eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 26/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
1997
261 Gnutzmann Küster Schramm

Zur Förderung von Sprachbewußtheit und Sprachlernbewußtheit im bilingualen Sachfachunterricht

121
1997
Dieter Wolf
flul2610167
Dieter Wal.ff Zur Förderung von Sprachbewußtheit und Sprachlernbewußtheit im bilingualen Sachfachunterricht Abstract. This paper is based on the thesis that content-based education in a foreign language is more congenial to foreign language and educational achievement than conventional foreign language teaching, organised as a school subject. lt is then argued that both language awareness and language learning awareness are desirable educational outcomes more readily available in content-based language teaching. This position is argued for on the basis of pedagogic theory and recent insights derived from the psychology of learning. Pedagogic principles for awareness-raising inside content-based instruction are promulgated, and generalised. 0. Vorüberlegungen In den letzten Jahren sind nicht nur in Deutschland, sondern auch in einer Reihe anderer europäischer Länder neue Formen des institutionalisierten Fremdsprachenlernens entwickelt worden. Dies hängt zweifellos damit zusammen, daß Schule und Gesellschaft nicht mehr mit den etablierten Formen des fremdsprachlichen Lernens - Baker (1993) hat sie einmal "drip-feed education" genannt zufrieden sind und daß eine bessere Beherrschung fremder Sprachen in immer höherem Maße als notwendig erkannt wird. Zu den neuen Formen des Fremdsprachenunterrichts gehört auch der bilinguale Sachfachunterricht. Gerade er hat sich in den letzten Jahren als eine alternative Form des institutionalisierten Fremdsprachenunterrichts bewährt und inzwischen auch etabliert. Der bilinguale Sachfachunterricht wird zu Recht als eine Form von fremdsprachlichem Lernen angesehen, die dem bisherigen Fremdsprachenunterricht überlegen ist. Im folgenden Beitrag soll versucht werden zu zeigen, daß der bilinguale Sachfachunterricht generell andere, bessere Rahmenbedingungen für das fremdsprachliche Lernen bereitstellt als der herkömmliche Fremdsprachenunterricht und daß fremdsprachliches Lernen im Kontext dieser Rahmenbedingungen deshalb so erfolgreich abläuft, weil diese in höherem Maße den psychologischen Bedingungen des institutionalisierten Lernens entsprechen. Im Rahmen des Lernkontextes, den der bilinguale Sachfachunterricht bereitstellt, können unter anderem moderne didaktische : Konzepte wie Sprachbewußtheit und Sprachlernbewußtheit, die im Mittelpunkt dieses Beitrags stehen, sehr viel besser gefördert werden als im bisherigen Unterricht. Im folgenden Beitrag sollen zunächst kurz die lernpsychologischen Grundlagen für die didaktischen Überlegungen skizziert werden. Im zweiten Teil soll der bilinguale Sachfachunterricht als Unterrichtskonzept etwas genauer beschrieben und auf FLuL 26 (1997) 168 Dieter Wolff die Begriffe Sprachbewußtheit und Sprachlernbewußtheit etwas genauer eingegangen werden. Im dritten Abschnitt werden die im Rahmen des bilingualen Sachfachunterrichtes realisierbaren didaktischen Konzepte genauer ausgelotet, bevor im vierten Teil auf das zentrale Anliegen des Beitrags, die Förderung von Sprachbewußtheit und Sprachlernbewußtheit, eingegangen wird. Der Beitrag schließt mit einer kurzen Zusammenfassung der Überlegungen. 1. Psychologische Grundlagen des Lernens Grundlegend für die hier vorgetragenen Überlegungen sind die Erkenntnisse, die in den letzten Jahren in verschiedenen Bereichen der kognitiven Wissenschaften, z.B. der kognitiv orientierten Lernpsychologie, der Wissenspsychologie und der Gedächtnispsychologie bereitgestellt wurden. Die von den kognitiven Wissenschaften eingebrachten Ergebnisse haben für jeden Lernkontext, d.h. auch für das institutionalisierte Fremdsprachenlernen, Gültigkeit. Da gerade sie bei der Konstituierung der Rahmenbedingungen für alle neuen Konzepte des fremdsprachlichen Lernens von zentraler Bedeutung sind, müssen sie hier kurz angesprochen werden. 1.1 Wissenspsychologische Grundlagen Lernen und damit auch Sprachlernen wird in der kognitiv orientierten Wissenspsychologie als Erwerb von Wissen verstanden. Der Mensch wird als ein informationsverarbeitendes System gesehen, das sich in der Auseinandersetzung mit der Umwelt Wissen erwirbt. Für den vorliegenden Zusammenhang sind es vor allem vier Postulate der Wissenspsychologie, die von Bedeutung sind: (1) Wissenserwerb ist Wissenskonstruktion: Diese ursprünglich aus der psychologischen Verstehensforschung stammende Erkenntnis besagt, daß Wissenserwerb als ein aktiver Prozeß verstanden werden muß, bei dem der Mensch als Informationsverarbeiter neues Wissen in der Interaktion zwischen eingehenden Stimuli und bereits vorhandenem Wissen konstruiert. Diese keineswegs banale Erkenntnis ist gerade für institutionalisiertes Lernen und auch das Fremdsprachenlernen von großer Bedeutung und wird unabhängig von der Wissenspsychologie auch in der Zweitsprachenerwerbsforschung vertreten (Sprachlernen als kreativer Konstruktionsprozeß). (2) Wissenserwerb ist strategiengesteuert: Die Wissenspsychologie hebt darauf ab, daß die aktive Gestaltung der Wissenserwerbsbzw. -konstruktionsprozesse durch den Informationsverarbeiter weitgehend auf der Basis seines strategischen Wissens erfolgt. Der Informationsverarbeiter besitzt ein Repertoire an Verarbeitungsstrategien, aus dem er im Idealfall die für die Lösung seiner Verarbeitungsprobleme angemessenen Strategien auswählt. Strategien steuern sowohl das Verarbeitungsals auch das Lernverhalten des Informationsverarbeiters. Auch das Sprachlernen ist demnach ein strategiengeleiteter Prozeß. FLuL 26 (1997) Zur Förderung von Sprachbewußtheit ... im bilingualen Sachfachunterricht 169 (3) Wissen ist im Gedächtnis vorwiegend in organisierter Form gespeichert: Die Wissenspsychologie