eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 28/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
1999
281 Gnutzmann Küster Schramm

Heranführung an den autonomen Umgang mit neuen Medien im Fremdsprachenunterricht und in der Lehrerausbildung am Beispiel von E-Mail Tutorien

121
1999
Claudia Tamme
Dietmar Rösler
flul2810080
Claudia Tamme, Dietmar Rösler Heranführung an den autonomen Umgang mit neuen Medien im Fremdsprachenunterricht und in der Lehrerausbildung am Beispiel von E-Mail Tutorien Abstract. After a brief account of how Iearning contexts are altered by the new media and of the consequences these changes have for Iearners, teachers and those who produce learning contexts, a project is presented which shows how autonomous learning can be introduced into teacher training and foreign language learning. This project examines how student teachers of German as a Foreign Languge at Giessen help Iearners of German in HongKong per email. The data examined consists of the electronic communication itself, questionnaires completed by the tutors and the tutees as weil as recordings of group conversations. The results presented in this article focus on the classification of choice of topics and on five different types of electronic correction. The institutional as weil as the individual and emotional conditions which facilitate increased autonomy for learners and teachers in a project such as this are also discussed. 1. Einleitung Mit der Zunahme der Selbstverständlichkeit, mit der Schriftzeichen, Töne und Bilder digitalisiert in das Klassenzimmer Eingang finden, wächst auch die Bereitschaft und Notwendigkeit, ernsthaft und differenziert darüber nachzudenken, wie die sog. neuen Medien funktional in das Fremdsprachenlehren und -lernen integriert werden können. Die ins Haus stehenden Veränderungen betreffen die Beschaffenheit der Lernumgebungen ebenso wie die Fähigkeiten, die Lehrende und Lernende entwickeln müssen, um mit den neuen Medien angemessen umgehen zu können. In diesem Beitrag sollen zunächst mögliche Lernumgebungs-Entwicklungen im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf den Lernprozeß und die Lehrerbildung skizziert werden. Danach wird anhand erster Ergebnisse eines Forschungsprojektes, der Analyse von E-Mail-Tutorien als Teil des Sprachlernprozesses und als Teil der Lehrerbildung, gezeigt, welche Fragestellungen sich in der konkreten Auseinandersetzung mit den neuen Medien im Lern- und Ausbildungsalltag aufdrängen. lFlLwL 28 ( 1999) Heranführung an den autonomen Umgang mit neuen Medien ... 81 2. Neue Medien als integrierter Bestandteil der Fremdsprachen-Lernumgebung außerhalb des zielsprachigen Raums Für den Bereich DaF sind gegen Ende des 20. Jahrhunderts für Anfänger und auf der Mittelstufe eine Reihe von neuen Lehrwerken wie z.B. Unterwegs 1, Sowieso 2, Eurolingua Deutsch 3 , Moment mal 4 oder Kontakt 1 5 entstanden, denen lehrmaterialanalytisch wohl das Kennzeichen 'fünfte Generation' angehängt werden wird 6• Als neue Generation unterscheidet sie sich von ihren angeblich kommunikativen bzw. interkulturellen Vorgängergenerationen durch die Konzentration auf die Förderung autonomen Lernens 7• Durch diese Fokussierung auf das Autonome läßt sich leicht übersehen, daß den Lernenden in den Teile'n der Welt, die sich keine eigene Lehrwerkproduktion leisten (können), wiederum ein germanozentrisch erstelltes Materialangebot gemacht wird, mit dessen Lernziel- und Zielgruppenadäquatheit es in den meisten Fällen nicht weit her sein wird. Weiterhin ist es erstaunlich, wie wenig diese neuen Lehrwerke sich auf das durch die neuen Medien mögliche andersartige Lernen außerhalb des deutschsprachigen Raums 8 eingelassen haben. Das kann unterschiedliche Gründe haben; zum einen mag ganz pragmatisch die lange Zeit zwischen Konzeption und Vermarktung eines Lehrwerks dies verhindert haben, zum anderen mag eine gesunde Skepsis gegenüber allzu naiven Annahmen über die Leistungsfähigkeit der neuen Medien 9 bremsend gewirkt haben. Vielleicht haben aber auch die negativen Erfahrungen eine Rolle gespielt, die die Fremdsprachendidaktik mit den analogen Medienverbünden 10 der 70er und 80er Jahre gemacht hat, die trotz der didaktischen und medialen Qualität des gebotenen Materials nicht nur durch ihre Ausstattungssondern vor allem durch ihre Navigationsanforderungen die Beteiligten überforderte, so daß die Gefahr bestand, daß die Lehrer zu ausführenden Anhängseln wurden. Daß es nun trotz des obligatorischen akustischen Begleitmaterials erneut zu einer druckgeleiteten Lehrwerkgeneration gekommen ist, macht diese Lehrwerke wahrscheinlich zu BAHLMANN, C [et al.]: Unterwegs. Kursbuch. Lehrwerk für die Mittelstufe Deutsch als Fremdsprache. Berlin 1998. FUNK, H. [et al.]: Sowieso. Kursbuch 1. Deutsch als Fremdsprache für Jugendliche. Berlin 1995. FUNK, H. / KOENIG, M.: Eurolingua Deutsch. Kursbuch 1. Berlin 1996. MÜLLER, M. [et al.]: Moment mal! Lehrbuch 1. Lehrwerk für Deutsch als Fremdsprache. Berlin 1996. NODARI, C. [et al.]: Kontakt 1. Textbuch. Deutsch für fremdsprachige Jugendliche. Zürich 1996. Vgl. als kurzen Überblick über die neuen Lehrwerke Neuner (1998). Eine ausführliche Analyse der autonomieunterstützenden Elemente dieser neuen Lehrwerke bietet Gonzalez (1998). In Rösler (1998: 23-32) findet sich eine Kurzbeschreibung der Möglichkeiten, im Lehrwerk autonomiefördernde Elemente zu verankern. Zu den Besonderheiten des Lernens außerhalb des deutschsprachigen Raums vgl. Rösler ( 1998). 9 Vgl. z.B. Eck/ Legenhausen/ Wolff (1994: 63): "An die Stelle des Lehrwerks tritt eine soziale Interaktionsform, die sich von lehrwerkbestimmten Sozialformen qualitativ dadurch unterscheidet, daß sie eine etwaige Distanz zwischen Klassenzimmer und Lebenspraxis aufhebt und als Folge echte Kommunikation erzwingt." 10 Zur Kritik der analogen und zu den Möglichkeiten der im nächsten Absatz angesprochenen digitalen Medienverbünde vgl. ausführlicher Legutke (demnächst). IFLlllL 28 ( I 999) 82 Claudia Tamme, Dietmar Rösler einer Art Übergangsgeneration, im Hinblick auf ihre Medialität und ihren fehlenden Zielgruppenbezug veraltet, bevor sie überhaupt die Klassenräume erreichten, im Hinblick auf ihre Fokussierung auf das autonome Lernen immerhin die Richtung weisend für die zu erstellenden digitalen Medienverbünde der Zukunft. Zukünftige digitale Verbünde sind als Hypertextsystem über ein einziges Medium navigierbar, die ikonische Beschaffenheit der unmittelbar eingängigen instruktionellen 'Metatexte' machen sie zusammen mit dem veränderten Medienbewußtsein der Lernenden und der jetzt auszubildenden neuen Generation von Fremdsprachenlehrern für die Benutzer praktisch handhabbar. Im Gegensatz zur vollständigen Macherzentrierung der analogen Verbünde wären nun Realisierungen von weitestgehendem Lernerbezug möglich, sei es durch die Adaption von Material an eine konkrete Gruppe, sei es durch die Erstellung zielgruppenspezifischerer Datenbanken 11 • Das Potential des Internet, gleichzeitig Zentralisierung und Dezentralisierung zu befördern, könnte zumindest theoretisch die endlosen Parallelentwicklungen engagierter Lehrender im Lehrmaterialbereich umleiten in ein koordiniertes Geben und Nehmen, in die systematische Integration nicht-lernintentionaler Texte in das institutionelle Lernen, in die Entwicklung einer Vielfalt von