Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2003
321
Gnutzmann Küster SchrammSprachproduktion in sozialer Interaktion
121
2003
Ulrich Dausendschön-Gay
flul3210178
Ulrich Dausendschön-Gay * Sprachproduktion in sozialer Interaktion** Abstract. Models of speech and discourse production have been proposed by different research areas, such as psycholinguistics, psychology of language, constructivism, or conversation analysis. Each of them focusses different aspects of production and by doing so constitutes its own research object. The present contribution firstly aims at clarifying some of the theoretical concepts underlying the various models. In a second time, it tries to line out the main aspects of a conversationalist perspective on speech and discourse production in social face-to-face interaction. Arguments are brought along for systematically integrating all kinds of body movement (traditionally called gestures) and prosody into the , analysis of empirical data. This approach tums out to be a fundamental basis in the development of an interactional grammar. 1. Von Kommunikatoren, handelnden Individuen und Interaktanten 1.1 Kommunikations- und Verstehensmodelle Die Erklärung des Zusammenhangs zwischen sozialer Interaktion und Sprachproduktion ist wie jede wissenschaftliche Beschäftigung mit einem Gegenstand theorieabhängig. Aus meiner gesprächsanalytischen Perspektive, in der Interaktion die Bedingung des Vorkommens für jede Art der Sprachproduktion darstellt, drängt sich die etwas überraschte und andere möglicherweise überraschende Frage auf: Kann man denn überhaupt davon ausgehen, daß ohne Interaktion Sprachproduktion stattfindet? Mit Sicherheit, werden diejenigen Spezialisten dieses Gebietes antworten, die im weitesten Sinne kognitionswissenschaftlichen Forschungsparadigmen verpflichtet sind, und sie werden füy die Plausibilität dieser Antwort Selbstgespräche, vorartikulatorische Produktionsevidenzen ("inner speech"), Laut-Denk-Protokolle, "tip-of-the-tongue"- und Versprecherphänomene und vieles mehr ins Feld führen. So war es für die Entwicklung seines Sprachproduktionsmodells für Willem LEVELT 1 nicht wirklich entscheidend, ob sein Reparaturkorpus aus Situationen von "face-to-face" Interaktionen stammte oder aus nicht-interaktiven experimentellen Laborbedingungen. Korrespondenzadresse: apl. Prof. Dr. Ulrich DAUSENDSCHÖN-GAY, Akad. Oberrat, Universität Bielefeld, Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft, Postfach 100131, 33501 BIELEFELD. E-mail: u.daugay@Uni-Bielefeld.de Arbeitsbereiche: Gesprächsanalyse, Spracherwerbsprozesse, Konununikation und Medien. ** Einigen anonymen sachkundigen Lesern/ -innen verdanke ich eine Reihe hilfreicher Anregungen und kritischer Bemerkungen, die in diese Version des Beitrages eingearbeitet sind. Ich hoffe, sie erkennen sich wieder. 1 Neben den vielen Detaillierungen, die das Modell seit 1989 von LEVELT selbst erfahren hat, haben die Arbeiten von Kees DE BOT und Ulrich SCHADE sehr zur Weiterentwicklung beigetragen. Siehe auch ihre Beiträge in diesem Heft (92-103 und 104-115). lFL1llL 32 (2003) Sprachproduktion in sozialer Interaktion 179 Die Beobachtungen zur Plazierung von Selbstreparaturen in der Äußerung und ihre Durchführung in Bezug auf diese Äußerung erlaubten die Erzeugung von Datenmengen, auf deren Grundlage das auch heute noch weitgehend akzeptierte inkrementelle Modell entwickelt werden konnte. Für Äußerungen in sozialer Interaktion sind spezielle Ausführungsbestimmungen, wie etwa der Adressatenzuschnitt, Partnermodelle oder Fremdregulierungen ohne größere Probleme integrierbar; die Grundbedingungen sprachlicher Produktionsprozesse werden davon nicht tangiert. Die Leser/ -innen dieser Zeitschrift werden leicht nachvollziehen können, daß dieses Argumentationsmuster auch in der Spracherwerbsforschung gründlich etabliert ist. Eine theoretische Verschärfung einer solchen sprecherseitigen Fokussierung der Überlegungen zu Sprachproduktion und -verarbeitung ist in gewisser Hinsicht in der in letzter Zeit besonders intensiv geführten konstruktivistischen Debatte um Kommunikationsmodelle und Verstehenstheorien festzustellen. Die dortigen Überlegungen zu kognitiver Autonomie und struktureller Kopplung (System-Umwelt-Beziehung) beschreiben die Aktivitäten in jeder Form von Kommunikation als die Herstellung einer Kommunikatbasis durch einen Kommunikator, der mit Hilfe medialer Vermittlungssysteme (z.B. Sprache) ein Verarbeitungsangebot an potentielle Rezipienten unterbreitet. Das Modell unterstellt nicht mehr die Übermittlung einer Information oder einer Botschaft als zentrale Aufgabe, im Zentrum steht vielmehr die Aufgabe des Kommunikators, sein Angebot mit Orientierungsleistungen zu versehen, die eine seinen Intentionen angemessene Interpretation und Folgehandlung wahrscheinlich machen. Ob sein Angebot von Rezipienten verarbeitet und zu Folgehandlungen genutzt wird, entzieht sich dem Einfluß des Kommunikators; weder Erfolg oder Mißerfolg noch überhaupt die Verarbeitung des Angebots durch Rezipienten sind konstitutive Bestandteile eines Kommunikationsaktes. 2 Unter den identischen Bedingungen kognitiver Autonomie bestehen die Leistungen eines Rezipienten darin, die Kommunikatbasis als intentionalen, gerichteten und orientierenden Kommunikationsakt zu interpretieren und auf diese Weise ein Kommunikat herzustellen. Mit dem Konzept des Verstehens kommt eine interaktive Dimension in das Modell, allerdings auch nur insofern, als der Kommunikator die Ergebnisse der Kommunikatbildung eines Rezipienten mit seinen Orientierungserwartungen abgleicht und im Falle einer weitgehenden Übereinstimmung Verstehen attribuiert, womit auch dies zunächst eine Tätigkeit des kognitiv autonom handelnden Kommunikators bleibt. Erst auf dem 2 „Dieser Begriff von Kommunikation kennt keine Übertragung von Botschaften oder Informationen zwischen Kommunikationspartnern mehr. Die für das informationstheoretische Sender-Empfänger-Modell der Kommunikation konstitutive Komponente der Übertragung entfällt. In der Kommunikation werden mehr oder weniger spezifische Angebote gemacht, werden Kommunikatbasen produziert, die von ihren Produzenten mit spezifischen Kommunikateigenschaften (thematischer, stilistischer, referentieller etc. Art) ausgestattet werden. Ob und in welcher Weise diese Angebote wahrgenommen und prozessiert werden, bleibt in jedem Falle abzuwarten. Kommunikation ist keine Technik der Bedeutungsübertragung, sondern ein