beteiligt. Als Problem stellt sich bei dem interpretierend-paraphrasierenden Ansatz allerdings, daß z.T. unterschiedliche Partikeln mittels derselben Paraphrase erfaßt werden (z.B. "ich verstehe" ja, hm, aha u.a.), ohne daß ihre spezifische Differenz aufgewiesen werden kann. 2.2 Konsequenzen für den Sprachvergleich Für die Bestimmung der Partikeln im Diskurs erbringen die bisherigen Forschungen verschiedene Ergebnisse, die bei der kontrastiven Gegenüberstellung aufzunehmen sind: (a) gesprächssteuernde Partikeln wie ah, ach u.a. können unterschiedliche Stellungen in einer Äußerung bzw. Äußerungsfolge einnehmen; (b) sie nehmen unmittelbar Einfluß und Bezug auf die mentalen Prozesse der Gesprächsbeteiligten; (c) die „Bedeutung" der Partikeln kann kontextuell unterschiedlich paraphrasiert werden und ist mit „Gefühlsausdruck" nicht hinreichend genau bestimmt; (d) der Tonverlauf ist als ein phonologisch relevantes Moment in die Partikelanalyse miteinzubeziehen. Es zeigt sich ferner, daß die Paraphrasierung eines Partikelvorkommens i.S. der "lokalen" Interpretierbarkeit des Elementes ebenfalls keine hinreichende Bestimmung einer spezifischen Form ist. Dies weist bereits im Falle der einzelsprachlichen Erfassung auf die Notwendigkeit, über die einzelnen Vorkommen einer FLuL 24 (1995) Partikeln und interkulturelles Verstehen 227 Partikel hinaus eine weitergehende Rekonstruktion ihrer prozeduralen Qualität zu leisten. Dabei können die verschiedenen Stellungsmöglichkeiten eines Elements innerhalb einer Äußerungsabfolge den Ausgangspunkt bilden, von dem aus einzelsprachlich seine funktionale Bestimmung vorgenommen wird. Für einen Sprachvergleich ergeben sich darüber hinaus weitere Anforderungen. So ist zu berücksichtigen,· daß die Partikeln in den Einzelsprachen durch ein sprachinternes Oppositionsmuster bestimmt sind: "Das Prinzip vom Primat der Funktion als Bezugsgröße kann [...] nur dann nutzbar gemacht werden, wenn gleichzeitig die Priorität einer Ganzsystemanalyse anerkannt wird." (Haarmann 1977: 25) Die einzelsprachlich gegebenen Oppositionsmuster bestimmen als Mittel-Zweck- Relationen die verschiedenen interlingualen Übersetzungmöglichkeiten einzelner Formen. Eine sprachvergleichende Analyse gesprächssteuernder Partikeln, die über die Beliebigkeit ihrer Übersetzbarkeit hinauskommen möchte, muß also notwendigerweise funktionsrekonstruierend und bilateral vorgehen. 2.3 Datenmaterial Da sich die Verwendung von gesprächssteuemden Partikeln der Bewußtheit weitgehend entzieht, ist ein empirisches Vorgehen als Basis der kontrastiven Analyse unerläßlich. Für das Deutsche greife ich im folgenden auf bisherige Arbeiten zu den Partikeln zurück. Die neugriechische Materialbasis der Untersuchung bilden „natürliche", d.h. authentische Alltagsgespräche im privaten Rahmen, denen kein Interviewleitfaden o.ä. zugrundelag, und die in den Großstädten Athen und Thessaloniki aufgezeichnet wurden. Die Daten sind größtenteils „Konversationen" i.e.S., Unterhaltungen im engeren Freundes- und Bekanntenkreis. Die Sprechergruppe umfaßt 10 neugriechische Sprecherinnen im Alter von 10 bis 50 Jahren (4 Männer, 4 Frauen, 2 Kinder). 4 Für die Folgeuntersuchung bilingualer Sprecherinnen wurde ein weiteres Korpus mit Interviews griechischer Migrantenfamilien herangezogen (vgl. Liedke 1994). Die Transkription der Daten erfolgte nach dem Verfahren der "halbinterpretativen Arbeitstranskription (HIAT)" (Ehlich/ Rehbein 1976)5. In HIAT wird die Gleichzeitigkeit des Sprechens wie bei einem Orchesterstück durch Partiturschreibung wiedergegeben, so daß Überlappungen des Sprechens auch graphisch erkenn- 4 Aus dem Gesamtmaterial im Umfang von ca. neun Stunden wurde eine Auswahl von Gesprächen ganz oder teilweise verschriftlicht. Das Transkriptkorpus besitzt einen Umfang von 72 Minuten. 