eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 24/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
1995
241 Gnutzmann Küster Schramm

Das deutsche „HM” und das madagassische „M”

121
1995
Janie Noëlle Rasoloson
flul2410241
Janie Noelle Rasoloson Das deutsche „HM" und das madagasssische „M'' Funktionale Differenz bei formaler Gleichheit Abstract. Thls paper describes an empirical investigation of interjectional verbalisation in spoken German and Malagasy 1• The main purpose ofthis paper is to present comparative studies of the pragmatic functions of the German interjection HM (HMd1.) and the Malagasy interjection M (Mmru1ag) within different speech situations. The material of thls investigation consists of recorded utterances in spontaneous German and Malagasy speech. By using mainly concepts of Functional Pragmatics and some theories of the American ethnography of speaking, the distributive occurances of the German interje<; tion HM and the Malagasy interjection M are recorded. Furthermore, their functional significance in both languages is investigated and compared. The analysis of the results leads to the conclusion that very often Gennan and Malagasy speakers utter the "same" interjection under different conditions of speech production, within different speech situations. Moreover, some learning implications are drawn, particularly for the acquisition of the German interjection HM by German speaking Malagasy. 1. Zum Untersuchungsgegenstand Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist eine kommunikative Einheit, die ihr Zentrum in spezifischen Funktionsbereichen beim sprachlichen Handeln hat, nämlich die Interjektion. Die Interjektionstypen lassen sich nach Ehlich (1986b) durch ein Form-Funktions-Verhältnis charakterisieren. Sie machen von tonalen phonologischen Einheiten für Zwecke der Bedeutungsdiskriminierung Gebrauch: Es wird generell zwischen verschiedenen tonalen Strukturen (fallend \, steigend / , eben -, fallend-steigend \ / , steigend-fallend / \) differenziert, die oft in dreifacher Form (einfach, kurz, redupliziert) realisiert werden 2• So wird z. B. na\ / (in der einfachen Form und mit dem fallend-steigenden Ton) bei Kontaktaufnahmen und bei großer Vertrautheit zwischen den Interaktanten verwendet, während na'\ (in der Kurzform mit dem fallenden Ton) der Überbrückung von Produktionsverzögerung beim Sprecher dient. „Die Funktion .der Interjektion ergibt sich aus unterschiedlichen Zwecken der Prozessierung interaktionalen Handelns" (1986: 232). Die Interjektion HM 3 wird im Näheres zur madagassischen Sprache vgl. Rasoloson (1995). 2 Näheres zu Formen und Funktionen von Interjektionen vgl. Ehlich (1986), Liedke (1994), Rasoloson (1994). 3 <HM> wird als Bezeichnung für die Klasse der verschiedenen Formen verwendet. Dagegen wird jede Form mit <hm> wiedergegeben (vgl. Ehlich 1979, 1986). FLuL 24 (1995) 242 Janie Noelle Rasoloson Deutschen als Ausdruck von Zweifel, Befremden, Zögern, Wohlgefallen, Zustimmung, Bekräftigung, erstaunte Rückfrage bezeichnet (vgl. Willkop 1988: 108), aber auch als Ausdruck von Beifall, Befriedigung, Genugtuung (vgl. Duden 1984). Die deutsche Interjektion HM wurde bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts (vgl. Sievers 1901, Hermann 1912/ 13) untersucht und ist umfangreicher als die madagassische Interjektion M 4 beschrieben worden. Es soll an dieser