Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
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2002
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Gnutzmann Küster SchrammEin verblassender Mythos: Der philologische Fremdsprachenunterricht oder:
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2002
Sigrid Vogel
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Sigrid Vogel* Ein verblassender Mythos: Der philologische Fremdsprachenunterricht oder: Was man aus dem europäischen Sprachenportfolio für die Fremdsprachenlehrerausbildung lernen könnte Abstract. The author focuses on the European Language Portfolio as a model for language studies in German universities, where philology still dominates the curriculum for future foreign language teachers in schools. She argues in favour of vocationally based studies, concentrating on the student's own language learning process, offering direct experience oflanguage learning. Observation of one's own language leaming process should lead to increased diagnostic capacity and contribute to one's ability to evaluate language learning processes in school. These studies should be accompanied by a portfolio documenting language awareness and personal development of linguistic and communicative competence. Such studies should be organised in modular form in order to guarantee freedom of individual choice, to facilitate cooperation and to create teacher profiles. 0. Vorbemerkungen Hier die Philologie, das „liebende Bemühen um das Wort" (Brockhaus), eine lieb gewonnene, kultivierte und kultivierende wissenschaftliche Tätigkeit, deren Ziel nicht die aktive sprachliche Verfügung über das Sprachsystem ist; daneben die Spracherwerbsbzw. -lernforschung, die durch die Beschreibung und Erklärung von Sprachlernprozessen die Grundlagen schafft, um sinnvoll Lehrprozesse der Spracherlernung zu arrangieren; des weiteren der Fremdsprachenunterricht mit dem Ziel Lernender, eine Sprache als Mittel der Kommunikation in verschiedensten Lebensbereichen nutzen zu können: In diesem Trio wirken die Neuphilologien als nicht mehr so recht in die Zeit passende Erscheinungen. Doch noch immer speist sich die Lehrerausbildung der neueren Sprachen in ihren Inhalten und Methoden vornehmlich aus den philologischen Disziplinen. Besonders spürbar ist dies in der II. Phase der Lehrerbildung, in der die angehenden Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer im Berufsfeld handlungsfähig werden sollen. Bei näherer Betrachtung entpuppt sich das europäische Sprachenportfolio ( Council of Europe 2000) als ein Lehrstück für eine zeitgemäße Fremdsprachenlehrerbildung, denn in ihm verdichten sich wesentliche Qualifizierungsnotwendigkeiten zukünftiger Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer. Damit sie mit dem europäischen Sprachenportfolio Korrespondenzadresse: Dr. Sigrid VOGEL, Leiterin des Studienseminars Göttingen für das Lehramt an Gymnasien, Studienseminar Göttingen für das Lehramt an Gymnasien, Waldweg 26, 37073 GÖTTINGEN. E-Mail: drs.vogel@stud.uni-goettingen.de Arbeitsbereiche: Fremdsprachendidaktik, Fremdsprachen in Schule und Ausbildung, Lehrerausbildung. fl,1.l]L 31 (2002) Ein verblassender Mythos: Der philologische Fremdsprachenunterricht oder ... 65 sinnvoll arbeiten können, muss die I. Phase in dreierlei Hinsicht Verantwortung übernehmen und • das Sprachkönnen der zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer ausbilden und eine hohe Sprachkompetenz garantieren, • die Diagnose- und Interventionsfähigkeiten der zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer ausbilden und sie zur Begleitung von Sprachlernprozessen befähigen, • die zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer systematisch zur bewußten Wahrnehmung eigener Sprachlernprozesse anleiten und Erfahrungen im forschenden Lernen sowie im Projektlernen ermöglichen. 1. Sprachkönnen "Ich habe keinerlei Schwierigkeiten, Sprache zu verstehen, egal ob „live" oder in den Medien, auch wenn schnell gesprochen wird, ich brauche nur etwas Zeit, um mich an einen besonderen Akzent zu gewöhnen. Geschriebene Texte? Ich kann alles mühelos verstehen, auch wenn sie abstrakt oder inhaltlich und sprachlich komplex sind, egal ob Sachbücher, Fachartikel, Literatur. An Gesprächen und Diskussionen kann ich mich beteiligen, auch bin ich mit umgangssprachlichen und idiomatischen Ausdrucksweisen sehr vertraut. Ich kann mich fließend äußern und auch feinere Bedeutungsnuancen genau ausdrücken. Sollte ich Ausdruckschwierigkeiten haben, so kann ich reibungslos wieder ansetzen und umformulieren. Ich kann