eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 31/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2002
311 Gnutzmann Küster Schramm

Ein Modell für Europa: Muttersprachler an die Front!

121
2002
Reinhold Freudenstein
flul3110106
Reinhold Freudenstein * Ein Modell für Europa: Muttersprachler an die Front! Abstract. In most European educational systems the teaching of foreign languages is carried out by people who speak the languages they teach as foreign languages themselves. This tradition is made responsible for the fact that teaching results have never been good enough for the learners to use the language they had learned in everyday and business situations. Since only those who speak a language as their mother tongue can teach that language best for communicative purposes, foreign-language teaching should be handed over to native speakers who have been specifically trained for this job. This is done already whenever languages are being acquired rather than learned. In order to prepare European citizens for life in a multilingual society, native speakers should become regular language teachers at school. Study programmes should be designed in such a way that school teachers become qualified both to teach at primary and at secondary level. 1. Zur Einstimmung: Gedanken über einen Neuansatz Gesellschaftliche Veränderungen, bildungspolitische Ansprüche, neue inhaltliche Zielvorstellungen und vor allem die anhaltende Klage über unbefriedigende Ergebnisse schulischen Fremdsprachenunterrichts machen es notwendig, wieder einmal die Frage zu diskutieren, was auf welche Weise verändert werden müßte, um junge deutsche Europäer angemessen auf ihr Leben in einer mehrsprachigen Welt vorbereiten zu können. Im vergangenen Jahrhundert richteten sich solche Reformbemühungen in erster Linie auf didaktisch-methodische Erneuerungen. Doch weder audiolinguale Konzepte, neue Medien wie Sprachlabor und Computer oder alternative Lehr- und Lernformen haben es vermocht, befriedigende Veränderungen herbeizuführen und kritische Stimmen. zum Schweigen zu bringen. Auch die Fremdsprachenlehrerausbildung war in der Vergangenheit immer wieder Gegenstand eingehender Erörterungen. Dabei wurden allerdings stets nur Anpassungen historisch gewachsener Strukturen an jeweils notwendige aktuelle Bedingungen ausgehandelt. Neue Grundlagen für eine wirklich veränderte und verbesserte Ausbildungspraxis konnten auf diese Weise nicht gelegt werden. Darum geht es mir bei den folgenden Überlegungen nicht um Modifikationen an Bestehendem. Ich frage nicht danach, ob Magister- oder Diplomabschlüsse der richtige Weg zur Reform einer professionellen Berufsorientierung darstellen, und ich mache mir keine Gedanken darüber, welches wohl ein ausgewogener Anteil von Theorie und Praxis in einem auf Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Reinhold FREUDENSTEIN, Universitätsprofessor i.R., Institut für Erziehungswissenschaft der Philipps-Universität Marburg, Am Weinberg 72, 35096 WEIMAR/ Lahn, Fon & Fax: 06421/ 78431. Arbeitsbereiche: Fremdsprachendidaktik, Sprachenpolitik, Friedenserziehung. lFLllL 31 (2002) Ein Modell für Europa: Muttersprachler an die Front! 107 wissenschaftlicher Grundlage basierendem Studium darstellen könnte. Das, was ich vorzuschlagen habe, paßt in die gängigen Strukturen der seit alters überlieferten Ausbildungspraktiken nicht hinein. Ich glaube nämlich, daß wir nur dann den schulischen Fremdsprachenunterricht von Grund auf erneuern und optimieren können, wenn wir auf das Leitbild des Philologen als Sprachlehrer verzichten und es durch das eines professionell ausgebildeten Muttersprachlers ersetzen. Eine solche Forderung ist nicht populär und bisher kaum angedacht. Das läßt sich u.a. daran nachweisen, daß das Wort Muttersprachler im Register eines Standardwerks zum Fremdsprachenunterricht in Deutschland überhaupt nicht auftaucht (Bausch/ Christ/ Krumm 1995). Ich möchte deshalb versuchen, Anstöße für einen radikalen Neubeginn zu geben, der seine Wirksamkeit nur dann voll entfalten kann, wenn er sich nicht an dem zu orientieren braucht, was bisher war, sondern auf das schaut, was auf uns zukommt. Ich orientiere mich dabei nicht an ministeriellen Vorgaben von heute, sondern denke an europäische Dimensionen von morgen. Dabei bleibt die Frage nach der konkreten Umsetzung meiner Vorstellungen bei uns in Deutschland und in anderen Ländern der Europäischen Union bewußt ausgeklammert. Wenn man sich bei der Beschreibung möglicher neuer Wege in der Lehrerausbildung nur an dem orientiert, was bereits existiert, gerät man schnell in die Versuchung, lediglich Schwachstellen zu reparieren anstelle an einen Neubau zu denken. Mag sein, daß ich mich damit dem Vorwurf aussetze, die gegenwärtige Realität des Lehrerdaseins in Europa zu ignorieren. Das nehme ich in Kauf, denn mein Ziel ist es, zunächst einmal voraussetzungslos und ohne Rücksicht auf mögliche Einwände ein Modell durchzuspielen, über dessen Realisierung man sich erst dann Gedanken machen sollte, wenn ein Konsens über seine grundsätzliche Brauchbarkeit erreicht worden ist. 2. Über die Eignung von Muttersprachlern als Sprachlehrer Es gibt wohl kaum ein anderes Thema, das auf Fortbildungsveranstaltungen für Fremdsprachenlehrer auf heftigeren Widerstand stößt als der Vorschlag, das Lehren und Lernen fremder Sprachen denen zu überlassen, die sich im kommunikativen Umgang mit einer Sprache am besten auskennen: den Muttersprachlern. Zwar hat es schon immer Lehrer gegeben, die ihre Muttersprache als Fremdsprache unterrichtet haben. Sie waren in der Geschichte des institutionellen Fremdsprachenunterrichts jedoch zu keiner Zeit als vollwertige Mitglieder des Berufsstands akzeptiert, sondern blieben immer Ausnahmeerscheinungen. Darum stand ihre Eignung als reguläre Fremdsprachenlehrer nie ernsthaft zur Diskussion. Seit dem Beginn der Neuphilologie im 19. Jahrhunderts bis in unsere Tage hinein ist die Fremdsprachenlehrerausbildung ausnahmslos auf Lehrprogramme konzentriert, die sich an Studierende richten, die Sprachen unterrichten wollen, die sie selbst als Fremdsprache sprechen. Das geschieht aus Gründen der Wahrung einer philologischen Tradition, die das Lehren alter, d.h. toter Sprachen auf den Unterricht lebender Sprachen übertragen hatte, und es hat zugleich mit den Zielsetzungen des schulischen Fremdsprachenunterrichts zu tun, die sich seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts fest im Curriculum verankert haben. Zwar gab es auch um 1900 und um 1950 bereits StrölFLl.llL 31 (2002) 108 Reinhold Freudenstein mungen, die Fremdsprachen nicht mehr (nur) als Bildungsgut, sondern (zumindest auch) als Mittel zum Zweck der umgangssprachlichen Verständigung in der Schule verankert sehen wollten. Aber weder Vietor (1882) noch Lado (1964) verbanden mit ihren Reformbemühungen die Forderung, Lehrkräfte einzusetzen, die ihre Muttersprache unterrichten sollten. Das gilt übrigens auch für einen unbekannten Autor, der hundert Jahre nach Vietor unter einem Pseudonym eine „radikale Reform" eingefordert hat (Aliusque Idem 1986: 52), die auch er ohne Muttersprachler zu verwirklichen hoffte und die bis heute noch immer auf sich warten läßt. Inzwischen haben sich die Rahmenbedingungen in wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Hinsicht grundlegend verändert. Menschen, die andere Sprachen sprechen, sind längst keine „Fremden" oder „Ausländer" mehr; sie leben mitten unter uns. Die Europäische Union wächst zwar langsam, aber unaufhaltsam zu einer multikulturellen Staatengemeinschaft zusammen. In vielen Ländern bezahlen wir mit der gleichen Währung. Grenzen sind von Haltestellen zu Durchgangsstationen geworden. Eines jedoch ist geblieben und wird sich auch in Zukunft nicht ändern: Europa ist nicht nur mehr-, sondern vielsprachig. Damit ergeben sich neue sprachenpolitische Aufgaben, die bislang nur in Ansätzen wahrgenommen werden. In einer multilingualen Gesellschaft dürfen Sprachen, die in der Schule gelehrt und gelernt werden, nicht mehr vornehmlich ein Mittel zur Schulung formaler Bildung sein. Sie müssen ihre Auslesefunktion verlieren. Sie sind Grundfertigkeiten wie Lesen und Rechnen, auf die jedermann Anspruch hat, egal wo er lebt und welche Schule er besucht. Und in diesem neuen Umfeld müßte es zur Normalität des schulischen Alltags zählen, daß Sprachunterricht von Sprachkundigen und nicht von Sprachgelehrten erteilt wird. Solche Sprachkundigen können nur Menschen sein, die ihre Sprache als Muttersprache erworben haben. Es gibt für mich mehrere Gründe, warum Muttersprachler für den Sprachunterricht besser geeignet sind als herkömmlich ausgebildete Fremdsprachenlehrer. Wenn im Folgenden von „Muttersprachlern" die Rede ist, dann ist damit von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen nicht irgend jemand gemeint, der eine Sprache als Muttersprache spricht, sondern selbstverständlich nur ein native speaker, der eine nicht philologische Ausbildung als Sprachlehrer durchlaufen und erfolgreich abgeschlossen hat. Nur eine solche Muttersprachlerin und ein solcher Muttersprachler dürften am besten dafür geeignet sein, Sprachen als Mittel der umgangssprachlichen Kommunikation zu vermitteln. Ich vermeide es bewußt, in diesem Zusammenhang davon zu sprechen, daß sie eine Sprache „lehren" sollen. Im Sprachunterricht sollte es weniger um das Lehren und Lernen, sondern besser um das Vermitteln und Erwerben von Sprachen gehen. In der Fachliteratur kann man häufig lesen, ein Fremdsprachenlehrer sollte künftig zu einem „Lernberater", "Mediator" oder „Coach" werden. Nichts spricht dagegen, solange er sich in erster Linie als „Sprachvermittler" versteht. Und da man nur das gut vermitteln kann, was man perfekt beherrscht, ist der Muttersprachler ein idealer Helfer beim Erwerb einer fremden Sprache. Das sollen die folgenden Beispiele im Einzelnen belegen. lFllllL 31 (2002) Ein Modell für Europa: Muttersprachler an die Front! 109 2.1 Muttersprachler kennen und können ihre Sprache Diejenige Sprache, die Kinder zuerst und am besten lernen, wird ihnen von der „Mutter" beigebracht; darum ist sie ihre „Muttersprache". Nach Werner Bleyhl verfügen Mütter und Väter über diejenigen Voraussetzungen, die nahezu automatisch dafür sorgen, daß sich Kinder eine Sprache mühelos aneignen können: 1. Sie lieben ihre Kinder, 2. sie kennen und können die Sprache, mit der sie ständig umgehen, und 3. sie verwenden Sprache immer situationsadäquat, d.h. sinnvoll und interaktiv (PRAXIS 1999). Bleyhl meint, je näher diese Voraussetzungen auch von Lehrerinnen und Lehrern erfüllt würden, umso weniger brauchten wir uns um einen erfolgreichen Fremdsprachenunterricht Gedanken zu machen. Im schulischen Unterricht können die erste und die dritte der von Bleyhl angeführten Voraussetzungen allerdings nur ansatzweise verwirklicht werden. Wirklich „lieben" kann man nicht jedes von dreißig und mehr Kindern, die man jeweils nur ein paar Stunden lang in der Woche sieht, und Schule als Institution Schule verhindert mit einem grammatikorientierten Lehrbuchunterricht geradezu systematisch, Sprache frei und ungezwungen anwenden zu können. Was schulischen Sprachunterricht aber qualitativ verändern würde, wären Sprecher, die eine Sprache „kennen und können". Solche perfekten Sprecher haben wir seit mehr als 150 Jahren in der universitären Ausbildung nicht heranbilden können. In der Europäischen Union stehen sie als Muttersprachler, die ihren Arbeitsplatz frei wählen können, jederzeit zur Verfügung. 2.2 Muttersprachler kennen und vermitteln Sprechpraxis Wo immer das Lernziel der beruflichen Kommunikationsfähigkeit ernst genommen und nicht nur wie in schulischen Lehrplänen und Curricula als Lippenbekenntnis verwendet wird, sind Muttersprachler als Sprachlehrer gefragt. Das läßt sich bereits zu einem frühen Zeitpunkt nachweisen. "Bereits 1554 wird in Frankfurt ein französischer Schulmeister eingestellt, diesem Beispiel folgen weitere Städte und Universitäten sowie 1589 das Collegium Illustre in Tübingen, eine der frühesten Ritterakademien und Ausbildungsstätten für angehende Staatsdiener" (Lehberger 1995: 562). Wer heute beim Bundessprachenamt in Hürth vorbeischaut, wird erfahren, daß sich diese Tradition aus gutem Grund erhalten hat. Auch in anderen Institutionen, die sich die Vermittlung sprachpraktischer Fertigkeiten zum Ziel gesetzt haben, werden in der Regel Muttersprachler bevorzugt. Das gilt z.B. in der innnerbetrieblichen Sprachausbildung, wo „der Muttersprachler als Kursleiter hoch favorisiert wird" (Freudenstein 1982: 37), aber auch bei Volkshochschulen oder privaten Sprachschulen in Groß- oder in Universitätsstädten, in denen sich bei der Suche nach native speakers keine Probleme ergeben. 