Fremdsprachen Lehren und Lernen
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0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
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2004
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Gnutzmann Küster SchrammEls OKSAAR: Zweitspracherwerb. Wege zur Mehrsprachigkeit und zur interkulturellen Verständigung. Stuttgart: Kohlhammer 2003, 222 Seiten [28 €]
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2004
Antje Stork
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272 Buchbesprechungen • Tagungsberichte angekündigten elektronischen Version des Muret-Sanders bald ein e-Großwörterbuch Französisch folgen lässt, das man mit Fug und Recht als würdigen Nachfolger des sowohl im Hinblick auf Präzision als auch bezüglich Vollständigkeit der Äquivalente und der übersetzten Beispiele immer noch vorbildlichen, im Übrigen aber hoffnungslos veralteten Sachs-Villatte bezeichnen kann. Bielefeld EKKEHARD ZÖFGEN Els ÜKSAAR: Zweitspracherwerb. Wege zur Mehrsprachigkeit und zur interkulturellen Verständigung. Stuttgart: Kohlhammer 2003, 222 Seiten [28 €] Els OKSAAR, emeritierte Professorin für Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft in Hamburg, war Leiterin der von ihr gegründeten Forschungsstelle für Sprachkontakte und Mehrsprachigkeit und ist bis heute Mitglied des Hamburger Zentrums für Mehrsprachigkeit und Sprachkontakte (HAZEMS). Mit ihrer Einführung in den Zweitspracherwerb hat sie sich zum Ziel gesetzt, das komplexe Beziehungsgefüge des Gegenstandes interdisziplinär zu beleuchten. Dies soll zum einen unter Einbezug verschiedener relevanter Wissenschaften geschehen wie Sprachwissenschaft, Psychologie, Psycholinguistik, Pädagogik, Soziolinguistik, Soziologie, Politikwissenschaft, Kulturanthropologie und Medizin. Zum anderen wird eine methodische Synthese angestrebt durch "die Einbeziehung von verschiedenen der Problematik konformen Techniken, theoretisch-methodischen Ansätzen, Interpretationsmustern und grundlegenden Paradigmen in der Weise, die als eine sich am Forschungsgegenstand orientierende kreative Integration gelten kann" (12). Das Buch besteht aus fünf Kapiteln. Sieht man sich die Gliederung im Inhaltsverzeichnis an, so fällt auf, dass einige Unterkapitel nur in einen einzigen Punkt untergliedert sind. So umfasst Kapitel 1 sechs Unterpunkte, 1.1 untergliedert sich jedoch nur in einen einzigen Punkt, nämlich in Punkt 1.1.1. Gleiches gilt für die Abschnitte 2.2.1, 3.1.1, 3.2.1, 4.2.1., 5.2.1, 5.3.1 und 5.4.1. Diese Gliederungsweise wirkt störend, da die Aufnahme einer weiteren Ebene nur dann sinnvoll ist, wenn mehrere Aspekte differenziert werden sollen. In Kapitel 1 "Zweitspracherwerb als interdisziplinärer Forschungsbereich" [11-36]) verdeutlicht OKSAAR zunächst ihre Herangehensweise an den Spracherwerb, für den vier Komponenten von zentraler Bedeutung sind: Sprache, Kultur, Individuum und Gesellschaft. Da es im Bereich der Zweitspracherwerbsforschung eine Reihe von Termini gibt, zu denen (noch) keine allgemein akzeptierten Definitionen vorliegen, nimmt sie einige Begriffsbestimmungen vor. In Bezug auf den zentralen (aber auch problematischen) Begriff des Zweitspracherwerbs geht die Autorin nach einer ausführlichen Diskussion benachbarter Bezeichnungen und Dichotomien "Erstsprache", "Muttersprache", "Lernen", "Erwerben") von einem weiten Bedeutungsumfang aus und versteht darunter "jede Art des Erwerbs einer Sprache, die konsekutiv zum Erwerb der Erstsprache erfolgt" (15). Auch die im Titel bereits genannten Themen Mehrsprachigkeit und interkulturelle Verständigung werden angesprochen, wobei der Mehrsprachigkeit "Fähigkeit eines Individuums, hier und jetzt zwei oder mehr Sprachen als Kommunikationsmittel zu verwenden und ohne weiteres von der einen Sprache in die andere umzuschalten, wenn die Situation es erfordert" [31]) das Konzept der Mehrkulturheit zur Seite gestellt wird. Sie zeigt sich in der Fähigkeit eines Individuums, "sich in beliebigen Situationen nach den Normen und Regeln der Kultursysteme zu verhalten und bei der Interaktion von dem