Fremdsprachen Lehren und Lernen
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0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
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1998
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Gnutzmann Küster SchrammMarinette MATTHEY: Apprentissage d’une langue et interaction verbale.
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1998
Peter Scherfer
Marinette MATTHEY: Apprentissage d’une langue et interaction verbale. Sollicitation, transmission et construction des connaissances linguistiques en situation exolingue. Bern: Peter Lang 1996 (Coll. EXPLORATION: Recherches en sciences de l’éducation), X + 225 Seiten [DM 55,-]
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Buchbesprechungen • Tagungsberichte Marinette MATIHEY: Apprentissage d'une langue et interaction verbale. Sollicitation, transmission et construction des connaissances linguistiques en situation exolingue. Bern: Peter Lang 1996 (Coll. EXPLORATION: Recherches en sciences de l'education), X+ 225 Seiten [DM 55,-]. Die Frage, ob in der sprachlichen Interaktion zwischen Muttersprachlern (MS, natifs) und NichtmuttersprachJ1ern (NMS, locuteurs alloglottes) Fremdsprachenerwerb stattfinden kann, weil in solchen Situationen der sog. exolingualen Kommunikation der MS eine Art partnerschaftliche "Lehrer"rolle und der NMS eine Lernerrolle akzeptiert', ist nicht nur von wissenschaftlichem, sondern auch von großem praktischen Interesse dies gerade im Zeitalter wachsender internationaler Kontakte (auch zwischen Fremdsprachenlernern). Auch der Fremdsprachenunterricht jeglichen Typs findet weitgehend durch sprachliche Interaktionen statt. Er kann sich daher von der Erforschung dieser Fragestellung didaktisch-methodische Anregungen erhoffen. Mattheys Arbeit, die im Dezember 1994 von der Faculte des Lettres der Universite de Neuchatei als Doktorarbeit angenommen wurde, leistet einen beachtenswerten Beitrag zur Erforschung dieser Problemstellung. Das Buch legt eine theoriegeleitete empirische Studie dar. Es umfaßt eine Einleitung, drei inhaltliche Teile (Kap. 1-3; 4, 5; 6-8), ein Fazit, die Bibliographie und einen Sachindex. Im ersten Teil skizziert Matthey ihre durchaus originelle Konzeption einer Theorie des Fremdsprachenerwerbs durch sprachliche Interaktion. Im zweiten werden die erkenntnisleitenden heuristisch-theoretischen Analyseinstrumente dargelegt. Im dritten, empirischen Teil werden konkrete Corpusanalysen vorgestellt, durch die das analytische Begriffsinstrumentarium erprobt und verfeinert wird, die aber auch aufschlußreiche inhaltliche Ergebnisse erbringen. Mattheys Daten bestehen aus Transkriptionen exolingualer Kommunikationen (z.T. zwischen Kindern und Erwachsenen), in denen die Zielsprache Französisch ist, und aus Protokollen von Gesprächen, in denen der jeweilige NMS seine Sprachproduktionen kommentiert und bewertet (« autoconfrontation », vgl. 145-149). Matthey verzichtet darauf, den Stand der Forschung ausführlich zu charakterisieren. 