Stelle kurz erläutert werden, warum HM zum Untersuchungsgegenstand wurde. Meine Aufmerksamkeit auf die Interjektion HM ein sehr häufig gebrauchtes Monem des Deutschen und des Madagassischen wurde bei Gesprächen auf Deutsch zwischen deutschsprechenden Madagassen dadurch gelenkt, daß HMdt. für einen Madagassischsprachigen in vielen Sprechsituationen verwirrend ist und sehr oft Nachfragen oder fragende Blicke an den Sprecher des deutschen HM zur Folge hat. Während der Muttersprachler des Deutschen über genaue Kenntnisse über die Funktionen von HMd1. verfügt, muß der Madagassischsprachige lernen, die verschiedenen Realisierungen von HMd1. mit seinen Tönen und Funktionen zu unterscheiden. 2. Theoretischer Rahmen der Untersuchung und Fragestellungen Unter Verwendung der Theorie des sprachlichen Handelns 5 werden die diskursiven Zusammenhänge der Interjektion HM/ M bestimmt, die in der deutschen und madagassischen Sprache phonetisch und phonologisch gleich realisiert werden. Es wird auf die Fragen eingegangen, wie Diskursabläufe und Diskursstrukturierungen mit HM/ M einzelsprachlich geregelt sind; welche Sprechsituationen die Bedingungen für die Verwendung von HMdt. und Mmadag. schaffen, um die Interjektion HMcti/ Mmadag. richtig zu verstehen und zu gebrauchen. Auf diese Weise sollen mögliche auf der Interjektion HM/ M beruhende Mißverständnisse in einer deutsch-madagassischen Interaktion auf Deutsch vermieden werden. Die Untersuchungen erfolgen anhand authentischer, gesprochener Daten aus der deutschen und madagassischen Sprache, die nach dem von Ehlich/ Rehbein (1976, 1979) entwickelten Verfahren HIAT transkribiert wurden 6• 4 Eine konventionelle graphematische Wiedergabe der madagassischen Interjektion M ist bisher nicht vorhanden. Da die Phonemreihenfolge / h/ + Im/ im Madagassischen nicht vorkommt und das Phonem / h/ keine phonetische Entsprechung in der madagassischen Sprache hat, erscheint die Verschriftlichung <m> adäquat. 5 Vgl. Ehlich (1986a, 1987, 1989); Ehlich/ Rehbein (1977). 6 Die im Rahmen der vorliegenden Untersuchungen angeführten empirischen Beispiele wurden nach dem von Ehlich/ Rehbein (1976, 1979) entwickelten Verfahren der „Halbinterpretativen Arbeitstranskription" (HIAT) retranskribiert bzw. transkribiert. Spezifische Eigenschaften der gesprochenen Sprache (verbale Kommunikation und nonverbale Kommunikation, intonatorische FLuL 24 (1995) Das deutsche „HM" und das madagassische „M" 243 3. Die Interjektion HM im deutschen Sprachgebrauch Ehlich (1986b) liefert eine systematische typologische Darstellung der Formen und Funktionen von HMd1.. Er unterscheidet zwischen vier Grundformen, die auf der Basis ihrer phonologischen Eigenschaften zu einem spezifischen Funktionsbereich zuzuordnen sind (nach Ehlich 1986: 54): einfache Form Kurzform reduplizierte Form (R) Typ I I hm\/ 1K (hm' \ / ) IR hmhm\/ Typ II II hm/ IIK. hm' / IIR (hmhml) Typ III III hm- IIIK (hm'-) IIIR hmhm- TypN N hm\ IVK hm'\ IVR hmhm\ Tab. 1: Grundtypen der Systematik von HM und ihre Schreibung 7 Die Grundformen zeichnen sich durch die bedeutungsunterscheidenden Töne "fallend-steigend", .,steigend", .,eben", .,fallend" in Kombination mit dem „einfachen Typ" aus: 1. hm\ / (,.verstanden", ,.einverstanden", ,.einer Meinung") 2. hm/ (,.wieso das denn? ") 3. hm- (,.da bin ich skeptisch", ,.da bin ich anderer Meinung", ,.vielleicht, aber...") 4. hm\ (,.das ist