Materialien und Zusatzmaterialien, von nationalen, regionalen und anders definierten gruppenspezifischen Adaptionen und Variationen, von wechselseitigen Nutzungen von Materialien, von Lehrerforen, die Unterrichtsaktivitäten unterstützen, von systematischen Sammlungen 12 von Zusatzmaterialien zu einem bestimmten Lehrwerk, usw. usf. Niemand weiß zur Zeit, wie die neuen Lehrwerke aussehen und ob Lehrwerk für sie noch eine angemessene Bezeichnung darstellt oder ob das, was traditionell vom Lehrwerk transportiert wurde, nur noch integraler Bestandteil von strukturierten Lernumgebungen ist, die neben den didaktisch aufbereiteten Präsentationen von Zielsprache und Zielkultur auch Strategien und Pfade für den Umgang mit individuell wählbaren zielkulturellen Texten, virtuelle Begegnungssituationen 13 und elektronische Partnerschaften umfassen. Niemand weiß, ob diese strukturierten Lernumgebungen mit den Konzepten Kern und Peripherie spielen oder ob es gelingt, nur von dezentralen Teilen auszugehen, ob sie nur im Internet existieren, ob es Internet-Verlagsdruck-Kombinationen geben wird, ob CD-Roms eine sinnvolle Funktion haben werden usw. In Rösler (demnächst) wurde eine grobe Skizzierung des Teilbereichs möglicher Lernumgebungen, der noch am ehesten dem traditionellen Lehrwerk entspricht, zu geben versucht. Vorstellbar ist danach ein sich kontinuierlich erweiternder Pool, in dem sich auf verschiedenen Progressionsstufen unterschiedliche didaktische Verarbeitungen bestimmter Themen und Redeanlässe, in unterschiedlichen Textsorten dokumentiert, mit Bezügen zu unterschiedlichen sozialen, geographischen, kulturellen Hintergründen ausgestattet, mit 11 Vgl. z.B. den für die Zielgruppe jugendlicher Lernender im deutschsprachigen Raum erstellten Lehrmaterial-Steinbruch aus der 'CALL-Steinzeit' (Rösler/ Skiba 1987). 12 Vgl. z.B. die sog. study paths des Deutschkurses der Baptist University HongKong, die vorhandenes Zusatzmaterial den einzelnen Lektionen von Themen zuordnet: http: / / www.hkbu.edu.hk: 80/ ~europe/ themen .html. Vgl. außerdem die Analyse der studentischen Nutzung von traditionellen, auf Themen bezogenen CALL-Materialien in Hess (1998). 13 Vgl. als futuristische Beschreibung eines Lernens im Cyberspace Rösler (im Druck). lFILlillL 28 (1999) Heranführung an den autonomen Umgang mit neuen Medien ... 83 unterschiedlichen Unterrichtsaktivitäten verbunden, usw. befinden. Durch die Linearität und den begrenzten Umfang eines Buches bedingte Sachzwänge werden in diesem digitalen Lehrwerk wegfallen, aber Zwänge, die aus dem Zusammenkommen von Progressionen in den Bereichen Grammatik, Wortschatz, Textsorten usw. entstehen, werden, soweit sie den Lernprozeß reflektieren, nicht nur erhalten bleiben; sie sind Anlaß zu spannenden neuen Fragen wie: Auf welche Weise lassen sich die hypertextuellen und multimedialen Mittel nutzen, um individuellen Lernentwicklungen im Material Rechnung zu tragen und bessere Darstellungs- und Vermittlungsweisen anzubieten, ohne in eine Beliebigkeit zu verfallen, die lernhindernd ist, und ohne umgekehrt aus Angst vor dieser Beliebigkeit einfach nur zu einer Determination wie im 'Papierwerk' zurückzukehren, die das Potential der neuen Medien nicht ausnutzt? Das bedeutet für die Ebene unterhalb des Zertifikats beim DaF- Lernen außerhalb des zielsprachigen Raums: die neue Lernumgebung muß die Lernenden in der Interaktion mit ihrer Lernergruppe weitestgehend ihre eigenen Lernstile finden lassen und sie noch stärker als bei der integrierten Lese- und Hörverständnisdidaktik der bestehenden Lehrwerke frühestmöglich an den Umgang mit nicht-lernintentionalen Texten heranführen. Gleichzeitig muß sie ihnen aber durch progressionsgebundene Lernpfade das Chaos des natürlichen Spracherwerbs ersparen. 3. Konsequenzen für Lernende, Lehrende und Lernumgebungsproduzenten Für die Lernenden bedeutet dies, so schnell und so umfassend wie möglich zu autonomen Lernverhaltensweisen zu gelangen, um den eigenen Spracherwerb zu optimieren, wobei die Förderung der persönlichkeitsbildenden Aspekte der Auseinandersetzung mit einer unbekannten Kultur nicht verloren gehen sollte. Für die Lehrenden bedeutet dies, hinführend zum Zustandekommen eines derartigen Lernens beizutragen und als Teil dieses Lernens stärker als bisher gewohnt die Rolle eines medienkundigen Sprach- und Sprachlernberaters und eines interkulturellen Gesprächspartners zu übernehmen, ohne, etwa im Überschwang der Begeisterung für eine angeblich autonome Methode, den Lernenden ein ihnen unangemessenes Lernen 'aufzuschwatzen'. Darüber hinaus werden sie als dezentrale Ko-Produzenten bei der Erstellung von Lernumgebungen weitergehend in das einbezogen sein, was bisher in der didaktischen Arbeitsteilung den Lehrwerkautoren vorbehalten blieb. Für die Lernumgebungsproduzenten schließlich wird eine neue Balance erforderlich sein, die Progressionen weiterhin anbietet, aber hypertextuell nicht mehr wie bisher vorschreiben kann, es sei denn, die Hypertexte emulierten die Restriktionen gedruckter Texte etwas, was sicher versucht werden wird, was aber das Konzept Hypertext ad absurdum führt. Darüber hinaus werden, wenn es je zu einer wie auch immer gearteten Pool-Version kommen sollte, die Lernumgebungsmacher einen Teil ihrer Kontrolle über das Anzubietende aufgeben müssen, was nicht nur zu interessanten Einstellungsänderungen führen wird, sondern der Sprachlehrforschung insgesamt eine ausführliche Diskussion des Verhältnisses von Offenheit und Steuerung des Lernprozesses bescheren wird, die sie bisher, quasi als Nebenwirkung der relativ getrennt verlaufenden Forschungskontexte zum natürlichen und gesteuerten Fremdsprachenlernen, viel zu wenig führt. Über das, was im Lernprozeß im Hinblick auf die Verwendung der neuen Medien bei FIL1\JIL 28 ( 1999) 84 Claudia Tamme, Dietmar Rösler Lehrenden und Lernenden tatsächlich passiert, wissen wir sehr wenig, was angesichts der eher pädagogisch-normativen oder elektronische Produkte und Arbeitsweisen anpreisenden Texte, die die Fachdiskussion bestimmen, nicht verwunderlich ist. In den nächsten Jahren wird deshalb bei der Auseinandersetzung mit der Rolle der neuen Medien beim Fremdsprachenlernen ein intensives und genaues Hinschauen notwendig sein, um überhaupt erst einmal herauszufinden, wie Lernende und Lehrende sich der neuen Medien annehmen, und ob und wie die gemachten Beobachtungen in vorsichtige didaktische Veränderungsvorschläge münden können. Dies gilt besonders für den Bereich des „autonomen Lernens", für den durch normative Aussagen über dessen Superiorität Einordnungen und didaktische Handlungsaufträge festzustehen scheinen, bevor man überhaupt weiß, wie in realen Lernkontexten mit unterschiedlichen Individuen, mit unterschiedlichen institutionellen Bedingungen usw. sog. autonomes Lernen abläuft. 