Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2003
321
Gnutzmann Küster SchrammVariabilität psycholinguistischer Variablen
121
2003
Manfred Raupach
flul3210153
Manfred Raupach * Variabilität psycholinguistischer Variablen Zur Interpretation mündlicher L2-Produktionen Abstract. This article focusses on the status psycholinguistic variables may have in oral productions of multilingual leamers of German as a foreign language and discusses the possibility of controlling those variables within an experimental setting. lt takes up some of the hypotheses that have recently been put forward in the framework of the "Bielefeld Research Project on Oral L2-Productions" and according to which there exist interdependences between cognitive processes such as attention, monitoring and automaticity. lt is suggested to differentiate between (a) variables that are meant tobe controlled in the experimental design, which in this case is attention, (b) temporal and linguistic variables which are suited to guide the psycholinguistic analysis of the data, and (c) other factors influencing the leamers' productions, the impact of formerly leamed languages being regarded as a crucial one. 1. Einleitung Das umfangreiche Korpus von Lernerdaten, das im Rahmen des Bielefelder DFG-Projekts Mündliche L2-Produktion I zusammengestellt worden ist, erlaubt aufgrund des experimentellen Designs eine Fülle von Hypothesenbildungen und -überprüfungen zur Fremdsprachenproduktion und zum Fremdsprachenerwerb. In erster Linie sind es zwei Ziele, die die Initiatoren des Projekts nach eigenen Aussagen verfolgen. Zum einen soll es dazu dienen, die Entwicklung theoretischer Grundlagen zu fördern und entsprechende Modellbildungen abzusichern. Dabei werden insbesondere die „kognitiven Prozesse" Monitoring und Automatisierung in ihrer postulierten Abhängigkeit vom jeweiligen Aufmerksamkeitsgrad, den die Lerner ihren Äußerungen widmen, untersucht. Zu diesem Zweck sind die Sprachproduktionen so aufgezeichnet und bislang zumindest in Teilen so ausgewertet worden, daß sie nicht nur zu linguistischen oder speziell diskursanalytischen Interpretationen anregen, sondern auch zur Gewinnung psycholinguistischer Erkenntnisse beitragen können. Dies impliziert, daß die Lernerdaten vor allem solche Phänomene mit erfassen sollen, die als Indikatoren für mentale Prozesse interpretiert werden können. Hierzu zählen im wesentlichen solche Erscheinungen, die in der Tradition bisheriger vergleichbarer Forschung als „temporale Variablen" bezeichnet worden sind. Diese Maße und die mit ihnen Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Manfred RAUPACH, Univ.-Prof., Universität, Fachbereich 8: Anglistik/ Romanistik, Georg-Forster-Str. 3, 34127 KASSEL. E-mail: raupach@uni-Kassel.de Arbeitsbereiche: Psycholinguistik, Sprachlehrforschung. 1 Der ausführliche Titel des Projekts lautet: "Zur Funktion der mündlichen L2-Produktion und zu den damit verbundenen kognitiven Prozessen für den Erwerb der fremdsprachlichen Sprechfertigkeit". ]F[,1.ll, 32 (2003) 154 Manfred Raupach verknüpften Untersuchungsmethoden sollen - und dies ist das zweite wichtige Anliegen des Projekts auf ihre Kombinierbarkeit und letztlich auf ihre Aussagekraft bezüglich der angestrebten Modellbildungen überprüft werden. Angesichts dieser Ausrichtung des Projekts und seiner breiten empirischen Basis kommt der Auswahl der kontrollierten und nichtkontrollierten Variablen sowie ihrem Stellenwert für die Datenanalyse und für die anschließenden Interpretationen entscheidende Bedeutung zu. Im folgenden Beitrag soll deshalb der Status einiger ausgewählter Variablen diskutiert werden und dabei zugleich die Gelegenheit genutzt werden, mit einigen Textbeispielen einen Eindruck von der Art der im laufenden Projekt gewonnenen Daten zu vermitteln. 2 2. Das Untersuchungsdesign: die Daten Die verschiedenen Formen und Etappen der Datenerhebungen im Rahmen des Projekts sind bereits des öfteren beschrieben worden3, so daß hier nur stichwortartig die für die weiteren Überlegungen wichtigen Verfahren und Datensätze genannt zu werden brauchen: Probanden: 16 Teilnehmer(innen) eines studienvorbereitenden Deutschkurses an der Universität Bielefeld mit dem Ziel der DSH-Prüfung. Primärdaten: 1. Experiment (Querschnittstudie) Cartoonbeschreibungen und Textreproduktionen, jeweils mit unterschiedlichen „Interaktanten", d.h. mit: einem sozial gleichgestellten Lerner (Kommilitonen aus dem DaF-Vorbereitungskurs) einem sozial gleichrangigen Muttersprachler (DaF-Studenten) und einem sozial hochrangigen Muttersprachler (DaF-Dozenten). Für einen Teil der Aufgabenstellungen erhielten die Probanden zudem die Instruktion, besonders auf die sprachliche Korrektheit ihrer Äußerungen zu achten, für den anderen Teil die Aufforderung, das Gewicht auf eine inhaltliche Angemessenheit und Vollständigkeit zu legen. · 2. Interview (IBMS = Interview zur Elizitierung Mündlicher Sprachdaten, Longitudinalstudie) Kursbegleitende halbstrukturierte Interviews über Alltagssituationen der Probanden und über Sprachhandlungen. 