Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
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1998
271
Gnutzmann Küster SchrammDas Forschungsprogramm Subjektive Theorien
121
1998
Brigitte Scheele
Norbert Groeben
flul2710012
Brigitte Scheele, Norbert Groeben Das Forschungsprogramm Subjektive Theorien Theoretische und methodologische Grundzüge in ihrer Relevanz für den Fremdsprachenunterricht Abstract. Foreign language teaching (FLT) largely focuses on deliberate, conscious learning. This focus is at the sarne time the reason why the Research Programme Subjective Theories (RPST) is especially suitable for explaining and improving the processes of both foreign language learning and teaching. This is so because conscious, planned actions constitute the central object of research within the RPST; at the sarne time, the RPST postulates that ('objective') scientific and ('subjective') everyday theorizing are tobe conceptualized as essentially parallel both on an anthropological and on a functional level. Accordingly, the concept 'Subjective Theory' can function as a frame capable of integrating classic theories from within the psychology of cognition, such as research on metacognition and theories of attribution especially regarding their relevance for processes of leaming and teaching. Within the RPST, individual reflections (here: of both teachers and students on language(s), learning, and teaching) are collected in two steps of so-called communicative validation: a first step consists of collecting the content of the individual cognitions; in a second step, the structure of the individual subjective theory is reconstructed under recourse to the dialogue-consensus criterion of truth. This communicative validation of what students and teachers think in the course of and about FLT needs to be supplemented by explanative validation, i.e. an observation from a third person perspective (under recourse to the falsificationist criterion of truth): it is to be tested whether and to what extent the individual reflections are adequate to reality, i.e. do in fact constitute the basis for the subjective theorists' actions. 1. Das willkürliche, bewußte Lernen als Zentrum des Fremdsprachenunterrichts Es ist ein gut bewährtes Ergebnis der sprachpsychologischen Bilingualismus- Forschung, daß bis zum Alter von 6 Lebensjahren die Kompetenz in einer zweiten Sprache genauso unwillkürlich, "natürlich" erworben wird wie die Muttersprache (vgl. Taylor 1990: 331 ff). Dagegen muß mindestens ab dem 14. Lebensjahr eine zweite Sprache ganz explizit, und das heißt mit willentlicher Anstrengung, bewußt gelernt werden (a.a.O.: 338 ff); in diesem Fall handelt es sich dann bei der zweiten Sprache auch eindeutig um eine Fremdsprache (und zwar auch im Gefühl der Lernenden). Im Lebensalter zwischen dem 7. und dem 14. Jahr kommen eventuell Mischformen vor, der Fremdsprachenunterricht ist aber zumeist und notwendigerweise auf das willkürliche, bewußte Lernen ausgerichtet (a.a.O.). Lerntheoretisch kann man daher den Fremdsprachenunterricht als einen prototypischen Fall für reflexives, bewußtes Lernen ansehen (vgl. zur grundsätzlichen Relation von Refle- FLuL 27 (1998) Das Forschungsprogramm Subjektive Theorien ... 13 xivität und Lernen Christmann/ Groeben 1996). Das impliziert nicht, daß jeder einzelne Lernschritt reflexiv ablaufen muß, vielmehr kann und wird es notwendigerweise auch eine nicht zu unterschätzende Menge von Automatisierungsprozessen geben, um die Sprachbeherrschung zu optimieren. Aber die Relevanz von Reflexionen (über Sprache/ n, Lernen und Lehren) im Femdsprachenunterricht ist nicht zu unterschätzen, weswegen das Forschungsprogramm Subjektive Theorien (FST) bei Anwendung auf den Fremdsprachenunterricht u.U. einen wertvollen Beitrag zu dessen theoretischer Modellierung und praktischer Verbesserung leisten kann (vgl. Grotjahn 1991). Denn das FST stellt die menschliche Reflexivität in den Mittelpunkt seines Menschenbildes. Dabei wird diese Reflexivität als zentrales Merkmal des bewußten, geplanten, willkürlichen Handelns angesetzt im Gegensatz zum unwillkürlichen, a-reflexiven, von der Umwelt kontrollierten Verhalten (so schon Groeben/ Scheele 1977). Die Handlungsfähigkeit des Menschen steht also beim FST im Mittelpunkt des Subjektmodells, wobei mit dieser Handlungsfähigkeit natürlich auch die Sprach- und Kommunikationsfähigkeit verbunden ist (vgl. Groeben [et al.] 1988: 210 ff). Das hat weitreichende Konsequenzen für die in diesem Forschungsprogramm angesetzte empirische Methodologie, weil es aufgrund der Sprach-, Kommunikations- und Handlungsfähigkeit des menschlichen Subjekts sinnvoll, ja geradezu zwingend erscheint, den Menschen nicht nur von außen zu beobachten, sondern auch die Innensicht des reflexiven Subjekts mit einzubeziehen, indem rµan es z.B. einfach nach dem Sinn, den es mit seinen Handlungen verbindet, fragt (vgl. u. Punkt 3.). Damit gibt es nicht mehr die prinzipiellen Unterschiede im Menschenbild zwischen Forschenden (Erkenntnissubjekten) und Erforschten (Erkenntnisobjekten), die vor allem für mechanistische und organismuszentrierte Subjektmodelle symptomatisch sind (vgl. Erb 1997; Groeben/ Erb 1997). Denn das Selbstbild der Forschenden ist traditionell eben gerade das des handlungs-, sprach- und kommunikations-, ja rationalitätsfähigen Subjekts, obwohl zugleich in den mechanistischen und organismuszentrierten Theoriemodellen dem Erkenntnisobjekt diese Merkmale abgesprochen werden: indem sie vernachlässigt werden, von ihnen abgesehen wird (vgl. Herrmann 1979). Die Asymmetrie zwischen den Menschenbildern des Erkenntnissubjekts und -objekts führt zu der pragmatischen Widersprüchlichkeit, daß mit den resultierenden Theorien die Erkenntnistätigkeit des Menschen selbst nicht bzw. nicht zureichend erklärbar ist (Groeben/ Scheele 1977: 15). Nicht zuletzt unter ethischen Gesichtspunkten läßt sich im Gegensatz dazu die Forderung aufstellen und rechtfertigen, daß so lange wie eben möglich - und das heißt so lange, wie es empirisch begründbar ist von den gleichen Menschenbildannahmen bei Erkenntnisobjekt und -subjekt ausgegangen werden sollte (vgl. im einzelnen Groeben 1979, 1991). Diese strukturelle Parallelität der Menschenbildannahmen zwischen wissenschaftlich forschendem Subjekt und erforschtem 'Objekt' ist historisch zum ersten Mal ganz programmatisch von Kelly in seiner "Theorie der persönlichen Konstrukte" (1955) postuliert worden, und zwar kompri- FLuL 27 (1998) 14 Brigitte Scheele, Norbert Groeben miert in dem Schlagwort vom „man the scientist" (heute würde man vielleicht eher sagen: "person the scientist"). Das heißt, das Menschenbild des Erkenntnisobjekts wird modelliert nach dem Selbstbild des Erkenntnissubjekts, das in bezug auf die Sprach-, Kommunikations-, Reflexions- und Rationalitätsfähigkeit nicht zuletzt durch wissenschaftstheoretische Analysen außerordentlich differenziert ausgearbeitet worden ist (vgl. Groeben/ Westmeyer 1981; Groeben 1986). Im Mittelpunkt dieser wissenschaftstheoretischen Elaborationen steht das Theoriekonzept mit all seinen Ausdifferenzierungen von der Begriffsbildung über die Hypothesengenerierung bis zur empirischen Testung (vgl. u. Punkt 2.). Das FST stellt dementsprechend diese Fähigkeit des Theoretisierens auch in den Mittelpunkt der Menschenbildmodellierung des Erkenntnisobjekts. Dabei ist zugleich dem Umstand Rechnung zu tragen, daß die intersubjektive Generierung und Überprüfung von Theorien in der Wissenschaft natürlich in einer Systematik erfolgt und erfolgen soll, die von den parallelen Prozessen im Alltagsleben - und das heißt beim Alltagshandeln unter Zeit- und Situationsdruck nicht verlangt werden kann (vgl. Groeben [et al.] 1988: 221 ff). Deswegen haben wir in Abgrenzung zu den 'objektiven' (d.h. intersubjektiven) wissenschaftlichen Theorien die im FST gemeinten Alltagstheorien 'subjektive' genannt (als Oberbegriff für Bezeichnungen wie 'implizite', 'intuitive', 'naive' etc. Theorien). Dabei wird eine Strukturparallelität zwischen Subjektiven und 'objektiven' Theorien angesetzt, insbesondere in bezug auf die Funktionen dieser Theorien für das Denken und Handeln der Menschen, wobei allerdings die Anforderungen an die Systematik der Explikation und Überprüfung dieser Theorien nicht (völlig) identisch sind (vgl. im einzelnen u. Punkt 4.). Dadurch wird auch deutlich, daß das Menschenbild des reflexiven Subjekts nicht unterstellt, dieses Subjekt sei oder handle immer und überall rational; die Rede von der Rationalitätsfähigkeit bedeutet lediglich, daß die grundsätzliche Kompetenz zum rationalen Denken und Handeln als Gegenstandsmerkmal angesetzt wird; ob sich diese Kompetenz in konkreten Situationen aber in der Tat auch realisiert/ manifestiert, wird innerhalb des FST (durch eine zweiphasige Forschungsstruktur: s.u. Punkt 4.) empirisch geprüft. Übertragen auf den Fremdsprachenunterricht folgt aus diesem Menschenbild, daß die Reflexionen der Lernenden und Lehrenden zur Erklärung und Verbesserung des Fremdsprachenlernens (mit) zu berücksichtigen sind. Dabei lassen sich vor allem drei Gegenstandsbereiche dieser subjektiv-theoretischen Reflexionen unterscheiden: einmal Reflexionen über die Sprache/ n, dann über das Lernen und nicht zuletzt auch über das Lehren bzw. den Unterricht (so schon Grotjahn 1991). Und diese subjektiv-theoretischen Reflexionen liegen grundsätzlich wenn auch sicher in unterschiedlichem Differenzierungsgrad sowohl bei Lernenden wie Lehrenden vor. Da Reflexivität immer wieder auch auf sich selbst angewendet werden kann (also rekursiv ist), sind komplexe Einschließungsverhältnisse der subjektiv-theoretischen Reflexionen über die verschiedenen Gegenstandsbereiche möglich. So werden die Subjektiven Theorien über das Lernen sowohl auf seiten der Lernenden wie der Lehrenden die· Reflexionen über den Gegenstandsbereich der (jeweiligen) FLuL 27 (1998) Das Forschungsprogramm Subjektive Theorien ... 15 Sprache sicherlich als Ausgangspunkt mit einschließen. In bezug auf die Relation der Reflexionen zu Lernen und Lehren dürften die Verhältnisse allerdings komplizierter sein, und zwar vor allem, wenn man die beteiligten Personengruppen mitberücksichtigt: Es ist kaum anzunehmen, daß z.B. alle Lernenden neben den eigenen Reflexionen über ihr Lernen und das Lehren der Unterrichtspersonen auch die Subjektiven Theorien der Lehrenden zum Lernen und Unterrichten mitreflektieren. Im Gegensatz dazu dürfte es aber zumindest vom prinzipiellen Anspruch her so sein, daß die Reflexionen der Lehrenden auch das mitberücksichtigen sollten, was die Lernenden über ihr Lernen und den Unterricht denken. Insofern impliziert die Thematisierung der Subjektiven Theorien von Fremdsprachenlehrern/ -innen indirekt auch immer die Berücksichtigung der Subjektiven Theorien der Lernenden zur Sprache, zum Lernen und zum Unterricht. Deshalb wird im folgenden sowohl von den Subjektiven Theorien auf seiten der Lernenden als auch der Lehrenden die Rede sein, und zwar auch hier unter der Annahme der Strukturparallelität zunächst einmal in bezug auf die grundsätzlichen Prozesse, Produkte etc.; die Ausdifferenzierung aller möglichen Inklusionsverhältnisse kann in diesem Überblicksbeitrag nicht geleistet werden, sondern bleibt der zukünftigen (vor allem auch empirischen) Forschung überlassen. 2. Das Konzept der Subjektiven Theorie: ein Rahmenmodell für diverse kognitionspsychologische Forschungsprogramme Seit der sogenannten kognitiven Wende in der Psychologie (Anfang der 70er Jahre) ist der Kognitionsbegriff zunehmend inflationär verwendet worden (vgl. Graumann 1988), und zwar praktisch für alle nicht direkt von außen beobachtbaren, intern ablaufenden Prozesse und Strukturen. Letztendlich resultiert daraus eine unpraktikable Überziehung des Kognitionsbegriffs, der auf diese Weise von einfachen Begriffsbildungen bis hin zu höchst komplexen Denkstrukturen beim Problemlösen reicht (vgl. Wessells 1990). Das Konzept der Subjektiven Theorie kann hier zu einer Präzisierung beitragen, indem es bestimmte hochkomplexe Kognitionsstrukturen in den Mittelpunkt stellt und weiter spezifiziert. Zu dieser Spezifizierung gehört, daß es sich bei Subjektiven Theorien um Kognitionen der Selbst- und Weltsicht handeln soll, also Denkinhalte und -strukturen, die sich auf die eigene Person, auf andere Personen sowie auf alle übrigen belebten und unbelebten Objekte unserer Welt beziehen. Nun gibt es auch in der klassischen Kognitionspsychologie durchaus Konstrukte, die solche komplexeren Denkstrukturen bezeichnen wie etwa scripts, plans oder frames (vgl. Waldmann 1990). Das sind auf unterschiedlichen Abstraktionsebenen kognitive Strukturen über Geschehensabläufe, Handlungsweisen, Gegenstandsrelationen etc., in denen sogenannte Leerstellen vorgegeben sind, die bei der Verarbeitung eines je spezifischen Weltausschnitts mit konkreten Beispielen ausgefüllt werden (z.B. beim Restaurant-Script die Leerstellen der Speisekarte, der Bedienung, der Speisenabfolge, etc.; vgl. Schank/ Abelson 1977). FLuL 27 (1998) 16 Brigitte Scheele, Norbert Groeben Auch bei diesen Konstrukten liegt also (z.T.) ein komplexes Aggregat von (Einzel-)Kognitionen vor, bezüglich dessen allerdings das FST noch als weiteres Merkmal die Anforderung einer zumindest impliziten Argumentationsstruktur einführt, um ein solches komplexes Kognitionsaggregat 'Subjektive Theorie' nennen zu können. Dieses Merkmal der zumindest impliziten Argumentationsstruktur hängt mit der oben angesprochenen Parallelitätsannahme von wissenschaftlichem und Alltags-Theoretisieren zusammen, d.h. mit dem Postulat, daß die Subjektiven Theorien parallele Funktionen wie die wissenschaftlichen erfüllen: nämlich die der Erklärung, Prognose und Technologie. Dabei wird unter 'Technologie' im wissenschaftstheoretischen Zusammenhang die Ableitung von Handlungsanweisungen zur Beeinflussung (das heißt Veränderung, z.T. aber