2 Sie motiviert ihre Theorie durch die Kritik rein linguistischer Spracherwerbstheorien generativistischer und pragmatico-funktionalistischer Prägung. Diese seien zu reduktionistisch, da sie den Prozeßcharakter des Spracherwerbs und dessen soziale und psychische Bedingungsfaktoren nicht erfaßten. Sie setzt sich daher für ihre Arbeit das Ziel, Elemente einer soziolinguistisch, kommunikationsethnographisch und psychosozial orientierten Fremdsprachenerwerbstheorie zu entwickeln, mit welcher der Fremdsprachenerwerb als ein interaktionistisch-kognitiver Prozeß beschrieben wird, der weitgehend von den sprachlichen Ereignissen abhängt, die der Lerner erlebt, und in dem die Dimensionen der Identität eine große Rolle spielen. Unter diesen Gesichtspunkten sei Lernen nichts weiter als das Ergebnis der Anwendung von sprachlichen Verhaltensweisen der Interaktanten, die speziell dafür geeignet sind, sprachliche Kommunikationsprobleme auszuhandeln (vgl. 2). Sie wendet einen interdisziplinären Ansatz an, und zwar in der Weise, daß Vgl. zur Charakterisierung dieser Situation des „Fremdsprachenlehrens und -Jemens": Peter SCHERFER: "Zur Erforschung von Sprachlehr- und -lemprozessen auf Gegenseitigkeit". In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 12 (45) (1982), 72-99. Ich verwende im folgenden zur Bezeichnung der Partner in der exolingualen Kommunikation „MS" und „NMS" entsprechend der obigen Ausführungen. 2 Vgl. hierzu das Buch von Henrici (Gert HENRICI: Spracherwerb durch Interaktion? [...]. Hohengehren: Schneider 1995), das Matthey nicht erwä_hnt. FLuL 27 (1998) Buchbesprechungen • Tagungsberichte 223 « l'endroit ou les disciplines entrent en contact n'est pas une etude qui reunit des chercheurs de provenances differentes mais cette rencontre s'effectue dans l'esprit meme des chercheurs! » (34) ein Vorgehen, auf das auch Praktiker des Fremdsprachenunterrichts ständig zurückgreifen müssen. Sie zeigt (im 2. Kap.) auf, daß ethnolinguistische Methoden auch auf die Untersuchung der exolingualen Kommunikation angewendet werden (vgl. 47-50). Solche Untersuchungen sind für Fremdsprachenerwerbsforscher interessant, die insbesondere Erwerbsprozesse untersuchen wollen, wie sie in Situationen „natürlichen" sprachlichen Austausches vorkommen, und nicht nur die Erwerbsresultate des (meist schulischen) Unterrichts. Den Forschungsarbeiten über die Beziehungen zwischen exolingualer Kommunikation und Fremdsprachenerwerb entnimmt Matthey (im 3. Kap.) vier Begriffe, die es erlauben, dieses Verhältnis unter spracherwerblichen Gesichtspunkten zu beschreiben sowie zu interpretieren. Und zwar kann der Spracherwerb nur dann gelingen, wenn ein didaktischer Vertrag(« contrat didactique »)vorliegt.Er besteht darin, daß der MS die Rolle als „Lehrer" und derNMS die Rolle als „Lerner" akzeptieren, und zwar unter Hintanstellung solcher psychosozialer kommunikativer Phänomene wie Überlegenheit vs. Unterlegenheit, Symbolisierung eines negativen Selbstbildes des „Unterlegenen" etc. Ferner muß der Parameter der Stützung(« etayage ») vorliegen, d.h. eine Form der Zusammenarbeit, in der MS und NMS sich die sprachlichen Aufgaben gemäß ihrer jeweiligen Kompetenzen verteilen. Unter diesen Bedingungen kommen in der exolingualen Kommunikation potentiell erwerbsfördernde Sequenzen ( « sequences potentiellement acquisitionnelles » [SPA]) vor. Sie entstehen dadurch, daß der MS in eine vom NMS selbst strukturierte Äußerungsfolge ( « autostructuration ») mit dem Ziel eingreift, diese hinsichtlich einer angedeuteten Intention zu ermöglichen oder sie beiüglich der Norm der Zielsprache akzeptabler zu machen ( « heterostructuration » ). Solche Äußerungsfolgen können ein bestimmtes Format (« format ») annehmen, d.h. bestimmte „ritualisierte" Strukturen, die es dem NMS erlauben, zu lernende Informationen besser zu erkennen und zu verarbeiten. Als Untersuchungsmethode schlägt Matthey vor, sog. Observablen(« observables » ), d.h. unter theoretischen Gesichtspunkten vom Wissenschaftler intuitiv ausgewählte Diskurssequenzen, zu analysieren. Wenn verschiedene Analysen