4. Autonomes Lernen · Lernerautonomie wird generell verstanden als "ability to take charge of one's own leaming" Holec (1981: 3), die mit der Übernahme der Verantwortung für alle Aspekte des Lernens verbunden ist. 14 Während Little (1997 : 35) immerhin daraufhinweist, daß die Herausbildung von Autonomie generell auch ohne Metaebene erfolgen kann: "However, whereas autonomy may develop experientially as a capacity that the individual exercises without explicit awareness, [...]", sieht er im Bereich des institutionellen Lernens diese bewußte Ebene als Voraussetzung für die Etablierung eines autonomen Lernverhaltens: "[...] the pursuit of autonomy in formal learning contexts must necessarily be a matter of conscious intention. lt entails processes of planning; reflection, introspection, retrospection and evaluation that are by definition explicit and analytic. In formal learning contexts, the first step towards autonomy is conscious acceptance ofresponsibility for one's own learning" (ebd.). Auch die „vier Pfeiler", auf die sich die Förderung von Lernerautonomie nach Nodari (1996: 8) stützt: 1. die optimale Orientierung im Lehr-/ Lerngeschehen, 2. die bewußte Übernahme von Verantwortung für das eigene Lernen, · 3. die Reflexion über das eigene Lernen und die Optimierung des Lernverhaltens und 4. die Reflexion über fremde und eigene kulturelle Prägungen, konzentrieren sich auf die bewußte Verantwortungsübernahme für das eigene Lernen, wobei bei der 'Reflexion über fremde und eigene kulturelle Prägungen' ohne Zweifel einem 14 Weiter heißt es bei Holec (1981: 3): "To take charge of one's Ieaming is to have, and to hold, the responsibility for all the decisions conceming all aspects of this leaming, ie: determining the objectives; defining the contents and progressions; · selecting methods and techniques to be used; monitoring the procedure of acquisition properly speaking (rhythm, time, place, etc); evaluating what has been acquired." JFLIIL 28 ( 1999) Heranführung an den autonomen Umgang mit neuen Medien ... 85 wichtigen Bestandteil jeden Sprachenlernens und aller Kulturgrenzen übecschreitender Bildungsprozesse es fraglich erscheint, daß sie als autonorniespezifisches Moment aufgeführt wird. Derartige Definitionen stellen einen hohen Anspruch an Lernende und Lehrende. Die bei Little, Nodari und vor allem bei Holec angeführten Eigenschaften eines autonomen Lerners werden selbst die meisten Fremdsprachenlehrer nicht besitzen. Nicht unproblematisch ist auch die starke Fokussierung auf rein kognitive Fähigkeiten, die die emotionalen Voraussetzungen für eigenverantwortliches Handeln unberücksichtigt läßt. So verlangt eigenverantwortliches Lernen von den Lernenden nicht nur eine größere geistige Anstrengung als das bloße Befolgen von lehrerseitig gestellten Aufgaben, sondern auch eine gute Portion Selbstvertrauen. Plötzlich sollen sie Maßstäbe für das eigene Lernen selbst setzen, die zumeist ein Leben lang von anderen gesetzt wurden. Zum Ernstnehmen autonomen Lernens gehört es von überzeugten Lehrenden vielleicht nicht immer konsequent genug beachtet -, daß LernstrategiecAngebote und zu selbstbestimmtem Lernen ermutigende Kontexte von den Lernenden selbstbestimmt zurückgewiesen werden können. Wenn Lernende sich dafür entscheiden, lieber gesagt und gezeigt zu bekommen, was und wie sie lernen sollen oder gar nicht zu lernen, ist dies nicht nur widerwillig zu respektieren, sondern ernsthaft in die Analyse und Gestaltung des jeweiligen Lernens einzubeziehen. Dabei ist es durchaus denkbar, daß in bestimmten Lernkontexten, z.B. in einem stark prüfungsdominierten Kontext, der lehrerzentrierte Unterricht nicht nur bequemer für die Lernenden ist, sondern auch effizienter, nämlich dann, wenn er die optimale Vorbereitung für eine Prüfung bestimmter Art bedeutet. Wenn man der Meinung ist, diese Prüfung und diese Art Unterricht verhinderten wirkliches Fremdsprachenlernen und deshalb die Lernenden zu 'autonornisieren' versucht, ohne gleichzeitig die Prüfungspraxen und institutionellen Rahmenbedingungen des Lernens zu verändern, gefährdet man nicht nur die mit einem möglichst guten Bestehen dieser Prüfungen verbundenen Lebenschancen der Lernenden; man gerät auch in die paradoxe Gefahr, die Lernenden mit der Zwangsautonomisierung fremdzubestimmen. 5. Lehren und Lernen in E-Mail-Tutorien Von allen Aspekten der neuen Medien ist im Hinblick auf das Fremdsprachenlernen bisher die Bedeutung von E-Mail am ausführlichsten diskutiert worden. Donath hat als Pionier der elektronischen Fremdsprachendidaktik in Deutschland an verschiedenen Stellen über seine Arbeit berichtet (vgl. Donath 1996, 1997); frühe Arbeiten zu diesem Thema finden sich bei Eck/ Legenhausen/ Wolff 1994. Mit dem Konzept des Tandem-Lernens ist die Kommunikationsform E-Mail eine produktive Partnerschaft eingegangen (vgl. Little/ Brammerts 1996); Legutke (1996), Müller-Hartmann ( 1997) und Rautenhaus (1993, 1995) haben die Rolle von E-Mail in Klassenpartnerschaften beschrieben. In diesen E-Mail-Projekten kommunizieren Lernende untereinander mit dem Ziel sprachlichen und interkulturellen Lernens. Bei dem nun beschriebenen Projekt existiert eine andere Art der Rollenverteilung. Es kommunizieren Deutschlernende mit DaF-Lehrerstudentinnen, die selbst keine sprachlichen und nur akzidentiell kulturelle Lernziele verfol- JFlLIIL 28 (] 999) 86 Claudia Tamme, Dietmar Rösler gen, Medienkompetenz erwerben und während ihrer Ausbildung herausfinden wollen, wie sich ein Lehr-/ Lernprozeß gestaltet, der ausschließlich über E-Mail stattfindet und größtenteils lernergesteuert ist. Konkret handelt es sich um die in Tamme (demnächst) ausführlich dokumentierte Untersuchung der elektronischen Interaktionen von chinesischen Lernenden und DaF-Lehrerstudentinnen. 5.1 Der Lehr-Lern-Kontext Die Deutschlernenden sind Studierende des Studiengangs 'European Studies' der Hong Kong Baptist University, die in ihrem zweiten der insgesamt vier Studienjahre von studentischen Tutorinnen des Studiengangs 'Deutsch als Fremdsprache' der Justus-Liebig-Universität Gießen per E-Mail betreut werden. Jede Gießener Tutorin betreut einen oder maximal zwei Hong Konger Tutees. Beobachtet wurden zwei Jahrgänge im Frühjahr 1998 und im Winter 98/ 99 (9 Tutorinnen und 12 Tutees im Frühjahr 1998 und 12 Tutorinnen und 14 Tutees im Winter 98/ 99). 15 Die dabei gewonnenen Daten umfassen sämtliche zwischen den Beteiligten der elektronischen Tutorien ausgetauschten E-Mails, Evaluationsfragebögen der Tutorinnen und Tutees sowie Audioaufnahmen und Gedächtnisprotokolle des tutoriumsbegleitenden Seminars an der Justus-Liebig-Universität Gießen im Wintersemester 98/ 99. Frequenz und Inhalte des E-Mail-Austausches wurden weitgehend von den Hong Konger Studierenden bestimmt. Das Tutorium hatte keine direkte Anbindung an die anderen Unterrichtsaktivitäten des Studiengangs. Den Studierenden wurde zugesichert, daß ihre Deutschlehrer vor Ort keinen Einblick in die E-Mails erhalten würden, um so einen von dem gewohnten institutionellen Lernkontext unabhängigen, individuellen Sprachlern- und Sprachanwendungsbereich zu schaffen. In der Evaluation der ersten Runde wurde von allen Studenten dieser virtuelle Raum als willkommene 'Insel' begrüßt, die einen anderen Umgang mit der deutschen Sprache ermöglichte als der durch die Vorbereitung auf die Zertifikatsprüfung Deutsch als Fremdsprache strukturierte Unterricht. Im Folgenden werden nun zwei Aspekte dieser Lehr-Lern-Interaktion, die Themenwahl und das Korrekturverhalten, genauer beschrieben, wobei das Hauptaugenmerk der Frage gilt, inwieweit bei diesen Interaktionen von Autonomie oder Autonomieförderung gesprochen werden kann. 5.2 Themenwahl der lernenden Die Themen, die die Studierenden ansprechen, lassen sich nach der dahinterstehenden Motivation grob in vier Gruppen einteilen: 1. Persönliches Interesse 2. Landeskundliches Interesse 3. Sprachliches Interesse 4. Studiumsmotivierte Themen, 15 Unter den insgesamt 21 Gießener Versuchspersonen gab es nur einen Mann, weshalb im folgenden die weibliche Form verwendet wird. IFIL11llL 28 (1999) Heranfiihrung an den autonomen Umgang mit neuen Medien ... 