eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 26/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
1997
261 Gnutzmann Küster Schramm

Language Awareness: Anforderungen an Lehrkräfte und ihre Ausbildung

121
1997
Sigrid Luchtenberg
flul2610111
Sigrid Luchtenberg Language Awareness: Anforderungen an Lehrkräfte und ihre Ausbildung Abstract. Language Awareness is an educational concept that covers both language and subject teaching. This article discusses pedagogic exploitation of the concept in foreign language teaching, in mother-tongue teaching, and across the curriculum, focussing on bilingual and multicultural programs in German primary schools. lt is stressed throughout that the crux of language awareness programs lies in adequate teacher education schemes. 0. Vorbemerkungen Seit wenigen Jahren ist Language Awareness auch in der Bundesrepublik Deutschland zu einem didaktischen Thema geworden. Allerdings mußte zunächst Klarheit über seine Beziehung zu vorhandenen Konzepten gewonnen werden, denn vor allem unter dem Begriff der Sprachreflexion gab es bereits zumindest in der Sprachdidaktik ein Gebiet, in dem ein Diskurs über Sprache initiiert werden soll. Allerdings war dieses Gebiet nicht vor einer Verengung auf grammatische Reflexion geschützt wie in Luchtenberg (1995) für die Deutschdidaktik aufgezeigt wird. 1 Auch in der gegenwärtigen Situation nimmt Grammatik in den meisten Konzeptionen von Sprachbewußtheit, Sprachsensibilisieren, Sprache betrachten oder Sprechen über Sprache eine zentrale Stelle ein. Wir verwenden daher den englischen Terminus 'Language Awareness', um seine breitere Konzeption zum Ausdruck zu bringen, die neben der Reflexion über die Bausteine von Sprache und ihr Funktionieren auch sprachkundliche Aspekte wie Sprachentwicklung umfaßt, Sprachvergleich einbezieht und auch gesellschaftsrelevante Fragen wie Sprachpolitik im weitesten Sinne berücksichtigt. 2 Der Terminus 'Language Awareness' steht aber nicht nur für diese inhaltlichen Aspekte, sondern auch für konzeptionelle Aspekte von holistischem Sprachzugang, von fächerübergreifender Sprachsensibilisierung, von Berücksichtigung des Zusammenhangs von Sprache und Kultur und nicht zuletzt auch der Einbeziehung sprachlicher Vielfalt, was auch Neugierde auf Sprache(n) beinhaltet (vgl. auch Hawkins 1991). Grammatik nimmt demzufolge durchaus einen Stellenwert ein, den sie zum Teil in ausschließlich kommunikativen Didaktiken verloren hatte. Sie ist also nicht länger 'a dirty word', wie Gnutzmann (1995) es formuliert, Vgl. auch die deutliche Aussage der Artikelüberschrift „Grammatik braucht der Mensch. Reflexion über Sprache aber wie? " von Michel/ Sehübel/ Starke (1992). 2 Vgl. hierzu auch Hecht (1994: 131) sowie Van Lier (1996: 79 ff). FLuL 26 (1997) 112 Sigrid Luchtenberg sondern Teil des auch kognitiven Zugangs zu Sprache und ihren Phänomenen. Die Bewertung des Anteils von Grammatik in Language-Awareness-Konzeptionen ist demnach auch beeinflußt von den pädagogischen Zielen und den Konzeptionen, gegen die mit ihrer Hilfe abgegrenzt werden soll, und kann daher unterschiedlich ausfallen (vgl. auch Mittins 1991: 21 ff). Trotz unterschiedlichen Umfangs der in Deutschland bislang vertretenen Language-Awareness-Konzeptionen (auch unter den anderen Bezeichnungen) können Reflexion über Sprache und metasprachliche Zugänge an Gemeinsamkeiten festgehalten werden, denen gegenüber der hier vertretene Ansatz allerdings im oben skizzierten Sinne weiterreicht. 'Language Awareness' wird überwiegend im Kontext von Sprachunterricht mehr Fremdsprachenals Muttersprachenunterricht konzeptionalisiert und ist damit bislang ein stark schülerorientiertes Thema. Wenn Language Awareness jedoch kein Neuaufguß eines früheren Grammatikunterrichts sein soll, so muß die Frage nach den Zugängen der Lehrkräfte hierzu gestellt werden, denn wie James/ Garrett (1992: 21) betonen - "Language Awareness begins with teacher awareness". Dazu soll zunächst danach gefragt werden, welche Kenntnisse in Language Awareness bei Lehrkräften und Lehramtsstudierenden anzunehmen sind (1), woran sich die Frage nach Language Awareness in der Lehrerausbildung anschließt (2). In Abschnitt 3 sollen dann Bereiche vertieft werden, in denen Language Awareness für die Lehrkräfte besonders relevant ist. 1. Was wissen Lehrkräfte und Lehramtsstudierende über 'Language Awareness' ? Nach einer Umfrage des Bayerischen Staatsinstituts für Schulpädagogik und Bildungsforschung halten mehr als die Hälfte der befragten Englischlehrkräfte Sprachbetrachtung für wichtig (so Hecht 1994: 136). Ungeklärt bleibt jedoch die Frage, was für diese Lehrkräfte Sprachbetrachtung beinhaltet, denn wenn sie sich an den Lehrplänen orientieren sollten, so dürfte Grammatikvermittlung mit Hilfe metasprachlicher Analysen im Mittelpunkt stehen. Andererseits ist allerdings auch zu beachten, daß Lehrkräfte, die in den 70er und 80er Jahren studiert haben, vergleichsweise wenig linguistisches Wissen erworben haben, und bis heute eine deutliche Dominanz des Interesses an Literatur bei Lehramtsstudierenden in Sprachfächern einschließlich Deutsch zu vermerken ist (vgl. für England die Ergebnisse von Mitchell/ Hooper 1992). In Nordrhein-Westfalen wurde in den 90er Jahren das sog. Begegnungssprachenkonzept an den Grundschulen des Landes eingeführt, zu