gleiche Ergebnisse erbringen, erhalten diese den Wert eines Indizes ( « indice » ). Indizien kontrollieren die Intuition des Forschers. Sie sind « la materialisation linguistique et/ ou conversationnelle d'un processus extraverbal » (32). Von einem Indiz kann nicht immer eindeutig auf den zugrunde liegenden Prozeß geschlossen werden: « Par exemple, l'observable que constitue la reprise par l'apprenant de tout ou partie de l'enonce du natif peut etre l'indice de la saisie cognitive d'une donnee presente dans l'enonce de ce dernier. Mais une reprise peut aussi, en meme temps, etre un indice des 'effets de place' [... ], materialisant ainsi une certaine definition de la situation et de la relation entre· les interlocuteurs » (32). Im heuristischen Teil ihrer Arbeit übernimmt Matthey (im 4. Kap.) den Begriff der Zone der nächsten Entwicklung (« zone proximale de developpement » [ZPD]) von Wygotski. 3 Die ZPD ist definiert als der Distanzbereich zwischen den sprachlichen Leistungen, die der NMS autonom, und denen, die er nur mit Hilfe des MS vollbringen kann (vgl. 90-91). Damit wird die Tatsache erfaßt, daß sich aktuelle Lernprozesse nur auf der Grundlage geeigneten Vorwissens vollziehen können (vgl. 98) und daß die Lernentwicklung stets von der Möglichkeit abhängt, Neues in Kollaboration mit anderen (die dies schon können) auszuprobieren (vgl. 86). ZPD werden beobachtbar, wenn der NMS in irgendeiner Weise ein sprachliches Problem verbalisiert und wenn er dann versucht, die entsprechende Form, die der MS ihm als Lösung anbietet, in seine eigene Äußerung zu übernehmen. Vgl. WYGOTSKI, Lew S.: Denken und Sprechen. Berlin: Akademie-Verlag 1964 (Lizenzausg. S. Fischer Ver! .), 259 ff. FLuL 27 (1998) 224 Buchbesprechungen • Tagungsberichte Diese heuristischen Überlegungen werden im 5. Kapitel durch. die Übernahme von Analysemethoden der experimentellen Sozialpsychologie ergänzt. Sie unterscheiden verschiedene Analyseebenen, und zwar die Ebenen der intra- und der inter-individuellen Prozesse, die der sozialen Positionen der Interaktanten und schließlich diejenigen, welche die Glaubens- und Wissensinhalte sowie die Normen betreffen, die der Proband in die Untersuchungssituation einbringt (vgl. 109). An zwei Beispielen wird eine entsprechende Analyse exolingualer Diskurssequenzen illustriert und daraus die Konsequenz gezogen, auf welchem Analyseniveau welche Observablen welchen Typ von Analyse erfordern (vgl. Tableau 1; p. 126): Niveau d'analyse Observables Type d'analyse Des processus intra-individuels Lies aux operations cognitives Analyse des formes linguistiques Des processus inter-individuels Lies a la definition de la relation entre Analyse de la structure de ! es interlocuteurs l'interaction Des positions sociales des sujets Lies aux positions identitaires, au con- Analyse de la structure de texte social l'interaction et analyse du contenu Des croyances, representations, Lies aux representations vehiculees Analyse des formes linguievaluations et normes des sujets par les interlocuteurs dans la situation stiques et du contenu Dieses Analyseraster, das Matthey konsequent anwendet, besticht durch seine Einfachheit, und es ermöglicht in der Tat eine effektive Datenanalyse und -auswertung. Im empirischen Teil der Arbeit geht Matthey im 6. Kapitel auf der Grundlage ihrer Cprpusanalysen zunächst dem Problem nach, « que, lors de toutes interactions exolingues orientees vers Ja transmission et l'appropriation du code de l'interaction, certaines donnees sont susceptibles d'etre negociees par ! es