Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2001
301
Gnutzmann Küster SchrammSimulations globales als offenes Unterrichtskonzept für das Fach Französisch
121
2001
Sven-Holger Hahn
flul3010230
Sven-Holger Hahn • Simulations globales als offenes Unterrichtskonzept für das Fach Französisch Abstract. With their quality of 'metagames', global simulations (simulations globales) provide the framework for a number of motivating, learner-centred activities in foreign language teaching, including work with the textbook. This article gives an outline ofthis promising approach as weil as its underlying concepts in the fields of education, language and learning. After making some practical suggestions, the author argues that global simulations meet the requirements of teaching French in German (secondary) schools particularly weil, and he reviews the experiments carried out in this area. Eventually, arguments for and against the approach are presented and commented upon. 1. Abgrenzung und Spezifika der Simulations globales Wenngleich die Simulations globales (SG) heute zu den als innovativ geltenden „alternativen Methoden" 1 gezählt werden (Dietrich 3 1995: 196), ist die Technik des faire semblant im Fremdsprachenunterricht bereits sehr viel älter. Kurze Situationsdialoge, die von Schülern „in Szene gesetzt" bzw. "simuliert" werden, kommen sowohl in Lehrbüchern des 17. Jahrhunderts als auch in denen der audiovisuellen Methode vor. Dieses Verfahren kann dann bis zur Aufführung eines kompletten Theaterstücks erweitert werden. Bertrand (1974: 188) geht sogar noch weiter: "Il y a deja ebauche de simulation des qu'on decide de communiquer dans 1a langue etrangere alors qu 'il serait si commode d 'employer a son propos notre langue maternelle". Angesichts eines derart weiten Simulationsbegriffs und der Schwierigkeit einer eindeutigen Definition (Jones 1980: 20) erscheint es sinnvoll, die Simulation von verwandten Techniken abzugrenzen und dabei die spezifischen Merkmale der SG herauszuarbeiten. Eine derartige Standortbestimmung erfordert zunächst eine deutliche, in der Literatur nur selten vorgenommene Abgrenzung vom Drama/ Rollenspiel. Das theatrale Spiel zeichnet sich dadurch aus, dass „der Spielende sowohl als Darsteller einer Figur handelt als auch in der Figur erlebt" (Hentschel 1996: 142). Dies hat zur Folge, dass das (auf der Bewusstseinsebene als solches erkannte) Spiel die nötige Befreiung und Sicherheit Korrespondenzadresse: Sven-Holger HAHN, Studiemeferendar am Studienseminar für das Lehramt für die Sekundarstufe II Hamm, Hohldrift 22, 33181 BAD WÜNNENBERG. - E-mail: svhahn@hotmail.com Arbeitsbereiche: Szenisches Spiel und Dramatische Texte, Frühes Fremdsprachenlernen. 1 Zugrunde gelegt wird hierbei ein weiter Methodenbegriff, etwa im Sinne einer „Methodik" (Vielau 1985: 9 f). Im Französischen ist der Terminus methode noch irreführender, da er oft synonym für eine bestimmte Art von Lehrwerk (manuel) Verwendung findet. Auch die unpräzise Bezeichnung „alternativ" muss im Hinblick auf die SG relativiert werden, da es den Autoren von Anfang an um eine Integration in den herkömmlichen, institutionellen Fremdsprachenunterricht ging. JFLIIL 30 (2001) Simulations globales als offenes Unterrichtskonzept für das Fach Französisch 231 verschafft, um auf der Gefühlsebene 'wirklich' empfinden bzw. die Wirklichkeit des Spiels als 'real' erfahren zu können. An die Stelle einer scheinbar objektiven (gesellschaftlichen, religiösen, moralischen, etc.) Wirklichkeitsordnung tritt eine ästhetische, subjektive, flüchtige, am eigenen Leib erfahrene Wirklichkeit, die allerdings im Bereich der Andeutungen verbleibt: Ein Brief muss nicht wirklich geschrieben werden, solange er seine Funktion für den Fortgang der Handlung erfüllt, etc. Da es sich beim Drama um eine Kunstform handelt, bei der Zuschauer und doppelte Kommunikationsebene stets mitgedacht werden, wäre eine möglichst authentische Kommunikation gänzlich „undramatisch" es sei denn, sie ist dermaßen überzeichnet wie im modernen Drama. Bei· der Simulation entfällt die zweite Kommunikationsebene und damit auch das bewusste Schau-Spiel. Die Teilnehmer denken. und handeln aus der Realität der ihnen übertragenen Funktion heraus und übernehmen dabei Pflichten und Verantwortung (Jones 1982: 4). Da ihre Handlungen unwiderrufliche Konsequenzen für die Simulation haben, steht eher die effektive denn die ästhetische Kommunikation, und zwar sowohl mündlich als auch schriftlich, im Vordergrund. Zeh (1987: 206 f) arbeitet weitere Unterschiede zum Drama heraus, die in Tab. 1 dargestellt werden. Drama Simulation • Vorgaben • Minimum ausreichend • erschöpfend definiert • Handlungsziel • Handeln als Selbstzweck; • apriori gesetzt; 'echt'; symbolisch primär intellektuell • Handlungswelt • kreative Phantasie der • gegebene Scheinwirklich- Teilnehmer; fiktiv keit gilt als eigentliche Realität • Emotionslage • Trennung von privatem • 'echt'; betrifft auch die Empfinden und Darstel- Beziehung zwischen den lung von Emotionen Teilnehmern • Weqekonflikt zwischen • ausgeschlossen; Distanz • möglich; zugleich Ende Figur und Darsteller des darstellenden Spiels der Simulation • Status von Sprache • Sprachspiel; unverbind- • äußerste Verbindlichkeit lieh Tab. l Dieses ,Schema, das auf die angelsächsische Simulationstradition zurückgeht, muss im Hinblick auf die SG dahingehend relativiert werden, dass die Scheinwirklichkeit nicht bis ins Detail vorgegeben ist, sondern weitestgehend von den Teilnehmern selbst gestaltet wird. 2 Im Verlauf der SG nehmen die Schüler unterschiedliche Perspektiven ein, je 2 Dabei kann davon ausgegangen werden, dass die selbst konstruierte und individuell erfahrene, d.h. bedeutsame Realität der (subjektiven) Wirklichkeit der Teilnehmer eher entspricht als ein noch so konkretes FLuL 30 (2001) 232 Sven-Holger Hahn nachdem, ob sie aus einer fiktiven Identität heraus denken und handeln, aus der Perspektive eines 'auktorialen' Erzählers oder aber in ihrer Eigenschaft als Organisatoren eines Projekts und ihres eigenen Lernprozesses. Die SG oszillieren also ständig zwischen dem kreativ-gestalterischen Spiel des Erfindens fiktiver Welten, Handlungen, Ereignisse, etc. und dem dramatischen (Rollen-) Spiel der Übernahme fiktiver Identitäten, wobei die Schüler auch an der Organisation/ Evaluation des 'Spiels im Spiel' ('Metaspiel') beteiligt sind (Care 1992: 5). Sie verkörpern also nicht nur Rollen, sie inszenieren sie auch, indem sie ihre Lebenswelt selbst gestalten. Dabei hat das eine stets Auswirkungen auf das andere. Durch die abwechselnde Übernahme einer Außen- und Innenperspektive, durch das gleichzeitige Manipulieren und Manipuliertwerden vollzieht sich ein Spiel mit der (eigenen/ fremden) Identität, das in gewisser Weise symbolisch für den Fremdsprachenerwerb steht. Dieser umfasst eben nicht nur, wie der Name glauben macht, den Erwerb einer fremden Sprache, sondern immer auch einen Bruch mit der vertrauten Konzeption von Welt, die durch die Muttersprache und die eigene Kultur fein säuberlich geordnet schien, sowie die Erfahrung der eigenen Fremdheit (Yaiche 1996: 73). Das 'Metaspiel' bildet eine Art theatrum mundi, wobei der Mikrokosmos der SG den Makrokosmos gesellschaftlichen Lebens widerspiegelt, der nur dort überlebensfähig ist, wo Menschen bereit sind, "Rollen zu spielen", d.h. ihr Leben je nach Situation „in Szene zu setzen" (Yaiche 1996: 77). Allerdings werden in den SG gesellschaftliche (und kulturelle) Rollen nicht nur spielerisch erfahrbar (übrigens mit einer sehr viel größeren psychologischen Tiefgründigkeit als bei Lehrwerkfiguren, die meist nur oberflächlich skizziert werden); das 'Metaspiel' ermöglicht gleichzeitig eine gewisse kritische Distanz gegenüber alltäglichen und/ oder stereotypen Verhaltensweisen (Yaiche 1996: 74), aber auch die Überwindung von Ethnozentrismus. In der Vielfalt an (mündlichen und schriftlichen) Arbeitsformen und Lernmaterialien manifestiert sich ein weiteres Gütekriterium der SG: das der globalite. Das räumlichzeitliche Kontinuum der SG (bezogen auf lieu-theme, Personen und Handlung der Simulation) stellt ein Minimum an Kontinuität sicher, die den Reihungen atomisierter Situationen in den Lehrwerken meist abhanden kommt. Das Konzept der globalite findet sich darüber hinaus in der möglichst erschöpfenden Ausgestaltung der Realität und ihrer komplexen Wechselbeziehungen von Privat- und Berufsleben, Leidenschaft und Vernunft. Schließlich bedeutet es auch ein Minimum an Integration, da jede Einzel- und Kollektivhandlung in das gemeinsame Projekt einfließt und somit ihre Bedeutung erfährt. Damit ist das Kriterium der Offenheit angesprochen: Die Schüler werden unmittelbar an der Planung, Ausgestaltung und Evaluation der inhaltsorientierten Lernsituationen beteiligtihre individuellen (kommunikativen) Bedürfnisse bilden die eigentliche raison d' etre des Fremdsprachenunterrichts. Die SG sind daher geeignet, die Funktion der Abbild einer scheinbar objektiven Pseudorealität. Maley (1980) spricht in diesem Zusammenhang von der illusion du reel bzw. der realite de l' illusion. Er unterscheidet zwischen der Authentizität des Sprachsystems (wie es sich in „authentischen" Dokumenten wie Zeitungsartikel, Fernsehsendungen, etc. wiederfindet) und der Authentizität der Schülerreaktion in Bezug auf dieses System, wobei ein authentischer Text nicht automatisch eine authentische Reaktion nach sich zieht. JFJLIUIL 30 (2001) Simulations globales als offenes Unterrichtskonzept für das Fach Französisch 233 activites-cadre in einem offenen Fremdsprachenunterricht einzunehmen, wie ihn beispielsweise Dufeu (1992) entwirft. Somit wird m.E. auch die häufig angeführte (u.a. durch die Bezeichnung 'alternativ' provozierte) Opposition von Lehrwerk und SG aufgelöst. Sie führt im Allgemeinen dazu, dass die SG entweder den Status eines isolierten Projekts bekommen, um ab und an den herkömmlichen Unterricht mit der Aura des Neuen aufzulockern, oder aber in einer für Schüler und Lehrer motivationshemmenden Konkurrenz mit den Lehrbüchern stehen. Vielmehr können die SG als konzeptuelles Rückgrat eines offenen Unterrichtsarrangements angesehen werden, in dem sich durchaus die Arbeit mit dem Lehrwerk und andere, geschlossenere Unterrichtsformen integrieren lassen. Aufgrund der hier genannten Gütekriterien finden die SG in der aktuellen Debatte um den „Paradigmenwechsel" im „postkommunikativen" Fremdsprachenunterricht, der von einer konstruktivistischen Sicht des Wissenserwerbs ausgeht, wieder vermehrt Beachtung (Rattunde 1995; 1998; 1999; Schiffler 1998). Im Lichte dieser neueren Erkenntnisse sollen daher zunächst einige theoretische Begründungszusammenhänge diskutiert werden. Im Anschluss wird aufgezeigt, wie diese. sich auf didaktisch-methodische Entscheidungsfelder auswirken und welche Rolle die SG in einem offenen Französischunterricht unter Berücksichtigung der spezifischen Zielsetzungen spielen können. Abschließend wird eine kritische Evaluation die Chancen und Risiken des Ansatzes ausleuchten. 2. Darstellung der Simulations globales und ihrer Begründungszusammenhänge Die Entwicklungsgeschichte der SG am BELC-CIEP ist eng verbunden mit dem in der ersten Hälfte der siebziger Jahre vehement vorgetragenen Unmut über die methodologie structuro-globale audiovisuelle (MSGAV) und die von ihr hervorgebrachten Lehrwerke. Debyser (1973: 66) kritisiert, dass die dogmatische, geradezu inflationäre Entwicklung von (audio-visuellen) Unterrichtsmaterialien auf der Basis sprachwissenschaftlicher Erkenntnisse und ohne Berücksichtigung pädagogischer Parameter zu einem rigiden und technokratischen Fremdsprachenunterricht führe, in dem alles bis ins Detail vorgeplant sei und somit eine Distanz zur Sprache aufgebaut werde. Trotz der mitunter polemisch geführten Auseinandersetzung-Debyser (1973) nennt seinen Artikel La mort du manuel et le declin de l'illusion methodologique erkennen die Kritiker die Verdienste der MSGAV durchaus an (Betonung des mündlichen Sprachkönnens, der Kontextinformationen und des funktionalen Charakters von Sprache) und wollen ihre Vorschläge eher als deren Weiterentwicklung im Sinne von größerer Flexibilität und Lernerorientierung denn als 'revolutionären' Neuansatz verstanden wissen (Coste 1975: 545). Die Simulation wird dabei als probates Mittel angesehen, dem individuellen und pragmatischen Sprachgebrauch Rechnung zu tragen, und steht somit an der Schwelle zum sog. kommunikativen Fremdsprachenunterricht. In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre bildet sich am BELC eine Art Alternativbewegung zur 'offiziellen' kommunikativen Fremdsprachendidaktik heraus. Anstatt sich an lFLlllL 30 (2001) 234 Sven-Holger Hahn der utilitären, funktionalen Ausrichtung des Threshold level bzw. Niveau-seuil zu orientieren, konzentriert sich das BELC auf die Untersuchung der Beziehungen zwischen Spiel, Sprache und Kreativität und deren Bedeutung für den (mutter-/ fremdsprachlichen) Französischunterricht (Care/ Debyser 1978). Gleichzeitig laufen in dieser Zeit in den Lehrgängen am BELC Bemühungen, die sehr unterschiedlichen kreativen Techniken für ein globaleres pädagogisches Projekt über einen längeren Zeitraum nutzbar zu machen. Sie münden in einem Rohentwurf von L' Immeuble, der ab 1978 am BELC getestet und zwei Jahre später in Form eines roman-simulation en 66 exercices vorveröffentlicht wird (Debyser 1980). 1986 publiziert Francis Debyser unter Mithilfe von Francis Yaiche die endgültige, um zahlreiche Bild- und Textdokumente sowie methodische und sprachliche Hilfen erweiterte Fassung, die 1996, ergänzt um ein preface, neu aufgelegt wird. In den achtziger und neunziger Jahren entstehen nach demselben Schema weitere SG, die sich grob unterteilen lassen in simulations generalistes (z.B. fies, Le Cirque, Le Village) und simulations specifiques! fonctionnelles bzw. professionnelles (z.B. L'Hotel, L' Entreprise, La Conference internationale). 3 Die Anwendungsbereiche sind dabei sehr vielfältig und umfassen sowohl den FLM- (franr; ais langue maternelle) als auch den FLS/ FLE- (Jranr; ais langue seconde/ etrangere) Unterricht. Im Falle des Muttersprachenunterrichts wird besonders der interdisziplinäre Charakter der SG betont. Zum einen erfordert die Erschaffung einer umfassenden Realität fächerübergreifende Kompetenzen, umgekehrt vollzieht sich die Erschließung von Wissen in jedem Fach mittels (fachspezifischer) Sprache, die jeweils gelernt werden muss und nicht auf ein isoliertes Unterrichtsfach reduziert werden kann (Yaiche 1996: 167). In französischsprachigen Schulen in nicht-frankophoner Umgebung dienen die SG dazu, den Gebrauch der 'Schulsprache' (FLS) attraktiver für alltägliche Situationen zu gestalten (Care 1995: 78). Im Bereich FLE bleiben die SG lange Zeit größtenteils fortgeschrittenen Lernern vorbehalten. Im Jahre 1990 wird Le Village in einem Nullanfängerkurs der Alliance Franr; aise in Paris getestet. Auch aus Deutschland liegen mittlerweile einige Erfahrungsberichte zur Arbeit mit den SG im FLE-Unterricht vor, seit neuestem auch aus dem Anfangsunterricht am Gymnasium (Sippel/ Wagner 2001). Die Flexibilität der SG zeigt sich nicht zuletzt in ihrer Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche Zielgruppen und/ oder soziokulturelle, institutionelle und wirtschaftliche Rahmenbedingungen: Sie lassen sich beinahe beliebig (nacheinander oder parallel) kombinieren, erweitern (ausL'Immeuble wirdLaRue, LaResidence oder La Cite; ausLe Village wird Le Bourg, La Ville-dortoir oder La Station balneaire), eingrenzen (L' fze Eine umfassende Typologie findet sich bei Yaiche (1996: 25fund 63 ff). Dabei schlägt er folgende Kriterien vor, die aber i.d.R. keine eindeutige Zuordnung erlauben: Art des Unterrichts (mutter-, fremd- oder fachsprachlich), Sprachniveau, Alter, Wirklichkeitsnähe, Beweglichkeit des lieu-theme, allgemeine oder berufsspezifische Ausbildung. M.E. sollte noch das Kriterium der Verfügbarkeit genannt werden, die sicherlich bei der Entscheidung für oder gegen eine SG eine große Rolle spielt. Bedauerlicherweise sind nämlich im Buchhandel wahrscheinlich aus kommerziellen Erwägungen-nur La Conference internationale, L' Entreprise, L' Hotel und L'Immeuble (alle bei Hachette) erhältlich; also nur eine (für die allgemeinbildenden Schulen interessante) simulation generaliste. Le Cirque - 1986 bei Hachette erschienen wird nicht mehr gedruckt, fies ist nur über das CNDP und eine Lingua-Version von Le Village nur über das CIEP-BELC zu beziehen. fLIIIL 30 (2001) Simulations globales als offenes Unterrichtskonzept für das Fach Französisch 235 grammaticale ), mit einer Lektüre bzw. dem Lehrwerk verknüpfen oder ganz neu erfinden und über unterschiedlich lange Zeiträume verteilen (Yaiche 1998). Resümierend kann gesagt werden, dass die SG weitaus mehr sind als eine Fremdsprachenvermittlungsmethode, die womöglich einen übermäßig schnellen Lernerfolg bei wenig Aufwand versprechen würde, wie dies bei der Kommerzialisierung 'alternativer Methoden' oftmals der Fall ist. Vielmehr handelt es sich um eine konsequente Öffnung des Unterrichts, bei der die Planungs- und Handlungsinitiative weitestgehend in die Hände der Schüler gelegt wird, ohne jedoch den Lehrer aus seiner Verantwortung für den Lehr-/ Lernprozess zu entlassen. Diese pädagogischen Prinzipien sollen im folgenden Teil näher untersucht werden. 