Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
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2005
341
Gnutzmann Küster SchrammAuf dem Wege von einer allgemeinen Mehrsprachigkeitsdidaktik zu einer spezifischen DaFnE-Didaktik
121
2005
Britta Hufeisen
Nicole Marx
flul3410146
Britta HUFEISEN, Nicole MARX * Auf dem Wege von einer allgemeinen Mehrsprachigkeitsdidaktik zu einer spezifischen DaFnE-Didaktik Abstract. Since the foundation of the European Union, multilingualism has become a keyword in the European school and university landscape. In this article, we discuss various projects which aim to help students towards leaming more than merely one foreign language, including concepts of receptive multilingualism or plurilingual dialogue. Various projects, such as intercomprehension research, tertiary language learning research, and further applied projects as weil as textbooks and language teaching programmes are considered with a special focus on the necessity for specific DaFnE (German as a Foreign Language after English as a Foreign Language) teaching methods and didactics. Finally, the relevance oftertiary language teaching concepts for foreign language classrooms in Germany is emphasised. 1. Einleitung: Varianten eines übergeordneten allgemeinen Mehrsprachigkeitskonzepts und Beispiele für Projekte und Forschungsinitiativen Bevor wir mit einem kurzen Überblick über die Forschung zur Mehrsprachigkeitsdidaktik beginnen, soweit sich aus diesen die Spezifika eines DaFnE-Konzeptes (Deutsch als [zweite] Fremdsprache nach Englisch als [erster] Fremdsprache) herleiten lassen, um danach einen Ausblick auf weitere ähnliche Fragestellungen wie beispielsweise eag (English after German) anzuschließen, möchten wir unseren Beitrag definitorisch und forschungstheoretisch verorten. Mit 'Mehrsprachigkeit' meinen wir alle Sprachsituationen und Lern- und Erwerbssequenzen, die sich auf mehr als zwei Sprachen oder Sprachvarianten beziehen, nämlich auf die Muttersprache(n) und wenigstens zwei weitere (Fremd)Sprachen. Dem jüngsten Trend, bereits Zweisprachigkeit oder bilinguale Schulerziehung als mehrsprachige Ansätze zu bezeichnen, möchten wir nicht folgen. Vielmehr glauben wir, dass das Konzept der Mehrsprachigkeit der übergeordnete theoretische Rahmen ist. Dabei ist Mehrsprachigkeit die lebensweltliche Norm (WEINRICH 2002, 33), Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Britta HUFEISEN, Univ.-Prof'in, Sprachenzentrum der TU Darmstadt, Institut für Sprach- und Literaturwissenschaft, Hochschulstraße 1, 64289 DARMSTADT. E-mail: hufeisen@spz.tu-darmstadt.de Arbeitsbereiche: Deutsch als Fremdsprache, Tertiärsprachenunterricht, Mehrsprachigkeit, EuroComGerm, Schreibunterricht im Fremdsprachenunterricht. Nicole MARX, Wiss. Mitarbeiterin, Sprachenzentrum der TU Darmstadt, Institut für Sprach- und Literaturwissenschaft. Hochschulstraße 1, 64289 DARMSTADT. E-mail: nmarx@spz.tu-darmstadt.de Arbeitsbereiche: Deutsch als Fremdsprache, Tertiärsprachenunterricht, Neue Medien im Fremdsprachenunterricht, EuroComGerm-Online. lFLl.llL 34 (2005) Auf dem Wege von einer allgemeinen Mehrsprachigkeitsdidaktik zu einer ... 