interlocuteurs, alors que d'autres ne peuvent entrer dans de telles negociations » (129). Indizien der ZPD lassen sich an den Abstimmungsmodalitäten (« modalites de reglage ») zwischen den Interaktanten festmachen, die sich als prises und donnees manifestieren. Mit donnee wird eine Form bezeichnet, die in einer Äußerung des MS vorkommt; eine prise ist die Wiederholung, Verwendung etc. (« reconstruction verbalisee ») dieser donnee durch den NMS (vgl. 130). Die prototypische Abstimmung hat die folgende konversationelle Struktur: « Sollicitation de l'apprenant, production de Ja donnee attendue et clöture de Ja sequence laterale doublement manifestee, par l'alloglotte et Ja native» (131). In diesem Fall liegt« un evenement potentiellement acquisitionnel » vor (vgl. 163). Im Verhalten der NMS lassen sich auch Widerstände gegen die helfenden Eingriffe der MS (« resistances a l'heterostructuration » [cf. 139-140]) beobachten, und zwar auf Grund der folgenden Tatsachen: Die Situation des didaktischen Vertrags ist durch die Mehrfunktionalität gekennzeichnet, die darin besteht, daß neben den kommunikativen Zielen (sich etwas mitteilen, erzählen etc.) auch die Aufgabe des Erwerbs zielsprachlicher Strukturen durch den NMS wahrgenommen wird (vgl. 57). Widerstände gegen die Heterostrukturation sind zumindest teilweise darauf zurückzuführen, daß die NMS diese .Plurifunktionalität nicht erkennen bzw. nicht im Sinne des Spracherwerbs auswerten können, und zwar auf Grund eines bestimmten Sprachbewußtseins. Hierunter faßt Matthey « [... ] un ensemble de representations linguistiques, de besoins communicatifs et d'objectifs d'apprentissage, ensemble lie au niveau de developpement de l'interlangue et largement determine par Je vecu langagier de I'apprenant. Cette conscience Iinguistique peut etre orientee vers une conception lexicopragmatique ou morphosyntaxique de Ja langue cible et eile se verbalise dans ! es activites de focalisation et d'extraction de donnees realisees par I'apprenant » (157). Auch wenn Matthey dies nicht explizit so sagt, scheint mir hier der durchaus beachtens- FLuL 27 (1998) Buchbesprechungen • Tagungsberichte 225 werte Gedanke vorzuliegen, daß die naiven (vorwissenschaftlichen) Meinungen der NMS über den Erwerb einer Fremdsprache 4 als ein für den Lernerfolg entscheidender Faktor angesehen werden müssen. Matthey macht ferner die folgende Beobachtung: Wenn NMS mit ihren Äußerungen konfrontiert werden und diese dann reformulieren, gebrauchen sie häufig Formen, die in den spontanen Produktionen nicht vorkommen. Dabei handelt es sich vor allem um Artikel, Präpositionen ... , also um« marqueurs de grammaticalisation » (149). Sie interpretiert dies als Vorliegen von ZPD in der Lernersprache, als Variation in der Lernersprache. Die Variationen in der Lernersprache geben einen Hinweis darauf, worin Möglichkeiten des Erwerbsfortschrittes liegen. Er kann im morphosyntaktischen Bereich nur dann gelingen, wenn in der Lemersprache konkurrierende Formen vorliegen, die ausdifferenziert werden können (157). Wenn also beispielsweise ein NMS die Präpositionen a und avec bereits kennt, jedoch lediglich avec gebraucht, d.h. übergeneralisiert, dann liegt ein Fall von Variation vor, und der NMS kann in einem folgenden Lernschritt die entsprechende Differenzierung lernen. « [... ] ! es SPA a focus grammatical ne fournissent pas de nouveau materiel verbal mais interviennent sur une variation spontanee, issue de donnees presentes dans le discours des natifs mais non encore analysees par l'apprenant » (152). Ich halte