87 wobei es häufig zu Überschneidungen kommt, da ein Thema zumeist aus persönlichem Interesse angesprochen wird und da landeskundliche und sprachliche Fragen studiumsmotiviert sein können, wenn sie gerade im Unterricht besprochen werden. Die folgenden Beispiele aus der Korrespondenz der chinesischen Studentin Jennifer 16 dienen der Verdeutlichung der vier Bereiche: ► Persönliches Interesse (1) [...] Monika, weisst Du, gestern hatte ich Pech. Mein Bus hat ein Auto gestossen. Ich habe darueber erschrocken. Zwei Kinder und einige Oma und Opa waren verletzt. Zum Glueck war mir nichts passiert! [...] ► Landeskundliches Interesse: (2) [...] Wohnst Du in Giessen? Ist das eine schoene Stadt? Wenn Du Lust haettest, koenntest Du mir ein Foto oder eine Postkarte von Giessen schicken? Bist Du schon in Hongkong gewesen? Hongkong ist eine kleine Stadt, aber hier hat 6,000,000 Einwohner. Deshalb gibt hier serioese Umweltverschmutzung. Ich weiss, dass Deutschland ein sauberer Staat ist. Ich bin schon einmal nach Deutschland gefahren, weil ich an einem Sommerferienkurs in Bremen teilgenommen habe. Damals war ich sehr glueklich. Ich finde dort sehr schoen. Die Strassen sind sehr sauber und die Abfalleimer werden fuer verschiedene Muell geteilt. Das ist sehr lustig? [...] ► Sprachliches Interesse: (3) [... ] Uebrigens moechte ich sehr viel Fragen stellen. Es gibt sehr viel Verben, die mit „sich" oder ohne „sich" haben. Wie kann ich unterscheiden, wann ich diese Verben mit „sich" schreiben muss. Die naechste Frage ist: warum benutzt man "ist...... worden" im Passiv sondern nicht „ist.. ....geworden"? Die dritte Frage ist: wie kann man im Perfekt oder Praeteritum „lassen" benutzen? Zum Beispiel, "Das Auto muss in der Werkstatt reparieren lassen." Wie kann man in der Vergangenheit schreiben? Kann man „lassen" im Passiv benutzen? Ausserdem gibt es viele Verben, die mit „be-" oder ohne „be-", mit „er-" oder ohne „er-" haben, zum Beispiel, sprechen und besprechen, rechnen und errechnen. Wie kann man zwischen ihnen unterscheiden? Das ist alles. Die anderen frage ich spaeter. [...] ► Studiumsmotivierte Themen: (4) Subject: Sehr Schlimm! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! Liebe Monika, es tut mir leid, dass ich gestern Dir keine E-Mail geschrieben habe. Heute muss ich zwei Referate machen. Eines habe ich gerade gemacht. Das war ueber britische Politik. Da musste ich den Premierminister mit dem US President vergleichen. Ich habe schon durch die Nacht mein Referat gemacht, aber das ist zu schwierig! Dann was glaubst Du? Ich meine, wie Du an meine Leistung denkst. Das war schrecklich! Wenn ich mein Referat anfing, hatte ich davor grosse Angst. Dann hatte ich auf mein Referat kein Vertrauen. Das ist das erste Mal, dass ich meine Aufgabe so schlecht finde. Ich bin ein bisschen traurig. [...] Die angesprochenen Themen ergeben sich aus der direkten Lern- und Lebensumgebung der Studentin. Dabei zeigen die Zitate (l) Bericht über den Busunfall und (4) Beschreibung des 16 Alle hier verwendeten Namen sind Aliasnamen. ]F]LlJll[, 28 (l 999) 88 Claudia Tamme, Dietmar Rösler als mißglückt empfundenen Referats die Unmittelbarkeit des Mediums. In beiden Beschreibungen spürt man förmlich noch die von den Vorfällen ausgelösten Gefühle der Studentin: den Schock in (1) und die Enttäuschung in (4), Bei einem weniger schnellen Kommunikationsmedium wie z.B. dem herkömmlichen Brief würde diese Unmittelbarkeit des Erlebten wahrscheinlich nicht erhalten bleiben, weil meist mehr Zeit zwischen Erlebtem und Bericht liegen würde. Nicht untypisch ist die im landeskundlichen Beispiel (2) zu beobachtende dialogische Beziehung von Eigenem und Fremdem. Die Umweltverschmutzung der eigenen Welt wird der deutschen Sauberkeit gegenübergestellt, die hier nicht als Stereotyp, sondern als Beschreibung gemachter Erfahrungen angesprochen wird. Sprachliche Fragen, wie die im Beispiel (3) wiedergegebenen, bilden eher eine Ausnahme. Obwohl beim jetzigen Stand der Auswertung noch keine Angaben über die Häufigkeit bestimmter Themen gemacht werden können, zeigt ein grober Überblick, daß besonders in den ersten Tutorien im Frühjahr 1998 die deutsche Sprache nur selten thematisiert wurde. In der zweiten Runde im Winter 98/ 99 finden sich häufiger sprachbezogene Themen, sie machten aber dennoch nur einen kleinen Teil der von den Lernenden angesprochenen Themen aus. Bezogen auf die in Kap. 4 diskutierten Aspekte des eigenverantwortlichen Lernens, zu dessen Bestandteilen vor allem die 'Metaebene' des Redens über den Lerngegenstand und -prozeß gerechnet wurde, läßt sich festhalten, daß diese nur selten repräsentiert ist und daß die analysierten E-Mail-Interaktionen in demjenigen Teil, der nicht korrekturbezogen ist, eher natürlicher Kommunikation als dem Diskurs des Fremdsprachenunterrichts ähneln. Die Tatsache, daß in den beobachteten Tutorien diese Metaebene von den Tutees und von den Tutorinnen so gut wie nicht gewählt wurde, scheint ein starkes Indiz dafür zu sein, daß die Beteiligten diese Art der Kommunikation in dem gegebenen Kontext als unnatürlich oder störend empfunden hätten. Eine Ausnahme stellt das Korrigieren der E-Mails durch die Tutorinnen dar, auf das in 5.3 gesondert eingegangen werden soll. Das weitgehende Fehlen der Metaebene auf Tutee-Seite läßt sich dadurch erklären, daß die E-Mail-Kontakte für sie als Fremdsprachenlernende außerhalb des zielsprachigen Raums in erster Linie eine rare Gelegenheit echter Kommunikation mit Muttersprachlern bedeuten. Dagegen mag es vielleicht überraschen, daß auch die Tutorinnen darauf verzichtet haben, die Metaebene des Redens über das Lernen zu wählen, da sie ja ein anderes Interesse an den E-Mail-Tutorien hatten als die Tutees, für die die eigentliche Kommunikation mit den Muttersprachlerinnen im Vordergrund stand. Das könnte mit der Rollenverteilung zusammenhängen. Während das Verhältnis von Lehrenden und Lernenden im institutionellen Rahmen meist durch ein 'oben' und 'unten' charakterisiert werden kann, zeichnet sich die Rolle der Tutorin in den E-Mail-Tutorien durch ein 'neben' dem Lerner stehend aus. In den Evaluationsfragebögen der Tutorinnen der ersten Runde hat keine der Tutorinnen ihre Rolle als die einer Lehrerin beschrieben, sondern als (ältere) Brieffreundin, als Mischung aus Brieffreundin und Lehrerin, bzw. Kommilitonin und Lehrerin, als persönliche Betreuerin oder ältere Schwester. An einem Beispiel soll das aus diesem Rollenverständnis resultierende Verhalten erläutert werden: Eine mögliche Reaktion der Tutorin auf den Bericht des als mißglückt empfundenen Referats in (4) wäre es z.B. gewesen, auf der Metaebene mit ihrer Tutee über die Gründe des Mißerfolgs nachzudenken. Die betroffene Tutorin hat aber eine andere Antwortmöglichkeit lFILimL 28 ( 1999) Heranführung an den autonomen Umgang mit neuen Medien ... 