2 An dieser Stelle gebührt dem Projekt-Team ein herzlicher Dank für die unkomplizierte und keineswegs selbstverständliche Bereitschaft, mit der ein Zugang zu den Daten und zu den bisherigen Auswertungen ermöglicht worden ist. 3 Zum Untersuchungsdesign, zur Definition der postulierten Prozesse und zu Forschungsfragen vgl. die Beiträge der Mitarbeiter des Projekts im vorliegenden Band sowie BÄRENFÄNGERIBEYER (2001). lFLUllL 32 (2003) Variabilität psycholinguistischer Variablen. Zur Interpretation mündlicher L2-Produktionen 155 Sekundärdaten: I. Leme,fragebogen als Instrument der Selbsteinschätzung (vgl. BÄRENFÄNGER 2002b) 2. SW-Test (Sprachliches Wissen) als Instrument der Fremdeinschätzung (vgl. BEYER 2002). 3. Variablen und Einflu: ßfaktoren 3.1 Kontrollierte Variablen Mit dem skizzierten Untersuchungsdesign soll bei der Erhebung der Primärdaten im Experiment primär der Aufmerksamkeitsgrad der L2-Sprecher manipuliert werden, und zwar in zweifacher Weise: durch Änderung der Interaktionssituation (jeweils wechselnde Interaktionspartner mit unterschiedlichem sozialen Status) und durch Variation der Instruktionen (Fokus auf Korrektheit oder auf Inhalt). Mit den beiden „Textsorten" Cartoonbeschreibung und Textproduktion werden zudem die kognitiven Anforderungen verändert. Letzteres wird u.a. auch durch die Steigerung des Schwierigkeitsgrades in den Interviews angestrebt; wichtiger sind in diesem Longitudinalteil der Studie jedoch Aspekte der längerfristigen Veränderungen in den Lernerproduktionen sowie die Auswirkungen, die der dialogischen Gesprächssituation im Vergleich zu den überwiegend monologisch ausgerichteten Szenarien im Querschnittsteil der Studie zugeschrieben werden können. Andererseits wird in den Interviews nicht mehr von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Grade der Aufmerksamkeit durch wechselnde Gesprächspartner zu manipulieren. 3.2 Temporale Variablen Die temporalen Variablen repräsentieren im Projekt diejenige Kategorie von abhängigen Variablen, die am ehesten geeignet ist, quantifizierbare Meßdaten zu liefern. Ihre Analyse gehört seit den 80er Jahren zum geläufigen Inventar psycholinguistischer Verfahren, wenn es um Indikatoren für die Sprachplanung in mündlichen Produktionen geht (DE- CHERT/ RAUPACH 1980). Die mit ihr verknüpften Maße und Methoden bilden die Basis für die Beschreibung von Sprechflüssigkeit (jluency) in L2-Produktionen und damitso eine der Grundannahmen des Projekts auch für die Erfassung kognitiver Prozesse wie Monitoring und Automatisierung. Zentrale Meßeinheiten sind zum einen rein quantitativ zu ermittelnde Phänomene wie Sprech- und Artikulationsgeschwindigkeit, Pausen, Sprecheinheiten (Silbenanzahl zwischen zwei Pausen) usw., zum andern aber auch solche Erscheinungen, die stärker an die sprachliche Realisierung gekoppelt sind, wie Selbstreparaturen, Fehlstarts oder Wiederholungen. Das Konzept der Sprechflüssigkeit in Sprachproduktionen ist im übrigen in jüngerer Zeit freilich außerhalb des hier interessierenden psycholinguistischen Kontextes zu einer wichtigen Größe für den Bereich des Lehrens, Lernens und Beurteilens von Fremdsprachen avanciert. Es gilt als entscheidender Gradmesser bei den Bestimmungen der JF]Lu.i]L 32 (2003) 156 Manfred Raupach Kompetenzniveaus (Al, A2, Bl, B2, Cl, C2), wie sie im Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GOETHE-INSTITUT INTERNATIONES 2001) mit allgemeinverbindlichem Anspruch definiert werden. Auf der höchsten Stufe (C2) gelten für mündliche Produktionen Beschreibungen wie „Kann klar, flüssig und gut strukturiert sprechen", auf mittleren Stufen (Bl) Charakterisierungen wie „Kann relativ flüssig eine unkomplizierte, aber zusammenhängende Beschreibung [...] geben"; zu den erwarteten Produktionsstrategien gehören u.a. die Kontrolle und die Reparaturen; z.B. auf dem Niveau B2: "Kann Versprecher oder Fehler normalerweise selbst korrigieren, wenn sie ihm/ ihr bewußt werden", oder auf dem Niveau C2: "Kann bei Ausdrucksschwierigkeiten so reibungslos neu ansetzen und umformulieren, daß die Gesprächspartner kaum etwas davon bemerken". Die im hier diskutierten Projekt gewonnenen Daten bieten vielfach Gelegenheit, die im Referenzrahmen postulierten Kompetenzniveaus auf ihre Tauglichkeit hin zu überprüfen und auszuloten, inwieweit sie genügend Trennschärfe besitzen, um Lemerfortschritte abbilden zu können. 3.3 Sprachliche Variablen Als sprachliche Variablen im engeren Sinne sollen hier in Abgrenzung zu Phänomenen wie Selbstreparaturen, Wiederholungen usw., die oben den temporalen Variablen zugerechnet worden sind die jeweils verwendeten Redemittel gelten, die z.B. die Ausdrucksvielfalt und damit das stilistische Niveau einer Produktion ausmachen. Diese als abhängige Variablen zu betrachtenden „Versprachlichungen" lassen sich in aller Regel zwar ebenfalls quantifizieren etwa nach der Gesamthäufigkeit ihres Auftretens oder nach ihrer Kookkurrenz mit anderen sprachlichen oder auch nonverbalen Phänomenen4; zur Interpretation im Rahmen von psycholinguistischen Modellbildungen stehen bei ihnen jedoch qualitative Aspekte im Vordergrund. Mit Blick auf die eingangs genannten zentralen Themen des Projekts sind u.a. Formelhaftigkeit in Syntax und Lexik, Interlanguage-Formeln und Fossilierungen als aufschlußreiche Kategorien genannt worden (BÄRENFÄNGER 2002a: 136). 