2.3 Muttersprachler entfalten ein originales fremdsprachliches Umfeld Jährlich reisen Tausende von Jugendlichen und Erwachsenen zu Sprachkursen ins Ausland. Sie tun dies, weil sie dort Muttersprachler als Lehrer erwarten dürfen. Niemand würde akzeptieren, in Frankreich von einer Lehrerin unterrichtet zu werden, die FranzölFILllL 31 (2002) 110 Reinhold Freudenstein sisch als Fremdsprache spricht. Wenn Sprachreiseveranstalter dennoch deutsche Lehrer anwerben, um Jugendliche im Ausland sprachlich zu betreuen, tun sie dies aus zwei Gründen. Sie gehen davon aus, daß Eltern eher Vertrauen in die Wirksamkeit einer teuren Sprachreise setzen, wenn sie davon ausgehen können, daß ihre Kinder von "kompetenten" Lehrern betreut werden, denn sie wissen, daß die besten umgangssprachlichen Fertigkeiten in der deutschen Schule nichts nützen, es sei denn, sie entsprechen den Erwartungen eines grammatikorientierten Lehrbuchunterrichts. Aber selbst unter ungünstigen Betreuungsvoraussetzungen gewinnen Schüler im Ausland dennoch sprachlichen Zuwachs. Er ergibt sich aus dem muttersprachlichen Umfeld, das sie umgibt und dem sie sich nicht entziehen können. Ein solches „Umfeld" kann in der deutschen Schule wenn überhaupt allein ein native speaker optimal entfalten. 2.4 Muttersprachler im Hochschulbereich Es ist sicherlich kein Zufall, wenn die sog. "sprachpraktischen Übungen" im Universitäts- und Hochschulbereich von Muttersprachlern durchgeführt werden. Lektoren und Assistenten, die auf diesem Gebiet arbeiten, werden nicht deshalb beschäftigt, weil sie als linguistische Experten gelten oder weil sie über sprachwissenschaftliches Detailwissen verfügen. Ihre erste und wichtigste Qualifikation ist ihre angeborene sprachliche Gewandtheit, die sie nicht erlernt, sondern erworben haben. Eine solche Gewandtheit läßt sich nicht durch ein differenziertes sprachwissenschaftliches Spezialwissen, über das nicht muttersprachliche Forscher im allgemeinen verfügen, ersetzen. 2.5 Muttersprachler sind Lektoren in Fremdsprachenverlagen Lehr- und Lernmaterialien für den fremdsprachlichen Unterricht werden in der Regel von Autorinnen und Autoren verfaßt, die im Lehrberuf stehen und die eine fremde Sprache selbst als Fremdsprache gelernt und studiert haben. Wirft man jedoch einen Blick auf das Impressum eines Schulbuchs, wird schnell deutlich, daß immer auch Muttersprachler der jeweiligen Sprache bei der Erarbeitung mitgewirkt haben. Sie sind es, die für die korrekte Verwendung der zur erlernenden Sprache zuständig sind, und in vielen Fällen handelt es sich bei ihnen nicht um ausgebildete Lehrer, sondern um Personen, die aufgrund ihrer Ausbildung sei es in den Geistes- oder Wirtschaftswissenschaften, sei es in sozialpädagogischen Berufsfeldern ein besonders ausgeprägtes Gefühl für Sprache entwickelt haben. In jedem Fall handelt es sich nicht um Philologen oder Linguisten. Aufgabe der Muttersprachler ist es, dafür zu sorgen, daß die Lernenden im Englischen, Französischen oder Spanischen mit einer Sprachverwendung konfrontiert werden, die der Lebenswirklichkeit im Alltag entspricht. Die deutschen Autoren haben dagegen für Kontinuität mit der (angeblich bewährten) fremdsprachendidaktischen Tradition und für die Übereinstimmung mit Richtlinien und Vorschriften zu sorgen, ohne die Lehrbücher keinen Eingang in die Schulstuben finden. lFlLILIL 31 (2002) Ein Modell für Europa: Muttersprachler an die Front! 111 2.6 Muttersprachler beim Tandemlernen Zu den alternativen methodischen Verfahren, die zunehmend als wirksames Instrument zum Fremdsprachenerwerb bezeichnet werden, gehört das Tandemlernen. Bei dieser Form der Partnerarbeit unterstützen sich Muttersprachler jeweils gegenseitig beim Erwerb der Sprache des Partners, indem sie miteinander sprechen und gemeinsam Aufgaben lösen, während sie sich gleichzeitig sprachlich korrigieren und verbessern. Dabei handelt es sich in der Regel um ganz normale Sprachschüler, die über keine besonderen Lehrfähigkeiten verfügen. Zwar arbeiten sie meist mit didaktisch aufbereiteten Materialien, sind aber keineswegs zuvor in sprachspezifischen Vermittlungspraktiken besonders geschult worden. Der traditionelle Lehrer hat bei dieser Lernform nur beratende und unterstützende Funktion. Offensichtlich gilt auch hier: wer eine Sprache als Muttersprache beherrscht, kann anderen, die diese Sprache lernen wollen, gut und wirksam dabei helfen. 2.7 Der Muttersprachler als „heimlicher Sprachlehrer" Daß das Hörverstehen beim Sprachenlernen eine nicht unbedeutende Rolle spielt, ist seit langem bekannt. Ich gehörte mit zu den ersten, die sich in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts dafür eingesetzt haben, Hörverstehensübungen zu entwickeln und einzusetzen, weil der Spracherwerb dadurch gezielt gefördert werden könne (Freudenstein 1970). Bis zu dieser Zeit waren Hörverstehensübungen als Bestandteile eines fremdsprachlichen Lehrgangs unbekannt. Zwar ist das Hörverstehen längst kein „Stiefkind" des Sprachunterrichts mehr, von einer systematischen Ausbildung dieser „passiven" sprachlichen Fertigkeit, die als Grundlage für darauf aufbauende „aktive" sprachliche Aktivitäten dient, kann aber beileibe nicht die Rede sein. Was die Schule bis heute nicht leistet, machen Radio und Fernsehen allerdings möglich. Kinder lernen Englisch, wenn sie sich die Sesamstraße im Original anschauen. Erwachsene frischen ihre Sprachkenntnisse auf, wenn sie die Originalfassung eines Films im Fernsehen oder im Kino sehen. Die BBC oder die Deutsche Welle haben unzähligen Menschen in aller Welt geholfen, über Funk Englisch und Deutsch zu lernen. Hier sind Muttersprachler so etwas wie „heimliche Sprachlehrer", die ganz entscheidend dazu beitragen, daß fremde Sprachen in der Wirklichkeit des uns umgebenden Alltags aufgenommen und verstanden werden können. 