5 Die Transkriptionsrelation liegt bei 1: 120, d.h. für eine Minute gesprochener Sprache wurden ca. zwei Stunden Transkriptionszeit aufgewendet. Die Transkription erfolgte in einem deutschgriechischen Team. Insbesondere Evi Balassi, Kiriaki Georgiadou und Dimitrios Mourousiadis möchte ich an dieser Stelle noch einmal herzlich danken! FLuL 24 (1995) 228 Martina Liedke bar sind. Pausen werden durch ' · ', Abbrüche durch '/ ' gekennzeichnet. Längungen von Vokalen werden durch ': ' wiedergegeben. Die deutschen Gesprächsbeispiele wurden als Zitate übernommen. Sie folgen z.T. anderen Notationskonventionen, sind jedoch leicht rekonstruierbar. Um auch nicht-griechischsprachigen Lesern die Rezeption des Materials zu ermöglichen, sind die neugriechischen Gesprächsbeispiele mit einer deutschen Interlinearübersetzung versehen. · 3. Verstehenssteuerung im Deutschen und im Neugriechischen Mit der Partikelgruppe AH im Deutschen und A im Neugriechischen wird im folgenden eine Interjektion kontrastiv aufgegriffen, die es zentral mit der Verstehenssteuerung im Diskurs zu tun hat. Sie umfaßt sowohl einfache Formen (ah, a) als auch reduplizierte Elemente (aha, axa). Ausgebend von der in Abschn. 2.1 angesprochenen Rolle des Tonverlaufs kann in beiden Sprachen eine Binnendifferenzierung der Partikeln vorgenommen werden, ausgehend von der im folgenden eine Funktionsbestimmung und eine kontrastive Gegenüberstellung einzelner Klassenmitglieder geleistet wird (Diagramm 1). 6 FORM TON einfach redupliziert Deutsch Griechisch Deutsch Griechisch / ab* a* aha axa \ ah a aha axa äh* ci* V aha / \ ab & aha ax& Diagramm 1: Formen von AH im Deutschen und Neugriechischen 7 6 Bei den reduplizierten Formen wird nur der Tonverlauf auf der zweiten Silbe notiert, der den Tonverlauf auf der ersten Silbe bestimmt. Dieses Verfahren wurde gewählt, weil es sich bei einer Form wie [aha] nicht um eine einfache Addition (fallendes+ steigendes ah) handelt. 7 Die mit * gekennzeichneten Partikeln sind nur als Vorschaltung möglich. FLuL 24 (1995) Partikeln und interkulturelles Verstehen 229 3.1 AB/ ACH im Deutschen Die einfachen Formen der Ausdrucksklasse AH finden sich im Deutschen relativ selten. Alleinstehend verwendet werden können nur die fallende Form ah und die steigend-fallende Form ah. Beide drücken nach Ehlich Überraschung aus (Paraphrase „na so was! "). Während bei ah diese Überraschung eine große Abweichung von dem eigenen Erwartungssystem darstellt, zeigt ah an, daß „die vorausliegende Handlungs nicht völlig zum eigenen Erwartungssystem konträr liegt" (1986: 76). Die Partikel ist in diesem Fall oft durch einen fallenden Auftakt und einen starken Tonhöhenanstieg gekennzeichnet. (Bl) gibt ein Gesprächsbeispiel (Willkop 1988: 220). ► B1 (Kontext: Iris und lnge versuchen, ein Treffen zu vereinbaren.) Inge: warte mal -. .. Freitag bin ich dann weg nachmittags" .. Iris: Montag den neunten Januar -. lnge: also nächste Woche [ Montag-. .. ach-. so„ den„ Mon-.tag„ warte mal-. .. da arbeite ich wahrschein- Iris: · ((lacht)) Inge: lieh auf ner Messe-. ·· * Iris: a-.a„ah-. ·· 1n vorgeschalteter Verwendung dienen ah und ah hingegen zumeist der Einleitung einer themenabschließenden Äußerung (Willkop 1988). Die Partikeln enthalten dann kein überraschendes Moment und drücken häufig Mißfallen aus (B2 aus Willkop 1988: 219). ► B2 (Kontext: Verafühlt sich in der Bühnentanzgruppe wie ein Elefant.) Vera: dann sieht also alles schon so unheimlich * [ elegant aus„ nev ·· und dann ➔ .. ah-. ich Iris: m„ mv Vera: weiß nicht-. Iris: soll mer nächstes Semester mal zusammen hingehn„ (Brons, T. 8, S. 31) Die Elemente ah und ah finden sich im Deutschen nur in vorgeschalteter Stellung. (B3) gibt ein Beispiel für ah. ah ist hier als Andruck einer angenehmen Überraschung auf eine Vorgängeräußerung des Gesprächspartners bezogen, wobei es so erscheint, "als wären zu dem Sachverhalt bisher gar keine Annahmen gemacht worden" (Willkop 1988: 222). ► B3 (Kontext: Iris hat sich auf eine Immobilienanzeige von Frau Kant gemeldet.) Kant: die Geschäfte„ und Schulen„ und ähm ➔ ·· na- Bücherei eben" ·· die Ärzte befinden sich alle in der Fußgängerzone" .. FLuL 24 (1995) 230 Martina Liedke * Iris: aah„ Sie haben [eine Fußgängerzone, m,m,. Kant: ja,ja, ·· in der wohnen wir selber auch„ * Iris: aa„ha, · ja,., doch, das wäre ja interessanh (Brons, T. 28, S. 127) Generell stellt Willkop für die einfachen