mühelos und fließend auch längere Ausführungen und Erörterungen machen, meine Darstellung logisch aufbauen, die Zuhörer auf wichtige Punkte aufmerksam machen und mich im Stil der jeweiligen Situation und den Zuhörern anpassen. Ich kann klar, flüssig und stilistisch dem jeweiligen Zweck angemessen schreiben. Ich kann anspruchsvolle Briefe, längere Berichte oder Artikel zu komplexen Fragen veifassen, die einen klaren Aufbau haben und die Leser so führen, daß sie die entscheidenden Punkte eifassen. Ich kann Sachtexte und literarische Werke schriftlich zusammenfassen und besprechen" (vgl. Council of Europe 2000: 15). Wenn die angehenden Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer bei Eintritt in den Vorbereitungsdienst ihre sprachlichen Fähigkeiten so beschreiben könnten, besäßen sie das Kompetenzniveau der Stufe C 2 des Sprachenpasses des europäischen Sprachenportfolios, also ein Niveau, das (idealiter? ) Lehrende fremder Sprachen besitzen müßten, um Fremdsprachen zu unterrichten. Auch wenn durch ein Sprachenportfolio Sprachkompetenznachweise von den Studienanfängern mitgebracht würden, also das Ergebnis schulischen Fremdsprachenerwerbs wären, so ist es doch die Aufgabe der I. Fremdsprachenlehrerbildungsphase, die Fremdsprachenkompetenz festzustellen und gegebenenfalls zu fördern. Nun ist bislang das Erlernen der modernen Fremdsprachen und ihre aktive Beherrschung aus der Sicht der universitären Neuphilologien eine quantite negligeable, und wird illllller noch gern als Übersetzungs- oder Grallllllatikübung der „Sprachpraxis" überantwortet, obwohl der größte „Kundenkreis" der Neuphilologien Lehramtstudierende sind. Da erstaunt es illllller wieder, wie gut teilweise dennoch das Sprachkönnen der Referendarinnen und Referendare in den Fremdsprachen ist. Der Schluß liegt nahe, daß Grundlagen hierfür in den Leistungs- oder Grundkursen der Sekundarstufe II geschaffen ]F][,IUI][, 31 (2002) 66 Sigrid Vogel wurden, in denen teilweise ein recht hohes Sprachkönnensniveau zu beobachten ist. Zudem sind inzwischen längere Auslandsaufenthalte der Studierenden die Regel. Beweist dies aber, daß die Fremdsprachenlehrerausbildung also auf den Studieninhalt „Spracherwerb" verzichten kann? Ich verwende absichtlich den Begriff „Sprachpraxis" 1 nicht, da er im universitären Fremdsprachenkontext eindeutig abwertend gemeint und mit dem Habitus der Neuphilologien verknüpft ist, "der sich (nicht selten) durch seinen bewußt kultivierten Gegensatz zu jeder Form von praktisch verwertbarem Wissen oder Berufsbezogenheit der wissenschaftlichen Lehre auszeichnet" (Zydatiß 1998: 239). Die wichtigste Kompetenz für Fremdsprachlehrende in den Schulen ist ihr Sprachkönnen. Es muß daher obligatorischer Teil des Studiums und darf nicht länger der privaten Initiative der Studierenden überlassen sein, denn es gewährt wertvolle Einsichten in das eigene Sprachenlernen (vgl. 3). Richtungsweisend für Lehrveranstaltungen zur Sprachbeherrschung sollten die Kompetenzstufen des Europäischen Referenzrahmens sein (Europarat. Rat für kulturelle Zusammenarbeit 2001), die von den Studierenden theoriegeleitet und mit Verfahren der Selbstbewußtheit des Sprachlernprozesses erlernt, ausgebaut und evaluiert werden können (Meißner 2000: 127; Meißner [et al.] 2001: 172). 2. Sprachlernprozesse "In jeder Unterrichtsstunde haben es Unterrichtende mit Vermittlungsfragen zu tun. Die Fremdsprachendidaktik erforscht die Interaktion von Lehren und Lernen, Lehrenden und Lernenden, fremden Sprachen und fremden Kulturen auf der Grundlage ausgangssprachlicher oder -kultureller Schemata sowie die institutionellen Zusammenhänge von Fremdsprachenunterricht. Dies betrifft den zentralen Bereich des Berufsfeldes von Lehrenden fremder Sprachen. Von den Gegenständen der Literatur-, Sprach- und Landeswissenschaften ist die Didaktik des Fremdsprachenunterrichts nur über den Vermittlungsaspekt betroffen" (Meißner et al. 2001: 170). Da die Definitionshoheit bei der Festlegung, was das wichtige Wissen für die zukünftigen Fremdsprachenlehrer ist, derzeit immer noch bei den universitären neuphilologischen Fachdisziplinen liegt, nach deren Auffassung schulischer Fremdsprachenunterricht Unterricht vor allem die Aufgabe hat, in die Systematik, Struktur und Methode der Fächer einzuführen2, bleiben aus dem Berufsfeld abgeleitete Studieninhalte der Fremdsprachenlehrerbildung eher chancenlos. Dennoch gilt es, ein solches Ableitungsmonopol nachdrücklich in Frage zu stellen, weil sich neue Inhalte und Anforderungen für das Fremdsprachenlehrerstudium aus den derzeitigen und zukünftigen gesellschaftlichen Herausforderungen gewinnen lassen (vgl. Neveling 2002). In diese Richtung wurde auch auf der im Jahr 1999 begonnenen und 2001 fortgeführten Fachtagung des Landes Niedersachsen in Loccum gedacht, wo versucht wurde, ein Gesamtkonzept für den schulischen Fremdsprachenunterricht in der Bundesrepublik zu entwickeln (vgl. Niedersächsisches Progranunatisch hat Meißner (2002) die Perspektiven einer längst überfälligen Reform der sprachkönnensbezogenen Studienanteile unter dem Aspekt der Qualitätssicherung der sprachpraktischen Ausbildung umrissen. 