ja komisch! ", ,.was jetzt? ", ,.so was! ") Die Grundfunktion von HMd1. läßt sich nach Ehlich durch die Termini Konvergenz-Divergenz zwischen Hörer (H) und Sprecher (S) zusammenfassen. Neben diesen Grundformen sind fünf abgeleitete Formen verzeichnet, die durch das Verhältnis der Tonhöhenstufen zueinander bestimmt werden. Sie zeichnen sich Phänomene sowie interpretative Kommentare) werden durch dieses Verfahren erfaßt. Folgende konventionelle Notierungen werden in HIAT u.a. verwendet: / Abbruch Pause Längung (( )) sonstige Handlungen ( ) akustisch nicht verständlich Emphase / _NVK _j nonverbale Kommunikation Die madagassischen Transkripte werden ins Deutsche interlinear übersetzt und werden in der vorliegenden Untersuchung in der Kursivschrift wiedergegeben. 7 Erläuterungen zu Tab. 1: * = im System nicht vorhanden, ( ) = noch nicht untersucht. FLuL 24 (1995) 244 Janie Noelle Rasoloson durch die Töne „steigend", "fallend", "fallend-steigend" in Kombination mit der "Phonem-Kurzform" oder der reduplizierten Form aus (1986b: 54ft): 5. hrn'/ "Wie bitte? ", "Was soll das sein? ") 6. hm'\ "da haben wir den Salat! ") 7. hrnhm\ / (hrn\ / ) 8. hmhrn\ (deliberativ) Willkop (1988) stellt weitere einfache Formen wie [hm/ \] und [hm: \ / ] bzw. [7m\ / ] und [7m: \ / ] als Ausdruck der erstaunten oder zweifelnden Rückfrage fest. Eine phonetisch orientierte Notierung zum Kennzeichen der Längung wird bei Willkop außerdem angegeben. Die Formen [hm: \ / \] bzw. [7m: \ / \] bezeichnet sie als Ausdruck von Wohlgefallen, Wohlbefinden oder angenehme Überraschung. Weitere reduplizierte Formen werden aufgeführt, bei denen dem glottal stop ein phonemischer Status zugeordnet wird (1988: 107): - [7m\hm/ ] bzw. [7m\m/ ] bzw. [hm\m/ ]: Bestätigungs- oder Zustimmungssignal - [7m/ hrn\] und [7m: / hrn\] bzw. [hrn/ hrn\]: Verstehen - [7m\hm: \ / ] bzw. [hrn\hm: \ / ]: Bekräftigung - [7m\hm: / ]: Verstehen nach anfänglichen Problemen - [7ml7m\], [7m\7ml]: Korrekturanforderung Bei Willkop zerfällt die Interjektion HMd1. also in sieben einfache Formen und fünf reduplizierte Formen. 4. Kontrastive Untersuchungen Obwohl die deutsche und die madagassische Sprache zu unterschiedlichen Sprachsystemen gehören, ist eine Vielzahl von Interjektionen vorhanden, die eine formale Identität, jedoch funktionale Differenzen aufweist. Dies wird im Rahmen der kontrastiven Untersuchung untersucht, um Konsequenzen für die Lehre des Deutschen als Fremdsprache zu ziehen. · ► Der steigende Ton [m/ ], [m'/ ] Die steigende Tonstruktur des madagassischen m/ ? oder m'/ ? bedient sich der einfachen Phonemform, aber auch gelegentlich der Kurzform. Im deutschen Sprachgebrauch wird das mit diesem Ton erzeugte HM als verständnissichemde Rückfrage gebraucht und drückt die Aufforderung an den Vorredner aus, das Vorhergesagte zu wiederholen oder näher zu erläutern (vgl. Ehlich 1986: 51 ff; Lindner 1983: 105). [1] (A und B unterhalten sich über Bs Stelle als wissenschaftliche Hilfskraft.) A: Un ich hab ja noch/ nee, ich hatte sieben und fünfzig, aber ich hab ja jetz FLuL 24 (1995) Das deutsche „HM" und das madagassische „M" 2 A: noch en Viertel meiner Stelle abgegeben. An den Z. Ich weiß nicht, ob du >: / B: hm? 3 A: den kennst. [2] Beispiel [2] illustriert eine andere Verwendung von hm/ im Deutschen: 1 B: Der hatte en unheimisch hübsches Gesicht äh und war bis zur Taille auch 2 >: / B: sehr normal