147 und nicht etwa die mitteleuropäisch allzu häufig übliche Monolingualität, an die sich eine, vielleicht zwei Fremdsprachen anschließen. Wir nehmen aufgrund verschiedener Forschungsergebnisse an, dass das Lernen einer ersten Fremdsprache insofern eine Besonderheit ist, als dass es die Grundlage für eine allgemeine Mehrsprachigkeit legt, da mit dem Lernen einer zweiten oder auch dann weiterer Fremdsprache(n) auf Vorerfahrungen zurückgegriffen werden kann, die beim Lernen der ersten Fremdsprache noch nicht vorlagen. (Da dies nicht der Platz für linguistische Ausführungen ist, möchten wir auf einen entsprechenden Forschungsüberblick z.B. in MARX 2004 verweisen.) Die Sprachen, auf die wir im Folgenden eingehen, zählen wir chronologisch im Erwerbs- oder Lernverlauf durch: Erstsprache und primäre Zweitsprache(n) als LI, zeitlich gesehen die zuerst danach gelernte (Fremd)Sprache als L2, die danach gelernte (zweite Fremd)Sprache als L3 usw. Damit übernehmen wir die inzwischen in der Spracherwerbs- und Sprachlehr~ und -lernforschung etablierte Nomenklatur. Demzufolge ist der Begriff der Tertiärsprache insofern nicht präzise zu benutzen, weil er meistens auf eine L3 hinweist, aber in manchen Kontexten eben auch auf eine L4 oder L5. Weiterhin diskutieren wir nicht ausführlich die hinter den Begriffen stehenden theoretischen Konzepte von Lernen und Erwerben, weil wir glauben, dass sie für die Beschreibung spezifischer Aneignungsmodi wichtig und richtig, ihre detaillierte Unterscheidung für die im Folgenden zu beschreibenden Projekte jedoch nicht relevant ist. Erwerben beschreibt für uns den alle Modi umfassenden Aneignungsvorgang, von dem Lernen eine durch bestimmte externe Faktoren (z.B. Lehrwerk, regelgeleitet, außerhalb des Zielsprachenlandes) spezifizierte Unterform ist. So konturiert sich für uns das multiple Sprachenlernen durch Faktorenkomplexe (vgl. Abb. 1), die dynamisch auf den Lernprozess Einfluss nehmen (vgl. HUFEISEN/ GIBSON 2003). Dabei möchten wir für das L3- (und auch Lx)-Lernen besonders auf den Faktorenkomplex Fremdsprachenspezifische Lernerfahrungen verweisen, der das L3-Lernen grundsätzlich vom L2-Lernen unterscheidet und somit eine eigenständige linguistische Mehrsprachigkeitsforschung und eine Mehrsprachigkeitsdidaktik überhaupt erst begründet und rechtfertigt (---t Abb. 1, Multiples Sprachenlernen [S. 148] Lernende, die schon eine erste Fremdsprache erlernt haben, verfügen bereits über Fremdsprachenlernstrategien und haben schon verschiedene Lerntechniken ausprobiert, sie kennen das Gefühl, einen Text nicht gleich zu verstehen, sie gehen eher Raterisiken ein und sie kennen mehr als ein (muttersprachliches) Sprachsystem. lFLlllL 34 (2005) 148 Britta Hufeisen, Nicole Marx Neurophysiologische Faktoren : Generelle Spracherwerbsfähigkeit, Alter, ... Lernerexterne Faktoren: Lernumwelt(en), Art und Umfang des Inputs, Ll-Lemtraditionen, ... Emotionale Faktoren: Motivation, (Lern)Angst, Einschätzung der eigenen Sprachliteralität, empfundene Nähe/ Distanz zwischen den Sprachen, Einstellung (en) zu den Sprachen, zu den zielsprachigen Kulturen , zum Sprachenlernen, individuelle Lebenserfahrungen , .... Kognitive Faktoren: Sprachbewusstsein, metalinguistisches Bewusstsein, Lernbewusstsein, Wissen um den eigenen Lerntyp, Lernstrategien, individuelle Lernerfahrungen, ... Fremdsprachenspezifische Faktoren: Individuelle Fremdsprachenlernerfahrungen und Fremdsprachenlernstrategien (z.B. interlinguale Vergleichs-, Transfer- und Rückbezugsfähigkeit), lnterlanguages der vorgängigen Fremdsprachen, Interlanguage der jeweiligen Zielfremdsprache, ... Linguistische Faktoren: LI, L2, Lx, ... Abb. 1: Multiples Sprachenlernen 1.1 Innerskandinavische Kommunikation In den verschiedenen Fremdsprachenphilologien haben sich in den letzten Jahren je eigene Mehrsprachigkeitskonzepte etabliert: Die längste Forschungstradition