geht davon aus, daß der Informationsverarbeiter sein Wissen strukturiert und organisiert abspeichert. Dies wird allein deshalb als notwendig angesehen, weil er es nur, wenn seine Speicherung bestimmten organisatorischen Prinzipien unterliegt, schnell und präzise für neue Wissenskonstruktionsprozesse abrufen kann. Die Wissenspsychologen nehmen an, daß Sprachwissen und Weltwissen getrennt voneinander gespeichert sind, daß aber die beiden Wissenskomponenten eng miteinander vernetzt sind. (4) Die perzeptuelle Modalität des zu erwerbenden Wissens ist für die Verarbeitung und die Repräsentation des Wissens im Gedächtnis nur von geringer Bedeutung: Wichtig für den folgenden Zusammenhang ist die Tatsache, daß aus diesem Postulat identische Verarbeitungs- und Lernprozesse für unterschiedlich repräsentierte Lernitems abgeleitet werden können. Dies ist für die lernpsychologische Begründung des bilingualen Sachfachunterrichts von ganz besonderer Bedeutung. Denn dies bedeutet ja, daß sprachliches und nichtsprachliches Lernen wahrscheinlich identischen Lernprozessen unterliegen. Auf die Tatsache, daß L2-Erwerb auch als Erwerb einer komplexen kognitiven Fähigkeit verstanden werden kann und daß sich auf der Grundlage einer solchen Annahme auch eine Vielzahl von Befunden aus der L2-Forschung erklären läßt, hat bereits McLaughlin (1987) hingewiesen. 1.2 Lernpsychologische Grundlagen Im folgenden soll noch auf einige weitere Postulate der kognitiven Wissenschaften eingegangen werden, die in stärkerem Maße das Lernen selbst thematisieren. Die in der kognitiven Wissenschaft angesiedelte Lerntheorie hat präzise Überlegungen dazu angestellt, was der Informationsverarbeiter tun muß, um einmal erarbeitetes Wissen im Gedächtnis festzuhalten. Zu den wichtigsten Annahmen des Lernmodells von Rumelhart und Norman (1978) gehört z.B., daß der erfolgreiche Erwerb und das Behalten von Wissen ein beständiges Restrukturieren (restructuring) des jeweiligen Wissenspotentials erforderlich macht. Sobald neues Wissen konstruiert worden ist, muß es in das bereits vorhandene Wissen integriert werden. Dies erfordert das Umstrukturieren des bereits vorhandenen Wissens. So müssen z.B. das vorhandene und das neue Wissen auf einer höheren Ebene generalisiert werden. Oder das neu zur Verfügung stehende Wissen erfordert das Löschen einer vorhandenen Wissenskomponente, weil diese ungültig geworden ist. Oder das alte Wissen muß aufgrund des neuen Wissens modifiziert werden. Das Restrukturieren in seinen verschiedenen Spielarten ist eine wichtige kognitive Operation, die in hohem Maße über den Lernerfolg mitentscheidet. Restrukturieren hat bisher in fremdsprachendidaktischen Überlegungen kaum eine Rolle gespielt; es wird im folgenden als Lernkonzept angesehen, für das der bilinguale Sachfachunterricht besonders gute Rahmenbedingungen bietet. Die stärker in der Nachfolge Piagets stehende konstruktivistisch orientierte Lern- FLuL 26 (1997) 170 Dieter Woljf psychologie hat sich mit vielen von der kognitiven Wissens-, Gedächtnis- und Lernpsychologie vorgestellten Konzepten identifiziert und ihnen weitere hinzugefügt, die in höherem Maße personal, sozial und affektiv bestimmt sind. Von ganz besonderer Bedeutung ist das Postulat, daß Lernen ein selbstbestimmter, autonomer Prozeß ist, der vom Lernenden in eigener Verantwortung gestaltet wird. In der Lernerautonomie wird davon ausgegangen, daß die Auswahl der Lernziele, der Lerninhalte, der Progression, der Lernmethoden und die Bewertung des Gelernten ganz in die Verantwortung des Lernenden zu stellen sind. Verantwortung für das eigene Lernen entwickelt sich immer dann, wenn sich der Lernende mit den Lerninhalten identifizieren kann, wenn sie etwas für ihn bedeuten. In der konstruktivistisch orientierten Lernpsychologie wird auch darauf abgehoben, daß der erfolgreiche Erwerb von Wissen besonders gut in Kleingruppen vonstatten geht. Es wird allerdings darauf verwiesen, daß Kleingruppenarbeit nur dann erfolgreich verläuft, wenn die zu bearbeitenden Aufgaben sinnvoll und für eine Bearbeitung in der Kleingruppe geeignet sind. Außerdem ist zu gewährleisten, daß sowohl die Aufgabenstellung als auch der Bearbeitungsvorgang authentischen Charakter haben. Schließlich betont die konstruktivistisch orientierte Lerntheorie die Bedeutung einer reichen und möglichst authentischen Lernumgebung für jeden Lernvorgang. Dabei geht sie wie die kognitive Lerntheorie davon aus, daß Lernen ein Wissenskonstruktionsprozeß ist, der zu großen Teilen auf dem subjektiven Wissen des Lernenden aufbaut. Diese Postulate sind als Rahmenbedingungen des bilingualen Sachfachunterrichts von großer Bedeutung und werden im folgenden wieder aufgegriffen. 2. Begriffsbestimmungen In diesem Abschnitt sollen die zentralen Begriffe, auf die sich die folgenden Ausführungen beziehen, genauer erläutert werden. 2.1 Bilingualer Sachfachunterricht Am weitesten entwickelt ist der bilinguale Sachfachunterricht in Nordrhein-Westfalen. Deshalb beruht die folgende Skizze vor allem auf den dort entwickelten Konzepten. Bilingualer Sachfachunterricht ist eine Form institutionalisierten Lernens, bei der Sachfächer in einer fremden Sprache unterrichtet werden; sachliches und sprachliches Lernen werden integrativ miteinander verbunden. Der Schwerpunkt des Unterrichts liegt nicht auf der sprachlichen Kompetenz, sondern auf der Verbindung zwischen sprachlicher und fachlicher Kompetenz. Entscheidend ist, daß die fremde Sprache als Unterrichtsmedium verwendet wird, daß sie aber auch zum Inhalt des Unterrichts gemacht werden kann und soll, wenn die Notwendigkeit dafür besteht. In bilingualen Zweigen wird in den Klassen 5 und 6 verstärkt die Fremdsprache unterrichtet, in Nordrhein-Westfalen mit sieben Stunden pro Woche. In den Klassen FLuL 26 (1997) Zur Förderung von Sprachbewußtheit ... im bilingualen Sachfachunterricht 171 7 und 8 wird