eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 32/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2003
321 Gnutzmann Küster Schramm

Lerner-Lerner-Interaktion im Fremdsprachenunterricht: Fehlerquelle oder Lerngelegenheit?

121
2003
Johannes Eckerth
flul3210214
.__ _____ N_i_c_h_t_- _th_e_m_a_ti_s_c_h_e_r_T_e_n _____ __.l Johannes Eckerth * Lerner-Lerner-Interaktion im Fremdsprachenunterricht: Fehlerquelle oder Lerngelegenheit? Abstract. When in the 1970s the communicative approach to foreign language learning and teaching became prevalent, the use of student pair and group work was strongly advocated as an alternative to a hierachically structured and teacher-centered mode of instruction. Empirically, learner-learner-interaction in the foreign language classroom has been researched within the framework of (a) negotiation-of-meaning studies, (b) task-based research, and, more recently, (c) process-oriented task research. Tue following article examines these three lines of inquiry and provides a critical discussion of their merits and limitations. Against this backdrop, an empirical and classroom-based study investigating task-based learnerleamer-interaction is presented, which looks into the interactional pattemings and cognitive requirements evoked by this type oflearning activity. Through the triangulation of qualitative and quantitative data, the study focuses on two issues: first, the analysis of learning processes and learning potentials involved in and arising from leamer interactions; and second, the measurement of consequent gains in explicit grammatical knowledge. 1. Einleitung Das Bild, das die frühen diskursanalytischen Beschreibungen der mutter- und fremdsprachlichen Unterrichtskommunikation (z.B. SINCLAIRICOULTHARD 1975, ZENDER 1981, LöRSCHER 1983) zeichneten, war schwer mit dem kommunikativen Zeitgeist der 80er Jahre zu vereinbaren. Spätestens seit der 'kommunikativen Wende' wurden daher Lerner-Lerner-Interaktionen -in der didaktischen Literatur gemeinhin als Gruppen- und Partnerarbeit bezeichnet vehement als Alternative zum hierarchisch aufgebauten, kleinschrittig strukturierten und permanent von der Lehrkraft evaluierten Unterrichtsgespräch im Frontalunterricht propagiert. Inzwischen hat sich die Euphorie der frühen Jahre gelegt. 1 Noch immer fehlt jedoch im deutschsprachigen Raum jegliche fremd- Korrespondenzadresse: Dr. Johannes ECKERTH, Wissenschaftl. Mitarbeiter, Universität Hamburg, Institut für Allgemeine und Angewandte Sprachwissenschaft, Abt. Sprachlehrforschung, Von-Melle-Park 6, 20146 HAMBURG. E-mail: johannes.eckerth@uni-hamburg.de Arbeitsbereiche: Empirische Fremdsprachenerwerbsforschung, Forschungsmethodologie, Fremdsprachendidaktik. Von dieser Euphorie zeugen zahlreiche Beiträge in den Themenschwerpunkten der Fachzeitschriften (Der fremdsprachliche Unterricht 1/ 1980; Zielsprache Englisch 2/ 1981 und 3/ 1981) und Kongreßberichte (BRÜCK- NER 1981). lFLllllL 32 (2003) Lerner-Lerner: lnteraktion im Fremdsprachenunterricht: Fehlerquelle oder Lerngelegenheit? 215 sprachenunterrichtsspezifische empirische Evidenz zu Lerner-Lerner-Interaktionen, so daß sich Bewertungen dieser Arbeits- und Interaktionsform auf der Ebene didaktischer Einzelerfahrungen und Klischees bewegen. 2 Ähnlich unbefriedigend ist die empirische Evidenz bezüglich der Frage, was Lerner tun, wenn sie in Gruppen-, Partner- oder Einzelarbeit fremdsprachliche Aufgaben bearbeiten. Während inzwischen eine Reihe von Aufgabentypologien vorliegt, welche Lernaufgaben hinsichtlich ihrer Texteigenschaften, der hieraus resultierenden Sprachhandlungen und der damit angestrebten Lernziele beschreiben und klassifizieren, finden sich im deutschsprachigen Raum neben diesen deskriptiven Arbeiten nahezu keine kognitionsorientierten, empirisch vorgehenden Untersuchungen, welche der Frage nach den bei der Aufgabenbearbeitung aktivierten Lern- und Lösungsprozessen sowie den dabei erzielten Lernergebnissen nachgehen. Der vorliegende Beitrag möchte diese beiden Untersuchungsfelder - Interaktions- und Lernaufgabenforschung zusammenführen und die damit verbundene empirische Forschungslücke ansatzweise schließen. Damit werden zwei Ziele verfolgt: Erstens werden Lerner-Lerner-Interaktionen als spezifische Form der prototypischen Lehrer- Lerner-Interaktion betrachtet, deren Erforschung darauf abzielt, einen Beitrag zur Theoriebildung innerhalb der fremdsprachenerwerbsspezifischen Interaktionsforschung (vgl. HENRICI 1995) zu leisten. Ein weiteres Ziel stellt die empiriebasierte Entwicklung und Evaluierung fremdsprachlicher Lernaufgaben im Einklang mit fremdsprachenerwerbstheoretischen Prinzipien dar, wie sie in der anglophonen Forschungslandschaft seit längerer Zeit betrieben wird. Im vorliegenden Beitrag werden zunächst hierzu relevante Forschungsansätze diskutiert, im einzelnen die negotiation-of-meaning studies (Abschnitt 2.1), die task-based research (2.2) sowie die im Entstehen begriffene deutschsprachige Lernaufgabenforschung (2.3). Im Anschluß hieran wird in Abschnitt 3 eine empirische Studie vorgestellt, welche vor dem Hintergrund dieser Forschungsansätze aufgabenbasierte Lerner-Lerner-Interaktionen im Fremdsprachenunterricht sowohl lernprozeß- (3, 1; 3.2) als auch lernproduktorientiert (3.3; 3.4) untersucht. Der Beitrag schließt mit Schlußfolgerungen aus der berichteten und Ausblicken auf zukünftige Interaktions- und Lernaufgabenforschung. 