eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 28/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
1999
281 Gnutzmann Küster Schramm

Mona BAKER: Routledge Encyclopedia of Translation Studies

121
1999
Bernd Stefanink
Mona BAKER: Routledge Encyclopedia of Translation Studies. London: Routledge 1998, 680 Seiten [£ 100,-]
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Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 235 Erfolglosigkeit aus und darf nicht als aggressiv herausfordernd übersetzt werden. Desgleichen kann bei der Schilderung von Tatbeständen in juristischen Verhandlungen die passivische Form zurückhaltende Objektivität gegenüber dem Angeklagten der ja eben (noch) nicht als schuldiger Täter ermittelt wurde bezwecken, wohingegen die Übersetzung mittels aktiver Verbformen unbeabsichtigte Akzente setzen kann. Im Glossar wird "explication" als "the addition of extra material with an explanatory function" (217) definiert. Dadurch wird der Eindruck verstärkt, den viele Außenstehende vom Übersetzer als Verräter haben. M.E. haben wir es in diesen Fällen jedoch nicht mit einer "addition" zu tun: Es wird nichts hinzugefügt, es wird lediglich für den Zieltextrezipienten „expliziert", was für den Ausgangstextrezipienten kulturell, aufgrund kulturspezifischen Weltwissens, "implizit" im Text vorhanden ist, eine conditio sine qua non zur Erreichung von 'Wirkungsgleichheit'. Fazit: Ein Buch, das sich aufgrund der Fülle von Beispielen leicht in Seminaren verwenden läßt, zumal in den drei letzten Kapiteln didaktische Schlußfolgerungen gezogen werden .. Mona BAKER: Routledge Encyclopedia of Translation Studies. London: Routledge 1998, 680 Seiten [100,-f]. Das Buch besteht aus zwei Teilen: Die ersten 291 Seiten sind verschiedenen Theorien und verschiedenen Aspekten der Übersetzungswissenschaft gewidmet, die darauffolgenden 291 Seiten der Geschichte der Übersetzungswissenschaft in den einzelnen Ländern. Es folgt eine ausführliche Bibliographie von 55 Seiten sowie ein 15seitiger Index. All dies macht das Buch zu einem äußerst nützlichen Nachschlagewerk. Daß der bei der Planung ( 1991) vorgesehene historische Teil auf Grund der inzwischen erschienenen Publikationen weniger innovativen Charakter hat als seinerzeit, schmälert in keiner Weise seinen Wert. Die verschiedenen Querverweise von einem Artikel zum andern und vom allgemeinen Teil auf den historischen sowie die effizient angelegten bibliographischen Hinweise vermitteln eine Fülle an Informationen auf engstem Raum. Im historischen Teil wird mit der Sprachgeschichte allerdings manchmal etwas leichtfertig umgegangen. Der Kenner der rumänischen Sprachgeschichte wird mit einigem Unbehagen zur Kenntnis nehmen, daß "Present-day Romanian has been influenced by non-Romance languages such as Hungarian, Albanian and various Slavic languages, which are spoken in neighbouring countries" (533). Bekanntlich wurde die rumänische Sprache sehr stark von französischen Einflüssen geprägt, die im 19. Jh. sprachpolitisch genutzt wurden, um das Bewußtsein der nationalen Identität gerade gegen die nicht romanische Umgebung zu stärken (cf. Stefanink 1999b). Auch heute sind die französischen Einflüsse in diesem Land, das von den Franzosen als zur "Francophonie" im weiteren Sinne gehörend angesehen wird, stärker als die slawischen, gegen die sich die Rumänen vehement zur Wehr setzen. Das Ungarische hat lediglich ein paar lexikalische Spuren hinterlassen; der slawische Einfluß ist ebenfalls geringfügig und nur im lexikalischen Bereich festzustellen. Er geht hauptsächlich auf das Bulgarische zur Zeit seiner breiteren territorialen Ausdehnung im 6.