eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 31/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2002
311 Gnutzmann Küster Schramm

Forschendes Lernen in der Fremdsprachenlehrerausbildung

121
2002
Marita Schocker-v. Ditfurth
flul3110151
Marita Schocker-v. Ditfurth * Forschendes Lernen in der Fremdsprachenlehrerausbildung Erfahrungen mit einem multiperspektivischen Ansatz Abstract. The article discusses relevant principles for the creation of leaming-to-teach environments for initial language teacher education and delineates various models for learning environments which put these principles into practice. All of the models described are based on a research approach to leaming. In doing so they try to integrate the relevant areas of knowledge as identified by research. Relevant perspectives include student teachers' own images of teaching as derived from their biography, relevant published knowledge and the experiential knowledge of practising teachers. Conclusions are derived from a Iong-term leaming-to-teach study in which the author has researched the effects of leaming environments which foster a multiperspective view on knowledge development and which follow a research approach to teacher education. 1. Kontext Im Rahmen meiner Habilitationsstudie [künftig: Freiburger Studie] habe ich mich mit der Frage beschäftigt, wie angehende Fremdsprachenlehrer/ innen ausgebildet und damit angemessen auf die komplexen Anforderungen im kommunikativen und interkulturellen Fremdsprachenklassenzimmer vorbereitet werden können (Schocker-V. Ditfurth 2001). Die Studie steht damit im Zusammenhang einer lebhaft geführten Diskussion um die Reform der universitären Lehrerbildung, deren Ausbildungskonzepte in mancher Hinsicht unzeitgemäß scheinen. Denn die Grundlagen, auf denen derzeit die wissenschaftliche Ausbildung der Fremdsprachenlehrer/ innen betrieben wird, leiten sich nicht aus einer wissenschaftlich fundierten Analyse der erforderlichen Kompetenzen in den künftigen Tätigkeitsfeldern ab. Statt dessen legitimieren sie sich durch das traditionelle Selbstverständnis der entsprechenden universitären Disziplinen, die als relevante Bezugswissenschaften gelten (die Sprachwissenschaft, die Literaturwissenschaft, die Kulturwissenschaft); "in großen Teilen des Lehramtsstudiums [wird] gelehrt, was in den philologischen Disziplinen geforscht wird. Diese Inhalte sind nicht selten von einer Berufsferne, die für Lehramtsstudentinnen und -studenten selbst bei bestem Willen nicht mehr nachvollziehbar sind" (Zydatiß 1998: 9). Freeman drückt dies besonders pointiert aus, wenn er die Wissensbasis, auf der die Lehrerausbildung derzeit betrieben wird, mit dem Wahrheitsgehalt überlieferter Volksweisheiten vergleicht: Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Marita SCHOCKER-V. DITFURTH, Pädagogische Hochschule Freiburg, Institut für Fremdsprachen, Kunzenweg 21, 79117 FREIBURG. E-Mail: marita@schocker-ditfurth.de Arbeitsbereiche: Ausbildungsforschung, Neue Medien, Englisch in der Grundschule lFLl.llL 31 (2002) 152 Marita Schocker-V. Ditfurth "(A)lthough people have been learning to teach languages for a long time, few in our field have paid much attention to understanding how the processes of teacher learning actually unfold or the knowledge and experience that underlie those processes. Thus most conventional practices in language teacher education have operated like hand-me-down stories, folk wisdom shared as 'truths' of the profession with little other than habit and convention on which to base them" (Freeman 1996: 351). Dabei mangelt es nicht an konzeptuellen Vorschlägen und programmatischen Entwürfen für eine Reform der Lehrerbildung, die ihre Inhalte und Verfahren ausgehend von einer Analyse des berufsfeldbezogenen Wissens und der entsprechenden Kompetenzen ableitet, wohl aber an Versuchen, diese Anregungen systematisch in eine hochschuldidaktisch durchdachte Lernumgebung zu übertragen und die dadurch ausgelösten Lernprozesse zu erforschen. Dieser vernachlässigten Ausbildungsforschung widmet sich die Freiburger Studie. Dazu wurde zunächst die Frage nach der notwendigen Wissensbasis für Fremdsprachenlehrer/ innen diskutiert (Wodurch zeichnet sich qualitätsvolles Handeln in komplexen pädagogischen Feldern im allgemeinen und im Fremdsprachenklassenzimmer im besonderen aus? ), diese in ein Ausbildungsmodell übertragen (Wie können angehende Fremdsprachenlehrer/ innen angemessen auf dieses pädagogische Feld vorbereitet werden? ) und prozeßbegleitend die Lernerfahrungen erforscht, die Studierende in dieser Lernumgebung machen (Wie können diese Lernprozesse eiforscht werden, damit sie der Komplexität des Handlungsfeldes gerecht werden und sich mit den Ausbildungsinteressen der Studierenden verbinden lassen? ). Die Studie stellt damit gewissermaßen die Auseinandersetzung um die Frage, welche Lehrerbildung angemessen ist, vom Kopf auf die Füße, indem sie ihre Erkenntnisse ausgehend von der Beschreibung und der Analyse der Lernprozesse aus Sicht der Studierenden gewinnt. Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses stand die Auseinandersetzung mit dem beruflichen Selbstverständnis angehender Fremdsprachenlehrer/ innen: Welche Vorstellungen verbinden sie aufgrund jahrelanger eigener Erfahrungen mit den Lernmöglichkeiten im Fremdsprachenklassenzimmer? Wie ist dieses Erfahrungswissen beschaffen? Ist es für ihr Denken und Handeln im Klassenzimmer prägend? In welcher Beziehung steht dieses Wissen zu den Wissensbeständen, die sie in ihrer Ausbildung kennen lernen und wie verhält es sich zu dem Wissen, auf das sie treffen, wenn sie sich mit erfahrenen Lehrern, beispielsweise im Rahmen ihrer Schulpraktika, auseinandersetzen? Gelingt es ihnen, im Laufe ihrer Ausbildung ein berufliches Selbstverständnis und entsprechende Kompetenzen zu entwickeln, die den komplexen Berufsanforderungen im Fremdsprachenklassenzimmer angemessen sind? Es wird argumentiert, daß dies durch die Anleitung zu einem klassenzimmerbezogenen, forschenden Lernen gelingen könnte, das eine Auseinandersetzung mit dem eigenen beruflichen Selbstverständnis sowie relevanten publizierten Wissensbeständen einschließt. Was die Erforschung der Lernprozesse angeht, so haben sich Verfahren der ethnografischen Forschung angeboten, der es um eine möglichst ganzheitliche Perspektive auf ihre Forschungsgegenstände geht. Dazu nutzt sie verschiedene Verfahren der teilnehmenden Beobachtung, die gleichzeitig auch zentrale Elemente der pädagogischen Analyse sind (z.B. das pädagogische Tagebuch, die aufgabengeleitete UnterrichtsbeoblFJLlllL 31 (2002) Forschendes Lernen in der Fremdsprachenlehrerausbildung ... 153 achtung, die Analyse einer Videoaufzeichnung eigenen Unterrichts). Deshalb verwenden die Studierenden die Forschungsinstrumentarien als Reflexionsanlässe, durch die Aushandlungsprozesse angeregt werden, die eine persönliche ,produktive Auseinandersetzung' zwischen den verschiedenen Perspektiven auf das Klassenzimmer unterstützen. Die Verfahren dieses Forschungsansatzes können deshalb zu der notwendigen Entwicklung einer multiperspektivischen Sichtweise auf die Prozesse im Fremdsprachenklassenzimmer beitragen. 1 Ich werde zunächst die Relevanz des Konzeptes forschenden Lernens und damit verbunden die Entwicklung einer verstehenden, von verschiedenen relevanten Sichtweisen informierten Analyse fremdsprachlicher Lehr/ Lern-Prozesse begründen und erläutern [Multiperspektivität], um danach verschiedene Möglichkeiten darzustellen, wie dieses Konzept unter den gegebenen universitären Rahmenbedingungen zu realisieren ist. Anschließend werde ich die Erfahrungen mit diesem Lehrerbildungskonzept zusammenfassen und mit der Forderung nach notwendigen Entwicklungen verbinden, mit denen mein Beitrag schließt. 2. Das Prinzip forschenden Lernens in der fremdsprachlichen Lehrerbildung: Eine verstehende, multiperspektivisch informierte Sichtweise auf das Fremdsprachenklassenzimmer entwickeln Das Postulat einer wissenschaftlichen und berufsfeldbezogenen Lehrerbildung wird verstanden als die Entwicklung der Fähigkeit, Unterricht unter Einbeziehung verschiedener relevanter Perspektiven zu verstehen und notwendige Veränderungen unter Mitwirkung der Beteiligten zu erproben und gemeinsam zu reflektieren. Dazu wird den Studierenden ein forschender und damit verstehender Zugang zum Fremdsprachenklassenzimmer ermöglicht, der ihnen eine Auseinandersetzung mit den Sprachlernbedingungen in einem spezifischen institutionellen Sprachlernkontext ermöglicht. Welches sind die relevanten Perspektiven auf das Lehren und Lernen von Fremdsprachen in institutionellen Erwerbskontexten, die es dabei zu berücksichtigen gilt? Mit dieser Frage hat sich ein relativ junger Forschungszweig, die Lehrerwissensforschung, beschäftigt (z.B. Woods 1996). Ihr geht es darum, das berufsfeldbezogene Wissen der Lehrer/ innen zu verstehen, über das diese aufgrund ihrer jahrelangen Unterrichtserfahrung verfügen. Daraus folgt die Notwendigkeit einer Beschreibung von Unterricht und Lehrkompetenz, die über kognitive Aspekte hinausgeht und die biographisch geprägte Herausbildung persönlicher Vorstellungen sowie ein Wissen um die Bedingungen einer Unterrichtssituation einschließt. In einer solchen integrierten Sichtweise sind die Einstellungen, Annahmen und das Wissen von Lehrer/ innen unter drei Aspekten zu sehen, die in der Lehrerbildung berücksichtigt und aufeinander bezogen Für eine ausführliche Dokumentation des Forschungsprozesses siehe Schocker-V. Ditfurth (200 la; 2001 b). JFJLIIIL 31 (2002) 154 Marita Schocker-V. Ditfurth werden müssen, wenn sie tatsächlich zu einer wirksamen Qualifizierung der Lehrer/ innen beitragen will. Es sind dies: 1. ein biographisches Wissen, das beispielsweise die eigenen Schulerfahrungen, die Sprachlernerfahrungen im Ausland oder die Herausbildung persönlicher Wertvorstellungen im Bereich der Erziehung umfaßt; 2. ein Wissen um die Unterrichtssituation, die durch Komplexität, Unvorhersagbarkeit, Wertkonflikte, Unsicherheit und Simultanität der Ereignisse (Schön 1983) sowie die grundlegende Notwendigkeit, zu Schülerinnen und Schülern eine tragfähige persönliche Beziehung aufzubauen, gekennzeichnet ist; 3. ein spezifisch fachdidaktisches Wissen, dem nach wie vor neben dem, was traditionell als Fachwissen bezeichnet wird, also beispielsweise literatur-, sprach- oder kulturwissenschaftlicher Inhalte das Hauptaugenmerk der Lehrerausbildung gilt. Für die Lehrerausbildung folgt daraus, daß es nicht ausreicht, wenn sich die Studierenden lediglich mit fremdsprachendidaktischen Positionen und anderen relevanten publizierten Wissensbeständen auf einer kognitiven Ebene auseinandersetzen. Diese Perspektive muß mit der Reflektion ihrer biographisch geprägten Vorstellungen vom Lehren und Lernen einer Fremdsprache verbunden werden, um sie schließlich mit den Möglichkeiten zu vergleichen, die ein konkreter Handlungsraum für das Fremdsprachenlernen bietet (= eine multiperspektivische Sichtweise entwickeln). Dadurch soll einerseits die fremdsprachendidaktische Literatur als Erklärungswissen und als Zielperspektive ernst und zur Kenntnis genommen werden, die Studierenden sich aber gleichzeitig auch mit ihren eigenen lernbiographisch geprägten Unterrichtsbildern und Handlungsdispositionen auseinandersetzen, um anschließend gemeinsam mit anderen Strategien zur Schulentwicklung zu erproben, die auf das praktisch Machbare in einem spezifischen Spracherlernkontext abzielen. Die beiden nachfolgenden Kapitel stellen die Strukturierung entsprechender Lernprozesse vor und geben konkrete Beispiele für Lernumgebungen in der universitären Lehrerbildung, die diesen Anspruch einlösen. 