Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
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1996
251
Gnutzmann Küster SchrammDie Suggestopädie
121
1996
Rupprecht Baur
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Rupprecht S. Baur Die Suggestopädie Abstract. Suggestopedia as a method of foreign language learnmg and teaching has been developed by the Bulgarian psychotherapist G. Lozanov in the sixties. In this article we will start out with the presentation of Lozanov's basic ideas. We will describe the different variations, adaptions and changes that this method has undergone in various countries since that time. We will then discuss the empirical research in the field of suggestopedia with special emphasis on the research in Germany. Finally we will focus on some suggestopedic material available in Germany and on teaching sk.ills in a training program for teachers of suggestopedia. Erstes und letztes Ziel unserer Didaktik sollte es sein, die Untemchtsweise aufzuspüren und zu erkunden, bei welcher die Lehrer weniger zu lehren brauchen, die Schüler dennoch mehr lernen, in den Schulen weniger Lärm, Überdruß und unnütze Mühe herrsche, dafür mehr Fre1he1t, Vergnügen und wahrhafter Fortschritt. Johann Arnos Comemus 1650 1. Grundlagen der Suggestopädie 1.1 Die Anfänge Der Begriff „Suggestopädie" verbindet die Wörter Suggestion und Pädagogik und soll durch die Zusammenfügung der beiden Wörter eine neue Form der Pädagogik benennen, die den Wirkungsmechanismen der Suggestion im Lehr- und Lernprozeß Aufmerksamkeit schenkt und diese zur Optimierung von Lernprozessen einsetzt. Die 'Suggestopädie' als Lehr- und Lernmethode geht auf den bulgarischen Arzt und Psychotherapeuten Georgi Lozanov zurück. Dieser war in den sechziger Jahren der Frage nachgegangen, inwieweit die Gedächtnisleistung von Menschen durch die Übermittlung von Informationen erweitert werden kann, die von einem Lerner unbewußt aufgenommen werden. Um die Auswirkung verschiedener suggestiver Verfahren auf das Behalten zu überprüfen, benutzte er zunächst Wortlisten in der Muttersprache und später auch Wörter, Sätze und ganze Texte aus fremden Sprachen. Lozanov stellte fest, daß sich durch den Einsatz verschiedener suggestiver Verfahren erstaunliche Lernresultate erzielen lassen. Durch die Erprobung bestimmter Abfolgen und Kombinationen von Verfahren und Lernschritten bildete sich so allmählich bis Anfang der siebziger Jahre die Form der suggestopädischen Methode der Fremdsprachenvermittlung heraus, die von Lozanov selbst als geschlossene Methode propagiert wurde. Die einzelnen Lehr- und Lernphasen dieser Methode wollen wir vorab beschreiben, damit die im folgenden angesprochenen Grundlagen und Verfahren, aber auch die Kritik und die in späteren Varianten vorgenommenen Veränderungen mit diesen FLuL 25 (1996) Die Suggestopädie 107 ursprünglich von Lozanov entwickelten Lernphasen in Verbindung gesehen werden können. Wie bei anderen Methoden auch, können wir zwischen Sprachaufnahmephasen (Präsentationsphasen) und Sprachanwendungsphasen (Aktivierungsphasen) unterscheiden. Bei der Diskussion der suggestopädischen Methode wird fast nur über die Präsentationsphasen gesprochen, weil sich diese durch die Hereinnahme von Entspannung und Musik von anderen Phasen der Fremdsprachenvermittlung sehr deutlich abheben. Dadurch kann leicht der Eindruck entstehen, daß die Präsentationsphasen den Unterricht auch zeitlich dominieren. Tatsächlich beanspruchen auch in der Suggestopädie die Aktivierungsphasen bis zu drei Viertel des Unterrichts. Die Sprachaufnahme geschieht bei Lozanov in drei Präsentationsphasen, die einen zusammenhängenden Komplex (in der Regel 2 Unterrichtsstunden) bilden: 1. Die erste Präsentation: Die Schüler haben ein zweisprachiges Lehrbuch vor sich. Auf der einen Seite des Lehrbuchs befindet sich der zielsprachliche Text, auf der anderen Seite die Übersetzung in der Muttersprache der Lerner. Der zielsprachliche Text 1 wird vom Lehrer vorgelesen und die dazugehörige Grammatik kommentiert. (Der Lehrer liest vor und erklärt, die Schüler lesen still mit 2 ). 2. Die zweite Präsentation: Das „aktive Konzert", ein emotional-expressives Lesen des Textes. Der Lehrer liest den Text ein zweites Mal vor, wobei er seine Stimme in Lautstärke, Rhythmus und Tonhöhe an eine emotional-expressive Musik anpaßt, die in normaler Lautstärke den Raum erfüllt (Lehrer liest vor, Schüler lesen still mit). 3 3. Die dritte Präsentation: Die musikalische Entspannungsphase, die Lozanov das „passive Konzert" nennt. Hier erfolgt die Lesung des Materials auf dem Hintergrund einer langsamen, gleichmäßigen und entspannenden Musik. Die Lerner sitzen in bequemen Sesseln, schließen die Augen und werden dazu aufgefordert, sich zu entspannen und sich nicht auf den Text zu konzentrieren, der auf dem Hintergrund der Musik vorgetragen wird (Lehrer liest vor, Schüler hören entspannt zu). 4 4. Aktivierungsphasen: Die erste Aktivierung des dargebotenen Lernstoffes folgt auf den Tag nach der Präsentation. Es werden in der Regel Übungen durchgeführt, die teils traditionellen Charakter haben, teils spielerisch angelegt sind und auch Rollenspiele initiieren. Häufig werden sie mit musikalischen Aktivitäten (Singen) durchsetzt. An den folgenden beiden Tagen werden die aktivierenden Übungen fortgesetzt. Die erste Präsentation des Textes kann auch mit dem Vorlesen der Übersetzung verbunden sein. 2 Lozanov nennt diese erste Präsentation „Dechiffrierung". 3 Diese Phase wird auch als „erstes Lernkonzert" bezeichnet. Bis Mitte der siebziger Jahre bestand die zweite Präsentation aus dem sog. "intonatorischen Lesen", das in einigen Varianten auch weiterhin beibehalten wurde (siehe unten). 4 Diese Phase wird von Lozanov als das „pseudopassive Konzert" bezeichnet. In der Literatur findet sich auch der Begriff „zweites Lernkonzert". FLuL 25 (1996) 108 Rupprecht S. Baur Der suggestopädische Unterricht basiert dabei auf einigen Grundprinzipien, die vom Lehrer beachtet werden müssen. Die wichtigsten sind: die Schaffung einer entspannten und heiteren Lernatmosphäre, die Ausnutzung des Zusammenwirkens von bewußten und unbewußten Wahrnehmungen, der Aufbau einer positiven utKl selbstbewußten Lernhaltung beim lernenden Individuum durch suggestive Interaktionsprozesse. Diese Prinzipien lassen sich nur realisieren, wenn der Lehrer in seinem ganzen Verhalten Träger und Übermittler entsprechender Suggestionen ist, d.h., der Lehrer muß selbst positiv gestimmt und entspannt sein, und er muß die Verfahren beherrschen, durch welche die unbewußten Wahrnehmungen unterstützt werden. Wenn dies der Fall ist, setzt ein positiver Übertragungsprozeß ein, der in der psychologischen und pädagogischen Forschung als „Pygmalion-Effekt" (Rosenthal/ Jacobson 1968) bekannt geworden ist und der als ein universeller suggestiv-pädagogischer Grundmechanismus angesehen wird. Die „Suggesto-Pädagogik" Lozanovs basiert damit auf einigen Grundannahmen über das Wesen und die Wirkung der Suggestion, die im folgenden kurz umrissen werden sollen. 1.2 Der Suggestionsbegriff von Lozanov Lozanov hat einen weiten Suggestionsbegriff - Suggestion ist für ihn „ein konstanter kommunikativer Faktor" (Lozanov 1979: 201), der für die Informationsübermittlung positiv genutzt werden kann. Dieser Nutzung stehen nach Lozanov drei antisuggestive Barrieren entgegen: 1. Die kritisch-logische Barriere: Wir sind durch unsere Gesellschaft daran gewöhnt, alle Informationen einer logisch-rationalen Prüfung zu unterziehen. Wenn etwas nicht 'bewiesen' ist, wahren wir eine kritische Distanz. In bezug auf die Suggestopädie selbst bedarf es deshalb einer wissenschaftlichen Fundierung der Methode, um diese Barriere zu überwinden. 2. Die intuitiv-affektive Barriere: Diese Barriere wehrt alles ab, was nicht das Gefühl von Vertrautheit und Sicherheit erweckt, also potentiell alles Neue und Ungewohnte. Sie ist auch verantwortlich für Selbstbeschränkungen bei den Lernern. Um diese Barriere zu überwinden, muß der Lehrer den Lernern Vertrauen und Sicherheit vermitteln. Dies geschieht durch das soziale (verbale und nonverbale) Verhalten des Lehrers, aber auch durch die Entspannungsübungen und die in ihnen übermittelten Bilder, Botschaften und Wünsche. Hierbei geht es vor allem darum, Lernen als etwas Positives zu sehen und die Lerner von negativen Vorstellungen und Versagensängsten zu befreien. 3. Die ethische Barriere: Diese prüft Informationen und Handlungen auf dem Hintergrund der durch das Individuum angeeigneten moralischen und kulturellen Werte und Normen. Diese Barriere kann meiner Meinung nach nicht überwunden werden, sondern sie muß respektiert werden. Die Lehr- und Lernmethode darf nicht in Widerspruch stehen zu den moralischen und kulturellen Werten eines Lerners. FLuL 25 (1996) Die Suggestopädie 109 Durch Berücksichtigung dieser Barrieren kann das lernende Individuum „von der historisch und durch Einzelpersonen geprägten Suggestion von der begrenzten Leistungsfähigkeit des Gedächtnisses" befreit werden (Lozanov 1979: 165) und die Reservekapazitäten des Gedächtnisses nutzen. Lozanov geht also davon aus, daß in nicht-suggestopädischen Unterrichtsformen nur ein Teil der Möglichkeiten des menschlichen Gehirns genutzt wird und daß durch die Suggestopädie die Lernleistungen erheblich verbessert werden können. Die Tatsache, daß in der Suggestopädie mit Verfahren gearbeitet wird, die über unbewußte Wahrnehmung und Speicherung Lerneffekte hervorrufen, und daß der Lerner sich absichtlich in Entspannungszustände versetzt, in denen die rationale Kontrolle der Lernsituation vermieden wird, ruft im Rahmen unserer pädagogischen Traditionen, die das Rationale in den Vordergrund stellen, sofort die kritisch-logische Barriere auf den Plan. Es ist jedoch zu unterscheiden zwischen Suggestionsprozessen, bei welchen der Rezipient, ohne daß er es bemerken soll, zum Dienste fremder Interessen manipuliert wird (wie dies z.B. in der Werbung geschieht), oder ob sich der Lerner freiwillig in einen Lernprozeß begibt. Im übrigen ist eine pädagogische Kommunikation, in der keine suggestiven Prozesse ablaufen, schlechthin undenkbar, wie auch der französische Sprachdidaktiker Galisson (1983) ausdrückt: "[...] ich sehe nicht, wie die Pädagogik (ganz allgemein) ohne Suggestion auskommen könnte, wenn es doch erwiesen ist, daß sie ein grundlegendes Ferment der Interaktion zwischen den Menschen darstellt. Insofern ist sie in der Schule, einem Ort sozialer Gemeinschaft, also einem Ort der Interaktion par exellence, überall vorhanden" (Galisson 1983: 104). Im Zusammenhang mit der Befreiung des Lerners von lernhemmenden Einstellungen spricht Lozanov von einem desuggestiv-suggestiven