Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
1995
241
Gnutzmann Küster SchrammWolfgang LÖRSCHER: Translation Performance, Translation Process, and Translation Strategies
121
1995
Bernd Stefanink
Wolfgang LÖRSCHER: Translation Performance, Translation Process, and Translation Strategies. A Psycholinguistic Investigation. Tübingen: Narr 1991 (LiP), XII + 307 Seiten [DM 76,-]
flul2410271
Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 271 Eine ausführliche deutsche Zusammenfassung und ein wesentlich kürzerer englischer Abstract sowie ein nützlicher Index der im Textteil der Arbeit erwähnten Redewendungen beschließen den Band, der zweifellos einen wichtigen und gelungenen Beitrag zur metalexikographischen Forschung darstellt. In formaler Hinsicht verdient die heute keineswegs mehr selbstverständliche - Tatsache Erwähnung, daß das Buch sorgfältig redigiert und in einem klaren, gut lesbaren Französisch abgefaßt ist. 6 Inhaltlich überzeugt es durch die scharfsinnigen, bis ins kleinste Detail an reichem Beispielmaterial illustrierten (Fein-)Analysen, auch wenn man der Vf. nicht in jedem Punkt folgen mag und die Argumentation gelegentlich ein wenig zu 'spitzfindig' ist (etwa im Hinblick auf angeblich 'unvollständige' und deshalb inkriminierte Adressen in Kap. 5.3.4.2.4). Offensichtlich hat aber selbst der Verlag Le Robert die alles in allem von Sinn für das .lexikographisch Machbare zeugende Kritik als so konstruktiv empfunden, daß er M.H. im Rahmen der Neubearbeitung des PR Gelegenheit gab, einen Teil der Verbesserungsvorschläge praktisch umzusetzen. Um so mehr wird man es bedauern, daß bei weitem nicht alle Anregungen aufgegriffen und daß vor allem auch zahlreiche der von M.H. namhaft gemachten Inkonsistenzen und Widersprüche bei der Behandlung der Phraseologismen in der dritten Auflage nicht beseitigt wurden 7 sei es, daß sie zu spät kamen, um noch berücksichtigt werden zu können, sei es, daß sie substantieller Natur sind und eingreifende konzeptuelle Modifikationen nach sich gezogen hätten. Insofern haben die hier resümierten Überlegungen nichts von ihrer Aktualität verloren, und insofern gilt, daß "les problemes evoques dans le present travail restent sensiblement les memes dans le Nouveau Petit Robert" (4, Anm. 2). Bielefeld und Kiel Ekkehard Zöfgen Wolfgang LÖRSCHER: Translation Performance, Translation Process, and Translation Strategies. A Psycholinguistic Investigation. Tübingen: Narr 1991 (LiP), XII+ 307 Seiten [DM 76,-] Es handelt sich um die zweite umfangreiche Publikation, die sich mit der Erforschung dessen befaßt, "was in den Köpfen von Übersetzern vorgeht". Sie erscheint sowohl von der Zielsetzung als auch von der Tragweite der erzielten Ergebnisse her anspruchsvoller als die von Krings (1986) durchgeführten Untersuchungen und regt zu einer eingehenden Auseinandersetzung mit den Zielen und Arbeitsmethoden dieses Forschungszweiges an. Eine gerechte Beurteilung setzt eine Auseinandersetzung mit den Zielen, der Datengewinnung und der Dateninterpretation sowie mit den Ergebnissen voraus. 1. Zielsetzung: Obwohl auch Lörscher [= L.] sich die Erforschung dessen "what goes on in the translator's head" (7) zum Ziel setzt, distanziert er sich von Krings (den er zu Unrecht als 6 Bis auf ein kleines Versehen (Car il n'y aucune autre unite codee ➔ lies: i1 n'y a aucune [75]) sind uns keine Druckfehler aufgefallen. Stilistisch ist die Arbeit ebenfalls untadelig. In der deutschen Zusammenfassung hat uns lediglich das Wort zuordenbar (? ) [353] irritiert. 