die Ergebnisse dieses Kapitels aus zwei Gründen für besonders wichtig. Zum einen füllen sie eine Forschungslücke hinsichtlich der sog. "Lehrbarkeitshypothese" 5• Nach Henrici (1995: 7-8 [vgl. Anm. 2]) habe diese Hypothese, derzufolge Instruktionen nur dann dem Spracherwerb förderlich seien, wenn sie an Stellen erfolgten, an denen die Lerner entsprechend ihres sprachlichen Entwicklungsstandes für ihre Aufnahme bereit seien, nur dann Erklärungskraft, wenn genau beschrieben würde, welcher Art die Instruktionen seien und in welchen interaktiven Abläufen sie stattgefunden hätten. Genau diese Forderung erfüllt Mattheys Analyse. Zum anderen stellt sie einen Unterschied zwischen lexikalischem und grammatischem Erwerb fest. Das interaktive Aushandeln lexikalischer Probleme ist weitgehend unproblematisch, und der entsprechende Erwerb stellt ein« accroissement du materiel verbal» (151) dar. Der Erwerb grammatischer Strukturen stellt größere Anforderungen an das Sprachbewußtsein. Metasprachliche Vorkenntnisse, die auch die Kenntnis einer grammatischen Terminologie umfassen, welche weitgehend in einem darauf ausgerichteten Unterricht erworben werden, sind bei der Aushandlung entsprechender Probleme sehr nützlich (vgl. 154-156). Im 7. und 8. Kapitel geht Matthey der Frage nach, welche Typen von donnee-prise-Strukturen (« occurences donnee-prise » [ODP]) festzustellen sind und welche von ihnen auf welche Weise zu einer kognitiven Verarbeitung und zum Behalten sprachlicher Informationen, also zu einer saisie (vgl. 164), führen können. Als Ausgangsfall für die Analysen wählt Matthey Kommunikationshemmnisse, und zwar den spezifischen Fall der pannes de recit, da diese dadurch Spracherwerb auslösen können, daß sie Aushandlungen (« negociations ») zwischen den Partnern zur Folge haben. Eine panne de recit stellt ein Indiz für ein sich anbahnendes Formulierungsproblem dar, das sich entweder dadurch zeigt, daß der NMS zögert bzw. schweigt oder aber daß er das Problem, das sich ihm stellt, verbalisiert (vgl. 165). Die Reparaturen eines Kommunikationsproblems manifestieren sich in einem Format, in dem verschiedene Konfigurationen von sog. occurences donnee-prise vorkommen. 4 Vgl. Christine KALLENBACH: Subjektive Theorien. Was Schüler und Schülerinnen über Fremdsprachenlernen denken. Tübingen: Narr 1996. 5 Vgl. Manfred PIENEMANN: "Psychological constraints on the teachability of languages". In: Studies in Second Language Acquisition 6(2) (1984), 186-214. Ders.: "Is language teachable? Psycholinguistic experiments and hypotheses". In: Australian Working Papers in Language Development 1(3) (1986), 52-97. FLuL 27 (1998) 226 Buchbesprechungen • Tagungsberichte Matthey erhebt in ihrem Corpus 89 pannes de recit, die « une reparation sur plusieurs tours de parole » (167) nach sich ziehen. Davon haben 35 das unmarkierte, d.h. das am häufigsten vorkommende Format, das die folgende Struktur aufweist: NMS: MS: NMS: MS: NMS: obstacle proposition [Vorschlag, das Problem zu überwinden] (ratification) [Vorschlag wird übernommen, durch Wiederholung eines Teils oder der ganzen Äußerung des Erwachsenen oder durch oui, ouais, mh, etc.] (confirmation) [Übernahme durch den Lerner wird bestätigt] enchafnement [der Diskurs wird fortgesetzt] [vgl. 167; die runden Klammem bedeuten, daß diese Phase auch übersprungen werden kann]. Die markierten Formate zeichnen sich dadurch aus, daß dem endgültigen Lösungsvorschlag (« proposition ») eine oder mehrere Lösungsbemühungen ( « sollicitations ») vorgeschaltet sind. Es zeigt sich, daß die