Vorgang: Desuggestiv ist dieser Vorgang dadurch, daß die durch unsere Erziehung angeeigneten Verhaltensweisen rational-selektiver Informationsverarbeitung, die Zweifel in die eigenen Fähigkeiten und andere negative Vorstellungen abgebaut werden; suggestiv ist dieser Vorgang dadurch, daß an die Stelle dieser lernbehindernden Einstellungen und Normen neue, lernfördernde Einstellungen (Autosuggestionen) treten. Mittel, die die Suggestibilität positiv beeinflussen, sind neben dem Verhalten und den Eigenschaften des Pädagogen v.a. auch die äußere Atmosphäre der Lernsituation (Gestaltung des Raumes), die interpersonale Atmosphäre bei den ersten Begegnungen, die Aufklärung des Lernenden über die Lernmethode, so daß die Wirksamkeit der Methode vom Lernenden nicht. in Frage gestellt wird, und der Glaube des Lehrers selbst an den Erfolg seiner Methode. Für die Anwendung der Suggestopädie ist es deshalb wichtig, diejenigen Komponenten genau zu kennen und zu beherrschen, die den desuggestiv-suggestiven Vorgang bewirken. Lozanov (1977) geht sogar so weit, daß er behauptet, die FLuL 25 (1996) 110 Rupprecht S. Baur Methoden stellten nur einen Placebo-Effekt dar5, was bedeuten würde, daß die Überzeugung des Lerners und des Lehrers von dem Erfolg und der Effektivität des Lernprozesses den Lernerfolg selbst maßgeblich beeinflussen. Um so wichtiger ist deshalb das suggestive Verhalten des Lehrers, der Träger und Übermittler der desuggestiv-suggestiven Prozesse ist. Um diesen suggestopädischen Grundmechanismus auszulösen und in Gang zu halten, muß der Lehrer nach Lozanov (1977) folgende Voraussetzungen erfüllen: 1. Er muß durch sein Verhalten befreiend und aktivierend auf den Lernenden wirken. 2. Er muß schauspielerische und artistische Komponenten in den Unterricht einbringen. 3. Er muß die Fähigkeit zur Schaffung einer emotional harmonischen und prosozialen Atmosphäre besitzen. 4. Er muß nonverbale und sprachbegleitende Elemente der Kommunikation beherrschen und pädagogisch wirksam einsetzen können. Im Rahmen der von ihm entwickelten suggestopädischen Methode der Fremdsprachenvermittlung nützt Lozanov systematisch die suggestiven Wirkungen von Autorität (und Infantilisierung), von begleitender Markierung, von Intonation und Rhythmus, von Musik sowie Ritualisierung. Diese Faktoren wollen wir im folgenden besprechen. 1.3 Autorität und lnfantilisierung Die Grundlagen für die Forderung nach Autorität des Lehrers/ Suggestopäden liegen bei Lozanov in den Erkenntnissen der Wirkung von Autorität in der Arzt-Patient- Kommunikation und v.a. auch in der psychotherapeutischen Kommunikation. "Der Begriff der Autorität, wie er in der Suggestologie gebraucht wird, steht für das nichtdirektive Prestige, das auf indirektem Wege eine Atmosphäre des Vertrauens schafft und den intuitiven Wunsch, dem gegebenen Beispiel zu folgen" (Lozanov 1978: 187). Als wichtigstes Merkmal der Autorität ist die bereits erwähnte berufliche Qualifikation des Suggestopäden anzusehen. Aus ihr leitet sich seine Selbstachtung und sein Selbstbewußtsein ab, die im Zusammenspiel mit seiner eigenen Erfolgserwartung und der Erfolgserwartung der Lerner die suggestive Wirkung der Autorität bedingen. Das Ansehen des Lehrers wird dabei noch potenziert durch die Autorität der „besonderen" Methode, über deren überlegene Resultate die Lerner einführend informiert werden und deren autorisierter Vertreter der Lehrer ist. 5 Der Placebo-Effekt wird bei der ärztlichen Behandlung festgestellt unter Verwendung sog. Leerpräparate, die durch ihre Verpackung und durch Vermittlung des Arztes von echten Medikamenten nicht zu unterscheiden sind. Von einem Placebo-Effekt spricht man dann, wenn das Leerpräparat bei einem Patienten dieselbe oder ähnliche Wirkungen erzielt wie das echte Medikament. FLuL 25 (1996) Die Suggestopädie 111 Zu diesen Merkmalen müssen aber auch die entsprechenden Einstellungen und Verhaltensweisen hinzukommen, wie z.B. Achtung, Hilfsbereitschaft, Wärme und Empathie (Einfühlungsvermögen), die es dem Lerner ermöglichen, Vertrauen zu dem Erzieher aufzubauen und sich von ihm zur Erreichung des gemeinsamen Ziels fördernd beraten und lenken zu lassen sich ihm anzuvertrauen. Die angstfreie Anerkennung der Autorität des Arztes oder Erziehers ruft beim Patienten oder Lerner (oder auch in der Eltern-Kind-Beziehung) Respekt und Vertrauen hervor. Diesen Prozeß nennt Lozanov Infantilisierung. Infantilisierung ist eine universelle Reaktion auf Autorität, die zu Erhöhung der Aufnahmebereitschaft und der Gedächtnisleistung führt, da sie dem Lerner Sicherheit und innere Ruhe gibt und seine Bereitschaft zu spielerischem, kreativem Verhalten weckt. Das Begriffspaar 'Autorität' und 'Infantilisierung', das ja lediglich in der (pädagogischen) Psychologie bekannte Prozesse benennt, hat ebenso wie der Begriff Suggestopädie selbst in den 80er Jahren bei vielen Sprachdidaktikern in der Bundesrepublik Deutschland zu pauschaler Ablehnung der Suggestopädie geführt. Die Ideale eines lernerzentrierten Unterrichts in Verbindung mit der Erziehung zu Emanzipation und zu antiautoritärem Denken schienen mit der Suggestopädie nicht vereinbar zu sein (vgl. z. B. Mans 1981, Krumm 1983, Pricke 1993, Dietrich 1995). Aus heutiger Sicht dürfte die Kritik obsolet sein, da sie sich an dem orientierte, was man an Gefahren zu erkennen meinte, und nicht an der Suggestopädie, wie sie in der Praxis entwickelt wurde. 6 1.4 Begleitende Markierung Das, was wir 'begleitende Markierung' nennen, entspricht bei Lozanov dem Begriff double-planeness, der im Deutschen häufig auch als Lernen auf zwei Ebenen wiedergegeben wird. Gemeint ist damit, daß für die Rezeption eines Wortes nicht nur seine Bedeutung im verbalen Kontext zählt, sondern auch seine Verbindung mit den begleitenden kommunikativen Merkmalen, die vom Kommunikationspartner „gesendet" werden, also den parafinguistischen und nonverbalen Komponenten der Kommunikation (Intonation, Expression, Pausen, Stimme, Gestik, Mimik, Kleidung, Frisur, Blick, Gang, Körperhaltung usw.). Diese unbewußt registrierten Wahrnehmungsobjekte, die die Intensität der Wahrnehmung und Speicherung mitbestimmen, äußern sich besonders deutlich in der Kunst und erklären hier die Wirkung von besonderen Formen, Farben, von Rhythmus, Reimen und Musik. Lozanov empfiehlt deshalb, im größtmöglichen Maße auch Elemente der Kunst in den Unterricht aufzunehmen. Für den Fremdsprachenunterricht ist nach Lozanov die Ausstattung der verbalen Information mit begleitenden Merkmalen besonders wichtig. Denn über die bewußte Anreicherung der verbalen Information mit entsprechenden Begleitmerkmalen kann die Rezeption sprachlichen Materials verstärkt werden. 6 Zu Lozanovs' Versuchen zur Überprüfung der Wirkung von 'Autorität' vgl. Baur (1991: 54). FLuL 25 (1996) 112 Rupprecht S. Baur Den paralinguistischen vokalen Elementen, also den Ausdrucksmöglichkeiten der Stimme, hat Lozanov von Anfang· an große Aufmerksamkeit geschenkt. Dies ist einerseits bedingt durch die Bedeutung, die die Stimme in den verschiedenen psychotherapeutischen Verfahren hat, andererseits auch durch die Wirkung des Elements 'Stimme' in der dramatischen Kunst und im Gesang. Variationen der Lautstärke der Stimme (was Lozanov als Intonation bezeichnet) und Rhythmisierung wurden von Lozanov bis Mitte der siebziger Jahre gemeinsam als eigenes methodisches Teilverfahren bei der zweiten Präsentation des Materials eingesetzt: In dieser Phase wurde das Lernmaterial in festen, unnatürlichen Intonationsfolgen und in festen rhythmischen Intervallen vorgetragen (laut flüsternd neutral). Später wurde dieses Verfahren zugunsten eines pathetisch-getragenen Lesens des Textes unter Anpassung der Stimme an eine emotional-expressive Musik (1. Lernkonzert) aufgegeben. Die Annahme Lozanovs über die Wirkung unterschiedlicher Lautstärken auf die Einprägung dürfte aus der Hypnosetherapie übernommen worden sein. 7 Die formelhafte Zerlegung des sprachlichen Materials in die intonatorischen Dreierblöcke, die Tendenz zur Rhythmisierung und prägnanten Kürze ist bekannt aus dem Autogenen Training, wie es von Schultz (1972) entwickelt wurde. Offensichtlich wollte Lozanov die einprägende Kraft formelhafter Vorsatzbildungen der Autosuggestion auch auf fremdsprachliches Material übertragen. Es fällt aber auf, daß bei einem solchen Verfahren nur noch die äußere Struktur der suggestiv-intonatorischen Technik erhalten bleibt und daß die sonst damit verbundenen spezifischen autosuggestiven Inhalte (Vorsatzbildungen) verlorengehen. Die im Autogenen Training und in anderen Entspannungsmethoden angewendeten Techniken der Vorsatzbildung, der Projektion von Wunschbildern und des Gebrauchs von Metaphern als Mittel der Ich-Stärkung gehören deshalb in den westlichen Varianten der Suggestopädie heute zum festen Bestandteil des suggestopädischen Lernzyklus. Wie Baur (1991: 55 ff) zeigt, gibt es de facto keine Versuche, die eine spezifische Wirkung der intonatorischen Komponente nachgewiesen hätten. Es existieren auch keine Untersuchungen, die den Wechsel des Verfahrens des „intonatorischen Lesens" zugunsten des „musikalischen Lesens" begründen würden. 8 Ein banaler „Grund" scheint darin zu liegen, daß Evelina Gateva seit Mitte der siebziger Jahre eine führende Position als Mitarbeiterin von Lozanov einnahm und seitdem auch die Entwicklung der Suggestopädie maßgeblich mitbestimmt hat. Gateva ist ausgebildete Musikologin und Sängerin und hat dementsprechend das musikalische Element in der Suggestopädie stärker akzentuiert, als dies vorher der Fall war. 7 8 Vgl. dazu auch Langen (1969, 1972). Wir werden darauf in den folgenden Kapiteln noch ausführlicher eingehen. FLuL 25 (1996) Die Suggestopädie 113 1.5 Die Musik Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß durch suggestopädisches Lernen die Reservekapazitäten des Gedächtnisses ausgenutzt werden sollen. Lozanov spricht in diesem Zusammenhang auch von dem Zustand der Pseudopassivität und der suggestopädischen Hypermnesie. Er meint damit, daß auch bei äußerlicher Ruhe und im Zustand der psychophysischen Entspannung das Gehirn aktiv ist, indem es innere Eindrücke weiterverarbeitet, aber auch von außen eindringende Wahrnehmungsobjekte speichert. In diesem Zustand könnten manche Informationen direkter eindringen, da die kritisch-logische Barriere nicht wirksam wird. Diese Gedächtniserweiterung wird nach Lozanov maßgeblich durch die Wirkung von Barockmusik und klassischer Musik in der musikalischen Entspannungsphase unterstützt. Sie schaffe die Voraussetzung für eine optimale psychophysische Entspannung und ermögliche ein intensives Lernen, ohne daß sich die Lerner überfordert fühlten. Diese entspannende Funktion der Musik ist auch aus der Musiktherapie und Heilpädagogik bekannt. Man braucht dazu Musik, die in Lautstärke, Metrum oder Rhythmus relativ gleichmäßig ist. Musik wird dann empfunden als ein angenehmes Sich-Fallen-Lassen in einen Klang, einen Rhythmus, einen musikalischen Verlauf bei gleichzeitigem Abzug des Interesses von der Umwelt und von den in der Auseinandersetzung mit ihr erlebten Konflikten (vgl. Geck 1973). Lozanov hatte Barockmusik und klassische Musik für die Entspannungsphase bestimmt, weil er bei seinen Untersuchungen in Bulgarien feststellte, daß fast bei allen Personen eine Empfänglichkeit für den positiv-emotionalen Charakter dieser Musik nachgewiesen werden konnte. 