Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2000
291
Gnutzmann Küster SchrammEnglisch als globale lingua franca:
121
2000
Claus Gnutzmann
flul2910023
Claus Gnutzmann Englisch als globale lingua franca: Funktion und Entwicklung - Fragen des Lehrens und Lernens - Lernziel „Mehrsprachigkeit" • Abstract. This paper starts from the observation that the value of languages today is predominantly viewed in terms of a cost-profit-ratio. Since English is used world-wide and practically in all spheres of our Jives, it has turned into a global linguafranca. lt has also become the first and very often the only foreign language to be "taken seriously" at school and outside the school context. This development could receive even further encouragement from certain innovative measures such as starting to teach English as early as in the first year at primary school and bilingual contents language teaching. These measures very much involve the risk of competition and elitism pervading school life from a very early age and then becoming a dominant factor in a pupil's school career. After discussing several linguistic and pedagogical aspects of a linguafranca in general and ofEnglish in particular, the article concludes that Iinguistic pluralism should be supported more effectively in order to maintain linguistic and cultural diversity. At the same time, such reorientation could contribute to a much-needed stronger emphasis on the educational, social and political aims of foreign language learning to counterbalance its rapidly increasing instrumental bias. 1. Ausgangssituation, Problemstellung, Zielsetzung Wir leben in einer Zeit, in der das gesellschaftliche und individuelle Denken und Handeln zunehmend, wenn nicht sogar vorwiegend, von einem ökonomischen Kosten-Nutzen- Prinzip bestimmt wird. So ist es nicht verwunderlich, dass dieses Prinzip mittlerweile auch die Schule und den folgenden Bildungs- und Ausbildungssektor ergriffen hat. Davon ist selbstverständlich auch der Fremdsprachenunterricht nicht ausgenommen; vor allem ist hier das Schulfach Englisch betroffen, weil mit ihm besonders hohe Gewinn-Erwartungen hinsichtlich eines praktischen und verrechenbaren Nutzens im Studium und im Beruf verbunden werden. Eine solche, durch die weltweite Verbreitung des Englischen nahegelegte sowie durch entsprechende sprachenpolitische Maßnahmen geförderte Erwartungshaltung lässt die Popularität der englischen Sprache weiter anwachsen. Es erhebt sich allerdings die Frage, ob Disziplinen wie die Anglistik und die Fachdidaktik des Englischen, die u.a. der Erforschung dieser Prozesse verpflichtet sind, durch diese Entwicklung gestärkt oder nicht schon bald geschwächt werden. Weiterhin ist zu fragen, welche Auswirkungen von dezidiert leistungsorientierten, elitefördemden Innovationsoffensiven, die jetzt von Dieser Aufsatz ist Ekkehard König (FU Berlin) zum 60. Geburtstag im Januar 2001 gewidmet. Bei dem Beitrag handelt es sich um die gekürzte und veränderte Version meines als Manuskript vorliegenden Aufsatzes "Lingua franca (especially English): functions, role, evolution teaching and leaming issues striving for plurilingualism". IFLlllL 29 (2000) 24 Claus Gnutzmann politischer Seite, aber auch verstärkt von Fachvertretern, propagiert werden, auf das pädagogische, psychologische und soziale Klima von Schule generell und auf den Fremdsprachenunterricht im besonderen zu erwarten sind. Als Beispiel für eine solche Maßnahme könnte man in diesem Zusammenhang z.B. auf die (derzeit erprobte) Einführung des Englischen als „Unterrichtssprache" in fast allen Lernbereichen der Grundschule bereits im ersten Schuljahr 1 verweisen, die in einigen europäischen Ländern bereits praktiziert wird. 2 Dabei ist aber auch zu berücksichtigen, dass die aus einem solchen Ansatz resultierende Hinorientierung zum Erwerb quantifizierbarer Kompetenzen und die sich dadurch abzeichnende Entpädagogisierung des Grundschulunterrichts das Risiko in sich trägt, Leistungsdruck und Konkurrenzkampf schon in den Beginn der schulischen Sozialisation zu verlegen. Grundschulpädagogen und Eltern, deren Kinder dann nicht zu den Erfolgreichen gehören, werden diese Entwicklung wohl eher skeptisch beurteilen. Auswirkungen mit partiell vergleichbarem Resultat sind möglicherweise auch vom bilingualen Sachfachunterricht zu erwarten. Sicherlich ist die den Lernenden durch den bilingualen Sachfachunterricht gegebene Möglichkeit, zusätzlich, also neben dem „normalen" Englischunterricht, die englische Sprache zu verwenden und ein Sachfach fremd-sprachlich zu erschließen, prinzipiell zu begrüßen, nicht zuletzt deshalb, weil hierdurch der aktive Gebrauch des Englischen erhöht wird und so eine Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit erreicht werden kann. Allerdings erscheint die Gefahr, dass durch die geschilderten Entwicklungen die Inhalte und Lernziele des herkömmlichen Englischunterrichts weiter eingeschränkt werden, als durchaus real, wenn auch hinzuzufügen ist, dass das Beharren am schulischen status qua sicherlich keine Tugend an sich ausmacht und Veränderungen im allgemeinen mit Risiken behaftet sind. Decke-Cornill (1999) weist auf die Gefahr hin, dass durch den bilingualen Unterricht die Autonomie, ja letztlich der Bestand, der fremdsprachlichen Fächer gefährdet werde und dass die inhaltliche, die Sack-Orientierung (vs. Lerner-Orientierung) eine Einschränkung von pädagogischen Gestaltungsfreiräumen zur Folge haben könne. Berücksichtigt man weiterhin, dass für den bilingualen Sachfachunterricht besondere sprachliche Vorleistungen zu erbringen sind, so wird deutlich, dass das Englische und seine Verwendung im schulischen Kontext auch in diesem Fall dazu beitragen (können), den schulischen Ausleseprozess weiter zu beschleunigen. Die einstmals emanzipatorische Kraft des Slogans „Fremdsprachenunterricht für alle" würde unter diesem Blickwinkel endgültig der Vergangenheit