auch Konstanthaltung) der Umwelt verstanden (vgl. Breuer 1991: 147 ff; Groeben/ Westmeyer 1981: 157 ff). Unter 'Erklärung' wird in der Regel eine Antwort auf Warum-Fragen (in erster Linie in bezug auf konkrete Sachverhalte, u.U. aber auch auf Gesetzmäßigkeiten etc.) verstanden, unter 'Prognose' die Vorhersage von Ereignissen unter Rückgriff auf theoretische Annahmen (a.a.O.). Letzlich stellen diese Funktionen des wissenschaftlichen Theoretisierens nur eine präzisierte Ausarbeitung derjenigen Funktionen dar, die das menschliche Denken und Reflektieren auch im Alltag und für das Alltagsleben erfüllt. Daher ist es unverzichtbar, für das Konzept der Subjektiven Theorie entsprechend parallele (Erkenntnis-)Funktionen wie für wissenschaftliche Theorien anzusetzen, und dies wiederum erfordert die konstitutive Annahme einer (zumindest impliziten) Argumentationsstruktur, weil diese Funktionen nur auf der Grundlage einer argumentativen Relation von Kognitionen (bzw. Sätzen) erreichbar sind. Damit liegt der unverzichtbare Minimalsatz der definierenden Merkmale für das Konzept der Subjektiven Theorie vor. Diese unverzichtbaren Merkmale stellen die weite Definition des Konstrukts 'Subjektive Theorie' dar, weil unter ein Konzept um so mehr Phänomene fallen, je weniger definierende Merkmale es aufweist (zu der Ergänzung um zwei weitere Merkmale und damit zur engeren Definition des Konzepts 'Subjektive Theorie' vgl. u. Punkt 3.). Diese weite Variante des Konstrukts 'Subjektive Theorie' ist daher innerhalb des FST definiert worden als: - Kognitionen der Selbst- und Weitsicht, als komplexes Aggregat mit (zumindest impliziter) Argumentationsstruktur, das auch die zu objektiven (wissenschaftlichen) Theorien parallelen Funktionen der Erklärung, Prognose, Technologie erfüllt" (Groeben 1988a: 19). Dieses weite Konzept von Subjektiver Theorie ist nun als Rahmenmodell für verschiedene kognitionspsychologische Forschungsprogramme einsetzbar, die z.T. von einzelnen der oben angeführten Funktionen ausgegangen sind und deshalb auch (Selbst-)Benennungen ohne Rückgriff auf das Konstrukt des (subjektiven) Theoretisierens gewählt haben, die aber durch einen solchen Rückgriff elegant und konstruktiv integriert werden können. Dazu gehört zunächst einmal die bereits erwähnte Theorie der persönlichen Konstrukte (Kelly 1955), in der die Strukturparal- FLuL 27 (1998) Das Forschungsprogramm Subjektive Theorien ... 17 lelität der Erkenntnisfunktionen von Wissenschaft und Alltagsdenken zum ersten Mal programmatisch behauptet und ausgearbeitet worden ist (s.o.). Kelly geht dabei dezidiert von der Prognosefunktion aus, indem sein grundlegendes Postulat lautete: „Die Prozesse eines Menschen werden psychologisch durch die Mittel und Wege kanalisiert, mit deren Hilfe er Ereignisse antizipiert" (1986: 59; vgl. auch Bannister/ Fransella 1981: 9). Dieses Grundpostulat ist von Kelly durch 11 zugehörige Korrolarien ausdifferenziert worden, wobei sein theoretischerAnsatz allerdings von Anfang an im Dienst einer klinisch-psychologischen Anwendung stand. Insofern bietet die Theorie der persönlichen Konstrukte kaum direkte Ansatzpunkte für eine Anwendung im Bereich des Fremdsprachenunterrichts. Diese Ansatzpunkte sind nun aber in zwei neueren kognitionspsychologischen Theorieansätzen, nämlich der Metakognitionsforschung und der Attributionstheorie, auf jeden Fall enthalten, insofern als sich diese Theorien ganz prinzipiell für lernpsychologische Probleme nutzbar machen lassen (vgl. Christmann/ Groeben 1996), was sich wiederum spezifizierend auf den Fremdsprachenunterricht übertragen läßt. Die Metakognitionsforschung hat sich aus dem Ansatz des sogenannten Metagedächtnisses (Flavel/ Wellman 1977) entwickelt, in dem schon die wichtigsten Gegenstandsperspektiven expliziert waren, die auch für den Fremdsprachenunterricht als relevant angesetzt werden dürften. Dabei handelt es sich um verschiedene Inhaltsbereiche des Reflektierens über das eigene Denken (Metakognition: Kognition über Kognition bzw. Wissen über Wissen etc.). Bereits Flavel/ Wellman führen zunächst die Sensitivität als Wissen über die Notwendigkeit ein, in bestimmten (Lern-)Situationen in einer bestimmten Art und Weise zu agieren (z.B. durch spezifische Lern- oder Behaltensstrategien etc.). Diese Sensitivität bezieht sich dann auf verschiedene Variablen des sogenannten deklarativen Wissens (d.h. des Wissens über die Welt als Wissen-daß: vgl. Herrmann/ Grabowski 1994: 292); also Wissen zur Personvariable (z.B. hinsichtlich der eigenen Gedächtniskompetenzen, der bisherigen Lernerfolge und -probleme etc.), zur Aufgabenvariable (hinsichtlich der Aufgabenschwierigkeit, -komplexität etc.) und zur Strategienvariable (von kognitiven bis metakognitiven Lern- und Behaltensstrategien) sowie zur Interaktion dieser Variablen (Metcalfe/ Schimamura 1994; vgl. auch Grotjahn 1997). Diese deklarativen Aspekte der Metakognition sind von Brown (1978) ergänzt worden um die prozeduralen und damit exekutiven Perspektiven des Metawissens, die sich vor allem auf die Vorhersage, das Planen, das Beobachten, Überprüfen und Bewerten von Lernprozessen beziehen. Dieser Theorieansatz hat seit Ende der 70er Jahre zu einer Fülle von empirischen Untersuchungen geführt, in denen vor allem der Einfluß von Metakognitionen auf das Lernen und Behalten von Kindern nachgewiesen werden konnte (vgl. Schneider 1985; 1989). Dabei scheint es so zu sein, daß die exekutiven Aspekte der Metakognition in der Regel einen höheren Einfluß auf das Lernen und Behalten aufweisen als das rein deklarative Metawissen (Christmann/ Groeben 1996: 54 f). Das dürfte darauf zurückzuführen sein, daß die exekutiven Aspekte sozusagen näher an der 'Handlungsleitung' der Metakognitionen liegen als das rein deklarative Wissen über FLuL 27 (1998) 18 Brigitte Scheele, Norbert Groeben Personen-, Aufgaben- und Strategievariablen, das u.U. differenziert ausgeprägt sein kann, aber für die eigenen Lernprozesse nichts nutzt, wenn es nicht in Handeln umgesetzt wird (wir werden darauf später unter dem Aspekt der Handlungsleitung zurückkommen: Punkt 4.). Auf jeden Fall lassen sich aus der Metakognitionsforschung wichtige inhaltliche Kategorien ableiten, die bei der Analyse von (subjektivtheoretischen) Reflexionen auf seiten der Lernenden wie der Lehrenden (bei letzteren vermutlich insbesondere in der metareflexiven Perspektive der Lehrenden über die Kognitionen der Lernenden) berücksichtigt werden sollten (auch und gerade als Ausdifferenzierung des Konzepts 'Language Awareness'; vgl. Knapp-Potthoff 1997). Die Bewertung der eigenen Fähigkeiten und Lernergebnisse (in Interaktion mit der Aufgabenschwierigkeit, den Lernstrategien etc.) dürfte dabei zumeist auch die Perspektive der (subjektiven) Erklärung solcher Lernvoraussetzungen, -prozesse und -ergebnisse mitenthalten, jene Perspektive also, die im Mittelpunkt der Attributionstheorie steht (vgl. Harvey [et al.] 1981; Heider 1958; Jones [et al.] 1971; Kelley 1967; Weiner 1974). Es handelt sich dabei in erster Linie um die alltagspsychologische Rückführung eigener oder fremder Handlungsergebnisse auf die dafür möglichen Erklärungsursachen. Als relevante Dimensionen dieser Ursachenattribution sind in der mittlerweile jahrzehntelangen Forschung immer wieder die Pole 'internal vs. external', 'stabil vs. variabel' und 'spezifisch vs. generell' gesichert worden (vgl. Heckhausen 1989: 387 ff). Nicht zuletzt in der für das Lernen und Lehren relevanten Leistungsmotivationsforschung konnte dabei überzeugend nachgewiesen werden, daß diese (subjektiven) Ursachenattributionen bedeutsame Auswirkungen auf Erfolgserwartungen für zukünftige Problemlöseprozesse, Anstrengungsbereitschaft etc. besitzen (a.a.O.: 423 ff). So resultiert aus der Rückführung eines Leistungsmißerfolgs auf eine stabile, internale, generelle Ursache (wie Intelligenzmangel) z.B. eine geringe Leistungserwartung und Anstrengungsbereitschaft für zukünftige Problemlösungsaufgaben, aus einer internalen, variablen, spezifischen Attribution (wie etwa mangelnde Anstrengung in der konkreten Problemlösesituation) durchaus eine erhöhte Anstrengungsbereitschaft für zukünftige Problemstellungen (a.a.O.); komplementäre Abhängigkeiten sind entsprechend für den Erfolgsfall anzusetzen (a.a.O.). Derartige Attributionsprozesse dürften auf jeden Fall auch für das Lernen wie Lehren im Fremdsprachenunterricht (mit-)entscheidend sein. Allerdings sollten dabei die Interaktionen mit z.B. dem (deklarativen wie prozeduralen) metakognitiven Wissen über Lernstrategien etc. nicht vernachlässigt werden; das heißt, es muß für eine differenzierte Berücksichtigung der reflexiven Kognitionskomponenten innerhalb der Lern- und Lehrprozesse die Verbindung von metakognitiver und attributionstheoretischer Perspektive geleistet werden. Diese Verbindung herzustellen, erlaubt nun aber gerade das übergreifende Konstrukt der Subjektiven Theorie und damit das FST (vgl. Christrnann/ Groeben 1996: 57 ff). Allerdings erfordert eine solche umfassendere Rekonstruktion der komplexen, reflexiven Kognitionen von Lernenden und Lehrenden sicherlich, daß mehr als nur die genannten drei zentralen FLuL 27 (1998) Das Forschungsprogramm Subjektive Theorien ... 19 attributionstheoretischen Dimensionen berücksichtigt werden .. Aus der Perspektive des FST besteht daher die wichtigste inhaltliche und methodologische Beschränkung z.B. der Attributionstheorie darin, daß sie in aller Regel bei der Erhebung solcher subjektiven Attributionen die genannten drei Dimensionen (z.B. mit Hilfe von Fragebögen) vorgibt und nur die jeweiligen Ausprägungen auf den Dimensionen abfragt. Es ist dies ein Vorgehen, in dem (in der Terminologie von Gigerenzer 1981) sowohl die Bedeutungsträger (welche Ursachen kommen in Frage? ) als auch die Bedeutungskomponenten (welche Ausprägungen dieser Ursachen sind wählbar? ) vom Erkenntnissubjekt vorgegeben werden. Und attributionstheoretische Untersuchungen, die nicht mit solchen Vorgaben (per Fragebogen) operieren, sondern zunächst einmal deskriptiver z.B. per Interview die relevanten Kognitionen der Untersuchungsteilnehmer/ innen erheben, kommen denn auch zu einer deutlich größeren Anzahl relevanter Attributionsdimensionen (vgl. Hofer 1986: 206 ff). Besonders wenn sehr individuelle Sichtweisen vorliegen, ist für deren differenzierte Erhebung und Rekonstruktion daher sicherlich ein Vorgehen sinnvoller, das dem 'Erkenntnisobjekt' die Auswahl der Bedeutungsträger und -komponenten selbst überläßt. Dies leistet die kommunikative Validierung innerhalb des FST (vgl. nächster Punkt). Außerdem muß für diese u.U. höchst individuellen komplexen Kognitionssysteme ,selbstverständlich auch die Wirksamkeit für die eigenen und/ oder fremden Handlungen systematisch empirisch überprüft werden (vgl. Punkt 4.). 3. Kommunikative Validierung als (explizierende) Rekonstruktion von Subjektiven Theorien Wenn man die Menschenbildannahme der Sprach- und Kommunikationsfähigkeit, der Reflexivität und potentiellen Rationalität konsequent ernst nimmt, ist also mit hochkomplexen und sehr individuellen Kognitionssystemen als Sinndimensionen des Handelns (vgl. Groeben 1986: 145 ff) zu rechnen. Wegen der Sprach- und Kommunikationsfähigkeit des Menschen sind diese potentiell hochkomplexen Sinndimensionen trotz ihrer Individualität allerdings eben durchaus (vom Erkenntnisobjekt) mitteilbar und (vom Erkenntnissubjekt) verstehbar. Ein solcher kommunikativer Verständigungsprozeß zwischen Erkenntnissubjekt und -objekt über die Subjektiven Theorien des Erkenntnisöbjekts bedeutet allerdings immer eine explizierende Rekonstruktion, deren Gelingen wegen der Komplexität der individuellen Bedeutungs- und Sinndimensionen nicht von vornherein gesichert ist. Vielmehr bedarf es besonderer Bemühungen um die Aktualisierung und Rekonstruktion der subjektiv-theoretischen Reflexionen, wobei über das Gelingen dieser Bemühungen, das heißt über die Frage, ob das Erkenntnissubjekt auch wirklich das vom Erkenntnisobjekt Gemeinte adäquat verstanden hat, nur die Zustimmung des Erkenntnisobjekts entscheiden kann. Beides, das Bemühen um möglichst konstruktive Bedingungen für die Aktualisierung und Rekonstruktion der Selbst- und Weltsichtkognitionen als auch die Zustimmung des Erkenntnisobjekts zu dem vom -subjekt FLuL 27 (1998) 20 Brigitte Scheele, Norbert Groeben Verstandenen, ist enthalten in dem Konzept des Dialog-Konsenses (vgl. Habermas 1973; 1981). Mit diesem Dialog-Konsens wird also die sogenannte Rekonstruktionsadäquanz der Subjektiven Theorien gesichert, d.h. die Anforderung, daß das im Erkenntnisprozeß als jeweilige Subjektive Theorie des Erkenntnisobjekts beschriebene Kognitionssystem auch in der Tat dem vom Untersuchungsgegenüber Gedachten/ Gemeinten entspricht (Scheele/ Groeben 1984; 1988). Davon abzugrenzen ist die Realitätsadäquanz der Subjektiven Theorie, d.h. die Frage, inwiefern dieses (adäquat rekonstruierte) Kognitionssystem auch in der Tat empirisch valide, das heißt z.B. als 'objektive' Erkenntnis akzeptierbar ist (vgl. auch Sehlee 1988; Wahl 1988). Damit sind zwei weitere Merkmale spezifiziert, die man der eingangs angeführten weiten Definition von Subjektiver Theorie hinzufügen kann, woraus der engere (prototypische) Kern des Konzepts 'Subjektive Theorie' resultiert: - Kognitionen der Selbst- und Weltsicht, die im Dialog-Konsens aktualisier- und rekonstruierbar sind als komplexes Aggregat mit (zumindest impliziter) Argumentationsstruktur, das auch die zu objektiven (wissenschaftlichen) Theorien parallelen Funktionen der Erklärung, Prognose, Technologie erfüllt, deren Akzeptierbarkeit als 'objektive' Erkenntnis zu prüfen ist" (Groeben 1988a: 22). In diesem Abschnitt befassen wir uns zunächst vorrangig mit der (methodologischen) Struktur dieses Dialog-Konsenses, durch den die je individuellen Subjektiven Theorien aktualisier- und rekonstruierbar sein sollen. Die Rede von der