9 Natürlich ist keineswegs gesagt, daß etwa nur Barockmusik und klassische Musik entspannende Wirkung hervorrufen kann. In der Suggestopädie liegen Erfahrungen mit ganz unterschiedlichen musikalischen Stilrichtungen vor, mit denen die gewünschten Entspannungseffekte erzielt werden können. Entscheidend ist, daß die jeweilige Musik ihrem Charakter nach als harmonisch vertraut, spannungsarm und gleichmäßig empfunden wird, so daß eine von starken emotionalen Spannungen freie ästhetische Wahmehmung erfolgt. Welche Musik den gewünschten Effekt bei der jeweiligen Adressatengruppe hervorbringt, sollte jedoch immer durch einen empirischen Zugang herausgefunden werden. Die musikalische Entspannungsphase wurde in den suggestopädischen Kursen in Bulgarien ausschließlich durch die Anweisung herbeigeführt, sich in den Sesseln zu entspannen 10, sich der klassischen Musik, die von einem Tonträger abgespielt 9 Als Begleitmusik zur Entspannung wurden von Lozanov v.a. Symphonien und Konzerte von Bach, Corelli, Händel, Haydn, Mozart und Vivaldi ausgewählt. 10 Die Sessel gehörten in Bulgarien zur suggestopädischen Standardausrüstung. Das hat zu der irrigen Annahme geführt, die Methode sei an die Ausstattung mit Sesseln - und andere Ausstattungsmerkmale gebunden. Eine Folge davon war, daß in den 80er Jahren in der Bundesrepublik Deutschland im Lizenzverfahren suggestopädische 'Lernstudios' eingerichtet wurden, die bestimmte Einrichtungsstandards einzuhalten hatten. FLuL 25 (1996) 114 Rupprecht S. Baur wurde, hinzugeben und nicht auf den fremdsprachlichen Text zu achten, der dabei rezitiert wird. 11 Die Aussagen darüber, welche psychophysiologischen Zustände und welche neutralen Prozesse in der musikalischen Entspannungsphase bei den einzelnen Lernern tatsächlich ablaufen, sind nur schwer zu verallgemeinern. Wenn von der 'Musik' in der Suggestopädie gesprochen wird, muß in jedem Fall ganz deutlich zwischen der Rolle der Musik beim emotional-expressiven Lesen in dem „aktiven Konzert" (1. Lernkonzert) gegenüber dem normal-intonierten Lesen in der musikalischen Entspannungsphase (passives Konzert, 2. Lernkonzert) unterschieden werden: 1. Beim emotional-expressiven Lesen (1. Lernkonzert) sind Musik und Sprache gleichberechtigt. Dadurch konkurrieren rechtshemisphärische Verarbeitungsprozesse für Musik mit linkshemisphärischen analytischen Verarbeitungsprozessen für Sprache. Wie die einzelnen Lerner reagieren und welche Prozesse und Strategien die Oberhand gewinnen, darüber gibt es bisher kaum Untersuchungen. 2. In der musikalischen Entspannungsphase dagegen (2. Lernkonzert) hat die Musik eine klar definierte Funktion: Die Lerner sollen mit Hilfe der ruhigen und gleichmäßigen Musik in einen Ruhezustand versetzt werden, in dem die psychische Aktivität zur Verarbeitung von Reizen, die von außen an die Wahmehmungsorgane herangetragen werden, maximal herabgesetzt ist. Gleichzeitig soll die Wahmehmung zugunsten einer Konzentration auf emotionales inneres Erleben umgeschaltet werden. In welchem Maße, in welcher Intensität dieser Zustand im Einzelfall erreicht wird, ist nicht genau zu sagen. Wir können jedoch davon ausgehen, daß in dieser Phase bei allen Lernern in der Regel eine relative Absenkung des psychophysischen Erregungsniveaus eingeleitet wird, so daß diese Phase vom einzelnen als beruhigend und entspannend empfunden wird. Die Verminderung der Aktionspotentiale des Gehirns dürfte sich dabei stärker auf die linkshemisphärischen (sprachlich-analytischen) Prozesse auswirken, wenn es gelingt, die bewußte Sprachwahrnehmung zu vermeiden. Bei dieser Form der Darbietung des Textes kann das fremdsprachliche Material in die Nähe unterschwellig wahrgenommener Reize rücken. Der ursprünglich logischanalytisch und bewußt wahrgenommene Text wird nun ein weiteres Mal unbewußt verarbeitet. Die Wirkung der Musik soll dabei zusätzlich mentale Prozesse harmonisieren und das psychophysische Wohlbefinden steigern. In den westlichen Varianten der Suggestopädie wurden in der musikalischen Entspannungsphase in der Regel langsame Sätze klassischer Musikstücke aneinandergereiht (Larghi), um die Entspannung durch die physiologische Anpassung der Körperfunktionen an den musikalischen Rhythmus zu erleichtern. In den östlichen Ländern wurden dagegen nicht nur die langsamen Sätze verwendet, sondern das Musikstück wurde als Ganzes, einschließlich der schnellen Sätze, präsentiert. In den neueren Ausformungen der Suggestopädie in westlichen Ländern wird Musik nicht nur in den Lernkonzerten, sondern vor allem auch für Imaginationsübungen (Phantasiereisen) verwendet. Die evozierten Bilder, Vorstellungen und 11 Für weitere Angaben zur Musik in der Suggestopädie vgl. Baur (1991: 58 ff). FLuL 25 (1996) Die Suggestopädie 115 Emotionen können entweder zur mentalen Entspannung, zur Erfolgsmotivierung oder auch zur Sprachproduktion genutzt werden (vgl. Quast 1994a, b). 2. Varianten der Suggestopädie 2.1 SALT und Superlearning Aufgrund von Recherchen der kanadischen Sprachdidaktikerin Jane Bancroft (1975) verbreitete sich in den USA eine Variante der Suggestopädie, die von Schuster/ Benitez-Bordon/ Gritton (1976) adaptiert und später durch das Buch von Ostrander/ Schroeder (1979) unter dem Namen „Superleaming" bekannt wurde. Sie hat die Entwicklung in den USA und auch in Deutschland nachhaltig beeinflußt. Verbreitet wurde die Lozanov-Methode als Accelerative Learning zunächst durch die Society of Accelerative Learning and Teaching (SALT), die ihren Sitz in Des Moines (Iowa) in den USA hat. 1976 wurde hier von Schuster/ Benitez-Bordon/ Gritton ein Handbuch zum "Suggestive Accelerated Leaming and Teaching" sowie das SALT-Journal veröffentlicht, in dem über Unterrichtserfahrungen mit der Suggestopädie und empirische Untersuchungen berichtet wurde. Die SALT-Adaptation der Suggestopädie (1976) besteht aus einer Vorbereitungsphase, zwei Präsentationsphasen und einer Übungsphase. Die Vorbereitungsphase enthält folgende Techniken: 1. Entspannungsübungen mit Vorsatzbildungen; 2. Innere Beruhigung durch Erinnerung an etwas Schönes und Angenehmes; 3. Erinnerung an ein positives Lernerlebnis; 4. Atmen im Takt. Nach dieser Vorbereitung folgt die J. Präsentationsphase. Sie ist gestaltet nach den Prinzipien der Darbietung beim intonatorischen Lesen, also nach dem Schema: laut leise normal. Die 2. Präsentationsphase wird wieder eingeleitet mit Übungen zum rhythmischen Atmen. Dabei wird angestrebt, den Atemrhythmus, den Rhythmus der Musik und den Rhythmus der Präsentation von sprachlichen Einheiten (bei SALT einzelne Vokabeln mit Übersetzung) miteinander zu synchronisieren. Das sollte folgendermaßen geschehen: Man atmet 2 Takte (etwa 2 Sekunden) ein, hält die Luft 4 Takte an und atinet dann 2 Sekunden aus. In die 4 Sekunden Atempause wird die zu lernende Information hineingesprochen in der Regel eine Vokabel und ihre Übersetzung. In der nächsten Sitzung (in der Regel am folgenden Tag) werden Übungen zur Festigung des Lernstoffs durchgeführt (Microdialoge und vorbereitete Rollenspiele). Gestützt auf einige Lernexperimente, die im SALT-Journal veröffentlicht wurden, behaupteten die SALT-Pädagogen, empirische Belege für die Verbesserung der Lernleistung durch SALT erhalten zu haben. Wir stellen diese Untersuchungen nicht dar, da sie offensichtlich Artefakte sind. Eine sehr sorgfältig durchgeführte Untersuchung von Wagner/ Tilney (1983) kam zu dem gegenteiligen Ergebnis, nämlich daß das rhythmische Atmen die Lernleistung beeinträchtigt. Auch Schiffler (1989) zeigt, daß die Technik nicht anwendbar ist. - Nachdem SALT rhythmisches Atmen ursprünglich zum Kernelement der Methode erklärt hatte, ist die Anleitung dazu FLuL 25 (1996) 116 Rupprecht S. Baur allerdings in der Neuauflage des SALT-Handbuchs von Schuster/ Gritton (1986) sang- und klanglos verschwunden. Man sieht also, was wissenschaftlich von dieser Gesellschaft zu erwarten ist. Der Begriff „ Superlearning" ist eine Erfindung der amerikanischen Journalistinnen Sheila Ostrander und Lynn Schroeder, die 1979 mit dem gleichnamigen Buch, das zu einem weltweiten Bestseller wurde, die Suggestopädie vermarkteten. Die Umbenennung der Suggestopädie in dieser Publikation in „Superleaming" und die Übernahme dieses Titels in die erste deutsche Übersetzung (1979) haben dazu geführt, daß auch deutsche Sprachenschulen, Management-Institute und Verlage diese Bezeichnung ihrerseits übernahmen, um sich an den Erfolg des Bestsellers anzuhängen. Da das Buch eine sensationslüsterne Aufbereitung von Fakten und Halbwahrheiten aus den verschiedensten Wissensbereichen ist und sich dabei hauptsächlich auf Lozanovs Forschungen beruft, hat es dem Ansehen der Suggestopädie geschadet und für viele eine ernsthafte Beschäftigung mit der Suggestopädie verhindert. Im „Superleaming" nach Ostrander/ Schroeder (Kapitel 7, S. 95 ff) werden die Lernschritte von SALT für ein Super-Lernprogramm übernommen, aber um die Übungsphase gekürzt und zu einem Selbstlern-Kassettenprogramm gemacht. Jeder sollte sich nach den Anweisungen des Buches sein Super-Lernprogramm selber basteln! Es bleiben also eine Vorbereitungsphase mit Entspannung und Atmung, eine erste Präsentationsphase mit rhythmischem Atmen und stillem Mitlesen und eine zweite Präsentation mit rhythmischem Atmen, Entspannung und Musik. Auf der Grundlage dieser Empfehlungen wurden zahlreiche kommerzielle Superleaming-Kassettenprogamme hergestellt und als lehrerunabhängiges Selbstlernmaterial verkauft. Solches Selbstlernmaterial bildete in Sprachinstituten aber auch häufig die Grundlage für lehrergesteuerten Unterricht. Uns sind Fälle bekannt, wo (verhältnismäßig teure) Superleaming-Kurse als Wochenend-Intensivkurse angeboten wurden, zu denen ein 'Superleaming-Spezialist' kam, dessen Funktion darin bestand, die mitgebrachten Kassetten des Sprachkurses einzulegen und auszutauschen. Neben diesen schnell auf den Markt geworfenen Kassettenkursen, die durch ihre unrealistischen Versprechungen ein breites Publikum zum Kauf verführten, hat die Superlearning-Technik auch zahllose Lerner in die Irre geführt, die sich die Programme selbst herstellen wollten. Sie übten mit einem „Super-Lernsystem", das so, wie es von den amerikanischen Journalistinnen beschrieben und empfohlen wurde, jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehrt und natürlich auch nicht funktionierte. - Erst in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre hat in der Bundesrepublik unter dem Eindruck des Versagens der amerikanischen Superlearning-Techniken eine Hinwendung zu den ursprünglichen suggestopädischen Prinzipien eingesetzt. 