-8. Jh. zurück. Darüber hinaus gehen etwa hundert Wörter, die im Rumänischen, Bulgarischen und Albanischen Familienähnlichkeiten aufweisen, auf ein gemeinsames Substrat zurück, ohne daß nachgewiesen werden konnte, daß eine dieser Sprachen die anderen beeinflußt hätte. Angesichts dieser etwas tendenziösen Darstellung wundert es nicht, das I. Heliade Radulescu, der bedeutendste Verfechter der Romanisierungsbestrebungen im 19. Jh. dann auch nicht in der Bibliographie aufgeführt ist. Wenn man weiß, wie sehr sich die nationale Identität Rumäniens bei der Staatsgründung im 19. Jh. auf die gemeinsame Sprache als konstitutiven Faktor gestützt hat und welche Rolle Sprachpolitik in Rumänien auch heute noch spielt und wenn man außerdem die politischen Spannungen zwischen Ungarn und Rumänen berücksichtigt, war es m.E. etwas ungeschickt, gerade einen Ungarn mit der Verfassung des Artikels über die "Romanian tradition" zu betrauen. 5 Auch die Darstellung des "Interpretive approach" [La.] durch Salama-Carr [S.-C.] wird einigen fundamentalen Begriffsbestimmungen nicht gerecht. So waren die Hautpvertreter dieser Theorie, Danica 5 Der Vf. Jan6s Kohn, ist am Teacher Training College in Szombathely, Ungarn, tätig. In der Darstellung der "French Tradition" hätte die historische Bedeutung Mounins mit mehr als nur einem Satz gewürdigt werden sollen. ]F]Llld, 28 (1999) 236 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel Seleskovitch und Marianne Lederer, stets bemüht, sich ganz bewußt von den „Hermeneutikern" und der „Exegese" abzugrenzen. 6 Nichtsdestoweniger werden in S.-C.s Beschreibung des. Übersetzungsprozesses "Interpretation" und „Exegese" gleichgestellt ("interpretation or exegesis" (113 [Hervorhebung von mir]). Eine vergleichbare Gleichsetzung nimmt S.-C. vor, wenn sie schreibt: "[ ... ] vouloir dire or intention of the author [ ... ]" (113 [Hervorhebung von mir]). Auch hier handelt es sich um zwei Fachtermini, die im La. streng unterschieden werden. 7 Schließlich sieht S.-C. das Hauptmerkmal, durch das sich der La. von Steiners hermeneutischer Theorie abgrenzt, in der Rolle der Intuition bei Steiner. Die Intuition spielt jedoch bei beiden eine wesentliche Rolle. M.E. unterscheidet sich die „Aneignungsphase" im La., die aus einer «serie de Jectures successive~ du texte pour I' absorber, se 1"approprier' » (Lederer 1994: 43) besteht, kaum von dem was Steiner "incorporation" des Textsinnes nennt. In beiden Fällen haben wir es mit einem intuitiven, empathischen Erfassen zu tun. Auch bei Lederer ist die «connaissance intuitive» ( 1994: 63) das grundlegende Instrumentarium, mit dem der «bon traducteur» arbeitet. Somit eignet sich der Bezug zur Intuition sicher nicht als Abgrenzungskriterium zur hermeneutischen Theorie Steiners. Nein, der fundamentale Unterschied zwischen Steiner und der La. liegt in der Endphase des übersetzerischen Handelns: beide bezeichnen sie als „Restitutions"-phase. Jedoch verstehen sie darunter grundsätzlich entgegengesetzte Ziele: für den La. geht es darum, einen rezipientenorientierten Text zu verfassen, der den kulturellen und sprachlichen Unterschieden gebührend Rechnung trägt; Steiner dagegen geht es darum, im Sinne Benjamins 'transparent' zu übersetzen und nicht nur den Inhalt, sondern auch die Form zu 'restituieren'. Bei jenen haben wir es mit 'ciblistes' zu tun, Steiner dagegen ist ein 'sourcier', der die Aufgabe des Übersetzers in der Überwindung des babylonischen Bruchs und in der Wiederherstellung des vorbabylonischen Sprachzustandes sieht. Im selben Artikel kann man u.a. lesen: "Their [Paris School] research focuses on the translating process, particularly [ ... ] on the nature of linguistic ambiguities" (113). Lederer ( 1994: 30-32) betont aber gerade das Gegenteil: Vom Standpunkt der Theorie interpretative seien «les ambigui"tes [... ] un probleme artificiel en traduction» (31 ). Nur für das maschinelle Übersetzen so Lederer ( ! 