2.1 Erziehungswissenschaftliche Dimension Care (1992: 48) geht von der Überzeugung aus, dass der Fremdsprachenlerner zwar in der fremden Sprache alles neu zu lernen habe, jedoch dabei auf ein umfangreiches Weltwissen zu dem im Übrigen auch die Muttersprache zählt zurückgreifen könne. Seiner Meinung nach müsse sich der Zweitbzw. Fremdsprachenunterricht in gewisser Weise den Prozess der „Konstruktion von Welt", wie er beim Erstspracherwerb abläuft, zum Vorbild nehmen. Um Redundanzen vorzubeugen, kreieren sich die Lernenden auf der Basis individueller Vorerfahrungen neue Welten (Care 1995: 70). Das Prinzip der Lernerzentrierung offenbart sich auf verschiedenen Ebenen der SG. Bereits vor Beginn werden auf der Organisations- und Planungsebene wichtige Entscheidungen zwischen Schülern und Lehrer ggf. in der Muttersprache kommunikativ ausgehandelt und in einem „Vertrag'' festgehalten (Care 1993: 54). Ähnliche Aushandlungsprozesse, die willkommene Anlässe für eine authentische Interaktion in der Fremdsprache bieten, finden aber auch während der eigentlichen Simulation statt. Sie sind vor allem auch zwischen den Schülern von großer Bedeutung, da das gemeinsame Projekt bzw. Produkt (kollektiver Roman, Aufführung eines Theaterstücks, Fotoausstellung, etc.) nur kooperativ, d.h. im gegenseitigen Austausch realisiert werden kann (Care 1995: 75). Allerdings sollten Lehrer und Schüler auf dieser Ebene auch beziehungs- und lernrelevante Aspekte (Konflikte und Probleme im Umgang miteinander, Verhaltensregeln, Lernbarrieren usw.) versprachlichen. Auf der inhaltlichen Ebene streben die SG eine möglichst hohe Identifikation des Lerners mit dem Lerngegenstand an. Dies wird vor allem erreicht durch die eigenverantwortliche Ausgestaltung und Animation der möglichst komplexen, d.h. alle Lebensbereiche umfassenden, zusammenhängenden und dynamischen Lernwelt auf der Basis vielfältiger, authentischer und teilweise selbst hergestellter Dokumente, durch ganzheitliche, pluridisziplinäre, handlungs- und produktionsorientierte Aktivitäten, durch die Berücksichtigung individueller Vorerfahrungen, Neigungen und Fähigkeiten sowie unterschiedlicher Lernertypen, durch ein ausgewogenes Verhältnis von unterschiedlichen Übungs- und Sozialformen und nicht zuletzt durch die Auswahl des Sprachmaterials nach dem Kriterium des individuellen Ausdrucksbedürfnisses. Hinzu kommt die graduelle Übernahme von Verantwortung für den eigenen Lernprozess durch den selbständigen Umgang lFLlllL 30 (2001) 236 Sven-Holger Hahn mit Lexika, Wörterbüchern und anderen Hilfsmitteln sowie das Archivieren der Arbeitsergebnisse und das Anlegen eines auto-dictionnaire, in dem lexikalische Einheiten gesammelt werden. Für Yaiche (1996: 107) ist das oberste Ziel (zugleich Weg zum Ziel) der autonome Lerner, der die Konstruktion seines Wissens selbst in die Hand nimmt. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass autonomes/ selbstbestimmtes Lernen in der Schule keinen Widerspruch in sich darstellen muss. Da Lernerautonomie nämlich nicht als gegeben vorausgesetzt werden kann, macht es durchaus Sinn, dem Lernenden beim Suchen des eigenen Lernweges (metakognitive) Hilfestellungen zu geben, um ihn so Schritt für Schritt unabhängiger werden zu lassen (Multhaup 1999: 103). Vorrangige Aufgabe des Lehrers ist folglich die Schaffung einer möglichst reichhaltigen und bedeutungsvollen „autonomen Lernumgebung" (Dam 1999: 14 f), in der den Lernern genügend Freiräume und Anregungen gegeben werden, ihren Lernprozess aktiv zu gestalten und eigene Vorerfahrungen einzubringen ('Offener Unterricht'). Dies setzt voraus, dass der Lehrer sich selbst autonom gegenüber den individuellen Lernbedürfnissen der Klasse verhält, also sein pädagogisches Handeln möglichst flexibel und differenzierend gestaltet (Yaiche 1996: 108). Hierfür übernimmt er eine Vielzahl von Rollen, die Yaiche (1996: 102 ff) für die SG als expert, personne-ressource, animateur, modele und mediateur charakterisiert. Von elementarer (und m.E. recht ambivalenter) Bedeutung ist dabei die Autorität, die dem Lehrer in der Funktion des „Spielleiters" eingeräumt wird. Als 'unparteiischer' Außenstehender (was in der Schule nur schwer zu realisieren sein dürfte) „wacht" er sowohl über die Einhaltung und das Vermitteln ethischer und ästhetischer Normen beim Umgang miteinander als auch über die „Qualität" der Simulation und der Schülerarbeiten: "eviter 1a niaiserie, les cliches, les stereotypes, la recherche de l'originalite a tout prix" (Debyser 2 1996: XIII). Wie die Autoren der SG anmerken, handelt es sich dabei um eine ständige Gratwanderung zwischen conformite und conformisme, mediation und intervention, derision und derisoirelenfantillage, imprevu und insolite, spontaneisme und rigueur, die ständig mit den Schülern ausgehandelt werden muss (Care 1993: 50; Debyser 2 1996: XII ff). Gerade aus diesem Grund ist eine Neubestimmung der Lehrer-Schüler-Beziehung unentbehrlich. Eine weitestgehend symmetrische Subjekt- Subjekt-Beziehung setzt jedoch gegenseitiges Vertrauen und einen Wandel des professionellen Selbstverständnisses voraus. Hierzu gehört die Bereitschaft des Lehrers, etablierte Kommunikations- und Beziehungsstrukturen in Frage zu stellen, eigene Ansichten, Fehler, Ängste usw. zu artikulieren und nicht zuletzt die Lernbedürfnisse des Einzelnen und der Gruppe zu analysieren und ins Zentrum didaktisch-methodischer Entscheidungen zu rücken. 2.2 Sprachtheoretische Dimension Die für die SG formulierte Maxime Inventer pour apprendre (Care 1995) geht von folgender Hypothese aus: "On peut apprendre une langue etrangere en s'inventant un univers particulier, s'approprier simultanement la langue et un bout de territoire" (Care 1993: 48). Dies bedeutet zunächst, dass das sprachliche Angebot der Chronologie der Fiktion und nicht etwa sprachimmanenten Faktoren folgt (Care (1995: 80) spricht von lFL1.lllL 30 (2001) Simulations globales als offenes Unterrichtskonzept für das Fach Französisch 237 einer subordination de la langue au monde). Die Sprachprogression ist demnach weder grammatisch-strukturell noch pragmatisch-kommunikativ vordeterminiert, sondern ergibt sich aus der necessite contextuelle der jeweiligen (Kommunikations-) Situation, ist also themenorientiert (Care 1995: 76). Sprache wird in den Dienst der invention gestellt, wobei die Benennung der selbst gestalteten Welt (Benennung/ Beschreibung und Gestaltung/ Entdeckung gehen i.d.R., analog zum Erstspracherwerb, Hand in Hand) zeitlich vor der Interaktion ihrer „Bewohner" (Rollenspiele) liegt. Mit einem deutlichen Seitenhieb auf dasfranraisfondamental betont Care (1995: 80): "La valence et 1a specificite l'emportent sur la frequence. Est toujours fondamental ce qui est absolument necessaire a l'invention". Wichtigstes Kriterium bei der sprachlichen Progression ist folglich der unmittelbare Gebrauchswert für die invention "Produktorientierung") und nicht etwa eine möglichst umfassende paradigmatische „Ausschlachtung", wobei es durch die Geschlossenheit des lieu-theme zu natürlichen, regelmäßigen Wiederholungen und Erweiterungen sprachlicher Strukturen kommt. Die Progression ist somit zirkulär (Care 1993: 50). Die Textsorte description, der eine focalisation progressive vom Allgemeinen zum Besonderen zugrunde liegt (Care 1993: 49), verlangt eine frühe und extensive Beschäftigung mit Wortfeldern und Phraseologismen (Care (1995: 80) plädiert für einen retour du vocabulaire). Dabei kann es durchaus sinnvoll und stimulierend sein, im Rahmen der "Benennung von Welt" auch vermeintlich 'unsinnige' Wortschöpfungen bzw. 'exotische' Vokabeln zu berücksichtigen (z.B. tournelipe, tomate de vie, becasse). 4 Der spielerische Umgang mit Sprache wird zuvorderst als Befreiung empfunden (Debyser (1978: 6) erweitert die von Jakobson vorgeschlagenen sechs idealtypischen Funktionen von Sprache um die fonction plaisir ). Er wird dabei allerdings keinesfalls der Beliebigkeit preisgegeben, denn er unterliegt einer Reihe von contraintes, die u.a. sprachformaler (morphosyntaktischer), logischer, soziokultureller oder auch willkürlicher Art (methode S+7) sein können. Ähnliches gilt auch für den spielerischen Umgang mit der Zielkultur, bei dem die contraintes vor allem der Vermeidung von Klischees dienen. Insofern ist das Spiel der SG mit der Zielsprache und -kultur zu denken in der Dialektik von Regelhaftigkeit bzw. Vorhersehbarkeit, die eine Strukturierung der fremden Welt zulässt und somit eine gewisse Sicherheit im Umgang mit ihr verschafft, und Freiheit bzw. potentieller Unordnung, die das Spiel erst zum Spiel, die Sprache zur Sprache und das Leben zum Leben macht (Yaiche 1996: 71). Es erlaubt den Schülern, relativ „gefahrlos" zu erkunden, wie wichtig sprachliche und kulturelle „Spielregeln" für eine funktionierende Kommunikation sind. Neben der ästhetischen kommt auch die soziale Komponente von Sprache zur Geltung, denn die Interaktionspartner müssen u.a. Strategien entwickeln, Kommunikations- 4 Auf diese Weise wird nicht nur eine engere emotionale Bindung an die Sprache ermöglicht, sondern auch die Behaltensleistung gesteigert (Kostrzewa 1994: 222). Wortschöpfungen und -manipulationen gehören im Übrigen zu den wichtigen (und keineswegs 'sinnlosen') Aktivitäten des Erstspracherwerbs, mit denen Kinder lernen, Kontrolle über sprachliche Strukturen auszuüben, und metasprachliches Wissen aufbauen (van Lier 1996: 74 ff). FLllL 30 (2001) 238 Sven-Holger Hahn aufgaben kooperativ zu lösen und gleichzeitig persönliche Kommunikationsziele durchzusetzen. Dabei kommt die ganze Komplexität menschlicher Interaktion in den Blick, die insbesondere auch die affektive Dimension, nonverbale Phänomene (Stimmlage, Körperbewegungen, Position im Raum und zum Gesprächspartner, etc.) und die phatische Sprachfunktion einschließt. Hierbei handelt es sich im Übrigen um wichtige interkulturelle Handlungskompetenzen, die im schulischen Fremdsprachenunterricht oftmals vernachlässigt werden. Das sorgfältig zu archivierende neue Sprachmaterial setzt sich zusammen aus einem im Voraus nicht planbaren Anteil, den sich die Schüler in einer konkreten Unterrichtssituation zumeist selbständig (mit Hilfe von Wörterbüchern, Enzyklopädien, Grammatiken, etc.) erarbeiten, und einem (weitestgehend) planbaren Anteil, der für die aktuelle Phase der invention erforderlich ist und vom Lehrer als sprachliches Hilfsmittel angeboten wird (Care 1993: 53). Insofern stehen die SG in einem dynamischen Spannungsverhältnis von Steuerung und Offenheit, wobei der Grad und die Dauer der Öffnung u.a. vom Sprachniveau und von den Lehr-/ Lernzielen abhängt. Die invention lässt sich mit einem Begriff aus der Rezeptionsästhetik verstehen als creation dirigee (Sartre), die erst in der „Dialektik von Lenkung und Kreativität" (Bredella 1993: 44) ihre eigentliche Bestimmung erfährt. 