Fremdsprachen Lehren und Lernen
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0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
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2003
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Gnutzmann Küster SchrammJürgen MERTENS: Die sogenannten faux amis in schriftlichen Textproduktionen von Lernern des Französischen der Sekundarstufe I. Sprachwissenschaftliche und didaktisch-methodische Überlegungen.
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Ekkehard Zöfgen
Jürgen MERTENS: Die sogenannten faux amis in schriftlichen Textproduktionen von Lernern des Französischen der Sekundarstufe I. Sprachwissenschaftliche und didaktisch-methodische Überlegungen. Frankfurt/M. [etc.]: Lang 2001 (Freiburger Beiträge zur Erziehungswissenschaft und Fachdidaktik; Band 10), 484 Seiten [65,40 €]
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Buchbesprechungen • Rezensionsartikel Jürgen MERTENs: Die sogenannten faux amis in schriftlichen Textproduktionen von Lernern des Französischen der Sekundarstufe I. Sprachwissenschaftliche und didaktisch-methodische Überlegungen. Frankfurt/ M. [etc.]: Lang 2001 (Freiburger Beiträge zur Erziehungswissenschaft und Fachdidaktik; Band 10), 484 Seiten [65,40 €] Die wechselvolle und facettenreiche Geschichte des Fremdsprachenunterrichts [= FU] muß im wesentlichen als eine Geschichte der Methoden des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen begriffen werden, in der es immer wieder zu tiefgreifenden Veränderungen gekommen ist, ohne daß man daraus auf eine kontinuierliche Entwicklung im Sinne eines klar erkennbaren Fortschritts schließen könnte. Dies gilt auch für die jüngere Geschichte der Erforschung des Fremdsprachenerwerbs. Unter den zahlreichen methodischen Konzepten, die die Diskussion der letzten fünfzig Jahre nachhaltig prägten, sind nicht wenige, die für die Entwicklung des FUs einen tiefen Einschnitt bedeuteten. Eine dieser markanten Zäsuren wurde durch die Ablösung der aus der Kontrastivhypothese abgeleiteten Überzeugungen durch die stärker auf mentale Prozesse abzielende Fehleranalyse gesetzt. Wenn die in diesem Kontext anzusiedelnde« faux amis » Forschung als Teilbereich der Fehlerlinguistik gegenwärtig eine Art Renaissance erlebt, so hängt dies ursächlich mit der Neubewertung der Rolle zusammen, die die bisher gelernten Sprachen allen voran die Ll beim Erwerb weiterer Fremdsprachen offensichtlich spielen. Durch die Verlagerung der Perspektive weg von der Produktauf die Prozeßebene sowie unter den Vorzeichen der in der Nachfolge der Fehleranalyse entstandenen Interlanguage-Forschung muß es nunmehr allerdings darum gehen, den Bestand an fehlergenerierenden Ähnlichkeiten, wie er in zahlreichen Spezialwörterbüchern aufgelistet ist, kritisch aufzuarbeiten, indem man sich z.B. reflektiert mit empirisch erhobenen Sprachdaten von L2-Lernern auseinandersetzt. Einen solchen „pragmatischen, korpusbezogenen Ansatz" (14) verfolgt die hier zu besprechende, im Jahre 1997 von der Pädagogischen Hochschule Weingarten angenommene Dissertation von Jürgen MERTENS insofern, als sie sich zum Ziel setzt, anhand der Textproduktionen von rund 1500 Schülern das „fehlerverursachende Potential" (14) von« faux amis » im Französischunterricht der Sekundarstufe I offenzulegen und dabei gleichzeitig die Fehlergenese (d.h. die den Fehlerprodukten