3.4 Einflußfaktoren Hinweise auf mentale Verarbeitungsprozesse der Sprecher lassen sich offensichtlich nur aus einer Analyse der soeben skizzierten temporalen und anderen Sprachverhaltensvariablen in den einzelnen Sprachproduktionen gewinnen. Diese reflektieren allerdings zugleich auch den Einfluß zusätzlicher Faktoren, denen im Untersuchungsdesign zwar durch die Erhebung der Sekundärdaten Rechnung getragen worden ist, deren Auswir- 4 Auch bei diesem Datenkorpus erweist es sich als sehr nützlich, die über die Video-Aufzeichnungen zugänglichen Daten zur Kinesik, d.h. zu Gestik, Mimik, Blickkontakt oder Körperhaltung, als Korrektiv für ~unächst rein sprachlich fundierte Interpretationen heranziehen zu können (vgl. dazu auch den Beitrag von DAUSENDSCHÖN-GAY in diesem Band [178-195]). lFLlllL 32 (2003) Variabilität psycholinguistischer Variablen. Zur Interpretation mündlicher L2-Produktionen 157 kungen im Einzelfall aber nur schwer abzuschätzen sind. Zu ihnen gehören u.a. das Sprachwissen, der kulturelle Hintergrund und die bisherigen Lern-/ Erwerbserfahrungen der einzelnen Sprecher oder auch der individuelle Lernertyp. Hieran werden die prinzipiellen Schwierigkeiten deutlich, die mit dem Versuch einhergehen, bestimmte Formen des Sprachverhaltens als unmittelbare Reflexe einer reduzierten Anzahl von möglicherweise nur scheinbar kontrollierten Variablen zu interpretieren. 4. Analyse ausgewählter Produktionsdaten Die folgenden Überlegungen nehmen nur bedingt Bezug auf das mögliche Zusammenspiel zwischen Aufmerksamkeit, Monitoring und Automatisierung; sie beschäftigen sich in stärkerem Maße mit dem allgemeinen Status und der Aussagekraft einzelner, für die Interpretation der Sprachdaten wichtiger Variablen. Das zugrunde gelegte Korpus besteht aus den mündlichen L2-Produktionen (= Primärdaten) zweier Probanden aus dem Bielefelder Projekt; die Informationen aus den Sekundärdaten bleiben hier weithin unberücksichtigt: Proband 302 ist Marokkaner und bei Beginn der Datenerhebungen 25 Jahre alt. Seine Muttersprachen sind Arabisch und Berberisch, seine Fremdsprachen in der Reihenfolge des Erwerbs -Französisch (20 Jahre), Spanisch (1 Jahr), Englisch (3 Jahre) und Deutsch (6 Monate im Heimatland gelernt). Probandin 379 ist Chinesin und bei Beginn der Datenerhebungen 22 Jahre alt. Ihre Muttersprache ist Chinesisch, ihre Fremdsprachen sind Englisch (8 Jahre) und Deutsch (1 Jahr im Heimatland gelernt). 4.1 Kontrollierte Variablen Die im Projekt beabsichtigte Manipulation des Aufmerksamkeitsgrades ist an Erwartungen wie die folgenden geknüpft: Der Grad der Aufmerksamkeit, den die Sprecher bei ihren Produktionen aufbringen, nimmt mit steigendem sozialen Prestige des Interaktionspartners zu, oder: Der lernerseitige Einsatz des Monitors variiert in Abhängigkeit vom induzierten Aufmerksamkeitsfokus (sprachliche Korrektheit vs. inhaltliche Ausführlichkeit). Als Indikatoren für entsprechende Veränderungen in den kognitiven Verarbeitungsprozessen werden temporale und sprachliche Variablen in den jeweiligen Sprachproduktionen angesehen. In der Tat legen erste Vergleiche der Verteilung ausgewählter temporaler Variablen wie Sprech- und Artikulationsgeschwindigkeit, Umfang der Sprecheinheiten oder Frequenz der Abbrüche die Annahme nahe, daß die Lerner in Gegenwart gleichrangiger Mitlerner „flüssiger" produzieren als bei anwesenden sozial hochrangigen Muttersprachlern. Die Aussagekraft der erzielten Durchschnittswerte ist allerdings begrenzt. Sie nivellieren nämlich, wenn sie undifferenziert auf ganze Texte bezogen werden, die z.T. durchaus beträchtlichen Unterschiede, die innerhalb einer einzigen Textproduktion bestehen können. Es ist deshalb sinnvoll, von vornherein zu trennen zwischen einer IFlLillL 32 (2003) 158 Manfred Raupach globalen Aufmerksamkeit, die die Lerner der gesamten Pr.oduktion eines Textes widmen, und den verschiedenen variierenden Aufmerksamkeitsgraden, die sie für die Bewältigung einzelner Textsequenzen aufbringen (s. unten einige Beispiele). Die Anweisungen, die die Sprecher zur Manipulation ihres Aufmerksamkeitsfokus für ihre Produktionen im Experiment (Cartoonbeschreibung und Textreproduktionen) erhalten haben, müssen in ihren Auswirkungen ebenfalls differenziert betrachtet werden. Sie lauten: "Achten Sie besonders darauf, möglichst keine sprachlichen Fehler zu machen, also möglichst korrekt zu sprechen" (Fokus auf Korrektheit) vs. "Achten Sie besonders darauf, den Text möglichst ausführlich wiederzugeben, jedes Detail zu beschreiben und keine Nebensächlichkeiten auszulassen" (Fokus auf Inhalt). Auch hier vermitteln einige der Produktionen in der Tat den Eindruck, daß die Sprecher unter der ersten Bedingung größeren Wert auf grammatische Korrektheit legen als unter dem „Inhaltsfokus"; so etwa in der Cartoonbeschreibung von Sprecher 302, bei der der Fokus auf Korrektheit liegen sollte und die Beschreibung zudem in Gegenwart eines „sozial hochrangigen Interviewpartners" erfolgte (Text 302-CK3). 