eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 34/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2005
341 Gnutzmann Küster Schramm

Interkulturelles Lernen in internationalen Telekollaborationsprojekten

121
2005
Andreas Müller-Hartmann
flul3410192
Andreas MÜLLER-HARTMANN* Interkulturelles Lernen in internationalen Telekollaborationsproj ekten Die Entwicklung von Erfahrungswissen angehender Fremdsprachenlehrer/ innen Abstract. Telecollaboration offers an opportunity to develop intercultural communicative competence (ICC) in pre-service teacher training seminars. This contribution describes best practice in form of a seminar model that is based on a five-year long research project between a German college of education and an American university. Future foreign language teachers first of all must become intercultural speakers themselves before they can teach ICC in schools. To develop their kuowledge base via experiential learning and model teaching, EFL student teachers engaged in a collaborative project with leamers of Germanin an American university over the period of half a semester. The second half of the semester was used to reflect on the experience and to begin to develop a knowledge base for possible future school settings. Data from these five project seminars show how student teachers developed ICC in the process. 1. Einleitung Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen (EUROPARAT 2001) stellt die Entwicklung interkultureller kommunikativer Kompetenz ins Zentrum des Sprachenlemens: „Weder endet die muttersprachliche und kulturelle Kompetenz mit dem Erwerb einer zweiten oder fremden Sprache und Kultur, noch besteht die neue Kompetenz unabhängig von der alten: Die Sprachenlernenden erwerben nicht einfach zwei verschiedene, unverbundene Weisen des Handelns und Kommunizierens, sondern werden mehrsprachig und entwickeln Interkulturalität. Die linguistischen und kulturellen Kompetenzen in der einen Sprache modifizieren die in einer anderen, und sie fördern interkulturelles Bewusstsein, Fertigkeiten und prozedurales Wissen" (Europarat 2001: 51). Die herausragende Bedeutung der Entwicklung interkultureller kommunikativer Kompetenz wird damit europaweit zur Kenntnis genommen (siehe auch BYRAM 1997, BYRAM/ FLEMING 1998, BYRAMINICHOLS/ STEVENS 2001). Gleichzeitig macht sie einen wichtigen Baustein eines neokommunikativen Fremdsprachenunterrichts aus (passim in MEißNER/ REINFRIED 2001, vor allem die Beiträge von BECHTEL, CASPARI, LEOPOLD und NIE- Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Andreas MÜLLER-HARTMANN, Univ.-Prof., Pädagogische Hochschule Heidelberg, Institut für Fremdsprachen, Abteilung Englisch, Postfach 104240, 69032 HEIDELBERG E-Mail: Andreas.Mueller-Hartmann@ph-heidelberg.de Arbeitsbereiche: Didaktik des netzbasierten Fremdsprachenlernens, Lehrerausbildungsforschung, Literaturdidaktik (Jugendliteratur), Didaktik des interkulturellen Lernens. lFLlllL 34 (2005) Interkulturelles Lernen in internationalen Telekollaborationsprojekten ... 193 KAMP/ Ru). Zukünftige Lehrer und Lehrerinnen müssen diese Kompetenz in der Regel allerdings erst in ihrem Studium bzw. im Rahmen von Auslandsaufenthalten entwickeln, das heißt, sie müssen erst einmal selber zu intercultural speakers werden, bevor sie in der Lage sind, diese Kompetenzen im späteren Berufsfeld zu vermitteln (BYRAM 1997: 33- 38). Während Auslandsaufenthalte face to face-Kommunikation mit Sprechern der Zielsprache ermöglichen, ist der Ausbildungskontext an der Hochschule ebenso wie der fremdsprachliche Klassenraum der unterschiedlichen Schultypen in der Regel durch eine mehr oder weniger intensive Simulation geprägt. Die Telekommunikation bietet hier einen Ausweg an, um Kontakt mit Sprechern der Zielsprache aufzunehmen. Sie ermöglicht soziale Interaktion, Dialoge und interkulturelle Aushandlungsprozesse im Rahmen von gemeinsamen Telekollaborationsprojekten (BELZ 2003, FURSTENBERG [et al.] 2001, MÜLLER-HARTMANN 1999, 2000, MÜLLER-HARTMANN/ RICHTER 2000, O'DOWD 2004, WARSCHAUER 1996). Die Neuigkeit und Komplexität derartiger Projekte (Aushandlung eines Organisationsrahmens mit den Partnern, lernerzentrierter Unterricht, Verbindung von Phasen im Klassen- und Computerraum, Unsicherheit in Bezug auf die eingehenden Lernertexte, Umgang mit möglichen kulturellen Missverständnissen etc.) führt allerdings zu erheblichen Barrieren in der Entscheidung für das Projekt im Fremdsprachenunterricht. Wie EGBERT/ PAULUS/ NAKAMICHI (2002: 3) hervorheben, "even when teachers do believe that technology has 'empowering potential', they do not always know how to make this happen in the classroom". Damit angehende Fremdsprachenlehrende die Telekommunikation tatsächlich später im Fremdsprachenunterricht nutzen, um ihren Schülerinnen und Schülern authentische Lernumgebungen zur Verfügung zu stellen, müssen sie selbst entsprechende blended learning Umgebungen in ihrer Ausbildung erfahren haben. Denn erst ein Erfahrungswissen erlaubt ihnen, die genannten Barrieren zu überwinden. Der vorliegende Beitrag versucht anhand eines Seminarmodells darzustellen, wie die Ausbildung eines solchen Erfahrungswissens und die Entwicklung interkultureller kommunikativer Kompetenz mit Hilfe von Telekollaborationsprojekten im Rahmen der ersten Ausbildungsphase von Fremdsprachenlehrenden möglich ist. Das Unterrichtsmodell, das dazu vorgestellt wird, beruht auf einem fünfjährigen Forschungsprojekt mit Julie Beiz an der Pennsylvania State University, USA. Neben Ausführungen zum Konstrukt 'Lehrerwissen' ist BYRAMs Modell (1997) der Entwicklung interkultureller kommunikativer Kompetenz die theoretische Grundlage für die Analyse der erhobenen Daten in den deutsch-amerikanischen Austauschprojekten. 