angehören. Auch wenn es derzeit noch zu früh ist, hier eindeutige Prognosen zu stellen, sollte man nicht allzu überrascht sein, wenn sich herausstellt, dass die ständig steigende Instrumentalisierung der von den Schülern zu erwerbenden Sprachkompetenz für die spätere Ausbildung und Berufstätigkeit in einem nicht-sprachlichen Bereich nicht unbedingt dazu Vgl. hierzu den Artikel von Jeannette Otto in Die Zeit vom 15.6.2000, in dem über ein Pilotprojekt zum Englischunterricht in der Grundschule berichtet wird. Ob die vom Projektleiter erhobene Behauptung „Je früher Kinder beginnen, die erste Sprache zu erlernen, desto besser ist es" (Henning Wode), in dieser Verallgemeinerung haltbar ist, ist angesichts der erheblichen Unterschiede im Leistungspotential bereits von Erstklässlern mehr als fraglich. Gerade im Hinblick auf die sehr unterschiedlichen muttersprachlichen Kompetenzen von Schulanfängern erscheint es wohl sinnvoller, "sich zunächst zwei Jahre intensiv mit der Muttersprache zu beschäftigen" (Helmut Sauer). 2 Vgl. z.B. für die Situation in Finnland Järvinen (1999). lFILU! L 29 (2000) Englisch als globale lingua franca: Funktion und Entwicklung ... 25 angetan ist, andere nicht mit so einem hohen Grad an Verwertbarkeit versehenen Lernziele zu fördern. Es ist deshalb zu befürchten, dass im Kontext eines am Kosten-Nutzen-Denken und Gewinnmaximierung orientierten Fremdsprachenunterrichts erzieherische, soziale und politische Ziele sowie ein Lernziel sprachliche und kulturelle Bildung 3 wohl sehr bald auf der Strecke bleiben würden. In einer umfassenden Untersuchung ökonomischer Aspekte der Sprache analysiert Coulmas (1992: 108) "Sprache als Ware", deren Wert sich relativ zu dem anderer Sprachen bestimmt. Nach Coulmas manifestiert sich der Warencharakter von Sprachen am offensichtlichsten auf dem Gebiet des Fremdsprachenerwerbs, das sich als Markt darstellen lässt, wobei zwischen dem lokalen, regionalen und nationalen Markt sowie dem Weltmarkt unterschieden werden kann. 4 Faktoren, die den Marktwert einer Sprache beeinflussen, sind politischer, kultureller, aber vor allem ökonomischer Natur. Im Hinblick auf das Prinzip der „ökonomischen Zweckrationalität" kommt Coulmas (1992: 111) zu dem Schluss, "dass exportorientierte Länder der nicht-englischsprachigen Welt Englisch jeder anderen Fremdsprache vorziehen". Insofern ist es wenig überraschend, wenn Eltern und Kinder ihre Fremdsprachenwahl und die damit verbundenen Chancen in erster Linie im Hinblick auf den zukünftigen Arbeitsmarkt vornehmen. Fachdidaktiker und Bildungspolitiker, die ausschließlich mit ökonomischen Argumenten Fremdsprachenpolitik betreiben und somit die Instrumentalisierung des Fremdsprachenunterrichts fördern, machen sich zum Organ der Wirtschaftspolitik und berauben sich selbst ihrer Legitimation; denn in einer demokratischen Gesellschaft kann schulischer Fremdsprachenunterricht nicht einseitig von den Interessen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen dominiert werden, sondern muss Ausdruck eines gesamtgesellschaftlichen Pluralismus und seiner internationalen politischen und kulturellen Zusammenhänge sein. 5 In diesem Beitrag werde ich mich im 2. Abschnitt mit dem lingua franca-Phänomen allgemein, im 3. mit der Herausbildung und Bedeutung des Englischen als Globalsprache bzw. als globale linguafranca befassen (vgl. Burger 2000). Der zunehmenden Bedeutung des Englischen als globale lingua franca und den daraus sich ergebenden didaktischen Konsequenzen wird im 4. Abschnitt Rechnung getragen. Ausgehend von der Prämisse, dass eine fremdsprachliche Monokultur des Englischen nicht wünschenswert ist, wird im 5. Teil dem Phänomen des Gebrauchs des Englischen als lingua franca und seiner didaktischen Umsetzung das Lernziel „Mehrsprachigkeit" als notwendige Ergänzung zur Seite gestellt. Vgl. hierzu Meyer ( 1995: 50 f), der „die internationale, solidarische Verständigung als oberste Zielsetzung des neusprachlichen Unterrichts" hervorhebt und in diesem Zusammenhang die Erweiterung der interkulturellen Kompetenz in den Vordergrund stellt. Meyer ( 1999) weist zu Recht darauf hin, dass eine allein auf Sprache gerichtete Lernzielbegründung des Englischunterrichts zu restriktiv ist, und plädiert stattdessen dafür, Lernziele zu den Bereichen, Sprache, Literatur und Berufsbezug zu formulieren. Zur Alternative bzw. Komplementarität von bildungs- und berufsbezogenen Lernzielen vgl. Meyer (1986): Shakespeare oder Fremdsprachenkorrespondenz? Zur Reform des Fremdsprachenunterricht in der Sekundarstufe II. 4 Folgt man der Argumentation von Coulmas (1992: 62), dass die Erweiterung der Wirtschaftsräume mit der Standardisierung parallel verlaufe, so liegt die Schlussfolgerung nahe, dass die Globalisierung der Wirtschaft mit der Herausbildung einer Globalsprache einhergehe. 5 Zur Sprachenpolitik im Spannungsfeld von „Politik und Markt" vgl. Meißner (1993); vgl. zu generellen und ausgewählten Fragen der Sprachenpolitik Christ (1991, 1995) .. lFLIIL 29 (2000) 26 Claus Gnutzmann Weiterhin wird in diesem Abschnitt auf das sprachdidaktische und methodische Potential hingewiesen, das durch das Erlernen anderer Fremdsprachen bereitgestellt wird und das auch die Didaktik des Englischen als lingua franca wie auch als Fremdsprache in der Verwendung mit englischen Muttersprachlern befruchten kann. 2. Das lingua franca-Phänomen: Definitorisches und Entwicklung 6 Eine lingua franca kann definiert werden als ein Kommunikationsmedium, das zwischen Sprechern unterschiedlicher Muttersprachen verwendet wird. Bei einer solchen Definition könnte somit auch, wie im folgenden noch ausgeführt wird, die Muttersprache eines der beteiligten Sprecher als linguafranca fungieren. Samarin (1987) schränkt den Begriff entsprechend seiner historischen Genese als Sprachmischung bzw. hybride Sprachform und seiner Funktionen 7 -jedoch weiter ein und versteht unter linguafranca-Kommunikation