7 Vereinheitlicht wurde im NPR insbesondere das System der «renvois formels». Klarer gekennzeichnet ist nunmehr auch der phraseologische Status von «locutions», wobei KAPITÄLCHEN allerdings weiterhin in einer für den Benutzer nicht zu durchschauenden Weise verwendet werden. In anderen Bereichen etwa bei den Adressenformen oder bei den «renvois analogiques» beschränken sich die Veränderungen auf Korrekturen im Detail, die in aller Regel nicht weit genug gehen. FLuL 24 (1995) 272 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel ausschließlich auf didaktische Ziele beschränkt sieht [7 und 94]), indem er den epistemologisch psycholinguistisch ausgerichteten Charakter seiner eigenen Studien betont: "the mental translation strategies employed by the subjects represent the epistemological interest of this study" (90). 2. Datenerhebung: Die für die Datenerhebung relevanten Faktoren sind (1) das Verfahren; (2) der Gegenstand der Untersuchung; (3) die Versuchspersonen (VPn); (4) die Textgrundlage. (1) Das Verfahren: Die VPn werden gebeten, alles, was ihnen während des Übersetzens durch den Kopf geht, zu verbalisieren. Die so hergestellten Tonbandaufnahmen werden transkribiert und dann vom Versuchsleiter analysiert. (2) Gegenstand der Untersuchung sind die transkribierten Aufnahmen: 52 Übersetzungen, zur Hälfte vom Deutschen ins Englische, zur Hälfte vom Englischen ins Deutsche. 24 VPn haben 6 englische Texte ins Deutsche und 24 VPn haben 3 deutsche Texte ins Englische übersetzt (84). Untersucht wird jedoch nicht alles, was in den Köpfen dieser VPn vorgeht, sondern nur die Textsegmente, in denen sie Strategien anwenden. Dies erfordert eine Definition des Begriffs „Strategie". L. beschreibt in Anlehnung an die Frerch/ Kaspersche Definition von Strategie die Übersetzungsstrategie als "a potentially conscious procedure for the solution of a problem which an individual is faced with when translating a text segment from one language into another" (76). Somit beginnt die Strategie da, wo sich die VP eines Übersetzungsproblems bewußt wird, und sie hört da auf, wo die VP eine (in ihren Augen) zufriedenstellende Lösung gefunden hat. Dies macht eine Klärung der Begriffe „Problem" und "successful strategy" erforderlich. Einen objektiv festgelegten Problembegriff gibt es bei L. nicht. Nachdem er den Begriff auf „linguistische" Probleme eingegrenzt hat womit sämtliche übersetzungstheoretischen Überlegungen zur Integration des kulturellen Aspekts in den Übersetzungsvorgang (vgl. z.B. ReißNermeer 1984, Kotcheva 1992) ausgeklammert sind-, schränkt L. den Begriff noch deutlicher auf die subjektiven Empfindungen einer VP ein: "only those text segments which the subjects cannot translate or which the subjects have tried to translate but whose results they then consider to be inadequate represent translation problems" (80). Es werden also nur die Passagen der LDPs (LDP = Lautes- Denken-Protokoll) untersucht, die mit dem, was der VP als Problem erscheint, beginnen und somit den Beginn einer Übersetzungsstrategie signalisieren. "Whose results they then consider to be inadequate" läßt ahnen, daß das Endglied der Strategiekette ebenso subjektiv bestimmt sein wird: Auch hier bestimmt das Empfinden der VP, ob das Ergebnis zufriedenstellend ist oder nicht und somit das strategische Verhalten ein Ende gefunden hat oder nicht. L.s Untersuchungen basieren auf "a concept of success which is oriented towards what the subjects consider success. Thus translation strategies are successful to the extent to which the subjects succeed in bringing about what to them are partial, preliminary of final solutions to translation problems" (229). (3) Die Versuchspersonen: Eine derartige Eingrenzung des Strategiebegriffs wäre akzeptabel, wenn die VPn Übersetzer wären, die von ihnen aufgeworfenen Probleme Übersetzungsprobleme und die von ihnen als zufriedenstellend empfunöenen Lösungen sprachlich und kulturell korrekt wären und somit objektiv als mögliche Lösungen anerkannt werden könnten. Bei L.s VPn handelt es sich jedoch um Fremdsprachenstudenten im ersten und zweiten Studienjahr sowie 6 Gymnasialschüler im 11. und 12. Schuljahr (84). L. rechtfertigt die Auswahl dieser VPn mit dem höheren