2. Theoretische Basis 2.1 Interkulturelle kommunikative Kompetenz Angehende Lehrerinnen und Lehrer müssen zunächst selber zu intercultural speakers werden, bevor sie in der Lage sind, Lernende bei der Entwicklung interkultureller kommunikativer Kompetenz anzuleiten und zu fördern. Das heißt, sie müssen die Fähigkeit entwickeln, "of establishing relationships, managing dysfunctions and mediating" (BYlFLl! lL 34 (2005) 194 Andreas Müller-Hartmann RAM 1997: 31-32). Die Durchführung eigener E-Mail-Projekte und die damit verbundene Aushandlung von Kursinhalten mit internationalen Partnern sowie der Umgang mit institutionellen Zwängen (siehe BELZ/ MüLLER-HARTMANN 2002: 77) ist sicherlich die beste Form, um diese Kompetenzen zu erwerben. Die Durchführung von Telekollaborationsprojekten im Rahmen von Seminaren bietet allerdings dieselben kognitiven und affektiven Herausforderungen. Gleichzeitig erlaubt die Leitung des Projektes durch einen Dozenten eine gewisse Sicherheit und erleichtert es Anfängern, sich auf diese komplexe Lernumgebung einzulassen. Vor allem die möglicherweise emotionale Belastung, mit jemandem zusammen zu arbeiten, den man nicht kennt, nicht sieht und mit dem man nichtface-to-face kommunizieren kann, wird durch die regelmäßige Reflexion während des Projektes ein Stück weit aufgefangen. Denn es ist gerade die emotionale Erfahrung, die es den Studierenden erlaubt (oder auch nicht), eine positive Einstellung gegenüber einer solchen Lern- und Arbeitsumgebung zu entwickeln und so die Basis zu legen, später selbst ein solches Projekt im Unterricht durchzuführen. Aus diesem Grunde hat BYRAM auch Einstellungen als "foundation" seines Konzeptes zur Entwicklung interkultureller kommunikative Kompetenz bezeichnet (BYRAM/ NI- CH0LS/ STEVENS 2001: 5). Abgesehen von den affektiven Faktoren umfasst das Modell kognitive und interaktionale Fertigkeiten der Interpretation und des in Bezugsetzens von Texten, wobei hier ein weiter Textbegriff angelegt wird, der sowohl geschriebene Texte wie auch mündliche Äußerungen und Ereignisse subsumiert. Der letzte Faktor betrifft die Entwicklung eines kritischen kulturellen Bewusstseins. Zusammen genommen machen diese Faktoren und Fertigkeiten den "intercultural speaker" aus (BYRAM 1997: 33-38, siehe auch KRAMSCH 1998). Als intercultural speakers Lernende "may also be called upon not only to establish a relationship between their own social identities and those of their interlocutor, but also to act as mediator between people of different origins and identities" (BYRAM 1997: 38). Da die Analyse der gesammelten Lernerdaten aus den Projekten auf den vier genannten Faktoren basieren, sollen sie im Folgenden kurz erläutert werden: 1. Einstellungen (attitudes): Einstellungen müssen nicht unbedingt positiv sein, aber sie sollten zumindest durch Offenheit und Neugier charakterisiert sein: "They need tobe attitudes of curiosity and openness, of readiness to suspend disbelief and judgement with respect to others' meaning, beliefs and behaviors. There also needs to be a willingness to suspend belief in one' s own meanings and behaviors, and to analyse them from the viewpoint ofthe others with whom one is engaging" (BYRAM 1997: 34). Die Lernenden sollten in der Lage sein, sich von ihrer eigenen Position zu lösen, "to decentre", wie BYRAM es in Anlehnung an KOHLBERG und andere (1983) ausdrückt. Das kann im Verlauf des Lernprozesses auch zu einer teilweisen oder kompletten Resozialisation in einer anderen Sprache und Kultur führen. 2. Wissen (knowledge ): Byram unterscheidet zwischen Wissen über "social groups and their products and practices in one's own andin one's interlocutor's country," und dem Wissen "ofthe general processes of societal and individual interaction" (BYRAM 1997: 58). Dies schließt Wissen über unterschiedliche KommunikationsmöglichlFLIIL 34 (2005) Interkulturelles Lernen in internationalen Telekollaborationsprojekten ... 