2. Bisherige Forschungsarbeiten zu Lerner-Lerner-Interaktionen im Fremdsprachenunterricht 2.1 Negotiation-of-meaning studies Unter Bedeutungsaushandlungsstudien werden die auf Longs interaction hypothesis (LONG 1983) aufbauenden Untersuchungen verstanden, welche davon ausgehen, daß es 2 So z.B. SCHIFFLER (1999: 6): "Daß in dieser Arbeitsform [Gruppenarbeit, J.E.] die Kommunikation, sogar unter Studenten, nur in Ausnahmefällen in der Fremdsprache verläuft, ist bekannt." Eine Einschätzung, die in deutlichem Widerspruch zu den in diesem Artikel berichteten empirischen Ergebnissen steht, auch wenn davon ausgegangen werden muß, daß diesbezüglich der jeweilige Lernkontext - Fremdvs. Zweitsprachenunterricht von Relevanz ist. ]F][.,1.11][, 32 (2003) 216 Johannes Eckerth primär via negotiation-of-meaning vermittelter comprehensible input ist, welcher fremdsprachenerwerbsfördemd wirkt. In empirischen Untersuchungen elizitiert und im Fremdsprachenunterricht didaktisch gesteuert werden, können Bedeutungsaushandlungen mittels des Einsatzes so genannter information gap tasks. 3 Im Mittelpunkt empirischer Untersuchungen stand dabei oft die Häufigkeit, mit der Bedeutungsaushandlungen auftreten. Untersucht wurden v.a. folgende Variablen, wobei die erstgenannte Bedingung als der Frequenz von Bedeutungsaushandlungen förderlich bestimmt wurde 4 • Interaktionskonstellation [MS=Muttersprachler, NMS=Nichtmuttersprachler]: - NMS-MSvs. MS-MS-Interaktionen (LONG 1983). - NMS-MSvs. NMS-NMS-Interaktion (PICA/ LINCOLN-PORTERIPANINIOS/ LINNELL 1996, PORTER 1986). - Partner- oder Kleingruppenvs. Lehrer-Klassen-Interaktion (PrcA/ DOUGHTY 1985a, PICA 1987). • Merkmale der den Interaktionen zugrunde liegenden Aufgaben: wechselseitiger vs. einseitiger Informationsaustausch (GAssN ARONIS 1985). erforderlicher vs. optionaler Informationsaustausch (PICA! DOUGHTY 1985b; DOUGHTY/ PICA, 1986). konvergente vs. divergente Aufgabenlösung (DUFF 1986). • Fehlende vs. vorhandene Vertrautheit der Interaktanten miteinander oder mit der Aufgabe (GASS/ VARONIS 1984, PLOUGH/ GASS 1993). • Homogener vs. heterogener sozialer Status und Hintergrundwissen der Interaktanten (VARONIS/ GASS 1985). • Gleichgeschlechtliche vs. gemischtgeschlechtliche Dyaden (GASSN ARONIS 1986; PICA/ HOLLIDAY/ LEWIS/ MORGENTHALER 1989). Während inzwischen eine Vielzahl empirischer Studien belegt, daß die Möglichkeit zur Bedeutungsaushandlung in MS-NMS-Interaktionen zu besseren Verstehensleistungen auf Seiten der NMS führt, wurde der Nachweis eines direkten und ursächlichen Zusammenhangs zwischen Aushandeln und Verstehen des sprachlichen Angebots einerseits und Spracherwerb andererseits bisher kaum unternommen, die wenigen hierzu verfügbaren Studien ergaben zudem höchst widersprüchliche Ergebnisse (LOSCHKY 1994; ELLIS/ TANAKY/ YAMAZAKI 1994; ELLIS/ HE 1999). Sowohl die empirische Grundlage und das methodologische Design der Bedeutungsaushandlungsstudien als auch die dahinter stehende Fremdsprachenerwerbshypothese wurden in vielfacher Hinsicht kritisiert. Diese Kritik bezog sich u.a. auf die folgenden Punkte: • Gleichsetzung von Sprachverstehen mit Spracherwerb (FAlRCHIKASPER 1986, SHARWOOD SMITH 1986). • Vermischung der kommunikativen mit der spracherwerbstheoretischen Funktion von Bedeutungs- Wie z.B. das im deutschsprachigen Raum weit verbreitete Unterrichtsmaterial „Wechselspiel" (DREKEILIND 1989 für DaF, Parallelausgaben auch für Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch). 4 Zur bedeutungsaushandlungsfördemden Wirkung der genannten, nicht in ihren Wechselwirkungen, sondern zumeist isoliert untersuchten Variablen liegen z.T. inkonsistente Ergebnisse vor. Für einen vollständigeren Forschungsüberblick über die hier nur stark auszugsweise genannten Studien vgl. PICA (1994), LoNG (1996) und GASS (1997). Eine der wenigen longitudinalen Studien zur Bedeutungsaushandlung ist die von ÜNDARRA (1997). lFL111lL 32 (2003) Lerner-Lerner-Interaktion im Fremdsprachenunterricht: Fehlerquelle oder Lerngelegenheit? 217 aushandlungen (HAWKINS 1985, ASTON 1986); Gleichsetzung strategischer mit sprachlicher Kompetenz als Resultat von Bedeutungsaushandlungen (LOSCHKY/ BLEY-VROMAN 1993). • Notwendigkeit der bewußten Wahrnehmung zielsprachlicher Strukturen in der Sprachrezeption ("noticing"; SCHMIDT 2001) und Zwang zur syntaktischen Sprachverarbeitung bei der Sprachproduktion ("output-hypothesis"; SWAIN 1995). • Konzeptuelle Vermischung des Produkts einer Interaktion comprehensible input mit dem Prozeß der Interaktion negotiation (EDMONDSON 1999). • Begrenzung auf Kommunikationsstörungen (FIRTH/ WAGNER 1997). • Fehlende externe Validität der Experimente (ECKERTH 2003a). • Fehlende Integration der Perspektive der Interaktanten (ECKERTH 2003a). 