5 Als Nachweis für das große Bemühen um grammatische Korrektheit können hier die zahlreichen Selbstkorrekturen gewertet werden 6 : Auf dem Baum euh sitzen sich euh drei sitzen drei euh Männer/ / Einer von dem zwei Bären euh hat euh hält euh euh euh wie viel drei ja drei andere Männer/ / Ein Bär hat euh sagt [-xt] euh sagt [-gt] zu einer zu den anderen-zu dem anderen/ / Also die sitzen sie sitzen euh oben/ / Damit euh die drei Männer feuh fällen ffallen/ / Und euh fang sie an euh fang sie mhmh fäng sie / / 7 Nun finden sich entsprechende Selbstkorrekturen allerdings auch in solchen Produktionen desselben Sprechers, bei denen der Fokus auf der Ausführlichkeit der Darstellung, und nicht auf der Korrektheit, liegen sollte. Ein interessantes Beispiel liefert die Cartoonbeschreibung Text 302-CI2: 5 Zur Identifizierung der Textproduktionen, aus denen im weiteren Einzelbeispiele zitiert werden, verwende ich folgende Abkürzungen: Für die Experimente: C = Cartoonbeschreibung, T = Textreproduktion; K = Fokus auf Korrektheit, I = Fokus auf Inhalt; 1 = sozial gleichgestellter Lerner, 2 = sozial gleichgestellter Muttersprachler, 3 = sozial hochrangiger Muttersprachler. In Verbindung mit der Kennziffer für den jeweiligen Probanden bedeutet somit die Kennzeichnung „302-CK3": Cartoonbeschreibung von Sprecher Nr. 302 mit Fokus auf Korrektheit und mit einem sozial hochrangigen Muttersprachler als Interaktanten. Für die Interviews bedeutet „379-IEMS2": zweites Interview mit Sprecherin Nr. 379. 6 Die temporalen Variablen werden, um der besseren Lesbarkeit willen, in den zitierten Textproben nur in vereinfachter Weise berücksichtig: "euh" steht für gefüllte Pause"-" für ungefüllte Pause. 7 Natürlich sind die Selbstkorrekturen einschließlich der mißglückten Versuche für sich genommen kein zuverlässiger Gradmesser; sie müssen in Verbindung mit anderen Variablen und insbesondere bei allen damit verbundenen Schwierigkeiten in Relation zu den nicht erfolgten Selbstkorrekturen gesehen werden. lFLiiilL 32 (2003) Variabilität psycholinguistischer Variablen. Zur Interpretation mündlicher L2-Produktionen 159 ...ein Tisch mit enh ein Tisch und über diese auf diese Tisch euh ist ein ein Teller ((Lachen)) ja ausführlich ((Lachen)) und da gibt es einen Sessel einen Sessel enh und enh auf dem Sessel steht euh ein Mann mit Brille - und enh euh neben enh dem Sessel steht euh nee auf dem Sessel ssitzt ein Mann ((Lachen)) enh ein Mann mit Brille - und euh neben dem Sessel steht eine Frau II Zum einen fällt an dieser Textpassage auf, daß die Selbstkorrektur (nee auf dem Sessel ssitzt ein Mann) relativ spät erfolgt, nämlich zu einem Zeitpunkt, zu dem der Sprecher bereits die Formulierung der nächsten Beschreibungseinheit (neben dem Sessel steht eine Frau) "in Bearbeitung hat". Zum andern ist es bezeichnend, daß der Sprecher quasi augenzwinkernd während seiner Produktion selbst noch einmal an die in der Instruktion geforderte Ausführlichkeit in seiner Beschreibung erinnert (ja: ausführlich), um sie damit zu rechtfertigen. Bei diesem Sprecher, der sich spürbar um die Verbesserung seiner Deutschkenntnisse bemüht und sich durchgängig relativ kontrolliert äußert, haben die „Regieanweisungen" somit offenbar Auswirkungen auf sein Produktionsverhalten. In retrospektiven Gesprächen hierüber bestätigt der Sprecher auch dieses Bestreben, räumt aber zugleich ein, daß er einerseits immer auf Korrektheit achtet (302-IEMS2), andererseits aber auch stets auf den Inhalt (Nachgespräch zu 302-CI2), in der Regel also „beides gleichzeitig" versucht (Nachgespräch zu 302-TB). Für die Sprecherin 379 besteht ebenfalls „kein großer Unterschied": Auch beim Fokus auf dem Inhalt hat sie „doch auch ein bißchen auf Grammatik geachtet" (379-Cll). Sie fügt erklärend hinzu, daß sie seit Beginn ihres Fremdsprachenlernens ein besonderes Verhältnis zur Fehlertoleranz gehabt habe. Da die Chinesen prinzipiell schüchtern seien, habe sie es in ihrem Heimatland vermieden, ihre Fremdsprachenkenntnisse mit Ausländern, d.h. mit englischen oder deutschen Muttersprachlern zu erproben, um nicht in die Verlegenheit zu geraten, Fehler zu machen "müssen immer gut machen"). Diese Einstellung habe sich bei ihr jedoch inzwischen geändert; in Deutschland fände sie es nun besser, möglichst viel zu sprechen und verbessert zu werden, und sie habe auch generell keine Probleme damit, bei schneller Sprachproduktion eigene Fehler unkorrigiert zu lassen, um den Gesprächspartner durch Wiederholungen nicht zu langweilen (Nachgespräch zu den Produktionen 379-TK3 und 379-CK3). Beide Sprecherbeispiele belegen, daß die Instruktionen zum Aufmerksamkeitsfokus