2.2 Der ACT-Ansatz und die Psychopädie Lynn Dhority (1984, deutsch 1986) nennt seine Variante "Acquisition through Creative Teaching" (ACT). Im Aufbau der Lehr- und Lernphasen hält er sich an FLuL 25 (1996) Die Suggestopädie 117 die von Lozanov vorgegebene Abfolge; er fügt jedoch aus Kenntnis der aktuellen Entwicklungen in der Pädagogik und Psychologie in den USA Elemente hinzu, die auch die Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland beeinflußt haben. Lozanov folgend sieht er den Lehrer als „aktiven und mächtigen Träger von Suggestion" (1986: 64) und möchte die Suggestion nutzen, um den Schülern dabei zu helfen, "ihre einengenden Selbstkonzepte, Werturteile und Ängste zu überwinden" (1986: 61). Er gibt eine Reihe nützlicher Hinweise zur praktischen Umsetzung von Suggestionstechniken. Wenn in dieser Hinsicht noch Ähnlichkeiten mit SALT bestehen, so unterscheidet sich Dhority jedoch vor allem durch seine Auffassung vom Sprachlernprozeß als einem aktiven Prozeß. Im Gegensatz zu SALT, wo Vokabellernen als Sprachlernen angesehen wurde, legt Dhority großen Wert auf die Übungs- und Aktivierungstechniken, um sicherzustellen, daß durch entsprechende Aktivitäten die Kommunikationsfähigkeit in der Fremdsprache entwickelt wird. Zu diesem Zweck integriert er auch wie bereits Krashenfferell (1983), auf die er sich bei der Definition seiner kommunikativen Ziele beruft (1986: 125) den "Total Physical Response" (TPR) als Vermittlungsverfahren in seinen Unterricht. Dhority überprüfte in seinen Kursen auch, ob Kommunikationsfähigkeit erreicht wurde, indem er Tests zum Hörverständnis, Sprechen und Leseverständnis durchführte (1986: 159 ff). Dhority hat aber vor allem aus einem anderen Grunde die Entwicklung der Suggestopädie in der Bundesrepublik Deutschland beeinflußt: Als erster hat er die Techniken des Neuro-Linguistischen Programmierens (NLP) 12 als Teil der Suggestopädie vorgestellt. Baur (1984) kritisiert, daß der Suggestopädie in den Input-Phasen von Lozanov das aktive Element der Kommunikation fehlt: Kommunikativer Input wird nicht dadurch erreicht, daß man einen Text liest und sich danach entspannt, sondern dadurch, daß man ihn wie in der natürlichen Face-to-Face-Kommunikation mit allen Sinnen wahrnimmt und daß durch die Art des Input ein Interesse des Lerners an dem Sprachlernmaterial erzeugt wird. Angeregt durch die Auseinandersetzung mit der russischen Suggestopädie (vgl. Kitajgorodskaja 1986), schlägt Baur (1991) in seiner psychopädischen Variante der Suggestopädie (Psychopädie) vier Inputphasen vor, wobei die ersten beiden Präsentationsphasen wesentliche Veränderungen gegenüber den Phasen darstellen, wie sie sonst in der Suggestopädie praktiziert werden. Baur plädiert dafür, die erste und zweite Inputphase kommunikativ, handlungsorientiert und bewegungsintensiv zu gestalten, damit die verschiedenen Verarbeitungs- und Kodiersysteme (auditiv, visuell, kinästhetisch, emotional) maximal aktiviert werden (vgl. Baur/ Grzybek 1984a, b). Erst nachdem der Text kommunikativ und interaktiv aufgenommen wurde, soll er analytisch (Hören/ Lesen) und assoziativ (musikalische Phase) wiederholt und gefestigt werden. 12 Vgl. unten Abschnitt 5 (S. 131 ff) sowie den Beitrag von M. Hager in diesem Band [E.Z.]. FLuL 25 (1996) 118 Rupprecht S. Baur Die erste Präsentation des Materials in der Einführungsphase soll das Interesse des Lerners auf den Text und die dargebotenen sprachlichen Situationen lenken und ihm eine globale Vorstellung von den Textinhalten vermitteln. Der Lehrer steht in dieser Phase im Mittelpunkt. Er stellt den neuen Text vor, indem er die Texthandlungen nonverbal in vielfältiger Weise begleitet. Der Text wird dabei in überschaubaren Syntagmen zielsprachig und anschließend mehr beiläufig in der Übersetzung dargeboten. Der Lehrer bezieht die Teilnehmer durch Zuwendung (Bewegungen, Blickkontakt, Körperkontakt) in das Geschehen mit ein, die Teilnehmer bleiben aber in dieser Phase noch rezeptiv, um das Neue und Unbekannte aufnehmen zu können. Kinesik, Gestik und Mimik des Lehrers dienen nicht der Semantisierung des Textes er wird ja zweisprachig dargeboten sondern (a) der Aktivierung des Interesses der Lerner (durch eine lebendige Einführung) und (b) der Ausstattung des Textes mit einer Fülle von situativen Merkmalen, die über verschiedene Wahrnehmungskanäle als sekundäre Assoziationen (Anker) gespeichert werden und so das Behalten und Abrufen des Textes erleichtern. Es geht also um die assoziative, lebendige Ausstattung des Textes mit Elementen, die in der Face-to-Face-Kommunikation wirksam sind, wie das bereits oben angedeutet wurde. Die vom Lehrer gewählte Ausstattung des Textes mit nonverbalen und paraverbalen Elementen dient in der Reproduktionsphase als Modell, das dem Lerner die Wiederholung des Textes erleichtert (Ankerfunktion). Diese Erleichterung beruht dabei auch auf Faktoren, die mit der Funktion von Gestik im Spracherwerb zusammenhängen. Die Einführungsphase intensiviert dabei zunächst die Fremdwahrnehmung. In den empirischen Untersuchungen von Baur/ Grzybek (1984a, b; 1985) zeigte sich, daß bereits diese Art der Textpräsentation einen positiven Effekt auf die Behaltensleistung ausübt. Der Lehrer muß sich auf die Phase der Texteinführung sehr gründlich vorbereiten, um die verschiedenen Wahrnehmungskanäle bewußt anzusprechen und um die verwendeten verbalen und nonverbalen Elemente in der Reproduktionsphase systematisch wieder aufnehmen zu können. In der zweiten Präsentation, der Reproduktionsphase, spielen die Lerner den Text unter Anleitung des Lehrers nach. Dabei bietet der Lehrer in der Regel zunächst das phonetische und artikulatorische Modell dar, das dann in die aus der Einführungsphase bekannten begleitenden parasprachlichen und nonverbalen Elemente „eingekleidet" wird. Diese nonverbalen Elemente sind mit dem Rhythmus und der Melodie der Wörter, Phrasen und Sätze synchronisiert und unterstützen die motorische, aktualgenetische Seite der Sprachproduktion. Gleichzeitig verbessert die körperlich-motorische Aktivität die Bereitschaft zur Imitation, die durch kognitivanalytische Vorgehensweisen gehemmt oder sogar blockiert werden kann. Auch werden ganz gezielt verschiedene Sinne, verschiedene Wahrnehmungskanäle und damit auch verschiedene Lerntypen angesprochen. Die Reproduktionsphase ist für Baur eine für den Verlauf und die Intensität des Unterrichts entscheidende Phase. Die Lerner sollen in der Reproduktionsphase FLuL 25 (1996) Die Suggestopädie 119 mit dem Text so vertraut werden, daß ihnen Textteile, die in späteren Übungsphasen aufgenommen werden, bekannt erscheinen, ihre Sprechangst verlieren und die Erfahrung machen, daß es Spaß macht, in der fremden Sprache bzw. mit diesem Text zu agieren, ihre spielerisch-kreative Phantasie entfalten können, durch die Hereinnahme körperlicher Aktivitäten 13 m den Sprachaneignungsprozeß eine passive Haltung überwinden. 2.3 Grundlegende Prinzipien der Suggestopädie Wir wollen im folgenden kurz zusammenfassen, welche methodische Prinzipien in den auf Entwicklung der Sprechfähigkeit ausgerichteten Varianten der Suggestopädie beachtet werden: 1. Aufbau einer angstfreien Lernatmosphäre Sie soll hergestellt werden durch entsprechendes Lehrerverhalten, durch Entspannung und spielerisches Lernen. Ein wichtiges Verfahren ist dabei auch der sog. 'Identitätswechsel' (Rollenvergabe) zu Beginn eines suggestopädischen Kurses. 2. Einbeziehen emotionaler Potentiale Dies geschieht durch Wahl der Textinhalte, aber auch durch die Art der künstlerischen Präsentation der Texte. Weitere Elemente, die emotionale Potentiale ansprechen, sind die Musik, die Inhalte der Entspannung (Phantasiereisen), aber auch die Übungsformen und die partnerschaftliche Zusammenarbeit in den Lerngruppen. 3. Zusammenwirken bewußter und unbewußter Wahrnehmung Konzentration und Entspannung, aktive und passive Phasen wechseln ab. Dabei sollen möglichst auch der biologische Rhythmus und die psychophysischen Bedürfnisse der Lerner beachtet werden. Das Zusammenwirken entsteht auch durch die bewußte Gestaltung einer zweiten Lernebene über paralinguistische und extraverbale Begleitmerkmale, die in den Präsentationsphasen, in den Übungen, in der Gestaltung des Raumes (Lernposter), aber auch im Lehrerverhalten generell zum Ausdruck kommen. 4. Ritualisierung des Unterrichts Durch eine bestimmte Abfolge und Gestaltung der Phasen, insbesondere der Präsentationsphasen, wird die Erwartung der Lerner erfüllt. Das Ritual ist ein ldentifizierungsmerkmal, das gleichzeitig Vertrauen und Erwartungen hervorruft. Die Durchbrechung des Rituals wird dadurch auch in den Rang einer besonderen Handlung erhoben. 5. Einsatz von Musik und Entspannung Diese Elemente gehören zu den 'Erkennungszeichen' der Suggestopädie. Sie fließen z. T. auch als Teilkomponenten in andere methodische Prinzipien ein. 6. Vergrößerung des Input Der Lernstoff ist umfangreicher als in anderen Methoden, und es werden in der Regel auch mehr lexikalische Einheiten pro Lektion eingeführt als in anderen Methoden. Dieser größere Umfang 13 Körperliche Aktivierung meint die systematische Integration nonverbaler Elemente. Diese Aktivierung verursacht eine Vielfalt von positiven Effekten (vgl. Baur/ Grzybek 1985a). FLuL 25 (1996) 120 Rupprecht S. Baur an Lernmaterial scheint, wie in ungesteuerten (natürlichen) Lernprozessen, den Lernerfolg positiv zu beeinflussen. 7. Lernergerechte Mehrfachkodierung des Lernstoffes Mehrfachkodierung des Lernstoffs war von jeher ein Grundprinzip der Suggestopädie. Die Aufmerksamkeit für verschiedene Darbietungsformen wurde durch das NLP geschärft. 8. Zweisprachigkeit Lernmaterial, Lehrervortrag, Grammatik, Anweisungen usw. werden, wenn es lernfördernd erscheint, zielsprachig und mit Übersetzung dargeboten. Die Suggestopädie befindet sich hier im Einklang mit den Aussagen der 'aufgeklärten Einsprachigkeit' (vgl. Butzkamm 1973). 9. Indirekte Fehlerkorrektur Lerner sollen nie vor der Gruppe bloßgestellt werden, deshalb werden Techniken der indirekten Fehlerkorrektur empfohlen. 