eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 26/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
1997
261 Gnutzmann Küster Schramm

Franz PÖCHHACKER: Simultandolmetschen als komplexes Handeln

121
1997
Bernd Stefanink
Franz PÖCHHACKER: Simultandolmetschen als komplexes Handeln. Tübingen: Narr 1994 (Language in Performance; 10), XII + 206 Seiten [DM 78,-]
flul2610239
Buchbesprechungen • Rezensionsartikel Jean-Antoine CARA V0LAS: La didactique des langues. Precis d'histoire / : 1450-1700 [und] La didactique des langues. Anthologie I. Ä. l'ombre de Quintilien. Tübingen: Narr & Montreal: Presses de l'Universite de Montreal 1994 (Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik), xxvi + 432 Seiten, xxv + 274 Seiten [DM 78,- und DM 58,-]. Hinweis: Meine bereits für Jg. 25 (1996) angekündigte und für den Abdruck an dieser Stelle vorgesehene Besprechung mußte aus Platzgründen erneut zurückgestellt werden. Sie wird nunmehr als Review-Article in der Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 9.2 (1998) erscheinen. Wir bitten unsere Leser/ -innen um Verständnis. [E.Z.] Franz PöCHHACKER: Simultandolmetschen als komplexes Handeln. Tübingen: Narr 1994 (Language in Performance; 10), XII + 306 Seiten [DM 78,-] Vielfach wird die Auffassung vertreten, es handele sich beim Simultandolmetschen auf Konferenzen um ein nahezu mechanisches Umsetzen (Transkodieren) sprachlicher Elemente. Diese oberflächliche und verkürzte Auffassung von Konferenzdolmetschen [künftig: KD] kann sich negativ auf das Translatsprodukt auswirken, wenn sie von den am Übersetzungsprozeß Beteiligten geteilt wird. Bei letzteren handelt es sich nicht lediglich um die Dolmetscher selbst; faßt man Translation als „zweck- und zielbezogenes Gefüge in übergeordneten Gefügen" (37) im Sinne von Holz-Mänttäri auf, so sind am Übersetzungsprozeß darüber hinaus beteiligt: der Translationsinitiator, der den Text braucht, der „Auftraggeber", der den Text bestellt und den Auftrag formuliert, der „Ausgangstextredner", der den Ausgangstext produziert, der „Ausgangstext- Zuhörer" und der „Zieltext-Zuhörer". Sie sind alle Interaktionspartner, die für das „Glücken" der Dolmetschung mitverantwortlich sind. F.P. untersucht, inwieweit diese verschiedenen Interaktanten auf den Dolmetschprozeß Einfluß nehmen. Letzterer beginnt nämlich nicht mit der Arbeit in der Kabine, sondern bereits beim Aushandeln des Auftrags. So hängt z.B. viel davon ab, ob dem Dolmetscher beim Dolmetschen der Textsorte „Wissenschaftlicher Vortrag" mit hoher Informationsdensität, der außerdem vom Blatt gelesen wird, das Manuskript zur Verfügung steht. Bei der Dolmetschung eines multimedialen Textes muß gewährleistet sein, daß der Dolmetscher von seiner Kabine aus Einblick in einen eventuellen per Overhead-Projektor projizierten Text haben kann. In der von ihm durchgeführten Fallstudie stellt F.P. eine „suboptimale Kooperation seitens einzelner Redner" fest sowie eine „mangelnde Rücksichtnahme auf die Dolmetscher auch in der oft schlechten Disziplin bei der Mikrophonverwendung" (233). Bis hin zu „Störungen der Konzentration durch wenig subtil agierende Konferenzhostessen, durch Bedienungspersonal oder auch durch Kollegen" (192) führt F.P. die verschiedensten Einflüsse auf, denen die Textproduktion im lnteraktionsraum "Konferenzsaal" unterliegt. Neben diesen äußeren Faktoren untersucht F.P., inwieweit die allgemeine Translationstheorie (ATT) auf das KD anwendbar ist. Als Grundlage dienen ihm dabei in erster Linie die Überlegungen von ReißNermeer. Besonders klärungsbedürftig erscheinen ihm die Begriffe „Skopos", „Kultur" und „Kohärenz", welche ihrerseits engstens mit dem „Wissenschaftsbegriff' verbunden sind. Der von ReißNermeer eingeführte Skoposbegriff erscheint ihm durch den „vagen Adressatenbezug" (61) "allzu dehnbar" (241), ein „Gummimaßband" (61). Im Rahmen der vorliegenden FLuL 26 (1997) 240 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel Arbeit beschränkt er ihn deshalb auf das „Auftragsbewußtsein des Translators" (241). Was den in der Skopostheorie so zentralen Begriff „Kultur" angeht, so