eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 29/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2000
291 Gnutzmann Küster Schramm

Lawrence VENUTI: The Scandals of Translation

121
2000
Bernd Stefanink
Lawrence VENUTI: The Scandals of Translation. Towards an Ethics of Difference. London: Routledge 1998, 210 Seiten [£ 14,99]
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Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 249 Während nach Auffassung der Vf.in die ersten beiden Stufen dem Aufbau von lernstrategischem Wissen dienen, wird auf den Stufen 3 und 4 das lernstrategische Können der Lernenden entwickelt und gefördert. Besondere Bedeutung mißt sie der 4. Stufe bei, auf welcher der Lerner eigeninitiativ entscheiden soll, welche Lerntechnik/ Lernstrategie für die Bewältigung einer konkreten Aufgabe geeignet ist. Im Idealfall wäre hier selbstbestimmtes, reflektiertes Lernen erreicht, das auch die Evaluation erprobter Lernwege mit beinhaltet. Im Teilkapitel ,Lernmuster im selbstgesteuerten Lernprozess' greift die Verfasserin die Lernerperspektive auf, die sie neben der Lehrperspektive als zweite wichtige Ausrichtung ihrer Aufgabentypologie ansieht. Sie diskutiert wichtige Lernervariablen und deren Einfluss auf den Lernprozess, die Hemisphärentheorie, das Kolb' sehe Modell und die senso-motorischen Verarbeitungsformen nach Vester. Dabei wird das Zusammenspiel der verschiedenen Lernervariablen verdeutlicht. Lerntechniken/ Lernstrategien als wichtige Variablen im Ensemble aller Lernervariablen werden in den Mittelpunkt der Aufgabentypologie gestellt. Anschließend wird in einer Übersicht ein Grundraster für eine systematische Aufgabensammlung zur Vermittlung von Lerntechniken und Lernstrategien beschrieben (40). In einer weiteren Übersicht (41) wird das Zusammenwirken von Sprachtraining und Lerntraining an einem Beispiel veranschaulicht. Die Autorin benennt die folgenden didaktischen Entscheidungsfelder: Fremdsprachliches Lehrziel, Lernstrategisches Lehrziel, Grad der Selbstständigkeit bei der Bewältigung der Aufgabe (Progression), Bezug zu verschiedenen Lernmustern. Der nachfolgend präsentierten Aufgabentypologie legt die Vfin. die letzten beiden Entscheidungsfelder zu Grunde. · Es folgen Empfehlungen zum Einsatz der Aufgabentypologie im FremdsprachenuiHerricht, wobei darauf verwiesen wird, dass die Beispiele als Modelle zU: verstehen sind, die Lehrenden Anregung geben können, die aber auf die spezifischen Lerninhalte, Lernbedingungen und Lerner zugeschnitten werden müssen (vgl. die ersten beiden Entscheidungsfelder). Als Unterstützung für die Entwicklung eigener Aufgaben erörtert die Autorin 15 Prinzipien, die zu berücksichtigen sind: Nach einer Erhebung bereits vorhandener Lernkompetenz und Lernmuster sind dies: (1) Integration in den Sprachlehrgang, (2) Motivierende Inhalte, (3) Unterschiedliche Zugänge, (4) Verständlichkeit der Sprache, (5) Explizitheit der Vermittlung, (6) Imitierendes Lernen, (7) Entdeckendes Lernen, (8) Interaktivität, (9) Angaben zur Lernorganisation, (10) Lernhilfen, (11) Zusammenfassungen, (12) Wiederholungen, (13) Selbstevaluation, (14) Planung der Weiterarbeit, und (15) Lösungsschlüssel. Der 2. Teil enthält die eigentliche Aufgabentypologie mit den 4 Progressionsstufen. Für die Stufen 1-3 (Lerntechniken kennen lernen, sammeln, systematisieren) werden eine Vielfalt von Aufgabenvorschlägen unterbreitet, für die Stufe 4 erübrigt sich dies, da hier selbstgesteuertes Lernen erreicht sein sollte. Zur Orientierung und Auswahl von Aufgabenbeispielen sind die Angaben in den Kopfzeilen zu Progressionsstufen und Lernmustern sehr hilfreich. Gleiches gilt auch für den Abschnitt „Begriffe zum Nachschlagen", der häufig verwendete Begriffe zum Thema verständlich erläutert. Im Anhang sind Transkripte von Hörtexten über das Lernen zu finden. Der Band schließt mit Quellenangaben und einem Literaturverzeichnis, das dem interessierten Nutzer Möglichkeiten zur vertiefenden Lektüre aufzeigt. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der vorliegende Band einen sehr gut systematisierten Überblick über verschiedene Aufgabentypen anbietet. Damit dürfte sich eine Lücke für Lehrende geschlossen haben, die sich dem systematischen Strategietraining im FU verstärkt widmen wollen. Positiv ist zu.sehen, dass hier ein Rahmen geliefert wird, der Eigeninitiativen und Kreativität Raum lässt und den Zuschnitt auf spezifische Bedingungen der jeweiligen Lehr-/ Lemsituation anstrebt. Somit ist der Band vor allem eine gute Empfehlung für die Hand von Fremdsprachenlehrenden und für Autoren von Lehrmaterialien. Darüber ·hinaus kann die Aufgabentypologie in der fremdsprachdidaktischen Ausbildung von DaF- Studierenden sehr gut genutzt werden. Lawrence VENUTJ: The Scandals ofTranslation. Towards an Ethics ofDijference. London: Routledge 1998, 210 Seiten [f 14,99] VENUTI richtet sich vehement gegen linguistisch-orientierte Übersetzungsmodelle, die unter dem Deckmantel der wissenschaftlichen Objektivität zu politischen Zwecken mißbraucht werden. So z.B. wurde Guareschis Mondo Piccolo: Don Camillo so übersetzt, dass es der Erwartungshaltung der U.S.