3. Die Strukturierung des Lernprozesses in den Seminaren Unabhängig von den jeweiligen Inhalten und den spezifischen Organisationsformen der Seminare wird der Lernprozeß der Studierenden in vier Schritte gegliedert, die den Studierenden eine aufeinander bezogene aufgabengeleitete Auseinandersetzung mit den oben genannten Perspektiven ermöglicht. Die Begründungen für die einzelnen Schritte sind den Ergebnissen der Freiburger Lehrerausbildungsstudie entnommen. l. Themenbezogene Auseinandersetzung mit dem lembiographisch geprägten Erfahrungswissen der Studierenden Das berufliche Selbstverständnis der Studierenden gründet in erster Linie auf ihrem persönlichen Erfahrungswissen, das sich vor Beginn des Studiums entwickelt hat. Demgegenüber spielen publizierte Wissensbestände, denen sie in ihrer Ausbildung begegnen, IFLUJL 31 (2002) Forschendes Lernen in der Fremdsprachenlehrerausbildung ... 155 für ihr berufliches Selbstverständnis kaum eine Rolle. Ihnen wird lediglich eine sehr geringe berufsrelevante Bedeutung zugesprochen. 2 Die Vorstellungen über adäquate Fremdsprachenerwerbsprozesse werden stets mit den eigenen biographisch geprägten Lernerfahrungen verbunden. Durch sie haben die Studierenden persönliche Wertvorstellungen davon entwickelt, welche Lehr/ Lern-Prozesse sie für angemessen und realisierbar halten. Deshalb ist auch ihr Unterrichtshandeln nicht theoriegeleitet. Statt dessen wird der Erfahrungsaustausch mit ehemaligen Lehrerinnen und Lehrern vorgezogen, der ihnen glaubwürdiger erscheint. Die Lehrangebote der Hochschule haben offensichtlich nicht dazu geführt, daß auch nur annähernd von gemeinsam geteilten Vorstellungen über das Lehren und Lernen einer Fremdsprache ausgegangen werden kann. Eine kognitiv orientierte Vermittlung fachdidaktischen Wissens scheint diese Vorstellungen kaum zu beeinflussen. Damit bestätigt die Freiburger Studie zum einen die Kritik am Transformationsmodell der Wissensverwendung, wonach es mit Hilfe wissenschaftlicher Theorien „allenfalls in besonderen, empirisch angebbaren Prozessen zu einer Revision der praktischen Handlungstheorien" kommen kann (Dewe [et al .. ] 1992: 74). Zum anderen werden die Ergebnisse bisheriger Studien zur Ausbildungsforschung bestätigt, wonach wissenschaftliches Wissen und praktisches Handlungswissen komplementär nebeneinander stehen können und sich nicht zwangsläufig wechselseitig bereichern müssen. So auch das Resümee einer der ersten deutschen Ausbildungsstudien: "Kaum einer Studentin gelingt es [...] überzeugend [...], Studienwissen mit eigenen Beobachtungen und praktischen Erfahrungen zu verknüpfen. Die meisten bleiben entweder im theoretischen Wissen hängen und referieren Themen, für die ihr Interesse während des Praktikums geweckt worden war, oder sie schildern sehr gefühlsbetont die Realität Schule, ohne nur ansatzweise professionell distanzierte Beurteilungskriterien anzuwenden" (Gabel 1997: 162 f). Die Einbeziehung des Erfahrungswissens der Studierenden ist auch deshalb unabdingbar, da in der Regel eine erhebliche Diskrepanz zwischen den eigenen Fremdsprachenlernerfahrungen am Gymnasium und zeitgemäßen spracherwerbsfördernden Lernumgebungen in einem kommunikativen und interkulturellen Fremdsprachenunterricht bestehen (vgl. Schocker-V. Ditfurth 2001: Kap. 4.3). Erst die Artikulation des Erfahrungswissens der Studierenden schafft die Voraussetzung dafür, daß es analysierbar, mitteilbar und damit reorganisierbar wird. Nur so kann es für sich selbst und für andere transparent gemacht, zur Diskussion gestellt und damit weiterentwickelt werden. 2. Personenbezagene Auseinandersetzung mit relevanten publizierten theoretischen Wissensbeständen Wie die Freiburger Studie nachgewiesen hat, kann das Interesse an theoretischen Wissensbeständen durchaus geweckt werden, wenn sie mit der Reflexion des eigenen Erfahrungswissens verbunden werden und wenn sie zur Problemlösung oder als Perspektive für die Verbesserung der Sprachlernbedingungen eines konkreten Handlungsraumes 2 Gabel (1997); vgl. auch die Auswertung der Lernerfahrungen der Studierenden, die sich an der Freiburger Studie beteiligt haben, in Schocker-V. Ditfurth (2001: Kap. 1.5). lf'LwL 31 (2002) 156 Marita Schocker-V. Ditfurth herangezogen werden. Diese Möglichkeit bietet ein forschendes Zugehen auf das Fremdsprachenklassenzimmer, durch das die Studierenden das Lernpotential eines spezifischen Fremdsprachenlernkontextes mit denjenigen Perspektiven verbinden, die fremdsprachendidaktische Wissensbestände für mögliche Weiterentwicklungen bieten. 3. Verstehende Auseinandersetzung mit dem Erfahrungs- und Praxiswissen der Lehrer/ innen und ihrer Schüler/ innen Fremdsprachenlehrer/ innen sind in erster Linie Vermittlungsexperten für das Fremdsprachenlernen und für interkulturelles Lernen in institutionalisierten Vermittlungskontexten. Deshalb geht das hier entwickelte Lehrerausbildungsmodell davon aus, daß die Schule als sozialer und kultureller Kontext, in dem institutionalisiertes Fremdsprachenlernen stattfindet, als Teil der zu reflektierenden Wissensbasis der Lehrerausbildung einzubeziehen ist (Breen 1985, Freeman/ Johnson 1998). Je nach Seminartyp bietet sich dafür entweder die direkte teilnehmende Beobachtung bei Unterrichtsbesuchen und eine darauf bezogene Befragung der am Unterricht Beteiligten an, möglich ist auch die Analyse von Fallstudien oder von Unterrichtsaufzeichnungen auf Video, die von der unterrichtenden Lehrerin kommentiert werden. 