gebaut, also ganz schlank, hm? >: A: \/ Hm 245 Hin/ ? wird einer Assertionsverkettung nachgeschaltet und fungiert als Hörersteuerung. Es wird vom aktuellen Sprecher produziert, um sich der kontinuierlichen Aufmerksamkeit des Hörers zu vergewissern und um die gerade vermittelte Information in den Wissensbereich des Hörers zu überführen. Aufgrund der Verwendung des Ausdrucks hm/ ? erwartet der Sprecher eine Rückmeldebestätigung vom Hörer. Das Madagassische verzeichnet unter anderem die folgende Verwendung der Interjektion m/ : [3] (Ri bittet die Familie zu Tisch.) >: \ Ri: Ndao ry reto hoany an-dakozia a! Laßt uns, (Anrede), in die Küche gehen (I.)! Mn: Ndao ö! Kommst du mit (I.)? Mi: Ndao Fa a! Komm mit, Fa (1.) >: / \/ \ Fa: M? M. (1.) (Äh) (1.) (Ja) ((----------liest einen Roman--------------)) [4] (Ri hat gerade einen französischen Satz gesagt. Sie hat lange kein Französisch mehr gesprochen.) Ri: Mbola mba miteny ve izany? Hat das denn überhaupt noch einen Sinn? >: / \/ \ Fj: M? M. 1 (1.) (Äh) (1.) (Ja) Die steigende Tonstruktur von M in [3] und [4] ist kein Kennzeichen für eine Frage. Daß es tatsächlich nicht um eine Frage geht, zeigt sich daran, daß die FLuL 24 (1995) 246 Janie Noi! lle Rasoloson Sprecher (Fa in [3] und Fj in [4]) nach der Produktion von m/ ihren Interaktanten keine Möglichkeit geben, sich zu äußern, da sie ohne Pause ihre Sprechhandlungen fortsetzen. In [3] und [4] bedienen sich zwei Sprecher der Ausdrucksklasse m/ , um den Hörern zu verstehen zu geben, daß sie die Absicht haben, auf die Fragen einzugehen, aber Zeit für die Deliberation brauchen. Diese Funktion wird im Deutschen nicht mit der Ausdrucksklasse m/ , sondern mit ÄH (vgl. Rasoloson 1994) oder mzum Ausdruck gebracht. Eine andere Verwendung der Ausdrucksklasse m/ läßt sich im folgenden Beispiel verdeutlichen: [5] (Ni spricht ihre Mutter an.) >: / \ Ni: Mama a? Mama (1.) / Ma: M? (1.) (Ja? ) Die Kombination „Voc + I." (Vokativ + Interjektion) gibt im Madagassischen zu verstehen, daß der Sprecher einen Interaktionskontakt mit dem im Vokativ bezeichneten Diskursteilnehmer aufnehmen will (vgl. Rasoloson 1994: 204 ft). Die Sprechhandlung „Mama a! " stellt ein verbales Kontaktangebot von Ni an ihre Mutter dar. Ma nimmt mit m/ das Gesprächsangebot wahr. Paraphrase wäre: "Ich höre, was gibt's? ", "Was willst du? ". Die Interjektion m/ exotetisiert also die Hörerbereitschaft. Im Deutschen hat die Partikel ,ja" mit steigendem oder mit fallend-steigendem Ton, das „Ja der Gesprächsbereitschaft" (vgl. Lindner 1983: 75), eine ähnliche Funktion. ► Der fallende Ton [m\] M\ weist eine einfache Phonernform auf. Das Tonmuster fällt kontinuierlich. Eine solche Realisierung ·ist auch im Deutschen belegt und dient dem Ausdruck des Befremdens: [6] (B erzählt A, daß ihr Geschirrspüler verstopft war. Bs Vater ging in den Keller, um die Ursache der Verstopfung herauszufinden.) 