hat hier allerdings sicher die Skandinavistik mit zahlreichen Projekten und Untersuchungen zur inter-! innerskandinavischen Kommunikation (BRAUNMÜLLER 2002, ZEVAERT 2004). Die Grundidee ist, dass die Gesprächspartnerinnen und -partner ihre jeweilige (festlandskandinavische) Muttersprache verwenden, vielleicht panskandinavische Anpassungen vornehmen, um die Verständigung zu erleichtern, und jeweils über rezeptive Kenntnisse der anderen Sprachen verfügen. So entstehen polyglotte Dialoge nach der Definition POSNERS von 1991. 1.2 DaF-bezogene Projekte Nachdem romanische und slawische Interkomprehension in der Romanistik und der Slawistik breite Aufmerksamkeit fand und das Bochumer Tertiärsprachenprojekt das Lehren der dritten Schulfremdsprache erforschte (hierzu MEißNER in diesem Band [SS. 125-145]), kann auch das Mehrsprachigkeitskonzept der DaF-L3-Forschergemeinschaft auf eine einige Jahre alte Tradition in der Erforschung von DaFnE zurückblicken. Vor dem Hintergrund, dass Deutsch weltweit heute meistens als zweite oder weitere Fremdsprache nach Englisch als erster Fremdsprache gelernt wird, scheint es sinnvoll zu sein, lFLlllL 34 (2005) Auf dem Wege von einer allgemeinen Mehrsprachigkeitsdidaktik zu einer ... 149 diese praktisch immer vorhandenen vorgängigen Fremdsprachenkenntnisse und die damit verbundenen Lernerfahrungen auszunutzen. Hierzu gab es über zwei Kampagnen hinweg das Projekt Deutsch nach Englisch - Synergien beim europäischen Fremdsprachenzentrum in Graz, das sich auf der Basis der vorhandenen neuen linguistischen Erwerbsmodelle auf die Verbreitung des Konzeptes, damit verbundene curriculare Fragen (z.B. DIKOVA [et al.] 2001) und die Erstellung regionaler Lehrwerke (siehe weiter unten) und Lehrmaterialien konzentriert hat. Das beim Goethe Institut angesiedelte Projekt zur Lehrmaterialerstellung ist in vielfältigen Lehrerfortbildungen pilotiert und eingesetzt worden. Eine in Kürze erscheinende Fernstudieneinheit ist das daraus entstandene Kondensat (NEUNER [et al.] 1m Druck). 1.3 EuroComGerm Das germanische Pendant zu den Interkomprehensionsprojekten in den romanischen und slawischen Sprachen (vgl. MEißNER in diesem Band [SS. 125-145]) hat im Januar 2005 mit einer Auftakttagung seine Arbeit aufgenommen und entwickelt derzeit vor dem sprachlichen Hintergrund Deutsch Ll, Englisch L2 als zwei Brückensprachen - Miniportraits einiger anderer germanischer Sprachen sowie die Sieben Siebe (DUKE/ HUFEISEN/ LUTJEHARMS 2004), die Basis für die rezeptive Kompetenz in den anderen germanischen Sprachen. Mit ersten Ergebnissen ist zum Ende des Jahres 2005 zu rechnen. 1.4 Regionale Lehrwerke Die auslandsgermanistische DaFnE-Arbeit ist in Bezug auf die Lehrmaterialentwicklung, aber auch auf curriculare Diskussionen vielfach weiter als das inländische DaF-Engagement. Es gibt inzwischen einige nennenswerte Initiativen regionaler Lehrwerke, die die DaFnE-Prinzipien ein- und umsetzen. Wir möchten hier einige exemplarisch nennen, ohne auf Details einzugehen: - Das schwedische Lust auf Deutsch, das sein erstes Kapitel Deutsch gratis nennt, weil es mit Hilfe englischer Wörter zeigt, wie nah die beiden Sprachen sind und wie vergleichsweise einfach der Beginn im Deutschen ist, weil die Lernenden ja schon eine Menge verstehen. - Das bulgarische Deutsch ist in, ein Lehrwerk für Nullanfänger, bezieht ebenso viele aus dem Englischen schon bekannte Vokabeln in die Lektionen mit ein. Das Lehrwerk ist für eine ältere Zielgruppe nämlich Jugendliche konzipiert, die