195 keiten, wie z.B. der Telekommunikation, und die Konventionen von Kommunikation, ein. Beide Bereiche sind notwendig, um Missverständnisse zu vermeiden oder aushandeln zu können. Während die primäre und sekundäre Sozialisation in einer Kultur oft zu einer ausgeprägten nationalen Identität führt, hebt BYRAM die Tatsache hervor, dass es auch andere soziale Identitäten gibt, wie diejenigen, die auf dem Geschlecht, der sozialen Klasse oder der ethnischen Zugehörigkeit basieren. Gleichzeitig ist das Wissen über andere gesellschaftliche Gruppen nicht isoliertes Faktenwissen, sondern '"relational', i.e. it is knowledge acquired within socialization in one's own social groups and often presented in contrast to the significant characteristics of one's national group and identity". Dies betrifft einen Aspekt, der zur Bildung von Vorurteilen und Stereotypen führen könnte. Wenn die beteiligten Partner allerdings wissen, wie die Interaktionsprozesse von Mitgliedern der anderen sozialen Gruppe(n) erworben wurde(n), dann sind sie wesentlich kompetenter, wenn es darum geht, die Wahrnehmung, die diese Gruppe von sich selbst und anderen hat, zu verstehen, was zu einer besseren Interaktion mit Mitgliedern dieser Gruppe beiträgt. Im Bereich derface to face-lnteraktion ebenso wie in dem der Telekommunikation muss dieses deklarative Wissen noch um prozedurales Wissen "of how to act in specific circumstances" ergänzt werden. Dies ist entscheidend, um sich in einer erfolgreichen Interaktion zu engagieren und eine längerfristige Beziehung aufzubauen (BYRAM 1997: 36). 3.1 Die Fertigkeit, Texte und Ereignisse zu interpretieren und aufeinander zu beziehen (skills of interpreting and relating): Basierend auf dem Wissen der eigenen und der fremden Kultur ist der intercultural speaker in der Lage "to interpret a document or event from another culture, to explain it and relate it to documents or events from one's own culture." Kritisch zu hinterfragen ist in diesem Zusammenhang das unbewusst erworbene Wissen der eigenen Kultur, das das Individuum möglicherweise ethnozentrische Sichtweisen und Werte nicht erkennen lässt und damit die Kommunikation erschwert (BYRAM 1997: 37, 61). 3.2 Die Fertigkeit des Entdeckens und der sozialen Interaktion (skills of discovery and social interaction): Wenn Lernende mit einer anderen Kultur konfrontiert werden, müssen sie in der Lage sein, wichtige Phänomene in dem spezifischen Kontext zu entdecken und ihre Bedeutungen und Konnotationen in der Kultur zu erkennen. Gleichzeitig müssen sie die Fähigkeit entwickeln, "to operate knowledge, attitudes and skills under the constraints of real-time communication and interaction" (BYRAM 1997: 38, 61). Während die Zwänge der zeitgleichen Kommunikation keine Rolle in der asynchronen E-Mail-Kommunikation spielen, sind sie im synchronen Chat von großer Bedeutung, müssen doch hier kulturelle Inhalte direkt ausgehandelt werden. 4. Kritisches kulturelles Bewusstsein (critical cultural awareness): Byram argumentiert, dass die bisher dargestellten Faktoren in einer umfassenderen pädagogischen Philosophie gefasst werden können, wenn die Lernenden dazu angeleitet werden, ihre jeweils eigene Kultur kritisch zu reflektieren. In dem die Lehrenden den Ansatz der politischen Bildung verfolgen, versetzen sie die Lernenden in die Lage, die Fähigkeit zu entwickeln "to evaluate, critically and on the basis of explicit criteria, lFLlUllL 34 (2005) 196 Andreas Müller-Hartmann perspectives, practices and products in one's own and other cultures and countries" (BYRAM 1997: 33, 63). 2.2 Lehrerwissen Die Lernumgebungen, mit denen die angehenden Lehrer/ innen in Telekollaborationsprojekten konfrontiert werden, sind durch massive Unsicherheit (Was für einen Partner werde ich bekommen? Werde ich mich mit ihm verstehen? ), Instabilität (Wird meine Partnerin mir regelmäßig antworten? ) und mögliche Wertkonflikte (Wie arbeitet mein Partner? Wie denkt er/ sie über Deutschland? ) gekennzeichnet (SCHÖN 1983). Die Bearbeitung von publiziertem Wissen zur Vermittlung von interkultureller kommunikativer Kompetenz in E-Mail-Projekten reicht daher nicht aus, um derartige Kontexte zu verstehen und selber zu initiieren. Während Lehrende auf ein ausgeprägtes Erfahrungswissen zurückgreifen können und ihre Entscheidungen im Klassenraum auf der Basis von Routinen treffen, die sie im Rahmen ihrer praktischen Tätigkeit in vielen unterschiedlichen Lehr- und Lernsituationen entwickelt haben, ist dies bei Studierenden in der Regel nicht der Fall. Sie beziehen sich auf subjektive Theorien, die sie aus ihren eigenen Lernerfahrungen in der Schule mit in die Ausbildung bringen, allerdings bereiten sie diese Erfahrungen nur in den wenigsten Fällen auf solchermaßen strukturierte Lernumgebungen vor (SCHOCKER-V. DITFURTH 2001). Die Studierenden müssen daher die Gelegenheit bekommen, diese neuen Erfahrungen überhaupt erst einmal zu machen, um so sukzessive ein Erfahrungswissen zu entwickeln und nach und nach ihre subjektiven Theorien zu verändern. JOHNSON (1994: 451) führt dazu aus, "if preservice teachers' beliefs are to shift at all, they must become cognizant of their own beliefs, have opportunities to resolve conflicting images within their own belief system, have access to develop an understanding of and, more importantly, have successful encounters with alternative instructional practices and alternative images ofteachers." Die Teilnahme an internationalen Telekollaborationsprojekten auf Universitätsebene ermöglicht den Studierenden die Entwicklung eines solchen Erfahrungswissens im Sinne des Modelllernens. Dadurch werden sie in die Lage versetzt, ihre subjektiven Theorien zum Einsatz von Medien im Fremdsprachenunterricht mit der