2 Zur Ableitungsproblematik der Inhalte der Schulfächer vgl. Boenicke (2000: 395). JF[,ll]L 31 (2002) Ein verblassender Mythos: Der philologische Fremdsprachenunterricht oder ... 67 Kultusministerium 2000; Zydatiß 2002: 194). Die Fachtagung Loccum I ließ aber die divergierenden Interessen der an Lehrerbildung Beteiligten mit aller Deutlichkeit zu Tage treten: Durch die höchst unterschiedlichen Perspektiven von Hochschule, Lehrerfortbildung, Elternvertretung, Kultus- und Schulaufsichtsverwaltung auf den Fremdsprachenunterricht konnte keine gemeinsame Sichtweise auf die Sache gefunden werden. Bliesener (2000: 39) kommentiert diese Fachtagung als „schwierig, aber gleichzeitig ertragreich". Eine wirkliche inhaltliche Diskussion gab es erst in Loccum II, als weniger Überlegungen, die Curriculumrevision über die derzeitigen schulischen Organisationsstrukturen zu denken, im Zentrum der Arbeit standen, sondern die für die Schulverwaltung wichtigen Fragen der Fremdsprachenlernauflagen nur ein Thema neben anderen Arbeitsgruppen war: Bilingualer Unterricht, Kommunikation der fremden Sprache (mündlich, schriftlich), Fremdsprachen als integraler Bestandteil der beruflichen Bildung, neue Formen des Lehrens und Lernens, Probleme der Zertifizierung. 3 Sprachenzertifikate können inzwischen im Rahmen des schulischen Fremdsprachenlernens erworben werden. Sie verleihen durch ihre internationale Vergleichbarkeit, d.h. durch den Gebrauchswert der Fremdsprachenkenntnisse und ihren unmittelbar einsichtigen Anwendungsbezug, den Sprachen, die von Abwahl bedroht sind, einen gewissen "Marktwert". So sind für die Französisch lernenden Schülerinnen und Schülerbeispielsweise die Sprachprüfungen DELF und DALF sehr attraktiv und dort investieren sie auch Arbeit. Nun hat Deutschland derzeit ein nationales Bildungsproblem und die Lehrerbildung ist ein Teil dieses Problems. Die Lehramtsstudiengänge der Fremdsprachen werden mit der Hereinnahme anwendungsbezogener Studieninhalte sowohl was das schulische Fremdsprachenlernen der Schülerinnen und Schüler als auch was die Fremdsprachenlehre der Lehrerinnen und Lehrer betrifftauf diese Veränderungen reagieren müssen. Hinsichtlich der in ihren gesellschaftlichen Wirkungen unzeitgemäßen Fremdsprachenlehrerbildung stellt Zydatiß (1998: 232) fest: "In letzter Konsequenz zahlen die Schülerinnen und Schüler, die Eltern, die Wirtschaft (wir alle, ,die Gesellschaft') für ein ineffizientes Lehramtsstudium und eine Fremdsprachenlehrerausbildung, die den jetzigen und zukünftigen Anforderungen an die Tätigkeitsfelder und Qualifikationsmerkmale dieser Berufsgruppe nicht länger gerecht werden". Daß das Berufsfeld der Lehrenden, d.h. der Anwendungsbezug der universitären Lehrerbildung, nicht länger in den Lehramtsstudiengängen ausgeblendet werden darf, legen auch die Ergebnisse der PISA-Studie (Deutsches PISA-Konsortium 2001) nahe. Dabei ist zu fragen, ob in diesem Zusammenhang die Philologien nicht gar in ihrem ureigensten Feld versagt haben, denn wie anders ist der Befund zu deuten, daß trotz der in den universitären Philologien von den Studierenden vorrangig praktizierten Textanalyse das Niveau der Lesekompetenz deutscher Schülerinnen und Schüler im internationalen Vergleich eher niedrig und der Anteil von Schülerinnen und Schülern mit sehr schwacher Bedauerlicherweise waren wie schon bei Loccum I in diesen Kommunikationsprozeß Ausbildende der II. Phase kaum eingebunden. lf1lLlllL 31 (2002) 68 Sigrid Vogel Leseleistung vergleichsweise hoch ist? Die im Philologiestudium erlangten Textanalysefähigkeiten der zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer reichen anscheinend nicht aus, um das Lernen aus Texten und die Informationsverarbeitungskompetenz (Textverstehen) von Schülerinnen und Schülern wirkungsvoll anzuleiten. In der PISA-Studie wird Lesekompetenz „als fächerübergreifende Schlüsselqualifikation betrachtet, für deren Aneignung in der Phase des Schriftsprachenerwerbs die Hauptverantwortung zunächst beim muttersprachlichen Unterricht liegt, die dieser mit zunehmender Schulbesuchsdauer mehr und mehr mit allen anderen Unterrichtsfächern teilt. Spätestens in der Sekundarstufe I ist die Kultivierung des Leseverständnisses Sache aller Unterrichtsfächer" (Deutsches PISA-Konsortium 2001: 21). Da insbesondere auch im Fremdsprachenunterricht das Leseverständnis eine grundlegende Rolle spielt, steht zu befürchten, daß es möglicherweise auch mit der Lesekompetenz der Schülerinnen und Schüler in den Fremdsprachen nicht sehr weit her sein dürfte. Man wird auf die Befunde der von der KMK angeregten und für das Jahr 2005 angekündigten DESI-Studie (Deutsch-Englisch-Schülerleistungen-International) gespannt sein (vgl. Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung, Frankfurt/ Main: www.dipf de). 2.1 Diagnosefähigkeiten Wenn auch die Wirkbedingungen in der PISA-Studie nicht untersucht wurden, so läßt sich aber ein Zusammenhang zwischen der diagnostischen Kompetenz der Lehrenden und der Förderung der Lesefähigkeiten der Schülerinnen und Schüler vermuten (vgl. Deutsches PISA-Konsortium 2001: 120). Zusammenhänge, Wechselwirkungen zwischen unterrichtlichem Handeln und dem Lernen der Unterrichteten erforscht insbesondere die Unterrichtswissenschaft bzw. die empirische Fremdsprachenlehr- und -lernforschung (vgl. z.B. Finkbeiner/ Schnaitmann 2001), deren Ergebnisse und empirische Forschungsmethoden von den Lehramtsstudierenden der Neuphilologien in der Regel jedoch nicht in wünschenswertem Maße rezipiert werden. Dies zeigt sich in aller Schärfe in der II. Lehrerbildungsphase, für die die unterrichtswissenschaftliche Forschung wertvolle, für „das wissenschaftlich begründete Handlungstraining" (Meißner [et al.] 2001: 175) der Lehrenden im Berufsfeld aufschlußreiche Erkenntnisse und unterrichtswirksame Anregungen gibt, die die Auszubildenden der II. Phase aber gerne zugunsten rezeptologischer Empfehlungen erfahrener Praktiker zurückstellen. Mit der Schließung von Lehramtsstudiengängen wegen schlechter Evaluationsergebnisse4 wird überdeutlich, daß sich die universitäre Lehrerausbildung in ihrem Ausbildungsauftrag neu positionieren muß, z.B. durch die Einrichtung von Zentren der Lehrerbildung (vgl. Terhart 2000), als identitätsstiftender Ort mit entsprechenden berufsbezogenen Inhalten, mit Schul- und Unterrichtsforschung und mit Lern- und mit Lehrforschung. Ich benutze bewußt diese Reihenfolge, erst die Lernforschung, dann die Lehrfor- 4 Beispielsweise an der Universität Bonn (Meldung der Süddeutschen Zeitung vom 27.03.2002). IFLllllL 31 (2002) Ein verblassender Mythos: Der philologische Fremdsprachenunterricht oder ... 69 schung, denn professionelles Lehrerhandeln bedarf vor allem der genauen Kenntnis davon, wie Schülerinnen und Schüler lernen, d.h. Lehrerinnen und Lehrer müssen endlich zu Experten des Lernens ausgebildet werden. In dieser Hinsicht hat sich trotz der Entwicklungen in der Lern- und Kognitionspsychologie im Zuge der 30 Jahre nachbehavioristischer Forschung in der Lehrerausbildung letztlich nichts geändert. Die durch die traditionelle Unterrichtslehre suggerierte allmächtige Beherrschung von unterrichtlichen Lernprozessen durch die Lehrenden ist zwar vom Konstruktivismus entmystifiziert worden, hat aber kaum in den Klassenzimmern und in der Ausbildung Platz gegriffen. Noch immer ist die Fremdsprachenlehrerausbildung der II. Phase vornehmlich durch die Zentrierung auf die Lehrenden und die zu lernenden Inhalte geprägt. Damit sich die Lernerzentrierung im Unterricht der Schulen allmählich vollziehen kann, muß die Lernerzentrierung weiterhin Lehr- und Forschungsschwerpunkt bleiben, damit der Blick der angehenden Lehrerinnen und Lehrer auf die Aneignungsprozesse geschärft und ihre Analyse- und Interventionsfähigkeiten in dieser Hinsicht ausgebildet werden. 2.2 Fremdsprachenleistungen und -bewertung « Est-ce correct? » lautet ein traditionsreicher regelmäßiger Beitrag in der Zeitschrift Praxis des neusprachlichen Unterrichts. Diese Rubrik, ein Relikt aus guten alten Sprachrichtigkeitszeiten, ist zwar wohlmeinend als Korrektur- und Entscheidungshilfe für die Lehrerinnen und Lehrer gedacht, sie symbolisiert aber auch die Überbetonung der Sprachkorrektheit besonders im Schriftfranzösischen. Es gibt nun aktuell vielerlei Gründe, weswegen Schülerinnen und Schülern die Lust am Französischlernen abhanden kommt, z.B. die Organisation des Schulwesens, die Fremdsprachenauflagen im Abitur, der allgemeingesellschaftliche Akzeptanzverlust französischer Kultur. Ohne Zweifel spielt aber auch das Korrekturverhalten der Lehrenden eine entscheidende Rolle. Der Fremdsprachenunterricht muß