89 - und damit verbunden eine andere Rolle gewählt, indem sie auf ihren persönlichen Erfahrungsschatz zurückgreift und wie eine Freundin Trost spendet: (5) Liebe Jennifer! Es macht ueberhaupt nichts, dass Du mir gestern nicht geschrieben hast. Du hast wirklich sehr viel zu tun. Ich kenne auch sehr gut das Gefuehl, dass ich mit meiner Arbeit oder mit einem Referat nicht zufrieden bin. Mir geht es oft genauso, das finde ich dann auch immer schlimm! Hoffentlich klappt der Rest von Deinem Referat naechste Woche besser. [...] 5.3 Korrekturverhalten der Tutorinnen Während man bei der Themenwahl den Eindruck erhalten konnte, hier finde weitgehend ein Austausch von Brieffreundinnen über Sprach- und Kulturgrenzen statt, drängt sich bei einem anderen Aspekt der Interaktionen dem Korrigieren die Tatsache in den Vordergrund, daß es sich bei den Tutorien um einen Sprachlernkontext handelt. Die Art und das Ausmaß der vorzunehmenden Korrektur der E-Mail-Korrespondenz wurden völlig in das Ermessen der Tutorinnen gestellt. Durch technische Einschränkungen auf Tutee-Seite bedingt (beim Abspeichern/ Ausdrucken der E-Mails und dem Öffnen von Anlagen), wurden in beiden Tutorien lediglich die Vorgaben gemacht, daß nur 'reine' E-Mails und nicht z.B. Word-Dokumente als Anlagen verschickt werden sollten und daß die Originalmails der Tutees in die Antworten aufgenommen werden, um so den Tutees besonders im Fall einer längeren Pause zwischen den einzelnen Mails die Orientierung in der Kommunikation zu erleichtern. Der Verzicht auf Anlagen bedeutete auf der Tutorinnenseite eine große Einschränkung der Korrekturmöglichkeiten, weil so bei der Gestaltung der Korrektur nicht auf Formatierung oder andere Besonderheiten der Textverarbeitung zurückgegriffen werden konnte. 5.3.1 Arten und Formen der Korrektur Die Korrekturformen, die von den Tutorinnen der ersten Erhebungsphase im Frühjahr 1998 verwendet wurden, lassen sich grob in fünf Gruppen unterteilen. a) Satz-für-Satz-Korrektur ohne Erklärung mit korrigierter 'Verdopplung' (d.h. der Satz der Tutee aus der Originalmail wird beibehalten und erscheint darunter zum zweiten Mal, aber in korrigierter Form) (6) [... ]>es tut mir leid, dass ich spaet an Dich eine E-mail schicke, weil es es tut mir leid, dass ich Dir so spaet eine E-mail schicke. Es gab > probleme vom Computersystem meiner Uni. Weil ich immer vergessen habe, Probleme mit dem Computersystem meiner Uni. Weil ich immer vergessen habe, [...] Diese Korrektur wirkt, wie die Tutorinnen in der Seminardiskussion kritisierten, unübersichtlich und zu ausführlich. Allerdings zeichnete sich gerade die Interaktion dieses Tutorinnen-Tutee-Paares durch eine besondere Häufigkeit des Austausches, ein erkennbares 'Aufeinandereingehen' in den Interaktionen und vor allem die beiderseitige Zufriedenheit mit dem Austausch aus, was in der Seminardiskussion zu der Vermutung führte, daß es lf']Lw., 28 ( 1999) 90 Claudia Tamme, Dietmar Rösler keine für alle Lernenden passende Korrekturart gibt, und die Tutorinnen im Laufe des Tutoriums die für ihre jeweiligen Tutees beste Korrekturart selbst ermitteln müßten. b) Einzelne Korrekturen, in denen Falsches durch 'Anführungszeichen' markiert und mit Erklärungen versehen wird (7) [...] So, jetzt zu den Korrekturen: - "Ja, ich bin immer so glücklich, wenn ich nicht so viele Arbeiten hätte." Soll es hier nicht heißen: 'Ich wäre immer so glücklich, wenn ich nicht so viel Arbeit hätte.'? ? ? - "Es ist 'sehr gut', daß die Filme von Almod6var Dir auch gefallen." 'Sehr gut' klingt hier etwas ungewöhnlich, besser: 'Es ist schön .. ./ Es ist toll .... ' [...] - "Übrigens, ich 'würde' den Film in der nächsten Woche sehen." Du hast den Kinobesuch fest geplant, deshalb: 'Übrigens, ich werde .. .' - "Zu Deiner Frage nach meinem Alter, ich bin 'eigentlich schon gerade' 23 Jahre alt .. " Hier sind zuviele Partikel. Es genügt hier ein 'schon': ' ... ich bin schon 23 ..' [...] - "Aber wenn Du noch mehr Fragen hast, kannst Du mich einfach direkt fragen. 'Das ist egal'." 'Das ist egal' paßt inhaltlich nicht ganz, besser: 'Das ist okay./ Das ist in Ordnung./ Das macht mir nichts aus.' [...] Diese Korrekturart fand allgemeine Zustimmung in der Seminardiskussion. Bei dem korrigierten Tutee handelte es sich aber um den Fortgeschrittensten des Jahrgangs, der nur noch vereinzelt Fehler machte, was seiner Tutorin ein ausführlicheres Eingehen darauf ermöglichte als anderen Tutorinnen, deren Tutees noch sehr viele Fehler machten, wie aus den Beispielen (8), (9) und (10) ersichtlich wird. c) 'Verweben' von Original- und Antwortmail mit Kennzeichnung der Antwortteile durch ? ? ? , sporadische Korrektur durch richtige Wiederaufnahme (8) Hallo Jessica! Wie gehts? Es freut mich, dass Du zufrieden bist mit Deiner Praesentation. Was heisst OK? Welche Noten gibt es bei Euch an der Uni? Hi Lara! das Praesentation war ganz ok .... es war nicht gut... sondern ok! ! 1 Ja..... ich wohne neben einen Fluss. Ich wohne in Shatin und es gibt einen Fluss, den heiss Sheung Mun River. Ich ruderne auch her auf den Fluss! ? ? ? Rudern finde ich gut, Fluesse sowieso, die machen mich immer so sentimental. [ ... ] ! Ch muss jetzt das Abendessen haben, .... bis morgen! ! ? ? ? Du musst jetzt zu Abend essen? Ich habe gerade zu Mittag gegessen. Also Guten Appetit und sei lieb gegruesst. Lara Jessica Diese Korrekturvariante entwickelte sich langsam in der Interkation von Tutorin und Tutee. Die Tutorin fand, daß ihre Tutee besser auf die ihr gestellten Fragen eingeht, wenn sie die Briefe auf die hier dargestellte Weise miteinander verknüpft. Zu dieser indirekten und sporadischen Form der Korrektur.entschloß sich die Tutorin, weil ihre Tutee sehr viele grammatische Fehler machte und der Kommunikationswunsch überdurchschnittlich stark im lFJLllllL 28 (1999) Heranführung an den autonomen Umgang mit neuen Medien ... 91 Vordergrund stand es handelt sich um das einzige 'Paar', das fast täglich miteinander kommunizierte. d) Einzelne in die Kopie der Originalmail eingefügte, durch Großbuchstaben markierte Korrekturen (9) [...] >hallo! Wie geht's? ich bin in Vorgestern nach HK zuruckgefahren. Es war >eine furchbare Reise. Die Pas ein Student ist im Zug gestolen worden. (EINEM STUDEN- TEN IST IM ZUG DER PASS GESTOHLEN WORDEN). Es >war sehr schwer, dass eine neue Pas und Visum haben. (ES WAR SEHR SCHWER, EINEN NEUEN PASS UND VISUM ZU BEKOMMEN). Wir haben zu viel >gearbeiten ... (GEARBEITET) dann war ich sehr muede.... ! ! Tja... Wir waren sehr nervoes >, dass den Student nicht zuruck nach HK fahren koennte.... aber zum >Schliess... (SCHLUSS) es war ganz ok... ! ! [...] Mit den Großbuchstaben ist in einem E-Mail-Text, der keinen Kursiv- oder Fettdruck zuläßt, die Möglichkeit gegeben, eine andere Ebene kenntlich zu machen. Dem steht jedoch gegenüber, daß in der elektronischen Kommunikation das Schreiben in Großbuchstaben dem Schreien in der mündlichen Kommunikation gleichgesetzt wird und daß die 'Netiquette' deshalb eine derartige Schriftwahl, wenn sie nicht von beiden Kommunikationspartnern vorher abgesprochen ist, eigentlich verbietet. e) Teilkorrektur der Originalmail mit Hervorhebung des richtigen Ausdrucks durch Einrückung unter dem fehlerhaften Satz und Einfügen einer Leerzeile darunter ( IO) > Endlich habe Ich dir ein Kontakt. Ich bin I., 21 Jahre alt. Kontakt mit dir. Ich bin auch > in die 2 jahre mit Deutsch als Fremdsprache studieren. Ich studiere auch seit 2 Jahren Deutsch als Fremdsprache. [...] Die Tutorin in diesem Korrekturbeispiel hatte mit demselben Problem zu kämpfen wie