schon Englisch als erste Fremdsprache gelernt haben. Das polnische DACHfenster ist ein weiteres Beispiel eines regionalen Lehrwerks, das stets versucht, die Vorkenntnisse der Lernenden im Deutschunterricht auszunutzen. Die Frage ist, ob es ein universalistisch ausgerichtetes DaFnE-Lehrwerk geben kann, d.h. in der Regel eines, das in Deutschland für die Situation in deutschsprachigen Ländern konzipiert ist, das aber vielleicht auch auslandsgermanistisch eingesetzt werden soll oder IFlLIIL 34 (2005) 150 Britta Hufeisen, Nicole Marx kann. Wir meinen ja, wenn es so offen angelegt ist, dass es für die regionale Verwendung geeignet ist, d.h. wenn eigenkulturelle Aspekte wie die L1 -Lerntradition dabei nicht ignoriert oder ausgeblendet werden müssen (auch HUFEISEN 2001). Einen ersten diesbezüglichen Versuch machte Deutsch international (1999), ein Lehrwerk für Jugendliche, und jüngst folgte Dimensionen (2002), ein Lehrwerk für Erwachsene, das bereits wesentlich Merkmale eines Mehrsprachigkeitsansatzes einbezogen hat. 1.5 Kritische Zusammenfassung Von den Befunden der skandinavischen Projekte, die keinen direkten didaktischen Anspruch haben, einmal abgesehen, gehen alle Ansätze von der prinzipiellen Möglichkeit aus, die angedachten und geforderten Ideen, die sich aus dem Mehrsprachigkeitskonzept ergeben, auch tatsächlich umzusetzen. Nun zeigen erste Forschungsergebnisse aus dem asiatischen Raum, dass die Lernenden beispielsweise nicht die möglichen und wünschenswerten Transferleistungen erbringen, weil sie die Transferbasen schlichtweg nicht sehen, weil ihnen oft die sprachlichen Grundlagen fehlen und/ oder die LI-Lerntraditionen es ihnen verbieten, solche eigenständigen Lernleistungen durchzuführen (KÄRCHNER-ÜBER 2005, MERKELBACH 2003), oder weil die Ll-Lerntraditionen einfach anders funktionieren (z.B. die orale Tradition Afrikas, persönliche Berichte von Dieudonne Ouedraogo, Fremdspracheninspektor für Deutsch in Burkina Faso). Das Mehrsprachigkeitskonzept war zunächst vom good language learner ausgegangen; nun müssen weitere Aspekte beforscht werden, etwa wie die Lerntraditionen mit einbezogen werden können, und wie auch schwächere Lerner von diesem Konzept profitieren können. In diesem Zusammenhang unterscheidet die Interkomprehensionsdidaktik zwischen den onomasiologischen und semasiologischen Formen des Erschließens und Lernens einer neuen Sprache. Wie MEißNER (2001) schildert, erlernen sprachlernungewohnte deutsche und französische Bauhandwerker die jeweilige Zielsprache über ihre berufsspezifische Weltkenntnis (von der Situation zur Sprache) und nicht wie üblich über eine Analyse der Form. Ähnliche Verfahren werden zwischen nah verwandten romanischen Sprachen und lernungewohnten Erwachsenen etwa in Südamerika erprobt. Wenn die Interkomprehension nur auf die Gruppen der universitären oder bereits mehrsprachigen Lerner beschränkt bleibt, riskiert sie es, nach einer kurzen Euphorie im Archiv der Sprachlehr- und -lernforschung bzw. der Didaktik zu verschwinden, um allenfalls als deskriptiv-linguistischer Forschungszweig bestehen zu bleiben. 2. Forderung an eine DaFnE-Didaktik Nach den Vorarbeiten der letzten Jahre im Bereich Deutsch nach Englisch und in der Mehrsprachigkeitsdidaktik im Allgemeinen bleibt zu überlegen, wie Fremdsprachendidaktiker den aufgestellten Anforderungen gerecht werden und die bisherigen Erkenntnisse in einen lernergerechten Unterricht umsetzen können. Hierzu gehört zum einen die Tatsache, dass der Lernstand eines DaFnE-Lernenden weitaus differenzierter ist als der JFL1Jll[, 34 (2005) Auf dem Wege von einer allgemeinen Mehrsprachigkeitsdidaktik zu einer ... 