eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 25/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
1996
251 Gnutzmann Küster Schramm

Handbuch der Dialoganalyse. Herausgegeben von Gert FRITZ und Franz HUNDSNURSCHER

121
1996
Ulrich Dausendschön-Gay
Handbuch der Dialoganalyse. Herausgegeben von Gert FRITZ und Franz HUNDSNURSCHER. Tübingen: Niemeyer 1994, XV + 576 Seiten [DM 76,-]
flul2510245
Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 1 ~---------------------------------~ Handbuch der Dialoganalyse. Herausgegeben von Gert FRITZ und Franz HUNDSNURSCHER. Tübingen: Niemeyer 1994, XV+ 576 Seiten [DM 76,-]. Um das Fazit gleich v01wegzunehmen: Auf 576 Seiten ein gelungenes Exemplar in der Reihe der Handbücher der letzten Jahre, die sich um die Darstellung des jeweiligen „state of the art" bemühen, dabei aber darauf achten, daß die einzelnen Beiträge ihre Eigenständigkeit behalten und auch ohne den Kontext des Gesamtwerkes lesbar bleiben. Folgerichtig wird jeder der 26 Beiträge von einer eigenen Bibliographie gefolgt, die internen Querverweise werden sparsam eingesetzt; die auch in der Kürze sehr gelungene Einführung und das Sachregister am Ende des Bandes bilden die notwendige leserorientierte Klammer. In den Kontext der allgemeinen Bemerkungen zum Buch gehört auch, daß es wenig sinnvoll erscheint, penibel nach etwaigen Lücken in den Darstellungen zu suchen oder Desiderate der Gesamtanlage einzuklagen. Das Buch ist als Großprojekt über einen Zeitraum von fünf Jahren entstanden; da kann der letztlich publizierte Stand nicht die Bemühungen der gesamten Dauer der Entstehung widerspiegeln. Die Herausgeber beklagen übrigens selbst, sehr zu recht, die Abwesenheit von Beiträgen aus dem Bereich der Phonetik/ Phonologie, was daran liegen mag, daß die relevanten Forschungsbeiträge zur interpretativen Phonologie, zur Sprachvariation und zur Diskursprosodie in anderen Publikationskontexten anzutreffen sind. Ganz eilige Leser/ -innen werden das Buch über den Stichwortkatalog konsultieren und dabei feststellen, daß alle Beiträge viel für die Definition von grundlegenden Konzepten und Begriffen unternehmen, so daß das Handbuch tatsächlich auch als Nachschlagewerk in der Bibliothek nicht fehlen sollte. Jedoch sei auch den Eiligen die Lektüre der Einleitung empfohlen, denn dort werden die einzelnen Beiträge knapp vorgestellt, das Gesamtkonzept erläutert und einige theoretische Überlegungen zum kleinsten gemeinsamen Nenner aller Beiträge angestellt, nämlich zum Gegenstand 'Dialog'. Wir werden darauf noch zurückkommen. Die Herausgeber haben sich für eine unprätentiöse Struktur des Handbuches entschieden: anstatt eine sicherlich höchst problematische Systematisierung des gesamten Forschungsbereiches vorzunehmen (wie es beispielsweise das Soziolinguistik-Handbuch versucht), werden lediglich drei Großkapitel mit jeweils mehreren Beiträgen in motivierten Reihenfolgen angeboten. Da die Beiträge nicht einzeln kommentiert werden sollen, seien sie hier wenigstens zur Kenntnis gegeben: Konzepte der Dialoganalyse: Ethnomethodologische Konversationsanlyse (Bergmann), Gesprochene Sprache (Schwitalla), Soziolinguistik (Löffler), britische Diskursanalyse (Lörscher/ Schulze), das Genfer Modell (Moeschler), Sprechakttheorie (Hindelang), Praktische Semantik (Gloning), Formale Dialogspieltheorien (Fritz); Theorie und Methodologie der Dialoganalyse: Verstehen und Beschreiben (Biere), Dialogorganisation (Fritz), Typologie (Hundsnurscher), Frage-Antwort (Bucher), Semantik (Gloning), Grammatik (Strecker), Prosodie (Sappok), Institutionen (Rolf), Beziehungsgestaltung (Adarnzik); Anwendungsbereiche der Dialoganalyse: Erstpracherwerb (Meng), Sprachstörungen (Pulvermüller), Sprachunterricht (Weigand), Psychotherapie (Hindelang), Gesprächstraining (Weigand), Medienkommunikation (Bucher), Verständlichkeit (Schäflein-Armbruster), literarische Dialoge (Betten), Geschichte von Dialogformen (Fritz). Gleich, wo man den Band