scheint ihm Vermeers Forderung nach kulturellem Transfer unter Berücksichtigung des „Durchschnitts des Kulturüblichen" (130) für die Dolmetschung zu anspruchsvoll und zudem realitätsfern. National bedingte kulturelle Unterschiede verlieren an Bedeutung angesichts einer homogenen Adressatengruppe, deren kulturelle Erwartungshaltung, im Rahmen der Konferenz, vor allem durch gemeinsame professionelle Interessen geprägt ist und durch die gemeinsam benutzte Verkehrssprache Englisch. Die Konferenzteilnehmer „können sogar erwarten, daß sie mehr oder weniger 'Fremdes' (anderes) von Kollegen unterschiedlicher nationaler Herkunft hören. So erwartet vielleicht die Tschechin, die der deutschen Kabine zuhört, vom amerikanischen Redner eine besonders 'lockere' Präsentation - und dies dann eben auch in der deutschen Dolmetschung. Diese These "[...] stellt die für die 'Funktionskonstanz' erhobene Forderung der ATT nach Anpassung an die Konventionen der (nationalen) Z-Kultur in Frage" (215). Hier übersieht F.P., daß die Erwartungshaltung der o.g. Tschechin bereits Funktionsänderung impliziert: Sie erwartet nicht nur eine Information, sondern auch einen Entfremdungseffekt (Exotismus). Aber auch die von der Skopostheorie geforderte Kohärenz muß nach Ansicht des Vf. im Hinblick auf das KD aus einer anderen Perspektive gesehen werden. Bekanntlich stellt die Skopostheorie in der Reihenfolge der beim Übersetzen prioritär zu beachtenden Kriterien die intratextuelle Kohärenz vor die intertextuelle Kohärenz. Beim KD "ist das Postulat der Eigenständigkeit des Translats in der 'Zielkultur' für die beim SI produzierten Zieltexte nicht zu halten" (242). Einer der Hauptgründe ist die Tatsache, daß für den Z-Rezipienten der A-Text ebenfalls präsent ist, sei es, daß er den Kopfhörer nur auf einem Ohr anlegt, sei es, daß visuell projiziertes Material zum A-Text gehört, sei es, daß der Redner sich z.B. mit einer Bemerkung, die nichts mit dem Inhalt seiner wissenschaftlichen Mitteilungen zu tun hat ausschließlich an die Adressaten des A-Textes wendet. Wenn im letzteren Fall die Bemerkung für den Z-Rezipienten funktionslos ist, müßte der Dolmetscher sie im Z-Text weglassen. Die Praxis fordert dagegen, daß der Dolmetscher der Erwartungshaltung des Z-Rezipienten gerecht wird: "Das ersatzlose Weglassen der irrelevanten Bemerkung würde andererseits zu einer überlangen, der visuellen Rednerwahrnehmung widersprechenden Pause in der Dolmetschung führen [...]; das Risiko eines Glaubwürdigkeitsv~rlustes wäre zu hoch [...]" (213). Jedoch nicht nur das Primat der intratextuellen Kohärenz vor der intertextuellen Kohärenz wird in Frage gestellt (242), der Kohärenzbegriff an sich erweist sich als wissenschaftlich unzureichend fundiert: Ist Kohärenz nämlich ein textimmanentes Merkmal und wird sie erst durch das Wissen bzw. Vorwissen des Textrezipienten im Verstehensprozeß konstituiert, bedarf es einer intersubjektiv nachvollziehbaren Wissenspräsentation, auf die man beim jetzigen Stand der Forschung leider nicht zurückgreifen kann. Und so „bleibt allerdings die Frage nach der methodischen Grundlage, auf der wissenschaftliche Aussagen über die hinreichende oder mangelnde Kohärenz von (Z-)Texten zu machen sind, offen" (141). Zu klären bliebe z.B. im Hinblick auf die Situation des KDs die Frage nach dem notwendigen Grad an Vorwissen zur Herstellung von Kohärenz. In den meisten Fällen hat der Dolmetscher ein Wissensdefizit im Vergleich zu den übrigen Teilnehmern von Fachkonferenzen (87). In dem von F.P. untersuchten Fallbeispiel hat das Wissensdefizit des Dolmetschers streckenweise zu mangelnder Kohärenz bei der Konstitution des Zieltextes geführt, und der Verfasser stellt fest: "Wären diese Aufsätze dem Dolmetscher zugänglich gewesen [...], hätte er im Rahmen der Konferenzvorbereitung das Wissensdefizit bezüglich der präsentierten Studie sicher um ein gutes Stück abbauen können" (171). Fazit: F.P. plädiert erfolgreich für eine „integrative Dolmetscherwissenschaft, die ihrem Selbstverständnis nach eine Forschungsrichtung mit eigenem Profil im Rahmen einer übergreifenden Translationswissenschaft