eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 31/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
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Narr Verlag Tübingen
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2002
311 Gnutzmann Küster Schramm

„Zur fachlich adäquaten didaktisch angemessenen Reduktion befähigen und intensiver beraten – auf allen Ebenen!”

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2002
FLUL 
FLUL im Gespräch mit Erdmute Pickerodt-Uthleb
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FLuL im Gespräch mit Erdmute Pickerodt-Uthleb „Zur fachlich adäquaten didaktisch angemessenen Reduktion befähigen und intensiver beraten auf allen Ebenen" Interview mit der Leiterin des Gymnasiums Philippinum Marburg zum Thema Lehrerausbildung * Int.: PISA und andere Studien befassen sich mit Fragen der Lehrerausbildung und kommen zu dem Schluß, daß irgendwas nicht stimmt in der Lehrerausbildung und daß dort etwas verbessert werden muß. Wie sieht das denn aus der Sicht der Schule aus? Sie haben ja mit Referendaren zu tun, Sie haben mit Studierenden zu tun, die mitten in der Lehrerausbildung stehen; teilen Sie diese Einschätzung? P.: Wie so häufig lautet die Antwort ja und nein. Ich denke schon, daß unsere Lehrerausbildung nicht so schlecht ist, wie sie manchmal gemacht wird. Referendare und Praktikanten, die in die Schule kommen, sind in aller Regel sehr motiviert und gut vorbereitet, insbesondere was die fachliche Seite angeht, was ich positiv finde, nicht negativ. Zu wenig vorbereitet sind sie auf die Situation in der Klasse: Wie man vor einer großen Gruppe auftritt, daß man auch für die Schüler erkennbar die Lehrerrolle übernehmen muß. Was man tun kann, wenn Klassen versuchen, dem neuen Lehrer zu zeigen, welche Macht sie haben: "Den oder Die haben wir fertig gemacht! " Wie man mit den zahlreichen, ganz unterschiedlichen Konflikten umgeht, wie man sie schlichtet. Und das alles immer unter der Prämisse, daß die Schüler ja auch etwas lernen sollen, und nicht nur auf sozialem Gebiet. Da liegen Defizite in der Lehrerausbildung. Was hingegen neue, offene, handlungs- und produktorientierte Unterrichtsformen angeht, sind es auch die Referendare, die neue Impulse in die Schulen bringen. Ich lerne viel von ihnen und würde diese Möglichkeit gern auch anderen Lehrern eröffnen. Leider fehlen neben der Zeit institutionalisierte Formen. Auch an dieser Stelle müßte Lehrerfortbildung ansetzen. Int.: Das bedeutet, daß Sie mit derfachlichen Ausbildung, zumindest in der ersten Phase, weitgehend zufrieden sind? P.: Das kann ich aus eigener Kenntnis jedenfalls für das Gymnasium sagen. Da es die große Zeitspanne von neun Jahren umfaßt, verlangt es eben auch ein weitreichendes fachliches Wissen und dazu breitgefächerte didaktische und methodische Kenntnisse und Fähigkeiten. Hinzu kommt der Anspruch der Schulform, der von der altersgemäßen Einführung der Zehnjährigen in fachliche oder fächerübergreifende Themen bis zur Vorbereitung der Oberstufenschüler auf die Fortsetzung ihres Bildungsweges in Universität, Fachhochschule oder einer qualifizierten Berufsausbildung Das Interview mit Frau Dr. Erdmute Pickerodt-Uthleb [= P.] führte Prof. Dr. Frank G. Königs[= Int.] am 4. Juli 2002 in Marburg. lFILlllL 31 (2002) 78 FLuL im Gespräch mit Erdmute Pickerodt-Uthleb reicht. Einer weiteren Verbesserung der fachlichen Lehrerausbildung steht aus meiner Sicht ein innerschulisches Defizit entgegen. Ein derart umfangreicher Bildungsgang wie der gymnasiale, von der Zeit wie vom Anspruch her, bedarf sowohl der Strukturierung als auch einer durchgehenden Linie, eines Curriculums, in dem die Teile aufeinander aufbauen, innerhalb der Fächer und über die Fachgrenzen hinweg. Nur so können von Beginn an Grundlagen gelegt, die später erweitert werden, können zufällige Wiederholungen auch in verschiedenen Fächern vermieden, notwendige Wiederholungsphasen gezielt eingebaut, geeignete Themen multiperspektivisch, also aus der Sicht mehrerer Fächer, angegangen werden. An einer solchen klaren Linie mangelt es, soweit ich sehe, in den fach- und schulforrnbezogenen Curricula und stärker noch über diese hinaus. Das heißt: Es scheint das Einverständnis darüber zu fehlen, daß ein Curriculum in der 5. bzw. in der 1. Klasse oder gar im Kindergarten beginnen und in sich schlüssig bis zur 9., 10., 13. Klasse reichen muß. Solche curricularen Konzepte scheint es z.B. in Schweden zu geben. Vielleicht hat das schlechte Abschneiden bei PISA auch damit zu tun, daß an deutschen Schulen zu wenig perspektivisch gearbeitet, der Lernfortschritt zu wenig geplant und durch gezielte Wiederholungen gesichert und überprüft wird. Int.: Das würde bedeuten: Für die Ausbildung von Gymnasiallehrern müßten wir uns überlegen, ob wir nicht zum Beispiel auch Elemente aus vorangehenden Schulformen bis vielleicht hin zum Kindergarten in die Ausbildung integrieren? P.: Nein, so nicht, Aber Lehrer müssen wissen und also in der Ausbildung erfahren, was Kinder „vor ihrer Zeit" gelernt haben, was man inhaltlich und methodisch voraussetzen, wo man anknüpfen kann und wohin man die Schüler bringen soll. Wir wissen ja gar nicht so genau, was die Universität von uns erwartet. Meine Vorstellung ist die: Grund-, weiterführende und Hochschulen müssen jeweils an den Schnittstellen miteinander ins Gespräch kommen, um ohne jede Wertung mehr voneinander zu erfahren, was gemacht wird, wie und warum es so gemacht wird. Wir hören z.B. oft, Schüler seien nicht studierfähig. Das ist ein Pauschalvorwurf, der so auch nach Aussage der Hochschulen sicher nicht stimmt. Aber es gibt ohne Zweifel Defizite, die über den früher häufig beklagten Mangel an Rechtschreibkenntnissen hinausgehen, z.B. fehlende Lesekompetenz, unzureichende Ausdrucksfähigkeit insonderheit im schriftlichen Bereich. An solchen Defiziten, die wir natürlich auch wahrnehmen, muß gearbeitet werden, hier wie dort. Und darüber müssen wir uns verständigen, ähnlich wie wir es mit Grund- und Mittelstufenschulen tun. Int.: Sie haben vorhin erwähnt, daß Referendare oder auch Studierende nicht auf Konfliktsituationen im Unterricht vorbereitet sind. Das bedeutet, daß der erziehungswissenschaftliche Anteil an der Lehrerausbildung sich umorientieren müßte? Oder müßte er quantitativ verstärkt werden? P.: Ich glaube, er muß sich umorientieren. Von Referendaren oder Praktikanten höre ich, daß sie zu viel „praxisferne Theorie" betrieben, Theorie der Pädagogik, Geschichte der Schule usw. Auch das ist zweifellos nötig, könnte aber vielleicht reduziert werden. Viel wichtiger ist die praxisorientierte Vorbereitung, die zu Recht lFLlllL 31 (2002) „Zurfachlich adäquaten didaktisch angemessenen Reduktion befähigen auf allen Ebenen"... 