3. Warum es Vorbehalte gegen Muttersprachler gibt Die wenigen angeführten Beispiele zeigen bereits, daß es genug Argumente gibt, die dafür sprechen, darüber nachzudenken, ob man den schulischen Fremdsprachenunterricht nicht denen überlassen sollte, die über eine muttersprachliche Kompetenz verfügen. Warum dies nicht geschieht, hat viele Gründe. Da gibt es zum einen verwaltungstechnische und beamtenrechtliche Vorschriften, die eine Übernahme von Ausländern in den lFLl.llL 31 (2002) 112 Reinhold Freudenstein Schuldienst verhindern. Deutsche Lehrer verfügen über eine Facultas docendi für mindestens zwei Unterrichtsfächer, während in anderen Ländern nur ein Fach notwendig ist. Trotz der freien Wahl des Arbeitsplatzes innerhalb der Europäischen Union sind althergebrachte Denkstrukturen sowohl in der Bevölkerung a1s auch in den Amtsstuben noch längst nicht überwunden. Franzosen oder Italiener gelten nach wie vor als „Ausländer" und nicht·als Europäer aus Frankreich oder Italien. Zum anderen ist das Vorurteil weit verbreitet, Fremdsprachenlehrer müßten die Sprache ihrer Schüler genau kennen, weil sie nur dann Verständnis für deren Lernprobleme beim Erwerb einer Fremdsprache haben und ihnen helfen könnten, sie zu überwinden. Daß dies nicht stimmen kann, läßt sich leicht erklären. Seit jeher unterrichten Deutsche in unseren Schulen .fremde Sprachen, müßten also die Lernprobleme ihrer Schüler kennen; dennoch haben sie es bisher nicht vermocht, ihnen selbst nach sieben und mehr Jahren systematisch erteilten Unterrichts eine Fremdsprache als verläßliches Kommunikationsmittel beizubringen. Wie sprach- und hilflos sich Abiturienten beim ersten Auslandsaufenthalt vorkommen, hat Piepho einmal treffend formuliert, als er ausführte, daß man erst auf der Oberstufe der Realschule oder des Gymnasiums mit der Redebereitschafteiniger weniger Schüler rechnen dürfe, "denen eine natürliche Orientierungsfähigkeit im Sprachlichen, ein Auslandsaufenthalt oder häusliche Begegnungen mit Ausländern Anstöße, Motivation und die nötige Übung vermittelt hatte. Von einer systematischen oder zumindest geordneten Entfaltung der Sprechfähigkeit [während des Unterrichts in der Schule] konnte aber nie die Rede sein" (1974: 7 t). Dreißig Jahre später gilt diese Aussage noch immer. Anhand vieler Beispiele läßt sich nachweisen, daß möglicherweise gerade Lehrer, die die Sprache ihrer Schüler nicht kennen, am erfolgreichsten sind; verwiesen sei hier z.B. auf die international zusammengesetzten Lerngruppen in den Goethe~Instituten oder auf das Partnerlernen im Tandem. Vorbehalte gegenüber Muttersprachlern als reguläre Lehrkräfte im deutschen Schulwesen haben schließlich auch mit der traditionellen Ausbildung deutscher Fremdsprachenlehrer zu tun hat. Das läßt sich am folgenden Beispiel gut verdeutlichen. Vor etwa dreißig Jahren veröffentlichte ein Muttersprachler in der Rubrik Would you have marked it wrong? einer fremdsprachlichen Fachzeitschrift die englische Klassenarbeit eines (bilingualen) Jungen, der die siebte Klasse des Gymnasiums in einer deutschen Großstadt besuchte (Speight 1977). In dieser Arbeit waren von einem deutschen Lehrer vier Fehler angestrichen worden, die der (mlittersprachige) Vater des Jungen nicht als Fehlerbetrachtete und der darum die Note „befriedigend" in einem Brief an den Lehrer als „absolutely ridiculous" bezeichnete. Der Lehrer beantwortete dieses Schreiben, indem er seine Beurteilung unter Berufung auf formal-grammatische und pädagogische Gründe rechtfertigte, dabei die umgangssprachlich geläufigen und kommunikativ völlig richtigen Sprachgewohnheiten Englisch sprechender Menschen außer Acht ließ und folgerte: "Ich sehe mich nicht in der Lage, an den von mir bemängelten Stellen oder an der Gesamtzensur etwas zu ändern'' (Speight 1977: 157). Daß dieses Beispiel durchaus keine Ausnahme darstellt und sich auch heute noch auf ähnliche Weise in deutschen Schulen wiederholen kann, beweist der Bericht eines bilingualen Schülers, der über das Korrekturverhalten seiner deutschen Englischlehrerin schrieb: "What we wrote was right. She can't say it's FLUllL 31 (2002) Ein Modell für Europa: Muttersprachler an die Front! 113 a mistake just because she' d like to have it different" (Mader 1999: 9). Lehrer, die eine Fremdsprache auf der Grundlage grammatischer Regeln und formaler Kriterien lernen, die eine Ausbildung durchlaufen, in der Vorlesungen und Seminare von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen auf deutsch ablaufen und die weder in ihrer Studienzeit noch während ihres Berufslebens zu einem Auslandsaufenthalt verpflichtet sind solche Lehrer können kein Sprachgefühl entwickeln, das der lebendigen und sich stets wandelnden Wirklichkeit einer fremden Sprache entspricht. Muttersprachler hingegen besitzen ein solches Sprachgefühl und sind deshalb die besseren Sprachenkönner, die über ideale Voraussetzungen verfügen, es an andere weiterzuvermitteln. 4. Merkmale eines guten Fremdsprachenlehrers Als es in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts darum ging, das Lernziel "Kommunikationsfähigkeit" beim Lehren fremder Sprachen umzusetzen, wurden erstmals auch Interaktionsformen im Klassenraum wissenschaftlich analysiert. Auf der Grundlage eines Beobachtungssystems von N. A. Flanders versuchte man zunächst in den USA (Grittner 1969: 327 ff), das Unterrichtsverhalten von Fremdsprachenlehrern genauer kennenzulernen. Gertrude Moskowitz gehörte zu den ersten, die auf diesem Gebiet konkrete Ergebnisse vortragen konnte (Freudenstein 1976). Sie hatte zwei Lehrergruppen über einen längeren Zeitraum hindurch während ihres Unterrichts beobachtet und sowohl ihr verbales als auch ihr nichtverbales Verhalten anhand eines Analysesystems eingehend protokolliert. Dabei unterschied sie zwischen „typischen" und „überdurchschnittlich guten" (outstanding) Lehrkräften. Man mag sicherlich anhand der inzwischen weiterentwickelten Beobachtungsverfahren vielerlei Einwände gegen das von Moskowitz benutzte Forschungsdesign anführen können. So dürfte z.B. das von ihr angewandte Verfahren zur Auswahl der untersuchten Lehrer nicht unumstritten sein. Die Forscherin hatte mehrere Tausend Studierende gebeten, sich an ihre High- School-Zeit zu erinnern und dabei Französisch- und Spanischlehrer zu benennen, die einen besonders positiven Eindruck bei ihnen hinterlassen hatten; diese Lehrkräfte wurden dann als outstanding bezeichnet. Auch der von Flanders übernommene Beobachtungsrhythmus, bei dem das Lehrerverhalten alle drei Sekunden unter Beachtung von zehn Beobachtungskategorien gekennzeichnet werden mußte, dürfte heute nicht mehr uneingeschränkt akzeptiert werden. Dennoch sind das Anliegen und der Ansatz von Moskowitz realitätsnah, praxisbezogen und darum nach wie vor relevant, weil sich generelle Trends und Tendenzen abzeichnen, die internationale Gültigkeit besitzen dürften. Unter den Merkmalen, die den guten Fremdsprachenlehrer auszeichnen, greife ich im Folgenden nur diejenigen auf, die im Zusammenhang mit Ausbildungspraktiken von deutschen Lehramtsstudierenden