151 eines Deutsch-als-L2-Lernenden (umfassende Lernerfahrungen und Lernstrategien, mehr - und durchaus unterschiedliches, auch in „homogenen" Schulgruppen linguistisches Vorwissen, Erwartungen an das Fremdsprachenlernen und an den Unterricht an sich siehe Abb. 1 [S. 148]), und dass er bereits Erfahrungen mit dem Fremdsprachenlernen gesammelt hat, die sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf das Deutschlernen haben können. Wenn wir aus der Mehrsprachigkeitsforschung und -didaktik Konsequenzen ziehen sollen (auch MEißNER 2004 und NEUNER [et al.] im Druck), müssen wir das Lehren sowie das Lernen der Tertiärsprache Deutsch grundlegend neu überlegen. Das heißt noch längst nicht, dass komplett neue Unterrichtskonzepte und -methoden erarbeitet und eingesetzt werden müssen, noch dass heutige Deutschlehrende in aufwändigen Fortbildungen geschult werden sollten. Jedoch müssen wir unsere Auffassung der Lehr- und Lernsituation öffnen, erweitern und vielleicht etwas umstellen. Dies passiert jedoch nicht ins Leere, denn die Forderungen an eine DaFnE-Didaktik entsprechen im Wesentlichen den Prinzipien des selbstgesteuerten, lernerzentrierten Fremdsprachenunterrichts, die in den letzten Jahren immer mehr gefördert und gefordert werden. Zunächst muss ein gewisser Grad an Flexibilität von Lehr- und Lernprogrammen geleistet werden. Vorbei sind die Tage gab es sie eigentlich in der Wirklichkeit je? -, als Lehrende und Lernende mit einem bestimmten Lehrbuch zum Unterricht erschienen sind, die Aufgaben eine nach der anderen erarbeiteten und mehr oder weniger Teilnehmende bis zum Kursende auf den gleichen Wissensstand brachten. Statt dessen müssen Lehrkräfte (und vor ihnen, Curriculumentwickler) mit sehr differenzierten, weniger homogenen Lernergruppen zusammenarbeiten: Nicht einmal Klassenkameraden haben die gleichen Lernerfahrungen, wenn sie in den Fremdsprachenunterricht kommen, jedoch sollten die vielen individuellen Erfahrungen und Vorkenntnisse möglichst berücksichtigt werden. In dieser Situation ist ein flexibles Unterrichtsverfahren wichtig. Schüler, die schon zumindest eine Fremdsprache in unserem Falle, das Englische gelernt haben, können ihre Erfahrungen und ihr Vorwissen anwenden. Dafür darf ihnen aber die Gelegenheit nicht fehlen. Ein Lehrer, der vom Lehrwerk öfter wegschaut und eine Diskussion über schon bekannte Strukturen, Begriffe oder Handlungen aus anderen Kulturkreisen und anderen Sprachen auffängt, wird seine Schüler dazu aufmuntern, das eigene Wissen zu bedenken, Querverbindungen zwischen verschiedenen Wissensknoten zu ziehen und dadurch das gerade Gelernte im Gedächtnis zu verstärken (und gleichzeitig den Forderungen nach einer konstruktivistischen Fremdsprachendidaktik, vgl. u.a. WOLFF 2002, nachzukommen). Genau weil Lernende in diese besondere L3-Lernsituation eintreten, muss ihnen neben der notwendigen Flexibilität in der Lehre mehr Autonomie ermöglicht werden. In diesem Sinne sollte Autonomie eben nicht heißen, dass Lernende nicht mehr auf den Unterricht angewiesen sein sollten, sondern, dass von ihnen eine Eigeninitiative bzgl. des Lernplanens und Lernvorgehens verlangt wird. EuroComDidact versucht zur Zeit, diesen Weg zu entwickeln (vgl. MEißNER in diesem Band [SS. 125-145]). Autonomes Lernen im Klassenzimmer kann verschiedene Ausprägungen annehmen. lFLulL 34 (2005) 152 Britta Hufeisen, Nicole