umsteuern, ähnlich wie es der Mathematikunterricht in der Folge der TIMS-Studie, in dem fehlerträchtige Rechenroutinen den Unterricht beherrschten, getan hat. Auch für die Umsteuerung geben die Beschreibungen der Kompetenzstufen des europäischen Sprachenportfolios einen deutlichen Hinweis: Es fehlt bezeichnenderweise die Dimension der sprachlichen Korrektheit. Da Spracherlernen nicht ohne Normenbezug auskommen kann, muß dieser Punkt von der Fremdsprachenlehr- und -lemforschung nachdrücklich an die Verantwortlichen für die Gestaltung von Lehrplänen herangetragen werden, um Entscheidungshilfen zu geben, wie viel sprachliche Unkorrektheit hinnehmbar ist, damit die Darstellung von Sachverhalten als „mühelos" und „fließend" wie in der Kompetenzstufe C2 (vgl. 1) eingestuft werden kann. Es geht um die Gewichtung von quantitativen „Richtig-Falsch-Maßstäben" zu qualitativen „Verständlich-Unverständlich-Maßstäben" und darum, daß die Fremdsprachlehrerinnen und -lehrer nicht mehr länger eine akribische Defizitsondern eine Mut machende Stärkenanalyse betreiben, wie sie die Arbeit mit dem Sprachenportfolio nahe legt (vgl. 3). Wenn im Fremdsprachenunterricht immer noch sehr viel Wert auf Regelwissen und dessen korrekter Anwendung gelegt wird, widerspricht dies der Erkenntnis, dass der Prozeß der Spracherlemung ein dynamischer Prozeß ist und Lemersprachen per defilFLwL 31 (2002) 70 Sigrid Vogel nitionem als sprachliche Übergangssysteme mehr oder weniger stabil und defizitär sind (vgl. ConfaisNogel 1998: 115-132). Erst wenn in der 1. Phase Lehrveranstaltungen zur Lernersprache zum Kerncurriculum gehören, besteht die Chance zu einer grundlegenden Einstellungsänderung der Lehrkräfte dem Fehler gegenüber. Eine solche veränderte Werthaltung bleibt jedoch solange folgenlos für das schulische Fremdsprachenlernen, wie nicht auch Verordnungen und Leistungsbewertungsmaßstäbe im obigen Sinne geändert werden (vgl. u.a. Bleyhl 2001). So stellt Seifert (2001: 45) im Mitteilungsblatt des Landesverbands Niedersachsen des FMF den Fehlerquotienten zur Disposition, indem er fragte: "Kann man, soll man den Fehlerindex abschaffen? " Selbst wenn man sich von der derzeitigen Praxis des „Fehler-Lesens" verabschieden würde, bedeutete dies zwar viel, aber es bliebe ein entscheidendes Hindernis, das im Fremdsprachenunterricht immer noch vorherrschende Unterrichtsskript des fragend-entwickelnden Unterrichtsgesprächs. In diesem Unterrichtsarrangement ist die Vermischung von Lern- und Leistungssituationen die Regel, d.h. die Schülerinnen und Schüler erfahren und bewerten den Unterricht insgesamt als eine Leistungssituation, auch wenn die Lehrenden einzelne Unterrichtsphasen nicht als Leistungssituation, sondern als Erprobungssituation ansehen. Lern- und Leistungssituationen entflechten zu lernen, ist ein wesentlicher zukünftiger Professionalisierungsaspekt der Ausbildung der II. Phase: Unterrichtsphasen müssen von Seiten der Lehrenden eindeutig als Lernsituationen ausgewiesen werden, in denen die Schülerinnen und Schüler probieren, Lösungsansätze entwickeln und verwerfen können und solche Situationen auch von den Schülerinnen und Schülern als Lerngelegenheit identifiziert werden können. „Lernsituationen unterscheiden sich deutlich von Leistungssituationen. Während für gelingende Lernprozesse ein explorativer Umgang mit eigenen Fehlern charakteristisch ist, versucht man in Leistungssituationen einem subjektiv anerkannten Gütemaßstab zu genügen und Fehler nach Möglichkeit zu vermeiden. In Lernsituationen werden Fehler als Grenzerfahrung und Herausforderung gleichzeitig erlebt, in Leistungssituationen sind sie persönliches Versagen. Prüfungen - Tests, Klassen-(Schul)arbeiten und Übergangs- oder Abschlußprüfungen sind typische Leistungssituationen [... ]. Der Unterricht sollte demgegenüber primär ein Ort des Lernens sein" (Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung 1997: 27). Hilfreich sind dafür Unterrichtsskripte, in denen die Erarbeitung von Sachverhalten oder eine Problemlösung z.B. in Gruppenarbeitsphasen verlegt wird. Auch bei Wiederholungen muß für die Schülerinnen und Schüler klar sein, ob sie der Übung oder der Leistungsüberprüfung dienen. Leistungssituationen müssen als solche eindeutig ausgewiesen sein. Möglicherweise sind Vereinbarungen zwischen Lehrenden und Lernenden dafür das einzige wirksame Mittel. Jedenfalls läßt die Implementierung eines solchen Unterrichtskonzepts erwarten, daß dadurch die Angst der Lernenden vor dem Fehler genommen wird, die im schulischen und außerschulischen Kontext so manchen Lernenden „sprachlos" macht. lFILllllL 31 (2002) Ein verblassender Mythos: Der philologische Fremdsprachenunterricht oder ... 