10. Beiläufiges Lernen Die Konzentration der Lerner liegt häufig auf zielgerichteten Handlungen oder Spielen, bei denen das Lernmaterial selbst nicht im Vordergrund steht, also beiläufig gelernt wird. Dasselbe Prinzip beiläufigen Lernens wird angewendet, wenn Texte in der Entspannung dargeboten werden oder auch wenn Tafeln und Poster mit grammatischen Informationen im Klassenraum aufgehängt werden, die als periphere Stimuli unwillkürlich aufgenommen werden. 14 3. Empirische Untersuchungen zur Suggestopädie Empirische Untersuchungen zur Suggestopädie, die wissenschaftlicher Prüfung standhalten, sind gemessen an den vielen Publikationen, die es inzwischen zur Suggestopädie gibt selten. Schon die Untersuchungen von Lozanov selbst halten kritischer Prüfung nicht stand (vgl. die Kritik bei Scovel 1988, Schiffler 1989, Baur 1991). Nur einige Untersuchungen, die bis heute Gültigkeit beanspruchen können und die für die Suggestopädie einen wichtigen Erkenntniszuwachs gebracht haben, sollen im folgenden angesprochen werden. 3.1 Russische Untersuchungen Um einen Überblick über Vorteile oder Nachteile der suggestopädischen Methode im Vergleich zu der damals in der Sowjetunion vorherrschenden „bewußt-praktischen Methode" zu bekommen 15, wurde am Moskauer Fremdspracheninstitut 1974 ein sehr sorgfältig vorbereiteter vergleichender Unterrichtsversuch durchgeführt 14 Vgl. auch Schiffler (1989: 69 ff), der die Merkmale der suggestopädischen Methoden noch weiter ausdifferenziert. 15 Zur bewußt-praktischen Methode vgl. Beljaev (1963) sowie Baur et al. (1980) und Baur (1981). FLuL 25 (1996) Die Suggestopädie 121 (Kitajgorodskaja/ Majorova 1977). 16 Ziel des Experimentes, das vom 7. Oktober bis 26. Dezember 1974 in Moskau stattfand, war es, das Aneignungsniveau für folgende Kenntnisse und Fertigkeiten zu überprüfen: (1) die Kenntnis der Lexik (bei einem Stoff von 2000 LE); (2) grammatische Kenntnisse (bezogen auf die Grundgrammatik); (3) das Leseverständnis; (4) das Hörverständnis; (5) die situative Sprechfertigkeit unter Berücksichtigung der Reaktionszeit (auf einen verbalen Stimulus), des Redetempos, des Wortschatzes, des Gebrauchs von Wörtern und Strukturen und der Fehler (prozentual zu den Redeeinheiten). Die traditionellen Kontrollgruppen konnten nur die Hälfte des Lernpensums absolvieren. Die Abschlußtests bezogen sich deshalb nur auf diesen Teil des Stoffes. Die Testergebnisse sprachen trotzdem in allen Bereichen klar für die Überlegenheit der suggestopädischen Methode v.a. im wichtigsten Testteil, der durch einen Stimulus provozierten mündlichen Rede, wurde nicht nur mehr Rede produziert, sondern diese Rede war sogar grammatisch korrekter als bei den Vergleichsgruppen. Dies, obwohl eine erhöhte Fehlerquote auch aufgrund des größeren Umfangs an Lernstoff in den suggestopädischen Gruppen zu erwarten gewesen wäre. Die Überlegenheit der suggestopädischen Gruppen beim Verstehen und bei der Sprachproduktion war ein wichtiger Beleg dafür, daß vergrößerter Input sich auch im gesteuerten Spracherwerb positiv auswirkt (vgl. Krashen 1985). Zu ähnlich positiven Ergebnissen kam man auch bei vergleichenden Unterrichtsversuchen mit regulären Studenten der Philologie am Moskauer Pädagogischen Lenin-Institut, über die Smirnova (1975) berichtet. Von 1972 bis 1975 liefen dort experimentelle suggestopädische Kurse über zwei Monate, wobei die suggestopädischen Experimentalgruppen in dem Vergleichszeitraum sich mehr als das Doppelte an Lernstoff aneigneten. Die Behaltensleistung lag bei zwölf Kursen im Durchschnitt über 90%, die allerdings als Herübersetzung abgetestet wurden. Die Vergleichstests mit den traditionellen Gruppen bezogen sich dagegen auch auf die mündliche Ausdrucksfähigkeit, die trotz des doppelten Umfangs an Lexik und Grammatik bei den suggestopädischen Gruppen bei der Sprechgeschwindigkeit und in der grammatischen Korrektheit der Äußerungen eine deutliche Überlegenheit der suggestopädischen Gruppen zeigte. Hochsignifikant überlegen waren die suggestopädischen Gruppen bei Smirnova auch im Hörverstehen und Leseverstehen, unterlegen waren sie allein in der Ortho- 16 Als Unterrichtsmaterialien wurden für die suggestopädischen Gruppen Kurse zugrunde gelegt, die in Bulgarien entwickelt und von den sowjetischen Versuchsleiterinnen etwas verändert worden waren. Für die nach der bewußt-praktischen Methode unterrichteten Gruppen (die wir im folgenden auch als „traditionelle" bezeichnen werden) wurde für das Englische ein Lehrwerk von LAPIDUS und NESUCHIN, für das Französische ein Lehrbuch von VENIERI verwendet. Es handelt sich dabei um multimediale Kurse, die speziell für die Umsetzung der bewußt-praktischen Methode am Moskauer Pädagogischen Fremdspracheninstitut erstellt wurden. FLuL 25 (1996) 122 Rupprecht S. Baur graphie (Diktat), da sie die Übungsform des Diktats im Unterricht nicht praktiziert hatten. 3.2 Das kanadische Experiment In den Jahren 1973 und 1974 wurde in Kanada suggestopädischer Versuchsunterricht unter kontrollierten Bedingungen durchgeführt, nachdem sich die Organisatoren des Lernexperiments in Sofia über die Suggestopädie informiert hatten. In den experimentellen Kursen wurde die von Lozanov entwickelte Variante der Suggestopädie genau befolgt, und es wurden suggestopädische Kurse für das Französische und das Englische entwickelt, die sich eng an das bulgarische Vorbild (Kursstufe I) anlehnten. Als Resultat eines ersten einmonatigen Intensivunterrichts mit Lernern, die bereits über Vorkenntnisse im Englischen und Französischen verfügten, stellten die kanadischen Versuchsleiter fest: Die Lerner verloren ihre sprachlichen Hemmungen und aktivierten im Laufe des Kurses ihre passiven Vorkenntnisse. Die schwächsten Lerner (Eingangsniveau) machten die relativ größten Lernfortschritte. Die Heterogenität der Lerngruppe wirkte sich auf den Unterrichts- und Lernprozeß nicht hemmend aus. Die Lerner gewannen eine positive Einstellung zu der suggestopädischen Methode und fühlten sich in der Lernsituation wohl und entspannt. Die positiven, aber im Vergleich zu den von Lozanov in Bulgarien erzielten gar nicht spektakulären Ergebnisse ermutigten die Kanadier, einen weiteren Unterrichtsversuch durchzuführen. Diesmal wurde zu einer suggestopädischen Experimentalgruppe (Französisch) eine Kontrollgruppe eingerichtet und die Ergebnisse des einmonatigen Unterrichts mit standardisierten Tests überprüft. Wieder waren die Ergebnisse gemessen an den in Bulgarien erweckten Erwartungen eher bescheiden: 1. Nach einem Test, der das Hörverständnis und die mündliche Ausdrucksfähigkeit im Multiple-choice-Verfahren überprüfte, ergab sich kein Unterschied zwischen der Experimental- und der Kontrollgruppe. 2. In speziellen Untertests, in denen die anwendungsbezogene Kommunikation überprüft wurde, ergaben sich deutliche Vorteile für die suggestopädische Gruppe. 3. Entgegen der Erfahrung, daß ältere Lerner in der Regel weniger gute Lernfortschritte machen als jüngere, stellte man in der suggestopädischen Gruppe keine wesentlichen altersabhängigen Lernunterschiede fest. 4. Die im ersten Lernversuch konstatierten positiven Effekte bezüglich des Lern- und Gruppenklimas konnten wieder bestätigt werden. FLuL 25 (1996) Die Suggestopädie 123 Der Ruf der Suggestopädie als Methode, mit der streßfreies Lernen möglich ist und mit der Sprechhemmungen überwunden werden können, wurde durch die kanadischen Untersuchungen bestätigt. Der Ruf der Suggestopädie als einer Wundermethode, die alle Lerngesetze außer Kraft setzt, wurde durch die kanadischen Ergebnisse eher widerlegt. Erstaunlicherweise wurden die Resultate des kanadischen Experiments, die den Mythos der Suggestopädie ja schon vor geraumer Zeit entschleierten, bei der Rezeption der Suggestopädie in der Bundesrepublik kaum zur Kenntnis genommen.17 Schuld daran ist die Tatsache, daß die Suggestopädie in die Bundesrepublik hauptsächlich über die einerseits unkritische, andererseits simplifizierende amerikanische Variante des SALT und des „Superlearning" importiert wurde, die wir oben schon charakterisiert haben. 3.3 Untersuchungen in der Bundesrepublik Empirische Untersuchungen zur Suggestopädie in der Bundesrepublik, die einen wissenschaftlichen Wert haben, sind bisher selten. Die uns bekannten Untersuchungen und Berichte aus der Praxis sind allerdings durchweg positiv. Baur (1982) untersuchte als erster die Auswirkung von Entspannung und Musik auf die Behaltensleistung für fremdsprachliches Material. Er konnte nachweisen, daß die Behaltensleistung bei der Präsentation mit Musik statistisch signifikant besser war, daß also die Musik eine eigenständige positive Auswirkung auf den Lernprozeß ausübt, die allein durch Entspannung nicht erreicht wird. Dieser Frage ging auch Schiffler nach. In den beiden wichtigsten von insgesamt fünf Untersuchungen überprüfte Schiffler (1989) den Einfluß von Musik auf die Lernleistung von erwachsenen Lernern des Französischen (Studenten). Er bildete zunächst je zwei Gruppen leistungsschwächerer und -stärkerer Schüler, von denen jeweils eine Gruppe mit Unterstützung von Musik in bestimmten Phasen des Unterrichts lernte, während die andere Gruppe (Kontrollgruppe) in diesen Phasen denselben Text audiolingual oder audiovisuell dargeboten bekam. Der Unterricht umfaßte 56 Unterrichtsstunden und wurde als Intensivkurs über 3 Wochen erteilt. In einem zweiten Experiment wurde derselbe Lernstoff in einem Extensivkurs jeweils an zwei Unterrichtstagen zwei Unterrichtsstunden lang über 3 1/ 2 Monate erteilt. Die Gesamtunterrichtsstundenzahl betrug eb~nfalls 56 Stunden. Den Einfluß der Variable „Lehrer" schaltete Schiffler dadurch aus, daß er einen Lehrerwechsel inszenierte, d.h., alle vier Lehrerinnen unterrichteten in jeder Gruppe gleich lang. 17 Eine Ausnahme bildet Schiffler in seinen Publikationen zur Suggestopädie. FLuL 25 (1996) 124 schwache Gruppe 1 starke Gruppe 2 schwache Gruppe 1 mit Musik mit Musik mit Musik Intensivkurs Intensivkurs Extensivkurs Test 1 Wortschatz Test 1 Strukturen Test 2 Wortschatz Test 2 Strukturen s C-Test ss Her-Übersetzung Hin-Übersetzung ss s Münd! . Kommun. ss Tab. 1 (vgl. Schiffler 1989, Tab. 3, 4, 8, 9) ► Legende: s = signifikant auf dem Niveau p < 0,05 ss = sehr signifikant auf dem Niveau p < 0,01 Rupprecht S. Baur starke Gruppe 2 mit Musik Extensivkurs Die vorstehende Tabelle faßt die Ergebnisse aus den beiden Experimenten zusammen. 