eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 31/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2002
311 Gnutzmann Küster Schramm

Reicht kommunikative Kompetenz allein?

121
2002
Frauke Stübig
flul3110092
Frauke Stübig * Reicht kommunikative Kompetenz allein? Über den Zusammenhang von Fremdsprachen Lehren und Bildung Abstract. This article takes as its starting point the requirements of changes in teacher education. lt surveys the main elements of these changes in order to define what constitutes teacher professionalism today. The next stage clarifies the value and position of teaching methodology in general; then the question of how it can regain a greater degree of significance in the reality of the teaching situation is posed. On the basis of reflections on the relationship between general teaching methodology and the methodology of teaching school subjects, proposals are formulated with regard to methodology models for the teaching of foreign language as school subjects; these proposals relate particularly to the specific contribution of foreign languages to the education of pupils, to the essence of the individual languages in question (which has tobe defined) and to the methodological consequences arising from pupil heterogeneity. 1. Veränderte Lehrerbildung Die Diskussion über Lehrerbildung ist seit einiger Zeit wieder höchst lebendig geworden. Die TIMS-Studie bescheinigte den deutschen Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich einen bescheidenen Rangplatz, was mathematisch-naturwissenschaftliche Kenntnisse betrifft. Nach der Veröffentlichung der für Deutschland niederschmetternden Ergebnisse der PISA-Studie herrscht allgemeine Ratlosigkeit. Die Struktur des Systems, die Curricula, die Inhaltsauswahl und -überprüfung, die Lehrer und ihre Ausbildung, die Schüler und ihr familiäres Umfeld usw., kein einzelner Faktor im Gesamtsystem wird bei der Befragung nach der Teilhabe an der Verantwortung für die allgemeine Misere ausgespart. Diese neue Debatte möge dem Bildungswesen noch lange erhalten bleiben und über die Veröffentlichung der länderspezifischen Ergebnisse intensiviert werden nicht im Sinne von Schuldzuweisungen, sondern im Sinne von sorgfältiger Analyse und Reflexion der Ergebnisse verbunden mit der Absicht, umfassende Veränderungen in der Struktur des Bildungswesens, in Schule und Unterricht und in der Lehrerbildung aller Phasen anzugehen. Nun wußten wir freilich auch schon vor TIMSS und PISA, daß schulische und unterrichtliche Reformen überfällig sind. In den Schulen klagen Lehrende seit gut einem Jahrzehnt über „Mängel an Erzogenheit und Lern- und Verhaltensschwierigkeiten" ihrer Schüler und Schülerinnen (Bohnsack 2000: 64). Die Kindheits- und Jugendforschung hat Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Franke STÜBIG, Univ.-Prof., Universität Kassel, PB ! : Erziehungswissenschaft/ Humanwissenschaften, Nora-Platiel-Str. ! , 34109 KASSEL. E-Mail: stuebig@hrz.uni-kassel.de Arbeitsbereiche: Schulpädagogik mit besonderer Berücksichtigung der Gymnasialen Oberstufe, Schulentwicklung, Neue Formen des Lehrens und Lernens. IFlL1JlL 31 (2002) Reicht kommunikative Kompetenz allein? ... 93 uns seit dem Beginn der 1990er Jahre unermüdlich auf die gesellschaftlichen Wandlungen und die Veränderungen in Kindheit und Jugend aufmerksam gemacht. Bereits 1995 hat die Bildungskommission NRW geradezu beispielhaft diese veränderten „Zeitsignaturen" thematisiert, um sie auf ihre Konsequenzen für Schule, Lernen und Unterricht hin abzuklopfen. Sie hat damit keinen direkten Anpassungsvorgang des Bildungssystems an die sich weiterentwickelnde Gesellschaft gemeint, vielmehr für Veränderungen plädiert, die grundlegende Neuorientierungen voraussetzen. Im Bild vom „Haus des Lernens" ist diese Schule der Zukunft skizziert; mit dem diesem Bild innewohnenden Anspruch ist der Prozeß der Schulentwicklung nicht nur in NRW in seiner Richtung maßgeblich beeinflußt worden. Im einleitenden Absatz zum Kapitel „Lehrerbildung" formuliert das NRW-Gutachten: „Um die Schule der Zukunft gestalten zu können, ist eine Reform der Inhalte und der Organisation der Lehrerbildung erforderlich" (306). Seither ist eine Fülle von Texten erschienen, die sich mit der Reform der Lehrerbildung in allen ihren Phasen beschäftigt. 