zugrunde liegenden Prozesse) (psycho)linguistisch zu beleuchten und zu deuten. Der Begriff« faux amis » wurde 1928 innerhalb der Übersetzungswissenschaft geprägt und hat seitdem die unterschiedlichsten Interpretationen erfahren. Nicht eindeutig geklärt ist deshalb die Frage, welche Kriterien für die Zuweisung einer Interferenz zum Bereich der « falschen Freunde » erfüllt sein müssen. Entsprechend ausführlich befaßt sich das 2. Kapitel (17-77) mit den daraus resultierenden Abgrenzungsproblemen, indem Vf. nicht nur die alternativen Benennungen einer kritischen Betrachtung unterzieht und Licht in das terminologische Wirrwarr zu bringen versucht, sondern auch die von verschiedenen Autoren vorgeschiagenen Klassifikationen referiert. Als Resümee dieser Darstellung will MERTENS im sprachwissenschaftlichen Sinn unter « faux amis » Lexeme verstanden wissen, "deren äußere Form der eines Lexems derselben oder einer anderen Sprache aus den unterschiedlichsten Gründen gleich oder ähnlich ist (individuell als gleich oder ähnlich empfunden wird) und deswegen (unter anderem! ) auf semantischer bzw. formaler Ebene zu normwidriger Verwendung führen kann" (77). Um schließlich eine adäquate Kategorisierung zu gewährleisten, sollen vor allem die folgenden Aspekte in die Untersuchung einfließen: formal semantisch, interlingual intralingual, Richtung der Sprachanwendung (Ll-L2, L2-Ll). Unter den Verfechtern der Interlanguage-Hypothese besteht breiter Konsens darüber, daß fehlerhafte Produktionen nicht auf sprachlichen Ursachen allein beruhen und daß somit die Vorstellung von einem « faux ami » als der einem Lexem inhärenten Eigenschaft zu kurz greift. Letztlich sind es Bedingungen, die in der Disposition des Lerners liegen oder aber die der Lernumgebung im weitesten Sinn zuzuschreiben sind, die darüber entscheiden, ob und inwieweit signifiant-Ähnlichkeiten tatsächlich zu Lern- FLUIIL 32 (2003) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 231 schwierigkeiten führen und Fehler generieren. Folgerichtig ist das 3. Kapitel (79-103) den « faux amis » als Gegenstand der psycholinguistischen Forschung gewidmet. Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang die vorgenommene Trennung zwischen Produktkategorien (target form, paradigmatische Modifikationen, morphologische Modifikationen, syntagmatische Fehler) und Prozeßkategorien (lernerbedingte Faktoren, lehrgangsbedingte Faktoren, sprachliche Faktoren), auf die bei der Analyse und Klassifizierung der Fehlerprodukte systematisch zurückgegriffen wird. Korpusanalysen, bei denen adressatenspezifische Bedürfnisse in den Blick geraten, sind in der bisherigen « faux amis » Forschung eher die Ausnahme. 1 Basis der vorliegenden empirischen Untersuchung waren zwei umfangreiche Textkorpora, die ausschnittsweise im Anhang (395-484) abgedruckt sind. Korpus I setzt sich aus den Realabschlußarbeiten von insgesamt 595 Schülern der Klasse 10 zusammen. Bei der Auswertung wurde auf eine Differenzierung nach den Kategorien semantisch, morphologisch, etc. verzichtet. Insofern „stellt [es] lediglich einen Anhaltspunkt für die Ermittlung von 'faux amis' aus Textmaterial dar und bildet den Ausgangspunkt für die Erstellung der Korpora Ha, IIb, He" (126). Bei letzeren handelt es sich um elizitiertes Datenmaterial, das von 958 Probanden stammt, die „die 8. bzw. 10. Jahrgangsstufe mit Französisch als 1. oder 