dessen wesentlichen Komponenten Language Awareness zählt (vgl. hierzu Goll/ Otten/ Thürmann 1992; Thürmann/ Otten 1992), so daß ein hoher Wissensstand hierüber erwartet werden könnte. Nach einer Untersuchung zur Umsetzung des Begegnungssprachenkonzepts sieht die Situation jedoch anders aus, denn erste Umfragen im Mai 1994 ergaben eine starke Dominanz von Singen, Spielen und Mini-Dialogen bei gleichzeitiger FLuL 26 (1997) Language Awareness: Anforderungen an Lehrkräfte und ihre Ausbildung 113 Ablehnung verschrifteter Sprache, was wenig Raum für Language Awareness ergibt (vgl. Haenisch/ Thürmann 1994). Dem entspricht die äußerst zögerliche Haltung von Lehramtsstudierenden in Seminaren zum Begegnungssprachenkonzept, sich mit Language Awareness zu beschäftigen. In dieser Skepsis werden sie auch durch einige Praktika bestärkt, in denen sie das Begegnungssprachenkonzept als kommunikativ und spielerisch aufgezogenen frühen Fremdsprachenunterricht kennenlernen, in dem für metasprachliche Reflexion kaum Raum bleibt. In Seminaren in der Primarstufenlehrerausbildung in Nordrhein-Westfalen ergab sich sowohl im Pädagogikstudium wie im Fach Deutsch, daß die Studierenden mit dem Begriff Language Awareness nichts oder sehr wenig anzufangen wußten, ihn zum Teil auch nicht aus dem Englischen ins Deutsche übertragen konnten. Die dadurch aufgebaute Skepsis blieb weitgehend bestehen und verband sich mit zwei geradezu kontroversen Aspekten: einerseits im Fehlen von linguistischen Kenntnissen und der damit verbundenen Ablehnung von Grammatik, aber andererseits in Beunruhigung über die in Aussicht gestellte Anforderung der flexiblen Einbeziehung sprachreflektierender Aspekte auf Basis der von Schülern und Schülerinnen eingebrachten Fragestellungen. Während die erste Barriere vermutlich durch Orientierung an einem Sprachbuch (im Deutschunterricht) überwunden wird, ist die zweite zwar aus der Sicht von am Anfang stehenden Lehrkräften nachvollziehbar, aber die Wahrscheinlichkeit einer Überwindung durch ein Lehrbuch ist ungleich geringer. Gegen Language Awareness in mehrsprachigen Klassen (also eigentlich: Languages Awareness) ergibt sich unabhängig von der Schulstufe eine weitere Barriere, denn hier widerspricht die Konzeption eindeutig der üblichen Lehrerrolle: Die Beschäftigung mit der Mehrsprachigkeit in einem beliebigen Klassenzimmer zumindest der alten Bundesländer übersteigt in aller Regel die Sprachkenntnisse auch einer sprachinteressierten und interkulturell engagierten Lehrkraft, so daß Language-Awareness-Konzeptionen nur möglich sind unter Stützung auf die Sprachkenntnisse von Schülern und Schülerinnen, wodurch aber die Kontrolle aus den Händen der Lehrkraft genommen wird. Für den Fremdsprachenunterricht hier Deutsch in ausländischen Schulen verweist Iluk (1996) auf eine andere Barriere: Vielen dieser Lehrkräfte fehlen Einsichten in die Unterrichtssprache der von ihnen zu unterrichtenden Sprache, da die meisten sie kommunikativ nie selbst als Schüler oder Schülerin erworben haben und während ihres Studiums sich selten ihrer Bedeutung bewußt waren. Hier geht es also um eine eng umgrenzte, klar definierbare Form von Language Awareness. 2. Language Awareness in der Lehrerausbildung Eine verstärkte Berücksichtigung von Language Awareness in der Lehreraus- und -fortbildung scheint demnach geboten, bedarf aber differenzierter Betrachtung im Hinblick auf die Fächer und ihre Bezugswissenschaften sowie die Zielsetzungen, FLuL 26 (] 997) 114 Sigrid Luchtenberg zumal fehlende Kenntnisse in der Methodik von Language Awareness nicht zugleich bedeutet, daß Lehramtsstudierende und Lehrkräfte selbst keine· Einsicht in sprachliche Phänomene haben oder sogar zum Teil selbst darüber reflektieren. Dabei darf nicht vergessen werden, daß die oben skizzierten Bedarfsstrukturen von Language Awareness sich aus sehr unterschiedlichen Quellen speisen und dabei auch sehr unterschiedliche Schwerpunkte in die Lehreraus- und -fortbildung einbringen werden wollen: Aus Sicht einer Fremdsprachendidaktik, die die Ausschließlichkeit kommunikativer Didaktik überwinden will, muß Language Awareness bei einer fundierten linguistischen Ausbildung ansetzen und diese dann in eine metalinguistische Sprachreflexion mit grammatischem Schwerpunkt münden lassen, während Language Awareness als Teil einer interkulturellen Mehrsprachigkeitserziehung zunächst den Abbau von Barrieren im Umgang mit unbekannten Sprachen in den Mittelpunkt stellen wird, um von hier aus dann eine Didaktik der Mehrsprachigkeit zu vermitteln (vgl. Oomen-Welke 1997). Deutschdidaktik, die wiederum die verengte Sicht von Sprachreflexion als hauptsächlichem Grammatikunterricht erweitern will, wird im Gegensatz zu der Fremdsprachendidaktik den grammatischen Schwerpunkt gerade abbauen und durch Sprachpragmatik, Textverstehen und Sprachkunde, wenn nicht ersetzen, so doch stark ergänzen. Eine Vereinzelung dieser durchaus berechtigten Zugriffsweisen würde aber weder dem holistischen Anspruch von Language Awareness gerecht, noch würde sie zu einer an Language Awareness interessierten Lehrerschaft führen. Eine Schwerpunktsetzung in den einzelnen Fachdidaktiken wird daher zu verbinden sein mit dem ganzheitlichen Blick auf Sprache(n). 