fremdsprachlicher Fächer stehen. Was zeichnet nach Moskowitz gute Fremdsprachenlehrer aus? a) Sie benutzen im Unterrichtsgespräch mit den Schülern vornehmlich die fremde Sprache. b) Sie beherrschen die fremde Sprache sehr gut (excellent). lFLl.lL 31 (2002) 114 Reinhold Freudenstein c) Es geht ihnen vornehmlich um die Ausbildung der Sprechfertigkeit, weniger um stilles Lesen und schriftliche Aufgaben. d) Sie sprechen während des Unterrichts weniger häufig als ihre Schülerinnen und Schüler. e) Ihr nichtverbales und motorisches Verhalten ist stark ausgeprägt. f) Sie bemühen sich um ein entspanntes Lernklima, d.h. sie praktizieren einen sozialintegrativen Führungsstil. g) Sie sprechen ihre Schülerinnen und Schüler weniger häufig direkt, dafür umso mehr indirekt an. h) In methodischer Hinsicht sind sie einfallsreich und vielfältig. i) Sie benutzen weniger häufig (als die Schüler) die Tafel. j) Auf Schülerfehler reagieren sie sofort, geduldig und nachsichtig. Diese Merkmale können den folgenden Bereichen zugeordnet werden: 1. Sprachbeherrschung und Sprachgebrauch (vgl. die Merkmale a bis c), 2. Methodik und Didaktik (Merkmale d, e, g bis i), 3. Sozialverhalten (Merkmale f und j), wobei anzumerken ist, daß sich einige dieser Merkmale durchaus mehreren Bereichen zuordnen lassen. Betrachtet man den typischen Werdegang eines deutschen Fremdsprachenlehrers, wird schnell erkennbar, daß genau diesen drei Bereichen in den herkömmlichen Ausbildungsgängen keine zentrale Bedeutung zukommt. Die Sprachausbildung konzentriert sich in der Regel auf formal-grammatische Kenntnisse und historische Sprachwissenschaft; noch immer gilt das Übersetzen als ein wichtiger Nachweis für fremdsprachliche Kenntnisse, obwohl es sich um eine spezielle Fertigkeit handelt, die für Lehrer irrelevant ist, auch wenn sie in einigen Bundesländern dazu verpflichtet sind, Übersetzungsübungen mit ihren Schülern zu pflegen. Didaktik in der Hochschulausbildung beschränkt sich auf kurzfristige Praktika, die von Schulpraktikern und nicht von Hochschullehrern betreut werden. Vorlesungen und Seminare aus den Bereichen Erziehungswissenschaft und Psychologie sind zwar in vielen Universitäten 1m Curriculum von Lehramtsstudierenden obligatorisch verankert; die dafür nachzuweisenden Semesterwochenstundenzahlen schwanken jedoch in den einzelnen Bundesländern für die gesamte Ausbildungszeit zwischen zwei und zwanzig Stunden, und das inhaltliche Angebot orientiert sich in erster Linie an Arbeitsschwerpunkten von Hochschullehrern und Dozenten und nicht an notwendigen Orientierungshilfen für Studierende fremder Sprachen. So kann beispielsweise ein künftiger Französischlehrer an der Philipps-Universität in Marburg seine erziehungswissenschaftlichen Pflichtveranstaltungen mit Themen wie „Die sowjetische Pädagogik bis zum Beginn der Stalin-Ära", mit Analysen ausgewählter Werke von Pestalozzi, mit „Energie-Erziehung" als einem ökologischen Schlüsselproblem oder mit einem Vergleich von Schulreformkonzepten aus den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts abdecken. Verpflichtende Vorlesungen wie eine „Einführung in die Lernpsychologie", "Methodische Konzepte beim Lehren und Lernen fremder Sprachen" oder „Probleme der mündlichen Leistungsmessung" sind nirgends vorgeschrieben. Anders ausgedrückt: der Ausbildungsgang eines Fremdsprachenlehrers in Deutschland richtet sich an völlig anderen Inhalten aus, als es für ein erfolgreiches Berufsleben notwendig wäre. Orientiert lFILIJJlL 31 (2002) Ein Modell für Europa: Muttersprachler an die Front! 115 man sich an den Merkmalen eines guten Fremdsprachenlehrers, die bereits seit über zwanzig Jahren bekannt sind, schneiden pädagogisch geschulte Muttersprachler ohne Zweifel erheblich besser ab als Lehrer mit einem deutschen Staatsexamen. 5. Über die traditionelle Ausbildung fremdsprachlicher Lehrkräfte Versuche, die neuphilologische Ausbildung von Fremdsprachenlehrern zu verändern, sind in der Vergangenheit häufiger unternommen worden, haben jedoch die universitären Ausbildungsstrukturen, bei denen es um eine humanistische Bildung von Gelehrten und nicht um eine solide Ausbildung von professionellen Lehrern geht, bislang nicht in Frage stellen können. Das liegt nicht zuletzt daran, daß Reformbestrebungen stets bemüht waren, neue Aufgaben mit historisch überlieferten Inhalten zu verbinden, anstelle antike Vorstellungen über Bord zu werfen. So sprach sich z.B. vor etwa dreißig Jahren der Fachverband Moderne Fremdsprachen (FMF) für eine Professionalisierung des Lehrerberufs aus und beschrieb in diesem Zusammenhang Tätigkeitsmerkmale, für die Fremdsprachenlehrer (eigentlich) ausgebildet sein müßten. Schaut man sich die damals konzipierte Taxonomie im einzelnen an, ist rückblickend kaum zu verkennen, daß es weniger um ein grundlegend neues Konzept, sondern in weiten Teilen nur um die Perpetuierung herkömmlicher Praktiken unter Verwendung zeitgemäßer Terminologie ging (Hüllen 1973). In dem umfangreichen Katalog von Aufgaben, die Lehrer fremder Sprache zu erfüllen haben, ist z.B. nicht an einer einzigen Stelle zu lesen, daß die sprachliche Aus- und Fortbildung einen wichtigen Stellenwert einnehmen müßte. Dafür werden in mehr als 50 Punkten und Unterpunkten detaillierte Anforderungen aufgelistet, die traditionelle Unterrichtspraktiken aufgreifen und an keiner Stelle grundlegende Veränderungen signalisieren, z.B. das „Auswerten lehrrelevanter Strukturen", das „Verwenden von Lautschrift als Unterrichtshilfsmittel" oder die „fachwissenschaftliche Analyse von Texten". Neu war in diesem Zusammenhang eigentlich nur die Aufnahme von inzwischen verfügbar gewordenen neuen Lernmitteln (Sprachlabor) und Prüfverfahren (Testen). Im übrigen aber soll der Fremdsprachenlehrer nichts weiter tun, als "seine in Studium, Ausbildung und Praxis erworbenen fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Kenntnisse anhand neuer wissenschaftlicher Entwicklungen erweitern und überprüfen und für seinen Unterricht verfügbar machen. Er muß besonders Disziplinen erarbeiten, die zur Zeit seines Studiums wenig prominent waren, wie angewandte Linguistik, Textwissenschaft, Testkunde" (Hüllen 1973: 198). · Mit anderen Worten: Fremdsprachenlehrer sollen sich durch Kontaktstudien, Fernstudien, auf Kongressen, Tagungen und Lehrgängen nicht etwa deswegen Kenntnisse aneignen, weil sie das ihnen auf der Hochschule vermittelte Wissen