5 Indem die negotiation-of-meaning studies Eigenschaften kommunikativer Lernaufgaben und Merkmale hieraus resultierender Lösungsdiskurse ausdifferenzieren und systematisch zueinander in Beziehung setzen, konnten sie wesentlich zur empirischen Erforschung von Lerner-Lerner-Interaktionen im Fremdsprachenunterricht beitragen. Zugleich kann jedoch die Bestimmung externer Lernbedingungen und die Beschreibung und Quantifizierung hiervon begünstigter sprachlicher Verhaltensweisen alleine keine Erklärungskraft beanspruchen bezüglich der kognitiven Prozesse, die zu diesem Verhalten geführt haben. Die Notwendigkeit einer engeren hypothetischen Verknüpfung interaktionalen Handelns und lernerinterner Faktoren erkennt inzwischen auch LONG (1996: 425) in seiner revidierten Form der interaction hypothesis an: "[...] success or failure to learn can rarely if ever be attributed to the environment alone. Part of the explanation lies inside the learner, most important in the areas of attention, awareness, and cognitive processing." Eine äußerst aktive Forschungsrichtung, die der Integration solcher Lernprozesse, ihrer Bestimmung und Steuerung ein sehr viel größeres Gewicht beimißt, als dies innerhalb der negotiation-of-meaning studies der Fall ist, ist die task-based research. 2.2 Task-based research Die task-based research untersucht Lernen im Fremdsprachenunterricht, das durch spezifische Aufgaben gesteuert wird (vgl. CROOKES/ GASS (eds.) 1993a, 1993b; SKEHAN 1998a). Der Begriff task (Lernaufgabe) ist vom traditionelleren Begriff exercise (Übung) zu unterscheiden mittels seiner lerntheoretischen Begründung, seines Fokus und Ziels, seiner Ergebnisevaluierung und seines Wirklichkeitsbezugs (SKEHAN 1998b, WIDDOW- SON 1998). Im Rahmen eines lernaufgabenbasierten Forschungsansatzes wird davon ausgegangen, daß a) sprachstrukturelle Fähigkeiten sich durch die Teilnahme an kommunikativen Aktivitäten entwickeln (vs. sprachstrukturelle Fähigkeiten als Vorbedingung für das Erlernen kommunikativer Fähigkeiten); daß b) durch Lernaufgaben proposi- In Eckerth (2003a) wurde eine Bedeutungsaushandlungsstudie (PICA [et al.] 1989) im Kontext des regulären Fremdsprachenunterrichts strukturell repliziert. Die Ergebnisse konnten die bei Pica [et al.] gefundene hohe Frequenz interaktioneller Modifizierungen nicht bestätigen. Zudem deutete die retrospektive Befragung der lnteraktanten auf ganz andere kommunikative und kognitive Funktionen der Interaktionsmodifizierungen hin als innerhalb der interaction hypothesis angenommen. IFLIIIL 32 (2003) 218 Johannes Eckerth tionaler Inhalt und pragmatische Bedeutung fokussiert werden (vs. sprachliche Form und semantische Bedeutung); daß c) Lernaufgaben ein kommunikatives Ziel verfolgen (vs. die Manifestation sprachstrukturellen Wissens); daß d) die aus einer Lernaufgabe resultierende Sprachproduktion hinsichtlich des Erreichens des kommunikativen Aufgabenziels evaluiert wird (vs. ihre Zielsprachenkonformität). Schließlich wird e) Lernaufgaben eine direkte und offensichtliche Beziehung zwischen der Lernaktivität und einer zukünftigen „natürlichen" Kommunikationssituation zugesprochen (vs. die Internalisierung sprachlichen Wissens als Grundlage späteren Sprachgebrauchs). Im Unterschied zu den negotiation-of-meaning studies beschränkt sich die task-based research nicht auf die Spezifizierung externer Lernbedingungen wie Aufgabenmerkmale und Interaktionskonstellationen, sondern mißt internen, kognitiven Parametern wie der lernerseitigen Aufmerksamkeitsfokussierung und -steuerung sowie der Wahrnehmung sprachstruktureller L2-Eigenschaften einen zentralen Stellenwert im Lernprozeß bei. Hierbei wird explizitem L2-Wissen, wie es in strukturorientierten Lernaufgaben vorausgesetzt und innerhalb kognitiver Spracherwerbsmodelle (z.B. ELLIS 1994, EDMOND- SON 1999) modelliert wird, via noticing (SCHMIDT 2001) auch innerhalb kommunikativer Lernaufgaben eine spracherwerbsrelevante Funktion beigemessen. Hierzu müssen referentielle Kommunikationsprozesse angereichert werden mittels der via Aufgabenstellung herbeigeführten lernerseitigen Rezeption oder Produktion ausgewählter zielsprachlicher Strukturen, d.h. "to 'seed' such pedagogic tasks with particular structures" (SKEHAN 1998a: 277). Mittels der systematischen Variation sprach-, kognitions- und kommunikationsspezifischer Variablen code complexity, cognitive complexity und communicative stress (SKEHAN 1998b: 99) sollen so die Wahrnehmungsleistung der Lernenden zwischen Kommunikation einerseits und Wahrnehmung sprachstruktureller Eigenschaften andererseits ausbalanciert und damit die gewünschten Performanzeigenschaften fluency, accuracy und complexity (SKEHAN 1998b: 108 f) herbeigeführt werden. Inwiefern diese Performanzeigenschaften von weiteren unabhängigen Variablen wie z.B. Informationsstruktur der Aufgabe, Planungszeit oder Aufgabenwiederholung abhängen, stellt einen weiteren Forschungsschwerpunkt dar. Ein solches Konzept impliziert die Zielvorstellung einer weitgehenden Steuerbarkeit und Vorhersehbarkeit lernerseitiger Wahrnehmungs- und Lernprozesse mittels der Aufgabenvorlage, wie das Resümee SKEHANs (1998b: 112) deutlich macht: "[...] there are encouraging signs that task characteristics predispose learners to channel their attention in predictable ways, such as clear task macrostructure towards accuracy, the need to impose order on ideas towards complexity, and so on" (SKEHAN 1998b: 112). Kritik an dieser im deutschsprachigen Raum noch wenig rezipierten Forschungsrichtung bezog sich v.a. auf folgende Punkte (vgl. ECKERTHIRIEMER 2000, BöRNER 2002): • Lernen wird primär über sprachliche Performanz und nur sekundär kognitiv gedeutet. Aus diesem Grund fehlen primäre Daten über Lernerkognitionen sowie die Triangulierung der potentiell mehrfunktionalen Performanz-/ Interaktionsdaten mit der Innensicht der Lerner, ebenso wie Daten zu aus der Aufgabenbearbeitung resultierenden Lernergebnissen. • Der task-based research unterliegt ein deterministisches und rednktionistisches Konzept des Fremd- ]Fl,1.ll]L 32 (2003) Lerner-Lerner-Interaktion im Fremdsprachenunterricht: Fehlerquelle oder Lerngelegenheit? 