2.1 Language Awareness in der Ausbildung von Sprachlehrkräften Entsprechend der hohen Bedeutung von Language Awareness für die Sprachfächer obliegt die Vermittlung von Language Awareness wohl in erster Linie diesen Fächern und ihren Didaktiken, womit bereits zum Ausdruck gebracht wurde, daß sowohl didaktisch-methodische Aspekte wie auch solche der Fachgrundlagen eine Rolle spielen. Dabei sind zunächst die 'klassischen' Fremdsprachenfächer diejenigen, die die Möglichkeiten von Language Awareness erkennen und auch in die Lehrerausbildung einbeziehen vor allem durch den Anteil linguistischer Fragestellungen, was auch der Entwicklung in Großbritannien entspricht, wo allerdings sehr schnell von einem koordinierten Sprachlernmodell ausgegangen wurde, da schlechte Fähigkeiten in geschriebenem Englisch mit mangelnden Fremdsprachenkenntnissen in Zusammenhang gebracht wurden (vgl. Hawkins 1991: 2 ff; 1992: 8 ff). Die hiermit zugleich angesprochene Unteilbarkeit des Sprachlernprozesses ist zunehmend auch durch die Zweitsprachlernprozesse von Migrantenkindern ins Bewußtsein gerückt. Der Blick auf die Fremdsprachen ist demnach zu eng, wenn nicht auch Deutsch, Deutsch als Zweitsprache und die sog. Muttersprachen einbezogen werden (vgl. auch Luchtenberg 1994). Während die linguistische Grundausbildung größere FLuL 26 (1997) Language Awareness: Anforderungen an Lehrkräfte und ihre Ausbildung 115 Gemeinsamkeiten aufweist, ergeben sich zwar eine Reihe sprachenübergreifender didaktischer Möglichkeiten, aber zugleich die Frage nach ihrer Verankerung. Der ganzheitliche Blick auf den Sprachlernprozeß braucht eine vertikale Aufschlüsselung in die Varietäten der Sprachen, wie die frühen Untersuchungen in England gezeigt haben und auch in der Bundesrepublik insbesondere durch die dialektbedingten fachsprachlichen Probleme von (nicht nur) Migrantenkindern im Fachunterricht bekannt ist. Insbesondere das Verhältnis von gesprochener und geschriebener Sprache spielt hierbei eine Rolle, das in den fachsprachlichen Varietäten der Schule noch multipliziert wird. Language Awareness in der Lehrerausbildung betrifft hier vor allem das Verhältnis von Text, Textverstehen und Lesen in der Erstsprache wie in weiteren Sprachen sowie die fachsprachlichen Besonderheiten. Varietäten sind demnach Teil aller Sprachfächer. Ihre Besonderheiten sprachübergreifend wie sprachspezifisch sollten dementsprechend auch integraler Bestandteil einer Language-Awareness-Ausbildung sein. Wenn zunächst von einer besonderen Bedeutung von Language Awareness für die einzelnen Sprachfächer ausgegangen wurde, so darf dennoch der fächerübergreifende Charakter des holistischen Sprachzugangs von Language Awareness nicht vernachlässigt werden, wie auch die Entwicklung in Großbritannien das Gesamtkonzept Sprache betont. Dies wird im nordrhein-westfälischen Begegnungssprachenkonzept für die Grundschulen besonders deutlich: Hier handelt es sich zwar um einen Lernbereich aus den Sprachen, jedoch nicht um ein eigenes Fach. Vielmehr verlangt die Konzeption eine thematische Integration in den Unterricht verschiedener Fächer (vgl. Runderlaß 1992). Das Begegnungssprachenkonzept umfaßt also nicht nur die Sprachfächer, sondern weist auf die Bedeutung sprachlichen Lernens und der Sensibilisierung für Sprache(n) für alle Fächer hin. Gerade das Begegnungssprachenkonzept erweitert Language-Awareness-Erziehung auf die Sachfächer. Wie die englischen Erfahrungen zeigen, ist diese Erweiterung nicht auf die Grundschule begrenzt, sondern als 'Language awareness across the curriculum' in allen Schulstufen möglich. Die benannten Schwerpunkte - Fremdsprachendidaktik, Mehrsprachigkeitserziehung und Deutschdidaktik erweisen sich also im Licht von Language Awareness als eng verzahnt, was die Möglichkeiten eines sprachsensibilisierenden Unterrichts angeht. Im Begegnungssprachenkonzept wird dies deshalb besonders deutlich, weil diese Schwerpunkte hier alle eine Rolle spielen. Dies führt allerdings zu der kritischen Frage, wo solche sprach- und fächerübergreifenden Formen von Language Awareness durch Lehramtsstudierende erworben werden sollen, zumal sich hierdurch ein Spannungsfeld von Bezugswissenschaften wie Linguistik, Fachdidaktik und möglicherweise Pädagogik ergibt. 3 Vgl. hierzu auch Van Lier (1996: 84 ff). FLuL 26 (1997) 116 Sigrid Luchtenberg 2.2 Zielsetzungen von Language Awareness in der Lehrerausbildung Die bislang implizit und explizit benannten Ziele einer Vermittlung von Language Awareness in der Lehrerausbildung holistischer Sprachzugang, fächerübergreifende Sprachsensibilisierung, Berücksichtigung des Zusammenhangs von Sprache und Kultur, Einbeziehung sprachlicher Vielfalt, linguistische Ausbildung, Offenheit für Sprachenvielfalt, Sprachpragmatik, Textverstehen und Sprachkunde entsprechen im wesentlichen einer Lehrerorientierung vorhandener schülerorientierter Lernziele, so daß aus Lernzielen Lehrziele werden, um deren Vermittlung es geht. Eine solche in sich zunächst notwendige und sinnvolle Lehrerausbildung reicht jedoch nicht aus, da sie zumindest drei Bereiche unberücksichtigt läßt: Es fehlt die im Studium veranlaßte eigene Sensibilisierung für Sprache(n) und sprachliche Phänomene, die eigene Neugier und das eigene Interesse hieran, was wohl Voraussetzung dafür ist, diese bei Schülern und Schülerinnen zu wecken bzw. zu fördern und zu unterstützen. Dies gilt ebenso für die Bereiche von 'cultural awareness' und