4. Anbahnen von Vermittlungswissen und -kompetenzen (Handlungsbezug) durch die Einbeziehung einer Klassenforschungskomponente in die Seminare Die Studierenden bearbeiten grundsätzlich ein Klassenforschungsprojekt im Team, dessen Inhalt und Umfang je nach Seminartyp sehr unterschiedlich sein kann (siehe untenstehende Beispiele). Zum einen lernen die Studierenden dadurch, die relevanten Perspektiven auf das Lehren und Lernen von Fremdsprachen aufeinander zu beziehen. Zum anderen ist es auch bereits in der ersten Phase der Lehrerbildung notwendig, daß die Studierenden angemessene Vermittlungskompetenzen entwickeln. Denn: den Studierenden sind aufgrund ihrer eigenen schulischen Lernerfahrungen die Handlungsmuster in einem lernerorientierten, kommunikativen Unterricht meist neu und deshalb fremd. Es versteht sich selbstredend, daß fremdsprachendidaktisch angemessene Handlungstypen erlernbar sind. Je nach Art und Weise der Vorerfahrungen der Studierenden, durch die sich entsprechende Handlungsdispositionen entwickelt haben, bedarf es jedoch einer längeren Phase der praktischen Erprobung, bis sie sich als automatisch verfügbare Verhaltensroutine im Klassenzimmer aktualisieren können. Die Seminare sollten deshalb so weit als möglich auch die Entwicklung entsprechender handlungssteuernder Vermittlungskompetenzen fördern. 4. Beispiele für mögliche Lehr/ Lern-Szenarien in der Lehrerausbildung, die nach dem Prinzip forschenden Lernens arbeiten Nachfolgend werden verschiedene Lernumgebungen skizziert, die die eben genannte Strukturierung des Lernprozesses auf unterschiedlichste Weise praktisch umsetzen. Dabei wird jeweils auf bereits vorliegende Publikationen verwiesen, in denen sowohl die IFLrutL 31 (2002) Forschendes Lernen in der Fremdsprachenlehrerausbildung ... 157 Konzeption als auch die Erfahrungen der Studierenden mit den Lernumgebungen ausführlich beschrieben werden. a) Das Fachpraktikum als 'organisierende Mitte' der Lehrerbildung Die weitreichendste Umsetzung des Prinzips forschenden Lernens findet im Rahmen des Fachpraktikums statt. Es ist nicht wie häufig üblich ein Anhängsel, das isoliert neben dem fachdidaktischen Veranstaltungsgebot besteht, sondern die einführende Didaktik/ Methodik-Veranstaltung; das Fachpraktikum und die das Praktikum begleitende Seminarveranstaltung sind inhaltlich und methodisch aufeinander abgestimmt und in einem Ausbildungsmodell integriert. Neu ist die konsequente Umsetzung der o.g. Prinzipien in einem hochschuldidaktischen Modell, das dem Fachpraktikum die zentrale Rolle in dieser Lernumgebung zuweist. Zunächst wird bei den Studierenden ein theoriegeleitetes Denken durch Aufgaben angebahnt, die die persönliche Auseinandersetzung mit grundlegenden fachdidaktischen Texten zum Lehren und Lernen fremder Sprachen anregen. Danach setzen sie sich mit dem entsprechenden Phänomen im Klassenzimmer auseinander, wobei ihre Aufmerksamkeit durch entsprechende Beobachtungsaufträge gesteuert wird. Schließlich bereiten sie Interviewleitfragen für die Lehrerin vor, die sich aus der Auseinandersetzung mit der Literatur und der Unterrichtsbeobachtung ergeben haben. Dadurch werden Diskussionsprozesse ausgelöst, in denen es beispielsweise um Begründungen für Diskrepanzen, um Zielperspektiven, um Fragen nach der Angemessenheit von Verfahren oder um das eigene berufliche Selbstverständnis geht. Fachdidaktische Wissensbestände werden nicht als präskriptives Anwendungswissen mißverstanden. Vielmehr wird durch die Aufgabenstellung eine persönliche, kritische Auseinandersetzung mit dem fachdidaktischen input angeregt, die der Entwicklung einer persönlichen Theorie über das Lehren und Lernen einer Fremdsprache zuträglich ist. Im letzten Drittel ihres Fachpraktikums erforschen die Studierenden, ausgehend von einer persönlich relevanten Fragestellung, die aus ihren Praxiserfahrungen hervorgegangen ist, einen Aspekt ihres Unterrichts und ziehen für die Klärung der Situation sowohl fachdidaktische als auch weitere, die Situation klärende, Wissensbestände heran. Danach entwickeln sie Handlungsstrategien, mit deren Hilfe sich ihr Anliegen praktisch umsetzen läßt. Unter Verwendung verschiedener Datenerhebungsmethoden werten sie dann ihre Unterrichtserfahrungen aus, wodurch ihre Fähigkeit zu einer distanzierten Reflexion gefördert wird. Die Datenerhebung hat immer die Perspektive der Schüler/ innen mit einzubeziehen. Abschließend präsentieren sie ihre Ergebnisse im Rahmen einer Diskussion zu Beginn des Folgesemesters für die neue Praktikumsgruppe. 3 b) Fremdsprachendidaktische Projektseminare mit einer unmittelbaren Forschungskomponente In fremdsprachendidaktischen Projektseminaren zu unterschiedlichsten Themen entwickeln die Studierenden Unterrichtsprojekte in enger Kooperation mit einer Lehrerin Für eine ausführliche Beschreibung sämtlicher Aufgaben, Themen und Forschungsprojekte siehe Schockerv. Ditfurth (1998; 2001). IFLwL 31 (2002) 158 Marita Schocker-V. Ditfurth und ihrer Schulklasse, führen diese Projekte in der Klasse durch, erheben prozeßbegleitend Daten zu einer Forschungsfrage, der sie nachgehen, werten diese abschließend aus und präsentieren und publizieren ihre Ergebnisse. Damit sind die fachdidaktischen Hauptseminare als Projektseminare angelegt und fördern dadurch bei den Studierenden ähnliche lerneraktivierende Prozesse, die sie bei den Schüler/ innen initiieren sollen: Die Studierenden arbeiten in themenbezogenen, arbeitsteiligen Projektteams und machen dadurch die Erfahrung selbstgesteuerten und kooperativen Lernens; Englisch ist die Arbeitssprache auf allen Ebenen des Austausches, d.h. der Seminardiskurs findet in der Zielsprache statt; schließlich werden die Studierenden dazu angeleitet, ihren Lernprozeß und das gemeinsame Lernprodukt selbst zu bewerten. Durch ihre Selbsterfahrung entwickeln sie gleichzeitig