71 3. Bewußtheit eigenen Sprachlernens und Portfolioarbeit Die Arbeit mit dem europäischen Sprachenportfolio erwartet von den Fremdsprachenlernenden, daß sie ihren eigenen Spracherlernungsprozeß bewußt wahrnehmen und dokumentieren, eine Fähigkeit, die von den Lehrerinnen und Lehrern angeleitet werden muß. Das Portfolio unterstützt den schwierigen Selbstbeobachtungsprozeß und bietet dazu hervorragende Hilfen, sowohl für die Lernenden, aber gerade auch für die Lehrenden, die mit solcherart systematischer Selbstachtsamkeit bislang weder während des schulischen noch des universitären Lernens kaum Erfahrungen sammeln konnten. Der Mehrwert der Portfolioarbeit besteht in der Prozeßorientierung und der Möglichkeit, Schülerinnen und Schüler zu stärken und zu fördern. Portfolioarbeit bedeutet für die Betroffenen aber auch Mehrarbeit, denn sie sind nicht daran gewöhnt, ihre eigene Lernentwicklung bewußt zu begleiten und geben sich mit kurzfristigen Lernleistungen zufrieden. Das gilt in ähnlicher Weise auch für die Studierenden und Auszubildenden der lehrerbildenden Fächer. Da die Reflexionsfähigkeit jedoch wesentlich zur Entwicklung des beruflichen Selbst der Lehrerin und des Lehrers gehört, sind Erfahrungen mit der Methode der Portfolioarbeit unverzichtbar. Obwohl sie sich prinzipiell mit jedem Lerngegenstand verbinden läßt, bietet sich im Fremdsprachenstudium besonders der Prozeß der eigenen Spracherlernung bzw. die individuelle Lernersprache zur Portfolioarbeit an. So könnten beispielsweise die Studierenden ihr Kommunikationsverhalten in verschiedenen Kommunikationssituationen auf wissenschaftlichem Hintergrund analysieren und dies in einem Portfolio dokumentieren, würden ihre theoretischen Erkenntnisse über Fremdverstehen und interkulturelle Kompetenzen reflexiv an die eigene Erfahrung anbinden und dieses „erfahrungs- und situationsgesättigte Wissen" vermutlich nachhaltiger in ihre Wissensstrukturen integrieren. Hierdurch würde zu einer besonderen Art von language awareness als Selbstregulierungs- und Selbstmanagementprozeß angeregt, ohne die die Fähigkeit lebenslangen Lernens nicht denkbar ist. Da darüber hinaus im Portfolio der eigene Lernfortschritt bei der Spracherlernung selber erfaßt und eingeordnet wird, kann es als Instrument der Selbsteinschätzung auch ein universitäres Sprachkönnenszertifikat (vgl. 1) ergänzen. Portfolioarbeit könnte einen entscheidenden Paradigmenwechsel bewirken, denn durch sie wird das Augenmerk mehr auf Erreichtes gerichtet, weniger auf Defizite. Als Stärkenanalyse fördert sie die Wahrnehmung von Könnensständen und das Selbstbewußtsein der Lernenden. Dies ist von großem Wert für die zukünftigen Lehrerinnen und Lehrern, denn gegenwärtig sind Lehrerinnen und Lehrer sehr viel mehr der Kritik und unterschiedlichen Ansprüchen und Erwartungen ausgesetzt als früher. Deswegen müssen sie die Fähigkeit erlangen, die an sie gestellten Erwartungen konstruktiv zu bearbeiten, um sich selber zu stabilisieren und gleichzeitig kritikfähig zu bleiben. Doch nicht nur deswegen sollten Lehrende ein reflektierendes und reflektiertes Verhältnis zu sich selbst entwickeln: Die bewußte Selbsterfahrung sensibilisiert sie dafür, ähnliche Prozesse bei Schülerinnen und Schülern besser einschätzen und sie zu lebenslangem, selbst initiiertem und weitgehend selbst gesteuertem Lernen befähigen zu können. lFlLwL 31 (2002) 72 Sigrid Vogel Durch Portfolioarbeit sowohl in der I. als auch in der II. Lehrerausbildungsphase können angehende Lehrerinnen und Lehrer sinnvoll in ihrem Prozeß der positiv-kritischen Selbstkonzeptentwicklung unterstützt werden. Nach Dubs (1995: 357) umfaßt das Selbstkonzept eines Menschen "alle Wahrnehmungen. Ideen und Gefühle, die er über sich selbst entwickelt. Oder etwas anspruchsvoller ausgedrückt: Es stellt die kognitive Repräsentanz der eigenen Person dar und umfaßt alle jene Informationen, die von der Person über sich selbst aufgenommen und gespeichert wurden... Selbstkonzepte werden geprägt durch eigene Erfahrungen und Rückmeldungen von sich selbst und von außen (besonders wenn diese von subjektiv als bedeutsam empfundenen Personen stammen, sowie durch persönliche Empfindungen, Interpretationen und Zuschreibungen von Ereignissen)". Das Selbstkonzept Lernender wird durch einige Rahmenbedingungen begünstigt, so müssen die Lernenden beispielsweise überzeugt sein, daß sie von ihren Lehrpersonen unterstützt werden und sie müssen das Gefühl haben, für sich selbst verantwortlich zu sein und etwas zu können. Sie müssen sich selbst realistische Ziele setzen, sich selbst beurteilen und sich selber realistische Anerkennung geben können. Dazu ist Portfolioarbeit geeignet. 