Maß an Strategien, das bei diesen VPn zu erwarten sei, gegenüber Berufsübersetzern, deren Übersetzungsverfahren mit zunehmender Professionalisierung automatisierter wären (35). Er übersieht dabei die Gefahr, daß diese VPn aufgrund ihrer mangelnden L2-Kompetenz mehr mit Sprachkompetenzproblemen zu kämpfen haben als mit Übersetzungsproblemen, zumal sie im Unterschied zu Krings' VPn ohne Wörterbuch arbeiten. Er verdrängt geradezu die Auseinandersetzung mit dieser Problematik (die Krings immerhin mit der Unterteilung in "L2-Kompetenz- Probleme" und „Übersetzungskompetenzprobleme" thematisiert hat), indem er Krings' Unterteilung als unoperationell abtut und undifferenziert von "translation problems" spricht (93). FLuL 24 (1995) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 273 Es ist dann auch nicht verwunderlich, daß sich die Problemkategorien, die sich bei der Analyse herauskristallisieren, auf drei Typen beschränken: lexikalische, syntaktische und lexikosyntaktische Probleme (202). Es ist ebensowenig verwunderlich, daß die lexikalischen Probleme dominieren (208), da es sich zumeist um L2-Kompetenzdefizite handelt, die dem Fremdsprachenlerner zwangsläufig „bewußt" werden, während er an subtileren Übersetzungsproblemen, die den (Berufs)-Übersetzer beschäftigen, vorbeigeht. Hier wäre ein Tertium comparationis erforderlich, wenn auch nicht in Form des Übersetzungsmodells, sondern in Form von mehreren möglichen Parallelübersetzungen von (Berufs-)Übersetzern, die zumindest die problemhaften Stellen aufzeigen und anerkannt adäquate Lösungen vorstellen. Nun beschränkt sich L. nicht allein auf die „das Ziel-heiligt-die-Mittel"-Legitimierung seiner VPn-Auswahl, indem er sich auf die seiner Ansicht nach zu erwartende höhere Datenförderung bei Nichtprofessionellen beruft. Er beruft sich auch auf die angeborene Fähigkeit zum Übersetzen, die bei jedem Menschen aktualisiert wird, sobald er zweisprachig ist (41-43). Womit es für L. keinen qualitativen Unterschied zwischen der sprachlichen Mediation des zweisprachigen Kindes und der des Berufsübersetzers gibt. Bedenken bezüglich der mangelnden Fremdsprachenkompetenz seiner VPn werden mit dem Hinweis auf die "interlanguage" abgetan: Der Leser hat sich damit abzufinden, daß die VPn die Fremdsprache als "interlanguage" beherrschen und implizit diese "interlanguage" Zielsprache des Übersetzers wird. Hier haben wir es mit einem verführerischen Mißbrauch dieses aus der Fremdsprachendidaktik entlehnten Terminus zu tun: das Ziel einer Übersetzung ist immerhin von Ausnahmen abgesehen -, einen zielsprachlichen Text herzustellen, der, unter Berücksichtigung der zielsprachlich und zielkulturell bedingten E~artungshaltung des Empfängers, am Kriterium der Wirkungsgleichheit zu messen ist. Den "interlanguage"- und noch weniger den "interculture"-Adressaten, dessen Erwartungshaltung man mit derartigen Zielvorstellungen befriedigen könnte, gibt es aber nicht. Desgleichen wird in der Fachliteratur auch in Frage gestellt, ob es sich bei der sog. "natural translation" des Kindes nicht um einen qualitativ anders gearteten Vorgang als beim Übersetzen von Texten handelt, bei dem Textrezeptionsfertigkeiten und Textproduktionsfertigkeiten erforderlich sind (vgl. Harris/ Sherwood 1978, Toury 1984, van den Broeck 1985, Wilss 1992: 14). L. vergißt außerdem bei diesem Legitimierungsversuch, daß diese "innate predisposition" so rudimentär sie auch sein mag im Schulunterricht ständig unterlaufen wird und daß der Student, den L. als VP benutzt, zum „wörtlichen" Übersetzen (Reiß 1988: 54) geradezu verzogen wurde. Dabei weist L. an anderer Stelle (90) selbst auf den negativen Einfluß der schulischen Übersetzungspraxis hin. Er kommt sogar zur Feststellung, daß die von ihm als VPn ausgesuchten Fremdsprachenlerner „grundsätzlich" also qualitativ übersetzerisch anders verfahren als Berufsübersetzer: "lt can be assumed that non-professional translators take a mainly sign-oriented and professional translators a mainly sense-oriented approach to translation" (276). Aufgrund dieser qualitativen Unterschiede im übersetzerischen Verhalten zwischen L.s VPn und Berufsübersetzern sowie aufgrund des zugrunde gelegten Problem- und Problemlösungsbegriffs läßt sich der Anspruch, mit dieser Studie „epistemologische" Ergebnisse zu dem zu gewinnen, was in den Köpfen von Übersetzern vorgeht, nicht mehr aufrechterhalten. Das, was L. trotz seiner eigenen Feststellungen nicht wahrhaben will, hat Krings (1987: 401) an einer Kontraststudie mit einem Berufsdolmetscher längst bewiesen: Die Vorgehensweisen sind grundsätzlich verschieden, der Berufsdolmetscher übersetzt "konzentrisch", während der Fremdsprachenlerner in der "Linearität" verhaftet bleibt. In derselben Studie hat Krings auch erkannt, daß seine Befürchtung, die zunehmende Automatisierung des Übersetzungsprozesses beim Berufsübersetzer könnte die Datenförderung bezüglich des Übersetzungsprozesses beeinträchtigen eine Argumentation, die ja auch L. zur Legitimierung seiner VPn-Auswahl heranzieht -, irrig war. Im Gegenteil, die „Gesamtzahl der Textproduktionselemente" ist „beim Berufsübersetzer fast doppelt so hoch wie die entsprechende Durchschnittszahl für die Lerner" (Krings 1987: 403). Eine FLuL 24 (1995) 274 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel Erkenntnis, die Krings zwingt, sich von seinen 1986 formulierten Hypothesen zu distanzieren (Krings 1987: 409). Es ist bedauerlich, daß L. diese Studie offensicht nicht kennt (in der Bibliographie taucht sie jedenfalls nicht auf). 8 (4) Die Textgrundlage: Im Gegensatz zu Krings gestattet sich L. Eingriffe folgender Art bei der Textauswahl und bei der Textvorlage: "When the text could be transformed to an adequate level of difficulty by a few minor alterations, i.e. lexical and/ or syntactic simplifications, it was altered accordingly" (90) und: "When the text could not be transformed to an adequate level of difficulty by a few minor alterations, i.e. lexical and/ or syntactic simplifications, the text was excluded from the corpus of potential source-language texts" (90). Eine derartige Begrenzung bei der Textauswahl schränkt die Perspektiven einer reichhaltigen Datenförderung erheblich ein und steht im Widerspruch zu L.s oben dargestellter Begründung der Auswahl seiner VPn (aufgrund der geringeren Automatisierung des übersetzerischen Handelns bei Fremdsprachenlernern sei das von ihnen geförderte Datenmaterial reichhaltiger). 3. Die Ergebnisse und die Interpretation der Daten (a) Qualitative Auswertung: Die Ergebnisse scheinen auf den ersten Blick sehr beeindruckend. Nachdem er die grundlegenden und die potentiellen Bestandteile von Übersetzungsstrategien aufgelistet und eine Reihe von Strategiemustern einfacherer und komplexerer Art unterschieden hat, stellt uns L. auf rund 65 Seiten (130-195) ein Corpus vor, an dem exemplarisch die qualitative Analyse von Übersetzungsstrategien vorgenommen wird. Die Ergebnisse werden formalisiert in Form von Algorithmen dargestellt. Untersuchen wir ein Beispiel einer der einfachsten Strukturen einer derartigen Übersetzungsstrategie: "Type Vc: RP - (➔ SP) - (VPa - ( ➔ SP) - (P)SP0/ SP - ( ➔ SP) - (P) SPb(SP0 - ( ➔ SP) - (...)" (125). Entschlüsselt heißt dies: Realizing a Translation Problem - (Search for a (possibly preliminary) Solution of a Problem) - (Verbalizing a Translational Problem, first part (a) of the Problem) - (Search for a (possibly preliminary) Solution of a Translational Problem) - (Preliminary) Solution of the first part of the Problem/ A Solution to the Translational Problem is still to be found - (Search for a (possibly preliminary) Solution of a Problem - (Preliminary) Solution of the second part (b) of the Problem/ A Solution to the Problem is