219 sprachenlernens: Lernaufgaben, die unabhängige Variable, werden als Instrumente zur Elizitierung eines bestimmten zielsprachlichen Lernerverhaltens, der abhängigen Variable, interindividuelle Variation bei der Aufgabenbearbeitung als eine zu kontrollierende und in ihrem Einfluß zu minimierende Störvariable betrachtet. 6 • Obwohl die task-based research Lernaufgaben als Forschungs- und als Lehrinstrumente ansieht,. stammt die empirische Evidenz in der Regel von in hohem Maße kontrollierten Laborexperimenten mit sehr eingeschränkter ökologischer Validität. Richtungsweisend wirkt die task-based research insofern, als sie eine enge Verbindung zwischen Fremdsprachenforschung und -lehre sucht, indem sie Lernaufgaben in Anbindung an fremdsprachenerwerbstheoretische Prinzipien entwickelt und auf empirischem Wege evaluiert. Diesbezüglich ist im deutschsprachigen Raum ein deutliches Defizit zu konstatieren. Zugleich muß jedoch das Ziel einer externen Steuerung zielsprachenbezogener Wahrnehmungs- und Lernprozesse sowie die damit einhergehende Marginalisierung des Lernenden als ein Individuum mit je eigenen affektiven und kognitiven Dispositionen, das aktiv in seinen eigenen Lernprozeß involviert und auch für seinen Lernprozeß (mit-)verantwortlich ist, als ernsthaftes Defizit betrachtet werden. Von einem solchen lernerorientierten Konzept hingegen geht die im Entstehen begriffene deutschsprachige prozeßorientierte Lernaufgabenforschung aus. 2.3 Prozeßorientierte Lernaufgabenforschung Auch in der deutschsprachigen Lehr-/ Lernmaterialforschung wurde lange Zeit, anstatt von einer Wechselwirkung zwischen dem angebotenen Sprachmaterial und dem lernerspezifischen Vorwissen, seinen Wahrnehmungen, Einstellungen und Lernzielen auszugehen, die Aufgabe vielmehr als Material betrachtet, welches beim Bearbeitenden bestimmte, als lernfördernd angenommene Reaktionen auslösen sollte. Dieses Material wurde mittels Typologien (SEGERMANN 1992; HÄUSSERMANNIPIEPHO 1996) bezüglich seiner aufgabeninhärenten Merkmale beschrieben als Sammlung von Übungen, die zu den ihnen zugeordneten Lernzielen hinführen sollten. In jüngerer Zeit finden sich jedoch hierzu alternative, empirisch vorgehende Ansätze, bei denen Lernerhandlungen bei der Ausführung sprachstrukturell orientierter Lehrwerksaufgaben (WENDT 1997, BöRNER 1999, 2000) im Mittelpunkt stehen. Innerhalb des so genannten Prozeßmodells für fremdsprachliche Lernaufgaben (BöR- NER 1999: 212 f) wird differenziert nach Lernaufgabe, Lerner, Lösungsprozessen und Lösung. Ausgehend von bei einer monologischen Aufgabenbearbeitung erhobenen Laut- Denk-Protokollen sowie retrospektiven Interviews kommt BöRNER (1999: 225) zu ernüchternden Ergebnissen: „ Vor die Wahl gestellt, eine Lernaufgabe intensiv und damit zeitaufwendig oder oberflächlich und damit schnell zu lösen, tendieren viele der Lerner eher zur zweiten Option, wenn damit noch ein 6 So spricht SKEHAN (1998a: 280) vom "dependent variable problem", also der Schwierigkeit einer zu vereinheitlichenden Sprachperformanzmessung, als einer der zentralen Aufgaben zukünftiger task-based research. lFILlllL 32 (2003) 220 Johannes Eckerth subjektiv befriedigendes Lösungsergebnis erreichbar ist. Dabei ist häufig eine zweifache Reduktion der Aufgabenkomplexität zu beobachten von der Kommunikation zur Grammatik und vom sprachlichen zum formalen Problemlösen." Im Gegensatz zu dem der task-based research inhärenten Konzept der angestrebten Lernprozeßsteuerung weisen diese Ergebnisse deutlich darauf hin, daß Lernaufgaben ebenso wie andere didaktische Angebote das Lernverhalten nur bedingt vorstrukturieren und keineswegs vollständig determinieren können. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden ein Forschungsansatz vorgestellt, der differenziert, inwiefern das, was bei der Aufgabenbearbeitung in Lerner-Lerner-Interaktionen interaktiv und mental fokussiert, und das, was dabei gelernt wird, von der Aufgabenvorgabe, inwiefern von den individuellen Lerninteressen und -problemen der einzelnen Lerner bestimmt wird und wie ein solches aufgaben- und lernerspezifisches Lernen unterschieden, operationalisiert und gemessen_werden kann. In Erweiterung der bisherigen deutschsprachigen, ausschließlich qualitativ orientierten Interaktions- und Lernaufgabenforschung werden hierbei nicht nur Lernprozesse, sondern auch aus der aufgabenbasierten Lerner-Lerner-Interaktion resultierende Lernergebnisse erfaßt. 