bei den Probanden auf z.T. unterschiedliche Voreinstellungen treffen, wobei natürlich die eigene subjektive Wahrnehmung und die jeweilige sprachliche Realisierung nicht zwangsläufig in Einklang miteinander stehen müssen. Eine ebenfalls nicht leicht zu kontrollierende Variable stellt der mit dem Aufmerksamkeitsfokus verknüpfte Schwierigkeitsgrad dar. In den Interviews soll er ausdrücklich manipuliert, d.h. kontinuierlich gesteigert werden, er spielt aber natürlich gleichermaßen bei den Sprachaufgaben im Experiment eine wichtige Rolle möglicherweise jedoch anders, als von den Projektleitern geplant oder erwartet. So scheinen bei den Textreproduktionen im Fall von Sprecher 302 nicht nur die vielleicht textlinguistisch beschreibbaren Schwierigkeiten relevant zu sein. Er nennt u.a. folgende Kriterien, die für ihn das Verständnis und eine Reproduktion schwierig gestalten: "ist ein bißchen schwer zu verstehen: nicht detailliert" (Nachgespräch zu 302-TI2) oder „es gibt nicht so (zu? ) viele lFlLl.lllL 32 (2003) 160 Manfred Raupach Ideen" (Nachgespräch zu 302TK2). Die Sprecherin 379 bezeichnet-vielleicht aus Gründen der Höflichkeitfast alle Textaufgaben als „nicht so schwer", obwohl ihre Textreproduktionen gelegentlich den gegenteiligen Eindruck suggerieren (s.u.). Auch bei der Textsorte Cartoon erweist sich eine differenzierte Betrachtung der Variable „Schwierigkeitsgrad" als lohnend. Sprecher 302 hält die Cartoonbeschreibungen zwar generell für einfacher "die meisten der Bilder sind nicht kompliziert", Vorgespräch zu 302-CB; "nicht schwierig zu beschreiben", Nachgespräch zu 302-CB), dennoch werden sie von beiden Sprechern an vielen Stellen mit deutlich mehr Verzögerungen produziert als die Textaufgaben. Einige der Zeichnungen sind objektiv gesehen ausgesprochen schwer zu verstehen, wie entsprechende Stichproben mit anderen Sprechergruppen bestätigen (insbesondere die Vorlage für 302-CB und 379-CB); insgesamt erfordern aber alle ausgewählten Bilder, die ausnahmslos von Gary Larson stammen (aus dem Band Unter Bären) und in denen häufig die Perspektive Mensch-Tier in z.T. makabrer und absurder Weise ins Gegenteil verkehrt wird, eine spezifische Art von Humorverständnis, das nicht von allen Sprechern, erst recht nicht mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund, geteilt wird. Entsprechend resigniert die Sprecherin 379 im Anschluß an ihre Beschreibung von 379- CK3: "Wie immer habe ich auch nicht das Bild verstanden", und für Sprecher 302 erschließt sich der „Witz" eines beschriebenen Cartoons ebenfalls mehrfach erst im retrospektiven Gespräch. Selbst bei relativ einfach zu beschreibender Bildsituationen kann sich dieser Mangel am Gesamtverständnis, der dem Sprecher durchaus schon zu Beginn seiner Produktion bewußt ist, beeinträchtigend auf die „Flüssigkeit" der gesamten Cartoonbeschreibung auswirken (siehe Sprecher 302 im Nachgespräch zu 302-CB). Insgesamt stellen demnach sowohl der Aufmerksamkeitsfokus als auch der Schwierigkeitsgrad offenbar nur bedingt „kontrollierbare" Variablen dar, auf die zudem lernerspezifisch unterschiedlich reagiert wird. 4.2 Temporale und sprachliche Variablen Es erscheint sinnvoll, beide Typen von Variablen von vornherein in ihrem Zusammenspiel zu analysieren; die Beschränkung auf vorwiegend quantitativ bestimmte temporale Variablen vermag in aller Regel nur Tendenzen aufzudecken, die dann stets am konkreten Sprachmaterial in differenzierter Form überprüft und interpretiert werden müssen. So läßt sich in vielen Fällen beobachten, daß zwischen den einzelnen Textsorten die Verteilung temporaler Variablen in auffälliger Weise variiert. In den Interviews und in den Textreproduktionen sind Anzahl und Umfang der „flüssig" produzierten, d.h. nicht von Verzögerungsphänomenen unterbrochenen Sprecheinheiten, größer als in den Cartoonbeschreibungen, bei denen die einzelnen Bildelemente schrittweise, häufig unter Verwendung kurzer formelhafter Wendungen, verbalisiert werden. Hier wiederholen sich z.B. in stereotyper Weise Verbindungen mit „es gibt", z.B. in 302-Cll 8: Wir verzichten hier auf eine Kennzeichnung der Verzögerungsphänomene. JFLUJ]L 32 (2003) Variabilität psycholinguistischer Variablen. Zur Interpretation mündlicher L2-Produktionen 161 da gibt es einen Sessel/ / [...] neben dem Zimmer gibt es die Küche/ / [...]auf dem Sessel es gab es gibt ein Spiral/ / [ ... ] auf dem Boden gibt es eine Brille da gibt es Brille/ / [...] und es gibt ein Loch da/ / oder auch in 379-Cll: auf dem Fenster gibt es Vorhang/ / [...] auf dem Dach gibt es ein Loch/ / [ ...] auf dem Boden gibt es kaputte Brille/ / [...] auf einem Seite gibt es eine Tür/ / [ ...] nebenbei ich glaube gibt es ein andere Zimmer/ / Diese Präferenz ist für zahlreiche L2-Bildbeschreibungen typisch, und auch die folgende, für die Erfassung von Automatismen wichtige Beobachtung bestätigt nur Bekanntes: Die Cartoonbeschreibungen werden häufig mit ein und derselben formelhaften Wendung eröffnet, wie etwa bei Sprecher 302: 302-CI2 Also