Aktualisierbarkeit unterstellt dabei, daß solche individuellen hochkomplexen Kognitionsinhalte und -strukturen nicht unbedingt vollständig unmittelbar verfügbar sind. Deshalb geht es im Prozeß des Dialog-Konsenses auch darum, eventuell implizite Wissensinhalte soweit wie möglich zu explizieren, um zu einer möglichst vollständigen Beschreibung der je individuellen Bedeutungs- und Sinndimensionen zu kommen (Scheele 1988: 131 ff). Das unterstellt natürlich, daß die jeweiligen impliziten Wissensinhalte nur aktuell nicht verfügbar sind, d.h. strukturell durchaus zugänglich sind. Diese Unterscheidung zwischen aktueller und struktureller Implizitheit ist schon deshalb wichtig, weil in der neueren Lern- und Gedächtnisforschung Implizitheit zumeist mit struktureller Unzugänglichkeit gleichgesetzt wird. Wenn z.B. Schacter für das implizite Gedächtnis die beiden Varianten ansetzt, daß das Lernen und Behalten entweder unbewußt "unconscious Inemory") oder unbemerkt "unaware memory") sind (1987: 501 f), dann soll damit zwar offenbleiben, ob die implizite Information explizit zugänglich ist oder nicht (a.a.O.: 510), die empirischen Überprüfungsprozeduren versuchen aber zumeist, einen Einfluß des impliziten Wissens in solchen Situationen nachzuweisen, in denen eine Zugänglichkeit dieses Wissens gerade nicht besteht (a.a.O.: 505 ff: Effekte unterschwelliger Reize, unbemerktes Lernen, sogenannte Priming-Effekte, implizites Erinnern bei Amnesie etc.; vgl. auch Richardson-Klavehn/ Bjork 1988; Hoffmann 1993; Engelkamp/ Wippich 1995). FLuL 27 (1998) · Das Forschungsprogramm Subjektive Theorien ... 21 Nicht zuletzt sind unter das implizite Wissen auch Phänomene des impliziten (Regel-)Lernens zu subsumieren (vgl. Perrig 1996). Gerade beim Spracherwerb gibt es sicherlich eine Fülle solcher impliziten Wissensteilmengen, d.h. Wissen, das man hat und benutzt, von dem man aber nicht weiß, daß man es hat. Ein prototypischer Fall dafür sind die Sprachregeln, die z.B. ein Kind beim Erlernen der Muttersprache benutzt, ohne sie aber explizit angeben zu können. Wenn etwa ein Dreijähriger nicht in die Badewanne steigt, weil das Wasser zu heiß ist, und dies mit denWorten begründet: "Das ist ja eisheiß! ", dann hat er ersichtlich aus der Steigerung von 'kalt' durch 'eiskalt' die (implizite) Regel abgeleitet, daß bei Temperaturen eine Form von Superlativ durch das Präfix 'eis' gebildet wird ohne daß er diese Regel allerdings explizit würde angeben können. Welche impliziten kognitiven Leistungen beim Erlernen von Sprachen gang und gäbe sind, wird wie in dem vorliegenden Beispiel zumeist erst deutlich, wenn es sich um eine inadäquate Regel(-anwendung) handelt. Die strukturelle Unzugänglichkeit solcher Wissensteilmengen wird in diesem Beispielfall vor allem daran deutlich, daß die entsprechenden Sprachregeln der Muttersprache z.B. zumeist erst im Schulunterricht explizit gelernt werden. Insofern wird man u.U. auch beim Fremdsprachenlernen im Gegenstandsbereich der Subjektiven Theorien über Sprache/ n von impliziten Kognitionen in diesem Sinne der strukturellen Unzugänglichkeit ausgehen müssen. Diese strukturelle Unzugänglichkeit läßt sich im Bereich der Sprachverwendung (mit Hemnann/ Grabowski 1994: 291 f) identifizieren als ein Auseinanderfallen von Wissen-wie (Fertigkeiten bzw. Können im Bereich der grammatischen Regeln) und Wissen-daß (deklaratives Wissen über Sachverhalte, hier eben die Grammatik einer Sprache). Anhand dieser Unterscheidung ist dann eine konzeptuelle und terminologische Präzisierung des impliziten im Sinne des strukturell unzugänglichen Wissens (über Sprache) möglich: nämlich durch die Feststellung, daß in einem solchen Fall die "deklarative Dekomposition" des Sprachkönnens (z.B. der grammatischen Fertigkeiten) nicht möglich ist (a.a.O.: 293). Strukturell implizites Wissen ist also in bezug auf Sprache/ n als „nicht-dekomponierbares Können" (a.a.O.) rekonstruierbar; dagegen würde dekomponierbares Können "Können, welches als Wissen vergegenwärtigt werden kann" [a.a.O.]) gegebenenfalls unter das nur aktuell implizite Wissen subsumiert werden (vgl. auch Grotjahn 1997: 43 ff). Der prototypische Gegenpol der nur aktuellen Implizitheit, die bei der explizierenden Rekonstruktion von Subjektiven Theorien im Mittelpunkt steht, tritt vor allem im Bereich der Subjektiven Lehr-Theorien (aufseiten der Lehrenden) auf. Und zwar handelt es sich dabei gegebenenfalls um subjektiv-theoretische Reflexionen des didaktischen Vorgehens, die einmal am Anfang der eigenen Lehrtätigkeit explizit und differenziert vorgelegen haben mögen, die aber durch die Automatisierung des täglichen didaktischen Handelns unter die Verfügbarkeitsschwelle des unmittelbar expliziten Wissens abgesunken sind (Scheele/ Groeben 1988b: 37 f; Wahl [et al.] 1983). Solche durch Automatisierung 'abgesunkene' Wissensteilmengen sind bei entsprechender Problematisierung, z.B. im Interview, durchaus wieder FLuL 27 (1998) 22 Brigitte Scheele, Norbert Groeben vollständig aktualisierbar. Und auf diese Aktualisierung von (aktuell) impliziten Wissensteilmengen beziehen sich vor allem die Explizierungshilfen, die im Rahmen der dialog-konsensualen Erhebung und Rekonstruktion Subjektiver Theorien von seiten des Erkenntnissubjekts gegeben werden sollen. Im Prinzip handelt es sich bei diesen Explizierungshilfen in erster Linie um eine Ausformulierung und Ausdifferenzierung des Konzepts der idealen Sprechsituation, wie es von Habermas (1981) entwickelt worden ist einer Sprechsituation, die von allen sachfremden Strukturen und Dynamiken befreit ist. Zur Annäherung an dieses nie vollständig erreichbare Ziel hat Scheele (1988: 144 ff) eine Hierarchie von diesbezüglichen sprechakttheroetischen Zielen und den für diese Ziele relevanten motivationalen und kognitiven Voraussetzungen ausdifferenziert (vgl. Abb. 1): Sprechakttheoretische Ziele VI. Einsichtsvolles Übernehmen von Argumenten V. Auseinandersetzen IV. Argumentatives Verständigen III. Gleichberechtigt-Sein II. Kommunizieren I. Aktualisieren Motivationale u. kognitive Voraussetzungen Sinn-Motivation Explikationsvertrauen (Selbst-)Erkenntnis-Motivation Argumentations-Fähigkeit Verbalisierungs-Motivation Verbalisierungs-Fähigkeit Explizierungs-Motivation Aktualisierbarkeit der Kognitionen Abb. 1: Ziel-Hierarchie zur Generierung von Technologien für die dialog-konsensuale Erhebung und Rekonstruktion Subjektiver Theorien (Scheele 1988: 144) Dabei stellen diese Ziele und zugeordneten Voraussetzungen selbstverständlich ihrerseits Oberkategorien für konkrete Hilfen dar, die auch als Quintessenz der einschlägigen qualitativen Forschungsmethodologie angesehen werden können (vgl. im einzelnen Scheele 1988: 146 ff). Auf höchstem Abstraktionsniveau dient diesem Ziel der möglichst optimalen Aktualisierung und Rekonstruktion der Kognitionsinhalte und -strukturen die Sequenzierung des Dialog-Konsens-Prozesses in zwei Teilschritte: nämlich zum einen die Erhebung der Kognitionsinhalte, zum anderen die Rekonstruktion der 'Subjektiven Theorie' -Struktur/ en (vgl. Scheele/ Groeben 1984; 1988; Groeben 1992). Für die Erhebung der Kognitionsinhalte sind im Prinzip alle in der qualitativen Sozialforschung einschlägigen Erhebungsverfahren (Flick [et al.] 1991) brauchbar; im FST ist allerdings besonders das halb-standardisierte Interview eingesetzt und konzeptuell weiterentwickelt worden (mit einer Kombination von hypothesen-ungerichteten, ...: gerichteten und sogenannten Stör-Fragen: vgl. Scheele/ Groeben 1988: 35 ff; Wahl 1976). Noch typischer für das FST aber sind die für den zweiten Teilschritt entwickelten Struktur-Lege-Verfahren, deren historisch erstes Beispiel die sogenannte Heidelberger Struktur-Lege-Technik (SLT) darstellt (Scheele/ Groeben 1984; 1988). Die SLT differenziert im Prinzip die wichtigsten in der Wissenschaft üblichen definitorischen und empirischen Relatio- FLuL 27 (1998) Das Forschungsprogramm Subjektive Theorien ... 