Marx So kann z.B. mit einer Besprechung und einem Ausprobieren von Lernstrategien angefangen werden, wie in mehreren modernen Lehrwerken schon umgesetzt. Auch wenn das eigene Lehrwerk dies nicht vorsieht, kann eine Diskussion von Lernstrategien und Lerntechniken ohne Schwierigkeiten einbezogen werden (RAMPILLON 1999). Dies ist vor allem beim Unterricht der ersten Fremdsprache notwendig, da dieser auf das Lernen aller weiteren Fremdsprachen vorbereitet, aber auch bei Tertiärsprachenlernenden ist eine Reflexion des Lernprozesses und der bevorzugten Lernstrategien und Lernumgebungen wichtig (vgl. NEUNER 2005). Weitere Möglichkeiten zur Förderung der Lernerautonomie sind z.B. Lernportfolios, in denen Lernende ihre eigenen Fortschritte festhalten können - und auch sehen können, woran sie noch arbeiten müssen. Flexibilität im Unterricht und Förderung der Lernerautonomie sind zwei große Ziele des DaFnE-Unterrichts. Nicht weniger wichtig - und gar das Offensichtliche aller Forderungen ist der Einbezug schon bestehenden Wissens in den Unterricht. Viele Lehrkräfte und Lehrprogramme nehmen schon Rücksicht auf die Muttersprache des Lernenden, vor allem, wenn eine Fremdsprache im Ausland gelernt wird (s.o.). Dazu sollte auch auf weitere Fremdsprachen (oder Muttersprachen, sofern vorhanden) Bezug genommen werden. So gehen schon manche deutsche Französischlehrwerke zumindest bei Wortschatzlisten auf das vorher gelernte Englisch ein. Zu überlegen ist, wo und wann eine erste Fremdsprache beim Lernen einer weiteren hilfreich sein kann, und wo sie einen Lernenden vielleicht nicht weiterbringen wird. Im Falle eines DaFnE-Kurses kann davon ausgegangen werden, dass ein Rückgriff auf das Englische in vielen Fällen äußerst positiv sein kann (z.B. bei den vielen Übereinstimmungen im Wortschatzbereich), dass aber manchmal ein Vergleich weniger hilfreich oder sogar irreführend wäre (z.B. bei der Wortstellung im Aussagesatz, wenn schwedische Studierende Deutsch lernen). Wie sollen diese Forderungen nun umgesetzt werden? In einer idealen Situation bestünden schon Lehrwerke, die besonders mit Blick auf DaFnE-Lernende entwickelt wären. Da dies selten der Fall ist (s.o.), müssen DaFnE-Konzepte in bestehende Lehrprogramme eingearbeitet werden. So wäre es sinnvoll, die Forderungen nach einem DaFnE-Unterricht immer dann einzuarbeiten, wenn damit der Lernprozess gefördert wird, und Kurskonzepte so aufzubauen, dass die Flexibilität und Dynamik jedes Unterrichts gewährleistet wird. Gleichzeitig können wir von Konzepten lernen, die versuchen, der Situation von Deutschlernenden mit Vorkenntnissen des Englischen gerecht zu werden, wie im Kapitel 1 bereits besprochen. 3. Ausblick Eine prinzipielle Überlegung zu den Prinzipien der Mehrsprachigkeitsdidaktik darf zu einer Zeit der verstärkten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Wichtigkeit vom multiplen Fremdsprachenlernen nicht fehlen. Sprachen werden seltener vereinzelt unterrichtet und gelernt, sondern in großen Zügen zusammengebracht und schnellstens erlernt. Zum lebenslangen Fremdsprachenlernen gehören Fähigkeiten, die ein autonomeres, von individuellen Wünschen geleitetes Herangehen an eine Sprache ermöglichen. Wie bereits IF'LllllL 34 (2005) Auf dem Wege von einer allgemeinen Mehrsprachigkeitsdidaktik zu einer ... 