die Fremdsprache vierstündig und in den Klassen 9 und 10 dreistündig erteilt. Damit entspricht die Stundenverteilung der üblichen Verteilung am Gymnasium. Ab Klasse 7 beginnt der bilinguale Unterricht in den Sachfächern. In den Klassen 7 bis 10 werden in der Regel drei Sachfächer mit jeweils 2 Wochenstunden in der Fremdsprache unterrichtet, pro Schuljahr jedoch nicht mehr als zwei Fächer gleichzeitig. Das zuerst eingeführte bilinguale Sachfach ist meist Erdkunde. In der Klasse 8 folgt Politik und in der Klasse 9 Geschichte. Im Jahr des Einsetzens wird das bilinguale Sachfach um eine Stunde pro Woche verstärkt. Je nach Schule kann in der Klasse 7 auch Biologie in der Fremdsprache unterrichtet werden und schon ab Klasse 6 Musik und/ oder Sport. In der gymnasialen Oberstufe wird die Fremdsprache verpflichtend als Leistungskurs mit sechs Wochenstunden erteilt und wird somit zum Prüfungsfach im Abitur. Zusätzlich muß vom Schüler ein bilinguales Sachfach (Erdkunde oder Geschichte) als Grundkurs mit drei Wochenstunden gewählt werden. Dieses Fach ist dann im Abitur schriftliches oder mündliches Prüfungsfach. Die Stundenverteilung in der gymnasialen Oberstufe entspricht also der Normalverteilung im Gymnasium, mit der Ausnahme, daß in der Jahrgangsstufe 11/ 1 Französisch oder Englisch bereits mit sechs Wochenstunden unterrichtet wird. Im Abiturzeugnis wird die erfolgreiche Teilnahme am bilingualen Unterricht vermerkt. In Deutschland gibt es die sogenannten bilingualen Züge seit der zweiten Hälfte der sechziger Jahre. Die ursprünglich entwickelten Konzepte bezogen sich größtenteils auf deutsch-englische und deutsch-französische bilinguale Zweige an Gymnasien; es wurden viele didaktisch-methodische Ansätze der internationalen und der Europaschulen übernommen. 1969/ 70 wurde das erste deutsch-englische Gymnasium in Essen gegründet. Die Entwicklung der deutsch-französischen Züge wurde begünstigt durch den Freundschaftsvertrag zwischen Frankreich und Deutschland; sie setzte bereits 1963 ein. Während bis 1990 die bilingualen Züge mit Französisch als Fremdsprache überwogen, überflügelten im Schuljahr 1991/ 92 die englischen Züge erstmals die französischen: Es gab 67 deutsch-englische und 52 deutsch-französische Züge in jeweils 9 Bundesländern, daneben 2 deutsch-spanische und 2 deutsch-russische Züge in Berlin und Nordrhein-Westfalen sowie 2 deutsch-italienische und einen deutsch-niederländischen Zug in Nordrhein-Westfalen. Heute gibt es deutsch-französische bilinguale Züge bereits an Gymnasien in acht Bundesländern. Im Saarland existiert eine Gesamtschule und in Rheinland-Pfalz Realschulen, die bilingualen Sachfachunterricht anbieten. Für das Schuljahr 1995/ 96 wird die Zahl der bilingualen Züge in Deutschland auf mehr als 220 geschätzt. Die bisherige Darstellung bezieht sich im wesentlichen auf die administrativen Rahmenbedingungen des bilingualen Sachfachunterrichts und macht noch keine Aussagen zu didaktisch-methodischen Aspekten. Hier ist zweifellos noch der Ist- Zustand vom Soll-Zustand zu trennen. Nur in den wenigsten Fällen entspricht der bilinguale Sachfachunterricht schon jetzt den lernpsychologischen Prämissen, wie sie im ersten Abschnitt vorgestellt wurden. Meist wird der Unterricht nach den etablierten Prinzipien des herkömmlichen Unterrichts durchgeführt: Prozeßorientier- FLuL 26 (1997) 172 Dieter Wolf! tes, selbstverantwortetes Lernen findet nicht statt. Trotzdem ist die Überlegenheit des bilingualen Sachfachunterrichts gegenüber den etablierten Formen des fremdsprachlichen Lernens - und dazu zählt auch der sogenannte „kommunikative Unterricht" inzwischen unbestritten. Nicht nur die Abgänger internationaler Schulen, sondern auch die Absolventen bilingualer Zweige verfügen über fundiertere fremdsprachliche Kenntnisse vor allem in den akademischen Fähigkeiten (Schreiben und Lesen) als die Schülerinnen und Schüler, die den traditionellen fremdsprachlichen Unterricht durchlaufen haben. Wode et al. haben dies bei der Diskussion ihrer Forschungsergebnisse deutlich gemacht (Wode [et al.] 1996: 37). Allerdings sind Wodes Ergebnisse auf Lexis und Grammatik in engerem Sinne beschränkt; Text-, Diskurs- und pragmatische Kompetenz wurden bisher noch nicht empirisch erfaßt. Sicherlich beruht die Überlegenheit des bilingualen Sachfachunterrichts in seiner derzeitigen methodischen Ausrichtung u.a. auf der Tatsache, daß die Lernenden allein dadurch, daß sie der fremden Sprache länger ausgesetzt sind, diese besser lernen als im herkömmlichen Fremdsprachenunterricht. Allerdings reicht dies allein nicht aus, um seine Überlegenheit zu begründen. Leider fehlen bisher umfassende empirische Untersuchungen zur Dauer des Der-fremden-Sprache-ausgesetzt-Seins, die diese Begründung untermauern könnten. Die L2-Forschung hat z.B. den Frequenz-Aspekt nie allgemein, sondern nur im Hinblick auf die Korrelation zwischen der Frequenz bestimmter ltems im Lerner-Input und in der Lernersprache untersucht. Und in den Vergleichen, die im Hinblick auf "frequency of exposure" zwischen sogenannten Immersionsklassen und Lernergruppen, die herkömmlichem Fremdsprachenunterricht ausgesetzt waren, durchgeführt wurden (vgl. die Untersuchung von Genesee, Tucker und Lambert 1975), konnte nicht schlüssig nachgewiesen werden, daß Immersionsklassen allein aufgrund der höheren "frequency of exposure" den traditionell geführten Klassen in ihren Lernfortschritten überlegen waren. "Exposure" reicht offensichtlich als einzige Begründung für einen effizienteren Fremdsprachenunterricht im Rahmen des bilingualen Sachfachunterrichts nicht aus. Wenn sich die Vertreter des bilingualen Sachfachunterrichts in stärkerem Maße dazu entscheiden können, auch die oben vorgestellten neuen lernpsychologischen und didaktischen Konzepte in eine in sich geschlossene Didaktik des bilingualen Sachfachunterrichts einzubringen und damit das herzustellen, was oben als der Soll- Zustand bezeichnet wurde, dann wird sich diese Form des Unterrichts als noch effizienter und anderen Formen noch überlegenere Form des Sprachlernens erweisen. Dies wird bei den allerdings noch weitgehend theoretischen - Überlegungen im dritten und vierten Abschnitt deutlich werden. 