Tool zur Orientierung von Interaktionspartnern vermittels der Produktion, Präsentation und Adressierung von Kommunikatbasen." (RUSCH 1999: 169-170 [Hervorhebungen im Original]). Vgl. dazu auch die Grundlegungen in SCHMIDT 1994: 121-163, ferner eine Reformulierung in RUSCH 2002: 112-117). lFlLllllL 32 (2003) 180 Ulrich Dausendschön-Gay Weg über Verhaltensadjustierungen, also den Abgleich zwischen Orientierungserwartungen und Orientierungsinterpretationen (über verschiedene Formen des Feedback und der performativen Kopplung), kommt es zu Prozessen sozialer Interaktion, in denen Verstehen als sozialer Akt konstituiert wird: "Kognitive Leistungen der Interaktionspartner und Interaktionsmodalitäten gehen im Verstehen eine synergetische Beziehung ein, die in kognitiv-soziale Synthesen aufeinander abgestimmter Denk- und Verhaltensweisen, d.h. letztendlich in soziales Handeln, münden" (RUSCH 1999a: 154). Besonders relevant für eine Diskussion über Sprachproduktion scheint mir hieran die Betonung der Bedingungen kognitiv autonomen Handelns, mit denen die Deterrninierung eines Interaktionspartners durch den anderen zurückgewiesen wird, ferner das Konzept der Orientierungsleistungen als zentrale Aufgaben aller Verarbeitungsangebote in Kommunikationsprozessen und schließlich der Verzicht auf die Integration von Erfolgsbedingungen in das Kommunikationsmodell. 1.2 Partnermodelle und soziale Interaktion Der Gesichtspunkt der Orientierung wird auch in dem vor allem von Theo HERRMANN und Joachim GRABOWSKI entwickelten Konzept der situations- und partnerbezogenen Sprachproduktion des Individuums in den Vordergrund gerückt, allerdings im Kontext eines sprachpsycholgisch-interaktionistischen Modells, das die wesentlichen „radikalen" Grundannahmen des eben skizzierten konstruktivistischen Ansatzes nicht unterschreibt. Es geht um eine Lösung des zentralen Dilemmas der Sprachpsychologie zwischen individueller Sprachproduktion und -rezeption und dyadischer Kommunikation. 3 Ausgangspunkt der Überlegungen ist eben nicht der Kommunikator als psychisches System, sondern das handelnde Individuum, das die Kommunikationsbedingungen systematisch und unausweichlich in seine Produktionsprozesse integriert. "Jeder Sprecher/ Hörer repräsentiert also mental die Kommunikationssituation, den Kommunikationspartner und den bisherigen Gesprächsverlauf. Diese kommunikationsbezagenen Informationen sind wesentliche Determinanten des individuellen Sprechens und Verstehens fremder Sprachäußerungen" (HERRMANN 2000: 124 [Kursivdruck im Original]). Unter gänzlich anderen theoretischen Prämissen wird also auch hier die Partnerorientierung zum zentralen Gegenstand des Produktions- und Verarbeitungsmodells. 4 „Es ist jedenfalls ganz offensichtlich, daß die Sprachpsy6hologen bis zum Ende dieses Jahrhunderts durchgehend darauf verzichtet haben, konsistente Forschungsprogramme zu entwickeln, in denen sowohl der individuelle Sprachproduktions- und Rezeptionsprozeß als auch die dyadische, kommunikative Beschaffenheit des Sprechens in voller Balance Berücksichtigung finden" (HERRMANN 2000: 124; vgl. für die Details des Konzepts HERRMANN/ GRABOWSKI 1994). Hier muß auch auf Herbert Clarks Konzept des "common ground" und der "joint action" verwiesen werden, das in gewisser Hinsicht eine interaktionistische Interpretation des LEVELTschen Ansatzes darstellt, der ja sein Produktionsmodell ausdrücklich in den Kontext des "speaker as interlocutor" so der Titel des zweiten Kapitels gestellt hat. Hier kann leider auf CLARK nicht näher eingegangen werden (siehe aber DAUSENDSCHÖN-ÜAY [im Druck]). 4 Ganz ähnlich argumentiert Hans STROHNER (2001) aus systemischer Perspektive in seiner sehr lesenswerten Abhandlung über Kommunikation. JFLl.11][, 32 (2003) Sprachproduktion in sozialer Interaktion 181 Wesentlich „interaktiver", aber immer noch im theoretischen Umfeld kognitionswissenschaftlicher Paradigmen, ist der Ausgangspunkt der Überlegungen BRASSACS, der unter Zuhilfenahme von Konzepten der sogenannten "distributed cognition" darauf verweist, daß jedwede Kommunikationsaktivität nur unter den Bedingungen der Präsenz von Partnern (Personen und/ oder Objekten) möglich ist. 5 Dies ist dann kein Repräsentationsmodell mehr, in dem Partnermodelle für die Sprachproduktion des Individuums berücksichtigt werden, sondern ein Ko-Aktionsmodell, in dem die System-Umweltinteraktion unabdingbare Voraussetzung des Handelns ist. Kognitive Interaktion, Aushandlung, Ko-Konstruktion und allmähliche Stabilisierung von Äußerungsbedeutungen sind die wichtigsten Untersuchungsziele einer solchen Forschungsperspektive. Unmittelbar anschlußfähig an diese zuletzt genannten Überlegungen sind einige Grundpositionen der Konversationsanalyse ethnomethodologischer Prägung, mit denen die forschungslogische Richtung der Modellentwicklung, nämlich vom handelnden Individuum oder dem Kommunikator zur Interaktion, genau umgekehrt wird, vom Kopf auf die Füße sozusagen. Nun wird Interaktion als die primäre und genuine Vorkommensweise sprachlicher Äußerungen angenommen, für die Bedingungen dieses Vorkommens und von ihnen aus müssen Modelle der Äußerungsproduktion entworfen werden; für Selbstgespräche beispielsweise und für andere Laut-Denk-Prozesse können Zusatzbedingungen in das Modell integriert werden. 6 Hiermit ist zwangsläufig auch eine neue Bestimmung des Gegenstandes von Interaktionsanalysen verbunden, denn es geht zunächst einmal um die Beschreibung und Erklärung sprachlichen Handelns unter den Voraussetzungen sozialer Interaktion; statt des Individuums konstituiert nun die Interaktionsdyade den Forschungsgegenstand und statt des kognitiven Systems und seiner Ausstattung für partnerorientiertes Handeln steht das Interaktionssystem mit seinen Ansprüchen und Verfahren gemeinschaftlichen Handelns im Zentrum des Interesses. Insofern impliziert die Beschäftigung mit dem Thema „Sprachproduktion" unter diesen Voraussetzungen ein ganz anderes Forschungsprogramm, als wenn dies aus der Perspektive kognitiver Wissenschaften geschieht. In den folgenden Abschnitten will ich an einigen wenigen Aspekten aufzeigen, welche Konsequenzen eine solche Perspektivenverschiebung für die Untersuchung von Sprechereignissen und von Komponenten sprachlichen Handelns in diesen Ereignissen mit sich "Envisagee comme une effective operation dans et sur le monde, l'intercomprehension n' est par consequent pas dicible en termes d'ajustement de deux cognitions individuelles. Quand deux individus communiquent, ils ne sont pas simplement livreur et receptionnaire d'informations, ils ne re~oivent pas passivement des messages a « entendre », ils ne sont pas « patients communicatifs ». Quand deux individus communiquent, ils accomplissent conjointement un travail de construction : ils elaborent simultanement un lieu d' emergence de cognitions et une modification radicale et continue de ce lieu [...] d' intercommunicabilite. Autrement dit, Ja communication interhumaine, loin de simplement permettre un echange et un ajustement de cognitions individuelles, a pour fonction de creer un ensemble de conditions de possibilites de manipulation des formes langagieres successivement produites" (BRASSAC 1997: 235). 