die Zusammenhänge von Sprache und Kultur, wie in Ansätzen zur interkulturellen Kommunikation oder auch der Kulturem-Theorie verdeutlicht wird. Eine möglicherweise bewahrte individuelle Sprachneugier wird durch solche theoretischen Verarbeitungen verallgemeinert und vertieft. Es fehlt im Studium weitgehend die Beschäftigung mit Sprachlernprozessen im Hinblick auf Sprachunterricht und Language Awareness: Reflexion über die Auswirkungen unterschiedlicher Sprachlehrstrategien (auch auf unterschiedliche Lernertypen); Bedeutung des koordinierten Sprachlernvorgangs; kognitive Lernprozesse. Damit soll nicht behauptet werden, daß insbesondere Fremdsprachenstudierende nicht mit Psycholinguistik und Spracherwerbsforschung vertraut gemacht würden, sondern es ist vielmehr deren Verbindung mit kognitiven und sprachsensibilisierenden Lernprozessen, um die es hier geht. Hinzu kommt die Gefahr einer einseitigen Umsetzung von nur als Hypothesen anerkannten Prozessen. - Es fehlt die Evaluationsseite, denn es muß auch gefragt und letztlich empirisch überprüft werden, was Lehrkräfte durch welche Formen von Language Awareness erreichen können. Dies steht in unmittelbarem Zusammenhang mit Evaluierungsanstrengungen auf der Schülerseite, denn auch hier ist noch erst relativ wenig Wissen über die Wirkungsweise von Language Awareness vorhanden. Aufgrund des derzeitigen Angebots von Language Awareness in der Lehrerausbildung, das dort, wo es überhaupt stattfindet, überwiegend weitgehend unkoordiniert in (Fremd-)Sprachenfächern angesiedelt ist, fehlt auch der Blick auf einen fächerübergreifenden Ansatz für Language Awareness. Damit besteht eine doppelte Gefahr, denn erstens nehmen Studierende Language Awareness, wenn überhaupt, als Linguistik - und damit in der didaktischen Umsetzung als Grammatik wahr, und zweitens erleben sie diese isoliert und auch losgelöst von ihren eigenen Spracherfahrungen. Eine Einbeziehung auch von 'Cultural Awareness' ist ebenfalls ungesichert. FLuL 26 (1997) Language Awareness: Anforderungen an Lehrkräfte und ihre Ausbildung 117 Da aber auf der anderen Seite die Erwartungen an die Umsetzung von Language-Awareness-Konzeptionen umfangreich sind, können weitere Mißverhältnisse zwischen Kenntnissen, Umsetzungen und Erwartungen nicht ausgeschlossen werden.4 Was ergibt sich hieraus als zusammenfassende Zielsetzung für Language Awareness in der Lehrerausbildung? Die Notwendigkeit wird deutlich, den holistischen Ansatz in verstärktem Maße einzubringen, da gerade die Fächeraufsplittung und die Vereinzelung grammatischer, sprachkundlicher oder textbezogener Fragestellungen das Verständnis für Sprache als ein Gesamtkonzept in Vergessenheit geraten läßt. Auf der anderen Seite verlangt die Vielfalt der Umsetzungen von Language Awareness differenzierte Zielsetzungen von Phonologie über Lexik und Grammatik bis zu Pragmatik, deren Zusammenwirken wiederum Teil des holistischen Ansatzes ist (vgl. auch Luchtenberg 1997a). Holistischer Ansatz wie Einzelziele bedingen sich also gegenseitig und stehen nicht im Gegensatz zueinander. 3. Language Awareness im Unterricht Um noch einmal zu verdeutlichen, welche Möglichkeiten sich mit Language- Awareness-Konzeptionen bei geeigneter Lehrervorbereitung ergeben, soll im folgenden der Blick wieder auf den schulischen Unterricht gerichtet werden, allerdings mit dem Schwerpunkt auf die Möglichkeiten der Lehrkräfte. 3.1 Language Awareness und Mehrsprachigkeit im Klassenzimmer Bereits in den anfänglichen Überlegungen zu Language Awareness in Großbritannien spielte die sprachliche Vielfalt in den Klassenzimmern eine wesentliche Rolle (vgl. Hawkins 1991: 57 ff; James/ Garrett 1992: 21 ff). Diese ergibt in mehrfacher Hinsicht eine veränderte Aufgabenstellung für die Lehrkräfte sowohl im Unterricht in der Schulsprache, im Fremdsprachenunterricht als auch in den 'neuen' Fächern in der Herkunftssprache: Der Sprachstand ist deutlich heterogener als in 'einsprachigen' Klassen. Sprachvergleich gewinnt als Methode neue Bedeutung. Jeder Unterricht ist immer auch Zweitsprachenunterricht. Spracherwerbsprozesse werden 'sichtbarer'. Damit ist die Chance zu einer Mehrsprachigkeitserziehung von der Grundschule an bis zum Schulabschluß gegeben. 5 Für Lehrkräfte eröffnen sich durch Mehrsprachigkeit und Mehrsprachigkeitserziehung Wege zu Language Awareness wie auch Languages-Awareness-Erziehung. 4 Vgl. auch Salkie (1994) für ein Beispiel aus der Lehrerausbildung in England. Vgl. auch Christ (1989) zu weiterreichenden Fragen. FLuL 26 (1997) 118 Sigrid Luchtenberg Durch die Einbeziehung der vorhandenen Mehrsprachigkeit ergibt sich die Möglichkeit, Language-Awareness-Methoden bereits in der Grundschule anzuwenden. Einen Schritt in diese Richtung haben bereits Regele/ Pommerin (1983) im Rahmen eines gemeinsamen Deutschunterrichts indirekt getan, als sie vorschlugen, daß von Migrantenkindern auf deutsch zum Teil im Rahmen von kreativem Schreiben verfaßte Texte zur Grundlage eines Klassengesprächs gemacht werden sollten. Die zum Teil nur schwer zu verstehenden Texte mußten gemeinsam analysiert werden, um herauszufinden, was ausgedrückt werden soll und warum man es anders formulieren muß. Hierdurch ergibt sich fast zwangsläufig intensives und für alle Kinder fruchtbares Nachdenken über Sprache. Wenn die Kinder dann auch versuchten