994: 31, 182) ist die Ambiguitätsforschung relevant. Dem mit einem «bagage cognitif» ausgestatteten menschlichen Übersetzer liefert der Text unmittelbar einen ambiguitätsfreien Sinn. Manchmal wäre eine bessere Koordination zwischen den Autoren hilfreich gewesen. Es ist etwas frustrierend, wenn ein ganzer Artikel dem Thema "explicitation" gewidmet ist und wenn mit keinem einzigen Wort die Bedeutung der "explicitation" für den La. erwähnt wird, nachdem man gerade bei S.-C. gelesen hat, daß die Beziehung zwischen "implicitness" und "explicitness" einen fundamentalen Aspekt des La. darstellt. Diese wenigen Beispiele sollten den Übersetzungswissenschaftler jedoch nicht davor abhalten, dieses Werk in seine Bibliothek aufzunehmen. Im allgemeinen sind die Darstellungen der einzelnen Bereiche kompetent dargestellt. Wer z.B. bei der Lektüre von Steiners reichhaltigem After Babel angesichts der Fülle manchmal den Faden verloren haben mag, wird in der klaren Darstellung des Artikels "Hermeneutic Motion" den Mut zu einer Relektüre finden. Auch der Artikel über die "Skopostheorie" ist gelungen, was bei den z.T. 'abenteuerlichen' Darstellungen, die man bei nicht germanophonen Autoren zuweilen finden kann 8, beruhigend wirkt. Schade, daß der fundamental wichtige Begriff der „Wirkungsgleichheit" keine Erwähnung findet: Bei Funktionskonstanz ist in der Skopostheorie Wirkungsgleichheit ein Maßstab für die Qualität der Übersetzung. Der Imperativ der Wirkungsgleichheit ist ja überhaupt erst die Rechtfertigung für die Adaptation kultureller Elemente im Hinblick auf die soziokulturell bedingt anders geartete Erwartungshaltung der Zieltextrezipienten. 6 "Par ailleurs, il ne faul pas confondre le sens avec l'intention d'un auteur, ni l'interpretation d'un texte avec son exegese" (Lederer 1994: 25). Auch die Darstellung der La. im Internet legt auf diese Unterscheidung Wert (cf. http: / / www.univ-paris3.fr./ esil/ traducto.html). 7 "[... ] les intentions qui fournissent l'impulsion necessaire a Ja production du dire [... ] ne font pas partie du sens a transmettre en traduction" (Lederer 1994: 34-35). 8 Ich denke z.B. an Gentzler (1993: 71), wo „Skopos" imperativisch als Skoposidentität zwischen Ausgangs- und Zieltext interpretiert wird, bzw. an Robinson (1997: 2! 0), der ebenso imperativisch das Gegenteil behauptet, nämlich, daß die Skoposänderung der Normalfall ist FILd 28 (1999) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 237 Im Index ist leider der Begriff der Intuition nicht aufgeführt, der im Übersetzungsprozeß immer mehr Beachtung findet und auch mehrmals im Text vorkommt (114, 264 et passim), allerdings nicht ausführlich erörtert ist. Überhaupt wird man bedauern, daß dem Begriff nicht ein ganzer Artikel gewidmet wurde. Auch die äußerst reichhaltige, gut angelegte Bibliographie 9 spricht für die Anschaffung dieses Werkes, das in keiner übersetzungswissenschaftlichen Bibliothek fehlen sollte. Sherry SIMON: Gender in Translation. Cultural ldentity and the Politics ofTransmission. London: Routledge 1996 (Translation Studies), 208 Seiten [15,99 f] Wer sich mit Theorie befaßt, um Erkenntnisse für eine Übersetzungsdidaktik abzuleiten, wird hier schwerlich auf seine Kosten kommen. Verächtlich wird die "traditional question which has preoccupied translation theorists 'How should we translate, what is a correct translation? '"(7) in den Wind geschlagen. Die „Bipolarisierung" zwischen "literalism and freedom" wird