79 allenthalben gefordert wird. Ich meine, daß der Anteil der Psychologie - Lern- und Jugendpsychologie, pädagogische und Sozialpsychologie erhöht werden muß, damit den angehenden Lehrern klar wird, was auf sie zukommt und wie sie dem gerecht werden können. In den Praxisanteilen der ersten Phase sollten entsprechende Situationen durchgespielt werden. Künftige Lehrer müssen sich auf das einstellen, was Schüler von ihnen erwarten: daß sie sich durchsetzen können, eine laute, deutliche Stimme haben ein wichtiger Punkt-, entschieden auftreten, nicht ungerecht, nicht aus Unsicherheit in einem falschen Sinne „streng", also unfreundlich, distanziert, gar ironisch sind, sich aber auch nicht kumpelhaft anbiedern; daß sie eindeutige (Arbeits)Anweisungen erteilen, klare Forderungen erheben und ihre Erfüllung konsequent verfolgen, daß sie deutlich machen, wie die Rollen verteilt sind. Int.: Wir haben jetzt einerseits über die fachliche Komponente gesprochen, die scheint einigermaßen hinreichend zu sein. Wir haben über die erziehungswissenschaftliche Komponente gesprochen, die scheint quantitativ hinreichend zu sein, müßte sich nach Ihrer Einschätzung jedoch umorientieren. Jetzt gibt es dazwischen die Fachdidaktik als ein Bindeglied. Als Fremdsprachenlehrerin wissen Sie ja auch, daß es da durchaus Bemühungen gibt, dieses Bindeglied herzustellen. Wie schätzen Sie denn die fachdidaktische Komponente in ihrer Wirkung insgesamt ein und welche Voraussetzungen bringen eigentlich Studierende und Referendare mit, was den fachdidaktischen Anteil angeht? P.: Man könnte es sich leicht machen und sagen: Dafür haben wir die zweite Ausbildungsphase und da lernen die Referendare das. Man könnte aber auch fragen: Erst dort? Reicht das? Müssen Lehrarntsstudenten nicht bereits in der ersten Phase mit fachdidaktischen Fragestellungen konfrontiert werden? Wann? In welcher Form? Mit welchem Ziel? Wie wird das mit der fachdidaktischen Ausbildung in der zweiten Phase verknüpft? Ich versuche einmal, von der Aufgabe des Lehrers auszugehen. Sie besteht, schlicht gesagt, wohl darin, Inhalte, auch komplexe, so zu vereinfachen, daß sie an Schüler vermittelbar sind, ohne dabei so viel von ihrer Komplexität einzubüßen, daß sie „falsch" werden. Und das gilt mit zunehmendem Alter der Schüler und steigendem Schwierigkeitsgrad umso mehr. Die Inhalte müssen also so elementarisiert werden, daß sie erweiterungsfähig bleiben, daß nicht auf späteren Stufen des schulischen Bildungsweges völlig neu angesetzt werden muß. Ich habe bisweilen den Eindruck, Studierende befassen sich in der Universität mit sehr speziellen Themen und Gegenständen und versuchen dann in der Schule, diese auf demselben Niveau weiterzugeben. Das funktioniert natürlich nicht. Sie müssen folglich Möglichkeiten einer fachlich adäquaten didaktischen Reduktion kennen lernen, und darin sehe ich eine wesentliche Aufgabe der universitären Fachdidaktik, gerade weil hier der Zusammenhang mit der Fachwissenschaft noch eng ist. Hinzu kommt als andere Aufgabe die, im weiten Feld wissenschaftlicher Inhalte und Methoden, mit denen Studierende durchaus vertraut werden sollten, allmählich solche zu fokussieren, die sie in der Schule brauchen werden. Hier stellt sich dann natürlich die Frage, was Schüler eigentlich lernen sollen oder müssen. JF[,1JL 31 (2002) 80 FLuL im Gespräch mit Erdmute Pickerodt-Uthleb Unsere Lehrpläne sind, zumindest in manchen Fächern, relativ offen. Sie beschreiben Fähigkeiten und Fertigkeiten, die erworben, nennen Themenbereiche, von denen einige verbindlich behandelt werden müssen, die aber nicht vorgeschrieben sind, sondern vom Lehrer oder der Fachkonferenz ausgewählt werden können. So kann man oft gar nicht genau sagen, was Schüler auf jeden Fall lernen und wissen müssen, worauf der nachfolgende Lehrer mit Sicherheit zurückgreifen kann. Um diese Unsicherheit zu begrenzen, aus ihr resultierende, zeitraubende und die Schüler ermüdende Wiederholungen zu vermeiden, brauchen wir 'nach meiner und mittlerweile auch anderer Überzeugung ein „Kerncurriculum", nicht nur länderspezifisch, sondern bundesweit, das verbindliche Mindeststandards festschreibt, an dem Sie und wir uns orientieren können und das auch Studierenden spätestens nach den Schulpraktika erlaubt, aus dem universitären Lehrangebot eine gezielte Auswahl zu treffen. Int.: Was die Standards angeht, müßte man sich ja dann einigen bei der Frage: Wer gibt die Normen vor für diese Standards? Sind das die Schulen mit ihren Lehrplänen? Sind das die Fachwissenschaften, die sagen: Wir entlassen hier keinen Studierenden unseres Faches, der nicht dieses oder jenes gemacht hat? Wo ist da der Orientierungspunkt? P.: Es gibt nicht den Orientierungspunkt. Weder sind wir Zulieferer, noch sind Sie Abnehmer. Sondern wir werden uns der schwierigen Aufgabe stellen müssen, ein durchgehendes Curriculum zu entwickeln; ein begrenztes, aber verbindliches, das Spielraum läßt für anderes, das auch methodisch Freiheit läßt, das aber sagt: Das sind die Dinge, die gewußt und gekonnt werden müssen. Die Grundschule da ist man sich mittlerweile wohl wieder einig muß Lesen, Schreiben, Rechnen vermitteln. Das ist im Moment nach meiner Beobachtung nicht immer oder nicht immer ausreichend erfüllt. Alle stimmen überein, daß die Lesekompetenz steigen muß. Die Fähigkeit, aus Texten Informationen zu entnehmen, gar, wenn diese nicht absolut offenkundig sind, ist zurückgegangen, auf allen Stufen, auch in der Oberstufe. Neben solchen unerläßlichen Grundfertigkeiten gibt es meines