1 Mehrere Bundesländer ebenso wie die Kultusministerkonferenz der Länder haben Expertenkommissionen eingesetzt, um organisatorische, strukturelle und inhaltliche Veränderungen zu begründen und Handlungsempfehlungen auszuarbeiten. Während die fachwissenschaftliche Ausbildung der Hochschulabsolventen in der Sicht der Gutachten durchgängig als qualitätsvoll eingeschätzt wird, werden im Bereich des erziehungs- und gesellschaftswissenschaftlichen Studiums, der fachdidaktischen Ausbildung und der Schulpraktischen Studien erhebliche Mängel festgestellt. Darüber hinaus zielen, bei allen Unterschieden, die keineswegs nur Details anlangen, alle Gutachten einhellig auf eine Stärkung der pädagogischen, didaktischen und methodischen Fähigkeiten der Lehrkräfte ab. Daß hier einerseits didaktische und methodische Fähigkeiten, andererseits begrifflich davon abgehoben pädagogische Fähigkeiten unterstrichen werden, hängt damit zusammen, daß in der Frage nach der Qualifikation künftiger Lehrerinnen und Lehrer wichtige Aufgaben neben der Gestaltung von Lehr-/ Lernprozessen und deren Auswertung im Innovieren im Sinne von Schulentwicklung gesehen werden und schließlich im Bereich der Erziehung: Da viele Kinder und Jugendliche nur noch unzureichend in lebensweltliche und familiäre Bezüge eingebunden sind, ist es eine wesentliche Aufgabe aller Schulstufen geworden, sozialen Halt und psychische Stabilisierung zu ermöglichen.2 Aus diesen wenigen Blicken auf die Anforderungen an eine veränderte Lehrerbildung zeigt sich, daß die Frage nach der Stärkung der erziehungs- und gesellschaftswissenschaftlichen Professionalität von Lehrern im Vordergrund steht und daß es um umfassendere Reformperspektiven geht, die von der universitären bis zur berufsbegleitenden Vgl. z.B. Gemeinsame Kommission für die Studienreform im Land Nordrhein-Westfalen 1996; HRK 1999; Keuffer/ Oelkers (2001 ); Kommission zur Neuordnung der Lehrerausbildung an Hessischen Hochschulen 1997; Terhart (2000); Wissenschaftsrat 2001. 2 Gerade im Zusammenhang mit der Welle fremdenfeindlicher Übergriffe und Anschläge zu Beginn der 1990er Jahre haben diejenigen, die jetzt sehr stark die Leistungsaspekte von Schule betonen und Bildung mit meßbarem Wissen verwechseln, der Schule die Verantwortung für mangelnden Halt und Instabilität der Jugendlichen angelastet! ]F]Lm, 31 (2002) 94 Frauke Stübig Lehrerbildung reichen müssen. Damit ist einerseits ein quantitativ-zeitlicher Aspekt gemeint, andererseits aber auch im qualitativen Sinn eine bessere Verzahnung der einzelnen Komponenten, die als wissenschaftliche Lehrbestandteile nur miteinander, nicht isoliert in einem Nebeneinander zu einer umfassenden, praxisrelevanten Theorie von Unterricht werden können. Im folgenden wird zunächst versucht, die zentralen Elemente von Lehrerprofessionalität zusammenzustellen, und dann, wie in einem Trichterverfahren, zunehmend zu verengen: erst auf die Allgemeine Didaktik, dann auf die Fachdidaktik sowie die Beziehungen der beiden zueinander und schließlich auf die Erwartungen an die Didaktik der Neuen Sprachen. 2. Was heißt pädagogische Professionalität? Pädagogische Professionalität besteht aus einem breiten Repertoire prinzipiell nicht abschließend erwerbbarer. Wissens- und Könnenselemente, die in einem Verhältnis wechselseitiger Befruchtung stehen. Die Aneignung dieser Wissens- und Könnenselemente ist genuiner Bestandteil aller drei Phasen der Lehrerbildung, ohne daß sie in Ausschließlichkeit hier anzusiedeln wären. Dabei liegt in der I. Phase der Schwerpunkt auf dem Erwerb von Wissenselementen und ihrer reflexiven Verarbeitung. Die Schulpraktischen Studien, Lehrveranstaltungen vom Typus „Forschenden Lernens", insbesondere die methodisierte Rekonstruktion des Sinns schulpädagogischer „Fälle" sind bereits in diesem Ausbildungsstadium Phasen, in denen auch die Anbahnung und Realisierung von Könnenselementen steht, die einerseits Transformationsleistungen bereits erworbenen Wissens aus dem Studium und der Lebenswelt darstellen, andererseits dazu verhelfen sollen, das nachfolgende Studium mit zu strukturieren, d.h. auf die Auswahl weiterer Wissenselemente einzuwirken. In der II. Phase der Lehrerbildung steht die Ausbildung „handwerklichen Könnens" in der Praxis im Zentrum. Zugleich muß diese Phase, stärker als es bislang der Fall sein mag, die Reflexion des eigenen Handelns anbahnen bzw. unterstützen. In dieser II. Phase hat, im Gegensatz zur I. Phase, die spezifische Wissenserweiterung ihren Ort eher in den allgemeinen und fachdidaktischen begleitenden Seminaren. Die III. Phase der Fort- und Weiterbildung sollte, orientiert an den Bedürfnissen der einzelnen Personen bzw. an Teilgruppen von Kollegien und in enger Korrelation zur gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Weiterentwicklung einen berufsbegleitenden Prozeß darstellen. 3 Aus dem inhaltlichen Angebot sollten die einzelnen Lehrer und Lehrerinnen nach ihren persönlichen Bedürfnissen auswählen können; die Inanspruchnahme aber sollte grundsätzlich verpflichtenden Charakter bekommen. Der inzwischen häufiger vorgetragene Vorschlag (vgl. z.B. Keuffer/ Oelkers 2001 ), die Jahre des Berufseinstiegs als Ausbildungsabschnitt eigener Dignität zu bewerten, weil in ihm die professionellen Handlungsmuster nachhaltig ausgeprägt werden, bedeutet für die Nomenklatur der Lehrerausbildung, die Fort-und Weiterbildung als vierte Phase zu bezeichnen. lFLwL 31 (2002) Reicht kommunikative Kompetenz allein? ... 