1 B : äh hat mal nachgeguckt. Und . dann lag das genau daran, wie ich schon 2 B : vermutet hatte. Da war nämich ein dicker Fettklumpen drin. Und äh er >: \ A: Hm! 3 B : überlegte jetzt woher das wohl kommen könnte. Die Tatsache, daß ein Fettklumpen im Spülrohr die Spüle verstopft hat, löst bei A das hm\ aus. Paraphrase wäre: "Das ist ja kornisch! " Die gleiche Ausdrucksklasse FLuL 24 (1995) Das deutsche „HM" und das madagassische „M" 247 dient im Madagassischen dem Ausdruck der Erregung der Aufmerksamkeit des Adressaten zur Änderung seiner Handlung bzw. seines Verhaltens. M\ [hm\] ist im Madagassischen warnend. Es kann isoliert verwendet werden. Paraphrasen wären: „Laß das, ich warne dich! ", "Paß auf! " Diese Funktion wird im Deutschen teilweise durch die Interjektion HE mit fallend-steigender Struktur zum Ausdruck gebracht (vgl. Ehlich 1986b). Jedoch ist he/ \ in dieser Verwendung drohend, so daß es keine adäquate Übersetzung für m\ darstellt. [7] (Ni stellt ihre Prüfungsvorbereitungen ein, weil die Abiturprüfung wegen des Streiks auf einen ungewissen Zeitpunkt verschoben wird.) Ni: So ihany fefa vita ny revisions-ako! Ein Glück, daß ich mit den Prüfungsvorbereitungen fertig bin! >: J: \ Aza mi-sous-estime ho'a' fa m! Unterschätze es bloß nicht, denn hm! In [7] warnt J Ni mit „Aza mi-sous-estime ho'a"' (unterschätze es bloß nicht! ) ausdrücklich. J nimmt diese Warnung mit m\ [hm] wieder auf, um Ni zu Reflexionen zu bewegen und sie vor den Konsequenzen des Nachlassens der Prüfungsvorbereitungen zu warnen. M\ ist im Madagassischen jedoch nicht allein auf die warnende Funktion beschränkt. Dies zeigt uns folgendes Beispiel: [8] (Fa und Ri räumen den Kleiderschrank auf und haben alle Kleider in Stapeln auf den Teppichboden gelegt. No betritt in diesem Moment den Raum.) Fa: Ity ny zipo-na majorette-ko (3 sek.), jupette. >: No: Dies ist mein Majorette-Rock. Röckchen. I_U ! _2_! \ 7m! (1.) (7.eig mal! ) / _3_/ / _l zeigt Ri einen Rock. / _2 zieht den Rock an. / _3 sieht Fa fragend an. Fa: No: Ri: 2 ((singt und spielt zugleich mit dem Majorette-Stock)) ((--------------------guckt zu------------------------)) / _l U Bon. ~a va! Gut. Das geht! / _2 2_/ / _l gähnt beim Aufhängen einer Jacke. / _2 sieht sich die von Ri und Fa aufgehängten Kleider an. FLuL 24 (1995) 248 Janie Noelle Rasoloson >: \ No: 7m! Ireto indray hizahavana. (1.) (hier! ) l_l_J Für diese hier müssen wir noch welche besorgen. Ri: 3 Merci! Danke! / _2_} / _l gibt Ri einen Kleiderbügel. / _2 nimmt den von No hingereichten Kleiderbügel. Fa zeigt auf den Rock, den sie gewöhnlich bei der Majorette-Schau trägt. No wendet sich an Fa mit dem Ausdruck 7m\ (Fläche 1) und macht dadurch deutlich, daß er sich den Majorette-Rock näher ansehen möchte. Paraphrasen wären: "Zeig mal! " Fa reagiert nonverbal darauf: Sie zieht sich den Rock an und spielt mit dem Majorette-Stock, um die von No mit ? m\ zum Ausdruck gebrachte Bitte zu erfüllen. Das Äußern von ? m\ in Fläche 1 führt dazu, daß Fa, die gerade mit dem Aufhängen von Kleidern beschäftigt ist, ihre aktuelle Tätigkeit aufgibt und sich für die von No geforderte Zuwendung zur Verfügung stellt. Das, was No mit ? m\ in Fläche 3 zum Ausdruck bringen will, kann im Deutschen, Englischen und Französischen nur mittels einer längeren Verbalisierung wiedergegeben werden. Die Verwendung der Interjektionsklasse 7m\ wird hier mit einem nonverbalen Element verbunden und begleitet das Darreichen eines Objektes. In diesem Verwendungszusammenhang liegt eine Übersetzung ins Englische mit der expliziten Sprechhandlung "Here you go! " nahe. Im Deutschen kann man die madagassische Ausdrucksklasse ? m\ in diesem Kontext mittels einer sprachlichen Handlung wie: "Hier (hast du einen Kleiderbügel! )" wiedergeben und im Französischen mit "Tiens, voila (un porte-manteau! )". ► Der fallend-steigende Ton Die Interjektion m\: / weist eine einfache