Formen fest, daß u.a. die jeweilige Stimmqualität die Bedeutungszuweisung der Elemente auf der Skala von Gefallen und Mißfallen beeinflußt. Während bei einer negativ gelagerten Verwendung der Partikeln ein relativ forcierter Einsatz in tiefer Stimmlage zu beobachten ist, sind die positiv gelagerten Verwendungen durch einen weichen Einsatz auf mittlerer Tonhöhe und eine Dehnung der Interjektion gekennzeichnet. Häufiger als die einfachen Formen von AH werden im Deutschen die reduplizierten Formen verwendet. Diese Partikeln besitzen stets rezeptiven Charakter, sind also auf eine Vorgängeräußerung des Gesprächspartners bezogen (Paraphrase „ich verstehe"). Nach Kühn (1979) und Ehlich (1986) können die Elemente in den Kontext einer ausgedrückten Problemlösung gestellt werden, wobei die unterschiedlichen tonalen Verläufe „unterschiedliche Einstellungen des Hörers H zum Verlauf der Problemlösungsprozesses bzw. zum Stellenwert des problemlösenden Elements in Relation zur Problemstruktur und zur Lösungserwartung zum Ausdruck" bringen (Ehlich 1986: 77). Bei ahii, steht ebenso wie bei aha die problemlösende Qualität des Bezugselements in Übereinstimmung mit der hörerseitigen Erwartungsstruktur. Dabei bildet ahii, eine Intensivform, bei der das Überraschende stärker betont wird (Paraphrase „ach, so ist das"). Die Interjektionen aha und aha drücken demgegenüber aus, daß das in der Vorgängeräußerung implizierte Lösungselement nicht mit den hörerseitigen Erwartungen übereinstimmt. Insofern fordert der Sprecher mit ihrer Äußerung zugleich weitere Ausführungen des Gesprächspartners an. Hier kommt aha eine stärkere Ausdrucksqualität als aha zu. Auch bei der Realisierung der reduplizierten Formen kann je nach Tonhöhe und/ oder Länge des Elements eine positiv oder negativ gelagerte Wertung ausgedrückt werden (vgl. Willkop 1988). Den Haupteinsatzbereich von AH bilden im Deutschen die Formeln ah ja und ah so. Sie finden sich häufig in einer Drittposition nach der Beantwortung einer Frage (Paraphrase „ich verstehe"). (B4) gibt ein Beispiel (Willkop 1988: 225). Während ah ja anzeigt, daß die vorhergehende Äußerung nicht im Kontrast zu den hörerseitigen Erwartungen steht, wird mittels ah so ein leichter Erwartungskontrast ausgedrückt. ► B4 (Kontext: Max wechselt mit seiner Frage das Thema.) Max: wer is übrigens die Evi,. · Evi: ich· * Max: (Cafekollektiv, Z. 642-644) FLuL 24 (1995) Partikeln und interkulturelles Verstehen 231 ah ja und ah so können aber auch auf einen eigenen Folgebeitrag bezogen sein. Sie zeigen dann einen plötzlichen Einfall oder eine Eigenkorrektur des Sprechers an und weisen den Hörer auf eine folgende Änderung des Diskursverlaufs hin (B5 aus Willkop 1988: 226). ► BS (Kontext: Anna setzt nach einer Sequenz ein, in der die Beteiligten alle gelacht haben.) Anna: na".ja, · ich glaub ➔ des wär des zum TanzAee, · * ah-.ja". und diese eine Gruppe ➔ die ich da immer angekündigt hab ➔ (Cafekollektiv, Z. 147-150) Ein im Deutschen der Interjektion AH nahestehendes Element ist die Partikel ach, die spezifischer auf eine Änderung der Erwartungshaltungen bezogen ist. Bei Verwendung durch deri (ehemaligen) Hörer zeigt ach an, daß dieser entgegengesetzte Annahmen unterhalten hatte, die er nunmehr revidieren muß (B6 aus Willkop 1988: 211). ► B6 (Kontext: Der Kellner bedient den Stammtisch aufallend langsamer.) Ranna: ich denk ➔ der is ganz neu". · Eva: der an".der, · der klee".ne, · Ranna: ja".ja, ich denk ➔ der ist ganz neu hief'- · * Eva: Ranna: [ ach" dev is ganz neu " ja".a, .. weil * Eva: [ ach, ich dachte ➔ er". is Ranna: da is ➔ · wa I diese " ( ) Eva: [ ganz neu, Ranna: nein, .. der war am Anfang hier ➔ wie die aufgemacht haben". (Stammtisch, Z. 238-249) Als sprecherseitiges Element, das auf eine eigene Folgeäußerung bezogen ist, dient die Partikel hingegen dem Gesprächspartner als Hinweis, "daß er seine Erwartungen in bezug auf die Weiterführung des vorangegangenen Themas[...] zu korrigieren habe" (Willkop 1988: 207). Auch ach wird häufig mit ja oder so kombiniert und steht insofern in Opposition zu ah. Die Formelkombinationen ah