die Tutorin aus Beispiel (8), nämlich mit der großen Anzahl an Fehlern. Anders als jene Tutorin, die darauf mit einer indirekten Korrektur reagiert hatte, hat diese Tutorin sich dafür entschieden, nur einen Teil der Tutee-Mail zu korrigieren. Die dafür gewählte Form der Korrektur die deutliche Hervorhebung der richtigen Alternative durch Einrückung wurde in der Seminardiskussion im Vergleich der verschiedenen Korrekturformen als am übersichtlichsten und für die Lernenden am eingängigsten angesehen. Die Tatsache, daß z.T. sehr ausgiebig korrigiert wurde, schien von beiden Seiten nicht als störendes Element der selbstbestimmten inhaltlichen Kommunikation gesehen zu werden, auch wurden die Korrekturen von den Lernenden nicht thematisiert. Auf die Frage der Gießener Tutorinnen, ob sie mit der von ihnen vorgenommenen Korrektur der E-Mails einverstanden seien, reagierten die meisten überhaupt nicht oder bedankten sich lediglich für die Korrektur. Nur ein Student schrieb, nachdem er mit seiner Tutorin bereits 12 E-Mails ausgetauscht hatte, in denen die Tutorin seinem Wunsch entsprechend die Fehler korrigiert und auf zwei konkrete Fragen zu Wortschatz und Register ausführlich geantwortet hatte: (11) "Ueber deinen Unterricht kann ich nichts sagen, weil es noch so frueh ist! Aber das ist fuer mich wirklich sehr nuetzlich! ! " (Marc) lFLruiL 28 (1999) 92 Claudia Tamme, Dietmar Rösler Die hier als Begründung angeführte, gar nicht so kurz erscheinende Zeitspanne von einem Monat, die zwischen dieser und der ersten Kontaktaufnahme-Mail lag, scheint nicht der eigentliche Grund für die Unsicherheit des Studenten zu sein. Daß der Student aus Höflichkeit gegenüber der Tutorin deren Korrektur nicht kommentiert, bietet ebenfalls keine befriedigende Erklärung, da der sehr lockere Kommunikationsstil und die durchaus direkte Art, mit der der Student seine Tutorin anredet, dies als eher unwahrscheinlich erscheinen lassen. Es wird vielmehr einfach so sein, wie der Student es selbst sagt: daß er über den Unterricht nichts sagen kann. Wie soll jemand, der vielleicht noch nie mit einer Lehrkraft über Lernziele und Beurteilungen diskutiert hat und nicht gewohnt ist, über das eigene Lernen und dessen Evaluation nachzudenken, die Art einer Korrektur einschätzen können? Wahrscheinlich kann er sich gar keine unterschiedlichen Korrekturarten und -möglichkeiten vorstellen. 5.3.2 Einfluß von Lernerfahrungen auf Lehrverhalten Die Diskussion der Tutorinnen über die vorzunehmenden Korrekturen zeigte im Hinblick auf den Umfang unterschiedliche Positionen zwischen den beiden Extremen „100%" und „Nur-soviel-wie-die-Lerner-aufnehmen-können". Viele Tutorinnen reflektierten auf diese Weise zum ersten Mal ihr eigenes Korrekturverhalten und erkannten an den Reaktionen der anderen, wie unterschiedlich Lehr- und Lerntypen sein können und wie beide miteinander interagieren. Dies illustriert ein längerer Ausschnitt 17 aus einer Seminarsitzung. ( 12) Tanja: "Ich hatt' bei meiner letzten und, ja ersten Korrektur festgestellt, daß ich em, daß ich da, daß ich so korrigiere, wie ich eigentlich selbst korrigiert werden möchte, das heißt, ich, daß, ganz unbewußt hab' ich so nach dem ersten Block em von ihr geschriebenem 'war super, mach weiter so' oder irgendwas. Ern, also auch so mal 'n Lob oder so oder dann: 'Dies könnte man em auch anders ausdrücken', eben, und ich denke, das war auch em, so wie ich selbst so die Reaktion, wie ich selbst eben behandelt werden möchte. 'n bißchen Bestärkung ..." (13) Seminarleiterin: "Mach ich auch automatisch so, ich denk, daß ich weiß nicht, wie, ob das anderen auch so geht? " ( 14) Jutta: "(lachen) Ich hab' mich g'rad noch erinnert, so am Anfang ein paar aufmunternde Worte zu schreiben, bevor ich (lachen) [Seminarleiterin: und dann ging's los ... (allgemeines Gelächter)], ja doch, da muß man schon 'n bißchen drauf achten, das stimmt, weil, wenn die nur so ich hab' ja schon, ich glaub', hinter jedes zweite Wort hab' ich 'ne Korrektur angebracht, und da war es schon nötig, am Anfang zu schreiben, daß man den Text durchaus versteht, das ist nicht so, als wär' das jetzt so schlecht, daß ... ich kann das problemlos lesen und verstehen, da sind halt überall kleine Fehlerehen noch drin, das ist halt fies, das sieht fies aus, wenn man das nachher korrigiert sieht." Hier zeigen das Lachen am Anfang der Äußerung und die Bemerkung am Schluß, in der sich die Studentin die von ihr vorgenommene Korrektur aus Sicht der Korrigierten vorstellt "das siehtfies aus"), daß hier ein Nachdenken über die Wirkung von Korrektur stattfindet. Daraufhin versucht die Seminarleiterin die Perspektivenübernahme, die hier stattgefunden hat, noch zu vertiefen: 17 Kursiv Gedrucktes wurde besonders betont. Die eckigen Klammern signalisieren Unterbrechungen. IFLllllL 28 (1999) Heranführung an den autonomen Umgang mit neuen Medien ... 93 (15) Seminarleiterin: "Die Frage ist doch eigentlich, was bleibt dem, der er es gelesen hat, dann in Erinnerung? Der Satz, den du zu Anfang geschrieben hast [Jutta: das hoffe ich] 'man kann das lesen' oder die Masse? Da bin, da bin ich mir nicht so sicher. Also, ich glaube wenn ich meine, das ist auch von Lerner zu Lerner verschieden, ich glaub' bei mir wäre 'Um Gottes willen, ich habe alles falsch gemacht', wäre, glaube ich, bei mir im Kopf." (16) Isabelle: "Psychologisch ist es, glaube ich so, daß man sich das am meisten merkt - oder kognitiv was am Ende steht [ .. .]" Hier weist eine Kommilitonin auf Erkenntnisse der Gedächtnispsychologie hin, um Jutta einen Rat zu geben, wie sie die von ihr vorgenommene Korrektur noch effektiver gestalten könnte. Jutta nimmt den Vorschlag auf. (17) Jutta: "Also, am besten am Ende dann noch mal was Aufmunterndes" [Isabelle: mhm, genau das <lacht' ich jetzt, wenn du nur einen Satz schreiben willst, dann glaube ich, ist es taktisch klüger, den an 'n Schluß zu setzen (lachen)] (18) Seminarleiterin: "[...] Ja, und selbst dann ist die Frage, was bleibt so in Erinnerung." Die Seminarleiterin beharrt auf der Vertiefung der Perspektivenübernahme. (] 9) Jutta: "Aber ich bring's nicht übers Herz, die Sachen nicht zu körr... also, gut, wenn sie mir jetzt ausdrücklich sagen würde, ich möchte nicht, oder sag mir nur die schlimmen Fehler, dann würde ich es natürlich machen, aber wenn ich das ihr durchkorrigiere, dann bringe ich es nicht fertig, Fehler stehenzulassen unkorrigiert, weil ich denke, sie braucht doch auch die Sicherheit, em irgendwie, daß das eh, daß das, was ich ihr zurückschick' dann auch stimmt, jedenfalls so nach meinem Niveau stimmt." Hier wird deutlich, daß die Tutorin eigentlich nach ihren Bedürfnissen korrigiert "ich bring's nicht übers Herz, die Sachen nicht zu korr... "). Es folgt ein murmelnder Austausch der Tutorinnen untereinander über Fehler und Korrekturen. Dann kommt die Seminarleiterin noch einmal auf den Zusammhang von vorgenommener und selbst gewünschter Korrektur zu sprechen. (20) Seminarleiterin: "Ern, wir war'n da vorhin zu gekommen, weil Tanja gesagt hatte irgendwie, daß sie so korrigiert, wie sie gern korrigiert werden würde. Wie ist das denn bei Dir, da wollte ich noch mal nachfragen, Jutta. Ern, du hattest gesagt, wie du korrigiert hast, und aber mit dem aufmunternden Anfang. Würdest Du auch gern so korrigiert werden? " (21) Jutta: "Ich möchte', wenn ich 'ne Korrektur