23 nen aus, die auf sogenannten Formal-Kärtchen bildlich symbolisiert werden, mit denen die inhaltlichen Konzeptkärtchen zu einer 'Subjektiven Theorie' -Struktur verbunden werden können (vgl. als Anwendungsbeispiel im Bereich des Fremdsprachenlernens: Kallenbach 1996). Zwischenzeitlich gibt es eine Fülle weiterer Lege- Varianten (vgl. den Überblick bei Dann 1992), wie etwa die Weingartener Appraisal Legetechnik (WAL), die Interview- und Legetechnik zur Rekonstruktion kognitiver Handlungsstrukturen (ILKHA), die Flußdiagramm-Darstellung zur Beschreibung von Handlungsabläufen, die Ziel-Mittel-Argumentation (ZMA) und nicht zuletzt das alltagssprachliche Struktur-Lege-Spiel (Scheele [et al.] 1992), das es nach dem Baukastenprinzip erlaubt, für die jeweilige Frage- und Problemstellung spezifische Relationen definitorischer, explanatorischer, prozessualer, deskriptiver und präskriptiver Art etc. auszuwählen und zu kombinieren. Die Abfolge der zwei Teilschritte zur (explizierenden) Rekonstruktion der Subjektiven Theorien sieht dann im Optimalfall so aus (vgl. Groeben 1992), daß im ersten Teilschritt die Kognitionsinhalte z.B. mittels des halbstandardisierten Interviews erhoben werden; auf der Grundlage des (möglichst transkribierten) Interviews extrahiert das Erkenntnissubjekt die wichtigsten Konzepte und schreibt diese auf sogenannte Konzeptkärtchen. Am Ende der ersten Sitzung hat das Untersuchungsgegenüber den jeweiligen Struktur-Lege-Leitfaden mit den relevanten Relationserläuterungen erhalten, den es bis zur zweiten Sitzung, der Dialog-Konsens-Sitzung, studieren soll, um damit auch selbst, eigenaktiv ein Strukturbild der (eigenen) Subjektiven Theorie legen zu können. Am Anfang dieser zweiten Sitzung erhält das Erkenntnisobjekt die extrahierten Konzeptkärtchen mit der Bitte um Zustimmung bzw. Modifikation, Ergänzung etc. Auf der Grundlage dieses in erster Linie vom Erkenntnisobjekt festgelegten Pools von Konzeptkärtchen wird dann sowohl vom Erkenntnissubjekt wie -objekt ein Strukturbild (der Subjektiven Theorie des Erkenntnisobjekts) gelegt. Den Schluß. bildet der Vergleich dieser beiden Strukturbilder, die in der Regel durchaus substantielle Unterschiede aufweisen, und die konsensuale Diskussion und Entscheidung, welche Konzept-Relations-Kombinationen das vom Erkenntnisobjekt Gemeinte am besten repräsentieren. Dieses abschließende (dritte) Strukturbild ist dann die Konsensversion der jeweiligen Subjektiven Theorie, die in weitere Auswertungsbzw. Aufarbeitungsschritte eingeht (vgl. als differenziertere Darstellung dieses Zwei-Schritt-Ablaufs z.B. Scheele/ Groeben 1988: 35 ff; Groeben 1992: 52 ff). Diese Optimalversion der kommunikativen Validierung von Subjektiven Theorien ist nicht in allen Fällen möglich oder nötig, weswegen es Komprimierungsvarianten gibt, bei denen einzelne Teilaspekte miteinander verschmolzen werden (so z.B. das Einüben des Umgangs mit den Relationen zugleich mit der Erstellung der endgültigen Konsensvariante des Strukturbildes; vgl. Groeben 1992). Andererseits gibt es auch situative und personale Bedingungen, die eventuell zur ausdifferenzierenden „Dehnung" einzelner Schritte oder Teilaspekte zwingen, wenn z.B. motivationale oder sprachliche Beschränkungen auf seiten der Untersuchungsteilnehmer/ -innen vorliegen, die eine ausführlichere Beispielgebung für Struktur-Rela- FLuL 27 (1998) 24 Brigitte Scheele, Norbert Groeben tionen erfordern oder einen eigenen Teilschritt der Konzeptextraktion bzw. -veränderung (a.a.O.; Burgert 1992). Hier gilt wie generell bei sogenannter qualitativer, vom idiographischen (Einzel-)Fall ausgehender Forschungsmethodik, daß die konkrete Realisierung der Teilschritte an die Gegebenheiten des Einzelfalls adaptiert werden kann und sollte (so z.B. auch bei Kallenbach 1996). Denn gerade dadurch wird eine möglichst gegenstandsadäquate Annäherung an die ideale Sprechsituation (s.o.) erreicht. Und diese Annäherung ist notwendig, um von einer (approximativen) Erfüllung des dialog-konsens-theoretischen Wahrheitskriteriums auszugehen. Das dialog-konsens-theoretische Wahrheitskriterium besteht, wie es in den beiden Teilschritten der kommunikativen Validierung zum Ausdruck kommt, in der Zustimmung (Konsens) des Erkenntnisobjekts zu der verstehenden Rekonstruktion des Erkenntnissubjekts, wobei sich diese Rekonstruktion auf Inhalt und Struktur des thematischen Kognitionssystems auf seiten des Erkenntnisobjekts bezieht. Der Dialog-Konsens ist, wie die Frankfurter Schule an der Rekonstruktion des psychoanalytischen Verstehensprozesses verdeutlicht hat (vgl. Habermas 1973; 1981), das konzeptuell zentrale (wenn nicht einzige) Wahrheitskriterium für die Beschreibung von komplexen internen kognitiven Inhalten und Strukturen des Gegenübers, die eben nicht von außen beobachtbar sind, sondern über die einzig und allein das Gegenüber (als Erkenntnisobjekt) Auskunft geben kann. Die Wahrheit dieser beschreibenden Auskunft hängt von der Wahrhaftigkeit der Auskunft gebenden Person ab, die wiederum durch die ideale Sprechsituation soweit wie möglich gewährleistet werden kann. Die Adäquatheit der wissenschaftlichen Beschreibung dieser Kognitionsinhalte und -Strukturen des Erkenntnisobjekts durch das verstehende Erkenntnissubjekt wird dann eben durch die Zustimmung des Erkenntnisobjekts zu dieser verstehend-rekonstruierenden Beschreibung des Erkenntnissubjekts gesichert (vgl. Scheele 1988: 135 ff). Da die ideale Sprechsituation eine "kontrafaktische Situation" (Groeben 1988c: 239 ff) darstellt, kann folglich auch das dialogkonsens-theoretische Wahrheitskriterium nie vollständig, sondern nur approximativ erreicht werden. Dies allerdings stellt keine suboptimale Beschränkung oder Begrenzung dieses Wahrheitskriteriums dar, weil sich die Wissenschaftstheorie heute darüber im klaren ist, daß auch alle beobachtungsorientierten empirischen Wahrheitskriterien (einschließlich des zentralen Falsifikationskriteriums) nur approximativ erreichbar sind (vgl. Groeben/ Westrneyer 1981: 31 ff). Insofern darf man wohl mit Fug und Recht festhalten, daß die kommunikative Validierung innerhalb des FST als systematische Ausarbeitung des dialog-konsens-theoretischen Wahrheitskriteriums die bislang differenzierteste und sicherste Vorgehensweise zur rekonstruktiven Erhebung komplexer individueller Kognitionssysteme darstellt. 