still to be found - (Search for a (possibly preliminary) Solution of a Translational Problem), wobei die Pünktchen andeuten, daß der Prozeß damit noch lange nicht abgeschlossen ist. Welch ein Aufwand zur Formalisierung eines Prozesses, der unter gewissen Aspekten evident ist: Wenn die VPn Fremdsprachenlerner im Anfangsstadium sind, weiß man aus der Praxis, daß sie die Probleme linear abarbeiten. Über wesentliche Aspekte des Übersetzungsprozesses wird andererseits nichts ausgesagt, wie z.B.: Was ist die Übersetzungseinheit? Welcher Art sind die Teilprobleme, die abgearbeitet werden? In welcher Reihenfolge? Wie der Vf. selbst wiederholt feststellt, stellen die von ihm erarbeiteten Strategieabläufe weder ein erschöpfendes Feld von Algorithmen dar, noch kann er den Leser von ihrem supra-individuellen Charakter überzeugen. Mit jedem Strategiemuster, das aber anhand anderer Texte und anhand anderer VPn erarbeitet wird, wird jedoch der Anspruch dieses Inventars an Übersetzungs- 8 Auch in anderer Hinsicht lassen L.s bibliographische Angaben zu wünschen übrig: Sicher wäre so mancher Leser, der mit dem manchmal etwas schwerfälligen Englisch seine Mühe hat, für den Hinweis dankbar, daß S. 1, dritte Zeile von unten bis S. 2, vierte Zeile vor Schluß des Abschnitts 1.1, sowie S. 7, ab Zeile 8 bis S. 27, Z. 10, bereits an anderer Stelle auf Deutsch publiziert wurden (nämlich in FLuL 17/ 1988, 62-82). Nicht unerwähnt bleiben sollte auch, daß Teile dieser (Habilitations)Schrift an anderer Stelle erschienen sind, ohne daß sich hier ein entsprechender Hinweis findet (so ist etwa Kap. 4.4.1 unverändert in Tirkkonen-Condit (1991, 66-76) abgedruckt). FLuL 24 (1995) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 275 strategien auf Supra-Individualität und Kategorialität zunehmend in Frage gestellt. Wie berechtigt dieser Einwand ist, wird dann besonders deutlich, wenn man die einzelnen Glieder näher untersucht. Der Leser muß wissen, daß sich hinter den so fest in das Schema eingebundenen Formeln, wie RP, SP usw. nicht nur verbalisierte Gedankengänge der VPn verbergen (wie man sie mit "Lautem Denken" verbinden könnte), sondern häufig Vermutungen des „Analysten", der den Inhalt von Leerstellen in der Lautkette (bestenfalls) inferenziert. Warum Pausen ab 2 sec. als problemindizierend angesehen werden bei Krings 1986 waren es 3 sec.-, verrät der Vf. nicht. Bei genauerem Hinsehen verrät die Pausenanalyse ein hohes Maß an Analyseunsicherheit. So heißt es bezeichnenderweise: "This pause is interpreted as being a reception of an SL [= second language] sentence. But as the mere reading hardly takes 24 seconds, the subject probably also organizes the sentence mentally for the translation" (133 [meine Hervorhebung]). Eine Häufung derartiger, die Unsicherheit des Vf. verratender Formulierungen auf engstem Raum (z.B. S. 133-136) irritiert, zumal wenn zur Interpretation einer nur drei Sekunden langen Pause folgender Kommentar abgegeben wird, der jeglicher materiellen Basis entbehrt: "During this pause the subject looks through the SL text to find the point from which to proceed with the translation. The SL clause 'und die short story eine der einfachsten aber auch gleichzeitig schwierigsten Formen der Erzählliteratur darstellt' cannot be translated into English word by word. The subject mentally organizes the clause for translation and realizes that the predicate at the end of the SL clause must immediately follow the subject in English" (135). Hier wird nicht mehr inferenzierend interpretiert, sondern hypothetisch induziert. Einige der Schlußfolgerungen sind Binsenweisheiten. Andere sind das Ergebnis zweifelhafter Interpretation und entsprechen nicht der Empirie, so z.B.: "Multiple verbalizations of translation problerns can function as potential indicators of sign-oriented translating" (274) und: "Rephrasings of source-language text