ja, ah so, ach ja, ach so etablieren im Deutschen ein Ausdrucksspektrum, das unterschiedliche Verläufe des Verstehensprozesses erfaßt (Diagramm 2). ahja ab so ach ja ach so kein leichter Erwartungskorrektur Erwartungs- Erwartungs- Erwartungsbei prinzipieller korrektur bei kontrast kontrast Bekanntheit starkem Kontrast Diagramm 2: Das Ausdrucksspektrum ah ja ah so ach ja ach so FLuL 24 (1995) 232 Martina Liedke Sowohl hinsichtlich ihrer Zweisilbigkeit als auch hinsichtlich der mit ihnen verbundenen Tonstrukturen weisen die Formeln eine Ähnlichkeit zu den reduplizierten Formen von AH auf: Die durch die tonalen Realisierungen des Folgelementes ja bzw. so gegebenen Differenzierungen scheinen den bei aha gegebenen Bedeutungsunterschieden hinsichtlich der Wissensprozessierung im Diskurs zu entsprechen. 3.2 AIAXim Neugriechischen In Diagramm 1 (S. 228) war aufgezeigt worden, daß sich formal kaum Unterschiede zwischen den deutschen und neugriechischen Interjektionsklassen AH und A finden. Auch im Neugriechischen lassen sich mit ad., a und a vier tonal differenzierte Formen unterscheiden, wobei die letzteren beiden wie im Deutschen nur in einer vorgeschalteten Verwendung möglich sind. An reduplizierten Formen konnten für das Neugriechische nur die Interjektionen axa. axa und axa aufgewiesen werden. Dies mag daran liegen, daß sich die Analyse des Neugriechischen allein auf ein begrenztes Korpus von Gesprächsdaten stützt (vgl. Abschn. 2.3). Betrachtet man die Vorkommenshäufigkeit der verschiedenen Elemente 8, so zeigen sich allerdings auch systematische Gründe (Diagramm 3). Legende [] Einfache Formen m Reduplizierte Formen ■ Formeln Diagramm 3: Verteilung von A in den neugriechischen Daten Eigenständige Verwendungen der einfachen Formen bilden den Haupteinsatzbereich der Partikelklasse im Neugriechischen. Formelkombinationen und reduplizierte Formen, wie sie für das Deutsche kennzeichnend sind, besitzen im Neugriechischen demgegenüber eine geringe Vorkommensfrequenz. Allein die Verteilung der Formen läßt also Unterschiede zwischen dem deutschen und dem griechischen System erwarten. 8 Ausgewertet wurden insgesamt 82 Belege von A. FLuL 24 (1995) Partikeln und interkulturelles Verstehen 233 Die mit steigend-fallendem Tonverlauf verbundene Form a findet sich im Neugriechischen am häufigsten. a tritt zum einen als Ausdruck von Bewunderung und Erstaunen auf (Paraphrase „oh, wie schön! "). (B7) gibt ein Beispiel. ► B7 (Kontext: Kiki hat eine neue Frisur.) 1 M TeAEm! rupvcx Äiyo 7tioro vcx oe öro; .. Ä: : , 1tro: , ( ➔ Super! Dreh dich mal, daß ich dich sehe? .. Ä: : , boh, ( ) öiVet 'tCX ptO"tCX, e; ) gibt den Rest, e? Eine solche Verwendung ist allerdings relativ selten. Wesentlich häufiger findet sich die Äußerung von a im Zusammenhang mit einer Frage und ihrer Beantwortung, so daß sich die dreigliedrige Abfolge Frage - Antwort a ergibt (B8). Eine Paraphrase von a ist dann „ich verstehe". ► B8 (Kontext: Kiki und Toula sprechen überdas Arbeitsleben einer Verwandten, die jetzt Rente bezieht.) 1 K Au't1'J 1tcxtpvet 'tptt'tV'tcx; .. Xµvcxt; T 2 K ➔ Sie bekommt dreißig? .. Ja? A u't1'J 1tcxipvet 'tptt'tV'tCXOX't<i> x; tÄtaöe~, Sie bekommt. achtunddreißigtausend, A„ Kt cxu't1'J tµeve eKEi µtocx; A. Ä„ Und sie hat drinnen gewohnt? Ä. T vat. Eµei~ / . Ncxi. ja. Wir / . Ja. Bei den gestellten Fragen handelt es sich größtenteils um den Typus der „Entscheidungsfrage" "Satzfrage" bzw. "Ja-nein-Frage"). Der Fragesteller erfragt hier nicht etwas Neues, sondern die Richtigkeit einer Vermutung, die er im Vordiskurs ausgebildet hat. a beinhaltet in diesen Fällen also kein überraschendes Moment. Vielmehr ist mit der Fragehandlung eine positive Antworterwartung verbunden, die im Folgediskurs zumeist entsprechend eingelöst wird. Als Leistung von a kann der Ausdruck einer allgemeinen Wissensveränderung erfaßt werden, die im Minimalfall die Überführung eines unsicheren Wissensbestandes in das gemeinsame Diskurswissen (Wissenssicherung), im Maximalfall die Anbindung weiterer Wissenselemente an dieses Wissen betrifft (Wissensausbau). Dabei kann a auch mit dem Ausdruck einer negativen Wertung verbunden sein. In diesen Fällen ist das Element durch eine starke Nasalierung gekennzeichnet; die Vokalqualität erscheint 'schräg' bzw. 