den Gebrauch einer dritten Sprache zwischen Sprechern unterschiedlicher Ausgangssprachen: "A medium of communication between people of different mother tongues for whom it is a second language" (Samarin 1987: 371). Wenn das Kriterium der Drittsprache nicht erfüllt ist, z.B. bei einer auf Englisch geführten Kommunikation zwischen einem Australier und einer Bulgarin bei einer internationalen Tagung in Madrid, hätten wir es im Sinne von Samarin nicht mehr mit dem Gebrauch des Englischen als linguafranca zu tun. In dem heutigen Verständnis einer weltweiten lingua franca würde der eben genannte Fall wohl überwiegend wahrscheinlich aufgrund der universellen Verwendung des Englischen-als ein Beispiel für linguafranca-Kommunikation eingestuft. Dies würde insbesondere dann gelten, wenn Anlass und Thema der Kommunikation nicht spezifisch anglo-kulturell geprägt sind und der Ort der Kommunikation sich auf „neutralem Gebiet" befindet, also außerhalb des Territoriums liegt, in dem vor allem Englisch als Muttersprache gesprochen wird. Angesichts der Einbeziehung von englischen Muttersprachlern in die linguafranca-Kommunikation und der Notwendigkeit, eine gemeinsame Kommunikationsbasis von muttersprachlichem und nicht-muttersprachlichem Gesprächspartner herzustellen, erscheint die folgende Empfehlung von Smith (1983: 9) sicherlich beachtenswert: 6 "Native speakers must also sharpen their perception of what may go wrong in an intercultural conversation. They must recognize the need for talking with the other person about what has gone wrong when there is a communication break down. Native speakers must be sensitized to the probability of misunderstanding and be prepared to deal with it." Vgl. zu diesem und dem folgenden Abschnitt Gnutzmann (2000 [im Druck]). 7 Samarin (1968: 661) unterscheidet folgende vier Typen: 1. Verkehrs- oder Handelssprache (trade language, langue de traite) als ein Typus von linguafranca gemeint, der sich lediglich auf eine begrenzte Region bezieht, aber keine Weltsprache ist. Allerdings ist aus heutiger Sicht nicht mehr einsichtig, warum das Englische nicht auch als Handelssprache bezeichnet werden sollte, 2. Kontaktsprache (contact language, langue vehiculaire), die nicht gewohnheitsmäßig in der Kommunikation verwendet wird. 3. Internationale oder universelle Sprache. Zeichnet sich durch nicht-regionale Begrenzung, sondern durch internationale Verwendung aus. 4. Mit Hilfssprachen werden Plansprachen wie Esperanto oder Volapük bezeichnet. lFLIIL 29 (2000) Englisch als globale lingua franca: Funktion und Entwicklung ... 27 Eine lingua franca kann als funktionale Sprachverwendung verstanden werden, die die Voraussetzungen zur verbalen Interaktion zwischen Sprechern unterschiedlicher Sprachen schafft, ohne dass mit dieser Definition allerdings etwas ausgesagt wäre, über die Zahl der Sprecher, die auf diese lingua franca zurückgreifen, deren jeweilige Kompetenz in der lingua franca oder das Spektrum der benutzten Register. 8 Während etwa der Gebrauch von Swahili als lingua franca geographisch begrenzt ist, handelt es sich bei der englischen Sprache nicht nur um eine internationale Sprache, sondern um die erste weltumspannende Sprache, also um eine Globalsprache. Dabei ist bekanntermaßen nicht die Zahl von etwa 400 Millionen Muttersprachlern entscheidend (das Chinesische verfügt über weit mehr), sondern die politische, militärische, wirtschaftliche Macht, die mit dieser Sprache und den damit assoziierten Ländern verbunden ist. 3. English as a global language, Englisch als globale lingua franca English as a global language: So lautete der Titel des 1997 veröffentlichten Buches von David Crystal. 9 Natürlich fungierte das Englische schon vorher als Globalsprache. Termini wie world language, Weltverkehrssprache 10 oder weltweite lingua franca waren längst gebräuchlich und signalisierten die Allgegenwart der englischen Sprache. Crystal kommt wahrscheinlich das Verdienst zu, dieses Phänomen im Zeitalter der Globalisierung auf die besonders griffige Formel global language gebracht zu haben. Allerdings könnte der Begriff language in diesem Zusammenhang zu Missverständnissen führen; denn aufgrund des sehr weiten Spektrums, innerhalb dessen das Englische als Globalsprache verwendet wird und seiner daraus resultierenden linguistischen Variabilität und Instabilität, kann global English sicherlich nicht als eine linguistische Varietät des Englischen klassifiziert werden. Es verfügt über kein autonomes phonologisches Inventar, keine spezifische Lexis und keine eigene Grammatik. Bei English as a global language handelt es sich also nicht so sehr um Eine linguafranca ist nicht notwendigerweise mit internationaler oder gar weltweit verwendeter Sprache gleichzusetzen (vgl. Ammon 1994 und Fußnote 2 [oben S. 24]). 9 Das Buch befasst sich mit der Entstehung und der Funktion einer Globalsprache ("Why a global language? "), diskutiert die historisch-politischen Gründe, die die entsprechende Wahl der englischen Sprache herbeigeführt haben ("Why English? The historical context") und erörtert die kulturelle Dimension des Phänomens ("Why English? The cultural foundation" und "Why English? The cultural legacy? "). Das Schlusskapitel geht auf die Zukunft des "global English" und endet mit dem Satz: "lt may be that English, in some shape orform, will find itselfin the service ofthe world community forever" (Crystal 1997a: 140). Zu Zukunftsszenarien des Englischen vgl. vor allem Graddol (1997). 