Behaviorem der einen Kultur auf die anderen hinüberzuwechseln, wenn es notwendig ist" (32). Kapitel 2 (37-48) stellt den Zweitspracherwerb unter der Prämisse, dass man jeglichen Spracherwerb als Kulturerwerb bezeichnen kann als kulturelles Lernen dar. Anhand der KultulFJLlUIL 33 (2004) Buchbesprechungen • Tagungsberichte 273 remtheorie wird verdeutlicht, dass neben den in der Erst- und Zweitspracherwerbsforschung häufig fokussierten Bereichen Aussprache, Wortschatz und Grammatik weitere Fähigkeiten für die Verwendung einer Sprache notwendig sind. 1 Da sich das Konzept der kommunikativen Kompetenz als zu allgemein herausgestellt hat und einer Differenzierung bedarf, wird zur Beantwortung der Frage, was man beim Erwerb von Sprachen lernt, der Begriff interaktionale Kompetenz eingeführt. Damit bezeichnet ÜKSAAR „die Fähigkeit einer Person in Interaktionssituationen verbale, parasprachliche und nonverbale kommunikative Handlungen zu vollziehen und zu interpretieren gemäß den soziokulturellen und soziopsychologischen Regeln einer Gruppe oder einer Gesellschaft, unter Beachtung der extraverbalen Behavioreme" (43). Kapitel 3 (49-82) beschreibt als Rahmenbedingungen für den Zweispracherwerb neurophysiologische Voraussetzungen (kritische Periode Hypothese, optimales Alter für den Zweitspracherwerb, früher Zweitspracherwerb, Faktor „steigendes Alter"), soziopsychologische Voraussetzungen (Motivation und Attitüden, Akzent und ethnische Identität) sowie den Zusammenhang von Sprache und Kognition (Modularität- Holismus, Sprache und Denken, Sapir-Whorf Hypothese). Den mit knapp 70 Seiten umfangreichsten Teil nimmt Kapitel 4 (83-150) ein, das sich mit Theorien, Modellen und Methoden des Zweitspracherwerbs beschäftigt. Nach einer Diskussion der erkenntnistheoretisch gegensätzlichen Ansätzen Behaviorismus und Nativismus, die die Berücksichtigung einer Konvergenztheorie nahe legt, skizziert ÜKSAAR den Forschungsstand der Zweitspracherwerbsforschung. Bisher gibt es keine allgemein akzeptierte Spracherwerbstheorie, obwohl insbesondere in den letzten 30 Jahren viele Theorien, Modelle und Hypothesen des Zweitspracherwerbs vorgelegt worden sind. Da sie sich um die beiden Pole Sprachsystem und Individuum zentrieren, stellt ÜKSAAR zunächst einige zentrale Ansätze in der Richtung vom Sprachsystem zum Individuum vor (Kontrastivhypothese, Fehleranalyse, Identitätshypothese) und geht anschließend auf die individuumzentrierten Modelle ein (lnterlanguagehypothese, Fossilisierung und Pidginisierung, Charakterisierung des erfolgreichen Lerners, Verhältnis Lernersprache - Zielsprache, Sprachbewusstsein des Lerners, Sprachkontakt und Kulturkontakt im Lernprozess). In Kapitel 5 (151-186) werden gesellschaftspolitische Aspekte des Zweitspracherwerbs erörtert. Dazu gehören neben Mobilität, Migration und Minderheiten die Sprachenpolitik in der Europäischen Union sowie die internationale Stellung des Deutschen als Zweitsprache. Letztere wird in Bezug auf Deutsch als Zweitsprache in der Wirtschaft und Deutsch als Zweitsprache in der Wissenschaft untersucht. Komplettiert wird der Band durch das 21 Seiten umfassende Literaturverzeichnis (187-207) sowie ein Sachregister (208-214) und ein Namenregister (215-222). Leider scheint es so, als ob das Manuskript - oder Teile davon bereits in früherer Zeit fertiggestellt worden sei, allerdings ohne es einer sorgfältigen Überarbeitung zu unterziehen. Folgende Beobachtungen bieten Anlass zu einer solchen Vermutung: (1) Obgleich das Buch im Wesentlichen den Regeln der neuen Rechtschreibung entspricht, finden sich über 50 Fälle, in denen der alten Schreibweise gefolgt wurde, z.B. im folgenden (viermal), in ! z.ezug auf (fünfzehnmal), im "! f_eiteren (zweimal), im gJlgemeinen (zweimal), da./ 1. (einmal), umfaßt (einmal), selbg_ändiges Lernen (einmal). Auf der anderen Seite gibt es Schreibfehler, die sich als „Überkorrekturen" bezeichnen lassen, also Fehler, in denen bei einer Überarbeitung des Textes nach der neuen Rechtschreibung möglicherweise „übereifrig" korrigiert wurde, z.B. Abschiedsgru,g_ (40) oder Benutzung der neuen Schreibung