Zielvorgabe interkulturelle kommunikative Kompetenz zu verändern und so ein Lehrerwissen auszubilden (LEGUTKE/ MüLLER- HARTMANN/ SCHOCKER-V. DITFURTH [erscheint]). Dabei gilt eigentlich Folgendes: "the knowledge base must focus on the activity of teaching itself, on the teacher who does it, and on the contexts in which it is done" (MÜLLER-HARTMANN/ SCHOCKER-V. DITFURTH 2004: 5; auch JOHNSON/ FREEMAN 1998). Aufgrund der Komplexität ist die Durchführung internationaler Telekollaborationsprojekte im Fremdsprachenunterricht der Schulen zur Anleitung von Studierenden während der Ausbildung allerdings nur sehr schwer zu ermöglichen. Die Entwicklung von derartigen Projekten mit Studierenden auf Hochschulebene ist somit nur die zweitbeste Möglichkeit, da sie nicht direkt im schulischen Kontext stattfindet, aber auch sie vermittelt den Studierenden die Möglichkeiten und Grenzen derartiger Projekte. Studierende können so am eigenen Leibe erfahren, was es heißt, mit einem ausländischen Partner Inhalte zu diskutieren und auszuhandeln und so interpersolFJL1.lllL 34 (2005) Interkulturelles Lernen in internationalen Telekollaborationsprojekten ... 197 nale Kompetenzen zu entwickeln, bzw. erste Handlungsroutinen zur Durchführung solcher Projekte zu entdecken. Dazu müssen die Studierenden das sich entwickelnde Erfahrungswissen im Laufe des Lernprozesses reflektieren, wie W AJNRYB (1992: 9) hervorhebt: "the process of leaming is an active, not a passive one: the teacher is actively reflecting and exploring, not, as it were, 'being developed' by someone else whose job it might be to provide assessment and answers." Die Reflexion wird hier im Verlauf des Projekts immer wieder integriert (siehe unten). Vor allem die Anfertigung eines Portfolios im Verlauf des Seminars unterstützt diesen Reflexionsprozess (siehe auch BAR- TON/ ANGELO 1993; JOHNSON 1996; SELDIN 1993). Im Folgenden wird nun das Seminarmodell vorgestellt, das diese Prozesse ermöglicht. 3. Der Forschungskontext ein Seminarmodell Das Forschungsprojekt umfasst bis dato fünf Jahre einer Telekollaboration zwischen der Pennsylvania State University (PSU) 1 in den Vereinigten Staaten und der Universität Gießen (erstes Jahr) sowie der Pädagogischen Hochschule Heidelberg (PHH) (Jahre 2-5) in Deutschland. Die amerikanischen Studierenden sind in einer Reihe von undergraduate Programmen (B.A. und B.S.) eingeschrieben und nehmen an dem Projekt im Rahmen eines Deutsch als Fremdsprache Kurses statt, der zu den Sprachanforderungen ihrer Ausbildung gehört. Die deutschen Studierenden sind Lehramtsstudierende der verschiedenen Schulformen und nehmen an dem Projekt im Rahmen eines Hauptseminars im Studiengang Englisch teil. Seit dem Wintersemester 2003/ 04 ist dieses Hauptseminar ("Developing Media Competence") auch prüfungsrelevanter Teil des ersten Staatsexamens im Kerncurriculum der neuen modularisierten Studiengänge in Baden-Württemberg. Die ersten drei Jahre dieses Projektes waren Teil eines United States Department of Education International Studies and Research Grant (CFDA), den Julie Belz an der PSU für den Bereich Deutsch leitete. Julie Belz und ich haben unsere Kooperation nach Beendigung der Förderung fortgesetzt. Die Daten der fünf hier untersuchten Kohorten wurden somit in den Jahren 2000-2004 erhoben. Wie sich aus der Übersicht ersehen lässt (siehe Tabelle 1 [S. 198]), finden die beiden Kurse zeitversetzt statt, was zu einer Überschneidung von ungefähr acht Wochen führt. Die amerikanischen Studierenden stellen sich anhand einer als website organisierten Kurzbiographie 2 vor, die sie im ersten Teil ihres Kurses entwickeln. Im Oktober beginnt die gemeinsame Arbeit mit einer Phase des Kennenlernens auf der Basis der von den amerikanischen Studierenden erstellten website (Kurzbiographien und Informationen zu PSU), in der vor allem die beiden unterschiedlichen institutionellen Kontexte beschrieben und diskutiert werden. Im Anschluss lesen die Studierenden parallele Texte, die in den beiden Fremdsprachen erstellt wurden und gleiche oder ähnliche Themen behandeln 2 Siehe http: / / www.personal.psu.edu/ faculty/ j/ a/ jab63/ ger201fall 2004.html Siehe z.B. http: / / language.la.psu.edu/ ger20l_fa2004/ biografie.html lFLuL 34 (2005) 198 Andreas Müller-Hartmann (KINGINGER [et al.] 1999). Das sind zum einen zwei Jugendbücher (Härtlings Ben liebt Anna und Woodsons If you come softly), die sich mit Fragen von Rassismus und Anderssein beschäftigen und zwei Filme (American Beauty und Nach fünf im Urwald), die sich mit der Rolle der Familie und ihren Problemen in der jeweiligen Kultur beschäftigen. Diese parallelen Texte werden in der Folge über mehrere Wochen anhand von Aufgaben oder in freier Form diskutiert. Parallel dazu werden in einem online Fragebogen Reaktionen und Meinungen zu critical incidents in den beiden Kulturen gesammelt (z.B. Wie würden Sie reagieren, wenn jemand sein Kind in der Öffentlichkeit schlägt? ). Die Studierenden fassen jeweils die Antworten ihrer Partner zusammen und bringen sie interessierende Aspekte mit in den Austausch ein. Die Diskussion und die sich dabei herauskristallisierenden Themengebiete (z.B. Rassismus, Patriotismus, Sexualität, Jugendkultur etc.) münden schließlich in eine gemeinsam gestaltete website3, auf der die deutschamerikanischen Teams jeweils Essays zu von ihnen ausgewählten Themen schreiben. Phase I Web-Projekt I Traditioneller und durch USA August bis - Kurzbiografien Technologie unterstützter Mitte Oktober - Informationen zum Unileben Unterricht Lektüren - Härtling (1977) - Woodson (1998) Phase II Elektronische Besprechung der Paararbeit: Deutschland/ Mitte Oktober Paralleltexte (Jugendbuch und Transatlantische E-Mails in USA bis Mitte Film) dem Program First Class November - Härtling, Woodson - American Beauty/ Nach fünf im Urwald Phase III Web-Projekt II Gruppenarbeit: Deutschland/ Mitte Nov. - Bilinguales Essay zu den Transatlantische E-Mails, USA bis Mitte Paralleltexten synchrone Chats in dem Dezember (-Bilinguales Essay zu einem Program First Class; Telefonate kulturellen Konstrukt: nicht jedes Jahr) Phase IV Diskussion der Partnerschaft Traditioneller und durch Deutschland Mitte Dez. bis auf praxisorientierter und Technologie unterstützter Mitte Februar theoretischer Ebene Unterricht Tabelle 1: Die Partnerschaft im Überblick Die Kommunikation findet grundsätzlich halb auf Deutsch und halb auf Englisch statt, wobei die Studierenden die Aufgabe haben, jeweils bis zu max. drei 'Fehler' der Partner in der nächsten E-Mail zu korrigieren. Auch die abschließende website wird in beiden Siehe http: / / language.la.psu.edu/ ger20l_fa2004/ lFLulL 34 (2005) Interkulturelles Lernen in internationalen Telekollaborationsprojekten ... 199 Sprachen geschrieben. Die gesamte Kommunikation läuft über die Lernplattform First Class und ist sowohl synchron als auch asynchron angelegt. Da die Kurse zeitlich miteinander getaktet sind, ergibt sich eine gemeinsame Arbeitszeit pro Woche von ungefähr 45 Minuten, in der in der Regel gechattet wird. Die Lernplattform stellt den transatlantischen Teams auch einen Arbeitsbereich zur Verfügung, in der die Teams ihre Chats, E-Mails und weiteren Texte sammeln und gemeinsam bearbeiten. Für die weitere Reflexion und Entwicklung des Erfahrungswissens spielt die zweite Phase nach dem Jahreswechsel eine wichtige Rolle, die ohne die Amerikaner stattfindet (Phase IV, siehe Tabelle 1 [S. 198]). Hier werden die individuellen Erfahrungen des Projekts aufgearbeitet und im Anschluss ein Transfer geleistet in Bezug auf den zukünftigen professionellen Kontext, in dem sich die angehenden Lehrer/ innen befinden werden. Dieser Teil des Seminars umfasst die folgenden Phasen: l. Eine erste Reflexion des Projekts mit Hilfe der Lupenarbeit und einer sich anschließenden Gruppendiskussion. Auf Basis einer jeweils individuellen Mindmap legen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Erfahrung, die sie besonders beschäftigt hat, unter die Lupe und zeichnen sie. Das Einfügen von Text ist nicht erlaubt, um im zweiten Schritt die erstellten Lupen nebeneinander zu halten und auf Basis der Zeichnungen zu spekulieren, was gemeint sein könnte, urn so sukzessive in eine Diskussion der gemachten Erfahrungen zu treten. Die Aushandlung der Bedeutungen der critical incidents ermöglicht einen intensiven Erfahrungsaustausch ebenso wie eine neue Perspektivierung der individuell gemachten Erfahrungen und eine Einordnung in die übergreifenden Lernziele des Projekts, die Entwicklung interkultureller kommunikativer Kompetenz. Die Diskussion legt im Übrigen die Grundlage für die sich anschließende Auseinandersetzung mit theoretischen Aspekten von Telekollaboration. 2. Bevor die Studierenden sich in das Seminar einschreiben konnten, hatten sie eine Liste mit 'dos and don'ts' einzureichen, die sie in Betracht ziehen würden, wenn sie ein E- Mail-Projekt rnit einer neunten Klasse in einer Realschule durchführen würden. Nach der Lupendiskussion überarbeiten sie in Gruppen ihre ursprünglichen Listen, indem sie sie auf der Basis von NUNANS (1989) sechs Kategorien des aufgabenorientierten Lernens (d.h. goals, input, activities, teacher roles, learner roles, setting) verändern und strukturieren. Dabei werden die gemachten Erfahrungen im Hinblick auf einen prospektiven Klassenraum neu ausgehandelt und weiter entwickelt. Parallel werden dazu Texte von D0NATH (1996, Organisation von E-Mail-Projekten), BYRAM (1997) und MÜLLER-HARTMANN (1999) (jeweils interkulturelles Lernen) gelesen. Anstatt die Texte lediglich zu diskutieren, werden sie in Bezug gesetzt zu Daten aus schulbasierten Telekollaborationsprojekten. Im Bereich des interkulturellen Lernens geht es dabei urn die Art und Weise, wie mit kulturellen Missverständnissen umzugehen ist (z.B. die Mail eines amerikanischen Schülers, der die Partner rnit „Hail" begrüßt; Beispiele von sehr direkten kommunikativen Strategien deutscher Schüler/ innen, die von den Partnern als negativ erlebt wurden). In dem Rahmen wird auch ein E-Mail-Austausch zwischen einem türkisch-stämmigen deutschen Schüler und einer amerikanischen Schülerin analysiert, um die Entwicklung der affektiven Ebene zwischen Teenagern lFLl! llL 34 (2005) 200 Andreas Müller-Hartmann unterschiedlicher Kulturen entdecken und