4. Explanative Validierung zur Sicherung der Handlungsleitung Wie bei der Explikation der engeren Konzeptvariante von 'Subjektiver Theorie' bereits eingeführt, impliziert die Rekonstruktionsadäquanz allerdings nicht, daß die FLuL 27 (1998) Das Forschungsprogramm Subjektive Theorien ... 25 entsprechenden Kognitionssysteme auch empirisch valide sind. Die potentielle Rationalität des reflexiven Subjekts Mensch bedeutet nicht, daß seine Reflexionen immer und überall auch realitätsadäquat sind. Das gilt bekanntlich bereits für wissenschaftliche, systematisch abgleitete Hypothesen und um so mehr auch für das weniger systematische subjektive Alltags-Theoretisieren. Man kann sich mit seinen Reflexionen über die Welt und sich selbst (s.o. 'Kognitionen der Selbst- und Weltsicht') irren. Insofern ist die Frage nach der Realitätsadäquanz (der Subjektiven Theorien) separat und über die Phase der kommunikativen Validierung hinaus zu stellen und zu beantworten; dies geschieht in der Phase der sogenannten explanativen Validierung. Damit wird im FST übergreifend (im Optimalfall) eine Zwei- Phasen-Struktur des Forschungsprozesses generell angesetzt: nämlich die kommunikative Validierung zur Feststellung der Rekonstruktionsadäquanz (der vom Erkenntnissubjekt verstandenen Subjektiven Theorien des Erkenntisobjekts) und die explanative Validierung zur Feststellung der Realitätsadäquanz dieser Subjektiven Theorien, d.h. zur Beantwortung der Frage, ob sie auch empirisch valide sind. Dabei wird davon ausgegangen, daß die Phase der kommunikativen Validierung vor-, aber untergeordnet, die der explanativen Validierung nach-, aber übergeordnet ist (vgl. Abb. 2). 1 Explanative Validierung Realitäts-Adäquanz des explanativen Konstrukts Ursache und Wirkungen von Handlungen Kommunikative Validierung Rekonstruktions-Adäquanz des deskriptiven Konstrukts: Beobachtendes Erklären unter falsifikationstheoretischem Wahrheitskriterium Gründe, Intentionen, Ziele des Handelnden Verstehendes Beschreiben unter dialog-konsens-theoretischem Wahrheitskriterium vorgeordnet nachgeordnet Abb. 2: Integrationsmodell der methodologischen Forschungsstruktur zur Verbindung von Innen- und Außensicht, Sinnkonstituierung und Geltungsprüfung, kommunikativer und explanativer Validierung (Groeben 1986: 326) FLuL 27 (1998) 26 Brigitte Scheele, Norbert Groeben Inhaltlich beschreibt die kommunikative Validierung also die Gründe, Intentionen, Ziele von Handelnden, während die explanative Validierung überprüft, ob diese Gründe und Ziele auch als Ursachen und Wirkungen der entsprechenden Handlungen aus der Beobachtungsperspektive der dritten Person 'objektiv', d.h. intersubjektiv, akzeptierbar sind. Dabei muß die Phase der kommunikativen Validierung vorgeordnet sein, weil die Sinndimension von Handlungen, d.h. diejenige Bedeutung, die die handelnde Person mit ihrem Handeln verbindet, überhaupt erst festgestellt sein muß, um von Handlungen sprechen und sie erklären zu können; zugleich ist die explanative Validierung übergeordnet, weil eben nur aus der Beobachtungsperspektive der dritten Person die Frage der Ursachen und Wirkungen adäquat zu beantworten ist. Selbstverständlich gibt es auch in bezug auf diese Zwei-Phasen-Struktur des Forschungsprozesses, die von der Erforschung von Handlungseinheiten ausgeht, Komprimierungs- und Reduktionsformen, wenn z.B. reflexhafte Verhaltensreaktionen vorliegen, für die entweder gar keine kognitive Bedeutungskonstituierung oder aber eine für den Reflexablauf irrelevante existiert (vgl. im einzelnen zu Reduktionsformen Groeben 1986: 336 ff). Im Bereich des Fremdsprachenunterrichts ist die vollständige Zwei-Phasen- Struktur mit kommunikativer und explanativer Validierung nicht zuletzt deshalb angemessen, weil es sich wie eingangs betont beim Fremdsprachenlernen (im Unterricht) um den Prototyp eines willkürlichen, bewußten Lernens handelt; und für das Lehren sollte diese Qualität des bewußten, geplanten Handelns idealtypisch natürlich allemal gelten. Dabei ist neben der Realitätsadäquanz von Subjektiven Theorien über andere (z.B. von Lehrenden über Lernende wie von Lernenden über Lehrende) vor allem auch der spezielle Fall der Validität bzw. Veridikalität der Subjektiven Theorien über eigenes Handeln von Bedeutung, der innerhalb des FST mit dem Terminus technicus 'Handlungsleitung' der (selbstbezogenen) Subjektiven Theorien belegt ist (Wahl 1979). Und dieses Problem der Handlungsleitung ist sowohl auf seiten der Lernenden wie der Lehrenden von besonderer Relevanz. Für die Seite der Lernenden hat sich z.B. schon in der Metakognitionsforschung (s.o.) erwiesen, daß etwa die Kenntnis von Lernstrategien nicht automatisch bedeutet, daß diese Strategien auch im eigenen (Lern-)Handeln eingesetzt werden; vielmehr ist meistens empirisch eine erhebliche Diskrepanz zwischen dem Strategienwissen und der Strategienanwendung festzustellen (Baumert 1993; Krapp 1993). Und auch auf seiten der Lehrenden sind didaktische Kenntnisse gerade nicht automatisch mit entsprechenden Handlungskompetenzen und -realisierungen gleichzusetzen (vgl. Wahl [et al.] 1983; Mutzek 1988); in der Schließung dieser Wissens- und Könnens- Diskrepanz besteht schließlich ein Großteil der einschlägigen Referendariatsausbildung. Ein Einsatz des FST innerhalb des Fremdsprachenunterrichts sollte also auf jeden Fall auch die Realitätsadäquanz der erhobenen (kommunikativ validierten) Subjektiven Theorien über Lernen und Lehren mit thematisieren und überprüfen. Denn diese Überprüfung ist nicht nur für die Entscheidung relevant, ob und gegebenenfalls welche Innensicht-Gründe von Handelnden auch aus der Außensicht FLuL 27 (1998) Das Forschungsprogramm Subjektive Theorien ... 