95 Was die inhaltlichen Anforderungen an eine pädagogische Lehrerprofessionalität anlangt, so sind für die I. Phase der Ausbildung zumindest folgende Elemente unumgänglich: - "die Aneignung wissenschaftlichen Fachwissens und fach-wissenschaftlicher Reflexivität; die Aneignung erziehungs-, sozialwissenschaftlichen und psychologischen Wissens und dessen Reflexion; die Aneignung und Reflexion fachdidaktischen Wissens; die Einführung in eine methodisierte Rekonstruktion des Sinns schulisch-pädagogischer Fälle und Praxis, um darüber den Aufbau einer fallverstehenden Kompetenz zu fördern; - Reflexivität bezüglich der eigenen Person, vor allem hinsichtlich der eigenen schulischen Erfahrungen und insbesondere der be_rufsbezogenen Motivation" (Helsper [et al.] 2001) Schaut man in die synoptische Zusammenstellung zur Reform der Lehrerbildung von Szczyrba/ Wildt (2000: 329-331), in der das Spektrum der Empfehlungen abgebildet ist, so zeigt sich, daß unter dem Stichwort Leitbild/ Kompetenzen diese Auswahl von Lernprozessen und Wissenssegmenten relativ einhellig von allen Reforrnkornrnissionen bzw. Expertenräten vorgeschlagen wird. 3. Der Beitrag der Allgemeinen Didaktik Ohne die Bedeutung der anderen Elemente für den Aufbau pädagogischer Professionalität schmälern zu wollen, soll es hier zunächst schwerpunktmäßig um den Beitrag der Allgemeinen Didaktik gehen. Allgemeine Didaktik antwortet auf das permanente Spannungsverhältnis zwischen Ansprüchen und Anforderungen der Gesellschaft an die nachwachsende Generation einerseits und dem Bedürfnis nach Entfaltung und Entwicklung der Subjekte andererseits. Verkürzt gesagt geht es im Interesse der jungen Menschen um eine immer wieder neu zu erzielende Vermittlung zwischen Anpassung und Emanzipation, die sich im Medium unterschiedlicher fachlicher Inhalte abspielt. Das Ergebnis dieses Prozesses heißt in traditionellem Verständnis Bildung. Gegenwärtig wird Bildung allerdings häufig nur in negativen Facetten beschrieben, nämlich seit TIMSS und PISA als Mangel. Auf der Ebene der Ergebnisse von unterrichtlichem Handeln scheint es also um die didaktischen Kompetenzen schlecht bestellt zu sein. Auf der Ebene des Wissenschaftsdiskurses ist es merkwürdig still geworden um die Allgemeine Didaktik. Erst mit der Frage nach einer möglichen Rezeption des Konstruktivismus in die Erziehungswissenschaft (vgl. z.B. Gerstenmaier/ Mandel 1995) ist eine neue Theoriediskussion auch in diesem Bereich in Gang gekommen, deren Schwächen allerdings von Bernhard (1999) und Terhart (1999) herausgearbeitet wurden. Dabei ist insofern eine gewisse Relativierung der Dominanz der Ziel- und Inhaltsfragen der klassischen didaktischen Diskurse zu verzeichnen, als Bernhard nach sorgfältiger lFLllL 31 (2002) 96 Frauke Stübig Auseinandersetzung mit der einseitigen Fokussierung der konstruktivistischen Didaktik auf den Lernenden fordert, die „Theorie der Bildungsinhalte mit einer Theorie der Bildungssubjekte" zu verbinden (Bernhard 1999: 663). Auf der Ebene des Lehrerhandelns wird zwar allenthalben die Wirkungslosigkeit didaktischer Theorien beklagt (Bohnsack 2000: 67 f; Koch-Priewe 2000: 155); gleichwohl ist nach Koch-Priewe die Differenz zwischen allgemein didaktischen Theorien einerseits und professionellen Lehrereigenschaften andererseits nicht so groß, wie man nach den Klagen vermuten müßte. "Die Strukturmomente von Unterricht, wie sie die Allgemeine Didaktik analysiert hatte, sind trotz gegenteiliger Behauptungen auch heute für Lehrerinnen noch relevant, obwohl sie das selbst nicht so erleben" (a.a.O.: 157). Es fehlt aus Sicht von Koch-Priewe von seiten der allgemeinen didaktischen Theorie eine gelungene Entsprechung ihrer Analysen in einer „Handlungswissenschaft vom Unterrichten". Lehrer verwenden nach Koch-Priewes Beobachtungen keine didaktischen Planungsschemata, sondern sammeln Texte und Materialien, zu denen sie dann die Struktur ihrer Unterrichtsstunden entwickeln. Reformorientierte Lehrkräfte verbinden diesen Planungsprozeß häufig mit bestimmten Präferenzen für neue Unterrichtsformen wie Wochenplanunterricht, Freie Arbeit, fächerübergreifendes Lernen, Projekte usw. Damit ist es in erhöhtem Maße möglich, die Schüler an der Strukturierung von Inhalten und der Auswahl von Methoden zu beteiligen, d.h. sie in die allgemein didaktischen Überlegungen einzubeziehen, die bislang die vorwiegende Domäne des Lehrers waren. Auffällig ist freilich, daß es um die Begründung von Inhalten und damit um die Bildungsfrage im engeren Sinne nicht geht. Seit einigen Jahren eignen sich Lehrer darüber hinaus häufig in Form von privaten (und teuer bezahlten) berufsbegleitenden Fortbildungen Kompetenzen an, die sie insbesondere in Verfahren nicht direktiver Gesprächsführung qualifizieren. Dadurch werden sie für die Bedürfnisse ihrer