4. Modularisierung Da mit der Idee des Portfolios auch die Zielerreichung von Kompetenzstufen verbunden ist, liegt es nahe, über eine Modularisierung des schulischen Fremdsprachenunterrichts nachzudenken, so daß organisatorisch nicht mehr Langzeitlehrgänge den Fremdsprachenerwerb in den Schulen bestimmen, sondern Sprachkurse. Modularisierten Bildungsgänge werden in Deutschland aber derzeit noch mit großen Vorbehalten betrachtet. Zwar sind Module für die Lernenden überschaubar, da sie zeitlich begrenzt und ihre Anforderungen transparent sind, aber sie liegen z.B. quer zu den „normalen" schulischen Organisationsstrukturen und müßten, wollte man sie einführen, ähnlich wie Arbeitsgemeinschaften verwaltet werden. Das Organisationsprinzip der Module könnte in den Schulen die Anwahl mehrerer Sprachen begünstigen und das Prinzip der Mehrsprachigkeit unterstützen. Auch für die I. Phase der Lehrerbildung ist eine modularisierte Ausbildungsorganisation vorteilhaft, da sie der Zersplitterung der Ausbildungswirkungen entgegen wirkt und das derzeitig noch zufällige Nebeneinander der allgemein- und fachdidaktischen sowie der fachwissenschaftlichen Seminare beheben hilft, eine inhaltliche Vernetzung sicher stellt und Kooperationen ermöglicht. Modularisierung meint zunächst nur ein Organisationsprinzip, durch das die Ausbildungsstruktur in überschaubare Einheiten aufgeteilt wird, wobei die einzelnen Module von den jeweiligen Studierenden bzw. Auszubildenden miteinander kombiniert werden können. Entscheidend für die konkrete Zusammenfassung der Module ist die übergeordnete gemeinsame inhaltliche Schnittstelle, der jeweilige zu professionalisierende Qualifizierungsbereich. Im Hinblick auf die zu erwerbenden berufsfeldbezogenen lFJL1UilL 31 (2002) Ein verblassender Mythos: Der philologische Fremdsprachenunterricht oder ... 73 Kompetenzen werden für angehende Lehrerinnen und Lehrer derzeit folgende Qualifizierungsbereiche für wichtig erachtet: Unterrichten, Diagnostizieren, Beurteilen, Beraten, Erziehen, Innovieren, Mitwirken und Managen. Ein sehr konkreter Vorschlag zur Reform der Fremdsprachenlehrerausbildung liegt in dem integrativen Ausbildungskonzept von Königs (2001: 9-37) vor. Sein Kerncurriculum umfaßt folgende Ausbildungselemente: Einführung in die Fremdsprachendidaktik, Fremdsprachenlernpsychologie, Curriculumentscheidungen, Methoden der Fremdsprachenvermittlung, Leistungskontrolle und Testen, Neue Medien im Fremdsprachenunterricht, (Fremd-)Sprachenpolitik, Didaktik der ästhetischen Texte. Hinzu kommen Aufbau- Module, die der Tatsache Rechnung tragen, daß der zukünftige Fremdsprachenlehrer nicht in allen Disziplinen Experte sein kann, z. B. Sachfachunterricht in der Fremdsprache, früher Fremdsprachenunterricht, Neue Technologien und Fremdsprachenunterricht usw. Des weiteren versucht er, Bezüge zur Allgemeinen Didaktik und natürlich zu den Fachwissenschaften herzustellen. Damit trifft er den Kern der derzeitigen allgemeinen Diskussion um die Lehrerbildung, an der die inhaltlich unzusammenhängenden Lehrveranstaltungen, persönliche Präferenzen von Lehrenden und die Beliebigkeit der Inhalte 5 kritisiert wird. Wegen der unterschiedlichen Bedeutung für das Handeln im Berufsfeld sind Module eines Qualifizierungsbereichs danach zu untersuchen, ob sie als Kern- oder als Wahlmodule angeboten werden müssen (vgl. Königs 2001: 31-34). Kern- und Wahlmodule tragen der Auffassung Rechnung, daß es unverzichtbare, d.h. zum Kerncurriculum gehörende (vgl. Oser/ Oelkers 2001: 215-342) und nach Interesse wählbare Ausbildungsinhalte geben sollte. Die Modularisierung ermöglicht darüber hinaus aber auch die Verzahnung der 1. mit der II. Lehrerbildungsphase. So würden je nach Proprium der 1. und II. Phase - Ausbildungsmodule unter einem gemeinsamen Dach, dem Qualifizierungsbereich, aufeinander bezogen und gebündelt werden können. Für den Qualifizierungsbereich „Bewerten" beispielweise würden von der 1. Phase Module zur Theorie der sprachlichen Diagnostik angeboten werden und in der II. Phase würde das Berufsfeld hinsichtlich der in den Schulen praktizierten Bewertung von Leistungsdimensionen der Spracherlernung erforscht und auf die theoretischen Erkenntnisse der 1. Phase bezogen. Module tragen in der II. Ausbildungsphase den Charakter berufsfelderforschender Projekte. Dazu eignen sich in Bezug auf Fremdsprachen neben dem Fremdsprachenunterricht selber z.B. interkulturelle Vorhaben, Austausche (Qualifizierungsbereich „Unterrichten"), die Einrichtung von bilingualem Sachfachunterricht oder der Gebrauch der Fremdsprache als Arbeitssprache 6 (Qualifizierungsbereich „Mitwirken"), die Elternbzw. Schülerberatung In der Selbstevaluation der Grundwissenschaften an der Universität Göttingen z.B. wird von den Studierenden die Ineffizienz des Studiums, die Zufälligkeit der Lehrinhalte und die geringe Orientierung beklagt. 