Form auf, der eine fallend-steigende tonale Struktur zugrundeliegt. Die fallende tonale Struktur durchläuft einen längeren Zeitabschnitt als die steigende. Während diese Form im Deutschen Konvergenz zwischen S und H ausdrückt und eine affirmierende Funktion hat [9], bringt sie im Madagassischen genau das Gegenteil zum Ausdruck, nämlich eine erhöhte Divergenz zwischen S und H [10]. Die tonale Struktur des deutschen HM zum Ausdruck der Konvergenz ist genau konträr zu der madagassischen. [9] B : Hör ma! Ras du denn nich ma Zeit, zum Kaffee zu kommen? Ich bin jetz so >: V B : wahnsinnig beschäftigungslos! Hm! >: / 2 A: h? FLuL 24 (1995) Das deutsche „HM" und das madagassische „M" 249 [10] (R fragt F, ob F die einzige aus ihrer D-Klasse ist, die das Abitur A ablegt.) F: 'Za sy le ankizila tanikeo_tsy haiko ra no-remarquer-ndry le 2 Ich und der Junge von heute Vonnittag. Ich weiß nicht, ob du, (Anrede), auf ihn geachtet hast. F: maintimainty ötran'ny( R: Er war etwas dunkel wie ( ) \: / M! Samy mainty kely daholo izy retraretra! (1.) Die waren doch alle dunkel! ► Der steigend-fallende Ton [hm/ hm\] Bei der reduplizierten Form [hm/ hm\] im steigend-fallenden Tonmuster ist vor jedem Element ein deutlich aspiriertes / h/ zu hören. Im Deutschen bringt diese Interjektion zum Ausdruck, daß ein Informationsdefizit beseitigt ist. Im Madagassischen zeigt die in dieser Weise realisierte Interjektion Resignation an: [11] (Fa und Ri suchen nach Möglichkeiten, Ansichtskarten an die Wand zu kleben, ohne die frisch gestrichene Wand zu beschädigen.) Ri erklärt Fa, was sie für das Aufkleben der Ansichtskarten an die Wand benötigen. Bei Ris erstem Vorschlag, daß sie Klebestreifen brauchen, wendet Fa ein, daß sie diesen dann noch kaufen müssen und ärgert sich darüber. Dies bringt sie mit der Interjektion „Sss" zur Sprache: / _l >: / \ verärgert Fa: 11 faut en: : : / . Sss! Mm / _l_/ / _2_/ ! _2 Man muß welchen: : : / (! .) (1.) resigniert Ri: Ary tsy misy papier emballage bleu Und habt Ihr denn kein blaues Packpapier Fa schließt die reduplizierte Interjektion [hmhm/ \] an, die Resignation zu verstehen gibt. Resignation wird im Deutschen unter anderem mit der Interjektion „tja", die sich mit „Da kann man nichts mehr ändern! " paraphrasieren läßt und die verwendet wird, wenn dem Sprecher nichts mehr zum momentanen Thema einfällt (vgl. Willkop 1988: 188). ► Der steigend-fallende Ton [7mfim\] oder [n~m: \] Der Ausdruck der Bejahung erfolgt im Madagassischen u.a. mit der reduplizierten, nasalisierten Interjektion [7m7m] oder [7&7&] in der fallend-steigenden Intonation. Dem nasalisierten / m/ oder / f/ geht ein Aleph voraus [12]: FLuL 24 (1995) 250 Janie Noelle Rasoloson L: No: Nila/ nialahatr' anga' i L? Name Ha/ Hat L demonstriert? >: L: I \ Ouais! 7hein7hein! Ja! (1.) (Ja) Das reduplizierte und nasalisierte [7ene,] oder [7m/ 7m\], das in der madagassischen Sprache dem Ausdruck der Affirmierung dient, kommt im Deutschen als Ausdruck der Negation vor [13]: [13] (Willkop 1988: 16; retranskribiert) Cl: Du, Elke .. Der Rock gehörte wohl der Mutter, gell? Nein? >: / \ / \ EI: 7m7m! 7m7m! 2 Cl: Doch! Das war aber einmal ein großer Rock. ► Das steigend-fallend-steigende Tonmuster [m/ \ / ] Die in dieser Weise realisierte Interjektionsklasse hm/ \ / wird im Deutschen vor allem nach einer Meinungsäußerung verwendet und bringt eine Übereinstimmung zum Ausdruck: [14] (Willkop 1988: 111; retranskribiert) l Anna: 2 Anna: Anna: > Evi: 3 Lutz: Wir haben letztes Mal auch nix organsiert, und es war .. total okay. Die Kinder haben n bißchen Dampf gemacht, . daß die Disco in Betrieb gesetzt wird. / \ I \ Hm . Das war Dienstag, ja. ((lacht)) Haha, Boris war stocksauer! MI \ I zeigt im Madagassischen eine Meinungsdiskrepanz zwischen H und S an und ist negierend [15]. MI\ I hat einen reaktiven Charakter: S hat H etwas mitgeteilt, was nicht in Übereinstimmung mit den Erwartungen bzw. Kenntnissen von H steht und eine Zurückweisung mit m/ \ / bei H auslöst. [15] (Je weist mit m/ \ / den Vorschlag von Ri zurück, die ganze Familie zum Essen einzuladen.) Ri: Je paye aujourd'hui. Ich zahle heute. / \/ Je: M! (1.) (nein) FLuL 24 (1995) Das deutsche „HM" und das madagassische „M" 251 5. Lehr-/ Lemverfahren für den Erwerb von HMdt durch Madagassen Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wird ein Lehr- und Lernverfahren entwickelt, das die situationsgerechte Anwendung der Interjektion HMd1. durch deutschsprechende Madagassen im Fokus hat. Die oben behandelten Untersuchungen zu M erlauben uns, folgende Schlußfolgerung zu ziehen: Die Formen und die Funktionsbereiche von Mmadag. unterscheiden sich wesentlich von denen des deutschen HM. In einem deutschen mündlichen Diskurs fällt auf, daß 1. Madagassischprachige oft die Realisierungsvarianten von Mmadag. in ein deutsches Gespräch ohne weiteres einbauen. Fremdsprachenlernende orientieren sich nämlich an ·dem Vorbild eines spontanen Lernprozesses, wie er innerhalb des Geltungsbereichs der Muttersprache vor sich geht. 2. ein absolutes Fehlen der Verwendung von HM in der gesprochenen deutschen Sprache häufig zu verzeichnen ist Im Deutschunterricht in Madagaskar werden die Wörter als isolierte „Vokabeln" mechanisch eingeprägt und im Unterricht abgefragt. Die Interjektionen lassen sich jedoch auf diese Weise schwer aneignen. In dieser Untersuchung geht es also darum, Erwerbsstufen eines Aneignungsvorganges von HMdt. auf der Grundlage der mit der Muttersprache gewonnenen Kenntnisse zu ermitteln. Der Lern- und Lehrprozeß darf erst dann als gelöst betrachtet werden, wenn der Deutschlernende in der Lage ist, sich der deutschen Sprache in ihrer mündlichen Form zu bedienen. Dazu gehört die Beherrschung der Interjektionen. Eine Beschreibung einer Unterrichtseinheit vom Typ „Erstvermittlung der deutschen Interjektion HM für Madagassischsprachige" soll im folgenden dargestellt werden. Die folgenden didaktischen Methoden sind sowohl auf Madagassischsprachige an deutschen und madagassischen Universitäten als auch in Gymnasien und Sprachschulen zugeschnitten. Die didaktisch-methodischen Verfahren bestehen aus einer Erfassung der akustisch-artikulatorischen Komponente und aus praktischen Übungen in der mündlichen Kommunikation. In einem ersten Schritt müssen wir die Aufmerksamkeit des Deutschlernenden darauf lenken, daß sich die verschiedenen Realisierungen von HMdt. und Mmadag. unterschiedlicher Töne zur Distinktion unterschiedlicher Funktionen bedienen. Darüber hinaus muß hervorgehoben werden, daß die Ton-Systeme der Interjektion im Deutschen und im Madagassischen unterschiedlich ausgeprägt sind. Zu diesem Zweck werden authentische Ausschnitte der deutschen und der madagassischen gesprochenen Sprache auf Tonband überspielt, an denen die Interjektionen HMdt. und Mmadag. in