Erachtens aber auch Inhalte, über die man sich verständigen muß, Basisinhalte in allen Fächern. Und die müssen in Gesprächen zwischen den Bildungsinstitutionen, aber auch mit den nicht direkt zu diesen Gehörenden ermittelt werden. Der Blick von außen erscheint mir da sehr wichtig. Int.: Lassen Sie uns noch mal auf die Fachdidaktik zurückkommen. Es klang gerade so, daß man das ja auch in der zweiten Phase zu großen Teilen erledigen könne. Soll die erste Phase da nichts machen? P.: Ich meine, die Grundlagen für die zweite Phase müssen in der ersten Phase gelegt werden. Hier müssen Inhalte, Gegenstände, Methoden auf ihren immanenten didaktischen Wert, z.B. Exemplarität, hin befragt werden. Wie das im engeren Sinne, also vor allem methodisch, in der Schule umzusetzen ist, das zu lernen erscheint mir die zweite Phase im ständigen Kontakt mit eigener Praxis besser geeignet. Das geplante Praxissemester strebte ja im Grunde so etwas an, wäre angesichts der Zahl der Studierenden und fehlender Betreuung über einen so langen Zeitraum aber nicht lFLlllL 31 (2002) „Zurfachlich adäquaten didaktisch angemessenen Reduktion befähigen auf allen Ebenen"... 81 realisierbar gewesen. Zudem: Wie hätte das Auseinanderdriften von erster, Praxis- und zweiter Phase vermieden werden können? Wenn man an eine Veränderung oder Neuordnung der Lehrerausbildung denkt, halte ich die enge institutionelle und personelle Verzahnung von erster Phase, Schulpraktika und zweiter Phase für einen, vielleicht den zentralen Punkt. lnt.: Es wird ja im Augenblick diskutiert, ob wir ganz neue Studienformen einführen sollen. Ich erwähne als Beispiel die Diskussion über Bachelor- und Master-Studiengänge. Da gibt es in den unterschiedlichen Bundesländern unterschiedliche Konzeptionen. Einerseits setzen Länder, wie Nordrhein-Westfalen, auf die fachwissenschaftliche Komponente im Bachelor-Studiengang und wollen didaktische, erziehungswissenschaftliche Inhalte im Master-Anteil zur Geltung bringen, andere Bundesländer, wie zum Beispiel Baden-Württemberg oder Rheinland-Pfalz, tendieren dazu, die didaktischen und erziehungswissenschaftlichen Komponenten bereits im Bachelor-Anteil deutlicher zur verankern. Wie schätzen Sie denn die Chancen ein, daß wir mit einer solchen Reform die Lehrerausbildung verbessern können? P.: Dazu habe ich bereits einiges gesagt. Hinzufügen möchte ich: Gegen die allzu frühe Einbeziehung von didaktischen Anteilen spricht, daß die Nähe der Studierenden zur Schule noch sehr groß ist. Sie müssen zunächst Abstand gewinnen, etwa durch ein fachwissenschaftliches Studium, das einerseits im Hinblick auf die spätere Berufswahl offen, also polyvalent, angelegt ist, andererseits Elemente enthält, die auf die Wahl eines Berufes vorbereiten. Damit meine ich in erster Linie Praktika, die Einblick in die Realität eines möglichen künftigen Berufes gewähren. Für die Schule wäre dies das erste, das allgemeine Schulpraktikum, gut vor- und nachbereitet. Der Zeitpunkt dürfte aber, wie gesagt, nicht zu früh liegen. Denn es geht nicht nur darum, daß Studierende lernen, was sie Schülern wie vermitteln können, sondern sie müssen vor allem lernen, in einer anderen Rolle zu agieren. Das ist nicht leicht. Wenn Praktikanten nach kurzer Zeit in die Schule zurückkehren, schlüpfen sie zunächst oft wieder in die Rolle der Schüler, möchten auf der Seite derer sein, zu denen sie doch selbst gerade noch gehörten. Um diesen Rollenwechsel zu erleichtern, sollte man ernsthaft daran denken, von künftigen Lehrern ein Sozialpraktikum zu verlangen, in dem sie lernen, mit Kindern und Jugendlichen umzugehen, erfahren, wie man sich verhalten muß, um diese zu motivieren und bei der Stange zu halten, was man in Konfliktsituationen tun kann. Ein solches Sozialpraktikum könnte dazu beitragen, soziale Kompetenz zu erwerben und zu stärken, Distanz zur Schülerrolle zu gewinnen und sich zugleich der Lehrerrolle zu nähern. Die zu übernehmen fällt Praktikanten und Referendaren, die Erfahrungen in der Jugendarbeit oder mit eigenen Kindern haben, viel leichter, wie man immer wieder beobachten kann. Ich würde also für eine Akzentuierung der fachwissenschaftlichen Ausbildung im ersten Teil des Studiums plädieren, mit fachdidaktischen Anteilen im oben beschriebenen Sinne und im Zusammenhang mit dem ersten Schulpraktikum. Die Beschäftigung mit fachdidaktischen Fragen sollte im zweiten Studienteil intensiviert werden, insbesondere im Hinblick auf die Fachpraktika in beiden Fächern, nicht nur ]FJLIUl]L 31 (2002) 82 FLuL im Gespräch mit Erdmute Pickerodt-Uthleb in einem Fach, wie in der hessischen Prüfungsordnung vorgesehen. Das ist widersinnig und bedarf dringend der Veränderung. Die weitgehende Beschränkung auf didaktische und erziehungswissenschaftliche Inhalte im zweiten, also eventuell dem Master-Teil, hielte ich nicht für sinnvoll. Denn zum einen müssen Studierende, gerade nach den Praktikumserfahrungen, ihre fachwissenschaftliche Ausbildung vervollständigen, zum anderen haben pädagogische und fachdidaktische Inhalte ihre Funktion nicht an sich, sondern im Hinblick auf fachliche Inhalte. Dieser notwendige Zusammenhang muß gewahrt bleiben, kann jetzt von den Studierenden viel bewußter wahrgenommen werden. Int.: Kommen wir noch mal auf die zweite Phase der Ausbildung zurück. Sie haben die Notwendigkeit angesprochen, Universität und Studienseminar mehr miteinander in Kontakt zu bringen. Wie schätzen Sie denn den Kontakt im Augenblick ein? P.: Soweit ich sehe, ist der Kontakt eher lose. Das sind zwei Ausbildungsphasen, die nebeneinander existieren. Das hat zu tun mit der Tradition der Studienseminare, der Rekrutierung ihres Personals aus den Schulen, auch mit Ängsten. Die Studienseminare sehen sich gefährdet. Es war ja lange Zeit nicht klar, ob sie überhaupt erhalten bleiben sollten. Das scheint jetzt sicher zu sein, was ich für absolut wichtig halte. Denn in dieser doch langen, vor einigen Jahren zu Recht auf vier Semester verlängerten Phase müssen didaktische und methodische Fähigkeiten und Fertigkeiten vermittelt werden, und das in der Ernst-Situation der zweiten Ausbildungsphase mit eigenverantwortetem