aufschlägt, immer begegnen anregende, instruktive und informative Beiträge; alle bemühen sich um eine übersichtliche Darstellung des jeweiligen Forschungsaspekts, sie sind gut strukturiert und mit Verweisen auf die wesentlichen Forschungsgegenstände ausge- FLuL 25 (1996) 246 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel stattet. Dabei geht es mit unterschiedlicher Ausschließlichkeit nur um Dialogisches, häufig werden auch grundlegendere Bereiche mit dargestellt. Diejenigen Beiträge, die sich deutlich nur einem bestimmten Forschungskontext verpflichtet sehen, stellen dies ausdrücklich dar und demonstrieren dies auch in der Bibliographie. So werden alle denkbaren Mißverständnisse vermieden. Leser/ -innen mit Muße, die alle Beiträge konsultieren, werden vor allem von der großen Vielfalt der Gegenstände, Methoden und theoretischen Konzepte beeindruckt sein. Das Spektrum reicht von soziologischer Konversationsanalyse bis zur Argumentationstheorie, von theoriegeleiteten Analysen von Gesprächsdaten über Typologien auf der Grundlage externer Kategorien bis zu Propositionsanalysen und dialoglogischen Untersuchungen, von handlungstheoretischen bis zu sprachsystematischen Gegenstandsbestimmungen. Bei aller Unterschiedlichkeit der Beiträge aber ist den meisten gemeinsam der Versuch der Typologisierung und Kategorisierung auf der Grundlage der Suche nach kohärenzstiftenden, mit Mitteln der linguistischen Analyse beschreibbaren Phänomenen im jeweiligen Gegenstandsbereich, die Suche nach Regularitäten, Generalisierbarkeit und Vorhersagbarkeit von Gesprächsverläufen, die Grundorientierung an Konzepten einer (meist pragmatischen) Handlungstheorie, schließlich die (bei der Titelwahl manchmal ein wenig erzwungen wirkende) Verpflichtung auf den Gegenstand 'Dialog'. Naturgemäß ist mit dem, was oben der kleinste gemeinsame Nenner genannt wurde, ein kritischer Punkt der gesamten Konzeption des Handbuchs angesprochen, den die Herausgeber mit entsprechenden Bemerkungen in der Einleitung antizipieren: „Der Prototyp des Dialogs ist für die meisten gegenwärtigen Forschungsrichtungen die spontane mündliche Wechselrede zwischen zwei Personen face-to-face. [... Es werden] aus guten theoretischen Gründen für die Konstitution des Gegenstandes Dialog zunächst einmal keine Grenzen gezogen zwischen formellen und informellen Gesprächstypen oder unterschiedlichen Funktionstypen. [... Es] empfiehlt sich keine zu restriktive Auffassung von Dialoganalyse. Für den weiteren Gegenstandsbereich könnte man den Ausdruck Kommunikationsanalyse reservieren, vergleichbar der Verwendung des Ausdrucks discourse analysis in Teilen der angelsächsischen Forschung" (XIII-XIV). 1 Diese Offenheit erlaubt es, Beiträge aus sehr weit voneinander entfernten Wissenschaftkontexten in einem Band zu vereinen. Das ist dann unproblematisch, wenn Dialog lediglich als vorwissenschaftliches Oberflächenphänomen verstanden werden soll, dem man sich mit einer Vielzahl heterogener Theorieansätze und Methoden zuwenden kann. Wenn jedoch wie im vorliegenden Falle mit der Gegenstandsbestimmung auf der Oberfläche gleichzeitig ein ,junges wissenschaftliches Forschungsfeld mit vielfältigen Traditionslinien" (XIV) konstituiert werden soll, dann wird die Heterogeneität entweder zum Programm (und damit wissenschaftstheoretisch unbefriedigend), oder sie muß sich den Vorwurf gefallen lassen, aus anderen als wissenschaftlichen Gründen eine möglichst große Menge von Forschungsbereichen, die sich der Analyse von spontansprachlichen Diskursdaten widmen, unter ein gemeinsames Dach subsumieren zu wollen. Es sei erlaubt darauf hinzuweisen, daß Sprechakttheorie und Konversationsanalyse im Hinblick auf die Gegenstandskonstitution von anderer Statur sind: In der Konversationsanalyse ist in den letzten Jahren eine deutliche Tendenz zur theoriegeleiteten Gegenstandsbestimmung zu verzeichnen. Jenseits der gelegentlich als theorielos oder positivistisch mißverstandenen "Mentalität" ethnomethodologischer