Schülerinnen und Schüler sensibler und erleben für sich selbst ein höheres Ausmaß an Souveränität. Sie realisieren damit Ansätze der Humanistischen Pädagogik und stellen diese neu erworbenen Qualifikationen in den Dienst des sozialen Lernens. Mit diesem Vorgehen antworten sie implizit auf eine Kritik an den älteren allgemein didaktischen Ansätzen, denen z.T. zu Recht, z.T. zu Unrecht unterstellt wird, daß sie die Rolle der sozialen Beziehungen nicht angemessen berücksichtigten. Viele Lehrer sehen allerdings nach Koch-Priewe häufig nicht, daß sie mit der neuen Berufsqualifikation eine zentrale „Prozeßkompetenz" erworben haben im Sinne von allgemein didaktischem Können. Neu in dieser Prozeßkompetenz ist die stärkere Gewichtung von personalen und sozialen Momenten der Unterrichtsplanung. Mit ihrer neu erworbenen kommunikativen Kompetenz und der Demokratisierung der Interaktionsstruktur unterstützen Lehrer ihre Schüler, eigene Lernbedürfnisse zu entwickeln. Sie thematisieren damit, was für sie Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung hat. An dieser Stelle sieht Koch-Priewe eine wichtige Aufgabe für die Allgemeine Didaktik. Sie müsse sich zu einer „didaktischen Handlungswissenschaft" weiterentwickeln, "in der Prozesse der Bedeutungsvermittlung in sozialen Kontexten mit kommunikativen Kompetenzen von Lehrerinnen (und Schülerinnen) in Zusammenhang gebracht werden" (a.a.O.: 160). lFlllllL 31 (2002) Reicht kommunikative Kompetenz allein? ... 97 Der didaktische Stellenwert von sozialen Beziehungen irn Unterricht müsse in der Lehrerausbildung vermittelt werden, sonst bestehe später die Gefahr, die eigene Praxis mit Begriffen anderer Professionen zu beschreiben, so daß z. B. die Grenzen zu therapeutischen Ansätzen verwischt würden. Wie kann also die praktische Belanglosigkeit der Allgerneinen Didaktik überwunden werden? Die Antwort der vergangenen Jahre, die sich auch Koch-Priewe zu eigen macht, heißt: Fallreflexion (vgl. z.B. Helsper 2000). Didaktische Theorie könnte zusammenstellen, inwiefern in den besonderen Unterrichtssituationen die Interdependenzen unterrichtlicher Einzelrnornente zu beobachten bzw. zu beachten sind. Diese Betonung des reflektierten Verstehens des konkreten Falles könnte die Grundlage des Umbaus von der Allgerneinen Didaktik zu einer „Handlungswissenschaft vorn Unterrichten" sein. Auf diese Weise lernen angehende Lehrer und Lehrerinnen z.B. die unvermeidlichen Paradoxien des Lehrerhandelns kennen und erwerben schrittweise, gewissermaßen irn Vorgriff, Kompetenzen des Ausbalancierens dieser Antinomien, die dazu führen können, daß sich ihr eigenes reales Lehrerhandeln zunehmend als gelingender Prozeß entwickelt. In der Rekonstruktion und Bearbeitung komplexer „Fälle" ist die Frage nach dem Inhalt des Lernens immer schon vorentschieden oder sie stellt gerade eine jener Antinomien dar, mit der sich Lehrer und Lehrerinnen konfrontiert sehen. Die davorliegende grundsätzliche Frage nach dem Bildungsgehalt der Inhalte aber muß bei fallrekonstruktivem Lernen nicht unbedingt thematisiert werden. Deswegen kommt an dieser Stelle die Fachdidaktik ins Spiel. 4. Das Verhältnis von Allgemeiner Didaktik und Fachdidaktik Zu den zentralen Aufgaben der Fachdidaktik(en) gehören nach allgemeinem Verständnis die Legitimierung des Faches für die Schule, die Festlegung von fachspezifischen Zielen, die Auswahl der Fachinhalte, die Anordnung von Lernsequenzen sowie die Entwicklung einer fachspezifischen Methodik. Dementsprechend wird die Fachdidaktik als eine Vermittlungswissenschaft zwischen der Allgemeinen Didaktik und der Fachwissenschaft begriffen, wobei sie diese Funktion nur in relativer Eigenständigkeit zu beiden Bezugsdisziplinen erfüllen kann. In dieser oder ähnlicher Weise werden die Aufgaben der Fachdidaktik auch in den jüngst veröffentlichten Gutachten und Stellungnahmen zur Reform der Lehrerbildung bestimmt. So heißt es beispielsweise in dem Entwurf der Kornmission zur Neuordnung der Lehrerausbildung an Hessischen Hochschulen, daß der Fachdidaktik als selbständiger erziehungswissenschaftlicher (Teil)Disziplin die Aufgabe zukomme, die Lehr- und Lernziele des jeweiligen Faches herauszuarbeiten. Ferner müsse sie Aussagen über die Inhalte eines Faches und deren Auswahl sowie über die Unterrichtsformen und -methoden zur Initiierung der intendierten Lernprozesse, einschließlich der jeweils einzusetzenden Medien, treffen. Darüber hinaus müsse die Fachdidaktik die fachbezogenen Lernmöglichkeiten der Schüler thematisieren und sich der Lehrbuchanalyse stellen (Kornmission zur Neuordnung der Lehrerausbildung an Hessischen Hochschulen 1997: 86). lFlLlllllL 31 (2002) 98 Frauke Stübig Um diesen Aufgabenkatalog reiht die Hessische Kommission einen Kranz weiterer Aufgaben, die nach ihrer Meinung ebenfalls in den Denk- und Entscheidungshorizont der Fachdidaktik gehören (vgl. a.a.O.: 86 ff). Das betrifft u.a. die kritische Auseinandersetzung mit den Begründungen der einzelnen Schulfächer, des weiteren die Auswertung und Überprüfung empirischer Ergebnisse der Unterrichtsforschung, die Analyse der organisatorischen und lernpsychologischen Voraussetzungen des Unterrichts sowie die Entwicklung von Unterrichtsmodellen bis hin zur interdisziplinären Kooperation der Fachdidaktiken und Fächer. Insgesamt müsse die Fachdidaktik die Entscheidung über die Begründung der Lehr- und Lernziele eines Faches treffen und sei damit diejenige Instanz, die den „Bildungswert" eines Faches bestimme. Allerdings so die mehrheitlich vertretene Meinung kann die Fachdidaktik diese Aufgabe nur dann erfüllen, wenn sie im Dialog mit allgemein didaktischen Modellen diejenigen Theorieansätze und Fragestellungen rezipiert, die sie erst in den Stand setzen, die Norm- und Wertfragen im Hinblick auf das jeweilige Fach zu klären. In der Formulierung von Rudolf W. Keck (1990: 25): "Jede Didaktik, gleich ob sie Stufendidaktik, Schulartendidaktik oder Fachdidaktik ist, ist auf die allgemein didaktische Grundlegung, d.h. auf bildungstheoretische Fundierung verwiesen, denn Unterrichtsdidaktik nimmt nur einen Teilaspekt dieser wahr." Damit verweist Keck auf die Tatsache, daß nur solche allgemein didaktischen Theorien als Dialogpartner der Fachdidaktiken in Frage kommen, die ihrerseits die Begründung genereller pädagogischer Zielsetzungen des (schulischen) Lehrens und Lernens zum ausdrücklichen Programm erheben. Dies gilt insbesondere für die erweiterte bildungstheoretische Didaktik (Klafki) sowie die erneuerte lerntheoretische Didaktik (Schulz). Diese Feststellung impliziert allerdings keine Stellungnahme für ein bestimmtes allgemein didaktisches Modell, vielmehr geht es um eine kritisch-pluralistische Betrachtung der in Frage kommenden didaktischen Ansätze und Theorien insgesamt, und zwar unter der Fragestellung, in welcher Weise sie im konkreten Fall als Strukturierungsangebot für die Fachdidaktik dienen können. Das bedeutet zugleich, daß allgemein didaktische und fachdidaktische Überlegungen nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen, vielmehr dienen die in der allgemein didaktischen Diskussion entwickelten Modelle dazu, die Fachdidaktiken in den Stand zu setzen, ihre spezifischen Aufgaben zu erfüllen. Die Angewiesenheit der Fachdidaktik auf die Allgemeine Didaktik resultiert daraus, daß der durch die Fachwissenschaft ermöglichte Zugang zur Welt diese von vornherein mit Blick auf das zugeordnete Fachwissenschaftssystem in Ausschnitte zerlegt und weitgehend von ihrer Totalität abstrahieren muß. Daher ist es für die Fachwissenschaft nicht möglich, aus sich heraus die Wert- und Bedeutungsfragen zu lösen, was nichts anderes heißt, als daß die Fachwissenschaft von sich aus nicht in der Lage ist, Aussagen über den Bildungswert des ihr zugeordneten Schulfaches zu treffen. Genau dieser Umstand verbietet eine direkte Anbindung der Fachdidaktik an die Fachwissenschaft. Als eigentlicher Gegenstand der Fachdidaktik erweist sich der Fachunterricht im Schnittpunkt von fachwissenschaftlichen und allgemein didaktischen Belangen. Wie zur Gegenstandsauseinandersetzung im Fachunterricht Wissen und seine Einordnung in ein lFLlllL 31 (2002) Reicht kommunikative Kompetenz allein? ... 99 fachwissenschaftliches System gehört, so gehört zum Schulunterricht Wissen um Bildungs- und Erziehungsprozesse und damit allgemein didaktische Kenntnisse, die nicht nur in einem Unterrichtsfach, sondern in vielfältigen Unterrichtssituationen Anwendung finden können. Inhaltlich geht es dabei um die grundlegende Frage, unter welchen Leitvorstellungen junge Menschen ein mehrperspektivisches Welt- und Selbstverständnis als Grundlage ihrer eigenen Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit gewinnen können (Klafki). Allerdings darf darüber nicht übersehen werden, daß auch die Allgemeine Didaktik auf die Fachdidaktik(en) verwiesen ist. Wolfgang Klafki hat darauf aufmerksam gemacht, daß sich schulisches Lehren und Lernen immer in Fächern bzw. fächerübergreifenden Gesamtzusammenhängen vollzieht und von daher stets auf bestimmte inhaltliche Zusammenhänge und soziale Kontexte bezogen ist. Für die Allgemeine Didaktik folgt daraus, daß sie ohne den Bezug auf fachdidaktische Fragestellungen und Erkenntnisse nicht in der Lage ist, realitätshaltige Aussagen zu formulieren. Darüber hinaus garantiert nur der Austausch zwischen Allgemeiner Didaktik und Fachdidaktik, daß die Allgemeine Didaktik ihren verallgemeinerten Geltungsanspruch überprüfen und ggf. auch verändern kann. Insofern kommt der Fachdidaktik gegenüber der Allgemeinen Didaktik die Funktion eines permanenten, kritischen Gesprächspartners zu. Diese Aufgabe kann sie allerdings nur unter der Voraussetzung einer relativ eigenständigen erziehungswissenschaftlichen Denkleistung in ihrer Beziehung zur Allgemeinen Didaktik erfüllen. Geht man von diesen Prämissen aus, so ergeben sich aus allgemein didaktischer Sicht eine Reihe von Anfragen an die Didaktik der Neueren Sprachen, die auf einer Ebene des grundsätzlichen Durchdenkens und der übergeordneten Antworten Gegenstand der ersten Phase der Ausbildung sein müßten. 