'dissonant'. , Neben einem hörerseitigen Einsatz lassen sich auch Fälle aufweisen, in denen a nicht auf einen Vorgängerbeitrag, sondern auf eine eigene Folgeäußerung bezogen ist. Ich bezeichne dies als „produktive Verwendungen". (B9) gibt ein Beispiel. FLuL 24 (1995) 234 ► B9 (Kontext: Litsas Mann hat die Wohnung verlassen.) 1 K L ➔ nou mrye; Wo ging er hin? A .. 7t1'jy<X/ 1taco ! JBO'CX eK"EtVTJ 'tTJV ropa, 'tOV ßp1'! 1m µe A.. ich ging/ ich gehe um jene Zeit hinein, ich fand ihn 2 L 1tCXV'tEAÖVt, µe µ1tAOUSCX, .. ext: : ÖEV UtA.ä.: et,. 'tt1tO'tCX! mit Hose. mit Shirt... äh: : er redet nicht, .nichts! Martina Liedke. Bei einem produktivem Einsatz zeigt a einen Umschlagpunkt in der Wissensauswahl an. Eine Paraphrase der Interjektion ist in diesen Fällen „das ist nun folgendermaßen ...". Das Komplementärelement zu a im Neugriechischen bildet die fallende Interjektion <i. In seltenen Fällen wird <i ebenfalls zum Ausdruck einer freudigen Überraschung eingesetzt (B 10). ► BlO (Kontext: Christas hat den Wasserhahn repariert. Er betritt das Zimmer.) 1 K rta 'tTJ Mapta 'tTJ x,ov'tpl't. Über die dicke Maria. G Sepet~i A! Ev 'tä.l; et etvat; ➔ Weijjt du. Ä.! Ist es in Ordnung? In den meisten Vorkommen findet sich auch <i jedoch in anderen Zusammenhängen, die wie bei a eine weitergehende Klärung des Handlungscharakters der Interjektion nahelegen. So steht auch <i typischerweise als drittes Element im Rahmen sequentieller Abfolgen: Eine sprecherseitige Unterstellung stellt sich im Vordiskurs als falsch heraus und wird durch den Gesprächspartner korrigiert (B11). ► Bll (Kontext: Michalis besucht Kiki.) 1 K · E<l>a')'l,~; H µaµa µou eKave 1tä.At 'te'tOto, eKEtvo 'tO c)>CX'Yll't◊ 1tou: : . ( Hast du gegessen? Meine Mama hat wieder Dings gemacht, das Essen, das l K / ) ( / ) A. A. M Bpe, c)>CX"(O! JBVO~ 1'! p0a. Du. ich habe schon gegessen. rm 1te~ µou 'tt/ 1t~ ·1tepva~; Sag mal. was/ wie geht es dir? Te'tota ropa &v ( ) Um diese Zeit ( ) nicht. <i ist also auf eine Änderung von Annahmen und Erwartungen bezogen. Die Partikel ist als Ausdruck einer „Wissensersetzung" zu bestimmen: Ein bisheriges Wissenselement, das sich als unzutreffend erwiesen hat, wird fallengelassen, ein neues Wissenselement tritt an seine Stelle. Eine Paraphrase von <i ist „Ach, so ist das. Ich hatte etwas anderes angenommen". FLuL 24 (1995) Partikeln und interkulturelles Verstehen 235 In einer vorgeschalteten Verwendung wird a zum einen rezeptiv mit der Exothese des neu erworbenen Wissens verbunden. Es finden sich jedoch auch produktive Einsätze der Partikel. (B12) ist ein solcher Fall. Inhaltlich handelt es sich auch hier um die Ablehnung eines Angebots. a wird hier aber durch die Sprecherin den Erwartungsbruch vorwegnehmend dem zweiten Sequenzelement, der Ablehnung, vorangestellt. Eine Paraphrase von a ist in diesen Fällen „Deine Erwartung hinsichtlich meiner Folgehandlung ist unzutreffend/ zu korrigieren". ► B12 (Kontext: Toula bietet Kiki eine Zigarette an.) 1 K ➔ A, öx; t, 'tÖ 'KO'lfCX. Ä., nein, ich habe aufgehört. T E>eA&~, Kin, eva; ·Ex; ro ( / ) Willst du eine, Kiki? Ich habe ( / ) Die neugriechischen Formen ci und a können von ihren Einsätzen her auf die beiden Grundtypen <i und a zurückgeführt werden. Diagramm (4) bildet die im Neugriechischen gegebene Binnendifferenzierung ab. · A a* t 1 1 1 1 a. l a* r (X - Wissensveränderung . (Erwerb, Sicherung, Ausbau, Verschiebung) · - Wissenskorrektur Diagramm 4: Funktionale Differenzierung der Klasse A 9 Im Unterschied zu den einfachen Formen nehmen im neugriechischen System wie bereits angesprochen die reduplizierten Interjektionen nur geringen Raum ein. aza scheint wie a eine Umorientierung im Wissen anzuzeigen, jedoch durch einen größeren Abstand zur Korrektur gekennzeichnet zu sein. az<i hingegen ist vermutlich spezifisch auf die Ausfüllung einer im Vordiskurs entstandenen Wissenslücke 9 Dabei bedeuten: * = nur als Vorschaltung; --- ► = Spezifizierung; ➔ = Neutralisierung. FLuL 24 (1995) 236 Martina Liedke bezogen. Die Interjektion aza, für die sich in den Daten nur ein Verwendungsbeispiel findet, steht bei diesem als hörerseitige Verstehensrückmeldung im Kontext einer sprachlichen Teilhandlung. Selten verwendet wird a auch in Formelkombinationen. Anders als im Deutschen, kann im Neugriechischen z.B. keine feste Verbindung mit der Folgepartikel vm Ga) aufgewiesen werden. 