Unterricht der Referendare, also unmittelbarem Praxisbezug. Auf diesen Teil der Ausbildung muß in der ersten Phase hingeführt werden, unter anderem bei der Vorbereitung und Auswertung der Schulpraktika. Und was läge da näher, als hier wie bisher - Lehrer aus den Schulen, aber auch die Studienseminare einzubeziehen, um einen Bruch zwischen erster und zweiter Phase zu vermeiden. Diese ist die Fortsetzung jener, kein Neubeginn. Das muß allen Beteiligten viel deutlicher bewußt werden. Universität, Studienseminare und Schulen müssen kooperieren, um eine fachlich breite, erziehungswissenschaftlich fundierte und zugleich praxisorientierte Lehrerausbildung zu gewährleisten. Das könnte in meinen Augen der Weg zu einer neuen, (noch) besseren Lehrerausbildung sein. Int.: Wie könnte diese Kooperation aussehen? Gemeinsame Lehrveranstaltungen oder ein Curriculum, das so aussieht, daß bestimmte Ausbildungstypen sowohl für die erste als auch für die zweite Phase gemeinsam von Lehrenden aus beiden Institutionen gemacht werden? P.: Gemeinsame Lehrveranstaltungen zur Vorbereitung und Auswertung der Praktika, aber auch Zusammenarbeit in der zweiten Phase zwischen Fachdidaktikern der Universität und Ausbildern an den Studienseminaren. Und das auf der Grundlage eines durchgehenden Curriculums, in dem die Teile aufeinander fußen. Ich möchte das an einem Beispiel illustrieren, das zumindest den Wert von Kooperation deutlich macht. In den „Marburger Propädeutika" für Oberstufenschüler arbeiten bisher in den Bereichen Mathematik, Philosophie, Literaturwissenschaft - Professoren und Lehrer zusammen. Das bietet den Professoren Gelegenheit, sich auf künftige Studienanfänger einzustellen, zu sehen, was man didaktisch und methodisch tun kann, IFL1.! L 31 (2002) „Zurfachlich adäquaten didaktisch angemessenen Reduktion befähigen auf allen Ebenen" ... 83 damit bei den Schülern, vielleicht auch später bei den Studierenden, viel „ankommt". Das erlaubt den Lehrern zu erkennen, auf welchem Niveau sich das abspielt, was nach der Schule kommt, worauf sie ihre Schüler einstellen müssen Int.: Man hört häufig davon, daß Lehrer oder angehende Lehrer im relativ späten Stadium ihrer Ausbildung scheitern und erkennen, daß sie eigentlich für diesen Beruf entweder nicht geeignet sind oder in diesen Beruf nicht wirklich wollen. Welche Mechanismen könnten Sie sich vorstellen, welche Maßnahmen, um das rechtzeitiger zu verhindern? P.: Wir wissen beide, daß die Prüfungsordnung im Anschluß an die Praktika ein Gespräch fordert, in dem der Studierende beraten wird. Hier könnte ihm gegebenenfalls auch gesagt werden: Besser nicht! Solche Gespräche gibt es sicherlich nach dem Blockpraktikum zwischen Studierenden und Betreuern, an die Universität abgeordneten Lehrern, und nach dem Fachpraktikum mit den an der Schule zuständigen Lehrern. Die Schulen sind offiziell, als Institution, nicht involviert. Die Schulleiter unterschreiben lediglich, daß die Studierenden so und so lange hospitiert haben. Sie unterschreiben nicht, daß das erfolgreich, also zumindest „ausreichend" war, aber es wird offenbar so aufgefaßt. Hinzu kommt noch ein anderes Problem. Gerade Studierende, die nicht den Lehrerberuf ergreifen sollten, wissen oft keine Alternative und halten eisern fest an dieser Idee: "Ich möchte aber Lehrer werden. Ich habe das Staatsexamen und damit ein Recht auf Ausbildung." Ich habe Fälle erlebt, wo junge Leute mit hervorragendem Examen an die Schule kamen und für den Lehrerberuf so ungeeignet waren wie überhaupt nur denkbar. Jeder konnte das auf den ersten Blick sehen. Nicht kommunikationsfähig, weder mit einzelnen noch gar mit einer Gruppe, nicht mit Worten und nicht nonverbal. Ich habe mich daraufhin erkundigt und erfahren: Er bzw. sie hatte ein Einser-Examen. " Was? Der will in die Schule? Das geht doch nicht. Aber darauf haben wir ja gar keinen Einfluß. Bei uns war sie sehr gut. Und das haben wir ihr attestiert." Da müssen, meine ich, Bremsen eingebaut werden. Das Problem ist: Eine „Bremse" kann nur ein juristischer Akt sein, z.B. ein Examen. Der Hinweis „Du bist nicht geeignet! " reicht nicht aus, ist nicht justiziabel. Also ein weiteres Examen? Wohl kaum! Zu lösen wäre das Problem meines Erachtens durch eine konsequente Anwendung der Prüfungsordnung. Was mir vorschwebt: Im Anschluß an das allgemeine Schulpraktikum wie die Fachpraktika finden Gespräche statt, die durch die Beteiligung der Ausbildungsinstitutionen, Universität, Schule, künftig vielleicht auch Studienseminar, einen offiziellen Charakter erhalten. Verlauf und Ergebnisse werden in der Akte des Betroffenen festgehalten, gegebenenfalls auch, daß ihm oder ihr (dringend) vom Lehrerberuf abgeraten wurde. Nur: eine solche Akte, eine durchgehende Dokumentation seiner (Lehrer)Ausbildung gibt es meines Wissens nicht. Hier müssen Wege gefunden werden, die Prüfungsordnung wirksam umzusetzen, d.h. den Studierenden rechtzeitig deutliche Hinweise zu geben, wie Fachleute unterschiedlicher Provenienz ihre Berufseignung einschätzen, wie sie - und da liegt ein gewisses Problem zu einem frühen Zeitpunkt ihre Entwicklungsfähigkeit einschätzen, wozu sie aufgrund ihrer Erfahrung raten, wovon sie abraten. Weiche Bedeutung das für ihren JF]LMJL 31 (2002) 84 FLuL im Gespräch mit Erdmute Pickerodt-Uthleb weiteren Ausbildungsweg hat, müssen Juristen festlegen, möglicherweise die Prüfungsordnung entsprechend ändern. Zumindest weiß der Betroffene nach solchen Gesprächen beizeiten, woran er ist. Int.: Würde das nicht doch dafür sprechen, den erziehungswissenschaftlichen undfachdidaktischen Anteil innerhalb der Lehrerausbildung rechtzeitig zu plazieren, damit man angehenden Lehrern möglichst früh signalisieren kann: Vielleicht ist ja der Beruf doch nicht der richtige für Dich? P.: Ja, aber das haben wir doch, zumindest wie bereits angedeutet zu einem Teil. Das Blockpraktikum im Rahmen der Schulpraktischen Studien wird von der Universität organisiert und sehr gut begleitet. Ganz anders das Fachpraktikum, das im Moment noch stiefmütterlich behandelt wird. Es fällt nicht in die Zuständigkeit des Verantwortlichen für die Schulpraktischen Studien, kommt