153 besprochen, bestehen auch für den DaFnE-Unterricht schon Konzepte, die auf die Erleichterung des Deutschlernens abzielen; des Weiteren laufen derzeit mehrere Projekte, die das gleichzeitige Erlernen (rezeptiver Kompetenzen in) mehreren verwandten Sprachen fördert. Nun besteht noch ein großer Bedarf an weiterer Forschung, am Einbezug solcher Konzepte in die Lehreraus- und -fortbildung sowie an konkreten Unterrichtskonzepten, die diese Prinzipien umsetzen. Dies gilt natürlich nicht nur für DaFnE, sondern gleichermaßen für z.B. Spanisch nach Französisch (wie unter anderen bei dem romanistischen EuroComDidact), Bulgarisch nach Russisch (EuroComSlav) oder sogar Englisch nach Deutsch, wie z.B. das laufende online eag-project (English after German) im Rahmen des EuroComGerm, das Lernende ein Leseverstehen im Englischen auf der Basis vom Deutschen ermöglichen soll. Diese Projekte haben gemeinsam, dass sie die Verbindungen zwischen (verwandten) Sprachen im Kopf des Lernenden auszunutzen versuchen, und dadurch Lernende in ihrem eigenen Lern- und Strategienentwicklungsprozess zu fördern. Diese und auch weitere Projekte sind auf dem besten Weg, ein erleichtertes multiples Sprachenlernen zu ermöglichen. 4. Relevanz des DaFnE-Konzeptes für den schulischen (Fremd)Sprachenunterricht in Deutschland Zum Schluss ein paar Gedanken zum Mehrsprachigkeitskonzept für deutsche Schulen bzw. die Übertragung von Erkenntnissen, die im DaF-Rahmen entstanden sind, auf andere Sprachfächer. Die DaF-Didaktik kann die Konsequenzen der Ergebnisse ihrer Forschung rascher in Lehrwerke berücksichtigen als die anglistische oder romanistische, ist sie doch im Gegensatz zu letzteren weitgehend frei von ministeriellen Zulassungsregelungen. Mit einer konsequenten Einführung eines Mehrsprachigkeitskonzeptes in den schulischen und außerschulischen Fremdsprachenunterricht müssten natürlich auch curriculare Konsequenzen gezogen werden. So scheint die Konzeption und Implementierung eines Gesamtsprachencurriculums wichtig, in dem alle Sprachen gleichermaßen berücksichtigt werden, damit u.a. im jeweiligen Sprachfach auf die anderen Sprachen verwiesen werden kann, was rezeptive Kenntnisse in den anderen Sprachen, zumindest aber Interesse an ihnen auf Seiten der Lehrenden voraussetzen würde. Dies heißt für den schulischen Englisch als L2-Unterricht selbstverständlich nicht, dass im Englischunterricht Französisch oder im Französischunterricht Spanisch unterrichtet werden soll. Aber die Sprachen sollten nicht isoliert gesehen werden, es darf im Unterricht der Sprache x nicht so getan werden, als gäbe es die Sprachen y und z in den Köpfen der Lernenden nicht (vgl. hierzu KÖNIGS 2004: 522). Die Lehrenden in einer Klasse müssten wissen, was im Unterricht der anderen Sprachen passiert, Einzelsprach-Fachkonferenzen wären weitgehend durch Sprachenkonferenzen zu ersetzen (hier sei auf die Diskussionen in HUFEISEN/ LUTJEHARMS 2005 verwiesen). Das ist nicht neu. Dass in einem solchen Mehrsprachigkeitskonzept, das über ein Gesamtsprachencurriculum institutionell verankert ist, auch die Muttersprache, natürlich die Herkunftssprachen, erst recht Deutsch als FLwL 34 (2005) 154 Britta Hufeisen, Nicole Marx Zweitsprache (letzteres übrigens keineswegs nur für Sprachlehrende, sondern eigentlich für alle, die an Schulen bzw. in Klassen unterrichten, an denen Deutsch eine Zweitsprache ist) und im Idealfalle auch weitere Minderheiten- und Nachbarsprachen (hierzu besonders KRUMM 1999) ihren Platz haben, ist evident. Literatur BRAUNMÜLLER, Kurt (2002): "Variation in receptive bilingualism: what is received and what is not received". In: KISCHEL, Gerhard (Hrsg.): EuroCom. 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