6 In dieser Hinsicht steht Englisch deshalb in der Beliebtheitsskala ganz oben, weil es gebraucht wird. Seinen hervorragenden Stand in den Schulen baut es durch seine Funktion als Arbeitssprache derzeit rapide aus: Über 400 Schulen in der Bundesrepublik verwenden Englisch in bilingualen Kontexten oder als Arbeitssprache im Sachfachunterricht. ]F]Lrui][, 31 (2002) 74 Sigrid Vogel für die Sprachenwahl (Qualifizierungsbereich „Beraten"), fachübergreifendes und fächerverbindendes Lernen (Qualifizierungsbereich „Innovieren"), Leistungsmessung und -bewertung (Qualifizierungsbereich „Beurteilen"). Berufsfelderforschende Module werden sinnvollerweise nach der Leittextmethode gestaltet, ermöglichen den Aufbau erfahrungsbezogenen Wissens und sind nach folgenden Verfahrensschritten gegliedert: Sich informieren bzw. informiert werden durch Informationsbereitstellung im Seminar, Planung des Vorhabens, Erkundung in der Realwelt der Schule, Realanwendung in der Schule, Reflexion und Evaluation im Seminar. Diese Erprobung der Handlungskompetenz im Berufsfeld ist die Grundlage, aus Erfahrungen erfahrungsbezogenes Wissen zu konstruieren und damit eine neue subjektive Theorie von beruflichem Handlungswissen aufzubauen. 7 Da mit den jeweiligen Modulen bestimmte Ausbildungsziele des Qualifizierungsbereichs verbunden sind, können daraus „Studienaufträge" (vgl. Mayr 1997: 90) bzw. Lernaufgaben abgeleitet werden, die von den Studierenden bzw. den Auszubildenden teils angeleitet, im wesentlichen aber in eigener Verantwortung bearbeitet werden, um dadurch die Entwicklung des professionellen Selbst zu fördern. 5. Zusammenfassung In einer zukunftsorientierten Fremdsprachenlehrerausbildung stellt die Sprachlern- und -lehrforschung den unabweisbaren berufswissenschaftlichen Kern dar. Andere Studieninhalte, Literatur, Kultur, Interkulturalität, Medien etc. kommen hinzu. Damit wird sowohl eine hohe Sach- und Fachkompetenz als auch der Berufsfeldbezug sicher gestellt. Im Unterschied zur I. ist die II. Lehrerbildungsphase ein Ausbildungsort, an dem in enger Zusammenarbeit mit dem Ausbildungsort Schule und punktuell mit dem Ausbildungsort Universität durch ein Lehr-Lernangebot die Berufstüchtigkeit von angehenden Lehrerinnen und Lehrern festgestellt und bewirkt werden soll. Für die Fremdsprachenlehrerausbildung liegen bislang keine Festlegungen von Ausbildungszielen mit transparenten Kompetenzstufen vor, an denen die fremdsprachenunterrichtlichen Leistungen angehender Lehrerinnen und Lehrer gemessen werden und anhand derer die Qualifikationen der Lehrerinnen und Lehrer international vergleichbar gemacht werden könnten. Auch dafür können dem europäischen Sprachenportfolio Anregungen entnommen werden. Aus Sicht der II. Lehrerbildungsphase muß die I. Phase ein Kerncurriculum und methodische Standards wie z.B. die Erforschung des Berufsfelds und Projekte anbieten, auf denen die II. Phase aufbauen kann. Durch die Umstellung auf Kern- und Wahlmodule in beiden Lehrerbildungsphasen könnten berufsfeldbezogene Kompetenzen erworben werden mit dem Ziel der Profilbildung der einzelnen Auszubildenden. Die II. Phase würde den Anwendungsbezug des in der I. Phase Erlernten verstärken und das noch 7 Diese Modulgestaltung, die das Erforschen der Berufspraxis betont, ist im Kontext der Aktionsforschung und der Professionsforschung von Alterichter / Posch (1990) zu sehen. lFlL1l! L 31 (2002) Ein verblassender Mythos: Der philologische Fremdsprachenunterricht oder ... 75 theoretisch"träge" Wissen durch situiertes Lernen der Auszubildenden in Handlung überführen (vgl. Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung 1997: 20), um so den Aufbau von Erfahrungswissen aus der Reflexion der Handlungserfahrungen zu ermöglichen. Die Modularisierung der Ausbildung erscheint unter den augenblicklichen Bedingungen der Zweiphasigkeit der Lehrerbildung als die einzige organisatorische Möglichkeit, die Lehrerausbildungsinstitutionen in phasenübergreifenden Projekten zu verknüpfen, zwar nur punktuell, aber mit dem Vorteil für die I. Phase, das Berufsfeld zu erreichen, und mit dem Vorteil für die II. 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