3. Prozeß- und produktorientierte Erforschung fremdsprachenerwerbsspezifischer Interaktion: Ein integrativer Gegenentwurf 3.1 Untersuchungsdesign Im Mittelpunkt des in ECKERTH (2003a) entwickelten explorativ-interpretativen und quasi-experimentellen Mehr-Methoden-Ansatzes stehen Lerner-Lerner-Interaktionen im regulären studienvorbereitenden DaZ-Unterricht der unteren und oberen Mittelstufe. Diese dyadischen Interaktionen basieren auf eigens entwickelten, in einer umfangreichen Voruntersuchung pilotgetesteten Textrekonstruktions- und Textreparaturaufgaben, wobei bei letzteren ein zusammenhängender Text, aus dem eine Vielzahl grammatischer Informationen entfernt wurde, vervollständigt werden soll. 7 Die Aufgaben zeichnen sich v.a. dadurch aus, daß bestimmte, dem jeweiligen Lehrziel entsprechende Zielstrukturen mittels der Aufgabenstellung zwar fokussiert, diese von den Lernern jedoch nicht isoliert bearbeitet werden können. Vielmehr müssen zur Aufgabenbearbeitung umfangreiche morphologische, syntaktische, pragmatische und textgrammatische Wissensbestände eingesetzt und verknüpft werden. 8 7 Bei dem hier geschilderten Aufgabentyp „Textreparaturaufgabe" müssen alle vorgegebenen Wörter verwendet und weitere Funktionswörter (Artikel, Pronomen, Präpositionen) hinzugefügt werden. Die von der Aufgabenstellung fokussierten Zielstrukturen bilden Verben mit Präpositionalergäuzung. Aufgabenbeispiel: Ein Abschiedsbrief „Lieber Martin, ich mögen von du verabschieden. Du haben in die letzten Jahre sehr verändern. Früher du haben immer ärgern meine Ex-Freunde. Heute du ausgehen oft andere Frauen und du kümmern kaum noch ich. Früher ich haben nie beklagen dein Verhalten, aber jetzt ich genug haben. Ich nicht mehr können du verlassen. Deshalb ich entscheiden haben anderer Mann. Irene". 8 Ein Beispiel für die zur Aufgabenlösung notwendige Berücksichtigung satzübergreifender Textzusanunen- IFLa! L 32 (2003) Lerner-Lerner-Interaktion im Fremdsprachenunterricht: Fehlerquelle oder Lerngelegenheit? 221 Tag 1 Tag 1 Tag 2 Tag 8 l-------------------l--------------------------1-------------------I--------------------I----------------------------------I C-Test Prätest Posttest Aufgabenbasierte Lerner-Lerner-Interaktion Retrospektive Interviews Woche 1 von 5; in jeweils 2 Kursen Abb. 1: Datenerhebung Folgetest C-Test Teil 1: aufgabenspezifisch Teil 2: dyadenspezifisch Abbildung 1 verdeutlicht das Untersuchungsdesign. In zwei Kursen unterschiedlichen L2-Niveaus werden in fünf aufeinanderfolgenden Wochen in Lernerpaaren zu bearbeitende Lernaufgaben eingesetzt. Sämtliche hieraus resultierenden Lerner-Lerner- Interaktionen werden transkribiert und unter Verwendung diskursanalytischer Verfahren bezüglich Konzepten wie „Wissensressourcen", "Lernwege" und „Lernpotential der Interaktion" qualitativ-interpretativ ausgewertet. Diese Transkriptionen bilden auch die Grundlage für die am Folgetag durchgeführten retrospektiven Lernerinterviews, mittels deren die subjektiven Sichtweisen, Haltungen und Einstellungen der Lernenden sowie die den Interaktionen zugeschriebenen Lernpotentiale ermittelt werden sollen. Neben dieser detaillierten qualitativen Auswertung werden quantitative Verfahren in Form unterschiedlicher Testformate eingesetzt, die einen eventuell aus den Interaktionen resultierenden kurzwie mittelfristigen Lernzuwachs messen. Im Folgenden soll ein Teil der genannten Datensätze - Lerner-Lerner-Interaktionen (Abschnitt 3.2), aufgabenspezifische Testverfahren (3.3) und dyadenspezifische Testverfahren (3.4) dargelegt und bewertet werden. 3.2 Aufgabenbasierte Lerner-Lerner-Interaktionen Im Gegensatz zu referentiellen Kommunikationsaufgaben, wie innerhalb der negotiationof-meaning studies und der task-based research favorisiert, ist der Kommunikationsgegenstand der dyadischen Textreparatur- und Textrekonstruktionsaufgaben die Zielsprache selbst. Die hierbei in der Lerner-Lerner-Interaktion herbeigeführte zielsprachliche Kommunikation über Grammatik verbindet den kommunikativen Gebrauch der Fremdsprache mit der Reflexion grammatischer Inhalte. Während das erwerbsspezifische Potential rein sprachgebrauchsorientierter Aufgaben nur anhand einer Auswertung der Lernerperformanz bestimmt werden kann, dient bei Übungen wie z.B. Leseverstehenshänge ist der Aufgabensatz „Ich nicht mehr können du verlassen" (vgl. Fußnote 7). Vielfach zunächst zu „Ich kann dich nicht mehr verlassen" umgeformt, wurde er dann, da es sich um einen Abschiedsbrief handelt, zu „Ich kann mich nicht mehr auf dich verlassen" überarbeitet. IFJLl.llL 32 (2003) 222 Johannes Eckerth aufgaben die Beantwortung aufgabenbezogener Fragen als kriterienbasierter Maßstab für den Aufgaben- und Lernerfolg. Die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung entwickelten sprachstrukturell und kommunikativ orientierten Aufgaben ermöglichen hingegen sowohl eine Analyse der Lernerperformanz und -interaktion als auch eine Messung von L2-Kompetenzzuwächsen. 9 Da hierbei jedoch nicht über Meinungen oder persönliche Bewertungen fiktiver Sachverhalte, sondern über L2-bezogene Tatsachen und Regularitäten gesprochen wird, die zum größten Teil objektiv gegeben und weitgehend normativ sind, ist eine potenzielle Spannung gegeben zwischen Kommunizieren in der L2 und Lernen über die L2. Inwiefern Lerner in der Lage sind, sich gegenseitig ein qualitativ hochwertiges und potentiell spracherwerbsförderndes Feedback zu liefern, oder ob sie lediglich ihre fehlerhaften L2-Annahmen gegenseitig bestätigen, exemplifiziert Transkript 1 (Aufgabensatz: "Deshalb ich entscheiden haben anderer Mann"): ------------------------------------------------------------------------------------------------------------ 1 S für ander/ anderen Mann ... deshalb habe ich mich . für anderen Mann B entschieden ------------------------------------------------------------------------------------------------- 