10 Im Kontext einer differentiell-linguistischen, dem Prinzip der funktionalen Äquivalenz von Sprachen verpflichteten Sichtweise, die davon ausgeht, dass Sprachen ausdrucksadäquat sind, d.h. dass sich grundsätzlich jeder Sachverhalt in jeder Sprache ausdrücken lässt, ist die Frage einer Weltverkehrssprache und die Untersuchung der dieses Phänomen bestimmenden Faktoren nie sonderlich relevant gewesen. Der wesentliche Grund für das Desinteresse an dieser Frage resultiert aus der Tatsache, dass die Beantwortung dieser Frage durch die selbst auferlegte Beschränkung auf das Sprachsystem und auf sprachliche Strukturen im engen Sinne nicht zu leisten ist. Vgl. hierzu auch die diesbezügliche Kritik von Coulmas (1992: 287): „Linguisten schleichen sich aus der Verantwortung, wenn sie ihre Expertise nicht in die Begründung von Wertmaßstäben einbringen." lFILlllL 29 (2000) 28 Claus Gnutzmann eine durch formalsprachliche Eigenschaften definierbare Erscheinung. Eine systematische und umfassende Korrelation der mannigfachen Gebrauchskontexte von global English und der darin vorfindbaren sprachlichen Ausprägungen lässt sich nicht herstellen. Soziolinguistische Fragestellungen im Zusammenhang mit global English können immer nur Beispiele und Ausschnitte dieses Phänomens untersuchen; diese werden sich aber kaum zu einer übergreifenden systemlinguistischen Beschreibung verallgemeinern lassen. Insofern erscheint die Herausbildung eines "World Standard English" (Crystal 1994) als eine linguistische Varietät eher visionären als empirischen Charakter zu haben. Auch wenn der Begriff Weltsprache bzw. global language größtenteils aus sich selbst verständlich ist, sollen hier noch einmal einige Kriterien zu seiner Definition genannt werden: Bei einer Weltsprache handelt es sich um eine natürliche Sprache, die das Bedürfnis nach internationaler sprachlicher Kommunikation erfüllt. Sie hat größtmögliche Verbreitung außerhalb des Territoriums, in dem sie als Mutter- oder Nationalsprache gesprochen wird, sie wird in schriftlicher und mündlicher Form gebraucht und weltweit gelehrt und gelernt. Zweifellos treffen diese Kriterien wie bei keiner anderen Sprache zuvor auf das Englische zu, so dass der Ausdruck global language unzweifelhaft treffend erscheint. Was die historische Entwicklung des Englischen zu einer Weltsprache und seine Diversifizierung anbelangt 11 , so ist diese verallgemeinernd und deshalb verkürzt dargestelltzum einen das Ergebnis des britischen Imperialismus des 19. Jahrhunderts und seiner Folgen. Sie ist aber vor allem herbeigeführt worden durch das Eintreten der USA in die internationale Politik, wohl am nachhaltigsten dokumentiert durch den 1. und besonders den 2. Weltkrieg und die sich daraus ergebende Weltordnung der Nachkriegszeit. Die Herausbildung eines Phänomens wie global English ist somit eingebettet in den allgemeinen Prozess der politischen und wirtschaftlichen Globalisierung. 12 Das Phänomen global English kann somit nicht allein als linguistisches oder soziolinguistische Erscheinung im engen Sinne aufgefasst werden. Eine angemessene Analyse und Theorie des Phänomens global English müsste deshalb auch einschlägige Forschungsergebnisse der Wirtschaftswissenschaften, der politischen Wissenschaften, der Soziologie, der Kultur- und Kommunikationswissenschaften, der Geschichte etc. zur Kenntnis nehmen. Insofern ist die Kritik von Phillipson (1999: 265) an Crystal (1997a) durchaus nachvollziehbar, wenn er dessen Schwächen mit den folgenden Worten charakterisiert: "While he [Crystal] draws on information from a wide variety of sources, his loyalty is to linguistics [...], which is oflittle avail when studying colonialism, globalization, cultural hege- 11 Vgl. hierzu u.a. Göriach (1991, 1995, 1998), Hübler (1985), McArthur (1998), McCrum/ Cran/ MacNeil ( 1986) sowie für eine sehr kritische, sozialwissenschaftliche Darstellung des Themas Phillipson ( 1992), der die Entwicklung in folgenden Worten umschreibt: "To put things metaphorically, whereas once Britainnia ruled the waves, now it is English which rules them. The British empire has given way to the empire of English" ( 1992: 1 ); vgl. jetzt auch Chew ( 1999). 12 Eine sehr kompakte Übersicht auf der Grundlage politischer, ethischer und empirischer Begründungen zu verschiedenen Ansätzen zur Genese und Verbreitung des Phänomens "global English" und der sich daraus ergebenden pädagogischen Implikationen gibt Pennycook ( 1999). Er postuliert die folgenden Modelle, die hier allerdings nicht weiter ausgeführt werden können: colonial-celebration, laissez-faire liberalism, language ecology, linguistic imperialism, language rights, postcolonial performativity. lFLIIL 29 (2000) Englisch als globale lingua franca: Funktion und Entwicklung ... mony, education, and the media, and even when defining multilingualism, official, national and minority languages. Lack of any grounding in the social sciences is a major weakness of the book." 29 Im Hinblick auf die weltweite Verbreitung des Englischen und der sich daraus ergebenden Gefahr einer sprachlichen Dominanz ("linguistic imperialism") erhebt sich die Frage, inwieweit sich hierdurch kommunikative und somit auch möglicherweise wirtschaftliche, politische und kulturelle Nachteile für Nicht-Muttersprachler des Englischen ergeben. 13 Demgegenüber postuliert Crystal (1997b) die weltvereinigende Kraft der englischen Sprache, die von ihm durch die Formel "English - How one language is uniting the world" zum Ausdruck gebracht hat, die aber angesichts der mit der englischen Sprache verbundenen Konflikte und Repression vielleicht etwas einseitig ist. Alexander (1999) hat den ambivalenten Charakter der Globalisierung des Englischen durch das Gegensatzpaar "liberation" und "trap" umschrieben. Die folgende Tabelle fasst einige der von Alexander genannten Argumente und Gegenargumente zusammen: Liberation Trap lingua franca English as an International Language • articulation in English allows political expres- . being compelled to buy into Anglo-Saxon imsion perial ideology • it contributes to a more 'open society' . the 'Washington consensus' • economic actions extended . 