6 Dies deckt sich übrigens genau mit einem der zentralen Argumente der WYGOTSKischen Sprachentwicklungstheorie, mit dem Piagets Vorstellungen über die Reihenfolge kindlicher Sprachentwicklung erst das egozentrische, dann das soziale Sprechen genau umgekehrt wird: Wir können nur alleine, was wir vorher in sozialer Interaktion erlernt haben. JFLIL! ]L 32 (2003) 182 Ulrich Dausendschön-Gay bringt. Nicht zufällig habe ich dafür die Darstellung anderer Zugänge zu diesem Thema an den Anfang gestellt, denn von ihnen gehen mannigfaltige Einflüsse auf die hier darzustellende Konzeptionalisierung aus. Ich werde zunächst den Aspekt der Orientierungsleistungen vertiefen und dann auf Fragestellungen einer Interaktionsgrammatik eingehen. Anhand dieser beiden Bereiche kann die Frage des Zusammenhangs von Interaktion und Sprachproduktion aus konversationsanalytischer Sicht exemplarisch erörtert werden. 2. Multidimensionalität der Orientierungsleistungen 2.1 Mimik, Gestik und nonverbale Kommunikation In Bezug auf die Orientierungsleistungen sprachlicher Äußerungen sind eine Reihe von Arbeiten entstanden, die entweder aus textlinguistischer Perspektive, wie z.B. die „Instruktionsgrammatik" von Harald WEINRICH 7 , oder aus gesprächsanalytischer Sicht unter dem Stichwort des "recipient design" und der sequenziellen Verkettung den Einfluß der Struktur einer Äußerung auf ihre Verarbeitung und Interpretation durch Rezipienten untersuchen. In Erweiterung solcher Ansätze sind in den letzten Jahren einige Untersuchungen entstanden, in denen unter dem Stichwort der "on-line"-Hilfen der Versuch unternommen wird, den Bereich der so genannten nonverbalen Kommunikation in derartige Überlegungen zu integrieren (vgl. KRAFFT 1997; DAUSENDSCHÖN-GAY/ KRAFFT 2000, 2002). Die Grundüberlegung ist dabei sehr einfach: Wenn die Beteiligten einer sozialen Interaktion sich während ihrer Handlungen sehen und hören können, sich also in so genannter "face-to-face"-Interaktion die wechselseitige Wahrnehmung gegenseitig signalisieren, dann werden nach unseren Beobachtungen die anwesenden Körper systematisch für die Organisation der Kommunikation genutzt. Für derartige Überlegungen finden wir drei etablierte Traditionen in der jüngeren Geschichte einer sich sozialwissenschaftlich verstehenden Linguistik. Beiträge zur Rolle des Körpers in der Interaktion gibt es natürlich schon sehr lange, schließlich sind Arbeiten zu Mimik und Gestik Legion 8, aber die Beschäftigung mit Körpergesten unter dem Etikett „Nonverbales" betrifft hauptsächlich die ikonischen Gesten, die auch ohne Text eine kulturell konventionalisierte Bedeutung haben, oder die metaphorischen, die ein sprachlich geäußertes Bedeutungskonzept verdeutlichen oder wie im Falle der Ironie kontrastieren. Schon 1984 hat dagegen Jacques COSNIER in einem Resume seiner bemerkenswerten Arbeiten zur nonverbalen Kommunikation die Notwendigkeit einer synergetischen Sichtweise unterstrichen: 7 Nach einer Vielzahl von Vorarbeiten sind 1993 die Textgrammatik der deutschen Sprache und 1982 die Textgrammatik der französischen Sprache (in überarbeiteter französischer Version 1989) entstanden, in denen die „grammatischen" Regeln z.B. der Wortstellung, des Determinantengebrauchs oder des Tempussystems in der Form von Verarbeitungsinstruktionen des Produzenten an den Rezipienten formuliert werden. 8 Vgl. die Überblicksdarstellungen in KENDON (1983), COSNIER (1987) und MÜLLER (1998, 2002). lFL1\llL 32 (2003) Sprachproduktion in sozialer Interaktion 183 "Chaine verbale et chaine mimo-gestuelle fonctionnent en etroite synergie et se trouvent donc placees sous Ja dependance d'un centre commun. La gestualite ne serait pas un simple ajout mais serait etroitement intriquee a l'activite generative verbale. [...] Si 1a gestualite de l'emetteur est utile au recepteur pour l'amelioration et l'enrichissement de l'enonce et de Ja pragmatique transactionnelle, elle ne l' est pas moins a l' emetteur, et meme on est tente d' avancer qu' elle lui est encore plus indispensable qu'au recepteur" (COSNIER/ BROSSARD 1984: 20-21). Ziemlich zeitgleich, aber ohne in den Bibliographien erkennbare Rezeption dieser Überlegungen entwickelt sich in der Konversationsbzw. Gesprächsanalyse 9 eine Tradition der Beschäftigung mit Mimik und Gestik, die zwar bis heute andauert, sich aber insgesamt gegen die weit stärkere und fast ausschließliche Beschäftigung mit verbalen Daten nicht so recht etablieren kann. Die klassischen Arbeiten von HEATH, GOODWIN und SCHEGLOFF 10 integrieren Beobachtungen zu Blickrichtung, Mimik und Gestik in das Paradigma der ethnomethodologisch inspirierten Untersuchung der Alltagskommunikation. Sie fragen also nach der Funktion dieser „Signalisierungssysteme" bei der Herstellung von Ordnung, z.B. für die Etablierung des Zuhörerstatus, für die Aushandlung des Beteiligungsformats oder für Projektionen im Zusammenhang der Turnkonstruktion und -übergabe. "The connection between speakership and hand gesture recommends the possibility that hand gestures are organized, at least in part, by reference to the talk in the course of which they are produced. Exarnination of video materials of everyday, naturally occurring interaction shows this organization tobe the case" (SCHEGLOFF 1984: 273). 