2 S entschieden ... genau [schreibt und spricht dabei] deshalb habe ich mich für anderen Mann B --------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- 3 S entschieden nein das ist äh starkes Verb B das bleibt entschieden am Ende? . oder entschiedet? ------------------------------------------------------------------------------------------------------- 4 S guck mal entscheiden. und starkes Verb ä: : h im Partizip zwei .. ä: : hm. wechselt seine ähm --------------------------------------------------------------------------- 5 S Buchstaben in der Mitte .. im Stamm aber Endung bleibt e-n am Ende . B ah ja das weiß ich ------------------------------------------- ----------------------------------------------- 6 S zum Beispiel schreiben schrieb schreiben schrieb geschrieben B entscheiden entschieden --------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Transkript 1 (Svetlana & Baskhim, Textreparaturaufgabe) Diese Form der stark kontextualisierten metasprachlichen Erklärung, welche unmittelbar aus der Lerner-Lernersowie Lerner-Lernaufgabe-Interaktion erwächst und sich genau auf ein dabei zu Tage getretenes Lernproblem hier: eine auf unsicheren Wissensbeständen beruhende normabweichende L2-Hypothese bezieht, kann als in höchstem Maße lernfördernd eingestuft werden. Auch wenn nicht alle Aushandlungen so explizit ablaufen wie in Transkript 1, zeigt die Sequenz doch viele für die untersuchten Lerner- Lerner-Interaktionen charakteristische Merkmale. So verläuft die Aufgabenbearbeitung zunächst objektsprachlich und wechselt erst auf eine metasprachliche Ebene, als kontro- 9 Ein Überblick über die entsprechende anglophone Fremdsprachenerwerbs- und Lernaufgabenforschung, vor deren Hintergrund die hier verwendeten Aufgaben entwickelt wurden, findet sich in Eckerth (2000). JF[,rutlL 32 (2003) Lerner-Lerner-Interaktion im Fremdsprachenunterricht: Fehlerquelle oder Lerngelegenheit? 223 verse L2-Annahmen in Form abweichender Lösungsvorschläge aufeinander treffen. Die durch die dialogische Aufgabenausführung herbeigeführte Notwendigkeit zur Artikulation und teilweise zur Begründung eigener zielsprachlicher Annahmen kann hierbei zu einer Sensibilisierung gegenüber eigenen Wissenslücken sowie mehr oder weniger sicheren L2-Wissensbeständen führen. Zugleich bringt diese Artikulations- und Begründungsnotwendigkeit eine starke Lernprozeßorientierung mit sich. Neben das angestrebte Lernprodukt, d.h. die Aufgabenlösung, tritt die Fokussierung des Lern- und Aufgabenbearbeitungsprozesses. Reduktionsstrategien und wenig lernfördernde formale Lösungsstrategien, wie sie die jüngere Lernaufgabenforschung belegt (vgl. BöRNER 1999, 2000), sind kaum möglich. Bei der dialogischen Bearbeitung eines Aufgabentyps, wie sie die genannte Textreparaturaufgabe darstellt, tritt an die Stelle deduktiver Grammatikvermittlung eine stärker induktiv orientierte, kontextualisierte und problemorientierte L2- Wissenserschließung. Da den Adressaten der interaktiven L2-Hypothesenbildung und -aushandlung jedoch nicht eine zielsprachlich übergeordnete Kompetenz, sondern ebenfalls ein L2-Lerner darstellt, bleibt es eine empirische Frage, inwiefern die Konsolidierung und Erweiterung normgerechter L2-Wissensbestände gegenüber der Integration normabweichenden Wissens überwiegt. Unabhängig vom interaktionellen Rahmen der Wissensaktivierung, -generierung und -aushandlung müssen Lernprozeßanalysen prinzipiell die Frage unbeantwortet lassen, wie nachhaltig eine Wissensrestrukturierung wirkt, d.h. ob und inwiefern sie zu einer dauerhaften Internalisierung in lernersprachliche Wissensbestände führt. In Erweiterung und Ergänzung des explorativ-interpretativen Instrumentariums wurde dieser Frage mittels aufgabenspezifischer (Abschnitt 3.3) und dyadenspezifischer (3.4) Testverfahren nachgegangen. 33 Aufgabenspezifische Testverfahren Wurde das Konstrukt Lernerfolg innerhalb des explorativ-interpretativen Untersuchungsteils mittels Erwerbsprozessen wie der Aktivierung, Bearbeitung und Umstrukturierung vorhandenen sowie der Generierung neuen Wissens gefaßt, erfolgte dies innerhalb des analytisch-nomologischen Teils mittels Wissensständen, verstanden als Zuwachs an explizitem L2-Wissen bezüglich der von der Aufgabenstellung fokussierten Zielstrukturen. Die aufgabenspezifischen Testverfahren, die diesen Lernzuwachs messen, werden zu drei Zeitpunkten durchgeführt: unmittelbar vor den Interaktionen (Prätest), direkt danach (Posttest) sowie eine Woche später (Folgetest). Nicht auf der Lerner-Lerner-Interaktion beruhende Lernzuwächse wie Praxis- und Sequenzierungseffekte werden als Kontrollvariable erfaßt und mittels eines gesonderten Testteils operationalisiert. 10 Gefragt wurde danach, ob und inwiefern die aufgabenbasierte Lerner-Lerner-Interaktion zu einem kurzwie mittelfristigen Lerneffekt führt und welchen Einfluß das fremdsprachliche Ausgangsniveau dabei hat. 10 Dieser anhand eines t-Tests für abhängige Stichproben ausgewertete Testteil ergab keine signifikanten Mittelwertunterschiede. lFJLlllL 32 (2003) 224 Johannes Eckerth Die zur Beantwortung dieser beiden Forschungsfragen durchgeführte zweifaktorielle Varianzanalyse mit Meßwiederholung ergab sehr signifikante Mittelwertsunterschiede und starke Effekte für den Faktor Zeit (F = 51,774, p<0,001, 11 2 = 0,641) als auch für den Faktor Kursniveau (F = 20,872, p<0,001, 11 2 = 0,419). 