Erwachsenen sich bemühen, bei den Kindern Selbstreparaturen zu erzielen. Offensichtlich teilen Fachleute und Laien des Sprachunterrichts die Auffassung, daß die Aussichten, etwas zu lernen, dann größer sind, wenn der NMS die entsprechende Problemlösung selbst erarbeitet (vgl. 172). Die Analyse des Verhältnisses von ODP und Anzahl der pannes de recit sowie zwischen ODP und der durchschnittlichen Länge der Äußerungen ergibt ferner, daß die NMS mit guten Französischkenntnissen längere Äußerungen mit wenig ODP produzieren, daß ein muttersprachlich französisches Kind mit Sprachproblemen kurze Äußerungen mit wenig ODP hervorbringt, wohingegen sich bei den NMS Äußerungen mittlerer Länge mit relativ viel ODP beobachten lassen. Die NMS verwenden Lernhilfen des MS also nur dann, wenn sie diese benötigen, also das jeweilige Problem noch nicht beherrschen, und wenn sie die Aufgabe auf Grund ihres sprachlichen Vorwissens auch bereits bewältigen können (vgl. 176). Schließlich ist festzustellen, daß die Kinder in einer offiziell bilingualen Gruppe mehr ODP produzieren als Kinder in einer monolingualen Gruppe. Matthey führt dies darauf zurück, daß in einer bilingualen Situation neben der Sachvermittlung immer auch auf die Vermittlung sprachlicher Kenntnisse geachtet wird. In der offiziell monolingualen Gruppe wird der Lernerstatus der NMS nicht erkannt, oder ihre Sprachprobleme werden unterschätzt. Dadurch unterbleibt « un reglage conversationnel suffisamment oriente vers l'acquisition du code de l'interaction » ( 177). Dieses Ergebnis spricht für die Durchführung von bilingualem Sachfachunterricht. Im 8. Kapitel untersucht Matthey das Verhältnis zwischen kognitiver Verarbeitung sprachlicher Strukturen (d.h. Spracherwerb) und Interaktion dadurch genauer, daß sie ihre Analyse der ODP verfeinert. Sie stellt einerseits fest, auf welcher Analyseebene die Vorkommen der ODP zu situieren sind, und sie erarbeitet andererseits eine Typologie der ODP, um dann festlegen zu können, welche prises « Ja manifestation d'une activite d'apprentissage du locuteur alloglotte » (179) darstellen. Reparaturen in den ODP können neben der Tatsache, ein Indiz für Sprachlehr-/ -lernprozesse zu sein, noch eine phatische Funktion erfüllen oder Indiz des Status der Interaktanten sein (vgl. 187-188). Die sprachlichen Produktionen der NMS werden zunächst unterteilt in prises en usage und prises par mention. Letztere umfassen zwei Klassen, und zwar die prises en echo und die prises par extraction. Bei den prises par mention handelt es sich um Wiederholungen der donnee, und zwar bei den prises en echo um vollständige und korrekte, um vollständige und abweichende und um Wiederholungen der letzten Silbe der donnee. Bei den prises par extraction wiederholt der Lerner einen Teil der donnee und verändert den unmittelbaren Kotext. In dem Beispiel Maitresse: c'est un chou rouge tu sais Marco: [f oruD FLuL 27 (1998) Buchbesprechungen • Tagungsberichte 227 extrahiert Marco chou rouge aus der donnee und läßt in der von der donnee-Fonn leicht abweichenden Wiederholung den Artikel un weg. Bei den prises en usage wiederholt der Lerner bestimmte Teile der donnee und integriert sie in seine eigene Äußerung. 6 Ihre Analysen der Vorkommen der ODP erlauben Matthey die folgenden Schlüsse: 1. Verwendet der Lerner prises en echo, findet Imitation ohne Spracherwerb statt. 