11 In der Konversationsanalyse und der „linguistischen Ethologie" verschiebt sich somit der Fokus des Interesses von den hervorstechenden, unmittelbar bedeutungsvollen Aspekten der Körperbewegung zur Beschäftigung mit allen Bewegungsformen zu jedem Zeitpunkt der Gespräche. Diesen Ansatz vertritt auch Peter AUER in seinem Beitrag über Kontextualisierung, mit dem er gleichzeitig eine methodische Erweiterung vorschlägt. An einer kurzen Aushandlung, in der zwei italienisch-deutsch bilinguale Kinder (Mariella und Giulio) zwischen zwei Witzsequenzen klären, wer als nächster einen Witz erzählen darf, zeigt AUER die verschiedenen Leistungen der Signalisierungssysteme für das Zustandekommen einer Gesamtbedeutung. Die Ebene des sprachlichen Textes zeigt Phänomene von Codeswitch, die offenbar mit dem Typ der anstehenden Aktivität und der jeweiligen Interaktionsrolle zu tun haben (Deutsch für die Rollenaushandlung, Italienisch für die Übernahme der Erzählerrolle). Die Analyse der Prosodie ergibt spezifische 9 Wir benutzen die Termini, so wie DEPPERMANN (1999) sie zu definieren vorschlägt: Gesprächsanalyse ist die Bezeichnung einer Gruppe von Forschungsrichtungen, die sich mit sozialer Interaktion und kommunikativem Austausch beschäftigen. Konversationsanalyse ist eine dieser Forschungsrichtungen. IO Sie sind alle im Sammelband von ATKINS0N/ HERITAGE (1984) veröffentlicht, in dem auch der Beitrag von SCHEGL0FF (1984) abgedruckt ist. 11 Inzwischen liegt eine Reihe von Untersuchungen vor, die auch Spezialaspekte des Phänomens stärker behandeln. Wir verweisen stellvertretend auf die Arbeit von STREECKIHARTGE (1992) und LEBAR0N/ STREECK (2000) zu Problemen der Turnübergabe, von GoüDWIN (2000) zur Bedeutungskonstitution in Gesprächen mit einem Aphasiker und von STREECK/ STREECK (2002) zu Therapiegesprächen. lFLlllL 32 (2003) 184 Ulrich Dausendschön-Gay Betonungsverhältnisse mit einer „flachen Kontur" für die Witzeinleitung durch Mariella und eine kompetitive Konkurrenzprosodie durch Giulio, der damit das Thema der Aushandlung gegen die Fortsetzung der Witzerzählungen etabliert. Beobachtungen zur Blickrichtung ergeben den Befund, daß eine dritte, auf der Textebene nicht präsente Person, der Versuchsleiter, als Adressat des Konfliktes und als potentieller Schiedsrichter in das Geschehen integriert wird. Die Körperhaltungen schließlich verdeutlichen die Herstellung von Interaktionskontexten (Witz oder Aushandlung) durch die beiden Kinder und lassen vor allem die Phasen erkennen, in denen die ausbleibende Koordinierung der Körperausrichtungen einen Hinweis auf divergierende Situationsinterpretationen gibt. Erst als Mariella den Konflikt für sich entscheidet und mit ihrer Witzerzählung beginnt, sind die Körperhaltungen wieder koordiniert. 12 2.2 Das Konzept der "on-Iine"-Hilfen Hier setzen wir mit unserem Konzept der "on-line"-Hilfen an, das als Versuch zu werten ist, solche Zugänge zu Phänomenen der so genannten nonverbalen Kommunikation noch ein wenig stärker zu systematisieren. Wir nehmen den Gedanken der Orientierungsleistungen aus der Konstruktivismusdebatte wieder auf und beschreiben die Entstehung einer Äußerungsbedeutung als das Ergebnis der gemeinsamen Arbeit einer Interaktionsdyade. Die Bedeutung eines (Medien-)Angebots wird durch Interpretation, "feedback" und weitere Bearbeitung in der Interaktion allmählich so weit stabilisiert, daß die Beteiligten von einem hergestellten "common ground" ausgehen können, der nun als Bezugsgröße für die weitere Kommunikation zur Verfügung steht. Die "on-line"-Hilfen beschreiben zunächst besonders die Orientierungsleistungen, die sich in zwei Bereiche analytisch trennen lassen: den Text, also den sprachlich realisierten Teil der Äußerung, und die Körpergesten, mit denen wir vor allem die hörbaren Aspekte der Artikulation meinen (Stimme, Prosodie), sowie die sichtbaren Phänomene der Körperbewegungen, der Körperhaltung, der Mimik, des Blicks und der konventionalisierten symbolischen Gesten. Bei jeder Äußerung werden Texte und Körpergesten zu Gestalten kombiniert, die wir normalerweise holistisch wahrnehmen und interpretieren, die aber zu analytischen Zwecken getrennt beschrieben werden können. Es genügt, jemandem beim Telephonieren zuzuschauen, um zu verstehen, daß eine „Sprachproduktion" ohne die Hervorbringung solcher Gestalten kaum denkbar ist, denn wir müssen uns schon sehr stark kontrollieren, wenn wir am Telephon nicht beim Sprechen und Hören körperlich aktiv sein wollen. Mimik und Gestik finden immer statt. Die genauere Analyse von Telephongesprächen belegt auch, daß die Blockade eines der von AUER so genannten 12 ADER kommt zu folgendem Resume: "The concept of contextualization has been successful in interactional (interpretive) linguistics, microethnography and similar disciplines because it relates verbal interaction and aspects of verbal and non-verbal behavior such as linguistic variation, prosody, and gesture/ posture to each other. Contextualization research has proven to be an effective way of analysing these often neglected areas of communication not only in structural, but also in functional terms" (AUER 1992: 35). Siehe mit einem ähnlichen Konzept auch die weiteren Beiträge im Sammelband von AUERIDI Luzm (1992). JFLUJL 32 (2003) Sprachproduktion in sozialer Interaktion 185 Signalisierungssysteme zu Mehraufwand in den. anderen führt. Während die Sprecherwechselorganisation in "face-to-face"-Situationen ohne den Einsatz und die Interpretation der Blickrichtung auf Dauer kaum einigermaßen reibungslos geregelt werden kann, funktioniert der Wechsel am Telephon problemlos durch spezielle Maßnahmen in der Prosodie (Pausenlängen, überdeutliche Stimmhöhenveränderungen an Segmentgrenzen, markante Rhythmusveränderungen) und auf der Metaebene des Textes. Wenn wir einmal von Sonderbedingungen mit Sonderregeln absehen, wie sie z.B. bei rein mimisch-gestischer Kommunikation in einer lärmenden Menschenmenge zur Anwendung kommen, können wir feststellen, daß Äußerungsbedeutungen durch das Zusammenspiel von Texten und Körpergesten in Interaktionsprozessen allmählich hergestellt werden. Wenn wir unsere Beobachtungen auf die Orientierungsleistungen der sichtbaren Körpergesten konzentrieren, dann bemerken wir vor allem ihren Beitrag zu zentralen Bereichen des Interaktionsgeschehens, von denen hier einige Erwähnung finden sollen. • Durch die Arbeiten KENDONS (zuletzt im von McNEILL 2000 herausgegeben Sammelband) ist seit langem bekannt, daß der Beteiligungsstatus durch Körperhaltungen und -bewegungen kenntlich gemacht wird. Wir nehmen die Position des aktuellen Sprechers oder der aktuellen Zuhörerin vor allem körperlich ein, geben unsere Mitarbeit zu erkennen und kündigen die Absicht an, das Rederecht übernehmen zu wollen oder aber gerade darauf zu verzichten. Die Abwesenheit dieser ständigen Bewegungen, also z.B. starres Sitzen oder unbeteiligtes Wegschauen führen mit Sicherheit zu Krisen in der Interaktion. • Längere Redebeiträge werden durch