durch·direkten Kontakt zwischen Professoren und Lehrern zustande, mitunter etwas zufällig, wie mir scheint. Je nach Entgegenkommen der Lehrer hospitieren die Fachpraktikanten im Unterricht. Denn laut Prüfungsordnung müssen sie 14 Stunden hospitieren, wenn möglich auch mal eine halten, und das nur in einem ihrer zwei (oder drei) Studienfächer. Das halte ich für absolut ungenügend. Nur wenn man selbst unterrichtet, erfährt man, wie schwer es ist, den fachlichen, den didaktisch-methodischen und den pädagogischen Anspruch in Einklang zu bringen, d.h. die Schüler zu motivieren, ihnen mit viel Geduld und Verständnis zu begegnen, sie aber auch zu fordern, sie vor allem nicht nur zu belehren, sondern zu selbstständigem Arbeiten anzuleiten. Voraussetzung ist fachliche Souveränität. Sie erst erlaubt didaktische und methodische Flexibilität, Eingehen auf Problemlösungsvorschläge der Schüler, die vielleicht nicht direkt zum Ziel führen, aber deren Selbstvertrauen und ihr methodisches Bewußtsein stärken. Studierende müssen ausprobieren, ob sie das können und wollen, ob der Lehrerberuf der richtige für sie ist. Dazu sind Fachpraktika in beiden, manchmal sehr unterschiedlichen Studienfächern, unabdingbar. Int.: Dann kommen wir doch jetzt mal zur Fachdidaktik. Sie haben vorhin noch gesagt, für Fremdsprachen sei das ohnehin noch mal ein Problem. Worin sehen Sie zunächst die besonderen Merkmale von Fremdsprachenunterricht und von Fremdsprachendidaktik? P.: Zuerst zum Fremdsprachenunterricht. Schüler sollen eine Sprache erlernen, also befähigt werden, in dieser Sprache zu kommunizieren. Das bedeutet nach meiner Auffassung nicht nur, sich irgendwie verständlich zu machen, also auszudrücken, was man in einer bestimmten Situation, etwa beim Einkauf, erreichen möchte. Das geht auch gestisch, mimisch, nonverbal und in Grenzen selbst bei einem fehlerhaften Gebrauch der Sprache. Kommunikationsfähigkeit, wie sie der schulische Fremdsprachenunterricht anstreben sollte, heißt meines Erachtens, sich sprachlicher Mittel, die man erworben hat, zu bedienen, sie richtig einzusetzen im mündlichen wie im schriftlichen Gebrauch. Daß man bei einem so hochgesteckten Ziel Abstriche machen muß, und zwar qualitativ wie quantitativ, versteht sich. Aber es sollte doch das Ziel sein, auf das wir zunächst uneingeschränkt hinarbeiten. Um es erreichen oder sich ihm doch möglichst weitgehend nähern zu können, muß der Schüler lFLwL 31 (2002) „Zurfachlich adäquaten didaktisch angemessenen Reduktion befähigen auf allen Ebenen" ... 85 einerseits die sprachlichen Mittel erwerben und andererseits lernen, mit den Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen, auszudrücken, was er sagen will. Also nicht: "Was heißt denn... ? " Und nun wird dieses Wort eingefügt. Sondern die Frage: Was will ich sagen? Wie kann ich das ausdrücken? Ich beobachte oft und werde durch Kollegen darin bestätigt, daß Probleme bei der Textproduktion, die wir von Anfang an üben, ihre Ursache sicher auch in sprachlichen Defiziten haben, mehr noch aber darin, daß die Schüler nicht genau wissen, was sie sagen wollen, also kein muttersprachliches Konzept haben und sich ihrer fremdsprachlichen Möglichkeiten nicht bewußt sind. Sie müssen lernen, nicht Wort für Wort zu übersetzen, sondern ihr Konzept in der Muttersprache so zu variieren, daß es mit den Mitteln, die ihnen in der Zielsprache zu Gebote stehen, übereinkommt, so daß es sprachlich angemessen realisiert werden kann. Dazu muß sich der Fremdsprachenunterricht in der Schule, insonderheit der Anfangsunterricht, zumindest partiell verändern. Er muß noch stärker wieder abrücken von der Vorstellung, seine Aufgabe sei in erster Linie, sprachliche Mittel bereitzustellen, Muster, pattern, die gelernt und automatisiert werden. Natürlich ist auch das nötig. Aber er muß auch neuere lernpsychologische Erkenntnisse einbeziehen: Sprachen lernen als Informationsverarbeitung unter Rückgriff auf Vorwissensbestände, Bewußtmachung des Lernprozesses, Entwickeln von Lern- und Anwendungsstrategien. Ich habe mit großem Interesse einen Ihrer letzten Aufsätze gelesen** und fand meine eigenen Unterrichtsbeobachtungen und -erfahrungen und die meiner Kollegen in vielen Punkten bestätigt. Was bedeutet das nun für die Fremdsprachendidaktik? Künftige Fremdsprachenlehrer müssen demnach nicht allein die Sache, die Zielsprache, sicher beherrschen, sondern sie müssen darüber hinaus deren Struktur, etwa im Kontrast zu ihrer Mutter- oder anderen Sprachen, durchschauen und lernen, solche Einsichten auch ihren Schülern zu vermitteln, ihnen auf dieser Grundlage einerseits Lernstrategien, andererseits das richtige Einsetzen der erworbenen sprachlichen Mittel beizubringen. Int.: Das würde dann aber doch für einen nicht unerheblichen Anteil der Fremdsprachendidaktik an der Ausbildung zukünftiger Fremdsprachenlehrer bereits auf der Universität sprechen? P.: Das scheint mir richtig zu sein. Jemand, der Fremdsprachenlehrer werden will, muß sich selbst des Prozesses des Fremdsprachenlernens deutlich bewußt werden. Den Vorschlag, selbst während des Studiums eine weitere Fremdsprache zu erlernen, halte ich in diesem Sinne für sehr gut. Int.: Sie würden also ganz klar einen Unterschied machen zwischen der Fremdsprachendidaktik auf der einen Seite und der Fachdidaktik anderer Fächer auf der anderen Seite? ** Frank G. Königs: "Mehrsprachigkeit? Ja, aber. .. Lernpsychologische, curriculare und fremdsprachenpolitische Gedanken zu einem aktuellen Thema der Fremdsprachendidaktik" In: französisch heute 33. I (2002), 22-33. FLIJIL 31 (2002) 86 FLuL im Gespräch mit Erdmute Pickerodt-Uthleb P.: Wenn man überlegt, was Studierende an der Universität lernen, so wird es sich in den meisten Fächern um eine starke inhaltliche und methodische Erweiterung des von der Schule mitgebrachten Kenntnisstandes handeln bis hin zu neuesten Forschungsergebnissen und unter Umständen Ansätzen eigener Forschungstätigkeit. Das halte ich für ganz wichtig, denn nur so kann der künftige Gymnasiallehrer, von dem wir hier sprechen, wissen, worauf er seine Schüler vorbereiten muß. Ich sage nicht, was er ihnen bereits in