2. Die prises par extraction zeigen, daß der Lerner die Struktur, die ihm Probleme bereitet, erkannt hat und er sie „bearbeiten" will (tw. durch metasprachliche Bitten um Hilfe). Hier liegt ein erster Lernschritt vor. 3. Bei der Verwendung von prises en usage findet eine echte Zusammenarbeit zwischen Lerner und Partner statt. « L'enfant manifeste une intention imitative vers Je signe, dans Ja mesure ou il modifie Je cotexte de Ja donnee de ! 'adulte en integrant cette derniere dans une formulation de son cru. [... ] iI manifeste une intention imitative en rapport avec Ja planification de son enonce » (192-193). Hier liegt eine vertiefte Lernleistung vor. 4. Die Sequenz prise par extraction + prise en usage zeigt am deutlichsten den Erwerbsprozeß. Hier findet eine « prise de conscience de l'intellect » (193) statt, « une activite metacognitive orientee vers Je code de l'interaction » (193). Der Typ 4. kommt im untersuchten Corpus nur selten vor. Daraus kann man mit Matthey (193) schließen, daß die metakognitiven Fähigkeiten zwar für den Fremdsprachenerwerb sehr förderlich, jedoch nicht unabdingbar seien. Man kann aber auch die Hypothese wagen, daß diese Fähigkeiten nicht „natürlicherweise" beherrscht, sondern erst durch einen entsprechenden Unterricht erworben werden. Dies würde dafür sprechen, daß NMS mit einer entsprechenden Vorbereitung aus den exolingualen Interaktionen größeren Nutzen für ihren Spracherwerb ziehen als NMS ohne solche Kenntnisse. In diesem Sinne kann der Fremdsprachenunterricht gute Grundlagen schaffen für das Weiterlernen in Kontaktsituationen. Insgesamt komme ich zu dem Fazit, daß Mattheys Arbeit für den ausgewählten Forschungsbereich einen erheblichen Erkenntnisgewinn erbringt. Und dies nicht nur auf Grund der erwähnten Detailergebnisse, sondern auch wegen der Klarheit und der sinnvollen Beschränkung des theoretischen und methodischen Begriffs- und Analyseinstrumentariums sowie des gut nachvollziehbaren Vorgehens bei der Corpusanalyse. Offensichtlich scheint es so zu sein, daß die entsprechenden Forschungen auch ohne die ausufernde Begrifflichkeit auskommen können, die z. T. in der aktuellen Diskussion ist und mit der lnteraktionsverläufe, Aushandlungsprozeduren, kommunikative Strategien sowie die einzelnen Sprechhandlungen aufs Feinste klassifiziert werden (Henrici 1995: 40-50 [vgl. Anm. 2]). Die Anwendung einer solchen Begrifflichkeit kann zu langatmigen Paraphrasen bei den Corpusanalysen führen, ohne daß dadurch ein höherer Grad an Genauigkeit erreicht würde. Mattheys durchaus anspruchsvolles Buch ist all denen zu empfehlen, die sich für die Probleme des Fremdsprachenerwerbs in Kontaktsituationen sensibilisieren oder die in diesem Bereich forschen wollen. Abschließend sei noch auf einen Gedanken Henricis (1995: 25-26 [vgl. Anm. 2]) hingewiesen, der interessante Perspektiven für weitere Arbeiten in dem hier besprochenen Forschungsbereich eröffnet. Matthey kann überzeugend aufweisen, daß Fremdsprachenkenntnisse in der Interaktion erworben werden können und welche Bedingungen dafür vorliegen müssen. Über die Effektivität des Erwerbs sagt sie nichts aus. Henrici schlägt vor, zwischen kurz-, mittel- und langzeitigem Erwerb zu unterscheiden. Kurzzeitiger Erwerb liegt dann vor, wenn von beiden Partnern nach 6 Neben den genannten führt Matthey der Vollständigkeit halber noch Typen von Reparaturen ohne ODP auf (183-185), wie beispielsweise die co-enonciation (Lerner und Partner formulieren jeder einen Teil der Äußerungen) oder den Rückgriff auf die Muttersprache. FLuL 27 (1998) 228 Buchbesprechungen • Tagungsberichte Bearbeitung eines sprachlichen Problems die Lösung des Problems ratifiziert und die ratifizierte Lösung vom NMS korrekt in einem unmittelbar