verlange, will ich auf jeden Fall alles haben, bis in die Feinheiten. Aber, em, ich hätte natürlich auch gern was Aufmunterndes noch dabei, oder em, da hatten wir [deutet auf Kommilitonin neben sich] drüber geredet, daß man das unterscheidet zwischen weniger wichtig und wichtig, also daß man in der Fülle halt der Fehler sieht, das sind jetzt Kleinigkeiten, das ist nicht so schlimm, das ist natürlich falsch, aber das hemmt jetzt z.B. nicht das Verständnis, aber diese Fehler, die sind wirklich, also da mußt du dich drum kümmern, weil, eh, das sind zentrale Fehler oder hier kann man denn auch was nicht verstehen, wenn das so formuliert ist also daß man 'ne Unterscheidung macht, wenn möglich." Hier antwortet die Tutorin auf die direkt gestellte Frage, daß sie selbst gern so korrigiert werden möchte, wie sie die E-Mails ihrer Tutee korrigiert. Außerdem berichtet sie, daß sie sich mit ihrer Kommilitonin darüber unterhalten hat, daß man eine differenzierte Korrektur vornehmen sollte. Das zeigt ebenso wie die Sequenz (16) - ( 17), wie fruchtbar ein solcher Gedankenaustausch anhand konkret geübter Lehrfertigkeiten wie dem Korrigieren als Teil IFLIIIL 28 ( 1999) 94 Claudia Tamme, Dietmar Rösler der Ausbildung sein kann. Die Seminarleiterin stellt daraufuin eine provokative Nachfrage, warum die Tutorin denn nicht erst einmal nur die wichtigen Dinge korrigiert: (22) Seminarleiterin: "Die Idee reizt mich dazu irgendwie zu sagen, warum nicht also jetzt 'n bißchen provokativ warum nicht nur die, warum läßt du die anderen nicht einfach erstmal weg, jetzt bei der E-Mail-Korrektur? " (23) Jutta: "(lachen) aus Perfektionismus, weil ich will ja natürlich das auch lernen..." Hier passiert etwas sehr Interessantes. Während die Tutorin in den vorangegangenen Äußerungen ihre eigene Perspektive und die von ihr bei der Tutee vermutete noch auseinandergehalten hat, kommt es in (23) zu einer Vermischung beider Perspektiven. Die Ausgangsfrage war, warum sie als Tutorin nicht auf eine andere Art als die tatsächlich von ihr vorgenommene korrigiert. Die Antwort kommt aus der Lernerperspektive, aber nicht mehr aus der von ihr bei ihrer Tutee vermuteten, sondern aus der eigenen „weil ich will ja natürlich das auch lernen...". An dieser Stelle zeigt sich deutlich, wie Lehrende beim Lehren auf ihre eigene Lernerfahrung und -präferenzen zurückgreifen. 5.4 Autonomes Lernen im E-Mail-Tutorium? Explizit und implizit wird bei der Diskussion der Rolle von E~Mail-Kontakten davon ausgegangen, daß in ihnen gegenüber einem wie auch immer aussehenden 'normalen' Fremdsprachenunterricht eine stärkere Lernerautonomie vorhanden ist. Die in den hier beschriebenen E-Mail-Interaktionen beobachtbare Autonomie besteht in der Freiheit, selbst zu bestimmen, worüber gesprochen, bzw. geschrieben wird. Sie unterscheidet sich von einer mit bestimmten kognitiven Fähigkeiten verbundenen autonomen Lernhaltung, bei der die Lernenden die volle Verantwortung für ihr eigenes Lernen übernehmen, wie sie in Kap. 4 beschrieben wurde. Wenn man das 'Autonomwerden' der Lernenden hauptsächlich mit dem 'Nachdenken über etwas' verbindet, so erscheinen die Interaktionen in diesen E-Mail- Tutorien auf Seiten der Lernenden nicht besonders relevant: ein Nachdenken über ihren Lernprozeß findet kaum statt. Stattdessen nutzen sie selbstbestimmt ein Angebot, um den Anteil natürlicher Kommunikation in ihrem institutionellen Lernkontext zu erhöhen, wobei sie gleichzeitig einen Hauptbestandteil des institutionellen Lernens, das Korrigiertwerden, als selbstverständlichen Teil dieser Kommunikationssituation akzeptieren. Was puristische Sprachlehrforscher als Bestandteile unterschiedlicher Lernkontexte auseinanderzuhalten versuchen, wird von den Hong Konger Lernenden zu ihrem eigenen Nutzen souverän durcheinandergebracht, und dies, ohne es vorher metakommunikativ auszuhandeln! Die Tatsache, daß ein Nachdenken über den eigenen Lernprozeß kaum stattfindet, unterstreicht außerdem, daß es sich bei dem Ziel des autonomen Lerners vor allem um ein Lehrziel handelt und in der Regel nicht um ein Lernziel, das die Lernenden von sich aus verfolgen. In der kurzen Zeitspanne dieser E-Mail-Interaktion haben also die beiden Prozesse, die nach Holec (1981: 22) auf den Weg zur Autonomie führen: " a gradual 'deconditioning' process which will cause the learner to break away, if only by putting them into words, from a priori judgements and prejudices of all kinds that encumber his ideas about learning languages and the role he can play in itto free himself from the notion that there is one ideal method, that teachers possess that method [...]; fL1UIL 28 ( 1999) Heranführung an den autonomen Umgang mit neuen Medien ... a gradual process of acquiring the knowledge and know-how he needs in order to assume responsibility for his learning; to learn to use tools such as dictionaries and grammar books, to assemble and analyse a corpus, to describe his expectations in terms that will serve to define a learning process, all ofwhich implies discovering descriptive categories which will not necessarily be those of a linguist or a professional teacher; to learn to analyse his performance, [...]." 95 nur selten stattgefunden. Das hat zum einen etwas mit der Höhe der Anforderungen, die das Lehrziel des autonomen Lerners an die Lernenden und Lehrenden stellt, und zum anderen mit dem Faktor Zeit zu tun. 18 Und es hat letztendlich etwas mit der gesamten Ausrichtung des institutionellen Lernkontextes zu tun, auf die im folgenden Kap. 6 noch kurz eingegangen wird. Auf der Seite der Tutorinnen ist die Autonomiekomponente auf zwei Ebenen vorangekommen. Zum einen waren sie als Tutorinnen den Tutees gegenüber für ihr eigenes Tun verantwortlich und haben im Seminar mit den anderen Tutorinnen darüber diskutiert. Sie haben also im Sinne von Künzle [et al.] ( 1996: 51) "Autonomie 'am eigenen Leib' erfahren und erprobt". Darüber hinaus hat in der Seminardiskussion eine Reflexion über die Rolle von Autonomie für das Fremdsprachenlernen stattgefunden, die zeigt, daß diese nicht universell als für alle Lernergruppen und -kontexte besonders geeignet angesehen wird: (24) "Ich glaube, daß die Autonomie nicht auf alle Lerner anwendbar ist. Sie verlangt die Bereitschaft zu viel Reflexion über die eigenen Lernprozesse. Wenn ich an meine Volkshochschul- Lerner denke, glaube ich nicht, daß sie so sehr über ihren eigenen Lernprozeß nachdenken wollen. Sie kommen in meinen Kurs, um mit Spaß zu lernen. Ich denke, die Autonomie ist mehr was für Studierende." (Luna, Gedächinisprotokoll) (25) "Lernerautonomie ist sicher ein wichtiges Ziel, aber ich denke, es scheitert oft an den Voraussetzungen in der Lernergruppe, bzw. man würde sehr viel Zeit darauf verwenden, autonomes Lernen einzuführen." (Jutta, Fragebogen) (26) "Ich könnte mir vorstellen, autonomes Lernen elementeweise in meinen Unterricht einzubauen. [...] Würde aber nicht bedingungslos auf den Zug 'Autonomes Lernen' aufspringen, nur weil das gerade in ist. Es gibt auch Dinge, die zur Zeit nicht in sind, mir aber trotzdem wichtig sind (Lernziel Solidarität, auch mit Erwachsenen)." (Martin, Fragebogen) In der Äußerung (24) zeigt sich, wie stark die kognitive Ausrichtung der Autonomiediskussion die Einschätzung autonomen Lernens beeinflußt: Autonomie gilt Luna als etwas, was eigentlich nur kognitv