Handlungskompetenzen für die Praxis. Die Lehrveranstaltungen werden quasi „als didaktisch-methodisches 'Vorbild' für einen lerneraktivierenden Unterricht" gestaltet (Zydatiß 1998: 13; Hervorhbg. v. Autor). Damit wird der in Lehrerausbildungsstudien dokumentierten, weitverbreiteten Seminarpraxis entgegengearbeitet, wonach sich die Studierenden zwar mit fachdidaktischen Begriffen auseinandersetzen, ihnen jedoch die Vorstellung und die Anschauung der Praxis dieser häufig abstrakt bleibenden Begrifflichkeiten vorenthalten wird. Erkenntnisse der Lehrerausbildungsforschung aus unterschiedlichen Kontexten (Johnson 1992, 1994; Schocker-V. Ditfurth 2001) gehen übereinstimmend davon aus, daß die Ausbildungserfahrungen für angehende (wie auch praktizierende) Lehrer/ innen nur dann ein Anlaß zu einer Entwicklung, Differenzierung oder grundsätzlichen Neuorientierung derjenigen Vorstellungen sind, die sie mit dem Lernpotential des Fremdsprachenklassenzimmers verbinden, wenn eine Innovation anschaulich erfahrbar wird, also mit den strukturbedingten institutionellen Vorgaben, unter denen der Fremdsprachenunterricht stattfindet, vereinbar und dadurch glaubwürdig ist. 4 c) Fremdsprachendidaktische Projektseminare mit einer mittelbaren Forschungskomponente Bei dem eben beschriebenen Seminartyp ist die Arbeitsbelastung der Studierenden verglichen mit den Anforderungen traditioneller Fachdidaktikseminare sehr hoch. Auch ist nicht immer gewährleistet, daß die Schulbesuche mit den institutionellen universitären Vorgaben vereinbar sind. Eine Weiterentwicklung des Projektseminars besteht darin, daß die Studierenden keinen unmittelbaren Zugang zu einem Fremdsprachenklassenzimmer mehr haben, sondern sich mittelbar mit Daten auseinander setzen, die aus bereits durchgeführten Unterrichtsprojekten mit Klassen stammen. Es liegen umfangreiche Erfahrungen im Rahmen themenbezogener e-mail Projekte vor, die von den Hochschuldozenten und deren wissenschaftlichen Mitarbeiter/ innen gemeinsam mit interessierten Lehrerinnen vorbereitet, durchgeführt und ausgewertet wurden. Sämtliche Daten, die in diesem Zusammenhang entstanden sind oder erhoben wurden, also beispielsweise Lehrerinterviews, Schülerfragebögen, die Verschriftung von Gruppeninterviews mit Schülern, die 4 Ausführliche Beschreibung der Seminare sowie der Lernerfahrungen von Studierenden und Hochschuldozenten mit diesem Seminartyp in Legutke/ Schocker-v. Ditfurth (2001); Schocker-V. Ditfurth/ Legutke (2002). IFJL1.1][, 31 (2002) Forschendes Lernen in der Fremdsprachenlehrerausbildung ... 159 verwendeten Projektskizzen und Aufgabenstellungen und die entstandenen Schülertexte werden den Studierenden zur Verfügung gestellt. Auf diese Weise können sie das Praxiswissen als eine relevante Perspektive zur Bearbeitung ihrer Forschungsfrage einbeziehen (siehe Müller-Hartmann/ Schocker-V. Ditfurth 2002). d) Teilnehmende Beobachtung zu einer Forschungsfrage: direkt im Klassenzimmer oder unter Verwendung von Unterrichtsmitschnitten und einer begleitenden Reflexion durch die unterrichtende Lehrerin und ihrer Schüler/ innen Eine weitere Möglichkeit forschenden Lernens bietet die Einbeziehung von Unterrichtsbesuchen in den Seminaren zur aufgabengeleiteten Unterrichtsbeobachtung oder aber auch Unterrichtsmitschnitte, insofern als sie gleichzeitig die Perspektive der unterrichtenden Lehrerin und ihrer Schüler/ innen einschließt. Die Artikulation der eigenen Perspektive kann so mit den präsentierten Fallbeispielen verglichen und eine verstehende Unterrichtsbeobachtung durch die Einbeziehung der Perspektive der am Unterricht Beteiligten ermöglicht werden. Dazu werden derzeit vom Goethe-Institut Materialien für die DaF-Lehrerbildung entwickelt, das erste Modul liegt vor (Schocker-V. Ditfurth 2002). In allen Modulen kommentieren die Lehrerinnen, deren Unterricht auf Video zu beobachten ist, ihren Unterricht und geben über ihr berufliches Selbstverständnis und ihre Lernbiographie Auskunft. Gleichzeitig äußern sich auch ihre Schülerinnen zum Unterricht. Die Gegenüberstellung der eigenen Beobachtungen der Studierenden mit den Äußerungen der am Unterricht Beteiligten ermöglicht die Auseinandersetzung mit dem (eigenen und fremden) beruflichen Selbstverständnis. 5. Erfahrungen und notwendige Entwicklungen 5.1 Lehrerbildung als berufsidentitätsbildende Schlüsselerfahrung Ein Modell für die Fremdsprachenlehrerausbildung das so konzipiert ist, daß es die aufeinander bezogene Auseinandersetzung zwischen dem Erfahrungswissen der Studierenden, ausgewählten publizierten Wissensbeständen und den Lehr-Lern-Prozessen in einem Fremdsprachenklassenzimmer ermöglicht, bedarf im Idealfall eines Fachpraktikums als zentralen Ort einer praxisbezogenen Lehrerbildung, an dem dieser Verrnittlungsprozeß auf ideale Weise organisiert werden kann. Aber auch überschaubarere forschende Zugänge auf das Praxisfeld, die in die hochschuldidaktische Konzeption der Seminare einbezogen werden, vermögen dies in Ansätzen zu leisten. Für die Studierenden wird dadurch die praktische Entwicklung fachdidaktischer Wissensangebote sowie die aktiv forschende Weiterentwicklung der Praxis in ihrer Komplexität erfahrbar. Im Verlauf dieses Prozesses entwickeln die Studierenden ein reflektiertes berufliches Selbstverständnis, das ein mehrperspektivisch informiertes Wissen über die Bedingungen beinhaltet, die das Lehren und Lernen einer Fremdsprache in institutionellen Vermittlungskontexten charakterisiert. Wie gezeigt, werden dazu den Studierenden vielfältige Anlässe einer persönlichen Auseinandersetzung mit diesen relevanten Wissensbeständen geboten und damit die JFJLll! IL 31 (2002) 160 Marita Schocker-V. Ditfurth Voraussetzung für eine gegebenenfalls notwendige Neuorientierung ihres