folgenden sprachlich veränderten Kotext wiederverwendet wird. Mittelzeitiger Erwerb ist anzunehmen, wenn die ratifizierte Lösung des sprachlichen Problems im weiteren Verlauf einer Diskurseinheit (beispielsweise einer Unterrichts- , stunde) erneut richtig gebraucht wird. Beim Vorliegen langzeitigen Erwerbs wird die ratifizierte Lösung in völlig neuen Kontexten angemessen verwendet, und zwar in größeren zeitlichen Abständen. Wuppertal Peter Seheifer Regina HESSKY, Stefan ETIINGER: Deutsche Redewendungen. Ein Wörter- und Übungsbuch für Fortgeschrittene. Tübingen: Narr 1997 (narr studienbücher), LII + 327 Seiten [DM 44,80]. Die Phraseodidaktik ist zum Thema des Fremdsprachenunterrichts geworden. Phraseologismen werden dabei als besondere Sprachzeichen beschrieben, deren Vermittlung erhebliche Probleme mit sich bringt. Zum einen sind Phraseologismen aufgrund ihres „semantischen Mehrwerts" und ihrer Bedeutungsnuancen nicht leicht zu verstehen. Zum anderen sind Phraseologismen schwer zu gebrauchen, denn beim aktiven Verwenden können die vielen grammatischen, syntaktischen, semantischen und klassematischen Restriktionen Probleme bereiten. Inzwischen liegen aber didaktisch-methodische Vorschläge zu einer lernprogressiven Vermittlung von Phraseologismen vor. Während Phraseologismen in traditionellen Übungsbüchern anhand isolierter Sätze und stereotyper Einsetz- und Zuordnungsübungen behandelt werden, sollen sie nun an Texten erarbeitet werden. In einem phraseodidaktischen Dreischritt geht es darum, Redewendungen zu erkennen, zu verstehen und schließlich selbst zu gebrauchen. 1 Mit den „Deutschen Redewendungen" von Regina Hessky und Stefan Ettinger liegt jetzt ein "Lernwörterbuch" vor, in das sowohl die Ergebnisse der linguistischen Grundlagenforschung als aucb die Überlegungen der didaktisch-methodischen Diskussion eingeflossen sind. Bei diesem „Wörter- und Übungsbuch für Fortgeschrittene" handelt es sich um die überarbeitete Fassung von Hesskys 1993 in Ungarn erschienenem Arbeitsbuch „Durch die Blume". Das Buch gliedert sich grob in drei Teile: Die vorangestellten „Hinweise für den Benutzer" enthalten nicht nur wichtige Ratschläge zur Handhabung des Lehrbuchs, sondern führen auch kompetent und verständlich in die wissenschaftliche Diskussion ein. Die referierten (meta)lexikographischen und linguistischen Überlegungen richten sich wohl eher an Studierende und Lehrende der Germanistik als an Deutschlernende. In dem ausführlichen Wörterbuchteil (250 Seiten) werden ca. 1200 Redewendungen vorgestellt, paraphrasiert, eventuell mit etymologischen Angaben versehen und durch Beispielsätze umschrieben, die einer Reihe von Referenzwörterbüchern entnommen sind (vgl. XXIII). Die ausgewählten Redewendungen sollen dann mittels des 50 Seiten umfassenden Übungsteils eingeübt werden. Komplettiert wird das Lehrbuch durch einen ausführlichen Indexteil. Im Unterschied zu herkömmlichen Idiomatiksammlungen werden die Redensarten im Wörterbuchteil nicht einfach nur alphabetisch angeordnet, sondern sind nach acht inhaltlich zusammengehörenden Gruppen gegliedert. Da Redensarten meist persönliche, emotional-expressiv gefärbte Stellungnahmen ausdrücken und vor allem subjektiv-wertend gebraucht werden, orientiert sich diese Gliederung an menschlichen Merkmalen: Aussehen des Menschen; Zustand des Menschen; Vgl. Peter Kühn: "Phraseodidaktik. Entwicklungen, Probleme und Überlegungen für den Muttersprachenunterricht und den Unterricht DaF". In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 21 (1992), 169-189. FLuL 27 ( 1998)