10 Als neugriechische Formeln fanden sich a µäAtO''t<X Ga, gut) und a µ1tpäßo (bravo). Beide bilden stets rezeptive Elemente und stehen als Ausdruck der Klärung nach einem im Vordiskurs prozessierten Verstehensproblem (Paraphrase „jetzt verstehe ich (endlich)"). Abschließend sei kurz das Element az angesprochen, das sich im Neugriechischen ebenfalls findet, allerdings seltener auftritt als die Mitglieder der Klasse A. 11 az wird zumeist mit fallendem Tonverlauf verbunden, kann jedoch auch multipliziert mit einem Tonanstieg auf der ersten Silbe bei anschließendem stufenweisen Fall verwendet werden (azaza). Den typischen Einsatzbereich der Partikel bildet der Abschluß einer Handlungseinheit: AX wird geäußert, wenn es im Moment „nichts mehr zu sagen gibt", der Sprecher-Hörer-Kontakt jedoch weiterhin aufrechterhalten werden soll. Ausgebend von seinen Verwendungskontexten ist das neugriechische AX als „Interjektion der thematischen Abstandnahme" zu charakterisieren. 3.3 Kontrastierung des deutschen und neugriechischen Systems Wie die einzelsprachliche Beschreibung der deutschen und griechischen Interjektionen zeigt, sind die Mittel der Diskurssteuerung in beiden Sprachen zwar formal übereinstimmend, inhaltlich ergeben sich jedoch auch beträchtliche Unterschiede. In beiden Sprachen sind die Partikelgruppen auf das bestehende Vorwissen, die Annahmen und Erwartungen der Kommunikationsbeteiligten bezogen. Dabei kommt den verschiedenen Formen von AHIACH im Deutschen und A/ AXim Neugriechischen ein breiter Einsatzbereich als hörerseitige Verstehensäußerungen, als sprecherseitige Anzeigen einer Themenänderung oder als Mittel der Anzeige einer verarbeiteten oder zu verarbeitenden Korrektur in der Wissensprozessierung zu. Als unterschiedlich erweist sich aber die funktionale Binnendifferenzierung, die die beiden Sprachen hinsichtlich der verschiedenen Gruppenmitglieder vornehmen. Bezieht man die Funktionen der einzelnen Elemente der beiden Sprachen aufeinander, so ergeben sich für jede der Formen zwar minimale interlinguale Überlappungen ihrer diskursiven Einsatzmöglichkeiten, z.B. von ah, ah, <i und a als Ausdruck einer freudigen Überraschung oder von aha und az<i als Ausdruck einer Informa- 10 In Kombination mit der Folgepartikel va.i Ga) kann a mit unterschiedlichen Tonkonturen verbunden werden, so daß hier anders als im Deutschen nicht von einer festen Verbindung der beiden Elemente ausgegangen werden kann. In den Kombinationen a µäAtO"'ta (ah ja, gut) und a µ1tpäßo (ah bravo) nimmt a hingegen stets einen gleichbleibenden Tonverlauf an, was für feststehende Wendungen spricht. 11 Insgesamt fanden sich in den Daten 18 Vorkommen von AX. FLuL 24 (1995) Partikeln und interkulturelles Verstehen 237 tionsübernahme. In zahlreichen Fällen können die Partikeln aber nicht interlingual gegeneinander ausgetauscht werden. Das Verhältnis der beiden Ausdrucksklassen im Deutschen und Neugriechischen stellt sich vielmehr als eine komplexe Relationsstruktur dar. So weisen ·die für die griechische Partikel <i genannten Einsatzmöglichkeiten als drittes Glied bei der Beantwortung einer Frage, die nicht mit einer Erwartungskorrektur verbunden ist, z.B. auf die deutschen Formelkombinationen ah ja und ach ja als ihre funktionalen Entsprechungen. Ebenso können ach und ach so ·als Korrekturelemente des Deutschen auf die neugriechische Partikel a bezogen werden. Im Deutschen und im Neugriechischen liegen also unterschiedliche Versprachlichungsverfahren vor: Während das Neugriechische in einem synthetischen Verfahren vorwiegend mittels einzelner Elemente arbeitet, verwendet das Deutsche ein analytisches Verfahren, das die expeditive