bisherigen Selbstverständnisses geschaffen. Es wird erwartet, daß dadurch nachhaltige Sozialisationswirkungen ausgelöst werden, die zur Entwicklung einer Berufsidentität beitragen. Das wird dann der Fall sein, wenn es gelingt, daß die Lernerfahrungen für die Studierenden zu einem critical incident bzw. einer critical period, einer berufsidentitätsbildenden Schlüsselerfahrung also, werden, die Measor wie folgt beschreibt: "(C)ritical incidents [...] are key events in the individual's life, [...] around which pivotal decisions revolve. These events provoke the individual into selecting particular kinds of actions, they in turn lead them in particular directions, and they end up having implications for identity. [...] As a result of the challenge [to a person's identity and image of seif, MS] [...s]ome parts of the identity are confirmed, others are renounced. In addition, the critical incident can involve a discovery about parts ofthe seif[... it] provokes a series of choices [ .. .it] changes the things an individual wants or sees as important. [ .. .I]t involves a reassessment of priorities. [...T]he individual chooses 'a way' and by doing so makes a seif' (Measor 1985: 61). Das hier diskutierte Lernmodell geht von der Vorstellung der Lehrerbildung als eines kontinuierlichen Prozesses der persönlichen und beruflichen Entwicklung aus, für den die Studierenden mitverantwortlich sind. Die Ausbildung initiiert und unterstützt diesen Entwicklungsprozeß durch entsprechende Angebote und Reflexionsräume und bietet Hilfen bei der persönlichen Verarbeitung der Erfahrungen an. Im anglo-amerikanischen Sprachraum wurde dafür der Begriff des teacher development eingeführt, um dieses Verständnis der Lehrerbildung als persönlichen Entwicklungsprozeß von der traditionellen Vorstellung einer Ausbildung als teacher training abzugrenzen: "The model [of teacher development, MS] is built on an 'asset' rather than a 'deficit' premise: teachers bring to their own development a whole host of skills and experiences that will serve them. Likewise, the process of learning is an active, not a passive one: the teacher is actively reflecting and exploring, not, as it were, 'being developed' by someone else whose job it might be to provide assessment and answers" (Wajnryb 1992: 9). Durch diese Fokussierung auf die Lehrerpersönlichkeit sind die Lernerfahrungen für die Studierenden zwar häufig eine Phase vermehrter Konflikte, aber auch eine Phase mit hohem Wachstumspotential. Sie erfahren in den hier konzipierten Lernumgebungen die professionelle Wertschätzung, die ihnen gebührt, jedoch nicht immer entgegengebracht wird, wie die Rückmeldungen der Studierenden zu ihren bisherigen Ausbildungserfahrungen in der Freiburger Studie gezeigt haben. Die prozeßbegleitende Auswertung der Lernerfahrungen der Studierenden hat wiederholt verdeutlicht, welchen Beitrag eine Lernumgebung, die sich an diesen Grundlagen orientiert, für die Entwicklung des beruflichen Selbstverständnisses angehender Fremdsprachenlehrer/ innen leisten kann. Für die meisten Studierenden wurden sie als Wendepunkt in ihrer beruflichen Entwicklung erfahren und hatten tatsächlich den Status einer Schlüsselerfahrung, die Anlaß zu einer Weiterentwicklung und Differenzierung bzw. einer grundsätzlichen Neuorientierung in ihrem beruflichen Selbstverständnis ist. 5 Für eine ausführliche Diskussion der Fallbeispiele wie auch der fallübergreifenden Auswertung siehe Schocker-V. Ditfurth (2001: Kap. 5) ]F]Lw., 31 (2002) Forschendes Lernen in der Fremdsprachenlehrerausbildung ... 161 5.2 Lehrerbildung als Kontinuum bisheriger Lernerfahrungen Gleichzeitig hat sich bestätigt, wie grundlegend die Auseinandersetzung der Studierenden mit den Lernerfahrungen ist, die vor Beginn ihres Studiums liegen: Sie wurden sich der prägenden Bedeutung dieser Erfahrungen auf ihr berufliches Selbstverständnis und ihr unterrichtliches Handeln bewußt und lernten durch den forschenden Zugang auf die Praxis, ihre Vorstellungen vom Lehren und Lernen einer fremden Sprache hinsichtlich seiner Angemessenheit zu bewerten. Dabei wurde zweierlei deutlich: Angehende Lehrer/ innen sind willens und dazu in der Lage, über ihr Erfahrungswissen Auskunft zu geben. Manche Unbeholfenheit im Ausdruck mag daher rühren, daß es für die Studierenden die erste Gelegenheit war, ihr Erfahrungswissen zu artikulieren und sich damit auseinander zu setzen. Zum anderen haben die Beiträge der Studierenden gezeigt, wie wichtig es ist, ihre Perspektive als eine relevante Wissensbasis in die fremdsprachendidaktische Auseinandersetzung einzubeziehen. Wenn beabsichtigt ist, daß Lehrer/ innen künftig ihr Erfahrungswissen nicht, wie bisher üblich, permanent destruieren, hat die Lehrerbildung die Studierenden von Anfang an dazu zu ermutigen, ihre Erfahrungen und ihr Wissen wert zu schätzen und es als eine Perspektive auf den Fremdsprachenunterricht ernst zu nehmen. 