18 Sie zeigt, in welchen Fertigkeitsbereichen die suggestopädischen Gruppen, die mit Musik unterrichtet wurden, den Kontrollgruppen statistisch signifikant überlegen waren. Es überrascht, daß die Gruppen, die mit Musik unterrichtet wurden, den ohne Musik unterrichteten Gruppen nur in wenigen Fertigkeitsbereichen signifikant überlegen waren. Es erstaunt weiterhin, daß sich die besseren Ergebnisse in den verschiedenen Gruppen auf ganz unterschiedliche Leistungsbereiche beziehen. Nach allem, was aus früheren Untersuchungen über die Effektivität suggestopädischen Unterrichts bekannt war, hätte man bessere Leistungen der suggestopädischen Gruppen in Wortschatz, Strukturen und mündlicher Kommunikation erwarten dürfen. Daß bei Schiffler in diesen Bereichen keine Überlegenheit der suggestopädischen Gruppen in Erscheinung tritt, liegt sicherlich daran, daß die von Schiffler vorgenommene Konkretisierung der Suggestopädie von den Standards eines zeitgemäßen (suggestopädischen) Fremdsprachenunterrichts weit entfernt ist. Anstelle kreativer mündlicher Arbeits- und Interaktionsformen ist sein Unterricht durch monotone Übungsformen geprägt. Die von Schiffler festgelegte Unterrichtsstruktur beginnt mit dem ersten Lernkonzert, bei dem der Lehrer den Text in Anpassung an ein lebhaftes klassisches Musikstück vorträgt. In der zweiten Phase folgen die Erläuterungen zum Text und zur Grammatik. Die dritte Phase ist eine Einprägungs- und Übungsphase mit 18 Unterschiede zwischen den Gruppen auf dem Niveau statistisch nicht signifikanter Tendenzen wurden von uns nicht in die Übersicht aufgenommen. FLuL 25 (1996) Die Suggestopädie 125 Übersetzungs-Partnerübungen. Den Abschluß einer Texteinführung bildet als vierte Phase das zweite, entspannende Lernkonzert. Auf die Textpräsentation folgen an den nächsten Tagen wieder Übersetzungsübungen, schriftliche Kontrollübungen und 'Rollenspiele'. Der Unterricht ist also weitgehend durch Partner-Übersetzungsübungen geprägt. 'Rollenspiele' sind in diesem Unterricht vor allem als partnerweises Rezitieren der auswendig gelernten Dialogstrukturen zu verstehen. Eine weitere Einschränkung der Gültigkeit der Untersuchungen von Schiffler ist durch die Tatsache bedingt, daß er mit Lehrerinnen gearbeitet hat, die keine suggestopädische Ausbildung genossen und keine Erfahrung mit suggestopädischem Unterricht hatten. Sie waren lediglich in Form einer „Intensivausbildung" (Schiffler 1989: 89) von 35 Stunden kurz vor Beginn des Unterrichtsversuchs vorbereitet worden. Wenn man bedenkt, daß eine Grundausbildung in Suggestopädie sonst ca. 150 Stunden umfaßt 19 und daß die Lehrer/ -innen auch nach einer solchen Grundausbildung noch einen erheblichen Trainingsbedarf haben, bevor sie sich in der Anwendung suggestopädischer Unterrichtstechniken sicher fühlen, kann man sich von den suggestopädischen Fähigkeiten der Lehrerinnen in Schifflers Untersuchungen eine Vorstellung machen. Schiffler hat genau genommen in seinen Untersuchungen nicht die Suggestopädie mit einer anderen Methode verglichen, sondern lediglich den Effekt der Variable „Musik" in einem Unterricht überprüft, der ansonsten völlig gleich strukturiert war. So läßt sich aus Schifflers Untersuchung eine andere, ebenso spektakuläre und für die Suggestopädie ebenfalls nicht unwichtige Schlußfolgerung ziehen: Der Einsatz von vorklassischer und klassischer Musik in bestimmten Phasen des fremdsprachlichen Lernprozesses wirkt sich auf keinen Fall negativ auf die Lernleistung und positiv auf die Befindlichkeit der Lerner aus. Die suggestopädischen musikalischen Phasen sind also, lernökonomisch gesehen, durchaus effektiv. Dabei bemerkt Schiffler zusätzlich, daß die Lernleistung insgesamt von ihm nicht als außergewöhnlich angesehen wird und daß es bei den Lernern große individuelle Unterschiede gab. Die anderen drei in dem Buch vorgestellten Untersuchungen Schifflers haben gegenüber den obengenannten eher peripheren Charakter. Schiffler zeigt, daß sich die Stärkung der Lehrer-Schüler-Beziehung durch Vermeidung von Lehrerwechsel positiv auf den Lernerfolg auswirkt (3. Untersuchung), daß die Einhaltung des Atemrhythmus in Kombination mit Barockmusik bei der Darbietung sprachlicher Informationen, wie es vom Superleaming empfohlen wird, keine Leistungssteigerung bewirkt (4. Untersuchung) und daß sich der Einschub suggestopädischer Intensivkursphasen auch im schulischen Kontext bewährt und insbesondere eine Verstärkung der Lernmotivation hervorruft (5. Untersuchung). 19 So etwa eine von uns konzipierte Ausbildung (vgl. Abschn. 6). FLuL 25 (1996) 126 Rupprecht S. Baur Gerade die Ergebnisse der letzten Untersuchung dürften Fremdsprachenlehrer und -methodiker am wenigsten überraschen. Gut vorbereitete Sprachintensivkurse, noch dazu von Lehrerinnen unterrichtet, die eine neue Methode vertreten und darauf achten, daß eine lockere, angstfreie Lernatmosphäre entsteht, werden in solchen Intensivkursphasen immer positive Resultate erzielen wahrscheinlich auch dann, wenn sie ohne die Unterstützung von Musik abgehalten werden. Schiffler hat in aufwendigen Versuchen - und das bleibt sein Verdienst einige Variablen suggestopädischen Unterrichts empirisch überprüft; eine „Weiterentwicklung der Suggestopädie für Schule und Erwachsenenbildung" oder eine Evaluation der Suggestopädie, die er selbst für sich in Anspruch nimmt, hat er dagegen keineswegs geleistet. Mit der Dissertation von Holtwisch (1990) liegt erstmals eine empirische Arbeit vor, die suggestopädischen Fremdsprachenunterricht unter normalen schulischen Bedingungen über einen längeren Zeitraum (9 Monate) im Englischunterricht der Sek. I (Klassenstufe 7/ 8 eines Gymnasiums) überprüft. Der Stoffplan und die Leistungsüberprüfungen (Tests) der suggestopädischen Experimentklasse (n = 28) wurden mit einer herkömmlich unterrichteten Kontrollklasse (n = 24) parallelisiert. Merkmale des suggestopädischen Unterrichts waren: (1) lebendige mündlichsprachliche Einführung in den neuen Lektionstext, (2) Lesen des Textes in Anpassung an eine klassische Musik, (3) mentale Entspannung und Hören des Textes auf dem Hintergrund einer beruhigenden Musik, (4) dramatisierendes Lesen und Spielen des Textes, (5) Aktivierung durch Rollenspiele, Interviews und Sketche. Holtwisch prüft zwei Hypothesen: (a) Lerner, die nach der suggestopädischen Methode in Englisch unterrichtet werden, erreichen eine höhere Sprachkompetenz als Lerner einer Kontrollgruppe, die herkömmlich unterrichtet werden. (b) Mit der suggestopädischen Methode lassen sich die mit dem Lernen verbundenen emotionalen Prozesse sowie selbstbezogene und fachbezogene Einstellungen in positiver Richtung verändern. Als Testinstrument für die leistungsbezogene Überprüfung wurden standardisierte schriftliche Tests verwendet, für die Erhebung der emotionalen Prozesse ein skalierter Fragebogen. Die Ergebnisse sprechen in beiden Bereichen statistisch signifikant für die Bestätigung der Hypothesen, also für eine bessere Leistung der suggestopädischen Gruppen, die mit einer Absenkung des Ängstlichkeitsniveaus im Unterricht, mit der Entwicklung eines positiven Selbstkonzepts der Schüler und mit einer Verstärkung der Lernmotivation einhergeht. Die Anhänger der Suggestopädie haben mit der Arbeit von Holtwisch ernst zu nehmende Argumente dafür gewonnen, daß die Suggestopädie auch in der Schule eingesetzt werden kann. Denn Holtwisch überprüfte die Wirksamkeit suggestopädischen Lernens unter normalen schulischen Bedingungen. 20 Er bewertete die Resultate des Unterrichts auf der Grundlage der üblichen 20 Nicht eingegangen wird auf die in Australien durchgeführte Untersuchung von Felix (1991), da die Lernbedingungen und Lernvoraussetzungen in beiden Ländern zu unterschiedlich sind. FLuL 25 (1996) Die Suggestopädie 127 schriftlichen, grammatikorientierten Leistungstests (Klassenarbeiten), d.h. mündlichsprachliche Fertigkeiten wurden nicht abgeprüft und bewertet. Des weiteren hielt er sich an die Vorgabe eines weitgehend einsprachigen Unterrichts, wie er für den Englischunterricht vorgeschrieben wird. Trotz dieser Erschwernisse für eine suggestopädische Praxis zeigte sich eine deutliche Überlegenheit der suggestopädischen Gruppen. 21 Es ist nur scheinbar ein Paradoxon, daß sich durch eine Verstärkung der kommunikativen Aktivitäten im Klassenraum auch die grammatische Kompetenz der Schüler erhöht, wie sich dies bei Holtwisch gezeigt hat. In Wirklichkeit steht diese Beobachtung im Einklang mit den frühen Ergebnissen der o. g. russischen und kanadischen Studien und mit Beobachtungen aus dem natürlichen Zweitspracherwerb und der Fremdsprachenforschung: Nicht die Konzentration auf das Einüben von Grammatik fördert den Fremdsprachenerwerb am besten, sondern kommunikationsorientierte Rezeption (input) und Produktion (output). Diese führen nicht nur zu kommunikativen Fähigkeiten, sondern gleichzeitig entwickeln sich im kommunikativen Umgang mit der Sprache die grammatische Sensibilität und die grammatische Kompetenz der Lerner. 22 Holtwisch hat damit erneut ein der Suggestopädie zu Unrecht anhaftendes Vorurteil widerlegt, nämlich daß die angstfreie Lernatmosphäre im suggestopädischen Unterricht zwar zu höherer Sprechbereitschaft, aber im Vergleich mit traditionellen Lernformen zu schlechteren grammatischen Fähigkeiten der Lerner führen würde. Man kann also verallgemeinernd festhalten, daß auch die neueren empirischen Untersuchungen zur Suggestopädie in Deutschland belegt haben, daß suggestopädischer Fremdsprachenunterricht zu besseren pragmatischen Fertigkeiten führt, ohne daß die phantastischen Ergebnisse Lozanovs auch nur im entferntesten bestätigt werden konnten. Zusätzlich wurde in neueren Untersuchungen der Effekt der positiven Entwicklung des Selbstkonzepts der Lerner, der Verringerung des Ängstlichkeitsniveaus und einer positiven Einstellung zur Fremdsprache empirisch nachgewiesen. 23 Die Gründe für diese Auswirkungen liegen nach Edelmann (1991: 20) darin, daß in der Suggestopädie erstens der Lehrer die Lernmotivation der Schüler durch besondere Interaktionsformen (nonverbale Kommunikation, positive Zielvorstellungen, entspannte Lernatmosphäre) erhöht und daß zweitens durch Handeln und mehrkanalige Wahrnehmung die Informationsverarbeitung verbessert wird. In ähnliche Richtung weisen auch die Überlegungen von Beitinger und Mandl (1992), die annehmen, daß in der Suggestopädie Lernbedingungen geschaffen werden, die Denk- und Handlungsspielräume eröffnen, die selbstgesteuertes Lernen begünstigen. Als Grundprinzipien solcher Lernumgebungen, die ihrer Meinung nach auch in der 21 Zum Anwendungsfeld Schule vgl. auch Conrady [et al.] (Hrsg.) (1993). 22 Vgl. Snow/ Hoefnagel-Höhle (1979) und Swain (1985). 