5 Kreativität wird zwar immer wieder für den Fremdsprachenunterricht gefordert, erst in den SG wird sie aber zu einem interaktionellen Phänomen im Rücksehen (1997) Sinne. Dies hängt damit zusammen, dass es ja nicht darauf ankommt, in einer Schulklasse 25 noch so kreative Einzelwelten zu schaffen (so wie es möglich ist, 25 Einzelgedichte schreiben zu lassen, deren kreativer Wert dadurch verblasst, dass sie nicht zwingend Interaktion, es sei denn mit einem Text, voraussetzen), sondern eine creation collective, die notwendigerweise eine creativite collective erfordert (Care/ Debyser/ Estrade 2 1997: 11). Beim gemeinsamen Generieren von Welten müssen subjektive Wirklichkeitsentwürfe artikuliert und in ständiger Auseinandersetzung mit der Umwelt (Lehrer, Mitschüler, Materialien, etc.) verglichen und ggf. zugunsten des gemeinsamen Produkts revidiert werden, und zwar durch (authentische) Interaktion. Im Unterschied zu den sog. information gap-Übungen gibt es bei den SG keine bevorrechtigten Positionen, sondern einen gegenseitigen Austausch von prinzipiell gleichwertigen Informationen. Die Verquickung von Sprache und Welt/ Sache lässt durchaus Parallelen zum Erstsprachbzw. natürlichen Zweitsprachenerwerb erkennen: "Spracherwerb ist[ ...] ein integrierender Teil des 'Welterwerbs', des Erwerbs einer sozialen Kompetenz im weitesten Sinne" (Timm 1993: 162). Sprachliche Regularitäten werden nicht mehr als Selbstzweck, sondern „als soziale Regularitäten erfahren" (Timm 1993: 162), d.h. als wesentliche Bestandteile eines neuerlichen Sozialisationsprozesses (der bei den SG im Schutz und in Ausnutzung des/ der bereits durchlaufenen vonstatten geht). Die Nähe zum Erstsprachbzw. natürlichen Zweitsprachenerwerb durch die Betonung mitteilungsbezogener, au- Die creation muss deshalb auch nicht zwangsläufig kreativ im Sinne von neuartig/ innovativ sein (Care 1993: 50). Dass der fremdsprachliche Unterricht nicht dauernd und ungelenkt kreativ sein kann, weil er vor allem konventionelle, d.h. ritualisierte Kommunikationsmuster vermitteln muss, wird auch von Rück (1997: 5) betont. lFLlillL 30 (2001) Simulations globales als offenes Unterrichtskonzept für das Fach Französisch 239 thentischer Interaktion ist natürlich per se noch keine Gewähr für einen erfolgreichen Fremdsprachenerwerb in der Schule. Allerdings gibt es in der Forschung ,zum sog. gesteuerten Zweitsprachenerwerb zumindest im Ansatz Hinweise darauf, "daß ein Zusammenhang zwischen der Spezifik von Interaktionen und Fremdsprachenerwerb besteht" (Henrici 1995: 151). Studien in diesem Bereich lassen den Schluss zu, dass gewisse interaktive Bedingungen wie z.B. lernerinitiierte und -aktivierende Gesprächsthemen, interaktionale Management-Fähigkeiten von Schülern und Lehrern, kooperatives Aushandeln und variantenreiche Interaktion dem Fremdsprachenerwerb förderlich sein können. Gleichzeitig wird betont, "daß ein auf Spracherwerb fokussierter interaktiver Fremdsprachenunterricht nur dann für die Mehrzahl der Lernenden erfolgreich sein kann, wenn in ihm explizit-metasprachliche Phasen und Sequenzen einen festen Platz haben" (Henrici 1995: 154). Im Unterschied zu den Simulationen angelsächsischer Prägung, in denen dies nur zeitversetzt möglich ist, erlauben die SG jederzeit (mit Ausnahme der Rollenspiele, die jedoch einer intensiven Vor- und Nachbereitung bedürfen) eine geplante oder ungeplante Bewusstmachung von Sprach- und Lernprozessen in explizit-metasprachlichen Phasen, und zwar nicht als Selbstzweck (weil eine gewisse sprachliche Struktur „durchgenommen" werden muss), sondern weil sie der Lösung konkreter oder vorhersehbarer Probleme bzw. der Reflexion und Fruchtbarmachung positiver oder negativer Erfahrungen dient. Hierzu sind natürlich andere fremdsprachliche Mittel und Diskursstrategien erforderlich, die ihrerseits erlernt werden müssen. 2.3 Lerntheoretische Dimension Das Lernen, Grundeigenschaft und überlebenssichernde evolutionäre Errungenschaft des Menschen, ist gekennzeichnet durch zielgerichtete Veränderung, durch einen spannungsvollen Übergang. Yaiche (1996: 75 f) spricht von einer schizie, im Falle des Fremdsprachenlernens von haute schizie. Damit ist zum einen angedeutet, dass es sich beim Lernprozess um eine „ergänzende Selbstschöpfung" handelt, die zutiefst individuell und von außen kaum planbar ist (Meißner 1993: 119). Zum anderen kann der lernende Mensch nicht als tabula rasa angesehen werden, verfügt er doch immer schon über eine persönliche Lernbiographie (und -motivation). Ist die Lernfähigkeit des Menschen genetisch vorprogrammiert, so findet der Aufbau von Wissensstrukturen erst in handelnder (geistiger oder materieller) Interaktion mit der Umwelt statt. Es kommt also zu einer Verknüpfung endogener und exogener Faktoren: Tbe overall function ofknowledge is to mediate between an individual's needs and desires, on tbe one band, and the extemal world witb its cbanging situation-specific demands and cballenges, on tbe other band. Tbe driving force bebind tbe construction of knowledge is that it improves an individual's cbances of successful orientation and gratification of personal needs. Tbat is wby knowledge is connected to a searcb for a coherent account of observed facts (Multbaup 1999: 95). Daraus folgt, dass sich Individuation und Sozialisation/ Enkulturation gegenseitig beeinflussen. In der Erkenntnistheorie des radikalen Konstruktivismus, die sich als besonders fruchtbar für die aktuelle fremdsprachendidaktische Diskussion erweist, werden intraindividuelle Wirklichkeitskonstruktionen (und um eine solche handelt es sich laut Wendt FLilllL 30 (2001) 240 Sven-Holger Hahn (1996: 76) auch bei der Lernersprache) aus „Anlass" verändert, d.h. wenn sie sich (z.B. in der Interaktion mit anderen Menschen oder authentischen Texten) als nicht „viabel" und damit unbrauchbar für das „überleben" des Organismus in seiner Umwelt herausstellen. Auf diese Weise bilden soziale Systeme interindividuelle Wirklichkeitskonstruktionen aus (diejenigen einer Kulturgemeinschaft bezeichnet Wendt (1996: 20 ff) als "Mythen"), die uns den Eindruck (und die Sicherheit) einer objektiven und beschreibbaren Realität vermitteln, in der Verstehen und Verständigung zumindest im Ansatz möglich werden. Letztlich können auch denotative Wortbedeutungen und kulturelle Symbole · als soziale Konstrukte angesehen werden (Wendt 1998: 6). 6 Aus konstruktivistischer Sicht bedeutet Lernen aktive, selbstorganisierte Wissenskonstruktion aufgrund einer „Perturbation" bereits aufgebauter Wissensschemata (Wolff 1994: 415). Für das Erlernen von Sprachen bedeutet das, dass genügend (Sprach-)Daten eingehen müssen, um diese mit vorhandenem Wissen vergleichen und kategorisieren zu können (und zwar bezogen auf Phonemsystem, Wortschatz und Syntax). Bleyhl hat in diesem Zusammenhang wiederholt auf die Fatalität des traditionellen, linearen Fremdsprachenunterrichts hingewiesen, in dem Segment nach Segment sauber getrennt voneinander eingeführt, sofort geübt (produziert) und danach als bekannt vorausgesetzt wird (aber meist nach der nächsten Klassenarbeit vergessen ist, erneute Übung erfordert und so den Eindruck eines kaum noch zu bewältigenden Stoffberges erweckt). Anstelle dieses linear-kausalistischen input-output-Denkens plädiert er für einen dynamischen, nichtlinearen Fremdsprachenunterricht, der den Lernern ausreichend Zeit zwischen Rezeptions- und Produktionsphase einräumt und sie mit weitaus mehr (verständlichem) Sprachmaterial konfrontiert, als aktiv von ihnen verlangt wird: Sprachphänomene sind[ ...] 