'forced to communicate in a foreign • freeing up societies. cf. Eastern European lahguage' 'opening' to the world since 1989/ 1993 . "swimming in a raincoat" . being locked into specific social practices • educational opportunities . narrowing of choice . MBAs . consumerism • university education abroad . McDonaldization • personal growth . funnelled into a specific socio-cultural frame- • 'empowerment' work (neo-colonialist) • occupational choices broadened • personal restriction • Earthwatch . BayWatch • expanding of cultural potential and growth . belittling of a person's native language . through the linguafranca medium • Pacific Rim experience (indigenous languages 'crowded out', 'killed') • acquisition of explicit values additional to . undermining indigenous native tongues and one's own society/ culture is possible cultures through dissemination of implicit values 13 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Ventola (1995: 262 f), die mit Bezug auf eine Erhebung von Skudlik (1990) berichtet, dass deutsche Wissenschaftler solcher Disziplinen, in denen vorwiegend auf Englisch publiziert wird, sich als „annähernd bilingual" einstufen. Ventola vermutet jedoch, dass es sich hier um eine Selbstüberschätzung der Befragten handelt, und würde den Befragten lediglich „ausreichende Kompetenz" attestieren. JFLlllL 29 (2000) 30 Claus Gnutzmann Die vielfältigen Funktionen, mit denen das Englische weltweit von muttersprachlichen und nicht-muttersprachlichen Sprechern verwendet wird, legen es nahe, dass eine eindeutige Zuordnung im Hinblick auf "trap" oder "liberation" nicht der Realität entsprechen würde. Sprecher und Sprachgemeinschaften werden die Rolle des Englischen unterschiedlich erfahren und danach beurteilen, ob ihnen durch diese Sprache Vorteile oder Nachteile entstehen. Demnach ist letztlich nur empirisch zu klären, ob die Verwendung des Englischen als globale lingua franca als Bedrohung, als Chance, als Herausforderung, als Einschränkung oder als Herausforderung empfunden wird (vgl. Alexander 1999). 4. Einige pädagogische und sprachdidaktische Implikationen des Englischen als globale lingua franca 14 Die Herausbildung des Englischen als Globalsprache stellt nicht nur eine Herausforderung an die ELT-Fachvertreter ("English Language Teaching") dar, diese Entwicklung in adäquate didaktische Konzepte umzusetzen. Sie betrifft auch die, Fachvertreter anderer fremdsprachlicher Fächer, die sich unter der wachsenden Bedeutung des Englischen um ihre Existenz Gedanken machen müssen, da „ihre" Sprachen bei Fortschreibung der gegenwärtigen Entwicklung von immer weniger Menschen gelernt und in der Folge von immer weniger Leuten gelehrt und erforscht werden. Eine solche Perspektive ist umso bedauerlicher, weil angesichts dieser Entwicklung gewachsene Sprachlehr- und -lerntraditionen wie auch die dazugehörigen Forschungstraditionen von bestimmten Ländern in der Gefahr sind, verloren zu gehen. 15 Es ist verschiedentlich darauf hingewiesen worden, dass immer dann also im Regelfall-, wenn Englisch als 1. Fremdsprache unterrichtet wird, dem Englischunterricht die Aufgabe zufällt, auf das Lehren und Lernen anderer Fremdsprachen vorzubereiten. Es ergibt sich somit die Notwendigkeit, den Hegemoniestatus des Englischen zumindest insoweit zu modifizieren, dass die „Wahrnehmung" und die selektive Berücksichtigung anderer Sprachen im frühen Englischunterricht ermöglicht wird. Darüber hinaus müsste die Didaktik des Englischen als Fremdsprache, insbesondere wenn es sich um Didaktiker englischsprachiger Herkunft handelt, die Methodenentwicklung in anderen 14 Zu den Möglichkeiten der Umsetzung der linguafranca-Funktion des Englischen im Englischunterricht im Hinblick auf die Hauptfaktoren des Fremdsprachenunterrichts, nämlich Lehrer, Lerner, Lernziele, Methoden und Sprache/ Inhalte vgl. Gnutzmann ( 1998), für den Bereich der Lehrerausbildung von Fremdsprachenlehrern vgl. Gnutzmann (1999a). Ein engagiertes Plädoyer für eine Auseinandersetzung mit dem linguafranca-Phänomen seitens der Englischdidaktik führt Burger (2000). 15 Vgl. den kritischen Kommentar von Phillipson ( 1999: 271 ): "The assumption that experts fromcountries such as the UK or the US, deeply monolingual and with a very patchy record of foreign language learning, can contribute to policy on education and language matters in multilingual societies is completely counterintuitive." Van Essen (1995) vertritt im Zusammenhang mit der Methode der Einsprachigkeit die Auffassung, dass diese bereits durch die Reformmethode in Europa vorhanden war und nach dem 2. Weltkrieg aufgrund der technologischen Überlegenheit der USA reimportiert wurde: "In the wake ofjeeps and tape-recorders the audio-lingual methods (A-LM) found their way into the European market. It is ironic that what announced itself as a new approach was actually a rehash of the principles of the early Reformers" (1995: 5). lFLllL 29 (2000) Englisch als globale lingua franca: Funktion und Entwicklung ... 31 sprachlichen Fächern mehr zur Kenntnis nehmen, als dies bisher der Fall ist. 16 Auf die Hegemonie des Englischen und den sich daraus sehr konkret ergebenden Gefahren einer Monokultur in der Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprache hat jüngst Königs (1999) hingewiesen. Folgerichtig hat er dafür plädiert, die Erfahrungen beim Lehren und Lernen anderer Sprachen auch für das Englische verstärkt zu nutzen: "Talking about English as global language must refer to multilingualism in the sense described above. Not to refer to it implies the failure of the concept of a real global language" (1999: 256). Zweifellos eine berechtigte Forderung, die allerdings angesichts der Universalität des Englischen und der besonderen Traditionen des Fremdsprachenunterrichts in den angelsächsischen Ländern wohl nicht so leicht zu erfüllen ist. Mit dieser Ausgangssituation ließe sich dann auch die "Sparsamkeit der großen englischsprachigen Länder auf dem Gebiet des Fremdsprachenunterrichts" erklären (Coulmas 1992: 139). Möglicherweise lässt sich durch die Einführung des National Curriculum in Großbritannien im