rekurrente Körperposituren in Einheiten gegliedert. Bei einzelnen Interaktanten finden wir in der Regel nur einige wenige solcher Posituren, die in ihrer Art individuell sind, von Gespräch zu Gespräch verschieden sind und im allgemeinen keinerlei sozialer Konvention folgen. Durch ihre Rekurrenz und Stabilität sind sie aber für die anderen Interaktanten als Posituren erkennbar und können als Mittel der Einheitenbildung interpretiert werden. Betrachten wir in Interaktionsdyaden beide Interaktanten gemeinsam, so stellen wir, ähnlich wie bei der Darstellung des Beteiligungsstatus, eine starke Koordinierung der Körperaktivitäten fest, sofern die Gesprächsphase nicht konfliktär oder kompetitiv ist dann streiten auch die Körper. lnteraktanten antworten auch mit dem Körper aufeinander, und sie organisieren den imaginären Interaktionsraum gemeinsam. Gerade dieser letzte Aspekt ist stark kulturell geprägt, gruppen- oder regionspezifische Konventionen, z.B. über die räumliche Ausdehnung der Körpergeste, die Distanzen zwischen den Körpern und die Intensität der einzelnen Bewegung spielen eine wichtige Rolle für das Zustandekommen der Koordinierung; daher ist dieser Bereich auch die Quelle für Mißverständnisse und Konflikte, deren Gründe oft von den Interaktanten gar nicht erkannt werden. • Einheiten werden nicht nur durch Posituren, sondern auch durch die ständige Wiederholung gleicher Gesten mit speziellen rhythmischen Mustern gebildet; dabei wirken sichtbare und hörbare Körpergesten besonders intensiv zusammen. Dieses Verfahren wird gleichzeitig zur thematischen Organisation ausgenutzt; so konnten wir an einem Beispiel zeigen (siehe zu den Details DAUSENDSCHÖN-GAY/ KRAFFT 2002), wie der IFLwL 32 (2003) 186 Ulrich Dausendschön-Gay konzessive Teil einer „ja-aber-Struktur" in einer Argumentation von einer speziellen Positur mit weiter, körperferner Armbewegung und aufrechter Körperhaltung begleitet wurde, während der adversative und zentrale Teil durch eine gespannte Körperhaltung mit körpernaher Armbewegung zusätzlich relevant gesetzt wurde. Einheitenbildung, thematische Relevanz und argumentativer Status sind somit die Bereiche, in denen besonders deutlich Text und Körpergeste zu bedeutungsherstellenden Gestalten kombiniert werden. • Die Bedingungen spontaner mündlicher Kommunikation bringen es mit sich, daß wir ständig den Produktionsstatus unserer Äußerungen verdeutlichen müssen, damit eine angemessene Interpretation überhaupt möglich ist. In unserer Alltagssprache sprechen wir vom „Reden ins Unreine" und meinen damit, daß häufig unsere Redebeiträge erst allmählich die Form und den Inhalt erhalten, mit dem wir zufrieden sind. Wir haben in diesem Zusammenhang die Begriffspaare „fertig-unfertig" und „gültig-ungültig" vorgeschlagen und im einzelnen zeigen können, daß z.B. die Desorganisation von Prosodie und Oberflächenstruktur des Textes (phonetische Einheiten, die nicht mit den syntaktisch kryptischen sprachlichen Einheiten übereinstimmen) und die unrhythmischen, inkohärenten Körperbewegungen zusammenspielen, um eine noch unfertige Produktionsphase als solche auszuweisen. • Die nähere Analyse von Komplimenten z.B. kann zeigen, daß neben dem Produktionsstatus auch die globale Äußerungsbedeutung körperlich hergestellt wird. Bewegungen zum Beispiel des Überreichens und zögernden Annehmens oder der Ab- und Zuwendung begleiten nicht nur solche Aktivitäten des bestätigenden Austausches, sondern machen sie überhaupt erst dazu. Die Äußerung über die Qualität eines Redebeitrags bleibt eine bloße Feststellung, solange sie nicht interaktiv zu einem Kompliment gemacht wird. Auch in diesem Bereich ist die kulturelle Prägung der Aktionen und ihrer Formen offenkundig. • Schließlich will ich noch auf einen Bereich hinweisen, der aus dem Gesamtspektrum der Themen zur nonverbalen Kommunikation neben den ikonischen, symbolischen Gesten mit Sicherheit am besten untersucht ist, nämlich den der Konzeptgesten. Sie gehen einem Textsegment voran und kündigen seinen wesentlichen semantischen und/ oder illokutiven Kern an 13 , wie etwa kreisende Handbewegungen, nach oben geöffnete Handflächen, oder die vielen anderen semantisierenden Körperbewegungen. Bei näherer Betrachtung erweist sich, daß solche Bewegungen gleichzeitig der Relevantsetzung dienen. Diese natürlich sehr knappe und verkürzende Darstellung einiger wichtiger Aspekte soll genügen, um zu verdeutlichen, wie Äußerungsbedeutungen durch das Zusammenspiel von Text und Körpergeste in der Interaktion erzeugt werden. Zweifellos spielt die Textbasis für die semantisch-pragmatischen Details der Äußerung eine zentrale Rolle, 13 Es ist eine reizvolle Metapher, diese Körperbewegungen in ihrer Entstehung an die Arbeit des "conceptualizers" in LEVELTs Produktionsmodell zu binden (siehe dazu auch die in der Bibliographie aufgeführten Arbeiten MCNEILLS 1992, 2000). lFlLIIL 32 (2003) Sprachproduktion in sozialer Interaktion 187 aber ebenso zweifellos darf der Beitrag der Körpergesten nicht als akzidentielles Begleitwerk verstanden werden. Unser vorläufiges Fazit für diesen Teil muß also lauten, daß Sprachproduktion in sozialer Interaktion unter den Bedingungen multidimensionaler Signalisierung und Verarbeitung stattfindet. 3. Komponenten einer Interaktionsgrammatik Viele der Beiträge in dem 1996 von OCHS, SCHEGL0FF und TH0MS0N herausgegebenen Band mit dem programmatischen Titel Interaction and grammar beschäftigen sich aus ethnographischer, funktionaler und konversationsanalytischer Perspektive mit den so genannten "tum-constructional units" (TCU). Sie waren schon in der frühen klassischen Arbeit der "simplest systematics" von SACKS, SCHEGL0FF und JEFFERS0N (1974) als zweite Komponente des Systems der Sprecherwechselorganisation erwähnt worden. Für lange Zeit aber haben sich die Untersuchungen in der Konversationsanalyse mehr mit den Methoden der Interaktionsorganisation, der Verkettung von Äußerungen und den Reparaturmechanismen beschäftigt und darüber die vielfältigen Aspekte der Äußerungsproduktion etwas vemachlässigt. 14 Mit dem erwähnten Sammelband ist die Diskussion um die Struktur und Definition von 'tums' (Redezügen) als der gesprächsrelevanten sprachlichen Einheit wieder aufgelebt, und sie wird bis heute fortgesetzt. Dabei geht es neben den Fragen der angemessenen Beschreibung von Oberflächenstrukturen spontaner mündlicher Äußerungen vor allem um die Verfahren der Projektion im Zusammenhang mit dem Turnende, den "transition relevance places" (TRP) und der tatsächlichen Turnübergabe im Rahmen der Rederechtsorganisation. Besonders Margret SELTING hat dem detaillierte Untersuchungen über die Rolle prosodischer Verfahren hinzugefügt. 