'unscharfe Mengen' [... ], die aus ihrer Vernetztheit im so komplexen Sprachsystem leben, die die Eingebundenheit in die Situation brauchen und das Mitdenken der Beteiligten erforderlich machen. Sie können nicht einzeln herausgebrochen und isoliert gelernt oder gelehrt werden. Dies macht ja das Sprachlernen zu einem nichtlinearen Prozeß. Je häufiger, vielgestaltiger und intensiver der Lerner dabei Umgang mit Sprache hat, je mehr Erfahrung er mit Sprache erlebt, desto schneller und auf um so höherem Niveau stabilisiert sich seine Sprachkompetenz (Bleyhl 1997: 234). Ein derartiges Potential wird i.d.R. dem sog. handlungsorientierten Unterricht zugesprochen, wie er exemplarisch in den SG verwirklicht ist. 7 Wichtige (positive wie negative) 6 Das Begriffslernen in der Muttersprache bzw. beim natürlichen Fremdsprachenerwerb erfolgt nach dem Schema der Hypothesenbildung und -Überprüfung (Wendt 1998: 6). Es kann allerdings nur bedingt auf den gesteuerten Fremdsprachenerwerb übertragen werden, da beim Klären einer Wortbedeutung bzw. in kommunikativen "Notsituationen" immer auf die Muttersprache zurückgegriffen werden kann (Multhaup 1999: 102 ff). 7 Das Unterrichtsprinzip der Handlungsorientierung (learning by doing) hat in der Schulpädagogik bereits eine lange Tradition, wobei immer wieder sozialisationstheoretische Argumente angeführt werden (etwa in Gudjons 3 1992: 56 ff). Demnach wirken die eigentätige Aneignung und identifikationsstiftende Gestaltung von Kultur mit ihren vielfältigen Möglichkeiten gegenwartsbezogener, sinnlicher, zwischenmenschlicher Erfahrungen der aktuellen Tendenz zu Ent-Sinnlichung, Abstraktion und ikonischer Aneignung insbesondere durch die Verbreitung der Informationstechnologien entgegen. Demgegenüber setzt Care andere Akzente, indem er das "Rad der Geschichte" nicht zurückdrehen will, sondern zu einem kritischen und phantasievollen Umgang damit JPLIIL 30 (2001) Simulations globales als offenes Unterrichtskonzept für das Fach Französisch 241 Erfahrungen können durch einen handelnden, funktionalen Umgang mit Sprache in einer (auch interkulturell) bedeutsamen Situation gesammelt, sprachliche Hypothesen aufgestellt und dank der 'realen' Rückkoppelung (Walmsley 1976) vom Lernenden direkt ausgewertet und ggf. verändert werden. Die Rückmeldung, ob eine sprachliche Handlung Erfolg hatte oder nicht, dient zugleich der Lernmotivation (Schiffler 1998: 17). Bei der funktionalen (zielgerichteten) Sprachverwendung wird das Sprachmaterial kontextualisiert und persönlich konnotiert, und zwar zumeist auf unterschiedlichen "Kanälen" und mit „Kopf, Herz und Hand"; eine wesentliche Voraussetzung für erfolgreiches Erinnern. Dies geschieht kooperativ, d.h. Bedeutungen (und Beziehungen) werden (soweit nötig) interaktiv ausgehandelt und können ggf. selbst zum Gesprächsgegenstand werden. Auf diese Weise erhält Sprache ihre ursprüngliche Bedeutung als Regulativ sozialer Systeme (wie es der Klassenverband nun einmal ist) zurück und "schafft einen Regelkreis des Verhaltens, der von allen Beteiligten beeinflußt und gesteuert wird" (Bleyhl 1993: 122). 3. Didaktisch-methodische Überlegungen Didaktisch-methodische Grundeinheiten der SG bilden die canevas d' invention. Dabei handelt es sich um Themenmodule, die zwar an ein lieu-theme gebunden sind, sich darüber hinaus aber durch eine große Offenheit hinsichtlich Niveau, Ziele, Inhalte, Methoden, Zeitbudget usw. auszeichnen. 8 Abb. 1 stellt ihre grundlegenden Elemente dar: auffordert: "Nous entrons resolument dans Ja civilisation de l'immateriel, de l'intangible, un monde de synthese et de clones ou nous risquons de vivre de plus en plus par procuration. Ne nous trompons pas, Ja simulation accompagne cette evolution et nous y prepare. Impossible pourtant de revenir en arriere. C' est donc le processus lui-meme qu'il faut inflechir en allant plus loin encore, en y insufflant son antidote: Ja liberte de l'invention et l'impertinence de l'imaginaire [...]. Dans un monde de plus en plus insaisissable, l'invention n'est deja plus un luxe, c'est une necessite" (1995: 74 f). 8 Eine wichtige Planungsmodalität betrifft die Verständigung über die Lehr-/ Lernziele. Damit kann zunächst sowohl die Anbindung an allgemeine Erziehungsziele als auch an ein übergeordnetes Projekt gemeint sein. Auf der pragmatischen Ebene geht es um den Erwerb der vier kommunikativen Grundkompetenzen, die sich bei den SO i.d.R. aufeinander beziehen und gegenseitig ergänzen. Bourguignon (1985) verdanken wir eine Systematisierung des weiten Spektrums der für die SO relevanten Sprech-, Lese- und Schreibsituationen sowie der Fähigkeiten, die jeweils in ihnen erworben werden sollen. Dabei scheint es symptomatisch für die SO, dass rezeptive Fähigkeiten eine eher untergeordnete Rolle spielen: Das Hörverstehen wird nicht gesondert betrachtet und die Kenntnisse über Aufbau und Funktionalität schriftlicher Texte, die beim Lesen erworben werden, dienen zuvorderst der eigenen Textproduktion, die eine wichtige Rolle spielt. Auf den ersten Blick scheint es paradox, sog: kognitive und emotionale Lehr-/ Lernziele (Kenntnisse bzw. Einstellungen in Bezug auf die Zielkultur) mit den SO in Verbindung zu bringen, birgt doch die Ausgestaltung einer fiktiven Realität mit Merkmalen der Fremdkultur, die die Schüler noch gar nicht kennen, die Gefahr, das Fremde karikaturistisch zu verzerren oder sogar völlig zu vereinnahmen. Beacco (1985) hat dennoch Wege aufgezeigt, wie mit einer Simulation handlungsorientiert kulturelles Wissen aufgebaut werden kann. Hierfür bietet der Lehrer Modelle an, mit deren Hilfe die Schüler eine "repräsentative" Realität der Zielkultur erschaffen können. Dem Lehrer obliegt dann die Expertise der Schülerproduktionen. Damit es Schülern gelingt, auf der Basis eigener Vorerfahrungen relativ komplexe, fremdartige und kohärente Lernwelten hervorzubringen, gilt es, ihnen Techniken an die Hand zu geben, mit denen sie vorhandenes Wissen aktivieren und neue Ideen (auch sprachlicher Art) individuell oder FLIIL 30 (2001) 242 Sven-Holger Hahn Canevas d'invention (1) Phase descriptive (2) Phase narrative/ dramatique ~ ~ (la) Decor (1 b) Personnages (2a) Evenements (2b) Incidents Abb. l Obwohl sich die Phase (1) tendenziell vor der Phase (2) befindet, lässt sich eine exakte chronologische Anordnung der einzelnen Elemente m.E. nicht mit ihrem offenen Charakter vereinbaren. Sie richtet sich u.a. nach dem Handlungsrahmen/ lieu-theme, nach dem Schwierigkeitsgrad bzw. der inneren Logik der Übungen und nach der zur Verfügung stehenden Zeit, kann aber auch durch Zufallskarten herbeigeführt werden, die die lineare Entwicklung und das erreichte Gleichgewicht immer wieder durchbrechen. Die Anordnung der o.g. Phasen gehört ebenso zu den didaktisch-methodischen Entscheidungen, die im Vorfeld einer SG gemeinsam mit den Schülern getroffen werden, wie die Auswahl eines lieu-theme. Dabei sind Optionen sowohl zeitlicher als auch räumlicher Art denkbar: Die SG können in der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft, in einer realen französischen bzw. frankophonen oder imaginären Umgebung angesiedelt werden. Die option realiste bietet zweifelsohne den Vorteil, reale kulturelle, geographische, politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche, etc. Aspekte (anhand von authentischen Materialien) zu integrieren, und kann somit beispielsweise der Vorbereitung auf einen Schüleraustausch dienen oder von Brieffreundschaften bzw. Video- und Internetkonferenzen mit einer Partnerklasse begleitet werden (Yaiche 1996: 139). Mögliche Gefahren liegen allerdings im Streben nach möglichst perfekter Konformität, die jegliche Spontaneität untergräbt, so dass Abweichungen vom Gewöhnlichen, die deshalb nicht weniger real sind, immer mit berücksichtigt, jedoch nicht systematisiert werden sollten. Die option de l' imaginaire absolu hingegen empfiehlt sich insbesondere für den Literaturunterricht. Im Voraus geplant werden müssen ferner das Gesamtstundenvolumen und die Stundenverteilung. Eine 'intensive' Simulation erstreckt sich über einen zusammenhängenden Zeitraum und erlaubt somit eine kontinuierliche, der Kohärenz der invention und dem Gruppenklima förderliche Entwicklung (z.B. während einer Projektwoche). Eine 'extensive' Simulation ist möglich als Ergänzung zum 'normalen' Unterricht. Bei der 'gemischten' Simulation schließlich werden Lehrbucharbeit und SG miteinander verwoben, d.h. einzelne Elemente aus verschiedenen Lektionen werden zu einem imaginären Universum zusammengefügt, wobei das Lehrbuch als Quelle für sprachliches und kulturelles Material fungiert (Yaiche 1996: 154). kollektiv generieren bzw. strukturieren können. Yaiche (1996: 113 ff) unterscheidet vier Gruppen: Animations-, Argumentations-, Imaginations- und Erzähltechniken sowie Techniken zur Organisation von Gruppenarbeit. lFLllL 30 (2001) Simulations globales als offenes Unterrichtskonzept für das Fach Französisch 243 Was die Einrichtung des Klassenraumes anbelangt, scheint eine streng ritualisierte Zweiteilung sinnvoll: ein leerer Raum für Rollenspiele (der Übergang steht für die Annahme einer neuen Identität) und, klar getrennt davon, Tische und Stühle, die nach den jeweiligen Erfordernissen der übrigen Aktivitäten (Vor- und Nachbereitung der Rollenspiele, kreativ-gestalterische Aufgaben, Reflexion