Anzeige der Wissensveränderung oder Korrektur durch ah/ ach mit einer deiktischen Neufokussierung der betreffenden Wissenselemente (so) oder einer operativen Wiederaufnahme eines vorhandenen Wissenselementes (ja) verbindet. Insgesamt zeigt die empirische Analyse der Interjektionen, daß der Ausdruck von Gefühlen nicht wie in der traditionellen Grammatik angenommen ihren Hauptfunktionsbereich darstellt. Vielmehr scheinen es intonatorische Momente zu sein, mittels derer die Umsetzung bestimmter Gefühlsqualitäten geleistet wird. Sie können als eine Überlagerung des expeditiven Feldes und des Maifeldes bestimmt werden (vgl. Abschn. 2.1). Auch dieses wird offenbar einzelsprachlich unterschiedlich realisiert: Während im Deutschen Stimmhöhe und -einsatz eine wesentliche Rolle zu spielen scheinen, sind es im Neugriechischen Nasalierungen und eine harmonische oder dissonante Stimmqualität, mittels derer eine positive oder negative Wertung transportiert wird. 4. Spracherwerb und interkulturelle Verständigung Die kontrastive Analyse weist die Partikeln als einen Teilbereich aus, der nicht umstandslos aus der Muttersprache übernommen werden kann, sondern in einer fremden Sprache neu erworben werden muß. Aufgrund ihrer Ähnlichkeiten einerseits, ihrer weitgehend automatisierten Verwendung andererseits sind prinzipiell Interferenzen 12 zwischen den beiden Systemen erwartbar. 12 Im folgenden wird ein Interferenzkonzept zugrundegelegt, wie es in der Kontrastiven Linguistik und der Fremdsprachendidaktik vertreten wird. Der Terminus „Interferenz" bezeichnet hier die lernersprachliche Übertragung von Strukturen der Muttersprache in die Fremdsprache i.S. eines Störfaktors, der sich aus der unzureichenden Beherrschung des fremdsprachlichen Systems ergibt. Ein anderes Interferenzkonzept findet sich im Rahmen der Sprachkontaktforschung (vgl. Liedke 1994): "Interferenz" bezeichnet dort eine die einzelsprachlichen Systeme erweiternde Strukturübertragung, also ein positives Phänomen, das auf der Beherrschung beider Sprachsysteme beruht. FLuL 24 (1995) 238 Martina Liedke Im Falle des Deutschen und Neugriechischen umfaßt das Interferenzpotential verschiedene Aspekte. Es ist zum einen wahrscheinlich, daß neugriechische Sprecher Schwierigkeiten mit dem Erwerb der zweiteiligen Formeln (ah ja, ach ja etc.) haben, dies insbesondere, als sich die Tendenz „einfache Form im Neugriechischen - Formel im Deutschen" auch im Falle anderer Partikeln zeigt (vgl. Liedke 1994). Es ist daher zu vermuten, daß neugriechische Sprecher auch im Deutschen vorwiegend Gebrauch von den einfachen Formen machen und die deutschen Interjektionen ah und ah übergeneralisieren. Bei einem solchen übertragenen Einsatz erfolgt die Verstehensanzeige im Vergleich zu den im Deutschen üblichen Verfahren allerdings weniger explizit, so daß ein deutscher Gesprächspartner keine Rückschlüsse auf die Verarbeitungsqualität z.B. von Korrekturen ziehen kann. Dabei ist es denkbar, daß die Verstehensanzeige als weniger verbindlich oder u.U. als ironisch interpretiert wird. 13 Auch eine übertragene turn-einleitende oder turn-interne Verwendung der Interjektionen als produktive Anzeige einer folgenden Umorientierung, wie sie sich im Neugriechischen häufig findet, könnte im Deutschen zu verdeckten Kommunikationsschwierigkeiten führen. Wie bei einem rezeptiven Einsatz ist es die mangelnde Explizitheit der Verbalisierung, die als unklare Weichenstellung für den Folgediskurs bei einem deutschen Gesprächspartner die Rezeption erschwert. Für Sprecher des Deutschen stellt sich im Falle von A im Neugriechischen umgekehrt das Problem der Verwendung der einfachen Formen. So ist es wahrscheinlich, daß sie die in der Muttersprache gegebenen Formelkombinationen in das Neugriechische übertragen. Zu erwarten ist ferner, daß die häufige Verwendung der Partikel ach als Mittel der korrigierenden turn-Einleitung vom Deutschen in das Neugriechische übertragen wird. Neugriechische Gesprächspartner könnten dies als Ausdruck eines gewünschten Themenwechsels mißverstehen. Die neugriechische Partikel AX wird von deutschen Sprechern