27 als Ursache dieses Handelns akzeptierbar sind; vielmehr sind auch (partiell) inadäquate Subjektive Theorien für die Erklärung menschlicher Aktivitäten wichtig, z.T. sogar unverzichtbar. Im klassischen Beispiel, das in der analytischen Handlungstheorie erarbeitet und diskutiert worden ist, geht es um eine Person, die ein kupfernes Amulett trägt. Eine adäquate Erklärung dieses Sachverhalts ist nur möglich, wenn man auf die Überzeugung der entsprechenden Person zurückgreift, daß ein solches Amulett vor Krankheit schützt (Groeben 1986: 281 f). Groeben hat (1988b: 70 ff) solche (wissenschaftlichen) Erklärungen, die auf subjektive Reflexionen/ Erklärungen zurückgreifen, 'epistemologische Erklärungen' genannt. Hinsichtlich der Bewertung dieser subjektiven Reflexionen als realitätsadäquat oder -inadäquat (valide bzw. veridikal oder nicht-valide bzw. nicht-veridikal) kann man zwischen dem Motivsystem der subjektiven Erklärung, das sich auf die Gründe des Handelns bezieht, und dem Überzeugungssystem, das sich auf die Ziele bzw. Wirkungen bezieht, unterscheiden. Unter Rückgriff auf diese Unterscheidung ergeben sich unter der Perspektive der Realitätsadäquanz oder -inadäquanz von Motivbzw. Überzeugungssystem vier grundsätzliche Typen von epistemologischen Erklärungen, die Grotjahn (1991; nach Groeben 1988b: 78) in einer Abbildung zusammengefaßt hat (vgl. Abb. 3). Type Designation (1) Fully rational (2) Belief-irrational (3) Motive-irrational (4) Fully irrational v = veridical or valid Adequacy to Reality Motive System V V n-v n-v Belief System V n-v V n-v n-v = non-veridical or non-valid Abb. 3: Basic types of subjective theories used in epistemological explanations (nach Grotjahn 1991) Beim ersten Fall handelt es sich um die vollständig (d.h. motiv- und wissens-)rationale Subjektive Theorie, die als 'objektive' wissenschaftliche Erklärung übernommen werden kann (Groeben 1988b: 79 ff); im zweiten Fall liegt eine motivrationale (aber wissensirrationale) Subjektive Theorie vor, in der lediglich die erwarteten Wirkeffekte des Handelns in der Realität nicht eintreten (a.a.O.: 81 ff). Der dritte Fall der wissensrationalen, aber motivirrationalen Subjektiven Theorie fällt nach Groeben (1986: 163 ff) unter die Gegenstandskategorie des 'Tuns', weil die handelnde Person eben nicht weiß, was und warum sie etwas tut (vgl. auch Groeben 1988b: 83 ff); im (vierten) Fall einer motiv- und wissensirrationalen Subjektiven Theorie ist die Vernachlässigung dieser Subjektiven Theorie für die 'objektive' wissenschaftliche Erklärung gerechtfertigt (und damit u.U. eine verhaltenstheoreti- FLuL 27 (1998) 28 Brigitte Scheele, Norbert Groeben sehe Modellierung (Groeben 1988b: 85 ff). Auch in diesem Fall ist aber im praktischen Lernkontext das Wissen darum, welche realitätsinadäquaten Gedanken u.U. bei Lernenden oder Lehrenden interferieren, nicht unwichtig. Diese epistemologischen Erklärungsstrukturen sind daher gerade auch im Hinblick auf die zweiphasige Überprüfung der kommunikativen wie explanativen Validierung nicht unkomplex, zugleich aber von erheblicher Praxisrelevanz. Diese Praxisrelevanz zeigt sich auch in den methodologischen Varianten der Überprüfung der Realitätsadäquanz. Diesbezüglich sind im FST drei prototypische Zugangsweisen unterschieden worden: Korrelations-, Prognose- und Modifikationsstudien (vgl. Wahl 1988: 180 ff). Modifikationsstudien stellen dabei mit Sicherheit die höchsten methodologischen Anforderungen, insofern als hier die Handlungsleitung der jeweiligen Subjektiven Theorien dadurch geprüft wird, daß das Kognitionssystem verändert wird, um dann zu überprüfen, ob sich auch die beobachtbaren Aktivitäten des jeweiligen Individuums ändern. Eine solche potentielle Modifikation von Subjektiven Theorien dürfte letztlich auch eins der praktischen Ziele bei der Anwendung des FST im Fremdsprachenunterricht sein, indem suboptimale Kognitionsstrukturen auf seiten der Lernenden wie der Lehrenden im Sinne einer Verbesserung verändert werden. Dem liegt eine mit der Parallelität der Menschenbildannahmen (zwischen Erkenntnissubjekt und -objekt) begründete Austauschperspektive zwischen Subjektiven und 'objektiven' Theorien zugrunde (vgl. schon Groeben/ Scheele 1977: 176 ff): Das FST ist wie kein anderes Forschungsprogramm wegen der strukturellen und funktionalen Parallelitäten der Kognitionssysteme (von Wissenschaft und Alltags-Theoretisieren) dazu geeignet, eine Annäherung von wissenschaftlicher und Alltags-Rationalität zu erreichen. Dabei ist mit Nachdruck zu betonen, daß diese Annäherung in beide Richtungen gehen kann und soll, das heißt nicht nur von den Subjektiven zu den intersubjektiven Theorien, sondern auch umgekehrt (wo dies sinnvoll und nötig ist; vgl. Groeben [et al.] 1988: 121 ff, 292 ff, 306 ff). In der Regel wird es sich gerade auch bei der Optimierung des Fremdsprachenunterrichts sicherlich um eine Verbesserung der Subjektiven Theorien durch Einbeziehung wissenschaftlicher Erkenntnisse handeln; das entspricht ja durchaus dem prinzipiellen Ziel des FST, die Alltags-Rationalität so weit wie möglich zu verbessern (und sie der wissenschaftlichen anzunähern, dort wo dies effektiv und sinnvoll ist). Wegen dieser anthropologisch-utopischen Wertungsperspektive wird im FST auch die Veränderung des Erkenntnis'gegenstands' nicht nur toleriert, sondern aktiv angestrebt. Das beginnt bei dem Explizitheits- und Präzisionsgewinn für die subjektiven Kognitionssysteme in der Phase der kommunikativen Validierung und endet bei dem Austausch von Subjektiven und 'objektiven' Theorien zur Verbesserung der Handlungsleitung dieser Kognitionssysteme (wobei auch Zwischenschritte wie der Austausch zwischen verschiedenen Subjektiven Theorien, sei es von Lernenden oder Lehrenden, durchaus konstruktiv sein können: vgl. z.B. Kallenbach 1996: 229 ff). Zugleich aber, wie gesagt, wird auch hier die wissenschaftliche Rationalität nicht um jeden Preis dem subjektiven Theoretisieren übergeordnet. Ein klassisches Bei- FLuL 27 (1998) Das Forschungsprogramm Subjektive Theorien ... 29 spiel dürfte das Problem der (subjektiven) Attribution von Lernerfolgen bzw. -mißerfolgen der Lernenden durch die Lehrenden sein: Hier hat die Attributionsforschung immer wieder nachgewiesen, daß die Lehrenden aus psychohygienischen Gründen den Lernerfolg der Schüler/ -innen mehr als dies realitätsadäquat ist auf sich selbst zurückführen, den Mißerfolg der Lernenden allerdings ebenfalls mehr als berechtigt auf deren Unvermögen oder mangelnde Anstrengung (Beckman 1970/ 73). Unter ethischer Perspektive würden wir hier eine Grenze für die 'Verbesserung' der Subjektiven Theorien ansetzen, weil die psychohygienische Funktion dieser 'Fehlattribution' für die Lehrenden und deren motivational-existentielle Situation u.U. entscheidend wichtig ist. Daran zeigt sich, daß das FST letztendlich auch mit einer Erweiterung der wissenschaftstheoretischen Kriterien über das in der szientifischen Forschung zentrale bzw. fast ausschließliche Zielkriterium des empirischen Erklärungswerts hinaus verbunden ist (vgl. Obliers 1992). Die nicht nur darin liegende Praxisrelevanz kann und wird so hoffen wir auf die Dauer auch dem Fremdsprachenunterricht zugute kommen. Bibliographische Angaben BANNISTER, Don/ FRANSELLA, Fay (1981): lnquiring Man. Harmondsworth: Penguin [Dt.: Der Mensch als Forscher. Münster: Aschendorff]. BAUMERT, Jürgen (1993): "Lernstrategien, motivationale Orientierung und Selbstwirksamkeitsüberzeugungen im Kontext schulischen Lernens". In: Unterrichtswissenschaft 21.1, 327-354. BECKMAN, Linda (1970/ 73): "Effects of Students' Performance on Teachers' and Obervers' Attributions of Causality". In: Journal of Educational Psychology, 61 (1970), 76-82 [Dt. in: H0FER, Manfred/ WEINERT, Franz Emanuel (Hrsg.) 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