aktualisieren würden, sondern einfach deshalb, weil sie damit während ihrer universitären Ausbildung überhaupt nicht in Kontakt gekommen sind. Die Diskrepanz zwischen dem, was die Universität vermittelt, und dem, was zur Bewältigung der täglichen Unterrichtspraxis notwendig ist, hat sich bis heute unverändert am Leben erhalten. Darum fordert Schröder lFlLlllL 31 (2002) 116 Reinhold Freudenstein (2001: 192), der Vorsitzende des FMF und einer der einflußreichsten Fremdsprachenpolitiker der Gegenwart, in einer Expertise für die Kultusministerkonferenz: "In der Ersten Phase der Lehrerbildung müssen die sprachpraktischen und fremdsprachendidaktischen Studienanteile erhöht werden; das Fremdsprachenstudium muß einen kulturwissenschaftlichen Kern erhalten, der nicht nur aus Literaturwissenschaft besteht; Auslandsaufenthalte müssen Pflichtbestandteil des Studiums werden; die praktizierenden Lehrerinnen und Lehrer müssen zur Fortbildung verpflichtet werden." Wenn Schröder Studienanteile erhöhen und nicht nur die Literaturwissenschaft als Teil der Kulturwissenschaften verstanden wissen will, so setzt auch er die unheilvolle Tradition fort, lediglich Modifikationen verwirklicht sehen zu wollen; eirie radikale Reform hält er offensichtlich für nicht durchsetzbar. Bei einer solchen Strategie bleibt die Unterrichtspraxis von Fremdsprachenlehrern jedoch weiter von dem bestimmt, was sie selbst als Schülerinnen und Schüler erfahren haben und was ihnen in der zweiten Ausbildungsphase von Praktikern auferlegt worden ist, nachdem sie im Studienseminar mit den Worten empfangen worden sind: "Nun vergessen Sie erst einmal alles, was Ihnen auf der Universität beigebracht worden ist." Daß sich an der Grundhaltung, existierende Strukturen zu erhalten und nkht grundlegend zu erneuern, bis heute nichts geändert hat, beweist eine Erklärung der 22. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts zur Ausbildung von Fremdsprachenlehrerinnen und Fremdsprachenlehrern. Sie wurde angesichts der aktuellen bundesweiten Diskussion um Fragen der Lehrerausbildung im März 2002 verfaßt und versteht sich als Vorankündigung künftiger konkreter Vorschläge für ein Lehramtsstudium im Bereich der neueren Fremdsprachen. Wie eine solche Ausbildung gestaltet . sein müßte, läßt sich aus den vorliegenden Formulierungen aber bereits in groben Zügen ablesen. Da wird z.B. gefordert, daß die Lehrerbildung auch weiterhin eine wissenschaftliche Ausbildung sein müsse, wogegen grundsätzlich nichts einzuwenden wäre, würde das Wort weiterhin nicht eine Fortführung der philologischen Tradition suggerieren. Weiter heißt es, die erste Ausbildungsphase dürfe nicht als bloße Vermittlung beruflich verwertbarer Fertigkeiten mißverstanden werden, sondern es müsse vielmehr die Fähigkeit zur theoriegeleiteten Reflexion des Sprachenlehrens und des Sprachenlernens in ihren historisch-politischen, gesellschaftlichen, institutionellen und individuellen Bedingungen entwickelt werden. Auch in dieser Erklärung ist nichts von guten bis perfekten Sprachkenntnissen zu lesen, ohne die ein Gespräch, eine Diskussion, schon gar nicht ein Diskurs in eitler fremden Sprache möglich sind. Mit anderen Worten: weiter so wie bisher hier und da andere Akzente, aber keine wirklich neuen Wege. 6. Fremdsprachenlehrkräfte in der Grundschule Meine Überzeugung, daß gute Fremdsprachenlehrer nicht durch die herkömmliche Ausbildung an der Hochschule dazu gebracht werden können, erfolgreichen Unterricht zu erteilen, sehe ich durch Aktivitäten im Bereich des Fremdsprachenfrühbeginns belFLuL 31 (2002) Ein Modell für Europa: Muttersprachler an die Front! 117 stätigt. Während des Internationalen Jahr des Kindes (1979), zu einer Zeit also, als zumindest in Deutschland - Fremdsprachenunterricht in der Grundschule kaum diskutiert wurde, veranstaltete die Federation Internationale des Professeurs de Langues Vivantes (FIPLV) ein Symposium in der Schweiz, bei dem es darum ging, das Fremdsprachenlernen im Kindesalter als ein wichtiges und notwendiges Arbeitsfeld der Zukunft zu erörtern. Damals bezeichnete ein ungarischer Wissenschaftler die Ausbildung von Fremdsprachenlehrerinnen, die Vorschulkurse unterrichten, als „sehr unterschiedlich: sie reicht vom Selbststudium über praktische Erfahrungen und kurze Fortbildungskurse bis hin zum engagierten, persönlichen Einsatz. Viele Lehrerinnen sind auf diese Weise erfolgreiche Erzieherinnen geworden" (Dezsö 1980: 83). Diese Kennzeichnung der damaligen Situation galt nicht nur für Ungarn, sondern in gleicher Weise für viele andere Länder und sie gilt uneingeschränkt bis heute. Deutsche Lehrerinnen, die in der Grundschule Fremdsprachen unterrichten, haben in den allerseltensten Fällen eine entsprechende Ausbildung an der Hochschule erfahren, und doch erteilen sie einen Unterricht, der dazu geführt hat, daß der Fremdsprachenunterricht in der Grundschule heute in den meisten Bundesländern flächendeckend eingeführt ist. Das ist das Ergebnis engagierter Praktiker, die sich für eine Sache einsetzen, die sie für lohnenswert halten, sei es mit oder ohne ministerielle Genehmigung. Erwarten sollte man Anstöße für derartige substantielle Veränderungen in der Bildungslandschaft eigentlich von der pädagogischen Forschung, speziell von der Sprachlehr- und Sprachlernforschung; sie hat bisher jedoch immer nur nachträglich auf bereits erfolgte Veränderungen reagiert, kritisch analysiert und damit in vielen Fällen Reformwillige eher verunsichert, als sie in ihrem Bemühen zu unterstützen. Ein Beispiel aus jüngster Zeit dürfte dafür die Untersuchung zum Stand des Fremdsprachenunterrichts im Primarschulbereich in verschiedenen Ländern der Europäischen Union sein (Blondin [et al.] 1998). Folgte man den darin formulierten Empfehlungen zum Fremdsprachenunterricht in der Grundschule, würde man seine Einführung eher verhindern als ihn gezielt fördern. Während des erwähnten FIPLV-Symposiums wurde u.a. die Notwendigkeit einer guten Sprachbeherrschung als Voraussetzung für einen effektiven Unterricht betont: „Ziel des praktischen Sprachunterrichts [für Lehrkräfte im Primarschulbereich] ist eine möglichst fließende Beherrschung der Fremdsprache" (Dezsö 1980: 84). Eine solche Sprachbeherrschung kann bei Muttersprachlern als gegeben vorausgesetzt werden. Studierende des Lehramts können ein solches Ziel kaum jemals erreichen. Darum sollten sie durch Pädagogen ersetzt werden, die das, was sie unterrichten, perfekt beherrschen. Eine derart radikaler Einschnitt in das Gefüge des Berufsstands der Lehrer ist natürlich nicht kurzfristig erreichbar. Für die gegenwärtige Situation habe ich darum einmal eine Rangliste für Fremdsprachenlehrende im Grundschulbereich erstellt, die drei Stufen umfaßt; mit entsprechenden Modifikationen halte ich sie auch für Lehrende im Sekundarschulbereich für richtig und angemessen, wenn wir das Lernziel „Kommunikationsfähigkeit" in allgemeinbildenden Schulen im Kontext einer Erziehung zur Mehrsprachigkeit umsetzen wollen: ~ JFLm, 31 (2002) 118 Reinhold Freudenstein "1. Die beste Lehrerwahl sind Muttersprachlerinnen mit einer abgeschlossenen Sprachlehrerausbildung und einem grundschulpädagogischen Wissen. [...] 