15 Die Grundlagen einer Interaktionsgrammatik, die eher Verfahren der interaktiven, dynamischen Anpassung an lokale und situative Gegebenheiten beschreibt, erläutert Lorenza M0NDADA in einem ihrer vielen bemerkenswerten Beiträge wie folgt: "La grammaire dans l'interaction devient alors un ensemble extremement dynamique de ressources qui prennent leur sens dans l'interaction et qui, tout en pouvant se sedimenter dans des usages repetes, restent extremement malleables. Dans ce sens, ces ressources ne representent pas un stock de formes figees dans lequel puiser selon les besoins communicatifs, ni un systeme d'unites et de regles que l'usage ne ferait qu'actualiser. Les ressources appartiennent a ce que Hopper (1988) appelle une 'grammaire emergeante', qu'il distingue de son oppose, la 'grammaire a priori': la premiere est construite, deconstruite et reconstruite de fa~ons multiples dans 1a temporalite des enonciations et des conversations, alors que la seconde est un systeme statique, atemporel, homogene, organise autour de categories et regles predefinies et stables" (MONDADA 1998: 123). 14 "Although there is much which differentiates CA from many central features of ethnomethodology along these lines, the local determination of action and understanding has ethnomethodology as its most substantial and proximate source. However, although some would disagree with this assessment, the emphasis in ethnomethodology perhaps as a consequence of the phenomenological idiom in which it was conceivedwas on the uptake, interpretation and understanding of apperceivable elements of the surround, and much less on their production" (0CHS/ SCHEGLOFF/ THOMSON 1996: 15). 15 Dazu besonders SELTING (2000); vgl. auch APFELBAUM (2002) zu dieser Debatte. IFLlllL 32 (2003) 188 Ulrich Dausendschön-Gay Aus dem Gesamtkomplex all der Untersuchungsbereiche, die sich aus einer solchen Konzeptionalisierung einer Interaktionsgrammatik ergeben, und zwar insbesondere unter Berücksichtigung der im vorigen Kapitel entwickelten Überlegungen zur holistischen Bedeutungskonstitution, will ich hier nur drei kurz ansprechen, an denen genauer gezeigt werden kann, wie in einer solchen Perspektive die Bedingungen von Sprachproduktion beschrieben werden können. 3.1 Formulierungsarbeit Mit dem von Elisabeth GüLICH (1994) eingeführten Terminus der Formulierungsarbeit sollen jene Verfahren beschrieben werden, mit denen Interaktanten die anstehenden Probleme der Hervorbringung und Interpretation einer beliebigen Äußerung lösen. Die dabei von allen Interaktanten gemeinsam zu bewältigenden Aufgaben werden üblicherweise unter den folgenden interaktionsgrammatischen Stichworten diskutiert: • Es muß eine angemessene Verbalisierung für ein Mitteilungsangebot (z.B. einen thematischen Beitrag) entwickelt werden, wobei in konkreten Interaktionsprozessen sehr häufig nicht der erste Formulierungsentwurf schon als gelungen eingestuft wird; deshalb kommt es zu allen Arten von Reformulierungen, Korrekturen (also Tilgungen) und allmählichen „Verbesserungen" (siehe dazu GüLICH/ K0TSCHI 1995). Diese Arbeit wird öffentlich durchgeführt, weil erstens die Formulierungsanstrengungen unverzichtbar für die Interpretation der Gesamtäußerung sind und weil zweitens die Beteiligung aller Interaktanten nicht nur erwünscht, sondern unverzichtbar ist. Besonders relevant sind auf dieser Ebene die lexikalischen Wahlen und die Gestaltung der textuellen Oberfläche (Thema-Rhema-Abfolgen, Fokussierungen, Reihenfolgen). 16 • Die Äußerung muß hinsichtlich ihrer Intention (Illokution) interpretierbar sein und ihre Kontextualsierüngshinweise müssen hinreichend deutlich sein. Bei Mißverständnissen oder Interpretationsproblemen leichterer Art beobachten wir spezielle Aktivitäten für diese Ebenen. • Es gehört zu den Standardbemerkungen in konversationsanalytischen Arbeiten, daß jede Äußerung doppelt verkettet ist. Sie wird zunächst als Reaktion auf eine vorangehende Tätigkeit verstanden, und da normalerweise viele Tätigkeiten vorangegangen sind, besteht die Aufgabe darin, den lokalen Bezugspunkt erkennbar zu machen, auf den die Reaktion erfolgt. Sie wird aber auch als möglicher Ausgangspunkt für eine Folgetätigkeit zur Verfügung gestellt, sie muß also Anschließbarkeit ermöglichen und eine Präferenzstruktur für Folgetätigkeiten entwickeln. • Äußerungen werden aber auch global eingebettet, und zwar in den Zusammenhang aktueller Interaktionsepisoden, für deren Gesamtstruktur die Rolle der lokalen Aktivität erkennbar gemacht werden muß. • Daneben besteht eine weitere globale Aufgabe in der Integration von Äußerungen in 16 Einen exemplarischen Beitrag zu diesem Bereich hat kürzlich Heiko HAUSENDORF (2001) vorgelegt, der sich mit dem Problem der Hervorhebung in interaktionsgrammatischer Perspektive auseinandersetzt. IFLllllL 32 (2003) Sprachproduktion in sozialer Interaktion 189 Ereignisse mit größerer Reichweite, nämlich in den strukturellen Zusammenhang kommunikativer Gattungen. Besonders gut untersucht ist diese Frage für konversationelle Erzählungen und für Klatschkommunkation. • Schließlich gehören zu den Aufgaben jene Bereiche, die von der Gesprächsrhetorik beschrieben werden und die vor allem die strategischen Maßnahmen in einer Interaktionsepisode betreffen, mit denen wir uns Vorteile gegenüber Partnern erarbeiten oder den Nachteil wieder zu kompensieren suchen, wenn wir ins Hintertreffen geraten. Die Untersuchung der Art und Weise, in der all diese Aufgaben erledigt werden, zeigt in jedem Falle überdeutlich, daß die Aufgaben im Prinzip von allen Beteiligten erledigt werden können, daß es häufig zu gemeinsamer Arbeit kommt, daß die Wahl der Mittel meist nicht vorhersehbar ist und daß die genutzten Ressourcen nicht in einem System abgerufen und aktualisiert werden, sondern in der Interaktion überhaupt erst hergestellt werden. 