da steht eine euh - euh ein Briefkasten/ / 302-CI3 Also auf dem Bild euh steht eine euh eine Brücke/ / 302-CKl Also auf meinem Bild steht euh also euh wie heißt das ein See/ / 302-CK2 Also da auf dem Bild steht euh ein ein Hof/ / 302-CK3 Ja euh auf dem Bild steht zwei eh Bärn / / Die längsten Sprecheinheiten in den rein bildbeschreibenden Textpassagen sind erwartungsgemäß dort anzutreffen, wo die Sprecher die Unterschrift zur Cartoonzeichnung vorlesen. Ansonsten treten längere Sprecheinheiten am ehesten noch in den interpretierenden Textpassagen der Bildbeschreibungen auf und natürlich in den retrospektiven Nachgesprächen, die im Anschluß an die L2-Produktionen mit muttersprachlichen Interaktanten geführt worden sind. Da in diesen Nachgesprächen normalerweise Inhalte thematisiert werden, die schon vorher einmal in der Lernerproduktion versprachlicht worden sind-wenn es z.B. darum geht, den „Witz" des beschriebenen Cartoons zu erklären -, können die Probanden hier in der Regel auf Formulierungen zurückgreifen, die sie bereits zuvor in ihrer Cartoonbeschreibung verwendet haben. Die sich hier abzeichnende Kategorie der Reformulierung findet sich mehrfach, und zwar in unterschiedlichen Formen, in den Datensätzen des Projekts wieder. Als bislang wenig beachtete Variable kann sie Hinweise auf die Variationsbreite in den Ausdrucksmöglichkeiten der Probanden geben und zugleich Aussagen über Lernprozesse gestatten, die sich beim einzelnen Lerner im Verlauf der Produktionen vollziehen. Zur Illustration sollen einige Beispiele aus dem Experiment vorgestellt werden. Sprecher 302 liefert am Ende seiner Cartoonbeschreibungen in der Regel noch einmal eine Art zusammenfassender Interpretation, auf die dann gelegentlich im Nachgespräch wieder eingegangen wird. In der Produktion 302-CI2 ergeben sich bei der Bezeichnung des im Bild erscheinenden Briefträgers folgende Äußerungen: Also ein wie heißt der euh der Verteidiger des Briefs wie heißt der - (Interaktant: nochmal wie? ) - Verteidiger der verteidigt Briefe (Interaktant: der verteidigt Briefe) ja (I: mhm) - mit euh ((Sprecher zeigt auf seinen Kopf, um eine Postmütze anzudeuten)) Postbeamter/ / [...] Die Frau sagt zu den - Briefverteidiger: wir sind euh die Wilson Will euh Wilsons / / IFL1lll]L 32 (2003) 162 Manfred Raupach Im Nachgespräch: Und euh ich glaube der Briefträger der frägt euh: Wo sind die Wilsons / / Die Bezeichnungen, die der Lerner im Laufe seiner Produktion für den Briefträger wählt, zeugen von einer bemerkenswerten Variabilität. Zunächst verfällt er nach Verwendung des im übrigen ohne Hilfe von außen erschlossenen Begriffs Postbeamter wieder in die ursprünglich erfolglose Suche in seinem mentalen Lexikon nach Briefverteiler (hier über die klanglich ähnlichen Formen zum Wortfeld Verteidiger); im Nachgespräch stellt sich dann heraus, daß ihm ohne erkennbare Mühe mit Briefträger ein weiterer passender Begriff zur Verfügung steht, zu dem ihm vorher offenbar der Zugang versperrt geblieben war. Eine Modellierung von Sprachverarbeitungsprozessen in L2-Produktionen, die solchen Varietäten in den Sprachdaten Rechnung tragen will, muß ein breites Spektrum von lexikalischen Suchstrategien vorsehen und im günstigen Fall Erklärungshypothesen für den Einsatz unterschiedlicher Zugriffsmöglichkeiten anbieten. Die Cartoonbeschreibungen liefern vor allem solche Beispiele, in denen die Formulierung, die durch die Bildunterschrift vorgegeben ist, allmählich in die Ausdrucksweise des Lerners überführt wird. So wird in 302-CKI aus Und einer sagt euh zu dem andern: Paß auf du sagst es Billys Mutter und ich suche einen neuen Reifen((= Bildunterschrift)) im Nachgespräch die Paraphrase (nicht mehr in Form der direkten Rede): Der muss euh der soll muss einen neuen Reifen besorgen. In der darauffolgenden Woche, in der derselbe Cartoon noch einmal thematisiert wird, lautet die vergleichbare Stelle im Nachgespräch zu 302-CI3 (im folgenden wird auf die Angabe der Verzögerungsphänomene verzichtet): Ein Kind hat gesagt zu der anderen zu dem andern: ja, du sagst es (? ) zu der Mutter und ich besorge einen anderen Reifen. Eine sehr viel größere Relevanz als in den Cartoonbeschreibungen besitzen die Reformulierungen in den Textreproduktionen. Die Versuchsanordnung sah vor, daß sich die Probanden vor ihrer Produktion eine Viertelstunde lang Notizen zu dem ihnen vorgelegten Text machen sollten, die als Grundlage für ihren anschließenden Vortrag dienten. Schon bei der ersten schriftlichen Transformation können sich aufschlußreiche „Textbearbeitungen" ergeben, die dann bei der Verarbeitung zur mündlichen Produktion weiteren psycholinguistischen Prozessen unterliegen. Nach einem ersten Eindruck schöpfen die Probanden in der Gesamtheit sicherlich individuell und nach jeweiliger Textvorlage unterschiedlich die gesamte Skala an Möglichkeiten der Vorbereitung und Produktion aus; in einigen Fällen haben sie sich ganze Passagen wörtlich aus der Textvorlage abgeschrieben, die dann im Gespräch mehr oder