2. Die nächstbeste Möglichkeit sind Grundschullehrer mit einer Lehrbefähigung zum Unterrichten einer Fremdsprache. [...] 3. Erst danach sollten die ,Enthusiasten' zum Zuge kommen dürfen, die Freude an einer Fremdsprache haben, die längere Auslandsaufenthalte nachweisen können und die sich regelmäßig an Fortbildungsveranstaltungen beteiligen. Ihre Arbeit sollte, wo immer möglich, in Teamarbeit mit Originalsprechern einer Fremdsprache erfolgen" (Freudenstein 2000). Grundschullehrer wissen, wie man kindgerecht unterrichtet; für den Fremdsprachenunterricht brauchen sie nur noch zu lernen, wie man dies auf Englisch, Französisch, Italienisch oder in irgendeiner anderen Sprache am besten machen kann. Wie Muttersprachler wirksam dazu beitragen können, andere sprachlich zu fördern, läßt sich gut an einem Beispiel aus dem Bereich Deutsch als Fremdsprache illustrieren. Aussiedler, Asylanten, Gastarbeiter und andere Personengruppen, die sich in Deutschland aufhalten, weil sie hier leben und arbeiten, stehen in sehr unterschiedlichen Situationen vor der Aufgabe, Deutsch zu lernen. Vor allem am Arbeitsplatz in einer Fabrik oder in einem mittelständigen Betrieb sind es dann oft deutsche Muttersprachler, etwa Vorarbeiter oder Meister, die plötzlich zum „Sprachlehrer" werden. Ihnen ist bis heute kaum Hilfe für diese Aufgabe geboten worden, sieht man einmal vom Projekt „Eurotrain" ab (Beneke 1995). Dabei handelt es sich um Qualifizierungsmodule für den berufsbezogenen Fremdsprachenunterricht in Klein- und Mittelbetrieben, bei denen es neben interkulturellem Lernen und fachsprachlicher Kompetenz auch um Methodik und Didaktik beim Gebrauch der deutschen Sprache am Arbeitsplatz geht (Freudenstein 1995). Solange der als professioneller Fremdsprachenlehrer ausgebildete Muttersprachler nicht flächendeckend zur Verfügung steht, halte ich solche Projekte für zeitgemäß und notwendig, um für eine einigermaßen fundierte sprachliche Ausbildung sorgen zu können. 7. Eckdaten für eine neue Lehrergeneration Die Forderung, künftig nur noch Muttersprachler als Fremdsprachenlehrer einzusetzen, ist ein hoch gestecktes Ziel, das sich nur bei langfristiger Planung in ferner Zukunft verwirklichen läßt, weil die dafür notwendigen Voraussetzungen nicht kurzfristig geschaffen werden können. Vor allem wird es zunächst darauf ankollllllen, sich einschränkungslos dafür einzusetzen, daß sich schulischer Fremdsprachenunterricht konsequent auf kollllllunikative Fertigkeiten und Fähigkeiten konzentriert, denn Muttersprachler sollen nur dann als Regellehrer in Betracht kollllllen, wenn es primär um die Ausbildung einer solchen Sprachkompetenz in Alltags-, Berufs- und Freizeitsituationen geht. Mehrsprachigkeit in Europa ist nur dann erreichbar, wenn vom schulischen Konzept der Langzeitkurse endlich und endgültig Abschied genollllllen wird. Beginnt der Fremdsprachenunterricht schon in der Grundschule und wird bilingualer Sachfachunterricht bereits auf der Sekundarstufe I zur Regel, können künftig unter Beibehaltung der für den Fremdsprachenunterricht heute zur Verfügung stehenden Stundenzahl mindestens drei Fremdsprachen als Regelangebot unterrichtet werden. Dabei gehe ich davon aus, daß lFlLllL 31 (2002) Ein Modell für Europa: Muttersprachler an die Front! 119 keine Sprache länger als vier Jahre auf dem Stundenplan steht. Das läßt sich verwirklichen, wenn man den Sprachunterricht auf den Erwerb einer umgangssprachlich relevanten Kompetenz konzentriert. Einblicke in Struktur und Wesen von Sprache, wie sie über den Grammatikunterricht erreicht werden sollen, können ebenso ausgespart bleiben wie literarische Textarbeit, die bisher den fremdsprachlichen Unterricht von Anfang an nicht nur am Gymnasium, sondern in allen Schulformen sowohl explizit als auch implizit belastet hat. Das bedeutet keinesfalls, daß das interkulturelle Lernen damit automatisch aus dem Aufgabenbereich des Fremdsprachenunterrichts herausgenommen würde. Im Gegenteil: nur dann, wenn eine Sprache im Umgang mit Muttersprachlern gelernt und auf dieser Grundlage gut beherrscht wird, kann auch Nähe und Ferne zur eigenen Muttersprache zur persönlichen Erfahrung werden ein Ziel, das sich im kopfgesteuerten Fremdsprachenunterricht nur annäherungsweise erreichen läßt. Der Vorwurf, daß damit eine bewährte Tradition deutscher Fremdsprachendidaktik verlassen wird, trifft nicht zu. Erstens hat sich diese Fremdsprachendidaktik nicht bewährt, da sie ihre Ziele in der Vergangenheit nicht erreicht hat. Zweitens war diese Zielsetzung für eine Schülerpopulation festgelegt worden, die heute nicht mehr existiert. Fremdsprachenunterricht wird auch am Gymnasium nicht mehr für eine auserlesene Elite erteilt, sondern ist ein gesamtgesellschaftliches Anliegen geworden, das alle Bevölkerungsschichten umfaßt. Die hehren philologischen Ziele von einst, die mit der Textarbeit auf der Oberstufe des Gymnasiums und mit den Prüfungsanforderungen im Abitur allen Schülerinnen und Schülern aufgezwungen werden, obwohl deren persönliche und berufliche Zukunft ganz andere Interessen nahelegen, sind in einer gewandelten Welt nicht mehr zeitgemäß. Ich plädiere keineswegs für eine ersatzlose Streichung der Textarbeit auf der gymnasialen Oberstufe, wehre mich aber dagegen, daß sie allen Schülerinnen und Schülern zwangsweise vorgeschrieben wird. Auch künftig sollen literarische Kurse das Oberstufencurriculum bereichern, aber nur für diejenigen, die daran Interesse haben oder deren Interesse daran vielleicht geweckt werden könnte. Für solche Kurse werden dann auch weiterhin Deutsche, die Fremdsprachenphilologie studiert haben, notwendig sein, denn