11 Mittels einer Messung der Kontraste zwischen den Abstufungen des Faktors Zeit konnte dieses Ergebnis präzisiert werden, als sehr signifikant erwiesen sich die Unterschiede zwischen Prä- und Postsowie zwischen Prä- und Folgetest (FPrä-Post = 93,181, FP,ä-Folge = 48,163, p<0,001), nicht jedoch zwischen Post- und Folgetest. Diese Werte belegen damit einen deutlichen kurzwie mittelfristigen, kursniveauübergreifenden Lernzuwachs infolge der aufgabenbasierten Lerner-Lerner-Interaktionen. Einschränkend gilt jedoch für herkömmliche Testverfahren wie das berichtete, daß sie lediglich die als Lernziel und Testinhalt a priori festgelegten L2-Aspekte zu erfassen in der Lage sind. Inwiefern in den aufgabenbasierten Lerner-Lerner-Interaktionen weitere, außerhalb der von der Aufgabenstellung fokussierten Zielstrukturen liegende L2-Aspekte thematisiert, ausgehandelt und gelernt wurden, konnte anhand eines zweiten, eigens entwickelten dyadenspezifischen Testformats erfaßt werden. 3.4 Dyadenspezifische Testverfahren: Das Konstrukt „Individuelle Lernerhypothesen" Sowohl der integrative Charakter der Lernaufgaben als auch deren interaktive und kooperative Bearbeitung in Lernerdyaden bieten eine Vielzahl über den engeren morphosyntaktischen Fokus der Aufgaben hinausgehende L2-Lerngelegenheiten. Dies verdeutlicht exemplarisch Transkript 1, der dort ausgehandelte L2-Aspekt gehört nicht zum grammatischen Schwerpunkt der Lernaufgabe und wird somit nicht im aufgabenspezifischen Test erfaßt. Die solchen lernergenerierten und damit unvorhersehbaren Lerngelegenheiten zugrunde liegenden, in der Interaktion thematisierten und ausgehandelten L2- Phänomene können nicht prospektiv antizipiert, sondern müssen anhand jedes einzelnen Interaktionstranskriptes retrospektiv identifiziert und rekonstruiert werden. Diese als „Individuelle Lernerhypothesen" bezeichneten L2-Aspekte werden im zweiten, dyadenspezifischen Teil des Folgetests abgefragt, d.h., dieser Testteil ist für jede Lernerdyade „maßgeschneidert". Das Konstrukt „Individuelle Lernerhypothesen" wird hierbei wie folgt definiert: 1. Individuelle Lernerhypothesen stellen Lerneräußerungen dar, bei denen, über die reine Wissensaffirmation hinausgehend, sprachstrukturelle L2-Aspekte kontrovers diskutiert werden. 2. Sie sind nicht bereits im aufgabenspezifischen Prä-, Post-, Folgetest erfaßt. Um von einer Äußerung möglichst unzweideutig auf die ihr zugrunde liegende L2- Hypothese zu schließen, ist das Prädikat 'kontrovers diskutiert' notwendig. Dies ist bei rein affirmativen Interaktionssequenzen (Lerner A: Präteritum von denken äh dachte; 11 Zwischen den beiden Faktoren Zeit und Kurs besteht keine signifikante Wechselwirkung (F=0,415, p=0,662). JF[,lll, 32 (2003) Lerner-Lerner-Interaktion im Fremdsprachenunterricht: Fehlerquelle oder Lerngelegenheit? 225 Lerner B: mhm dachte) nicht oder nicht zweifelsfrei möglich. Nach deren Identifikation in den Interaktionstranskripten wurde für jeden konstruktkonformen L2-Aspekt eine entsprechende Testfrage für den eine Woche nach der jeweiligen Interaktion durchgeführten dyadenspezifischen Folgetest formuliert. Bei der Auswertung des Korpus von 127 Individuellen Lernerhypothesen wird zwischen drei Analyseebenen unterschieden. Zunächst werden Lernprodukte fokussiert und verglichen. Hierbei wird gefragt, inwiefern die gemeinsam erarbeiteten schriftlichen Aufgabenlösungen mit den individuellen Lösungen des Folgetests übereinstimmen (1., s.u.). In einem zweiten Schritt stehen die von den einzelnen Lernpartnern in der Interaktion artikulierten Hypothesen, also Lernprozesse, im Mittelpunkt. Hier wird der Frage nachgegangen, in welchem Ausmaß die ursprünglich geäußerten Individuellen Lernerhypothesen im Folgetest normgerecht bzw. normabweichend revidiert oder unverändert beibehalten wurden (2.). Schließlich werden die Interaktionsbedingungen, die den normgerechten Folgetestrevisionen vorausgingen, näher betrachtet und gefragt, inwiefern der im Folgetest belegte Lernzuwachs unmittelbar oder mittelbar auf die vorausgehende Interaktion zurückgeführt werden kann (3.). Diese Auswertung ergab folgende, hier stark verkürzt dargestellten Ergebnisse 12 : 1. Die Übereinstimmung zwischen korrekter Aufgabenlösung und korrekter Testlösung (85%) liegt sehr viel höher als die zwischen inkorrekter Aufgabenlösung und inkorrekter Testlösung (28%), da Letztere auf tendenziell unsicheren und permeablen L2- Wissensbeständen beruhen. 2. Die in der Interaktion artikulierten Individuellen Lernerhypothesen wurden im dyadenspezifischen Folgetest a) nicht-zielsprachenkonform revidiert (1 %), b) nicht revidiert (61 %) und c) zielsprachenkonform revidiert (38%). 3. Diese zielsprachenkonformen Revisionen konnten in 78% aller Fälle auf Lerngelegenheiten innerhalb, in 22% auf Lerngelegenheiten außerhalb der Interaktion (Rückgriff auf externe Informationsquellen) zurückgeführt werden. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die dialogische Aufgabenbearbeitung in großem Maße auch zur Formulierung, Begründung und Aushandlung von L2-Hypothesen führt, die außerhalb des sprachlichen Schwerpunkts und eigentlichen Lernziels der Aufgabe liegen. In mehr als einem Drittel dieser Aushandlungen werden ursprünglich nicht-zielsprachenkonforme L2-Wissensbestände durch zielsprachenkonforme ersetzt und mittelfristig internalisiert. Dort, wo beide Lerner L2-Wissenlücken aufwiesen, hat die dialogische Aufgabenbearbeitung Lernaktivitäten außerhalb der Interaktion bzw. des Unterrichts stimuliert. 