23 Vgl. Holtwisch (1990), Felix (1991). FLuL 25 (1996) 128 Rupprecht S. Baur Suggestopädie realisiert werden, rechnen sie Authentizität, Situativität und die Verbindung des Lernens mit multiplen Perspektiven und Kontexten. Authentizität bedeutet dabei, daß der Lernkontext von Anfang an einen gewissen Grad an Komplexität enthält. Dem entspräche in der Suggestopädie der vergrößerte und grammatisch „reiche" Input. Situativität meint, daß Lernsituationen offen gestaltet sein müssen, um Handlungsinitiativen, Kreativität und Kooperation der Lerner zu begünstigen. Dies ist ein Charakteristikum suggestopädischer Übungsformen. Multiple Perspektiven und Kontexte kennzeichnen die verschiedenen Präsentationsformen des Lernstoffes in der Suggestopädie. 24 Darüber hinaus stellen Beitinger [et al.] (1993) fest, daß in der Suggestopädie Wissen von hoher Anwendungsqualität vermittelt wird, daß die Motivation zum Weiterlernen aufrecht erhalten bleibt und daß Formen des sozialen Lernens gestärkt werden. Die Realisierung der oben genannten Prinzipien hängt dabei zum großen Teil vom Lehrer ab. Die Beschäftigung mit der Suggestopädie führt zur Aneignung neuer Lehrtechniken, d.h., der Lehrer erweitert sein aktuelles Handlungspotential im Klassenraum in der Regel erheblich. Diese Erweiterung ist häufig auch mit Verfahren aus dem Neurolinguistischen Programmieren (NLP) verbunden, dessen Bedeutung für suggestopädischen Unterricht deshalb in Abschnitt 5 (S. 131) kurz angesprochen werden soll. 4. Suggestopädische Lehr- und Lernmaterialien Die ersten suggestopädischen Kurse wurden in Bulgarien und Rußland als Sprachintensivkurse entwickelt. 25 Aufgrund ihrer kulturspezifischen Merkmale eigneten sie sich nicht für eine Übernahme in den Sprachunterricht in der BRD. Als die suggestopädische Methode in Deutschland bekannt wurde und in die Praxis überführt werden sollte, fehlte es deshalb an geeignetem Lehrmaterial. In den achtziger Jahren entwickelten viele Institutionen, die suggestopädische Intensivkurse anboten, ihr eigenes Unterrichtsmaterial. Dies geschah einerseits, weil die konkurrierenden Institutionen (private Sprachenschulen) damit warben, über besonders geeignete 24 Vgl. die Darstellung der Prizipien selbstgesteuerten Lernens in Beitinger/ Mandl (1992), speziell zur Suggestopädie bei Beitinger [et al.] (1993). 25 DieVeröffentlichung des bulgarischen Lehrerhandbuches in englischer Übersetzung belegte, daß die bulgarischen fremdsprachenmethodischen Vorstellungen sehr rigide und traditionell geblieben sind und eine Übernahme der bulgarischen Vorstellungen in den Sprachunterricht hierzulande nicht möglich wäre (vgl. Lozanov/ Gateva 1988). Im Unterschied dazu sind die russischen suggestopädischen Intensivkurse methodisch ständig weiterentwickelt worden. Die Lektionen bestehen hier aus a) Dialogen, b) lexikalischen und grammatischen Erklärungen, c) einem Übungsteil für selbständiges Arbeiten (Hausarbeit) und d) Lesetexten verschiedener Textsorten. Das Lehrerhandbuch enthält vielfältige Übungsanregungen, wobei auch die Lesetexte und landeskundliche Informationen eingeschlossen werden (vgl. Baur 1980, Kitajgorodskaja 1986a, b). FLuL 25 (1996) Die Suggestopädie 129 Materialien zu verfügen, und kein Interesse daran hatten, der Konkurrenz ihre Ideen zu liefern, auf der anderen Seite scheuten die etablierten Verlage für den Fremdsprachenunterricht aus kommerziellen Gründen vor dem Risiko zurück, Lehr- und Lernmaterialien zu entwickeln, die ggf. nur von einem beschränkten Kreis von 'suggestopädischen' Lehrern eingesetzt würden. 26 In diese Bresche sprang Mitte der achtziger Jahre der PLS-Verlag (Psychologische Lernsysteme, Bremen) und entwickelte einfache Einführungskurse für die Sprachen Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch und Russisch, die alle dieselbe Struktur aufwiesen: Auf der Basis eines Vokabulars von ca. 300 lexikalischen Einheiten und einer Grundgrammatik wurden auf drei Lektionstexte verteilt touristische Grundsituationen, wie Orientierung in der Stadt, Einkaufen, Restaurantbesuch und biographischer small talk gestaltet. Die einzelnen Lektionen enthielten: (a) ausführliche, z. T. geradezu lyrische Einführungen in die jeweilige Handlungs- und Sprechsituationen in deutscher Sprache, (b) zweisprachige Dialoge zu den Situationen und (c) einen äußerst knappen Übungsteil mit Lückentexten. Neben dem Lehrbuch wurden Kassetten mitgeliefert, auf denen die Texte mit klassischer Musik unterlegt waren und ein Vokabeltraining, das durch eine Entspannungsübung eingeleitet wurde und zu dem langsame Barockmusik ertönte. Auch das wirkungslose und unsinnige rhythmische Atmen "Yoga-Atmung") wurde in die methodischen Empfehlungen aufgenommen. In der Einleitung zu den Kursbüchern dieser Generation zeigt sich deutlich, daß hier noch bewußt an die vollmundigen und unrealistischen Versprechungen des amerikanischen 'Superlearning' angeknüpft wird, um Leichtgläubige zum Kauf zu verführen: „Die Superlearning-Methode verfolgt das Ziel, unseren geistigen Möglichkeiten und der Arbeitsweise unseres Gehirns in möglichst optimaler Weise gerecht zu werden. Das Lernen soll leichter, angenehmer und zugleich effektiver sein. Erreicht wird dies durch ein System von psychologischen Techniken, zu denen geistige Tiefenentspannung, klassische Musik, Yoga-Atmung und besonders gestaltete Lehrtexte gehören" (Kelly/ Hinkelmann o. J., S.5). Zwar wurden diese Kurse in erster Linie als Selbstlernkurse angeboten, darüber hinaus aber auch in eigens eingerichteten Lernstudios des PLS-Verlages in lehrergeleiteten Kursen eingesetzt. Um fehlende Teile des Materials für einen Gruppenunterricht zu ergänzen, mußten interaktive Lernhandlungen und Übungen hinzugefügt werden. In einem Leitfaden für den Unterricht (Hinkelmann/ Hinkelmann/ Ferrebreuf 1988) wurden entsprechende Anregungen für den suggestopädischen Unterricht beschrieben. 26 Einen Überblick über die Lage auf dem Markt des 'Superlearning' in den achtziger Jahren kann man sich mit Hilfe eines Berichtes der Stiftung Warentest (Test Superlearning 1988) verschaffen. In dem Bericht werden auf dem Markt angebotene Kassettenkurse und in verschiedenen Institutionen durchgeführte Sprachkurse besprochen. Ende 1987 registrierte der Bericht 37 Institutionen, die lehrergeleitete Superlearning-Sprachkurse anboten. Die meisten dieser Institute sind inzwischen als Anbieter verschwunden. FLuL 25 (1996) 130 Rupprecht S. Baur Aufgrund der Verkaufserfolge mit den Einführungskursen entwickelte der PLS- Verlag in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre eine Reihe von sogenannten Basis- und Aufbaukursen in den Sprachen Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch, die wiederum als Selbstlernkurse konzipiert waren, aber auch als Basis für lehrergestützte Kurse dienen sollten. Diese Lehrwerke entsprachen durchaus den Standards anderer Selbstlernkurse dieser Zeit und versuchten zusätzlich, neben den suggestopädischen auch Elemente der kommunikativen Didaktik zu integrieren. Als Grundlage für lehrergestützten Fremdsprachenunterricht konnten sich diese Kurse jedoch gegenüber den herkömmlichen Kursen nicht durchsetzen. 27 Anfang der neunziger Jahre entschloß sich der Klett-Verlag, suggestopädische Adaptationen der bereits eingeführten Lehrwerke A bientot und Eso si auf den Markt zu bringen, um an dem Erfolg der Methode zu partizipieren: "Für alle, die nach suggestopädischen Grundsätzen Französisch lernen möchten, aber auf ein bewährtes Lehrwerk nicht verzichten wollen, bieten wir das Zusatzprogramm A bientot - Superlearning an" (Begleitbuch: Vorwort, S. 4). Bei diesen Adaptationen werden die Lektionstexte auf dem Hintergrund von klassischer Musik aufgesprochen (1. Lernkonzert) und dann wie schon in den PLS-Kursen die neuen Vokabeln des Lektionstextes mit der Übersetzung auf dem Hintergrund von ruhiger Barockmusik dargeboten (2. Lernkonzert). In einem Begleitbuch finden sich Vorschläge für spielerische Übungen in Ergänzung zum Übungsbuch des nicht-suggestopädischen Basiskurses von A bientot. Die Lehrwerke des Klett-Verlags haben keine große Verbreitung gefunden und sind 1996 aus dem Verlagsprogramm herausgenommen worden. Der Grund für den Mißerfolg ist wahrscheinlich darin zu sehen, daß die Sprachaufnahmen relativ langweilig wirken, daß die Übungsanregungen für die einzelnen Lektionen sehr mager ausfallen und daß der Preis für einen Superlearning-Kurs mit 198,- DM deutlich über dem normaler Lehrbücher lag. Darüber hinaus war es für Lehrer/ -innen und Lerner auch verwirrend, nun ständig zwei Lehrwerke, das suggestopädische und das nicht-suggestopädische, aufeinander beziehen zu müssen. Als Hauptgrund für das Scheitern muß aber vor allem der Glaube verantwortlich gemacht werden, daß die Suggestopädie als lebendige und kreative Unterrichtgestaltung, die vom Lehrer vertreten und 'vorgelebt' werden muß, durch Tonkonserven ersetzt werden könnte. Die Idee, daß dasselbe Superlearning' -Material einmal als lehrerunabhängige, mechanistisch umsetzbare Form des entspannten Lernens, das andere Mal als Grundlage für einen aktiven und kreativen Unterrichtsprozeß fungieren soll, vermag in Theorie und Praxis nicht zu überzeugen. Ein Lehrwerk für die Erwachsenenbildung, das nicht versucht, einen faulen Kompromiß zwischen lehrerunabhängigem und lehrergestütztem Lernen zu machen, 27 Der PLS-Verlag vertreibt seit 1996 keine Sprachkurse mehr; die Superleaming-Materialien für Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch sind in das Angebot des Langenscheidt- Verlages übernommen worden. FLuL 25 (1996) Die Suggestopädie 131 und das nicht dem Irrtum verfällt, die suggestopä<lischen Aktivitäten in erster Linie den Medien zu überantworten, sondern wirklich in den Unterricht hereinzuholen, ist das suggestopädische Englischlehrwerk A dream come true (Heidenhain 1994). Das Lehrwerk präsentiert und erarbeitet das Material im Rahmen eines suggestopädischen Kreislaufes, der als eine Fortentwicklung der Phasenabfolge von Lozanov zu verstehen ist. Dieser Kreislauf enthält folgende Phasen: 1. das Centering eine Konzentrationsübung, welche die Lerner auf den Unterricht einstellt; 2. den Rollenwechsel die Teilnehmer schlüpfen in angenommene Identitäten; 3. die Neugier erweckende Präsentation des neuen Lernstoffes; 4. das erste Lernkonzert; 5. das Nachspielen/ Erleben des Textes durch Handeln und Imaginationsübungen; 6. das zweite Lernkonzert; 7, Pause - Erholung - Wiederholung; 8. Übungsphasen, die im ersten Teil mehr reproduktiv sind und im zweiten Teil produktiven und kreativen Charakter haben. In den Übungsphasen wechseln interaktive und rezeptiv-konzentrative Phasen, die von Musik begleitet werden, miteinander ab; 9. die Integration, eine zusammenfassende Schlußphase, in welcher der gesamte Inhalt eines Lektiontextes und seiner Realisierung noch einmal ins Bewußtsein gerufen werden. Der Kurs besteht aus: (a) einem Schülerbuch, (b) zwei Textkassetten, die mit Barockmusik unterlegt sind, (c) einem Schülerheft, (d) einem Lehrerhandbuch und (e) Bildern und Bildkarten. Mit diesem Kurs können wahrscheinlich nur Lehrer/ -innen arbeiten, die eine suggestopädische Ausbildung erhalten haben. Welche Verbreitung der Kurs findet, bleibt deshalb abzuwarten. 