über Sprache, etc.) arrangiert werden (Yaiche 1996: 110 f). Die Lehr-/ Lernmittel und die archivierten Schülerarbeiten sollten jederzeit zugänglich sein. Archiviert werden sämtliche Gruppenentscheidungen, z.B. die Beschreibung der räumlichen Gegebenheiten/ der fiktiven Identitäten, sowie das entsprechende Vokabular (auto-dictionnaire ). Dabei stellt sich die organisatorische Frage, ob und inwieweit die Verantwortung für diese Dokumentensammlung (das Gerüst der invention) in die Hände (einzelner oder mehrerer) Schüler gelegt wird, denn sie verlangt Entscheidungen, die das Gruppenklima nachhaltig beeinflussen können (Selektion, Evaluation, Korrekturen, etc.). Andererseits wäre eine lehrerzentrierte Organisation kaum mit der anzustrebenden Lernerautonomie vereinbar und im Übrigen viel zu zeitaufwendig. Aus diesem Grund ist es unerlässlich, die Schüler behutsam, d.h. zunächst unter Anleitung des Lehrers an diese Aufgabe heranzuführen, und gleichzeitig für alle einsichtige Bewertungskriterien zu entwickeln (Yaiche 1996: 112). Dazu gehört auch die Auswahl der ggf. selbst hergestellten Poster, Fotos, Karten usw., mit denen der Klassenraum dekoriert wird, um die Phantasie anzuregen und das Sich-Einlassen auf die Simulation zu erleichtern. Neben den archivierten Kollektivarbeiten führt jeder Schüler ein persönliches cahier d' invention. Ob der mitunter starken emotionalen Bindung an das gemeinsame Projekt und an den mittlerweile lebendig gewordenen Figuren erfordert das Ende der SG eine besonders sensible Planung (Yaiche 1996: 144 ff). Die wohl radikalste Lösung ist eine unwiderrufliche, tragische Katastrophe. Daneben ist auch ein Zeitsprung in die Zukunft denkbar. Am sinnvollsten erscheint mir jedoch die Anbindung an ein „reales" Projekt: der Besuch eines (oder des simulierten) französischen Dorfes, ein Schüleraustausch, eine Theateraufführung, eine Ausstellung, etc. 4. Simulations globales in einem offenen Französischunterricht Die SG tragen m.E. in besonderem Maße dazu bei, den im nordrhein-westfälischen Lehrplan für das Gymnasium (Sekundarstufe 1) geforderten unterrichtsgestalterischen Leitgedanken der Kommunikationsorientierung mit dem Ziel „der Befähigung zum intentionsadäquaten, sach- und situationsgerechten Handeln in realen Kommunikationssituationen" (Kultusministerium des Landes Nordrhein-Westfalen 1993: 62) sowie der Lernerorientierung, wonach die Schüler „auf der Basis des Lehrprozesses ihre eigenen Lernprozesse gestalten und ihre kognitiven Strategien in kreativ-konstruktiver, problemlösender Weise in den Lernprozeß einbringen" (ibid.), gerecht zu werden. Dies wird vor allem im hieraus abgeleiteten unterrichtsmethodischen Prinzip der Schülerorientierung deutlich: JFLUJJL 30 (2001) 244 Sven-Holger Hahn - Förderung eigenverantwortlichen und selbstgesteuerten Handelns im Unterricht im Sinne des individuellen und kooperativen Lernens und Übens; - Schaffung von Freiräumen für ungeschützte sprachliche Interaktion, für Probehandeln, Eigeninitiative und Kreativität; - Schaffung von Sprechanlässen, die den Übergang von sprachbezogener zu mitteilungsbezogener Kommunikation ermöglichen (Kultusministerium des Landes Nordrhein-Westfalen 1993: 63). Ein weiteres Prinzip, das die SG in nahezu idealer Weise umsetzen, ist die integrierte Schulung der kommunikativen Fertigkeiten, wenn es um „die Einübung angemessenen sprachlichen Handelns in simulierten Realsituationen" geht (Kultusministerium des Landes Nordrhein-Westfalen 1993: 65 [Hervorhebung von mir]). Ähnliche Grundsätze für die Gestaltung von Lernprozessen finden sich auch im nordrhein-westfälischen Lehrplan Französisch für die Sekundarstufe II, wobei die SG insbesondere den Prinzipien der Authentizität und des integrierten Sprach- und Sachunterrichts im Rahmen komplexer Lehr- und Lernsituationen entsprechen. Wenn die SG dennoch relativ selten ihren Weg in bundesdeutsche Klassenzimmer finden, dürfte dies in erster Linie gerade in der Sekundarstufe I an der einseitigen Orientierung am Lehrwerk mit seinen engen Vorgaben liegen, und das, obwohl sich der Lehrplan dafür ausspricht, dass die Unterrichtenden zum Zwecke der Lernökonomie „die Vorgaben des jeweils eingeführten Lehrwerkes kritisch überprüfen und gegebenenfalls verändern bzw. ergänzen" (Kultusministerium des Landes Nordrhein-Westfalen 1993: 66). Da es weder wahrscheinlich noch wünschenswert ist, völlig auf den Einsatz von Lehrwerken zu verzichten (Vergleichbarkeit der Schüler eines Jahrgangs, Arbeitserleichterung für Lehrer und Schüler, Orientierungshilfe nach innen und außen usw.), gilt es, einen lehrwerkzentrierten Unterricht für die Prinzipien der SG zu öffnen. In der Praxis haben sich diesbezüglich zwei Modelle herausgebildet. Der erste Typus ließe sich mit Yaiche (1996: 154) umschreiben als parenthese heureuse dans un univers scolaire de grise routine. Dabei handelt es sich um einen projektartigen, zeitlich begrenzten Einschub der SG in den Unterrichtsalltag ohne jeden,Bezug zum Lehrwerk: Unter Berücksichtigung der groben Phasierung werden ausgewählte mündliche und schriftliche Aktivitäten durchgeführt und bisweilen in ein „reales" Projekt überführt. Die Erfahrungsberichte, die sich auf Lerner unterschiedlicher Niveaus und Schulformen, aber allesamt auf L'Immeuble beziehen, fallen durchweg positiv aus (Sturzebecher-Thermann 1994; Krey 1994; Janz/ Münchow/ Piontek 1994). lmaffektiven Bereich geben die Autoren einhellig an, dass die Schüler die Möglichkeit zur Eigeninitiative und Mitbestimmung als Befreiung empfunden hätten und mit deutlich mehr „Spaß", "Freude", "Eifer", "Motivation", "Selbstvertrauen" usw. an die Sache gegangen seien. Dabei hätten sie sich in hohem Maße mit den selbst erschaffenen Personen identifiziert, zumal diese ihrer eigenen Lebenswelt entsprungen seien (Krey 1994: 17 f; Janz/ Münchow/ Piontek 1994: 26). Auf der sozialen Ebene habe sich das Verhältnis zwischen den Schülern (Krey 1994: 19), aber auch zwischen Lehrerund Schülern (Janz/ Münchow/ Piontek 1994: 26) deutlich verbessert. Was die sprachliche Arbeit anbelangt, hätten die Schüler „schneller und besser gelernt" (Janz/ Münchow/ Piontek 1994: 24), wobei insbesondere die mündliche lFlLIIL 30 (2001) Simulations globales als offenes Unterrichtskonzept für das Fach Französisch 245 Kommunikationsfähigkeit verbessert worden sei: Die Schüler hätten sich „sprachlich befreiter und kreativer" (Krey 1994: 19) gezeigt und sowohl im Gespräch untereinander als auch in der „hitzigen Diskussion" des Rollenspiels die französische Sprache benutzt (Krey 1994: 18). Dabei hätten sich die „Mini-Dialoge" als Vorstufe für freieres Sprechen vor allem bei der Binnendifferenzierung einer heterogenen Lerngruppe bewährt (Janz/ Münchow/ Piontek 1994: 26). Einig sind sich die Lehrer aber auch, dass ein solches Projekt wegen eintretender Ermüdungserscheinungen (vor allem während der langen Beschreibungsphasen) nicht über den beschriebenen Zeitraum von ein bis zwei Monaten hinaus ausgedehnt werden sollte. Dies widerspricht eindeutig den Vorstellungen der Urheber der SG, deutet aber auch an, dass die positiven Ergebnisse evtl. nur aufgrund der Attraktivität des Neuen erzielt werden konnten. Zweifellos konnte hier eine besondere emotionale Bindung an die Projekterfahrung angebahnt werden die Schüler verlangten schon bald nach einer Fortsetzung (Sturzebecher-Thermann 1994: 13) -, die Gefahr ist jedoch groß, dass der Lernfortschritt „verpufft", wenn es bei einem einmaligen, isolierten Erlebnis bleibt, das von den Schülern als „Ausnahmesituation" erfahren wird und womöglich noch in Konkurrenz zum Lehrbuchunterricht steht "Die Parallelklasse ist schon zwei Kapitel weiter! "). Hinzu kommt, dass die SG in den hier beschriebenen Fällen schon aufgrund des Zeitmangels weniger zum Erlernen der Fremdsprache eingesetzt werden, sondern zum Transfer an anderer Stelle erworbenen Wissens. Dies mag für den weiteren Fremdsprachenunterrichtkurzfristig motivierend wirken, schöpft aber m.E. die Kapazitäten des Ansatzes nur ungenügend aus und schließt nicht aus, dass für den Rest des Schuljahres an einem geschlossenen Unterrichtskonzept festgehalten wird, wohingegen das Projekt im wahrsten Sinne des Wortes ich denke vor allem an die Bewertungsrelevanz folgenlos bleibt. Alternativ sind daher Modelle entstanden, die Lehrwerk und SG miteinander verknüpfen. I. Schiffler (1996) berichtet von einem Unterrichtsversuch, bei dem die Schüler über einen Zeitraum von drei Jahren (9.