2.2 Sprachbewußtheit Sprachbewußtheit ist ein didaktisches Konzept, das aus der englischen Didaktik stammt. Language awareness (Sprachbewußtheit) wird dort seit Beginn der achtziger Jahre als im Muttersprachenunterricht zu fördernde Fähigkeit diskutiert und hat dann auch Eingang in die fremdsprachendidaktische Diskussion gefunden. Im Mit- FLuL 26 ( 1997) Zur Förderung von Sprachbewußtheit ... im bilingualen Sachfachunterricht 173 telpunkt der Awareness-Diskussion steht die Überlegung, daß durch die Bewußtmachung von Sprache, ihrer Strukturen und Funktionen, das Sprachvermögen gefördert wird. Dies gilt sowohl für die Muttersprache wie auch für Fremdsprachen. Jeder Mensch verfügt über sehr viel intuitives Wissen über seine Muttersprache. Nach Clark (1978) ist dieses Wissen schon bei Kindern erkennbar. Indikatoren wie spontane grammatische, lexikalische und phonetische Korrekturen, Fragen nach den richtigen Wörtern, der richtigen Aussprache und dem richtigen Stil für eine eigene Äußerung, das Segmentieren von Sprache, die Bewertung sprachlicher Strukturen und Funktionen deuten darauf hin, daß Menschen über Sprache reflektieren und im Laufe ihrer sprachlichen Entwicklung Wissen über Sprache aufbauen. Dieses Wissen, das nicht bewußt verfügbar ist, muß nach Auffassung der Vertreter der Awareness-Bewegung auf eine höhere Stufe von Bewußtheit gehoben werden. Außerdem muß gewährleistet werden, daß die Fähigkeit, Sprache bewußt zu reflektieren, gefördert wird. Dies geschieht durch die Fokussierung auf sogenannte sprachreflektorische Strategien, die zum Strategienarsenal des lernenden Menschen gehören. Sowohl in der Didaktik wie in der Spracherwerbspsychologie gibt es eine Reihe von Versuchen, Sprachbewußtheit als Konzept zu definieren. Am klarsten ist die Definition von Donmall (1985: 7), die Sprachbewußtheit als "a person's sensitivity to and conscious perception of the nature of language and its role in human life" versteht, aber auch verdeutlicht, daß sich dahinter viele verschiedene Teilkompetenzen verbergen, die im weitesten Sinne kognitiven, affektiven und sozialen Parametern zugeordnet werden können. Ähnlich ist die Definition von Pratt/ Grieve (1984: 2), die unter Sprachbewußtheit "the ability to think about and reflect upon the nature and functions of language" verstehen. Bialystok (1986) hat ihren Untersuchungen zur Sprachbewußtheit bei bilingualen und monolingualen Kindern anders geschnittene Parameter zugrunde gelegt. Sie unterscheidet zwischen 'analysis of linguistic knowledge' und 'control of linguistic processing', wobei ersteres die Fähigkeit ist, linguistische Strukturen und Regeln aus sprachlichen Daten ableiten zu können, letzteres die Fähigkeit, bewußt auf die Sprachverarbeitung fokussieren zu können. Didaktische Sprachbewußtheitskonzepte heben vor allem auf die Möglichkeiten der Förderung von Sprachbewußtheit ab. In allen Überlegungen wird deutlich, daß die Förderung von Sprachbewußtheit nicht mit traditionellem Grammatikunterricht gleichgesetzt werden darf. Sprachbewußtheit kann nur unter Rahmenbedingungen gefördert werden, die sich durch Handlungsorientierung, Problemorientierung und Eigentätigkeit der Lernenden charakterisieren lassen. Diese Rahmenbedingungen sind im traditionellen Fremdsprachenunterricht aber nicht gegeben, und deshalb spielt die Förderung von Sprachbewußtheit dort auch noch kaum eine Rolle. Sprachbewußtheit ist im Ansatz der Lernerautonomie wichtig, auf den hier nicht eingegangen werden kann (vgl. aber Wolff 1994). In Nordrhein-Westfalen ersetzt die Förderung von Sprachbewußtheit im sogenannten Begegnungssprachenkonzept den Frühbeginn des Fremdsprachenunterrichts, so wie er in einigen anderen Bundesländern eingeführt wurde. Das Begegnungssprachenkonzept versucht über das FLuL 26 (1997) 174 Dieter Wo/ ff Prinzip der Kontrastivität schon bei Grundschulkindern ein Gespür für die Verschiedenartigkeit, aber auch die Gleichheit von Sprachen zu entwickeln und auf diese Weise das Sprachlernvermögen in frühem Alter zu fördern. Sprachbegegnung wird ermöglicht durch das große Potential an verschiedenen Sprachen im Grundschulklassenzimmer (vgl. auch Thürmann 1991: 182-187). 2.3 Sprachlernbewußtheit Mit dem Konzept der Sprachbewußtheit verbindet sich das der Sprachlembewußtheit, das in der Literatur meist unter der Formel „Lernen lernen" behandelt wird. Das Interesse an diesem Konzept hat sich aus der Diskussion um die Lernstrategien in der Zweitsprachenerwerbsforschung und aus den Mitte der achtziger Jahre einsetzenden Überlegungen zu Lern- und Arbeitstechniken entwickelt. Dazu kam, daß, wie oben ausgeführt, die kognitiven Wissenschaften die Bedeutung des strategischen oder prozeduralen Wissens stark in den Vordergrund rückten. Die Zweitsprachenerwerbsforschung hat schon seit geraumer Zeit auf die Bedeutung der sogenannten Lernerstrategien für das Sprachenlernen hingewiesen. Neben den Lernstrategien, die auf den Erwerb von sprachlichem Wissen ausgerichtet sind, unterscheidet sie kommunikative Strategien, die der lernerseitigen Gestaltung des zweitsprachlichen Diskurses dienen, und soziale Strategien, die den L2-Ll-Diskurs möglich machen. Später nachdem in der Spracherwerbspsychologie die Erkenntnisse der sprachlichen Verstehens- und der Sprachproduktionsforschung rezipiert worden waren wurden dem Strategienarsenal Verarbeitungsstrategien (processing strategies) und auch sprachreflektorische Strategien hinzugefügt (vgl. z.B. Wolff 1993, 1995). Die Strategien, mit Hilfe derer der Lernende sein Sprachlernen steuert, gehören dem prozeduralen Wissen an. Auf