2. Fremdsprache besuchten" (113). Präziser ausgedrückt: Korpus II besteht aus Schülerproduktionen in der Sprachrichtung Ll-L2 und L2-Ll (version), die aus vom Autor vorgegebenen, auf der Grundlage der Ergebnisse aus Korpus I gezielt zusammengestellten Aufgaben resultieren und bei deren Auswertung die Lexemauswahl unter Beachtung bestimmter Vorgaben erfolgte. Kapitel 4 (105-128) beschreibt das methodische Vorgehen im Hinblick auf Forschungsfragen und Forschungsziele, untersuchte Population, Versuchsdurchführung sowie Art der Datenauswertung (Erstellung von Korpus I und II). Herzstück der Arbeit ist das knapp 200 Seiten umfassende Kapitel 5 (129-325), in dem die in Korpus II identifizierten, auf formaler Ähnlichkeit beruhenden Interferenzen Item für Item getrennt nach der Sprachrichtung detailliert beschrieben werden, nach Fehlerursachen geforscht sowie der Frage nachgegangen wird, ob tatsächlich vom Vorliegen eines « faux ami » auszugehen ist. In quantitativer Hinsicht ergibt sich dabei folgendes Bild. In der Sprachrichtung Ll-L2 (Prodnktion) beträgt die Gesamtzahl der « faux amis de forme» 51 (Genus: 11, Numerus: 1, Konkordanz-Divergenz: 1 [fraiche,freche,fresh statt frais], Morphologie: 24, Syntax: 3, Genus+ Morphologie: 7, Null-Analogie: 4), die der« faux amis de sens » 30. Lediglich 20 Fehlerprodnkte weist das Korpus für die Sprachrichtung L2-Ll (Rezeption 2) aus. Die qualitativen Feinanalysen verdienten sicher eine eingehendere Betrachtung, als uns dies hier möglich ist. Wir begnügen uns deshalb mit Hinweisen auf einige Analyseergebnisse sowie auf einige der vom Autor angedeuteten Schlußfolgerungen. Hinsichtlich der in der L2 verfaßten Schülerproduktionen scheinen sich vor allem die folgenden, empirisch bislang nicht überprüften Vermutungen zu bestätigen: (1) "Die Suche nach Äquivalenten erfolgt nicht auf der Basis formaler Aspekte, sondern orientiert sich am Inhaltlichen" (271). Homomorphe wie etwa Kurs/ course(s) sind mithin nur sehr bedingt als problematisch einzustufen und verursachen wenn überhaupt allenfalls im Anfangsunterricht Lernschwierigkeiten. (2) Auf das Sprachenpaar Französisch-Deutsch trifft das zu, was auch für andere Sprachenpaare gilt: "formal errors" treten in weit größerer Zahl auf als semantisch bedingte Fehlleistungen. (3) Zusätzliche Belege liefert MERTENS auch für die von KlELHÖFER bereits im Jahre 1975 getroffene Feststellung, wonach intra- und interlinguale Lexempaare nicht mit wachsendem Kontrast, sondern mit wachsender semantischer Ähnlichkeit zu größerer Fehleranfälligkeit neigen. 3 (4) Bei der Bestimmung einer Interfe- Die nicht verzeichnete Arbeit von Oskar PuTZER (Fehleranalyse und Sprachvergleich. Linguistische Methoden im Fremdsprachenunterricht am Beispiel Italienisch-Deutsch. Ismaning: Hueber 1994) beweist, daß es derartige Untersuchungen sehr wohl gibt. 2 Nicht anfreunden können wir uns mit dem in diesem Zusammenhang vom Vf. verwendeten Begriff 'Rezeption'; für uns sind auch Herübersetzungstexte Ergebnis einer 'produktionsorientierten Aufgabe'. 