muttersprachliche Kenntnisse sind für einen solchen Unterricht nicht erforderlich, weil es um andere Inhalte als um ein flexibles umgangssprachliches Verhalten geht. Solange sich die Inhalte des Fremdsprachenunterrichts auf der Sekundarstufe II nicht ändern, werden sehr viele Schülerinnen und Schüler weiterhin Fremdsprachen abwählen, obwohl sie Fremdsprachen nach dem Abitur brauchen werden. Zydatiß hat recht, wenn er die „Gretchenfrage" stellt: „In welcher Weise geht die Mehrzahl der heutigen Abiturienten mit der Zielsprache Englisch nach der Schule um? Sicherlich wird sich nur eine Minderheit im strengen philologischen (textanalytischen und -interpretatorischen) Sinne mit dieser Sprache weiter beschäftigen" (Zydatiß 2001: 217). Nur eine Minderheit? So gut wie niemand wird dies tun nicht auf englisch und schon gar nicht auf französisch. Für die Inhalte eines Fremdsprachenunterrichts, der die umgangssprachliche Kommunikation zum Ziel hat, die junge Menschen für ihr Berufsleben brauchen, sind keine Philologen notwendig, sondern Pädagogen, die die zu lernenden ]F]LllJllL 31 (2002) 120 Reinhold Freudenstein Sprachen sicher, natürlich, kompetent und differenziert beherrschen und: die gelernt haben, ihre Spracherfahrungen an andere weitergeben zu können. 8. Fünf Postulate für ein Ausbildungskonzept Ich glaube, daß nur eine völlige Trennung von bisherigen Praktiken einen neuen Lehrertyp prägen kann, den wir brauchen, um die sprachlichen Voraussetzungen für die Bürger einer multikulturellen und multilingualen Gesellschaft in Europa zu schaffen. Das erste Postulat lautet: MAN NEHME EINEN MUTTERSPRACHLER. Diese Muttersprachler sollten die Sprache, mit der sie aufgewachsen sind, in einer allgemein akzeptierten Variante beherrschen. Ihr Berufsziel sollte sein, ihre Muttersprache als Fremdsprache unterrichten zu wollen. Das zweite Postulat lautet: MUTTERSPRACHLICHE FREMDSPRACHENLEHRENDE WERDEN SO AUSGEBIWET, DASS SIE SOWOHL AUF DER PRIMARSTUFE ALS AUCH AUF DER SEKUNDARSTUFE I UNTERRICHTEN KÖNNEN. Diesem Postulat liegt die Überzeugung zugrunde, daß ein fließender Übergang von der Grundschule auf die Sekundarstufe I nur dann gewährleistet werden kann, wenn sowohl die institutionellen als auch die pädagogisch-psychologischen Bruchstellen zwischen beiden schulischen Ausbildungsabschnitten vermieden werden. Dies ist gewährleistet, wenn die Verantwortung für die Jahrgangsstufen 1 bis 10 einer Lehrerschaft übertragen wird, die für den diesen Unterricht gezielt ausgebildet worden ist. Eine solche strukturelle Konsequenz in Planungsüberlegungen für ein neues Ausbildungskonzept einzubeziehen ist sicherlich schwierig, weil es für viele undenkbar scheint, sich vom Philologen verabschieden zu müssen. Darum fehlen Ansätze dazu in der Fachdiskussion fast völlig. Lediglich bei Raasch sind Hinweise zu finden, die darauf schließen lassen, daß auch er einen solchen Weg für sinnvoll zu halten scheint, wenn er schreibt: „Es wäre im Sinne eines kontinuierlichen Lernens der Fremdsprache, daß die Ausbildung der Fremdsprachenlehrer auch in die Besonderheiten der jeweils anderen Lernphasen einführt; vielleicht wäre dies der geeignete Weg, die bestehende Kluft zwischen dem Fremdsprachenunterricht in der Grundschule und weiterführender Schule zu überbrücken; [...] Voraussetzung ist die institutionelle Zusammenarbeit der jeweiligen Ausbildungsstätten, die nicht immer nur strukturell getrennt sind" (Raasch 2001: 49 f). Das dritte Postulat lautet: DIE AUSBILDUNG KÜNFTIGER FREMDSPRACHENLEHRER ERFOLGT AUF WISSENSCHAFTLICHER GRUNDLAGE, ABER VON ANFANG AN BERUFSBEZOGEN. Die Ausbildung an einer Universität oder an einer Pädagogischen Hochschule sollte von Beginn an sowohl fachals auch berufsbezogen sein. Schwerpunkte sollten in den Bereichen der Grundschuldidaktik liegen und Methodik, Lernpsychologie und Evaluierungsverfahren für die Sekundarstufe I mit einschließen. Historische Linguistik und Literaturwissenschaft gehören nicht zum Kernbereich eines solchen Konzepts. Das vierte Postulat lautet: DIE AUSBILDUNG VON MUTTERSPRACHLERN ALS FREMDSPRACHENLEHRER ENTHÄLT EINE EINFÜHRUNG IN DIE UNTERSCHIEDLICHEN SCHULSYSTEME DER MITGLIEDS- STAATEN DER EUROPÄISCHEN UNION. Wenn Lehrer in anderen Ländern als denen, in denen sie aufgewachsen sind, unterrichten sollen, dann müssen sie mit den Arbeitsbedingungen ]F[,u]L 31 (2002) Ein Modell für Europa: Muttersprachler an die Front! 121 in den Schulsystemen dieser Länder vertraut sein. Dies bedeutet nicht, daß sie die Sprache ihrer künftigen Schüler lernen müßten; das ist schon allein aus dem Grund nicht möglich, weil niemand wissen kann, wo sein künftiger Arbeitsort einmal liegen wird. Überdies legen Erfahrungen aus dem Vorschulbereich nahe, daß der fremdsprachliche Erwerbsprozeß umso einfacher und schneller vonstatten geht, je weniger er durch die Muttersprache der Lernenden beeinflußt ist. Wenn Kinder wissen, daß sie nur in der Fremdsprache mit ihren Lehrern reden können, werden sie gar nicht erst den Versuch machen, es in ihrer Muttersprache zu versuchen. Das fünfte Postulat lautet: JEDER LEHRER ERWIRBT DIE FAKULTAS FÜR MINDESTENS EIN SACHFACH IM RAHMEN SEINER KÜNF- TIGEN UNTERRICHTSVERPFLICHTUNGEN AUF DER SEKUNDARSTUFE/ . Für den Unterricht ab Jahrgangsstufe I sollte jeder Lehrer mindestens ein Sachfach studieren, das er während seiner Berufszeit bilingual unterrichten kann. Ein zweites Sachfach kann im Rahmen einer Erweiterungs- oder Ergänzungsprüfung hinzugewählt werden. Eine solche Regelung übertragt die gymnasiale Tradition, nach der Lehrer sowohl auf der Sekundarstufe I als auch auf der Sekundarstufe II unterrichten können, auf eine zeitlich früher liegenden Zeitraum. Damit wird gleichzeitig dafür Sorge getragen, daß sich die berufliche Belastung beim Unterricht relativ junger Kinder einerseits und Jugendlicher in der schwierigen Phase der Pubertät einigermaßen gleichmäßig verteilt und den Lehrenden einen Arbeitsalltag vermittelt, der abwechslungsreich und weniger einseitig ausgerichtet ablaufen kann. Mehr als hundert Jahre lang ist der RufVietors Der Sprachunterricht muß umkehren! immer wiederholt und dennoch nicht erhört worden. Ich glaube, der Sprachunterricht hätte endlich eine erfolgreiche Chance zur Umkehr, wenn Sprachlehrer überall in Europa tatsächlich das lehren dürften, was sie wirklich können: ihre Muttersprache. Eine Utopie? 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