Jahre 1988, in dem für Kinder im Alter zwischen 11 und 16 Jahren zum erstenmal eine Fremdsprache obligatorisch ist, eine positive Veränderung erzielen. Um ein mögliches Gegengewicht zur schulischen Dominanz des Englischen herzustellen, ist des öfteren, insbesondere von Seiten der Romanistik und von Vertretern des Faches Französisch die Forderung erhoben worden, den Beginn des Englischunterrichts zugunsten einer anderen Fremdsprache zu verschieben. Begründet wurde diese Forderung u.a. mit der relativ einfachen morphosyntaktischen Struktur des Englischen, das man nach der Beschäftigung mit einer in dieser Hinsicht komplexeren Sprache noch leicht bzw. sogar noch leichter erlernen könne. Darüber hinaus wurde argumentiert, dass der frühe Erwerb einer Sprachkompetenz in der Weltsprache Englisch sich eher negativ auf die Motivation, weitere Fremdsprachen zu lernen, auswirken würde. Beide Argumente können durchaus Plausibilität für sich beanspruchen 17, auch wenn von Seiten der Linguistik Rückschlüsse auf die Erlernbarkeit von Sprachen nach dem Kriterium ihrer morphosyntaktischen Einfachheit bzw. Komplexität im allgemeinen abgelehnt werden. Unter dem Gesichtspunkt des Kosten- Nutzen-Prinzips verlieren diese genannten Argumente allerdings schnell an Überzeugung, so dass sehr wahrscheinlich nicht davon auszugehen ist, von Grenzgebieten einmal abgesehen, dass das Englischen seinen Status als erste Fremdsprache in der absehbaren Zukunft einbüßen wird. Und auch in der Frage des Motivationsverlustes ist auffällig, dass bei vielen Lernenden tatsächlich nur noch wenig Initiative vorhanden ist, eine weitere Fremdsprache zu lernen, wenn sie feststellen, dass die Kommunikation in dem Land der zweiten oder 16 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die exemplarische Untersuchung von van Essen (1989: 123) zu Zitierkonventionen eines britischen und amerikanischen Autors im Vergleich zu nicht-englischsprachigen Autoren: "The Britain and the American are not given to quoting outside their own language area. [...] The conclusion therefore seems inevitable that Continental authors take a more cosmopolitan view of their subject than their British and American colleagues." 17 So weist z.B. Steiner (1975: 468) auf die linguistischen Gründe hin, die Englisch zu seiner Universalität verhelfen und die Lerner veranlassen, die Sprache zu erlernen: "There is ample evidence that English is regarded by native speakers of other languages whether in Asia, Africa or Latin America as easier to acquire than any other second language. lt is widely feit that some degree of competence can be achieved through mastery of fewer and simpler phonetic, lexical, and grammatical units than would be the case in North Chinese, Russian, Spanish, German or French (the natural rival to world status)." FLll! L 29 (2000) 32 Claus Gnutzmann vielleicht dritten Fremdsprache mindestens genauso gut, höchstwahrscheinlich sogar effektiver, auf Englisch durchgeführt werden kann. Die fortschreitende Internationalisierung der Kommunikation, insbesondere mit Hilfe der lingua franca-Funktion des Englischen unter nicht-englischen Muttersprachlern (vgl. Meierkord 1996), bringt es mit sich, dass die diesen Kommunkationsereignissen zugrunde liegenden Normen variabler werden. 18 Auch vor diesem Hintergrund erscheint die Rolle des native speaker als anzustrebendes Modell des Englischunterrichts zunehmend problematisch.19 Aus der Relativierung des native speaker-Ideals 20 folgt dann logischerweise eine Relativierung des Prinzips der Einsprachigkeit, da dieses bekanntlicherweise mit dem native speaker-Modell begründet wird. Als eine weitere Konsequenz ergibt sich die Notwendigkeit, das Prinzip der Fehlertoleranz wirkungsvoller zur Geltung zu bringen und es gerade auch unter motivationalem Aspekt stärker zu gewichten als sprachliche Korrektheit. Das aus dem kommunikativen Fremdsprachenunterricht vertraute Plädoyer "message before accuracy" erfährt in diesem Kontext eine zusätzliche Legitimation. Ein weiterer Aspekt verdient angesichts eines Lernziels „Mehrsprachigkeit" (vgl. u.a. Meißner/ Reinfried 1998, Tosi/ Leung 1999) Beachtung: Da für die überwiegende Mehrzahl der Schüler Englisch die erste Fremdsprache ist, sollte der Englischunterricht auch eine allgemeine Fähigkeit des Umgangs mit fremden Sprachen und ihrer Erlernung liefern. Das bedeutet, dass mit Blick auf language awareness und language learning awareness (vgl. Knapp-Potthoff 1997)sprachreflexive, metakommunikative und metaunterrichtliche Anteile verstärkt in den Unterricht einzubeziehen wären. 21 Eine solche Vorgehensweise würde darüber hinaus günstige Voraussetzungen bieten, einer rein instrumentellen Sicht des Sprachenlernens entgegenzuwirken. Insofern wäre es ein dringendes Desiderat des Fremdsprachenunterrichts, auch die fremdsprachenpolitische Dimension der Fremdsprachenauswahl zu behandeln, die Erwartungen der Lernenden an Fremdsprachen(unterricht) zu thematisieren und die Lehr- und Lernziele des Fremdsprachenunterrichts in den verschiedenen Schultypen und Jahrgangsstufen kritisch zu diskutieren. Ein wesentlicher Vorteil eines ideologisch unmarkierten, eklektischen 18 Dass allerdings die hieraus zu ziehenden didaktischen Konsequenzen unterschiedlich eingeschätzt werden, lässt sich exemplarisch mit Verweis auf die diesbezügliche Kontroverse zwischen zwischen Quirk ( 1990) urid Kachru ( 1991) illustrieren. Während Quirk weiterhin an der muttersprachlichen Norm festhalten will, tritt Kachru, insbesondere im Hinblick auf die Normen des Englischen als Zweitsprache, für eine Flexibilisierung des Normenbegriffs ein. 19 Für den Bereich der Aussprache vgl. J enkins (1998). 