5. N eurolinguistisches Programmieren (NLP) und Suggestopädie Abgeleitet aus dem Anwendungsbereich der Psychotherapie, werden Verfahren des NLP heute auch in pädagogische Lehr- und Lernprozesse integriert (vgl. Bachmann 1991, Grinder 1991). Am stärksten sind die Anregungen des NLP in der Suggestopädie aufgenommen worden, so daß Techniken des NLP heute z.T. als Techniken der Suggestopädie angesehen werden. Wichtige Grundsätze des NLP sind dabei folgende: 1. Das Herstellen einer vertrauensvollen Beziehung (Rapport) zwischen Lehrer und Schüler ist Bedingung jedes guten Unterrichts. Der Lehrer muß bewußt daran arbeiten, Rapport herzustellen und aufrechtzuerhalten. Rapport wird als Grundlage angesehen, um einen Lerner motivieren zu können. Zur Aufnahme von Rapport dienen Techniken der nonverbalen und paraverbalen Anpassung (Pacen). 2. Auf der Grundlage einer positiven Lehrer-Schüler-Beziehung können Selbstbeschränkungen der Lerner aufgehoben werden. Es wird angestrebt, das Selbstvertrauen der Lerner zu stärken und eine positive Einstellung zum Unterricht und zum Lerngegenstand aufzubauen. Um diese Ziele zu erreichen, wird insbesondere mit Metaphern, Bildern und Symbolen gearbeitet, die in Entspannungsübungen, Phantasiereisen und Erzählungen integriert werden und tiefere Schichten des Lernens auf einer emotional-bildhaften Ebene ansprechen sollen. FLuL 25 (1996) 132 Rupprecht S. Baur 3. Um sich auf einen Lerner und seine Bedürfnisse einstellen zu können, muß ein Lehrer erkennen, welche Repräsentationssysteme vom Lerner bevorzugt werden und welchem Lerntyp er zuzurechnen ist. Als Lerntypen werden vom NLP aufgrund der dominierenden Beteiligung des jeweiligen Repräsentationssystems der visuelle, der auditive und der kinästhetische Lerntyp angesehen. 4. Informationen müssen so dargeboten werden, daß sie die verschiedenen Lerntypen erreichen. Aufgabe des Lehrers ist es, sich darüber Rechenschaft abzulegen, welche Kanäle er selbst bevorzugt, und seine Fähigkeiten zur Informationsdarbietung zu erweitern, - Lerntypen zu erkennen und Lernstoffpräsentation und Übungen an die Bedürfnisse der verschiedenen Lerntypen anzupassen, mangelnde innere bildliche Vorstellungsfähigkeit (Visualisierung) der Schüler zu erkennen und ihnen Hilfen zur Entwicklung der Visualisierung anzubieten. Da die Suggestopädie diese aus dem NLP abzuleitenden Anregungen aus anderen Begründungszusammenhängen z. T. bereits vorher in ihrer Methode angelegt hatte, ist die Affinität zwischen Suggestopädie und NLP nicht überraschend. Eine Erweiterung der Suggestopädie durch das NLP hat bisher vor allem in drei Bereichen stattgefunden. Erstens dadurch, daß mit Hilfe positiver Suggestionen und Metaphern „erfolgsorientierte Vorstellungsbilder" (Edelmann) in den Unterricht integriert werden. Zweitens hat das NLP die Sensibilität für den Umgang mit der Sprache im Unterricht aufgrund der Annahme geschärft, daß die verschiedenen Repräsentationssysteme bei Lernern nicht nur handlungsmäßig, sondern auch verbal angesprochen werden können. Eine pädagogische Umsetzung dieses sprachpsychologischen Ansatzes des NLP würde ein intensives Sprachtraining für Pädagogen sinnvoll erscheinen lassen. Sie müßten nicht nur lernen, andere Personen an typischen Sprachmustern zu erkennen, sondern auch, sich von ihren eigenen bevorzugten Sprachmustern zu trennen, um die Aufmerksamkeit verschiedener Lerntypen zu gewinnen. Drittens zwingt das NLP dazu, Lernprozesse multisensorisch zu gestalten und darüber nachzudenken, wie die drei Repräsentationssysteme, die ja in der natürlichen Kommunikation immer beteiligt sind, noch systematischer in den Unterricht integriert werden können. 6. Elemente einer suggestopädischen Ausbildung Obwohl immer noch unbegründete Vorurteile gegenüber die Suggestopädie vorgebracht werden (vgl. z.B. Fricke 1992), haben erstaunlich viele Pädagogen, die mit der Suggestopädie in Berührung kommen, den Wunsch, sich intensiver mit dieser Methode auseinanderzusetzen, d.h. die suggestopädischen Lehr- und Lernverfahren zu erlernen und/ oder mehr über die Grundlagen der Suggestopädie zu erfahren. Dieser Wunsch basiert darauf: daß die Suggestopädie (immer noch) im Ruf steht, besonders effektive Lehr- und Lernverfahren zu kombinieren, FLuL 25 (1996) Die Suggestopädie 133 daß es der Suggestopädie in jüngerer Zeit zunehmend gelungen ist, den Nimbus des Esoterischen abzustreifen, daß die Suggestopädie begonnen hat, sich auch mit den Bedingungen des normalen Fremdsprachenunterrichts auseinanderzusetzen und ihre Verfahren dort zu erproben und daß die Suggestopädie für neue Entwicklungen und Erkenntnisse offen geblieben ist, so daß sie heute als ein Sammelbecken kreativer Ideen zur Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen angesehen werden kann. Eine suggestopädische Grundausbildung kann in folgende Blöcke unterteilt werden 28 : 1. Das Einführungsseminar In diesem Seminar werden die Grundlagen der Suggestopädie und des Superlearning erläutert und diskutiert. Dabei werden auch die methodischen Verfahren praktisch vorgeführt, die dem heutigen Entwicklungsstand der Methode entsprechen. 2. Suggestopädisches Lernen in der Selbsterfahrung Untersuchungen zur Fremdsprachenlehrerausbildung haben gezeigt, daß die Selbsterfahrung als Lerner beim Erlernen einer neuen Sprache und die Reflexion dieser Erfahrung einen wesentlichen Beitrag zu einer guten Ausbildung leisten. Die Lernerperspektive verschafft den zukünftigen suggestopädischen Lehrern einen unmittelbaren Zugang zu suggestopädischen Lehr- und Lernformen und sensibilisiert sie für den Umgang mit Gestik, Musik, Entspannung und kreativen Übungsformen. 3. Die Funktion der nonverbalen Kommunikation im suggestopädischen Unterricht In der Weiterentwicklung der modernen Suggestopädie spielt die Einbeziehung von Gestik, Mimik und körperlichen Handlungen eine wichtige Rolle. In diesem Seminar wird trainiert, wie solche Lernhandlungen im Unterricht angewendet werden können. Darüber hinaus wird auch gezeigt, wie nonverbales Verhalten und Techniken des NLP zur Gestaltung einer positiven Lernatmosphäre beitragen können. 4. Die Funktion von Musik und Entspannung im suggestopädischen Unterricht Die Präsentation des Lernstoffs in den von Musik und Entspannungstechniken begleiteten suggestopädischen Phasen sowie weitere-Einsatzmöglichkeiten von Musik, Entspannung und Phantasiereisen werden in diesem Ausbildungsteil erarbeitet und trainiert. Auch hierbei werden Techniken des NLP (z.B. Metaphern) im Hinblick auf Einsatzmöglichkeiten im Unterricht geübt. 28 Eine solche Aufteilung in 6 Wochenendblöcke, die ca. 120 Unterrichtsstunden umfassen, hat sich in der Praxis bewährt. Die Ausbildung wurde vom Autor in Zusammenarbeit mit Susanne Sirringhaus am Zentrum für Wissenschaftliche Weiterbildung der Universität GH Essen entwikkelt. - Die Inhalte stimmen weitgehend mit den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Suggestopädisches Lehren und Lernen gern. e.V. (DGSL) überein. Die von der DGSL empfohlene Ausbildung geht über die von uns dargestellte Grundausbildung hinaus. Vorgesehen sind hier zusätzlich eine Aufbaustufe und eine Trainerausbildung mit einer DGSL-Trainerlizenz. Die Kosten pro Kurs liegen zwischen 2500,- und 3000,- DM. Adresse der DGSL: Blumenstr. 25, 85630 Harthausen. FLuL 25 (1996) 134 Rupprecht S. Baur 5. Lerneraktivierende Übungsformen im suggestopädischen Unterricht Ein Charakteristikum suggestopädischen Unterrichts ist unter anderem ein häufig variierender komplementärer Einsatz sehr unterschiedlicher Aktivitäten und Übungsformen. Hierbei spielt die Schaffung und Aufrechterhaltung einer aktiven, aber gleichzeitig entspannten Lernatmosphäre eine wichtige Rolle. Die zur Initiierung und Durchführung verschiedener Übungsformen benötigten Kenntnisse und Fähigkeiten werden in diesem Seminar vermittelt. 6. Suggestopädischer Unterricht als ganzheitlicher Prozeß Nachdem in den vorhergehenden Seminaren die wichtigsten Teilaspekte suggestopädischen Unterrichts betrachtet und trainiert wurden, sollen die Seminarteilnehmer/ -innen im abschließenden Ausbildungsteil die suggestopädischen Verfahren individuell auf ihre konkrete Unterrichtspraxis hin reflektieren und gesamthaft in einer Unterrichtssimulation mit der Lerngruppe anwenden. 7. Ausblick In der didaktischen Diskussion taucht immer wieder die Frage auf, wodurch sich eigentlich die Suggestopädie von anderen Fremdsprachenvermittlungsmethoden und Lernformen unterscheidet. In dem Maße, wie vielfältige kommunikative, interaktive, spielerische, musische und kreative Aktivitäten in den kommunikativen Fremdsprachenunterricht integriert werden, scheint die Spezifik der Suggestopädie verlorenzugehen. Eine solche Tendenz zur Angleichung der Methoden muß als eine normale Erscheinung gewertet werden. Methoden werden vielleicht als "reine Lehre" vertreten, sie unterliegen aber in der Praxis vielfältigen Veränderungen und Umformungen. Einzelne Elemente von Methoden werden eklektisch in andere Unterrichtsformen übernommen, so daß diese Elemente allmählich bekannt werden und die Methode insgesamt ihre spektakuläre Neuheit verliert. Das Schicksal der audiovisuellen Methode mag hier als Beispiel dienen: Ursprünglich unterlag sie einer strengen Abfolge von Phasen und Lernschritten, deren technische Handhabung die Lehrer sich aneignen mußten; heute sind davon der globale und situative Zugang und die bildliche Unterstützung als selbstverständliche Elemente in Sprachlehr- und -lernprozessen übriggeblieben. Musik, Entspannung, Phantasiereisen, körperliches Handeln, Anwendung von NLP-Techniken u.a.m. sind heute bereits aus dem Ghetto der Suggestopädie ausgebrochen und finden auch im 'normalen Unterricht' Anwendung. 29 Die 'reine suggestopädische Lehre', die Lozanov einmal verkündet hat, war eine geschlossene Methode, die sich nicht nach den Bedingungen der Praxis richtete, sondern die Praxis an ihre Bedürfnisse anpassen wollte. Diese Position ist in der Fremdsprachenforschung der Bundesrepublik Deutschland nie vertreten worden. Hier wurde und wird untersucht, inwieweit Lehr- und Lernprozesse durch Erfahrungen aus der Suggestopädie bereichert werden können. Die Ergebnisse zeigen, daß hier Chancen liegen. Sie sollten weiterhin genutzt werden! 29 Vgl. z.B. die 'Gespräche mit Luna' im Deutschkurs Stufen (Klett-Verlag). FLuL 25 (1996) Die Suggestopädie 135 Bibliographische Angaben BACHMANN, Winfried (1991): Das neue Lernen. Eine systematische Einführung in das Konzept des NLP. 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