weniger wörtlich abgelesen werden. An der Intonation und an Schreib- oder Lesefehlern, aber auch an den anschlie- JFLJJ][, 32 (2003) Variabilität psycholinguistischer Variablen. Zur Interpretation mündlicher L2-Produktionen 163 ßenden Kommentaren der Probanden stellt sich gelegentlich heraus, daß der Text dabei entweder mißverstanden oder gar nicht verstanden worden ist. 9 Auch hier spielt natürlich der Schwierigkeitsgrad, wie er vom einzelnen Lerner sowohl bei der Rezeption als auch bei der Produktion empfunden wird, eine wichtige Rolle für die gesamte Textbehandlung. Für eine psycholinguistische Analyse sind nun vor allem die vom Originaltext abweichenden Versionen von Interesse. Solche Abweichungen können schon beim Anfertigen der Notizen vorgenommen werden und/ oder sie entstehen durch eine relativ freie, von der eigenen Textvorlage losgelöste Produktion. Die hierbei in aller Regel anzutreffenden Vereinfachungen sind geeignet, Hinweise auf mögliche Fossilierungen in der jeweiligen Lernersprache zu geben. Einschlägige Beispiele für die Transposition ins mündliche Medium, von denen einige zweifellos auch von Muttersprachlern vorgenommen worden wären, sind: 379-TB: folgendermaßen= wie folgt; sobald es dunkel wird= wenn es dunkel ist; einige Menschen = manche Leute; am frühen Morgen = am Morgen früh; aber das sind nur partielle Unterschiede = aber es gibt nur partielle Unterschiede; die Folge davon sind häufig Magenkrankheiten = das hat als Folge Magenkrankheiten; 379-TI2: einen wesentlichen Beitrag nämlich leisten die Methoden[ ...] = und auch ein wichtiger Beitrag ist die Methode. Eindeutig lernersprachlich ist z.B.: 379-TB: Inzwischen hat sich auch gezeigt, daß dieses Programm für alle Menschen nützlich ist= Es hat auch gezeigt diese dieses Programm für alle nutzen alle Menschen nützlich ist. Bei der Sprecherin 379 erscheint eine entsprechend detaillierte Analyse deshalb lohnenswert, weil sie, ganz im Einklang mit dem letztgenannten Beispiel, insgesamt zu Vereinfachungen im Bereich der Artikel, Pronomina, Konjunktionen usw. neigt, ohne daß dabei auf den ersten Blick Regelhaftigkeiten zu erkennen wären. Von den beiden Probanden strebt Sprecher 302 in höherem Maße nach Unabhängigkeit vom Original, wie z.B. in: 302-TK2: Die Ergebnisse dieser Forschungen lassen sich folgendermaßen zusammenfassen [...] = Als Resultat dieser Forschung sind die Kinder und Jugendlichen freier als damals. Damit sind seine Formulierungen aber auch anfälliger: 302-TI2: Die Nichtschwimmer, wenn sie ins Wasser geworfen werden, versuchen sie[ ...]/ / 302-Tll: Aber ein Kind, ist ihm völlig egal ob was sie sagen logisch ist oder[ ... ]/ / Im Extremfall kommt es dabei sogar zu einem völligen Abbruch der Produktion wie in 9 Dies gilt z.B. für 379-TI3; überraschenderweise empfindet die Sprecherin den Text trotzdem als „nicht so schwer". In 379-TI2 erklärt die Sprecherin ihre Unsicherheiten bei der Reproduktion dadurch, daß sie sich zwar Notizen gemacht habe, daß dann aber in der Vorbereitung zu wenig Zeit für die Wiederholung zur Verfügung gestanden habe. IFLlllL 32 (2003) 164 Manfred Raupach 302-TK2: Die Familie ist und bleibt ein wichtiger Rückhalt für die Jugendlichen. [...] Deshalb sind Familienförderung und verstärkter Einsatz von Sozialarbeitern[...] dringend nötig= Auch die Familie spielt eine wichtige Rolle((= offensichtlicher Wortlaut der eigenen Notiz)), aber die Familie soll immer von Sozialarbeitern --- ((Abbruch, minutenlange Unterbrechung, danach Neuaufnahme)) Die Familie spielt eine wichtige Rolle, aber sie soll[...] kontrolliert werden Der in diesem Beitrag gewählte Ansatz, die Analyse von Lernerdaten an eine Diskussion der in Betracht zu ziehenden Variablen anzulehnen, überdeckt weitgehend die Frage, ob und inwieweit die Verwendung bestimmter sprachlicher Formen im Einzelfall einer Systematik und womöglich auch einer Progression folgt. In den Sprachproben deutet sich an, daß es auf dem Niveau der hier diskutierten Lernersprachen vor allem der Sprachgebrauch im Bereich der Morphosyntax einschließlich des traditionell instabilen Gebrauchs der Inversion ist, der für die Konzeption von L2-Erwerbs- und Produktionsmodellen die größte Herausforderung darstellt. Einerseits unterscheiden sich in diesem Bereich die beiden ausgewählten Sprecher in erheblichem Maße voneinander, andererseits variiert bei beiden der Gebrauch so stark, daß die Abhängigkeit von nur einer der oben diskutierten Variablen von vornherein wenig plausibel ist. Hier wie natürlich auch bei Verarbeitungsprozessen im lexikalischen: Bereich erweisen sich die temporalen Variablen als unverzichtbare Indikatoren, allerdings weniger in der Form von quantifizierbaren Messdaten, als vielmehr in Gestalt von Selbstkorrekturen, Reformulierungen, Abbrüchen und Fehlstarts, d.h. von solchen Verzögerungsphänomenen, die einzelne Planungsschritte oder Suchstrategien widerspiegeln. 