20 Konsequenterweise müsste z.B. auch dem Erwerb rezeptiver Kompetenzen im Verständnis englischsprachiger Kommunikation ohne englische Muttersprachler mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Die Praxis sieht allerdings häufig anders aus, wie der folgende Ausschnitt aus den niedersächsischen Rahmenrichtlinien im Kapitel „Hör- und Leseverstehen" zeigt: "Beim Hörverstehen ist darüber hinaus darauf Wert zu legen, dass Aufnahmen von native speakers gesprochen werden" (Niedersächsisches Kultusministerium 1989). 21 Ich bin allerdings nicht der Auffassung von Edmondson (1999: 122), dass man ein Schulfach / anguage awareness einrichten solle, in dem „die bisher mit dem Fremdsprachenunterricht verbundenen Bildungsziele angestrebt werden". Eine systematische Zuweisung von bildungsorientierten und angewandt-instrumentellen Lernzielen im Hinblick aufunterschiedliche Fächer scheint wederunter Motivationsgründen sinnvoll zu sein, noch wird es dem allgemeinen Auftrag von Schule gerecht, beides zu vermitteln. lFLIIL 29 (2000) Englisch als globale lingua franca: Funktion und Entwicklung ... 33 Konzepts wie language awareness liegt darin, dass es diverse Zugriffe auf die Erforschung des Sprachbewusstseins 22 unter einem Dach vereinigen kann (Gnutzmann 1997). Somit wird ein integratives, Sprache(n) und Sprachenlernen umfassendes Konzept zur Verfügung gestellt, mit dem das Englische als globale lingua franca in seiner vorwiegend instrumentellen Funktion durch das Lernziel Mehrsprachigkeit komplementiert werden kann. 5. Zusammenfassung Die zunehmend ansteigende Tendenz, den Wert bzw. den Marktwert von Fremdsprachen mehr und mehr nach dem Kosten-Nutzen-Prinzip zu beurteilen, hat die Vorherrschaft der englischen Sprache, insbesondere in ihrer Funktion als globale lingua franca, weiter verfestigt. Es ist deshalb zu erwarten, dass angesichts dieses Faktums die Instrumentalisierung des Fremdsprachenunterrichts im Hinblick auf den Erwerb verrechenbarer Kompetenzen im Ausbildungs- und Berufssektor sich weiter fortsetzt, wenn nicht wirkungsvolle fremdsprachenpolitische und sprachdidaktische Gegenmaßnahmen in Richtung eines Lernziels Mehrsprachigkeit getroffen werden. Die Notwendigkeit, pragmatisch-instrumentelle und für Ausbildung und Beruf verwertbare Fähigkeiten zu erwerben, soll natürlich nicht in Frage gestellt werden. Allerdings würden die Schule und der Fremdsprachenunterricht, insbesondere der Englischunterricht, durch eine weitere Zurückdrängung erzieherischer, sozialer, politischer, aber auch bildungsorientierter Lernziele immer mehr zu einem Ausführungsorgan wirtschaftspolitischer Überlegungen, was zweifellos mit dem gesellschaftlichen Auftrag von Schule und ihrer Verpflichtung auf einen gesellschaftlichen Pluralismus nicht mehr zu vereinbaren wäre. Eine solche Entwicklung, die in ihren unterrichtlichen Konsequenzen mit einer erheblichen Reduzierung von Inhalten und Themen der anglophonen Zielkulturen verbunden wäre, würde deshalb nicht nur die Struktur des gegenwärtigen Englischunterrichts gefährden. Sie hätte in der Folge auch restriktive Auswirkungen auf die Disziplinen, die ihre Legitimation aus der Ausbildung von Fremdsprachenlehrern beziehen. Aus diesem Grunde ist es zwingend, dass die Schüler und Schülerinnen die Verwendungen des Englischen als globale linguafranca und als explizit auf die englischsprachigen Territorien und Gesellschaften bezogene Fremdsprache kennen lernen und ihnen effektive Möglichkeiten für das Erlernen weiterer Fremdsprachen angeboten werden. 22 Hiermit sind die diversen Domänen des Sprachbewusstseins wie die kognitive, die soziale, die affektive, die politische und die Performanzdomäne gemeint. Bei letzterer geht es bekanntlich um den weiterhin nicht ganz geklärten Zusammenhang von Kennen und Können, also um die Interfacehypothese (vgl. hierzu zuletzt Schlak 1999). lFLuL 29 (2000) 34 Claus Gnutzmann Literatur ALEXANDER, Richard J. (1999): "Caught in a global English trap, or liberated by a lingua franca? Unravelling some aims, claims and dilemmas of the English language teaching profession". In: ÜNUTZMANN 1999 (ed.), 23-39. AMM0N, Ulrich (1994): "International languages". In: ASHER, Robert E. (ed.): The encyclopedia of language and linguistics. Oxford: Pergamon Press, 1725-1730. BAUSCH, Karl-Richard/ CHRIST, Herbert/ KRUMM, Hans-Jürgen (Hrsg.) (31995): Handbuch Fremdsprachenunterricht. Tübingen, Basel: Francke. BURGER, Günter (2000): "Englisch als globale lingua franca: Überlegungen zu einer notwendigen Neuorientierung des Englischunterrichts". In: f: remdsprachenunterricht 44/ 53/ 1, 9-14. CHEW, Phyllis Ghim-Lian (l 999): "Linguistic imperialism, globalism, and the English language - Imperialisme linguistique, mondialisation, et anglais". In: GRADD0L, David/ MEINH0F, Ulrike H. (eds.): English in a changing world-L'anglais dans un monde changeant. AILA Review 13, 37-47. CHRIST, Herbert ( 1991 ): Fremdsprachenunterrichtfür das Jahr 2000. Sprachenpolitische Betrachtungen zum Lehren und Lernen fremder Sprachen. Tübingen: Gunter Narr. CHRIST, Herbert (1995): "Sprachenpolitische Perspektiven". In: BAUSCH/ CHRIST/ KRUMM (Hrsg.), 75- 81. C0ULMAS, Florian (1992): Die Wirtschaft mit der Sprache. Eine sprachsoziologische Studie. Frankfurt am Main: Suhrkamp. CRYSTAL, David (1994): "Which English or English which? ". In: HAYH0E, Mike / PARKER, Stephen (eds.): Who owns English? Buckingham, Philadelphia: Open University Press, ! 