3 Bernd KIBLHÖFER: Fehlerlinguistik des Fremdsprachenerwerbs. Linguistische, lernpsychologische und didaktische Analyse von Französischfehlern. Kronberg/ Ts. 1975, 127. lFJLlllL 32 (2003) 232 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel renz als « faux ami » hat die Unterscheidung zwischen interlingual und intralingual und damit die Einbeziehung der intralingualen Ebene ihre Berechtigung. Die Existenz intralingual relevanter, kontrastanner lexikalischer Elemente ist jedoch selten allein ausschlaggebend für Normverstöße. (5) Neben der Muttersprache ist es vor allem die zuerst erworbene Fremdsprache, die einen negativen Einfluß ausüben kann. Nicht erhärten läßt sich auf der Basis des untersuchten Korpus jedoch die Annahme, der zufolge "die Reihenfolge des Spracherwerbs einen besonderen Einfluß auf die Fehlergenese haben soll" (282). Bei der Übersetzung von der Fremdin die Muttersprache schließlich sind es zwei Beobachtungen, die nicht unerwähnt bleiben dürfen: Zum einen die unverkennbare Tendenz zur unreflektierten Übernahme des formal ähnlichen muttersprachlichen Lexems (z.B. copie ➔ Kopie, plat ➔ Platte), zum anderen die Dominanz L 1-bedingter futerferenzen und die damit zusammenhängende (relativ) geringe Beeinflussung der Übersetzungsleistungen durch das Englische. Fremdsprachendidaktische Überlegungen stellt MERTENS in Kapitel 6 (327-372) an. Geleitet von der Überzeugung, daß sich Normverstöße durch eine Optimierung des Inputs im Sinne eines "preventive teaching" vermeiden ließen, daß es aber andererseits auch Aufgabe des schulischen Fremdsprachenunterrichts sein muß, die Lerner „für die Erweiterung ihrer Kompetenz in der Fremdsprache autonom zu machen" (343), werden wir mit einem ganzen Bündel von didaktisch-methodischen Maßnahmen konfrontiert angefangen von (überwiegend bekannten) Empfehlungen für eine effizientere Wortschatzarbeit, über Möglichkeiten und Gefahren des 'inferencing' sowie die Notwendigkeit zur Vermittlung von „Erfragungsstrategien" bis hin zum Umgang mit dem Wörterbuch. An vier Problembereichen werden methodische Wege zur Vermeidung von « faux amis » wortschatzdidaktisch konkretisiert und unterrichtspraktisch exemplifiziert. Im Hinblick auf semantische Feindifferenzierungen sind dies visiter besuchen- [to visit] sowie die zum Wortfeld 'Transportmittel' gehörigen (auto)bus - (auto)carmetro auto - Renault; bei den « faux amis de forme » beziehen sich die Vorschläge zum einen auf Lexeme, die häufig mit falschen Genus gebraucht werden (so z.B. biere, etage, groupe und r6le ), zum anderen auf solche, bei denen morphologische Divergenzen keine ausreichende Beachtung finden (etwa boycottage, camarade, catastrophique oder importation). Eine 20seitige Bibliographie (375-394), die neben nicht auf das Französische bezogenen Titeln auch Spezialwörterbücher, Lernhilfen bzw. Wortschatzlisten zu anderen Sprachenkombinationen als Deutsch- Französisch berücksichtigt, beschließt die Dissertation. Es ist das unbestrittene Verdienst dieser Arbeit, Art und Häufigkeit von « faux amis » bei einer bestimmten Lernergruppe empirisch untersucht und Beweise dafür geliefert zu haben, daß im schulischen Französischunterricht der Sekundarstufe I dieser spezifische Typ von Interferenz innerhalb des weiten Feldes sprachlicher Fehlleistungen offensichtlich eine geringere Rolle spielt als bislang angenommen. Positiv hervorzuheben ist auch das durchgängige Bemühen, differenzierte Ursachenforschung zu betreiben und mit zahlreichen interessanten Einzelbeobachtungen unser Wissen über die Genese der normwidrigen Verwendung von interlingual oder intralingual formal ähnlichen Lexemen zu erweitern. Nachhaltig getrübt wird dieser (positive) Eindruck allerdings durch unübersehbare