-Bürger in den fünfziger FILIIL 29 (2000) 250 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel Jahren entgegenkam - und d.h. "it fostered questionable domestic values [ ... ] and sustained an American paranoia about communism" (140). VENUTI hält wenig vom sog. 'Loyalitätsprinzip', wie es beispielsweise von Christiane Nord (1991) formuliert wurde. Er ruft statt dessen zur 'Disloyalität' auf. Seine "Ethics of difference" fordert den Übersetzer [fortan Ü.] auf, den übersetzerischen Status seiner Übersetzung nicht verschämt zu verheimlichen, damit der Rezipient nicht merkt, dass er es mit einer Ü. zu tun hat; vielmehr soll klar verfremdend übersetzt werden, um die zielsprachliche Kultur durch die kulturellen Eigentümlichkeiten der ausgangssprachlichen Kultur zu bereichern. Die "Scandals of Translation" bestehen im Missbrauch der übersetzerischen Tätigkeit zu politischen Zwecken. So hat z.B. die britische Regierung in Indien Übersetzer ausgebildet, die möglichst von ihrer eigenen Kultur abgeschnitten werden sollten; auf diese Weise trugen letztere dazu bei, angelsächsische Werte durch ihre Übersetzungen aus dem Englischen zu verbreiten und das Bewußtsein der kulturellen Minderwertigkeit bei den Indem zu verstärken (VENUTI zitiert in diesem Zusammenhang T.B. Macauley: "What the Greek and Latin were to the contemporaries of More and Ascham, our tongue is to the people of lndia. The literature ofEngland is now more valuable than that of classical antiquity" [171]). Verantwortlich für diesen Mißbrauch sind laut VENUTI die 'linguistisch orientierten Übersetzungstheorien', die den Anspruch erheben, dem zielsprachlichen Rezipienten Originale zu liefern, und dabei ignorieren, dass es einen kulturellen "remainder" gibt, den der Ü. nicht hinüberbringen kann und daher mit sogenannten 'Äquivalenzen' zu vertuschen versucht. Statt dessen empfiehlt VENUTI, diesen "cultural remainder" in den Vordergrund zu rücken, um so kulturelle Werte von Minderheiten oder von kolonialisierten Eingeborenen zu verbreiten und die zielsprachlichen Kulturen zu bereichern. · Eine solche (wenig differenzierte) Position reizt zum Widerspruch. So wirft VENUTI den linguistisch orientierten Übersetzungstheorien Einengung des übersetzerischen Handelns vor, das sich nur auf die Anwendung einiger Übersetzungstechniken (z.B.: Kompensierungstechniken) beschränkt, die sich aus dem Systemcharakter der Sprache und gewissen übersetzerischen Normen ergeben: "The most worrisome tendency in linguistics-oriented approaches is their promotion of scientific models. Because language is defined as a set of systematic operations autonomous from cultural and social variation, translation is studied as a set of systematic operations autonomous from the cultural and social formations in which they are executed. Translation theory then becomes the synchronic description of two ideal objects: the linguistic practices that the translator performs to render the foreign text, like calque or 'compensation' and the typical situations in which certain kinds of translation are preferred" (25). Hier wird deutlich auf die sprachenpaarbezogenen Übersetzungsprozeduren der 'stylistique comparee', Bezug genommen, wie sie - Ende der fünfziger/ Anfang der sechziger Jahre von Vinay/ Darbelnet initiiert wurde. Die pragmatischen und textlinguistischen Ansätze neueren Datums lassen sich in keiner Weise als derart reduktionistisch definieren. In dem von VENUTI kritisierten Ansatz von Nord (1991) bzw. in dem ReißNermeerschen Modell ( 1984 Y ist für VENUTis Vorstellungen durchaus Platz. Hier ist überhaupt nichts von 'repressiver Norrnativität' nach V. wären die linguistischen Ansätze "repressive in their normative principles" [21] zu spüren. In diesen Modellen wäre es Sache des 'Auftraggebers' für den Zieltext anstelle der zumeist angestrebten 'Wirkungsgleichheit', eine 'Skoposänderung' vorzunehmen, nämlich: Bereicherung der zielsprachlichen Kultur. VENUTis Vorstellungen wären nur ein Teil dieses Modells, das Funktionsänderung zulässt. Angesichts dieses großzügigen 'skopostheoretischen' Modells wirkt VENUTis Ansatz eher normativ einengend und seinen eigenen politischen Zwecken dienlich, ein Vorwurf, den er anderen macht. Der Ethics ofDifference läßt sich die Deontologie des Ü.s gegenüberstellen. VENUTis ethische Überzeugung hat nichts mit der Deontologie des Übersetzers zu tun, welcher dem Auftraggeber gegenüber zur Loyalität verpflichtet ist und je nach Auftrag Wirkungsgleichheit oder Funktionsänderung herzustellen hat. Fazit: Dem Anfänger kann dieses Buch nicht empfohlen werden. Auch der Didaktiker dürfte kaum auf seine Kosten kommen. Dem Praktiker hingegen wird es sicher einige Hintergründe seines Schaffens bewusst machen. Und dem Theoretiker deutscher übersetzungswissenschaftlicher Prägung, derwie auch in diesem Buch häufig Zielscheibe angelsächsischer Ironie ist, wird es vielleicht etwas von seinem selbstsicheren Objektivitätsglauben nehmen. Bielefeld Bernd Stefanink lFLm. 29 (2000)