in Texten, die vor der Rechtschreibreform entstanden sind, z.B. im Zitat von BUTTJES (1991) auf Seite 38, im Zitat von Vgl. hierzu auch Els ÜKSAAR: Kulturemtheorie. Ein Beitrag zur Sprachverwendungsforschung. Göttingen 1988. JE1LlllL 33 (2004) 274 Buchbesprechungen • Tagungsberichte STERN/ STERN (1928) auf Seite 59, im Zitat von LENNEBERG (1972) auf Seite 70, im Zitat von CHOMSKY (1969) auf der gleichen Seite oder im Zitat von LA WTON (1970) auf Seite 72. Fehler in Orthografie, Interpunktion, Grammatik und Syntax finden sich allerdings leider auch unabhängig von der Rechtschreibreform, z.B. Konno! I.tationen (13), mit dem ebenso komplexe! ! ! : . Begrif.f (127), dass die Kinder, die zu Hause. gstnisch sprechen (164 f). (2) ÜKSAAR zitiert einen Aufsatz von Dieter BUTTJES aus der 2. Auflage des Handbuch Fremdsprachenunterricht von 1991. Mittlerweile ist im Jahr 2003 die 4. Auflage dieses Standardwerkes erschienen, in der allerdings BUTTJES nicht mehr vertreten ist. Der Aufsatz hätte zumindest aus der 3. Auflage von 1995 zitiert werden müssen. 2 (3) Wie ÜKSAAR zu Beginn ihres Buches anführt, hat sie bewusst eine breite Darstellung gewählt, die problemorientierte Rückblicke bietet und die neueren Standpunkte kritisch mit den früheren Forschungsergebnissen in Verbindung bringt. Dies ist sicherlich eine der großen Stärken ihrer Einführung und auch ihrer folgenden Einschätzung ist prinzipiell zuzustimmen: "Im Laufe der Erörterungen wird sich nämlich mehrfach herausstellen, dass das jeweils Neue gar nicht so neu ist und dass der fast zum Sprichwort gewordene Ausspruch 'Literaturkenntnis schützt vor Neuentdeckungen' auch in der Zweitspracherwerbsforschung nützlich sein kann" (12). Trotzdem sollte der Leser auch über den neuesten Stand auf dem Gebiet der Zweitspracherwerbsforschung gründlich informiert werden. Ein Blick ins Literaturverzeichnis stützt die Annahme, dass die neueren Entwicklungen nicht ganz so akribisch aufgearbeitet wurden: Von den 352 Literaturangaben stammen zwei Drittel aus der Zeit vor 1990, nur ein Drittel der Titel ist in der Zeit seit 1990 entstanden. 3 Diese Kritikpunkte sind umso bedauerlicher als es sich bei dieser Einführung um ein äußerst lesenswertes und lesbares Lehr- und Fachbuch handelt. Es besticht nicht nur durch seinen interdisziplinären Ansatz, sondern auch durch die bereits angesprochenen Rückgriffe in die Forschungsgeschichte, die problemorientierte Darstellung und kenntnisreiche Diskussion der unterschiedlichen Themengebiete. Verpackt sind diese Inhalte in eine leserfreundliche Form, die sich durch einen klaren Gedankenaufbau, gut verständliche Sprache, Querverweis sowie Zusammenfassungen am Ende jedes Kapitels auszeichnet. ÜKSAAR illustriert und belegt ihre Ausführungen immer wieder mit Sprachbeispielen und empirischen Sprachdaten, die vornehmlich aus dem Estnischen oder Schwedischen stammen. Dies ist wohl zum einen ihrer estnischen Herkunft zu verdanken, zum anderen aber ihren Forschungsprojekten, in denen u.a. das verbale und nonverbale kommunikative Verhalten von Esten und Deutschen in Australien, USA, Kanada und Schweden sowie von Schweden in der Bundesrepublik Deutschland untersucht wurden. Wünschenswert wäre, dass diese hervorragende Einführung in den Zweitspracherwerb in einer zweiten korrigierten und aktualisierten Auflage erscheint. Marburg ANTJESTORK 2 Dieter BUTTJES: "Landeskunde-Didaktik und landeskundliches Curriculum". In: Handbuch Fremdsprachenunterricht. Herausgegeben von Karl-Richard Bausch, Herbert Christ und Hans-Jürgen Krumm. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage 1995, 142-149. Die von ÜKSAAR gewählten Zitate (38) befinden sich in dieser Auflage auf Seite 147. 3 In neuerer Zeit hätten um nur zwei Beispiele zu nennen die Arbeiten von Pienemann (Manfred PIENEMANN: Language processing and second languagedevelopment: processability theory. Amsterdam 1998) oder Peltzer-Karpf [et al.J (Annemarie PELTZER-KARPF [et al.]: Sprachstandserhebung bei Schulanfängern: bilingualer Spracherwerb in der Migration. Wien 2000) Berücksichtigung finden können. lFLlllL 33 (2004)