Schwächen forschungsmethodologischer, inhaltlicher und formaler Natur, die uns davon abhalten, für dieses Buch eine uneingeschränkte Empfehlung auszusprechen. Ich fasse meine Einwände unter vier Kritikpunkten zusammen: (1) Ein zentrales Anliegen der Untersuchung ist es, eine Antwort auf die Frage zu finden, ob eine als « faux ami » charakterisierte Normabweichung in den Textproduktionen (a) (un)mittelbare Folge von 'inadequate leaming' ist oder (b) Resultat einer Kommunikationsstrategie (z.B. im Sinne von Übergeneralisierung) oder (c) durch die Lernumgebung induziert wurde ( 'induced error') oder (d) doch eher zur Gruppe der intralingual bzw. interlingual bedingten Transferfehler gehört. Nur am Rande -und nicht mit der nötigen Klarheit weist MERTENS darauf hin (15), daß sich auf der Basis von reinen Produktdaten psycholinguistisch fundierte Einsichten nur schwerlich gewinnen lassen. Dies bedeutet u.a., daß es Aussagen zur Bekanntheit oder Unbekanntheit bestimmter Lexeme (so etwa alcoolique, alcoolise [194] oder utiliser [211]), die sich ausschließlich an dem durch das Lehrwerk vermittelten Wortschatz orientieren, allein schon aufgrund der Vielfalt potentieller Erwerbskontexte von fremdsprachlichem Vokabular an Überzeugungskraft fehlt. Auf unsicheren methodischen Boden bewegt man sich natürlich erst recht mit lFLl.ilL 32 (2003) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 233 Mutmaßungen darüber, ob die Lehrperson eine gewisse Verantwortung für das entstandene Fehlerprodukt trägt (177). Völlig untauglich ist ein solches Datenkorpus schließlich für Überlegungen, "welche Gedankengänge[ ... ] seitens der Lernern [sie! ] abgelaufen [sind]" (205), die eine plausible Erklärung für das Zustandekommen eines Fehlerbeleges wie etwa station liefern könnten ganz abgesehen davon, daß es sich unseres Erachtens hierbei um einen klassischen Fall von testinduzierter sprachlicher Ungenauigkeit handelt. Auch wenn wir vielen Hypothesen und Interpretationen eine gewisse Plausibilität nicht generell absprechen wollen, so ändert dies nichts an der Tatsache, daß bei aller forschungsmethodologischen Problematik, die ein solches Vorgehen mit sich bringt zur Ermittlung von Fehlerursachen und „prozessualen Faktoren" auf (ergänzende) Datensätze, die z.B. mit Hilfe der Methode des lauten Denkens oder auf dem Umweg über Retrospektionen erhoben wurden, nicht verzichtet werden kann. Daß andernfalls der Spekulation Tor und Tür geöffnet sind, scheint MERTENS immerhin bewußt zu sein. Die geradezu inflationäre Verwendung von Formulierungen wie „es ist zu vermuten", "in Erwägung ziehen", „für wahrscheinlicher halten", "ich gehe davon aus", "als weitere Ursache mitbedenken", "mag in Betracht gezogen werden", u.ä. legt davon beredtes Zeugnis ab. (2) Unabhängig von der Frage, inwieweit man aus den unter (1) genannten Gründen die Argumentation im Einzelfall für nicht schlüssig und empirisch für nicht ausreichend abgesichert halten mag, wäre es der Lesbarkeit des Textes zugute gekommen, wenn Vf. für die Auswertung des Datenkorpus nicht eine lexernbasierte Darstellung gewählt, sondern die Fehlerprodukte beispielsweise unter der vermuteten primären Fehlerursache aufgeführt und auch bei der Kommentierung durch eine zusätzliche quantitative Bewertung potentieller Einflußfaktoren für mehr Transparenz und Stringenz gesorgt hätte. Unangenehmer Nebeneffekt der