erklären zu lernen. Theoretisches Wissen wird so auf konkrete lokale Kontexte angewandt, wobei die Lernertexte rnit Texten aus der Perspektive der beteiligten Lehrenden in Beziehung gesetzt werden. Als Reflexionsinstrument ist im deutschen Seminar während des Projekts ein Portfolio zu erstellen, das eine Sammlung von ausgewählten E-Mail-Texten aus dem Austausch und deren Reflexion umfasst. Die Portfolios stellen auch die Datenbasis für diesen Beitrag dar. Von insgesamt 63 deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurden 34 Portfolios eingereicht, die analysiert wurden (Jahr 1 = 5 von 21 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, Jahr 2 = 13 von 14, Jahr 3 = 8 von 14, Jahr 4 = 8 von 15). Obgleich die Portfolios bewertet werden, ist den Studierenden doch bewusst, dass nicht eine positive oder negative Bewertung des Kurses ausschlaggebend ist, sondern das Niveau der Reflexion. Die E-Mail Korrespondenz dieser Projekte ist an anderer Stelle im Hinblick auf die institutionellen Möglichkeiten und Zwänge und dem Prozess des interkulturellen Lernens analysiert worden (BELZ 2002, 2004; BELZ/ MüLLER-HARTMANN 2002, 2003). In diesem Beitrag liegt der Fokus auf der sich entwickelnden Wissensbasis der Studierenden im Bereich der interkulturellen kommunikativen Kompetenz, und da die Portfolios während und direkt im Anschluss an die Kurse geschrieben worden sind, erfassen sie am besten den Reflexionsprozess und die Entwicklung erfahrungsbasierten Wissens. Die Gruppendiskussionen zu Beginn der zweiten Phase (siehe oben, Lupenarbeit) boten eine offene Reflexionsplattform. Die Diskussionsbeiträge und Kommentare flossen z.T. in die Portfolios der Studierenden mit ein. 4. Datenanalyse - Die Entwicklung interkultureller kommunikativer Kompetenz 4.1 Einstellungen - "They valued us and our opinion and relativised themselves" (Sabine 2002: 10) 4 Alle Teilnehmer/ innen drückten zu Beginn des Seminars Neugier und Offenheit in Bezug auf das Kennenlernen amerikanischer Studierender aus, eine entscheidende Voraussetzung für die Entwicklung interkultureller kommunikativer Kompetenz. Dies hat u.a. mit der Tatsache zu tun, dass mehr als die Hälfte der deutschen Studierenden schon ein Jahr in den USA verbracht hatten. Kerstin z.B. schreibt: "I was basically a bit doubtful [ob das Projekt funktionieren würde], but at the same time curious and open" (2002: 2). Auch Studierende, die gegenüber den USA nicht grundsätzlich positiv eingestellt waren, drückten ihre Sorgen offen aus: "Up to that point I was not very much interested in the U.S., in their culture or their people. [... ] This seminar though seemed the most pleasant and easiest way to approach them [ihre Vorurteile]" (Melanie 2001: 2). Obgleich sich 4 Die Namen der Studierenden wurden geändert. Die Jahreszahl bezieht sich auf das Jahr, in dem die Studierende an dem Austausch teilgenommen hat. Die Seitenzahl bezieht sich auf das Portfolio der Studierenden. Die Texte der Studierenden sind sprachlich nicht verändert worden. ]F]Lm, 34 (2005) Interkulturelles Lernen in internationalen Telekollaborationsprojekten ... 201 Melanie "slightly offended" darüber fühlte, dass ihre Partnerin ihre Wahl britischer Begriffe korrigierte, differenzierte sie dennoch am Ende ihre Aussage; "I had to adjust my opinion a little" (2001: 6, 9). War sie anfangs noch davon ausgegangen, dass alle Amerikaner patriotisch seien, änderte sie ihre Meinung, als sie feststellte, dass ihre Partnerin George W. Bush nicht als Präsidenten haben wollte. Sabines Aussage (siehe Titelüberschrift dieses Kapitels) zeigt, dass die Studierenden erkannten, wie wichtig ein 'Dezentrieren' (to decenter) von der eigenen Position war, um interkulturelle kommunikative Kompetenz aufzubauen. Nachdem sie und ihre Gruppe zunächst frustriert über die Themenwahl ihrer Partner zum abschließenden Projekt gewesen waren, schlugen sie ein anderes Thema vor and waren froh, als ihre Partner nicht auf dem ersten Vorschlag beharrten, sondern dem Themenwechsel zustimmten: "They valued us and our opinion and relativised themselves" (2002: 10). 4.2 Wissen - "I would not have thought that such a critical film was possible in America" (Berit 2001: 8) Die Tatsache, dass über 50% der deutschen Studierenden schon ein Jahr in den USA verbracht hatten, führte dazu, dass sie sich als kulturelle Experten sahen. Dennoch wollten sie mehr über die Vereinigten Staaten erfahren und fast alle erwähnten, dass sie im Verlauf des Projekts eine Menge über das universitäre Bildungssystem im Allgemeinen und das Leben im College im Besonderen gelernt hatten (siehe z.B. Jutta 2003: 9). Diese Erfahrung war offensichtlich durch die in der Kennenlernphase bearbeitete Aufgabe, Informationen über die unterschiedlichen Bildungssysteme auszutauschen, möglich geworden. Die Studierenden schätzten dieses neu erworbene Wissen auch im Hinblick auf die späteren schulischen Kontexte, in denen sie mit Lehrbüchern arbeiten würden müssen, die zahlreiche Verallgemeinerungen und Cliches zur Zielkultur enthalten: "typical pictures and stories [... ] which, sadly enough, seem to produce a lot of cliches" (Pia 2001: 