beiden Sprachen deutlich zu vermitteln sind. Die Realisierungsvarianten von HMdt. und Mmadag. werden auf der Grundlage akustischer Extraktionen (PO-Darstellungen) visuell dargelegt, damit die Lernenden jedem akustischen HM/ M einen „morphologischen" Eindruck zuordnen können. Eine vergleichende Tabelle (Tabelle 2) wird von den Lernenden angefertigt, wo die Formen und Funktionen von HM und M festgehalten werden. Die Deutsch- FLuL 24 (1995) 252 Janie Noi! lle Rasoloson lernenden sollen anschließend die Tabelle kommentieren. Damit werden die Unterschiede zwischen den madagassischen Ms und den deutschen HMs bereits ersichtlich: Die verschiedenen Realisierungen von HM und M weisen in beiden Sprachen in ihrer Realisierung oft ähnliche tonale Strukturen auf, sprechen jedoch unterschiedliche Funktionsbereiche an: Das fallende und das steigende Tonmuster in der Kurzform und in der einfachen Form sind zum Beispiel gemeinsame Formen von HMd1. und Mmadag.• Jedoch fallen die kommunikativen Funktionen in unterschiedliche Bereiche: Dient hm/ im Deutschen dem Ausdruck der Rückfrage, kann es im Madagassischen u.a. die mentale Bearbeitung des fehlenden Elementes wie etwa das deutsche ÄH zum Ausdruck bringen. Aus der selbstangefertigten Tab. 2 sollen die Deutschlernenden selbst erschließen, daß sie die Tonsysteme von Mmadag. keineswegs in einen deutschen mündlichen Diskurs übertragen können. Expeditive Funktionen Madagassisch Deutsch m/ hm/ 1. Rückfrage, Vergewisserungsfrage Rückfrage, Vergewisserungsfrage 2. Deliberation * 3. Gesprächsbereitschaft: * "Ich höre, was gibt's? " * m\ [hm] hm\ Warnung: "Laß das! ", "Paß auf! " * 7m\ Zweifel Befehl; Aufforderung: 1. "Zeig mal! " * 2. "Hier, nimm das! " * m\: / hm\: / Größere Divergenz Größere Konvergenz mim\ [hm/ hm\] hm/ hm\ Resignation Beseitigung eines Informationsdefizites m/ \/ m/ \/ Negierung Affirmation [7&fi&\] [7&fi&\] Konvergenz (Affirmation) Divergenz (Negierung) Tab. 2: Expeditive Funktionen der Interjektion Mmadag. und HMd1. 8 8 Erläuterungen zu Tab. 2: Das Sternchen (*) kennzeichnet die nicht belegten Formen. FLuL 24 (1995) Das deutsche „HM" und das madagassische „M" 253 An dieser Stelle wird angenommen, daß der deutschsprechende Madagasse nun weiß, welche Realisierungen von Mmadag. beim deutschen HM vorhanden ~ind und welche keine Entsprechungen im Deutschen finden. Im Anschluß sollten Ubungen mit Vorlage eines Lückentextes angeboten werden, wobei die Madagassen aufgefordert werden, die fehlenden HMs durch Lautlesen einzusetzen, um sich mit den neuen Einheiten vertraut zu machen. Fingierte Sprechsituationen (z.B. Kaffeetrinken, Einkaufsgespräche, Dialoge mit Frage-Antwort-Sequenzen etc.) werden auf Deutsch organisiert, wobei die Deutschlernenden aufgefordert werden, an der Stelle von Mmadag. HMdt. einzusetzen. Dialoge eignen sich hierzu am besten. Schließlich werden die Schüler aufgefordert, in einem Gespräch, bei dem sie sich über ein bestimmtes Thema unterhalten, die erlernten neuen sprachlichen Elemente einzusetzen. Damit soll erreicht werden, daß d1e Realisierungsvarianten von HMd1. von den Lernenden in einem deutschen mündlichen Diskurs richtig verstanden und gebraucht werden. Bibliographische Angaben BRONS-ALBERT, Ruth (1984): Gesprochenes Standarddeutsch. Telefondialoge. Tübingen: Narr (Studien zur deutschen Grammatik; 18). 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