4.3 Einflußfaktoren Aus der Fülle der Faktoren, die vermutlich Einfluß auf die Gestaltung vorliegender L2- Produktionen genommen haben, sollen an dieser Stelle nur zwei herausgegriffen werden. Da ist zum einen die bisherige Lernerfahrung mit Deutsch als Fremdsprache, von der die Sprecherin 379 berichtet. Danach entsteht als Folge der nicht nur von ihr, sondern in China allgemein praktizierten Lernmethode bei der Suche nach grammatischen Formen in ihrem Kopf ein „Bild" in Gestalt eines Rasters. Bei Bedarf wird das entsprechend lokalisierte Feld aus diesem Schema abgerufen (z.B. bei der Nominalflexion: Dativ + Neutrum): "Dies ist meine Methode, einfach etwas zu finden" (379-CK3). Sie glaubt, mit fortschreitender Kompetenz auf derartige Suchprozesse verzichten zu können "jetzt nicht mehr"); ihre Äußerungen weisen aber gerade im Gebrauch grammatischer Formen viele Nachlässigkeiten mit anschließenden Selbstkorrekturen auf, bei denen zumindest gelegentlich ein Rückgriff auf diese mentale Folie zu vermuten ist. Eine allgemeinere, in jüngerer Zeit verstärkt diskutierte Einflußquelle stellen zum anderen bekanntlich die von den Probanden bereits erworbenen oder gelernten Sprachen dar. Es ist ein Charakteristikum aller an der Bielefelder Untersuchung beteiligten Probanden, daß sie mindestens eine Fremdsprache vor Deutsch gelernt haben und somit trilingual oder multilingual sind. So ist bei Sprecherin 379 im lexikalischen Bereich der englischsprachige Einfluß auf ihre Deutschproduktion nicht zu übersehen; schwieriger JF[,i.llL 32 (2003) Variabilität psycholinguistischer Variablen. Zur Interpretation mündlicher L2-Produktionen 165 gestaltet sich bei ihr dagegen die Identifizierung vergleichbarer Einflüsse auf der morphosyntaktischen Ebene. In den Produktionen von Sprecher 302, der im übrigen beklagt, daß mit dem Lernen der deutschen Sprache seine Englischkenntnisse schlecht geworden seien (302-TK3), scheint das Französische auf allen Ebenen präsent zu sein. Gleichwohl stellt er in 302-IEMSl lakonisch fest: "Frankreich gefällt mir nicht", und deutet hiermit wie auch noch an anderer Stelle eine affektive Distanz zum Französischen an, die sich möglicherweise auch auf seine Einstellung zum französischsprachigen Einfluß auf seine Sprachproduktion auswirkt. Die Mehrsprachigkeit der Probanden lädt dazu ein, ihre Lernerdaten als willkommene Basis für eine Analyse zu nutzen, die Besonderheiten der Produktion und des Erwerbs speziell von Dritt- oder weiteren Sprachen aufzuspüren sucht, und dies in der Annahme, daß Unterschiede zum Bilingualismus nicht nur quantitativer Natur sind, sondern daß die Verarbeitungsprozesse einen höheren Grad an Komplexität aufweisen und daß damit auch weiteren Faktoren eine größere Bedeutung zukommt: "In addition certain social, cultural and above all psychological and personality-related factors may assume disproportionately high significance in influencing trilingual acquisition and use" (HOFF- MANN 2001: 13). Bei der Betonung dieser Aspekte der Mehrsprachigkeit erhalten die Variablen, die im Projektdesign angelegt sind und die bei der Analyse der Daten in den Blick genommen werden sollen, prinzipiell eine neue Dimension. Diese Erweiterung muß in der Konzipierung von Sprachproduktionsmodellen, die sich bislang vorwiegend an LEVELTs Ll- Modellierung (1989) und daran angelehnten L2-spezifischen Modifizierungen orientieren, durchgängig Berücksichtigung finden und könnte in einer längerfristigen Perspektive dazu beitragen, die bisherigen Grundlagen für eine Mehrsprachigkeitsdidaktik weiterzuentwickeln. Literatur BÄRENFÄNGER, Olaf (2002a): "Automatisierung der mündlichen L2-Produktion: Methodische Überlegungen". In: BÖRNER, Wolfgang/ VOGEL, Klaus (Hrsg.): Grammatik im Fremdsprachenerwerb. Tübingen: Narr, 119-140. BÄRENFÄNGER, Olaf (2002b): "Der Fremdsprachenlerner ein unbekanntes Wesen? Ein standardisierter Fragebogen zur Erhebung von Lernerdaten". In: Fremdsprachen und Hochschule 65, 7-29. BÄRENFÄNGER, Olaf/ BEYER, Sabine (2001): "Forschungsprojekt: Zur Funktion der mündlichen L2- Produktion und zu den damit verbundenen kognitiven Prozessen für den Erwerb der fremdsprachlichen Sprechfertigkeit". In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 12.1, 131-137. BEYER, Sabine (2002): "Der SW-Test: Ein mehrmethodischer Test zur Erhebung sprachlichen Wissens von Fremdsprachenlernern". In: Fremdsprachen und Hochschule 65, 30-53. DECHERT, Hans W. / RAUPACH, Manfred (eds.) (1980): Tempora/ Variables in Speech. Studies in Honour of Frieda Goldman-Eisler. The Hague [etc.]: Mouton. GOETHE-INSTITUT INTERNATIONES [et al.] (Hrsg.) (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Berlin [etc.]: Langenscheidt. JFJLWL 32 (2003) 166 Manfred Raupach HOFFMANN, Charlotte (2001 ): "The Status of Trilingualism in Bilingualism Studies". In: CENOZ, Jasone / HUFEISEN, Britta/ JESSNER, Ulrike (eds): Looking beyond Second Language Acquisition. Studies in Triand Multilingualism. Tübingen: Stauffenburg, 13-25. LEVELT, WilliamJ.M. (1989): Speaking: Fromlntention toArticulation. Cambridge, MA/ London: MIT Press. lFLllllL 32 (2003)