herauszufinden, warum die schwer verständliche Formulierung gewählt worden war, ergaben sich vielfach auch sprachvergleichende Aspekte also eine durch die Lehrkraft angeleitete Mehrsprachigkeitserziehung im Sinne von Einbeziehen der vorhandenen Sprachenvielfalt. Dies wird verstärkt, wenn auch zweisprachige Texte in der Klasse vorhanden sind oder gelesen werden. Sprachliche Reflexion in mehrsprachigen Klassen, in denen diese Mehrsprachigkeit auch berücksichtigt wird, unterscheidet sich von Beispielen für Sprachreflexion im monolingualen Unterricht, selbst wenn es um gleiche Themen wie Pluralbildung, Begrüßungsfloskeln oder um Werbung geht, denn durch den Rückgriff auf andere Sprachen können unterschiedliche sprachliche Realisierungen ein und desselben sprachlichen Phänomens unmittelbar erfahren werden und außerdem durch den Kontrast Einsichten in die eigene Sprache leichter gewonnen werden, als dies im einsprachigen Unterricht möglich ist. Auch für die Lehrkräfte unterscheidet sich diese Form der sprachlichen Reflexion durch die Notwendigkeit, sich auf unbekannte Sprachen einlassen zu müssen, was jedoch nicht gleichzusetzen ist mit einem Laisser-faire-Ansatz, wie die Vorschläge von Oomen-Welke (1997: 240) zeigen: Sie schlägt für die Einbeziehung von Mehrsprachigkeit - und damit zugleich für Language Awareness ein mehrschrittiges Vorgehen vor, das von Zulassen, Einlassen über Herbeiholen zu Systematisierung reicht. Dies sind Vorgaben für die Lehrkräfte, von denen vor allem die Systematik von Sprach- und Textvergleichen eine mögliche Entsprechung auch in der linguistischen Ausbildung im Sprachenstudium findet. Allerdings ist zu beachten, daß wir im Mehrsprachigkeitskonzept Language Awareness vor allem auch im Deutschunterricht, in keinem Fall jedoch ausschließlich oder auch nur vorwiegend im Fremdsprachenunterricht, antreffen, vor allem in der Grundschule. Aus Lehrersicht entsprechen die beiden letzten Vorgehensweisen des Herbeiholens und Systematisierens weitaus eher der gewohnten Lehrerrolle, da hier zu einem großen Teil auf vertraute Vorbereitungsroutinen zurückgegriffen werden kann, während Zulassen von und Einlassen auf andere weitgehend nicht beherrschte - Sprachen andere Kompetenzen wie eigene Neugierde auf Sprachen und flexible Unterrichtsgestaltung erfordert. Language- Awareness-Prozesse spielen sich in allen vier Ebenen ab, wie das folgende Beispiel zeigt: Die Faszination über den ersten Schnee des Jahres hat zu unterschiedlichen sprachlichen Spontanäußerungen geführt, wobei sowohl einige Kinder das Wort FLuL 26 (1997) Language Awareness: Anforderungen an Lehrkräfte und ihre Ausbildung 119 Schnee in ihrer Sprache wiedergeben, andere sich über das Wort Schneeflöckchen amüsieren und eine dritte Gruppe sich fragt, wieso es eigentlich keine Schneefrau gibt. 'Zulassen' bedeutet für die Lehrkraft nicht mehr (aber auch nicht weniger) als die Akzeptanz gegenüber der Verwendung und dem Einbringen nichtdeutscher Wörter, während das Einlassen einen Schritt weitergeht, indem die Lehrperson diesen Äußerungen nun auch Aufmerksamkeit schenkt und sie einbezieht in das anschließende Gespräch über Schnee, in dem dann auch viel über Wortbildungen gesprochen wird. Die Kinder aufzufordern, beispielsweise über ihre Eltern weiteren Wortschatz, vielleicht auch Lieder, zum Thema einzubringen, könnte ebenso zum Herbeiholen gezählt werden wie nun auch der Vergleich zu anderen Sprachen im Thema Wortbildung, was auch von der Lehrkraft in einer der folgenden Stunden systematisiert werden kann. Das Beispiel zeigt, daß im mehrsprachigen Klassenzimmer Language-Awareness-Prozesse sich auch im Deutschen ergeben, und zwar auch bei den mehrsprachigen Kindern, was die Lehrkraft einbinden kann in Sprachreflexion wie im Beispiel über Wortbildung. Dies zeigt zugleich, daß Mehrsprachigkeitsansatz und Language-Awareness-Konzeptionen zwar eng verwandte und sich vielfach überschneidende Konzeptionen sind, jedoch nicht identische, da Language Awareness nicht notwendig immer mit Mehrsprachigkeit verbunden ist. Deutlich wird auch der oft kreativ-spielerische Charakter der Sprachaufmerksamkeit, über die Kinder schon früh verfügen und die zu fördern ein Anliegen von Language Awareness ist. 6 Ähnliche Beispiele können sich auch im Fremdsprachenunterricht der Sekundarschulen ergeben, und immer wird es von den Reaktionen der Lehrkräfte abhängen, ob die spontane Sprachaufmerksamkeit und der unbefangene Umgang mit der Mehrsprachigkeit genutzt werden zu Language Awareness, die mit ihren Methoden des Sprachvergleichs auch in die jeweiligen Lernziele eingebunden werden kann. 3.2 Begegnungssprachenkonzept Das obige Beispiel könnte auch Teil eines Begegnungssprachenunterrichts sein, vor allem in den nordrhein-westfälischen Klassen, die sich nicht auf eine Sprache festgelegt haben, sondern auf Mehrsprachigkeit aufbauen, was nach Angaben von Haenischffhürmann (1994) in immerhin 19 % der befragten Schulen der Fall ist. Das Beispiel macht auch die Vorgaben des Erlasses (Runderlaß 1992) nachvollziehbarer, nach denen die Kinder durch den Begegnungssprachenunterricht „ihre eigene Muttersprache besser erkennen und mit ihren vielfältigen Ausprägungen differenzierter umgehen" lernen sollen. Ein solches Ziel wird durch die Förderung des kreativ-spielerischen Ausprobierens und Erkundens von