5. Anfragen an die Didaktik der Neuen Sprachen 5.1 Die erste Anfrage ist diejenige nach dem spezifischen Beitrag des Faches für die Bildung der jungen Menschen. Dabei ist vermutlich unbestritten, daß es mit dem Fremdsprachenlernen zunächst um den Erwerb einer Kulturtechnik geht. Das gilt insbesondere für Englisch als lingua franca. Der Begriff der kommunikativen Kompetenz in der Zielsprache, der sich in den 1970er Jahren durchgesetzt hatte, ist nach wie vor konsensfähig und bezeichnet im allgemeinen Verständnis genau jene Kulturtechnik im Sinne von Verfügbarkeit über das Medium Sprache, die im Grad ihrer Anwendungssicherheit proportional zu den ansteigenden Jahrgangsstufen anwachsen sollte. Ob freilich der Erwerb von kommunikativer Kompetenz in einer Fremdsprache bereits einen Beitrag zur allgemeinen Bildung darstellt, muß bezweifelt werden. Nicht das Instrument allein, erst der Inhalt, den das Instrument in seiner spezifischen Verarbeitung durch die Lernenden erschließt, kann als Bildung bezeichnet werden. Denn Bildung geschieht nicht im inhaltsneutralen Aufbau von formalen Fähigkeiten wie Problemlösefähigkeit, Teamfähigkeit oder kommunikative Kompetenz. Bildung findet ihre Basis in Inhalten bzw. in einem JFJLlllL 31 (2002) 100 Frauke Stübig Inhaltsniveau, an dem und durch dessen Durcharbeitung in inhaltlicher und formaler Hinsicht Wissen, Erfahrung und Fähigkeiten entstehen. Der Zusammenhang von Form und Inhalt ist konstitutiv fürjeden Bildungsprozeß (Terhart 2001: 127). Meinert Meyer hatte schon 1994 (in: "Fremdsprachenunterricht unter dem Anspruch gymnasialer Allgemeinbildung") an einem Beispiel aus der Sekundarstufe I demonstriert, daß voh den Schülern und Schülerinnen das Kommunizieren in der Fremdsprache als eine künstliche Aufgabe verstanden wird. Dort, wo reale Kommunikation intendiert wird, fallen die Schüler ins Deutsche zurück, d.h. sie bleiben in ihrer eigenen Lebenswelt. Sie verharren in der eigenen Weltansicht. Deswegen könne man hier nicht von Bildung durch fremde Sprachen sprechen. Allerdings könne auf diese Art und Weise Bildung auch nicht ausgeschlossen werden. Daraus folgert Meyer (1994: 111): "Fremdsprachenunterricht ist dann allgemeinbildend, wenn er auf Grund des Studiums fremdsprachlich erzeugter Weltansicht das aufgeklärte Bewußtsein dafür fördert, daß die je eigene Weltansicht subjektiv ist". Mit Blick auf die Sekundarstufe II erweitert er seine Definition über das Vorantreiben ·des Bildungsprozesses dahingehend, daß die Schüler „gezielt mit der Fremdheit der Sprecher fremder Sprachen und mit der Andersartigkeit fremder Kulturen" konfrontiert werden müssen, um erfahren zu können, "daß andere Menschen anders als wir denken und handeln" (a.a.o.·: 120). Welches sind nun geeignete Inhalte, um die angemahnte Fremdheit der Sprecher und die Andersartigkeit fremder Kulturen besonders deutlich zu machen? Diese Frage ist mit Blick auf die Sekundarstufe I nicht leicht zu beantworten, jedenfalls dann, wenn man nicht nur bei den Artikulationsformen der Alltagskultur verharren will. Gleichermaßen liegt es auf der Hand, daß die von Meyer benannten anspruchsvollen Ziele in den Oberstufen nicht allein über den üblicherweise dominierenden Literaturunterricht erreichbar sind. Dem außenstehenden Beobachter drängt sich gelegentlich die Vermutung auf, daß ein Rückzug auf einen Literaturkanon, der in seiner Auswahl und Abfolge „schon immer" so angelegt war, vor allem deshalb erfolgt, weil Lehrer sich bei der Vermittlung der Inhalte der eigenen Ausbildung verständlicherweise am sichersten fühlen. Aber gehören nicht ebenso, in Weiterentwicklung der alten „Landeskunde", politische und gesellschaftliche Inhalte in den Auswahlkatalog der potentiellen Unterrichtsgegenstände? Gerade mit Blick auf die Affinitäten zwischen Fremdsprachenunterricht und interkultureller Erziehung soll diese Überlegung später noch einmal aufgegriffen werden. Meyer selbst schlägt, mit Bezug auf die epochaltypischen Schlüsselprobleme Wolfgang Klafkis (1991) eine oberstufenspezifische Erweiterung vor, die er mit „Internationalisierung unserer Lebenswelt" bezeichnet und knapp skizziert (Meyer 1994: 119 ff). 5.2 Die gesellschaftliche Entwicklung legt nahe, was die Fremdsprachendidaktiker schon lange fordern, nämlich den Aufbau von Mehrsprachigkeit. Alle Schülerinnen und Schüler sollten wenigstens zwei Fremdsprachen lernen. Diese Anforderung ist mit Blick auf den zukünftig erhöhten Stellenwert fremdsprachlicher Verständigungsfähigkeit nur zu unterstützen. Daraus resultieren drei Anfragen: Zunächst die·Anforderung an alle, sodann die Frage nach der Spezifik der jeweiligen Fremdsprache in Abgrenzung zu den anderen und schließlich die Frage nach einer sinnvollen Fremdsprachenfolge. ][ILII.L 31 (2002) Reicht kommunikative Kompetenz allein? ... 