alphabetischen Anordnung der« faux amis » sind zahlreiche sprachliche Wiederholungen und inhaltliche Redundanzen (insbesondere in Kap. 5), wodurch sich bei der Lektüre gewisse Ermüdungszustände einstellen. (3) Das Buch ist in einem unprätentiösen, weitgehend jargonfreien Stil geschrieben. Schon deshalb wird man MERTENS die eine oder andere sprachliche Ungeschicklichkeit (z.B. S. 108) nachsehen und selbst über grammatische 'Schnitzer' wie „Die semantische Relation von pennission und permis ist das der Überlappung" (232) oder „Die Miteinbeziehung der intralingualen Ebene hat[...] seine Berechtigung" (282) hinwegsehen. Ein wirkliches Ärgernis ist dagegen die mangelnde Sorgfalt, mit der der Text in formaler Hinsicht redigiert wurde. Wir haben über 200 Schreib- und Trennungsfehler gezählt, davon bis zu vier Auslassungen von Buchstaben in einem neunzeiligen Abschnitt. 4 Sehr nachdenklich stimmen in diesem Zusammenhang (Orthographiebzw. Grammatik) Fehler vom Typ *un match internationale (371), *les paysans espagnoles (372) oder *les legumes espagnoles (372), auf die wir ausgerechnet in den Reproduktionen der Arbeitsblätter stoßen. Erschwerend kommen hinzu: (a) sachliche Versehen (vgl. etwa: "Bei [...] knapp 10% [...] zeigt sich ein deutliches Übergewicht des bei controle normwidrigen maskulinen [lies: femininen] Geschlechts" [188], (b) unvollständige Sätze [264, vor Anm. 362], (c) ab Kap. 2.1.2.4 falsche Seitenangaben im Inhaltsverzeichnis, (c) falsche Überschriften [222 unter b)], (d) doppelter Abdruck einer textidentischen Seite [202 und 203] sowie (e) ein wenig ansprechendes Layout, bei dem vor allem die Gestaltung der Grafiken, Abbildungen und Tabellen (mit z.T. 'abenteuerlichen' Zeilenumbrüchen) auf einen unprofessionellen Umgang mit dem verwendeten Textverarbeitungsprogramm schließen läßt. (4) Ein gewichtiger, zugegebenermaßen ketzerischer Einwand zum Schluß: Appelle namhafter Fachdidaktiker, die bestimmte Rituale des Fremdsprachenunterrichts radikal in Frage stellen, haben es offenbar schwer, bei Lehrern Gehör zu finden und deren Vorstellungen von dem zu verändern, was einen psycholingnistisch sensiblen Unterricht ausmacht. Wer diese Zielgruppe dazu ermuntert, für den korrekten Gebrauch von visiter zwei Unterrichtsstunden zu opfern, der darf sich nicht wundem, wenn viele Lehrer einfach nicht einsehen wollen, "daß jede Sprachform, die produktiv benutzt wird, erst durch eine 4 Vgl. S. 123, Kap. 4.4.2.2: Fähigeiten, Überetzung, stimigen, uner (lies: unter). Zu dieser kritischen Anmerkung paßt auch die Feststellung, daß der Name SANDIG in der Bibliographie durchgängig als SANDIS erscheint. lFILlllL 32 (2003) 234 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel Zeit beanspruchende Inkubationsphase der Rezeption, d.h. der mentalen Verarbeitung, gegangen sein muß." 5 Wenn es zutrifft, daß die vielbeschworene, sich weiter zuspitzende Krise des Französischunterrichts u.a. von einer zu starken Betonung der Sprachrichtigkeit herrührt - und d.h. mangelnder Großzügigkeit im Umgang mit bestimmten Schülerfehlern-, dann gilt es, gerade in dieser relativ frühen Phase des L2-Erwerbs Fehlertoleranz zu üben 6 und bei vergleichsweise harmlosen Abweichungen von der Norm, wie etwa boissons alcooliques statt boissons alcoolisees 7 (193), station statt gare (204), directeur [d'un lycee] statt proviseur (221), utiliser le train statt prendre (210), marmelade statt confiture (245), keine Zeit mit Fehlervermeidungsstrategien zu verschwenden. Heftig widersprechen wird man MERTENS an den Stellen, wo er eine Norm 8 zugrundelegt, die selbst Muttersprachlern Schwierigkeiten bereitet oder gar Rätsel aufgibt. Gemeint sind semantisch oder syntaktisch angeblich inakzeptable Verwendungen von Lexemen, die im Le Monde Corpus (1995 bis 1998) in dieser Form hinreichend belegt und deshalb auch nicht zu beanstanden sind. Hierzu zählen z.B.: controler (179) sowie photographier (178) ohne Objektergänzung, un gros succes (236) sowie bus anstelle von car (216 ff), wobei unverständlich bleibt, warum für die Feindifferenzierung von ( auto )bus und ( auto )car so viel Aufwand getrieben wird, um dann einzuräumen, daß die Unterscheidung kommunikativ irrelevant sei (219). In eigentümlichem Kontrast dazu stehen Französischfehler, die sich in die Lehrmaterialien eingeschlichen haben und die dort natürlich nicht zu tolerieren sind. 9 Vor dem Hintergrund der damit sichtbar gewordenen sprachpuristischen Haltung des Autors, die einem leider verbreiteten 'Korrektheitswahn' noch Vorschub leisten dürfte, wird man deshalb auch den Unterrichtsempfehlungen mit einer gehörigen Portion Skepsis begegnen müssen. Bielefeld Ekkehard Zöfgen Oxford Collocations Dictionary for students of English. Oxford: Oxford University Press 2002, xiii + 897 Seiten [24,95 €] Im Titel eines Aufsatzes, der vor fast einem Vierteljahrhundert erschien, fragt F. J. HAUSMANN« Un dictionnaire des collocations est-il possible? » 1 Natürlich handelt es sich hier um eine rhetorische Frage; das Kollokationswörterbuch als ein Typ syntagmatischer Spezialwörterbücher hat eine lange Ge- Werner BLEYHL: "J'accuse! [ .. .]". In: französisch heute 30.3 (1999), 252-263 (hier: 261). Um möglichen Mißverständnissen vorzubeugen, sei klargestellt, daß der Rezensent kein Anhänger des Konstruktivismus ist und die erkenntnis- und sprachtheoretischen Grundüberzeugungen einer radikal konstruktivistischen Fremdsprachendidaktik nicht teilt. 6 Stellvertretend für viele andere Stimmen mit gleichem Tenor verweise ich auf Axel P0LLETI: "Die Krise der Grammatik im Französischunterricht". In: Der Fremdsprachliche Unterricht - Französisch 31.6, Heft 30 (1997), 4-8 und Franz-Joseph MEißNER: "Zielsprache Französischzum Unterricht einer schweren Sprache". In: französisch heute 29.3 (1998), 241-257. 7 Richtig ist, daß viele Muttersprachler auf die Kollokation boissons alcooliques mit « Moi je ne Je dirais pas » reagieren. In der Tat ist die Tendenz unverkennbar, die Unterscheidung zwischen alcoolique (= qui contient naturellement de l'alcool) und alcoolise (= a quoi on a ajoute de l'alcool) aufzugeben und alcoolise generell zu bevorzugen. Dementsprechend finden sich im Le Monde Corpus 6 Belege für boissons alcooliques gegenüber 28 Okkurrenzen von boissons alcoolisees. 8 Wer sich mit Norrnfragen beschäftigt, ist immer gut beraten, die jeweils aktuellsten Ausgaben der Wörterbücher zu konsultieren. Nach der Liste der verwendeten Wörterbücher zu urteilen, hat MERTENS diesen Rat nicht befolgt. 9 Erwähnt sei: Le Rhone est unfleuve qui vient de la Suisse [statt: de Suisse] (355). Vgl. auch oben unter (3). Franz Josef HAUSMANN: « Un dictionnaire des collocations est-il possible? » In: Travaux de linguistique et de litterature 17.1 (1979), 187-195. ]El][,lJI][, 32 (2003)