Sprache, wie sie für Grundschulkinder typisch ist, ebenso erreichbar wie durch die gezielte Einsetzung von Sprachvergleich durch die Lehrkraft (in grundschulgemäßer Form). Auch im 6 Vgl. auch Karagiannakis/ Oomen-Welke (1997) für weitere Beispiele und Anregungen. FLuL 26 (1997) 120 Sigrid Luchtenberg Kontext des Begegnungssprachenkonzepts sind neben dem Anregen, Aufgreifen und Einbeziehen von solchen Spontanäußerungen gezielte spracherkundende und sprachvergleichende Aufgaben vorstellbar, durch die die Lehrkraft die Sprachreflexion der Kinder aufgreift und weiterführt. Ist die für eine Begegnungssprachenlehrkraft erforderliche komplexe Kompetenz schon eine Schwierigkeit, denn ohnehin soll hier Fremdsprachendidaktik auf Basis von Fremdsprachenkompetenz verbunden werden mit Klassen- und Fachlehrerkompetenzen, so stellt die Language-Awareness-Komponente weitere Anforderungen. Was muß eine Lehrkraft können? Es zeigt sich bei näherem Betrachten, daß die oben skizzierten unterschiedlichen Bereiche von Language Awareness sich in der für das Begegnungssprachenkonzept notwendigen Kompetenz vermischen: Offenheit für andere Sprachen und die Bereitschaft, sich auf sie einzulassen - Linguistisches Wissen zur Systematisierung - Sprachvergleich. Es kommt aber noch hinzu: Didaktisch-methodisches Wissen über grundschulgemäßen Zweitspracherwerb. Spracherwerbs- und Sprachlehrprozesse erstwie zweitsprachlichen Lernens verstehen und berücksichtigen, denn Begegnungssprachenlernen umfaßt Deutsch als Erstwie Zweitsprache und kann auch den muttersprachlichen Ergänzungsunterricht einbeziehen. - Aufdecken und Einbeziehen der Sprachanteile in Sachfächern. Methodisch verlangt das Begegnungssprachenkonzept demnach einerseits in einem hohen Maße Kooperationsfähigkeit, um auch Fachlehrkräfte einzubeziehen bzw. um die Kompetenzen der Muttersprachenlehrkräfte zu integrieren, aber andererseits auch Sachorientierung über die Fächer hinweg, und zwar hier in der Verbindung von Sach- und Sprachlernen einschließlich der Language-Awareness-Komponenten. Nur so ist es möglich, die sprachrelevanten Teile der einzelnen Fächer zur Beschäftigung mit der Begegnungssprache einschließlich der Sprachsensibilisierung auch im Sinne der Mehrsprachigkeitserziehung zu nutzen. Die Umsetzung des Begegnungssprachenkonzepts in Lehrerbildung kann bislang nicht als gelöst angesehen werden, da außer Fortbildungsveranstaltungen erst wenig Anstöße erfolgt sind, sowohl was den Erwerb der sprachlichen Fähigkeiten wie auch die didaktisch-methodischen Fähigkeiten einschließlich Language Awareness angeht. Die hier diskutierten Bereiche von Language Awareness sind weitgehend auf Aktivitäten der Lehrkraft ausgerichtet, nur der Bereich des Zulassens im Mehrsprachigkeitskonzept berücksichtigt mit der Lehrkraft als Zuhörender eine andere Seite von Language Awareness, der die Kompetenz des unbefangenen Umgehens mit sprachlicher Vielfalt, verbunden mit eigener Neugierde, zugeordnet werden kann. Dieser Aspekt der Sprachaufmerksamkeit spielt im Zweitsprachenunterricht eine besondere Rolle, da es hier zusätzlich darauf ankommt, Spracherwerbsprozesse wahrzunehmen und interpretieren zu können. FLuL 26 (] 997) Language Awareness: Anforderungen an Lehrkräfte und ihre Ausbildung 121 Mehrsprachigkeitserziehung und Begegnungssprachenkonzept sind zwei Bereiche, die die in Schulen vorhandene sprachliche Vielfalt nicht nur als Aufgabe, sondern auch als Chance ansehen. Language Awareness ist in beiden Ansätzen integraler Bestandteil, jedoch nicht auf sie beschränkt. Beide Bereiche sind für die meisten Lehrkräfte noch neu und bedürfen der Fortbildung. 3.3 Fächerübergreifender Unterricht und Language Awareness Das oben diskutierte Begegnungssprachenkonzept hat mit fächerübergreifendem Lernen ein weiteres besonderes Merkmal, das sich auch im Sprachunterricht in der Grundschule anderer Bundesländer findet. Es erlaubt intensive Beschäftigung mit Sprachphänomenen in Zusammenhängen, in denen sie sonst weniger leicht wahrgenommen werden. Damit steht es zugleich auch in der Tradition eines 'contentorientated-leaming', in dem die Unterrichtsplanung von einem relevanten Thema ausgeht, in das sich dann alle Fächer einbringen (für Beispiele vgl. Hessari/ Hill 1989: 49 ff). Dies führt zu der Frage nach weiterreichenden Möglichkeiten einer fächerübergreifenden Language-Awareness-Konzeption, zumal 'Language across the Curriculum' bereits im Bullock-Report betont wurde (vgl. hierzu Hawkins 1991: 26 t). Analysen fächerübergreifender interkultureller sprachlicher Bildung haben auch zu dem Ergebnis geführt, daß der Sachunterricht einen hohen Grad an Sprachthemen und Sprachbezügen aufweist, die unmittelbar zu Reflexion über Sprache nutzbar gemacht werden können (vgl. Luchtenberg 1995a: 157 ff). Fächerübergreifende Konzeptionen von Language Awareness können auch sprachübergreifend verstanden werden, so daß es zunächst darum geht, in den involvierten Sprachfächern aller Schulstufen integrativ sprachsensibilisierend zu arbeiten. Dies kann auf den unterschiedlichen Ebenen geschehen, die oben aufgezeigt worden sind: Vergleichen von Funktionen einzelner grammatischer Phänomene oder umgekehrt unterschiedliche Realisierungen etwa von Modalität in den Sprachen, aber ebenso die Beschäftigung mit Höflichkeitsformen und -normen in den Sprachen bzw. Gesellschaften, in denen sie gesprochen werden, oder mit Neujahrsgrüßen in verschiedenen Sprachen und Kulturen. 