101 Wenn alle wenigstens zwei Fremdsprachen erlernen sollen, muß über den Umgang mit den Schülern und Schülerinnen nachgedacht werden, deren Muttersprache nicht Deutsch ist und die deshalb in aller Regel unter erschwerten sozialen Bedingungen deutlich erhöhte Lernleistungen erbringen müssen. Dies ist eine Frage, die sich an die Struktur unseres Bildungssystems richtet und wohl kaum von der Didaktik der Neuen Sprachen her gelöst werden kann. Aber angestoßen wird sie auch von dort und darf deswegen nicht verschwiegen werden. In ähnlicher Weise trifft dies auch für den Umgang mit deutschen Schülern und Schülerinnen zu, die auch in höheren Jahrgangsstufen noch elementare Schwierigkeiten im Umgang mit Schrift und Sprache haben. Daß der Prozentsatz dieser Lernenden angewachsen ist, wissen wir seit PISA mit bestürzender Sicherheit. Hauptschullehrer und insbesondere Berufsschullehrer im Berufsvorbereitungsbzw. im Berufsgrundbildungsjahr beschreiben diese Problematik bereits seit Jahren, ohne nennenswerte Unterstützung zu erhalten, weder von der Erziehungswissenschaft noch von der Allgemeinen Didaktik oder von den Fachdidaktiken. Unter allgemein didaktischen Gesichtspunkten ist die Anfrage drängend, wo unterhalb der gemeinsamen Klammer der Fremdsprache der spezifische Beitrag der einzelnen Zielsprachen liegt. Gibt es ein „Proprium" der jeweiligen Fremdsprachen? Die Fachdidaktik sollte darauf antworten, worin das Spezifische etwa des Französisch-Unterrichts im Unterschied zum Englisch-Unterricht oder zum Spanisch-Unterricht liegt. 4 Erst wenn dieses „Proprium" geklärt und herausgearbeitet ist, wie sich in Sprachverständnis und Sprachhandeln die innere Logik des kulturellen Skripts offenbart, wenn die Unterschiedlichkeit der Sprachen als je eigene Inhalte klar konturiert sind, dann ist es auch für Schüler möglich, vom Sprachenlernen in den verschiedenen Sprachfächern zu profitieren. Erst dann könnte das auf einer Metaebene eingeforderte „Lernen lernen" (Königs 2001) bewußt gestaltet, d.h. die Transformation von Fähigkeiten und Fertigkeiten in Bildung angebahnt werden. Daß der Zusammenhang von Form und Inhalt konstitutiv für jeden Bildungsprozeß ist, darauf ist weiter oben schon hingewiesen worden. Dies wird hier wiederholt, weil in dem relativ neuen schulischen Lernbereich des bilingualen Unterrichts aus allgemein didaktischer Sicht die Gefahr, Medium und Inhalt auf Sprachfach und Sachfach einfach aufzuteilen, besonders groß ist, damit aber die besonderen Bildungschancen dieses Lernbereichs verspielt würden (Mentz 2001). Darüber hinaus wird in der großen Zahl neuer Publikationen zum „Lernen lernen" gelegentlich der Anschein erweckt, daß das mechanische Anwenden und Üben bestimmter Techniken und Tätigkeiten bereits Fähigkeiten erzeuge, die transferfähig seien und zu dauerhaften Lernergebnissen führten (vgl. z.B. Klippert 1997; vgl. dagegen Guldimann 1996). Unabhängig davon ist gerade im Zusammenhang mit der Forderung nach Mehrsprachigkeit die Ermittlung von Lernstrategien im Sprachunterricht, die Einübung von Techniken und Methoden unabdingbar (vgl. Neuner 2002). Allerdings machen sie um sich nicht selbst den eben geäußerten Vorwürfen auszusetzen die Antwort auf die 4 Darüber hinaus bleibt anzumerken, daß z.B. viele verschiedene „Englishes" auf dieser Welt gesprochen werden, ebenso wie sich das 'fran~ais quebecois' von demjenigen Schwarzafrikas erheblich unterscheidet usw. JFLm, 31 (2002) 102 Frauke Stübig Sprachspezifik und auf die Unterschiede zwischen den jeweiligen Fremdsprachen erforderlich. „Breite, Art und Reihenfolge des Angebots sind für die Qualität von Lernerfahrungen nicht ohne Auswirkungen. Denn der Unterricht in einer jeden Fremdsprache führt zu eigenen Lernerfahrungen, die an dieser Fremdsprache als Lerngegenstand gewonnen werden können. Letztlich legen derlei Erfahrungen die Grundlage für die Fähigkeit des interlingualen Transfers. Deshalb ist es nicht gleichgültig, welche Sprache wann, wie und in welchem Umfang angeboten wird" (Meißner [et al.] 2001: 162). Zeitpunkt, Reihenfolge, Präsentationsform und Umfang sind demnach zu definieren. Was die Fremdsprachenfolge angeht, so wäre eine Klärung vonnöten, ob es eine bevorzugte Abfolge gibt, die sich aus der strukturellen Nähe oder der Distanz der Muttersprache zur Fremdsprache bzw. aus dem kulturellen Skript der Sprachen ableiten läßt. Weiterhin ist zu diskutieren, wie mit den möglichen Konflikten zu verfahren ist, die sich zwischen der Anwendungshäufigkeit der lingua franca und der regionalen Zugehörigkeit der Schülerinnen und Schüler etwa im Grenzbereich zu einer Zielsprache ergeben können. 