08-114. CRYSTAL, David (1997a): English as a global language. Cambridge: Cambridge University Press. CRYSTAL, David (1997b): "English. How one language is uniting the world". In: Spotlight 7, 12-16. DECKE-C0RNHILL, Helene (1999): "Einige Bedenken angesichts eines möglichen Aufbruchs des Fremdsprachenunterrichts in eine bilinguale Zukunft". In: Neusprachliche Mitteilungen aus Wissenschaft und Praxis 52.3, 164-170. EDM0NDS0N, Willis J. (1999): "Die fremdsprachliche Ausbildung kann nicht den Schulen überlassen werden! " In: Praxis des Neusprachlichen Unterrichts 46.2, 115-123. GNUTZMANN, Claus (1997): "Language awareness: Progress in language learning and language education, or reformulation of old ideas? ". In: Language Awarness 6.2-3, 65-74. GNUTZMANN, Cl aus (1998): "Englisch als linguafranca. Implikationen für die Lehrerausbildung und für den Englischunterricht". In: SCHRÖDER, Konrad (Hrsg.): Fremdsprachenlernen und Verbandsarbeit. Beiträge zur fremdsprachenpolitischen Bewußtseinsbildung. Berlin & München: Langenscheidt (== FMF-Schrift 1), 12-19. GNUTZMANN, Claus (1999a): "English as a global language. Perspectives for English language teaching and for teacher education". In: GNUTZMANN 1999 (ed.), 157-169. GNUTZMANN, Claus (ed.) (1999): Teaching and learning English as a global language. Native and nonnative perspectives. Tübingen: Stauffenburg Verlag. GNUTZMANN, Claus (2000) [im Druck]): "Lingua franca (esp. English)". In: BYRAM, Michael (ed.): Encyclopedia of language teaching and learning, London: Routledge. GöRLACH, Manfred ( 1991 ): Englishes. Studies in varieties of English 1984-88. Amsterdam: Benjamins. GöRLACH, Manfred (1995): More Englishes. New studies in varieties of English 1988-94. Amsterdam: Benjamins. GöRLACH, Manfred (1998): Even more Englishes. Amsterdam: Benjamins. GRADD0L, David (1997): The future of English. London: British Council. IFL1UliL 29 (2000) Englisch als globale lingua franca: Funktion und Entwicklung ... 35 HOBLER, Axel (1985): Einander verstehen. Englisch im Kontext internationaler Kommunikation. Tübingen: Gunter Narr. JÄRVINEN, Heini-Marja (1999): Aquisition of English in content and language integrated learning at elementary level in the Finnish comprehensive school. Turku: Turun Yliopisto. JENKINS, Jennifer (1998): "Which pronunciation norms and models for English as an International Language? " In: ELT Journal 52.2, 119-126. KACHRU, Braj B. (1991): "Liberation linguistics and the Quirk concern". In: English Today 25, 3-13. KNAPP-P0TIH0FF, Annelie (1997): "Sprach(lern)bewußtheit im Kontext". In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 26, 9-23. KÖNIGS, Frank G. (1999): "To know English or not to know English: Some thoughts on the hegemony of English from a methodological point of view, with special reference to German as a Foreign Language". In: GNUTZMANN 1999 (ed.), 247-258. McARTHUR, Tom (1998): The English languages. Cambridge: Cambridge University Press. McCRUM, Robert/ CRAN, William/ MAC NEIL, Robert (1986): The story of English. London, Boston: Faber and Faber. · MEIERK0RD, Christiane (1996): Englisch als Medium der interkulturellen Kommunikation. Untersuchungen zum ,non-native/ non-native-speaker'-Diskurs. Frankfurt am Main: Lang. MEißNER, Franz-Joseph/ REINFRIED, Marcus (Hrsg.) (1998): Mehrsprachigkeitsdidaktik: Konzepte, Analysen, Lehrerfahrungen mit romanischen Fremdsprachen. Tübingen: Gunter Narr. MEißNER, Franz-Joseph (1993): Schulsprachen zwischen Politik und Markt: Sprachenprofile, Meinungen, Tendenzen, Analysen. Frankfurt am Main: Diesterweg. MEYER, Meinert A. (1986): Shakespeare oder Fremdsprachenkorrespondenz? Zur Reform des Fremdsprachenunterrichts in der Sekundarstufe II. Wetzlar: Büchse der Pandora. MEYER, Meinert A. (1995): "Erziehungswissenschaft". In: BAUSCH/ CHRIST/ KRUMM 1995 (Hrsg.), 45-52. MEYER, Meinert A. (1999): "From Macbeth to McDonald' s: Objectives of teaching and leaming English as a global language". In: GNUTZMANN 1999 (ed.), 201-219. NIEDERSÄCHSISCHES KULTUSMINISTERIUM (Hrsg.) (1989): Rahmenrichtlinien für das Gymnasium. Klassen 7-10. Englisch. Hannover: Schroedel Schulbuchverlag. Orro, Jeanette (2000): "Hüpfen und Tauchen. Wie Grundschüler Englisch und Französisch lernen". In: Die Zeit vom 15.06.2000, 67. PENNYC0CK, Alastair (1999): "Pedagogical implications of different frameworks for understanding the global spread ofEnglish". In: GNUTZMANN 1999 (ed.), 147-155. PHILLIPS0N, Robert (1992): Linguistic imperialism. Oxford: Oxford University Press. PHILLIPS0N, Robert (1999): "Voice in Global English: unheard chords in Crystal loud and clear" (= Rezension von David Crystal: English as a Global Language. Cambridge University Press 1997). In: Applied Linguistics 20.2, 265-276. QUIRK, Randolph (1990): "Language varieties and standard language". In: English Today 21, 3-10. SAMARIN, William J. (1968): "Lingua francas ofthe world". In: FISHMAN, Joshua A. (ed.): Readings in the sociology of language. The Hague and Paris: Mouton, 660-672. SAMARIN, William J. (1987): "Lingua franca". In: AMM0N, U. (ed.): Sociolinguistics: An international handbook ofthe science of language and society 3.1. Berlin: de Gruyter, 371-374. SCHLAK, Torsten (1999): "Explizite Grammatikvermittlung im Fremdsprachenunterricht? Das Interface- Problem Revisited". In: Fremdsprachen und Hochschule 56, 5-33. SKUDLIK, Sabine ( 1990): Sprachen in den Wissenschaften. Deutsch und Englisch in der internationalen Kommunikation. Tübingen: Gunter Narr. FLllllL 29 (2000) 36 Claus Gnutzmann SMITH, Larry E. (1983): "English as an international auxiliary language". In: SMITH, L.E. (ed.): Readings in English as an international language. Oxford: Pergamon Press, 1-20. STEINER, George (1975): After Babel. Aspects of language and translation. Oxford: Oxford University Press. TOS! , Arturo / LEUNG, Constant (eds.) (1999): Rethinking language education. From a monolingual to a multilingual perspective. London: CILT. VAN ESSEN, Arthur (1989): "The continental European contribution to EFL, past and present". In: EDELHOFF, Christoph/ CANDLIN, Christopher N. (Hrsg.): Verstehen und Verständigung. Zum 60. Geburtstag von Hans-Eberhard Piepho. Mit Beiträgen von seinen Freunden, Kollegen und Schülern. Bochum: Kamp, 113-126. V AN ESSEN, Arthur (1995): "Language imperialism". Unveröffentlichtes Manuskript. Universität Groningen. VENTOLA, Eija (1995): "Englisch als linguafranca der schriftlichen Wissenschaftskommunikation in Finnland und in Deutschland". In: KRETZENBACHER, HeinzL. / WEINRICH, Harald (Hrsg.): Linguistik der Wissenschaftssprache. Berlin, New York: de Gruyter, 353-386. lFLlllL 29 (2000)