der Schule beibringen soll. Aber er muß einen breiten fachlichen und methodischen Einblick und, soweit möglich, auch Überblick haben. Nur so kann er sich auch nach dem Studium Neues aneignen, selbstständig und in Fortbildungsveranstaltungen, die künftig sicher noch breiteren Raum werden einnehmen müssen. Die für die Schule immer stärker erhobene Forderung, es müsse nicht nur Wissen, sondern auch das Lernen gelernt werden, gilt natürlich für die Universität gleichermaßen. Und ich frage mich manchmal, ob mit dem Drängen auf frühzeitige Einbeziehung fachdidaktischer Anteile nicht möglicherweise eher oder auch das gemeint ist, was verkürzt „Methodenlernen" genannt wird, also sich mit dem Lernen zugleich den Prozeß des Lernens bewußt zu machen, sein eigenes Lernverhalten zu beobachten und zu reflektieren, um Lernstrategien erkennen und entwickeln zu können, was dann - und hier liegt der oder ein Berührungspunkt zur Fachdidaktik auch für die Wissens- und Methodenvermittlung Relevanz gewinnt. Wie sieht es aber nun mit den Fremdsprachen aus? Wie heißt ihr Studiengegenstand? Zum einen ist es die Zielsprache. Ihre Kenntnis muß erweitert und vervollkommnet, muß wenigstens ansatzweise historisch, vor allem aber linguistisch fundiert werden. Da es hier um generelle Fragen des Spracherwerbs geht, wäre womöglich an einen fachübergreifenden, die eigene wie andere Sprachen einbeziehenden linguistischen Studienanteil zu denken. Des weiteren muß der geläufige Gebrauch der Zielsprache geschult werden. Dafür sind Auslandsaufenthalte unentbehrlich. Schließlich ist die Kultur des „Ziellandes" im weitesten Sinne Studiengegenstand, denn die Sprache soll ja nicht Selbstzweck sein, sondern Instrument zur Erschließung der historisch-politischen Realität der Gegenwart und soweit zu ihrem Verständnis nötig - Vergangenheit, der Literatur und Kunst dieses Landes, der Mentalität seiner Menschen. Dementsprechend heißen die Studienfächer ja auch Romanistik, Slawistik usw., umfassen weit mehr als das Sprachenstudium, erfordern nicht nur den Erwerb von fachlich weit gefächerten Kenntnissen, sondern auch von fachspezifischen Methoden etwa der Literatur-, Geschichts-, Politikwissenschaft. Es handelt sich im Grunde um ein Bündel von Studienfächern, die in der herkömmlichen Fächersystematik auf Nationalliteraturen fokussiert sind. Denkbar wäre sicher auch, daß Grundbegriffe der Sprach-, Literatur-, Geschichts-, Sozialwissenschaften generell, also aus Sicht der heutigen Fächereinteilung fachübergreifend vermittelt würden. Das wäre für den Unterricht in der Schule insofern günstig, als die methodischen Ansätze in den unterschiedlichen Sprachen und dazu im Deutschunterricht einheitlicher wären, neben dem Sprachenauch das Sprachlernen komparativ und kontrastiv verstärkt, die Sprachkompetenz generell verbessert werden könnte. Es gibt also um auf Ihre Frage zurückzukommen durchaus Unterschiede zwischen lFL1llL 31 (2002) „Zurfachlich adäquaten didaktisch angemessenen Reduktion befähigen auf allen Ebenen" ... 87 der Fremdsprachen- und der Fachdidaktik anderer Fächer. Interessant finde ich in diesem Zusammenhang den Hinweis schottischer Kollegen: Dort ist man wie fast überall in Europa - Ein-Fach-Lehrer, außer als Fremdsprachenlehrer, der zwei Fremdsprachen zu unterrichten hat. Int.: Sollten wir denn dann zum Ein-Fach-Lehrer übergehen? P.: Das ist eine schwierige Frage. Manches würde einfacher: Unterrichtsorganisation, Lehrerbedarfsplanung. Die Lehrer würden durch die Beschränkung auf ein Unterrichtsfach entlastet. Aber sie betrachten den Unterricht in zwei Fächern als eine wechselseitige Bereicherung und wären mehrheitlich wohl strikt gegen den Ein- Fach-Lehrer. Hinzu kämen weitere Probleme: Lehrer der sogenannten Nebenfächer, die nur mit zwei Wochenstunden erteilt werden, hätten 12 bis 13 Lerngruppen, und das heißt: 300 bis 400 Schüler zu unterrichten. Ihre Erziehungsaufgaben könnten dabei zu kurz kommen, als Klassenlehrer wären sie kaum einsetzbar. Deshalb würde ich, wenn man denn beim Zwei-Fach-Lehrer bleibt, eher dafür plädieren, daß eines der Fächer ein „Hauptfach" sein muß, wie z.B. in Baden-Württemberg. Ob man die gewachsene deutsche Tradition überhaupt aufgeben sollte, bedürfte gründlicher Prüfung unter Einbeziehung der konkreten Erfahrungen in anderen Ländern. Int.: Das bedeutet aber, daß wir im Grunde genommen Abschied nehmen müssen von einem einheitlichen Konzept der Lehrerausbildung an den Universitäten, denn dann scheint es wirklich so zu sein, daß die Uhr für die Fremdsprachen anders geht als für andere Fächer? P.: Im oben angedeuteten Sinne trifft das vielleicht wirklich zu, so daß eine fächerspezifische Differenzierung angemessen wäre. Aber die Lehrerausbildung dürfte auch nicht völlig auseinanderdriften. Int.: Machen Sie noch mal einen Unterschied zwischen den klassischen Fremdsprachen, also den alten Fremdsprachen, und den neueren, was diese Ausbildungsperspektiven angeht? P.: Meinen Sie Latein und Griechisch? Int.: Ja, Latein, Griechisch und Hebräisch. P.: Ja, ich würde da einen Unterschied machen. Die Vertreter der alten Sprachen sagen, sie hätten es insofern leichter, als ihr Wissens-, Themen-, Materialbestand begrenzt sei. Sie nehmen für sich in Anspruch, ihren Studierenden einen Überblick über diesen Bestand zu vermitteln. Das ist in Grenzen sicher möglich, dürfte für die „neuen" Sprachen weit schwieriger sein. Dennoch meine ich, daß auch hier ein "Kerncurriculum" entwickelt und vermittelt werden muß, das Eckpunkte der historischen und politischen Entwicklung, geographische und sozioökonomische Essentials, zentrale, exemplarische Werke der Literatur und Kunst umfaßt. Ich bin mir der Schwierigkeit eines solchen Unterfangens sehr wohl bewußt, halte es gleichwohl für unabweisbar. Schließlich setzt jede auf dem Studium aufbauende Berufstätigkeit einen gewissen, strukturierten fachlichen Überblick voraus. Vom Lehrer wird verlangt, daß er eine Auswahl treffen kann, daß er weiß: Dieser Gegenstand ist geeignet, diese Ziele zu erreichen, diese Fähigkeiten zu vermitteln. Wenn er aber nur über punktuelle Kenntnisse verfügt, kann er nicht sach- und