das Lernen bezogene Techniken, die sich zum großen Teil aus dem strategischen Wissen des Lernenden ableiten lassen, spielen im traditionellen Fremdsprachenunterricht nur eine geringe Rolle. Auf ihre Bedeutung haben vor allem Ellis/ Sinclair (1989) hingewiesen, die die Notwendigkeit der Techniken des „Lernen lernen" in den Vordergrund rückten. Die Beherrschung solcher Techniken, so deuten sie an, fördert die Sprachlernbewußtheit, die für den Erwerb einer Fremdsprache notwendig ist. Für die weiteren Überlegungen soll noch einmal betont werden, daß durch die Entwicklung von Sprachbewußtheit und Sprachlernbewußtheit fremdsprachliche Lernprozesse entscheidend beeinflußt werden können. Sprachbewußtheit und Sprachlernbewußtheit werden vor allem durch die Bewußtmachung der Strategien gefördert, die ihrer Herausbildung zugrunde liegt. Die Frage, wie diese Bewußtrnachung im Unterricht erfolgen soll, ist aber immer noch eine offene Frage. Der bilinguale Sachfachunterricht bietet wahrscheinlich bessere Bedingungen, um dieses Problem zu lösen. FLuL 26 (! 997) Zur Förderung von Sprachbewußtheit ... im bilingualen Sachfachunterricht 175 3. Neue didaktische Konzepte des institutionalisierten Lernens und bilingualer Sachfachunterricht Pädagogik, allgemeine Didaktik und auch die Fremdsprachendidaktik haben in den letzten Jahren eine Vielzahl der von der Wissens- und Lernpsychologie gegebenen Impulse aufgenommen und sie in neue didaktische Konzepte des institutionalisierten Lernens umgesetzt. Im folgenden soll auf einige der neuen didaktischen Konzepte etwas genauer eingegangen und gleichzeitig der bilinguale Sachfachunterricht dahingehend überprüft werden, welche Bedingungen zur Verwirklichung dieser Konzepte er bereitstellt. Dabei muß zunächst noch einmal explizit daran erinnert werden, daß das hier vertretene Konzept des bilingualen Sachfachunterrichts sich grundlegend von anderen Formen des bilingualen Lernens unterscheidet, wie sie etwa in den USA ("content-based language instruction") und zum Teil auch noch in Deutschland vertreten werden. Es ist bereits darauf verwiesen worden, daß viele der neuen lernpsychologischen Konzepte noch nicht im bilingualen Sachfachunterricht verwirklicht werden, insbesondere die Prozeßorientierung und das selbstverantwortete Lernen, die vor allem in einem durch Gruppenarbeit getragenen Projektunterricht zu realisieren sind. Bei diesen allgemeinen Überlegungen wird auf die im ersten Abschnitt gemachten Grundaussagen zum Lernen zurückgegriffen, Sprachbewußtheit und Sprachlernbewußtheit werden aber zunächst ausgeklammert. Das Restrukturieren von Wissen als lernpsychologisches Konzept wurde bisher kaum in der Didaktik diskutiert. Das Einbringen der verschiedenen für das Lernen wichtigen Prozesse (Generalisieren, Löschen, Modifizieren) wurde dem Lerner selbst überlassen. Gerade für das fremdsprachliche Lernen, bei dem Restrukturieren ein sehr komplexer Prozeß ist (vgl. z.B. das 'backsliding', das z.B. von Lightbown (1985) beobachtet wurde), gibt es bisher hierzu keine Überlegungen. Vor dem Hintergrund der bisherigen Darstellung kann aber mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, daß die für das Lernen unerläßlichen Restrukturierungsprozesse besser im bilingualen Sachfachunterricht eingeleitet und gefördert werden können als im herkömmlichen Unterricht. Dafür lassen sich die folgenden Gründe anführen: • Viele Fächer, die für den bilingualen Unterricht als Sachfächer ausgewählt werden, benutzen in hohem Maße tabellarische und graphische Verfahren der Darstellung komplexer Sachverhalte, die den Sachverhalt klar und einsichtig beschreiben. Solche Verfahren tragen dazu bei, daß Inhalte besser behalten werden können. Eine graphisch oder visuell unterstützte strukturierte Darstellung trägt auch dazu bei, daß die den Sachverhalt bezeichnenden sprachlichen Begriffe gut behalten werden. • Die im Sachfachunterricht benutzten tabellarischen und graphischen Verfahren der Darstellung können auch als Modelle für die Darstellung komplexer sprachlicher Phänomene benutzt werden. Zwar benutzen die gängigen Lehrwerke solche Verfahren insbesondere für den Grammatikunterricht schon seit geraumer Zeit, FLuL 26 (] 997) 176 Dieter Wolff aber erst durch die Verknüpfung mit den Darstellungsverfahren des Sachfachs wird das sprachliche Darstellungsverfahren wirklich transparent. Der Lernende gewinnt bei der Übertragung auf die Sprache beispielhaft Möglichkeiten für eine Strukturierung des zu lernenden Sprachwissens. Die Integration von Sachfach- und Sprachunterricht verbessert das Restrukturierungsvermögen. Die konstruktivistisch orientierte Lernpsychologie mißt wie oben dargestellt der Authentizität und Komplexität von Lerninhalten große Bedeutung bei. Die Begründung, der Lernende habe dadurch eine größere Chance, sein subjektives Wissen einzubringen, leuchtet ein. Die Authentizität der Lerninhalte hat in der Fremdsprachendidaktik schon in der Frühzeit des kommunikativen Ansatzes zu lebhaften Diskussionen geführt, die keine zufriedenstellende Lösung gebracht haben. Authentische Texte werden hier als Texte verstanden, die nicht mit dem alleinigen Ziel der Vermittlung einer fremden Sprache (Progression) verfaßt wurden und reale oder fiktive Wirklichkeit repräsentieren. Authentische Texte sind nicht nur Zeitungstexte oder literarische Texte, es sind durchaus auch Lehrwerk- und Sachtexte jeder Art. Wichtig ist im Kontext der Authentizität der Materialien beim fremdsprachlichen Lernen, daß reale Wirklichkeit nicht zu pseudorealer und fiktive Wirklichkeit nicht zu pseudofiktiver Wirklichkeit gemacht wird. Denn nur wenn dem Lernenden klar ist, daß er sich auf eine reale oder auf eine fiktive Wirklichkeit einläßt, ist er bereit, sich zu involvieren und sich mit dem Lerninhalt zu identifizieren. Die Lerninhalte des Sachfachs haben einen höheren Grad an Realität als die pseudorealen