segments can also indicate sign-oriented translating" (274). Wenn ich mein eigenes Lautes Denken beim Übersetzen untersuche, so stelle ich fest, daß ich oft zu "rephrasing" sowohl in der Ausgangssprache als auch in der Zielsprache greife, um dadurch Assoziationen zu wecken, wobei ich mich als "Berufsübersetzer", der "sense-oriented" (und keinesfalls "sign-oriented") übersetzt, ansehe. Das "rephrasing" hat dabei die Funktion, die verschiedenen semantischen Virtualitäten des zu übersetzenden Wortes in verschiedenen Kontexten zu aktualisieren und sie mir auf diese Weise bewußt zu machen. Die Tatsache, daß ich mich vom Wortlaut des Ausgangstextes löse, indiziert ja bereits, daß ich nicht "sign-oriented" übersetze. Ich taste damit nur das Feld der semantischen Virtualitäten des zu übersetzenden Wortes ab, um zu sehen, wo sich bei mir Entsprechungen in der Zielsprache einstellen; diese wiederum materialisieren sich in Form von Lexemen mit ihren vielfältigen Konnotationen und syntagmatischen Zwängen: Ich suche mir das zielsprachliche Wort aus, in das sich semantisch und syntagmatisch der von mir aus dem ausgangssprachlichen Text rezipierte Sinn am geeignetsten einkleiden läßt. Dies heißt jedoch keineswegs, daß ich nach Synonymen bzw. Reverbalisierungen suche, um ein automatisches Übersetzungsäquivalent zu finden, wie L. suggeriert: "The text segment being the result . of the rephrasing, however, can activate an equation of lexemes stored in memory and recall the second part of the equation, again by means of an associating process, for example [...]. Sign-oriented translations are brought about by automatic association processes" (274). (b) Quantitative Auswertung: Angesichts dieser Unwägbarkeiten beim Interpretationsprozeß und angesichts der der Zielsetzung nicht angemessenen Grundlagen, auf denen die Datenerhebung (wie oben aufgezeigt) beruht, muß man sich fragen, welchen Stellenwert statistische Ergebnisse wie: "the subjects succeed in solving 88% of the translation problems" (231) haben die in der Feststellung gipfeln: "Thus from the perspective of the subjects, it can be pointed out that the translation strategies they employed are extremely successful" (231) -, wenn sie auf einem "concept of success" basieren "which is oriented towards what the subjects consider success" (229). FLuL 24 (1995) 276 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel Es nimmt nicht wunder, wenn L. selbst an der Verallgemeinerung der so erzielten Ergebnisse, die er dem Leser und sich selbst im Hinblick auf seine epistemologische Zielsetzung zu schulden vermeint, gewisse Zweifel verrät. So schreibt er zu den Übersetzungen von Text 7: "Both these subjects' competence in the foreign language and their experience in translating obviously differ so much that supraindividual problems can hardly be detected in these translations" (206). Ähnliche Feststellungen (212) zwingen ihn letztendlich zur Einsicht: "[...] one must, in principle, assume a fluid boundary between the concepts of individuality and supraindividuality" (215). Angesichts der mangelnden übersetzerischen Kompetenz der VPn, angesichts der auf sie zugeschnittenen Textauswahl, bei der authentische Schwierigkeiten ausgeblendet werden, und angesichts der Unsicherheiten bei der Dateninterpretation, scheint mir L.s Zielsetzung, den Übersetzungsprozeß bei „Übersetzern" zu untersuchen, unangemessen. Sinnvoll wäre hingegen der Einsatz derartiger Verfahren zu didaktischen Zwecken: Die Erforschung des übersetzerischen Vorgehens unserer Studenten in universitären Übersetzungskursen könnte dem didaktischen Vakuum, das in diesen Veranstaltungen herrscht, ein Ende bereiten. Allerdings muß man sich die Frage stellen, ob LD-Protokolle dafür die bestmögliche Grundlage bilden. 