7 Gerade der sprachfächerübergreifende Ansatz erlaubt die Einbeziehung von interkultureller Kommunikation durch Reflexion über die hierbei ablaufenden Prozesse, Möglichkeiten des Mißverstehens und Bedingungen für Verstehen. Ein Mittel hierzu ist die Analyse solcher Gesprächssituationen im Unterricht, wie etwa eines Sketches aus dem Silvesterfernsehprogramm, in dem ein deutscher Urlauber jeden Morgen in seiner Pension im Frühstücksraum von einer jungen Frau mit Bon appetit angeredet wird, worauf er aufsteht, sich verbeugt und 'Kowalzik' sagt. Als er von der Wirtin auf sein Mißverständnis aufmerksam gemacht wird und nun seinerseits der jungen Frau Bon appetit wünscht, steht sie auf und sagt: 'Kowalzik'. Das ist nicht nur komisch, sondern Vgl. hierzu die Vorschläge von Gnutzmann/ Köpcke (1988) für grammatische Themen. FLuL 26 (l 997) 122 Sigrid Luchtenberg gewährt auch eine Reihe von Einsichten in sprachpragmatische Vorgänge und die hierin involvierten Fallen des Mißverstehens. Language Awareness ist in diesen Beispielen lehrerinitiiert und an Lehrzielen orientiert. Der Deutschunterricht könnte eine Schlüsselrolle fächerübergreifender Konzeptionen von Language Awareness übernehmen, da er einerseits in einer engen Beziehung zu den übrigen Sprachfächern steht, aber andererseits sprachliche Phänomene in anderen Sachfächern integrieren kann, da es hier überwiegend um die deutsche Sprache geht (vgl. auch Luchtenberg 1997). Ausnahmen sind etwa fremdsprachliche Eigennamen, die eine enge Brücke zwischen den Sprachfächern und Geographie, Geschichte, Religion schlagen können. Beides erfordert von den Lehrkräften nicht nur Sensibilisierung für Sprache und ihre Phänomene, sondern auch für die anderen nicht von ihnen unterrichteten Fächer. Von daher könnte dem bilingualen Unterricht in der Form, daß mindestens ein Sachfach ab der 7. Klasse in der erlernten Fremdsprache unterrichtet wird, eine neue Funktion auch der Sprachsensibilisierung zukommen. 3.4 Lehrersprache Untersuchungen bereits der 60er und 70er Jahre haben die Besonderheiten der Varietät Lehrersprache aufgezeigt, teilweise im Gegensatz zur Schülersprache. Lehrersprache spielt jedoch auch für eine Language-Awareness-Erziehung eine Rolle in vielfacher Hinsicht: Lehrersprache ist eine Hauptquelle des Sprachinputs, was vor allem für den Sprachunterricht relevant ist, aber auch in den übrigen Fächern kann die Lehrersprache sprachanregend wirken. Lehrersprache steuert den Sprachoutput der Schüler und Schülerinnen und kann dementsprechend metasprachliche Äußerungen fördern oder abblocken. Lehrersprache kann stilistisch durch Wortwahl, Satzbau und Textkohärenz selbst Anregungen für Language Awareness geben. - Lehrersprache kann durch Sprachbeispiele Language-Awareness-Prozesse in Gang setzen. Lehrersprache gibt Hinweise zur Akzeptanz von Mehrsprachigkeit und dem Bemühen um andere Sprachen, z.B. durch die Aussprache nichtdeutscher Namen (von Schülern und Schülerinnen, aber auch anderer, z.B. historischer Personen oder Orte). - Lehrersprache wirkt (im Sinne kritischer Language Awareness) auch politisch, indem sie autoritär, demokratisch oder solidarisch sein kann. Ein Beispiel hierfür kann etwa der Umgang mit Mädchen und Frauen sein, vor allem auch die Art und Weise ihrer Bezeichnungen. Lehrersprache kann an den Bedürfnissen der Schüler und Schülerinnen vorbeigehen, indem daß sie die unterschiedlichen Varietäten wie Dialekte, Regionalvarianten oder auch Soziolekte wie Jugendsprache, Schichtsprache etc. nicht berücksichtigt. FLuL 26 ( 1997) Language Awareness: Anforderungen an Lehrkräfte und ihre Ausbildung 123 - Lehrersprache kann Kinder nichtdeutscher Muttersprache ebenso wie die deutschen Kinder durch Vereinfachung unterfordern oder durch eine allzu elaborierte Sprache überfordern. - Lehrersprache kann insbesondere Kinder nichtdeutscher Muttersprache durch Nichtberücksichtigung (sprach)kultureller Unterschiede verunsichern oder im schlimmsten Fall ausschließen. - Lehrersprache im fremdsprachlichen Unterricht muß über ihre eigene Kompetenz in besonderem Maße Rechenschaft ablegen (vgl. auch Iluk 1996). Zwar gelten diese Punkte partiell für jeden Unterricht, jedoch erkennt man in der obigen Auflistung unterschiedliche Formen von Language Awareness: Während .sich die Punkte 1-5 auf die Anregungen der Lehrkraft zu Language-Awareness- Prozessen bei den Schülern und Schülerinnen richten, betreffen die Punkte 5-10 vor allem die Notwendigkeit von Language Awareness auch und vor allem im Hinblick auf ihre eigene Sprache bei Lehrkräften eine Dimension, die durch die Mehrsprachigkeit der meisten Klassen eine starke Erweiterung erfahren hat (vgl. hierzu auch die Untersuchungen zu Lehrererklärungen von Kennedy 1996). Zu berücksichtigen sind hierbei mehrfache Auswirkungen der Lehrersprache, denn sie beeinflussen das Sprachverhalten von Kindern in bezug auf ihr Sprachverstehen, auf ihre Sprachproduktion, ihr Interesse an Sprache und ihre Bereitschaft, sich auf Sprache und Sprachen weiterhin einzulassen. Lehrersprache kann demnach Language Awareness bei Schülern und Schülerinnen fördern, aber auch einschränken (vgl. auch Hawkins 1991: 26). 