Inhalte, mit welchen im Fremdsprachenunterricht gemeinhin operiert wird. Außerdem sind die Inhalte des Sachfachs reicher und vielfältiger als die Inhalte des traditionellen Fremdsprachenunterrichts. Diese Hypothese kann durch die folgenden Begründungen gestützt werden: • Die Lerninhalte der meisten Sachfächer sind Realien, d.h. Fakten oder Prozesse der realen Lebenswirklichkeit. Diese Lerninhalte sind für den Lernenden weil er mit ihnen auch in der Lebenswirklichkeit in Berührung kommt relevanter als die pseudorealen Inhalte des fremdsprachlichen Klassenzimmers, deren Relevanz den Lernenden häufig verborgen bleibt. • Die Lerninhalte der meisten Sachfächer sind aus sprachlicher Sicht durch einen hohen Grad an Fachsprachlichkeit charakterisiert. Fachsprachliche Elemente sind in höherem Maße eindeutig als gemeinsprachliche Elemente, die sich durch einen hohen Grad an Vagheit auszeichnen, vor allem wenn sie in Kontexten eingebracht werden, die dem Lernenden nicht relevant erscheinen. • Im derzeitigen Fremdsprachenunterricht werden die eigentlichen Lerninhalte hinter pseudorealen Lerninhalten versteckt, mit denen sich auseinanderzusetzen der Lernende schon deshalb nicht motiviert ist, weil er die didaktische Absicht hinter diesen Inhalten erkennt, die ja nicht auf den Erwerb der Inhalte, sondern auf den Erwerb der Sprache gerichtet ist. • Im Gegensatz zu den Inhalten des derzeitigen Fremdsprachenunterrichts sind die Inhalte des Sachfachs durch wissenschaftspropädeutische Merkmale gekenn- FLuL 26 (1997) Zur Förderung von Sprachbewußtheit ... im bilingualen Sachfachunterricht 177 zeichnet. Inhalte von Wissenschaften sind, selbst wenn sie auf eine propädeutische Ebene heruntergefahren werden, reicher und komplexer als die Inhalte der pseudorealen Wirklichkeit des traditionellen Unterrichts. Damit entsprechen sie in stärkerem Maße der Forderung der kognitiven Lernpsychologie nach komplexen Lerninhalten, die dem Lernenden helfen können, sein Vorwissen in den Lernprozeß einzubringen. Bleibt in diesem Zusammenhang ein weiteres lernpsychologisches Postulat, die Bereitstellung einer reichen und authentischen Lernumgebung. Die Bedeutung dieses Postulats, das auf Humboldt zurückgeht, sollte nicht unterschätzt werden. Reiche Lernumgebungen werden im Unterricht schon seit geraumer Zeit weitgehend durch Medien geschaffen. Dies gilt für den Fremdsprachenunterricht wie für andere Unterrichtsfächer. Auch die von den Verlagen bereitgestellten Unterrichtsmaterialien tragen zu einer Bereicherung der Lernumgebung bei. Die Authentizität der Lernumgebung wird sicherlich in den nächsten Jahren durch eine stärkere Einbeziehung der neuen Technologien erweitert werden können. Im bilingualen Sachfachunterricht ist auch die Lernumgebung reicher und authentischer als im traditionellen Unterricht; die folgenden Gründe sprechen für diese Hypothese: • Die Inhalte des bilingualen Sachfachunterrichts sind in eine Lernumgebung eingebettet, die gerade in einer wissens- und wissenschaftsorientierten Welt authentischer ist als der Lernkontext des traditionellen Fremdsprachenunterrichts, der sich meist auf den Klassenzimmerkontext beschränkt. Damit soll nicht ausgesagt werden, daß der Fremdsprachenunterricht nicht auch in reichere Lernumgebungen eingebettet werden könnte, wenn er sich alle bestehenden Möglichkeiten zunutze macht. Im bilingualen Unterricht ist die reiche Lernumgebung jedoch schon qua Sachfach in höherem Maße gegeben. An die Authentizität der Unterrichtsmaterialien bindet sich im Fremdsprachenunterricht die Authentizität der Interaktion an. Auch dieses Konzept erfordert, da es häufig mißverstanden wird, eine präzise Definition. Eine authentische Interaktion ist eine sinnhafte Interaktion. Sie ist möglich mit Muttersprachlern der fremden Sprache, aber auch mit dem Lehrer und den Mitschülern. Entscheidend ist, daß über etwas kommuniziert wird, was relevant ist. Und kommunizieren bedeutet natürlich nicht nur Sprechen und/ oder Zuhören, sondern auch Schreiben und Lesen. Damit eine Kommunikation authentisch wird, muß sie im Sinn der Griceschen Maximen für alle Beteiligten relevant sein. Wenn pseudoreale oder pseudofiktive Inhalte zum Gegenstand der Kommunikation gemacht werden, dann ist sie nicht mehr authentisch. Es ist sinnvoller, im Fremdsprachenunterricht in der fremden Sprache über das Lernen von Vokabeln zu sprechen als über den Stadtplan einer fiktiven Stadt. Interaktion über die realen Lerninhalte des Sachfachs ist authentischer und damit auch sprachlernfördernder als die Interaktion über die normalerweise pseudorealen FLuL 26 (1997) 178 Dieter Wolf! Inhalte des Fremdsprachenunterrichts. Die folgenden Gründe sprechen für diese Überlegung: • Der forschende Umgang mit realen Lerngegenständen, die Interaktion über selbständig gewonnene Erkenntnisse ist authentischer als die simulierte Interaktion im traditionellen Klassenzimmer. • Das Schreiben und Lesen von Texten zu Inhalten des Sachfachs gewinnt einen authentischeren Charakter als die Textarbeit im traditionellen Klassenzimmer. Texte werden letztendlich nicht um der Texte willen verarbeitet, sondern um Inhalte des Sachfaches zu erfassen oder darzustellen. Das gemeinsame Arbeiten an Sprache, z.B. in der Wortschatzarbeit, ist nicht Selbstzweck, sondern wird veranstaltet, um ein Sachfachproblem zu lösen. Gruppenarbeit als effiziente Sozialform des Unterrichts ist in der Pädagogik, in der allgemeinen Didaktik und auch in den Fachdidaktiken schon seit langer Zeit unumstritten. Allerdings hat sie sich im konkreten Unterrichtsgeschehen bisher kaum durchgesetzt. Hier wird eher auf den Frontalunterricht gesetzt; Gruppenarbeit wird nur von progressiven Lehrern praktiziert. Dieser Zustand läßt sich vor allem damit erklären, daß Gruppenarbeit nicht in das Gefüge des traditionellen Unterrichts hineinpaßt. Im herkömmlichen Fremdsprachenunterricht z.B. läßt