als Themenabschlußsignal in Überbrückungsfunktion hingegen vermutlich nicht identifiziert und nicht genutzt, da es sich hier um ein in der Muttersprache nicht übliches Verfahren handelt. Damit aber entfällt ein wichtiges Mittel der Solidarisierung, dessen Fehlen als „Kälte" oder "Unfreundlichkeit" ausgelegt werden kann. Übertragungen im Bereich der diskurssteuernden Partikeln beinhalten also insgesamt ein erhebliches Mißverstehenspotential für die interkulturelle Kommunikation. Die Sprachunterschiede legen ferner eine andere Erklärung für die in ihr häufig vorkommenden Verstehensnachfragen nahe: Ein Grund kann neben der Antizipation von Verstehensproblemen aufgrund einer z.T. mangelhaften Sprachbeherrschung auch darin angesiedelt werden, daß die Verständnisanzeigen der Gesprächspartner nicht adäquat realisiert und/ oder identifiziert werden. 13 Dies wird deutlich, wenn man z.B. (Bll) unmittelbar in das Deutsche überträgt: K.: Hast du schon gegessen? Meine Mutter hat wieder Dings gemacht, dieses Essen, das... M.: Du, ich habe schon gegessen. K.: Ä.. FLuL 24 (1995) Partikeln und interkulturelles Verstehen 239 In einer Folgeuntersuchung bilingualer griechischer und deutscher Sprecher konnte das Auftreten entsprechender Interferenzen nachgewiesen werden (Liedke 1994). So zeigte sich z.B., daß deutsche Sprecher die gewohnten Formelkombinationen in das Neugriechische übertragen. Interessante Unterschiede ergaben sich hinsichtlich zweit- und fremdsprachiger 14 griechischer Sprecher: Während erstere wie die deutschen Sprecher die deutschen Formelkombinationen auch im Neugriechischen verwendeten (wobei sie sie jedoch anders als die Deutschen nicht "hellenisierten", sondern sie unvermittelt im griechischen Diskurs einsetzten), griffen letztere hingegen auch im Deutschen nur auf einfache Formen zurück. Insgesamt zeigt die exemplarische Untersuchung des Deutschen und Neugriechischen deutlich die Notwendigkeit, gesprächssteuemde Partikeln im Fremdsprachenunterricht zu behandeln. Dabei sollte möglichst eine kontrastive Perspektive eingenommen werden. Zugleich weist die vergleichende Analyse des mündlichen Verständigungshandelns auf ein bestehendes Forschungsdefizit hinsi.chtlich weiterer Charakteristika der mündlichen Interaktion. Für die kontrastive Linguistik als Bezugswissenschaft der Fremdsprachenerwerbsforschung liegt hier ein wichtiges Untersuchungsfeld. Bibliographische Angaben BÜHLER, Karl (1934): Sprachtheorie: die Darstellungsfunktion der Sprache. Ungekürzter Neudr. 1982. Stuttgart & New York: Fischer. C0ULMAS, Florian (1981): Routine im Gespräch. Zur pragmatischen Fundierung der Idiomatik. Wiesbaden: Athenaion. DHIMITRAK0S, Dhimitrios (21958): Meya AE~tKOV O).: r1~ 'tTJ~ EU11vtK11~ Thcoo011~- Athen: Dhimitrakos-Rebezikas A.E. DUDEN ( 4 1984): Band 4: Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. Herausgegeben und bearbeitet von G. Drosdowski in Zusammenarbeit mit G. Augst, H. Gelhaus, H. Gipper, U. Mangold, H. Sitta, H. Wellmann u. Ch. Winkler. 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FLuL 24 (1995) 240 Martina Liedke EHLICH, Konrad (1986a): "Funktional-pragmatische Kommunikationsanalyse - Ziele und Verfahren". In: HARTUNG, Wolfdietrich (Hrsg.): Untersuchungen zur Kommunikation - Ergebnisse und Perspektiven. Berlin: Akademie der Wissenschaften, 15-40. ELEFI'HERIADES, Olga (1990): Modem Greek. A Contemporary Grammar. Palo Alto, Ca.: Pacific Books Publishers. GüLICH, Elisabeth (1970): Makrosyntax der Gliederungssignale im gesprochenen Französisch. München: Fink. HAARMANN, Harald (1977): Prinzipielle Probleme des multilateralen Sprachvergleichs. Anmerkungen zur Methodik und Methodologie. Tübingen: Narr. HELBIG, Gerhard/ BUSCHA, Joachim (1986): Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Leipzig: VEB Verlag Enzyklopädie. KÜHN, Peter (1979): "AHA! Pragmatik einer Interjektion". In: Deutsche Sprache 4, 289-297. LIEDKE, Martina (1994): Die Mikro-Organisation von Verständigung. Diskursuntersuchungen zu griechischen und deutschen Partikeln. Frankfurt/ M. 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