Analysen gibt es zunehmend Versuche, die Beschreibungsinstrumente (z.B. turn, Indexikalität, Präferenzstruktur) theoretisch zu fundieren und zu systematisieren. So wird der Gegenstand „Organisation des sozialen Austau- Die beiden für das Buch zentralen Beiträge von G. Fritz zur Dialogorganisation und von F. Hundsnurscher zur Typologie belegen diese Ausführungen eindrucksvoll. FLuL 25 (1996) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 247 sches" (Interaktion) als ein soziales System verstanden und nicht als der Austausch zwischen den kognitiven Systemen der an der Interaktion beteiligten Individuen. 2 Sprechakttheorie ist insofern konsequent, als sie ihren Gegenstand handlungstheoretisch fundiert (ein handelndes Subjekt, eine adressatengerichtete Tätigkeit) und formal identifizierbar macht (formale Eigenschaften verschiedener Aspekte des Handlungsaktes). Neuere Ansätze, wie sie z.B. von Vanderveken, Moeschler, Brassac und Trognon (in den Cahiers de Linguistique Franraise 13, 1992) unter Rekurs auf Verkettungsprozeduren und Verknüpfungslogik vertreten werden, behalten die definitorischen Grundbedingungen bei. Die theoretisch radikalste Position beziehen dabei Reboul und Moeschler (in den Cahiers de Linguistique Franraise 17, 1995, die mit dem Band 16 zusammen die Akten eines Genfer Kolloquiums zum Thema Dialog publizieren, bei dem es sich um ein ähnliches Übersichtsprojekt handelt wie im Handbuch); der Titel ihres Beitrages ist das Argumentationsprogramm des gesamten Artikels: "Le dialogue n'est pas une categorie naturelle scientifiquement pertinente". Dieser Diskussion muß sich die sog. Dialoganalyse erst noch stellen. Bielefeld Ulrich Dausendschön-Gay Langenscheidts Handwörterbuch Französisch. Teil I: Französisch-Deutsch. Völlige Neubearbeitung 1995. Teil II: Deutsch-Französisch. Völlige Neubearbeitung 1995. Berlin [usw.]: Langenscheidt 1995, 1600 (779+817) Seiten [DM 82,-]. 1. Der Französisch-Deutsche Teil 1979 erschien der Sachs-Villatte (Langenscheidts Großwörterbuch Französisch-Deutsch) in einer völligen Neubearbeitung. Dies war bis heute das einzige französisch-deutsche Wörterbuch, das man uneingeschränkt empfehlen konnte. Es war schon fast ein Skandal, daß das Handwörterbuch (und das Große Schulwörterbuch) von Langenscheidt, das letztlich von 1963 stammte, einen vom Sachs-Villatte völlig unabhängigen Text hatte, der durch zahlreiche methodische und sprachliche Unzulänglichkeiten auffiel. 16 Jahre nach Erscheinen des Sachs-Villatte ist dieses Skandalon beseitigt. Das Handwörterbuch hat nun mit der Qualität des Sachs-Villatte gleichgezogen, wenn auch selbstverständlich auf niederem Niveau. Die vier Autoren des Handwörterbuchs gehörten denn auch alle schon zum Redaktionsteam des großen Bruders. Damals war vor allem der Petit Robert 1967 übersetzt worden, jetzt hat der Petit Robert 1977 Pate gestanden. Leider konnte der Petit Robert 1993 nicht mehr systematisch mit einbezogen werden. An Modernität und Aktualität ist also das Handwörterbuch dem Sachs-Villatte überlegen. An Zuverlässigkeit ist es gleich. An Vollständigkeit ist es notwendig unterlegen. Auf 750 Seiten Handbuchformat kann man eben nicht alles Wünschenswerte aufnehmen. Hauptsache, das Zentrum des Wortschatzes ist angemessen dargestellt. Und das ist es. In der Nachfolge des Sachs-Villatte wurde nämlich das Handwörterbuch vom Ballast des Fachwortschatzes befreit, der ja doch nur lückenhaft aufgenommen werden kann und der im Moment der Publikation (und erst recht fünf Jahre später) bereits rettungslos veraltet ist. Früher war das Handwörterbuch voller Wörter, die in den einsprachigen französischen Wörterbüchern fehlten. Dem falschen Ehrgeiz der Verbindung von Gemeinsprache und Fachsprache der letztlich auf das späte 18. Jahrhundert zurückging und ein Erbe der Aufklärung war abge- 2 Siehe dazu Hausendorf: "Das Gespräch als selbstreferentielles System". In: Zeitschriftfiir Soziologie 21 (1992), 83-95. FLuL 25 (1996)