sich Gruppenarbeit als Sozialform nur schlecht begründen, das traditionelle Klassenzimmer erzwingt Gruppenarbeit als Arbeitsform nicht. Schule ist eine Form von Lebenswirklichkeit. Das Klassenzimmer sollte kein Ort sein, an dem gefiltertes „Schulwissen" vermittelt wird, es muß wirkliches „Weltwissen" sein, das erworben wird; die Dichotomie zwischen Schule und Wirklichkeit muß sich auflösen. Gruppenarbeit, Teamarbeit, Projektarbeit sind Formen der Zusammenarbeit, die in der Lebenswirklichkeit notwendig sind. Teamarbeit sollte aber in der Schule nicht nur erprobt, d.h. simuliert werden, sie sollte zum grundlegenden Arbeitsprinzip gemacht werden. Deshalb ist es so dringend erforderlich, daß das lemtheoretische Grundpostulat der Kooperation in der Gruppenarbeit auch in der Schule realisiert wird. Im bilingualen Sachfachunterricht sind die Sozialform der Gruppenarbeit und die Arbeitsform der Projektarbeit in höherem Maße authentisch als im traditionellen Klassenzimmer. Als Bestätigung für diese Hypothese soll vor allem der folgende Grund genannt werden: • Modeme Formen des Sachfachunterrichts, die wissenschaftspropädeutisch orientiert sind und in denen experimentierend und explorierend wissenschaftsfokussiert gearbeitet wird, bieten bessere Rahmenbedingungen für Gruppenarbeit als traditionelle Formen des Lernens. Wissenschaftspropädeutisches Arbeiten ist wie wissenschaftliches Arbeiten Teamarbeit und erzwingt daher die Sozialform der Gruppenarbeit. FLuL 26 (1997) Zur Förderung von Sprachbewußtheit ... im bilingualen Sachfachunterricht 179 4. Zur Förderung von Sprachbewußtheit und Sprachlernbewußtheit im Rahmen des bilingualen Sachfachunterrichts Es sollte aus dem allgemeinen Überblick im vorausgegangenen Abschnitt deutlich geworden sein, daß es die Rahmenbedingungen des bilingualen Sachfachunterrichts in höherem Maße ermöglichen, den empirisch abgesicherten Postulaten der kognitiven Wissenschaften gerecht zu werden, als im herkömmlichen Fremdsprachenunterricht. Es stellt sich abschließend die Frage, ob der bilinguale Sachfachunterricht auch geeignete Rahmenbedingungen zur Förderung von Sprachbewußtheit und Sprachlernbewußtheit bietet. 4.1 Zur Förderung von Sprachbewußtheit im bilingualen Sachfachunterricht Bei der Definition des Begriffs Sprachbewußtheit wurde schon darauf verwiesen, daß die Entwicklung dieser Fähigkeit nicht direkt, d.h. durch konkrete Vermittlung metasprachlicher Konzepte angegangen werden kann. Denn daran scheitert der Grammatikunterricht ja häufig. Dieser deklarative Ansatz der Bereitstellung von Kategorien und Regeln durch den Lehrer ist im Verlauf des letzten Jahrzehnts in immer stärkerem Maße in einen prozeduralen Ansatz der Herausbildung von Strategien zur eigenständigen Beschreibung komplexer sprachlicher Sachverhalte überführt worden. Durch die Bereitstellung von Lern- und Arbeitstechniken soll der Lernende in die Lage versetzt werden, sich die Komplexität der fremden Sprache selbst zu erarbeiten und sich ihrer bewußt zu werden. Die explizite Fokussierung auf Lern- und Arbeitstechniken im Unterricht soll dazu beitragen, daß der Lernende den Lernprozeß effizienter gestalten kann und Sprachbewußtheit entwickelt. Die Vermittlung von Lern- und Arbeitstechniken wird in immer stärkerem Maße als eine zentrale Aufgabe im Unterricht verstanden; es gibt allerdings unterschiedliche Auffassungen darüber, wie sie am besten in den Unterricht einbezogen werden können. Sie reichen vom expliziten Lernertraining bis hin zu eher auf das 'learning by doing' ausgerichteten Ansätzen. Obwohl Lern- und Arbeitstechniken inzwischen auch Eingang in die fremdsprachlichen Lehrwerke gefunden haben, spielen sie im konkreten Unterricht bisher nur eine untergeordnete Rolle. Der bilinguale Sachfachunterricht bietet zweifellos bessere Rahmenbedingungen für die Einführung von und für die Arbeit mit Lern- und Arbeitstechniken als der herkömmliche Fremdsprachenunterricht; die folgenden Argumente sollen diese Aussage untermauern: • Im nur sprachbezogenen Fremdsprachenunterricht müssen Lern- und Arbeitstechniken sofort auf den komplexen Lerngegenstand Sprache bezogen werden. Dies kann dazu führen, daß der Lernende die Authentizität der Lerntechnik nicht nachvollziehen kann bzw. ihm seine Relevanz nicht geläufig wird. Damit soll nicht gesagt werden, daß es unmöglich ist, Lern- und Arbeitstechniken in den herkömmlichen Unterricht einzubringen; es ist aber sicherlich einfacher, die Nutzung von Techniken an Realien zu erfahren und zu erproben. FLuL 26 (1997) 180 Dieter Wolff • Lern- und Arbeitstechniken werden in vielen Sachfächern, die auch in der fremden Sprache unterrichtet werden als Beispiele seien Geographie, Geschichte, Sozialkunde genannt intensiv genutzt. Im Geographieunterricht werden z.B. Techniken wie das Lesen und Interpretieren von Diagrammen, von Karten und von Tabellen schon früh eingesetzt. Sachfacharbeit erzwingt den konkreten Einsatz von Lern- und Arbeitstechniken. Dieses Unterrichtskonzept kann dem Lernenden deshalb in einem kombinierten Sachfach- und Sprachunterricht besonders schnell und einsichtig vermittelt werden. • Lern- und Arbeitstechniken werden für den Lernenden durch die konkrete Arbeit im Sachfach leichter transparent. Er erkennt, daß sie häufig in unveränderter Form auch bei der Arbeit mit der fremden Sprache eingebracht werden können. Er kann z.B. einfache Prozeduren des Klassifizierens von Informationsitems nach Gleichheit oder Verschiedenheit auf sprachliche Phänomene übertragen. Er erkennt die Bedeutung von Techniken des 'skimming' oder 'scanning' bei der Arbeit mit Sachfachtexten und überträgt sie auf andere Texte. Er lernt, anhand von Sachfachtexten Schlußfolgerungen aus Daten und Informationen zu ziehen, eine Technik, die er auch bei der Spracharbeit einbringen kann. Das Grundprinzip des bilingualen Sachfachunterrichts das Vergleichen und Kontrastieren