4. "Lautes Denken" oder „Ethnotranslatologie"? L. scheint sich selbst diese Frage zu stellen. Man gewinnt den Eindruck, daß ihm im Laufe seiner Untersuchungen Zweifel an der Legitimität von LDPs als Datenerhebungsgrundlage gekommen sind: Immer wieder versucht er, den Leser von dem angeblich „dialogischen" Charakter der Monologe, die seine VPn vor dem Mikrophon produzieren, zu überzeugen. Er bezeichnet die LDPs als "texts with an explicitely monological character. The subjects produced their translations in situations in which generally they had neither any linguistic nor any non-linguistic contact with the only possible communication partner, the test leader. Nevertheless, it can be assumed that implicitely, in the minds of the subjects, the test leader was the addressee of the utterances produced. To this extent, the texts have an implicitely dialogical character" (57). Wenn sich L. diesen argumentativen Verrenkungen hingibt, so offensichtlich um dem grundlegenden Aspekt ethnomethodologischer Gesprächsanalyse nämlich der „Interaktion" - Genüge zu tun: «L'interaction ou l'interactivite est sans aucun doute la notion de base qui est soulignee dans tous les travaux sur l'analyse conversationnelle» (Gülich 1990: 80). Er will sich wohl auf einen weit gefaßten Sinn des Begriffs „Dialog" berufen, der so konzipiert ist, daß «Meme si l'un des participants n'y contribue pas verbalement ou s'il s'agit du tour de parole d'un seul locuteur, le partenaire coopere a son accomplissement par le fait meme que le locuteur s'adresse a lui» (a.a.O.) Auf die beim Lauten Denken entstehenden Monologe, bei denen der Partner in keiner Weise weder verbal noch non-verbal präsent ist, kann jedoch diese Erweiterung des Begriffs nicht angewandt werden, denn Interaktion und Interdependenz sind für den Realität schaffenden Dialog, der der Konversationsanalyse ethnomethodologischer Prägung zugrunde liegt, konstitutiv: «L'interpretation du sens des activites se fait par des efforts reciproques et coordonnes: Par leurs activites les participants 'se lient eux-memes et lient leurs partenaires pour des activites subsequentes deterrninees 'principe de dependance conditionnelle'» (a.a.O.: 81 [meine Hervorhebung]). L. zeigt, daß ihm all dies bekannt ist, wenn er schreibt: "The analyst of the explicitely monological texts to be investigated here is possibly in a less favorable position than somebody who has to interpret (dialogical) conversations. In conversation, the communication partners negotiate reality and jointly constitute sense. This often manifests itself in the text produced and thus becomes accessible to analysis. In (explicitely) monological texts, however, the text producer implies his/ her model of reality and does not usually make it explicit. The same probably applies to sense constitution. lt is likely to be verbalized to a lesser degree in monologues than in conversations" (57 [meine Hervorhebung]). FLuL 24 (1995) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 277 Um so erstaunlicher ist es, wenn er ergänzend bemerkt: "In order to compensate for these deficiencies, at least partially the method of thinking-aloud suggests itself. By means of this procedure it should be possible to obtain information which is generally made explicit in (dialogical) conversations but which is implicit in (monological) texts" (57). Nachdem pem Leser die Vorzüge der Konversationsanalyse aufgezeigt wurden und deren Charakteristika als hauptsächlich im gemeinsamen Aushandeln von Sinn liegend hervorgehoben wurden, hat dieser Mühe nachzuvollziehen, warum sich der Vf. ausgerechnet für die „monologische" Methode des Lauten Denkens als Untersuchungsverfahren entscheidet und nicht für die der ethnomethodologischen Konversationsanalyse, deren Ziele ausführlich erläutert werden (56). Die Ergebnisse des "thinking-aloud in pairs", wie es Juliane House (1988) nennt und wie ich es seit Jahren mit meinen Studenten unter der Bezeichnung „Ethnotranslatologie" praktiziere (vgl. Stefanink 1991, 1993, 1995), hat sich als weitaus ergiebiger erwiesen als LDPs, die ich vergleichend. anfertigen ließ. Was Ethnomethodologie für andere Disziplinen zu leisten vermag, leistet sie auch vorzüglich im Bereich Übersetzung. Die Übersetzungspartner müssen nämlich eine gemeinsame Übersetzung „aushandeln", genau in dem Sinne, in dem es L. in obigem Zitat verstanden haben will, wenn er von "negotiate reality and jointly constitute sense" (57) spricht. Wie in Stefanink (1991 und 1995) gezeigt, sind die Verhandlungspartner bei diesem Aushandeln gezwungen, ihren Übersetzungsvorschlag zu verteidigen, indem sie Argumente artikulieren, die auf Gegenargumente stoßen, bis in einem dialektischen Hin und Her eine ,gemeinsame Lösung gefunden ist: eine echte Interaktion im Sinne ethnomethodologischer Prinzipien, bei der die Verhandlungspartner immer tiefer zu erforschen suchen, was sie, mehr oder minder „unbewußt", zu diesem Übersetzungsvorschlag geführt hat. Der Versuchsleiter kann dem Studenten bewußt machen, daß hinter seinen auf den ersten Blick zufällig erscheinenden Lösungsvorschlägen zusammenhängendes theoriehaftes Denken steht, das jeden einzelnen übersetzerischen 'Schritt bestimmt: Auffassungen von Sprache, von der Funktion von übersetzerischen Hilfsmitteln, von übersetzerischem Handeln allgemein usw. Erst ein solches Bewußtsein von vorgefaßten Meinungen, die sein Handeln unbewußt bestimmt haben, öffnet den Teilnehmer an einem Übersetzungskurs für eine Verbesserung seines übersetzerischen Handelns. Darüber hinaus haben neueste pädagogische Forschungen bewiesen, daß die Interaktion zwischen den Lernern dem Lernprozeß sehr zuträglich ist. Und schließlich ist das gemeinsame Herausarbeiten einer Lösung auch viel motivierender: Fröhliches Lachen tritt häufig an die Stelle der gequälten Selbstbefragung. Die Kritik, die Wilss (1992: 208-210) am Einsatz der LDPs zu didaktischen Zwecken übt, gilt nicht für „ethnotranslatologisches" Verfahren: im Gegensatz zu den mit LDPs gewonnenen Daten entbehren die durch ethnotranslatologisches Verfahren gewonnenen Daten nicht der Vollständigkeit, da jeder Schritt, der zur Lösung eines Übersetzungsproblems führen soll, dem Interaktionspartner expliziert werden muß, damit er ihn nachvollziehen und die gemeinsame Lösung aushandeln kann; die Interaktion ist viel natürlicher als der Monolog, der oft künstlich wirkt; die Verhandlungspartner haben - "in der Hitze des Gefechts" sehr schnell vergessen, daß ihr Gespräch auf Tonband aufgenommen wird; die Gefahr der „Verfälschung", die von einigen Kritikern der LDPs befürchtet wird, ist aufgrund der Partnerarbeit geringer; der Zeitaufwand zur Bearbeitung der Daten wird ebenfalls geringer, da sich die an der Tonbandaufnahme Beteiligten (zwei, manchmal auch drei) die Transkriptionsarbeit teilen. Die Praxis hat gezeigt, daß derartige Prozeßforschung mit ethnotranslatologischen Methoden durchführbar ist und zur Verbesserung übersetzerischen Handelns führt. Bernd Stefanink Bielefeld FLuL 24 (1995) 278 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel [Zitierte] Literatur GÜLICH, Elisabeth: «Pour une ethnomethodologie linguistique. Description de sequences conversationelles explicatives». In: Charolles, Martin/ Fischer, Suzanne/ Jayez, Jean (eds.): Le discours, Representations et interpretations. Nancy 1990, 71-109. HARRIS, Brian/ SHERW00D, Bianca: "Translating as an innate Skill". In: Gerver, David/ Sinaiko, Henry W. (eds.): Language Interpretation and Communication. New York/ London 1978, 155-170. HousE, Juliane: "Talking to Oneself or Thinking with Others? On Using Different Thinking Aloud Methods in Translation". In: Fremdsprachen lehren und lernen 17 (1988), 84-98. K0TCHEVA, Krassirnisa: Probleme des literarischen Übersetzens aus textlinguistischer Sicht. 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