zielangemessen IFLl.lllL 31 (2002) 88 FLuL im Gespräch mit Erdmute Pickerodt-Uthleb auswählen. Hier könnte sicher einiges geschehen, um die Grundlagen für einen guten Unterricht in der Schule zu verbessern. Eine stark landeskundliche, also weniger literarische Orientierung scheint mir aber keine sinnvolle Alternative zu sein. Sogenannte Sachtexte müssen verstanden, Fragen geklärt werden. Aber sie bieten nicht im selben Maße Sprechanlässe wie literarische Texte. Auch einen ziel- und adressatenorientierten utilitaristischen Ansatzz.B. Wirtschaftsenglisch-' halte _ich für zu eng. Ziel der Schule muß es meines Erachtens sein, eine gewisse Breite zu bieten, die erlaubt, später an der einen oder anderen Stelle wieder anzusetzen. Int.: Also ein modifiziertes Konzept von Allgemeinbildung? P.: Im Grunde genommen: ja. Int.: Oder vonfachbezogener? P.: Richtig, von fachbezogener Allgemeinbildung. Es geht doch auch darum, die Ausbildung so lange wie möglich so offen wie möglich zu halten, damit noch viele Wege wählbar sind, diese erst relativ spät in eine bestimmte Richtung führen. In jedem Fall ist eine solche fachbezogene Allgemeinbildung wichtig, ein Grundbestand, der mit Hilfe neuer und alter Medien erweitert, aber eben nicht erst geschaffen werden kann. Dazu reicht neben der Berufstätigkeit einfach die Zeit nicht. Int.: Lassen Sie uns zum Schluß vielleicht auf einige spezifische fremdsprachendidaktische Entwicklungstendenzen zurückkommen und auf die Frage, inwieweit diese Tendenzen die Schule erreicht haben. Sie haben gerade selbst das Internet erwähnt. Welche Rolle spielen die neuen Technologien in der unterrichtlichen Praxis? P.: Sie spielen bisher keine große Rolle, und das hat mehrere Gründe: Die Klassenräume sind nicht entsprechend ausgestattet. Wir verfügen zwar über mehrere Computerräume, die auch für den Fremdsprachenunterricht genutzt werden. Aber das Problem der Geräte- und Netzwerkbetreuung-ist seit Jahren ungeklärt; die Kostenfrage wird zwischen dem Land und dem Schulträger hin- und hergeschoben. Es gibt Ansätze, aber noch keine Lösung. Und PCs sind sehr reparaturanfällig oder richtiger: Schüler verhalten sich nicht wie Erwachsene, die Geräte benutzen, um etwas zu lernen, und sie entsprechend pfleglich behandeln, sondern sie sagen wir erforschen sie und ihre Möglichkeiten, und dabei gehen sie auch schon mal entzwei oder müssen wieder neu eingerichtet werden. Mit den Sprachlaboren in den 70erJahren war das ähnlich. Hinzu kommt, daß.didaktische und methodische Modelle für PC und Internet als Unterrichtsmedien noch nicht ausreichend entwickelt und erprobt, Lehrer auf ihren Einsatz nicht genügend vorbereitet sind. Sie nutzen beides vorwiegend als Hilfsmittel für ihre häusliche Vorbereitung. Aber das wird sich mit dem Eintritt junger Lehrer in den Schuldienst sicher ändern. Int.: Ein anderer wichtiger Aspekt in der fremdsprachendidaktischen Diskussion ist die Diskussion um Mehrsprachigkeit. Sie selbst haben ja hier eine Art Versuch gestartet mit früher Mehrsprachigkeit von Klasse 5 an. Inwieweit halten Sie denn die Mehrsprachigkeitsdidaktikfür ein aus der Praxis gesehen relevantes Thema? P.: Ich halte das für ein ganz relevantes Thema und bin der festen Überzeugung: Wenn wir nicht zur Mehrsprachigkeit erziehen, also die Fähigkeit fördern, sich in einer anderen Sprache nicht nur zu verständigen, sondern einander zu verstehen, unterlFLuL 31 (2002) „Zurfachlich adäquaten didaktisch angemessenen Reduktion befähigen auf allen Ebenen"... 89 schiedliche kulturelle und mentale Gegebenheiten wahrzunehmen, wird es Europa nicht geben und letztlich auch keinen globalen Dialog. Manchmal frage ich mich allerdings auch, ob das wirklich stimmt. Wir haben doch diese lingua franca, diese Form des Englischen, die den Reichtum dieser Sprache erheblich reduziert, ihre strukturellen und lexikalischen Möglichkeiten aber augenscheinlich sehr effizient nutzt. Und wir werden akzeptieren müssen, daß viele Menschen, auch viele Schüler in Deutschland, Frankreich und anderswo sagen: Wenn ich Englisch kann, reicht das. Die Vermittlung dieser Weltverkehrssprache ist folglich unerläßlich. Gleichzeitig aber brauchen wir eine neue Sprachdidaktik, die die Weichen stellt für das Erlernen weiterer Sprachen, für die Sie, auch in Ihrem oben erwähnten Aufsatz, plädieren. Das Englische als erste Fremdsprache bietet dafür vielleicht nicht die günstigsten Voraussetzungen, aber die Macht des Faktischen der reale Bedarf und der Beginn weitgehend mit Englischunterricht in der Grundschule läßt gar keine Wahl. Es kann also nur um eine neue Art des Fremdsprachenunterrichts gehen. Er müßte nach meiner Ansicht von vornherein die Verwandtschaft der europäischen Sprachen in den Blick rücken, zunächst auf der Ebene des Wortschatzes. Modeme Lehrbücher tun das bereits, indem sie neuen Begriffen ihre Entsprechungen in anderen europäischen Sprachen hinzufügen. Die Schüler müssen diese Wörter nicht lernen, können aber die engen Beziehungen zwischen den Sprachen erkennen und sich bewußt machen, daß man sie beim Erlernen einer weiteren Sprache nutzen kann. Aufgabe einer neuen Fremdsprachendidaktik müßte sein, nicht allein die einzelne, die „Zielsprache" ins Auge zu fassen, sondern in einer Art vernetzten Sprachenlemens Parallelen und Unterschiede ins Bewußtsein zu heben, um so das Neue mit den bereits vorhandenen sprachlichen Wissensbeständen zu verknüpfen und den Lernern auf diese Weise zugleich Strategien des Sprachenlernens zu vermitteln. Wir versuchen das, Sie haben es erwähnt, indem an dieser Schule parallel zum traditionellen „grundständigen" Latein alle Schüler Englisch in einem zweistündigen Grundkurs lernen. Etwa ein Drittel der Schüler wählt im 7. Schuljahr Französisch als offizielle zweite, eigentlich dritte Fremdsprache. Sie profitieren deutlich erkennbar von ihren Mehrsprachigkeitserfahrungen, und zwar sowohl vom systematischen Vorgehen in Latein, komparativ und kontrastiv im Verhältnis zu ihrer Muttersprache, als auch vom eher kommunikativ und situativ angelegten Englischunterricht. Das Erlernen einer weiteren Fremdsprache - Spanisch, Italienisch, Russisch, Altgriechisch