17 Dies gilt auch für den nächsten großen Bereich der Interaktionsgrammatik, der hier nur kurz angesprochen werden soll. 3.2 Strukturierungsaktivitäten Zu Beginn dieses Kapitels hatte ich bereits auf die erneute Diskussion um TCUs und TRPs hingewiesen, mit denen in der Konversationsanalyse eine Debatte um den Turn geführt wird, die in der Grammatikdiskussion funktionaler, strukturalistischer, dependentieller oder generativer Provenienz seit jeher in ähnlicher Weise den Satzbegriff problematisiert hat. In beiden Fällen geht es um konstitutive Grundeinheiten sprachlicher Äußerungen, um ihre interne Struktur und die sie konstituierenden Elemente sowie um ihre Einbettung in größere Einheiten. Elisabeth GÜLICH referiert in einem längeren Beitrag die Auseinandersetzungen in beiden Traditionen und kommt zu einem Schluß, der mir aus interaktionsgrammatischer Sicht der einzig angemessene zu sein scheint: "Le tour de parole est d' ailleurs, comme la phrase, un concept sur lequel il est difficile de se mettre d'accord, dont Ja definition et Ja delimitation posent des problemes. Les regulateurs et ! es phenomenes de co-enonciation par exemple sont difficiles il traiter quand on veut delimiter cette unite. Se decider entre ! es criteres syntaxiques et ! es criteres interactionnels n' est pas une alternative raisonnable. Ce point de vue est confirme pas un article recent de SCHEGLOFF (1996) qui presente l'organisation de l'alternance des tours de parole comme un probleme situe a l'intersection entre grammaire et interaction. En effet, Ja question n'est pas de savoir quelle est l'unite adequate pour l'analyse de ! 'oral, mais s'il est adequat de prendre des unites comme point de depart (GÜLICH 1999: 25). Die Antwort auf die letzte Frage lautet bei GÜLICH deutlich „nein", und sie schlägt statt der Debatte um Einheiten die Untersuchung der Verfahren vor, mit denen Einheiten 17 Als Beispiel kann aus den Untersuchungen zur exolingualen Korrnnunikation der Beitrag von Elisabeth Gülich (1986) zur gemeinsamen Hervorbringung dienen, ferner auch die Beschreibung der Behebung einer Phase völligen Unverstehens unter dem Stichwort der "sequence analytique" durch KRAFFT/ DAUSENDSCHÖN- GAY (1993). lFJLlilL 32 (2003) 190 Ulrich Dausendschön-Gay gebildet werden. Die Ergebnisse solcher Arbeiten sind ermutigend, denn wir stellen fest, daß die Struktur dessen, was auf Textebene und auf der Ebene der Körpergesten als Einheit ausgewiesen, also zur weiteren Behandlung durch die beteiligten Interaktanten angeboten wird, kaum je vorhersagbar ist. Einheit ist immer das, was gerade für die Bedürfnisse der aktuellen, lokalen Bedeutungsherstellung gebraucht wird. 18 Eine solche Betrachtungsweise hat natürlich auch Konsequenzen für das Regelwerk der Sprecherwechselorganisation. Das System scheint viel flexibler zu sein, als es die Ausführungen in den klassischen Arbeiten vermuten lassen, insbesondere muß wohl der Vorschlag Margret SELTINGS viel ernsthafter weiterverfolgt werden, die syntaktischen Konstruktionsregeln für TCUs nicht in einen funktionalen Zusammenhang mit der Regelung der Rederechtsübergabe zu bringen. Es gibt vielmehr Plausibilität dafür, daß die Sprecherwechselorganisation auch ohne einen wohldefinierten Turnbegriff sehr gut beschreibbar ist, wenn wir uns mehr mit Rhythmus, Blick und Körperhaltungen in "faceto-face"-Kommunikation beschäftigen. 3.3 Image und soziale Beziehung Erving GOFFMAN hat in vielen seiner Beiträge zur Interaktionssoziologie auf zwei wichtige Aspekte der Organisation sozialen Zusammenlebens hingewiesen: • Soziale Interaktionen sind die Ereignisse, in deren Verlauf die Beziehungen zwischen Personen hergestellt, bestehende Beziehungen bestätigt und gegebenenfalls verändert werden. Sie sind auch die Bedingungen dafür, daß das Image oder "face" einer Person entsteht und bestätigt wird. Beim Image geht es um jenen Teil der Identität von Individuen, mit dem sie ein für die soziale Interaktion gültiges Bild von ihrer öffentlichen Persönlichkeit herstellen. Sämtliche öffentlichen, d.h. von anderen bemerkbare und vor ihnen nicht ausdrücklich verborgene Verhaltensweisen gehen in diese Konstruktion ein: Kleidung, Wohnungseinrichtung, Handlungsgewohnheiten, sprachliche Selbstdarstellungen. Damit man ein Image erwirbt, ist es unerläßlich, daß die erwähnten Verhaltensweisen von anderen als konsistent wahrgenommen werden, so daß Verhalten auch antizipierbar wird. Image ist also das Ergebnis der Konstruktion unserer Mitakteure auf der Grundlage unserer Angebote an konsistentem Verhalten. Wie beim Territorium, also den Domänen, in denen uns exklusive Rechte auf Handlungsfreiheit zugestanden werden, gilt auch hier, daß es Image ohne soziale Interaktion nicht gibt. Aus dem erworbenen Image resultieren Rechte (auf den Respekt des Image durch die anderen) und Pflichten (auf fortlaufende Beiträge zur eigenen Konsistenz und auf Respekt des Image der anderen). Das Fundament des Funktionierens von Image ist die grundlegende Reziprozitätsregel, der zufolge alle dieselben Rechte und 18 Für einige Details verweise ich auf den zweiten Teil des Beitrags von Elisabeth GÜLICH, in dem im Einzelnen die Aspekte der Beschäftigung mit Strukturierungsaktivitäten herausgearbeitet und an Beispielen aus authentischen Korpora diskutiert werden. Ich verweise auch auf die Ausführungen oben im zweiten Kapitel zu den "on-line"-Hilfen, die für diesen Zusammenhang einige zusätzliche Aspekte fokussieren. lFL1.ilL 32 (2003) Sprachproduktion in sozialer Interaktion 191 Pflichten haben und sich gegenseitig unterstellen, in Kenntnis dieser Reziprozität zu handeln. • Jedes Verhalten in einer sozialen Interaktionen kann von den Beteiligten so interpretiert werden, daß es auf das Image und die soziale Beziehung einwirkt. Daher ist die Imagearbeit ("face work") eine permanente Aufgabe in jeder Kommunikationsepisode. Allerdings gehen wir nach dem SCHÜTZ' sehen Prinzip der praktischen Idealisierungen davon aus, daß der Respekt unseres Image und unserer Territorien unterschwellig immer gezollt wird, ohne daß dies jedesmal explizit gemacht zu werden braucht. Bestätigende und korrektive Austauschsequenzen sind demgegenüber explizite Tätigkeiten des Umgangs mit Image. Wenn wir längere Gesprächssequenzen analysieren, stellen wir fest, daß eine Präferenz für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen expliziter und impliziter Imageatbeit zu bestehen scheint. Die vielen Untersuchungen zu Phänomenen des Image und des alltagsweltlichen Konzepts von Höflichkeit, die hier nicht im Einzelnen erwähnt werden sollen 19 , machen deutlich, daß gerade dieser Bereich unter den Bedingungen interkultureller Kommunikation besonders störanfällig ist. Gleichzeitig beobachten wir aber, daß es verhältnismäßig wenige Aushandlungen und Thematisierungen in diesem Bereich gibt. Die Wahrnehmung kultureller Differenz in den Methoden der Imagewahrung führt in der Regel eher zu