5.3 Fremdsprachendidaktische Fragestellungen im Zusammenhang eines pädagogischen Gesamtkonzeptes reflektieren und weiterentwickeln Es ist das ausdrückliche Ziel forschenden Lernens, die Studierenden dazu anzuleiten, ihr Erfahrungswissen zu verbalisieren, damit sie sich von ihrer Handlung distanzieren und über sie nachdenken können. Die Entwicklung dieser Fähigkeit der Reflexion über die Handlung ist vor allem auch in der Konzeption der Klassenforschungsprojekte angelegt, in denen die Studierenden dazu angeleitet werden, die relevanten Perspektiven auf das Lehren und Lernen einer Fremdsprache zu integrieren. Es geht dabei jedoch nicht um verkürzte fachdidaktische Anliegen, sondern um „eine persönlichkeitsfördernde Hinführung zur beruflichen Rolle des Pädagogen und Lehrers", die sich „vor allem in der individuellen Bereitschaft und Fähigkeit zeigt, über das Tätigkeitsfeld des Lehrers in fachlich strukturierter und pädagogisch-didaktisch verantwortlicher Form reflektieren zu können" (Zydatiß 1998: 283). Die Freiburger Studie hat gezeigt, daß eine angemessene Weiterentwicklung der schulischen Lernerfahrungen nicht durch ein isoliertes, ausschließlich an fremdsprachendidaktischen Kriterien orientiertem Curriculum erfolgen kann, das sich auf die Beschreibung, die Analyse, und die Weiterentwicklung der fremdsprachlichen Aspekte des Unterrichtsdiskurses beschränkt. Ein solches eingeschränktes Verständnis würde weder den Bedingungen gerecht, unter denen institutioneller Spracherwerb stattfindet, noch entspräche es einem beruflichen Selbstverständnis, das sich durch ein ernsthaftes Bemühen um pädagogisches Verstehen auszeichnet, d.h. das die Lerninhalte und -prozesse in den Zusammenhang ihrer Bedeutsamkeit für die Entwicklung des Selbst- und Weltverständnisses der Schüler/ innen stellt (Klafki 1988). Im Idealfall ist das Handeln des ]F[,IJIL 31 (2002) 162 Marita Schocker-V. Ditfurth Einzelnen jenseits der Grenzen eines Unterrichtsfaches Ausdruck einer pädagogischen Grundhaltung, die von den Lehrerinnen und Lehrern einer Schule gemeinsam getragen wird. Damit den Studierenden die Bedingtheit ihrer fachbezogenen Erfahrungen von den Rahmenbedingungen, welche die Schule als „pädagogische Gemeinschaft" (Meyer 1997: 25) ausmacht, bewußt werden, ist eine zeitlich längerfristige Auseinandersetzung mit einem schulischen Umfeld Voraussetzung. Dies ist natürlich in der ersten Phase der Lehrerbildung nur bedingt möglich, kann jedoch durch umfangreichere Folgeprojekte, die aus den Seminaren hervorgehen beispielsweise im Rahmen von Staatsexamensarbeiten oder von der Hochschule betreuter Blockpraktika weiter verfolgt werden. Ein solchermaßen pädagogisch orientiertes Berufsleitbild setzt maßgeblich die Fähigkeit zur Organisation schülerorientierter Lernprozesse voraus, die Voraussetzung dafür ist, daß die Schüler/ innen als eigenständige und ernstzunehmende Persönlichkeiten in den Lernprozeß einbezogen werden: "lt[ ... ] means providing pre-service teachers with knowledge about what students are like, to see students, not as 'faceless blobs' but as individuals with unique needs, interests, aptitudes, and personalities" (Johnson 1996: 47 f). Wie die Freiburger Studie nachgewiesen hat, spielen schülerorientierte Verfahren in den Fremdsprachenlernerfahrungen der Studierenden kaum eine Rolle. Dadurch fehlen ihnen anschauliche Vorstellungen davon, wie sie die Eigenverantwortlichkeit und -initiative der Schüler/ innen praktisch realisieren könnten. Die Fähigkeit, sie in gemeinsamer Verantwortung für die Lernprozesse anzuleiten, entlastet die Studierenden gleichzeitig und reduziert damit die komplexen Anforderungen der Unterrichtssituation. Das hohe Ausmaß an Kontrolle, das ein Merkmal fremdsprachlicher Interaktion ist, mag sich nicht nur aus den komplexen strukturellen Merkmalen der Unterrichtsituation ableiten, sondern verweist meines Erachtens auf Defizite der Lehrerausbildung, der es derzeit an der Entwicklung glaubwürdiger und praktikabler Alternativen eines pädagogisch kompetenten Umgangs mit Klassen mangelt. Es wird nur dann gelingen können, fachdidaktische Anliegen mit den situativen Anforderungen der Unterrichtssituation zu verbinden, wenn die Ausbildung diese integrierte Entwicklung ermöglicht. Dies ist bisher kaum der Fall. Es muß jedoch zu keiner Dichotomisierung zwischen fachdidaktischen Anliegen, persönlichen Vorlieben und Neigungen und den situativen Anforderungen der Unterrichtssituation kommen, wenn diese in gemeinsamer Auseinandersetzung weiterentwickelt werden. Es wäre deshalb angemessen, die Studierenden auch in anderen Fächern dazu anzuleiten, durch verschiedene Verfahren und auf verschiedenen Ebenen die Perspektive der Schüler/ innen als festen Bestandteil ihrer Arbeit im Klassenzimmer einzubeziehen. Dazu gehört auch, daß sie Möglichkeiten kennen lernen, den Unterricht in gemeinsamer Verantwortung mit den Schüler/ innen zu gestalten. IFILwL 31 (2002) Forschendes Lernen in der Fremdsprachenlehrerausbildung ... 163 5.4 Das Prinzip forschenden und reflektierten Erfahrungslernens mit dem Prinzip des· Modelllernens verbinden Die Freiburger Studie hat die Ergebnisse der Gabel-Studie bestätigt, wonach die Fachdidaktik Modelle des Lehrens und Lernens entworfen hat, die in der Universitätslehre nur selten umgesetzt werden und in den Schulen höchstens als Glücksfall anzutreffen sind. Dadurch fehlt den Studierenden die Vorstellung davon, wie sie an sich überzeugende Prinzipien und Konzepte in ein praktisches Lehr-Lernarrangement übertragen können. Vermutlich ist dies einer der Gründe dafür, daß die lernbiographischen Prägungen der Studierenden den Studieninhalten widerstehen. Die Beschäftigung mit allgemeinen Lerntheorien und mit Konzepten eines lernerorientierten Unterrichts in fachdidaktischen Seminaren, beeinflußt deshalb die auf ihren eigenen Erfahrungen beruhenden Unterrichtstheorien nicht. Bei der Konzeption der hier vorgestellten Lernumgebung wurde deshalb davon ausgegangen, daß diese langjährigen Prägungen einer Lernerbiographie nur dann wirkungsvoll kompensiert und weiterentwickelt werden können, wenn die Studierenden in ihrer Ausbildung überzeugenden Alternativen begegnen. Je anschaulicher diese Lehrangebote sind, desto glaubwürdiger und damit handlungsrelevanter werden sie sein. Diese Vermutung wird von Schulentwicklungsexperten unterstützt, welche die derzeit praktizierte Lehrerbildung für kritikwürdig halten, da diese in erster Linie auf vague conceptions basiere: die Lehrangebote bewegten sich meist auf der Ebene abstrakter Begriffe, die für die Studierenden Leerformeln