5). Es wurde nicht nur Faktenwissen erworben, sondern die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erfuhren tatsächlich institutionelle Zwänge, wie zum Beispiel unterschiedliche Bewertungsverfahren, als die amerikanischen Studierenden gegen Ende des Projektes erhöhten Druck auf die Teamarbeit ausübten, damit ein gutes Endprodukt im Rahmen der zu erstellenden Website zustande käme; ein Aspekt, den fast alle Arbeitsgruppen kommentierten. Die Unterschiede kamen dadurch zustande, dass die deutschen Studierenden auf Basis des Portfolios bewertet wurden, also summarisch, die amerikanischen Studierenden hingegen im Prozess, wobei die Website einen wichtigen Teil ausmachte (siehe auch BELZ/ MÜLLER-HARTMANN 2003). Während die Studierenden weiteres Faktenwissen über Religion, Familienleben, die Rolle von Sexualität, Patriotismus etc. in der amerikanischen Kultur im Laufe des Projekts erwarben, wurden ihnen auch die verschiedenen Möglichkeiten der Telekommunikation (E-Mail und Chat) bewusst, wie auch die unterschiedlichen Konventionen der sozialen Interaktion (BYRAM 1997: 58, 60). Dagmar und Norbert (2001 : 5), zum Beispiel, kommentierten die Chat- Konventionen: "At the beginning we wrote long and correct JF]Lllll]L 34 (2005) 202 Andreas Müller-Hartmann sentences but soon we noticed that there is a certain way to chat." Franz (2001: 10) reflektierte die kulturellen Konventionen im Chat, als er die Zurückhaltung seines Partners mit der Tatsache erklärte, dass er vielleicht zu intensiv nachgefragt hätte: "Maybe Marlies and I wrote too much and asked too many questions or did too many proposals for further work." Und Sabine (2003: 9) wurde u.a. deutlich "that capital letters in an email meant shouting." Die Studierenden erkannten auch die Tatsache, dass die verschiedenen Kommunikationsformen unterschiedliche Potenziale beinhalteten in Bezug auf die Aushandlung von Inhalten. Die Mehrheit drückte so z.B. das Bedürfnis aus, zu lernen, wie Hypertexte hergestellt werden eine Fähigkeit, die auf Grund des engen Zeitrahmens nur die amerikanischen Studierenden erworben hatten um in ihren zukünftigen Unterrichtskontexten visuelle Dateien, Text- und Audiodateien miteinander zu verknüpfen und entsprechende Inhalte zu vermitteln. In der Regel drückten sie ihre Enttäuschung darüber aus, dass es dazu in dem Projekt nicht gekommen war. 4.3 Fertigkeiten der Interaktion - "I discovered my mediator role [...] a role that can be quite exhausting at times" (Margit 2002: 17) Die Wahl der im Projekt behandelten Texte (Jugendliteratur und Filme) wurde von allen Studierenden gelobt, da sie es ermöglichten, die unterschiedlichen kulturellen Kontexte in Beziehung zu setzen und zu vergleichen. Die Texte lösten eine Diskussion über Stereotype und Vorurteile aus, die es den einzelnen Teams ermöglichte zu erkennen, welche Repräsentationen Stereotype sein könnten und welche auf individuellen Vorstellungen beruhten. Im Verlauf der Diskussionen wurden dann kulturelle Unterschiede und Ähnlichkeiten ausgehandelt (z.B. Berit 2000: 7). Ilse (2000: 7-8) beschreibt das Potenzial dieser Diskussionen: "Of course the Americans also leamed a lot of new things about the Germans and I hope that it helped to clear up some stereotypes. We bad some attitudes and stereotypes about the Americans as well but I got to know another point of view and now I can understand some of their attitudes much more better. All in all I can say that the materials helped to change some of my attitudes and helped to avoid prejudices." Indem sie versuchten, typisch deutsche kulturelle Artefakte zu erklären, wie z.B. den Gartenzwerg oder kulturell spezifische Begriffe wie Umsiedler, erkannten die Studierenden, wie schwierig es ist, den Partnern/ innen ein Konzept zu erklären, dass in der anderen Kultur nicht existiert. Der Fragebogen zu den critical incidents der amerikanischen und deutschen Kultur (siehe oben) hatte eine ähnliche Wirkung, indem er die Studierenden erkennen ließ, dass das Vergleichen, in Beziehung setzen und Interpretieren von kulturellen Texten ein wichtiger Prozess in der Entwicklung interkultureller kommunikativer Kompetenz ist. Eine Reihe von Studierenden lobte explizit den Einsatz des Fragebogen. Sie unterstrichen die Bedeutung, Texte zu interpretieren, d.h. unter die jeweilige Textoberfläche zu schauen und nach versteckten Bedeutungen zu forschen. Nachdem sie über die "invisible facts" gesprochen hat, die es beim Lesen zwischen den Zeilen zu entdecken gilt, bzw. beim Interpretieren der eintreffenden E-Mails, fasst Ulla ihre Erfahrungen zusammen, indem f'L1lllL 34 (2005) Interkulturelles Lernen in internationalen Telekollaborationsprojekten ... 203 sie schreibt: "despite getting to know the other country and culture, you also learn a lot about yourself and your own cultural background when reflecting on it" (Ulla 2001: 4). 