darstellt" (243). Er lenkt die Aufmerksamkeit auf eine Reihe von praxisorientierten Faktoren, die für das KD relevant sind, die von der ATT jedoch bisher kaum in Betracht gezogen wurden. So wird sich der Übersetzungswissenschaftler nochmals eingehender FLuL 26 (1997) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 241 mit den Begriffen „Skopos", "Kultur", "Kohärenz" und „Wissen" auseinandersetzen müssen; er wird, wenn er sich spezifisch der Dolmetscherwissenschaft widmet, eine Reihe von praxisfundierten Faktoren in seine theoretischen Überlegungen aufnehmen müssen, auch wenn ihm die Bemerkungen zur mangelnden Rücksichtsnahme von Hotessen, die den Dolmetscher in seiner Kabine stören, wohl etwas trivial vorkommen mögen. Der Didaktiker wird eine Reihe praxisrelevanter Elemente finden, die bei der Simulation von KD-Situationen berücksichtigt werden müssen. Es mutet allerdings etwas optimistisch an, wenn der Verfasser meint, daß die „vorliegende wissenschaftliche Analyse [...] ein geeignetes Mittel sein (könnte), die Auftraggeberseite auf die komplexen Abhängigkeiten hinzuweisen und durch Aufklärung bei Veranstaltungen wie auch Rednern dazu beizutragen, daß die organisatorischen und situativen Arbeitsbedingungen in der Praxis [...] optimiert werden (könnten)". Ein kurzer, für den Laien verständlicherer Leitfaden wäre da wohl effizienter, so sehr das Buch auch für diese Adressatengruppe zu empfehlen ist. Bielefeld Bernd Stefanink Claus GNUTZMANN / Frank G. KÖNIGS (Hrsg.): Perspektiven des Grammatikunterrichts. Tübingen: Narr 1995, 323 Seiten [DM 68,-]. Siebzehn Beiträge weist der Sammelband auf; außer dem Einleitungsbeitrag der beiden Herausgeber sind alle 1993 während eines Kolloquiums vorgetragen worden. Ziel dieses Kolloquiums war es, die Vielschichtigkeit von fremdsprachenunterrichtlicher Beschäftigung mit Grammatik zu diskutieren und Anregungen für die Theorie und Praxis zu liefern. Wir finden unter den Autoren und ihren Themen auch Altbekannte und Oftgehörtes; auf die aus meiner Sicht interessanten und wegweisenden Beiträge möchte ich im folgenden stärker eingehen. Hermann Funk stellt die Phasen der Grammatikvermittlung in Deutsch-als-Fremdsprache- Lehrwerken. seit den fünfziger Jahren dar. Anhand von sieben Prinzipien verdeutlicht er für die neueste Lehrwerkgeneration die Integration sogenannter pädagogischer (lernpsychologischer) Überlegungen, da von der Bezugswissenschaft Linguistik allein heute kein Grammatikunterricht mehr zu rechtfertigen ist. Dieter Mindt weist in seinem Beitrag nach, daß sich das in den Lehrwerken kodifizierte Schulenglisch deutlich vom authentischen gesprochenen Englisch unterscheidet, und fordert die Übereinstimmung von Sprache und Grammatik. Eine notwendige Ergänzung ist die Schilderung der mannigfachen Widerstände gegen seine Ergebnisse aus computergestützter Korporaforschung, die dokumentiert, daß fremdsprachenunterrichtliche Forschung nicht in einem herrschaftsfreien Raum stattfindet. Die Rolle der Grammatik in alternativen Unterrichtskonzepten untersucht Frank G. Königs. Durch die genaue Analyse der Methodenkonzepte wird deutlich, daß die allen alternativen Methoden zugrunde liegende Lernerorientierung Konsequenzen hat auch für die gesteuerte und gezielte Beschreibung eines sprachlichen Phänomens und dessen Einübung, wie Königs Grammatikunterricht definiert. Anders als in den traditionellen Methoden richten sich Grammatikphasen dort stärker nach den Lernenden, sie sind funktionalisiert und kommunikativ eingebettet. Diese Prinzipien der Grammatikvermittlung beginnen, darauf weist Königs deutlich hin, auch in Konzepten traditionellen Grammatikunterrichts wirksam zu werden. Stichworte sind: Berücksichtigung von Lerngewohnheiten, autonomes Lernen und bewußte Auseinandersetzung mit Sprache (language awareness). Um von auch emotional beeinflußten Extrempositionen der Beurteilung von Grammatikunterricht wegzukommen, reicht eine Analyse der Methoden (und ihre Dichotomisierung) allerdings nicht aus: Die systematische empirische Erfassung des Phänomens Grammatikunterricht steht immer noch aus. FLuL 26 (1997)