Vermeidung. Aus der Stereotypen- und Vorurteilsforschung wissen wir, daß dies einer der Gründe für die Stabilisierung und unreflektierte Reproduktion von Fehlurteilen über „Fremde" ist. 20 Sprachliches und nicht-sprachliches Handeln in Kommunikationssituationen mit Sprechern unterschiedlicher Kompetenz in der aktuellen Kommunikationskultur (siehe dazu u.a. DAUSENDSCHÖN-GAY/ KRAFFT 1991) muß diesen sensiblen Bereich ständig mit berücksichtigen, ohne dafür eine genaue Kenntnis der Unterschiedlichkeit der Regelungssysteme zu besitzen. Gerade in den für diesen Bereich besonders relevanten Gesprächseröffnungen und -beendigungen begegnen uns eine Fülle an kleinen Pannen, Mißverständnissen und gelegentlich auch massiven Problemen, für deren Bearbeitung und Beseitigung den Interaktanten oft die notwendigen Methodenkenntnisse fehlen. Unser zweites Zwischenfazit, diesmal aus der Perspektive einer Interaktionsgrammatik, muß am Ende dieser wiederum kurzen Darstellung eines sehr komplexen Feldes lauten, daß Sprachproduktion unter den Bedingungen interaktiven gemeinsamen Handelns stattfindet und seine Beschreibung genau diese Bedingungen zu berücksichtigen hat. 21 19 Zu einer knappen Zusanunenfassung verschiedener Ansätze siehe DAUSENDSCHÖN-GAY (2001b). 20 Siehe dazu z.B. die Beiträge in dem Sanunelband von CZYZEWSKI [et al.J (1995). 21 Für die dabei entstehenden methodischen Probleme siehe z.B. DEPPERMANN (2001) oder die Beiträge in IVANYIIKERTES (2001). IFJLIDIL 32 (2003) 192 Ulrich Dausendschön-Gay 4. Konsequenzen für die Spracherwerbsforschung Die vorangehenden Kapitel haben zu zeigen versucht, daß Sprachproduktion kein isolierter „Äußerungsakt" eines einzelnen Sprechers ist, sondern ein Herstellungsprozeß in dem höchst komplexen Handlungszusammenhang einer sozialen Interaktion. Darin setzt die Hervorbringung einer einzelnen Äußerung neben der Fähigkeit zur Verbalisierung eines thematischen Beitrages eine hohe Verstehenskompetenz für die vorangehenden Kommunikationsereignisse voraus, sie erfordert eine Orientierung am Partner und an den ihm unterstellten Interpretationsmöglichkeiten, und sie bedarf eines Zuschnitts auf die erwünschten und erwarteten nächsten Tätigkeiten der Interaktionspartner. Zweifellos gibt es in diesem Gesamtkomplex Kompetenzen, die nicht für jede Diskursgemeinschaft und jede fremdsprachige Kultur neu erworben werden müssen; mit Sicherheit aber betreffen die zu erwerbenden Kompetenzen noch ganz andere Bereiche als die, auf die sich Spracherwerbsforschung in ihren klassischen Domänen konzentriert. Im Interesse einer methodisch kontrollierten und theoriegeleiteten Erforschung der Prozesse des.Fremdsprachenerwerbs kann selbstverständlich angesichts der Komplexität des Gesamtphänomens „Sprachproduktion in fateraktionskontexten" nicht auf eine Konzentration auf isoliert untersuchbare Teilbereiche verzichtet werden. Die Legitimität solcher Komplexitätsreduktionen sollte sich allerdings an der Begründung für die Isolierung genau dieses Untersuchungsgegenstands erweisen, und es darf nicht darauf verzichtet werden, die Reintegration des erforschten Teilbereiches in den Gesamtzusammenhang vorzubereiten oder, im Idealfall, auch durchzuführen. Dies betrifft auch die Konstruktion experimenteller Designs, mit deren Hilfe kontrollierte Datensets erhoben werden, die zweifellos geeignet sind, eine Untersuchungshypothese bearbeiten zu können, die aber die eben angesprochene Reintegration in die soziale Komplexität des sprachlichen Handelns eher erschweren. 22 Zum Abschluß will ich nicht unerwähnt lassen, daß es in jüngerer Zeit eine Reihe von Untersuchungen gibt, die die von mir angesprochene Komplexität zu berücksichtigen versuchen. An erster Stelle ist das von Gert HENRICI und seiner Forschergruppe entwickelte Konzept der "fremdsprachenerwerbsspezifischen Diskursanalyse" zu nennen, in das .sich auch das Projekt "Mündliche L2-Produktion" im Prinzip integriert. Ferner ist hinzuweisen auf die Arbeiten von Bemard PY in Neuchätel sowie von Marie-Therese 22 Wenn ich die mir vorliegenden Daten aus dem Projekt unter diesem Gesichtspunkt kritisch betrachte, dann fällt zumindest auf, daß das absichtlich nicht-kooperative Verhalten der Interviewpartner eine sehr spezifische Produktionssituation für die Fremdsprachensprecher erzeugt, in der der Gesamtzusammenhang verstehenden und partnerorientierten Sprachhandelns deutlich eingeschränkt ist. Dieses muß als eine der Grundeigenschaften der Daten in den Auswertungen Berücksichtigung finden. Die Aufforderung zu nicht-kooperativem Verhalten hat bekanntlich eine lange Tradition in der Spracherwerbsforschung. Sie ist aus der Annahme entstanden, daß damit bessere Einsichten in die Produktionskompetenz eines Fremdsprachenlerners gewonnen werden können. Ich erinnere aber an die Ausführungen Wygotskis zur Zone der nächsten Entwicklungsstufe: Zu den Kompetenzen eines Lerners gehört unabdingbar auch das, was er mit der Hilfe anderer zu tun in der Lage ist. Vgl. dazu vor allem MATIHEY (1996) und die vor allem von James Wertsch, John Lantolf und Maya Hickmann betriebene Renaissance der Konzepte Wygotskis. lFLlllL 32 (2003) Sprachproduktion in sozialer Interaktion 193 V ASSEUR in Paris/ LeMans (siehe dazu zuletzt PY 2000 und V ASSEUR 2000), die in dem großangelegten longitudinalen Spracherwerbsprojekt der European Science Foundation für den Projektbereich "Ways of achieving understanding" zuständig war (siehe dazu PERDUE 1993). Am konsequentesten interaktionistisch erscheint mir der von Lorenza MONDADA und Simona PEKAREK-DOEHLER unternommene Versuch, die wesentlichen Grundannahmen der ethnomethodologischen Konversationsanalyse und sozio-kognitive Ansätze zu situierter Kognition miteinander zu verbinden und aus ihnen ein angemessenes theoretisches Konzept für die Modellierung von Lernprozessen in sozialer Interaktion zu entwickeln. 23 "Les deux courants que nous venons de developper focalisent tous deux leur approche de la cognition comme etant situee dans les contextes sociaux, culturels, historiques de l'action. Tous deux n' entendent pas remplacer un determinisme mentaliste de l' action par un determinisme inverse, celui du contexte, mais introduisent un argument non plus lineraire et causal mais reflexif, selon lequel les savoirs et les competences emergent en etant configures dans les pratiques pour les configurer a leur tour au fil de leur deploiement" (MONDADA/ PEKAREK-DOEHLER 2000: 168). 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