-11. Klasse) Lehrbuchlektionen und -übungen in ein selbst gewähltes lieu-theme (Martinique) mit selbst erfundenen Identitäten integrierten und die eigenen (korrigierten) Textproduktionen in einem illustrierten Heft dokumentierten. Schon bei der Ausgestaltung der Figuren diente das Klett-Lehrwerk Etudes Franr; aises 3-Edition Langue als inhaltliche und sprachliche Anregung; Informationen über die Insel erhielten die Schüler aus (selbst angeforderten) Reiseprospekten. Ein ähnliches Vorgehen wählten Sippel/ Wagner (2001) für den gymnasialen Anfangsunterricht. Als Folie für die sukzessive Ausgestaltung und Animation des Mikrokosmos rue Daguerre im Laufe des 7. Schuljahrs diente hier das Klett-Lehrwerk Decouvertes ]- Serie verte. Wie das Unterrichtsexperiment zeigt, können bei einer gewissenhaften und realistischen Planung, die durch die Lehrwerkprogression begünstigt wird, selbst mit bescheidenen sprachlichen Mitteln anspruchsvolle und motivierende Aktivitäten praktiziert werden. Die Vorteile der Integration von SG und Lehrwerk liegen auf der Hand: Themen und Texte des Lehrwerks werden mit einem „roten Faden" versehen und als Vorlagen für schülerorientierte Aktivitäten umfunktioniert, wobei das betreffende Vokabular sowie die sprachbezogenen Übungen bereits vorliegen. Allerdings zeigt sich, FLlllL 30 (2001) 246 Sven-Holger Hahn dass die didaktische Reduktion der Lehrwerke der Prominenz extensiver Wortfelder bei den SG zuwiderläuft (Sippel/ Wagner 2001: 83). Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass allzu krampfhaft versucht wird, die Themen, Orte und Personen (bis zur völligen Unglaubwürdigkeit) in Beziehung zu setzen. Daher sollten die Vorgaben nicht sklavisch befolgt werden, sondern ausreichend Raum für die gemeinsame Gestaltung lassen. Hier knüpfen Bemühungen an, die einzelnen Lernjahre des Französischunterrichts auf der Basis der den SG zugrunde liegenden Prinzipien als Abfolge offener Themenmodule "Lerneinheiten") zu konzipieren (Rattunde 1995; 1998; 1999). Im Rahmen des Forschungsprojekts FLuG "Fremdsprachliches Lernen und Gestalten") der Pädagogischen Hochschule Freiburg wurden zu diesem Zweck Dossiers entwickelt und erfolgreich erprobt, die „typische" Lehrwerkthemen (boum, camping, ecole) aufgreifen, diese nun aber weitestgehend von den Schülern ausgestalten lassen. In ihrer Konzeption ähneln sie damit den unterrichtsbegleitenden Materialien der SG, bieten aber den entscheidenden Vorteil, zielgruppenorientiert zu sein, d.h. die didaktisch-methodischen Hinweise im ersten Teil sowie die Arbeitsblätter im zweiten (neue Vokabeln, spielerische und kreative Übungen zu ihrer Festigung, etc.) richten sich nach den Bedürfnissen von Französischlehrern und -lernern der Sekundarstufe I. Die hier dargestellten Vorschläge zeigen, dass selbst „klassische" Schulbuchsituationen linear aufgebauter Lehrwerke für die Prinzipien der SG geöffnet werden können, selbst im Anfangsunterricht. Um die Mehrarbeit dabei jedoch so gering wie möglich zu halten und somit eine höhere Akzeptanz für offene Unterrichtsstrukturen zu erzielen, scheint eine Neukonzeption der Lehrwerke unerlässlich. Die prinzipielle Abgeschlossenheit der themenzentrierten Unterrichtsbausteine schließt im Übrigen eine altersangemessene Progression in Bezug auf Sprachmittel, Lern- und Arbeitstechniken, interkulturelle Inhalte usw. nicht aus (zunehmende Differenzierung, Komplexität, Dauer, Kognitivierung, etc.). In der Sekundarstufe II gehören Themendossiers zu den üblichen Arbeitsgrundlagen (allein deshalb wäre eine Vorbereitung in der Sekundarstufe I wünschenswert). Mit fortgeschrittenen Lernern lassen sich die SG in ihrer ganzen Komplexität umsetzen, insbesondere auch bei der Behandlung historischer und/ oder literarischer Themen, die z.B. auf der Basis eines umfassenden Quellenstudiums (Wissenschaftspropädeutik) von den Schülern simuliert werden können. 5. Evaluation und Ausblick Wollen wir verhindern, dass uns die französischsprachigen Länder und Regionen dieser Erde bald so fremd sein werden „wie die Äußere Mongolei" (so titelte jüngst die Frankfurter Rundschau), weil trotz aller Bemühungen um ein mehrsprachiges Europa immer weniger Deutsche die Sprache des Nachbarlandes lernen, müssen Wege gefunden werden, neben den politischen Rahmenbedingungen vor allem auch den Französischunterricht, der so manchen Lerner mit einer steilen (Grammatik-) Progression in einem ungünstigen Alter abschreckt, attraktiver zu gestalten. Hier können die SG, eingebettet in ein offenes Unterrichtskonzept, entscheidende Impulse liefern: Anders als eklektische lFJLlllL 30 (2001) Simulations globales als offenes Unterrichtskonzept für das Fach Französisch 247 Verfahren dogmatische gehören hoffentlich endgültig der Vergangenheit an bieten sie den inhaltlichen und methodischen Rahmen, den Schüler und Lehrer im Sinne einer Routinebildung gleichermaßen zur Orientierung benötigen, sind aber gleichzeitig flexibel genug, um Interessen und Bedürfnissen der Lerngruppe zu entsprechen. Sie greifen anerkannte reformpädagogische Bestrebungen wie Projektunterricht, Handlungs- und Produktionsorientierung auf, realisieren diese aber innerhalb des traditionellen Schulsystems. Damit gelingt ihnen in Bezug auf den Fremdsprachenunterricht tatsächlich die „Quadratur des Kreises" (Yaiche 1996: 184). Während nämlich z.B. der Biologielehrer das Objekt für ein Unterrichtsprojekt vor der Schultür findet, ist ein Schüleraustausch mit ungleich mehr Aufwand verbunden und stößt schon bald an (finanzielle/ organisatorische) Grenzen. Soll den Schülern dennoch die (aktuelle und nicht erst zukünftige) Bedeutsamkeit ihrer Lernbemühungen verdeutlicht werden, stellt die Simulation, die im Übrigen die „echte" Handlung (Klassenpartnerschaft per Internet, briefliche Anfragen an Organisationen usw.) nicht ausschließt, eine besonders ökonomische Alternative dar. Indem die Schüler im Klassenraum einen Teilbereich französischer Realität aus eigenen Stücken hervorbringen und animieren, nehmen sie eine Innenperspektive auf die (plötzlich gar nicht mehr so) fremde Kultur ein und identifizieren sich in höchstem Maße mit dem von ihnen geschaffenen Universum (einschließlich der darin lebenden Individuen). Gleiches gilt für die Sprache, die „in einer Simulation das Äußerste an Verbindlichkeit leistet, was jenseits echter Kommunikation im Fremdsprachenunterricht möglich ist" (Zeh 1987: 207). Mit der Eigendynamik, die eine Simulation entfalten kann, sind allerdings auch ganz spezifische Probleme verbunden, die Zeh (1987: 207) als „psychologische und ethische Brisanz" charakterisiert. Auch Yaiche (1996) sieht in den derapages psychodramatiques, die er als perte de controle de l' individu sur ses actes, ses mots et ses emotions (1996: 92) definiert, .eine der Hauptgefahren für die SG und widmet ihnen gleich zwei umfangreiche Kapitel, die bisweilen polemische, zumindest aber stark emotionale Züge tragen: II y a les derapages qui resultent de la pression du groupe pour imposer a un de ses membres un profil particulier, en general peu enviable (ivrogne invetere, salaud notoire, etc.), et ceux qui resultent du masochisme et/ ou de l'exhibitionnisme d'un apprenant qui se sert de la simulation globale pour s'offrir une psychanalyse de groupe a peu de frais, pour prendre a temoin, voire en otage, le groupe et le forcer a ecouter ses epanchements sentimentaux, ses demandes de conseils psychologiques ou ses logorrhees de cafe du commerce (Yaiche 1996: 87). An diese Sorte Schüler denkt Yaiche (1996: 84) wohl auch, wenn er beklagt, dass sie sich hinter der fiktiven Identität verstecken würden, um all das straffrei durchführen zu können, was der Schulkodex unter normalen Umständen verbiete: impolitesse, violence, scatologie, sexe, cris,fous rires, etc. Ein solches Verhalten könne sich aber „in der Hitze des Gefechts" auch unbewusst einstellen, wenn nämlich die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen (Yaiche 1996: 87). Dass derartige Auswüchse auftreten können, soll hier nicht bestritten werden, nur sollten sie m.E. auf keinen Fall zu geradezu absurden, zeit- und motivationsraubenden Sanktionen (Yaiche (1996: 85) schlägt u.a. Prestigepunkte, Gefängnisstrafen (Monopoly! ) und Bußgelder vor) bzw. zu einer uneingeschränkten Lehrerautorität führen (Yaiche 1996: 86). Sie lassen sich aber m.E. JFLJJ.L 30 (2001) 248 Sven-Holger Hahn minimieren, indem die Eigenschaft der SG als 'Metaspiel' stärker in den Vordergrund gerückt wird: Ein Rollenspiel (und nur hier können die beschriebenen derapages auftreten), das auf der 'Metaebene' intensiv vor- und nachbereitet, ja von den Schülern selbst in Szene gesetzt wird, ermöglicht die Distanz zur Rolle, die erforderlich ist, um das Spiel als Spiel (und hier sollte den Schülern tatsächlich weitestgehende „Narrenfreiheit" eingeräumt werden) zu erkennen. Neben einer klaren räumlich-zeitlichen Trennung können weitere Rituale eingeführt werden, die den Übergang von fiktiver zu realer Identität und umgekehrt für jeden sichtbar machen und Missverständnisse ausschließen. Daneben nennt Yaiche (1996: 87 ff) aber auch eine Reihe ernst zu nehmender derapages, die stärker im Wesen der SG begründet liegen. Sie betreffen zunächst einmal die Rollenübernahme als solche, die in keinem Fall erzwungen werden sollte: Autantl'identification a un «autrui generalise», ne pose pas de probleme d'adhesion quand celle-ci se fait d'une fa1,on volontaire, autant l'identification a un groupe designe par l'enseignant peut parfaitement ne pas soulever l 'enthousiasme des eleves; bien au contraire. Car