4.4 Kritisches kulturelles Bewusstsein - "Cultural clashes not only exist between the two countries, bot also within the SAME country ... referring to differences in Eastand West German mentality" (Margit 2002: 12) Die Interaktion stellte sich als ein kulturelles Minenfeld heraus und unterstützte die Studierenden dabei, sich der Bedeutung des interkulturellen Mediators bewusst zu werden. Ilse (2000: 3) zum Beispiel war besorgt, dass ihre Partnerin beleidigt sein könnte, als sie die Amerikaner für die Art und Weise kritisierte, wie sie mit Gewalt im Fernsehen umgehen. Sie machte es trotzdem und war erleichtert, als ihre Partner dies nicht kommentierten. In anderen Fällen führte das direkte kommunikative Verhalten der deutschen Studierenden zu Konflikten (Melanie 2001, Pia 2001). Eine Gruppe war sich uneinig darüber, wie direkt man den amerikanischen Partnern mitteilen könne, dass man mit ihrer Mitarbeit unzufrieden war. Margit (2002: 15) beschreibt diese Situation und ihre sich im Prozess entwickelnde Rolle: "I felt bad, mainly because I did not want to poison the German-American relationship, I also thought about the stress the Americans must have been in with the end of their term approaching. [... ] I pointed out my 'mediator' role I put myself in [... ] I always try to 'build bridges' defending the 'other side', explaining points of views and 'reactions' and focusing on the SIMILARITIES rather than differences." Indem sie sich mit den Stereotypen und Vorurteilen in beiden Kulturen beschäftigten und indem sie die historische und kulturelle Entwicklung und Gebundenheit von einigen dieser Konzepte erkannten, entwickelten die Studierenden letztendlich auch ein kritisches kulturelles Bewusstsein in Bezug auf die eigene und die andere Kultur. 5. Ausblick - Die Entwicklung von Lehrerwissen Die Teilnahme an einem telekollaborativen Projekt ist emotional sicherlich anstrengend. Vor allem in den letzten Wochen des Austauschs führt der zunehmende Zeitdruck häufig zu Missverständnissen und Konflikten. Obgleich institutionelle Zwänge und individuelle Handlungsweisen der jeweiligen Partner/ innen zu Stress und manchmal Frustration führen, hilft die zweite Phase des Seminars nach dem Jahreswechsel dabei, die Erfahrungen aus einer anderen, der Perspektive des Lehrenden zu sehen. Patricia (2000: 3) schreibt dazu: "In the evaluation phase we slowly became teachers again." Die Studierenden unterstrichen die Bedeutung, die die Reflexion ihrer Erfahrungen in dieser Phase für sie hatte: "This to me was basically the most important phase, because I got the chance to recap my feelings and thoughts, visualize problems, and become aware of my personal learning progress" (Margit 2002: 7; siehe auch Cornelia 2001). Wie die Analyse der Portfolios zeigt, haben die Studierenden begonnen, interkulturelle kommunikative Kompetenz aufzubauen, und sie entwickelten ein Erfahrungswissen im lFlL111L 34 (2005) 204 Andreas Müller-Hartmann Hinblick auf die Durchführung von Telekollaborationsprojekten. Das sich entwickelnde Erfahrungswissen kann unter anderem auch daran gesehen werden, dass einige der Studierenden es sich zutrauten, im Rahmen ihrer Examensarbeit entsprechende Projekte im Englischunterricht der Realschule in Angriff zu nehmen. Karoline beispielsweise entwickelte ein Internet-Recherche-Projekt mit einer siebten Klasse, während Marlene und Jutta jede ein internationales Telekollaborationsprojekt zwischen Lernenden in Deutschland und den USA bzw. Neuseeland durchführten. Die Tatsache, dass sie sich dies im Rahmen einer wichtigen examensrelevanten Arbeit ihrer Ausbildung zutrauten, zeigt, dass sie durch die eigene Teilnahme an einem Telekollaborationsprojekt neben der notwendigen Motivation und der Überzeugung des sinnvollen Einsatzes eines solchen Projekts für das Fremdsprachenlernen bzw. das interkulturelle Lernen, auch schon eine entsprechende Sicherheit gewonnen hatten, die es ihnen erlaubte, die vielen Unwägbarkeiten und institutionellen Zwänge anzugehen und mit den Partner/ innen zu verhandeln. Die Projekte haben von daher dazu beigetragen, dass angehende Fremdsprachenlehrer/ innen ein Stück weit selber zu intercultural speakers geworden sind. Gleichzeitig sind sie in die Lage versetzt worden, Erfahrungswissen in Bezug auf den Einsatz der neuen Medien und deren Potenzial für interkulturelle Lernprozesse im Fremdsprachenunterricht zu entwickeln. Die Erfahrung und Reflexion eines solchen Ansatzes erlaubt es ihnen, Ideen für entsprechende Routinen in ihren zukünftigen professionellen Kontexten zu entwickeln. Wie die Daten gezeigt haben, sind diese Erfahrungen trotz mancher Schwierigkeiten und Frustration bei den meisten Teilnehmern/ innen grundsätzlich positiv auf der affektiven Ebene verankert. Damit ist eine Basis gelegt, die ihnen die nötige Sicherheit sowie entsprechendes Wissen gibt, interkulturelle Lernprozesse mit Hilfe von internationalen Telekollaborationsprojekten in ihren zukünftigen Schulen durchzuführen. Literatur BARTON, James/ COLLINS, Angela (1993): "Portfolios in Teacher Education". In: Journal of Teacher Education 44, 3, 200-210. BECHTEL, Mark (2001): "Aspekte interkulturellen Lernens beim Sprachenlemen im Tandem. Eine Sequenzanalyse". In: MEißNERIREINFRIED (Hrsg.), 151-167. BELZ, Julie A. (2002): "Social Dimensions ofTelecollaborative Foreign Language Study". 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