12 Für eine detaillierte Diskussion der Definition, Operationalisierung und Auswertung des Konstrukts der Individuellen Lemerhypothesen vgl. ECKERTH (2002). lFLIIIL 32 (2003) 226 Johannes Eckerth 4. Schlußfolgerungen und Ausblick Wie die berichteten Ergebnisse zeigen, kann bei der Erforschung fremdsprachenerwerbsspezifischer und aufgabenbasierter Interaktionen nicht davon ausgegangen werden, daß bestimmte, näher zu spezifizierende Interaktionskonstellationen oder Aufgabenvorlagen per se lernfördernd wirken. Vielmehr ist davon auszugehen, daß diese externen Steuerungsmerkmale Lerngelegenheiten bereitstellen, welche von unterschiedlichen Lernern in unterschiedlicher Weise aufgegriffen, genutzt, reduziert, ignoriert oder zurückgewiesen werden. Der Begriff der Lerngelegenheit geht vom Lerner aus und nimmt an, daß dieser das ihn umgebende Sprachangebot selektiv und fokussiert wahrnimmt. Einflußfaktoren einer solchen Selektion und Fokussierung sind wechselwirksame lernerexterne sprachliche (Frequenz, perzeptive Salienz, Aufgabenstellung, interaktionelle Modifizierungen etc.) als auch lernerinterne kognitive (Aufmerksamkeitssteuerung, Vorwissen, Sprach- und Sprachlernbewußtheit, Lernstile, subjektive Sprachlernkonzepte etc.) sowie affektive und attitudinale (Motivation, Einstellung, Eigenattribution etc.) Faktoren. Die im Sprachangebot wahrgenommenen semantischen und strukturellen Eigenschaften der Zielsprache werden, abhängig von der Art der Vorwissensaktivierung, partiell und selektiv mit den vorhandenen fragmentarischen und unterschiedlich sicheren lernersprachlichen Wissensbeständen abgeglichen, was im Fall einer wahrgenommenen Diskrepanz zur L2-Hypothesenbildung führen kann. 13 Ein solches Konzept beinhaltet für die fremdsprachenerwerbsspezifische Interaktions- und Lernaufgabenforschung folgende theoretische, methodologische und didaktische Implikationen: • Die lerntheoretische Evaluierung von Lernaufgaben und Unterrichtsinteraktionen darf nicht von einer Kausalattribuierung von Aufgaben- und Interaktionsmerkmalen einerseits und Lernergebnissen andererseits ausgehen. Wie die Analyse der Interaktionsprotokolle deutlich macht, werden Lern- und Lösungsprozesse mittels der Aufgabenvorlage lediglich stimuliert, nicht jedoch determiniert. Zudem belegt die Auswertung des Konstrukts „Individuelle Lernerhypothesen", daß Lernaufgaben neben ihren eigentlichen Zielen auch lernergenerierte Lernprozesse in Gang setzen und zu entsprechenden Lernerfolgen führen können. Welcher wechselwirksame Einfluß hierbei situations- und aufgabenübergreifenden kognitiven, affektiven und attitudinalen Persönlichkeitsmerkmalen beizumessen ist, sollte in Zukunft verstärkt ins Forschungsinteresse gerückt werden. • Mittels qualitativer, auf der Mikroebene operierender Datenerhebungs- und -auswertungsverfahren können aus der aufgabenbasierten Lerner-Lerner-Interaktion resultierende Lösungswege und Lernprozesse erfaßt und analysiert werden. Sprachwissenszuwächse werden meßbar mittels zu verschiedenen Zeitpunkten erhobener Lernzuwachstests. Methodologisch notwendig und zukunftsweisend erscheint mir das Bemühen, beide Ansätze zusammenzuführen und so Lernerfolge ursächlich auf Lern- 13 Vgl. hierzu ECKERTH (2003b), der diese Lernaktivitäten innerhalb eines kognitiv-diskursiven Modells inputbasierten L2-Hypothesenbildens und -prüfens diskutiert. JFL1UJL 32 (2003) Lerner-Lerner-Interaktion im Fremdsprachenunterricht: Fehlerquelle oder Lerngelegenheit? 227 prozesse und diese wiederum auf Interaktions- und Aufgabenbearbeitungsprozesse zurückzuführen. • Die dem vorliegenden Beitrag immanente Betonung des Faktors Interaktion als Lerner- Lernersowie Lerner-Lernaufgabe-Interaktion darf nicht im Sinne einer Marginalisierung der Lehrkraft im Unterrichtsgeschehen interpretiert werden. Vielmehr geht sie von einer Komplementarität aufeinanderfolgender Unterrichtsphasen aus, welche die Behandlung sprachstruktureller L2-Aspekte nicht dichotornisch induktiv vs. deduktiv, implizit vs. explizit-, sondern sequentiell betrachtet. So dürften die aus der Analyse der Interaktionstranskripte abgeleiteten Lernprozesse wie Vorwissensaktivierung, Sensibilisierung für Form-Funktionszusammenhänge, Bewußtwerdung von Wissenslücken und Wissensunsicherheiten, Hypothesenbildung-, -begründung und -aushandlung günstige kognitive Voraussetzungen für die Behandlung solcher L2-Phänomene im Unterrichtsdiskurs schaffen. Inwiefern solche Lernaktivitäten nicht nur unterrichtsintern wirksam werden, sondern auch über den Fremdsprachenunterricht hinausgehende Lerneraktivitäten anzuregen in der Lage sind und damit tendenziell selbst gesteuerte Lernhandlungen stimulieren, sollte als Fragestellung zukünftiger Unterrichts- und Handlungsforschung aufgenommen werden. Literatur ASTON, Guy (1986): "Trouble-shooting in interaction with leamers: the more the merrier? " In: Applied Linguistics 7, 128-143. BöRNER, Wolfgang (1999): "Fremdsprachliche Lernaufgaben". In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 10, 209-230. 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