kann auf der Achse Sachfach ~ Sprache besonders gut eingebracht werden. • Die methodische Parallelisierung der Nutzung von Lern- und Arbeitstechniken im Sachfach und in der Sprache führt dazu, daß der Lernende das Konzept der Lern- und Arbeitstechnik als ein für jeden Lernprozeß generell relevantes Lernkonzept begreift. Dies ergibt sich insbesondere auch aus der Tatsache, daß Lern- und Arbeitstechniken, wenn sie vom Sachfach her eingebracht werden, für den Lernenden als wirklich authentisch verstanden werden. Das gleichzeitige Arbeiten mit den Realien des Sachfachs und den Daten der Fremdsprache auf der Grundlage identischer bzw. ähnlicher Techniken führt dazu, daß die Lernenden sich nicht nur bewußtes Wissen über das Sachfach, sondern auch über die zu lernende Sprache erwerben. Die Entwicklung von Sprachbewußtheit vollzieht sich parallel zur Herausbildung von Wissen über das Sachfach in einem authentischen wissenspropädeutischen Kontext. 4.2 Zur Förderung von Sprachlernbewußtheit im bilingualen Sachfachunterricht Auch das Konzept der Sprachlernbewußtheit oder des „Lernen lernen", das vor allem durch die Erkenntnis der konstruktivistischen Lernpsychologie, daß das Lernen ein autonomer Prozeß ist, abgesichert wird, ist ein prozedural orientiertes Konzept. Es wird davon ausgegangen, daß sich der Prozeß des Lernens dadurch verbessert, daß er explizit thematisiert wird. Es geht also um das Bewußtmachen metakognitiver Prozesse im Unterricht. Die Entwicklung der Fähigkeit, die eigenen Lernprozesse zu erkennen, zu bewerten und zu verbessern, macht den Lernenden selbständiger, d.h. autonomer. "Lernen lernen" spielt im konkreten Unterrichtsge- FLuL 26 (1997) Zur Förderung von Sprachbewußtheit ... im bilingualen Sachfachunterricht 181 schehen bisher nur eine untergeordnete Rolle. Viele Lehrer lehnen die Beschäftigung mit metakognitiven Prozessen im Unterricht ab, weil sie der Meinung sind, dies sei keine genuine Aufgabe des jeweiligen Fachlehrers, sondern käme eher grundlegenden Fächern, z.B. dem Fach Deutsch, zu. Der bilinguale Sachfachunterricht bietet bessere Rahmenbedingungen für das Bewußtmachen der eigenen Lernprozesse "Lernen lernen") als der herkömmliche Fremdsprachenunterricht. Hierfür sollen zwei· Argumente genannt werden: • Das „Lernen lernen" läßt sich besser am Lernen von Realien nachvollziehen als an der Komplexität sprachlicher Lernprozesse. Es ist für den Lernenden einfacher, Lernprozesse zu beschreiben und zu generalisieren, die ihn zum Verstehen und Speichern geographischer Fakten und Prozesse geführt haben, als dies für das sprachliche Lernen der Fall ist. Die Schwierigkeiten im sprachlichen Bereich werden vor allem durch den holistischen Charakter von Sprache hervorgerufen. • Das „Lernen lernen" muß in Kontexten erfahren werden, in welchen die Lernenden gemeinsam an einer Lernaufgabe arbeiten, die authentischen Charakter hat. Ein solcher Kontext läßt sich zwar auch in einem nicht sachfachbezogenen Fremdsprachenunterricht aufbauen, er ist aber im bilingualen Sachfachunterricht einfacher zu gestalten. Das gemeinsame Arbeiten in der Kleingruppe, das Thematisieren von Lernproblemen, die sachfach- oder sprachbezogen sein können, das „Einander-Aufmerksam-Machen" auf unterschiedliche Lösungswege führt im Sinne einer retrospektiven Verbalisierung und des „Gruppenöffentlich-Machens" zur Bewußtmachung individueller Lernprozesse und damit zu Sprachlernbewußtheit. Auch bei der Herausbildung von Sprachlernbewußtheit ist es also die sich im Sachfachunterricht bietende Möglichkeit der Konkretisierung komplexer Prozesse des Lernens auf der Sachfachebene und die sich daraus ergebende Übertragung auf die Sprachebene, die den bilingualen Sachfachunterricht als Förderungskontext besonders attraktiv erscheinen läßt. Gleichzeitig spielt der auf Gruppen- und Projektarbeit ausgerichtete Arbeitskontext des bilingualen Sachfachunterrichts hier wie auch bei der Förderung von Lern- und Arbeitstechniken eine ganz wichtige Rolle. 5. Schlußbemerkung Mit dem vorliegenden Beitrag wurde die Absicht verfolgt, den bilingualen Sachfachunterricht als eine Form von Unterricht vorzustellen, dessen Rahmenbedingungen es möglich machen, neue lernpsychologische und didaktische Konzepte zu realisieren, derep. Bedeutung für den Unterricht, aber auch für den Fremdsprachenunterricht imme'i: mehr in den Vordergrund rückt. In höherem Maße als im traditionellen Fremdsprachenunterricht können im bilingualen Sachfachunterricht authentische Lerninhalte und reiche und authentische Lernumgebungen bereitgestellt, aber auch Möglichkeiten für authentische Interaktion eingebracht werden. Von besonde- FLuL 26 (1997) 182 Dieter Wolff rer Bedeutung erscheint aber vor allem, daß Sprachbewußtheit und Sprachlernbewußtheit über die Förderung von Lern- und Arbeitstechniken besser aufgebaut werden können. Es sind die Grundkonzepte dieser Form von Unterricht, die Integration von Sachfach und Sprache und das Vergleichen und Kontrastieren, die diese Möglichkeiten eröffnen und damit das Fremdsprachenlernen effizienter machen. Welche Konsequenzen ergeben sich aus diesen Überlegungen für das Unterrichten allgemein und das Unterrichten von Fremdsprachen im besonderen? Es sind vor allem zwei: (1) Die neuen lernpsychologischen Konzepte, die im ersten Abschnitt beschrieben wurden, müssen in verstärktem Maße in Schule und Hochschule eingebracht werden. (2) Nicht nur in der Schule, sondern auch in der Hochschule sollten in stärkerem Maße sachbezogene Inhalte in einer Fremdsprache vermittelt werden. In der Hochschule sollte dies nicht nur für die Philologien gelten, sondern auch für andere Disziplinen, für die im Kontext von Europäisierung und Globalisierung Sprachkenntnisse erforderlich sind. Bibliographische Angaben BAKER, Colin (1993): Foundations of Bilingual Education and Bilingualism. 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