5.3 Weiter oben war als Zielsetzung des Unterrichts die Erfahrung hervorgehoben worden, daß andere Menschen anders denken und handeln. Angesichts des Zusammenwachsens von Europa, der globalen Perspektiven der Weltgesellschaft und der multiethnischen Zusammensetzung unserer Gesellschaft sowie vieler unserer Schulklassen stellt sich die Frage nach dem Umgang mit fremden Kulturen noch einmal in einer anderen Perspektive: Heterogene Lerngruppen sind ohne jeden Zweifel eine Herausforderung an die Unterrichtenden. Deutliche Unterschiede in Lernbereitschaft, -fähigkeit und -geschwindigkeit der Schülerinnen und Schüler setzen ein erhebliches Repertoire an Differenzierungs- und Individualisierungsstrategien voraus, die weiter oben unter dem Stichwort „Lernen lernen" schon einmal angeklungen sind. Die verschiedenen ethnischen und sprachlichen Identitäten und Bezugssysteme der Schülerinnen und Schüler erhöhen die Anforderungen sowohl an die inhaltliche als auch an die soziale Gestaltung des Unterrichts. Sie können freilich auch als Bereicherung verstanden werden, wenn es gelingt, daß Schule und Unterricht sich für diese unterschiedlichen Personen öffnen und zwar nicht nur sprachlich, sondern quartierspezifisch. Die Welt der Kinder und Jugendlichen war noch nie so vielfältig wie heute; alle Themen, die ihnen und die für sie wichtig sind, kommen in aller Regel in mulikulturell zusammengesetzten Wohnquartieren vor. Und die Kinder und Jugendlichen selbst sind Experten ihrer Welt. Dieses ernst zu nehmen, kann für viele Unterrichtsfächer, nicht nur für den Fremdsprachenunterricht, bedeuten, daß die Konfrontation mit anderem Denken und Handeln hautnah und gewissermaßen alltäglich präsent ist. Sie müßte allerdings auch angenommen werden von Lehrerinnen und Lehrern sowie Schülerinnen und Schülern, den deutschen und denjenigen anderer Herkunft. In diesem Annehmen liegt die eigentliche Herausforderung. Sie könnte unterrichtspraktisch zur Folge haben, daß bilingualer Unterricht mit den Sachfachthemen des Quartiers nicht immer nur in Englisch und/ oder Französisch angeboten wird, sondern je nach ethnischer Zusammensetzung, in der Sprache der Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler nichtdeutscher Herkunft (vgl. auch Freudenstein 2002: 70). lFL111lL 31 (2002) Reicht kommunikative Kompetenz allein? ... 103 Der Hinweis auf diese Problematik macht deutlich, was mit der von Koch-Priewe geforderten Erweiterung der Allgemeinen Didaktik zu einer „Handlungswissenschaft vom Unterrichten" konkret gemeint sein könnte. Öffnung von Schule und Unterricht zum Quartier für den einzelnen und zu der Unterschiedlichkeit der einzelnen verlangt auch theoretisch neue analytische und deskriptive Facetten, einschließlich der sozialen und kommunikativen Prozeßkompetenzen, die weiter oben benannt worden sind. Mit diesen Überlegungen zeichnet sich noch ein weiterer Perspektivenwechsel ab, nämlich vom Lerninhalt „fremde Sprache" zu den Schülerinnen und Schülern, ihren Lerngelegenheiten und der Gegenwartsbedeutung von Fremdsprachenlernen aus ihrer Sicht. Una Dirks hat auf die unübersehbare Bedeutung von Englisch als „Symbol der modernen Popmusik und Jugendkultur in einem privaten, freizeitorientierten Teiluniversum" der Jugendlichen hingewiesen (Dirks 1997: 97). Sie fragt danach, ob es sich für die Fundierung der kommunikativen Kompetenz nutzen lässt? Dies ist möglicherweise zunächst „nur" eine Frage nach Unterrichtsmaterialien und Methoden. Allerdings ist an diesem Beispiel auch zu fragen ähnlich wie bei der heterogenen Zusammensetzung der Lerngruppen -, ob nicht jenseits einer anders gelagerten Alltagskultur darin auch Elemente eines anderen Denkens und Handelns aufspürbar sind. Das heißt, hier geht es aus anderer Sicht um den Ansatzpunkt von Fremd- und Selbstverstehen, der, weit über die Szene der Jugendkultur hinaus, die auf der Inhaltsebene weiter oben geforderte Konfrontation mit der fremden Kultur ergänzt und deswegen der Fremdsprachendidaktik in besonderem Maße aufgegeben ist. Er könnte an die Forderung von Bernhard, die „Theorie der Bildungsinhalte mit einer Theorie der Bildungssubjekte" zu verbinden (Bernhard 1999: 663), anschließendies allerdings mit der Maßgabe, die Fragen nach dem bildenden Beitrag des Faches, der Spezifik der jeweiligen Fremdsprache und dem Umgang mit Heterogenität mit der Theorie der Subjekte zusammenzufügen und von dort aus die Inhaltsfrage der Fremdsprachen neu zu durchdenken. Literatur BERNHARD, Annin (1999): "Neuere Grundlagenkritik an der Didaktik. Folgerungen für eine bildungswissenschaftliche Entwicklungsarbeit unter besonderer Berücksichtigung des Schulfaches Pädagogik". In: Zeitschrift für Pädagogik 45 .5, 649-666. 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