als ein "sterile standoff' (36) abgetan. "Translation is not a carrying across, but a reworking of meaning" zitiert die Vf. Godard (1995: 73) auf Seite 23. Der Übersetzer ist schöpferisch tätig, wie ein Autor: "The process of translation must be seen as a fluid production of meaning, similar to the other kinds of writing" (12). Die Suche nach dem Sinn nach dem „Gemeinten im Gesagten", wie es die Hermeneutikerin Radegundis Stolze nennen würdewird den geistigen Kleinkrämern überlassen: "[... ] meaning is no longer a hidden truth to be 'discovered' but a set of discursive conditions tobe 're-created'"(l 3); "translation" wird als "re-writing" (VIII) aufgefaßt. Ein Schlag ins Gesicht des „Hermeneutikers" George Steiner, der laut Vf. mit seiner machistisch-aggressiven Sicht des Translationsakts, mit seinem "thrust", "supposes the perspective of masculine sexuality" (29), obwohl seine Theorie vorgibt "gender-free" zu sein. Frauen sind da ehrlicher: "feminist translators quite willingly acknowledge their interventionism (29), wie es z.B. die Übersetzerin de Lotbiniere-Harwood praktiziert: "We need to resex language" (1991: 117) (20). Die Vf. zitiert eine Reihe von Beispielen solcher "re-sex"-Prozesse: "author" wird "auther" geschrieben, wenn es sich um eine Frau handelt, die lesbische Liebhaberin wird als "shelove" statt "amante" bezeichnet, das feminine "aube" des Französischen wird normgerecht mit "dawn" wiedergegeben, aber als "she" pronominalisiert, "these feminization strategies make it possible for target-language readers to identify the lesbian in the text" (de Lotbiniere-Harwood 1995: 162) (21). Das erklärte Ziel derartiger sprachlicher Kreativität gibt Harwood im Vorwort zu einer ihrer Übersetzungen an: "My translation is a political activity, aimed at making language speak for women. So my signature on a translation means: this translation has used every translation strategy to make the feminine visible in language" (15), nach dem Motto: "Translators have all the rights as long as their game is played up front" (36). ' 0 In diesem Sinne wird dann auch eine sicherlich informative historische Darstellung weiblicher Übersetzer geliefert, wobei sich als Charakteristikum weiblicher Übersetzungim Gegensatz zu Steiners machistischer Erobererhaltung in Bezug auf den quellensprachlichen Text ein Sich-durch-den-Text-erobern-lassen herauskristallisiert: "The translator must 'surrender' to the text" (144), wie es die von der Vf. zitierte Übersetzerin Gayatri Spivak formuliert, für die das "total surrender" in einer "first translation at top speed" ( 144) besteht. "Translation is not a communicative act" ( 143), sondern der Quellentext und sein "Schatten" stehen in einer Liebesbeziehung zueinander, bei der "respect for the irreducibility of otherness (143) die Aufrechterhaltung der Erotik in der Beziehung gewährleistet. Tout un programme! Fazit: Das Buch macht bewußt, daß häufigbewußt oder unbewußt - Übersetzung als kulturpolitisches Instrument mißbraucht wird, hauptsächlich von Männern, wie z.B. ,bei der Bibelübersetzung. Diesen Mißbrauch nun, im Gegenzug, programmatisch auf die Fahnen der Frauenbewegung zu schreiben, scheint mir den Teufel mit Belzebub austreiben zu wollen. Mit Sätzen wie "contemporary translation studies are struggling against 'the old binary concept of translation [which] saw original and translated texts as two Stärend wirkt die Uneinheitlichkeit bei den Angaben der Vornamen (ausgeschrieben vs. Initialen), Bei Krings 1988 fehlen die Seitenzahlen (393-410); auf S. 190 sind in der Bibliographie zu ergänzen: Krings 1986 und Juliane House, 10 Die Vf zitiert hier Berman (1995: 92). IFILruuL 28 ( 1999)