fällt ihnen offenbar nicht schwer. Ich wäre sehr interessiert an einer empirischen Erhebung darüber, wie sich der Beginn mit Englisch, Französisch, Latein oder Latein und Englisch gleichzeitig auf die Fähigkeit der Lerner zur Mehrsprachigkeit auswirkt. Int.: Da komme ich zum dritten Stichwort, was Sie gerade selbst implizit erwähnt haben: "früher Fremdsprachenbeginn". Fast alle Bundesländer haben sich darauf verständigt, den Fremdsprachenunterricht bereits an der Grundschule beginnen zu lassen. Halten Sie das für sinnvoll? Und in welcher Weise verändert das die Fremdsprachenausbildung etwa am Gymnasium? P.: Die Frage, ob sinnvoll oder nicht, ist vielschichtig. Aber sie hat sich erledigt, denn JFLWL 31 (2002) 90 FLuL im Gespräch mit Erdmute Pickerodt-Uthleb die in die Wege geleitete Entwicklung ist nicht umkehrbar, und das ist, denke ich, auch gut so. Die spezielle Problematik von Migrantenkindern lasse ich hier beiseite. Wichtig ist jetzt, sich über die Ziele des schulischen Fremdsprachenunterrichts klar zu werden und die Anfänge entsprechend zu gestalten. Sie müssen altersgemäß sein, also in der Grundschule wohl auch spielerisch, situativ, aber sie dürfen nicht nur punktuell, zufällig, selbstzweckhaft sein. Will man in den weiterführenden Schulen nicht völlig neu oder gar erst richtig ansetzen, zudem unter erschwerten Bedingungen, weil die primäre Motivation bereits etwas gelitten hat eine vielfach zu hörende Klage-, dann kann auch hier nur ein durchgehendes Curriculum helfen, das für einen der Grundschulsituation angemessenen und zugleich auf Fortführung angelegten Beginn sorgt. Hinzu kommen muß eine entsprechende Ausbildung der Grundschullehrer, die ihre Zeit braucht, aber, wie man hört, bereits in Angriff genommen wird. Int.: Wären bilinguale Ausbildungskomponenten der Ausweg aus diesem Dilemma? Oder der Fachunterricht in einer Fremdsprache? P.: Das ist sicher ein weiterer Ansatzpunkt zur Mehrsprachigkeitserziehung. Auch hier muß man sich fragen, welche Ziele man anstrebt. Mein Ideal ist noch immer, Schüler in die Lage zu versetzen, leichter in einer Fremdsprache zu kommunizieren, auch auf die Gefahr hin, daß das nicht (gleich) fehlerfrei funktioniert. Es geht doch zum einen darum, Texte und mündliche Äußerungen in der Fremdsprache zu verstehen, zum andern um eigene, vor allem mündliche Textproduktion. Jeder, der eine Fremdsprache erlernt hat und mit diesen Kenntnissen ins Ausland kommt, weiß, wie hoch die Schwelle ist, dann anzufangen zu sprechen, obgleich man in der Schule eigentlich gar nicht so schlecht war und auch gut formulieren konnte, wenn man Ruhe, Zeit und Papier hatte. Wir müssen also bereits in der Schule anfangen, auch die Sprech-Schwelle herabzusetzen. Darum bemüht sich natürlich auch der herkömmliche Fremdsprachenunterricht. Durch das sogenannte bilinguale Angebot, den verbindlichen Fachunterricht in einer Fremdsprache, soll eine stärker authentische Situation geschaffen werden, in der es nicht in erster Linie um den Gebrauch der Sprache, sondern gleichermaßen um den Fachinhalt geht, die Sprache zum Instrument wird, Arbeitssprache ist. Da tun sich freilich gleich neue Probleme auf, insonderheit die Gefahr, daß entweder die Fachinhalte oder die Sprache zu kurz kommen, wie Fachlehrer beklagen. Es ist klar: Für einen solchen Fachunterricht in der Fremdsprache müssen die Fachcurricula verändert, dem gleichgewichtigen Ziel der Kommunikation in der Fremdsprache angepaßt werden. Daran wird gearbeitet. Eine weitere Frage: Wer soll, kann solchen Unterricht erteilen? Fachleute mit guten Sprachkenntnissen oder Anglisten, Romanisten usw. mit Fachkenntnissen? Es geht wohl nur, wie die Praxis zeigt, wenn der Lehrer beide Fächer vertritt noch ein Argument für den Zwei-Fach-Lehrer. Aber solche Lehrer müssen entsprechend ausgebildet werden. Hier erwachsen der Lehrerausbildung neue Aufgaben. Trotz aller Probleme: Das „bilinguale" Angebot trifft auf breites Interesse, die Ergebnisse können sich sehen lassen. Aller Anfang ist schwer. Wir sollten den Weg weiter gehen. lFLIIIL 31 (2002) „Zurfachlich adäquaten didaktisch angemessenen Reduktion befähigen auf allen Ebenen"... 9 l Int.: Ja, aus meiner Sicht war es das. Gibt es noch irgend etwas, was Sie unbedingt loswerden wollen? P.: Ja. Ich würde gern noch etwas zu den völlig unzureichenden Bedingungen der Lehrerausbildung in der Schule sagen. Lehrer sind gern bereit, Praktikanten und Referendaren ihren Unterricht zu öffnen, sie als Mentoren bei der Planung und Durchführung eigenen Unterrichts zu unterstützen, Beobachtungen und Erfahrungen mit ihnen zu besprechen. Sie nehmen die zusätzliche Belastung auf sich, weil die jungen Kollegen Hilfe brauchen und weil die Arbeit mit ihnen Anregungen und frische Impulse bietet. Aber: Da sie keine Entlastungsstunden erhalten, fehlt ihnen einfach die Zeit, diese Aufgabe angemessen zu erfüllen. Wegen der hohen eigenen Unterrichtsverpflichtung können sie oft nicht einmal den Unterricht der von ihnen Betreuten besuchen. Nicht besser ist es um die bestellt, die früher Anstalts- oder Schulseminarleiter genannt wurden, heute EG-Fachleiter heißen, was ihre eigentlichen Aufgaben verschleiert. Sie bestehen ja nicht vorrangig in der fachdidaktischen Ausbildung in einem Fach wie etwa die des Deutsch-Fachleiters, sondern in der umfassenden Betreuung von Referendaren aller Fachrichtungen samt Unterrichtsbesuchen, Besprechungen, Gutachten und dazu in der Organisation der zweiten Ausbildungsphase in der Schule. Und das bedeutet vor allem Kooperation mit der Schulleitung und den Kollegen, die viel Geschick und Fingerspitzengefühl für Atmosphärisches erfordert. Ihnen wird oft nicht einmal der Status und damit die Funktionsstelle eines Fachleiters zugestanden, sondern sie werden mit einer dürftigen Zulage zu ihrer jeweiligen Lehrerstelle abgespeist, können sich in Anbetracht ihrer Ausbildungsverpflichtungen auch nicht auf eine schulische Beförderungsstelle bewerben. Diese Zustände sind unhaltbar, bedürfen dringend und rasch der Veränderung, wenn denn die viel beschworene Verbesserung der Lehrerausbildung erreicht werden soll. lFLlllL 31 (2002)