seien, da sie damit keine entsprechenden Vorstellungen einer Realisation verbinden könnten: "The main reason for the failure of teacher education programs, is that they are based on extremely vague conceptions. Having an ideology is not the same as having conceptions and ideas of what should be done and how it should be done" (Fullan 1993: 109). Die Freiburger Studie hat bestätigt, daß die Lernerfahrungen, die im Zusammenhang eines kommunikativen und schülerorientierten Fremdsprachenunterrichts diskutiert werden, in ihren eigenen schulischen Lernerfahrungen kaum eine Rolle spielen und sich deshalb die Vorstellungen, die sie mit dem Lernpotential im Fremdsprachenklassenzimmer aufgrund ihrer eigenen schulischen Erfahrungen verbinden, grundsätzlich von denjenigen Prozessen unterscheiden, die einen kommunikativen und schülerorientierten Unterricht kennzeichnen. Deshalb kann den Studierenden ohne positive alternative Modelle eine Weiterentwicklung in die gewünschte Richtung nur schwer gelingen. Das lernbiographisch geprägte Erfahrungswissen der Studierenden wird dadurch zu einem weiteren Faktor, der zur Komplexität der Anforderungen im Klassenzimmer beiträgt, da sie während ihres Unterrichts kaum auf entlastende Handlungsroutinen zurückgreifen können. Gleichzeitig besteht eine Diskrepanz zwischen dem beruflichem Selbstverständnis, das in vielen Bereichen durchaus den Anforderungen an einen kommunikativen, schülerorientierten Unterricht entspricht, und den Verhaltensdispositionen und -routinen, die sich durch die bisherigen Lernerfahrungen ausgeprägt haben. Der Ausbildungsseite stellt sich deshalb dringend die Frage nach Kompensationsangeboten, durch welche diese Defizite ausgeglichen werden können. Man kann davon ausgehen, lFLlllL 31 (2002) 164 Marita Schocker-v. Ditfurth daß sich die Handlungsdispositionen und Verhaltensroutinen, die sich über Jahre hinweg herausgebildet haben, nur dann verändern werden, wenn die Studierenden glaubwürdigen Alternativmodellen begegnen. Dies scheint derzeit nicht der Fall zu sein ein Ergebnis, das sich durch Erfahrungen in anderen Lehrerausbildungskontexten bestätigt: "(I)f preservice teachers' beliefs are to shift at all, they must become cognizant of their own beliefs, have opportunities to resolve conflicting images within their own beliefs, have opportunities to resolve conflicting images within their own belief systems, have access to develop an understanding of and, more importantly, have successful encounters with alternative instructional practices and alternative images of teachers" (Johnson 1994: 451 ). Fachdidaktisches Wissen und dessen Übernahme durch die Lehrer/ innen ist an die Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft von Personen gebunden, die in der Lage sind, Vorschläge auch selbst praktisch umzusetzen (Appel 2000). Der derzeitige Fokus der ersten Lehrerbildungsphase auf einer reflektiven Auseinandersetzung mit Wissensbeständen verkennt, wie wichtig positive Rollenvorbilder für die berufliche Entwicklung sind: "(T)he current emphasis on reflective teaching draws attention to high level skills of analysis of teaching, with little attention being given to the numerous routes of professional growth by which student teachers might eventually become reflective. Much discussion of reflective teaching tends in fact to devaluate the modeling of routines which for student teachers rnight even be an essential stage in the process of becoming reflective about teaching" (Calderhead 1991: 534). Die Erfahrungen mit den hier skizzierten Lernumgebungen forschenden Lernens haben gezeigt, daß dieser berufliche Entwicklungsprozeß dann besonders günstig zu verlaufen scheint, wenn Phasen des Modellernens und des reflektierten Erfahrungslernens dem forschenden Lernen im Klassenzimmer vorausgehen bzw. es begleiten. So lange sich die eigenen schulischen Lernerfahrungen so erheblich von den Zielperspektiven unterscheiden, werden den Studierenden ohne die Bereitstellung adäquater Unterrichtsbilder keine glaubwürdigen Alternativen zur Verfügung stehen, an denen sie sich orientieren können. Letztlich werden wünschenswerte Weiterentwicklungen in diesem Bereich maßgeblich von dem beruflichen Selbstverständnis der an der Universität Lehrenden abhängen, die der Schulpraxis häufig nicht den zentralen Stellenwert einräumen, den sie verdient. Dazu zählt die dringende Aufwertung der Lehrkompetenz im universitären Bereich, die derzeit noch nicht genügend Berücksichtigung findet (vgl. dazu beispielsweise die Anregungen in McGrath, 1997). Gabel (1997: 175) kritisiert in diesem Zusammenhang zu Recht, daß die sorgfältige Ausübung der Lehrverpflichtungen zu keinen akademischen Meriten führe. Nach wie vor werden bei Stellenbesetzungen in der Regel ein Engagement in der Lehre und eine besondere pädagogische Eignung im Verhältnis zu der wissenschaftlichen Publikationsleistung nicht entsprechend honoriert. Fest stehtdas hat die Freiburger Studie nachgewiesen-, daß ein traditionell kognitiv ausgerichtetes Verständnis von Lehrerbildung einer Vorbereitung auf Unterricht als einer im wesentlichen personenzentrierten und von persönlichen Beziehungen lebenden Tätigkeit nicht gerecht werden kann. Fest steht aber auch, daß es entsprechenden Lehrerbildungsszenarien, die nach dem Prinzip forschenden Lernens arbeiten und die dabei alle lFL1UilL 31 (2002) Forschendes Lernen in der Fremdsprachenlehrerausbildung ... 165 relevanten Perspektiven auf das Lehren und Lernen fremder Sprachen respektieren und einbeziehen, durchaus gelingen kann, entsprechende Wirkungen zu erzielen. Literatur APPEL, Joachim (2000): Erfahrungswissen und Fremdsprachendidaktik. München: Langenscheidt- Longman. 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