les eleves peuvent ne pas avoir tres envie de se projeter dans «Les Fran1,ais» qui ne representent pas toujours pour eux un modele, un ideal. La «naturalisation» ne se decrete pas par le haut, de fa1,on forcee; il faut rencontrer l' adhesion, le desir d' etre et sans doute aura-t-on interet alors a orienter ! es eleves vers des identifications seduisantes (Yaiche 1996: 79). Da scheint es geradezu paradox, Merkmale wie Nationalität, Alter und Beruf (das Geschlecht sollte m.E. grundsätzlich beibehalten werden), die bei einzelnen Schülern auf große Ablehnung stoßen und eine Blockadehaltung hervorrufen können (Sozialprestige), im Losverfahren gleichsamaufzuoktroyieren. Diese Situation lässt sich m.E. nur dadurch entschärfen, dass die Vorgaben zum einen legitimiert werden (z.B. anhand einer Bevölkerungsstatistik) und zum anderen genügend Raum für eine Ausgestaltung durch die Schüler lassen (die „Rollenkarten", Biographien, Porträts usw. werden ja nichtwie in den angelsächsischen Simulationen vom Lehrer vorgeschrieben, sondern von den Schülern verfasst). Um einem raschen Desinteresse an der selbst geschaffenen Figur vorzubeugen, müssen ferner Optionen offen .stehen, diese im Laufe der Simulation weiterzuentwickeln bzw. durch Angehörige, Bekannte oder Sekundärfiguren zu ergänzen, die helfen können, durch die Außenperspektive eine größere Distanz zur eigenen Rolle einzunehmen. Aber nicht nur die eigene Rolle, sondern auch die Beziehung zu anderen Figuren kann belastend wirken (Verwandtschaft, Bekanntschaft, Gerüchte, etc.). Besonders heikel sind sicherlich existenzielle Tabuthemen wie Arm und Reich, Krankheit und Tod, Liebe und Sex (Werden beim Verfassen des Liebesromans auch Beziehungen zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern bzw. zwischen Jung und Alt zugelassen? ), Glaube und Religion (Darf eine neue Religion gegründet bzw. heidnisches Brauchtum zelebriert werden? ) und selbst die Frage, ob in Anwesenheit eines Lehrers als Autoritätsperson überhaupt gespielt bzw. gelacht werden darf. Sie können sowohl soziokulturell determiniert sein als auch individuelle Gründe haben. Da es nicht im Sinne der SG sein kann, eine heile Welt ohne Konflikte zu simulieren, sollten diese Themen m.E. nicht ausgeklammert, wohl aber mit besonders viel Sensibilität und Fingerspitzengefühl behandelt werden. Hinzu kommt, dass interkulturelles Lernen zwangsläufig die Überwindung eigener Tabus bei gleichzeitiger Akzeptanz von neuen (die der Zielkultur) JFLUIL 30 (2001) Simulations globales als offenes Unterrichtskonzept für das Fach Französisch 249 meint. Eine Simulation bietet nun gerade den Vorteil, neue Kulturtechniken im geschützten Raum zu erlernen bzw. eigene zu relativieren und nicht erst im fremden Land, wo ein Fehlverhalten fatale Konsequenzen haben kann. Das nicht minder gefährliche Gegenstück zu den derapages psychodramatiques bilden laut Yaiche (1996: 92 ff) stereotype Realitätsentwürfe; die er als exces de controle et de raison und caricature realiste de la realite charakterisiert. Damit sind durchaus nicht nur überkommene Klischees von Barett und Baguette gemeint, sondern Vorstellungen, die sich aus den Weltbildern, Interessen, Sehnsüchten, etc. der Schüler ableiten, z.B. ein Haus voller Fußballstars oder amerikanischer Filmhelden. So verständlich diese Schülervorschläge sind, sollten sie m.E. weder unreflektiert akzeptiert noch in einem Handstreich vom Lehrer abgelehnt werden. Vielmehr können Elemente daraus z.B. als Vorlage für Verfremdungen oder für ein selbst entworfenes Prominentenviertel dienen. Im Übrigen sollten die Schüler die Gelegenheit bekommen, im Gespräch mit dem Lehrer bzw. den Klassenkameraden oder durch eigenständige Recherche stereotype Vorstellungen selbst zu erkennen und aus Einsicht zu korrigieren. Allerdings sollte auch keine allzu „normale" Welt entstehen, die schnell uninteressant werden würde und der Realität kaum entspräche. In Bezug auf derapages und stereotypes lässt sich zusammenfassend sagen, dass sie, wenn sie denn aufgetreten sind, nicht voreilig verteufelt, sondern für den Lernprozess nutzbar gemacht werden sollten (Yaiche 1996: 99). Eine dezidierte Kritik zum Thema SG bzw. La Creativite als „alternative Methode" hat Dietrich (1983; 3 1995) vorgelegt. Wenngleich sie (1983: 210) "die Vielfältigkeit der Sprechanlässe und die reichhaltigen Möglichkeiten der didaktischen Auswertung" bewundert und lobend erwähnt, "wie positiv sich die Atmosphäre im Fremdsprachen- Unterricht besonders bei jüngeren Schülern verändert, wie spielerisch, schwungvoll und fröhlich das Fremdsprachen-Lernen in einem solchen Rahmen ablaufen kann", überwiegen doch die Vorbehalte: Auf methodischer Ebene moniert sie (1983: 210) die „Infantilisierung" der Lernenden, die nur die Wahl hätten, sich auf die Lehrerdirektiven einzulassen, d.h. "eine fremde Rolle zu übernehmen", "frei zu assoziieren", "sich spielerisch und 'unerwachsen' zu verhalten", oder aber den Kurs zu verlassen. Dabei würden sie „von der Mitsprache über Verlauf und Inhalt ihres eigenen Fremdsprachen-Lernprozesses ferngehalten". Der letzte Punkt soll hier nicht weiter behandelt werden, da er den offenen Charakter der SG völlig ignoriert. Was den Vorwurf der 'Infantilisierung' anbelangt, so würde ich ihn für den Großteil der sog. alternativen Methoden (die deutlich weniger "spielerisch" anmuten) unterschreiben; in Bezug auf die SG weckt er aber den Verdacht, dass hier unreflektiert Spiel und Kreativität mit Kindheitsstadium und Unreife gleichgesetzt wurden. Die Teilnehmer einer Simulation haben eigenverantwortlich (mitunter sehr komplexe) Probleme zu lösen und erfahren dies gerade nicht als „zweckfreies Spiel" -wie sonst wäre der aktuelle Boom für Management-, Stadtplanungs-, Umweltsimulationen usw. für Erwachsene zu erklären? M.E. sind die SG allemal emanzipatorischer als ein lehrwerkzentrierter Unterricht, da sie die Schüler mit sehr viel weitreichenderen Kompetenzen ausstatten und ihnen nicht erst die „Gesprächserlaubnis" erteilen, wenn alle Strukturen einer Lektion perfekt „sitzen" (Transferphase). Es sei an dieser Stelle ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es nicht darum gehen lFlLuL 30 (2001) 250 Sven-Holger Hahn kann, mit den SG Schüler zu fördern, die besonders originell und spielfreudig sind. Positiv am offenen Unterrichtskonzept ist ja gerade die differenzierende Flexibilität, mit der auf individuelle Lernbedürfnisse eingegangen werden kann (Ansprechen verschiedener Fertigkeiten in durchaus unterschiedlichen Lehr- und Lernformen). Projektunterricht ist anstrengend und benötigt als Ausgleich lehrerzentrierte Phasen, etwa beim Grammatikunterricht. Zu bemängeln ist jedoch, dass die Autoren der SG keinerlei Aussagen darüber machen, wie diese points langue aussehen sollen. Dietrichs (1983: 211) inhaltliche Vorbehalte kristallisieren sich in der Frage: "Besteht nicht gerade die 'Infantilisierung' der Lernenden darin, daß sie auf das Spielerische, Phantastische und Imaginäre verwiesen werden, was das Gegenteil einer politisch verantwortlichen Haltung gegenüber der Realität ist? " Dass dem nicht so ist, beweisen täglich unzählige Literaten, Karikaturisten, Rapper, etc. Was bei den SG zum Probehandeln wird (die Planung einer Umgehungsstraße, die Folgen einer Öltankerhavarie, Konflikte zwischen Mietern verschiedener Nationalitäten usw.), schafft sehr wohl ein Verständnis für die „Probleme unserer Zeit" (die, wenn sie denn gelöst werden sollen, durchaus etwas (mehr) Phantasie vertragen könnten). Im Übrigen gehört das, was Dietrichs hier leichtfertig verwirft, mittlerweile zu den Schlüsselqualifikationen und fehlt in mannigfachen Variationen in kaum einer Stellenanzeige. Im Zuge der flächendeckenden Ausstattung der Schulen mit Computern und Internetanschlüssen werden themenzentrierte Unterrichtsbausteine, wie Rattunde sie vorschlägt, leichter und flexibler realisierbar, und zwar unabhängig davon, wie die nächste Lehrwerkgeneration aussieht. Care (1995: 85 f) berichtet von einer für Le Village entwickelten Software, die die Wahrscheinlichkeit der invention überprüft und ggf. Änderungsvorschläge macht, aber auch Sprachspiele und Lernprogramme anbietet. Am Ende könnte das Lehrwerk dann durch ein individuelles Computerdossier ersetzt werden, das die invention, authentische Materialien, Übungen, Vokabellisten usw. enthält. Dies sind zwar Zukunftsvisionen, aber wie Care (1995: 86) schon sagt: Il y faut le gout du risque et le plaisir du gai savoir. Dies würde ich mir allerdings auch in stärkerem Maße für die Lehrerausbildung wünschen, damit ein vielversprechendes Projekt wie die SG nicht an mangelnder Kompetenz bzw. am Unwissender Lehrer scheitert, die mehrheitlich einen gänzlich anderen Fremdsprachenunterricht „genossen" haben dürften. Literatur BEACCO, Jean-Claude (1985): "Attitudes: Imaginer la realite". In: Le Franr; ais dans le monde 196, 82- 84. BERTRAND, Yves (1974): "Simulation et enseignement des langues". 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