3.5 Language Awareness und (Schul-)Sprachenpolitik Language Awareness kann im Unterricht verschiedener Fächer eine Reihe von Funktionen übernehmen, deren Verwirklichung in nicht geringem Maße von den entsprechenden Kompetenzen der Lehrkraft abhängen. Konzepte von 'Critical Language Awareness' haben jedoch gezeigt, daß neben solche vielfältigen sprachsensibilisierenden Aufgaben noch andere Aspekte treten können, und zwar sowohl im Unterricht wie auch im schulischen Umfeld (vgl. Fairclough 1992). Hinzu kommt, daß viele der genannten Aufgaben und Ziele von Language Awareness zugleich auch Ziele kritischer Language Awareness sind, wie etwa das Beispiel Begegnungssprachenkonzept in NRW verdeutlicht: Die Beschäftigung mit Sprachen und insbesondere sprachlicher Vielfalt soll die Kinder dazu bringen, sich intensiver mit den Erscheinungsformen ihrer Muttersprache zu beschäftigen, es soll aber auch zum gegenseitigen Verstehen und dem Abbau ethnozentrischer Denkweisen beitragen (Runderlaß 1992). Aus Sichtweise einer kritischen Language-Awareness-Konzeption umfaßt das ebenso die Auseinandersetzung mit dem Phänomen einer rassistischen Sprache wie auch mit institutionellen Hindernissen einer Verständigung, was im Grundschulalter auf der einen Seite ethnische Schimpfwörter, Schimpf- und Spottnamen oder auch Assoziationen mit schwarz und weiß beinhalten kann, während auf der anderen Seite sich zum Beispiel auch Grundschulkinder FLuL 26 (1997) 124 Sigrid Luchtenberg mit der Wertschätzung und Rolle von Sprachen in der Schule beschäftigen können, wenn sie von der Lehrkraft dazu angeregt werden (vgl. hierzu auch Anderson 1992: 136 f). Eine kritische Konzeption von Language Awareness kann sich in der Lehrerbildung nicht mit der Beschäftigung mit sprachlichen Phänomen selbst begnügen, sondern umfaßt auch (schul)sprachpolitische Aspekte. Dies kann auch zu einer kritischeren Haltung des in bezug auf seine Language-Awareness-Inhalte bemerkenswerten nordrhein-westfälischen Begegnungssprachenkonzepts führen (Luchtenberg 1996). Darüber hinaus ergeben sich vor allem in den Sekundarstufen Berührungspunkte mit der Thematik linguistischer Menschenrechte, dem Erhalt kleiner Sprachen und der europäischen Sprachenpolitik einschließlich der Schulsprachen (vgl. hierzu Brumfit 1996). Dies sind zugleich Themen, die Lehrkräften nahegebracht und auf ihre Einbindung in den Unterricht als Teil von Language Awareness erläutert werden müssen. 4. Zusammenfassung Language-Awareness-Konzeptionen sind inhaltlich breit gefächert und erlauben eine Vielzahl von Beschäftigungen mit Sprache, Sprachen und ihren Erscheinungsformen, wie hier nur an einigen Beispielen gezeigt werden konnte. Mit Begegnungssprachenkonzept und Mehrsprachigkeitsansatz wurden zwei Beispiele aus der Grundschule in den Mittelpunkt gestellt, die zudem in besonderem Maße die Sprachenvielfalt in den Schulen nutzen. Language Awareness kann in der Grundschule besonders gut an der Freude am spielerischen Umgang mit Sprache und der Neugierde auf Sprache(n) junger Schüler und Schülerinnen anknüpfen, die in den Sekundarschulen zum Teil erst wieder geweckt werden muß. In allen Schulstufen ermöglicht Language Awareness, Nachdenken und Sprechen über Sprache(n) in großer Breite anzuregen und den Schülern und Schülerinnen auch neue Zusammenhänge zwischen Sprachen, aber auch Fächern aufzuzeigen. Language Awareness erweist sich demnach als ein schülerorientierter Ansatz, dessen Bedeutung für die Lehrerausbildung noch nicht im vollen Umfang umgesetzt ist. Dementsprechend ist dieser Ansatz für einen Teil der Lehrkräfte noch unklar, selbst im nordrheinwestfälischen Begegnungssprachenkonzept, in dem Language Awareness expliziter Bestandteil ist. Die Lehrerbildung ist demnach nicht nur gefordert, die oben beschriebenen unterschiedlichen Aufgaben zu erfüllen, sondern auch Skepsis zu überwinden, wozu vor allem beitragen kann, wenn Lehrkräfte und Lehramtsstudierende wieder neugierig auf Sprache(n) werden und über sie nachdenken. Zu bedenken ist jedoch, daß Language Awareness kein abgeschlossenes Konzept ist: Die bisherige Entwicklung zeigt vielmehr eine dynamische Zugriffsweise auch auf weitere sprachbezogene Aspekte, zu denen in jüngster Zeit auch die der Unterrichtsformen und der Haltung gegenüber den Lernenden zu zählen ist wie Anerkennung der Autonomie der Lernenden (vgl. hierzu auch Van Lier 1996). Offenheit für FLuL 26 (1997) Language Awareness: Anforderungen an Lehrkräfte und ihre Ausbildung 125 die Vielfalt sprachlicher Aspekte ist damit auch aus der Lehrerperspektive ein wesentlicher Bestandteil von Language Awareness. Diese Offenheit ist Teil des holistischen Ansatzes von Language Awareness, durch den die Vielzahl der Perspektiven auf Sprache betont wird, die zum Verständnis von Sprache(n) berücksichtigt werden müssen. Bibliographische Angaben ANDERS0N, Jim (1992): "The potential of Language Awareness as a focus for cross-curricular work in the secondary school". In: JAMES, Carl / GARRETI, Peter (Hrsg.): Language Awareness in the Classroom. London/ New York: Longman, 133-139. BRUMFIT, Christopher (1996): "Language Rights and Foreign Language Teaching". In: Neusprachliche Mitteilungen aus Wissenschaft und Praxis 49.3, 145-153. CHRIST, Ingeborg (1989): "Erziehung zur Mehrsprachigkeit in der Schule für ein mehrsprachiges Europa". 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