lernenden Studierenden zugemutet werden kann. 5.5 Selbstvertrauen als Voraussetzung für eine eigenverantwortliche Lernhaltung Die Beobachtungen aus den Tutorien legen nahe, daß eine Lernerautonomie in dem in Kap. 4 behandelten Sinne wohl nur in einer entsprechend geänderten Gesamtkonzeption des Fremdsprachenunterrichts erreicht werden kann. Sie zeigen aber auch, daß zur Verantwortungsübernahme über die kognitive Ebene hinaus auch der emotionale Bereich, das bei den Lernenden für die Selbstbestimmung notwendige Selbstvertrauen, gehört. Mit diesem 18 Vgl. die Langzeitstudie von schwedischen Schülerinnen und Schülern beim Fremdsprachenlernen von Tornberg (1996), die zeigt, daß selbst 'einfachere' Fähigkeiten wie Lesestrategien jahrelanges Training erfordern. JFILIWL 28 ( l 999) 96 Claudia Tamme, Dietmar Rösler hat sich die fremdsprachendidaktische Autonomiediskussion bisher noch zu wenig befaßt. Der von Holec gewählte Begriff der Dekonditionierung veranschaulicht, um was es bei der Verwirklichung des Lehrziels der Lernerautonomie eigentlich geht, um eine für die Lernenden meist völlig neuartige Einstellung dem Lernen gegenüber. Daß diese nur in den seltensten Fällen ohne Anregung von außen, z.B. durch eine Lehrperson, erfolgen kann, scheint selbstverständlich. Warum sonst sollten Lernende, die ihr Leben lang nach einem bestimmten Muster zu lernen gewohnt waren, dem Lernen gegenüber plötzlich eine andere Haltung einnehmen? Die wenigsten Lerner werden sozusagen aus eigener Kraftihr Lernen in der Weise 'überwachen', wie es als Zielvorstellung des autonomen Lerners beschrieben wird. In einem über den Untersuchungszeitraum der E-Mail-Tutorien hinausgehenden Fall, in dem eine Studentin den Kontakt nun schon über ein Jahr lang aufrechterhält, zeigt sich, daß durch eine große Menge an Zuspruch und emotionaler Unterstützungsarbeit Hilfe auf dem Weg zur Herausbildung einer eigenverantwortlichen Haltung zum Lernen möglich ist. Diese ist im Prinzip natürlich auch durch eine kontinuierliche Sprachlernberatung am Lernort möglich; dadurch, daß auch über weite geographische Distanzen hinweg eine muttersprachliche Tutorin in einer beratenden, freundschaftlichen Rolle immer nur einen Mausklick entfernt ist und dadurch, daß diese nicht in den institutionellen Lernprozeß involviert ist, bietet ein E-Mail-Tutorium hier aber eine Erweiterung des institutionellen Lernens an. 6. Konsequenzen für die Organisation von Fremdsprachenlernen im Kontext der neuen Medien Die Diskussion um neue Medien und autonomes Lernen wird zu einer Neubewertung des Selbstlernens führen, nicht nur im Hinblick auf die Gestaltung von Selbstlernmaterialien, sondern vor allem auch im Hinblick auf die angeblich finanziell attraktive - Ersetzung von Lehrende-Lernende-Interaktionen durch Selbstlernen. Hier wird die Sprachlehrforschung noch einige Zeit brauchen, bis sie in der Lage ist, ökonomische Optimierungsargumente sauber von sprachlernprozeßbezogenen Optimierungsargumenten zu trennen. Die Integration von autonomen oder quasi-autonomen Sprachlerntätigkeiten in ein Sprachlerncurriculum, das diese nicht als Sparschwein, sondern als Beitrag zur Menschenbildung und verbesserten Sprachvermittlung sieht, stellt einen Balanceakt dar, der je nach Eigenschaften der Lernenden, Ausstattung der Institution, gegebenen Lernzielen usw. unterschiedlich ausfallen und sich durch die Weiterentwicklung der neuen Medien auch permanent verändern wird. Was man aber jetzt schon sagen kann, ist, daß die Heranführung an das autonome Lernen den gesamten Lernprozeß begleiten muß und sich sowohl elementarhandwerklich mit der Vermittlung der sog. Lernstrategien und der relevanten Medienkompetenz befassen muß als auch emotional mit der Stärkung des Selbstvertrauens, das Voraussetzung für dieses Lernen ist. Außerdem werden sich ohne eine Angleichung von Prüfungsanforderungen und dem, was im Kontext des autonomen Lernens an sprachlichem Verhalten auf den jeweiligen Lernebenen für sinnvoll gehalten wird, Dissonanzen ergeben, die das autonome Lernen leicht in eine exotische Ecke drängen können. So erhielt eine Lernende während des E-Mail- Tutoriums bezogen auf ihre E-Mail Kommunikation von ihrer deutschen Tutorin bestätigt, IFLulL 28 ( 1999) Heranführung an den autonomen Umgang mit neuen Medien ... 97 daß sie im Schriftlichen ohne größere Probleme auf Deutsch kommunizieren könne. In ihrer nächsten Prüfung erhielt sie hingegen schlechte Noten. Die Lernende, für die das Bestehen der Zertifikatsprüfung Deutsch als Fremdsprache am Ende des Studienjahres für ihren Werdegang existentiell wichtig ist, wird der Einschätzung durch diese Prüfung natürlich mehr Gewicht beimessen als der Aussage der Tutorin. Eine von ihren Prüfern abweichende Einschätzung ihres Könnens durch ihre E-Mail-Tutorin kann in der hier analysierten Situation im besten Fall zum Nachdenken über die Ursachen der divergierenden Beurteilungen anregen; erst eine über die auf zwei bzw. vier Monate beschränkten Tutorien hinausgehende Parallelbetreuung könnte weitergehend autonomiefördernd wirken. In der Lehrerausbildung bieten Tutorium und tutoriumsbegleitendes Seminar durch ihre Kombination von Theorie und Praxis die Möglichkeit, bestimmte Lehrformen nicht nur zu 'predigen', sondern auch hochschuldidaktisch angemessen zu repräsentieren und damit das zukünftige Lehrverhalten durch das aktuelle Lernverhalten zu beeinflussen. So können konkrete Lehrfertigkeiten wie z.B. das Korrigieren geübt bzw. in einem neuen Medium mit dem damit verbundenen Zuwachs an Medienkompetenz ausprobiert werden, und gleichzeitig haben die Seminarteilnehmerinnen die Möglichkeit, ihre verschiedenen Lehrstile und die verschiedenen Lernstile ihrer Tutees zu vergleichen und zu diskutieren und so in einem relativ frühzeitigen Stadium die Vielfalt von Lehr- und Lernprozessen zu reflektieren. Wenn es zu einer Entwicklung von strukturierten Lernumgebungen ähnlich den in Kap. 2 skizzierten kommt, in denen Lehrende weitaus stärker als bisher lernberatende und auf individuelle Lernprozesse sich konzentrierende Tätigkeiten übernehmen, dann ist dafür eine Lehrerbildung notwendig, die Lehrer neugierig auf die Produkte der Lernenden, bereit zur experimentierenden Auseinandersetzung mit den neuen Medien und bereit zur emotionalen Interaktion mit ihren Lernenden macht. Derartige Lehrer-Lernziele werden sich nicht im Rahmen einer traditionell dozentenzentrierten Hochschuldidaktik erreichen lassen, sie müssen eingebunden werden in eine Lehre, die selbst autonomiefördernd, Medienkompetenz verleihend und den Rollenwechsel von Lehrenden und Lernenden inszenierend ist. Literatur BAHLMANN, C. [et al].: Unterwegs. Kursbuch. Lehrwerk für die Mittelstufe Deutsch als Fremdsprache. Berlin 1998. DONATH, Reinhard (1996): E-Mail-Projekte im Englischunterricht. Stuttgart [usw.]: Klett. DONATH, Reinhard (1997): "Fremdsprachenlernen und Kommunikationstechnologien: Möglichkeiten der elektronischen Kommunikation durch das Internet". In: Neusprachliche Mitteilungen 50.1, 33- 37. ECK, Andreas/ LEGENHAUSEN, Lienhard/ WOLFF, Dieter (1994): "Telekommunikation als Werkzeug zur Gestaltung einer spracherwerbsfördernden Lernumgebung: Möglichkeiten und Probleme". In: FECHNER, Jürgen (Hrsg.) (1994): Neue Wege im computergestützten Fremdsprachenunterricht. 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